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Full text of "Deutsches Archiv für klinische Medizin"

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mmm^^ 


DEUTSCHES  ARCHIV 


FÜR 


KLINISCHE  MEDICIN 


HERAUSGEGEBEN  VON 

Pbof.  ACKERMANN  im  Hallb,  Prof.  BÄUMLER  in  Frbiburo,  Prof.  BIERMER 
IN  Breslau.  Dr.  BIRCH-HIRSCUFELD  in  Dresden,  Prof.  v.  BÜHL  in  München, 
Prof.  DUCHEK  in  Wien,  Prof.  EBSTEIN  in  Göttingen,  Prof.  ERB  in  Heidbl- 
BERG,  Dr.  FIEDLER  in  Drbsdbn,  Prof.  FRIEDREICH  in  Heidelberg,  Prof. 
GERHARDT  in  Wörzbübo.  Prof.  HELLER  in  Kiel,  Prof.  HERTZ  in  Amster- 
dam, Prof.  F.  HOFFMANN  in  Dorfat,  Prof.  IMMERMANN  in  Basel,  Prof. 
JÜRGENSEN  in  Tübingen,  Prof.  KUSSMAUL  in  Strassbürg,  Prof.  LEUBE  in 
Erlangen,  Prof.  LICHTHEIM  in  Bern,  Prof.  v.  LIEBERMEISTER  in  Tübingen, 
Prof.  MANNKOPFF  in  Marburg,  Dr.  G.MERKEL  in  Nürnberg,  Prof.  MOSLER 
IN  Grbifswald,  Prof.  NAUNYN  in  Königsberg,  Prof.  NOTHNAGEL  in  Jena, 
Prof.  QUINCKE  in  Kiel,  Prof.  RIEGEL  in  Giessen,  Prof.  ROSENSTEIN  in 
Lbtdbn,  Prof.  RÜHLE  in  Bonn,  Prof.  v.  SCHÜPPEL  in  Tübingen,  Prof.  TH. 
THIERFELDER  in  Rostock,  Prof.  THOMAS  in  Freibürg,  Prof.  A.  VOGEL 
IN  Dorpat  ,  Prof.  E.  WAGNER  in  Leipzig,  Dr.  H.  WEBER  in  London,  Prof. 
TH.  WEBER  IN  Halle,  Prof.  ZENKER  in  Erlangen  und  Prof.  v.  ZIEMSSEN 

IN  München. 


BEDIGIKT    VON 

Db.  H.  V.  ZIEMSSEN,      und      Dr.  F.  A.  ZENKER, 

PKOr.  out  MBOICINISCHBK   KlINIK  PrOF.  DBB    PATHOLOOUCBBff  AmATOMIB 

IN  MÜNCHEN.  IN  ERLANGEN. 


VIEBUNDZWANZIOSTEB  BAND. 

MIT  12S  HOLZSCHNITTEN  UND  7  TAFELN. 


I—  I  fi 


LEIPZIG , 
VERLAG    VON   F.   C.    W.    VOGEL. 

1879. 


i 


Inhalt  des  vierundzwanzigsten  Bandes. 


Erstes  Heft 

(ausgegeben  am  1.  Jali  1S79). 

8«lt« 

I.  Zur  Pathologie  der  Tabes  dorsalis.  Von  Prof.  Dr.  W.  £  r  b  in  Heidelberg       1 
n.  üeber  den  Einflnss  antipyretischer  Mittel  auf  die  Eiweisuersetenng 
bei  Fiebernden.    Aus  dem  med.  -  klinischen  Institute  zu  München. 
Von  Jos.  Bauer  und  Guido  Künstle 53 

ni.  Ulcus  oesophagi  ex  digestione.  Von  Prof.  Dr.  H.  Quincke  in  Kiel. 

(Tafd  I) 72 

lY.  Materialien  zur  Pathologie  und  Therapie  des  Rückfallstyphus.    Yoii 

Dr.J.Moczutkowsky,  Arzt  am  Stadthospital  zu  Odessa  (Tafel  II)      80 

Y.  üeber  subfebrile  Zust&nde  von  erheblicher  Dauer.  Von  Dr.  W.  Ker- 
nig, Ordinator  am  Obuchoff-Hospital  in  St.  Petersburg  (Tafel  III— Y)      98 


Zweites  Heft 

(ausgegeben  am  30.  Juli  1879). 

YI.  Zur  localen  und  resorptiven  Wirkungsweise  einiger  Mercurialien  bei 
Syphilis,  insbesondere  des  subcutan  injicirten  metallischen  Queck- 
silbers.   Yon  Prof.  Paul  Fürbringer  in  Jena 129 

YII.  Drei  F&lle  von  Pneumopericardie.   Yon  Dr.  Hermann  Müller,  Pri?at- 

docent  und  Secnndararzt  der  med.  Klinik  in  Zürich 158 

YIII .  Zur  Kenntniss  der  Sehnenrefieze.   Yon  Dr.  Adolf  Strümpell«  Privat- 

docent  und  I.  Assistent  an  der  medicinischen  Klinik  in  Leipzig    .    175 
IX.  Materialien  zur  Pathologie  und  Therapie  des  Rückfallstyphus.    Yon 
Dr.J.  Moczutkowsky,  Arzt  am  Stadthospital  zu  Odessa  (Schluss) 

(Tafel  YI) 192 

X.  üeber  subfebrile  Zustftnde  yon  erheblicher  Dauer.  YonDr.W.  Ker- 
nig, Ordinator  am  Obuchoff-Hospital  in  St.  Petersburg  (Schluss)    222 


lY  Inhalt  des  vierundzwanzigsten  Bandes. 

Seite 

XI.  Kleinere  Mittheilungen. 

1.  Ein  Fall  von  Lyssa  homana  mit  ungewöhnlich  langer  Latenz. 

Von  Prof.  Dr.  N.  Friedreich •    .    .    242 

2.  Bromkalium  gegen  Hyperemesis  gravidarum.  Von  Demselben    245 

3.  Zur  localen  Behandlung  der  Bimhautaffectionen.  Von  Professor 

Fr.  Mosler •    .    246 

4.  Ueber  die  Entstehung  den^buminurie.   Von  Dr.  Moritz  Nuss- 

baum,  Privatdocent  und  Assistent  am  anatomischen  Institute 

zu  Bonn 248 

5.  Ein  Fall  von  luetischer  Erkrankung  der  Lungen.    Von  Dr.  W. 

H  e  n  0  p ,  Assistenzarzt  am  städtischen  Erankenhause  zu  Altena    250 

XII.  Besprechungen. 

1.  On  asthma:  its  pathology  and  treatment.    By  J.  B.  Berkart, 

M.  D.  (Penzoldt,  Erlangen) -    .    254 

2.  Zur  Kenntniss-  der  Gesundheitsverh&ltnisse  des  Marschlandes. 

I.  Wechselfieber.    Von  Dr.  A.  P.  J.  Dose,  prakt.  Arzte  in 
Marne  (Penzoldt,  Erlangen) 255 

3.  Der  Erfolg  mit  der  animalen  Vaccine  in  der  Hamburger  Impfan- 

stalt VonDr.med.Leonhard  Voigt,  Oberimpfarzt  (Stumpf,. 
München) .    255 


Drittes  Heft 

(ausgegeben  am  23.  September  1879). 

XIII.  Zur  PercuBsion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea.   Von  Professor  Dr. 

N.  Friedreich  in  Heidelberg 257 

XIV.  Die  allgemeine  Bindegewebshyperplasie  (Fibromatosis).     Von  Prof. 

F.  W.  Beneke  in  Marburg 271 

XV.  Ueber  postmortale  Temperaturen  von  H.  Quincke  und  L.  Brieger    282 

XVL  Ueber  Herzstosscurven  und  Pulscurven.  Von  Dr.  F.  Maurer,  Assi- 
stent am  pathologisch-anatomischen  Institut  zu  Heidelberg    ...    291 

XVII.  Kleinere  Mittheilungen. 

1.  Zur  Symptomatologie  der  medullären  Leukämie.  Von  Professor 

Fr.  Mosler 342 

2.  Ein  nachsechstägigerKrankheitsdauer  tödtlich  verlaufender  Fall 

von  Diabetes  mellitus.    Entstehung  durch  eine  Gallenstein- 
kolik.   Mitgethdlt  von  Dr.  med.  M.  Loeb  in  Worms  a.  Bh.    343 

3.  Morphiumvergiftung  eines  14  Tage  alten  Kindes  mit  günstigem 

Ausgange.    Von  Dr.  Adolf  Wert  heim  ber  in  München   .    .    350 


Inhalt  des  vierundzwanzigsten  Bandes.  Y 

Viertes  und  fOnftes  (Doppel-)  Heft 

(ausgegeben  am  23.  October  1879). 

Seit« 

XVni.  Girrhotische  Yerkleinerong  des  Magens  und  Schwund  der  LabdrOsen 
unter  dem  klinischen  Bilde  der  perniciösen  Anämie.    Von  Prof. 

H.  Nothnagel  in  Jena 353 

XIX.  Zur  Kenntniss  des  Malleus  acutus  beim  Menschen.    Von  Professor 

Fr.  M Osler 367 

XX.  Beitrag  zur  Symptomatologie  der  Lähmungen  der  Schultergflrtel- 

musculatur.    Von  Dr.  M.  Bernhardt,  Docent  zu  Berlin    .    .    380 
XXI.  Bemerkungen  betreffend  den  Pulsus  bigeminus.   Von  Professor  Dr. 

Knoll  in  Prag 387 

XXn.  Ueber  Icterusepidemien.    Von  Dr.  Carl  Fröhlich,  Assistenzarzt 

des  Corpsgeneralarztes  14.  Armeecorps  in  Karlsruhe  i.  B.      .    .    394 

XXIIL  Multiple  Herdsklerose  des  Hirns  und  Rückenmarks  im  Säuglings- 
alter. Von  Dr.  Ladislaus  P  o  1 1  ä  k ,  Honorär-Physicus  des  Biharer 
Comitates  in  Gross- Wardein  (Ungarn) 407 

XXIY»  Ueber  die  therapeutische  Verwendung  der  Sclerotinsäure.   Aus  dem 

med.-k]ini8chen  Institute  zu  München.    Von  Dr.  Max  Stumpf    416 

XXV.  Ueber  einen  Fall  von  Stenosirung  der  Pulmonalarterie  in  Folge  von 
acuter  £ndocarditis  der  Semilunarklappen.  Aus  der  med.  Klinik 
zu  Freiburg  i.  B.    Von  Dr.  Moritz  Mayer  aus  Darmstadt    .    .    435 

XXVT.  Ein  Fall  von  Paracentesis  Pericardii.  Aus  der  med.  Klinik  zu 
Freiburg  i.  B.    Von  Dr.  C.  Hindenlang,  I.  Assistenzarzt  der 

Klinik 452 

XXVII.  Beitrag  zur  Kenntniss  der  „psychomotorischen  Centren"  im  Gehirn 
des  Menschen.  Von  Dr.  F.  Ne eisen,  Assistent  am  pathol.  In- 
stitut der  Universität  Rostock  (Tafel  VII) 483 

XXVUI.  Kleinere  Mittheilungen. 

1.  Dunkler  Fall  von  erworbener  Muskelatrophie  der  rechten  Hälfte 

des  Rumpfes  und  der  rechtsseitigen  Extremitäten  bei  einem 
Erwachsenen.  Von  Dr.  £.  Hüter,  früherem  Assistenten 
der  med.  Klinik  zu  Strassburg 501 

2.  Zur  Pilocarpin- Wirkung  bei  Bleikoiik.    Von  Dr.  W.  Wein- 

berg in  Berlin 504 

3.  Zur  intrauterinen  Vaccination.    Von  Dr.  Albrecht  Burck- 

hardt,  Assistent  der  med.  Klinik  zu  Basel 506 

4.  Brand  des  rechten  Beines  mit  tödtlichem  Verlauf  innerhalb 

23  Stunden  bei  Morbus  Brightii  chronicus.  Von  Dr.  £. 
Marcus  in  Frankfurt  a.  M 509 

XXIX.  Besprechungen. 

Dr.  A.  Erlenmeyer,  Die  Schrift.   Grundzüge  ihrer  Physiologie 

und  Pathologie  (P.  J.  Möbius) 511 


yi  Inhilt  des  Tiemndswanogstea  Bandet. 

Sechstes  Heft 

(aiugegeben  am  20.  Korember  1S79). 


8«lto 


XXX.  Untenuchiiogeii  fiber  mehrere  Encheümiigen  am  Circolatioiu-  and 
ReBpirationsapparate  (Herzbevegung,  Blatbewegung  in  der  Aorta 
und  Radialis,  Stimmfrendtos,  Yedciüarathmen  etc.),  angestellt  an 
einer  Fissora  stemi  congenita.  Von  Dr.  Franz  Penzoldt,  Ober- 
arzte der  medidnischen  Poliklinik  nnd  Priratdocenten  in  Erlangen  513 
XXXI.  Beiträge  zur  therapentischen  Yenrendung  der  BanchspeicheldrOse 
Ton  Schlachtthieren  nnd  deren  Präparate.  Ton  Dr.  H.  Engesser, 

Pritatdocent  an  der  UniTersit&t  Freibarg  i.  B 539 

TXYTT  Beiträge  zar  klinischen  BeortheUang  von  Ezsadatea  aad  Trans- 
sadaten.  Von  Dr.  Adolf  R  e  a  s  s ,  Assistenzarzt  der  medicinischen 

Klinik  in  Tabingen      583 

XXXin.  Chronische  Kehlkopiaffectionen  der  Kinder  im  Gefolge  acater  In- 

fectionskrankheiten.    Von  Dr.  J.  Michael  in  Hambniig   ...    618 
XXXIY.  Besprechungen. 

1.  Die  Haatkrankheiten  fOr  Aerzte  and  Studirende  daigestellt 

von  Dr.  Gostay  Bohrend,  prakt.  Arzte  in  Berlin  (Pen- 
zoldt, Erlangen) 647 

2.  3eitr&ge  zar  praktischen  HelJkande.    Mittheilangen  aas  dem 

Landkrankenhaase  bei  Cassel  für  praktische  Aerzte  von 
Dr.  Hertel.  I.  Assistenzarzt  am  Krankenhause  (Penzoldt, 
Erlangen) 648 


Zur  Pathologie  der  Tabes  dorsalis. 

Von 

Prof.  Dt,  W.  Erb 

In  Heidelberg. 

EKe  spinale  Erankheitsform,  welche  man  jetzt  —  in  Deutschland 
wenigstens  wohl  unbestritten  —  als  Tabes  dorsalis  bezeichnet  und 
mit  dem  identificirt,  was  man  anatomisch  als  n  Hinterstrangsklerose " 
oder  „  graue  Degeneration  der  Hinterstränge  "^  kennt,  {die  nAtaane  lo- 
comotrice  progressive^  von  DuehennCi  „labes  dorsal  tUaxique'^ ^ 
von  Charcot)  gehört  wohl  zu  den  am  schärfsten  charakterisirten 
und  am  leichtesten  diagnosticirbaren  Rttckenmarkskrankheiten.  Das 
Krankheitsbild  ist  ein  so  scharf  präcisirtes,  die  Uebereinstimmung 
der  einzelnen  Fälle  untereinander  eine  so  grosse,  die  Sicherheit  der 
differential  -  diagnostischen  Merkmale  eine  so  erhebliche,  dass  man 
nicht  wohl  denken  sollte,  es  könne  noch  viel  zur  genaueren  Sympto- 
matologie der  Tabes  beigetragen  werden.  In  der  That  dürfte  auch 
dem  Symptomenbilde  der  Tabes,  wie  ich  dasselbe  in  meinem  „  Hand- 
buch der  Rückenmarkskrankheiten '^  auf  6rund  aller  neueren  Arbei- 
ten und  zahlreicher  eigner  Beobachtungen  zu  zeichnen  versucht  habe, 
kaum  etwas  Wesentliches  hinzuzufügen  sein,  und  Jeder,  der  sich 
dasselbe  einprägt  und  einmal  ein  paar  Fälle  von  Tabes  gesehen  hat, 
wird  die  Krankheit  in  jedem  Falle  mit  Leichtigkeit  wieder  erkennen. 

Wenn  ich  es  dennoch  nicht  für  überflüssig  halte,  noch  einmal 
auf  die  Symptomatologie  der  Tabes  zurückzukommen  und  eine 
grössere  Reihe  von  Erfahrungen,  die  ich  zu  sammeln  Gelegenheit 
hatte,  für  die  weitere  Ausbildung  derselben  zu  verwerthen,  so  be- 
stimmen mich  dazu  verschiedene  Gründe. 

Zunächst  kann  ich  mir,  auf  Grund  einer  nicht  geringen  Zahl 
einschlägiger  Erfahrungen,  die  Thatsache  nicht  verhehlen,  dass  trotz 
aller  Arbeiten  der  letzten  Jahre  die  Sicherheit  in  der  Diagnose  und 

DentMhei  ArehlT  f.  klln.  Medleln.    XXIV.  Bd.  1 


2  I.  Erb 

Differentialdiagnose  der  Tabes  noch  lange  nicht  in  dem  Maasse  Ge- 
meingut der  Aerzte  geworden  ist,  wie  das  wohl  wtlnschenswerth  wäre; 
es  erscheint  deshalb  geboten ,  immer  und  immer  wieder  auf  die  be- 
treffenden Thatsachen  hinzuweisen,  die  Diagnose  der  Tabes  nach 
Möglichkeit  zu  erleichtem. 

Fernerhin  erscheint  es  als  ein  dringendes  Postulat,  die  aller- 
frtlhesten  Stadien  der  Tabes,  die  allerersten  und  leichtesten 
Initialsymptome  derselben  rechtzeitig  zu  erkennen  und  der  Diagnose 
zugänglich  zu  machen,  um  damit*  manchen  Kranken  vor  verkehrten 
therapeutischen  Maassnahmen  zu  bewahren  oder  ihn  durch  frühzeitiges 
therapeutisches  Eingreifen  vor  dem  Weiterschreiten  der  furchtbaren 
Krankheit  zu  behüten  und  diese  in  ihrer  Entwicklung  aufzuhalten. 
Und  das  ist  nur  möglich  durch  zahlreiche  klinische  Beobachtungen 
von  Seiten  solcher  Specialisten,  welche  durch  reiche  Erfahrung  einen 
für  die  Erkennung  der  Krankheit  geschärften  Blick  haben. 

Weiterhinist  in  den  letzten  Jahren  eine  Anzahl  neuerSym- 

ptome  in  das  Krankheitsbild  der  Tabes  eingeführt  worden,  welche 

zum  Theil  von  der  allergrössten  diagnostischen  Wichtigkeit  sind,  deren 

Bedeutung  und  Tragweite  aber  erst  durch  zahlreiche  erneute  Unter- 

^Buchungen  festgestellt  werden  kann. 

So  ist  das  von  WestphaP)  zuerst  angegebene  Symptom  des 
Fehlens  der  Sehnenreflexe  schnell  zu  einer  i^ehr  hervorragen- 
den  Wichtigkeit  gelangt  und  stellt  sich  immer  mehr  als  eine  der 
constantesten  und  frühesten  Erscheinungen  der  Krankheit  heraus. 

Durch  Berg  er  ^)  ist  in  einer  frühzeitig  —  oft  schon  lange  vor 
den  Störungen  der  Tastempfindung  —  nachweisbaren  Analgesie 
der  Haut  ein^  wie  es  scheint,  nicht  unwichtiges  Symptom  der  Tabes 
nachgewiesen  worden,  welches  allerdings  gewiss  nicht  mit  der  Con- 
stanz,  wie  das  Fehlen  der  Sehnenreflexe  auftritt,  auch  bei  weitem 
nicht  so  leicht  und  schnell  zu  constatiren  ist,  welches  aber  gleich- 
wohl nicht  geringe  Beachtung,  auch  für  die  Theorie  der  Krankheit, 
verdient. 

Mit  diesem  Symptom  wohl  nahe  verwandt,  oder  selbst  identisch 
ist  die  von  Drosdoff^)  auf  meiner  Station  gefundene  Abnahme 
der  faradocutanen  Sensibilität  bei  Tabischen,  aufweiche  bis- 


1)  Archiv  f.  Psych,  u.  Nervenkrankh.  V.  S.  819.  1875.  —  üeher  ein  frühes 
Symptom  der  Tahes  dorsalis.    Berliner  klin.  Wochenschrift.  1878.  Nr.  I. 

2)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1878.  Nr.  4.  —  Eine  ausfOhrlichere  Mit- 
thdlong  des  Autors  dber  die  fragliche  Analgesie  ist  mir  bisher  nicht  zu  Gesicht 
gekommen. 

3)  Archiv  f.  Psych,  u.  Nervenkrankh.  IX.  S.203.  1879. 


Tabes  dor8a]i8.  3 

her  allerdings  erst  in  wenigen  Fällen  untersucht  werden  konnte; 
doch  kann  immerhin  schon  jetzt  eine  weitergehende  Bedeutung  des 
Symptoms  vorausgesagt  werden. 

Endlich  möchte  ich  auch  hierher  das  Auftreten  von  spinaler 
MyosisO  (oder  vielleicht  richtiger  gesagt  von  spinaler  Partial* 
unerregbarkeit  der  Pupillen  gegen  Licht)  rechnen,  auf 
welche  ich  in  neuerer  Zeit  mehr  geachtet  ihabe  und  welche  in  der 
Abhandlung  von  Vincent^)  eine  sehr  sorgfältige  und  dankenswerthe 
Bearbeitung  gefunden  hat.  Auch  dies  Symptom  scheint  in  einem 
erheblichen  Procentsatz  aller  TabesfäUe,  und  zwar  nicht  selten  schon 
ziemlieh  frtthzeitig  vorzukommen.  Man  versteht  darunter  jenen  Zu- 
stand der  Pupillen,  bei  welchem  dieselben  auf  Lichteindrficke  gar 
nicht  oder  nur  in  sehr  unvoUkommner  Weise,  dagegen  auf  accommo* 
dative  Impulse  noch  ganz  gut  reagiren  und  welcher  in  der  Regel 
mit  Myosis  verbunden  ist. 

Alle  diese  neuen  Symptome  verlangen  eingehende  Prflfung  an 
mchem  Material  und  zwar  womöglich  nur  von  typischen,  un- 
eomplicirten  Fällen.  Es  muss  festgestellt  werden,  wie  gross 
ihre  Gonstanz  ist,  in  welchem  Procentsatz  aller  Fälle  sie  vorkommen, 
mit  welchen  anderen  Symptomen  sie  etwa  regelmässig  verbunden 
sind  und  ganz  besonders,  in  welchem  Zeitabschnitt  der  Erkrankung 
sie  auftreten  können  oder  aufzutreten  pflegen,  ob  man  sie  also  fflr 
die  Diagnose  der  frühesten  Stadien  der  Tabes  verwerthen  kann 
oder  nicht. 

In  diesem  Sinne  stelle  ich  die  folgenden,  in  den  letzten  2 — 3  Jahren 
gemachten  eigenen  Beobachtungen  zusammen.  Dieselben  enthalten 
in  ganz  kurzem  Auszug  nur  die  wesentlichsten,  auf  die  uns  hier  zu- 
nächst beschäftigenden  —  und  einige  weiter  unten  noch  zu  erörternde 
~  Fragen  bezüglichen  Angaben«  Der  Leser  möge  die  Lückenhaftig- 
keit vieler  dieser  Beobachtungen  entschuldigen:  nur  ein  Theil  der- 
selben ist  ein  Excerpt  aus  ausführlichen  Krankheitsgeschichten; 
andere  dagegen  stellen  nur  die  kurzen  Notizen  dar,  wie  sie  nach 
einer  einmaligen  genauen  Untersuchung  niedergeschrieben  würden. 
Jeder,  der  die  Schwierigkeit  des  Fixirens  solcher  Krankheitsbilder 
im  Drange  einer  vielbewegten  Praxis  kennt,  wird  Nachsicht  mit  den 
fielen  Lücken  dieser  Notizen  haben,  die  vielfach  schon  zu  einer  Zeit 
erhoben  wurden,  wo  ein  Theil  der  uns  hier  beschäftigenden  Gesichts- 

1)  8.  Erb,  Handb.  der  Krankheiten  des  RückenmarkB.  1.  Aufl.  1S76.  I.  S.  141 
und  IL  S.  179;  2.  Aufl.  S.  155  u.  585.  1878. 

2)  Des  pb^nomönes  ocalo-pupiUaires  dans  Tataxie  locom.  progress.  et  la  para- 
lys.  g^a^.  des  ali^nös.    Th^se.  Paris  1877. 

1* 


4  L  Erb 

punkte  noch  nieht  in  genOgender  Weise  berfieksichtigt  worde.  Immer- 
hin dfirften  diese  Fälle,  als  ein  von  Einem  Beobachter  gesammeltes 
Material,  nicht  ohne  Werth  sein. 

Ich  lasse  zunächst  44  Beobachtungen  folgen,  in  welchen  die 
Krankheit  bereits  zu  voller  und  unzweifelhafter  Ausbildung  gelangt 
war,  in  welchen  also  Ataxie  bestand;  lauter  Fälle,  die  ich  als  typi- 
sche Beispiele  von  Tabes  bezeichnen  darf.  Sie  sind  nach  der 
Krankheitsdauer  geordnet;  und  zwar  ist  die  Dauer  des  Leidens 
gerechnet  von  dem  ersten  und  frühesten  Auftreten  irgend  eines  hier- 
hergehörigen Symptoms,  also  meistens  der  lancinirenden  Schmerzen. 
—  Bei  den,  meist  etwas  Iflckenhaften  Angaben  Aber  die  Aetiolo- 
gie  habe  ich  nur  kurz  angeführt,  was  yorausging,  ohne  natürlich 
behaupten  zu  wollen,  dass  dies  auch  immer  die  ¥rirkliche  Ursache 
gewesen  sei;  in  der  letzten  Zeit  habe  ich  dabei  besonders  auf  die 
Syphilis  geachtet  —  Unter  den  Initialerscheinungen  habe  ich 
Alles  angeführt,  was  vor  meiner  Beobachtung  Yorhanden  war.  — 
Bei  dem  Status  wurden  besonders  die  Ataxie,  die  Haut-  und  Mns- 
kelsensibilität ,  die  Haut-  und  Sehnenreflexe,  die  Blasen-  und  Ge- 
schlechtsschwäche und  das  Verhalten  der  Augen  berücksichtigt 

Man  wird  über  die  grosse,  fast  ermüdende  Gleichmässigkeit  des 

Krankheitsbildes  in  den  einzelnen  Fällen,  bei  welchen  eigentlich  nur 

die  Zeitpunkte  des  Auftretens   der  einzelnen  Krankheitssymptome 

variiren,  erstaunen;  ich  habe  desshalb  die  Notizen  möglichst  kurz 

gefasst 

Beobachtungen. 

1.  30.  März  1878.     ZimmermanD,  35  Jahre  alt 
Dauer  der  Krankheit:  Vi  Jahr. 

Aeiiologie:  Unbekannt;  keine  hereditäre  Belastung. 

InUiaJerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  —  Parästhesien  und 
Geffihlsabnahme  in  den  Fttssen.  —  Schwäche  und  Unsicherheit  der  Beine, 
besonders  im  Donkeln.  —  Geringe  Blasenschwäcbe. 

Status:  Ausgesprochene  Ataxie;  grobe  Kraft  gnt  —  Hantsensi- 
bilität etwas  herabgesetzt;  deutliche  Analgesie  der  Beine. —  Muskel- 
Sensibilität  etwas  unsicher;  Schwanken  beim  Schliessen  der  Angen.  —  Plan- 
tar- und  Cremasterreflex  1)  fehlen;  Abdominalreflex  lebhaft.  —  Sehnen- 
reflexe fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Qnadriceps  erhalten.  — 
Blase  ziemlich  gnt;  verfrühte  Ejacnlation.  —  Angen  normal.  —  Gehirn  und 
Himnerven,  Arme,  Wirbelsäule  normal. 

2.  23.  October  1878.  Bankier,  34  Jahre  alt. 
Dauer:  Circa  1  Jahr. 

Aetiologie:  Nervöse  Anlage.  —  Frfiher  viel  Pollutionen.  Aufreibende 
Geschäftstfaätigkeit  —  Nie  Syphilis. 

1)  Vergl.  Erb,  Handbuch  der  Rücketimarkskrankheiten.  2.  Aufl.  S.  583. 


Tabes  dorealis.  5 

Initialerscheintmgen:  Oefters  leichte  lancinireode  Scbmerzen  in  den 
Beinen,  Schwanken  beim  Gehen,  besonders  im  Dunkeln.  —  Schwäche  und 
Schmen  im  Rücken.  —  Hier  und  da  etwas  Schwindel.  —  Keine  Blasen- 
oder Geschlechtsschwäche. 

Status:  Leichte  Ataxie  der  Beine;  motorische  Kraft  derselben 
sehr  gut;  keine  Muskelspannungen.  —  Sensibilität  ganz  normal;  keine 
deutliche  Analgesie.  —  Mnskelsensibilität  etwas  unsicher;  kein  Schwanken 
beim  Schliessen  der  Augen.  —  Plantar-,  Gremaster-  und  Abdominalrefiex 
sehr  lebhaft;  Sehnenreflexe  fehlen  völlig;  mechanische  Erregbar- 
keit des  Quadriceps  erhalten.  —  Keine  Blasen-  und  Geschlechtsschwäche. 
>- Augenbewegungen  gut,  kein  Doppelsehen ;  ausgesprochene  spinale 
Myosis.  Sehschärfe  normal.  —  Arme,  Hirnnerven,  Wirbelsäule  normal. 
Psyche  nicht  ganz  frei. 

S.    24.  Febr.  1878.  Bahnaufseher,  35  Jahre  alt. 

Dauer:  1  Jahr. 

Aetiologie:  Viel  Strapazen  im  Freien  und  Feuchten.  Keine  hereditäre 
Belastung. 

Imtialerschemungen:  Zuerst  Schwäche  und  Müdigkeit  der  Beine,  dann 
erst  lancinirende  Schmerzen ;  Druck  im  Kücken,  Gürtelgefühl,  Parästhesien 
der  Zehen;  Blasenschwäche. 

Status:  Ausgesprochene  Ataxie;  grobe  Kraft  sehr  gut;  keine 
Muskelspannungen. — Tastempfindung  völlig  erhalten;  ausgesprochene 
Analgesie;  geringe  Vorlangsamung  der  Schmerzleitung;  Ranm- 
und Temperatursinn  normal.  —  MuskelgefOhl  in  geringem  Grade  herabge- 
setzt ;  starkes  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  —  Plantarreflex 
gering;  Cremasterreflex  deutlich;  Abdominalreflex  lebhaft.  —  Sehnen- 
reflexe fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  — 
Leichte  Blasenschwäche ;  Obstipation ;  Geschlechtsschwäche.  Ausgespro- 
chene spinale  Myosis;  Augen  sonst  normal;  hie  und  da  leichte  Ptosis. 

—  Gehirn,  Arme,  Wirbelsäule  ganz  normal. 

4.    3.  Januar  1878.  Assessor,  36  Jahre  alt. 

Dauer:  174  Jahr. 

Aetiologie \  Hereditäre  Disposition.  —  Grosse  Bergtouren.  Nie  Sy- 
philis. 

Initialerscheinungen:  Parästhesien,   Gürtelgefühl;   grosse  Schwäche 
Blasenschwäche;  dann  ziemlich  plötzlich  hochgradige  Coordinationsstörung 

—  Manchmal  lancinirende  Schmerzen. 

Status:  Sehr  hochgradige  Ataxie;  grobe  Kraft  etwas  vermindert 
keine  Muskelspannungen.  —  Beträchtliche  Herabsetzung  der  Sensi 
bilität  an  den  Beinen;  Verlangsamung  der  Schmerzleitung;  Anästhesie 
des  Anus.  —  Verlust  des  Muskelgefflhls.  —  Hautreflexe  erhalten 
Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  er 
halten.  Schwäche  der  Blase.  —  Augen  normal.  —  Kopf  frei;  manchmal 
Schwindelanfälle.  —  Arme  leicht  gestört ;  Pelzigsein  der  Finger. 


6  L  Erb 

6.  10.  Novfor.  1875.  Glaser;  43  Jahre  alt. 
Dauer:  IV2  Jahre. 

Aetioloffie:  ÄDstreiigiiDg  nnd  Erk&ltimg  beim  Holztrageo  Im  Winter. 
Keine  Excesae;  keine  Syphilis;  keine  hereditire  Bdastnng. 

InitiaJerschemungen:  Laneinirende  Schmersen.  —  Später  Amblyopie 
nnd  Amaurose.  —  Schwiehe  nnd  ünächeriieit  der  Beine.  —  Pariatheslen 
der  Fflsse;  GflrtelgefUil;  keine  Blasensch wiche. 

Status:  Beginnende  Ataxie;  grobe  Kraft  gnt  —  Hantsensibilitat 
in  geringem  Grade  herabgesetzt;  leichte  Analgesie;  Mnskelsensibilität 
yermindert.  —  Haatreflexe  erhidten,  nicht  sehr  lebhaft.  Sehn €nrefl exe 
fehlen;  mechanische  Erregbarkdt  des  Qnadriceps  erhalten.  —  Blase  nor- 
maL  —  Atrophia  nervornm  opticornm.  —  Fast  vöDige  Amaurose. 
Leichte  PnpiUendifferenz ;  Pupillen  eng,  ohne  Reaction.  —  Gehirn 
und  Hinmerven  normal. 

t.    17.  Juli  1875.    Buchbinder,  34  Jahre  alt 

Dauer:  2  Jahre. 

Aetiologie:  Starke  Onanie  und  geschleditliche  Excesse.  —  Feuchte 
Wohnung.  —  Keine  Heredität.    Keine  Syphilis. 

Initialerschemungen:  Landnirende  Sehmerzen.  —  Schwäche  und  Un- 
sicherheit der  Beine  Parästhesie  und  Anästhesie  derselben.  —  Blasen-  und 
Geschlechtsschwäche.     Abmagerung. 

Status:  Deutliche  Ataxie;  grobe  Kraft  gut  —  Hautsensibilität 
etwas  herabgesetzt;  leichte  Analgesie;  keine  Verlangsamung  der  Lei* 
tung.  —  Muskelsensibilität  vermindert ;  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen. 
Plantarreflex  schwach;  Abdominahreflex  lebhaft.  —  Sehnenreflexe  feh- 
len. —  Blasenschwäche.  —  Abnahme  der  Libido  sexualis.  —  Gehirn  und 
Gehimnerven,  Arme,  Wirbelsäule  normal. 

7.  14.  Decbr.  1877.    Kaufmann,  30  Jahre  alt 

Dauer:  2  Jahre. 

Aetiologie:  Vor  8  Jahren  harter  Schanker,  ohne  secnndäre  Sym- 
ptome. —  Ueberanstrengung  im  Geschäft. 

Initialerscheinungen:  Laneinirende  Schmerzen.  Gärtelgeftthl.  Taub- 
heit der  Hände  und  Fflsse.    Blasenschwäche. 

Status:  Deutliche  Ataxie;  grobe  Kraft  gut;  keine  Muskelspan- 
nungen. —  Hautsensibilität  ziemlich  gut;  theilw eise  Analgesie,  hu 
anderen  Stellen  Hyperästhesie;  etwas  Verlangsamung  der  Schmerzleitung. 
Mnskelgefflhl  etwas  unsicher;  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  Haut- 
reflexe sehr  lebhaft  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbar- 
keit des  Qnadriceps  erhalten.  Blase  nahezu  normal;  Pollutionen,  keine 
Impotenz.  —  Pupillen  mittelweit,  different,  reagiren  nicht 
auf  Licht  —  Arme,  Kopf,  Wirbelsäule  frei.  — Allgemeine  Abmagerung. 

8.  22.  Mai  1877.     General,  47  Jahre  alt 

Dauer:  2—3  Jahre. 

Aetiologie:  Ueberanstrengung  im  Beruf.  —  Keine  hereditäre  Belastung. 
Vor  16  Jahren  Syphilis ,  ohne  spätere  Recidive;  gesunde  Kinder. 


Tabes  donaÜB.  7 

Initiaiersclieinungenz  Lancinirende  Schmerzen;  vorübergehendes  Dop- 
pelsehen; Gflrtelgefflbl;  Blasenschwäche;  zuletzt  grosse  Schwäche  der  Beine, 
Unsicherheit  im  Dunkeln. 

Status:  M&ssige  Ataxie;  grobe  Kraft  sehr  beträchtlich.  Sensi- 
bilität der  Fflsse  etwas  abgestumpft;  Schmerzempfindnng  verlangsamt  (Dop- 
pelempfindung). Starkes  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  Plantar-  und 
Oremasterreflex  schwach;  Abdominalreflez  sehr  lebhaft.  Sehnenreflexe 
fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  —  Geringe 
Blasensch wache;  sexuelle  Function  eher  gesteigert;  häufig  starke  Erectionen. 

—  Augen  jetzt  normal.  —  Gehirn,  Gehirnnerven,  Arme,  Wirbelsäule  normal. 

—  Insuffic.  valvulär,  aortae. 

9.    30.  April  1878.     Major  a.  D.,  57  Jahre  alt. 

Dauer:  3  Jahre. 

Aetiologie:  1866  Syphilis.     Von  1870  an  Magenkatarrh. 

Iniliaierscheinungen:  Beginn  mit  lancinirenden  Schmerzen  von  grosser 
Heftigkeit.  —  Leichte  Anästhesie  der  Beine.    1877:  Unsicherheit  der  Beine. 

StcUus:  Leichte  Ataxie;  rasches  Ermüden;  grobe  Kraft  gut.  Ge- 
rioge  Anästhesie  der  Beine;  deutliches  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen. 

—  Hautreflexe  sehr  lebhaft.  Sehnenreflexe  fehlen.  —  Etwas  Blasen- 
scfawäche.  Hochgradige  spinale  Myosis.  —  Himnerven,  Arme,  Wir- 
belsäule normal  —  Gedächtnissabnahme,  Schwäche  der  Intelligenz,  Schlaf- 
8Dcht     An  Haut  und  Zunge  noch  Spuren  von  Syphilis. 

10.    3.  Juli  1876.    Eisenbahnbeamter,  37  Jahre  alt. 

Dauer:  Circa  3  Jahre. 

Aetiologie:  Unbekannt;  keine  sexuellen  Excesse;  war  12  Jahre  Soldat 

Iniiialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Dann  plötzlich  aus- 
gesprochene Ataxie;  Gürtelgefühl;  Blasenschwäche.  Vertaubung  der  Fflsse; 
Druck  im  Kreuz. 

Status:  Leichte  Ataxie;  grobe  Kraft  wohlerhalten.  Sensibilität  an 
den  Füssen  deutlich  abgestumpft;  ausgesprochene  Verlangsamung  der 
Schmerzleitung.  —  Muskelsensibilität  etwas  herabgesetzt;  starkes 
Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  —  Hautreflexe  ganz  normal;  Seh- 
nenreflexe fehlen.  —  Mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhal- 
ten. —  Blasen-  und  Geschlechtsschwäche.  Ausgesprochene  spinale 
Myosis;  Augen  im  Uebrigen  normal;  ebenso  Kopf  und  Hirnnerven.  In 
den  Armen  etwas  Zittern  und  manchmal  lancinirende  Schmerzen. 

U.    4.  Octbr.  1878.    Apotheker,  50  Jahre  alt. 

Dauer:  3  Jahre. 

Aetiologie:  Keine  Excesse;  viel  Aufenthalt  im  ungeheizten  Raum  auf 
Steinplatten;  viel  kalte  Füsse;  nie  Syphilis. 

IniticLlerscheinungen:  Vor  3  Jahren  Doppelsehen,  einige  Monate  lang. 
Seit  1  Jahr  Ulnarissensation,  Parästhesien  der  Füsse,  Kältegefühl,  Spannung 
ums  Kniegelenk.  Seit  ^Ji  Jahr  Schwäche  und  Unsicherheit  der  Beine.  — 
Niemals  lancinirende  Schmerzen. 

Status:  Deutliche  Ataxie  der  Beine;  motorische  Kraft  gut;  keine 
Httskelspannungen.    Hautsensibilität  normal ;  keineAnalgesie.    Muskel* 


8  L  Erb 

Sensibilität  leicht  herabgesetzt;  deutliches  Schwanken  bei  geschlossenen 
Augen.  Hautrefiexe  sehr  schwach.  Sehnenreflexe  fehlen:  mecha- 
nische Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  —  Andeutung  von  Blasen- 
schwäche, deutliche  Geschlechtsschwäche.  Augen  normal;  nur  ausge- 
sprochene spinale  Myosis.     Himnerven,  Arme,  Wirbelsäule  normal. 

12.    21.  Mai  1878.     Kaufmann,  34  Jahre  alt. 

Dauer:  3  Jahre. 

Aetiologie:  Viel  in  venere  excedirt;  viel  Strapazen  und  Erkältungen; 
nie  Syphilis. 

Initialerschemungen:  Lancinirende  Schmerzen;  seit  IV2  Jahren  Di- 
plopie, Ptosis.  Parästhesien  des  rechten  Fusses,  geringe  Blasenschwäcbe ; 
Abnahme  der  Potenz. 

Status:  Spuren  von  Ataxie;  grobe  Kraft  sehr  gut  Deutliche 
Analgesie.  Geringes  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  —  Hautreflexe 
sehr  lebhaft,  besonders  der  Plantarreflex.  Sehnenreflexe  fehlen;  me- 
chanische Erregbarkeit  des  Quadriceps  gut.  —  Leichte  Blasenschwäcbe. 
Rechtsseitige  Trochlearislähmung ;  Andeutung  von  Ptosis ;  spinale  Myosis, 
besonders  links.    Arme  und  Wirbelsäule  normal. 

la.    18.  Februar  1878.    Kaufmann,  42  Jahre  alt. 

Dauer  i  3  Jahre. 

Aetiologie  i  Vor  12  Jahren  Syphilis;  seitdem  gesund,  gesunde  Kin- 
der.    Vor  3  Jahren  heftige  Erkältung. 

Initialerscheinungen:  Seit  der  Erkältung  lancinirende  Schmerzen; 
Schwäche  und  Formication  der  Beine,  besonders  des  linken.  Kreuzschmerz. 
Blasen-  und  Geschlechtsschwäche. 

Status:  Leichte  Ataxie,  besonders  links.  Sehr  geringe  Sensibili- 
tätsstörung ;  Hautreflexe  erhalten.  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische 
Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Blasen-  und  Geschlechtsschwäche. 
Kopfnerven,  Arme,  Wirbelsäule  normal. 

14.  19.  Juli  187ä.     Bäcker,  53  Jahre  alt. 

Dauer:  3  Jahre. 

Aetiologie:  Arbeit  und  Ueberanstrengung. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Schwäche  und  Un- 
sicherheit der  Beine;  Parästhesien  derselben.  Blasen-  und  Geschlechts- 
schwäche.   Schwindel. 

Status:  Deutliche  Ataxie;  grobe  Kraft  erhalten.  Hautsensibilität 
leicht  abgestumpft.  Muskelsensibilität  besonders  links  sehr  herabgesetzt. 
Hautreflexe  nicht  nachweisbar ,  Sehnenreflexe  fehlen.  Leichte  Blasen- 
und  Geschlechtsschwäche.  Augen  bis  auf  leichte  Pupillendifferenz  normal. 
Gehirn,  Arme,  Wirbelsäule  normal. 

15.  1.  Juni  1876.     Rittmeister,  37  Jahre  alt. 

Dauer:  3 — 4  Jahre. 

Aetiologie:  Früher  Syphilis;  feuchte,  kalte  Wohnung. 
Initialerscheinungen :    Lancinirende    Schmerzen ;    Erschwerung    des 
Gehens;  Arthropathie  im  rechten  Fuss. 


Tabes  donalis.  9 

Status:  Hochgradige  Ataxie;  grobe  Kraft  erhalten.  Haut-  und 
MaskelseDsibilität  der  Beine  hochgradig  vermindert;  starkes  Schwanken  bei 
geschlossenen  Augen.  Plantarreflex  gering;  Cremasterreflex  fehlt;  Abdo- 
mlDslreflex  lebhaft.  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit 
des  Quadriceps  erhalten.  —  Blasen-  und  Geschlechtsschwäche.  —  Augen 
Dornuü.  Arme,  Kopf  und  Wirbelsäule  normal.  —  £inmal  vorübergehende 
Parese  im  rechten  Peronensgebiet. 

1«.    28.  Mai  1875.     Beamter,  40  Jahre  alt 

Dauer:  4  Jahre. 

Aetiologie:  Erkältung  an  einem  zugigen  Bureaufenster;  Ueberarbei- 
tung;  niemals  E^cesse. 

IniHalerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Parästhesie  der  Soh- 
len; Erschwerung  des  Gehens,  seit  1^2  Jahren  hochgradig. 

Status:  Hochgradige  Ataxie;  grobe  Kraft  noch  sehr  gross.  Hant- 
sensibilität  nur  wenig  vermindert.  Muskelsensibilität  hochgradig  herabgesetzt. 
HinstOrzen  beim  Schliessen  der  Augen.  —  Hautreflexe  etwas  vermindert. 
Sehnenreflexe  fehlen.  Blasen-  und  Geschlechtsschwäche.  Pupillen- 
differenz.    Arme  und  Kopf  frei. 

17«    6.  Mai  1878.    Beamter^  41  Jahre  alt. 

Dauer:  5 — 6  Jahre. 

Aetiologie:  In  der  Jugend  Excesse  in  venere;  unregelmässiges,  an- 
strengendes Leben.  Vor  vielen  Jahren  einmal  dubiöser  Schanker; 
später  einmal  Roseola  (?). 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Einmal  Oculomotorius-, 
einmal  Abducenslähmung.  Blasenschwäche ,  Impotenz.  Gttrtelgefttbl  und 
Parästhesien  der  Beine. 

Status:  Ataxie  kaum  angedeutet;  grobe  Kraft  sehr  gut.  Tast- 
empfindung ganz  normal  bei  ausgesprochener  Analgesie.  Muskel- 
sensibilität  etwas  vermindert;  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen,  beson- 
ders auch  im  Gehen.  —  Hautreflexe  sehr  lebhaft  (besonders  auch  von  der 
Planta  zum  Quadriceps).  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erreg- 
barkeit des  Quadriceps  erhalten.  —  Blasenschwäche.  Augeur  und  Augen- 
muskeln jetzt  ganz  gut;  keine  spinale  Myosis.  Uebrige  Gehirnnerven, 
Arme,  Wirbelsäule  normal.     Hochgradige  Abmagerung. 

18.  26.  Juni  1878.     Schuldirector,  46  Jahre  alt. 

Dauer:  5 — 6  Jahre. 

Aetiologie:  Sexuelle  Ueberanstrengung. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Unsicherheit  der  Beine. 

Status:  Hochgradige  Ataxie.  Hautsensibilität  fast  normal ;  Schmerz- 
leitang  etwas  verlangsamt.  Hautreflexe  vorhanden.  Sehnenreflexe  f  eh  - 
len;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Blasenschwäche. 
Angen  normal.  Hocl%radige  Abmagerung  und  Decrepidität ;  chronischer 
Morphinismus. 

19.  18.  Juli  1878.     Arbeiter,  52  Jahre  alt. 

Dauer:  6 — 7  Jahre. 
Aetiologie:  Unbekannt. 


10  I.  £rb 

I 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  1877  Schwäche 
in  den  Beinen,  Blasenschwäche;  ParästheBien  der  Beine. 

Statusi  Hochgradige  Ataxie,  kann  nicht  ohne  Hülfe  stehen ;  grobe 
Kraft  gehr  gross ;  mächtig  entwickelte  Muskeln.  —  Hautsensibilität  normal 
oder  kaum  abgestumpft  bis  auf  ausgesprochene  Analgesie.  —  Mus- 
kelgefühl etwas  vermindert;  geringes  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen. 
Plantarreflex  fehlt;  Cremaster-  und  Abdominalreflex  schwach.  Sehnen- 
reflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Bla- 
senschwäche (Retention).  Augen  normal.  —  Hirnnerven,  Arme,  Wirbelsäule 
normal.  —  Anhaltende  massige  Pulsbeschleunigung  (90—^100). 

20.  6.  August  1878.     Eisenbahndirector,  55  Jahre  alt. 

Bauer  \  Circa  6 — 8  Jahre. 

Aetioiogie :    ? 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen;  vor  1  Jahr  vorüber- 
gehendes Doppelsehen ;  jetzt  seit  3  Monaten  linksseitige  Trochlearislähmung. 
Ermüdung  und  Unsicherheit  beim  Gehen.    Krampfhafte  Stuhlentleerung. 

Status:  Leichte  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  Tastempfindung  ganz 
normal;  deutliche  Analgesie;  kein  Gürtelgefühl.  Muskelsensibilität 
gut;  etwas  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  —  Hautreflexe  sehr  leb- 
haft; Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps 
gut.  —  Trochlearislähmung  links;  Optici  normal.  Rechte  Pupille  etwas 
enger  als  linke ;  beide  reagiren  nicht  auf  Licht.  Blase  frei.  Grosse 
Abmagerung.     Schwindel. 

21.  8.  Juni  1875.     Oekonom,  35  Jahre  alt. 

Dauer:  7  Jahre. 

Aetioiogie:  Erkältung  und  Ueberanstrengung;  keine  sexuellen  Excesse. 
Vor  13  Jahren  harter  Schanker,  keine  secundären  Erscheinungen. 

Initialerscheinungen :  Lancinirende  Schmerzen.  Dyspepsie.  Seit  4  Jah- 
ren Schwäche  und  Ermüdung,  seit  1 V2  Jaliren  grosse  Unsicherheit,  beson- 
ders im  Dunkeln. 

Status:  Leichte  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  Etwas  Taubsein  der 
Sohlen  und  Zehen;  Gürtelgefühl.  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen. 
Sehnenreflexe  fehlen.  —  Leichte  Pupillendifferenz. 

22.  29.  Mai  1876.     Kaufmann,  41  Jahre  alt. 

Dauer:  7  Jahre. 

Aetioiogie :  Häufige  Erkältung ;  viel  im  Freien  bei  jedem  Wetter  (Peters- 
burg).    Als  Knabe  onanirt;  später  keine  sexuellen  Excesse. 

Initialerscheinungen :  Lancinirende  Schmerzen ;  seit  1  Jahr  zunehmende 
Sehschwäche;  Unsicherheit  der  Beine,  Gürtelgefühl;  Schmerz  und  Parästhe- 
sien  im  Ulnarisgebiet. 

Status:  Leichte  Ataxie;  grobe  Kraft  erhalten.  Sensibilität  der 
untern  Extremitäten  kaum  gestört.  Sehr  geringes  Schwanken  beim  Schliessen 
der  Augen.  Alle  Hautreflexe  sehr  lebhaft.  Sehnenreflexe  fehlen; 
mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Leichte  Blasenschwäche ; 
verminderte  Potenz.  Amaurose  durch  Atrophie  derSehnerven.  Keine 
Augenmuskellähmung.     Obere  Extremitäten,  Kopf,  Wirbelsäule  normal. 


Tabes  doisalis.  11 

28.    6.  Mai  1878.    Schauspieler,  46  Jahre  alt. 

Dauer  i  7  Jahre. 

Aetioiogie:  1867  Syphilis. 

Initialerschemungenx  Beginn  mit  lancinirenden  Schmerzen.  Vor  drei 
Jahren  Doppelsehen.  Seit  zwei  Jahren  zunehmende  Schwäche  und  Unsicher- 
heit der  Beine.     Blasen-  und  Geschlechtsschwäche.    Parästhesien. 

Status:  Leichte  Ataxie  im  Gehen  und  Liegen;  grobe  Kraft  gut; 
Moskehi  sehr  gut  entwickelt.  —  Hautsensibilität  nur  wenig  herabgesetzt; 
leichte  Analgesie.  Deutliches  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen. 
Plantarreflex  schwach;  Cremaster-  und  Abdominalreflex  lebhaft.  Sehnen- 
reflexe fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  — 
Leichte  Blasenschwäche.  —  Augen  jetzt  gut;  Pupillen  eng,  reagiren 
aber  deutlich.    Kopf  und  HimnerTen,  Arme  und  Wirbelsäule  normal. 

2i«     7.  Januar  1878.     Fabrikant,  36  Jahre  alt. 

Dauer:  7  Jahre. 

Aetioiogie:  Nie  Syphilis. 

Initiaierscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Schwere  und  Müdig- 
keit der  Beine ;  seit  V2  Jahre  grosse  Unsicherheit.  Blasen-  und  Geschlechts- 
flchwäche. 

Status:  Hochgradige  Ataxie.  Bedeutende  Anästhesie  und 
Verlangsamnng  der  Schmerzleitnng.  —  Plantar-  und  Cremasterreflex  fehlen ; 
^bdominalreflex  sehr  lebhaft.  Sehnenreflexe  fehlen.  Blasenscbwäche ; 
verminderte  Potenz.    Deutliche  spinale  Myosis. 

25.  10.  Juli  1875.     Schlossermeister,  43  Jahre  alt« 

Dauer:  7 — 8  Jahre. 

Aetioiogie:  Feuchte  und  kalte  Werkstatt;  keine  sexuellen  Excesse; 
keine  hereditäre  Belastung. 

Initiaierscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  3  —  4  Jahren 
Madigkeit  und  Schwäche  der  Beine,  Unsicherheit  im  Dunkeln ;  Parästhesien, 
Gürtelgefdhl;  Blasenschwäche,  Impotenz. 

Status:  Deutliche  Ataxie;  grobe  Kraft  gut;  keine  Muskelspan- 
Dangen.  —  Hautsensibilität  hochgradig  herabgesetzt;  deutliche  Analgesie 
and  ausgesprochene  Verl  an  gs  am  ung  der  Schmerzleitung.  Muskel- 
sensibilität  herabgesetzt;  starkes  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  — 
Hantreflexe  vorhanden,  schwach.  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische 
Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  —  Deutliche  Blasenschwäche;  Im- 
potenz. —  Augen  normal;  keine  spinale  Myosis.  Gehirn ^  Arme,  Wirbel- 
säule normal. 

26.  27.  Februar  1878.     Gutsbesitzer,  39  Jahre  alt. 

Dauer:  8  Jahre. 

Aetioiogie:  (Keine  Notizen.) 

Initialerscheinungen:  Vor  8  Jahren  Abducenslähmung.  Oefters  An- 
fälle von  Schwindel,  Cardialgie  und  Erbrechen  (Crises  gastriques).  Seit 
4  Jahren  Sehnervenatrophie;  seit  2  Jahren  Schwäche  und  Unsicherheit  der 
Beine.  Seit  lange  Ischias ;  aber  nie  typische  lancinirende  Schmerzen, 


12  I.  Ebb 

Siatus:  Leichte  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  —  Keine  Sensibilitäts- 
Störung  an  den  Beinen ;  dagegen  an  der  linken  Rumpfhälfte  und  im  linken 
UlnariBgebiet  starke  Abstumpfung.  —  Hautreflexe  erhalten;  Sehnenre- 
fiexe  fehlen.  Blase  normal.  Potenz  vermindert.  Amblyopie  durch  Seh* 
uervenatrophie,  besonders  links. 

27.  lt.  Juni  1878.    Kassirer,  42  Jahre  alt. 

Dauer:  Circa  8  Jahre. 

Aetiologie:  Keine  sexuellen  Excesse;  nie  Syphilis. 

Initialerscheinungeni  Seit  1870  lancinirende  Schmerzen.  1876  Par- 
ästhesien  und  Unsicherheit  im  Dunkeln.  1877  grosse  Schwierigkeit  beim 
Gehen,  die  rasch  zunimmt.     Blasenschwäche,  Impotenz,  Obstipation. 

Status:  Hochgradige  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  Analgesie  mit 
Verlangsamung  der  Schmerzleitung.  Hautreflexe  erhalten ;  Sehnenreflexe 
fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  gut.  —  Blasenschwäche. 
Spinale  Myosis.  Sehschärfe  gut.  Farbensinn  etwas  unsicher.  Hirn 
und  Hirnnerven,  Arme,  Wirbelsäule  normal.  —  Arthropathie  im  lin- 
ken Knie. 

28.  6.  Mai  1876.    Fabrikant,  43  Jahre  alt. 

Bauer:  Circa  8  Jahre. 

Aetiologie:  Viel  strapaziöse  Reisen.  In  der  Jugend  etwas  in  venere 
excedirt 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  3  Jahren  zu- 
nehmende Schwäche  und  Unsicherheit  der  Beine.  —  Parästhesien.  Unsicher- 
heit im  Dunkeln. 

Status:  Hochgradige  Ataxie;  grobe  Kraft  sehr  gut.  Sensibilität 
kaum  vermindert.  —  Starkes  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  — 
Hautreflexe  vorhanden,  aber  schwach.  —  Sehnenreflexe  fehlen; 
mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Geringe  Blasenschwäche ; 
Geschlechtsfunction  herabgesetzt.  Augen,  Kopf,  Himnerven,  Arme,  Wirbel- 
säule normal. 

29.  11.  Juli  1878.    Schneider,  56  Jahre  alt. 

Bauer:  8  Jahre. 

Aetiologie:  Nie  Syphilis. 

Initialerscheinungen:  1870  Doppelsehen,  einige  Monate  lang.  1875 
lancinirende  Schmerzen;  Parästhesien  der  Beine;  Blasenschwäche;  1877 
Schwäche  und  Unsicherheit  der  Beine. 

Status:  Hochgradige  Ataxie,  kann  nicht  mehr  gut  allein  stehen ; 
grobe  Kraft  verhäitnissmässig  gut ;  sehr  grosse  Abmagerung.  —  Hautsen- 
sibilität  hochgradig  herabgesetzt;  ausgesprochene  Analgesie.  — 
Muskelsensibilität  erheblich  vermindert;  Hinstürzen  beim  Schliessen  der 
Augen.  —  Plantarreflex  fehlt;  Cremasterreflex  schwach;  Abdominalreflex 
deutlich.  Sehnenreflexe  fehlen.  Mechanische  Erregbarkeit  des  Quadri- 
ceps erhalten.  —  Blasenschwäche;  Impotenz.  Kopf  und  Himnerven  frei; 
kein  Doppelsehen  mehr.  Obere  Extremitäten,  Wirbelsäule  normal.  Keine 
Pulsbeschlennigung  (66 — 80). 


Tabes  donalis.  13 

80.  13.  Jani  1878.    Metsger,  46  Jahre  alt 

Dauer:  10  Jahre. 

Aeiioiogiei  Nie  Syphilis.    Keine  Excesse.     Ein   Bruder  paralytiach. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  8chinerzeD.  Schwäche  der  Beine. 
Parästhesien  der   Fttsse  und   Finger.     Blasen*  und  Geschlechtsschwfiche. 

Siatus:  Hochgradigste  Ataxie;  kann  nicht  allein  stehen;  grobe 
Kraft  dabei  gut ;  keine  Spur  von  Muskelspannungen.  —  Hautsensibilität  hoch- 
gradig herabgesetzt;  ausgesprochene  Analgesie.  Mnskelsensibilität 
ebenso;  bedeutende  Störung  durch  Schliessen  der  Augen.  Hautreflexe  fehlen 
fast  Töllig.  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des 
Quadriceps  erhalten.  —  Blasenschwäche ;  Impotenz.  Ein  Auge  durch  Trauma 
verloren.  Hirn  und  Himnerven  frei.  —  Obere  Extremitäten:  leichte  Par- 
ästhesien  oder  Analgesie ;  keine  motorische  Störung.  Hochgradige  Magerkeit. 
Andauernde  Pulsbeschleunigung  (96 — HO). 

81.  28.  October  1878.     Raufmann,  49  Jahre  alt. 

Dauer:  10  Jahre. 

Aetiologie:  Ein  Bruder  tabiscb.  Bewegtes  Leben;  etwas  Excesse. 
Vor  20  Jahren  Schanker  (hart?);  nie  secundäre  Symptome. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  2  Jahren  Blasen- 
Bod  Geschlechtsschwäche;  vor  1/2  Jahr  Diplopie.  Gflrtelgeftthl.  Ulnaris- 
sensation. 

Status:  Leichte  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  —  Hautsensibilität  gut; 
Maskelsensibilität  etwas  vermindert.  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen. 
—  Plantarreflexe  sehr  lebhaft;  Cremaster-  und  Abdominalreflex  schwach. 
Sehnenreflexe  fehlen.  —  Arme,  Kopf,  Wirbelsäule  normal.  Grosse 
Magerkeit. 

82.  3.  Februar  1877.     Baumeister,  35  Jahre  alt. 

Dauer:  10 — 11  Jahre. 

Aetiologie:  ? 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen;  Blasen-  und  Ge- 
scblechtssch wache;  MüdigkeitsgefQhl ;  keine  cephalischen  Symptome;  seit 
3  Jahren  Besserung. 

Status:  Deutliche  Ataxie;  grobe  Kraft  sehr  gut;  wenig  Müdig- 
keit. Sensibilität  der  Beine  objectiv  kaum  abgestumpft.  Muskelsinn  etwas 
herabgesetzt;  deutliches  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  —  Plantarre- 
flex achwach;  Cremasterrefiex  deutlich;  Abdominalreflex  lebhaft.  Sehnen- 
reflexe  fehlen.  —  Keine  Blasenschwäche  mehr;  etwas  Geschlechts- 
schwäche.    Augen,  Kopf,  Hirnnerven  frei. 

38.    7.  Juni  1878.     Architect,  37  Jahre  alt. 

Dauer:    Circa  10  Jahre. 

Aetiologie.     1861  Syphilis. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  —  Parästhesien  der 
Fttsse.  Ermüdung  und  Unsicherheit  der  Beine,  ßlasenschwäche.  Geschlechts - 
schwäche. 

Status:  Deutliche  Ataxie,  grobe  Kraft  sehr  gut     Hautsensi- 
bilität etwas  herabgesetzt;    leichte  Analgesie  und  Verminderung 


14  I.  Erb 

der  farado-cutanen  Sensibilität  MagkelseDsibilität  kaum  vermindert: 
etwas  Schwanken  bei  geschlossenen  Angen.  Plantar-  and  Abdominalreflexe 
sehr  deutlich;  Cremasterreflex  fehlt.  —  Sehnenreflexe  fehlen;  me- 
chanische Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Leichte  Blasenschwäche; 
Geschlechtsschwäche.  Augen  normal;  keine  spinale  Myosis.  Hirn 
und  Himnerven,  Wirbelsäule  normal.  In  den  Händen  manchmal  etwas 
taubes  Gefühl,  sonst  Arme  normal. 

34.  19.  März  1878.     Frau,  46  Jahre  alt. 

Bauer:  10 — 12  Jahre. 

Aetioiogie:  Unbekannt. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  4  Jahren  zu- 
nehmende Schwäche,  Parästhesien  etc. 

Status:  Deutliche  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  Abstumpfung  der 
Sensibilität  der  Beine;  Verlangsamung  der  Schmerzleitung;  keine 
Analgesie.  —  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  Plantarreflex  fehlt; 
Abdominalreflex  erhalten.  Sehnenreflexe  fehlen.  —  Blasenschwäche. 
Augen  normal;  keine  spinale  Myosis.     Arme  und  Kopf  ganz  frei. 

35.  2.  October  1877.     Oberst,  49  Jahre  alt. 

Dauer:  10 — 12  Jahre. 

Aetioiogie:  ? 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen. 

Status:  Hochgradige  Ataxie.  —  Tastgefühl  an  Beinen  und  Bauch 
herabgesetzt;  Schmerzempfindung  gesteigert,  aber  dabei  ver- 
langsamt. —  MuskelgefUhl  herabgesetzt.  Plantar-  und  Cremasterreflex 
fehlen;  Abdominalreflex  lebhaft;  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische 
Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Blasenschwäche.  Impotenz.  Arme 
und  Kopf  frei. 

36.  11.  Mai  1878.     Controleur,  45  Jahre  alt. 

Dauer:  12  (19?)  Jahre. 

Aetioiogie:  Syphilis  zweifelhaft. 

Initialerscheinungen:  1859  Blasenschwäche;  1865  Blasenkatarrh. 
1866  Lancinirende  Schmerzen.  —  1868  Schwäche  und  Unsicherheit  der 
Beine,  Zittern  der  Handschrift.  —  1870  Verschlimmerung;  Schwächeanfall; 
Unsicherheit  im  Dunkeln.  1872  zunehmende  Unsicherheit;  Geschlechts- 
schwäche ;  Harnverhaltung. 

Status:  Ausgesprochene  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  Sensibilität 
der  Beine  hochgradig  herabgesetzt;  Verlangsamung  der  Tast-  und 
Schmerzleitung;  Ulnarissensation.  Muskelsensibilität  sehr  schlecht: 
Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  Hautreflexe  fehlen.  —  Sehnen- 
reflexe fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  lebhaft;  keine 
Muskelspannungen.  Blasenlähmung;  Impotenz.  —  Leichte  Ptosis  rechts; 
rechte  Pupille  weiter  als  die  linke;  bei,de  reagiren  nicht  auf  Licht. 
Arme  und  Kopf  frei;  Sprache  etwas  behindert. 

37.  24.  Juni  1878.     Notar,  60  Jahre  alt. 

Datier:  €irca  12  Jahre. 
Aetioiogie:  — 


Tabes  donalis.  15 

Initialerschemungen:  Seit  1866  heftige  Intercostalnearalgie.  1873 
BlasenschwAche.  1877  Amaurose  darch  Atrophia  nerv,  optic.  (bloss  rechts). 
Formication.     Gttrtelgeffihl.     Mfldigkeit  der  Beine. 

Status:  Leichte  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  Tastempfindung  gut; 
deutliche  Analgesie  und  Verlangsamnng  der  Schmerzleitnng. 

—  Kein  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.    Hautreflexe  sehr  lebhaft. 

—  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Qaadriceps 
erhalten.    Blasenschwäche  besonders  des  Abends.  —  Atrophia  nerv,  optic. 

—  Keine  Myosis. 

88.    12.  April  1877.     Gutsbesitzer,  57  Jahre  alt 

Dauer:  12  Jahre. 

Aetiologie:  ?  —  Neuropathische  Famlliendisposition. 
Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.   —  Unsicherheit  des 
Ganges.  —  Sehschwäche. 

StcUus:  Deutliche  Ataxie.  — Hautsensibilität  leicht  herabgesetzt. 

—  Muskelgeftthl  etwas  gestört;  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen. 
Plantarreflex  fehlt;  die  anderen  Hautreflexe  erhalten.  Sehnenreflexe 
fehlen.  —  Blase  normal.  —  Atrophia  nerv,  optic.  —  Arme  und  Wirbel- 
^le  normal. 

39.  30.  April.  1878.     Professor,  37  Jahre  alt. 

Dauer:  12 — 14  Jahre. 

Aetiologie:  — 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  —  Seit  1876  Blasen- 
schwäche und  Impotenz;  leichtes  Ermflden. 

Status:  Geringe  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  Hautsensibilität  an  den 
Fflssen  etwas  herabgesetzt ;  leichte  Analgesie.  —  Deutliches  Schwan- 
ken beim  Schliessen  der  Augen.  Hautreflexe  normal.  —  Sehnenreflexe 
fehlen.  Augen  ganz  normal.  Blasenschwäche,  Impotenz.  Hirn  und 
Himnerven,  Wirbelsäule,  Arme  normal.     Etwas  Abmagerung. 

40.  1.  August  1878.     Domänenverwalter,  58  Jahre  alt. 

Dauer:  Circa  15  Jahre. 

Aetiologie:  Hereditär  nichts.  Ursache  angeblich  Erkältung.  Vor 
18  Jahren  Syphilis  (Schanker  und  Haarverlnst,  sonst  angeblich  keine 
(?)  secundären  Symptome). 

Initialerscheinungen:  Seit  1863  lancinirende  Schmerzen.  1877  vor- 
fibergehendes  Doppelsehen;  Blasenschwäche  (nächtliche  Incontinenz) ;  Par- 
ästheslen  in  Händen  und  Fflssen.  Später  beginnende  Ataxie,  Ermfidung,  Ab- 
nahme der  Potenz. 

Status:  LeichteAtaxie;  grobe  Kraft  gut.  — Tastempfindung  ganz 
normal;  Andeutung  von  Analgesie.  Muskelgefühl  vermindert;  Schwan- 
ken beim  Schliessen  der  Augen.  Hautreflexe  sehr  lebhaft.  Sehnenreflexe 
fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Qaadriceps  erhalten.  Hochgradige 
Blasenschwäche.  Augen  normal ;  Pupillen  reagiren  schlecht.  —  Himnerven 
nnd  Wirbelsäule  normal.     Arme  und  Hände  etwas  unsicher. 


16  L  Ebb 

41.  10.  Februar  1878.    Advokat,  49  Jahre  alt. 

Dauer  i  15  Jahre. 

Aetiologie:  Grosse  Reisestrapazen.    Nie  Syphilis. 

Iniiialerscheinungeni  Niemals  lancinirende Schmerzen.  Etwas 
Unsicherheit  nnd  leichte  Parftsthesien  der  Beine;  Andeutung  von  Gttrtel- 
gefühl;  zunehmende  OehstOrung.  Blase  immer  gut;  etwas  Geschlechts- 
schwäche. 

Status:  Hochgradige  Ataxie;  grobe  Kraft  ausgezeichnet  bei 
colossal  entwickelten  Muskeln ;  keine  Muskelspannungen.  —  Hautsensibilität 
hochgradig  herabgesetzt;  leichte  Analgesie  und  deutliche  Ver- 
langsamung der  Schmerzleitung.  Muskelsensibilitftt  hochgradig  herab- 
gesetzt. —  Plantarreflex  fehlt;  Cremasterreflex  schwach;  Abdominalreflex 
lebhaft.  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadri- 
ceps  erhalten.  —  Blase  normal.  Augen  ganz  normal,  ebenso  Kopf 
und  Himnerven.  —  Arme  normal ;  Spur  von  Ataxie  in  den  Händen ;  keine 
Störung  des  Muskelsinns;  Tricepssehnenreflex  fehlt. 

42.  4.  April  1877.     Bankier,  63  Jahre  alt. 

Dauer:  16  Jahre. 

Aetiologie:  — 

Initialerscheinungen:  Lebhafte  lancinirende  Schmerzen.  Seit  3  Jahren 
Ataxie,  Formication,  Blasenschwäche. 

Status:  Massige  Ataxie.  Sensibilität  massig  herabgesetzt  Ge- 
ringes Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  Hautreflexe  lebhaft.  Sehnen- 
reflexe  fehlen.     Blasenschwäche. 

4S.    28.  October  1878.     Advokat,  47  Jahre  alt. 

Dauer:  18—20  Jahre. 

Aetiologie:  Keine  Excesse;  nie  Ueberanstrengung ;  keine  hereditäre 
Belastung;  nie  Syphilis. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen;  später  Parästhesien 
und  Anästhesien;  zunehmende  Unsicherheit  und  Schwäche;  keine  Augen- 
erscheinungen. 

Status:  Hochgradige  Ataxie;  kann  nicht  mehr  allein  stehen  und 
gehen.  Leichte  Ataxie  der  Arme.  Keine  Mu^kelspannungen.  Grobe  Kraft 
ziemlich  gut.  Gttrtelgeftthl ;  Brustbeklemmung.  Sensibilität  an  den  Fttssen 
abgestumpft;  leichte  Analgesie;  Muskelsensibilität  herabgesetzt.  — 
Plantarreflex  fehlt;  Abdominalreflex  sehr  deutlich.  Sehnenreflexe 
fehlen.  —  Geringe  Blasenschwäche.  Hochgradigste  Abmagerung.  Parese 
des  Rect.  super,  oc.  sin.  Sehschärfe  gut.  Pupillen  massig  eng,  reagiren 
nicht  auf  Licht.     Schwindel.     Hochgradigste  Nervosität. 

44.    13.  April  1877.     Ingenieur,  52  Jahre  alt. 

Dauer:  30  Jahre. 

Aetiologie:  — 

Initiaierscheinungen:  Seit  30  Jahren  lancinirende  Schmerzen.  Seit 
26  Jahren  Lähmung  des  rechten  Abducens.  Seit  mehreren  Jahren  Geh- 
störung. 


Tabes  donalis.  17 

Status:  Dentliche  Ataxie;  grobe  Kraft  gut.  —  Geringe  Sensibi- 
litätsstöruDg.  Schwanken  beim  Schliessen  der  Angen.  Hantreflexe  erhalten 
Qod  lebhaft.  Sehnenreflexe  fehlen.  —  Blasensch wache;  keine  Ge- 
schlechtsschwäche. Linksseitige  Abdncenslähmung.  Arme,  Kopf,  Wirbel- 
säale  normal. 

Versuchen  wir  nun,  auf  Grund  der  vorstehenden  Beobachtungen 
Zunächst  einiges  auf  die  Symptomatologie  Bezügliche  hervor- 
zuheben, so  wird  unsere  Aufmerksamkeit  in  erster  Linie  durch  die 
im  Initialstadium  auftretenden  subjectiven  Symptome 
gefesselt,  welche  zuerst  den  Verdacht  auf  die  Krankheit  lenken 
and  in  vielen  Fällen  auch  schon  in  ganz  charakteristischer  Weise 
vorhanden  sind.  Wir  werden  dabei  die  weiter  unten  noch  mitzu- 
theilenden  Fälle,  so  weit  es  möglich  ist,  bei  unserer  Untersuchung 
mitberttcksich  tigen . 

Zunächst  die  lancinirenden  Schmerzen!  Unter  allen  56 
Fällen,  die  ich  in  dieser  Arbeit  mittheile,  haben  sie  entschieden  ge- 
fehlt nur  5mal  (Nr.  11.  26.  41.  50  und  55.)  und  nur  in  3  Fällen 
(Nr.  2.  52.  und  53.)  waren  sie  wenig  ausgesprochen,  so  dass  sie  nur 
auf  genaueres  Befragen  angegeben  wurden ,  und  sich  als  nicht  be- 
sonders charakteristisch  erwiesen.  In  allen  ttbrigen  Fällfin  wurden 
sie  gewöhnlich  in  sehr  charakteristischer  Weise  beschrieben,  mit 
ihrem  lancinirenden  Charakter,  blitzähnlichen  Auftreten  in  mehr 
oder  weniger  langen  Anfällen,  mit  der  begleitenden  Hauthyperästhe- 
sie, mit  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Witterung  und  anderen  Schäd- 
lichkeiten u.  s.  w.  Ich  habe  nach  meinen  eignen  Beobachtungen  ent- 
schieden den  Eindruck  empfangeui  dass  man  aus  dem  Charakter  und 
der  Art  der  lancinirenden  Schmerzen  ihre  Natur  in  der  Kegel  sehr  leicht 
und  mit  grosser  Sicherheit  erkennen  kann,  und  ich  kann  der  Angabe 
Westphal's,  dass  dies  nur  s e  1 1 e n  möglich  sei,  darnach  nicht  bei- 
stimmen. Ebenso  ist  es  mir  zweifelhaft,  ob  —  wie  W  e  s  t  p  h  a  1  meint 
—  ähnliche  neuralgische  Schmerzen  ohne  tabischen  Ursprung 
relativ  recht  häufig  vorkommen;  i6h  Irabe  in  meiner  eignen, 
doch  ziemlich  reichen  Erfahrung  davon  fast  niemals  etwas  gesehen; 
den  einzigen,  mir  vorgekommnen ,  derartigen  Fall,  in  welchem  die 
Schmerzen  ganz  ausgesprochen  den  Charakter  der  tabischen  hatten, 
ohne  dass  eine  Spur  von  weiteren  Symptomen  der  Tabes  vorhanden 
gewesen  wäre,  habe  ich  bereits  in  meinen  „  Krankheiten  des  Rücken- 
marks*' (2.  Aufl.  S.  558  Anm.)  kurz  mitgetheilt.  Ich  glaube  also, 
dass  ausgvosprochene  lancinirende  Schmerzen  von  dem 
Charakter  der  tabischen  in  der  Regel  schon  einen  recht 
dringenden  Verdacht  auf  Tabes  begründen. 

DentMlies  AreluT  f.  klin.  Medicin.  XXIV.  Bd.  2 


18  I.  Erb 

Die  Constanz  dieges  Symptoms  ist  nun  eine  sehr  erhebliche  und 
seine  Häufigkeit  ist,  wie  ich  in  meinem  Handbuche  (2.  Aufl.  S.  557) 
schon  richtig  Yermuthete,  noch  etwas  grösser  als  dort  angegeben. 
Die  lancinirenden  Schmerzen  gehören  zu  den  allerfrtthe- 
sten  Symptomen,  sind  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle 
wohl  auch  unbestritten  das  erste  Symptom  der  Krankheit,  haben 
also  unter  allen  Umständen  einen  sehr  erheblichen  diagnostischen 
Werth  und  es  verlohnt  sich  sehr,  genau  nach  ihnen  zu  forschen. 

Ein  nicht  minder  constantes,  wenn  auch  nicht  so  prägnantes  und 
charakteristisches  Symptom  ist  die  Ermtldung  und  Unsicher- 
heit der  Beine.  Unter  48  Fällen  von  ausgesprochner  Tabes  (mit 
Ataxie)  ist  diese  Erscheinung  bloss  1  mal  unter  den  Initialsymptomen 
nicht  angegeben.  —  Sie  ist  also  noch  constanter,  wie  die  lanciniren- 
den Schmerzen;  sie  gehört  zu  den  regelmässigsten  Symptomen,  geht 
gewöhnlich  den  weiteren  Störungen  der  Motilität  lange  Zeit  voraus 
und  würde  einen  noch  höheren  diagnostischen  Werth  haben,  wenn 
nicht  besonders  das  Ermüdungsgefühl  und  die  geringere  Ausdauer 
beim  Gehen  auch  noch  bei  zahlreichen  anderen  Krankheitsformen, 
bei  functionellen  sowohl,  wie  anatomischen  Störungen  des  Rücken- 
marks vorkämen.  —  Die  Erscheinung  tritt  nicht  immer  früh  auf, 
vielmehr  häufig  erst  lange  nach  den  Schmerzen,  kann  also  nicht 
wohl  zu  den  frühesten  Symptomen  gerechnet  werden. 

In  Bezug  auf  die  Häufigkeit  des  Vorkommens  reiht  sich  nun 
zunächst  ein  weiteres  Symptom  an,  das,  wie  mir  scheint,  nicht  ge- 
ringe Beachtung  verdient:  nämlich  die  Blasenschwäche.  Unter 
45  Fällen,  welche  darüber  Notizen  enthalten,  war  dies  Symptom 
35  mal  vorhanden  (in  2  von  diesen  Fällen  war  es  sehr  wenig  aus- 
gesprochen); es  fehlte  nur  in  10  Fällen  vollkommen. 

Gewöhnlich  handelt  es  sich  nur  um  eine  geringe  Störung,  manch- 
mal aber  auch  um  recht  erhebliche ;  Retention  sowohl,  wie  Incontinenz 
kommen  vor;  nach  meiner  Erfahrung  ist  es  in  den  ersten  Stadien 
etwas  häufiger  eine  leichte  Retention,  über  welche  die  Kranken  klagen ; 
sie  müssen  länger  drücken,  auf  die  Entleerung  warten,  haben  Nach- 
träufeln etc.  Vulpian  gibt  dagegen  an^),  dass  die  Incontinenz  viel 
häufiger  sei  als  die  Retention.. 

Sei  dem,  wie  ihm  wolle,  ich  glaube  dem  Symptom  der  Blasen- 
schwäche eine  nicht  geringe  Wichtigkeit  beilegen  zu  dürfen,  gerade 
in  Bezug  auf  die  Unterscheiduug  von  functionellen  Störungen  (Neur- 
asthenia  spinalis,    Hypochondrie),    die  manchmal  mit  den  frühen 


1)  Le^ns  sur  les  malad,  da  syst,  nerreux.  1878.  p.  260. 


Tabes  donalis.  19 

Stadien  der  Tabes  Aehnlichkeit  haben ;  bei  jenen  wird  man  nicht  leicht 
wirkliche  Störungen  in  der  Harnentleerung  finden.  Dagegen  ist  das 
Symptom  allerdings  nicht  gerade  charakteristisch  für  Tabes,  da  es 
ja  auch  bei  andern  anatomischen  Läsionen  des  Rückenmarks  (be- 
sonders bei  transversaler  Myelitis,  Compressionsmyelitis ,  multipler 
Sklerose  etc.)  zu  den  sehr  regelmässigen  Vorkommnissen  gehört. 

Einigermaassen  überraschend  war  mir  das  Verhältniss  der  Stö- 
rungen von  Seiten  der  Augen  zur  Gesammtzahl  meiner  Fälle; 
ich  fand  dieselben  viel  weniger  häufig,  als  gewöhnlich  angegeben  wird. 
—  Unter  56  Fällen  waren  nur  7;  welche  Sehstörung  durch  Seh- 
nervenatrophie  darboten  (wenigstens  in  dem  Stadium,  in  welchem 
sie  mir  zur  Untersuchung  kamen).  Da  dies  Symptom  nicht  leicht 
übersehen  wird,  kann  diese  Zahl  als  ganz  genau  gelten;  sie  ent- 
spricht also  ziemlich  genau  meiner  Angabe  in  meinem  Handbuch 
(2.  Aufl.  S.  588)  und  erreicht  bei  weitem  nicht  die  Frequenz,  wie 
sie  von  andern  Autoren  angegeben  wird;  ich  glaube  demnach,  dass 
die  Sehnervenatrophie  ein  in  seiner  Wichtigkeit  für  die  frühzeitige 
Diagnose  der  Tabes  etwas  überschätztes  Symptom  ist 

Geringere  Zuverlässigkeit  besitzen  natürlich  die  Angaben  über 
vorhanden  gewesene  Augenmuskellähmungen,  da  vorüber- 
gehende Störungen  derselben  von  den  Kranken,  wenn  auch  nicht 
übersehen,  so  doch  nach  Jahren  vergessen  werden.  Ich  habe  unter 
44  Pällen  nur  17  notirt,  in  welchen  sich  vorübergehende  oder  dauernde 
Diplopie  zu  irgend  einer  Zeit  des  Verlaufs  (allerdings  gewöhnlich  im 
Initialstadium)  eingestellt  hatte;  also  ungefähr  in  ^5  aller  Fälle. 
Wenn  auch  häufiger  als  die  Sehnervenatrophie,  sind  diese  Störungen 
also  doch  bei  weitem  nicht  constant  und  haben  für  die  Diagnose  der 
frühen  Stadien  der  Tabes  nur  eine  beschränkte  Bedeutung.  Ich 
kann  deshalb  Vulpian's  Ausspruch  (1.  c.  p.  253)  nicht  beipflichten, 
dass  diese  Augenstörungen  genau  ebenso  charakteristisch  für  das 
Initialstadium  der  Tabes  seien,  wie  die  lancinirenden  Schmerzen. 

Gehen  wir  nun  zu  den  Erscheinungen  der  ausgebildeten 

Krankheit  über,  so  fällt  hier  zunächst  die  Ataxie  in  die  Augen. 

Da  wir  dieselbe  als  einigermaassen  entscheidendes  Symptom  bei  der 

Auswahl  der  Fälle  angenommen  haben  —  indem  wir  nur  solche  Fälle 

als  ausgesprochene  und  vollentwickelte  Tabes  hier  zusammenstellen 

wollten,  welche  neben  den  übrigen  charakteristischen  Symptomen 

auch  das  der  Ataxie  darboten,  um  jeden  Zweifel  an  der.  Berechtigung 

der  Diagnose  zu  zerstreuen  — ,  ist  dieselbe  natürlich  in  allen  44  Fällen 

und  ebenso  in  den  unten  nachfolgenden  Fällen  52—56  vorhanden; 

allerdings  in  mehr  oder  weniger  ausgesprochenem  Grade;  nur  in 

2* 


20  I.  Erb 

2  F&Uen  (12.  und  17.)  war  sie  erst  andeutangsweise  vorhanden,  diese 
sind  aber  in  ihrer  Diagnose  an  sich  doch  unzweifelhaft.  • 

Es  braucht  nicht  besonders  geschildert  zu  werden,  wie  die  Ataxie 
in  den  Fällen,  wo  sie  erst  in  der  Entwicklung  begriffen  war,  durch 
genauere  Untersuchung  im  Stehen  und  Liegen,  durch  die  charakte- 
ristische Art  des  Ganges,  des  Stehens  auf  Einem  Fuss,  durch  die 
Art  einen  Kreis  mit  dem  Fuss  zu  beschreiben  etc.  constatirt  wurde ; 
ich  habe  dafflr  im  Laufe  der  Jahre  ein  ziemlich  geschärftes  Auge 
bekommen.  Die  Fälle  mit  ausgesprochner  Ataxie  sind  ja  immer 
sehr  leicht  zu  erkennen. 

Interessant  ist  es,  in  den  Erankheitsgeschichten  die  Zeit  des 
Auftretens  der  Ataxie  zu  verfolgen:  manchmal  gehört  sie  zu 
den  frühesten  Symptomen,  kann  schon  nach  V2 — 1 V2  jähriger  Dauer 
der  Krankheit  vollkommen  deutlich  sein  (Fall  1 — 5.),  in  andern 
Fällen  tritt  sie  erst  nach  mehr  als  20 jährigem  Bestehen  der  lanci- 
nirenden  Schmerzen  auf  (Fall  44.)  und  weiter  unten  werde  ich  noch 
eine  Reihe  von  Fällen  anf&hren,  in  welchen  bis  zu  14  jähriger  Dauer 
des  Bestehens  der  initialen  Symptome  noch  keine  Ataxie  nachweis- 
bar war  (Fall  46 — 51),  obgleich  auch  diese  Fälle  wohl  sicher  zur 
Tabes  gerechnet  werden  dürfen. 

Auch  auf  den  Grad  der  Ataxie  ist  die  Dauer  der  Krankheit 
ohne  erheblichen  Einfluss.  Die  höchsten  Grade  derselben,  bei  wel- 
chen den  Kranken  ununtersttttztes  Stehen  und  Gehen  bereits  unmög- 
lich geworden,  kommen  schon  nach  1  jährigem  Bestehen  der  Krank- 
heit (Fall  4.),  nach  3—4  Jahren  (Nr.  15.  16.),  nach  5—6  Jahren 
(Nr.  18.  19.)  vor.  Es  wird  das  eben  nur  davon  abhängen,  ob  die 
Bahnen,  deren  Störung  das  Symptom  der  Ataxie  bedingt,  früher  oder 
später  in  das  Bereich  der  degenerativen  Atrophie  gezogen  werden. 

Doch  das  sind  alles  längst  bekannte,  wenn  auch  nicht  überall 
anerkannte  Dinge.  Ebenso  ist  es  mit  der  genügend  oft  gemachten 
Erfahrung,  dass  hohe  Grade  Von  Sensibilitätsstörung  bei  geringer  Ata- 
xie^ und  hochgradige  Ataxie  bei  geringer  Sensibilitätsstörung  vor- 
kommen können,  und  dass  es  Fälle  mit  deutlicher  Sensibilitätsstö- 
rung ohne  alle  Ataxie  gibt;  alles  dies  habe  ich  in  meinen  Fällen 
wiederholt  mit  Sicherheit  constatiren  können. 

Von  besonderem  Interesse  ist  nun  das  Verhalten  der  Seh- 
nenreflexe. Sie  fehlen  in  den  ausgesprochenen  Fällen  1 — 44 
vollständig;  sie  fehlen  femer  auch  in  den  weiter  unten  noch  zu  er- 
wähnenden Fällen  53 — 56.  Auf  ihr  Fehlen  oder  ihre  hochgradige 
Verminderung  in  den  Fällen  46 — 52  (mit  Initialsymptomen) 'können 


Tabes  donalis.  21 

wir  natftrlich  hier  noch  kein  Gewicht  legen,   da  ja  erst  bewiesen 
werden  soll,  dass  diese  Fälle  Initialstadien  der  Tabes  darstellen. 

Besonders  wichtig  ist  es  festzustellen,  in  welchem  2^itpunkt  der 
Krankheit  das  ,,  Fehlen  der  Sehnenreflexe  ^  schon  vorhanden  ist,  resp. 
Yorhanden  sein  kann,  und  ob  es  immer  schon  zu  einer  gewissen 
Periode  vorhanden  ist.  Da  ist  es  nun  sehr  bemerkenswerth ,  dass 
es  schon  in  allen  Fällen  mit  ganz  kurzer  Krankheits- 
dauer (Va— IV2  Jahre,  Fall  1 — 5)  in  vollständiger  Weise  vor- 
handen ist.  Ja,  in  einem  unten  mitzutheilenden  Fall  (Nr.  55)  fand 
sich  schon  nach  r;2— 2  Monaten  des  Bestehens  der  Krankheit  kein 
Patellarsehnenreflex  mehr:  doch  ist  dieser  Fall  etwas  zweifelhaft  in 
seiner  Berechtigung,  fttr  typische  Tabes  zu  gelten.  Jedenfalls  ge- 
nügen die  andern  Fälle  schon,  um  darzuthun,  dass  das  Fehlen 
der  Sehnenreflexe  zu  den  ersten  und  frühesten  Sym- 
ptomen derTabes  gehören  kann,  und  wahrscheinlichauch 
in  der  Regel  gebort.  Dabei  verkenne  ich  natürlich  nicht,  dass 
alle  diese  Fälle  an  sich  ja  solche  von  ungewöhnlich  rascher  Entwick- 
Inng  sind,  bei  welchen  ja  auch  das  Symptom  der  Ataxie  bereits  vor- 
handen ist;  deswegen  musste  die  obige  Schlussfolgerung  die  etwas 
unbestimmte  Fassung  erhalten. 

In  den  zu  der  Patellarsehne  gehörigen  Muskeln  können  sich 
dabei  sehr  verschiedene  und  wechselnde  Zustände  finden:  dieselben 
können  gute  oder  schlechte  Entwicklung,  Abmagerung  oder  pralle 
Ffllle,  colossale  oder  etwas  verminderte  Kraft  zeigen ;  niemals  aber 
zeigen  sie  (in  allen  typischen  Fällen  wenigstens)  degenerative  Atro- 
phie mit  Entartungsreaction,  und  ebensowenig  —  oder  nur  ganz  aus- 
nahmsweise und  nur  in  complicirten  Fällen  s.  u.  Nr  53  —  ausge- 
sprochene Parese  oder  gar  völlige  Paralyse. 

Wie  sich  aber  auch  die  Muskeln  verhalten,  in  der  Regel  ist  durch 
kein  Mittel ,  durch  keinen  Kunstgriff  von  der  Patellarsehne  der  ge- 
ringste Reflex  auszulösen ;  und  ebenso  constatirte  ich  an  allen  übrigen 
(wenn  auch  nicht  regelmässig  darauf  untersuchten)  Sehnen  das  völlige 
Fehlen  der  sonst  von  ihnen  auszulösenden  Reflexe. 

In  frappantem  Gegensatze  dazu  bleibt  die  mechanische  Er- 
regbarkeit des  Quadriceps  immer  vollkommen  erhalten, 
ist  sogar  oft  sehr  ausgesprochen  und  lebhaft.  Dies  ist  nicht,  wie 
Westphal  in  einer  Anmerkung  zu  seiner  oben  citirten  neuesten 
Arbeit  angibt ,  nur  zuweilen  zu  constatiren,  sondern  meiner  Er- 
fahrung nach  immer  und  ausnahmslos  (wenigstens  in  den  un- 
complicirten  Fällen).  Ich  habe  darüber  Notizen  in  32  Fällen  gemacht : 
in  allen  ohne  Ausnahme  war  die  mechanische  Erregbarkeit  des  Qua- 


22  I.  £JIB 

drieeps  erhalten.  —  Dieselbe  ist  besonders  leicht  am  Vastos  intemas 
zu  constatiren ;  sehen  massig  starkes  Aufklopfen  mit  dem  Percussions- 
hammer  genügt  in  der  Regel,  um  demselben  eine  energische  Con- 
traetion  zu  entlocken ;  nicht  minder  auch  im  Vastus  eztemns  oder 
im  Bectus  femoris,  besonders  leicht  dann,  wenn  man  an  allen  diesen 
Muskeln  die  EintrittBtellen  ihrer  motorischen  Nerren  percntirt  Das 
ist  jedenfalls  ein  ganz  constantes  Ph&nomen  und  zdgt  höchstens 
gewisse  gradweise  Abstufungen  je  nach  dem  Ernfthrungszustand  der 
Muskeln. 

Es  dflrfle  kaum  nötiiig  san,  noch  einmal  darauf  hinzuweiaen,  dass 
wir  es  bei  den  sogenannten  Sehnenreflexen  mit  wirklichen  reflectori- 
sehen  Erscheinungen  zu  thun  haben;  diese  von  mir  von  Anfang  an  ver- 
theidigte  und  aus  zahlreichen  klinischen  Thatsachen  sowohl,  wie  aus  bisher 
unangefochtenen  physiologischen  Versuchen  längst  mit  absoluter  Nothwen- 
digkeit  sich  ergebende  Auffassung  (vgl.  mein  Handbuch  der  Rückenmarks- 
krankheiten.  l.Aufl.  L  S.  48ff.;  2.  Aufl.  S.  57ff.)  ist  neuerdings  wohl  auch 
für  die  hartnäckigsten*  Gegner  durch  erneute  physiologische  V^suche  er- 
wiesen. Als  einen  nicht  unwichtigen  und  uninteressanten  klinischen  Beweis- 
grund mnsste  man  bei  Tabes  neben  dem  Fehlen  des  Patellarsehnenreflexes 
das  Erhaltenbleiben  der  mechanischen  Erregbarkeit  des  Quadriceps 
betrachten,  wie  es  oben  geschildert  ist. 

Das  9 Fehlen  der  Sehnenreflexe"  gewinnt  aber  ftlr  die  Sympto- 
matologie der  Tabes  noch  mehr  an  Bedeutung  dadurch,  dass  es  bei 
Gesunden  —  von  jugendlichem  und  mittlerem  Lebensalter  wenig- 
stens — ,  wie  es  scheint,  niemals  vorkommt.  Auch  ich  habe  es,  wie 
Andere,  bisher  bei  Gesunden  noch  nicht  beobachtet  0;  es  gelang  mir 
bisher  noch  immer,  den  Patellarsehnenreflex,  wenn  auch  manchmal 
nicht  ohne  Mtthe  und  mit  BerOcksichtigung  aller  Cautelen,  auszulösen. 
Bei  nicht  Tabischen  (und  bei  Solchen,  die  nicht  an  progressiver  Gere- 
bralparalyse  leiden,  die  hier  wohl  ausser  Betracht*  bleiben  darf)  da- 
gegen habe  ick  das  Fehlen  des  Patellarsehnenreflexes  immer  nur  in 
Verbindung  mit  Parese  oder  Paralyse  des  Quadriceps, 
mit  Atrophie  und  Entartungsreaction  beobachtet  (bei  Polio- 
myelitis anterior  acuta  und  chronica,  bei  Gompressionsmyelitis,  peri- 
pherer Cmralislähmung  etc.). 

Aber  es  ist  gerade  fttr  die  Tabes  charakteristisch,  dass  hier 
der  Patellarsehnenreflex  völlig  fehlt  bei  normaler  oder 
nur  wenig  herabgesetzter  Muskelkraft,  bei  normalem 
oder  nur  wenig  vermindertem  Muskelvolumen,  b^i  nor- 


1)  Vergl.  auch  die  Discassion  über  die  Sehneoreflexe  in  der  Berliner  Med.- 
Psychol.  Gesellschaft.    Arch.  f.  Psych,  u.  Nerrenkrankh.  YIU.  S.  771. 


Tabes  donalis.  23 

maier  elektriBcher  und  mechanischer  Erregbarkeit  des 
Qaadriceps. 

Unter  diesen  Voraussetzungen  ergibt  sich  nun  aus  meinen ,  mit 
jenen  WestphaPs  in  vollkommener  Uebereinstimmung  stehenden 
Beobachtungen y  dass  das  Fehlen  der  Sehnenreflexe  ein 
flberaus  häufiges,  man  kann  wohl  sagen,  ein  constantes 
Symptom  der  Tabes  ist.  Ja,  wenn  wir  —  mit  aller  Reserve  — 
die  Fälle  46 — 52  einstweilen  zur  Tabes  rechnen,  müssen  wir  sagen» 
dass  dies  Zeichen  constanter  ist  als  alle  übrigen  bisher  bekannten 
Symptome  der  Tabes,  und  da  dasselbe  auch  ausserordentlich  früh 
anfentreten  scheint,  gewinnt  es  eine  ganz  enorme  und  fast  patho- 
gnostische  Bedeutung  für  die  frühzeitige  Diagnose  der  Tabes. 

Und  doch  ist  das  Symptom  nicht  absolut  constant; 
es  ist  nicht  ausnahmslos  in  allen  Fällen  vorhanden,  selbst  wenn  ich 
ganz  absehe  von  jenen  gemischten  Fällen,  in  welchen  sich  mit  dem 
Symptomenbild  der  Tabes  dasjenige  der  spastischen  Spinallähmung 
combinirt  und  welche  ich  in  meiner  ausführlichen  Arbeit  über  diese 
letztere  Krankheit  ^)  besprochen  habe,  nachdem  sie  vorher  von  0.  Ber- 
ger schon  constatirt  waren;  ich  habe  jetzt  schon  seit  längerer  Zeit 
einen  Fall  von  typischer,  unzweifelhafter  Tabes  unter  Augen,  in  wel- 
chem trotz  sehr  vorgeschrittener  Erkrankung  die  Sehnenreflexe  voll- 
kommen erhalten  sind,  ohne  dass  irgend  ein  Grund  vorhanden  wäre, 
eine  Complication  anzunehmen.  Bei  der  grossen  semiotischen  Be- 
deutung dieser  Thatsache  erlaube  ich  mir,  den  Fall  kurz  mitzutheilen. 

46.     9.  April  1878.     I^ehrer,  43  Jahre  alt 

Dauer  X  5  Jahre. 

Aetiologiei  Masturbation,  später  viel  Pollutionen ;  Strapazen  im  Feld- 
zug nnd  auf  Reisen.     Keine  hereditäre  Belastung. 

Iniliaierscheinungcn:  Seit  1873  öfter  heftige,  bohrende  und  lanci- 
nirende  Schmerzen  von  ganz  typischer  Art  in  den  unteren  Extremitäten. 
1876  Erschwerung  des  Harnlassens,  Blasenschwäche  (leichte,  allmäblich 
zonebmende  Retention).  1877  Parästhesien  der  Ftlsse,  Gtirtelgeftthl, 
hie  nnd  da  Ulnarissensation.  Zunehmende  Schwäche  und  Unsicher- 
heit der  Beine,  besonders  Im  Dunkeln.  Abnahme  der  Potenz  und  der 
Libido  sexualis. 

Status:  Ausgesprochene  Ataxie,  nach  allen  Richtungen  hin  genau 
dem  Bilde  der  tabischen  Ataxie  entsprechend;  dabei  grobe  Kraft  ganz  gut; 
keine  Spur  von  Muskelspannungen.  Keine  Atrophie.  Hautsensi- 
bilität in  deutlichem  Grade  herabgesetzt;  über  den  ganzen  Körper  verbrei- 
bete  Analgesie  und  Herabsetzung  der  faradocutanen  Sensi- 
tilitftt     Muskelsensibilität  nicht  erheblich  gestört;  es  besteht  deutliches 


i)  Yirchow's  Archiv.  Bd.  70.  1S77. 


24  I.  Erb 

Schwanken  beim  Scbliessen  der  Augen.  Plantar-,  Cremaster- und 
Abdominalreflex  vorhanden,  aber  ach  wach.  —  Patellarsehnenreflex 
beiderseits  ganz  lebhaft;  Adductorenreflex  vorhanden;  Dorsalklonns 
am  Fusse  fehlt;  Achillessehnenreflex  durch  directes  Beklopfen  nicht  sicher 
auszulösen.  —  Hochgradige  Blasenschwäche;  verminderte  Potenz. 
Strabismus  divergens  von  Jugend  auf;  an  den  Augen  sonst  nichts  Abnormes; 
keine  spinale  Myosis.  —  Obere  Extremitäten  ebenfalls  leicht  afficirt: 
Analgesie,  Spuren  von  Ataxie,  Tricepssehnenreflex  erhalten.  — 
Psychische  Functionen,  Gedächtnisse  Sprache,  Functionen  der  Hirnnerven, 
Wirbelsäule  vollkommen  normal. 

Aus  dem  weiteren  Verlauf  ist  hervorzuheben,  dass  die  Blasenschwäche 
sich  zeitweilig  so  steigerte,  dass  zum  Katheter  gegriffen  werden  musste; 
dass  während  eines  heftigen  Cholerineanfalls  sich  ein  schwerer  brandiger 
Decubitus  entwickelte,  der  aber  bei  sorgfältiger  Pflege  heilte,  und  dass  dabei 
die  Krankheit,  besonders  in  Bezug  auf  die  Ataxie  und  Gehstörung,  lang- 
same Fortschritte  machte,  ohne  dass  jemals  ein  Symptom  auftrat,  welches 
die  Diagnose  nach  einer  anderen  Richtung  hätte  lenken  können. 

Zu  oft  wiederholten  Malen  habe  ich  mich  dabei  von  dem  Erhaltensein 
und  der  Lebhaftigkeit  des  Patellarsehnenreflexes  überzeugen  können  und  bei 
der  letzten  genaueren  Untersuchung  (Anfang  November  1878)  abermals  con- 
statirt:  Ataxie  etwas  hochgradiger;  Sensibilität  noch  wie  früher;  Patellar- 
sehnenreflex beiderseits  noch  sehr  deutlich;  Adductorei^^flex 
nicht  nachweisbar ;  kein  Dorsalklonns.  Hautreflexe  wie  früher.  Abmagerung. 
Mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten. 

Die  Diagnose  dieses  Falles  ist  wohl  über  jeden  Zwei/el  erhaben ; 
man  kann  meines  Erachtens  keinen  typischeren  Fall  von  Tabes  finden 
und  selbst  die  strengste  Epikrise  wird  nur  constatiren  können,  dass 
fast  alle  charakteristischen  Symptome  der  Tabes  und  donst  gar  keine 
weiteren  Symptome  vorhanden  sind.  Wenn  man  dagegen  einwenden 
wollte,  dass  erst  die  Section  bis  zur  definitiven  Entscheidung  abge- 
wartet werden  mttsste,  so  kann  dem  entgegengehalten  werden,  dass 
unsere  ganze  Discussion  sich  ja  nur  auf  klinischem  Boden  bewegt, 
und  dass  ja  auch  in  fast  allen  übrigen  Fällen,  in  welchen  das  „Fehlen 
der  Sehnenreflexe  ^  als  Zeichen  der  typischen  Tabes  erkannt  wurde, 
die  nekroskopische  Bestätigung  nooh  aussteht.  Es  handelt  sich  hier 
vorwiegend  darum,  zu  entscheiden,  ob  und  wie  oft  bei  dem  charak- 
teristischen klinischen  Symptomenbild,,  das  wir  Tabes  nennen, 
das  Fehlen  der  Sehnenreflexe  nicht  vorhanden  sein  kann.  Und 
dass  der  vorstehende  Fall  zu  diesem  typischen  klinischen  Sympto- 
menbild gehört,  scheint  mir  ganz  unzweifelhaft. 

Wenn  wir  also  sehen,  dass  dies  Symptom  unter  56  Fällen  ^)  nur 

1)  Ich  habe,  seitdem  ich  dies  schrieb,  weitere  14  Fälle  von. typischer  Tabes 
antersucht;  in  13  von  diesen  FäUen  fehlten  die  Sehn^nreflexe;  in  1  aber  waren 
sie  erhalten.    Nachtrag!  Anmerkung. 


Tabes  dorsalis.  25 

ein  einziges  Mal  nicht  Yorhanden  ist,  so  geht  daraus  doch  schon 
die  fast  ahsolute  Constanz  des  Phänomens  und  die  grosse  diagno- 
stische Wichtigkeit  desselben  hervor ,  besonders  da  wir  gleichzeitig 
sehen )  dass  es  ein  in  den  frühesten  Stadien  der  Tabes  gewöhnlich 
schon  vorhandenes  Zeichen  ist. 

Andererseits  geht  aber  aus  der  oben  mitgetheilten  einen  Beob- 
achtung schon  hervor,  dass  die  Anwesenheit  der  Patellarsehnenreflexe 
an  sich  noch  nicht  genügt,  Tabes  auszuschliessen.  Das  „Fehlen 
der  Sehnenreflexe*'  ist  also  nicht  absolut  pathognostisch. 

Diesem  Symptom  gegenüber  ist  nun  das  Verhalten  der  Haut- 
reflexe bei  der  Tabes  von  ganz  untergeordneter  Wichtigkeit.  Fast 
immer  sind  dieselben  vorhanden:  nämlich  unter  47  Fällen  mit  den 
betreffenden  Notizen  41  mal.  Nur  6  mal  fehlten  sie,  wie  dies  ja  auch 
bei  Gesunden  hie  und  da  vorkommt.  Unter  jenen  41  Fällen  waren 
in  7  Fällen  einige  von  den  Hautreflexen,  besonders  der  Plantarreflex, 
sehr  schwach ;  doch  traf  das  durchaus  nicht  immer  mit  hochgradiger 
Sensibilitätsstörung  zusammen.  Im  Ganzen  war  die  Intensität  der 
Hautreflexe  sehr  verschieden  und  liess  keinerlei  Gesetzmässigkeit  und 
keinerlei  bestimmte  Beziehung  zu  der  Sensibilitätsstörung  oder  der 
Ataxie  erkennen,  wiewohl  als  Gesammteindruck  sich  ergibt,  dass 
mit  zunehmender  Intensität  dieser  Störungen  die  Lebhaftigkeit  wenig- 
stens des  Plantarreflexes  abnimmt.  Es  ergibt  sich  somit  auch  aus 
dieser  grösseren  Zahl  von  Fällen  so  ziemlich  dasselbe,  was  ich  schon 
in  meinem  Handbuch  (1.  c.  2.  Aufl.  S.  583)  über  die  Hautreflexe  ge- 
sagt habe. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  hier  genauere  Angaben  über  das 
Verhalten  der  Sensibilität  bei  Tabes  zu  machen;  dasselbe  ist 
in  meinen  Fällen  nicht  Gegenstand  besonderer  Beachtung  gewesen; 
wenn  auch  allerdings  niemals  die  Untersuchung  der  Sensibilität  ver- 
absäumt wurde,  so  konnte  sie  doch  durchaus  nicht  immer  mit  der- 
jenigen Ausführlichkeit  und  Exactheit  gemacht  werden,  wie  es  für 
die  Ermittelung  feinerer  Verhältnisse  nöthig  ist.  Solche  Prüfungen 
gehören  auch  bei  Tabischen  zu  den  zeitraubendsten  und  ermüdendsten 
Beschäftigungen  und  —  geben  auch  dann  oft  keine  zuverlässigen 
Resultate,  wenn  es  sich  nicht  um  gröbere  Veränderungen  handelt. 

Eine  solche  gröbere  und  relativ  leicht  zu  constatirende  Verände- 
rung ist  nun  die  Analgesie,  die  relative  oder  complete  Unempfind- 
lichkeit  gegen  Schmerzreize,  wobei  die  Tastempfindung  leidlich  er- 
halten sein  kann.  In  den  ausgebildeten  Fällen  der  Tabes  ist  dies 
Symptom '  überaus  häufig  zu  constatiren :  in  42  Fällen  fand  ich  29  mal 
mehr  oder  weniger  ausgesprochene  Analgesie  (in  2  Fällen  nur  sehr 


26  I.  Erb 

geringgradig) y  und  in  13  Fällen  fehlte  sie;  sie  war  also  in  mehr 
als  ^3  aller  Fälle  vorhanden. 

Von  0.  Berger  ist  dies  Symptom  neuerdings  (1.  c.)  als  ein 
frühes  Symptom  der  Tabes  bezeichnet  worden.  Er  gibt  an,  dass, 
während  noch  alle  anderen  Empfindungsqualitäten  erhalten  sind, 
starke  Schmerzreize,  wie  das  Durchstechen  einer  Hautfalte,  tiefes 
Einstechen  in  die  Haut,  Herausreissen  der  Haare,  starkes  Kneifen  etc., 
von  einer  Schmerzreaction  nicht  gefolgt  sind,  während  leichte 
Schmerzreize,  z.  B.  oberflächliche  Nadelstiche,  dabei  noch  richtig, 
auch  als  schmerzerregend,  empfunden  werden  können.  Das  Phäno- 
men erstreckte  sich  zuweilen  auch  auf  den  Rumpf  und  die  oberen 
Extremitäten.  Ich  habe,  seit  mir  diese  Angabe  zu  Gesicht  kam,  ge- 
nauer auf  diese  Erscheinung  geachtet.  In  7  Fällen,  die  ich  —  mit 
grösster  Wahrscheinlichkeit  —  dem  Initialstadium  der  Tabes  zurechne 
(Nr.  46 — 52),  fand  sie  sich  in  der  That  6  mal  vor;  allerdings  dar* 
unter  2  mal  nur  in  sehr  geringem  Grade  ausgesprochen. 

Ich  will  aber  dabei  nicht  unterlassen,  zu  bemerken,  dass  auch 
dieses  Symptom  gelegentlich  ein  trügerisches  sein  kann,  da  auch  bei 
gesunden  Personen  die  Schmerzempfindlichkeit  sehr  verschieden  gross 
ist;  bei  Hanchen  werden  Hautfalten  am  Fuss  und  Unterschenkel  ohne 
besondere  Schmerzhaftigkeit  durchstochen  und  ich  habe  wiederholt 
beobachtet,  dass  auch  bei  Gesunden  rasche  oberflächliche  Nadelstiche 
entschieden  schmerzhafter  waren ,  als  das  Durchstechen  einer  erho- 
benen Hautfalte  mit  der  Nadel.  Dagegen  wird  kräftiges  Kneifen 
einer  Hautfalte  von  Gesunden  meist  sehr  schmerzhaft  empfunden. 
Das  jedenfalls  sehr  werthvolle  Symptom  dieser  frühzeitigen  Analgesie 
bedarf  also  wohl  noch  genauerer  Prüfung  und  Würdigung. 

Ich  vermuthe,  dass  in  nächster  Beziehung  dazu  ein  Symptom 
steht,  welches  sich  bei  der  Untersuchung  mittels  des  faradischen 
Stroms  herausstellt:  die  Verminderung  der  faradocutanen 
Sensibilität,  welche  Drosdoff  0  bei  der  Untersuchung  von  Tabi- 
schen  mittels  einer  von  mir  angegebenen  Methode  gefunden  hat.  Er 
kommt,  nachdem  er  die  faradocutane  Sensibilität  an  einer  Reihe  von 
Gesunden  und  danach  an  7  Tabischen  am  ganzen  Körper  genau 
untersucht  hat,  zu  dem  Schlüsse,  „  dass  die  faradische  Hauterregbar- 
keit bei  Tabischen  verglichen  mit  der  normalen  bedeutend  herab- 
gesetzt sei  und  zwar  am  ganzen  Körper.^  Das  fand  sich  bei  allen 
7  Kranken,  die  sehr  verschiedene  Stadien  der  Erkrankung  darboten, 
in  mehr  oder  weniger  deutlicher  Weise  vor. 

1)  Untersuch,  über  die  elektrische  Reizbarkeit  der  Haut  bei  Gesunden  and 
Kranken.    Archiv  für  Psych,  u.  Nervenkrankh.  IX.  S.  203.  1879. 


Tabes  donalis.  27 

Es  war  mir  nicht  möglich,  alle  Einzelbeobachtungen  DroBdoff 's 
selbst  za  controliren,  und  ich  halte  die  Sache  selbst  noch  keineswegs 
ffir  ganz  sprachreif.  Ich  bin  augenblicklich  noch  selbst  mit  weiterer 
Verbesserung  der  Methode  und  mit  Controluntersuchungen  beschäftigt, 
nach  welchen  ich  allerdings  die  Angaben  Drosdoff's  an  4  weiteren, 
neuen  Fällen  von  Tabes  der  Hauptsache  nach  bestätigen  kann.  Diese 
Untersuchungen  sind  ebenfalls  sehr  zeitraubend  und  in  ihren  Ergeb- 
nissen, da  es  rein  auf  subjective  Wahrnehmungen  ankommt,  vielfach 
unsicher;  nicht  jeder  Tabische  kann  denselben  unterworfen  werden. 
Uebrigens  scheint  mir  auch  dieses  Symptom  ein  sehr  frühes  zu  sein 
nnd  gewinnt  dadurch  vielleicht  bei  genauerer  Verfolgung  noch  eine 
gewisse  diagnostische  Bedeutung. 

Die  üotersuchoogsmethode  besteht  vorläufig  darin,  dass  ein  breiter, 
weicher  —  nicht  stechender  —  Metallpinsel  an  verschiedenen  symmetrischen 
Steilen  der  Haut  aufgesetzt  wird  (Wangen,  Hals,  Abdomen,  Oberarm,  Vor- 
derarm, Handrücken,  Fingerspitzen,  Oberschenkel,  Unterschenkel,  Fuss- 
rficken  nnd  Fnsssohle  wähle  ich  gewöhnlich) ;  dann  wird  bestimmt,  bei  wel- 
chem Rolienabstand  eine  minimale  Empfindung  des  faradischen  Stroms,  und 
hierauf,  bei  welchem  Rollenabstand  deutliche  Schmerzempfindung  eintritt. 
Die  dafür  zu  gewinnenden  Zahlen  zeigen  bei  Gesunden  im  Ganzen  eine 
äberraschende  Uebereinstimmung  —  aber  auch  nicht  wenige  Ausnahmen. 
Zar  Controle  wird  noch  der  galvanische  Leitungswiderstand  der  betreffenden 
Haatstellen  bestimmt. 

In  Bezug  auf  die  Verlangsamung  der  Schmerzleitung, 
welche  an  dieser  Stelle  erwähnt  zu  werden  verdient,  sind  meine 
Angaben  ebenfalls  nur  sehr  unvollkommen.  In  19  Fällen  ist  die- 
selbe erwähnt  und  war  17  mal  vorhanden ;  offenbar  aber  ist  in  sehr 
vielen  Fällen  ihr  Fehlen  nicht  ausdrücklich  notirt,  so  dass  diese  Zahl 
absolut  keinen  statistischen  Werth  besitzt.  Jedenfalls  aber  geht  doch 
so  viel  aus  der  Angabe  hervor,  dass  das  Symptom  unter  allen  Um- 
ständen ein  relativ  häufiges  genannt  werden  muss. 

Eine  sehr  häufige  Erscheinung  ist  das  schon  lange  als  wichtig 
betrachtete  Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  Unter 
44  Fällen  ausgebildeter  Tabes,  bei  welchen  es  erwähnt  ist,  fehlte  es 
nur  3  mal;  in  allen  übrigen  40  Fällen  war  es  mehr  oder  weniger 
deutlich,  wenn  auch  in  einigen  allerdings  nur  sehr  schwach  vorhan- 
den. Es  scheint  dadurch  dieses  Zeichen  seinen  oft  hervorgehobenen 
diagnostischen  Werth,  welchen  man  ihm  öfter  absprechen  wollte,  be- 
haupten zu  wollen.  Ob  dasselbe  schon  sehr  früh  eintritt,  ist  fraglich ; 
es  war  allerdings  in  den  meisten  Fällen  von  erst  kurzer  Dauer  vor- 
handen (nur  in  Nr.  2  nicht).  Aber  in  den  7  Fällen  initialer  Tabes 
(46—52),  die  ich  unten  anführe,  war  es  nur  1  mal  deutlich  ausge- 


r 


28  I.  Erb 

sprocben,  2  mal  nur  sehr  schwach  und  kaum  angedeutet,  fehlte  da- 
gegen 4  mal  gänzlich. 

Um  endlich  die  Häufigkeit  der  Blasen-  und  Geschlechts- 
schwäche bei  ausgebildeter  Tabes  einigermaassen  zu  charakteri- 
siren  und  den  diagnostischen  Wertb  dieser  Symptome  annähernd  zu 
ermittelui  führe  ich  die  aus  meinen  Beobachtungen  sich  ergebenden 
Zahlen  kurz  an: 

Blasenschwäche  (in  ihren  verschiedenen  Formen)  war  unter 
48  Fällen  39  mal  vorhanden,  9  mal  fehlend. 

Geschlechtsschwäche  (in  allen  Graden)  unter  37  Fällen 

29  mal  vorhanden  (2  mal  nur  sehr  wenig  ausgesprochen),  und  8  mal 
fehlend.  —  Also  gehören  auch  diese  Erscheinungen  zu  den  sehr  ge- 
wöhnlichen des  voll  entwickelten  Erankheitsbildes,  kommen  aber, 
wie  bekannt,  auch  bei  anderen  spinalen  Affectionen  nicht  selten  vor. 

Endlich  erwähne  ich  noch  ein  Symptom,  welches  mit  sowohl 
nach  meinen  eignen  Beobachtungen,  als  nach  den  neuerdings  in  der 
Literatur  auftauchenden  Angaben  von  grösserer  Bedeutung  zu  sein 
scheint,  als  man  bisher  wusste:  ich  meine  die  sogenannte  spinale 
Myosis,  d.  h.  jenen  Zustand  der  Pupillen,  in  welchem  sich  dieselben 
in  einer  mehr  oder  weniger  (nicht  immer  jedoch  sehr)  hochgradigen 
Verengerung  befinden,  dabei  auf  Lichteindrücke  gar  nicht,  dagegen 
auf  accommodative  Impulse  (starke  Gonvergenz)  wohl  noch  reagiren. 
Erst  in  neuester  Zeit  ist  man  darauf  mehr  aufmerksam  geworden. 
Das  Wesentliche  dabei  scheint  die  fehlende  Reaction  auf  Licht 
bei  erhaltener  Reaction  auf  accommodative  Impulse  zu 
sein,  welche  sich  mit  normaler,  oder  abnorm  grosser  (Mydriasis),  oder 
abnorm  geringer  (Myosis)  Weite  der  Pupillen  verbinden  kann.  Aller- 
dings ist  weitaus  am  häufigsten  eine  abnorme  und  manchmal  sehr 
hochgradige  Verengerung  der  Pupillen  bei  Tabes  vorhanden,  so 
dass  wir  das  Symptom  der  Etlrze  halber,  wenn  auch  nicht  streng 
richtig,  vorläufig  als  spinale  Myosis  bezeichnen  können.  Dabei  bleibt 
die  Beweglichkeit  der  Pupillen  bei  der  Accommodation  erhalten,  kann 
selbst  bei  vollkommener  Amaurose  noch  in  manchen  Fällen  nachge- 
wiesen werden. 

Ich  habe  darauf  erst  in  28  Fällen  von  Tabes  geachtet  und  genau 
in  der  Hälfte  derselben  (14)  i)  diese  Erscheinung  gefunden.    Wahr- 


1)  Nachdem  dies  geschriebeD,  habe  ich  noch  weitere  12  Fälle  von  Tabes  ge- 
sehen, unter  welchen  9  dies  Symptom  darboten.  Es  würdei^  sich  somit  unter 
40  Fällen  93  mit  Myosis  spinalis  herausstellen. 


Tabes*  donaÜB.  29 

sebeinlich  aber  wird  sie  sich  bei  genauerer  Beacbtung  noch  viel 
häufiger  finden  0- 

Dies  Symptom  ist  in  neuerer  Zeit  fast  ausschliesslich  von  Augen- 
iizten  constatirt  und  besprochen  worden.  Allerdings  war  schon  längst 
den  Nervenpathologen  (seit  Romberg)  bekannt,  dass  bei  Tabes  dor- 
salis  sich  gelegentlich  die  Pupillen  hochgradig  verengt  finden  und 
dabei  auch  unbeweglich  sein  können,  eine  Angabe,  die  in  den  älteren 
Lehrbflchem  der  Augenheilkunde  reproducirt  ist.  Aber  erst  Ar gy  11 
Robertson  machte  im  Jahre  1869  darauf  aufmerksam,  dass  gerade  die 
Partialnnerregbarkeit  der  Pupillen  gegen  Licht  bei  erhaltener  Reaction 
auf  Accommodation  das  Charakteristische  für  die  tabiscbe  und  andere 
spinale  Myosen  sei.  Diese  Beobachtung  wurde  weiterhin  von  Knapp 
und  Leber  bestätigt,  von  Wer  nicke  auch  bei  Geisteskranken  ge- 
macht und  H  e  m  p  e  1  -)  hat  dann  diese  Beobachtungen  erheblich  ver- 
mehrt, besonders  an  Fällen  von  Tabes  und  progressiver  Paralyse, 
nnd  hat  das  Symptom  einer  genaueren  theoretischen  Erörterung  unter- 
worfen. Da  den  Ophthalmologen  gewöhnlich  nur  die  Fälle  mit  Seh- 
störung (Diplopie,  Amblyopie  etc.)  zu  Gesicht  kommen,  und  da  die 
spinale  Myosis  sehr  häufig  ohne  alle  Sehstörung  bei  Tabes  vorban- 
den ist,  so  waren  von  dieser  Seite  erschöpfende  Angaben  über  die 
Häufigkeit  des  Symptoms  bei  Tabes  nicht  zu  erwarten ;  das  geht  auch 
ans  den  neuesten  Arbeiten  von  Hutchinson^)  und  von  v.  Wecker^) 
hervor. 

In  sehr  erwünschter  Weise  ist  nun  durch  die  oben  citirte  fleissige 
Arbeit  von  Vincent  für  diese  nicht  unwichtige  Frage  ein  reiches 
Material  zusammengebracht  worden.  Derselbe  hat  eine  grosse  An- 
zahl von  Kranken  auf  die  Pupillenphänomene  untersucht  und  zwar 
51  Fälle  von  Tabes,  9  Fälle  von  anderen  Rückenmarks-  und  Ge- 
himleiden  und  22  Fälle  von  progressiver  Paralyse.  Die  Ergebnisse 
dieser  Untersuchung  sind  in  hohem  Grade  bemerkenswerth ;  wir 
fflhren  jedoch  nur  das  an ,  was  für  unseren  gegenwärtigen  Zweck 
wichtig  erscheint 

Von  den  51  Tabischen  zeigten  nur  4  eine  normale  Reaction 


t)  Ich  habe  immer  nur  die  vollständige  Unerregbarkeit  gegen  Lichtreiz 
Qotirt;  offenbar  gehören  aber  auch  schon  die  Fälle  hierher,  in  welchen  die  Re- 
action nur  sehr  träge  und  in  ganz  unbedeutendem  Grade  erfolgt;  dadurch 
würde  sich  meine  Zahl  gewiss  noch  sehr  erhöhen. 

2)  Ueber  Spinalmyosis.    Archiv  f.  Ophthalmol.  XXII.  1.  S.  1.  1876. 

3)  Notes  on  the  symptom-significance  of  different  states  of  the  pupil.  Brain, 
a  Joum.  of  Nenrologj,  Part.  I  n.  II.    1878. 

4)  Gräfe-Saemisch,  Handb.  d.  Angenheilk.  Bd.  IV.  Theil  2.  S.  563.    1876. 


30  I.  Ebb 

der  Papillen ,  40  dagegen  reagirten  nicbt  auf  Licht ,  wohl  aber  auf 
Accommodation;  und  bei  7  bestand  absolute  Immobilität  der  Papillen, 
(meist  mit  Amaurose). 

Unter  den  40  Fällen  mit  fehlender  oder  mangelhafter  Reaetion 
auf  Licht  waren  23  mit  gleichzeitiger  Myosis,  1 1  mit  normaler 
Weite  der  ^Pupillen  und  nur  6  mit  Mydriasis. 

Vincent  hat  die  Sache  dann  noch  für  die  einzelnen  Stadien 
der  Tabes  zu  ermitteln  gesucht  und  fand  unter  9  Eranken,  die  er 
zur  ersten  Periode  der  Tabes  rechnet,  das  Phänomen  der  Uner- 
regbarkeit  gegen  Licht  6 mal,  normale  Reaetion  3 mal,  normale  ae- 
commodative  Reaetion  in  allen  9  Fällen. 

Zu  der  zweiten  Periode  der  Tabes  rechnet  er  31  Fälle,  unter 
welchen  26  mal  keine  Reaetion  auf  Licht  bestand  (21  mal  mitMyosis), 
4mal  nur  sehr  schwache  Reaetion  und  nur  efnmal  normale;  da- 
gegen bestand  normale  accommodative  Reaetion  in  allen  31  Fällen. 
Darnach  erscheint  das  Phänomen  in  der  2.  Periode  der  Tabes  so 
constant,  dass  es  fast  niemals  fehlt. 

Unter  11  Fällen  aus  der  dritten  Periode  wurden  die  Pupillen 
7 mal  ganz  immobil  gefunden,  3 mal  ohne  jede  Reaetion  auf  Licht, 
Imal  mit  nur  schwacher  Reaetion.  Unter  diesen  11  Fällen  waren 
nur  5  Myosen,  darunter  aber  3  bei  doppelseitiger  Amaurose. 

Als  Resultat  seiner  Beobachtungen  spricht  Vincent  Folgendes 
aus:  In  der  ersten  Periode  der  Tabes  sind  die  Pupillen  häufig  er- 
weitert, sie  reagiren  meist  nicht  auf  Licht,  dagegen  constant  auf 
accommodative  Impulse;  in  der  zweiten  Periode  sind  die  Pupillen 
mehr  oder  weniger  verengt,  das  Licht  hat  keinen  Einfluss  auf  sie, 
wohl  aber  verengem  sie  sich  beim  Nahesehen  und  erweitem  sich 
beim  Fernsehen;  in  der  letzten  Periode  endlich  sind  die  Pupillen 
seltener  verengt,  meist  normal  oder  erweitert  und  dabei  in  der  Regel 
absolut  immobil. 

Es  geht  aus  diesen  Angaben  mit  noch  viel  grösserer  Evidenz 
als  aus  meinen  Beobachtungen  hervor,  dass  die  „spinale  Myosis* 
eines  der  constantesten  Zeichen  der  Tabes  ist,  sich  in 
den  ausgesprochenen  Fällen  (zweite  Periode)  fast  constant,  in  den 
Initialstadien  wenigstens  häufig  findet.  Ob  dieselbe  zu  den  frühesten 
Symptomen  gehört,  resp.  regelmässig  schon  f rflh  auftritt,  muss 
erst  durch  weitere  Beobachtungen  festgestellt  werden ;  bis  jetzt  seheint 
mir  dies  noch  nicht  der  Fall  zu  sein,  da  unter  den  6  Fällen,  die 
ich  zum  Initialstadium  der  Tabes  rechne  und  die  Angaben  darüber 
enthalten  (Nr.  46. — 48.  und  50. — 52.),  nur  1  mal  dies  Symptom  vor* 
banden  war. 


Tabes  donalis.  31 

Um  jedoch  seinen  wirklichen  Werth  fQr  die  Diagnose  der  Tabes 
festzustellen,  ist  es  vor  allen  Dingen  erforderlich  zu  untersuchen,  ob 
und  wie  h&ufig  es  bei  andern  Krankheiten  und  bei  welchen  es  vor- 
kommt.   Auch  dafür  liegt  einiges  Material  vor. 

Ich  selbst  habe  in  den  letzten  Wochen  bei  einer  grösseren  An- 
zahl  (es  mögen  jetzt  70 — 80  sein)  theils  gesunder,  tbeils  nerven- 
kranker, nichttabischer  Personen  die  Pupillen  auf  ihre  Lichtempfind- 
lichkeit geprüft  und  dabei  (zuf&llig?)  nicht  ein  einziges  Mal  die  Be- 
aetion  auf  Licht  vermisst.  Daraus  geht  schon  hervor,  dass  das 
Phänomen  bei  Nichttabischen  sehr  selten  ist.  —  Es  ist  den  Ophthal- 
mologen Ungst  bekannt,  dass  bei  alten  Leuten  häufig  eine  sehr  hoch- 
gradige Myosis  beobachtet  wird;  nach  Hempel  soll  aber  bei  diesen 
die  Reaction  auf  Liebt  immer  prompt  erhalten  sein ;  (ftberdiess  haben 
wir  es  ja  bei  der  Tabes  beinahe  nie  mit  alten  Leuten  zu  thun).  — 
Dasselbe  dürfte  wohl  auch  der  Fall  sein  bei  jener  Myosis,  die  bei 
Gesunden  hier  und  da  vorkommt,  besonders  bei  Leuten,  die  sich  viel 
Hiit  kleinen  glänzenden  Objecten  beschäftigen.  Auch  Vincent  fand 
anter  9  Fällen  von  spinaler  und  cerebraler  Erkrankung  8  mal  die 
Keaction  auf  Licht  erhalten  (darunter  ein  Fall  von  progressiver  Mus* 
kelatrophie  mit  Myosis)  und  in  dem  einen  Fall  mit  der  charakteristi- 
schen Unerregbarkeit  handelte  es  sich  wahrscheinlich  um  eine  progres- 
sive Paralyse.  —  Dagegen  hat  man  wiederholt  bei  Verletzungen  und 
anderen  Läsionen  des  Halsmarks,  bei  Erkrankungen  des  Halssympa- 
thicoB,  bei  Augenmuskellähmungen  u.  dgl.  Myosis,  zum  Theil  auch 
mit  der  charakteristischen  Unerregbarkeit  der  Pupillen  gefunden.  Das 
sind  jedoch  an  und  fttr  sich  seltene  und  in  ihrer  Wesenheit  meist 
leicht  zu  erkennende  Krankheitsformen ,  so  dass  von  einer  diagno- 
stischen Schwierigkeit  gegenüber  der  Tabes  in  der  Regel  keine  Rede 
sein  kann. 

Dagegen  ist  die  progressive  Paralyse  der  Irren  die  ein- 
zige bis  jetzt  bekannte  Krankheit,  bei  welcher  das  Phänomen  mit 
annähernd  ähnlicher  Häufigkeit  vorkommt,  wie  bei  Tabes.  Meine 
eignen  Erfahrungen  darüber  sind  allerdings  nicht  zahlreich  genug, 
aber  Vincent  hat  21  Fälle  davon  —  meist  relativ  frische  Erkran- 
kungen —  untersucht  und  er  fand  in  nicht  weniger  als  19  Fällen 
die  typische  Unerregbarkeit  der  Pupillen  gegen  Licht  bei  erhaltener 
Erregbarkeit  für  accommodative  Impulse  (die  2  übrigen  Fälle  waren 
ganz  frischen  Datums).  Von  diesen  21  Fällen  zeigten  8  Myosis, 
^  eine  schwache  Mydriasis;  dagegen  war  in  17  Fällen  Un- 
gleichheit der  Pupillen  vorhanden.  Diese  letztere  ist  also  bei 
weitem  häufiger  und  charakteristischer  für  die  progressive  Paralyse 


32  I.  Erb 

als  die  Myosis  oder  MydriasiB  and  Ungleichheit  der  Pupillen 
mit  Unerregbarkeit  für  Licht  (bei  erhaltener  Reaction  f&r 
Accommodation)  mag  als  fa&ufigste  Veränderung  bei  der  progressiven 
Paralyse;  dagegen  Verengerung  der  Pupillen  mit  Unerreg- 
barkeit  fttr  Licht  als  die  häufigste  Veränderung  bei  Tabes  be- 
zeichnet werden. 

Es  ist  in  hohem  Grade  bezeichnend,  dass  dies  Symptom  bei  Tabes 
und  progressiver  Paralyse  mit  nahezu  der  gleichen  Häufigkeit  auf- 
tritt; aber  Niemand  wird  sich  darttber  wundem^  der  die  häufigen  und 
innigen  Beziehungen  der  beiden  Krankheitsformen  zu  einander  kennt, 
der  weiss,  wie  gewöhnlich  tabische  Symptome  bei  der  progressiven 
Paralyse  sind  und  wie  regelmässig  das  Rückenmark  bei  dieser  Affec- 
tion  mit  betheiligt  ist.  v 

Es  wird  also  dies  Zeichen  zur  bestimmten  Unterscheidung  von 
Tabes  und  progressiver  Paralyse  nur  sehr  wenig  beitragen  können ; 
das  muss,  wie  seither,  auf  Grundlage  anderer  diagnostischer  Merk- 
male geschehen.  Ganz  anders  dagegen  ist  es  gegenüber  anderen 
Krankheiten  in  Bezug  auf  ihre  Unterscheidung  von  Tabes  und  pro- 
gressiver Paralyse,  also  von  miteinander  verwandten  schweren,  orga- 
nischen und  progressiven  Läsionen  des  Gentralnervensystems. 

Es  gehört  ja  offenbar  dies  Symptom  zu  den  sehr  häufigen 
—  und  wenn  wir  die  Angaben  von  Vincent  berücksichtigen  —  zu 
den  fast  constanten  Symptomen  der  Tabes  und  es  gewinnt 
dasselbe,  da  es  bei  andern  Krankheiten  (mit  Ausnahme  der  progres- 
siven Paralyse)  nicht,  oder  gewöhnlich  nur  unter  sonst  durchsichtigen 
und  leicht  unterscheidbaren  Verhältnissen  vorkommt,  eine  sehr  be- 
deutende diagnostische  Wichtigkeit.  Wie  früh  dasselbe  in  dem  Krank- 
heitsbild der  Tabes  aufzutreten  pflegt,  i^st  nach  den  bisherigen  Er- 
fahrungen allerdings  noch  nicht  zu  entscheiden;  doch  scheint  es  zu 
den  constanten  Symptomen  des  Initialstadiums  nicht  zu  gehören ;  dar- 
über müssen  erst  weitere  Beobachtungen  entscheiden. 

Die  Constatirung  des  Phänomens  ist  sehr  leicht;  jede  sorgfältige 
Untersuchung  genügt  dazu;  nur  muss  man  dabei  besonders  darauf 
achten,  alle  Accommodationsimpulse  während  der  Belichtung  auszu- 
schliessen,  weil  sonst  leicht  Reaction  auf  Licht  vorgetäuscht  wird. 
Man  muss  also  die  Kranken  während  der  Beschattung  und  Belichtung 
den  Blick  auf  den  gleichen  Gegenstand  richten  lassen  und  thut  deshalb 
gut,  zur  Beschattung  nicht  die  Augenlider  zu  verschliessen,  weil  sonst 
beim  plötzlichen  Oeffnen  derselben  fast  regelmässig  Bewegungen  der 
Bulbi  und  gewöhnlich  auch  eine  Fixation  für  die  Nähe  (auf  das  Ge- 
sicht des  Beobachters)  eintritt.  Alle  übrigen  Kunstgriffe  zur  Erkennung 


Tabes  donalis.  33 

der  Liehtreactioii  können  natürlich  Anwendung  finden.  —  Ebenso  ist 
es  gat,  zar  Prflfang  der  Accommodation  das  Auge  immer  unter  glei- 
cher Belichtung  zu  halten.  Zu  genaueren  Messungen  und  zur  Fixa- 
tion der  gefundenen  Pupillengrössen  in  Zahlen  kann  man  sich  der 
Ton  Vincent  oder  Hutchinson  angewendeten  und  beschriebenen 
Methoden  bedienen,  deren  Anwendung  eine  äusserst  einfache  ist 

Auf  die  Theorie  des  Symptoms  hier  näher  einzugehen,  halte  ich 
ffir  etwas  gewagt;  die  Frage  von  der  Irisinnervation  ist  eine  so  ver- 
wickelte und  es  änd  in  dieselbe  gerade  neuerdings  wieder  einige 
neue  Gesichtspunkte  hineingetragen  worden,  so  dass  es  schwer  sein 
dürfte,  sich  jetzt  schon  eine  sichere  und  gültige  Vorstellung  von  den 
hier  stattfindenden  Störungen  zu  machen ;  es  müssen  wohl  auch  noch 
mehr  und  eingehendere  Beobachtungen  über  das  Phänomen  abge- 
wartet werden. 

Hempel  nimmt  für  die  Myosis  an,  dass  sie  durch  Lähmung  des 
CeDtrams  für  die  Pupillenerweiterung  (in  der  MeduUa  oblongata)  be- 
dingt sei,  was  wohl  übrigens  auch  durch  Lähmung  der  von  diesem 
Centram  in  dem  Cervicalmark  herabsteigenden  centrifugalen  Bahnen 
geschehen  könnte.  Für  die  mangelhafte  Reaction  auf  Licht  nimmt 
er  an,  dass  die  reflectorische  Nervenbahn  zwischen  Opticus  und  Ocu- 
lomotorius  irgendwo  gestört  sei,  während  das  Gentrum  des  Oculomo- 
torins  intact  geblieben. 

Vincent  erklärt  die  letztere  Erscheinung  in  ähnlicher  Weise, 
macht  aber  die  etwas  gekünstelte  Hypothese,  dass  die  vom  Centrum 
des  Opticus  ausgehenden  Refiexbahnen  zunächst  in  das  Cervicalmark 
hinabsteigen,  um  sich  mit  hier  liegenden  motorischen  Centren  zu  ver- 
binden, von  welchen  die  Erregungsbahnen  für  den  Sphincter  iridis 
ausgehen,  um  sich  weiterhin  mit  dem  Stamm  des  Oculomotorius  zu 
vereinigen  und  in  diesem  zur  Iris  zu  gelangen.  Die  Läsion  dieser 
im  Halsmark  liegenden  Bahnen  und  Centren  bei  Tabes  würde  seiner 
Ansicht  nach  jene  Störung  der  Lichtreaction  erklären.  Die  Myose 
bei  der  Tabes  soll  nach  ihm  von  einer  Paralyse  der  sensiblen  Ele- 
mente des  Rückenmarks  herrühren ,  durch  welche  Atonie  der  Iris- 
geßUse  und  dadurch  Contraction  der  Pupille  bedingt  werde.  Vincent 
nimmt  also  nicht  eine  Lähmung  eines  besondem  Diktator  pupillae  an. 

Auch  Rählmann  und  Witkowski^),  welche  die  physiologi- 

l)  Ueber  das  Verhalten  der  Pupillen  w&hrend  des  Schlafs  nebst  Bemerkungen 
zur  Innervation  der  Iris.  Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie.  Physiol.  Abth. 
1S78.  S.  109.  —  Vergl.  dazu  auch  Sander,  Ueber  die  Beziehung  der  Augen  zum 
waschen  und  schlafenden  Zustand  des  Gehirns  etc.  Archiv  für  Psychiatrie  und 
Nemnkrankheiten.  IX.  S.  129.  1878. 

Deotwhw  ArchiT  f.  klin.  Hftdloin.   XXIY.  Bd.  3 


34  I.  Erb 

sehe  Myose  im  Schlaf  untersuchten^)  und  dieselbe  durch  den  Weg- 
fall aller  das  Centrum  fttr  die  Pupillenerweiterung  im  wachen  Zustande 
treffenden  centripetalen  Erregungen  (sensible  und  sensorische  Beize, 
psychische  Erregungen  etc.)  zu  erklären  suchen,  deuten  an,  dass  das 
Wegfallen  dieser  centripetalen,  sensiblen  Erregungen  bei  Tabes  (wegen 
Degeneration  der  hintern  Wurzeln  und  Hinterstränge)  vielleicht  die 
Myose  bedinge. 

Jedenfalls  ist  die  Complicirtheit  der  hier  vorliegenden  Verhält- 
nisse eine  so  grosse,  dass  meines  Erachtens  eine  definitive  Erklärung 
noch  nicht  gegeben  werden  kann.  Ja,  ich  glaube,  dass  man  noch 
nicht  einmal  mit  voller  Sicherheit  behaupten  kann,  dass  es  sich  bei 
dem  uns  hier  beschäftigenden  Symptom  um  eine  wirklich  spinale 
Läsion  handelt,  oder  ob  nicht  dieselbe  vielleicht  in  das  verlängerte 
Mark  zu  verlegen  ist.  Allerdings  ist  es  auch  mir  am  wahrschein- 
lichsten, dass  die  Erkrankung  des  Halsmarks  das  wirksame  bei  dem 
Zustandekommen  desselben  ist.  Diese  Unsicherheit  wird  erst  durch 
weitere  Untersuchungen  gehoben  werden,  kann  aber  die  diagnostiache 
Bedeutung  des  Symptoms  bei  Tabes  nicht  beeinträchtigen. 

Eß  wäre  wünschenswerth,  dasselbe  mit  einer  kurzen  Bezeichnung 
zu  versehen;  der  bereits  eingeführte  Name  „spina;le  Myosis''  wQrde 
ungemein  bequem  sein,  wenn  nicht  —  wie  es  scheint  —  die  Uner- 
regbarkeit  gegen  Licht  bei  erhaltenen  accommodativen  Bewegungen 
die  Hauptsache  wäre  und  wohl  auch  ohne  Myosis  vorkäme.  Aber 
es  ist  sehr  schwer  eine  passende,  kurze  Bezeichnung  zu  finden.  Ich 
schlage  —  Besseres  vorbehalten  —  vor,  dies  Phänomen  mit  dem 
Namen  „reflectorische  Pupillenstarre"  zu  belegen,  dem  man 
durch  das  Beiwort  „spinale*'  noch  ein  Zeichen  seines  speciellen  Ur- 
sprungs beifügen  könnte.  Dieser  „  reflectorischen  "^  würde  die  „accom- 
modative  Pupillenstarre"  gegenüberstehen,  beide  vereinigt  würden  die 
„complete  Pupillenstarre  **  darstellen. 

Ich  habe  damit  die  Besprechung  derjenigen  Symptome,  welche 
ich  zum  Gegenstand  genauerer  Prüfung  machen  wollte  und  deren 
Häufigkeit  bei  der  Tabes  zu  constatiren  mir  wünschenswerth  erschien, 
beendigt;  es  sind  ohne  Zweifel  die  wichtigsten  und  constantesten 
Symptome  der  Krankheit  izu  welchen  eigentlich  ausserdem  nur  noch 
die  Störungen  der  Haut-  und  Muskelsensibilität  gehören,  die  hier  nur 
theilweise  besprochen  wurden). 

Stellen  wir  dieselben  nach  der  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  in 
wohl  entwickelten  Fällen  von  Tabes  zusammen,  so  erhalten  wir  nach- 

1)  Uebrigens  reagiren  die  im  Schlafe  verengten  Papillen  in  normaler  Weise 
auf  Lichteinfall. 


Tabes  donatis. 


35 


stehende  Reihenfolge:  (die  jedem  Symptom  vorgesetzten  Zahlen  be- 
deuten in  der  ersten  Columne  die  Anzahl  der  Fälle,  in  welchen  das 
Symptom  Forgekommen,  in  der  zweiten  Columne  die  Zahl  derer,  in 
welchen  es  vermisst  wurde  und  in  der  dritten  Columne  den  daraus 
sich  ergebenden  Procentsatz;  es  ist  klar,  dass  diese  Zahlen  keine 
streng  mathematische  Gültigkeit  haben  können,  da  sie  sich  ja  mit 
jedem  neu  hinzukommenden  Fall  todem  müssen;  wohl  aber  geben 
sie  einen  sehr  klaren  Ueberblick  über  das,  um  was  es  sich  hier 
handelt) 


Vor-        Hiebt  vor-    Procent- 
gakomman    ^kommen        satx 

49  0  =  lOÖO/o 


49 


48 


43 


49 


39 


29 


29 


16 


1  =     980/0 


97,9% 


3  =93,5«/o 


4  =92,5«/o 


810/0 


8 


78,40/o 


13  ==     69«/o 


14 


540/0 


Ataxie  —  in  allen  Fälleo,  wenn  auch  häufig 
erst  spftt  auftretend  und  jedenfalls  nicht  zu  den 
frühesten  Symptomen  gehörend ;  kommt  nur  sel- 
ten bei  anderen  Krankheiten  vor. 

Fehlen  der  Sehnenreflexe;  fast  io  allen 
Fällen,  jedenfalls  schon  sehr  früh  vorhanden ;  nur 
bei  ganz  bestimmten  anderen  Krankheiten. 

Ermüdung  und  Unsicherheit  der  Beine; 
sehr  constant ;  gewöhnlich  auch  schon  früh ;  aber 
sehr  häufig  bei  einer  grossen  Zahl  von  anderen 
Erkrankungen. 

Sehwanken  beim  Schliessen  der  Augen: 
sehr  constant,  auch  meist  schon  ziemlich  früh; 
bei  anderen  Krankheiten  relativ  selten. 

Lancinirende  Schmerzen  fast  immer  vor-> 
banden  und  meist  das  erste  und  früheste  Sym- 
ptom ;  nur  sehr  selten  bei  anderen  Krankheiten. 

Blasensch wache,  sehr  häufig  und  auch  sehr 
früh  auftretend,  bei  anderen  spinalen  Erkran- 
kungen nicht  gerade  selten. 

Geschlechtsschwäche  —  fast  ebenso  häufig, 
meist  auch  schon  früh  vorhanden,  aber  bei  an- 
deren Krankheiten  ebenfalls  nicht  selten. 

Analgesie,  schon  viel  weniger  häufig,  aber, 
wie  es  scheint,  oft  auffallend  früh  vorhanden; 
bei  anderen  Krankheiten  in  dieser  Form  jeden- 
falls selten.  (Sensibilitätsstörungen  im  Allge- 
meinen würden  wohl  mit  einem  erheblich  höheren 
Procentsatz  figuriren.) 

Spinale  Myosis;  nach  meinen  Beobachtungen 
ziemlich  häufig,  nach  Vincent  fast  constant 
(920/0);  wahrscheinlich  nicht  sehr  ftrüh  auftretend, 
aber  nur  bei  einer  anderen  Krankheit  in  ähn- 
licher Häu^keit. 

3* 


36  I.  Erb 

Vor-        Nicht«  vor-    Proeent- 
gekommen    gekommen       aats  , 

17         27  •»  38,7<^/o     AugenmuskellähmuDgeDy  nicht  sehr  häufig, 

aber  oft  schon  früh;   bei  anderen  Krankheiten 
ebenfalls  häufig. 

6        43«»  12,30/0     Sehnervenatrophie,  relativ  selten,  dann  aber 

meist  schon  frtth;   seltener  bei  anderen  Krank- 
heiten oder  ganz  selbständig. 

'  Es  ergibt  sich  aus  dieser  Zusammenstellung  leicht^  welclje  Sym- 
ptome von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  und  Bedeutung  ftlr  die  Dia- 
gnose der  Tabes  sind  und  welche  weniger  wichtig.  Und  wenn  es 
sich  um  die.  Diagnose  der  frühesten  Stadien  der  Tabes 
handelt,  werden  die  einzelnen  Symptome  von  sehr  verschiedenem 
(rewichte  sein.  Man  wird  da  solche  Symptome  zu  unterscheiden 
haben,  die  man  als  klassische,  constante,  nicht  leicht  bei  anderen, 
oder  nur  bei  ganz  bestimmten  anderen  Krankheiten  vorkommende 
Symptome  der  Tabes  bezeichnen  kann,  und  solche,  welche  bei  dieser 
allerdings  auch  häufig,  häufig  aber  auch  bei  anderen  Krankheiten 
vorkommen,  deren  Anwesenheit  also  nur  einen  mehr  oder  weniger 
relativen  diagnostischen  Werth  hat. 

Zu  den  ersteren  rechne  ich  die  lancinirenden  Schmerzen, 
das  Fehlen  der  Sehnenreflexe  bei  erhaltener  Motilität  und 
Ernährung  der  Muskeln,  die  Ataxie,  das  Schwanken  beim 
Schliessen  der  Augen,  objectiv  nachweisbare  Sensibili- 
tätsstörungen, besonders  die  Analgesie  und  Verlangsamung 
der  Schmerzleitung,  und  die  spinale  Myosis  mit  reflec- 
torischer  Pupillenstarre;  zu  den  letzteren  die  Ermüdung 
und  Unsicherheit  der  Beine,  die  Blasen-  und  Geschlechts- 
Bchwäche,  die  Augenmuskellähmungen  und  die  Sehner- 
venatrophie. 

Findet  man  alle  oder  viele  von  diesen  Symptomen  beidammen, 
so  wird  die  Diagnose  keinem  Zweifel  unterliegen ;  je  mehr  von  diesen 
Symptomen  vorhanden  sind,  um  so  sicherer  wird  die  Diagnose ;  und 
wiederum  werden  die  Symptome  der  ersten  Gruppe  eine  viel  grös- 
sere Sicherheit  bieten,  als  die  der  zweiten.  Man  braucht  den  Aus- 
spruch wohl  nicht  für  zu  gewagt  zu  halten,  dass,  wenn  auch  nur 
zwei  von  den  Symptomen  der  ersten  Gruppe  vereinigt  vorkommen, 
die  Diagnose  der  Tabes  eine  grosse  Wahrscheinlichkeit  hat.  Ich 
würde  wenigstens,  wenn  typische  lancinirende  Schmerzen  mit  Fehlen 
der  Sehnenreflexe,  oder  dieses  letztere  mit  ausgesprochener  Analgesie 
oder  mit  spinaler  Myosis  vorhanden  wären,  jedenfalls  sehr  emstiich 
an  Tabes  denken;  gesellt  sich  noch  ein  3.  und  4.  Symptom  der 


Tabes  donalis.  37 

ersten  oder  selbst  der  zweiten  Gruppe  hinzu,  so  wird  die  Diagnose 
natllrlieb  zunehmend  sicherer  und  beim  Vorhandensein  eines  oder 
einiger  Symptome  der  ersten  Gruppe  müssen  natttrlich  diejenigen 
der  zweiten  Gruppe,  wenn  auch  an  sich  noch  so  irrelevant,  eine  sehr 
erhöhte  Bedeutung  gewinnen.  Bestehen  einmal  lancinirende  Schmer- . 
zen  und  Fehlen  der  Sehnenreflexe  oder  dergleichen,  so  wird  eine 
leichte  Blasenschwäche  oder  Augenmuskellähmnng,  oder  auffallendes 
Ermttdungsgefflbl  natürlich  gleich  von  grösserer  Bedeutung  sein.  Man 
hat  ja  auch  neuerdings  wiederholt  schon  aus  dem  Vorhandensein 
Yon  Sehnervenatrophie  mit  Fehlen  der  Sehnenreflexe  und  lanciniren- 
den  Schmerzen  die  Diagnose  auf  beginnende  Tabes  mit  Wahrschein- 
lichkeit gestellt,  und,  wie  ich  glaube,  mit  Recht  (s.  die  betreffenden 
Fälle  in  der  Arbeit  von  Westphal,  den  Fall  von  Schmidt-Bimp- 
1er  1)  und  den  Fall  von  Buzzard^j. 

Auf  Grund  dieser  Erwägungen  halte  ich  die  im  Folgenden  kurz 
mitzutheilenden  7  Fälle  für  solche  von  beginnender  Tabes ;  ich  werde 
sie  mit  kurzen  epikritischen  Bemerkungen  begleiten. 

46.     22.  Mai  1878.     Eanfnuum,  45  Jahre  alt. 

Dauer  \  14  Jahre. 

Aeiioiogie:  1862  Syphilis.  Mehrere  Jahre  später  eine  etwas  verdäch- 
tige Leberaffection,  die  anter  Jodkaligebrauch  verschwand. 

Initialer  scheinungen  \  Seit  1864  deutliche,  lancinirendeSohmer- 
zen,  in  ganz  typischen,  zeitweise  sehr  heftigen  Anfällen;  neuerdings  An- 
deutung von  Blasenschwäche;  sonst  keine  subjectiven  Beschwerden, 
ausser  etwas  Abgeschlagenheit  der  Glieder. 

Status:  Reine  Spur  von  Ataxie  oder  sonstiger  Motilitätsstörung ;  keine 
Atrophie ;  grobe  Kraft  vorzüglich.  Tastempfindung  normal ;  keine  Parästhe- 
sien;  dabei  aber  ausgesprochene  Analgesie  an  den  Beinen.  Kein 
Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  —  Hautreflexe  erhalten;  Patellar- 
sehnenreflex  rechts  erloschen,  links  erhalten,  aber  schwach. 
Andeutung  von  Blasenschwäche;  Geschlechtsschwäche.  Augen 
normal;  keine  spinale  Myosis,  Lichtreaction  gut. 

Patient  wird  zur  Kur  nach  Aachen  geschickt.  Gebraucht  dort  50  Ein- 
reibungen k  5,0  Grm.  Ungt.  cinereum.  Am  22.  November  1878  Befund: 
Erhebliche  Besserung;  Patient  fflhlt  sich  viel  kräftiger  und  leichter;  die 
Schmerzanfälle  sind  viel  seltener  und  schwächer  geworden.  Objectiv  hat 
sich  nichts  geändert;  vielleicht  der  Patellarsehnenreflex  links  etwas  lebhafter 
wie  frflher;  rechts  fehlt  er  noch  immer. 

In  diesem  Falle  sprechen  die  vorhandenen  Symptome:  lancini- 
rende Schmerzen,  ausgesprochene  Analgesie,  Fehlen  resp.  Vermin- 

1)  Progressive  Sehnervenatrophie  und  Fehlen  des  Knieph&nomens.  Klinische 
Monatsbl&tter  fttr  Angenh.   Juni  1878.   S.  265. 

2)  On  a  prolonged  first  stage  of  tabes  dorsalis.  Brain.  Part.  II.  p.  168.  1878. 


38  I-  £rb. 

derang  der  Sehnenreflexei  Andeutung  von  Blasen-  und  Geschlechts- 
schwäcbe  wohl  sehr  eindringlich  fttr  beginnende  Tabes.  Bemerkens- 
werth  ist  das  einseitige  Fehlen  des  Patellarsehnenreflexes,  das 
auch  von  Westphal  und  Senator  schon  erwähnt  ist.  Beachtens- 
werth  ist  auch  der  Erfolg  der  Aachener  Kur.  Der  weitere  Verlauf 
bleibt  abzuwarten. 

47.  1.  Jnni  1878.     Weinhändler,  30  Jahre  alt. 

Dauer  \  7  Jahre. 

Aetiologie:  1866  Syphilis.    Seitdem  ganz  gesund,  hat  gesunde  Kinder. 

Initiaierscheinungen:  Seit  1871  heftige  lancinirende  Schmer- 
zen. 1873  etwas  Schwäche  und  Unsicherheit  der  Beine.  Keine  Blasen- 
oder Geschlechtsschwäche. 

Status:  Keine  Spur  von  Ataxie;  ungewöhnliche  Muskelkraft.  Sensi- 
bilität der  Füsse  etwas  abgestumpft  (?) ;  geringgradige  Analgesie. 
Kein  Schwanken  bei  geschlossenen  Augen.  —  Plantarreflex  sehr  lebhaft; 
Cremasterreflex  deutlich;  Abdominalreflex  fehlt.  Sehnenreflexe  feh- 
len; mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Blase  normal. 
Augen  gaoz  normal.     Ebenso  Hirnnerven,  Arme,  Wirbelsäule. 

In  diesem  Falle  bilden  lancinirende  Schmerzen,  leichte  Analgesie 
und  Fehlen  der  Sehnenreflexe  die  verdächtige  Symptomentrias.  Eine 
Kur  in  Wildbad  bekam  schlecht ;  die  verordnete  antiluetische  Behand- 
lung wurde  nicht  ausgeführt. 

48.  30.  Juli  1878.     Eisenbahninspector,  48  Jahre  alt. 

Dauer:  4  Jahre. 

Aetiologie'-  1863  harter  Schanker;  angeblich  keine  weiteren  Symptome ; 
wurde  mit  Jod  und  Quecksilber  damals  behandelt. 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  einiger 
Zeit  etwas  Ermüdung.     Keine  Angenstörangen,  keine  Parästhesien. 

Status :  Keine  Ataxie ;  grobe  Kraft  sehr  gut.  Tastempfindung  normal ; 
^ber  deutliche  Analgesie.  Leichtes  Schwanken  beimSchlies- 
sender  Augen.  —  Plantar-,  Cremaster-  und  Abdominalreflex  sehr  lebhaft. 
Patellarsehnenreflex  rechts  fehlend,  links  sehr  schwach. 
Andeutung  von  Blasenschwäche.  —  Augen  normal;  ebenso  Kopf,  Arme, 
Wirbelsäule. 

Auch  hier  haben  wir  wieder  das  einseitige  Fehlen  der  Sehnen- 
reflexe; daneben  lancinirende  Schmerzen,  Analgesie,  Schwanken  beim 
Schliessen  der  Augen,  Ermüdung  der  Beine  und  etwas  Blasenschwäche ; 
es  scheint  mir  danach  kaum  zweifelhaft,  dass  ein  Fall  von  beginnen- 
der Tabes  vorliegt 

49.  30.  März  1878.     Officier  a.  D.,  46  Jahre  alt. 

Dauer:  12  Jahre. 
Aetiologie:  Nichts  notirt 


Tabes  donalia.  39 

Ifutiaierscheinungm:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  2V2  J^h- 
ren  Atrophie  derSehnerven,  mit  Gesichtsfeldbeachr&ikung,  ohne  Far- 
benstöriing. 

Status:  Keine  Spur  von  Ataxie,  Ermfldnog  oder  Schwäche.  Taat« 
empOndong  ganz  normal;  ganz  leichte  Analgesie  an  den  Füssen.  Kein 
Schwanken  beim  Schliessen  der  Augen.  Hautreflexe  erhalten.  Sehnen- 
reflexe  erloschen.    Augen  wie  oben.    Sonst  Alles  normal. 

Drei  wichtige  Symptome:  lancinirende  Schmerzen  1  Sehnerven- 
atrophie  und  Fehlen  der  Sehnenreflexe  sind  hier  vereinigt,  um  die 
Diagnose  beginnender  Tabes  wahrscheinlich  zu  machen ;  die  —  aller- 
dings unbedeutende  —  Analgesie  dient  zur  Bestätigung. 

Der  Fall  ist  ausserdem  dadurch  interessant,  dass  die  Augen 
durch  galvanische  Behandlung  entschieden  und  auffal- 
lend gebessert  wurden  (Zunahme  der  Sehschärfe  und  Ausdeh- 
nung des  Gesichtsfeldes). 

&0.     29.  Juli  1878.     Ingenieur,  34  Jahre  alt. 

Bauer:  1 — 2  Jahre. 

Aetiologie:  1873  Syphilis.    1874  Recidiv  derselben.    Kur  in  Aachen. 

Initialerscheinungen:  Nie  lancinirende  Schmerzen.  —  Müdigkeit 
und  etwas  Schlafsucht;  leichte  Blasenseh wache  und  Verminde- 
rung der  Potenz.  Seit  2 — 3  Monaten  Augenmuskelparesen  (der 
iDtemi  und  der  Recti  superiores,  von  den  Ophthalmologen  verschieden  ge- 
deutet). —  Unsicherheit  beim  Treppensteigen;  Andeutung  von  Oürtel- 
gefQhl. 

Status :  Keine  deutliche  Ataxie ;  grobe  Kraft  gut.  Hautsensibiiität  voli- 
kommen  normal;  keine  Spur  von  Analgesie.  Leichtes  Schwanken 
beim  Angenschluss.  Hantreflexe  sehr  lebhaft.  Sehnenreflexe  feh- 
leo;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  Leichte  Bla- 
senscbwäche.  Augenmuskelparesen  links.  Optici  und  Pupillen 
noraial.  —  Arme,  Kopf,  Wirbelsäule  normal. 

In  diesem  Falle  mag  die  Diagnose  schon  eher  etwas  unsicher 
sein;  von  den  gewichtigen  Symptomen  der  ersten  Gruppe  sind  nur 
zwei :  das  Fehlen  der  Sehnenreflexe  und  das  Schwanken  beim  Schlies^ 
sen  der  Augen  vorhanden ;  dieselben  erhalten  aber  durch  die  grosse 
Anzahl  der  Symptome  der  zweiten  Gruppe:  Augenmuskelparesen, 
Müdigkeit  und  Unsicherheit  der  Beine,  Blasen-  und  Geschlechts- 
8chw&ehe  immerhin  eine  solche  Stütze,  dass  ich  auch  in  diesem  Falle 
die  Diagnose:  »beginnende  Tabes"  für  gerechtfertigt  halte.  —  Der 
weitere  Verlauf  wird  darüber  Aufschluss  und  Entscheidung  brin- 
gen. Die  Beziehungen  zur  Syphilis  drängen  sich  natürlich  auf.  Der 
Kranke  befindet  sich  gegenwärtig  (November  —  Deoember)  zur  Kur 
in  Aachen. 


40  I.  Erb 

&1.     4.  JaU  1877.    Fabrikant,  41  Jahre  alt. 

Dauer  \  5 — 6  Jahre. 

Aetiologie:  Vor  20  Jahren  Syphilis.  Reine  hereditäre  Belastung. 
Angestrengtes  Velocipedereiten  als  Ursache  beschnldigt. 

IniticUerschemungeni  Lancinirende  Schmerzen  in  der  unteren 
Körperhälfte.  Seit  V^  Jahr  Blasen  seh  wache.  Beiderseitig  leichte 
Ptosis,  manchmal  Diplopie.  Kein  Gflrtelgeftthl,  keine  Unsicherheit  im 
Dankein. 

Status:  Keine  Ataxie.  Kraft  und  Behendigkeit  der  Beine  ganz  normal. 
Schmerzempfindung  etwas  abgestumpft  und  verlangsamt  an 
den  Beinen.  Kein  Schwanken  beim  Augenschluss.  Plantar-  und  Cremaster- 
reflex erhalten;  Abdominalreflex  fehlt.  Patellarsehnenreflex  sehr 
schwach.  —  Geringe  Blasenschwäche.  Leichte  Ptosis,  be- 
sonders rechts;  Augenbewegungen  sonst  normal;  Sehschärfe  gut.  Arme, 
Kopf  und  Wirbelsäule  normal. 

Ob  hier  die  Diagnose  wohl  erlaubt  ist?  Lancinirende  Schmerzen, 
Augenmuskelparesen,  Analgesie  und  leichte  Blasenschwäche  sind  vor- 
handen, die  Sehnenreflexe  sind  nur  herabgesetzt.  Auch  hier  kann 
wohl  nur  der  weitere  Verlauf  definitive  Entscheidung  bringen. 

52.     19.  Juni  1878.    Buchhändler,  32  Jahre  alt 

Dauer  i  7  Jahre. 

Aetiologie:  1865  Syphilis;  später  keine  Spur  mehr  davon;  hat  gesunde 
Kinder. 

Tnitialerscheinungen:  Parästhesien,  Kitzel  etc.  der  Beine;  sehr 
geringe  faradocutane  Sensibilität  (schon  1875  von  mir  constatlrt).  Später 
etwas  Unsicherheit  beim  Besteigen  von  Leitern  und  Treppen;  rascheres 
Ermüden  beim  Stehen.  Selten  lancinirende  Schmerzen  geringen 
Grades.     Keine  Blasen-  oder  Geschlechtsschwäche.     Kein  Doppelsehen. 

Status:  Andeutung  von  Ataxie;  grobe  Kraft  vorzüglich,  kann 
grosse  Bergtouren  machen.  Hautsensibilität  normal  bis  auf  ausgespro- 
chene Analgesie  und  Herabsetzung  der  faradocutanen  Sen- 
sibilität. Muskelgeftthl  normal ;  leichtes  Schwanken  beim  Augen- 
schluss. Hautreflexe  sehr  lebhaft.  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische 
Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  —  Blasen-  und  Geschlechtsfunction 
normal.  Ausgesprochene  spinale  Myosis;  Augen  sonst  normal.  — 
Hirn  und  Himnerven,  Arme,  Wirbelsäule  normal. 

Dieser  Fall  ist  gewiss  in  hohem  Grade  interessant;  während  der 
Kranke  nur  unbedeutende  subjective  Beschwerden  hat,  da  die  lanci- 
nirenden  Schmerzen  nur  sehr  unbedeutend  sind,  und  während  er  eine 
bedeutende  motorische  Leistungsfähigkeit  entwickelt  und  durchaus 
den  Eindruck  eines  robusten,  kerngesunden  Menschen  macht,  ent- 
hüllt die  genaue  objective  Untersuchung  als  Supplement  zu  den  un- 
bedeutenden subjectiven  Symptomen  (die  sich  eigentlich  auf  leichte 
Parästhesien  und  etwas  Unsicherheit  der  Beine  reduciren)  eine  ganze 
Reihe  bedeutungsvoller  und  schwerer  Symptome,  die  mir  wenigstens 


Tabes  donalis.  41 

die  Diagnose  einer  beginnenden  Tabes  kaum  mehr  zweifelhaft  er- 
seheinen lassen :  Fehlen  der  Sehnenreflexe,  ausgesprochene 
Analgesie,  beginnende  Ataxie,  leichtes  Schwanken  beim 
Ängenschlass  und  spinale  Myosis,  Welcher  Gegensatz  z.  B. 
zu  der  Nearasthenia  spinalis,  bei  welcher  die  subjectiven  Beschwer- 
den oft  viel  erheblichere  sind!  Der  Werth  der  genauen  objectiven 
Untersuchung  tritt  an  solchen  Fällen  besonders  prägnant  hervor.  — 
Aach  hier  mag  auf  die  Beziehungen  zur  Syphilis  hingewiesen  werden. 

Die  Berechtigung,  alle  diese  Fälle  vorläufig  einmal  zur  Tabes  zu 
stellen,  kann  wohl  nicht  geläugnet  werden.  Aber  so  absolut  sicher 
ist  denn  die  Sache  doch  noch  nicht;  und  erst  wenn  sich  im  weiteren 
Verlauf  die  Richtigkeit  der  Diagnose  bestätigen  wird,  kann  man  in 
Zukunft  solche  frühe  Diagnosen  mit  grösserer  Sicherheit  stellen.  Bis 
jetzt  kann  man  nur  sagen,  dass  dies  Fälle  sind,  welche  einige  — 
allerdings  besonders  wichtige  und  bezeichnende  —  Symptome  der 
Tabes  darbieten,  aber  bei  dem  jetzigen  Stand  unserer  Erfahrungen 
noch  nicht  mit  voller  Sicherheit  dazu  gerechnet  werden  dürfen.  Es 
könnte  sich  ja  auch  herausstellen ,  dass  diese  Fälle  ganz  stationär 
bleiben,  oder  wieder  heilen,  oder  dass  sie  eine  ungewöhnliche  Form 
der  Syphilislocalisation  sind  (und  die  Thatsache,  dass  bei  allen  diesen 
Fallen  —  mit  nur  einer  zweifelhaften  Ausnahme  —  Syphilis  voraus- 
ging, gibt  gewiss  zu  denken)  u.  dgl.  mehr. 

Allerdings  halte  ich  es  kaum  für  zweifelhaft,  dass  alle  die  vor- 
stehend mitgetheilten  Fälle  wirklich  zur  Tabes  gehören  und  ich 
glaube,  dass  es  mit  Hülfen  der  kritischen  Beurtheilung  der  einzelnen 
Symptome,  für  welche  ich  oben  einige  Grundlagen  zu  liefern  ver- 
sacht habe,  in  zahlreichen  Fällen  möglich  sein  wird,  die  Tabes  schon 
in  ihren  ersten  Anfängen  zu  erkennen  und  dadurch  einer  etwas  er- 
folgreicheren Therapie,  als  der  bisherigen,  die  Wege  zu  bahnen. 

In  Bezug  auf  die  Aetiologie  der  Tabes  ergeben  sich  aus 
meinen  Beobachtungen  nur  wenig  Anhaltspunkte,  und  ich  hebe  dess- 
halb  nur  einen  Punkt  hervor,  auf  welchen  ich  in  der  neueren  Zeit 
mehr  geachtet  habe,  da  er  mir  von  ausserordentlicher  Wichtigkeit  zu 
sein  scheint  und  bei  uns  in  Deutschland  —  wie  ich  glaube  —  zu 
wenig  berücksichtigt  wird. 

Es  ist  dies  die  Syphilis  in  der  Vorgeschichte  der  Tabes- 
kranken. Dieselbe  wird  fast  ausschliesslich  von  französischen 
Autoren  hervorgehoben  und  in  ihrer  Wichtigkeit  betont.  Besonders 
ist  es  Fournier^,  der  mit  grosser  Entschiedenheit  und  mit  Grün- 

1)  De  Fataxie  locomotrice  d^origine  syphilitiqae.    Paris  1876. 


42  L  £rb 

den,  deren  grosse  Bedeutung  durchaus  nicht  zu  verkennen  ist,  dafür 
plaidirt;  dasses  eine  wirkliehe  syphilitische  Tabes  gebe, 
dass  die  Hinterstrangsklerose  eine  der  möglichen  Localisationen  der 
Syphilis  sei,  und  dass  ein  solcher  Zusammenhang  sehr  häufig  vor- 
komme. Er  stfltzt  diesen  Satz  hauptsächlich  auf  das  statistisch  nach- 
weisbar häufige  Vorkommen  von  Tabes  bei  frtther  Syphilitischen; 
er  selbst  fand  unter  30  Tabischen  nicht  weniger  als  24  mit  voraus- 
gegangener Syphilis.  Es  wäre  wttnschenswerth  gewesen,  nachzu- 
weisen, dass  im  Uebrigen  die  Syphilis  unter  der  männlichen  Pariser 
Bevölkerung  nicht  annähernd  in  dieser  Häufigkeit  vorkomme;  ein 
Nachweis  y  der  wohl  nicht  allzu  schwierig  gewesen  wäre. 

Nach  Fournier  hat  die  syphilitische  Tabes  allerdings  weder 
in  ihren  Symptomen,  noch  in  ihrer  anatomischen  Beschaffenheit  etwas 
Specifischesi  wenigstens  ist  dasselbe  bis  jetzt  nicht  bekannt;  das  ist 
aber  auch  gar  nicht  nöthig.  —  Auch  sei  von  der  antisyphilitischen 
Behandlung  nicht  immer  Erfolg  zu  erwarten;  in  einzelnen  Fällen 
aber  sei  sie  von  entschiedenem  Nutzen.  Daher  sei  es  eine  dringende 
Indication,  in  allen  Fällen,  in  welchen  ein  solcher  Zusammenhang 
nachweisbar  ist,  eine  specifische  Behandlung  einzuleiten.  — 

Orasset^)  schliesst  sich  der  Meinung  Fournier's  durchaus  an. 
—  Vulpian^)  hält  ebenfalls  die  Syphilis  für  eins  der  Gausalmo- 
mente  ersten  Ranges  bei  der  Tabes;  mindestens  15  unter  20  Kran- 
ken seien  frtther  syphilitisch  und  die  meisten  davon  ungenügend 
behandelt  gewesen. 

Zu  diesen  Aussprüchen  stehen  die  Kundgebungen  der  neuesten 
deutschen  Autoren  über  diesen  Punkt  in  einem  bemerkenswerthen 
Gegensatz;  während  Eisenmann  3)  „keinen  exact  beobachteten  Fall 
von  Bewegungsataxie  kennt,  wo  die  Syphilis  als  Ursache  nachge- 
wiesen wäre**;  während  dagegen  E.  Schulze^)  auf  Grund  seiner, 
unter  Griesinger  gesammelten  Erfahrungen  „die  Syphilis  in  eine 
gewisse  ätiologische  Verbindung  mit  Tabes  bringen  möchte  %  finden 
wir  bei  Gy  on  ^}  die  Angabe,  es  sei  möglich,  dass  Syphilis  die  Tabes 
verursache ;  er  hält  es  aber  für  praktischer  und  bequemer,  die  nach 
Syphilis  auftretende  Tabes  einfach  als  durch  Excesse  in  venere  ent- 
standen anzusehen;  eine  eigenthfimliche  Logik!  —  Bei  Leyden^) 


1)  Malad,  du  syst  nerv.  I.   t878. 

2)  LeQODB  BOT  les  malad,  du  syst  nerv.   1878. 

3)  Die  Bewegungsataxie.   1863. 

4)  Ueber  die  Aetiologie  der  Tabes  dorsalis.    Dissert.  Berlin  1867. 

5)  Zur  Lehre  von  der  Tabes  dorsalis.    1867. 

6)  Klinik  der  Bückenmarkskrankheiten.  IL 


Tabes  donalis.  43 

iBt  die  ganze  Frage  mit  der  Bemerkung  abgethan :  „  Syphilis  ist  wohl 
angegeben,  aber  nicht  genOgend  begründet ^  und  Eul en bürg  ^)  gibt 
in  seinem  jflngst  erschienenen  Lehrbuch  an,  dass  unter  149  Fällen 
eigner  Beobachtung  ein  einziger  ( ! )  gewesen  sei,  in  welchem  die  con- 
stitutionelle  Syphilis  als  Ursache  wahrscheinlich  gewesen  sei; 
sonst  erwähnt  er  die  Syphilis  gar  nicht.  Auch  in  der  Klinik  der 
Nervenkrankheiten  von  M.  Rosenthal  (2.  Aufl.  1875)  und  in  dem 
Aufsätze  von  Wunderlich  »Ober  die  Syphilis  des  centralen  Nerven- 
systems *  (in  V  ol  k  m  an  n 's  Sammlung  klinischer  Vorträge)  ist  von  einer 
.syphilitischen''  Tabes  keine  Rede.  In  seiner  Arbeit  über  die  Syphi- 
lis des  Nervensystems  beschränkt  sich  Heu bn er  2)  einerseits  auf  die 
Bemerkung,  dass  beweisende  Fälle  von  syphilitischer  Degeneration  der 
Hinterstränge  nicht  bekannt  seien,  andererseits  gibt  er  an,  dass  im  Ge- 
folge von  primär  syphilitischen  Herden  im  Rückenmark  durch  secun- 
dftre  Degeneration  der  Hinterstränge  verschiedene  Erscheinungen  der 
Tabes  zurückbleiben  könnten.  Ich  selbst  habe  in  meinem  Hand- 
buch 3)  unter  Referirung  der  oben  mitgetheilten  Angaben  die  grosse 
Wichtigkeit  der  Frage  ausdrücklich  betont. 

lieber  die  Ansichten  der  englischen  Autoren  habe  ich  mich  im 
Augenblick  nicht  genügend  informiren  können.  Hammond^)  er- 
wähnt die  Syphilis  unter  den  Ursachen  der  Tabes  als  ^  wahrschein- 
lich in  V^o  der  Fälle",  Althaus ^)  in  seiner  neuesten  Publication 
gar  nicht.  Hutchinson  (1.  c.)  dagegen  spricht  wiederholt  von 
9 syphilitischer  Ataxie*. 

Niemand  wird  leugnen  wollen,  dass  die  Frage  von  dem  ätiolo- 
gischen Zusammenhang  der  Tabes  mit  voraufgegangener  Syphilis  von 
einschneidender  Bedeutung  ist  und  dass  es  bei  der  vorhandenen 
Divergenz  der  Meinungen  dringend  geboten  erscheint,  die  Frage  zur 
Discttssion  zu  stellen  und  einer  ernsthaften  Untersuchung  zu  unter- 
ziehen. Nur  als  eine  Anregung  dazu  möchten  die  nachfolgtoden 
Bemerkungen  betrachtet  sein! 

Meine  eignen  Beobachtungen  enthalten  33  mal  ®)  Angaben  über 

1)  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten.  2.  Aufl.    1878. 

2)  V.  Ziemsaen's  Handbuch.  Bd.  XI.  1.   2.  Aufl.  1878. 
ä)  Ebenda.  Bd.  XI.  2.  2.  Aufl.  1878. 

4)  Diseases  of  the  nervous  System.   6.  Aufl.  1876.  p.  595. 

5)  Diseases  of  the  neryons  System.   1877. 

6)  Dazu  kamen  neuerdings  noch  13  weitere  Fälle;  nur  bei  zweien  derselben 
war  keine  Syphilis  vorhanden;  bei  9  Fällen  war  dieselbe  vorausgosangen  und  in 
2  Fällen  (Frauen)  war  eine  Infection  wahrscheinlich,  da  die  Ehemänner  syphilitisch 
waren.  Nach  Ausschluss  dieser  beiden  würden  unter  44  Fällen  27  mit  voraus- 
gegangener Syphilis  sein. 


44  I.  Erb 

früher  Vorhandene  Syphilis,  darunter  wird  15  mal  das  Vorhandensein 
derselben  verneint,  dagegen  18 mal  zugegeben;  darunter  sind  aller- 
dings 4  Fälle,  in  welchen  die  Kranken  angaben,  vor  vielen  Jahren 
einen  Schanker  (ob  wirklich  einen  „ harten^  Schanker,  war  nicht 
immer  sicher  zu  ermitteln)  gehabt  zu  haben,  dass  sie  aber  später 
von  secundären  Symptomen  verschont  geblieben  seien. 

Es  wäre  das  also  mehr  als  die  Hälfte  aller  Tabeskranken :  eine 
Zahl,  die  —  wenn  sie  auch  immerhin  noch  hinter  den  Angaben 
anderer  Beobachter  zurückbleibt  —  doch  im  höchsten  Grade  zu  be- 
achten ist.  Es  ist  wohl  nicht  anzunehmen,  dass  unter  den  Männern 
mehr  als  die  Hälfte  überhaupt  syphilitisch  ist,  es  muss  also  wohl 
eine  gewisse  causale  Beziehung  zwischen  der  Syphilis  und  der  nach- 
folgenden Tabes  angenommen  werden.  Es  ist  bisher  noch  Niemand 
eingefallen,  diesem  Zusammenhange  auf  anatomischem  Wege  nachzu- 
gehen und  wir  sind  auf  blosse  Vermuthungen  über  die  Art  und  Weise 
dieses  Zusammenhangs  beschränkt.  Ob  die  Syphilis  nur  zur  Tabes 
prädisponirt,  oder  ob  die  Hinterstrangsklerose  wirklich  eine  Loeali- 
sation  der  Syphilis,  ob  sie  in  gewissen  Fällen  eine  spedfisch  luetische 
Erkrankung  ist,  wer  vermag  das  jetzt  mit  Bestimmtheit  zu  sagen? 

Für  jetzt  halte  ich  es  für  eine  sehr  dringende  Aufgabe,  diesem 
Zusammenhang  zunächst  auf  klinischem  Wege  etwas  sorgfältiger  nach- 
zugehen, alle  möglichen  Details  zu  erforschen,  um  etwas  mehr  Klar- 
heit in  diese  überaus  wichtige  Sache  zu  bringen.  Denn,  wenn  auch 
auf  der  einen  Seite  sich  ein  ganz  erschreckender  Einblick  in  die 
destruirende  Thätigkeit  dieser  Seuche  eröffnet,  gegen  deren  weitere 
Ausbreitung  noch  immer  unverantwortlich  wenig  geschieht,  so  würde 
doch  auf  der  andern  Seite  der  bestimmte  Nachweis  des  syphilitischen 
Ursprungs  der  Tabes  einer  grossen  Zahl  von  Kranken  —  vielleicht 
mehr  als  der  Hälfte  der  Tabeskranken!  —  eine  neue  und  grosse 
Chance  der  Bettung  vor  dieser  trübseligen  Krankheit  bieten.  Denn 
man  dürfte  doch  wohl  hoffen,  durch  eine  energische  antisyphilitische 
Behandlung  der  früheren  Stadien  —  und  diese  sind  ja  jetzt,  wie  wir 
oben  gesehen  haben,  der  Diagnose  recht  wohl  zugänglich  —  das 
Weiterschreiten  der  Krankheit  zu  verhüten  und  dieselbe  vielleicht 
in  einzelnen  Fällen  ganz  zur  Heilung  zu  bringen.  Und  das  wäre 
angesichts  der  sehr  spärlichen  Erfolge  unserer  jetzigen  Tabesbehand- 
lung doch  schon  ein  recht  erheblicher  Gewinn. 

Leider  muss  ich  gestehen,  dass  ieh  erst  bei  der  Bearbeitung  des 
Gegenstandes  sehe,  wie  dürftig  die  Ergebnisse  meiner  eignen  Beob- 
achtungen bis  jetzt  sind;  was  ich  aus  denselben  entnehmen  kann, 
ist  etwa  Folgendes: 


Tabes  dorsalis.  45 

lieber  die  Zeit  des  Auftretens  der  ersten  tabischen  Symptome 
nach  stattgehabter  Infection  habe  ich  Notizen  in  17  Fällen,  in  wel- 
chen sich  die  betreffenden  Angaben  zwischen  2  und  14  Jahren  be- 
wegen: 5 mal  innerhalb  2—5  Jahren,  8 mal  zwischen  6 — 10  Jahren 
und  4mal  von  11 — 14  Jahren.  Jedenfalls  Tergeht  also  in  weitaus 
den  meisten  Fällen  eine  längere  Reihe  von  Jahren,  ehe  die  ersten 
Erscheinungen  der  Tabes  auf  die  Syphilis  folgen;  und  nicht  selten 
dauert  es  dann  noch  eine  weitere  Reihe  von  Jahren,  bis  sich  die 
Krankheit  in  deutlicherer  Weise  manifestirt 

lieber  die  Intensität,  Dauer,  Recidive  der  vorausgegangenen  syphi- 
litischen Affectionen  ist  meist  sehr  wenig  zu  ermitteln;  in  der  Mehr- 
zahl meiner  Fälle  waren  nur  spärliche,  nicht  selten  angeblich  gar 
keine  secundären  Symptome  vorhanden  gewesen ;  bei  den  Kindern 
meiner  Kranken  (es  sind  7  Fälle  notirt)  scheint  hereditäre  Lues  nicht 
vorgekommen  zu  sein;  nur  in  ganz  einzelnen  Fällen  waren  Recidive 
der  Syphilis  vorgekommen.  Im  Ganzen  also  scheint  es  sich  eher  um 
leichte  Infectionen  gehandelt  zu  haben,  resp.  um  eine  mehr  oder 
weniger  gründliche  Beseitigung  derselben  durch  die  Therapie. 

Von  noch  bestehenden  Zeichen  der  Syphilis  war  in  der  Regel 
gar  nichts  zu  entdecken.  In  einzelnen  Fällen  waren  wohl  Schanker- 
narben, mehrmals  pigmentirte  Hautnarben  an  den  Unterschenkeln, 
kldne  Drüsenschwellungen,  in  zwei  Fällen  verdächtige  Rhagaden  an 
der  Zunge  nachzuweisen,  sonst  aber  war  das  Suchen  nach  decidirten 
secundären  oder  tertiären  Symptomen  der  Syphilis  immer  erfolglos. 

Von  besonderem  Interesse  wäre  es  natürlich  gewesen  zu  ermitteln, 
ob  die  Tabes  bei  Syphilitischen  sich  durch  besondere  Symptome,  oder 
eine  besondere  Oruppirung  oder  Aufeinanderfolge  der  Symptome, 
durch  überwiegende  Häufigkeit  einzelner  Erscheinungen  u.  dgl.  aus- 
zeichne. Das  scheint  entschieden  nicht  der  Fall  zu  sein.  Ich  habe 
ein  Dutzend  „  syphilitischer  "  Fälle  und  ein  Dutzend  nichtsyphilitischer 
Fälle  von  Tabes  tabellarisch  zusammengestellt  und  in  der  procenti- 
Bchen  Häufigkeit  der  einzelnen  Symptome  beider  Reihen  keinen  be- 
merkenswerthen  Unterschied  finden  können.  Doch  ist  allerdings  die 
Zahl  dieser  Beobachtungen  für  diesen  Zweck  noch  viel  zu  klein. 
Jedenfalls  aber  gibt  es  kein  der  „syphilitischen"  Tabes  ausschliesslich 
eigenthfimliches  Symptom,  so  wenig  wie  es  ein  solches  für  die  ander- 
weitig verursachte  Tabes  gibt. 

Auch  von  therapeutischen  Erfolgen  habe  ich  bis  jetzt  wenig  zu 
berichten,  da  meine  Versuche  mit  antiluetischer  Behandlung  erst 
neueren  Datums  sind.  Aus  früherer  Zeit  ist  mir  ein  ziemlich  schwerer 
Fall  bekannt,   der  allen  gewöhnlichen  Hülfsmitteln  (Galvanisiren, 


46  L  £rb 

EjdtwasBerkuTy  Nauheim,  Arg.  nitr.)  trotzte  und  durch  eine  Schmier- 
kur  zum  Stillatand  gebracht  wurde,  so  dass  der  Mann  jetzt  seit  Jahren 
wieder  seinem  Geschäft  nachgeht.  In  Fall  46.  ist  die  Schmierkur 
in  Aachen  von  bestem  Erfolg  gewesen ;  Aehnliches  habe  ich  in  Fall  9 
erlebt  In  den  Fällen  7  und  23  scheint  eine  früher  gebrauchte  Bg* 
Kur  ohne  Erfolg  gewesen  zu  sein,  lieber  weitere,  jetzt  noch  in  Be- 
handlung stehende  Fälle  kann  ich  erst  später  berichten. 

Wie  man  sieht,  sind  die  Ergebnisse  dieser ,  EnquSte "  bis  jetzt  noch 
sehr  dürftig ;  aber  auch  bei  dem  heutigen  mangelhaften  Stand  unserer 
Kenntnisse  ergibt  sich  wohl  schon  die  Nothwendigkeit,  aufs  Ernsteste 
zu  erwägen,  welche  Maassregeln  zu  ergreifen  seien,  wenn  sich  her- 
ausstellt, dass  bei  einem  Tabischen  Syphilis  vorausgegangen  ist,  auch 
wenn  ein  directer  Zusammenhang  sich  nicht  positiv  nachwräien  lässt 
Diese  Erwägungen  sind  angesichts  der  eingreifenden  antiluetischen 
Kuren,  welche  erforderlich,  angesichts  der  Rücksichten  die  zu  nehmen, 
der  äusseren  Verhältnisse,  die  häufig  zu  überwinden  sind,  ausser- 
ordentlich schwierig. 

Folgende  Sätze  dürften  dabei  Berücksichtigung  finden: 

Die  Tabes  ist  eine  in  den  meisten  Fällen  unheilbare  Krankheit ; 
selbst  ihr  Fortschreiten  können  wir  mit  unseren  gewöhnlichen  Hülfs- 
mitteln  nicht  mit  Sicherheit  aufhalten ;  ihre  Prognose  ist  also  in  der 
Begel  eine  sehr  traurige. 

Die  Syphilis  ist  einer  energischen  Behandlung  sehr  wohl  zugäng- 
lich und  selbst  ihre  späteren  und  schwereren  Localisationen,  besonders 
auch  im  centralen  Nervensystem  können  in  vielen  Fällen  geheilt 
werden. 

Eine  vorsichtig  und  sorgfältig  geleitete,  wenn  auch  energische 
antiluetische  Behandlung  pflegt  im  Organismus  keinen  bleibenden 
Schaden  zu  hinterlassen. 

Ob  eine  solche  Behandlung,  bei  der  nöthigen  Vorsicht,  eine 
Verschlimmerung  einer  nicht  syphilitischen  oder  syphilitischen 
Tabes  herbeiführen  kann,  wäre  erst  noch  nachzuweisen. 

Sollte  die  Tabes  auch  nicht  direct  specifischer  Natur  sein,  so 
würde  doch  unzweifelhaft  die  Syphilis  als  prädisponirendes  Moment 
in  vielen  Fällen  anzuerkennen  sein;  und  es  ist  gewiss  anzunehmen 
dass  mit  der  Beseitigung  dieses  prädisponirenden  Momentes  sich 
wenigstens  die  Bedingungen  für  das  Fortschreiten  der  Krankheit, 
für  die  Entstehuug  von  Nachschüben,  entfernen  liessen. 

Aus  diesen  Erwägungen  scheint  mir  doch  unzweifelhaft  der  all- 
gemeine, von  Fournier  ausgesprochene  Satz  hervorzugehen,  dass 
überall  da,  wo  sich  in  der  Vorgeschichte  der  Tabes  Sy- 


Tabes  donalis.  47 

philis.  nachweisen  lässt,  eine  energische  antisyphili- 
tische Behandlung  zu  versuchen  ist,  und  zwar  je  früher 
desto  besser.  Freilich  ist  dabei  auf  die  Individualität  des  Kranken, 
auf  die  flbrigen  ätiologischen  Momente,  auf  Dauer  und  Verlauf  der 
Krankheit,  auf  vorausgegangene  Euren,  auf  die  äussern  Verhältnisse 
XL  s.  w.  gebührende  Bficksicht  zu  nehmen. 

Besonders  dringend  indicirt  erscheint  mir  ein  solches  Vorgehen 
in  den  Fällen,  wo  ein  rascher,  pemiciöser  Verlauf  der  Krankheit  zu 
erkennen  ist,  besonders  da,  wo  die  Weiterentwicklung  einzelner  Er- 
scheinungen eine  schwere  Schädigung  des  Kranken  herbeizuführen 
droht,  so  z.  B.  bei  beginnender  und  fortschreitender  Sehnerven- 
atrophie. Ich  denke,  dass  man  —  um  der  sonst  fast  unvermeidlichen 
Gefahr  des  völligen  Erblindens  vorzubeugen  —  noch  weit  energischere 
Mittel,  als  eine  Schmier-  oder  Jodkaliumkur  anwenden  durfte  und 
daas  man  zu  dieser  jedenfalls  die  Zustimmung  der  Kranken  leicht 
erh&ngen  wird. 

üeber  die  Methoden  der  antiluetischen  Behandlung  in  solchen 
F&Uen  mich  weiter  auszulassen,  kann  nicht  meine  Absieht  sein. 
Am  meisten  dürfte  sich  eine  energische  und  con^equente  Schmierkur 
empfehlen  (4—5  Gramm  täglich,  Bäder,  Aachen  etc.);  daneben  oder 
darnach  ein  Versuch  mit  Jodkalium,  aber  in  hinreichend  grossen 
Gaben,  so  weit,  sie  ertragen  werden.  —  Besondere  Umstände  werden 
wohl  auch  gelegentlich  die  innere  Anwendung  des  Quecksilbers  for- 
dern können. 

Unter  allen  Umständen  aber  scheint  es  mir  dringend  geboten, 
dieser  Frage  allseitig  eine  grössere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden 
und  sie  durch  sorgfältige  klinische  Beobachtungen  und  ausgedehnte 
therapeutische  Versuche  ihrer  baldigen  Lösung  entgegenzuftthren. 

Zum  Schluss  will  ich  noch  einige  Fälle  kurz  mittheilen,  welche 
die  im  Ganzen  sehr  seltenen  Gomplicationen  mit  Lähmung 
oder  Atrophie  darbieten. 

Der  eilte  von  diesen  Fällen  (Nr.  55)  bietet  mehrseitiges  Interesse, 
einmal  durch  das  ätiologische  Moment,  indem  wahrscheinlich  Diph- 
theritis  vorausging,  dann  durch  die  ausserordentliche  Raschheit  der 
Entwicklung  des  vollen  Krankheitsbildes,  und  noch  mehr  durch  die 
rasche  Heilung^  so  dass  wir  diesem  Fall  eine  ganz  exceptionelle 
Stellung  anweisen  mttssra. 

58.     4.  Juli  1878.     Lehrer,  45  Jahr  alt. 
Dauer:  Mehrere  Jahre. 
Äetiologie :  Unbekannt.  —  Nie  Syphilis.  —  Am  linken  Unterschenkel 


48  I.  Ebb 

hochgradige  Atrophie  und  Verkürzung,  mit  Klumpfuss,  auB  der  frflhesten 
Kindheit  stammend  (spinale  Kinderlähmung?). 

Initialerscheinungen:  Blasen-  und  Mastdarmschwäche.  —  Selten  lan- 
cinirende  Schmerzen.  —  Schwäche  und  Unsicherheit  der  Beine.  —  Par- 
ästhesien,  Gttrtelgeftthl.  —  Flüchtiges  Doppelsehen. 

Status:  Deutliche  Ataxicim  Gehen  und  Liegen;  dabei  hochgra- 
dige Parese  der  Beine,  besonders  des  rechten  (seither  ganz  gesunden), 
des  linken  in  geringerem  Grade.  Hautsensibilität  abgestumpft; 
deutliche  Analgesie  und  Verlangsamung  der  Schmerzleitung. 

—  Abnahme   des  Muskelgefühls;   Schwanken   beim  Augenschlnss. 

—  Hautreflexe  sehr  lebhaft,  besonders  die  Plantarreflexe.  Sehnenre- 
flexe fehlen;  mechanische  Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  — 
Blasenschwäche.  —  Ausgesprochne  spinale  Myosis;  sonst  keine 
Augenmuskelstörung.  Keine  Sehnerv^natrophie.  —  Psyche,  Hirnnerven, 
Arme,  Wirbelsäule  ganz  normal.  —  Im  weiteren  Verlauf  anfangs  deutliche 
Besserung,  später  wieder  Verschlimmerung,  so  dass  Mitte  November  v  o  1 1- 
ständige  Paralyse  beider  Beine  constatirt  wurde^  mit  hochgradiger 
Abmagerung  derselben  (aber  keine  degenerative  Atrophie).  Im  Uebrigen 
Alles  unverändert. 

Es  wäre  gewiss  im  höchsten  Grade  interessant,  das  Rückenmark 
in  diesem  Falle  zu  untersuchen,  wo  sich  zu  dem  von  Jugend  auf 
bestehenden  Spinalleiden  später  der  Tabesprocess  hinzugesellt  und 
sich  überdies  mit  der  ganz  ungewöhnlichen  Erscheinung  motorischer 
Paralyse  complicirt  Dass  es  sich  hier  nicht  um  die  locale  Ausbrei- 
tung eines  Erkrankungsherds  im  Lendentheil  handelt,  geht  wohl 
daraus  hervor,  dass  die  Augenmuskeln  (Doppelsehen,  spinale  Myosis) 
an  der  Affection  Theil  nehmen;  es  handelt  sich  gewiss  um  den  ge- 
wöhnlichen Tabesprocess,  aber  complicirt  mit  motorischen  Störungen. 
Das  Gleiche  ist  wohl  im  folgenden  Fall  anzunehmen. 

54.  31.  October  1877.     Frau  von  38  Jahren. 

Dauer:  3 — 4  Jahre. 

Aetiologie:  Unbekannt 

Initialerscheinungen:  Lancinirende  Schmerzen.  Seit  IV2  Jahr: 
Müdigkeit  und  Schwere  der  Beine;  später  rasch  zunehmende 
Schwäche  und  Parese  derselben.  Anästhesie  der  Beine,  ohne 
Blasenschwäche.  —  Vor  2  Monaten  durch  Ueberanstrengung  bedeutende 
Verschlimmerung:  hochgradige  Schwäche,  Pelzigsein,  Gttrtelgeftthl,  Blasen- 
schwäche; Anfälle  von  Dyspnoe,  Kopfschmerz  und  Schwindel, 
vorflbergehende  Erschwerung  der  Sprache. 

Status:  Hochgradige  Ataxie  der  Beine,  so  dass  selbst  Stehen 
nur  mit  Unterstützung  möglich  ist.  —  Dazu  ausgesprochene  Parese 
der  Beine,  die  nur  mit  Anstrengung  von  der  Unterlage  erhoben  werden. 
Ausgesprochene  Anästhesie  fttr  Tasteindrttcke;  dagegen  Hyper- 
ästhesie und  Verlangsamung  der  Leitung  fttr  Schmerzein- 
drttcke  (um  2—3  Secunden!  sehr  lange  Nachdauer  der  Empfindung).  — 
Muskelsensibilität  hochgradig  herabgesetzt.    Sehnenreflexe 


Tabes  doraalia.  49 

fehleo;  keine  Spur  von  MoakelBiMuinniigeD.  —  Btwas  Biaseiischwäche. 
->  Anne  frei;  Fingerspiteen  maDchmal  etwas  pelzig.  Kopf  und  Hirn- 
oer?en  und  Wirbelsäule  normal. 

Alle  wesentlichen  Symptome  der  Tabes  sind  hier  Torhanden; 
aber  die  weiterhin  nachweisbaren  Störungen  (Parese,  Kopfschmerz 
und  Schwindel,  Sprachstörung)  lassen  es  doch  zweifelhaft  erscheineui 
ob  es  sich  hier  nur  um  eine  gewöhnliche  Tabes  mit  Complicationen, 
oder  nicht  vielmehr  um  eine  beginnende  multiple  Sklerose  handelt; 
das  letztere  ist  mir  fast  wahrscheinlicher.  Es  ist  gut,  in  solchen 
Fällen  mit  der  Diagnose  etwas  vorsichtig  zu  sein. 

&&•     4.  MSrz  1878.     Bauer,  22  Jahre  alt. 

*  Dauer',  V4  Jshr. 

Aetiologie:  Patient  machte  Mitte  Dezember  1877  eine  acute  An- 
gina durch,  von  der  leider  nicht  festgestellt  werden  konnte,  ob  sie  eine 
diphtheritiache  war.  —  Ende  Dezember  will  er  sich  bei  anstrengender  Eis* 
arbeit  stark  erkältet  haben. 

Iniiiaierscheimmgen:  Mitte  Januar  1878  alimAhllch  zunehmende 
Schwache  und  Müdigkeit  der  Beine,  Parästhesien  in  Beinen 
üod  Händen.  —  Keine  Schmerzen.  —  Keine  cephaliscben  Symptome. 

Status:  Deutliche  Ataxie  der  Beine;  grobe  Kraft  gut;  keine 
Atrophie,  keine  Mnskelspannungen.  Dagegen  besteht  deutlicheParese 
beider  Arme;  Händedruck  und  alle  Armbewegungen  sehr  schwach.  — 
Schwanken  beim  Augenschluss.  —  Sensibilität  fast  normal;  leichte 
Analgesie.  Hautrefleze  erhalten;  Sefanenrefleze  fehlen;  mecha- 
nische Erregbarkeit  des  Quadriceps  erhalten.  —  Keine  Biasenstörung.  — 
Keine  Ganmensegellähmung.  Augen?  Wirbelsäule  normal.  Der  behandelnde 
Arzt^  Herr  Dr.  Hilden  st  ab,  hatte  die  Güte,  mir  am  5.  November  1878 
folgende  weitere  Notizen  über  den  Fall  zukommen  zu  lassen:  Nach  12  gal- 
Tanischen  Sitzungen  trat  ziemlich  rasch  eine  entschiedene  Wendung  zum 
Bessern  ein:  Patient  konnte  mit  grosserer  Sicherheit  gehen  und  mit  ge- 
schlossenen Augen  stehen.  Der  weitere  Verlauf  war  so  gttnstig,  dass  Pa- 
tient  gegen  Mitte  Juni  als  geheilt  aus  der  Behandlung  entlassen  werden 
konnte.    Seitdem  geht  er*ungestört  seinen  Geschäften  nach. 

Dass  e&  sieh  hier  nicht  um  eine  gewöhnliche  Tabes  von  chronischem 
Verlauf  handelt,  ist  klar;  immerhin  aber  enthält  das  rasch  zur  rollen 
Entwicklung  gelangte  Krankheitsbild  einen  g^rossen  Theil  der  wesent- 
lichsten tabischen  Symptome  (Ataxie,  Parästhesien,  Fehlen  der  Sehnen- 
reflexe, leichte  Analgesie),  so  dass  meines  Eraehtens  an  einer  ganz 
analogen  Looalisation  der  im  Uebrigen  gewiss  anders  gearteten 
anatomiachen  Läsion  nicht  gezweifelt  werden  kann.  Die  grosse  Ana. 
logie  mit  dem  von  Rumpf  ^J  beschriebenen  Falle  von  Ataxie  nach 
Diphtheritis  in  Bezug  auf  Symptome  und  Verlauf  lässt  es  mir  in 


1)  Ataxie  nach  Diphtheritis.   Dieses  Archiv.  Bd.  XX.  S.  120«  1S77. 

DmtachM  ArehXw  t  }flin.  Medlein.    XXIV.  Bd.  4 


60  I«  Erb 

bohem  Grade  wahracfaeinlioh  encbeineDy  daas  es  sich  anch  hier  am 
*—  Tielleicht  richtiger  gesagt:  —  Tabes  nach  Diphtheritis  handelt; 
leider  ist  der  diphtheritisehe  Charakter  der  vorausgegangenen  Angina 
nicht  festgestellt  worden.  —  Den  Fall  za  der  von  Leyden  aufge- 
stellten i),  an  sich  sehr  unklaren  Gruppe  der  „acuten  Ataxie"  zu 
stelleui  kann  ich  mich  auch  nicht  entschliessen.  Ich  nehme  an,  dass 
es  sich  hier  um  eine  geringfügige ,  baldiger  Ausgleichung  fähige 
Störung  in  jenen  Abschnitten  des  Bflckenmarks  handelti  welche  bei 
der  typischen  Tabes  in  mehr  chronischer  und  viel  schwererer  Weise 
erkranken:  also,  wenn  man  will,  um  eine  Tabes  von  subaouteiOy 
gttnstigem  Verlauf.  Jedenfalls  schien  mir  der  Fall  —  so  fragmen- 
tarisch er  auch  ist  —  werth,  registrirt  zu  werden. 

66.     26.  April  1878.     Kaufmann^  44  Jahre  alt. 

Dauer:  6  Jahre. 

Aeiioiogie:  Nie  Syphilis.  —  Oefteres  Wechselfieber.  Schwache  Con- 
stitution. 

Initialerscheinunffen:  Seit  6  Jahren  reissende,  lancinirende 
Schmerzen  am  Rnmpf,  besonders  in  der  linken  Brostgegend;  seit  4  Jahren 
ähnliche  Schmerzen  in  den  Beinen.  —  (1866  Lähmnng  des  rechten  Abda- 
eens,  die  nicht  geheilt  wurde).  Seit  1872  Abnahme  der  Sehkraft. 
1876  zunehmende  Unsicherheit  und  Schwäche  der  Beine.  Keine 
Parästhesien  darin.  1877  Schwäche  und  Abmagerung  der  Arme 
und  Hände.  Blasenschwäche  und  Impotenz  seit  t  Jahr.  —  Stnhl- 
verstopfnng.  —  Oflrtelgeffihlin  der  Höhe  des  Epigastrioms.  —  An- 
geblich auch  Abnahme  des  Gedächtnisses  und   der  Intelligenz. 

Status:  Deutliche  nnd  ausgesprochene  Ataxie;  Gang  sehr  mflh- 
sam  und  erschwert,  aber  ansgesprochen  atactisch;  auch  im  Liegen  hoch- 
gradige Ataxie;  etwas  motorische  Schwäche  der  Beine.  —  Stehen 
unsicher  nnd  nur  mit  Unterstfltznng;  beim  Schliessen  der  Angen  nur  ge- 
ringe Znnahme  des  Schwankens.  —  Hautsensibilität  normal;  keine 
Analgesie  und  keine  Verlangsamnng  der  Schmerzleitnng.  —  Auch  das  Mns- 
kelgefShl  normal.  —  Plantarreflex  sehr  lebhaft;  Cremaster-  und  Abdominal- 
reflex schwach.  —  Sehnenreflexe  fehlen;  mechanische  Erregbarkeit 
des  Qoadriceps  erhalten.  —  Keine  Atrophie  an  den  Beinen.  —  Beide 
Hände  sehr  ungeschickt  nnd  schwach,  bieten  ganz  das  BiU 
wie  bei  der  progressiven  Muskelatrophie.  Alle  Interossei,  Thenar 
nnd  Hypothenar  paretisch  nnd  atrophisch;  ansgesprochne  Krallenstellang. 
Parese  und  massige  Atrophie  der  Beuger  am  Vorderarm  und  Oberarm, 
weniger  der  Strecker;  alles  auf  der  linken  Seite  stärker  ausgesprochen, 
als  rechts.  Schulter-  und  Rttckenmnskeln  normal.  —  Keine  fibrillären 
Zuckungen.  —  Elektrische  Erregbarkeit  dabei  ganz  normal,  wenigstens 
qualitativ;  in  den  Interosseis,  im  Thenar  und  Hypothenar  keine  Entar- 
tungsreaction.  —  In  beiden  Augen  Atrophia  nervi  optici;  linkes  Auge 
nahezu  amaurotisch ;  rechts  Herabsetzung  der  SehschärfCi  Störung  des  Far- 


])  Leyden,  Klinik  der  Rackenmarkskrankheiten.  U.  8.203.   1675. 


Tabes  donalis.  Sl 

beDsinns,  fiioengODg  det  Oesiehtsfelds.  — -  Zunge,  Spraehe,  Kanen,  Schlacken 
Qod  Wirbelalnie  normal.  —  Die  Krankheit  seigte  langsam  progressiven 
Verlauf. 

Aaeh  in  diesem  Fall  hat  die  Stellung  einer  genauen  anatomi- 
schen Diagnose  ihre^  Schwierigkeiten.  Zu  dem  typischen  Krankheits- 
bilde der  Tabes  gesellt  sich  hier  eine  progressive  Atrophie  an  den 
Muskeln  der  obem  Extremitäten,  an  welchen  sich  aber  elektrisch 
keine  Zeiehen  von  Degeneration  nachweisen  Hessen  (bei  wiederholter 
genauer  Untersuchung).  Sollen  wir  hier  eine  einfache  Complication 
der  Hinterstrangsklerose  mit  Degeneration  der  grauen  Vordersäulen 
annehmeni  wie  sie  mehrfach  anatomisch  constatirt  wurde,  oder  han- 
delt es  sich  hier  Tielleicht  auch  um  multiple  Sklerose?  Wir  mflssen. 
es  unentschieden  lassen. 

Jedenfalls  sind  aber  so  hochgradige  paretische  und  atrophische 
Störungen y  wie  sie  in  den  4  letzten  Beobachtungen  vorliegen,  sei* 
tene  Ausnahmen  bei  der  Tabes;  und  wenn  diese  4  Fälle  Aber- 
haupt  zur  typischen  Tabes  gerechnet  werden  dürfen,  so  mflssen  die 
dabei  vorhandenen  Paralysen  und  Atrophien  auf  alle  Fälle  als  Com- 
plieationen  betrachtet  werden,  die  nur  hier  und  da  einmal  zur  Beob* 
aehtung  kommen.  So  weit  meine  Erfahrung  reicht,  gehören  Para* 
lysen  und  Atrophien  nicht  zum  dassischen,  typischen  Krankheits- 
bitd  der  Tabes,  wenigstens  in  ihren  Anfangsstadien ;  das  geht,  denke 
ieh,  zur'Gentlge  aus  den  oben  mitgetheilten  Beobachtungen  1 — 44 
hervor. 

Heidelberg,  Ende  Dezember  1878. 


Nachtrag:  Nachdem  vorstehende  Arbeit  bereits  einige  Wochen 
zam  Druck  eingesendet  war,  sind  noch  einige  den  hier  behandel- 
ten Gegenstand  betreffende  Arbeiten  erschienen,  resp.  zu  meiner 
Kenntniss  gekommen,  auf  die  nachträglich  hinzuweisen  ich  nicht 
unterlassen  will.  Ich  habe  die  Genugthuung,  zu  constatiren,  dass  die 
in  diesen  Arbeiten  niedergelegten  Erfahrungen  und  Ansichten  in  fast 
allen  wesentlichen  Punkten  mit  den  Ergebnissen  meiner  eignen  Beob- 
achtangen  sich  im  Einklang  befinden,  so  dass  diese  dadurch  einen 
erhöhten  Grad  von  Sicherheit  und  praktischer  Verwerthbarkeit  er- 
langen. 

Jene  Arbeiten  sind: 

E.  C.  Seguin,  The  diagnosis  of  progressive  locomotor  ataxia.  Ame- 
ric.  clioical  lectures  Vol.  III.  No.  XII.     New-Tork  1878.  —  A.  Erlen- 

4* 


52  I.  Erb,  Tabes  dorsalia. 

meyer,  lieber  Tabes  dorsalis  iDcipiens.  Corresp.-Bl.  f.  schweizer.  Aente. 
Jahrg.  IX.  1879.  —  Berger,  Ueber  Sehnenreflexe.  Gentralbl.  f.  Nerreo- 
heiik.,  Psychiatr.  etc.  1879.  No.  4  (15.  Febr.)  nnd  endlich  M.  Busch, 
Ein  Fall  von  Tabes  dorsalis;  Schwinden  der  Sehnenreflexe  nach  mehrjäh- 
riger Dauer  der  Krankheit.    Petersb.  med.  Wochenschr.  1878.  No.  46. 

In  der  Arbeit  von  Seguin  hat  das  Fehlen  der  Sehnenreflexe, 
dieses  gerade  im  Initialstadium  constanteste  aller  Symptome,  noch 
nicht  die  gebührende  Würdigung  und  Verwerthang  gefunden.  Segain 
führt  dasselbe  unter  den  nach  ihrer  H&ufigkeit  und  Wichtigkeit  ge- 
ordneten Symptomen  des  ersten  Stadiums  erst  an  elfter  Stelle  an! 

Erlenmeyer  bat  eine  sehr  gute  Darstellung  der  Erscheinongen 
.des  Initialstadiums  der  Tabes  gegeben;  doch  haben  darin  die  objec- 
tiv  nachweisbaren  Störungen  der  Sensibilität,  speciell  die  frühzeitig 
auftretende  Analgesie  keine  Berücksichtigung  gefunden;  auch  die 
spinale  Myosis  und  noch  mehr  die  reflectorische  Pupillenstarre  sind 
in  ihrer  doch  unzweifelhaft  erheblichen  Bedeutung  nicht  genügend 
hervorgehoben;  und  endlich  dürfte  es  dem  Verf.  schwer  werden  zu 
beweisen,  dass  das  Erlöschen  der  Patellarsehnenreflexe  wahrschein- 
lich schon  vor  dem  Eintritt  der  blitzartigen  Schmerzen  vorhanden  seL 
Als  Regel  kann  dies  jedenfalls  nicht  gelten  und  wird  wohl  nur  für 
jene  Fülle  zutreffen,  in  welchen  die  lancinirenden  Schmerzen  im  Ini- 
tialstadium gftnzlich  fehlen  oder  doch  sehr  in  den  Hintergrund  treten. 

Aus  der  Arbeit  von  Berger  hebe  ich  hervor,  dass  nach  dessen 
Beobachtungen  auch  in  vorgeschrittenen  Füllen  von  Tabes  das 
Fehlen  der  Sehnenreflexe  kein  absolut  constantes  Symptom  ist;  er 
fand  unter  82  Fällen  von  typischer  Tabes  zwei,  bei  welchen  die  Pa- 
tellar-  und  Achillessehnenreflexe  vorhanden  waren,  und  weitere  vier 
Fälle,  in  welchen  dieselben  nur  einseitig  fehlten.  Sehr  beachtens- 
werth  ist  femer,  dass  bei  der  Untersuchung  einer  grossen  Anzahl 
(1409)  gesunder  Individuen  sich  ergab,  dass  bei  1,56  Proc.  derselben 
die  Patellarsehnenreflexe  völlig  fehlten.  Es  wird  dies  also  bei  der 
Beurtheilung  des  Symptoms  für  die  frühzeitige  Diagnose  der  Tabes 
inunerhin  zu  berücksichtigen  sein. 

Der  Fall  von  Busch  lehrt  nur,  dass  die  Sehnenreflexe  nicht 
immer  schon  sehr  früh  im  Verlauf  der  Tabes  verschwinden. 

Heidelberg,  Ende  März  1879. 


n. 

Ueber  den  Einfluss  antipyretischer  Mittel  aof  die  Eiweisszersetzung 

bei  Fiebernden. 

Ans  dein  med.-kliniBchen  Inatitate  zu  MfincheD. 

Von 

Job.  Bauer  und  Gluido  Künstle. 

In  der  Entwicklung  der  Fieberlehre  bezeichnet  das  Stadium  der 
Zersetzongsvorgänge  einen  neuen  Abschnitt  Zunächst  wurde  die 
Grösse  der  Hamstoflfausscheidung  bei  verschiedenen  fieberhaften  Pro- 
cessen Oegenstand  zahlreicher  Untersuchungen,  insbesondere  seit 
Liebig  durch  sein  Titrirverfahren  eine  sehr  einfache  und  bequeme 
Methode  der  Bestimmung  an  die  Hand  gegeben  hatte.  Obschon  yon 
manchen  Beobachtern  wichtige  Gautelen  ausser  Acht  gelassen  waren, 
welche  erst  später  für  nothwendig  erkannt  wurden,  so  lauteten  die 
Resultate  doch  einstimmig  dahin,  dass  im  Fieber  die  Harnstoff- 
ausscheidung  vermehrt  seL  Es  war  somit  der  Beweis  gelie- 
fert, dass  während  der  Dauer  fieberhafter  Processe  mehr  eiweissartige 
Substanz  im  Körper  zerlegt  wird,  als  unter  normalen  Verhältnissen. 
Indessen  erfuhr  die  Tragweite  dieser  Thatsache  alsbald  eine  Ein- 
schränkung, indem  man  sich  gestehen  musste,  dass  fttr  die  Erklä- 
rung der  febrilen  Temperaturerhöhung  wenig  damit  ge- 
wonnen sei,  da  ja  der  Gesunde  bei  einer  noch  grösseren  Eiweiss- 
zersetzung seine  Temperatur  normal  zu  erhalten  vermag. 

Bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Fieberfrage  kommt  die 
febrile  Steigerung  der  Eiweisszersetzung  als  Ursache  der  Tem- 
peraturerhöhung kaum  mehr  in  Betracht,  die  Bedeutung  derselben 
liegt  vielmehr  in  dem  Zusammenhange,  welcher  zwischen  dem  gestei- 
gerten Zerfall  der  eiweissartigen  Organbestandtheile  und  den  paren- 
chymatös-en  Degenerationen  angenommen  werden  darf  0.  Nun 
zeigte  sich  aber  bei  den  Versuchen  von  Litten,  dass  bei  Thieren 

1)  YergL  Liebermeister,  Pathologie  und  Therapie  des  Fiebers.  S.  319. 


54  n.  Bauer  und  Künstle 

in  Folge  von  Temperatarsteigerang,  welche  durch  Behinderung  der 
Wärmeabgabe  hervorgebracht  wurde,  hochgradige  Verfettung  der 
Organe  eintrat^).  Anderseits  wurde  von  Bartels,  Naunyn  und 
Schleich  dargethan,  dass  die  auf  solche  Weise  hervorgebrachte  Tem- 
peraturerhöhung des  Körpers  eine  Vermehrung  der  Hamstoffausschei- 
dung  bedingt,  welche  sogar  noch  einige  Zeit  andauern  kann,  nach- 
dem die  Temperatur  schon  wieder  zur  Norm  zurückgekehrt  ist'). 

Aus  diesen  Beobachtungen  geht  unzweifelhaft  hervor,  dass  die 
vermehrte  Eiweisszersetzung  im  Fieber  ebenfalls  von 
der  Erhöhung  der  Eigenwärme  des  Körpers  abhängig  sein 
muss,  wobei  jedoch  keineswegs  ausgeschlossen  ist,  dass 
im  Verlaufe  verschiedener  fieberhafter  Krankheitspro- 
cesseauch  noch  anderweitige  Momente  zur  Geltung  kom- 
men. Als  solche  sind  nach  Fränkel  Störungen  der  Respiration  und 
Girculation  zu  nennen,  femer  kann  man  sich  vorstellen,  dass  bei  den 
Infectionskrankheiten  das  inficirende  Agens  einen  ähnlichen  Einfluss 
auf  den  Eiweissbestand  der  Organe  auszuttben  vermag,  wie  gewisse 
Gifte,  so  dass  die  gesteigerte  Eiweisszersetzung,  wenn  auch  in  ver- 
ringertem Maassstabe,  auch  dann  noch  andauern  wflrde,  wenn  die 
febrile  Temperatur  inmitten  des  Krankheitsverlaufes  auf  normale  Grade 
gebracht  würde.  Zu  Gunsten  einer  derartigen  Möglichkeit  lässt  sieh 
anführen,  dass  bei  Febris  intermittens  zuweilen  eine  typische  Ver- 
mehrung der  Harnstoffausscheidung  beobachtet  wurde,  wenn  auch  die 
Fieberanfälle  selbst  schon  cessirten.  Gegen  die  Beweiskraft  der  Unter- 
suchungen von  Redtenbacher  und  Sydney  Ringer*),  aus  wel- 
chen dieser  Satz  entnommen  ist,  wurden  zwar  von  Huppert  mit 
Recht  gewisse  Bedenken  geäussert^),  indessen  konnte  Senator  in 
der  That  in  einem  Falle  einen  derartigen  Gang  der  Hamstoffausschei- 
dung  constatiren  ^). 

Unseren  bisherigen  Betrachtungen  zufolge  steht  zwar  fest,  dass 
jede  Steigerung  der  Körpertemperatur  eine  Vermehrung  der  Eiweiss- 
zersetzung bedingt,  das  vorliegende  Beobachtungpmaterial  lässt  aber 


1)  üeber  dieEinwirkong  erhöhter  Temperatur  auf  den  Oig&nlsmas.  Yirchow^s 
Archiv.  Bd.  70. 

2)  Bartels,  Path.  UntersuchuDgen.  1864.  —  Naunyn,  Berliner  klinische 
Wochenschrift.  Nr.  4.  1869  and  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  1870.  —  6.  Schleich, 
Archiv  fbr  experiment  Pathologie.  Bd.  IV. 

3)  Redtenbacher,  Zeitschr.  fbr  rat.  Medicin.  3.B.  II.  185S.  —  Sydney 
Ringer,  Tranaact  of  the  med.-chirurg.  Soc.  XLII.   1859. 

4)  Archiv  der  Heilkunde.  YU.  1866. 

5)  Untersuchungen  über  den  fieberhaften  Process.    Berlin  1873.  S.  134. 


£iiifla88  aniipyret  Bfittel  auf  die  Eiweiaiienetiuiig  bei  Fiebernden.       55 

nieht  mit  Sieherheit  entnehmeii ,  ob  die  gesteigerte  Stickatoffaus- 
seheidiuig  im  Harn  bei  fieberhaften  Proeeaaen  auaachliesalich  die 
Folge  der  erhöhten  Temperator,  oder  vieUeieht  die  Reaultirende  aus 
einer  Beihe  von  abnormen  Bedingungen  sei.  Dabei  haben  wir  einen 
scheinbar  wichtigen  Punkt  bis  jetzt  nnerörtert  gelassen,  nftmlieh  die 
Frage,  ob  zwischen  Temperatnrhöhe  und  (Grösse  der  Eiweisszer- 
Setzung  ein  nachweisbarer  Parallelismus  bestehe  oder  nicht.  Man 
sollte  nttmlich  erwarten,  dass  die  Steigerung  des  Eiweisszerfalls  mit 
der  Temperaturhöhe  gleichen  Schritt  halten  mflsste,  wenn  letztere 
ausschliesslich  den  Anstoss  hierfür  geben  würde. 

Huppert,  welcher  sich  mit  dieser^rage  eingehend  beschäftigte, 
kam  zu  dem  Schlüsse,  dass  fttr  grössere  Zeitabschnitte  allerdings  eine 
Beziehung  zwischen  Temperaturhöhe  und  Harnstoffausscheidung  un< 
Tcrkennbar  sei,  dass  aber  keineswegs  ein  durchgehender  und  regel- 
mässiger Parallelismus  bestehe.  Noch  deutlicher  geht  aus  den  Unter- 
suchungen von  Unruh  hervor,  dass  im  Verlaufe  fieberhafter  Processe 
die  Menge  der  ausgeschiedenen,  stickstoffhaltigen  Zersetzungspro- 
ducte  durchaus  nicht  immer  der  jeweiligen  Temperaturhöhe  propor- 
tional ist^). 

Obgleich  diese  Beobachtungen  durch  die  Annahme,  dass  die  Ver- 
mehrung der  Eiweisszersetzung  nicht  nur  von  der  Temperaturhöhe, 
sondern  auch  von  anderweitigen  functionellen  Störungen  und  von  der 
Natur  der  Erankheitsprocesse  selbst  abhängig  sei,  leicht  verständlich 
würden,  so  stehen  einer  derartigen  Schlussfolgerung  doch  gewichtige 
Bedenken  entgegen.  Vor  Allem  muss  man  sich  daran  erinnern,  dass 
Verschiedenheiten  in  der  Zersetzungsgrösse  auch  durch  wechselnden 
Bestand  eines  Körpers  an  Fett  und  Eiweiss  bedingt  sein  können,  so 
dass  z.  B.  ein  Individuum  bei  gleicher  Nabrungszufuhr  bei  40<^  Kör- 
pertemperatur in  der  1.  Krankheitswoche  ganz  andere  Eiweissmengen 
zersetzen  könnte  als  in  der  3.  Woche. 

Die  eben  besprochene  Erscheinung,  dass  die  Steigerung  der  Ei- 
weisszersetzung keineswegs  regelmässig  mit  der  Temperaturerhöhung 
gleichen  Sehritt  halte,  wurde  kürzlich  von  Fränkel  bei  Oelegenheit 
von  epikritischen  Bemerkungen  über  postfebrile  Hamstoffvermehrung 
ebenfalls  erörtert;  derselbe  ist  genagt,  eine  mangelhafte  Ausscheidung 
der  stickstoffhaltigen  Zersetzungsproducte  in  Folge  gestörter  secreto- 
rischer  Nierenthätigkeit  anzunehmen*). 

Wenn  die  Vermehrung  der  Eiweisszersetzung  bei  fieberhaften 


1)  Virchow*8  Archiv.  Bd.  XLVIII. 

2)  Neue  Charit6-Annalen.  Bd.  II.    Berlin  1977. 


56 


IL  Baüb  md  KOasTUB 


KiankheitsproeeMen  anasehlieBsUdi  die  Folge  der  erhöliteii  Körper- 
temperatur ist,  80  ist  a  priori  in  erwarten,  daas  mit  jeder  Temperatur* 
emiedrigimg,  auch  wenn  dieselbe  mitten  im  Krankhdtsyerianfe  auf 
kflnsflichem  W^e  hervoigebnieht  wird,  dne  Vermindenmg  der  Bam- 
stoffiMueeheidang  Hand  in  Hand  geht  Li  der  That  fand  L.  Sehröder 
in  Uebereinstimmang  mit  dieser  Voraossetzongy  dass  bei  Anwendung 
kalter  Bäder  die  Hamstoffimsseheidong  bei  fiebernden  Typhnskranken 
sehr  bedentend  herabgesetzt  werde  i). 

Sehröder  hat  bei  seiner  Unter suehung  folgrade  Resultate  er- 
halten: 

L 


AozAhl  der' 

Hanimeiige 

KSrpertempcntiir 

Datom 

Harnstoff 

BIdcr      < 

1 

Im  24  8t. 

MoTj^mfl 

AbMMll 

3.-4.  Aprü 

0 

970 

42,8 

40,0 

39,9 

4.-5.      . 

2 

1060 

31,8    ' 

40,0 

40,6 

5« — 6.      jt 

2 

1400 

1      31,6 

40,1 

40,0 

7.-8.      , 

0 

1370 

52,0 

40,0 

40,0 

o. — ".         » 

1 

730 

27,5 

39,9 

404 

9.-10.      „ 

2 

1500 

45,0 

39,8 

40,0 

10.— 11.      , 

0 

1070 

39,1 

39,6 

39,0 

11.-12.      „ 

0 

? 

33,0 

38,4 

37,9 

Mittel  der  248tündigeii  Harnstoffmeoge  ohne  Bäder:    41,7  Grm. 
„        „  „  „mit  Bftdem:    33,9     , 


IL 


Anzahl  dar 

Hammenge 

KOrpertamperatiir 

Patnm 

Hanutoff 

Bider 

in  24  St 

Morgena 

Abends 

15.— 16.  Mai 

0 

1400 

36,4 

40,0 

40,4 

16.— 17.     , 

2 

1060 

21,6 

39,2 

40,1 

17.— 18.      , 

0 

1180 

33,5 

39,2 

40,3 

19.— 20.     , 

2 

1200 

21,3 

39,8 

40,1 

20.— 21.     , 

1 

680 

17,9 

39,2 

40,1 

21.-22.     . 

0 

560 

19,0 

38,9 

39,5 

23.-24.     , 

0 

650 

16,6 

37,2 

38,2 

24.-25.     „ 

0 

1030 

19,5 

37,2 

37,0 

Mittel  der  248tfindigen  Hamstoffinenge  ohne  B&der:    29,6  Grm. 
„       ,  „  »mit  B&dera:    19,9     , 

Da  Schröder  bei  Anwendung  weniger  B&der  einen  so  erheb- 
liehen Einfluss  auf  die  Eiweisszersetzong  fand,  obgleich  die  Mor- 
gen- und  Abendtemperataren  an  den  Badetagen  ebenso  hoch  waren 
ato  an  den  ttbrigen  Tagen,  so  stand  za  erwarten ,  dass  der  Einfluss 
der  febrilen  Temperatursteigerung  auf  die  Eiweisszersetzung  nahezu 


1)  Dieses  Archiv.  Bd.  VI.  S.  395  ff. 


Einfloss  antipyret  Mittel  auf  die  EiwdsszerBetznng  bei  Fiebernden.       57 

ToIIstbidi{^  an^eschloBBen  werden  kann,  sobald  durch  anlipyretisclie 
Mittel  wie  Ohinin  und  salicylsaureB  Natron  die  Körpertemperatur  bis 
ram  Normalen  herabgesetzt  wird.  Wenn  es  gelingt,  bei  einem  Fie- 
beroden durch  antipyretische  Mittel  die  Körpertemperatur  längere 
Zeit  hindurch  nahezu  normal  zu  erhalten^  so  würde  folglich  die  Stick- 
stoffftDSSoheidnng  im  Harn  einen  Rttckschluss  gestatten,  ob  die  febrile 
Steigerung  der  Eiweisszersetzung  ausschliesslich  die  Folge  der  er- 
höhten Körpertemperatur  sei  oder  nicht 

Wir  suchten  diese  Frage  zu  beantworten  und  zwar  fahrten  wir 
die  Untersuchung  an  Typhuskranken  aus,  welche  wegen  der  hingen 
Fieberdauer  hierzu  sehr  geeignet  erscheinen. 

Hamstoffbestimmungen  bei  Typhuskranken  liegen  in  grosser  An- 
zahl Yor;  ans  denselben  Iftsst  sich  entnehmen,  dass  in  der  1.  Krank- 
heitswoche die  grössten  Mengen  stickstoffhaltiger  Zersetzungsproducte 
anagesehieden  werden,  wfthrend  dieselben  im  weiteren  KrankheitsYcr- 
laofe  an  Menge  abnehmen.    So  fand  Moos  als  Durchschnittswerth 

ftar  jeden  Tag  der  1.  Krankheitswoche :  37  Grm.  Harnstoff 
ii»»»2«  „  33      „  9 

»HU»     3.  j,  26      „  „ 

Brattier,  welcher  durchschnittlich  etwas  höhere  HamstofiEsahlen 
erhielt,  berechnete  auch  das  Yerhältniss,  welches  sich  im  Mittel  zwi- 
schen Hamstoffausscheidung  und  Temperaturhöhe  ergab«  Es  wurden 
n&mlich  ausgeschieden: 

bei  einer  Temperatur  von  40<^:     40,7  Grm.  Harustoff 
n        n  n  n     390:     36,6      , 

»        »  II  »     38®:     32,3      ^  jf 

n         n  n  n      370:      26,5        „ 

n         n  n  n      360;       17,5        , 

» 

Die  von  uns  beabsichtigte  Untersuchung  konnte  nur  dann  zu  einem 
ZBYerlfissigen  Resultate  führen,  wenn  die  Stickstoffausscheidung  im 
Harn  bei  Typhuskranken  innerhalb  einer  gewissen  Zeit  eine  gleich- 
m&sBige  ist,  so  lange  der  Fieberverlauf  in  keinerlei  Weise  beeinflusst 
wird.  Dass  dies  bei  gleichmilssiger  Nahrungszufuhr  und  bei  strenger 
Beobachtung  der  nothwendigen  Gautelen  hinsichtlich  regelmässiger 
Harnentleerung  wirklich  der  Fall  ist^,  geht  schon  aus  den  von 
Huppe rt  mitgetheilten  Beobachtungen  hervor.    Zum  weiteren  Be- 

1)  Wir  haben  am  Schlosse  jeder  24  standigen  Periode  unsere  Kranken  auf- 
gefordert, die  Blase  Tollständig  zu  entleeren,  und  wenn  dies  nicht  erreicht  wurde, 
den  Katheter  eingeführt. 


5.8 


II.  Bauek  und  EOkstlb 


lege  tbeilen  wir  zwei  UQtersiicbungweiheii  an  Typhuskrauken  mit, 
bei  welchen  der  Fieberverlaaf  auf  keinerlei  Weise  beein- 
fluBSt  wurde. 

I.  Fkll. 

Ein  20jfthriger  Mann  wurde  am  15.  Jnli  taf  die  2.  mediciDische  Klinik 
aufgenommen,  nachdem  er  1 1  Tage  vorher  mit  Allgemeinerachanniigai  er- 
krankt war.  Bei  dieaem  Patienten  wurde  vom  17. — 24.  Juli  die  Stiokatoff- 
BnBscheidung  in  Harn  nnd  Roth  bestimmt.  Vom  16. — 20.  erhielt  derselbe 
tftglich  140  Grm.  KaffeeaufgnsB  mit  10  Qrm.  Zocker,  350  Orm.  Hilcb 
«od  200  Orm.  sogenannter  Eiersnppe,  was  ca.  17  Orm.  Eiweiss  entspricht  ij 
Vom  20. — 24.  wurden  aar  dringenden  Wonsch  des  Kranken  noch  250  Grm. 
mich  hinzagefOgt,  so  dass  an  diesen  Tagen  circa  27  Orm.  Eiweiss  als 
Nahrnng  gereicht  wurden. 

Nur  in  den  ersten  Tagen  der  Beobachtung  bestanden  diarrboische  Ent- 
leerungen, spster  ronsaten  sogar  Klysmata  in  Anwendung  kommen.  Es  wur- 
den vom  IT. — 24.  Juli  im  Ganzen  101  Orm.   trockenen  Kothes  entleert 


Den  Gang  der  Temperatur,  inoerhalb  24  Stunden  10  mal  in  der 
Achsel  gemessen,  zdgt  Garve  1.  Die  Stiokstoffausscheidung  daroh 
den  Harn  verhielt  sieb  dabei  folgendermaasseo : 


Ditgin 

ii' 

i 

1 

Hl 

Sikkitcff 

ll 

mHun 

16.— 17. 

1300 

1,010 

6,5 

23,40 

10,69 

10,9 

n.-i8. 

eoo 

1,021 

3,3 

22.SO 

9.84 

10,5 

18.— 13. 

580 

1,022 

3,0 

22,62 

9,9«» 

10,6 

19.-20. 

48S 

1.021 

2,Ö 

20,13 

9,21 

9,4 

ao.— 21. 

1120 

1.012 

6,0 

22,40 

10,10 

10,5 

21.-I2. 

1890 

1,005 

3,7 

22,Ǥ 

B,9S 

10,3 

22.-23. 

1360 

1,006 

4,1 

33,02 

10,02 

10,8 

23.-24. 

14^0 

1,006 

4,4 

19,21 

8,63 

9,0 

1)  Vergl,  Renk  bei  Voit:  Unteraucbung  der  Kost. 


Eiaßnn  &atip)Tet.  Mittel  uf  die  EiTeiuzerMtEong  bei  Fieberadeo. 

2.  Fall. 
£iD  39jihriger  Mann  warde  am  12.  AngDst         ^ 
laf  die  2.  mödicinische  Klinik  sofgenommeQ,  Dxch- 
dem  einige  Tage  bobes  Fieber,   groBBe  Prostra- 
tion, DlarrhOeD,  aacb  Delirien  nlcbtÜcber  Weile         *^ 
beBtudeu  hatten.    Bei  dieseoi  Kranken  wurde  die 
31ickitoffaasscheidang  darch  Harn  und  Koth  vom  fi 

13. — 29.  August  l>eatiiniDt.    Aneb  in  diesem  Falle 
eistirten  die  Diarrhöen  nxch  dnigen  Tagen,  wes-         ^ 
halb  wir  die  Mittheilnng  der  mit  dem  Kotbe  ent- 
leerten Stickstoff  mengen  fDr   QberflflBBig  erschien.         j 
Wlbrend  der  ganzen  ÜntersncfanngBreihe   erhielt 
Patient  tflglich   1 40  Kaffeeaufguu  mit  20  Zacker, 
350  Milch   and   200  Sappe  ^=  circa  17  Gramm         ' 
Eiweiss. 

Die  StickstoffatiBscheidnng  darch  den  Harn 
iat  aas  folgeoder  Tabelle  zu  entnebmen :  ^ 


g 

^ 

£    B    • 

BUcUtoS  Im  B*n> 

D.»» 

1 

1 

ü  E 

i 

ll" 

n 

1 

^ 

1  = 

3 

lll 

ii 

1 

11-13. 

635 

1.021 

6,9 

28.81 

13,12 

13,6 

IS^H. 

770 

1,012 

4,6 

29,49 

13,13 

13,3 

H.— 15.«) 

1.02  t 

1S.-16. 

1035 

1,014 

2,6 

25.23 

11,20 

11,8 

16.— n. 

Slä 

1,016 

2.9 

25,26 

11,39 

11,8 

n.-i8. 

lllü 

1,010 

3,1 

25,01 

11.24 

11,1 

IS.-19. 

8S0 

1,013 

2.2 

20.24 

9,29 

9,5 

19.-10. 

1155 

1,010 

2,5 

19,64 

9,07 

8.2 

W— 11. 

8fö 

1.0M 

3.1 

20,80 

9,46 

9,7 

1I.-12. 

970 

1,014 

3.4 

24.25 

11.1 

«.-». 

1110 

1,010 

3.4 

22,40 

10,22 

10.5 

23.-M. 

1590 

1,006 

3,2 

22,26 

10.15 

10.4 

M.-25. 

1640 

1,008 

2,5 

22,96 

10,49 

10.7 

1S.-M. 

1280 

1.009 

1,9 

21,76 

10,11 

10,2 

i6.-17. 

1000 

1,010 

2,0 

20,0 

9.21 

9,3 

n.-w. 

1110 

1,009 

2.8 

20,54 

9,24 

9,6 

11-29. 

720 

1,012 

1,8 

17,29 

1,89 

8,1 

Der  Gang  der  Temperatur  ist  aus  Gurre  2 
IQ  erseben. 


Hit  der  folgenden  Beihe  beabsichtigen  wir  darzntbnn,  daas  bei 
Terachiedener  Eiweisazufubr  mit  der  Nahrang  die  Stickstoffans- 
Scheidung  im  Harn  entsprechende  SchwaDkaogen  darbietet. 


60 


II.  Bauer  and  Künstle 


Diese  Versuchsreihe  wurde  bei  einem  16jährigen  Knaben  ange- 
stellt, der  bei  Beginn  derselben  im  Anfang  der  2.  Typhnswoche  sich 
befand  und  eine  ziemlich  hohe  Febris  continua  darbot  0* 


Datnm 

Menge  des  In 
24  Standen  ent- 
leerten Hans 

Spec.  Gewicht 
desselben 

1' 
1 

a 

Harnstoff  titr. 

ohneAnsflUlang 

der  Chloride 

Stickstoff  Im 
Harn  direct  be- 
stimmt 

Menge  des  entleerton  Kothe« 

o   CS 

1            1        iSI  1 

1.— 2. 

1175 

1,021 

3,9 

33,85 

15,02 

1281 

34,8 

2,7 

2.-3. 

920 

1,017 

2,0 

32,29 

14,71 

1313 

33,8 

2,6 

3.-4. 

700 

1,017 

1,5 

25,84 

11,71 

1187 

34,0 

2,8 

4.-5. 

682 

1,017 

1.7 

26.97 

11,41 

330 

8,0 

2,4 

5.-6. 

920 

1,016 

2,9 

32,04 

13,43 

683 

24,9 

3,6 

6.-7. 

1880 

1,006 

3,8 

31,43 

12,93 

193 

12,6 

6,5 

7.-8. 

2406 

1,006 

4,5 

29,83 

10,79 

217 

19,5 

9,0 

8.-9. 

2800 

1,005 

5,2 

30,0 

11,02 

183 

19,8 

10,8 

IV. 

Emfluss  des  salicylsauren  Natrons  in  antipyretischen  Dosen 

auf  die  Eiweisszersetzung, 

Ein  22jähriger  Mann  wurde  am  7.  Juli  auf  die  2.  medicinische  Klinik 
aufgenommen;  derselbe  gab  an,  schon  seit  einigen  Wochen  sich  unwohl 
gefühlt  zu  habeu;  es  bestand  Appetitmangel  und  Abgeschlagenheit.  6  Tage 
vor  der  Aufnahme  steigerten  sich  diese  Erscheinungen,*  auch  Diarrhöen 
stellten  sich  ein  und  Patient  war  nun  nicht  mehr  im  Stande  sich  aufrecht  za 
halten.  Bei  diesem  Kranken  wurde  vom  7.  bis  27.  Juli  die  Stickstoffausschei- 
dung  durch  Harn  und  Koth  controlirt.  Derselbe  erhielt  täglich  140  Kaffee* 
absud  10  Grm.  Zucker,  350  Milch  und  200  Suppe  =»  circa  17  6rm.  Ei- 
weiss.    In  gewissen  Zwischenräumen  wurde  sallcylsanres  Natron  gereicht. 

Die  Stickstoffausscheidung  durch  Harn  und  Koth  ist  aus  der 
Tabelle  S.  61  zu  entnehmen. 

Der  Gang  der  Temperatur  ist  aus  Gurve  3  ersichtlich;  auf  die- 
selbe sind  auch  die  täglich  mit  dem  Harn  ausgeschiedenen  Stick- 
stoffmengen aufgetragen.    Sa.  N.  =  salicylsaures  Natron. 


1)  Vor  längerer  Zeit  habe  ich  in  Verbindung  mit  Prof.  H.  v.  Boeck  versucht, 
festzuBteUen,  ob  die  Zufuhr  von  Nahrung  und  die  dadurch  gesteigerte  Zersetzung 
von  EiweisB  auf  die  Höhe  der  Temperatur  einen  Einfluss  auszuüben  im  Stande 
sei.  Trotz  mancher  Versuche  an  Menschen  und  Thieren  konnten  wir  bis  jetzt 
die  Frage  noch  zu  keinem  definitiven  Abschluss  bringen ;  wir  halten  jedoch  nach 
unseren  bisherigen  Erfahrungen  eine  Beeinflussung  der  Temperatur  durch  die 
Nahrungszufuhr  für  unwahrscheinlich,  vorausgesetzt,  dass  die  Form  der  Nahrung 
keine  Störungen  hervorruft.  Die  gleichlautende  Ansicht  vertrat  E.  Buss  (Wesen 
u.  8.  w.  des  Fiebers.  1 878).  —  Eine  der  zu  diesem  Zwecke  angestellten  Versuchs- 
reihen ist  die  hier  mitgetheilte  Beobachtung  Nr.  3.  J.  Bauer. 


Einfluu  utipyret  Mittel  «of  die  Eiwusuenetiung  bei  Fieberoden. 


i  s 

1  1 

i  I 

I  i  . 

I  ^1 

I  II 


S  IS 

I  II 


II .  Bader  nnd  Konstls 


£inflii88  antipyret  Mittel  auf  die  EiweisizersetzoDg  bei  FieberDden.       69 

V. 

Einfluss  von  Chmin  in  antipyretischen  Gaben  auf  die  Eiweisszersetzung. 

Ein  18 jähriger  Mann  wurde  am  18.  Juni  auf  die  medicinische  Klinik 
aofgeoommen.  Derselbe  fohlte  sich  seit  sechs  Tagen  sehr  matt  nnd  ab- 
geschlagen, litt  dabei  an  Kopfschmerzen  und  am  Tage  vor  seiner  Aufnahme 
hatte  sich  heftiges  Nasenbluten  eingestellt.  Bei  diesem  Kranken  wurde 
Tom  20.  Jani  bis  11.  Juli  die  Stickstoffausscheidung  durch  Harn  und  Koth 
bestimmt.  Wegen  wiederholten  Erbrechens  traten  mehrmals  Störungen  in 
der  gleichmftssigen  Nahrnngszufuhr  ein  und  mussten  wiederholt  Abände- 
nmgen  in  der  Zusammensetzung  der  Nahrung  vorgenommen  werden.  Jeden 
dritten  Tag  wurde  eine  Dosis  Chinin  dargereicht. 

Die  täglichen  Ausgaben  durch  Harn  und  Koth  sind  in  der  Ta- 
belle auf  S.  64  zusammengestellt. 

In  der  Curve  4  (S.  65)  ist  der  Gang  der  Temperatur  und  der 
Stickstoffausscbeidung  durch  den  Harn  graphisch  aufgetragen. 

Aus  den  Tabellen  und  Curven  ist  ersichtlich,  dass  bei  Herab- 
setzung der  Fiebertemperatur,  welche  durch  Darreichung  von 
salicyUanrem  Natron  und  Chinin  bewirkt  wurde,  keine  Ver- 
minderung, sondern  fast  regelmässig  eine  geringe  Ver- 
mehrung  der  Stickstoffausscheidung   im  Harn   eintrat. 

Diese  Versüchsresultate  entsprechen  unseren  Voraussetzungen 
nicht,  auch  Iftsst  sich  aus  denselben  auf  die  von  uns  gestellte  Frage 
keine  Antwort  entnehmen.  Das  Ergebniss,  dass  mit  jeder  Temperatur- 
emiedrigung  eine  geringe  Steigerung  der  gleichmässigen,  im  weiteren 
Erankheitaverlaufe  langsam  absinkenden  Stickstoffausscheidung  ein- 
trat, wiederholte  sich  so  regelmässig,  dass  ein  Zufall  bestimmt  ausge- 
schlossen werden  kann.  Dass  es  sich  aber  nicht  um  eine  directe,  be- 
schleunig^ade  Wirkung  der  antipyretischen  Mittel  auf  den  Eiweiss- 
nmsatz  handeln  kann,  geht  aus  den  Untersuchungen  von  Kern  er 
and  H.  v.  Boeck^)  hervor,  durch  welche  festgestellt  ist,  dass  das 
Chinin  beim  normalen  Organismus  die  Eiweisszersetzung  in  gerin- 
gem Grade  herabsetze.  Wenn  vnr  daher  beim  fiebernden  Körper 
eine  entgegmgesetzte  Wirkung  beobachten,  so  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  es  sich  hierbei  um  den  Einfluss  der  durch  das  Chinin 


1 )  Untersuchungen  aber  die  Zersetzung  des  EiwdBses  etc.  München  1871. 
—  Dass  auch  an  nicht  fiebernden  Menschen  durch  grosse  Chinindosen  die  Ei- 
weisszersetzung etwas  Ycrlangsamt  werde»  können  wir  durch  einige  Erfahrungen 
bestätigen. 


64 


IL  Baübs  und  KOmstlb 


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Ib  24  StBAdoi 


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0«w1c]|t 


Chlortd«  tttr. 


Bmniitoff  Ütr. 

naeh  AmflUlimg^ 

d«r  Chlorid« 


Stiekitoff 
direct  beatlmmt 


fencht 


D 


trocken 


PMtoThelle 
InProoenten 


Stickstoff 


Aether- 
tmuug 


Atcho 

iD  WaiMT 

lOallch 


Aflche 
in  WniMT 

nnlQillch 


h 
H 

8.» 

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Stickstoff 

mit  dam  Koth« 

•ntlecrt 


EiwelM 
In  der  Mntamnff 


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KintinBH  «ntipynt  Hittal  auf  die  EiwdMiaraetsiuig  bei  Fiebernden.       65 


Q     fl 


u  HadlelD.    XXIV.  Bd. 


66 


ü.  Bavbr  und  KfiiffiTLB 


hervorgebrachten   Erniedrigung   der   febrilen  Temperatur 

handle^). 

Einer  derartigen  SchluBsfolgerung  stehen  jedoch  die  erwfthnten 
Versuchsresultate  von  Schröder  entgegen^  denen  zufolge  die  Harn- 
Stoffansscheidung  bei  Fiebernden  durch  kalte  Bäder  bedeutend  herab- 
gesetzt wird.  Unter  diesen  Umständen  erschien  es  uns  gerechtfertigt, 
den  Einfluss  kühler  Bftder  auf  den  Eiweissumsatz  bei  Fiebernden  noch- 
mals zu  controliren. 

VI. 
Einfltiss  kühler  Bäder  auf  den  EiweissuTnsatz  bei  Fiebernden. 

Schmidt,  W.,  19  Jahre  alt,  gab  bd  seiner  Aufnahme  am  22.  an, 
seit  acht  Tagen  an  Schwindel,  grosser  Abgeschlagenbeit,  Appetitmangel 
und  etwas  Hosten  zu  leiden.  Objectiv  die  Erscheinungen  des  Typhus: 
Roseola,  Milz  palpabel.  Dieser  Kranke  erhielt  vom  24. — 31.  IV.  täglich 
370  Orm.  Milch,  210  6rm.  Kaffeaufgnss,  22  Grm.  Zucker,  400  Flanmsuppe. 
Während  dieser  Zeit  wurden  die  Ausscheidungen  durch  Harn  und  Koth 
bestimmt,  während  einen  Tag  Aber  den  anderen  kflhle  Bäder  in  Anwendung 
kamen.  Am  Tage  vor  Beginn  der  Versuchsreihe  hatte  Patient  2  Grm.  Con- 
chinin  erhalten,  worauf  ein  vollständiger  Temperaturabfall  eingetreten  war. 

Den  Gang  der  Temperatur  und  der  Stickstoffausscheidung  im 
Harn  ergibt  Curve  5. 


Datnm 

<  *- 

Hammenge 
in  24  Standen 

Specifisobes 
Gewicht 

• 

1 

o 

h*  o  • 

o  S<0 

N  direct 
bestimmt 

HameSnre      | 
in  24  Standen 

Kothm 

enge 
S 

N  in  Procent 
im  Kothe 

24.-25.  IV. 

0 

920 

1,021 

2,62 

32,8 

15,67 

0,7806 

_ 

_ 

-*) 

25.-26.  n 

4 

940 

1,022 

4,01 

34,5 

16,27 

0,8676 

214 

9,0 

4,9 

26.-27.  „ 

0 

1050 

1,017 

3,0 

31,9 

14,93 

0,6050 

146 

9,0 

5,6 

27.-28.  n 

8 

1320 

1,017 

3,4 

34,9 

16,28 

0,9814 

30 

3,0 

6,0 

28.-29.  „ 

0 

960 

1,020 

2,7 

30,2 

14,29 

0,7771 

24 

— 

— 

29.— 30:  n 

8 

1100 

1,017 

3,1 

34,0 

15,88 

— 

^- 

— 

30.— 31.  „ 

0 

750 

1,022 

2,8 

26,8 

12,5 

-») 

30 

— 

— 

*)  Stahl  verloren. 


1)  Der  EinflasB  von  SalicylBäure  und  salicylsaarem  Natron  auf  die  Eiweiss- 
zersetzong  ist  Ton  S.  Wolf  söhn  unter  Jaff^*s  Leitung  untersucht  worden,  wobei 
sich  eine  Steigerung  derselben  ergab  (Diss.  Königsberg  1876.  cit.  nach  Virchow- 
Hirsch's  Jahresber.  1876.  Bd.  I).  Da  wir  jedoch  bei  Darreichung  von  Chinin  das 
nämliche  Resultat  erhielten  wie  bei  salicylsaurem  Natron,  so  kann  dasselbe  durch 
die  von  Wolf  söhn  constatirte  physiologische  Wirkung  der  Salicyls&ure  auf  den 
Eiweissumsatz  seine  endgiltige  Erkl&rung  nicht  finden. 

2)  Die  Harnsäure  wurde  in  der  Weise  bestimmt,  dass  200  Ccm.  Harn  mit  Salz- 
säure versetzt  wurden;  die  so'  ausgefällte  U  wurde  abfiltrirt  und  in  dem  Ffltrat 
die  noch  gelöste  Harnsäure  nach  Salkowski*s  Methode  abermals  bestimmt. 


Einfluss  utif^ret  Mittel  Mut  die  Eiweiuienetzung  bei  FieberDden.        67 

AuB  der  Tabelle  and  Gurre  5  ist  ersichtlich,  dass  in  UDserem 
Falle  die  StickstoffansacbeidDHg  im  Harn  durch  die  AnwenduDg 
kühler  Bäder  io  ganz  Übereinstimmender  Weise  beeinflnsst  wurde, 
wie  bei  Darreichung  von  Chinin  und  ulicyUaurem  Natron,  es  zeigte 
lieh  regelmftssig  eine  geringe  Steigerung  derselben.  Dieses 
Besultat  befindet  sich  im  Widerspruche  mit  den  Ei^ebnissen  Ton 
Schroeder.  Wir  sind  nicht  In  der  Lage,  fUr  diese  Differenz  be- 
Bümmte  Grande  aufzufinden,  es  ist  jedoch  natDrlich,  dass  wir  unseren 
SchluAfolgeruDgen  unsere  eigenen  Versuohsresultate  za  Grunde  legen. 

Die  Schwierigkeit,  die  ron  uns  mitgetheilten  Beobachtungen 
m  erklären,  wird  keineswegs  Tollständig  beseitigt,  wenn  wir  die- 
selben einer  anderen,  schon  vielfach  besprochenen  Erscheinung  an 
die  Seite  setzen. 


Es  ist  nämlicfa  seit  längerer  Zeit  bekannt,  dasa  bei  dnigen  fieber- 
''^ten  Krankbeitsprocessen ,  welche  mit  einem  raschen  Temperatur- 
Abfall  einhergehen,  die  vermehrte  Hamstoffausscheidnng  nach  dem 
absinken  der  Körperwärme  nicht  nur  andauert,  sondern  sogar 
D[>ch  beträchtlich  ansteigt  Auch  pflegt  die  HarnatoffvermebruDg, 
Welche  durch  kflnstliche  Temperatursteigerung  eingeleitet  wird,  diesen 
Eingriff  um  längere  Zeit  zu  Qberdauern. 

Diese  Facta  können  auf  zweierlei  Weise  ihre  Erklärung  finden, 
indem  es  sich  sowohl  um  eine  mangelhafte  Ausscheidung  und 
Anstauung  von  Zersetzungsprodukten  während  der  Fieber- 
periode, als  auch  um  eine  epikritischc  Mehrzersetzung  von 
^iweiss  handelu  kann;  beide  Ansichten  haben  ihre  Vertreter  gefun- 


68  n.  Bauer  and  KOhstub 

den.  So  bat  Sohultzen  die  Hypothese  aufgeetellt,  dass  wfthrend 
des  Fiebers  darch  den  Zerfall  der  (Gewebe  die  Menge  des  oirculirenr 
den  Eiweisses  yermehrt  werde,  welches  aber  zunächst  nur  zum  TheU 
den  normalen  Spaltongsprocess  erfahre.  Ein  anderer  Theil  sollte  von 
den  Zellen  festgehalten  werden  und  erst  nach  dem  Fieberabfall  der 
Zersetzung  anheimfallen^}.  In  ähnlicher  Weise  nimmt  Litten  an, 
dass  durch  die  hohen  Temperaturen  rothe  Blutkörperchen  theils  zu 
Grunde  geheui  theils  in  ihrer  Function  geschädigt  werden,  wodurch 
es  den  Zellen  der  Organe  ebenso  unmöglich  wird,  ihren  ursprüng- 
lichen Eiweissbestand  zu  erhalten,  wie  diess  nach  Blutverlusten  der 
Fall  ist.  Selbstverständlich  wird  einige  Zeit  in  Anspruch  genommen, 
bis  nach  solchen  Störungen  der  Gleichgewichtszustand  zwischen  cir- 
culirendem  und  Organeiweiss  wieder  hergestellt  ist. 

Hingegen  hatFraenkel  vor  Kurzem  seine  Meinung  dahin  for- 
mulirt,  däss  die  Ausscheidung  der  natürlichen,  N-haltigen 
Zersetzungsprodukte  während  des  Fiebers  eine  be- 
schränkte sei,  weil  die  Nieren  unter  dem  Einflüsse  des- 
selben gewisse  Veränderungen  erleiden  und  dadurch 
in  ihrer  secretorischen  Thätigkeit  beeinträchtigt  werden  ^). 

Endlich  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  die  epikritische  Hamstoff- 
vermehrung  u.  A.  auch  bei  croupöser  Pneumonie  in  exquisiter  Weise 
vielfach  beobachtet  worden  ist  3),  und  dass  von  Einigen,  insbesondere 
von  Hup  per  t  auf  einen  Zusammenhang  zwischen  der  Resolution 
des  Croupezsudates  und  der  genannten  Erscheinung  geschlossen  wor- 
den ist^).  Fraenkel  bemerkt  mit  Recht,  dass  diese  Erklärung  nicht 
für  alle  Fälle  zureichend  erscheint,  bei  welchen  eine  postfebrile  Ham- 
stoffvermehrung  vorkommt,  ohne  dass  der  Einfluss  zur  Resorption 
gelangender  Exsudate  auf  den  N-Umsatz  von  ihm  geleugnet  wird. 
In  der  That  ist  sehr  leicht  einzusehen,  dass  die  rasch  erfolgende 
Lösung  einer  ausgedehnten  Hepatisation  sich  in  der  StickstofEausschei- 
dung  im  Harn  kund  geben  kasm.   Die  ergriffene  Lunge  erscheint  im 


1)  Ueber  den  Stoffonuats  bei  Febris  recurrens.    Gharit^-Annalen  1869. 

2)  Drd  F&lle  ton  Pneomonie  mit  epikritbcher  HamstoffiMuacheidang.  Nene 
Charitö-Annalen.  n.  Berlin  1877. 

3)  Vergl.  Moos,  Zeitschrift  f&r  ration.  Med.  N.F.  YII.  1855.  —  Wachs- 
mnth,  De  ureae  excret  etc.  Dissert.  Berol.  1855.  ^  Metzger,  Zeitschrift  ftkr 
ration.  Med.  3.R.  IV.  1858.  —  Brattier,  Ein  Beitrag  zur  Urologie.  Manchen 
1858.  —  Redtenbacher,  Jahrbuch  f&r  Einderhellk.  IV.  1861.  —  Winger, 
8chmidt*8  Jahrb.  GXX.  26.  —  Annalen  derKrankenh&uaer  ni  Manchen.  I.  8.214. 

4)  Huppert,  Archiv  der  Heilkunde.  1866  und  Huppert  und  Biesell, 
Ebenda.  1869. 


Einfloss  antipyret.  Mittel  auf  die  Eiweisssenetsung  bei  Fiebernden.       69 

LösQiigistadiam  anftmigch,  und  die  Anftmie  mag  den  AnstoBS  geben, 
daas  sieh  eine  Spaltung  der  exsudirten  Eiweuwkörper  in  reaorbir- 
bares  Fett  und  in  einen  stickstoffhaltigen  Antheil  vollzieht,  wie  es 
Voit  für  die  Fettbildung  ans  Eiweiss  dargethan  hat^).  Wahrschein* 
lieh  Terschwindet  auf  diese  Weise  das  Exsudat  aus  den  Alveolen  der 
Longe,  wfthrend  die  abgespaltenen,  stickstoffhaltigen  Zersetzungspro- 
dacte  mit  dem  Harn  ausgeschieden  werden. 

Wenn  die  Erklftrung,  welche  Fraenkel  von  der  postfebrilen 
Harnstoffe ermehrung  gegeben  hat,  zutreffend  ist,  dann  könnte  es  sich 
bei  der  von  uns  beobachteten  Wirkung  der  Antipyretica  auf  die 
Stiokstoffausscheidung  um  eine  vorflbergehende  Verbesserung  der  se- 
eretorischen  Nierenthätigkeit  handeln.  Wir  wollen  auch  eine  derar- 
tige Möglichkeit  nicht  unbedingt  in  Abrede  stellen,  wir  mflssen  aber 
doch  einige  Bedenken  geltend  machen,  insbesondere  erscheint  es  uns 
anwahrscheinlich,  dass  geringfügige  Nierenveränderungen  schon  zu 
einer  Hamstoffretention  im  Körper  fahren  sollten  2).  Otegen  diese  An- 
nahme spricht  ausser  anderen  Gründen  auch  die  Gleichmftssigkeit  der 
Stickstoffausscheidung,  wie  wir  sie  bei  unseren  Typhuskranken  beob- 
achtet haben.  Wenn  aber  thatsftchlich  eine  derartige  Betention  von 
Zersetzungsprodukten  bei  Fiebernden  häufig  zu  Stande  kommen  sollte, 
so  wäre  damit  den  Untersuchungen  über  pathologische  Eiweisszer- 
setzung  eine  höchst  fatale  Schranke  gesetzt. 

Wahrscheinlicher  als  die  Erklärung  von  Fraenkel  erscheint 
ans  eine  andere,  welche  auf  dem  bis  jetzt  bekannten  Verhalten  der 
Eiweisszersetzung  beim  fiebernden  Organismus  basirt.  Aus  der  That- 
sache,  dass  der  Fiebernde  im  Hungerzustande  mehr  Eiweiss  zersetzt 
als  ein  fieberfreier  Organismus,  ist  der  Schluss  zu  ziehen,  dass  die 
Organe  bei  Erhöhung  der  Körpertemperatur  einen  grösseren  Bruch- 
theil  ihrer  organisirten  Eiweisssubstanzen  der  Circulation  anheim- 
geben müssen  und  dass  ein  reichlicherer  Strom  von  circulirendem 
Eiweiss  die  Zellen  umspült,  als  diess  bei  normaler  Körpertemperatur 
der  Fall  ist.  Da  aber  die  Masse  der  Zellen  bei  mangelndem  Ersatz 
beständig  abnehmen  muss,  so  bedingt  das  Fieber  einen  Zustand,  bei 
welchem  die  Masse  der  thätigen  Zellen  verringert,  die 
Menge  des  circulirenden  Eiweisses  abnorm  gross  er- 
scheint. 

Der  Fiebernde  ist  also  einem  normalen  Organismus  vergleichbar. 


1)  Zeitschrift  für  Biologie.  Bd.  V. 

2)  Dies  ist  wohl  nur  dann  der  Fall,  wenn  bei  insofficienter  Herzarbeit  der 
Blutdruck  im  Aortensystem  sehr  bedeutend  absinkt. 


70 


IL  Baueb  und  KOkstlb 


der  naeh  längerem  HuDger  einen  betrftehtlichen  Theil  seiner  Oif:ane 
anfgebraneht  hat,  and  welcher  in  diesem  Zustande  mit  einem  Male 
durch  rdehliche  Eiweissnahrung  eine  grosse  Menge  drculirenden  Ei- 
weisses  erhalten  hat.  Allein  im  normalen  Körper  würde  alsbald 
durch  Stoffiinsatz  und  durch  gesteigerte  Stoffzerlegung  wieder  ein 
Gleichgewicht  zwischen  Zellenmasse  und  eirculirendem  Eiweissstrom 
hergestellt,  während  im  Fieberzustande  dieses  Gleichge- 
wicht für  längere  Zeit  gestört  bleibt  und  von  den  abnorm 
erwärmten  Zellen  nicht  hergestellt  werden  kann;  denn 
offenbar  ist  den  letzteren  in  den  allermeisten  Fällen  während  der 
Fieberhitze  die  Fähigkeit,  Stoffe  in  sich  aufzunehmen 
und  anzusetzen,  abhanden  gekommen.  Dass  aber  auch  die 
Fähigkeit  der  Zellen,  Stoffe  zu  zerlegen,  mit  der  Fieber- 
hitze geringer  wird,  scheint  aus  dem  Einfluss  von  Eiweisszufuhr 
auf  den  Eiweisszerfall  bei  Fiebernden  heryorzugeben. 

Wenn  man  nämlich  einem  Fiebernden  Eiweiss  in  der  Nahrung 
zuführt,  so  wird  dadurch  zunächst  die  Menge  des  circulirenden  Ei- 
weisses  entsprechend  vermehrt;  da  aber  ein  Ansatz  nicht  stattfindet 
und  vielleicht  sogar  die  Zerstörung  der  Gewebe  in  Folge  der  hohen 
Temperatur  den  gleichen  Fortgang  nimmt,  so  könnte  man  erwarten, 
dass  die  Eiweisszersetzung  um  so  viel  gesteigert  wird,  als  Eiweiss 
in  der  Nahrung  enthalten  ist.  Diese  Annahme  fanden  wir  jedoch 
nicht  bestätigt,  wie  u.  A.  die  folgende  Beobachtung  bei  einem  Typhus- 
kranken ergibt. 


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26. 

840 

1,021 

13,26 

5.04 

326 

5,21 

4,47 

0,8 

3,4 

27. 

730 

1,025 

14,02 

2,78 

510 

3,14 

4,28 

0,8 

3,4 

28. 

930 

U022 

15,79 

3,26 

638 

2,35 

4,66 

0,8 

3,4 

29. 

— 

— 

— 

— 

180 

3,34 

4,55 

39,5 

5,6 

30. 

1620 

1,012 

17,12 

3,89 

23 

10,87 

4,89 

39,5 

5,6 

l. 

2265 

1,008 

17,15 

3,40 

49 

8,16 

3,56 

39,5 

5,6 

2. 

2400 

1,008 

17,16 

3,60 

— 

— 

— 

39,5 

5,6 

3. 

1270 

1,015 

15,27 

3,05 

— 

— 

— 

0,8 

3,4 

4. 

1170 

1,015 

14,02 

3,98 

288 

4,51 

3,15 

0,8 

3,4 

5. 

1790 

1,012 

17.63 

3,58 

— 

39,5 

5,6 

Spnr  von  Eiweiss 
im  Harn. 

6. 

2420 

1,010 

17,24 

6,05 

— 



— 

39,5 

5,6 

7. 

2890 

1,006 

14,98 

3,47 

— . 



— 

51,7 

10,3 

8. 

2430 

1,007 

14,32 

4,37 

— 



— 

51,7 

10,3 

9. 

1750 

1,011 

14,85 

3,50 

— 



— 

51,7 

10,3 

10. 

2230 

1,010 

14,97 

4,46 

— 



— 

51,7 

10,3 

Einflnss  antipyret  Mittel  auf  die  Eiweisszenetziuig  bei  Fiet)emden.       7  t 

Bei  diesem  Kranken,  bei  welchem  wir  einen  fast  Yollständigen 
Hnngerzustand  mit  der  Darreichnng  grösserer  Eiweissmengen  in  der 
Nahrung  abwechseln  Hessen,  wurde  zwar  durch  die  letztere  regel- 
mässig eine  Vermehrung  der  Stickstoffansscheidnng  im  Harn  bewirkt, 
die  Zunahme  entsprach  jedoch  keineswegs  der  gesammten,  in  der 
Nahrung  enthaltenen  Eiweissmenge,  es  wurde  vielmehr  dem  Körper 
Eiweiss  erspart  Man  darf  also  annehmen,  dass  durch  Eiweisszufuhr 
bei  Fiebernden  die  Menge  des  circulirenden  Eiweisses  noch  vermehrt 
werde,  ohne  dass  die  Zersetzung  entsprechend  zunimmt 

Alle  diejenigen  Momente  nun,  welche  darauf  hinweisen,  dass  im 
Fieberzustande  ein  Missverhältniss  zwischen  cireulirendem  und  Organ- 
dweiss  fflr  die  Dauer  der  Temperatursteigerung  bestehe ,  bedeuten 
aber  nichts  Anderes,  als  dass  das  Vermögen  der  thierischen 
Zelle,  Eiweissstoffe  zu  zerlegen,  herabgesetzt  sei^  und 
wfflin  der  Fiebernde  trotzdem  mehr  stickstoffhaltige  Substanz  zerlegt 
als  der  Nichtfiebemde,  so  ist  diess  nur  die  Folge  des  grossen  Ueber- 
schusses  an  cireulirendem  Eiweiss,  welches  die  heissen  Zellen  umspült 

Wenn  die  febrile  Temperatur  rasch  absinkt,  oder  durch  anti- 
pyretische Mittel  herabgesetzt  wird,  so  kommen  augenblicklich  jene 
Bediugungen  zur  Geltung,  welche  in  der  normal  warmen  Zelle  herr- 
schen, es  werden  Eiweissstoffe  angesetzt,  und  der  Ueberschuss  fällt 
der  Zersetzung  anheim,  und  nun  verhält  sich  der  Körper  ganz  so, 
wie  wenn  nach  längerem  Hungerzustande  eine  grosse  Eiweissmenge 
zugeführt  wird:  circulirendes  und  Organeiweiss  setzen  sich  in  ein 
bestimmtes  Verhältniss  zueinander. 

In  der  von  uns  angedeuteten  Weise  erklärt  sich  die  epikritische 
Hamstoffvermehrung  ebenso,  wie  die  Wirkung  der  antipyretischen 
Mittel  auf  die  Eiweisszersetzung  auf  einfache  Art;  wir  glauben  femer 
aussprechen  zu  dürfen,  dass  die  Wiederkehr  der  normalen  Zellen- 
thätigkeit,  wie  wir  sie  als  die  Wirkung  jeder  Herabsetzung  der  fe- 
brilen Temperatur  betrachten,  fttr  die  Bedeutung  der  antipyretischen 
Behandlung  mehr  BQrgschaft  leistet  als  die  Annahme,  dass  durch 
die  Fieberverminderung  dem  Körper  einige  Gramm  Eiweiss  erspart 
werden. 


m. 

Uicas  oesophagi  ex  digestione. 

Von 

Prof.  Br.  H*  Quincke 

in  Ki«I. 

(Hierzu  Tafel  L) 

Dass,  ebenso  wie  im  Magen,  auch  im  Oesophagus  Oeschwflre  durch 
die  Einwirkung  des  Magensaftes  entstehen  könnten,  ist  frflher  mehr- 
fach angegeben  worden;  doch  haben  Zenker  und  y.  Ziemssen^ 
neuerdings  bei  kritischer  Prüfung  die  einschlägigen  Mittheilongen 
nicht '  einwurfsfrei  befunden.  Ich  war  in  der  Lage  in  Bern  einige 
Beobachtungen  zu  machen,  welche  mir  das  Vorkommen  solcher  6e- 
schwtlre  zu  beweisen  scheinen. 

L  Frau  £.  B.  41  Jahre  alt,  Matter  von  7  Kindern,  verlor  die  Menses 
von  Neuem  Ende  Jali  1876.  Seit  Angnst  wurde  der  Leib  merklich  dicker 
und  seit  October  auch  schmerzhaft.  Wegen  schmerzhafter  Spannung  in 
dem  immer  stärker  anschwellenden  Bauche  und  wegen  hinzutretender  Attem- 
noth  suchte  Patientin  am  21.  December  das  Inselspital  zu  Bern  anf;  etwa 
14  Tage  vorher  hatte  sie  die  ersten  Kindesbewegungen  gefflhlt. 

Patientin  ist  mager  und  bleich,  der  Bauch  kugelförmig  durch  freien 
Flflssigkeitsefguss  aufgetrieben.  Im  Eplgastrium  ist  ein  querverlaufender, 
drei  Finger  breiter  höckriger  Tumor  fflhlbar;  über  der  Symphyse  etwa 
handbreit  hinaufreichend  ein  kugliger  Körper,  anscheinend  der  gravide 
Uterus.  Das  Zwerchfell  steht  um  eine  Rippe  höher  als  normal,  sonst  ist 
an  den  einzelnen  Organen  objectiv  nichts  Abnormes  nachzuweisen.  Der 
Stuhl  ist  angehalten. 

Man  diagnosticirte  Carcinom  des  Bauchfells  —  ohne  zunächst  einen 
primären  Ausgangspunkt  feststellen  zu  können  —  und  gab  Rheum  mit  Na- 
tron sulfuricum. 

Am  24.  December  trat  zum  ersten  Mal  Erbrechen  auf,  das  sehr 
hartnäckig  andauerte  und  durch  welches  ziemlich  viel  rothbraune  Flti s- 
sigkeit  entleert  wurde,  die  massenhaft  rothe  Blutkörperchen  erkennen 
Hess;  man  glaubte  nun  den  Magen  als  den  Sitz  des  primären  Garcinoms 
ansehen  zu  dürfen.  —  Medic:  Eis,  Plumb.  acetic. 


1)  V.  Ziemssen's  Handbuch  der  spec.  Pathologie.  Bd.  VII.    Krankheiten  der 
Speiseröhre.  S.  158. 


UlcoB  oesophagi  ex  digestione.  73 

W^en  andauernden  ErbreehenB,  Kleinheit  und  Unregelmissigkeit  des 
Pulses  und  steigender  Athemnoth  wnrde  am  26.  Deoember  pnnktirt  und 
3700  Ccm.  gelber  Flflssigkeit  (1018  sp.  G.)  entleert  Das  höckrige  Omen- 
tam  trat  nun  dentlioher  henror  nnd  anch  am  ütenisgnind  worden  jetit 
mehrere  grosse  Knoten  flDhlban  Bei  fortbeatehendem  Breehreis  erbrach 
Patientin  von  nnn  an  nnr  wenig,  nnd  swar  nnr  von  der  genossenen  Speise, 
kdn  Blnt  mehr.  Seit  dem  29.  December  hörte  das  Erbrechen  (anf  Mor* 
phinminjection,  Tinct  nnc.  vomio.  etc.)  gänzlich  anf;  der  ascitiscbe  Ergnsa 
aber  niJim  sehr  schnell  wieder  an.  Am  30.  December  leitete  sich  spontan 
der  Abortna  ein,  der  wegen  eintretender  Blntnng  durch  Eztraction  kflnst- 
lich  beendet  werden  musste.  Der  Fötus  war  abgestorben,  seit  dem  Spital- 
eintritt  hatte  Patientm  Kindabewegungen  nicht  mehr  geftlhlt  Die  Schwäche 
wnrde  Ton  jetst  ab  immer  grösser;  ohne  dass  weitere  bemerkenswerthe 
Symptome  aufgetreten  wären,  atarb  Patientin  am  4.  Januar  1877. 

Die  Seetloa  (Prof.  Langhans)  ergab  als  primären  Sitz  des  Garci- 
noms  die  Ovarien,  deren  jedes  in  einen  grossen  mit  der  Umgebung  Tiel« 
fich  adhärenten  Tumor  verwandelt  war,  welcher  neben  weicher,  graurother 
Masse  einige  cystenartige  Hohlräume  enthielt;  von  normalem  Ovarialstroma 
war  nichts  mehr  vorbanden.  Secundäres  Carcinom  fand  sich  im 
Rectum,  auf  dem  gesammten  Peritoneum,  in  der  Leber,  der  Pleura 
diaphragmatica,  der  Milz  und  den  Retroperitonealdrflsen;  der 
ütems  war  frei.  Das  Herz  klein,  seine  Muskulatur  etwas  fettig  degenerirt 
Der  Magen  enthält  zwar  in  seinem  serösen  Ueberzug  kleine  Krebsknoten 
wie  das  flbrige  Peritoneum,  seine  Schleimhaut  aber  war  bis  auf  einzehie 
leicht  geröthete  und  geschwellte  Stellen  in  nächster  Nähe  der  Gardia  voll- 
kommen normal,  nnr  stark  In  Falten  gelegt,  nirgends  ein  Substanz  Verlust; 
der  Inhalt  war  etwas  bräunlicher  Schleim.  Dagegen  findet  sich  im  un- 
teren Theil  des  Oesophagus  bis  zur  Höhe  der  Biftirkation  der  Luft- 
röhre die  Schleimhaut  bis  anf  einige  schmale  fetzig  begrenzte  Längawfilste 
zerstört.  Den  Omnd  des  Substanzverlustes  bildet  die  stark  geröthete,  an 
der  Oberfläche  etwas  fetzige  Muscnlaris;  der  obere  Rand  des  Geschwürs 
ist  ziemlich  scharf,  durch  mehrere  convex  nach  oben  vorspringende  Linien 
gebildet,  die  Schleimhaut  hier  etwas  unterminirt,  bis  anf  3  Gm.  weit 
eDtflb*bt  und  mit  oberflächlichen  Defekten  versehen;  nach  unten  schneidet 
das  Qeschwflr  an  der  Gardia  in  scharfer  Qnerlinie  ab.  Von  fremdartigen 
Einlagerungen  ist  nichts  zu  bemerken.  In  aeinem  untern  Theil  ist  der 
Oesophagus  (ungefilhr  so  weit  wie  das  Geschwür  reicht)  etwas  erweitert 
(s.  Taf.  IL  Fig.  1). 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  wie  mir  Prof.  Langhans 
mittheilte,  zwar  über  die  letzte  Ursache  der  GeschwürsbildoDg  keine  Aas- 
kanfl;  wohl  aber  stellt  sie  die  Abwesenheit  von  krebsigen  oder  krebsähn- 
lichen Elementen  in  Rand  und  Basis  des  Geschwüres  mit  voller  Sicherheit 
fest.  Denn  die  Geschwürsbasis,  welche  verschieden  tief,  fast  bis  zur  Ring- 
moaknlatur  eingreift,  wird  von  dem  Bindegewebe  und  den  muskulösen  Ele- 
menten der  Mucosa  und  Submucosa  gebildet,  welche  etwas  körnig  aussehen 
nnd  fehlste  spärliche  Fetttröpfchen  an  ihrer  Oberfläche  tragen.  Zwischen 
diesen  finden  sich  Zellen :  gross,  reich  an  körnigem  Protoplasma,  mit  gros- 
sem Kern  von  runder  oder  ovaler  Gestalt,  ohne  jeden  specifisch  epithelialen 


74  in.  Quincke 

Obarakter,  sie  sind  mebt  relativ  spärlich  nnd  selbst  wo  sie  zahlreich  sind, 
liegen  sie  gleicbmttssig  im  Gewebe  serstrent,  ohne  jede  Anordnung  in  Gmp- 
pen  oder  Alveolen,  sondern  höchstens  in  sehr  vielfach  nnterbrochnen  Lftngs- 
reihen,  die  sich  s wischen  den  Bindegewebsbtindeln  hioaiehen. 

Femer  finden  sich  in  der  ganzen  Ausdehnang  des  Geschwttres,  nicht 
direkt  an  seiner  Basis,  sondern  mehr  in  der  Tiefe  elgenthttmlich  ondnrch- 
sichtige  trttbe  Massen,  die  in  Streifen  der  GeschwOrsbasis  parallel  laufen, 
untereinander  unter  spitzen  Winkeln  sich  vereinigen  und  so  spindelförmige 
oder  mehr  ovale  Maschen  mit  unverändertem  Gewebe  freilassen.  An  sehr 
km  zerzupften  Stttckehen  sieht  man,  dass  diese  Masse  ans  einem  homo- 
genen Gewebe  besteht,  das  in  dicken  und  feinen  Balken  reticulAr  ange- 
ordnet ist  und  ganz  Fibrin  gleicht.  Auch  gegen  die  gewöhnlichen  Rea- 
gentien,  sowie  gegen  Färbemittel  verhält  sie  sich  in  gleicher  Weise.  Hie 
und  da  glaubt  man  sogar  noch  die  Conturen  von  rothen  Blutkörpem  zu 
sehen;  es  würde  sich  dann  also  um  Residuen  von  Hämorrhagien  handeln. 

Epikrise.  Neben  der  eigentlichen  todtliehen  Krankheit  —  dem 
Gareinom  beider  Ovarien,  das  sich  sehr  schnell  entwickelt  haben 
mnsste,  denn  5  Monate  vor  dem  Tode  hatte  noch  Oonceptiony  also 
Ovulation  stattgefunden  —  ist  das  Oeschwttr  im  untern  Theile  der 
Speiseröhre  von  besonderem  Interesse. 

Dass  dasselbe  mit  Carcinom  in  gar  keinem  Zusammenhange  stand, 
ergab  schon  die  blosse  Betrachtung,  dann  die  mikroskopische  Unter- 
suchung. Das  Verschlucken  einer  ätzenden  Substanz,  oder  eine  ein- 
fache Entzündung  Hessen  sich  ausschliessen  wegen  der  geringen 
Tiefe  des  Geschwürs,  der  normalen  Beschaffenheit  der  Nachbarschaft 
und  der  Beschränkung  auf  den  untersten  Theil  der  Speiseröhre.  (Ge- 
rade wegen  dieses  Sitzes  dürfte  es  am  nächsten  liegen,  die  verdauende 
Wirkung  des  Magensaftes  als  Ursache  des  Oeschwürs  anzosprechen. 

Dass  man  es  nicht  mit  einer  der  so  häufigen  postmortalen  Er- 
weichungen der  Speiseröhre  durch  den  Magensaft  zu  thun  hatte,  zeigte 
dip  scharfe  Abgrenzung  des  Substanzverlustes  zur  Genüge;  die  an- 
grenzenden Theile,  namentlich  die  Muscularis  waren  von  normaler  Co- 
häsion,  die  Farbe  nicht,  wie  bei  Säurewirkung,  bräunlich  durch  ver- 
ändertes Blut,  sondern  die  blossgelegte  Muscularis  im  Gegentheil 
schön  roth  injicirt  und  (mikroskopisch)  zellig  infiltrirt  —  also  Zeichen 
stattgehabter  vitaler  Reaction.  Die  klinische  Beobachtung  lässt  sogar 
das  Bestehen  des  Geschwürs  der  Zeit  nach  feststellen,  und  zwar  auf 
mindestens  1 1  Tage ;  denn  das  am  24.  December  beobachtete  ziemlich 
reichliche  Bluterbrechen,  das  man  damals  aus  einem  Magencareinom 
erklärte,  kann  nach  dem  anatomischen  Befunde  nicht  auf  eine  Magen- 
blutnng,  sehr  wohl  aber  auf  dieses  Oesophagusgeschwür  zurückge- 
führt werden,  das  auch  in  den  folgenden  Tagen  noch  den  Brechreiz 
unterhielt 


Ulcus  oesophagi  ex  digestione.  75 

Durch  welche  BediDgungen  speciell  in  diesem  Falle  die  Selbst- 
yerdanang  der  Oesophagusschleimhaut  (dieses  Ulcas  ex  digestione, 
wie  man  es  wohl  zur  Unterscheidung  von  anderen  nennen  darf)  zu 
Stande  kommen  konnte,  ist  freilich  nicht  sicher  zu  sagen;  möglich, 
dass  mit  der  bedeutenden  und  ziemlich  schnell  entwickelten  Hinauf« 
dr&Dgung  des  Zwerchfells  eine  Knickung,  Zerrung  des  Oesophagus 
and  damit  eine  Circulationsstörung  verbunden  war  (hierfflr  könnten 
die  durch  die  mikroskopische  Untersuchung  wahrscheinlich  gemach- 
ten Reste  von  Hämorrhagien  im  Geschwttrsgrunde  sprechen);  mög- 
lieh auch,  dass  die  Dislocation  zu  Zerrung  der  motorischen  Vagusäste, 
zu  Parese  der  Muskulatur  und  unvollkommenem  Verschluss  der 
Cardia  geführt  hatte*  Die  in  der  Abbildung  deutliche  Erweiterung 
des  unteren  Theils  des  Oesophagus  könnte  darauf  hindeuten,  könnte 
aber  freilich  auch  auf  secund&rer  Parese  beruhen  oder  vorgebildet 
sein  (Antrum  cardiacum)  ^j. 

Jedenfalls  wird  man  eine  längere  Berührung  des  Magensaftes 
mit  der  Oesophagusschleimhaut  und  eine  verminderte  Resistenz- 
filhigkeit  derselben  anzunehmen  haben ;  sonst  müssten  derartige  Ge- 
schwüre bei  hartnäckigem  Erbrechen  wohl  öfter  zur  Beobachtung 
kommen.  Durch  die  im  Oesophagus  für  gewöhnlich  stattfindende 
Längsfaltenbildung  waren  streifenförmige  Partieen  der  lösenden  Ein- 
wirkung des  Magensaftes  entzogen  und  dadurch  als  Schleimhautinseln 
stehen  geblieben.  Die  scharfe  Abgrenzung  der  Geschwüre  an  der 
Cardia  dürfte  sich  aus  der  Verschiedenheit  des  Baues,  namentlich  des 
Blutreiehthums  der  Magen-  und  Oesophagusschleimhaut  erklären. 

Das  Aussehen  des  Geschwürs  zeigte,  dass  die  Zerstörung  zum 
Stillstand  gekommen  war.  Wenn  trotz  des  4tägigen  Bestehens  des 
doch  nur  flachen  Geschwürs  die  Reparation  nicht  weiter  vorge- 
sehritten war,  so  erklärt  sich  dies  ans  der  bestehenden  Kachexie 
und  Anämie,  deren  Heilung-verlangsamenden  Einfluss  auch  Daett- 
wyler^)  bei  seinen  Experimenten  über  das  Magengeschwür  consta- 
tiren  konnte. 

II.  Frau  M.  M.  St. 3),  66  Jahr  alt,  trat  am  14.  Februar  1878  in  die  gynä- 
kologische Klinik  zu  Bern  ein,  wegen  einer  Eierstocksgescbwulst ,  die  seit 
6  Jahren  bestand  und  in  den  letzten  2  Jahren  mehrfach  pnnktirt  worden  war; 
der  Leibesumfang  betrag  101  Cm.   Am  26.  Februar  wurde  Patientin  punktirt, 


1)  Vergl.  Luschka,  Lage  der  Baacheiiigeweide.  S.  16. 

2)  Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1875.  S.  101. 

3)  Die  Gelegenheit  zur  Mittheilung  dieses  Falles,  den  ich  nur  bei  der  Section 
sah,  verdanke  ich  der  Gef&lHgkeit  meiner  Collegen  Proff.  P.  Müller  und  Langhans. 


76  m.  Quincke 

da  seit  mehreren  Tageo  Erbrechen  aufgetreten  war,  das  hie  und  da  ans 
Bchwftrslichen  Hassen  bestand;  ancb  der  Stnhl  war  schwarz  geftrbt 

Nach  der  Punktion  (4000  Ccm.  dicklicher,  klebriger  Fltlssigkeit)  Wohl- 
befinden.   4  Standen  spftter  plötzlich  Dyspnoe  nnd  rascher  Tod. 

Die  Section  ergab  ein  Cystoid  des  rechten  Ovarinms.  Die 
rechte  Plenrahöhle  enthielt  eine  grosse  Menge  schwarzbrauner  Flflssigkeit, 
die  sich  als  Mageninhalt  erweist,  der  dorch'eine  PerforationsOffionng  im  un- 
tersten Theil  des  Oesophagus  hineingelangt  ist;  diese  Oeffhung  liegt  in  der 
vorderen  und  seitlichen  Wand  der  Speiseröhre,  ist  4,5  Cm.  lang,  2,5  Cm. 
breit,  die  Lunge  ist  am  Rande  des  Defektes  leicht  verklebt,  die  Pleura  co- 
stalis  daselbst  mit  leichten  fibrinösen  Exsudationen  bedeckt. 

Beim  Aufschneiden  erweist  sich  der  Oesophagus  im  oberen  Theil 
normal,  wird  nach  unten  zu  etwas  erweitert.  Unterhalb  der  Mitte  beginnen 
Defekte  des  Epithels,  zuerst  Iftngsstreifenfßrmig,  dann  zusammenfliessend; 
die  dadurch  blossgelegte  Fläche  ist  leicht  injicirt,  mit  ^hwarzbraunem 
flockigem  Belag,  der  nach  unten  hin  zunimmt.  Im  untersten  Theil  ist  die 
Ringmuskulatur  blossgelegt;  übrigens  die  Oberfläche  glatt.  Der  Defekt 
reicht  bis  an  die  Cardia  und  links  noch  etwas  über  dieselbe  hinaus,  setzt 
sich  gegen  die  gewulstete,  leicht  geröthete  Magenschleimhaut  scharf  ab. 

Die  Wand  des  Oesophagus  oben  unverändert,  nimmt  nach  unten  an 
Dicke  zu  bis  auf  5  Mm.,  ist  starr,  steif  und  weisslich,  mit  deutlicher  Zeich- 
nung der  verdickten  Muskulatur,  welche  allein  die  Verdickung  veranlasst 
und  deren  Innenfläche  oben  an  der  Stelle  des  Defekts  freiliegt.  In  den 
inneren  Schichten  der  Speiseröhre  ist  der  Defekt  von  grösserer  Ausdehnnng, 
wie  in  den  äusseren.  Durch  mikroskopische  Untersuchung  konnte  sich 
Prof.  Langhans  mit  Bestimmtheit  von  der  Abwesenheit  krebsiger  Eie- 
mente  überzeugen.  Leider  ging  das  Präparat  verloren,  ehe  die  Unter- 
suchung auch  in  jeder  andern  Richtung  vollendet  war. 

Der  Magen  war  unverändert ;  von  dem  sonstigen  Befund  ist  noch  die 
—  wohl  als  Ursache  des  plötzlichen  Todes  anzusehende  —  Ausfällung  des 
rechten  und  linken  Astes  der  Lungenarterie  mit  Thromben  zu  erwähnen, 
die  aus  den  erweiterten  Venen  der  Unterextremitäten  stammten. 

Auch  hier  haben  wir  es  mit  einem  ausgedehnten  Geschwür  im 
unteren  Theile  der  Speiseröhre  zu  thun,  dessen  Zusammenhang  mit 
dem  einige  Tage  vor  dem  Tode  wiederholt  beobachteten  Erbrechen 
schwarzer  (also  wohl  bluthaltiger  Massen)  sehr  wahrscheinlich  iat. 
Die  gleichen,  z.  Th.  freilich  negativen  Gründe,  wie  im  ersten  Fall, 
sprechen  für  die  Entstehung  durch  Einwirkung  des  Magensaftes; 
unterstützt  wird  diese  Annahme  noch  durch  die  Perforation  nach  der 
Pleurahöhle,  die  wahrscheinlich  erst  unmittelbar  vor  oder  nach  dem 
Tode  stattgefunden  hat,  die  aber,  wie  die  frische  umschriebene  Ent- 
zündung an  der  Pleura  zeigt,  jedenfalls  schon  während  des  Lebens 
vorbereitet  war.  Sowohl  hierdurch,  wie  durch  den  Mangel  jeglicher 
Erweichung  an  der  blossgelegten  Muscularis  wird  die  Vermuthang 
eines  postmortalen  Vorganges  widerlegt. 

Unerklärt  bleibt  die  Muskelhypertrophie  im  untern  Theil  der 


UlcaB  oeioplmgi  ex  digestione.  77 

Spetfleröhre^  die  man  bei  der  aoflcheineiiden  Frisehe  des  Geschwürs 
nieht  wohl  aus  diesem  ableiten  kann.  Unerklärt  bleibt  auch  der 
erste  Angriflspnnkt  fttr  den  verdauenden  Einfluss  des  Magensaftes; 
doch  ist  es  wohl  nicht  ohne  Bedeutung,  dass,  wie  im  ersten  Fall 
dnreh  den  Ascites,  im  zweiten  durch  die  Ovariengeschwulst  und  zwar 
Jahre  hindurch  das  Zwerchfell  in  die  Höhe  gedrftngt  war.    (s.  o.) 

IIL  Johann  St.,  circa  50  Jahr  alt,  wurde  im  Herbst  1878  etwa  einen 
Monat  lang  wegen  Oesophagusstrictur  auf  der  mediclnischen  Klinik  zu  Bern 
veipflegt.  Die  Klagen  sowie  die  eioigemal  Torgeoommene  Sondirung  des 
Kranken  ergaben  eine  sehr  beträchtliche  Verengerung  in  der  Höhe  der 
Cardia,  fUr  welche  die  in  diesem  Alter  so  gewöhnliche  Veranlassung,  ein 
Carcinom  des  Oesophagus  angenommen  wurde.  Unter  den  gewöhnlichen  Er- 
scheinungen immer  mehr  erschwerter  Deglutition  und  vorschreitender  Kache> 
xie  ging  der  Kranke  am  2.  November  1878  zu  Grunde. 

Bei  der  Seetion  (Prof.  Langhans)  zeigten  ausser  Oesophagus  und 
Magen  die  Organe  nur  atrophische  Zustande,  die  Lungen  auch  einige  broncho* 
pDemnonische  Herde. 

Im  Magen  fand  sich  an  der  hintern  Wand  etwa  8  Cm.  unter  der 
Cudia  eine  linienförmige  Narbe,  3 — 4  Gm.  lang,  gegen  welche  die  Schleim- 
baat  in  starken  Falten  hingezogen  war.  Ferner  fand  sich  eine  zweite  Narbe, 
die  den  untern  Theil  des  Oesophagus,  etwa  Vs  C^q.  lang,  einnahm, 
sodi  in  den  Magen  mit  einigen  strahligen  Fortsätzen  hineinragte  und  gegen 
die  Schleimhaut  desselben  sich  sehr  scharf  durch  weissliche  Farbe  und 
glatte  Oberfläche  absetzte.  Nach  oben  zu  geht  sie  allmählich  in  die  Oeso- 
pbagusBchleimhaut  Aber.  Die  etwas  dfinne  Wand  wird  an  dieser  stark 
verengten  Stelle  (1  Cm.  Umfang)  auch  auf  dem  Durchschnitt  nur  aus  weiss« 
fiebern,  sehnigem  Gewebe  gebildet.  Von  der  Mnscularis  sieht  man  mit 
blossem  Auge  keine  Spur.  An  diese  enge  Stelle  schliesst  sich  nach  oben 
an  eine  2  Cm.  lange  leichte  spindelförmige  Erweiterung  von  grauer  weicher 
SeUeimhaut  ausgekleidet ;  durch  Verdickung  der  Submuoosa  und  besonders 
Huscnlaris  wird  hier  die  Wand  allmählich  dicker  und  erreicht  ihre  grösste 
Dicke  Yon  6  Mm.  gerade  am  oberen  Ende  der  Erweiterung,  so  dass  hier  das 
Lumen  fast  ebenso  eng  ist,  als  an  der  Cardia.  Diese  zweite  Stenose,  fast  rein 
muaknldser  Natur,  hat  dne  Länge  von  2  Cm.  und  geht  nach  oben  unter  all- 
mibUchem  Dflnnerwerden  der  Muscnlaris  in  den  normal  weiten  Oesophagus 
ftber,  etwa  in  der  Höhe  der  Theilungsstelle  der  Trachea  (s.  Taf.  U.  Fig.  2). 
Die  mikroskopische  Untersuchung  bestätigt  1)  das  Fehlen  der  Muscn- 
laris an  der  Stelle  der  narbigen  Strictur,  und  2)  das  Fehlen  von  krebsigen 
Elementen  flberhaupt.  Die  Mucosa  ist  fiberall,  namentlich  Aber  der  ver- 
^ekten  Muscularis  im  Zustand  eines  chronischen  Katarrhs:  gleichmässige 
hifiltrafion  mit  Rundzellen  und  femer  Erweiterung  der  Blutcapillaren  mit 
bedeutender  Verdickung  ihrer  Endothelien,  ap  dass  das  Lumen  dadurch 
wieder  eine  nicht  unerhebliche  Verengerung  erleidet. 

Statt  des  erwarteten  Oarcinoms  fand  sich  also  im  untersten  Theil 
der  Speiseröhre  eine  narbige  Verengerung,  offenbar  von  einem  frü- 
her bestandenen  Oeschwfire  der  Schleimhaut  ausgehend,  das  auch 


78  UL  QuiNOKB 

die  benachbarte  Magenschleimhaut  mit  betroffen  hatte.  Dieae^  jeden- 
falls allmählich  entstandene  Verengerang  hatte  za  Muskelhypertro- 
phie im  unteren  Theil  der  Speiseröhre  geftthrt,  die  Maskelhjrpertro- 
phie  hatte,  zusammen  mit  chronisch  katarrhalischer  Schwellung  der 
Schleimhauti  eine  zweite  Verengung  bedingt;  schliesslich  hatten  beide 
Stricturen  zusammen  den  Eintritt  der  Speisen  in  den  Magen  fast 
ganz  unmöglich  gemacht  Nachträglich  stellte  sich  flbrigens  noch 
heraus,  dass  Patient  in  früheren  Jahren  längere  Zeit  magenleidend 
gewesen  war. 

Es  ist  wohl  kaum  zu  bezweifeln^  dass  die  Narbe  an  der  Cardia 
mit  der  entfernt  gelegenen  zweiten  kleinen  Narbe  in  der  Magen- 
schleimhaut gleichen  Ursprung  hat^  d.  h.  aus  einem  sogenannten 
Ulcus  Simplex  hervorgegangen  ist. 

Hätte  die  Natur  der  Verengerung  im  Leben  vermuthet  werden 
können^  so  würde  eine  methodische  Sondirung  und  Dilatation  vor- 
genommen worden  und  Yoraussichtlich  erfolgreich  gewesen  sein. 


Die  beschriebenen  drei  Fälle  zeigen  wie  mir  scheint  evident, 
dass  im  unteren  Theil  der  Speiseröhre  Cresehwttre  vorkommen,   für 
welche  nach  dem  anatomischen  Befund  und  Aussehen  eine  andere 
Entstehung  als  durch  die  verdauende  Einwirkung  des  Magensaftes 
nicht  angenommen  werden  kann,  und  die  daher  ihrer  Entstehungs- 
weise nach  mit  dem  sogenannten  einfachen  Magengeschwür  auf  eine 
Linie  gestellt  werden  müssen.    Charakteristisch  ist  ja  für  letzteres 
auch  nicht  der  ursprüngliche  Ausgangspunkt  (ob  Trauma,  umschrie- 
bene Anämie,  Hämorrhagie,  oder  entzündliche  Infiltration)  ^),  sondern 
die  Entstehung  und  Unterhaltung  des  Geschwürs  durch  die  bestän- 
dige Bespülung  mit  verdauendem  Magensecret;  es  dürfte  sich  wohl 
empfehlen,  anstatt  der  niemals  für  alle  Fälle  zutreffenden  Benennun- 
gen: Ulcus  rotundum,  U.  simplex,  U.  perforans  als  am  meisten  be- 
zeichnend den  Namen  Ulcus  ex  digestione  für  dieses  Magen- 
geschwür zu  wählen.    Solche  Ulcera  ex  digestione  finden  wir  aber 
bekanntlich  nicht  nur  im  Magen,  sondern  oft  auch  im  oberen  Theil 
des  Dünndarmes  und,  wie  die  beschriebenen  Fälle  zeigen,  auch  im 
unteren  Theil  des  Oesophagus;  —  an  letzterem  Orte  so  sehr  viel 
seltener,  weil  derselbe  mit  dem  verdauenden  Magensafte  nur  aus- 
nahmsweise und  auch  dann  gewöhnlich  nur  ganz  vorübergehend  be- 
spült wird.    Blutiges  Erbrechen  und  blutige  Stühle,  Perforation  der 


1)  vgl.  D&ttwyler,  Correspondenzblätt  für  Schweizer  Aerzte.  1875.  8. 101. 


Ulcus  öeaophagi  ex  digestione.*  79 


Wand,  stenoBirende  Narbenbildung  kommen  bei  dieeem  Oescbwflr 
der  Spdserdhre,  ebenso  wie  beim  Magengeachwflr  zu  Stande. 

Als  Anhaltsponkt  f&r  die  Diagnose  konnte  vielleicht  die  gleich- 
zeitige beträchtliche  Ausdehnung  des  Bauchraums  durch  Ascites 
u.  dgl.  y  vielleicht  auch  die  Hartnäckigkeit  des  Erbrechens  dienen ; 
für  die  narbigen  Stenosen  die  früheren  Symptome  eines  Geschwttrs. 
Aach  war  in  dem  dritten  meiner  Fälle  die  Huskelhypertrophie  im 
unteren  Theil  der  Speiseröhre  bemerkenswerth,  während  die  Cardia- 
carcinome  fast  ausnahmslos  zu  Dilatation  führen;  möglichi  dass  auch 
dieser,  wohl  in  dem  zeitlichen  Verlauf  und  in  der  Constitution  be* 
grflndete  Unterschied  diagnostisch  verwerthet  werden  kann. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

(Tafel  L) 

■ 

Die  Figuren  auf  Tafel  I  stellen  beide  den  unteren  Theil  der  Speise- 
r&hre  mit  dem  angrenzenden  Theil  des  Magens  im  aufgeschnittenen  Zustande 
dar  (^2  der  natttrlicben  Grösse). 

Figur  1  (zu  Fall  I):  c  Grenze  zwischen  Oesophagus-  und  Magen- 
sebleimhaut  Die  weissen  Längsstreifen  sind  stehen  gebliebene  Schleimhaut; 
an  den  dunklen  Stellen  dnnkelrothe  Injection,  Freiliegen  der  Muscularis 
mit  Andeutung  der  Querfaserung. 

Figur  2  (zu  Fall  III)  eine  weisse  strahlige  Narbe,  zum  Theil  im  Be- 
reich  der  Oesophagus-,  zum  Theil  im  Bereich  der  Magenschleimhaut.  Weiter 
oben  die  hypertrophische  Muskelhaut  der  Speiseröhre  im  Querschnitt  sichtbar 


IV. 
Materialien  zur  Pathologie  und  Therapie  des  Rflckfallstyphus.  0 

Von 

Dr.  J.  MooBUtkowBky, 

Arat  am  Stadtboipltal  in  OdesM. 

(Hierzu  Tafel  II.) 

Vorliegende  Untersachimgeii  sind  sozasagen  als  Nebenproducte 
bei  der  Erforschang  einiger  sich  aof  die  Aetiologie  des  Beearrens  be- 
ziehender Fragen  gewonnen  worden.  In  Folge  dessen  geht  diesen 
Untersuchungen  eine  systematisohe  Bearbeitung  ab  und  haben  die- 
selben,  da  sie  nichts  Vollendetes  bieten,  nur  als  Material  zu  gelten, 
welches  sich  w&hrend  der  Becurrensepidemie  in  Odessa  von  1873 
bis  1876  nach  und  nach  ansammelte  und  mir  die  Möglichkeit  gibt, 
in  vorliegender  Arbeit  Mittheilungen  ttber  folgende  Punkte  zu  machen  : 
I)  Daten  fflr  die  Pathologie  des  Blutes  Becurrenskranker. 

n)  Grundzfige  zur  Therapie  des  Typhus  recurrens. 

III)  Facta  zur  Entscheidung  der  Frage  über  das  Verhältniss  des 
biliösen  Typhoids  zur  Febris  recurrens. 

I. 

Seit  Ober  meiert)  im  Blute  Beourrenskranker  mikroskopische 
Organismen,  nach  ihm  Spirillen,  nach  Oohn  Spirochaeten ')  genannt, 
nachwies,  sind  dieselben  schon  zum  (Gegenstände  äusserst  interessan- 
ter Untersuchungen  geworden.  In  den  Augen  des  Mikrologen  muss- 
ten  die  Spirochaeten  ein  Contagium  vivum  vorstellen,  und  somit  zur 

1)  RuBiiiach  erschienen  1878  in  den  Arbeiten  der  Aerzte  des  Odessaer  Stedt- 
hospitals.  Lief.  IH  —  Dorchgesehen  und  conigirt  Tom  Verfasser. 

2)  Sich  bewegende  F&den  im  Blute  Becurrenskranker.    Gentralbl&tt  für  die 
med.  Wissenschaften.  1873.  Nr.  10. 

3)  Mich  auf  die  Autorit&t  Cohn's  stQtEend  behalte  ich  femer  diese  Beseich- 
nung  bei. 


RückMstyphos.  81 

Erkenntnisa  der  Pathologie  des  Recurrenzprocesses  wesentlich  bei- 
tragen. Es  bedurfte  nur  des  Beweises ,  dass  die  Spirochaeten  aus- 
schliesslich dem  recunirenden  Typhus  eigen  seien,  dass  sie  hier  keine 
zafällige  Erscheinung  bilden,  und  dass  endlich  die  Ansteckung  mit 
dem  Typhusgift  nicht  anders,  als  mit  ihrer  Betheiligung  vor  sich 
geben  kann. 

Schon  Obermeier  fand  die  Spirochaeten  nur  im  Blute  der  im 
Hitzestadium  befindlichen  Becurrenskranken  und  legte  ihnen  daher 
die  Bedeutung  eines  untrflglichen  Merkmales  dieser  Erkrankung  bei  ^). 
£8  gelang  wenigstens  Obermeier  weder  im  Blute  Gesunder,  noch 
im  Blute  irgend  anderer  infectiös  Erkrankter  Spirochaeten  nachzu- 
weisen. Spätere  Beobachter  Litten^),  Mttnch^),  Heidenreich^), 
Engel  ^)  bestätigten  die  Angaben  Obermeier 's  und  gegenwärtig 
hat  sich  das  Verhältniss  der  Spirochaeten  zum  Typhus  recurrens  so 
weit  geklärt,  dass  man  den  Satz  aufstellen  kann:  kein  Typhus  re- 
currens ohne  Spirochaeten  und  keine  Spirochaeten  ohne  Recurrens 
(Unterberger)*). 

Wenn  somit  auch  der  Zusammenhang  der  Spirochaeten  mit  Re- 
currens als  bewiesen  angesehen  werden  muss,  so  ist  doch  die  Frage 
Aber  den  Zeitpunkt  des  Auftretens  und  Verschwindens  der  Spiro- 
chaeten in  den  yerschiedenen  Perioden  der  Erkrankung  noch  nicht 
entschieden.  Die  Forscher,  welche  in  den  letzten  3  Jahren  über 
Typhus  recurrens  geschrieben  und  Spirochaeten  beobachtet  haben,  fan- 
den die  letzteren  ausschliesslich  im  Blute  und  zwar  nur  zur  Zeit  des 
Paroxysmus ;  sobald  der  Paroxy smus  vorüber  ist,  die  Krisis  begonnen 
bat  und  der  Kranke  in  Schweiss  gerieth,  so  verschwanden  auch  die 
Spirocliaeten.  Es  finden  sich  aber  auch  Beobachtungen  von  Spiro- 
chaeten im  Blute  während  der  Apyrexie.  Bliesener^)  sah  Spiro- 
chaeten in  geringer  Zahl  einige  Stunden  nach  Beginn  der  Krisis,  als 
die  Temperatur  von  40,0  schon  auf36,l<^C.  gefallen  war.  —  Birch- 
Hirschfeld^)  beobachtete  Spirochaeten  im  Laufe  der  ersten  zwei 

1)  Berliner  klin.  Wochenschrift  1873.  Nr.  33. 

2)  Die  Recorrensepidemie  in  Breslau  im  Jahre  1S72— 1873.    Dieses  Archiv. 
Bd.  XIIL  Heft  1,  2,  3. 

3)  Moskauer  med.  Zeitschrift.  1874.  Nr.  1  (russisch). 

4)  lieber  den  Parasiten  im  Recurrenstyphus.    Dissert.  inaug.  St.  Petersburg 
1^76  (nssiseh). 

5)  Berliner  klin.  Wochenschrift.  1873.  Nr.  35. 

6)  Febris  recurrens  im  Kindesalter.    Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.,  Bd.  X. 
Heft  1  u.  2. 

1)  Ueber  Febris  recurrens.    Diss.  Berlin  1873. 
S)  Dieses  Aichiy.  Bd.  Xm.  Heft  3. 

Deatachei  ArcUr  f.  klin.  Medlcin.    XXIY.  Bd.  6 


82  IV.  MOGZUTKOWSKY 

Tage  der  ersten  Apyrexie.  Er  tbeilt  in  Sehmidt's  Jahrbttchern  ^)  mit, 
dass  man  in  Breslau  häufig  während  der  Apyrexie  Spirochaeten  gefun- 
den habe.  In  der  fieberfreien  Zeit  des  Recurrens  wurden  femer 
Spirochaeten  nachgewiesen  von  Litten,  Unterberger  und  von 
Heidenreich  während  einer  Pseudokrisis. .  Heidenreich  fand 
sie  auch  fast  volle  24  Stunden  vor  Beginn  des  Anfalles.  Hieraus 
ergibt  sich,  dass  die  Spirochaeten  während  des  Anfalles  eine  bestän* 
dige  Erscheinung  im  Blute  sind,  während  der  Apyrexie  aber  nicht 
sicher,  ja  sozusagen  nur  ausnahmsweise  angetroffen  werden  und  dass 
daher  darüber  weitere  genauere  Beobachtungen  sehr  wünschenswerth 
erscheinen.  Die  bisher  veröffentlichten  Beobachtungen  über  Spiro- 
chaeten haben  den  späteren  Forschern  noch  eine  Menge  der  für  die 
Mikrologie  wichtigsten  Fragen  offen  gelassen.  Auf  jedem  Schritte 
trifft  man  auf  neue  Erscheinungen,  welche  sowohl  genauere  Beob- 
achtungen,  als  auch  die  Bestätigung  derselben  durch  andere  Forscher 
verlangen,  und  somit  veröffentlicht  werden  müssen. 

Zum  besseren  Yerständniss  meiner  Untersuchungen  halte  ich  es 
für  nothwendig,  die  von  mir  zur  Gewinnung  und  Aufbewahrung  des 
zu  untersuchenden  Blutes  benutzte  Methode  etwas  ausführlicher  mit* 
zutheilen.  Als  Gefäss  zum  Sammeln  des  Blutes  dienten  Glasröhr- 
chen (Taf.  III,  Fig.  5  in  halber  natürlicher  Grösse),  welche  an  einem 
Ende  kolbenartig  aufgetrieben  und  verschlossen,  am  anderen  jedoch 
offen  und  haarfein  ausgezogen  waren.  Die  Länge  des  sich  verjün- 
genden Theiles  betrug  15—20  Gm.  Nachdem  an  einer  beliebigen 
Stelle  der  Haut  mit  der  Spitze  einer  Lanzette  ein  Einstich  gemacht 
wurde  und  aus  demselben  ein  Tropfen  Blut  ausgetreten  war,  tauchte 
ich,  nachdem  zuvor  das  aufgetriebene  Ende  des  Röhrchens  über  einer 
Spiritusflamme  erwärmt  worden  war,  die  haarfeine  offene  Spitze  des- 
selben in  den  Tropfen  ein,  worauf  nach  physikalischen  Gesetzen  das 
I  Blut  sich  im  Röhrchen  bis  gegen  das  kolbige  Ende  erhob.    Hierauf 

wurde  sogleich  das  offene  Ende  zugesshmolzen  und  das  Blut  bis  zur 
mikroskopischen  Untersuchung  in  der  nöthigen  Temperatur  aufbe- 
wahrt. Um  das  Blut  aus  dem  Röhrchen  auf  den  Objectträger  zu 
Übertragen,  bricht  man  das  zugeschmolzene  Ende  ab  und  erwärmt 
wiederum  den  anderen  kolbenartigen  Theil,  worauf  das  Blut  selbst- 
verständlich aus  der  Oefihung  des  Capillarröhrchens  heraustritt.  Diese 
Art  und  Weise  ist  sehr  bequem  und  bei  einiger  Vorsicht  und  Fer- 
tigkeit lässt  sich  leicht  der  Einfluss  der  hohen  Temperatur,  sowohl 
auf  die*^ Spirochaeten,  als  auch  auf  die  Blutkörperchen  vermeiden. 


1)  Band  106.  Heft  2. 


RackfiülstyphiiB.  88 

Wenn  zur  Beobaehtnng  eine  grögsere  Menge  Blutes  nötbig  ist,  so 
l&Bst  sieh  solches  —  selbstverständlich  mit  Bewilligung  des  Kranken 
(wie  solche  auch  in  der  früher  beschriebenen  Methode  immer  ein- 
geholt worden)  —  vermittelst  Schröpfköpfen  gewinnen,  wenn  keine 
Contraindication  vorliegt  oder  wenn  Blutentziehung  sogar  durch  an- 
derweitige Erscheinungen  geboten  erscheint.  Bei  der  Gewinnung 
des  Blutes  wurde  immer  die  grösste  Aufmerksamkeit  auf  die  Rein«* 
liehkeit  der  Haut,  der  Apparate  und  Instrumente  verwandt  Beim 
Uebertragen  des  Blutes  auf  das  Objectglas  bemflhte  ich  mich,  um 
grössere  Feinheit  des  Präparates  zu  erzielen,  einen  möglichst  kleinen 
Tropfen  ausfiiessen  zu  lassen. 

Ich  gehe  jetzt  über  zur  Beschreibung  der  Spirochaeten  und  der 
Bedingungen  ihrer  Existenz,  sowohl  innerhalb,  als  ausserhalb  des 
menschlichen  Organismus.  In  dem  von  einem  Recurrenskranken 
während  des  Anfalles  frisch  entnommenen  und  sofort  unter  das  Mi- 
kroskop gebrachten  Blute  bemerkt  man  zuweilen  eine  besondere 
Bewegung  der  rothen  Blutkörperchen.  Dieselben  bewegen  sich,  üb- 
rigens ohne  ihre  Form  zu  verändern ,  stossweise  nach  allen  Seiten. 
Bei  aufmerksamer  Beobachtung  und  starker  Vergrösserung  (von  650 
und  weiter)  lässt  sich  deutlich  wahrnehmen,  dass  diese  Stösse  auf 
die  Blutkörperchen  von  mikroskopischen  Gebilden  —  Spirochaeten, 
nach  Obermeier  Spirillen  —  übertragen  werden.  Jedes  einzelne 
Individuum  der  Spirochaeten  präsentirt  sich  als  ein  wellenförmiges 
Fädchen,  welches  aus  einer  Reihe  von  regelmässig  zusammengestell- 
ten gleichen  Windungen  besteht.  Die  von  einigen  Autoren  (Litten, 
Unterb erger,  Engel)  beschriebene  spiralige  Form  dieser  Gebilde 
konnte  ich  unter  dem  Mikroskop  —  selbst  mit  Hartnack  Immers. 
System  15  nicht  sehen.  Die  Zahl  der  Windungen  beläuft  sich  auf 
6—16,  je  nach  der  Länge  der  Spirochaeten.  Der  Durchmesser  ihres 
Körpers  kommt  annähernd  dem  Durchmesser  des  feinsten  Fädchens 
geronnenen  Fibrins  gleich.  Der  Radius  der  Windungen  verändert 
sieh  und  ist  von  den  Bewegungen  der  Spirochaeten  abhängig;  ihre 
Grosse  variirt  zwischen  der  Hälfte  und  einem  Viertel  des  Radius 
eines  rothen  Blutkörperchen  (Taf.  II,  Fig.  1,  2,  3,  4).  Die  Länge 
der  Spirochaeten  wechselt  ebenfalls,  nicht  nur  bei  verschiedenen  Sub- 
jecten,  sondern  auch  bei  ein  und  demselben  in  den  verschiedenen 
Momenten  der  Bewegung.  Die  einzelnen  Spirochaeten  haben  eine 
Länge  von  2 — 5  Durchmessern  der  rothen  Blutkörperchen;  nach 
Obermeier  von  IV2— 6.  Nach  Engel  erreichen  sie  selbst  eine 
Länge  von  30  Durchmessern  der  rothen  Blutkörperchen.  Heiden- 
reich  bestimmt    ihre  Länge   auf   0,012  —  0,043  Mm.     Eine  sich 


84  IV-  MOCZUTKOWSKT 

bewegende  Spirochaete  kann  sieh  mit  der  Vergrösserong  des  Badius 
der  Windung  noch  um  das  Vierfache  ihrer  Länge  yergrossem.  Ich 
konnte  nicht  bemerken,  dass  die  Länge  der  Spirochaete  aof  ihr  Älter 
schliessen  liesse.  Mir  sind  ebenso  oft  im  Anfange  des  Anfalles  lange 
Spirochaeten  zu  Qesicht  gekommen,  als  kurze  am  Ende  desselben  und 
umgekehrt.  Engel  spricht  sich  im  entgegengesetzten  Sinne  aus; 
er  sagt,  dass,  aus  einer  je  späteren  Periode  des  Anfalles  das  Blut 
genommen  sei,  man  um  so  häufiger  auf  längere  Spirochaeten  stosse. 
Dieses  spricht,  dem  Anschein  nach,  für  das  Wachsthum  der  Spiro- 
chaeten. Ich  werde  weiter  unten  eine  andere  Erklärung  dieser  Er- 
scheinung geben. 

Die  Spirochaeten  erscheinen  farblos,  haben  dabei  aber  deutliche 
Conturen.  Die  Dicke  des  Körpers  ist  überall  gleichmässig.  Wenn 
die  Spirochaeten  unbeweglich  werden,  nehmen  die  Oonturen  an  Schärfe 
zu  (Engel)  und  der  Durchmesser  des  Körpers  verdoppelt  sich  fast. 
Die  Enden  der  Spirochaeten  erscheinen  leicht  zugespitzt  und  bei  ein- 
zelnen Individuen  auf  der  Höhe  der  Windungen  abgestumpft,  bei 
anderen  an  verschiedenen  Stellen  der  letzteren.  Mir  ist  es  nie  ge- 
lungen Köpfe  zu  beobachten,  wie  solche  votr  Erichsen^)  an  den 
Enden  der  Spirochaeten  bemerkt  worden  sind.  Auch  Obermeier 
hat  dem  Körper  entlang  Verdickungen  bemerkt,  die  Heidenreich 
(l.  c.)  ganz  richtig  für  angeklebte,  im  Blute  schwimmende  Detritus- 
körnchen  hält  Bei  der  aufmerksamsten  Beobachtung  vermittelst  des 
Hartnack'schen  Immersionssystems  Nr.  15  ist  es  mir,  ebenso  wenig 
wie  Litten  vermittelst  Immersionssystem  Nr.  10  gelungen,  bei  den 
Spirochaeten  auch  nur  eine  Spur  von  Structur  wahrzunehmen,  wie 
C  0  h  n  2)  sie  in  Form  von  Gliedern  bei  Spirochaete  plic.  beobachtet  hat 

Die  Bewegungen  der  Spirochaeten  haben  Obermeier,  Engel, 
Bliesener,  Heidenreich  und  Litten  beschrieben.  Nach  meinen 
Beobachtungen  bestehen  diese  Bewegungen  in  Folgendem:  a)  man 
nimmt  der  Längsaxe  des  Körpers  nach  wellenförmige  Bewegungen 
wahr,  bald  in  einer,  bald  in  entgegengesetzter  Richtung;  b)  der 
ganze  Körper  oder  ein  Theil  biegen  sich  entweder  im  Winkel  oder 
Bogen  (Pendelbewegungen) ;  c)  die  Spirochaeten  erhalten  sich  im  Seh- 
felde des  Präparates,  trotz  der  Strömung  des  Plasma;  d)  die  Spiro- 
chaeten verkürzen  oder  verlängern  sich.  Endlich  gewahrt  man  e) 
tetanische  Bewegungen,  welche  von  Münch  (1.  c.)  beschrieben  wor* 

1)  Vierteljahrschrift  für  prakt.  Heilkunde.  1876.  Bd.  130. 

2)  Untersuchungen  über  die  Entwicklungsgeschichte  der  mikroskop.  Algen 
und  Pilze.  Verhandlungen  der  kaiserl.  Leop.-Garolin.  Akademie  der  Naturforscher. 
Bd.  XVI.  Abth.  1. 


Kackfallstyphas.  8& 

den  Bind  und  darin  bestehen,  dass  das  Individuum  mehr  oder  weni- 
ger anhaltende  Pausen  in  seinen  Bewegungen  maeht,  wfthrend  wel- 
eher  einige  Windungen  sich  gerade  stellen ,  strecken.  Ich  werde 
weiter  noch  Gelegenheit  haben,  Aber  die  Beweglichkeit  der  Spiro- 
chaeten  zu  sprechen. 

Am  leichtesten  fand  ich  Spirochaeten  in  dünnen  Präparaten  und 
an  Stellen,  wo  sich  im  Sehfelde  wenig  Blutkörperchen  befanden. 
Am  gtlnstigsten  ist  es,  das  Blut  Vorher  zu  defibriniren,  da  im  frischen 
Blnte,  an  denjenigen  Stellen,  wo  Fibringerinnungen  stattgefunden 
haben,  Spirochaeten  sich  nicht  wahrnehmen  lassen.  Die  Spirochaeten 
balanciren  oft  ziemlich  lange  an  einer  Stelle  im  Blutplasma,  so  dass 
es  durchaus  nicht  schwer  wird,  sie  zu  fixiren.  Zuweilen  finden  sie 
sich  in  geringer  Anzahl  —  kaum  eine  in  mehreren  Präparaten  — , 
ein  anderes  Mal  in  solchen  Massen,  dass  man  sie  in  jedem  Sehfelde 
zn  Dntzenden  finden  kann.  Am  häufigsten  stösst  man  auf  einzelne 
Spirochaeten ;  zuweilen  verwickeln  sich  eine  Menge  von  einzelnen  In- 
diridaen  derartig  unter  einander,  dass  sie  ganze  Knäuel  bilden 
(Taf.II,  Fig.  2,  3,  4b).  Die  Spirochaeten  sind  nicht  gleichmässig  im 
Blate  vertheilt;  mir  ist  es  wiederholt  begegnet,  in  verschiedenen 
Bhtproben  desselben  Kranken  die  verschiedensten  Mengen  zu  beob- 
achten.  In  einem  Sehfelde  gab  es  ihrer  eine  Menge,  im  anderen 
desselben  Präparates  kaum  einzelne  Individuen.  Ebenso  bot  das 
Blut,  zu  gleicher  Zeit  aus  verschiedenen  Stellen  (der  Haut  des  Rttckens 
und  der  Schleimhaut  der  Nase)  entnommen,  mitunter  die  grössten 
Unterschiede  in  Bezug  auf  die  Anzahl  der  Spirochaeten.  Möglicher- 
weise beruht  zum  Theil  auf  letzterem  Umstände  das  von  einigen 
Autoren  (Hei  den  reich)  beobachtete  auffallende  Schwanken  in  der 
Zahl  der  Spirochaeten  in  verschiedenen  Tageszeiten  eines  Anfalles. 
Ich  kann  mit  vollster  Ueberzeugung  sagen ,  dass  mir  kein  einziges 
Mal  in  den  ersten  Tagen  der  Krankheit  mehr  (durchschnittlich)  Spi- 
rochaeten begegnet  wären,  als  in  den  folgenden  Tagen.  Mir  ist  es 
ebensowenig,  wie  auch  anderen  Beobachtern  (Litten,  Unterber- 
ger,  Engel)  gelungen,  Spirochaeten  im  Schweisse  oder  im  Uriui 
oder  im  Speichel,  oder  in  der  Milch,  oder  in  den  Faeces,  oder  im 
Eiter  Recurrenskranker  zu  beobachten.  Meine  Bemtlhungen,  sie  in 
den  Schweissbläschen  (Sudamina)  und  in  den  Blasen  bei  Erysipelas 
bullös,  nachzuweisen,  waren  ebenso  erfolglos,  wie  auch  die  Bemühun- 
gen EngeTs,  sie  in  der  Flüssigkeit  der  Blasen  nach  einem  Vesica- 
tor  oder  im  Auswurfe  zu  finden.  Das  einzige  Mittel,  in  welchem  die 
Spirochaeten  gefunden  werden,  ist  das  Blut,  und  zwar  das  Menstrual- 
blot  nicht  ausgenommen,  in  welchem  Litten  sie  nicht  finden  konnte. 


86  IV.  MOOZÜTKOWSKY 

Im  Blute  Lebender  ist  die  Anwesenheit  von  Spirochaeten  so  constant, 
dass  ich  mich  keines  Anfalles  von  Recurrens  oder  biliösen  Typho- 
ids erinnere«  in  welchem  ich  sie  nioht  gefunden  hätte.  In  diesem 
Sinne  hat  sich  auch  Heidenreich  ausgesprochen.  Dagegen  wer- 
den im  Leichenblut  Spirochaeten  gewöhnlich  nicht  angetroffen  (Orth  % 
Ponfick^)).  —  Heidenreich  allein  ist  es  gelungen,  unbewegliche 
Spirochaeten  im  Blute  eines  ai^  Recurrens  Verstorbenen  nachzuweisen. 
Ausser  im  Blute  Recurrenskranker  und  mit  biliösem  Typhoid  Behaf- 
teter sind  ganz  den  Spirochaeten  ähnliche  Gebilde  beobachtet  worden 
von  Billroth  in  der  Flüssigkeit  bei  Noma,  von  Manassein^)  im 
Inhalte  einer  Cyste  der  Highmorshöhle ,  von  Steinberg  ^)  und 
Gohn^)  im  Schleime  des  Mundes  und  noch  früher  von  Ehrenberg 
im  Wasser.  Cohn  hält  alle  die  im  Wasser,  Schleim  und  Blut  ge- 
fundenen Bildungen  für  gleichartig,  nur  verschiedene  Uebergangs- 
stufen  darstellend.  Dies  ist  aber  noch  nicht  bewiesen  und  wir  dürfen 
es  nicht  unberücksichtigt  lassen,  dass  die  Lebensbedingungen  und 
das  Medium  jeder  einzelnen  dieser  Formen  durchaus  verschiedene  sind. 

Was  die  Menge  der  Spirochaeten  während  der  verschiedenen 
Tage  und  Tageszeiten  des  Anfalles  betrifft ,  so  haben  mich  meine 
Beobachtungen  zu  folgenden  Resultaten  geführt.  In  den  ersten  24 
Stunden  des  ersten  Anfalles  fand  ich  8 — 14  Stunden  nach  dem  Be- 
ginne desselben  bei  sorgfältiger  Beobachtung  stets  Spirochaeten;  in 
10 — 20  Sehfeldern  Hess  sich  immer  eine  Spirochaete  auffinden.  Am 
zweiten  Tage  kommen  sie  schon  in  grösserer  Anzahl  vor,  —  eine 
Spirochaete  auf  3—4  Sehfelder.  In  den  folgenden  Tagen  nimmt  die 
Zahl  der  Spirochaeten  immer  zu  und  erreicht  etwa  20  Stunden  vor 
Eintritt  des  Schweisses  das  Maximum.  Darauf  verringert  sich  die 
Zahl  und  eine  halbe  Stunde  nach  Beginn  des  Schweisses  verschwin- 
den die  Spirochaeten  vollständig.  Nachfolgend  die  Durchschnittszah- 
len, gewonnen  aus  der  Zählung  der  Spirochaeten  in  verschiedenen 
Tagen  des  Anfalles  in  8  Fällen. 

10  Standen  nachdem  die  Temperatur  höher  als  38^  C.  gestiegen  war, 
fanden  sich  in  1  Sehfelde     V^^  Spirochaete 

24  1  i/i 

72        „  „.        „     „    1         „  4i;2 


1)  C!omp.  der  pathologisch-anatomischen  Diagnostik.  IST 6. 

2)  Anatomische  Studien  über  Typhus  recurrens.    Virchow^s  Archiv.  Bd.  60. 

3)  St.  Petersburger  med.  Wochenschrift.  1876.  Nr.  IS. 

4)  Unters,  der  weissen,  weichen  Masse,  die  sich  zwischen  den  Zähnen  ansam- 
melt.   Kiew  1662. 

« 

5)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen.  IST 5.  Heft  3. 


n      n  n 

n      n  n 


RackfallBtyphiu.  87 

Im  Laafe  des  4,  5,  6.  Tages  nud  weiter  bis  zum  Tage  der  Krise 
rariirte  die  Zahl  der  Spirochaeten  io  einem  Sehfelde  zwischen  3^/4  and  21  ^/2. 
Am  Tage  der  Krisis 

16  Stunden  vor  Beginn  des  Seh  weisses  kamen  12      anf  1  Sehfeld 

^n             »            n           n  it  n            ^  1^     n      n          rt 

**n»»fi  n  n            ^           n      fi          r 

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1             9             9             »            »  It  n             3V2 

Eine  halbe  Stunde  nach  Beginn  des  Schweisses  wurden  gar  keine  Spiro- 
chaeten mehr  gefunden. 

Litten  bemerktei  dasa  die  Spirochaeten  vor  der  Krise  vollstän- 
dig verschwinden,  sich  an  Zahl  gegen  Ende  des  Anfalles  verringernd ; 
Lapt8chin8k7^)sah  auffallend  viele  Spirochaeten  am  Tage  vor  der 
Krise.  Heidenreich  fand  nicht,  dass  die  Anzahl  der  Spirochaeten 
mit  jedem  folgenden  Tage  zunimmt  (1.  c.  pag.  98,  99),  wogegen  flb- 
rigens  seine  Beobachtungen  am  Kranken  Nr.  63  auf  Seite  102  und 
103  sprechen. 

In  der  Incubationszeit,  wie  auch  während  der  Apyrexie  habe 
ieh  kein  einziges  Mal  Spirochaeten  gesehen.  Die  verschiedenen  Mei- 
Bungen  der  Autoren  in  Beziehung  auf  die  Anwesenheit  der  Spiro- 
chaeten im  Blute  während  der  Apyrexie  habe  ich  schon  oben  an- 
gefahrt 

Im  zweiten  und  den  folgenden  Anfällen  wiederholen  sich  ganz 
dieselben  Befunde,  wie  im  ersten;  hier  finden  sich,  ebenso  wie  im 
ersten  Anfalle  in  den  ersten  Stunden  nach  Erhöhung  der  Körper- 
temperatur des  Kranken  keine  Spirochaeten.  Darauf  folgen  die  täg- 
liche Steigerung  der  Anzahl  und  die  übrigen  Veränderungen  der 
Spirochaeten  ganz  gleich,  wie  in  dem  schon  angegebenen  ersten  An- 
falle. In  der  Zeit  der  Reconvalescenz  wurden  keine  Spirochaeten 
beobachtet. 

In  der  Grösse  der  Spirochaeten  an  den  correspondirenden  Tagen 
der  verschiedenen  Anfälle  habe  ich  keinen  Unterschied  beobachtet. 

Was  die  Anzahl  der  Spirochaeten  in  den  verschiedenen  Anfällen 
betrifft,  so  kann  ich  sagen,  dass  ich  die  meisten  im  3.  Anfalle  beob- 
achtet habe.    Ich  führe  hier  einen  der  von  mir  notirten  Fälle  an: 

Bei  Wassilissa  Knischukowa  fand  ich   am   Tage   vor  der  Krise  des 
ersten  Anfalles  am    6.  Mai  1875  in  einem  Sehfelde     4 — 9     Spirochaeten 
am  19.  Mai  am  Tage  vor  der  IL  Krise     5 — 12  „ 

«__2.  Jnoi    n         n  n       n    M-      n         20—30 

1)  Histologische  Studien  über  das  menschliche  Blut  bei  verschiedenen  Erank- 
beiten.    St  Petersburg  1875  (russisch). 


88  IV.  MOCZITTKOWSKY 

Die  Bewegung  der  Spirochaeten  betreffend  Hessen  sich  je  nach 
den  Tagen  des  Anfalles  einige  Versebiedenheiten  bemerken.  Am 
ersten  Tage  bewegen  sieb  die  Spirocbaeten  langsamer;  in  den  fol- 
genden Tagen  nimmt  die  Beweglicbkeit  mebr  und  mebr  zu,  um  dann 
am  letzten  Tage  des  Anfalles  wieder  langsamer  zu  werden.  In  den 
ersten  zwei  oder  drei  Tagen  berrscht  die  Bewegung  in  der  Ricbtung 
der  Längsaxe  des  Körpers  vor;  in  dem  Maasse  als  der  Anfall  vor- 
scbreitet,  erscbeinen  dann  bftufiger  die  Pendelbewegungen. 

Bei  Annäberung  des  kritiscben  Sebweisses  trifft  man  unter  den 
gewöbnlicben  Spirocbaeten  aucb  solcbe,  bei  welcben  die  Bewegungen 
der  Längsaxe  nocb  langsamer  werden  und  die  tetaniscben  Bewegun- 
gen Yorberrscben.  Zuweilen  werden  Bewegungen  in  einem  gewissen 
Tbeile  der  Eörperlänge  nocb  vollzogen,  wäbrend  der  andere  Tbeil 
unbeweglicb  bleibt.  Ausser  den  Spirocbaeten  mit  verlangsamten  Be- 
wegungen stösst  man  dann  aucb  auf  solcbe,  wo  die  Bewegung  scbon 
ganz  aufgebort  bat.  In  dem  Maasse  als  bei  langsam  sieb  bewegen- 
den Spirocbaeten  die  Beweglicbkeit  abnimmt,  beginnen  die  unbeweg- 
licben  ganz  zu  verscbwinden,  so  dass  sie  in  der  Zeit  des  Sebweisses 
gar  nicbt  mebr  vorkommen.  Unbeweglicbe  Spirocbaeten  beobachtete 
Engel  im  Blute  Lebender  aucb  6,  mitunter  12  Stunden  vor  dem 
Ende  des  Anfalles. 

Wie  icb  scbon  oben  bemerkt,  begegnet  man  den  Spirochaeten 
gewöhnlich  vereinzelt  —  selbst  wenn  ihrer  mehrere  in  einem  Seh- 
felde vorhanden  sind.  Dies  gilt  aber  nur  für  die  ersten  Tage  ^es 
Anfalles.  Während  der  letzten  Tage  einiger  Anfälle  gelang  es  mir 
die  von  Obermeier ^)  beschriebenen  in  Knäueln  angehäuften  Spi- 
rocbaeten zu  beobachten.  Genauer  beschreibt  dieselben  Engel,  noch 
ausführlicher  Heidenreich.  In  meinen  Fällen  erschienen  die  Spi- 
rocbaeten derartig  unter  einander  verwickelt,  dass  sie  sternförmige 
Figuren  —  Knäuel,  welche  an  ausgezupfte  Filzstttckchen  erinnerten, 
bildeten  (Taf.  II,  Fig.  2,  3,  4  b).  In  jedem  solchen  Knoten  liess  sich 
ein  centraler  Tbeil,  welcher  aus  entweder  gerade  ausgezogenen  oder 
wellenförmig  gebogenen  Spirochaeten  bestand,  wahrnehmen  und  3  bis 
40  vom  Centrum  radienförmig  auslaufende  Enden;  letztere  stellten 
Tbeile  von  Spirochaeten  dar^  deren  gewöhnliche  Beweglichkeit  voll- 
ständig erhalten  war.  Einige  Tbeile  von  Spirochaeten,  welche  durch 
das  Centrum  des  Knotens  hindurch  gingen ,  hatten  jede  Beweglich- 
keit eingebflsst;  andere  äusserten  von  Zeit  zu  Zeit  Beweglichkeit 
nur  in  einzelnen  Windungen.   Ausser  den  Bewegungen  in  den  peri- 


1)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1873.  Nr.  33. 


RflckfallstyphQs.  89 

pberen  radiftren  Enden  der  Spirochaeten  bemerkt  man  in  jedem  Kno- 
ten noeh  Bewegungen  nach  den  verschiedensten  Richtungen,  augen- 
scheinlich unabhängig  Yon  der  in  Folge  des  Verdunstens  des  Prä- 
parates hervorgerufenen  Ortsveränderung.  Diese  Bewegungen  sind 
entweder  fortschreitende  nach  einer  oder  der  anderen  Richtung,  oder 
Rotationsbewegungen,  aber  nur  in  sehr  beschränkten  Grenzen.  Die 
Bewegung  eines  ganzen  Knäuels  nach  einer  oder  der  anderen  Seite 
scheint  abhängig  zu  sein  von  dem  Uebergewicht  der  Kraft  der  Be- 
wegungen der  freien  Enden  der  einzelnen  Spirochaete-Individuen,  bei 
welchen  sich  die  tetanischen  Zuckungen  ziemlich  häufig  wiederholen. 
In  einigen  Fällen  stiess  ich  in  einem  Sehfelde  auf  3—8  solcher 
Knäuel«  Ich  beobachtete  sie  am  häufigsten  im  zweiten  und  dritten 
Anfalle  und  immer  nur  bei  Complicationen  mit  Pneumonie  oder  le- 
teros.  Ich  kann  die  Beobachtungen  Heidenreich 's  hinsichtlich 
des  Auftretens  solcher  Knäuel  im  stagnirenden  Blute  bestätigen  und 
kann  nicht  umhin  zu  erwähnen,  dass  fast  alle  meine  Fälle  sich  durch 
bedeutende  Kreislaufstörungen  (Schwäche  des  Pulses,  Cyanose)  aus- 
zeichneten. Letzteres  bestätigt  auch  die  Existenz  des  von  Heiden- 
reich angegebenen  Zusammenhangs  der  Verlangsamung  der  Circu- 
lation  mit  dem  Auftreten  der  Knäuel  im  Blute.  Der  Grund  dieser 
Abhängigkeit  wird  um  so  verständlicher,  wenn  man  sich  des  von 
Ludwig  und  Httter  bewiesenen  Factums  erinnert,  dass  bei  fiebern- 
den Thieren  nur  ein  Theil  ihres  Blutes  im  Organismus  circulirt,  — 
der  andere  befindet  sich  im  Zustande  der  Stauung;  oder  auch  der 
Beobachtungen  Haro'sO»  welcher  bewies,  dass  die  Blutgeschwin- 
digkeit sich  verringerte  nach  Zusatz  verschiedener  Quantitäten  von 
Gallensalzen,  im  Mischverhältnisse,  wie  solche  in  der  Galle  enthal- 
ten sind. 

Zugleich  mit  den  beschriebenen  Knäueln  begegnete  man  recht 
häufig  auch  einzelnen  Spirochaete-Individuen  von  verschiedener  Grösse 
(Taf.  II,  Fig.  3  u.  4).  Es  kamen  Spirochaeten  vor,  bei  welchen  die 
Enden  verbunden  waren  und  die  in  Folge  dessen  die  Ringform  an- 
genommen hatten;  an  diesen  Ring  hängten  sich  zuweilen  an  den 
Seiten  noch  zwei  oder  drei  Spirochaeten  an  (Taf.  II,  Fig.  2  b).  Man 
erblickte  auch  äusserst  lange  Fäden,  welche  fast  die  Hälfte  des  Seh- 
felddurchmessers  einnahmen,  scheinbar  einem  Individuum  zukommend 
(Taf.  II,  Fig.  3  u.  4  c.).  Solch  ein  Faden,  welcher  mitunter  in  seiner 
ganzen  Ausdehnung  nirgends  deutliche  Verdickungen  wahrnehmen 
liees,  ^rriss  plötzlich  unter  den  Augen  des  Beobachters  und  dann 


1)  Gazette  hebdomad.  1876  Ko.  37. 


90  lY.  MOCZUTKOWSKY 

konnte  man  sich  leicht  ttberzengen,  dass  der  Faden  aus  zwei  Indi- 
viduen bestand,  die  sich  mit  ihren  Enden  verwickelt  hatten.  Die 
Leichtigkeit,  mit  der  der  Faden  unter  spitzem  oder  rechtem  Winkel 
abbrach,  lieferte  mitunter  nur  den  Beweis,  dass  man  zwei  in  ihrer 
Lftngsaxe  verkettete  Individuen  vor  sich  hatte.  Diese  zusammenge- 
setzten Gebilde  eben  sind  es  wahrscheinlich,  welche  von  Engel  fflr 
einzelne  Indivi^en  von  der  Länge  bis  zum  Durchmesser  von  30 
rothen  Blutkörperchen  gehalten  worden.  Da  am  Ende  des  Anfalles 
die  Zahl  der  Spirochaeten  zunimmt,  sie  aber  auch  in  dieser  Zeit  unter 
gewissen  Bedingungen  die  Neigung  haben,  sich  zu  Knäueln  zu  ver- 
flechten, so  konnten  sie;  oft  der  Länge  nach  verbunden,  Engel  Ver- 
anlassung gegeben  haben,  ihre  Länge  mit  ihrem  Alter  in  Zusammen- 
hang zu  bringen. 

Die  Verwickelung  der  Spirochaeten  in  Knäuel  ist  meiner  Ansicht 
nach  bedingt  durch  die  Spiralform  derselben,  für  welche,  wenn  sie 
auch  unter  dem  Mikroskope  nicht  erkennbar,  einige  Umstände  spre- 
chen. Heidenreich  erschien  die  Form  der  Spirochaeten 'unter  dem 
Mikroskope  beim  ersten  Blicke  auch  nicht  spiralig.  Die  von  ihm  an- 
geführten Merkmale,  welche  für  die  spiralige  Form  der  Spirochaeten 
sprechen  sollten,  habe  ich  nicht  ein  einziges  Mal  bemerken  können. 

Eine  derartig  enge  und  feste  Verflechtung,  wie  sie  in  den  Knäueln 
vorkommt,  ist  kaum  bei  irgend  einer  anderen  Körperform  der  Spi- 
rochaeten möglich.  Wäre  die  Form  eine  zickzackähnliche,  so  müsste 
jede  Bewegung  einer  Spirochaete  sie  von  der  anderen  frei  machen ; 
wogegen  bei  der  Spiralform  in  Folge  der  wellenförmigen  (vielleicht 
auch  schraubenförmigen)  Bewegung  ein  Sichhineinwinden  einer  Spi- 
rochaete in  die  andere,  oder  in  einen  ganzen  Knäuel,  oder  eine  noch 
innigere  Verflechtung  unter  einander  stattfindet 

Heidenreich  sieht  den  Grund  der  Knäuelbildung  in  der  der 
Spirochaete  eigenthümlichen  Klebrigkeit  und  bezieht  sich  dabei  auf 
das  Factum,  dass  man  häufig  unter  dem  Mikroskope  den  Spirochaeten 
rothe  Blutkörperchen  ankleben  sieht,  von  welchen  sie  sich  zu  be- 
freien streben.  Es  ist  vollkommen  richtig  —  dieser  Erscheinung  be- 
gegnet man  oft;  aber  wenn  sich  die  Spirochaeten  durch  besondere 
Klebrigkeit  auszeichneten,  so  müsste  man  um  so  häufiger  auf  ange- 
klebte Partikelchen  von  zerfallenen  rothen  Blutkörperchen  stossen, 
oder  auf  die  im  Blute  fortwährend  vorkommenden  und  sich  bewe- 
genden kleinsten  Körperchen,  Endothelien,  welche  in  Folge  ihres 
geringen  Umfanges  noch  leichter  von  den  Spirochaeten  festgehalten 
werden  müssten.  Statt  dessen  begegnen  wir  letzterer  Erscheinung  viel 
ßeltener,  als  den  angeklebten  Blutkörperchen.    Den  Grund  für  die 


RackÜAUBtyphiis.  91 

eben  beschriebene  Erscheinung  sehe  ich  im  Gegentheil  in  der  Kleb- 
rigkeit  der  rothen  Blutkörperchen,  von  welcher  Eigenschaft  sich  Jeder 
nicht  schwer  überzeugen  kann,  der  Präparate  aus  dem  Blute  Typhöser 
angefertigt  hat;  und  ist  diese  Eigenschaft  noch  besonders  von  Coze 
und  FeltZy  sowie  von  Laptschinsky(Lc)  nachgewiesen  worden. 
Abgesehen  von  der  Eigenschaft  der  rothen  Blutkörpercheni  sich  bei 
Typhösen  in  Haufen  zusammenzudrängen,  sich  auszudehnen  und  die 
Tcrschiedensten  Gestalten  (Taf.  11,  Fig.  3  u.  4  k.  p.)  anzunehmen,  muss 
ich  bemerken,  dass  gerade  in  ihrer  Nähe  sich  jene  kleinsten  Par- 
tikelchen concentriren,  welche  im  Blute  vorkommen  und  welche,  wie 
ich  schon  sagte,  nur  selten  den  Spirochaeten  ankleben. 

Den  zweiten  Beweis  für  die  Spiralform  der  Spirochaeten  sehe 
ich  in  einer  Erscheinung,  welche  mir  nur  ein  einziges  Mal  zu  beob- 
achten gelungen  ist,  und  welche  man  zu  den  allerseltensten  Fällen 
zählen  muss. 

Der  Sachverhalt  ist  folgender:  Am  17.  Juni  1874,  beschäftigt 
mit  der  Untersuchung  des  Blutes  einer  Recurrens-Eranken ,  Ustinja 
Flora,  beobachtete  ich  einige  Spirochaeten,  welche  in  Folge  des  Zu- 
satzes von  zwei  Volumen  destillirten  Wassers  zum  Blute  der  Be- 
wegung beraubt  waren.  Zu  der  Zeit,  als  eine  dieser  unbeweglichen 
Spirochaeten  fast  im  Centrum  des  Sehfeldes  gut  fixirt  war,  kreuzte 
bei  einer  benachbarten  Gruppe  rother  Blutkörperchen  eine  runde 
Bacterie,  deren  Durchmesser  annähernd  dem  Radius  der  Spirochaete- 
Windang  gleichkam  (Taf.  II,  Fig.  3  u.  4  f.  f.).  Diese  Bacterie ,  der 
Mitte  der  von  mir  fixirten  unbeweglichen  Spirochaete  sich  nähernd, 
bewegte  sich  plötzlich  entlang  derselben  in  der  Richtung  (in  Bezug 
auf  das  Sehfeld)  von  rechts  nach  links  und  indem  sie  auf  diese  Weise 
den  Weg  entlang  3  Windungen  der  Spirale  zurückgelegt,  gelangte 
sie  an  das  Ende  derselben,  machte  noch  eine  Rflckwärtsbewegung 
einer  Windung  entlang  und  verschwand  aus  dem  Sehfelde.  Ich  habe 
dieses  Präparat  noch  lange  beobachtet,  allein  die  oben  beschriebene 
Erscheinung  ist  mir  weder  in  diesem,  noch  in  den  nachher  (im  Laufe 
von  2  Jahren)  von  mir  angefertigten  Präparaten  (an  2000)  vorge- 
kommen. Indem  die  Bacterie  der  Spirochaete  entlang  fortschritt, 
bewegte  sie  sich  längs  der  Peripherie  der  Windungen  derselben.  Der 
Durchmesser  des  Spirochaete-Eörpers  wurde  um  ein  Bedeutendes  vom 
Durchmesser  der  Bacterie  übertroffen  und  es  zeichnete  sich  letztere 
daher  scharf  ab.  Indem  die  Bacterie  sich  mit  äusserster  Geschwin- 
digkeit längs  der  äusseren  Windungen  der  Spirale  bewegte,  mussten 
diese  Bewegungen  in  einer  tiefer  gelegenen  Ebene  vollzogen  werden, 
als  die  von  der  Spirochaete  eingenommenen.    Da  nun  die  von  mir 


92  IV.  MOCZUTKOWSKY 

beobachtete  Spirochaete  gerade  im  Focus  (Hartnack  Immers.-System 
11,  Ocul.  3)  fixirt  wurde,  bo  inusste  die  Bacterie,  entweder  weiter 
oder  näher  als  der  Focus  gelegen,  in  der  verticalen  Axe  des  Seh- 
feldes weniger  deutlich  erscheinen,  dagegen  ganz  deutlich  zu  sehen 
sein  an  den  Stellen  der  Spirochaete ,  welche  genau  in  der  horizon- 
talen Ebene  des  Focus  lagen.  Es  ist  selbstverständlich,  dass,  wenn 
die  Spirochaete  die  Wellenform  besässe,  auch  der  von  der  Bacterie 
zurückgelegte  Weg  sich  als  Wellenlinie  darstellen  mttsste. 

Ich  erwähnte  schon  den  Zustand,  in  welchem  sich  die  Spiro- 
chaete am  Ende  des  Recurrens- Anfalles  befindet.  Welches  ist  nun 
ihr  weiteres  Schicksal?  Das  war  die  Frage,  welche  ich,  gleich  vielen 
anderen  Forschem,  sofort  aufwarf,  als  ich  Gelegenheit  hatte  das  Blut 
eines  Recurrens-Eranken  nach  dem  Schweissstadium  zu  untersuchen. 
Diese  Frage  ist  jedoch  bis  dahin  noch  nicht  aufgeklärt.  Engel 
wagt  es  nicht,  sich  über  die  Art  der  Entstehung  der  Spirochaeten 
auszusprechen  und  weiss  nicht  anzugeben,  ob  sie  sich  aus  anderen 
Formen  entwickeln,  oder  auf  dem  Wege  einfacher  Vermehrung  (Thei- 
lung,  wie  auch  andere  derselben  Gattung).  Was  aus  ihnen  wird, 
nachdem  die  Bewegung  aufgehört  hat,  weiss  er  nicht  zu  sagen,  zieht 
aber  den  Schluss,  dass  sie  unter  normalen  Verhältnissen,  da  sie  weder 
im  Urin,  noch  im  Schweisse,  noch  in  anderen  Secreten  oder  Excre- 
menten  beobachtet  worden,  nicht  in  unveränderter  Form  aus  dem 
Organismus  ausgeschieden  werden .  G o h n  und  Heidenreich  beob- 
achteten,  dass  die  Spirochaeten  bald  nach  Aufhebung  der  Bewegung 
ein  körniges  Aussehen  erhielten.  Beide  Autoren  kommen  zu  dem 
Schluss,  dass  dieses  Aussehen  durch  die  fettige  Entartung  der  Spi- 
rochaete bedingt  sei. 

Mir  ist  es  nur  zweimal  gelungen,  unter  dem  Mikroskope  im 
Blute,  welches  einmal  4  Stunden,  das  andere  Mal  17  Stunden  in  der 
feuchten  Kammer  gestanden  hatte,  den  Frocess  des  Zerfalls  der  Spi- 
rochaeten zu  beobachten.  Der  Vorgang  besteht  in  Folgendem:  die 
unbewegliche  Spirochaete  beginnt  zwei  Stunden  nach  dem  Aufhören 
der  Bewegungen  sich  ein  wenig  aufzublähen  und  zwar  der  Art  gleich- 
massig,  dass  sich  an  derselben  weder  Erhebungen  noch  Vertiefungen 
wahrnehmen  lassen.  Anfangs  scheint  sie  sich  zu  trüben,  doch  sehr 
bald  bemerkt  man  einen  feinkörnigen  Zerfall,  wobei  es  die  Anord- 
nung der  Detritustheilchen  fast  unmöglich  macht,  das  ursprüngliche 
Aeussere  der  Spirochaete  zu  erkennen  (Taf.  II,  Fig.  3  d).  Im  frischen, 
dem  Kranken  während  oder  gleich  nach  dem  Schweisse  entnommenen 
Blute  ist  es  mir  nie  gelungen,  das  beschriebene  Bild  schon  vollendet 
zu  beobachten. 


RQckfallstyphas.  93 

Ich  gehe  jetzt  fiber  zu  der  Untersuchung  der  Bewegungsfähigkeit 
der  Spirochaeten  unter  verschiedenen  Bedingungen  inner-  und  ausser- 
halb des  menschlichen  Organismus  —  wenn  man  sich  so  ausdrücken 
kann,  zur  Frage  der  Lebensfähigkeit  der  Spirochaete.  Ich  ffige  letz- 
teres in  Bezug  auf  den  Umstand  hinzu,  dass  die  Aufbebung  der  Be- 
weglichkeit der  Spirochaete  noch  keineswegs  als  Beweis  ihres  Todes 
dienen  darf ,  ebenso  wenig  wie  bei  den  Honaden  der  getrocknete 
Backstand  nicht  für  die  Leichen  derselben  angesehen  werden  darf 
(Hat  er). 

Es  ei^b  sich,  dass  bei  Recurrens  die  Spirochaete  aus  dem  Blute, 
welches  sich  innerhalb  des  Organismus  befindet,  früher  Terschwindet, 
als  aus  demselben  Blute  ausserhalb  des  Organismus.  Zum  Beispiel 
fand  ich  in  dem  Blute,  welches  der  Tatjana  Wassiljewa  am  5.  März 
1875  am  5.  Tage  des  2.  Anfalles,  4  Stunden  vor  Eintritt  der  Krise 
entnommen  war,  unter  dem  Mikroskope  in  der  feuchten  Kammer,  bei 
einer  Zimmertemperatur  von  15 — 17  ^R.,  nach  Verlauf  von  20  Stun- 
den sich  bewegende  Spirochaeten,  während  in  dem  derselben  Kranken 
8  Stunden  nach  der  obigen  Blutentziehung  entnommenen  und  sofort 
unter  dem  Mikroskop  untersuchten  Blute  keine  einzige  gefunden 
wurde.  Dieser  Erscheinung  weiter  aufmerksam  nachgehend,  machte 
ich  folgende  Beobachtungen:  W&hrend  in  dem  Blute  der  Palageja 
Ewdokimowa  am  Tage  der  Krise  des  1.  Anfalles  am  11.  April  1875 
die  Spirochaeten  vollständig  verschwunden  waren  und  das  täglich 
im  Verlaufe  der  ganzen  ersten  Apyrexie  frisch  untersuchte  Blut  durch- 
aus keine  Formelemente  ergab,  welche  es  wesentlich  von  gesundem 
Blute  unterschieden  hätten,  so  enthielt  das  derselben  Kranken  am 
10.  April,  also  am  Tage  vor  der  Krise,  entnommene  und  in  herme- 
tisch verschlossenen  (zugeschmolzenen)  Röhrchen  bei  einer  Tempera- 
tur von  14 — n^  B.  aufbewahrte  Blut  am  15.  April,  d.  h.  am  5.  Tage 
der  Apyrexie  untersucht,  in  Beziehung  auf  Anzahl  (bis  30  im  Seh- 
felde) und  Beweglichkeit  gut  erhaltene  Spirochaeten.  Das  Röhrchen 
mit  dem  Spirochaeten  enthaltenden  Blute  wurde  zur  weiteren  Unter- 
suchung von  Neuem  verlöthet.  In  der  Paralleluntersuchung  enthielt 
das  der  Ewdokimowa  am  15.  April  frisch  entnommene  Blut  keine 
Spirochaeten.  Am  19.  April,  als  in  dem  der  Ewdokimowa  am  3.  Tage 
des  2.  Anfalles  frisch  entnommenen  Blute  sich  eine  Menge  von  Spi- 
rochaeten fand,  erschienen  in  dem  schon  einmal  untersuchten  Blute 
des  ersten  Anfalles  hie  und  da  unbewegliche  Spirochaeten;  bei  an- 
deren wurden  die  Bewegungen  langsamer  und  zeichneten  sich  durch 
häufige  Pausen  aus ;  die  Anzahl  der  Spirochaeten  hatte  im  Vergleich 
zur  erstangegebenen  nicht  zugenommen.   Am  3.  Mai  wurde  wiederum 


94  IV.  MOCZUTKOWSKT 

dasselbe  Blat  aas  dem  Söhrchen  untersucht,  welches  zugelöthet  zur 
weiteren  Untersuchung  aufbewahrt  worden  war.  Dieses  Mal  gab  es 
nur  sehr  wenige  bewegliche  Spirochaeten  —  etwa  2  oder  3  im  Seh- 
felde ;  unbewegliche  fanden  sich  in  gleicher  Anzahl ;  Detritustheilchen 
gab  es  bedeutend  mehr.  An  diesem  Tage  enthielt  frisch  im  Laufe 
des  zweiten  Tages  des  3.  Anfalles  entnommenes  Blut  in  jedem  Seh- 
felde 4 — 6  Spirochaeten.  Am  18.  Mai  wurde  das  Blut  aus  obigem 
Böhrchen  abermals  untersucht  und  fand  sich  in  mehr  als  20  Präpa- 
raten nur  eine  sich  kaum  noch  bewegende  Spirochaete. 

2.  Beobachtung:  Der  Tatjana  Wassiljewa  wurde  am  4.  Tage  des 
ersten  Anfalles  am  18.  Februar  1875  Blut  entzogen  und  in  vier  so- 
fort zugeschmolzenen  Böhrchen  aufbewahrt.  Dasselbe  zeigte  in  jedem 
Sehfelde  8 — 14  Spirochaeten.  Am  3.  Tage  des  2.  Anfalles,  am  3.  März 
wurde  eins  der  Böhrchen  eröffnet  und  fand  sich  im  Blute  nur  die 
Hälfte  der  Anzahl  der  Spirochaeten  in  Bewegung.  In  dem  am  glei- 
chen Tage  frisch  entnommenen  Blute  kamen  auf  ein  Sehfeld  3  bis 
4  Spirochaeten.  Am  4.  Tage  der  2.  Apyrexie  (am  9.  März)  enthielt 
das  frisch  entnommene  Blut  gar  keine  Spirochaeten;  in  dem  Blute 
aus  dem  an  demselben  Tage  eröffneten  zweiten  Böhrchen  fand  man 
sie  in  sehr  geringer  Zahl,  nicht  einmal  in  jedem  Sehfelde.  Am 
13.  März,  am  2.  Tage  des  3.  Anfalles  wird  das  Blut  aus  dem  3.  Böhr- 
chen und  wiederum  frisch  entnommenes  untersucht;  im  ersten  keine 
Spirochaeten,  im  zweiten  trifft  man  nur  hie  und  da  auf  vereinzelte 
Spirochaeten.  Am  30.  März  in  der  Periode  der  Beconvalescenz  der 
Kranken  werden  in  dem  im  vierten  Böhrchen  enthaltenen  ebenso- 
wenig wie  in  dem  frisch  entnommenen  Blute  Spirochaeten  wahrge- 
nommen. 

Die  eben  angeführten  zwei  Beobachtungen  bestätigen  die  frAher 
oben  ausgesprochene  Meinung  und  beweisen,  dass  die  Spirochaeten 
ziemlich  lange  ausserhalb  des  Organismus  leben  können.  Im  ersten 
Versuch  behielten  sie  die  Beweglichkeit  in  hermetisch  verschlossenen 
Gefässen  im  Laufe  von  37  Tagen.  Dieses  ist  die  längste  Dauer  der 
Erhaltung  der  Bewegungsfähigkeit  der  Spirochaete,  welcher  ich  in 
allen  meinen  Beobachtungen  begegnet  bin.  Meine  Untersuchungen 
bestätigen  aber  nicht  die  Ansicht  Engel's,  dass,  in  je  früherer  Zeit 
des  Anfalles  das  Blut  entnommen  wurde,  um  so  länger  auch  die 
Lebenstähigkeit  der  Spirochaete  ausserhalb  des  Organismus  sei  und 
umgekehrt.  Ich  habe  hier  durchaus  keine  Gesetzmässigkeit  finden 
können.  Jedenfalls  bleibt  den  Spirochaeten  ihre  Beweglichkeit  be- 
deutend länger  erhalten,  als  es  Litten  (24  Stunden)  und  Mttnch 
(über  24  Stunden)  beobachteten.  Heidenreich  sah  die  Spirochaete 


Rück&llBtyphQB.  95 

ausserhalb  des  Organismas  (in  mit  Siegellack  verklebten  Röhrchen) 
sogar  nach  130  Tagen  sich  bewegen.  Diese  Beobachtung  ist  sehr 
wichtig ;  denn  berücksiehtigen  wir  dabei  noch  das  bekannte  Factam» 
dass  niedrige  Temperaturgrade  dem  Leben  der  Bacterien  günstig 
(Bucholtz)O  sind  und  dass  nach  Heidenreich  der  Spiroohaete 
ihre  Beweglichkeit  am  besten  bei  einer  Temperatur  von  12,8 — 17,60R. 
erbalten  bleibt,  —  so  wird  der  Zusammenhang  zweier ,  selbst  weit 
getrennter  Epidemien  des  Recurrens  um  so  begreiflicher.  Die  spon- 
tane Entstehung  Murchison's  verliert  selbstverständlich  ganz  ihre 
Bedeutung. 

Was  den  Unterschied  betrifft  in  der  Bewegungsfähigkeit  der 
Spirochaeten  in  defibrinirtem  Blute,  welches  in  hermetisch  verschlosse- 
nen Gefässen  aufbewahrt,  oder  dem  Einflüsse  der  atmosphärischen 
Luft  (in  der  feuchten  Kammer)  ausgesetzt  gewesen,  so  bewegten  sich 
die  Spirochaeten  im  ersteren  Falle  zehnmal  länger,  als  im  zweiten. 

Die  Trockenheit  wirkte  auch  äusserst  rapid  auf  die  Beweglich- 
keit der  Spirochaeten;  je  schneller  sie  einwirkte,  um  so  schneller 
hörte  die  Beweglichkeit  auf. 

Das  Aufhören  der  Bewegungen  erfolgt  ziemlich  rasch;  nach 
einigen  tetanischen  Bewegungen  treten  zuerat  Pausen  in  den  mitt- 
leren Windungen  auf  und  dann  im  ganzen  Individuum. 

Die  Cultur  der  Spirochaete  führte  mich,  wie  auch  Weigert, 
Lebert^)  und  Heidenreich  zu  negativen  Resultaten.  Ein  Tro- 
pfen Blut,  welcher  eine  Menge  von  sich  bewegenden  Spirochaeten 
enthielt,  wurde  in  ein  1  Ccm.  Cohn*scher  oder  Pasteur'scher  Flüssig- 
keit enthaltendes  Gefäss  hineingegeben.  Die  Spirochaeten  gingen 
nach  5 — 10  Minuten  zu  Grunde.  In  einer  Zuckerlösung  von  mehr 
als  b^io  und  einer  Eiweisslösung  von  10 ^/o  gingen  sie  augenblicklich 
zu  Grunde;  in  schwächeren  Lösungen  erhielten  sie  ihre  Beweglich- 
keit 1/2 — IV2  Stunden. 

Die  Cultur  der  Spirochaeten  im  Blute',  we^hes  gesunden  Men- 
schen, Thieren,  mit  anderen  Infectionskrankheiten  (Abdominaltyphus, 
Diphtherie)  behafteten  Kranken  entnommen  war,  gelang  ebenso- 
wenig; die  Spirochaeten  gingen  am  2.  und  nicht  später  als  am  5. 
Tage' zu  Grunde. 

Das  gleiche  Resultat  wurde  erhalten  bei  den  Versuchen  mit 


1)  Archiv  ft&r  experim.  Pathologie  und  Pharmakologie.  Bd.iy.  Heft  9.    1S75. 

2)  Ziemssen^s  Handb.  der  spec.  Pathol.  u.  Therapie.  Bd.  II.  t. 


96  IV.  MOCZDTCOWSKT 

Blut-  oder  MilchBerum.  Niemals  bemerkte  man  eine  Zunahme  der 
Anzahl  der  Spiroehaeten  im  neuen-  Medium ;  im  Gegentheil,  die  An- 
zahl yerringerte  sich  fortwährend  bis  zum  gänzlichen  Verschwinden. 

Ausser  den  Versuchen  mit  Spiroehaeten  enthaltendem  Blut  wur- 
den auch  Versuche  gemacht  mit  Blut,  welches  Kranken  während 
der  Apyrexie  entnommen.  Es  ergab  sich,  dass  die  Spiroehaeten  nicht 
nur  nicht  am  bezQglichen  Tage^  entsprechend  dem  Erscheinen  der- 
selben im  Organismus  (Rückfall)  sich  zeigten,  sondern  auch  nicht  in 
der  folgenden  Zeit  Die  Beobachtungen  wurden  3—6  Wochen  fort- 
gesetzt. 

(SchlusB  folgt.) 


Erklärung  der  Abbilduogen. 

(Tafel  U.) 

Die  ersten  4  Figuren  stellen  Bilder  nach  der  Natur  dar.  11.  Immers.- 
Syst.  (Hartnack)  Ocalar  No.  IV. 

Fig.  1.  Blut  vom  zweiten  Tage  des  ersten  Anfalles  des  Recuroena. 
Die  rothen  Blutkörperchen  geldrollenartig  (g.  g.)  aneinander  gelagert;  zwi- 
schen ihnen  vereinzelte  Spiroehaeten  (a.  a.)  verschiedener  Grösse. 

Fig.  2.  Blut  vom  fünften  Tage  des  zweiten  Anfalles.  Rothe  Blut- 
körperchen reihen  sich  in  kleinere  Geldrollen  aneinander  (g.  g.),  man  sieht 
stellenweise  rothe  Blutkörperchen  vereinzelt  (b.  b.)  und  in  unregelmässigen 
Häufchen  (k.  k.).  Hier  und  dort  geschrumpfte  rothe  (m.  m.)  und  farblose 
Blutkörperchen  (x.).  Im  unteren  Segment  des  Gesichtsfeldes  ein  Stttck 
Endothel  (n.).    Spiroehaeten  vereinzelt  (a.  a.)  und  in  Knäueln  (b.  b.). 

Fig.  3.  Blut  vom  6.  Tage  des  biliösen  Typhoids,  zwei  Tage  vor 
dem  Tode.  Rothe  Blutkörperchen  nur  noch  an  wenigen  Stellen  (g.  g.)  geld- 
rollenartig geordnet,  .bänfiger  in  Häufeben  anzutreffen  (k.  k.);  an  einzelnen 
Stellen  sind  sie  gequollen  (q.),  ausgezogen  (p.  p.)  und  im  Zerfall  (t.  t)  be- 
griffen. Im  oberen  und  unteren  Theil  des  Präparates  liegen  stechapfel- 
förmige  rothe  Blutkörperchen  (v.  v.).  Rechts  von  dem  unten  gelegenen 
stechapfelförmigen  Körperchen  liegt  der  Obermeier'sche  Protoplasma- 
Körper  (s.).  Spirochaete  finden  sich  bald  einzelne  (a.  a.),  bald  in  Knäueln 
(b.  b.)  vor.  Links  über  dem  unteren  stechapfelfOrmigen  Blutkörperchen 
liegt  eine  lange  Spirochaete  (c),  die  zwei  in  der  Länge  aneinander  ge- 
heftete Individuen  darstellt.  Im  linken  oberen  Abschnitt  des  Gesichtsfeldes 
eine  in  Zerfall  begriffene  Spirochaete  (d.).  Mit  e  sind  Detrituspartikelchen 
von  rothen  Blutkörperchen  un4  Endotheiien,  mit  f.  f.  sich  lebhaft  bewegende 
runde  und  ovale  Körpereben  (Bacterien?)  bezeichnet. 


RückfaUstyphus.  97 

Flg.  4.  Blatpräparat,  6  Stauden  vor  der  KriBls  des  zweiten  Anfalls. 
Rotlie  Blutkörperchen  sind  in  Hänfehen  (k.  k.)  groppirt;  häufig  werden 
farblose  Blutkörperchen  angetrofi^en  (x.  x.).  Spirochaeten  bald  gesondert 
(a.  a.)  bald  in  Knäueln  (b.  b.).  Zwei  in  der  Länge  verbundene  Spirochaeten  (c). 
Oben  im  Präparat  das  Obermeier'sche  Körperchen  (s.)  und  ein  stech- 
apfelfdrmiges  rothes  Blutkörperchen  (v.);  unten  haftet  an  zwei  farblosen 
Blatkdrperchen  (x.  x.)  ein  Stückchen  Endothel  (n.).  Detrituspartikelchen 
nod  sich  lebhaft  bewegende  Körperchen  (Bacterien)  f.  f. 

Fig.  5.  Stellt  ein  gläsernes  Capillarrohr  in  halber  natttrlicher  Grösse 
dar,  das  in  dem  Theile  a.  b.  Blut  Enthält  und  luftdicht  zugelöthet  ist. 


Derisehe»  Archiv  f.  Win.  Medicin.    XXIV.  Prt. 


V. 
Deber  subfebrile  Zustände  von  erheblicher  Dauer« 

Von 

Dr.  W.  Kernig, 

Ordinator  am  ObuchofT-Hospltal  in  8t.  Petenbnrg . 

(Hierzu  Tafel  III-V.) 

Bei  einer  genauen,  eingehenden  und  namentlich  verhältniss- 
massig  lange  fortgesetzten  thennometrischen  Beobachtung  sehr  Ter- 
Bchiedener  Krankheiten  trifft  man  nicht  selten  auf  Zustände,  die  sich, 
abgesehen  von  allen  flbrigen  etwaigen  Symptomen,  vorzugsweise 
durch  anhaltende,  während  längerer  Zeiträume  vorhandene  subfeb- 
rile Temperaturen  charakterisiren.  Es  ist  dieses  Thema  imn  den 
subfebrilen  Temperaturen,  die  während  längerer  Zeit,  im  Verlauf  von 
Wochen,  Monaten,  selbst  Jahren  —  wie  ich  einen  Fall  vorlegen  kann 
—  an  einzelnen  Kranken  meist  Tag  für  Tag  beobachtet  werden, 
wohl  werth  einmal  einer  gesonderten  Besprechung  unterzogen  zu 
werden,  zumal  da  derartige  Temperaturverhältnisse  unter  Umständen 
von  hohem  diagnostischen  und  prognostischen  Interesse  sein  können. 

Das  Material  zu  den  vorliegenden  Mittheilungen  habe  ich  zum 
Theil  einzelnen  in  der  Privatpraxis  durch  längere  Zeit  beobachteten 
Fällen,  zum  grösseren  und  hauptsächlichen  Theil  aber  den  Kranken- 
Journalen  entnommen,  welche  ich  als  Arzt  der  hiesigen  Taubstum- 
menschule fflhre;  ausserdem  habe  ich  einzelne  in  der  Literatur  vor- 
findliche  Beobachtungen  benutzt,  doch  will  ich  in  Bezug  auf  letztere 
nicht  den  geringsten  Anspruch  auf  Vollständigkeit  machen.  Selbst- 
verständlich habe  ich  in  der  Privatpraxis  sehr  viel  mehr  solcher  Fälle 
beobachtet,  wie  ich  sie  später  anfahren  werde,  doch  besitze  ich  keine 
genaueren  Notizen  über  dieselben.  —  Die  Taubstummenschule  bietet 
für  Beobachtungen,  wie  die  folgenden,  ein  sehr  günstiges  Terrain. 
Die  Kinder  werden  bei  dem  leichtesten  Unwohlsein  sofort  in  das 
Lazareth  gebracht,  können  hier  lange  zurückgehalten  werden,  oder 


Sabfebrile  Zast&nde.  99 

erentaell  auch  dann,  wenn  sie  aus  dem  Lazareth  entlassen  sind, 
oder  Yon  hier  aus  die  Lehrstunden  besuchen,  thermometrisch  weiter 
beobachtet  werden.  Ausserdem  bleiben  sie  ja  später  noch  zum  Theil 
Jabre  hindurch  unter  unseren  Augen.  —  Ich  habe  sowohl  auf  der 
männlichen,  wie  auf  der  weiblichen  Abtheilung  des  Lazareths  aus- 
gezeichnete HeilgehAlfen ,  die  die  Messungen  mit  vollkommenster 
Sicherheit  besorgen.  Auf  diese  Weise  ist  es  möglich,  über  Monate 
hindurch  gleichmftssig  Tag  fttr  Tag  fortgehende  thermometrische 
Beobachtungen  zu  erlangen.  —  Im  Hospital  ist  Gelegenheit  zu  der- 
artigen Beobachtungen,  wie  leicht  ersichtlich,  nur  höchst  selten  ge- 
boten, wenn  wir  von  den  Phthisikem  absehen,  die  aber  auch  meist 
in  vorgeschrittenen  Stadien  sich  befinden ;  ich  fahre  daher  nur  einige 
Fälle  aus  demselben  an.  —  Die  Bemerkung  nehme  ich  vorweg,  dass 
die  Mehrzahl  der  Kinder  in  der  Taubstummenschule  mehr  oder  we* 
niger  scrophulös  ist. 

Selbstverständlich  schliesse  ich  von  dieser  Arbeit  alle  diejenigen, 
mdst  nur  über  wenige  Tage  sich  erstreckenden  subfebrilen  Zust&nde 
aas,  welche  als  Einleitungs-  oder  Schlussstadium,  oder  im  Verlauf 
sonst  exquisit  febriler,  acuter  Krankheiten  vorkommen,  oder  welche 
fQr  sich  bei  kurz  dauerndem,  leichtem  Unwohlsein  beobachtet  werden. 

Als  subfebril  bezeichne  ich  Temperaturen,  welche  in  der  Achsel* 
höhle  ^)  gemessen,  zwischen  37,5  und  höchstens  38,5  liegen.  —  Doch 
ist  eine  Temperatur  von  über  37,0  und  unter  37,5  in  der  Nacht  oder 
am  frühen  Morgen,  oder  späten  Abend  gemessen,  unter  Umständen 
schon  nicht  mehr  als  normal  zu  betrachten.  Es  ist  nämlich  wohl  zu 
beachten,  dass  die  normale  Tagescurve^j  der  Achselhöhlentempera- 
tor  sich  in  der  Weise  zwischen  dem  Minimum  36,2  und  dem  Maxi- 
mum 37,5  bewegt,  dass  nur  in  den  Stunden  von  etwa  8  oder  9  Uhr 
Morgens,  bis  etwa  10  Ühr  Abends  37,0  überschritten  wird.  —  Lie- 
her meist  er  hat  als  treffende  Definition  (a.  a.  0.  p.  287)  für  die 
niedrigsten  febrilen  Zustände  folgende  angegeben:  die  Temperatur 
eines  Menschen  ist  als  febril  anzusehen,  wenn  sie  ohne  augenfällige 
andere  Ursache  um  mehr  als  ^2  Grad  höher  ist  als  die  gewöhnliche 
mittlere  Temperatur  der  betreffenden  Tageszeit.  Er  betrachtet 
daher  die  Temperatur  als  leicht  febril,  wenn  sie  am  frühen  Morgen 

1)  SammUiche  Temperatnrangaben  in  dieser  Arbeit  beziehen  sich  anf  die 
Achselhöhle.  —  Dass  die  Thermometer  in  den  folgenden  Fällen  immer  wieder  con« 
trolirt  worden  sind,  versteht  sich  von  selbst. 

2)  Vergl.  Liebermeister,  Handb.  der  Pathologie  und  Therapie  des  Fiebers. 
Leipzig  1875.  S.  79. 


7* 


100  V.  Kbrniö 

vor  dem  Aufstehen  37,5  im  Bectum  überschreitet,  am  Nachmittag 
dagegen,  wenn  sie  gegen  38,5  beträgt.    Da  er  selbst  die  ongefthre 
mittlere  Differenz  zwischen  Rectum  und  Achselhöhle  aof  0,3  ansetzt 
(S.  78),  so  würden  für  die  Achselhöhle  die  beiden  Ziffern  37,2  and 
38,2  lauten.  —  Wunderlich  0  bezeichnet  als  subfebril  Tempera- 
turen in  der  Achsel  zwischen  37,5  und  38,0,  als  leicht  febril  solebe 
von  38,0  bis  38,4.    An  einer  späteren  Stelle  (S.  92)  nimmt  er  ab 
Grenzen  der  normalen  Achselhöhlentemperatur  36,25  und  37,5,  ab 
Mittelnormaltemperatur   in  der  Achselhöhle  37,0  an;  Liebermei- 
st  er  für  letztere  beim  ruhenden  Menschen  nur  36,9  (S.  79).    Nack 
Wunderlich  „sind  alle  über  jene  Grenzen  hinausgehenden  oder 
tiefere  Temperaturen  mindestens  verdächtig,  oder   dürfen  nur  bei 
besondem  Umständen  und  Einwirkungen  noch  für  normal  erachtet 
werden." 

Auch  ich  habe  vollen  Grund  nach  den  überaus  zahlreichen  Beob- 
achtungen, die  ich  selbst  gelegentlich  über  diesen  Punkt  gemaebt 
habe,  Temperaturen,  die  in  den  Nachmittagsstunden  in  der  Buhe 
37,5  überschreiten,  als  abnorm,  oder  wenigstens  nicht  mehr  als  gan^ 
normal  zu  betrachten.    Aus  den  Messungen  Jürgensen's^),  wobl 
den  ausführlichsten  und  am  meisten  systematisch  durchgeführten,  di^ 
wir  besitzen,  geht  dasselbe  hervor.    Ebenso  aus  den  2173  Einzel' 
meesungen  Wey rieh's  an  sich  selbst.^) 

Die  mehr  oder  weniger  lange  andauernden  subfebrilen  Zustände 
die  ich  im  Auge  habe,  gestalten  sich  also  im  Allgemeinen  so,  da^^ 
die  tägliche  Temperaturcurve  im  Durchschnitt  um  einen  halben  bi^ 
einen  ganzen  Grad  Celsius  höher  liegt  als  die  normale.  —  Gewöhfa-^ 
lieh  folgt  diese  Tagescurve^  wie  überhaupt  in  der  grossen  Mehnal^^ 
aller  Fieber,  dem  Typus  der  normalen  Gurve,  d.  h.  die  Temperati^ 
ist  am  Tage,  speciell  am  späteren  Nachmittag  höher  als  in  der  Naeh'i^^ 
und  als  in  den  Morgen-  und  Abendstunden.    Die  normale  Tage^^ 
curve  der  Achselhöhlentemperatur  (Liebermeister  S.  75  und  ff«^J 
hat  bekanntlich  ihr  Minimum,  gegen  36,2,  in  den  ganz  frühen  Mo^"* 
genstunden  zwischen  2  und  6  Uhr,  steigt  dann  ziemlich  rasch  bi^ 
gegen  1 1  Uhr,  erleidet  nun  eine  Verzögerung,  oder  selbst  einen  ge^^ 
ringen  Rückgang,  um  von  4  Uhr  Nachmittag  wieder  zn  steigen  un^ 
zwischen  5  und  8  Uhr  das  Maximum,  gegen  37,5  zu  erreichen.  Vo^^ 
8  oder  9  Uhr  Abends  bis  2  oder  3  Uhr  Nachts  fällt  die  Tempeiato^^ 


1)  Das  Verhalten  der  Eigenw&rme  in  Krankheiten.    Leipzig  1S68.  8.  12. 

2)  Die  Körperw&nne  des  gesunden  Menschen.    Leipzig  1S73. 

3)  Die  unmerkliche  Wassenrerdunstong  der  menschlichen  Haut  Leipzig  1S6: 


Snbfebrile  Zustände.  101 

am  schnellsten  and  erreicht  g^en  den  frtthen  Morgen  ihr  Minimum. 
—  Der  Typus  dieser  normalen  Curve  wird,  wie  gesagt,  im  Allge- 
meinen Ton  der  grossen  Mehrzahl  aller  febrilen  und  subfebrilen  Pro- 
eesse  eingehalten,  aber  gerade  bei  den  subfebrilen  Zuständen  wird 
Terb&ltnissmfissig  nicht  selten  die  Ausnahme  des  Typus  inversus  be- 
obachtet Der  Typus  der  Tagescurve  erscheint  alsdann  nahezu  um- 
gekehrt, es  fällt  (wenigstens  bei  etwa  3—6  mal  täglicher  Messung) 
das  Maximum  auf  die  Morgen-  oder  Vormittags-  oder  Mittagsstunden. 
Dieser  abnorme  Typus  der  subfebrilen  Tagescurve,  bei  welchem  im 
Allgemeinen  gesprochen  die  Temperatur  Morgens  höher  ist  als  am 
Abend,  scheint  prognostisch  einen  ominösen  Charakter  zu  haben, 
wenigstens  habe  ich  ihn  einige  Male  in  den  Anfangsstadien  chronisch- 
pfteumonischer  Infiltrationen,  oder  selbst  noch  vor  dem  physikalisch 
sachweisbaren  Eintreten  derselben  beobachtet,  freilich  auch  bei  ein- 
fachen Anginen.  Der  Typus  inversus  kann  ttbrigens  auch  im  Verlauf 
sabfebriler  Temperaturen  nur  zwischendurch,  an  einzelnen  Tagen 
erscheinen.  Als  seltene  Ausnahme  habe  ich  bei  subfebrilen  Zustän- 
den auch  eine  im  Ganzen  fast  gleicbmässig  hoch  bleibende  Curve 
beobachtet;  die  Tagesschwankung  flberschreitet  0,5  kaum,  oder  bleibt 
noch  darunter.  Später  theile  ich  in  Curve  2  (Tafel  IV)  und  in  dem 
Fall  5  noch  eine  ähnliche  Curve  (8)  mit.  Als  Beispiele  für  die  ver- 
schiedenen Typen  des  täglichen  Temperaturverlaufes  verweise  ich 
zuerst  auf  Curve  1,  die  einem  chronischen  Lungenkranken  entnommen 
ist  (Fall  8),  nachdem  er  vier  Monate  lang  fieberfrei  gewesen  war  und 
den  Tag  als  Gesunder,  freilich  mit  nur  massiger  Bewegung  und  sehr 
gleichförmig  lebend,  verbrachte.  Sie  kann  als  Typus  einer  normalen 
und  sehr  regelmässigen  Curve  aufgefasst  werden  und  zum  Vergleich 
mit  den  abnormen  Curven  dienen.  —  Die  Curven  5,  1,  13,  16,  17, 
18,  19  und  20  (Taf.  IV.  V)  zeigen  ganz  oder  zum  Theil  den  gewöhn- 
iiehen,  Morgens  remittirenden  Typus.  Die  Curven  3,  4,  8, 
10,  Ha  und  b,  14  und  15  zeigen  ganz  oder  zum  Theil  den  Abends 
remittirenden  Typus  (Typus  inversus),  14  und  15  in  ganz  ex- 
quisiter Weise.  Die  Curven  2  und  8  zeigen  den  auffallend  gleich- 
massigen  Verlauf  der  subfebrilen  Temperaturen,  den  ich  oben 
erwähnt  habe,  Curve  8  ausserdem  zum  Theil  mit  abendlichen  Re* 
missionen. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  im  Verlaufe  subfebriler  Zustände 
zwischendurch  die  Temperaturen  für  einzelne  Tage  auf  entschieden 
febrile  Höhen  hinaufgehen,  oder  auf  normaler  Höhe  bleiben  können ; 
solange  dies^  als  Ausnahme  geschieht,  ändert  es  kaum  die  Beur- 
theilung  des  ganzen  Zustandes;   es  ist  ausserdem  auffallend,   wie 


102  Y-  Kbbnio 

selten  yerhältniBsmässig  dieses  in  den  in  Bede  stehenden  Zuständen 
geschiebt. 

Ueber  die  Dauer  derselben  Iftsst  sich  im  Allgemeinen  nichts 
Bestimmtes  sagen ;  sie  richtet  sich  offenbar  nach  den  zu  Grunde  lie- 
genden Processen.  Die  subfebrilen  Temperaturen  kftnnen  Wochen, 
MonatCi  selbst  Jahre  hindurch  an  den  betreffenden  Individuen  beob- 
achtet werden;  auch  können  sie  nach  mehr  oder  weniger  langen 
afebrilen  Zwischenräumen  an  ein  und  demselben  Individuum  wieder 
erscheinen,  zuweilen  aus  verschiedenen  Anlässen.  Sie  verschwinden 
gewöhnlich  nicht  plötzlich,  sondern  ganz  allmählich;  zu  einzelnen 
Tageszeiteui  z.  B.  am  Morgeoi  wo  bisher  die  Temperaturen  abnorm 
waren,  werden  diese  nun  normal,  am  Nachmittag  oder  Abend  dauern 
die  erhöhten  Temperaturen  noch  fort;  dann  fallen  auch  diese  aus, 
erscheinen  auch  vorübergehend  wieder,  bis  endlich  der  Patient  ganz 
afebril  ist  (Curve  6,  18)0. 

Die  häufigste  Gelegenheit  zur  Beobachtung  andauernder  sub- 
febriler Zustände  bieten  die  subacuten  oder  mehr  chronischen, 
zur  Phthisis  führenden  Lungenaffectionen  —  nach  v.  Buhl  also 
in  der  Mehrzahl  die  reine  desquamative  oder  deren  höherer  Grad, 
die  käsige  oder  tuberkulöse  Lungenentzündung  —  vorzugsweise  in 
ihrem  allerersten  Beginn,  oft  noch  ehe  das  Infiltrat  selbst  nachweis- 
bar ist,  aber  auch  in  den  späteren  Stadien  ihres  Verlaufes,  bei  fort- 
schreitender Infiltration  und  endlich  beim  Uebergang  zum  Stillstand 
oder  zur  bleibenden  Heilung.  —  Sodann  sind  es  scrophulöse 
Individuen,  an  denen  verhältnissmässig  oft  andauernde  subfebrile  Zu- 
stände beobachtet  werden  im  Anschluss  an  relativ  leichte  und  gut- 
artige Affectionen,  wie  katarrhalische  Anginen,  infectiösen  Magen- 
katarrh, katarrhalischen  Icterus,  oder  in  Folge  von  äusserlich  nach- 
weisbaren Lymphadeniten.  Ausserdem  kommen  bei  scrophulösen 
Individuen  subfebrile  Zustände  von  längerer  Dauer  vor,  die  sich 
kaum  anders  auffassen  lassen,  als  bewirkt  durch  Affectionen  innerer 
Lymphdrüsen,  der  Bronchial-  und  Mesenterialdrüsen. 

Neben  diesen  beiden  Hauptkategorien  von  Kranken,  welche  ver- 
hältnissmä^ig  oft  andauernde  subfebrile  Zustände  darbieten,  sind 
dieselben,  wie  ich  später  im  Einzelnen  ausführen  werde,  mehr  aus- 
nahmsweise von  mir  oder  von  Anderen  beobachtet  worden:  bei  in- 


1)  Regelmässige  Pulsz&hlungen  in  allen  beobachteten  F&Uen  besitze  ich  nicht« 
aber  aus  einigen  Fällen,  in  denen  sie  gemacht  worden  sind  (Fall  6,  25,  34),  und 
aus  mehr  yereinzelten  Zahlungen  in  den  anderen  F&llen  geht  so  viel  herror,  dass 
im  Allgemeinen  auch  die  Pulsfrequenz  in  den  subfebrüen  Zustanden  in  m&ssigem 
Grade  gesteigert  ist,  auf  SO  bis  90  hinaufgeht. 


Subfebrüe  Zustände.  103 

teoBiyer  diffuser  Bronchitis  mit  vollständiger  Heilung,  bei  Pleuritis, 
bei  AbdominaltyphuSi  nach  Masern,  bei  Milzinfaroten  nach  exauthe- 
matischem  Typhus,  bei  Magencarcinom,  bei  Nephritis  parenchymatosa, 
bei  Parametritis  in  späteren  Stadien^  bei  rheumatischen  Affectionen, 
bei  pemiciöser  Anämie  und  bei  Leukämie,  bei  Scorbut,  bei  Syphilis, 
bei  einem  gastrotomirten  Knaben  in  Zusammenhang  mit  der  Speise- 
aofnahme  (Uffelmann),  bei  chronischer  Arsenikrergiftung  (Oregory). 
Selbstverständlich  erschöpft  diese  Zusammenstellung  sicher  nicht 
alle  Affectionen,  bei  denen  gelegentlich  die  in  Rede  stehenden  Zu- 
stände vorkommen.   Ich  zähle  nur  das  mir  eben  jetzt  Bekannte  auf. 

Nehmen  wir  nun  zunächst  die  grosse  Gruppe  der  subacuten 
and  chronischen  Lungeninfiltrate,  so  besitze  ich  6  Fälle, 
in  welchen  der  allererste  Beginn  der  Erkrankung  durch 
anhaltende  subfebrile  Temperaturen  charakterisirt  war. 

1.  Alexandra  Piliptscbak,  trat  —  12  Jahre  alt  —  Ende  Anguat  1876 
in  die  Taubst ammenschule,  fiel  bei  der  ersten  Untersuchung,  welcher  jedes 
Kind  beim  Eintritt  unterzogen  wird,  durch  ihr  zartes  und  anämisches  Aus* 
sehen  auf,  bot  aber  sonst  keine  objective  Störung,  auch  keine  Drflsen- 
schwellungeD.  Am  7.  December  1876  wurde  sie  ins  Lazareth  gebracht 
wegen  geringfügiger  katarrhalischer  Angina  und  wies  nun  bei  der  Beob- 
achtang  bis  zum  25.  Dec.  fast  täglich  subfebrüe  Temperatnrsteigernngen 
aaf,  die  an  einzelnen  Tagen  bis  38,2  hinaufgingen  (Curve  3).  Diese  Tem- 
peratorsteigernngen  fielen  dabei  auf  die  Morgen-  und  Mittagsstunden,  so 
das8  die  Temperatur  um  9  Uhr  Morgens  und  2  Uhr  Mittags  höher  war 
als  am  7  Uhr  Abends.  Aus  der  Curve  ist  dieser  Typus  inversus  ohne 
Weiteres  ersichtlich.  —  Es  Hess  sich  an  dem  Kinde  ausser  der  gering- 
fOgigen  Angina,  die  aber  auch  bald  geschwunden  war  und  keineswegs  diese 
Zeit  aber  fortdauerte,  sonst  nichts  Abnormes,  namentlich  auch  kein 
Husten  entdecken. 

Schon  am  3.  Januar  1877  wurde  das  Kind  wieder  ins  Lazareth  ge- 
bracht Es  erwies  sich  genau  derselbe  subfebrile  Znstand,  Husten  war 
nicht  eingetreten;  eine  sehr  genaue  Untersuchung  ergab  nur  in  der  linken 
Fosaa  snpraclayicalaris  Spuren  von  Crepitiren,  und  auch  das  konnte  nur 
mit  einem  Fragezeichen  notirt  werden.  Erst  am  13.  Januar  änderte  sich 
das  Bild,  es  trat  fttr  mehrere  Tage  höheres  Fieber  (Maximum  39,3)  ein, 
aber  immer  noch  unterbrochen  durch  einzehie  subfebrile  Tage  (Curve  4); 
es  erschien  etwas  Husten  und  am  14.  Januar  gelang  es  zum  ersten  Mal,  in 
beiden  Lungenspitzen  sichere  Infiltratzeichen  nachzuweisen  (massige  Dämpf- 
nng  in  beiden  Supraclaviculargruben  und  in  der  rechten  Fossa  supraspinata, 
Crepitiren  in  der  linken  Fossa  supraclavicularis  und  leicht  bronchiales  Ex- 
apiriam  in  der  rechten  Fossa  supraspinata) ;  in  dem  spärlichen  schleimigen 
Sputum  fanden  sich  vereinzelte  Alveolarepithelien.  Als  diese  höher-febrile 
Periode  vorüber  war,  war  das  Kind  bei  fortschreitender  Infiltration,  vom 
23.  Januar  bis  5.  März,  also  durch  nahezu  6  Wochen,  fast  immer  nur 


104  V.  Kernig 

Bubfebril;  die  Temperataren  lagen  zwischen  37,0  und  38,3;  nur  an  8  ver- 
einzelten Tagen  kamen  Abendsteigerangen  zwischen  38,4  nnd  38,9  vor. 
Der  Typus  ioversus  kam  in  dieser  Zeit  nur  ganz  ausnahmsweise  vor.  Vom 
5.  März  ab  wurde  das  Fieber  intensiver,  nahm  einen  entschieden  hektischen 
Charakter  an,  es  bildeten  sich  Gavemen  und  der  Tod  trat  am  18.  April 
ein,  nachdem  noch  in  den  letzten  zwei  Lebenstagen  Zeichen  von  Lungen- 
gangrän  aufgetreten  waren. 

2.  Nicolai  Massloff,  bei  der  ersten  Untersuchung  im  Juni  1873  von 
durchaus  kräftigem  Habitus.  Im  Februar  und  März  1874  bei  Gelegenheit 
eines  leichten  Unwohlseins  hie  und  da  etwas  erhöhte  Abendtemperaturen. 
Am  25.  Januar  1875  kommt  Patient  in  das  Lazareth  wegen  leichter  In- 
teslinalstörungen.  Es  werden  subfebrile  Temperaturen  constatirt,  welche 
nun  immerfort  andauern,  wenn  auch  an  einigen  Tagen  durch  vollkommene 
Fieberlosigkeit  unterbrochen.  Um  1  Uhr  Mittags  und  7  Uhr  Abends  sind 
die  Temperaturen  immer  höher  als  am  Morgen  und  gehen  meist  bis  38,0 
heran,  ausnahmsweise  werden  38,6,  38,8  und  38,5  gemessen.  Die  Tem- 
peraturen von  9  Uhr  Morgens  liegen  zwischen  36,9  und  37,7.  Patient 
hustet  nicht,  die  Milz  ist  massig  vergrössert  (8  und  15  Cm.).  Erst  am 
16.  Februar,  von  wo  ab  höheres  Fieber  eintritt,  wird  Husten  notirt  und 
whtl  bei  fortbestehender  Milzschwellung  ein  Infiltrat  in  der  rechten  Lungen- 
spitze gefunden.  (Die  rechte  Fossa  supra-  et  infraclavicularis  geben  leichte 
Dämpfung  und  unbestimmtes  Athmen  mit  Spuren  von  Crepitiren,  ebenso 
die  rechte  Fossa  supraspinata  und  eine  Stelle  RHM.)  Das  Fieber  wird 
nun  durchschnittlich  höher,  es  zeigt  sich  Blut  im  Auswurf,  am  5.  und  6. 
März  erhebliche  Haemoptysis,  das  Fieber  bleibt  erheblich,  wird  hoch,  am 
16.  März  erste  Anzeichen  von  Cavemenbildung  RO,  die  rasch  fortschreitet. 
Tod  am  9.  April. 

3.  Michael  Kowaleff,  12  Jahre  alt.  Bei  der  ersten  Untersnchnng  Ende 
Juni  1873  kräftig,  von  gesunder  Gesichtsfarbe,  an  den  inneren  Organen 
nichts  Besonderes.  Am  4.  Januar  1874  im  Lazareth  wegen  leichter  katar- 
rhalischer Angina,  die  mit  subfebrilen  Temperaturen  einhergeht.  Am  ersten 
Tag  fleberlos,  Maximum  am  zweiten  Tag  38,4.  Die  subfebrilen  Tempera- 
turen zeigen  sich  im  Verhältniss  zu  der  leichten  localen  Erkrankung  auf- 
fallend lange;  nachdem  einzelne  fast  ganz  fieberlose  Tage  dazwischen  ge- 
fallen sind,  hat  Patient  am  9.  Tag  seit  Beginn  der  Angina  Morgens  37,6, 
Mittags  38,0,  Abends  38,9  ohne  besondere  Veranlassung,  und  am  11.,  12. 
und  13.  Tage  Abends  7  Uhr  resp.  37,8,  37,8  und  38,2.  —  Erst  ein  Jahr 
später,  am  26.  Januar  1875,  kommt  Patient  wegen  Gontusion  des  linken 
Unterschenkels  wieder  in  Behandlung,  ist  jetzt  fieberlos.  Am  13.  Februar 
musste  ein  Kleisterverband  an  den  linken  Fuss  angelegt  werden.  Am  17. 
tritt  mit  einer  leichten  Angina  Fieber  bis  38,6  ein,  am  folgenden  Tage  die 
Angina  besser,  die  Temperaturen  bis  37,6.  Fflr  die  nächsten  Tage  fehlen 
die  Messungen,  aber  vom  25.  Februar  an  hat  Patient  constant,  freilich  mit 
einzelnen  Ausnahmen,  subfebrile  Temperaturen,  von  denen  ein  Theil  in 
Cnrve  5  wiedergegeben  ist.  Es  lässt  sich,  auch  nachdem  am  6.  März  der 
Kleisterverband  entfernt  worden  ist,  nnd  trotzdem,  dass  am  9.  März  etwas 
Husten  bemerkt  und  die  Brust  wieder  untersucht  wird,  absolut  keine  Fieber- 
ursache finden.  Erst  am  23.  März,  also  einen  Monat  nach  Beginn 
der  subfebrilen  Temperaturen  findet  sich  Aber  und  unter  der  linken 


SabfeMle  Zustande.  105 

Claviciila  eine  leichte  Dämpfung  mit  massigem  dnmpfem  Crepitiren  nnd 
ebenso  in  der  linken  Fossa  supraspinata.  Der  Knabe  hnstet  dabei  sehr 
wenig.  Der  snbfebrile  Zustand  hält  unterdessen  an;  erst  vom  6.  bis  11. 
April  wird  er  geringer,  fehlt  für  eine  Woche  ganz,  beginnt  in  derselben 
Weise  am  18.  April,  geht  am  22.  April  in  höheres  Fieber  Aber  (bis  39,5 

'  BDd  39,9),  das  eine  Woche  andauert.  Im  Laufe  dieser  Woche  breiten  sich 
die  Infiltratzeichen  im  linken  Oberlappen  weiter  ans,  werden  deutlicher,  es 
tritt  eine  geringe  Haemoptysis  ein  und  die  Milz  schwillt  ziemlich  an  (8  nnd 
171/3  Cm.).  Nach  Ablauf  dieser  einen  höher-febrilen  Woche  wieder  der- 
selbe subfebrile  Zustand  mit  einzelnen  Ausnahmen  bis  zum  19.  Mai.  Es 
folgt  eine  fieberlose  Woche,  dann  eine  Reihe  snbfebriler  Tage,  und  nachdem 
Patient  aufs  Land  (Forstcorps)  gebracht  worden  ist,  wird  er  Yom  8.  Juni 
an  absolut  fieberlos«  Vergl.  Curve  6,  die  das  allmähliche  Schwinden  der 
subfebrilen  Temperaturen  zeigt.  Das  Infiltrat  zeigte  eine  entschiedene  theil- 
weise  Lösung,  die  Milz  war  abgeschwollen.  Patient  ^lieb  absolut  fieberlos 
den  Juni  und  Juli  hindurch  und  erholte  sich  sichtlich.  Am  29.  Juli  bei 
fieberlosem  Zustande  geringe,  am  30.  bei  hohem  Fieber  starke  Haemoptysis. 
Von  da  meist  hohes  Fieber,  das  bald  einen  hektischen  Charakter  annimmt ; 
am  18.  August  die  ersten  Cavernenzeichen  LVO.  Tod  am  21.  September^ 
nachdem  ausgedehnter  Zerfall  in  der  linken  Lunge  stattgefunden  hatte. 

4.  Wassilij  Chrapal,  20  Jahr  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung  am 
18.  Juni  1873  kräftig,  von  gesundem  Aussehen,  ohne  irgend  welche  Abnor- 
mität. In  den  letzten  Augusttagen  1873  trat  er*  absolut  fieberlos  in  das  La- 
zareth  wegen  Verdauungsstörungen,  hatte  aber  vordem  Brustschmerzen  links 
gehabt.  Es  wurde  ein  geringes  linksseitiges  Pleuraexsudat  gefunden,  etwa 
4  Querfittger  hoch.  Am  11.  September  Zeichen  eines  leichten  Scorbut: 
entsprechende  Gesichtsfarbe,  leichte  Lockerung  des  Zahnfleisches  mit  Blu- 
tungen aus  demselben,  Auftreibung  an  den  Verbindungen  einiger  Rippen 
mit  ihren  Knorpeln.  Im  Lauf  des  September  hie  und  da  eine  etwas  hohe 
Temperatur  (37,7  bis  37,9)  am  Morgen  oder  am  Abend.  Das  geringe 
Pleuraexsudat  ging  zurück.  Erste  Hälfte  October  absolut  fieberlos,  Patient 
wurde  entlassen  und  präsentirte  sich  am  13.  November  sehr  erholt.  Am 
27.  December  wieder  Riagen  über  die  linke  Brustseite,  auch  wollte  Patient 
vor  einigen  Tagen  etwas  Blut  ausgehustet  haben.  Ausser  den  geringen 
Residuen  LU  war  nichts  zu  finden,  auch  kein  Husten ;  Patient  wurde  nach 
einigen  Tagen  entlassen.  Am  18.  Januar  1874  kam  er  subfebril  ins  Laza- 
retb,  klagte  wieder  über  Schmerzen  links,  doch  Hess  sich  ausser  der  ge- 
rJDgen  Dämpfung  mit  etwas  Betrecissement  LU  nichts  Neues  nachweisen. 
Das  Zahnfleisch  etwas  locker,  geringer  Husten.  Erst  am  1.  Februar  fand 
Bich  in  der  linken  Fossa  supraspinata  eine  deutliche  Dämpfung  mit  feinem 
Crepitiren  und  LVO   unter  der  Clavicula  unbestimmtes  Athmeh.    Patient 

.  war  inzwischen  immerfort  im  Januar,  Februar  und  März  subfebril  mit  nur 
wenigen  Ausnahmen,  wo  die  Temperaturen  bis  auf  38,5  bis  38,8  hinauf- 
gingen (vgl.  Curve  7),  erst  im  April  lagen  die  Temperaturen  durchschnitt- 
lich höher  und  vom  17.  April  ab  trat  fortdauernd  erhebliches  Fieber  ein. 
Die  physikalischen  Zeichen  machten  nur  langsame  Fortschritte,  erst  Ende 
März  Hess  sich  auch  über  der  linken  Clavicula  eine  deutliche  Dämpfung 
constatiren.  Am  20.  Februar  etwas  Bluthusten;  vom  18.  bis  23.  April 
stärkeres  Bluthusten  und  nachweisbare  Erkrankung  auch  der  rechten  Lun- 


106  Y.  Kermio 

geospitze.  Am  20.  Mai  wurde  Patient  vom  Vater  za  sich  nach  Poltawa 
genommen,  bei  beginnender  Gavemenbildang  LO.  Später  ist  über  den  Pa- 
tienten nichts  weiter  bekannt  geworden.  Der  snbfebrile  Zustand  zog  sich 
in  diesem  Falle  fast  volle  3  Monate  hin. 

5.  Olga  Tschigajewa,  11  Jahr,  ist  bei  der  ersten  Untersuchung  am 
15.  Juni  1877  etwas  mager,  hat  fühlbare  axillare  und  submaxillare  Drü- 
sen. —  Am  13.  Jan.  1878  kommt  sie  etwas  fieberhaft  (38,6)  ins  Laza- 
reth,  eine  Localaffection  ist  nicht  zu  finden ;  in  den  nächsten  Tagen  geben 
die  Temperaturen  herab,  doch  werden  37,7 — 37,8  einige  Mal  in  den  Mit- 
tags- und  Abendstunden  gemessen;  am  20.  und  21.  Jan.  stärkeres  Fieber 
bis  39,7,  wieder  ohne  Localaffection.  Für  die  nächsten  Tage  ist  Pat.  fie- 
berlos, aber  vom  30.  Jan.  ab  sind  die  Temperaturen  erhöht,  oft  37,5  bis 
38,0  und  im  Laufe  des  Februar  stellt  sich  heraus,  dass  namentlich  die 
Temperaturen  von  9  Uhr  Morgens  relativ  hoch  sind.  Vgl.  Gurve  8  a, 
welche  gleichzeitig  den  Typus  inversns  und  die  erhebliche  Gleichmässig- 
Iceit  des  täglichen  Temperaturverlaufes  zeigt.  ^)  Am  13.  Febr.,  nachdem 
der  subfebrile  Znstand  continuirlich  14  Tage  angehalten  hatte,  constatirte 
Dr.  Assmuth,  der  mich  bei  der  Anstalt  vertrat,  schwächeres  Attunnngs- 
geräusch  und  hie  und  da  einzelne  kleinblasige  Rasselgeräusche  in  der  lin- 
ken Lungenspitze,  der  Ernährungszustand  war  ungenügend,  sehr  geringer 
Husten.  —  Der  subfebrile  Zustand  dauerte  in  gleicher  Weise  den  Februar 
und  März  durch  bis  in  den  April  hinein  (die  Messungen  brechen  hier  ab), 
im  März  kam  noch  eine  geringe  Milzschwellung,  die  sich  aber  bald  verlor. 
—  Am  2.  Sept.  sah  ich  das  Kind  wieder,  es  hatte  sich  gegen  den  Winter 
sehr  erholt,  ist  wohl  noch  mager,  doch  ist  die  Gesichtsfarbe  gut,  es  hustet 
nicht,  die  Drüsen  in  der  linken  Achsel  und  am  Halse  sind  eben  fühlbar, 
die  linke  vordere  obere  Brustpartie  hebt  sich  beim  Inspirium  etwas  weni- 
ger, als  diejrechte,  und  gibt  eine  ganz  leichte  Dämpfung,  die  am  deut- 
lichsten an  der  3. — 4.  Rippe  ist  und  sich  bis  in  die  linke  Achsel  erstreckt; 
auch  LHO  leichte  Dämpfung.  Das  Vesiculärathmen  ist  an  diesen  Stellen 
etwas  leiser  und  unbestimmter  gegen  rechts.  Wie  Messungen  vom  2.  bis 
19.  Sept.  ergeben,  existirt  dieselbe  snbfebrile  Gurve  wie  im  Frühling,  38,0, 
wird  häufiger  als  damals ,  einmal  selbst  38,2  erreicht  Vgl.  Gurve  8  b. 
Ghinin  ist  in  3j  Dosen  (1,2)  auf  die  Temperaturen  ohne  Einfluss,  wenig- 
stens bei  bloss  3  mal  täglicher  Messung. 

Einer  der  interessantesten  Fälle  nicht  allein  aus  dieser  Eategoriei 
sondern  überhaupt  von  andauernden  subfebrilen  Temperaturen,  ist 
der  folgende  privatim  beobachtete. 

6.  Fcl.  N.  N.  war  als  Kind  leicht  scrophulös  und  hat  in  ihren  Jugend- 
jahren einen  schweren  Typhus,  Masern  und  Scharlach  durchgemacht.  Spä- 
ter war  sie  gesund,  aber  immer  schlank  und  von  erethischem  Habitus.  Am 
25.  Oct.  1874,  damals  24  Jahr  alt,  erkrankte  sie  an  einer  Pneumonie  des 
rechten  mittleren  und  der  unteren  vorderen  Partie  des  rechten  Unterlap- 
pens. Es  trat  vollkommene  Dämpfung  mit  trockenem  lauten  Bronchial- 
athmen   ein.    Die  Pneumonie  verlief  protrahirt,   das  hohe  Fieberstadium 


1)  Die  Tagesschwankung  überschreitet  nur  ausnahmsweise  0,5. 


Sabfebrile  Zust&nde.  107 

dauerte  11  Tage,  doch  waren  während  diesea  Stadinma  die  Temperataren 
Die  adir  hoch,  schwankten  um  39,5  und  machten  vom  3.  Tage  ab  schon 
BpoDtane  Morgenremissionen  auf  ca.  38,0.  Der  Abfall  des  Fiebers  erfolgte 
mehr  lytisch ,  ging  aber  doch  in  absolute  Fieberlosigkeit  über.  Die  Lö- 
Boog  des  Infiltrats  ging  sehr  langsam  vor  sich,  erst  am  31.  Dec.  waren 
die  letzten  Sparen  desselben  geschwunden.  Während  der  aweiten  Hälfte 
November  und  im  December,  während  dieser  langsamen  Lösung  kamen 
hin  und  wieder  Abendsteigerungen  auf  ca.  38,0  vor.  Doch  war  Fat. 
in  den  ersten  zwei  Wochen  nach  der  Pneumonie  (Mitte Novem- 
ber) absolut  fieberlos,  vgl.  Cnrve  9.  Nie  waren  während  der  Pneu- 
monie Sputa  crocea  vorhanden ;  die  Sputa  waren  nicht  reichlich,  schleimig, 
uigefärbt,  wurden  leider  nicht  mikroskopirt  (v.  BuhTs  reine  genuine  De- 
sqaamativpneamonie?).  —  Zum  Frtthjahr  und  Sommer  1875  erholte  sich 
Pat.  sichtlich,  nahm  an  Körperfülle  erbeblich  und  entschieden  zu;  Husten 
war  nur  zeitweilig  vorhanden,  ein  erheblicher  Katarrh  trat  im  Laufe  des 
Jahres  1875  nicht  ein.  —  Im  Herbst  1875  häufige  Kopfschmerzen,  leich- 
ter Magenkatarrh  und  Anämie,  im  Januar  1876  Klagen  über  lebhaftere 
s rheumatische^  Schmerzen  längs  des  Rückens ,  am  Hinterkopf,  zwischen- 
durch auch  in  den  Gliedern.  Im  Februar  entschiedene  Besserung.  Ende 
Februar  und  Anfang  März  1876  wieder  Klagen  über  Kopfschmerzen  und 
rheumatische  Beschwerden;  am  7.  März  wurde  zum  ersten  Mal  constatirt, 
dass  Pat.  subfebril  sei.  Vom  8.  März  an  fortlaufende  Temperaturmessun- 
gen,  und  es  stellte  sich  nun  heraus,  dass  Patientin  andauernd  in  einem 
subfebrilen  Zustand  sich  befand,  der  Morgens  9  Uhr  mit  37,4  bis  37,6 
einsetzte  (selten  niedriger,  zuweilen  auch  höher).  Mittags  gegen  1  oder  2  Uhr 
sein  Maximum  um  38,0  hatte  (das  Aeusserste  war  ausnahmsweise  38,4) 
and  zum  Abend  gegen  10  Uhr  auf  ca.  37,0  remittirte.  Vgl.  Curve  10, 
Messungen  5  mal  täglich.  Mit  grosser  Constanz  hielt  sich  diese  Curve 
zonächst  bis  zum  19.  April,  wo  Pat.  Petersburg  verliess.  Während  der 
ersten  vier  Wochen  seines  Bestehens  bot  dieser  subfebrile  Zustand  grosse 
diagnostische  Schwierigkeiten,  da  durchaus  keine  objectiven  Anhaltspunkte 
f&r  seine  Begründung  gefunden  werden  konnten.  Es  war  während  dieser 
ersten  4  Wochen  auch  absolut  kein  Husten  vorhanden.  Erst  am 
6.  April  stellte  sich  Schnupfen  und  nach  diesem  ein  massiger  Husten  ein, 
der  fortdauerte.  Die  wiederholt  vorgenommene  Untersuchung  der  Brust 
ergab  ganz  negative  Resultate  bis  zum  10.  April,  wo  zum  ersten  Mai  eine 
leichte  Dämpfung  unter  der  rechten  Clavicula,  mehr  nach  aussen,  und  an 
den  zur  Achselhöhle  reichenden  Partien,  sowie  am  obersten  Theil  der  rech- 
ten Axillarlinie  und  in  der  rechten  Fossa  supraspinata  constatirt  wurde. 
Auscultatorisch  liess  sich  daselbst  keine  Abweichung  constatiren,  doch  war 
Pat.  an  ein  irgend  methodisches  Athmen  nicht  zu  gewöhnen.  Etwa  eine 
Woche  später  war  auch  in  der  rechten  Fossa  supraclavicularis  eine  leichte 
Dämpfung  eingetreten.  —  Beiläufig  wurde  constatirt,  dass  Pat.  beiderseits 
bewegliche  Nieren  habe,  der  Harn  zeigte  (auch  mikroskopisch)  keine  Ab- 
weichung. —  Da  Pat.  in  den  ersten  Wochen  dieses  subfebrilen  Zustandes 
in  der  Idee,  dass  möglicherweise  eine  (in  Petersburg  nicht  seltene)  leich- 
teste abdominaltyphöse  Infection  vorliege,  im  Bett  gehalten  wurde,  so  liess 
sich  in  diesem  Falle  constatiren,  dass  Bettruhe  einen  derartigen  subfebrilen 
Zustand  nicht  verschwinden  lässt.  — 


108  Y.  Kernig 

Pat.  ging  ins  Ausland,  hat  im  Laufe  von  fast  2V3  Jahren  eine  ganze 
Reihe  bekannter  klimatischer  Curorte  besucht,  das  Lungenleiden  kann  als 
wesentlich  zum  Stillstand  gekommen  zu  betrachten  sein,  und  dennoch  ist 
die  eigenthümliche  Temperaturcurve,  wenn  auch  zeitweise  in 
ihrer  Höhenlage  wechselnd,  immer  vorhanden  gewesen,  ist  freilich 
nie  in  irgend  erhebliches  Fieber  übergegangen,  ist  aber  auch  jetzt  noch 
nicht  völlig  geschwunden.  —  Was  den  Verlauf  des  Lungenleidens 
anbetrifift,  so  geht  aus  den  verschiedenen  Krankenattesten,  welche  Patien- 
tin aufzuweisen  hat,  mit  Sicherheit  hervor,  dass  nie  Cavemenbildung  ein- 
getreten ist,  dass  nie  die  linke  Lunge  in  Mitleidenschaft  gezogen  worden 
ist,  dass  die  Infiltratzeichen  RO  die  Grenzen  des  Oberlappeus  nie  über- 
schritten haben.  Die  letzten  Atteste  lauten  alle  dahin,  dass  Stillstand, 
resp.  Heilung  eingetreten  sei.  Gegenwärtig,  Sept.  1878,  lässt  sich  nur 
eine  massige  Abflachung  RO  mit  mangelhaftem  inspiratorischen  Heben,  und 
ein»  leichte  Dämpfung  RVO  undRHO  mit  mehr  oder  weniger  unbestimm- 
tem Athmen  nachweisen.  Nur  an  einer  Stelle  RH  zwischen  Scapula  und 
Wirbelsäule  ist  der  Schall  stark  gedämpft.  Trockener  Husten,  wenn  auch 
selten,  und  oft  tagelang  nicht  vorkommend,  ist  immer  noch  vorbanden. 

Ueber  den  Temperaturverlauf  besitze  ich  von  da  ab,  wo  Pat.  Peters- 
burg verliess,  20.  April  1876,  zunächst  eine  continuirliche  Reihe  von  Mes- 
sungen bis  zum  27.  Jan.  1877.  Pat.  war  in  dieser  Zeit  in  Baden-Baden, 
Soden,  in  der  Schweiz,  endlich  in  Meran  (Herbst  1876  und  Winter  1876/77), 
—  immerfort  bleibt  der  Temperatarverlauf  wesentlich  derselbe,  wenn  man 
von  einzelnen  kürzeren,  nur  über  Wochen  sich  erstreckenden  Perioden  ab- 
sieht, in  welchen  die  Temperaturen  niedriger,  nahezu  oder  ganz  innerhalb 
der  Norm  liegen.  Doch  auch  in  diesen  Perioden  ist  die  Neigung  zu  rela- 
tiv erhöhten  Morgen-  oder  Mittagstemperaturen  immer  nachweisbar,  37,5 
bis  37,7  werden  immer  zwischendurch  gemessen,  und  treten  dieselben  zeit- 
lich entschieden  zurück  gegen  die  Zeiträume,  in  welchen  die  Temperaturen 
in  der  obigen  Weise  sich  bewegen.  —  Am  günstigsten  machte  sich  noch 
Ende  September,  der  October  und  die  erste  Hälfte  November  in  Meran, 
hier  wird  37,5  in  der  That  nur  ausnahmsweise  überschritten.  Während 
des  Winters  bewegen  sich  dann  aber  die  Temperaturen  wieder  über  37,5, 
oft  um  38,0,  ohne  jedoch  38,3  zu  überschreiten.  —  Die  Messungen  wur- 
den endlich  aufgegeben.  Pat  ging  aus  Meran  nach  Oberitalien,  im  Som- 
mer nach  Soden  und  Badenweiler.  Hier  wurden  im  Juli  1877  durch 
13  Tage  wieder  Messungen  gemacht,  wieder  fanden  sich  während  der  er- 
sten 9  Tage  für  den  Mittag  und  Abend  (7  Uhr)  37,7  bis  38,0,  dann  kamen 
4  Tage,  wo  37,5  nicht  Oberschritten  wurde.  —  Den  Herbst  1877  ver- 
brachte Pat.  in  Montreux  und  den  Winter  1877/78  in  Sanremo.  —  Im 
März  1878,  also  zwei  Jahr  nach  Beginn  der  Erkrankung  hatte 
ich  Gelegenheit  Pat.  in  Sanremo  zu  sehen:  das  Allgemeinbefinden  war  sehr 
befriedigend,  Pat.  hatte  zugenommen,  kaum  welcher  Husten,  der  Lungen- 
beftand  wesentlich  wie  jetzt.  Die  Temperaturen,  durch  10  Tage  gemessos, 
ergaben  für  7  Uhr  Morgens,  also  eine  sehr  frühe  Stande  constant  37,4 
bis  37,6,  Mittags  37,3  bis  37,8  und  Abends  10  Uhr  37,0  bis  37,3.  Man 
siebt,  eine  entschieden  nicht  normale  Curve,  im  Wesentlichen  ähnlich  der 
Curve  zu  Beginn  der  Erkrankung.  —  Im  Mai  wurden  dann  (am  Comeraee) 
wieder  9  Tage  hindurch  die  Temperaturen  gemessen,  welche  in  Curve  Ha 


Subfebrile  Zustände.  109 

verzeichnet  sind.  —  Endlich  worden  vom  16.  Juni  bis  20.  Jnü  1878  in 
Beicheohall  Messungen  gemacht,  auch  sie  ergaben  kein  normales  Resultat, 
wie  Cur?e  IIb  zeigt.  —  An  dieser  letzteren  Cnrve  lässt  sich  ebenfalls 
eine  zwischenhineinfallende  zweiwöchentliche  Periode  nnterscheiden,  in  wel- 
cher die  Temperaturen  durchschnittlich  niedriger  lagen  und  nur  ausnahms- 
weise 37,5  überschritten ;  diese  Periode  begann  mit  dem  Eintritt  der  Menses 
aod  flberdaaerte  dieselben,  eine  Beobachtung,  die  wiederholt  an  der  Pat. 
gemacht  worden  ist  ^)  —  In  Reichenhall  wnrde  auch  viermal  der  etwaige 
EioflnsB  grösserer  Ghinindosen  auf  diese  abnormen  Temperaturen  geprüft. 
Dosen  von  1,0,  sowie  1,5  Chinin,  muriat.  blieben  am  Abend  um  10  Uhr, 
oder  um  5  Uhr  Nachmittags  gereicht  ganz  ohne  erkennbaren  Einfluss.  — 
Das  gute  Allgemeinbefinden  wird  wesentlich  nur  gestört  durch  die  häufi- 
gen „rhenmatoiden"  Schmerzen  im  Kopf,  Rücken  und  Gliedern.  Dieselben 
sind  ebenso  hartnäckig  wie  die  abnormen  Temperaturen.  Erheblich  und 
dauernd  abgemagert  ist  Patientin  während  dieser  langen  Zeit  nicht.  Offen- 
bar wurde  die  geringe  febrile  Consumption  durch  die  günstigen  klimatischen 
and  diätetischen  Verhältnisse  compensirt.  Ob  Patientin  als  vollständig  ge- 
heilt gegenwärtig  zu  betrachten  ist,  scheint  mir  trotz  des  günstigen  Befun- 
des an  den  Lungen  in  Hinsicht  auf  die  doch  immer  noch  abnormen  Tem- 
peraturen sehr  fraglich.  2) 

Ich  habe  mir  erlaubt,  diesen  Fall  so  ausführlich  mitzutheilen, 
weil  mir  das  Factum  einer  jahrelangen  Dauer  derartiger  Temperatur- 
Terhältniase  sehr  bemerkenswerth  schien.  Es  ist  anlAsslich  dieses 
Falles  die  Frage  aufgeworfen  worden,  ob  denn  die  betreffenden  Tem- 
peraturen überhaupt  als  abnorme  zu  betrachten  seien,  ob  es  sich 
nicht  um  ein  Individuum  mit  höheren  Temperaturen  als  bei  anderen 
Menschen  handele?  Allein  abgesehen  von  der  ganz  allgemeinön, 
aber  an  sich  schon  genügenden  Antwort,  dass  die  Wissenschaft  bis- 
her Individuen  mit  höherer  Temperatur  als  der  gewöhnlichen  nicht 
•  kennt '),  kommt  in  Betracht,  dass  es  sich  um  ein  notorisch  krankes 
Individuum  handelt ,  dass  die  betreffende  Krankheit  eine  derartige 

1)  Auch  zum  Schluss  der  Curre  Hb  beginnt  eine  solche  Periode. 

2)  Messungen  jetzt  OeCober  1878  in  Petersburg  ergeben  ganz  dasselbe  wie 
Corre  IIb. 

3)  Die  genauesten  Untersuchungen  von  Jürgensen  und  Liebermeister 
haben  bekanntlich  für  verschiedene,  allerdings  nicht  zahlreiche  Individuen  eine 
auffallende  üebereinstimmung  der  mittleren  Temperatur  der  24  stündigen  Periode 
eügeben.  Diese  liegt  gegen  36,9  in  der  Achsel  und  zwischen  37,1  und  37,2  im 
Bectom.  Liebermeister  8. 73if.  —  Jürgensen's  Mittheüung  (a.a.O.  S. 59), 
dass  bei  dner  nervösen,  sonst  gesunden  Dame  elf  Mal  in  einer  Beobacbtungs- 
periode,  welche  sich  vom  11.  Juli  bis  24.  August  erstreckte,  bei  4  mal  t&^^cher 
Messung,  das  Thermometor  hypernormale  Temperaturen  bis  zu  38,8  in  der  Achsel 
zeigte,  steht  vereinzelt  da  und  bedarf  wohl  einer  Aufklftruitg.  Uebrigens  steht 
dieses  Factum  auch  kaum  auf  einer  Linie  mit  den  abnormen  Temperaturcurven, 
die  ich  in  der  vorliegenden  Arbeit  bespreche. 


110  Y.  Eebnig 

ist,  welche  in  einer  grossen  Zahl  von  Fällen  einen  durchaus  gleichen 
subfebrilen  Temperatnrgang  erzengt  und  dass  in  einer  früheren  Periode 
die  betreffende  Patientin  normale  Temperaturen  aufwies  (Tgl.  Curve  9, 
November  1874). 

Fassen  wir  die  Torstehenden  6  F&IIe  zusammen,  so  ergibt  sich : 

Dass  in  Fall  1  mehr  als  einen  Monat  lang  vor  dem  sicher  nach- 
weisbaren Infiltrat  ein  subfebriler  Zustand  mit  Typus  inversus  vor- 
banden gewesen  ist,  dass  aber  auch  während  der  fortschreitenden 
Infiltration  noch  6  Wochen  hindurch  die  Temperaturen  nur  subfebril 
waren. 

Dass  in  Fall  2  vor  nachweisbarer  Infiltration  22  Tage  lang  sub- 
febrile Temperaturen  beobachtet  wurden. 

Dass  in  Fall  3  die  subfebrile  Curve  1  Monat  lang  anhielt,  ehe 
die  Lungenaffection  nachweisbar  wurde,  dann  noch  2^2  Monat  fort- 
dauerte, wenn  auch  mit  einzelnen  fieberlosen  oder  höher -febrilen 
Zwischenräumen,  ehe  Patient  absolut  fieberlos  wurde.  (Wenige  Wo- 
chen vor  Eintritt  der  subfebrilen  Curve  waren  noch  normale  Tem- 
peraturen vorhanden  gewesen,  ein  Jahr  vordem  waren  bei  einer  Angina 
auffallend  lange  erhöhte  Abendtemperaturen  bemerkt  worden.) 

Dass  in  Fall  4  Patient  4  Monate  vor  nachweisbarer  Lungen- 
affection  absolut  fieberlos  war,  dass  die  subfebrile  Curve  14  Tage 
vor  derselben  eintrat  und  dann  noch  2V2  Monate  bei  langsam  fort- 
schreitender Infiltration  anhielt 

Dass  in  Fall  5  der  subfebrile  Zustand  mit  Typus  inversus  14  Tage 
lang  vor  nachweisbarer  Lungenerkrankung  anhielt,  nachdem  schon 
einige  Wochen  vordem  leicht  febrile  Episoden  dagewesen  waren. 
Die  abnormen  Temperaturen  dauerten  noch  2  Monate  fort  und  sind 
auch  jetzt  vorhanden. 

Dass  in  Fall  6,  nachdem  1 V2  Jahr  vordem  eine  Pneumonie  voran- 
gegangen war,  der  subfebrile  Zustand  4V2  Wochen  andauerte,  ehe 
irgend  ein  auf  die  Lungen  bezügliches  Symptom  gefunden  werden 
konnte,  und  dass  er  später  2  V2  Jahre  lang  mit  auffallender  Gonstanz 
angehalten  hat. 

Im  Ganzen  sind  es  2  bis  5  Wochen,  während  welcher  vor  dem 
Eintreten  physikalisch  nachweisbarer  Symptome  continuirlich  sub- 
febrile Temperaturen  beobachtet  wurden,  zuweilen  (Nr.  1,  2  und  6) 
zu  einer  Zeit,  wo  selbst  noch  keine  Spur  von  Husten  vorhanden  ist. 

Ftlr  das  Vorkommen  länger  dauernder  subfebriler  Perioden  im 
Verlaufe  chronischer  Lungeninfiltrate  oder  beim  Uebergang 
derselben  in  Stillstand  oder  Heilung  liefern  die  obigen  sechs 
Fälle  schon  mehrere  sehr  klare  Beispiele.    Ich  besitze  noch  sechs 


Subfebrile  ZuBtände.  111 

F&lle»  in  denen  sabfebrile  Perioden  unter  diesen  Umständen  sich 
finden. 

7.  M.  B. ,  ein  schwächliches,  scrophnlöses  Kind  von  4  Jahren  (im 
2.  Lebensjahr  lange  dauernder ,  schwerer  Intestinalkatarrh) ,  erkrankt  am 
2.  März  1870  unter  lebhaftem  Fieber  an  einem  Spitzeninfiltrat  links.  Die 
Gurre  hat  von  vomherein  einen  zum  Morgen  stark  remittirenden  Charakter 
und  zeigt  schon  bald  einzelne  subfebrile  Tage;  vom  18.  März  ab  bleiben 
die  Temperaturen  subfebril,  39,0  wird  ausnahmsweise  erreicht,  Ende  März 
einige  fieberlose  Tage,  dann  einige  höher-febrile  Tage  und  wieder  bis  Ende 
April  sobfebrile  Temperaturen.  Ende  April  und  Anfang  Mai  eine  massig 
febrile  Periode  mit  Morgenremissionen  auf  die  Norm.  Vom  9.  Mai  ab,  wo 
dz8  Kind  aufs  Land  gebracht  worden  war,  immer  Nachmittags  und  Abends 
subfebrile  Temperaturen,  die  sich  endlich  Mitte  Jani  vollständig  verlieren. 
Das  Kind  wurde  ganz  gesund,  hat  sich  gut  entwickelt,  ist  freilich  immer 
anämisch  geblieben ;  an  dem  linken  Oberlappen  ist  schon  seit  Jahren  nichts 
Abnormes  zu  entdecken. 

8.  R.  F.,  schlank  gracil,  etwas  anämisch  und  scrophnlOs,  erkrankte, 
17  Jahre  alt,  am  23.  Februar  1877  an  einer  Pneumonie  des  rechten  Ober- 
Itppens,  deren  massig  hohes  Fiebes  9  Tage  anhielt  und  von  vomherein 
Morgenremissionen  bis  nahe  an  die  Norm  machte.  Sputa  crocea  wur- 
den nie  producirt.  Der  Auswurf  blieb  gering,  schleimig,  enthielt  sehr 
reichliche  Alveolarepithelien  (B  u  h  T  s  genuine  Desquamativpneumonie  ?).  Un- 
mittelbar nach  dieser  höher*febrilen  Periode  und  während  sich  die  Lösung 
dnsteilte,  gingen  die  Temperaturen  wohl  fast  bis  zur  Norm  hinab,  doch 
traten  die  nach  croupöser  Pneumonie  gewöhnlichen,  auffallend  niedrigen 
Temperaturen  nicht  ein,  am  Nachmittag  und  Abend  wurden  wiederholt  sub- 
febrile, Aber  37,5  liegende  Temperataren  gemessen,  Maximum  38,2  bis  38,4. 
Einmal  hatte  Pat.  nm  6  Uhr  Abends  39,3.  Als  Beispiel  für  die  Cnrve 
ans  dieser  Zeit  führe  ich  ein  paar  Tage  an: 

15.  März  16.  M&rz  17.  M&rz 

9 Vi  Uhr  Morg.  36,8^  9V2  Uhr  Morg.  36,9«        9  Va  Uhr  Morg.  36,70 

12       ,        ,       37,20  51/2    ^    Abds.  38,2»  12  „        „  37,2« 

3       n        n       37,50  9        „        ,       38,20        3  ^        ^  37,00 

6       ,    Abds.  38,10  n        ^        ^       38^00        6  „    Abds.  »37,90 

9       „        „       37,80                                                   9  ,        „  37,90 

HVi    n        n       37,70  11  Vi  „        „  37,50 

Mit  erheblich  fortgeschrittener,  aber  nicht  vollständiger  Lösung  und  mit  einer 
noch  nicht  absolut  normalen  Temperaturcurve  verliess  Patient  Ende  März 
Petersburg.  Er  ging  nach  Montreux,  wo  ziemlich  bald  auch  für  den  Abend 
die  subfebrilen  Temperaturen  sich  verloren.  —  In  Ems  erkrankte  Patient  am 
11.  Jani  aufs  Neue  mit  anfangs  massigem,  dann  erheblichem,  immer  Morgens 
remittirendem  Fieber,  während  dessen  sich  ausgedehnte  Infiltrate  im  rechten 
ÜDterlappen  bildeten.  Anfang  Jnli  kam  er  fiebernd  nach  Reichenhall,  das 
Fieber  dauerte  auch  hier  mehr  oder  weniger  stark  fort,  erst  von  der  Mitte 
AagQst  wurde  die  Curve  dauernd  subfebril;  vom  10.  bis  14.  September 
noch  eine  etwas  höher-febrile  Periode,  dann  wurde  Patient  ftlr  den  Rest 
des  September  absolut  fieberlos.    In  Meran,  wohin  Patient  Ende  September 


112  V.  Kerkig 

* 

ging,  hatte  er  bis  zum  19.  October  sehr  häufig  Mittags  oder  Nachmittags 
sabfebriie  Temperataren,  einmal  38,6,  dann  wnrde  er  fieberlos.  In  Mentone 
von  Anfang  November  an,  blieb  er  den  Winter  über  fieberlos,  die  Mes- 
sungen wurden  Tag  für  Tag  gemacht.  Anfangs  im  November  kamen  noch 
Mittags  oder  Nachmittags  Temperaturen  von  37,6  bis  37,7  zwischendurch 
vor,  hatten  aber  dann  gewöhnlich  ihre  deutliche  Veranlassung  in  irgend 
einem  relativ  zu  grossen  Spaziergang,  einer  Fahrt  etc.  Der  December, 
Januar,  Februar  und  März  waren  absolut  fieberlos  bis  auf  2  Tage  im 
Januar.  Der  Temperaturverlanf  ist  ans  dieser  Zeit  so  normal  gestaltet, 
dass  ich  in  Gurve  1  ein  Bruchstück  desselben  zum  Vergleich  mit  den 
anderen  Gurven  habe  zeichnen  lassen.  Die  grosse  Gleichmässigkeit  der- 
selben und  die  Morgens  9  Uhr  noch  tiefen  Temperaturen  erklären  sich 
vielleicht  durch  das  relativ  unthätige,  dabei  äusserst  geregelte  Leben,  das 
Patient  zu  der  Zeit  fflhrte.  —  Im  April  1878  kamen  auf  besondere  Ver- 
anlassung hin  kurzdauernde  febrile  Störungen  vor,  ebenso  an  einzelnen 
Tagen  im  Mai,  sonst  ist  Patient  bis  jetzt  (September  1878)  fieberlos  ge- 
blieben. Ich  habe  ihn  im  März  in  Mentone  und  im  Sommer  in  Reichenhall 
gesehen;  das  Allgemeinbefinden  ist  befriedigend,  ein  massiger  Hnsten,  nament- 
lich Morgens,  mit  schleimig-eitrigem  Auswurf  besteht  fort,  die  Rurzathmig- 
keit  schwindet  mehr  und  mehr,  Patient  kann  recht  gut  gehen  und  leichte 
Steigungen  (des  Weges)  machen.  Es  sind  nur  die  hinteren  Partien  des 
rechten  Unterlappens,  die  noch  fast  vollständige  Dämpfung  bei  nnbestimm- 
teii)  Athmen  geben,  der  rechte  obere  und  mittlere  Lappen  geben  wieder 
recht  vollen  Schall  und  vesiculäres  Athmen,  wenn  auch  die  RespirationB- 
bewegungen  nicht  so  ausgiebig  sind  wie  links.  Wir  sehen  in  diesem  FaU 
2  mal  eine  andauernde  subfebrile  Gurve  beim  Uebergang  zur  BesseniDg. 
Das  erste  Mal  unmittelbar  nach  der  Pneumonie  in  Petersburg,  das  zweite 
Mal  nach  der  schweren  Erkrankung  im  Sommer  1877,  jetzt,  wenn  auch 
mit  Unterbrechung,  sich  tiber  2  Monate  hinziehend  (Mitte  August  bis  Mitte 
October). 

9.  Wladimir  Starzeff,  16  Jahr  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung  am 
23.  Juni  1873  gross,  robust,  straffe  Muskeln,  zwar  nicht  viel  Fett,  doch 
gute  Gesichtsfarbe.  Der  ganze  Habitus  steht  in  auffallendem  Gegensatz 
zu  dem  Umstand,  dass  Patient  schon  seit  dem  April  wiederholt  geringen 
Blutauswnrf  gehabt  hat  und  die  linke  Spitze  infiltrirt  ist  Patient  war  den 
Juli  und  August  Aber  fieberlos,  hustete  immer  etwas  Blut  aus;  erat  im 
October  unter  Ausbreitung  der  localen  Zeichen  für  einige  Wochen  snbfebril ; 
ebenso  im  November.  Ende  November  für  6  Tage  höheres  Fieber  in  Folge 
eines  massigen  Pleuraexsudates  links.  Jetzt  hatte  Patient  sein  gutes  Aus- 
sehen mehr  und  mehr  verloren.  Der  ganze  December  verläuft  snbfebril 
zwischen  37,2  und  38,2.  Der  Januar  und  Februar  1874  sind  absolut 
afebril  bei  deutlicher  Besserung  der  localen  Zeichen.  Erst  im  März  wieder 
fast  täglich  Mittags  und  Abends  subfebrile  Temperaturen  bis  38,3.  Von 
Ende  März  ab  ist  Patient  absolut  fieberlos  bis  zum  Juli,  wo  die  Messungen 
ausgesetzt  werden.  Ende  September  ergibt  die  Untersuchung  eine  entschie- 
dene Besserung;  im  Laufe  des  geschilderten  Jahres  hatte  sich  eine  links- 
seitige  Herzhypertrophie  ohne  Klappenaffection  ausgebildet.  Patient  blieb 
den  Winter  Aber  fieberlos,  so  oft  er  auch  bei  Gelegenheit  geringer  Hä- 
moptysen gemessen  wurde.    Vom  19.  März  1875  ab  massig  schwerer  vier- 


Subfebrile  Zustände.  113 

wöchentlicher  Abdomioaltyphas ,  während  desselben  m&fisige  Hämoptyse, 
Dach  demselben  bis  Anfang  Mai  snbfebril,  dann  afebril  mit  seltenen  Aus- 
Dahmen.  Patient  verliess  die  Anstalt,  starb  2  Jahre  später  bei  mir  im 
ObnchofiTschen  Hospital,  hochgradig  phthisisch. 

Also  auch  in  diesem  Falle  eine  lange  ttber  Monate  sich  erstreckende 
subfebrile  Periode  (October  bis  December  1873)|  welche  zu  vollkom- 
mener Fieberlofiigkeit  führt  Diese  dauert,  wenn  man  vom  März  ab- 
sieht,  Aber  ein  Jahr  bis  zum  Beginn  des  Abdominaltyphus  und  cha« 
rakterisirt  einen  wirklichen  Stillstand  des  Lungenleidens. 

10.  Eugenie  Browtschinskaja,  12  Jahre  alt,  ist  bei  der  ersten  Unter- 
sQcbuig,  9.  Juni  1873,  schlank,  mager,  bleich,  von  floridem  Habitus,  leidet 
jetzt  eben  an  Conjunctivitis  und  Keratitis  phlyctaenulosa,  hat  oft  Husten 
und  leichtes  Fieber.  Gegenwärtig  geringer,  trockener  Husten  und  ein  zwei- 
felloses Infiltrat  im  rechten  Oberlappen.  Die  Messungen  ergeben  eine  sub- 
febrile Curve,  Nachmittags,  aber  nicht  täglich,  bis  38,1,  ausnahmsweise  bis 
38,5.  Dieses  dauert  den  Juni,  Juli  und  Anfang  August  fort,  wo  die  Hes- 
smigen  ausgesetzt  werden.  Im  Juli  einige  aufeinanderfolgende  Tage  mit 
Abeodtemperatnren  Aber  39,0.  Der  Husten  verliert  sich  im  Sommer  und 
Herbst  mehr  und  mehr,  am  20.  Sept.  wird  ein  entschieden  besseres  Aus- 
sehen und  eine  erhebliche  Besserung  der  physikalischen  Zeichen  constatirt, 
jedes  Rassehi  ist  geschwunden  und  der  Schall  RHO  weniger  gedämpft. 
Die  Besserung  hält  an,  im  Sommer  tS75  ist  an  der  rechten  Spitze  nichts 
Aboormea  zu  entdecken  und  bis  zu  ihrem  Austritt  (Mai  1S77),  sowie  ttber- 
hanpt  in  den  letzten  Jahren  erfreut  sich  Pat.  einer  blühenden  Gesundheit. 

Aber  auch  im  letzten  Stadium  der  Phthisiker,  ehe  der  tddtliche 
Ausgang  eintritt,  gewissermaassen  als  Uebergang  zu  den  GoUapstem- 
peraturen,  die  nicht  selten  bei  ihnen  dem  Tode  vorangehen,  kann 
eine  wochenlang  sieh  hinziehende  subfebrile  Curve  vorkommen. 

11.  Valentin  Mischtoft,  taubstumm,  hochgradig  scrophulds,  tritt  am 
12.  Juni  1873  schon  mit  ausgedehnten  Cavemen  und  massig  fiebernd  in 
meine  Behandlung.  Während  der  Verfall  weiter  fortschreitet,  Oedeme  an 
den  Füssen  und  im  Gesicht  auftreten,  werden  vom  22.  Juni  bis  20.  Juli, 
also  einen  Monat  lang,  fast  nur  subfebrile  Temperaturen  gemessen.  Die- 
selben gehen  in  Gollapstemperatnren  (35,2  bis  35,5  zu  verschiedenen  Tages- 
Btondeo)  über,  und  Patient  stirbt  am  31.  Juli. 

Endlich  gehört  hierher  ein  Fall,  der  unter  dem  Bilde  eines 
chronischen,  vorzugsweise  den  rechten  Oberlappen  betreffenden  Ka* 
tarrhs  verlief. 

12.  Michael  Lebedeff,  10  Jahre  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung  am 
24.  August  1876  gesund,  doch  nicht  kräftig  entwickelt,  etwas  anämisch, 
axilläre  und  submaxillare  Drüsen  etwas  fühlbar.  Im  November  1876  fieber- 
loBer  Bronchialkatarrh  (rechter  Ober-  nnd  ünterlappen).  Im  März  und 
April  1877,  wegen  leichter  AugenaffectioneB  beobachtet,  ist  er  absolut 
fieberlos.  Im  Mai  1877  entwickelt  sich  der  chronische  Katarrh,  massiges 
feuchtes  dumpfes  Rasseln  hie  nnd  da  in  beiden  Lungen,  vorzugsweise  aber 

Deatiches  ArcblT  f.  klln.  Mtdicin.    XXIV.  Bd.  S 


114  V.  Kernig 

RVO,  ohne  jede  Dämpfnng  nnd  ohne  eine  Spar  von  Fieber,  wie  fortlaufende 
Messungen  im  Juni  und  Juli  ergeben.  Das  Allgemeinbefinden  bleibt  gut. 
Erst  Ende  Juli  werden  die  Temperaturen  9  Uhr  Morgens  etwas  zu  hoch, 
37,4  bis  37,6,  ebenso  im  August  und  September,  wo  wiederholt  am  Morgen 
37,7  bis  37,9  gemessen  werden,  so  dass  zeitweise  ein  Typus  inversus  vor- 
handen ist.  Erst  Ende  September  tritt  eine  leichte  Dämpfung  unter  der 
rechten  Clavicula  auf  und  wird  das  Rasseln  daselbst  feinblasiger.  Im 
October  ist  der  Knabe  ganz  fieberlos,  ebenso  im  December  und  Januar, 
obgleich  die  localen  Erscheinungen  wesentlich  dieselben  sind.  Jetzt,  Sep- 
tember 1878,  sieht  der  Knabe  nicht  anämisch  aus,  hustet  sehr  wenig,  die 
Drtlsen  in  den  Achseln  und  am  Halse  nur  eben  fflhlbar,  aber  die  vordere 
obere  Brustpartie  rechts  hebt  sich  beim  Inspirium  nicht  so  vollständig  wie 
links,  über  und  unter  der  Clavicula  rechts  bis  zur  3.  Rippe  hinab  leichte 
Dämpfung  mit  spärlichem,  feinem,  etwas  hellem  Rasseln,  das  auch  noch 
weiter  hinab  gehört  wird.  In  der  rechten  Fossa  supraspinata  Spuren  von 
Dämpfung  mit  etwas  feinem  Rasseln.  Dabei  kein  Fieber.  Während  fflnf 
Tagen  dreimal  täglich  gemessen,  keine  Temperatur  Aber  37,1. 

Wenn  wir  die  vorstehenden  sechs  Fälle  flberblicken,  so  finden 
wir  in  Fall  7  und  10  eine  3-  resp.  2  monatliche  subfebrile  Curve 
beim  Uebergang  in  definitive  Heilung,  in  Fall  8  und  9  subfebrile 
Curven-von  4  Wochen  bis  fast  3  Monaten  Dauer  beim  Uebergang 
in  Stillstand,  in  Fall  11  aubfebrile  Temperaturen  4  Wochen  lang 
kurz  vor  dem  Tode,  in  Fall  12  endlich  subfebrile  Temperaturen  im 
Verlauf  eines  chronischen  Bronchialkatarrhs,  der  aber  mit  Verdich- 
tung des  Lungengewebes  (Girrhose)  sich  verbindet. 

Im  Anschluss  an  die  Gruppe  der  zur  Phthisis  führenden  Lungen- 
infiltrate theile  ich  die  folgenden  beiden  FftUe  mit,  in  deren  einem 
es  sich  wesentlich  um  eine  Pleuritis,  später  um  eine  Pneumonie 
und  eine  Spitzenaffection  handelt,  während  der  andere  einer  schweren 
Bronchitis  angehört 

13.  Peter  Romin,  15  Jahr  alt,  ist  bei  der  erstea  Untersuchung  am 
23.  August  1873  recht  kräftig,  bietet  nichts  Abnormes.  Im  October  1874 
bei  Gelegenheit  eines  leichten  Unwohlseins  ganz  fieberlos.  Im  December 
wegen  einer  Angina  an  2  Tagen  leicht  febril,  in  den  folgenden  afebril. 
Am  25.  März  1875  kommt  Patient  subfebril  ins  Lazareth  und  bleibt  es 
nun  ffir  langie  Zeit.  Die  Temperaturen  schwanken  zwischen  37,0  und  38,3, 
haben  ihren  Höhepunkt  am  Nachmittag,  gehen  nur  je  einmal  auf  40,2  (am 
4.  April)  und  39,1  (am  13.  April)  ohne  deutliche  Veranlassung.  Die  ob- 
jective  Untersuchung  ergibt  als  einzige  Abnormität  das  Bestehen  emer  mas- 
sigen Milzschwellung  und  in  den  ersten  Tagen  sowie  später  hin  und  wieder 
1 — 2  dflnne  Stühle.  Ein  geringer  Husten,  mit  dem  Pat.  eintritt,  schwindet 
alsbald  (infectiöser  Magenkatarrh?  leichteste  abdominaltyphöse  Infection?). 
Die  Milz  schwillt  gegen  Mitte  April  ab  und  die  Temperaturen  bleiben  jetzt 
fttr  3  Tage  fast  ganz  normal.     Da  tritt  vom  22.  April  ab  fast  täglich 


Subfebrile  Zustände.  115 

höheres  Fieber  auf  39,0,  gelbst  39,8  ein,  und  es  bildet  sich  ein  massiges 
rechtsseitiges  Pleuraexsudat.  Erst  vom  15.  Mai  ab  ist  Pat.  wieder  sub- 
febril,  was  nur  einige  Mal  durch  einzelne  höher-febrile  Tage  unterbrochen 
wird.  Das  Pleuraexsudat  resorbirt  sich  Ende  Mai  und  im  Juni,  wahrend 
die  snbfebrilen  Temperaturen  bis  in  den  Anfang  Juli  sich  zeigen.  Einige 
Mal  wird  im  Juni  über  Schmerzen  in  der  linken  Brustseite  geklagt,  doch 
ist  daselbst  nichts  zu  finden.  Juli  und  Anfang  August  verlaufen  mit  ein- 
zelnen Ausnahmen  fieberlos,  und  Patient  erholt  sich  sichtlich  bei  guter  Er- 
nährung. Am  12.  August  beginnt  mit  lebhaftem  Fieber  eine  Pneumonie 
im  linken  Unterlappen.  Das  hohe  Fieber  dauert  eine  Woche  an  und  geht 
in  einen  snbfebrilen  Zustand  über,  der  indessen  mit  Ende  August  schwindet. 
Mittlerweilen  geht  eine  langsame  Lösung  des  gesetzten  Infiltrats  vor  sich. 
Erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  September  kommen  wieder  subfebrile  Tage 
vor  und  im  October  ist  Patient  andauernd  subfebril.  Mit  Schluss  des 
October  wird  die  linke  Spitze  verdächtig,  der  Schall  gegen  rechts  etwas 
gedämpft,  das  Athmen  theils  unbestimmt,  theils  mit  leicht  bronchialem 
Hauch.  Im  November  dauern  die  subfebrilen  Temperaturen  noch  an,  ver- 
lieren sich  erst  vollständig  im  December,  die  Erscheinungen  an  der  linken 
Spitze  werden  nicht  deutlicher,  gehen  vielmehr  erheblich  zurück,  wie  eine 
Untersuchung  am  10.  Januar  1876  ergibt.  HU  beiderseits  ist  zu  diesem 
Termin  das  Vesicnlärathmen  ganz  rein ,  der.  Schall  noch  ganz  leicht  ge- 
dämpft. Patient  hat  im  Mai  1876  die  Anstalt  verlassen  und  soll  angeb- 
lich später  an  Phthisis  gestorben  sein. 

Es  scheint,  dass  der  lange  dauernde,  wenn  auch  mit  Unter- 
brechungen tlber  3/4  Jahr  sich  erstreckende  subfebrile  Zustand  in 
diesem  Falle  successive  verschiedene  Begrflndung  gehabt  hat.  Die 
Periode  vom  23.  März  bis  Mitte  April  ist  vielleicht  als  ein  infectiöser 
Process  aufzufassen,  dann  kam  die  Pleuritis ;  der  subfebrile  Zustand, 
der  sich  an  diese  schloss,  verlor  sich  erst  Anfang  Juli ;  es  folgte  die 
Pneumonie  mit  kurzem  subfebrilem  Stadium ,  endlich  im  September, 
October  und  November  die  leichte  Spitzenaffection  links.  Die  Deu- 
tung des  Ganzen  ist  wohl  nur  durch  die  (scrophulöse?)  Constitution 
des  Kranken  möglich,  die  allerdings  im  Erankenjournal  nicht  aus^ 
drlicklich  erwähnt  ist.  Wir  werden  nämlich  bald  sehen,  wie  häufig 
und  leicht  scrophulöse  Individuen  derartige  Temperaturverhältnisse 
produciren. 

14.  Iwan  Mikeladse,  12  Jahre  alt,  taubstummer  Sohn  eines  kaukasi- 
schen Fftrsten,  hat  seine  Knabenjahre  also  im  Süden  verbracht,  ist  bei  der 
ersten  Untersuchung  am  29.  Juni  1873  gross,  schlank,  kräftig,  bietet  nichts 
Aoffallendes.  Im  November  1874  bei  Gelegenheit  einer  leichten  Angina 
ikormale  Temperaturen,  km  17.  April  1876  stellt  sich  Patient  mit  Husten 
ein;  es  wird  eine  subfebrile  Curve  couBtatirt,  die  hie  und  da  Typus  in- 
veraus  aufweist,  nur  mehr  ausnahmsweise  in  höheres  Fieber  flbergeht  und 
sich  erst  Anfang  Juni  verliert,  also  gut  6  Wochen  dauert.  Vergl.  Curve  12. 
Der  Husten  wurde  gleich  von  Anfang  sehr  intensiv,  in  der  2.  Woche  von 
einer  seltenen  Heftigkeit  und  förderte  nun  ein  reichliches,  serös-Bohleimiges, 

8* 


116  Y.  Kebnio 

leicht  blatig  geftrbtes  Spatam  heraos.  Es  ist  dabei  zu  bemerken,  dass 
Patient  ein  etwas  aufgelockertes  Zahnfleisch  hatte.  Intensive  an  Anfang 
mehr  trockene,  später  mehr  feuchte  und  ziemlich  fdnbiasige  Rasselgeränsche 
verbreiteten  sich  ttber  sftmmtliche  Lnngenlappen.  Zu  keiner  Zeit  des  Ver- 
laufes liess  sich  trotz  eifrigen  Suchens  irgendwo  ein  Infiltrat  finden.  Zu 
Ende  der  3.  Woche  war  das  Blut  aus  dem  Auswurf  geschwunden  und 
hatte  die  grosse  Heftigkeit  der  Hustenanfälle  nachgelassen,  auch  wurde  die 
Menge  der  Rasselgeräusche  geringer.  Zum  Schluss  der  2.  Woche  vergrös- 
serte  sich  auffallender  Weise  die  Milz  und  überdauerte  diese  Milzschwellung 
die  Bronchitis  bis  in  den  Juli  hinein.  In  die  2.  und  4.  Woche  fallen  ohne 
deutliche  Veranlassung  die  einzelnen  höhei^febrilen  Tage  und  ein  paar  Mal 
stärkeres  Nasenbluten.  Erst  Ende  Mai  und  im  Juni  auf  dem  Lande  wurde 
der  Husten  sehr  viel  leichter  und  verloren  sich  die  Rasselgeräusche  voll- 
ständig. Patient  erholte  sich  während  des  Sommers  vollkommen  und  erfreut 
sich  bis  jetzt  einer  vorzflglichen  Gesundheit.  Jetzt,  September  1878,  sind 
die  Achseldrttsen  wohl  etwas  fühlbar,  doch  ist  der  Habitus  kein  scrophulOser. 


Wir  kommen  nun  zu  der  zweiten  grossen  Gruppe  von  Indivi- 
duen, die  verhältnissmässig  oft  andanemde  subfebrile  Temperaturen 
aufweisen,  meist  veranlasst  durch  verschiedene  leichtere  oder  schwerere 
(acute)  Erkrankungen.  Es  sind  das  die  Scrophulösen.  —  unter 
den  taubstummen  Kindern  findet  sich  eine  grosse  Zahl  von  solchen, 
nur  ein  guter  Theil  von  diesen  tritt  als  solche  schon  ein;  ich  habe 
daher  oft  Gelegenheit,  den  Verlauf  verschiedener  Erkrankungen  an 
Scrophulösen  zu  beobachten.  Am  auffallendsten  sind  mir  hier  immer 
die  leichtesten  Erkrankungen,  wie  katarrhalische  Anginen,  leichteste 
und  leichte  Abdominaltyphen  u.  dgl.  gewesen,  welche  zwar  durchaus 
nicht  immer,  doch  oft  genug  an  scrophulösen  Individuen  eine  sub- 
febrile  Curve  veranlassen,  resp.  zur  Folge  haben,  wie  sie  gewiss  in 
keinem  Verhältniss  zu  der  betreffenden  Krankheit  steht  und  an  sonst 
nicht  Disponirten  wohl  gewöhnlich  nicht  vorkommt. 

15.  Eugenius  Balatschinsky^  14  Jahre  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung 
am  26.  Juni  1873  kräfüg  und  robust,  doch  die  Azillardrflsen  fühlbar.  Im 
October  und  November  1874  wird  gelegentlich  leichter  Erkrankungen  eine 
ganz  normale  Temperaturcurve  constatirt,  ebenso  im  Januar  1875.  April 
1875  bei  einem  leichten  Katarrh  hin  und  wieder  geringe  Erhöhungen  der 
Abend*  oder  Morgentemperaturen.  Am  13.  November  1875  katarrhalische 
Angina  und  Husten,  dabei  an  den  ersten  zwei  Tagen  leicht  febril,  38,3 
bis  38,6,  an  den  folgenden  fünf  Tagen  aber  subfebril  zwischen  37,1  und 
38,0.  Am  27.  Novbr.  wieder  frische  Angina  und  Husten,  dieses  Mal  von 
vomhertin  mit  nur  subfebrilen  Temperaturen,  die,  zwischen  37,0  und  38,2 
liegend,  sich  bis  zur  Mitte  December,  also  über  18  Tage  fortsetzen.  Vgl. 
Curve  13.  Im  Januar  1876  bei  einem  Katarrh  an  mehreren  Tagen  wieder 
einzelne,  subfebrile  Temperaturen.    Im  Januar  1877,  also  ein  Jahr  später, 


Sabfebrile  ZoBtftnde.  117 

abensalB  eise  siemlich  lebhafte  katarrhalische  Angina  nnd  Hasten  dabei. 
£9  seigt  sich  eine  snbfebrile  Gnrve,  die  derjenigen  vom  November  1875 
ganz  gleich  ist  nnd  vom  10.  Jannar  bie  Mitte  März,  also  über  2  Monate 
dauert.  Hie  nnd  da  ist  die  Cnrve  durch  einielne  fieberlose  Tage  nnter- 
broeben.  Der  Hasten  schwindet  schon  im  Janaar,  and  es  ist  bei  wieder- 
holter genaaer  Bmstantersachang  absolut  nichts  Abnormes  zu  entdecken. 
Die  Angina  wird  indess  chronisch.  Ende  April  tritt  Patient  wieder  mit 
Hosten  ein,  hat  6  Tage  lang  wieder  dieselben  subfebrilen  Temperaturen, 
ist  tber  im  Mai  fieberlos.  Er  verlässt  die  Anstalt  Ende  Mai  mit 
einer  chronischen  Angina,  die  mir  die  Veranlassung  au  dem  Husten  zu  sein 
scbiai.  Eine  genaue  Untersuchung  vor  dem  Austritt  liess  die  rechte  Spitze 
Terdichtig  erscheinen,  doch  war  nichts  mit  Sicherheit  zu  diagnosticiren.  — 
Wir  haben  hier  also  dreimal  katarrhalische  Angina  als  Ausgangspunkt  sub- 
febriler Zustände,  das  erste  Mal  allerdings  nur  für  wenige  Tage,  das  zweite 
Mal  ftlr  18  Tage,  das  dritte  Mal  für  volle  2  Monate. 

16.  Alexander  Solowjeff,  13  Jahr  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung  am 
25.  Juni  1873  klein  fflr  sein  Alter,  nicht  kräftig,  etwas  mager,  geringe 
DrflsenBch wellungen  am  Halse  und  in  den  Achseln.  Am  15.  Novbr.  1873 
tritt  er  mit  subfebrilen  Temperaturen  ein,  doch  erst  2  Tage  später,  nach- 
dem die  Temperatur  einmal  39,0  erreicht  hat,  ist  eine  katarrhalische  Angina 
nachzuweisen.  Der  snbfebrile  Znstand  dauert  23  Tage,  nur  ausnahmsweise 
gebt  die  Temperatur  unter  37,2  und  die  Gurve  zeigt  in  exquisiter  Weise 
Typns  inversus.  Vgl.  Curve  14.  Die  Angina  verbindet  sich  mit  massiger 
MaDdelsch wellung,  ist  aber  vor  der  Entlassung  und  bei  Fortdauer  der 
abnormen  Temperaturen  abgeheilt  Im  April  1874  bei  Gelegenheit  eines 
leichten  Unwohlseins  eine  ganz  normale  Gurve,  ebenso  October  1874.  Erst 
am  17.  März  1876,  also  fast  2V2  Jahr  nach  der  ersten  Angina,  kommt  Fat 
wieder  fiebernd  bis  39,5  mit  einer  katarrhalischen  Angina  ins  Lazareth. 
Die  Angina  schwindet  vollständig  nach  einer  Woche  etwa,  doch  vom  zweiten 
Lazarethtage  ab  sind  die  Temperaturen  subfebril  zwischen  37,2  und  38,3, 
jetzt  ohne  Typus  inversus  und  bleiben  so  bis  Mitte  April,  wo  sie  sich 
laogsam  verlieren.  Nur  an  zwei  vereinzelten  Tagen  in  dieser  Zeit  geht 
die  Temperatur  auf  39,0  und  39,2.  Von  Ende  März  bis  Mitte  April  be- 
steht etwas  Husten  und  etwas  Milzschwellung,  sonst  ist  objectiv  an  dem 
Knaben  nichts  zu  finden.  —  Der  Knabe  blieb  gesund  und  verliess  im  Mai 
1S76  die  Anstalt 

17.  Nicolai  Jablokoff,  12  Jahr  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung  am 
6.  Sqitbr.  1873  blass,  mager,  Schwellung  der  submaxillaren  Drflsen.  Am 
12.  Novbr.  1873  stellt  er  sich  mit  subfebrilen  Temperaturen  ein,  die  von 
vornherein  doen  entschiedenen  Typus  inversus  einhalten,  später  an  mehreren 
Tagen  auffallende  Abendremissionen,  einmal  bis  36,0,  zeigen.  Vgl.  Gurve  15. 
£s  hält  diese  subfebrile  Gurve  bis  zum  i.  December  an.  Am  14.  Novbr. 
liess  sich  inzwischen  eine  katarrhalische  Angina  constatiren,  die  etwa  nach 
einer  Woche  geschwunden  war,  während  die  eigenthtlmlichen  Temperaturen 
noch  fortdauerten.  Gegen  Ende  November  Hess  sich  eine  Zu- 
nahme der  Drflseuschwellungen  constatiren,  sie  wurden 
such  in  den  Achselhöhlen  nachweisbar.  Am  10.  März  1875  trat 
Pstient  wegen  einer  massig  ausgedehnten  Phlegmone  an  der  inneren  Fläche 
des  rechten  Oberarms  ins  Lazareth,  war  dabei  subfebril  (nur  einmal  am 


118  .V.  Kernig 

zweiten  Tag  38,8),  ohne  Typus  inversuB.  Eine  flactuirende  Stelle  masste 
am  13.  März  geöffbet  werden,  wonach  bei  fortdauernder  Eiterung  die  übrige 
Geschwulst  langsam  schwand.  Am  29.  März,  nachdem  am  Tage  vorher 
eine  Steigerung  auf  38,9  vorangegangen  war,  fand  sich  eine  acute  Drttsen- 
Schwellung  in  der  linken  Achsel,  also  entgegengesetzt  der  Phlegmone, 
die  am  4.  April  zur  Onkotomie  führte.  Der  subfebrile  Zustand  hielt  unter- 
dessen mehr  oder  weniger  deutlich  bis  zum  11.  April  an,  wo  Patient  ent- 
lassen wurde.  Er  erholte  sich  bis  zum  Juni  bedeutend,  ist  aber  jetzt,  Sep- 
tember 1878,  immer  noch  blass  und  mager,  wenn  auch  grösser;  in  der 
linken  Achsel  sind  die  Drüsen  als  grobe  Knoten  fühlbar. 

18.  Jegor  Alexandroff,  10  Jahr  alt,  am  16.  Juni  1875  bei  der  ersten 
Untersuchung  etwas  mager,  axillare  und  subm axillare  Drüsen  etwas  ge- 
schwellt, eitriger  Ohrenfluss  beiderseits.  Am  26.  Octbr.  1875  Fieber  bis 
39,8  und  katarrhalische  Angina,  am  28.  Oct.  ist  das  Fieber  geschwunden 
(Maximum  37,6),  doch  zeigt  sich  Herpes  an  Nase  und  Unterlippe.  In  den 
folgenden  2  Tagen  absolute  Fieberlosigkeit,  dann  subfebril  durch  15  Tage, 
während  welcher  Zeit  ein  Mal  am  2.  Nov.  die  Temperatur  auf  39,4  geht. 
Am  23.  Januar  1876  beginnt  ein  massiges  Fieber  (Maximum  39,4)  mit 
Milzschwellung;  es  dauert  5  Tage  und  geht  nun  in  einen  subfebrilen  Zu- 
stand über,  der  sich  erst  am  23.  Februar  verliert.  Die  Temperataren 
liegen  zwischen  37,0  und  38,5.  Nur  einmal,  am  12.  Tage  vom  Anfang 
der  Erkrankung,  kam  mit  einem  Schüttelfrost  eine  ganz  vorübergehende 
Temperaturerhöhung  auf  40,4  vor.  Die  Milz  war  schon  am  11.  Februar, 
also  vor  Nachlass  der  abnormen  Temperaturen  abgeschwellt.  Im  Laufe 
der  letzten  zwei  Jahre  ist  Patient  noch  wiederholt  im  Lazareth  gewesen, 
doch  hat  sich   eine  andauernde   subfebrile  Curve  nicht  wieder  eingestellt 

,  Patient  ist  jetzt,  September  1878,  etwas  mager,  nicht  anämisch,  die  Drüsen 
in  der  linken  Achsel  sind  erheblich  geschwellt,  rechts  und  am  Halse  nur 
wenig.  Neben  der  Angina  finden  wir  also  in  diesem  Falle  einen  infectiOsen 
Magenkatarrh  (leichtesten  Abdominalt3rphus)  als  Veranlassung  zu  einem 
subfebrilen  Zustand  von  ca.  3  Wochen^  Dauer. 

In  den  folgenden  zwei  Fällen  haben  wir  ebenfalls  den  Anschluss 
einer  längeren  subfebrilen  Curve  an  leichteste  Abdominaltyphen. 

19.  Iwan  Schaposchnikoff,  12  Jahre  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung 
am  30.  August  1873  recht  kräftig,  doch  geringe  Drüsensohwellungen  am 
Halse  und  unter  den  Achseln.  Er  tritt  fiebernd  am  30.  Octbr.  1873  ins 
Lazareth;  das  Fieber  dauert  in  massiger  Weise  (Maximum  39,7)  10  Tage 
an,  verbindet  sich  mit  Milzschwellung,  belegter  Zunge  und  leichtem  Durch- 
fall und  geht  vom  11.  Tage  ab  in  einen  subfebrilen  Zustand  über,  der  bis 
zum  11.  Decbr.,  also  gegen  5  Wochen  anhält.  Die  Temperaturen  zeichnen 
sich  in  diesem  Falle  durch  ihre  grosse  Gleichförmigkeit  ans;  sie  Hegen 
z.  B.  für  die  11  Tage  vom  17.  bis  27.  Novbr.  in  den  engen  Grenzen  von 
37,6  bis  38,2.  Die  Milz  begann  um  die  Zeit  abzuschwellen ,  wo  das  höhere 
Fieber  nachliess.  Bei  Gelegenheit  späterer  leichter  Erkrankungen  wurde 
eine  derartige  subfebrile  Curve  nicht  gefanden.  Jetzt,  September  1878,  ist 
der  Knabe  gross,  robust,  sehr  gut  ernährt,  doch  sind  die  Achseldrüsen 
beiderseits  geschwellt. 


Subfebrile  Zustände.  119 

20.  Anna  Rettel,  11  Jahr  alt,  bei  der  ersten  Untersachang  am  14.  Juni 
1873  recht  kr&ftig,  voll,  von  gesunder  Gesichtsfarbe,  doch  mit  geringen 
Schwellungen  der  Nacken-  und  Submaxillardrflsen.  Bei  wiederholten  leich- 
ten Erkrankungen  im  Laufe  des  Jahres  1874,  darunter  auch  eine  Angina, 
wird  euie  normale  Curve  Consta tirt.  Am  11.  Decbr.  1874  tritt  sie  mit 
erheblichem  Fieber  in  das  Lasareth,  das  sich  als  leichter  Abdominaltyphus 
charakterisirt:  Milzschwellung,  vereinzelte  Roseolae,  leichte  gastrische  Sym- 
ptome. Am  13.  Tage,  nachdem  inzwischen  schon  einige  subfebrile  Tage 
dagewesen,  Iflsst  sich  der  Process  als  abgelaufen  betrachten,  unter  Anderem 
war  auch  die  Milz  fast  ganz  abgeschwellt.  Es  folgen  vom  24.  bis  27.  Dec. 
4  absolut  fieberfreie  Tage,  dann  beginnt  eine  subfebrile  Curve,  die  bis 
Mitte  M&rz,  also  2V2  Monat  lang  andauert.  Anfangs  im  Januar 
liegen  die  Temperaturen  zwischen  37,4  und  38,1,  nur  einmal  kommt  eine 
Ansoahme  auf  38,5  vor,  als  die  linke  Submaxillardrttse  anschwillt  und 
empfindlich  wird.  Es  geht  dieses  indess  rasch  vorflber  und  ea  kommt  nicht 
zur  Eiterung.  Im  Februar  liegen  die  Temperaturen  im  Ganzen  etwas  höher, 
zwischen  37,5  und  38,3,  einmal  wird  ohne  sichtliche  Veranlassung  39,0 
gemessen.  In  der  ersten  Hälfte  März  werden  die  Temperaturen  endlich 
darchBchnittlich  geringer  und  das  Kind  kann,  nachdem  tagelang  37,5  nicht 
flberschritten  worden  ist,  entlassen  werden.  Das  Einzige,  was  in  dieser 
langen  Zeit  objectiv  nachweisbar  war,  war  eine  geringe  Milzschwellung,  die 
seit  dem  leichten  Typhus  persistirte.  Husten  kam  gar  nicht  vor,  hin  und 
wieder  einige  dflnne  Stähle.  Trotz  der  subfebrilen  Temperaturen  hatte 
sich  das  Kind  bis  Mitte  März  sichtlich  erholt  und  schritt  diese  Erholung 
bis  zum  Sommer  noch  weiter.  Im  December  1875  war  sie  wieder  im 
Lazareth  wegen  etwas  Brustschmerzen,  aber  ohne  Husten.  Vom  3.  bis 
17.  December  wurden  wieder  subfebrile  Temperaturen  constatirt,  zum  Theil 
mit  Typus  inversus,  verloren  sich  aber  dann.  —  Später  sah  ich  das  Kind 
mehrmals  wohl  und  gesund;  es  verliess  die  Anstalt  im  Mai  1878. 

Ein  ähnlicher  Fall  ist  neuerdings  während  meiner  Abwesenheit 
ron  Dr.  Assmuth  in  der  Anstalt  beobachtet  worden.  Bei  einem 
serophulösen  Mädchen  von  14  Jahren  wurden  2  Monate  lang  (15.  Febr. 
bis  14.  April)  subfebrile  Temperaturen  bis  38,0  fast  täglich  beobachtet 
im  AnschloBS  an  ein  leichtes  fieberhaftes  Unwohlsein,  das  mit  Milz- 
Schwellung  verbunden  war.  Letztere  verlor  sich  Mitte  März,  während 
die  abnormen  Temperaturen  fortdauerten.  Jetzt,  September  1878, 
zeigen  sich  wiederholt  Morgens  und  Mittags  Temperaturen  von  37,7 
bis  37,9,  ohne  dass  an  dem  Kinde  ausser  leichten  Zeichen  von  Sero- 
pheln  etwas  zu  finden  wäre.  (Torpider  Habitus,  geringe  DrQsen- 
Bchwellungen,  Coryza,  excoriirte  Nares.)^) 

Auch  mit  katarrhalischem  Icterus  kommen  bei  Scrophu- 
lugeu  andauernde  subfebrile  Temperaturen  vor,  wie  der  folgende 
Fall  lehrt. 


1)  Im  Laufe  des  October  haben  sich  die  abnormen  Temperaturen  verloren. 


120  V-  Kebnig 

21.  Timofei  Kondakoff,  14  Jahr  alt,  bd  der  ersten  Untersachimg  am 
23.  Juni  1873  nicht  krftftig,  mager,  exquisit  scrophulöBer  Habitus.  Beider- 
seits unter  der  Mandibnla  und  am  Halse  ausgedehnte  serophulöse  Drflsen* 
gescbwflre.  In  beiden  Achseln  geschwellte  Drflsen,  rechts  vereitemd.  Am 
linken  Ober-  und  Unterarm  auf  den  Knochen  fahrende  Narben.  An  der 
linken  ersten  Danmenpbalanx  und  an  dem  |fetacaipalknochen  Cariea.  Am 
21.  Decbr.  1873  stellt  sich  Pat.  mit  starkem  Icterus,  aber  fieberios  vor, 
4  Tage  lang  will  er  vordem  Frösteln  gehabt  haben.  Die  Zunge  ist  ziem- 
lich belegt,  Leber  und  Milz  massig  vergrOssert.  Die  nächsten  2  Tage 
bleibt  Fat.  fieberlos,  es  tritt  wiederholt  Erbrechen  ein,  Leber  und  Milz  ver- 
grOssem  sich  noch  weiter ,  erstere  bis  auf  15  Cm.  in  der  Mamillarlinie, 
letztere  bis  auf  8  und  16  Cm.;  dabei  wird  die  Milz  fohlbar.  Am  24.  Dec 
zeigt  sich  bei  38,0  an  der  Stirn  und  an  dem  rechten  oberen  Lide  ein 
exquisites  Erysipel,  das  indess  schon  zum  nächsten  Tage,  der  fieberlos  ist^ 
geschwunden  ist.  Vom  26.  Dec.  ab,  während  der  Icterus,  die  Leber-  und 
Milzschwellung  stetig  abnehmen  und  in  der  zweiten  Hälfte  des  Januar  ganz 
schwinden,  ist  Pat.  subfebril  —  Temperaturen  zwischen  37,0  und  38,4  — 
bis  zum  2h.  Januar  1874,  also  einen  Monat  lang.  Einzebe  fieberlose  Tage 
kommen  in  dieser  Zeit  vor.  Vom  4.  bis  17.  März  1874  werden  ohne 
deutliche  Veranlassung  noch  mehrere  subfebrile  Tage  constatirt,  in  der 
zweiten  Hälfte  April  und  im  Mai,  wo  Patient  stetig  gemessen  wird,  aber 
nicht  mehr.  Im  November  nach  einer  leichten  Pleuritis  auch  nicht.  Patient 
hat  die  Anstalt  April  1875  verbissen  und  ist  später  in  einem  Armenhause 
gestorben. 

In  einem  anderen  Fall  von  katarrhalischem  Icterus  bei  einem 
njibrigen,  nicht  scrophulösen  Taubstummen,  der  in  drei  Wochen 
ablief,  zeigten  sich  nur  an  5  einzelnen,  nicht  aufeinander  folgenden 
Tagen  subfebrile  Temperaturen  von  37,3  bis  37,8. 

Folgender  Fall  zeigt  eine  subfebrile  Curve  im  Anschluss  an  eine 
Pneumonie. 

22  a.  Valentin  Zwetajeff,  13  Jahr  alt,  am  26.  Jani  1873  mager,  scro- 
phulös,  hochgradige  Verbildung  der  rechten  Ohrmuschel,  rechter  Bulbus 
kleiner  als  der  linke;  auch  der  linke  GehOrgang  verbildet.  Am  3.  Novem- 
ber 1873  tritt  er  massig  fiebernd  in  das  Lazareth,  hat  eine  katarrhalische 
Angina.  Vom  5.  bis  9.  Nov.  die  Temperaturen  subfebril.  Am  10.  Nov. 
mit  einem  lieber  auf  40,6  ein  pneumonisches  Infiltrat  LHU,  am  11.  Nov. 
Bubfebril,  am  12.  Nov;  mit  einer  nenen  Steigerung  auf  40,0  ein  Fortschreiten 
des  Infiltrats  auf  die  linke  untere  Scapulargegend  nachweisbar;  das  Fieber 
sinkt  rasch,  vom  15.  bis  17.  Novbr.  afebril,  während  die  Lösung  rasch 
fortschreitet.  Am  18.  Nov.  beginnt  ein  subfebriler  Zustand,  der  mit  Tem- 
peraturen zwischen  37,5  ufld  38,2  bis  zum  27.  November,  also  10  Tage 
lang  fortdauert.  Die  Lösung  inzwischen  vollständig.  Patient  wird  ent- 
lassen, kommt  aber  schon  am  10.  December  mit  einem  leichten  Katarrh 
des  Rachens  und  etwas  Rasselgeräuschen  LHU  wieder  und  zeigt  nun  im 
Laufe  des  December  einzebe  febrile  Abendsteigerungen  auf  39,0  und  meh- 
rere subfebrile  Tage,  die  sich  gegen  Schluss  December  mit  den  katarrhali- 
schen Erscheinungen  verlieren.  —  Hat  die  Anstalt  Juni  1874  verlassen. 


Snbfebrile  Zustände.  121 

Der  Temperatnrverlauf  nach  der  Pneumonie  gleicht  vollkommen  dem  nach 
der  ersten  Pneumonie  im  Falle  8. 

Endlich  ist  hier  ein  Fall  zu  erwähnen,  wo  im  Verlaufe  einer 
Sjnovitis  catarrhalis  im  Zusammenhang  vielleicht  mit  epiphy- 
sftren  Waebsthumsvoi^ängen  subfebrile  Temperaturen  beobachtet 
wurden. 

22  b.  Wjätscheslaff  ürussoff,  12  Jahr  alt,  am  23.  August  1873  gross, 
recht  kräftig,  beiderseits  am  Halse  Narben,  in  der  linken  Achselhöhle  meh- 
rere Drüsen  leicht  geschwellt.  Nach  wiederholten  leichten  Erkrankungen 
1873,  1874,  1875  wurden  normale  'temperatnren  constatirt.  Bei  einer 
katarrhalischen  Angina  im  Januar  1876  bis  an  den  7.  Tag  etwas  erhöhte 
Temperaturen.  Am  13.  Octbr.  1876  meldet  er  sich  wegen  Schmensen  im 
linken  Knie,  an  dem  objectiv  nichts  nachweisbar  ist.  Die  Schmerzen  waren 
recht  hartnäckig,  dauerten  im  November  fort,  es  trat  im  Laufe  desselben 
em  geringer  flüssiger  Erguss  in  das  Gelenk  ein ;  dasselbe  geschah  auch  auf 
der  anderen  Seite.  Erst  vom  15.  Nov.  ab  wurden  Temperaturmessungen 
angestellt;  dieselben  ergaben  gegen  Ende  November  fast  täglich  subfebrile 
Abendsteigemngen ,  im  December  waren  dieselben  ebenfalls  recht  häufig, 
aber  nicht  täglich,  im  Januar  ganz  vereinzelt,  im  Februar  war  Pat.  absolut 
fieberlos.  Im  Laufe  des  December  und  Januar  hatten  sich  die  Schmerzen 
und  der  Erguss  allmählich  ganz  verloren.  Jetzt,  September  1878,  ist  der 
Knabe  viel  grösser,  kräftig,  nicht  anämisch,  die  Drüsen  nirgends  deutlich 
fKhlbar,  hat  keine  Spur  von  Beschwerden  in  den  Kniegelenken. 

Nachdem  wir  in  den  letzten  nenn  Krankengeschichten  (Nr.  15 
bis  22  b)  das  Vorkommen  andauernder  subfebriler  Temperaturen  bei 
Scrophnlösen  in  Veranlassung  und  im  Gefolge  anderweitiger  Krank- 
heiten constatirt  haben,  gehen  wir  nun  zu  denjenigen  Fällen  von 
Serophulose  über,  bei  welchen  es  mehr  oder  weniger  klar  nachweis- 
bare Affectionen  der  Lymphdrüsen  selbst  sind,  welche  die 
Bubfebrilen  Zustände  erzeugen  und  unterhalten. 

23.  Arcadius  Scumarokoff,  12  Jahre  alt,  am  3.  Septbr.  1874  recht 
kriftig  und  gut  ernährt,  die  Untersuchung  auch  in  Bezug  auf  Drüsen- 
idiwellnngen  negativ.  Im  December  1874,  in  den  Jahren  1875  und  1876 
wird  mehrmals  bei  Gelegenheit  leichten  Unwohlseins  eine  durchaus  normale 
Temperaturcurve  gefunden.  Erst  am  28.  Novbr.  1876  stellt  er  sich  mit 
Drüsenschwellnngen  vor;  namentlich  sind  es  die  Drüsen  vor  und  hinter 
dem  rechten  Ohr,  die  angeschwellt  sind.  In  den  nächsten  Tagen  ist  er 
labfebril  (bis  38,4),  dann  aber  den  December  durch  fast  ohne  Ausnahme 
afebril,  während  die  Drüsen  noch  an  Grösse  zunehmen.  Im  Januar  1877 
wird  er  nicht  gemessen,  ebenso  in  der  ersten  Hälfte  Februar,  bis  wohin 
die  Drüsen  trotz  eines  conseqnenten ,  wenn  auch  massigen  Jodgebranebs 
(iimeriich,  und  auf  die  Ohrdrüsen  auch  äusserlich)  noch  weiter  sich  ver- 
grössert  haben.  Vom  12.  Februar  ab  gemessen,  erweist  sich  vom  14.  Febr. 
tb  dae  subfebrile  Curve  —  zwischen  37,5  und  38,4,  freilich  mit  Ausnah- 
men — ,  die  bis  zum  25.  Febr.  anhält,  wo  unter  einem  plötzlichen  Fieber- 


122  V.  Kernig 

anfall  bis  auf  40,3  die  Perforation  der  einen  Drüse  in  den  äusseren  Gehör- 
gang eintritt .  (eitriger,  rasch  schwindender  Ohrenfluss).  ünnaittelbar  danach 
vom  26.  Febr.  ab,  absolute  Fieberlosigkeit  für  9  Tage,  worauf  erst  snb- 
febrile,  dann  einige  febrile  Tage  folgen,  während  welcher  die  meisten  Drü- 
sen, welche  vor,  unter  und  hinter  dem  rechten  Ohr  ein  grosses  Paqoet 
bilden,  welch  und  fluctuirend  werden.  Vergl.  Curve  16  a.  Am  15.  Min 
beginnt  ein  massig  schwerer,  vollkommen  ausgebildeter  Abdominaltyphns 
von  genau  3  Wochen  Dauer.  Danach  10  ganz  fieberlose  Tage.  Erst  am 
16.  April  wird  wieder  37,9  gemessen  und  Patient  bleibt  nun  subfebril  den 
April  durch  bis  Mitte  Mai;  einzelne  afebrile  oder  febrile  Tage  fallen  da- 
zwischen. Vergl.  Curve  16  b.  Am  2S.  April  wird  eine  flnctuirende  Stelle 
an  dem  Ohrdrüsentumor  incidirt  und  entleert  flüssigen  Eiter  und  reichliehe 
käsige  Massen.  Vom  31.  Mai  bis  2.  Juni  und  ebenso  vom  7.  bis  13.  Juni 
subfebrile  Tage  mit  einzelnen  höheren  Temperatursteigerungen.  Es  mm 
noch  eine  Oefiiiung  an  dem  Drüsentumor  gemacht  werden,  und  nachdem 
viel  Eiter  und  käsige  Massen  ausgeflossen  sind,  ist  Patient  vom  14.  Juni 
an  vollkommen  fieberlos.  Jetzt,  September  187S,  ist  der  Knabe  gross, 
robust,  gut  genährt,  zeigt  zwei  Narben  unter  und  hinter  dem  rechten  Ohr. 
Der  grosse  Drüsentumor  von  früher  hat  sich  wieder  in  einzelne,  noch  be- 
deutend geschwellte,  vor  dem  Ohr  und  unterhalb  der  Narben  gelegene 
Drüsen  aufgelöst.  Auch  über  der  rechten  Clavicula  eine  grosse  Drflse; 
ebenso  vergrösserte  Drüsen  iu  der  rechten  Achsel  und  unter  der  Mandibol* 
beiderseits. 

24.  Catherina  Barutina,  15  Jahre  alt,  am  S.August  1873  ausser«^ 
blass  und  mager,  erhebliche  Drüsenschwellungen  beiderseits  am  Halse  nf^^ 
in  der  rechten  Achsel,  Narben  rechts  am  Halse.     Im  Laufe  des  Somme'J* 
hat  sich  mehrmals  Blut  im  Auswurf  gezeigt,  doch  ist  auf  der  Brust  k^*^ 
Infiltrat  zu  finden.    Gegenwärtig  kein  Husten.    Es  wird  vom  8.  August   ^ 
ein  subfebriler  Zustand  constatirt,  der  sich  in  den  letzten  Augusttagen  v^^ 
liert.     Die  Temperaturen   von  8  Uhr  Morgens   schwankten   zwischen  3/^  ^ 
und  37,9,  die  von  8  Uhr  Abends  zwischen  37,9  and  38,2,  vereinzelt  38^ 
Es  war  weiter  keine  specielle  Veranlassung  zu  Fieber  zu  finden  als  eb 
die  schwere  Scrophulose,  resp.  die  Drüsenschwellungen.     Husten  trat  d 
August  über  nicht  ein.    Vom  12.  October  1873  ab  machte  Patientin  ein 
leichten   Abdominaltyphus  von    12  Tagen   Fieberdauer  durch    und   wurC^ 
danach  absolut  fieberfrei.     Unter  hohem  Fieber  erkrankte  Patientin  seh 
am  23.  December  aufs  Neue  mit  frischer,  starker  Milzschwellung,  Gesich 
erysipel  und  Pneumonie  und  ging  nach  einem  sehr  schweren  Krankenlager 
am  15.  Januar  1874  zu  Grunde. 

25.  Nicolai  Nicolajeff,  10  Jahr  alt,  am  29.  Juni  1875  ziemlich  kräftig 
doch  die  linken  Achseldrüsen  etwas  fühlbar.  Im  August  1875  nach  eine^ 
fieberhaften  Angina  ganz  normale  Temperaturen.  Im  December  wurdet 
ebenfalls  normale  Temperaturen  constatirt.  Am  11.  Mai  1876  tritt  Patien  ^ 
subfebril  und  mit  leichten  Intestinalstörungen  ein.  Die  Temperaturen  lieget^ 
zwischen  37,2  und  38,4,  eine  massige  Milzschwellung  wird  alsbald  nach^ 
weisbar,  und  rasch  entwickelt  sich  eine  erhebliche  Anämie.  Vom  20.  bii^ 
28.  Mai  tritt  eine  höher-febrile  Periode  ein,  die  Temperaturen  gehen  tägliol^ 
auf  39,0  und  darüber,  einmal  40,2.  Während  dieser  febriiei^ 
Periode  tritt  zu  der  Milzschwellung  und  der  leichten  Diar-^ 


Subfebrile  Zust&nde.  123 

rhoe  eiD  rnftssiger  Ascites;  die  Zange  bleibt  ganz  rein.  Vom  29.  Mai 
ab  dauert  der  snbfebrile  Znstand  den  ganzen  Juni  fort  und  verliert  sich 
erst  Mitte  Juli.  Vergl.  Cnrve  17.  Während  des  Juni  besteht  auch  der 
Ascites  immerfort  und  schwindet  ebenfalls  Mitte  Juli.  Die  Milzschwellong 
sowie  die  Diarrhoe  hören  schon  in  der  ersten  Hftlfte  des  Juni  auf  und  von 
hier  ab  bessert  sich  auch  trotz  der  noch  bestehenden  subfebrilen  Tempera- 
tureft  das  Aussehen  und  der  allgemeine  Ernährungszustand  des  Patienten; 
er  setzt  Fett  an  und  ist  weniger  anämisch.  In  der  zweiten  Hälfte  Juli, 
im  August  und  September,  wo  Patient  immerfort  gemessen  wird,  ist  er 
absolut  fieberlos.  Erst  in  der  ersten  Hälfte  October,  wo  wieder  etwas 
Ascites  nachweisbar  wird,  treten  etwas  höhere  Temperaturen  auf,  37,5  bis 
37,S,  werden  wiederholt,  namentlich  Morgens,  gemessen.  Patient  bleibt 
nun  aus  der  Beobachtung.  Ein  Jahr  später,  October  1877,  macht  er  ein 
leichtes  infectiöses  Fieber  mit  Milzschwellung  durch;  nach  demselben  sind 
die  Temperaturen  vollkommen  normal.  Im  Mai  1878  endlich  ein  ausge- 
sprochener Abdominaltyphus.  Gegenwärtig,  September  1878,  ist  der  Knabe 
recht  gut  ernährt,  nicht  deutlich  anämisch,  nirgends  sind  die  Drüsen  fühl- 
bar. Die  Milz  ist  noch  vom  Typhus  her  massig  vergrössert.  Er  ist  klein 
geblieben. 

Dieser  interessante  Fall  —  zweimonatliche  Dauer  einer  sub- 
febrilen Curve  mit  intörcarrenter  höher-febriler  Periode,  gleichzeitig 
Ascites  und  Milzschwellung  und  schliesslich  Ausgang  in  Heilung  — 
lässt  sich  wohl  kanm  anders  als  eine  Affection  der  Unterleibsdrttsen, 
als  eine  Lymphadenitis  meseraica  auffassen. 

26.  L.  T.,  der  12jährige  Sohn  eines  CoUegen,  von  jeher  scropbulös, 
hatte  im  November  und  December  1876  zuerst  Masern,  dann  einen  leichten 
elftägigen  Abdominaltyphns  durchgemacht.  Da  seine  Erholung  keine  Fort- 
schritte machte,  er  offenbar  kränkelte,  wurden  vom  18.  Januar  1877  ab  3  bis 
4  mal  täglich  thermometrische  Messungen  vorgenommen  und  eine  andauernde 
subfebrile  Curve  constatirt.  Dieselbe  dauerte  bis  zum  25.  März,  wenn 
auch  wiederholt  durch  grössere  Chinindosen  unterbrochen  (vgl.  Curve  18), 
zeigte  sich  dann  wieder  vom  19.  bis  25.  April  und  vom  28.  April  bis  4.  Mai. 
Wenn  man  von  einigen  ganz  vereinzelten  afebrilen  Tagen  und  von  den 
Chinintagen  absieht,  so  lag  im  Allgemeinen  die  Temperatur  zwischen  37,5 
und  38,2,  vereinzelt  und  selten  bis  38,4  (in  der  Curve  18  ist  der  Abschnitt 
vom  18.  Januar  bis  16.  Februar  nicht  enthalten)  und  hatte  ihren  täglichen 
Höhepunkt  meist  in  den  späteren  Nachmittagsstunden.  Die  übrigen  Er- 
scheinungen während  der  Monate  Januar,  Februar  und  März  waren  alle 
nur  auf  das  scrophulöse  Allgemeinleiden  zu  bezieben,  eine  speclelle  Fieber- 
Ursache  war  nicht  zu  finden.  Nirgends  waren  die  äusserlich  fühlbaren, 
zam  Theil  geschwellten  Lymphdrüsen  in  einem  acut-entzündlichen  Zustande, 
anch  die  Lungen  wiederholt  und  genau  untersucht  ergaben  keine  Abweichung. 
Eine  massige  Leberschwellung,  die  schon  während  des  Typhus  sich  ent- 
wickelt hatte,  dauerte  auch  in  dieser  Zeit  fort,  zwischendurch  wurde  sie 
etwas  erheblicher  —  die  Leber  wurde  dann  selbst  etwas  empfindlich  — 
ging  aber  wieder  zurück.  Die  Milz  war  nicht  vergrössert.  Unter  dem 
Gebrauch  von  Chinin  ging  der  subfebrile  Zustand,  wie  oben  erwähnt,  in 


124  V.  Kernig 

der  zweiten  Hälfte  des  März  in  vollkommene  Fieberlosigkeit  über;  mit  einem 
leichten  Katarrh  kam  er  im  April  und  dann  Anfang  Mai  noch  einmal  wieder, 
dies  Mal  mit  starker  Lebervergrössemng  verbanden;  beide  Male  nur  für 
kurze  Zeit  Gegen  den  8.  Mai  war  der  Knabe  ganz  afebril,  ging  nun  auf 
das  Land,  wo  warme  Seebäder  gemacht  wurden,  und  kehrte  erheblich  eriiolt 
Ende  August  zurück.  Im  folgenden  Winter  wiederholt  scrophulöse  Kera- 
titis und  Conjunctivitis,  sonst  hat  er  sich  gut  entwickelt.  Einige  Tage 
lang  wurde  in  diesem  Fall  Jodkali  versucht;  es  war  auf  den  subfebrilen 
Zustand  ohne  Wirkung.  Entschieden  wirksam  aber  war  das  Chinin,  wie 
die  Curve  18  zeigt,  selbst  wenn  der  im  Laufe  des  Tages  verabreiclite 
Scrupel  in  zwei  Dosen  ä  gr.  X  (0,6  6rm.)  mit  einem  grossen  Zwischenraum 
gegeben  wurde.  Wenn  man  die  Curve  im  Ganzen  überblickt,  so  erscheint 
es  doch  sicher,  dass  die  wiederholten  Chinindosen  zum  Eintritt  der  Fieber- 
losigkeit, abgesehen  von  ihrer  unmittelbaren  Wirkung,  beigetragen  haben. 
Durchschnittlich  erreichen  die  Temperaturen,  nachdem  eine  gehörige  Cbinin- 
remission  erzeugt  worden  ist,  nicht  wieder  die  frühere  Höhe.  (Die  Spontan- 
remission am  2.  März  auf  36,0  ist  wahrscheinlich  ein  Messungsfehler.) 

Dieser  letzte  Fall,  in  welchem  bei  einem  exquisit  scrophulösen 
Knaben,  nachdem  Masern  und  Abdominaltyphus  vorausgegangen 
waren,  ein  subfebriler  Zustand  eintrat,  der  sich,  wenn  auch  mit  Un- 
tei11)rechungen ,  über  3  Vs  Monate  hinzog ,  und  für  den  weiter  keine 
greifbare  Fieberursache  zu  finden  war,  lässt  sich  kaum  anders  deu- 
ten als  eine  Affection  innerer  Lymphdrüsen.  Es  hat  sich  mit  Wahr* 
scheinlichkeit  wohl  um  einen  entzündlichen  Zustand  der  Bronchial- 
und  Mesenterialdrüsen  gehandelt  —  Uebrigens  muss  ich  gestehen, 
dass  diese  Deutung  auch  auf  die  übrigen  vorhin  angeführten  Fülle 
15  bis  22b  angewandt  werden  kann,  und  dass  daher  dieser  Fall 
kaum  die  etwas  gesonderte  Stellung,  welche  ich  ihm  hier  gegeben 
habe,  verdient. 

Ehe  ich  diese  für  das  Auftreten  subfebriler  Zustände,  wie  man 
sieht,  sehr  fruchtbare  Gruppe  der  Scrophulösen  abschliesse,  führe  ich 
hier  noch  eine  Reihe  von  Krankengeschichten  an,  welche  einen  durch- 
aus ähnlichen  Verlauf  zeigen,  in  denen  aber  Scrophulöse  im  Kran- 
kenjoumal  nicht  erwähnt  ist. 

27.  Michael  Wodaenoff,  13  Jahre  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung 
am  26.  Juni  1873  gesund  und  kräftig.  Am  26.  Novbr.  1873  begann  eine 
katarrhalische  Angina  mit  geringer  Mandelschwellung,  während  welcher  die 
Temperaturen  von  Anfang  an  subfebril  waren  und  es  durch  19  Tage  blie- 
ben, ohne  dass  irgend  welche  sonstige  krankhaften  Erscheinungen  einge- 
treten wären.  Die  Angina  besserte  sich  fast  vollständig  noch  vor  Ablauf 
der  abnormen  Temperaturen.  Letztere  lagen  zwischen  37,5  und  38,2.  — 
Später  blieb  der  Knabe  gesund  und  verliess  April  1876  die  Anstalt. 

28.  Alexis  Tichwinsky,  13  Jahr  alt,  am  25.  Juni  1873  ganz  gesund. 
Am  29.  Sept.  begann  ein  Abdominaltyphus  von  im  Ganzen  3  wöchentlicher 


Subfebrüe  ZuBt&nde.  125 

Daaer,  doch  nicht  Bcbwerem  Verlauf.  Daran  schloBsen  sich  noch  2  Wo- 
cbeo,  innerhalb  deren  die  Temperaturen  Bubfebril  waren,  nnr  einmal  38,2 
erreichten,  meist  zwischen  37,5  nnd  37,9  lagen  und  gewöhnlich  znm  Abend 
auf  37,0  nnd  darunter  remittirten,  so  dass  sich  oft  ein  Typus  inversns 
findet  Während  der  subfebrilen  Periode  ging  die  Milzschwellung  langsam 
auf  die  Norm  zurttck.  Später  bis  1877  bei  wiederholten  leichten  Erkran- 
knngen  keine  snbfebrilen  Temperaturen.    Verliess  die  Anstalt  liu  1877. 

29.  Nicolai  WasslUeff,  12  Jahre  alt,  am  15.  Sept  1873  kräftig  und 
geannd,  keine  Drüsenschwellungen.  Bis  October  1875  nach  wiederholten 
leichten  Erkrankungen,  darunter  auch  leichter  Scorbut,  keine  subfebrilen 
Temperaturen.  Im  October  und  November  1875  Anginen  mit  nur  wenigen 
Babfebrilen  Tagen.  Zweite  Hälfte  April  1876  leichter  Abdominaltyphus, 
wonach  absolute  Fieberlosigkeit,  auch  subnormale  Temperaturen.  Am  21.  Oc- 
tober 1876  Magenkatarrh,  der  nun  von  subfebrilen  Temperaturen  begleitet 
ist  Letztere,  im  Allgemeinen  zwischen  37,4  und  38,2  liegend  und  einige 
Mal  den  Typus  in  versus  aufweisend,  dauern  bis  in  die  zweite  Hälfte  des 
November,  zeigen  sich  ganz  vereinzelt  auch  im  December.  Ausser  den 
Zeichen  eines  massigen  Magenkatarrhs  Hess  sich  im  Laufe  dieses  einmonat- 
lichen subfebrüen  Zustandes  nichts  Abnormes  auffinden.  Bei  späteren  leich- 
ten Erkrankungen  im  Jahre  1877  stellten  sich  die  abnormen  Temperaturen 
nicht  wieder  ein.  Jetzt,  September  1878,  ist  der  Knabe  gross,  robust, 
hat  keinen  scrophulösen  Habitus,  doch  ist  in  der  rechten  Achsel 
ein  erhebliches  Drflsenpaquet  fühlbar. 

30.  Dmitri  Stradomsky,  13  Jahre  alt,  bei  der  ersten  Untersuchung 
am  30.  Juni  1873  klein  für  sein  Alter,  mager,  elend  aussehend,  doch  keine 
specielle  Ursache  hierfür  nachweisbar..  Vom  20.  bis  27.  November  1873 
geringfügige  Angina  mit  subfebrilen  Temperaturen  luid  Typus  inversus. 
September  1874  ebensolche  Angina  ohne  abnorme  Temperaturen.  1875  und 
1876  immer  dasselbe  ganz  auffallend  magere  und  elende  Aussehen  ohne 
besondere  Ursache.  Vom  18.  Oet.  1876  ab  subfebrile  Temperaturen  bis 
zom  16.  Nov.;  kein  Husten  und  trotz  genauer  Untersuchung  eine  Fieber- 
arsacbe  nicht  zu  finden.  Die  Temperaturen  übersteigen  38,1  nur  aus- 
nahmsweise und  sinken  unter  37^3  auch  nur  ausnahmsweise;  wiederholt 
zeigt  sich  in  dieser  Zeit  Typus  inversus.  £nde  November  und  2^1%  Wochen 
lang  im  December  treten  dieselben  abnormen  Temperaturen  wieder  auf, 
jetzt  ohne  Typus  inversus.  Im  Januar  und  Februar  1877  wird  hin  und 
wieder  eine  abnorme  Temperatur  bemerkt,  sonst  ist  Pat.  afebril.  Auch  bei 
guter  Pflege  verliert  der  Knabe  sein  elendes,  mageres  Aussehen  nicht  bis 
Herbst  1877.     Hat  die  Anstalt  im  Mai  1878  verlassen. 

31.  Ssemen  Bersing,  19  Jahr  alt,  am  18.  Juni  1873  kräftig,  von  ge- 
Bondem  Aussehen.  Nach  wiederholten  Erkrankungen  1873  und  1874, 
wonmter  auch  Scharlach,  ist  Pat.  immer  wieder  absolut  fieberlos.  Vom 
2.  bis  17.  August  1874  subfebril  zwischen  37,5  und  38,5  mit  vereinzelten 
Steigerungen  auf  39,0,  dabei  Magen-  und  Darmstümngen ,  wahrscheinlich 
ein  infectiOser  Magenkatarrh.  Von  Ende  August  bis  Ende  September  kom- 
men nun  wiederholt  subfebrile  Tage  vor,  mehrmals  durch  fieberlose  Tage 
getrennt,  für  welche  eine  bestimmte  Ursache  nicht  zu  finden  ist.  Eine 
massige  Milzschwellung  besteht  noch  aus  dem  August,  geht  aber  in  dieser 
Zeit  mehr  und  mehr  zurück.    Im  October  nnd  November  ist  Pat.  ganz 


126  V.  Kernig 

fieberlos  mit  ÄUBnahme  eines  3  tägigen  höheren  Fiebers  (bis  39,5),  während 
dessen  Leber  und  Milz  wieder  anschwellen.  Ende  Januar  1875  Pnenmonie 
rechts  (alle  drei  Lappen) ;  es  treten  ein  Pericardialezsndat  nnd  rechtsseitige 
Parotitis  hinzn,  und  nach  einem  schweren  13  tägigen  Krankenlager  stirbt 
Patient.  Es  scheint  in  diesem  Fall,  ähnlich  wie  in  den  Fällen  18,  19,  20 
und  28,  der  aabfebrile  Zustand  im  September  durch  den  vorausgegangenen 
infectiösen  Magenkatarrh  veranlasst  worden  zu  sein. 

Vereinigen  wir  die  bisher  mitgetheilten  32  Fälle  zu  einem  Ueber- 
blick,  so  haben  wir  subfebrile  Zustände: 

6  mal  als  Einleitung  zu  chronischen  Lungeninfiltraten,  noch  vor 
allen  anderen  Zeichen;  sie  hatten  alsdann  eine  Dauer  von  2  bis  5 
Wochen  (Fall  1  bis  6  incl.). 

9  mal  0  im  Verlaufe  von  chronischen  Lungeninfiltraten ;  bei  fort- 
schreitender Infiltration  (Fall  1,  4,  6),  beim  Uebergang  in  Stillstand 
(Fall  3,  8,  9);  beim  Uebergang  in  Heilung  (Fall  7,  10)  oder  einige 
Zeit  vor  dem  Tode  (Fall  1 1).  Die  Dauer  ist  hier  von  4  Wochen  bis 
zu  mehreren,  selbst  vielen  Monaten  (Fall  6). 

1  mal  im  Verlauf  eines  chronischen  Katarrhs  des  rechten  Ober- 
lappens (Fall  12),  2  Monate  lang. 

Unter  den  12  Individuen  mit  chronischen  Lungeninfiltraten  fin- 
den sich  7,  bei  denen  die  scrophulöse  Constitution  ausdrücklich  er- 
wähnt ist  (Fall  5,  6,  7,  8,  10,  11,  12). 

1  mal  bei  einer  Pleuritis  (Fall  13), 

1  mal  bei  einer  schweren,  acuten  Bronchitis  (Fall  14), 

12  mal  nach  katarrhalischen  Anginen,  davon  7  mal  bei  scropha- 
lösen  Individuen  (Fall  15,  16,  17,  18,  in  15  drei,  in  16  zwei  Angi- 
nen), 2  mal  bei  später  Phthisischen  (Fall  1  und  3)  und  3  mal  bei 
Nicht-Scrophulösen  (Fall  27,  29,  30).  Nur  in  3  von  diesen  12  An- 
ginen war  die  Dauer  5  bis  7  Tage,  sonst  lag  sie  zwischen  13  Tagen 
und  2  Monaten. 

6  mal  nach  leichtem  und  leichtestem  Abdominaltyphus,  davon 
3  mal  bei  scrophuldsen  Individuen  (Fall  18,  19,  20)  und  3  mal  bei 
nicht  scrophulösen  (Fall  13?,  28,  31).  Die  Dauer  hier  zwischen 
2  Wochen  und  2V2  Monaten. 

1  mal  bei  nicht  infectiösem  Magenkatarrh,  bei  einem  später  doch 
Scrophulösen  (Fall  29),  Dauer  1  Monat. 

1  mal  bei  katarrhalischem  Icterus  (Fall  21)  bei  einem  scrophu- 
lösen Individuum,  1  Monat  lang; 

3  mal  nach  acuten  (Desquamativ-?)  Pneumonien,  davon  zwei  bei 


1)  10  mal,  wenn  Fall  13  mitgerechnet  wird. 


/ 


Subfebrüe  Zust&ade.  127 

scrophulösen  Individuen  (Nr.  8  und  22),  eine  bei  einem  Nichtscrophu- 
lösen  (Nr.  13).    Dauer  10  Tage  bis  3  Wochen; 

3  mal  bei  fiusserlich  nachweisbaren  Lymphadeniten ,  bei  Scro- 
phulösen, Dauer  11  Tage  bis  zu  einem  Monat  und  darüber  (Fall  17, 
23,  24). 

2  mal  bei  vorauszusetzenden  inneren  Lymphadeniten  (Bronchial- 
and  Mesenterial  drttsen)  bei  Scrophulösen  in  der  Dauer  von  2  Monaten 
and  darüber  (Fall  25  und  26); 

1  mal  aus  unklarer  Veranlassung  bei  einem  nichtscrophulösen, 
doch  elenden  Individuum  (Nr.  30)  etwa  2  Monat  lang; 

1  mal  bei  Scorbut  (Fdl  4); 

1  mal  bei  einer  Phlegmone  des  Oberarms ,  bei  einem  Scrophu- 
lösen (Nr.  17)  in  der  Dauer  von  ca.  2  Wochen. 

1  mal  bei  einer  Synovitis  catarrhalis  bei  einem  Scrophulösen 
(Nr.  22  b). 

Unter  den  bisher  besprochenen  32  Individuen  finden  sich  nicht 
weniger  als  20  Scrophulöse  (21,  wenn  Fall  29  mitgerechnet  wird),  wohl 
ein  genügend  starker  Beweis,  dass  die  Scrophulöse  eine  ganz  beson- 
dere Disposition  zu  anhaltenden  subfebrilen  Temperaturen  erzeugt. 

Von  den  32  Individuen  besitze  ich  im  Ganzen  47  subfebrile  Cur- 
ven;  unter  diesen  sind  8  mit  Typus  inversus  des  täglichen  Tempe- 
ratnrverlaufes. 

Die  8  Fälle  von  subfebrilen  Curven  mit  Typus  inversus  ver- 
theilen  sich: 

4  auf  chronisch  Pneumoniscbe  (Nr.  1,  5,  6  und  12,  wenn  man 
letzteren  Fall  hier  mitrechnen  will);  von  diesen  sind  Nr.  5,  6  und  12 


2  auf  katarrhalische  Anginen  bei  scrophulösen  Individuen  (Nr.  16 
and  17); 

1  auf  einen  Abdominaltyphus  im  späteren  Verlauf  (Fall  28) ; 

1  auf  einen  Fall  subfebriler  Temperaturen  aus  unklarer  Veran- 
lassung bei  einem  äusserst  elenden  Individuum  (Nr.  30). 

Drei  von  den  subfebrilen  Curven  mit  Typus  inversus  kamen  als 
Einleitung  bei  chronischen  Lungeninfiltraten  vor,  noch  vor  allen 
anderen  Symptomen  (Nr.  1,  5,  6). 

Der  oft  ominöse  Charakter  des  Typus  inversus  der  Tagescurve 
bei  subfebrilen  Zuständen  geht  aus  dieser  kleinen  Zusammenstellung 
wohl  hervor,  zumal  wenn  man  bedenkt,  dass  nur  in  6  Fällen  der 
allererste  Beginn  phthisischer  Affectionen  beobaehtet  wurde. 

(Schluss  folgt) 


128  V.  Kernig,  Subfebrile  Zustände. 


YerzeichnisB  der  Gurven. 
(Tafel  m-V.) 

Die  dunklen  senkrechten  Linien  bezeichnen  12  Uhr  Nachts,  die  erste 
hellere  zwischen  zwei  dunkleren  8  Uhr  Morgens,  die  zweite  hellere  4  Uhr 
Nachmittags. 

Curve  1.    Ausgedehnte  Lnngeninfiltrate,  fieberlos  seit  4  Monaten  (Fall  8j. 

Cnrve  2.  Snbfebriler  Zustand  nach  exanthematischem  Typhns  (Milz- 
infarcte?). 

Curve  3.    Minime  Angina,  Brustbefund  noch  ganz  negativ  (Fall  1). 

Curve  4.     Am  14.  Januar  erste  nachweisbare  Infiltration  (Fall  l). 

Curve  5.  Am  23.  Mftrz  zum  ersten  Mal  Infiltrationszeichen  nachweis- 
bar (Fall  3). 

Curve  6.  üebergang  subfebriler  Temperaturen  in  absolute  Fieberlosig- 
keit  (Fall  3). 

Curve  7.    Am  1.  Februar  erste  nachweisbare  Infiltration  (Fall  4). 

Curve  8  a.     Am  13.  Februar  erste  nachweisbare  Infiltration  (Fall  5). 

Curve  8  b.  Fall  5,  sieben  Monate  später  von  derselben  Patientin  wie 
Curve  8  a. 

Curve  9.   Unmittelbar  nach  der  Pneumonie,  November  1874,  in  Fall  6. 

Curve  10.    Vor  nachweisbarer  Infiltration,  Mftrz  1876;  in  Fall  6. 

Curve  IIa.    Fall  6  im  Mai  1878. 

Curve  IIb.     Fall  6  im  Juni  und  Juli  1878. 

Curve  12.     Schwere  Bronchitis  (Fall  14). 

Curve  13.     Katarrhalische  Angina  (Fall  15). 

Curve  14.     Katarrhalische  Apgina  (Fall  16). 

Curve  15.     Katarrhalische  Angina  (Fall  17). 

Curve  16  a.     Lymphadenitis  externa  (Fall  23). 

Curve  16  b.    Derselbe  Fall  23,  zwei  Monate  später. 

Curve  17.    Lymphadenitis  meseraica  (Fall  25). 

Curve  18.     Scrophulosis  (Fall  26). 

Curve  19.    Typhus  abdominalis  levis  (Fall  32). 

Curve  20.     Syphilitisches  Eruptionsfieber  (Fall  35). 


VI.  X^^.FO^?,> 


Zur  localen  uod  resorptiven  Wirkungsweise  einiger  Mercurialien 
bei  Syphilis  9  insbesondere  des  subcutan  iiyicirten  metallischen 

Ctuecksilbers. 

Von 

Prof.  Faul  Fürbringer 

In  Jena. 

So  beträchtlich  auch  der  Verfasser  die  praktische  Bedeutung  der 
unter  Folgendem  mitgetheilten  Beobachtungen  zur  Zeit  hat  einengen 
mfiflsen,  hält  er  sie  gleichwohl  in  theoretischem  Interesse  und  casu- 
istUeher  Hinsicht  der  Veröffentlichung  für  werth,  weil  die  Experimente 
mm  Theil  neu  sind ,  und  bei  diesen  sowohl  als  jenen  zur  Gontrole 
früherer  Beobachtungen  unternommenen  neben  der  Wirkung  auf  den 
syphilitischen  Process  auch  das  Schicksal  des  Medicaments  im  Orga- 
aifimos  einige  Berücksichtigung  gefunden. 

Die  Beobachtungen  selbst  stammen  aus  den  letzten  zwei  Jahren. 
Ich  habe  sie  angestellt  an  Kranken  der  eigenen  Praxis  und  an  Patien- 
ten der  Abtheilung  fQr  Syphilitische  des  Heidelberger  akademischen 
Krankenhauses.  Die  Gewährung  der  letztereui  sowie  die  Möglichkeit 
der  Ausführung  der  „Vorversuche''  im  chemischen  Laboratorium  der 
medieinischen  Klinik  danke  ich  der  Oüte  des  Herrn  Geheimrath 
Friedreich,  den  ich  an  dieser  Stelle  gern  meiner  dankbaren 
Schätzung  seiner  Liberalität  rersichere. 

In  der  Herstellung  und  Analysirung  der  Mercurialpräparate  bin 
ich  Seitens  des  Verwalters  der  Apotheke  des  akademischen  Kran- 
kenhauses >  des  Herrn  Dr.  Vulpius,  sowie  seines  Assistenten ,  des 
Herrn  Dr.  Holdermann,  auf  das  Entgegenkommendste  und  Dan- 
kenswertheste  unterstützt  worden. 

1.    Subcutane  Ii^eeüonen  Ton  metallisohem  Qneeksilber. 

So  mannigfache  Besorptionswege  man  dem  metallischen  Queck- 
silber erschlossen  hat  durch  die  alt  und  viel  geübte  Inunctionskur, 
durch  die  innere  Darreichung  in  Form  der  Blue  ptllSf  durch  die 

Devtwh«  ArthlT  f.  klln.  Hedleln.    XXIV.  Bd.  9 


130  VI.  FÜRBRINOER 

Application  der  grauen  Salbe  auf  die  Hastdarmschleimhauty  die  sub- 
cutane Einverleibung  des  Metalls  hat  man  nicht  versucht,  trotzdem 
die  Effecte  der  hypodermatischen  Application  eines  anderen,  dem 
Metall  bezüglich  der  Unlöslichkeit  nahestehenden  Präparates,  des 
Ealomels,  den  sichern  Beweis  einer  Resorption  und  Allgemeinwirkung 
dargethan.  Es  scheint  in  Sonderheit  das  Bedenken  vorgeschwebt  zu 
haben,,  es  möchte  bei  der  Injection  durch  Oefässverletzung  das  flüs- 
sige Quecksilber  direct  in  den  Blutkreislauf  eintreten  und  zu  Embo- 
lien der  Lungencapillaren  und  Infarctbildung  Anlass  geben.  Aller- 
dings wird  man  diese  Gefahr  a  priori  nicht  von  der  Hand  weisen 
dtlrfen,  um  so  weniger,  als  wir  in  der  Literatur  den  bestimmt  formu- 
lirten  Angaben  begegnen,  dass  das  direct  in  den  Kreislauf  der  Thiere 
eingebrachte  Metall  Pneumonie  durch  Verstopfung  der  Lungengef&sse 
erzeuge  (B.  Gohn  u.  A.}-  Nun  lässt  sich,  wie  bekannt,  bei  der 
Vornahme  der  hypodermatischen  Injectionen  ein  gelegentlicher  An- 
stich von  Venen  trotz  sorgfältigster  Wahl  des  Orts  nicht  vermeiden» 
und  wenn  es  auch  nicht  geleugnet  werden  darf,  dass  die  Lungen- 
capillaren des  Kaninchens  gerade  hinsichtlich  des  Zustandekommens 
des  genannten  Resultats  durchaus  andere  Bedingungen,  namentlich 
bezüglich  des  Kalibers  der  Geffisse  und  des  Blutdrucks,  als  jene  des 
ausgewachsenen  Menschen  darbieten,  so  lag  doch  immer  die  Mög- 
lichkeit jenes  gefährlichen  Eingriffes  auch  für  den  Menschen  vor 
und  musste  zur  höchsten  Vorsicht  mahnen.  Ich  habe  es  deshalb  an 
eigenen  Vorversuchen  an  Kaninchen  nicht  fehlen  lassen.  Indessen 
habe  ich  nicht  willkürliche  Mengen  Quecksilbers  eingeführt,  son- 
dern in  der  Erwägunge  dass  auch  das  Verhältniss  des  Körpervolu- 
mens zu  dem  des  Metalls  hier  in  Betracht  kam,  das  letztere  auf  die 
grösste  Menge  beschränkt,  die  später  dem  menschlichen  Organismus 
einverleibt  wurde,  und  das  ist  ungefähr  eine  Quote  des  Metalls  von 
dem  Volumen  von  höchstens  sechs  Normal -Wassertropfen.  Wurde 
diese  Menge  vom  Kaninchen  ohne  Störung  vertragen,  so  war  gewiss 
auszuschliessen ,  dass  sie  im  menschlichen  Körper  eine  ungünstige 
Wirkung  durch  mechanische  Gefässalteration  äusserte. 

Das  Resultat  einiger  in  dieser  Richtung  angestellten  Experimente, 
bei  welchen  ich  in  die  freigelegte  Femoralvene*  des  Thieres  0,25  bis 
0,3  Ccm.  reinen  Quecksilbers  eingebracht,  lautet  nun  dq.hin,  dass  in 
keinem  Falle  eine  irgendwie  bemerkenswerthe  Störung  der  Euphorie 
der  zum  Theil  jungen  Versuchsobjecte  für  die  nächsten  Stunden  oder 
Tage  sichtbar  wurde,  noch  es  mir  möglich  geworden,  bei  der  Sec- 
tion  Obturation  der  Pulmonalgefässe  oder  pneumonische  Zustände 
nachzuweisen. 


Mercnrialien  bei  Syphilis.  131 

Der  Frage  nach  dem  Verbleib  des  in  die  Vene  injicirten  Metalls, 
ob  fiberhanpt  eine  Locomotion  desselben  durch  den  Venenstrom  statt- 
findet, ob  nicht  yielmehr  eine  retrograde  Wanderung  (Senkung)  in 
die  abhängigen  Oefässverzweigungen  eintritt,  oder  endlich,  ob  nicht 
im  Fall  der  Fortschwemmung  minimaler  Partikel  dieses  ungemein 
beweglichen  und  geschmeidigen  Metalls,  das  nach  eigenen  Versuchen 
bei  äusserst  geringem  Druck  das  Lumen  engster  Glasfadencapillaren 
sofort  passirt,  die  Lungencapillaren  einfach  durchwandert  werden, 
trete  ich  zur  Zeit  durch  Aufnahme  methodischer  Thierexperimente 
näher.  Sicher  kommt  es  bei  der  genannten  Menge  des  Injectums 
im  Bereich  der  etwa  terminal  betroffenen  Eörpercapillarenbezirke 
nirgends  zu  ausgesprochener  Nekrosenbildung  >).  Jene  fulminanten 
Lungenerscheinungen  scheinen  nur  einzutreten,  wenn  man  das  Metall 
durch  die  Halsvenen  in  das  Herz  „fallen''  lässt. 

Endlich  habe  ich  es  auch  nicht  an  Vorversuchen  fehlen  lassen, 
die  in  Erwägung  einer  möglicherweise  in  Folge  rapider  Umwandlung 
des  im  Unterhautbindegewebe  deponirten  Metalls  in  lösliches  Salz 
oder  flbermässiger  mechanischer  Irritation  eintretenden  fulminanten 
Phlegmone  oder  Gangrän  über  die  örtliche  Gefährdung  der  Wände 
des  Unterhautraumes  und  seiner  Umgebung  entscheiden  sollten.  Die 
sabcutane  Injection  von  selbst  0,5  Ccm.  Quecksilbers  hat  in  ihrem 
Effect  auch  dies  Bedenken  beseitigt,  indem  ausser  der  trägen  Um- 
wandlung der  Injectionsstellen  in  mit  käsigen  Depots  durchsetzte 
Infiltrate,  wie  sie  beim  Kaninchen  selbst  fQr  das  m^enschliche  Unter- 
hautbindegewebe kaum  irritirende  Injectionsflttssigkeiten  bekannt 
sind,  keine  Reactionserscheinungen  auftraten. 

Was  die  Versuche  selbst  anlangt,  so  will  ich  der  Kttrze  und 
Uebersicht  halber  nicht  krankengeschichtlich,  sondern  innerhalb  ge- 
wisser durch  die  Form  der  Application  des  Medicamentes  bestimmter 
Gruppen  zusammenfassend  über  die  locale  Wirkung  des  Prä- 
parats als  solchen,  seine  Elimination,  seine  Nebenwirkungen 
(Verträglichkeit)  und  endlich  seinen  Einfluss  auf  die  Aeusse- 
rungen  des  syphilitischen  Processes  berichten. 

Die  Zahl  der  einzelnen  Injectionen  belief  sich  auf  ca.  200,  von 
welchen  der  weitaus  grösste  Theil  der  3.  Gruppe  (s.  u.)  zufällt.  Ob- 
jecte  waren  Syphilitische  fast  ausschliesslich  in  den  ersten  Secundär- 


1)  Vgl.  Koch,  Ueber  embolische  Nekrose  der  Knochen  (Verband],  d.  d.  Qes. 
t  Chir.  1878).  Hier  bedingte  selbst  directe  Verstopfung  der  Knochencapillaren 
mit  Hg  einfach  irritatiye  Processe  mit  dem  Charakter  der  Anbildung,  indem  durch 
die  Leistung  des  Collateralkreislaufs  Gangrän  verhindert  wurde. 

9* 


132  yi.  FÜHBRINOEB 

Stadien  mit  ausgeprägter  universeller  Roseola^).  In  einzelnen 
Fällen  waren  die  ersten  Seeundär-Manifestationen  nach  Gebrauch  der 
Inunctionscur  während  des  sogenannten  zweiten  Latenzstadiums  und 
Recidive  der  papulösen  Phase  Gegenstand  der  Behandlung.  Alle  übri- 
gen Kranken  waren  unbehandelte  und  erfuhren  auch  während  der 
Kur,  abgesehen  von  indifferenten  Reinigungsbädern  und  eventuell 
Verbänden,  keine  anderweitige  Behandlung.  Die  Nahrung  bestand 
theils  in  der  Spitalskost,  theils  in  der  gewohnten  Diät.  Die  Zahl 
der  Patienten  belief  sich  auf  20. 

Die  Vorstellungen  endlich,  die  mich  in  letzter  Instanz  bei  der 
Vornahme  der  Metallinjectionen  leiteten,  waren :  Einverleibung  eines 
beträchtlichen  Quecksilbergehaltes  in  äusserst  kleinem  Volumen,  das 
zudem  jede  Irritation  der  Gewebe,  also  auch  den  Schmerz  bei  der 
Irritation  selbst  ausschliessen  musste,  Vortheile,  die  gewiss  Angesichts 
der  gegentheiligen  Mängel  der  Injectionen  diluirter  wie  concentrirter 
Lösungen  von  Quecksilbersalzen  plausibel  und  nicht  zu  vernachläs- 
sigen waren. 

Vor  diesen  Erwägungen  jedoch,  die  mehr  den  praktischen  End- 
zweck betrafen,  war  es  die  Frage  nach  der  Theorie  der  Resorption 
des  regulinischen  reinen  Quecksilbers,  die  mich  beschäftigte,  und  die 
einer  Lösung  entgegenzufttbren  solche  Versuche  mir  ganz  besonders 
geeignet  erschienen.  Ich  meine  hierbei  den  Abschluss  derAtmo- 
Sphäre  von  dem  metallischen  Quecksilber,  der  bei  Benutzung  des 
geschlossenen  Unterhautraums  ermöglicht  wurde,  also  die  Elimi- 
nation einer  Oxydation  des  Metalls  durch  Bestreichung 
der  Luft.  War  das  Quecksilber  wirklich  als  solches,  d.  h.  frei  von 
jeder  Spur  von  Oxydul  oder  anderen  difect  resorbirbaren  Salzen 
unter  die  Haut  gebracht,  dann  erstand  in  dem  Nachweis  jener  letz- 
teren am  Ort  der  Application  oder  im  Harn  eine  directe  Antwort  auf 
die  so  vielfach  ventilirte  Frage  nach  der  Möglichkeit  einer  nach- 
träglichen Oxydation   des  regulinischen  Quecksilbers 


I)  Auf  die  Gegenwart  dieses  Exanthems  in  uniYerseller  und  namentlich  maculo- 
papulöser  Ausbildung  habe  ich  besonderen  Werth  für  die  Beurtheilung  der  Wir- 
kung des  Medicaments  gelegt,  weil  bei  der  ungemein  schwankenden  Dauer  des 
Bestandes  anderer  früherer  Manifestationen  (wie  der  feuchten  Haut-  und  Schleim- 
hautpapeln,  der  umfänglicheren  pustalösen  Formen,  die  zudem  so  sehr  durch  ein- 
fache locale  Behandlung  beeinflusst  werden,  ganz  abgesehen  von  der  Prim&r-Iodara- 
Uon  und  den  indolenten  Bubonen)  gerade  die  universelle  Roseola  bezüglich  ihrer 
Dauer  und  ihrer  Reaction  gegen  die  mercurielle  Allgemeinbehandlung  immer  noch 
die  constanteste  Rolle  zu  spielen  scheint  trotz  freilich  bisweilen  prägnanter  Aus- 
nahmefälle (Roseola  evanida). 


Mercarialien  bei  Syphilis.  133 

innerhalb  des  Stoffwechsels  unter  dem  Einfluss  der  chemi* 
sehen  Constitution  der  Organsäfte  (Contact  mit  Kochsalz,  Blut-  und 
Organeiweiss)  und  der  oxydirenden  Einwirkung  des  Organismus 
(Sauerstoff  der  Blutkörperchen  etc.).  Der  Frage  nach  dem  speciellen 
Charakter  der  endlichen  löslichen  resorbirten  Verbindung  habe  ich 
keine  Aufmerksamkeit  zugewendet  Ich  sehe  jedoch  nicht  ein,  was 
veranlassen  könnte,  eine  von  dem  zur  Zeit  fttr  den  inneren  Gebrauch 
der  Mercurialien  geltenden  (Voit)  Resorptionsmodus  (Endproduct  im 
Blut:  Quecksilberoxydalbuminat)  wesentlich  abweichende  Theorie  zu 
rermuthen.  Nur  den  Harn  und  nicht  auch  das  Blut  habe  ich  ferner 
der  Prüfung  auf  Hg  unterworfen,  weil  es  mir  lediglich  galt,  festzu- 
stellen, ob  das  Quecksilber  im  Blute  gekreist  hat  oder  nicht. 

Inwieweit  sich  die  Erwartungen  erfflllt  und  die  Beeinflussung  der 
bekämpften  Krankheit  sich  gestaltete,  mögen  die  folgenden  Gruppen 
zeigen. 

1.  Gruppe. 

Hier  wurde  die  Spritze  ^j  direct  mit  reinstem  Quecksilber  ge- 
laden und  letzteres  in  einer  Menge  von  0,1  bis  0,3  Gem.,  d.  i.  circa 
1 72  bis  4  Grm.  (also  dem  Quecksilbergehalt  von  beispielsweise  -1 83 
bis  549  Grm.  einer  Iprocentigen  Sublimatlösung  entsprechend)  in 
Form  eines  continuirlichen  Tropfens  subcutan  injicirt^)  und  die  In- 
jection  alle  5  bis  8  Tage  wiederholt. 

Hierbei  erwies  sich  zunächst  die  Injection,  abgesehen  natürlich 
Tom  Einstich  der  Nadel,  als  völlig  schmerzlos,  und  es  folgte 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  überhaupt  nicht  die  mindeste  Local-Irri- 
tation.  Das  Quecksilber  blieb  bei  dauernder  Bettlage  und  Ausschluss 
heftiger  Bewegungen  an  Ort  und  Stelle  liegen,  derart  dass  es  am 
nächsten  Tage,  sofern  der  Stichkanal  nicht  zugeheilt,  bei  Druck 
aus  letzterem  hervorquoll.  Dasselbe  fand  in  einem  Falle  statt,  in 
welchem  ein  Gefäss  verletzt  worden  war,  so  dass  nur  eine  äusserst 


1)  £s  bedarf  wohl  kaum  der  Erwähnung,  dass  hier  nur  Fassungen  und  Canü- 
len  von  nicht  amalgamirendem  Material  (Stahl,  Hartgummi  etc.)  gestattet  sind. 
Ich  hahe  eine  einfache  Pravaz'sche  Kautschukspritze  angewandt.  £in  ganz  be- 
sonderes Augenmerk  wurde  auf  die  nicht  genug  zu  betonende  Reinhaltung  des 
Instruments  gerichtet.  Man  sollte  bei  Mercurialinjectionen  nie  eine  Spritze  ver- 
wenden, die  nicht  unmittelbar  vor  dem  Gebrauch  einem  stundenlangen  Bade  ent- 
nommen (hier  lag  sie  in  verdünntem  carbolhaltigem  Spiritus,  der  durch  reines 
Wasser  kurz  vor  der  Iigection  entfernt  wurde). 

2)  Wobei  die  in  zahllosen  Wiederholungen  gegebenen  Vorschriften  bezüglich 
der  Wahl  des  Ortes,  des  Aufhebens  der  Falte  etc.  im  Wesentlichen  nach  dem 
Vorgange  von  Lewin  und  v.  Sigmund  befolgt  wurden. 


134  VI. 

geringe  Qaote  in  den  Ereislaof  fibergetreten  sein  konnte.  Am  3., 
5.|  7.,  in  einem  Fall  am  11.  nnd  selbst  am  27.  Tage  nach  der  In- 
jection  gelang  ein  Gleiches,  wenn  man  einen  neuen,  in  das  Metall- 
depot mfindenden  Kanal  anlegte  and  darch  Bingdmck  das  Aasweichen 
des  Qaeeksilbers  nach  anderer  Richtung  Tcrhinderte. 

In  vereinzelten  Fällen  begann  12  bis  24  Standen  nach  der  In- 
jection  eine  entzflndliche  Beaction,  die  entweder  nach  einigen  Tagen 
sparlos  zarfickging,  oder  aber  einen  pulpösen  Herd,  ganz  ähnlich 
der  Localaffection  bei  Calomelinjectionen ,  mit  träger  Umbildung  in 
derbe  knotenartige  Infiltrate  (s.  Nachtrag  I),  in  einem  Falle  sogar 
einen  regelrechten  Abscess  lieferte.  Beim  Spalten  dieses  Abscesses 
am  5.  Tage  nach  der  Injection  zeigte  sich  nun  Folgendes :  Anschei- 
nend die  ganze  Qaecksilbermasse  war  an  Ort  und  Stelle  liegen  ge- 
blieben in  Gestalt  mehrerer  spiegelnder  Kugeln ,  umspQlt  von  blu- 
tigem Eiter  und  nekrotischen  Gewebsfetzen.  Nach  Entleerung  des 
Abscessinhaltes  und  Bedeckung  der  Incision  mit  grauem  Pflaster  trat 
rapide  Heilung  ein.  Leider  ist  die  Isolirung  des  Eiters  vom  Metall 
und  seine  Prttfung  auf  Qaecksilbergehalt  verabsäumt  worden.  In 
2  Fällen  ist  auch  der  weiche  pulpose  Herd  gespalten  worden,  der, 
abgesehen  von  dem  hämorrhagischen  Charakter  seines  Inhalts  i  im 
Wesentlichen  die  gleichen  Verhältnisse  darbot. 

Der  Harn  wurde  zu  verschiedenen  Zeiten  der  Prüfung  auf  Queck- 
silber sowohl  nach  der  Ludwig'schen  Methode 0  ftls  nach  dem 
kdrzlich  von  mir  in  extenso  publicirten  Verfahren 2)  [„Quecksilber- 
nachweis im  Harn  mittelst  Messing  wolle ''^j]  unterworfen,  stets  mit 
völlig  negativem  Resultat. 

Salivation  oder  sonstige  auf  Mercurgebrauch  zu  beziehende  Neben- 
erscheinungen traten  zu  keiner  Zeit  auf. 

Ebensowenig  war  selbst  nach  3  maliger  Injection  (innerhalb  14 
Tagen)  irgend  eine  Wirkung  auf  die  Roseola  oder  sonstige  syphi- 
litische Aeusserangen  deutlich ,  so  dass  mit  diesen  Experimenten 
dauernd  abgebrochen  wurde. 

Trotzdem  verliess  mich  nicht  der  Gedanke,  dass  eine,  wenn  auch 
minimale  Resorption  stattgefunden  haben  müsse,  und  in  Erwägung, 
dass   das  Missverhältniss  der  Oberfläche  des  injicirten  Metalls  zu 


1)  Wiener  med.  Jahrb.  1877. 

2)  Berliner  klin.  Wochonschrift.  1878. 

3)  Hierbei  sei  bemerkt,  dass  spätere  Erfahrungen  mich  gelehrt  haben,  dass 
eine  vorsichtige  Chlorbehandlung  (mit  KCIOj  und  HCl)  des  Harns  vor  dem 
Eintragen  des  zu  amalgamirenden  Metalls  dann  entschieden  indicirt  ist,  wenn  ein 
auch  nur  spurenhafter  Albumingehalt  nachzuweisen  ist. 


Mercnrialien  bei  Syphilis.  135 

seinem  Kubikinhalt  in  letzter  Instanz  der  Ueberftthrung  in  lösliches 
Salz  80  enge  Grenzen  gezogen^  modificirte  ich  das  Verfahren  in  der 

2.  Gruppe 

dahin,  dass  ich  das  unter  die  Haut  deponirte  Metall  durch  Druck 
and  radi&res  Streichen  in  zahlreiche  Fragmente  zerstieben  machte. 
Die  Localirritation  gestaltete  sich  hier  weder  grösser  noch  geringer  als 
zQTor,  wohl  aber  bestand  eine  wesentliche  Differenz  im  Verhalten 
des  Quecksilbers.  So  zeigte  sich  die  Höhle  eines  Abscesses  nach 
Abspttlung  des  flüssigen  Inhalts  Ton  den  Wänden,  der,  seinerseits 
allenthalben  von  kleineren  und  grösseren  spiegelnden  Metallkflgel- 
chen  durchsetzt,  stellenweise  geradezu  eine  schwarzgraue  Metallemul- 
sion darstellte,  bis  in  die  tiefsten  Lücken  (und  höchst  wahrscheinlich 
noch  über  diese  hinaus  in  die  normalen  Gewebsspalten)  besetzt  mit 
ziemlich  fest  haftenden,  zum  Theil  glitzernden,  zum  Theil  glanzlosen 
Pankten  un^d  Flecken ;  diese  letzteren  Hessen  sich  sämmtlich  unter  der 
Lupe  als  Conglomerat  kleinster  Metallkttgelchen  erkennen.  Der  mit 
dem  Spülwasser  vereinigte  hämorrhagische  Eiter  wurde  in  diesem  Falle 
mit  viel  stark  verdünnter  Salzsäure  versetzt  und  unter  Luftabschluss 
fQr  24  Stunden  der  Ruhe  überlassen.  Die  abgehobene  und  filtrirte 
Flüssigkeit,  die  keine  Spur  des  Metalls  enthielt,  wurde  nunmehr  der 
Analyse  unterworfen  und  erwies  sich  als  quecksilberhaltig.  Somit 
war  in  der  That  der  Beweis  einer  Ueberführung  des  Metalls  im 
Unterhautraum  durch  die  umgebenden  vitalen  Organsäfte  in  eine  lös- 
liche Oxydationsstufe  geliefert  ^).  Allein  auch  hier  zeigte  der  Harn 
in  keinem  Falle  trotz  der  peinlichsten  Sorgfalt,  mit  welcher  er  auf 
Qaeeksilbergehalt  geprüft  wurde,  auch  nur  eine  Spur  des  letzteren. 
Nichtsdestoweniger  habe  ich  an  einer  Elimination  des  Quecksilbers 
nicht  gezweifelt,  zumal  da  eine  wenn  auch  träge  und  wenig  präg- 
nante constitutionelle  Wirkung  in  einigen  Fällen  zu  bestehen  schien. 


1)  Diese  UeberfOhrung  ist  schon  a  priori  durch  das  chemische  Experiment 
sehr  plausibel:  Reinstes  Qaecksilber  mit  Kochsalzlösung  an  der  Luft  geschattelt 
geht  nach  der  Formel  Hg  +  2NaCl  +  HiO  +  0=^  HgCh  +  2NaH0  in  Lösung 
(Mialhe,  Voit,  Overbeck,  Blomberg,  Maly).  Im  Unterhaatraum  verfügen 
wir  ebenfalls  über  NaCl,  HsO  u.  0  (Oxydationskraft  des  Organismus).  —  Dem- 
selben Gesetz  unterliegt  auch  das  subcutan  deponirte  Galomel.  Auch  diese  Yer- 
bindung  liefert  beim  Schütteln  mit  Kochsalzlösungen,  besonders  bei  Zusatz  von 
Blat,  selbst  bei  gewöhnlicher  Temperatur  Sublimat  (Ff äff,  Liebig,  Volt).  Sogar 
einfaches  Verweilen  Ton  Galomel  neben  Natr.  bicarbon.  und  Rohrzucker  (in  zu- 
sammengeriebenen Pulvern)  kann  mit  der  Zeit  in  Folge  Feuchtwerdens  erhebliche 
Mengen  yon  Sublimat  abspalten  (Yulpius).  Doch  wird  auch  eine  Umwandlung 
des  (}hlorürs  zu  Chlorid  im  Magen  bezweifelt  (Buchheim,  Oettingen). 


136  VI.  FüBBBIMGER 

Besonders  galt  dies  vom  Schwunde  frischer  Flecken  and  trockener 
Hautpapeln.  Doch  darf  ich  nicht  rersch weigen ,  dass  andere  Mani- 
festationen durch  die  Injectionen  unbeirrt  fortbestanden,  oder  sich 
weiter  entwickelten,  und  dass  eine  Patientin,  nachdem  unter  einer 
2-  bis  3  wöchentlichen  Behandlung  (4  Injectionen)  ein  frisches  locales 
papulöses  Recidiv  geschwunden  war,  wenige  Wochen  nach  ihrer  Ent- 
lassung mit  einem  (vorwiegend  lichenartigen)  Exanthem  in  die  Anstalt 
zurflckkehrte,  das  deutlich  den  progressiven  Charakter  ihrer  Lues  be- 
kundete. 

Derartige  Erfahrungen,  die  auf  eine  weitaus  insufficiente  Auf- 
nahme des  Quecksilbermolecttls  ins  Blut  deuteten,  mussten  mich  des 
Femeren  veranlassen,  für  eine  ungleich  gesteigerte  OberflAchenver- 
grösserung  des  Präparates  zu  sorgen.  Ich  glaube  nach  zahlreichen 
Versuchen  endlich  die  geeignetste  Form  in  einer  Emulsion  gefun- 
den zu  haben.    Dieselbe  bildete  das  arzneiliche  Object  der 

3.  Gruppe. 

Von  fettigen  und  pulverförmigen  Substanzen  als  Vehikel  der 
Extinction  des  Quecksilbers  wurde  hier  aus  guten  OrOnden  abge- 
sehen 1)  und  eine  Emulsion  in  möglichst  indifferenten  Flüssigkeiten 
angestrebt.  Eine  Mischung  von  Olycerin  ipit  Gummischleim  zu  glei- 
chen Theilen  wurde  endlich  als  das  zweckmässigste  Menstruum  für  die 
Suspension  des  Metalles  befunden  und  zwar  nach  folgendem  Recept: 

Rp.  Hydrarg.  dep.  2,0, 

Extingue  ope 

Mncil.  Gl.  arab.  pnriss.  10,0, 
Adde  seDBim  terendo 
GljceriD.  pariss.    10,0. 

Man  erhält  auf  diese  Weise  eine  schwarzgraue,  homogene,  etwas 
schwer  bewegliche  Flüssigkeit,  von  welcher  der  Cubikcentimeter  Ober 
0,1  metallischen  Quecksilbers  enthält.  Die  Oberflächenvergrösserung 
des  letzteren  schätze  ich,  wofern  bei  der  Bereitung  1.  a.  verfahren 
wurde,  auf  das  2 — 3  hundertfache,  entfernt  sich  jedenfalls  nicht  wesent- 
lich von  jener,  die  das  Metall  im  Ung.  einer,  erfahren  hat,  wie  ein  Ver- 
gleich unter  dem  Mikroskop  lehrt.    Bei  sorgfältigem  Verschluss  und 


1)  Man  hat  bereits  vor  Jahren  Injectionen  einer  Mischung  von  grauer  Salbe 
und  Mandelöl  versucht  und  empfohlen  (Lebert).  Es  ist  mir  zweifelhaft,  ob  hier 
wirklich  im  Wesentlichen  das  Quecksilber  als  Metall  zur  Resorption  gelangt  ist, 
oder  ob  dieselbe  sich  nicht  ausschliesslich  auf  die  bereits  ausserhalb  des  Oiganis- 
mus  vorhandenen  Umwandlungsproducte  (fettsanres  Oxydul  etc.)  bezieht.  Ich 
nehme  daher  Anstand,  solche  Injectionen  als  Metalleinspritzungen  zu  bezeichnen. 


"VI 


MercuriaUeD  bei  Syphilis.  137 

Bewahrung  vor  jeder  Verunreinigung  stellte  das  Präparat  nicht  nur, 
wie  die  graue  Salbe,  auf  Tage  (Ov  erb  eck),  sondern  auf  Wochen 
nach  seiner  Bereitung,  jedenfalls  fttr  die  ganze  Zeit  seiner  Benutzung 
ein  einfaches  Gemenge  von  reinem  Quecksilber  mit  den 
Vehikeln  ohne  Spur  eines  Oxyd-  oder  Ozydulsalzes  dar: 
leh  habe  die  Emulsion  mit  Wasser  und  Essigsäure  in  den  verschie- 
densten Proportionen  energisch  geschüttelt,*  ohne  dass  es  mir  gelun- 
gen, in  der  vom  Metallsediment  am  nächsten  Tage  vorsichtig  abge- 
hobenen Flttsaigkeit  irgend  eine  Quecksilberreaction  zu  erhalten. 
Selbst  die  Elektrolyse  der  mit  chlorsaurem  Kali  und  Salzsäure  vor- 
sichtigst behandelten  FIflssigkeit  fiel  völlig  negativ  aus.  Ich  schreibe 
gleich  Overbeck  dem  Gummischleim  einen  entschieden  hemmenden 
Einfluss  auf  die  Oxydation  des  Metalls  zu.  Das  Präparat  trocknet 
niemals  aus,  das  Vehikel  ist  dickflüssig  genug,  um  ein  schnelles 
Sedimentiren  des  Metalls  zu  verhüten,  andererseits  hinreichend  dünn- 
flüssig, um  der  Manipulation  des  Einspritzens  keine  Hindernisse  zu 
bereiten.  Eine  bisweilen  selbst  bei  recht  vollständiger  Extinction 
hervortretende  Neigung  des  Metallstaubes,  die  obersten  Schichten  zu 
fliehen,  wird  gleich  der  Sedimentirung  in  späterer  Zeit  durch  ener- 
gisches Schütteln  des  mit  einigen  soliden  Glasperlen  versetzten  Prä- 
parates ausgeglichen.  Nur  bei  Fehlern  der  Herstellung  bildet  sich 
in  kurzer  Zeit  ein  relativ  voluminöser  Bodensatz,  in  welchem  selbst 
das  unbewaffnete  Auge  spiegelnde  Metallkörnchen  entdecken  kann, 
die  beim  Schütteln  nur  mangelhaft  in  der  Flüssigkeit  wieder  aufgenom- 
men werden,  derart,  dass  eine  Verarmung  derselben  an  Quecksilber 
bis  zu  0,03  pro  Gubikcentimeter  resultiren  kann  (s.  Nachtrag  II). 

Die  Entleerung  der  Spritze  gelingt  niemals  ganz  vollständig, 
doch  lässt  die  Summe  der  anhaftenden  Reste  nicht  die  injicirte 
Menge  unter  0,1  Hg  pro  Gubikcentimeter  sinken.  Die  Einzeldosen 
betiefen  sich  auf  V«  bis  ^m  Spritzen,  d.  i.  circa  0,025  bis  0,075  metal- 
hflchen  Quecksilbers  und  wurden  in  den  genannten  Zwischenräumen 
unter  Beobachtung  der  erwähnten  Cautelen  injicirt.  Die  Manipula- 
tion selbst  war  in  der  weitaus  vorherrschenden  Mehrzahl  völlig 
schmerzlos,  abgesehen  natürlich  vom  Nadelstich  selbst.  Nur  in 
ganz  vereinzelten  Fällen  resultirten  richtige  Abscesse  im  Verlauf  der 
nächsten  5 — 10  Tage  und  zwar  meinem  Urtheil  nach  nur  in  solchen, 
fQr  welche  nicht  die  völlige  Garantie  für  Schonung  der  Injections- 
stelle  gegeben  war.  Einer  dieser  Abscesse  wurde  nach  1  wöchent- 
lichem Bestehen  gespalten,  worauf  die  Höhle  unter  einfachem  Deck- 
verband ungesäumt  sich  schloss.  In  dem  Inhalt  derselben  konnte 
mit  bewaffnetem  Auge  auch  nicht  ein  Metalltröpfchen  erkannt  wer- 


138  VI.  FüBBRINOEB 

den,  während  ein  anderer  früher  geöffneter  AbBcess  Eiter  lieferte, 
der  noch  mit  Resten  der  Metallemulsion  versetzt  war.  Etwa  in  der 
Hälfte  der  Fälle  entwickelten  sich  unter  massigen  Beizerscheinungen 
hämorrhagisch-pulpöse  Localaffecte,  die  ganz  allmählich  sich  zu  durch- 
aus indolenten  knotigen  Infiltraten  umwandelten ,  welche  ihrerseits 
unter  höchst  träger  Involution  Monate  lang,  ja  selbst  durch  Jahres- 
frist persistirten,  also  im  Grossen  und  Ganzen  in  ihrem  Verlauf  den 
bekannten  Gonsequenzen  der  Injectionen  anderer  unlöslicher  wie  lös- 
licher Quecksilberpräparate  ähnelten.  Bezüglich  des  Nachweises  lös- 
lichen Quecksilbersalzes  im  Inhalt  dieser  Localaffecte  in  ihren  frischen 
Stadien  gilt  das  Nämliche  wie  von  jenem  im  Abscesseiter.  Nur  schien 
hier  die  Besorption  langsamer  als  im  entzündlichen  Abscess  von  Stat- 
ten gegangen  zu  sein,  womit  denn  auch  das  Auffinden  von  Besten  ex- 
tinguirten  Metalls  in  den  hämorrhagischen  Knoten  selbst  nach  2-  und 
3  wöchentlichem  Bestehen  derselben  übereinstimmt.  In  den  übrigen 
Fällen  endlich  (ca.  40  Proc.)  gelangte  überhaupt  keine  entzündliche 
Beaction  zur  Entwicklung :  die  Injectionsstelle  blieb  fast  völlig  schmerz- 
los oder  ganz  unempfindlich  und  schwand  nach  3  —  6  Tagen  selbst 
für  den  zufühlenden  Finger  spurlos,  ohne  dass  eine  schnellere  Be- 
sorption als  wahrscheinlich  nachgewiesen  werden  konnte  (s.  u.). 

Ueber  die  Effecte  der  Prüfung  des  Harns  0  auf  Quecksilbergehalt 
kann  ich  mich  kurz  dahin  fassen,  dass  frühestens  am  4.,  spätestens 
am  7.  Tage  nach  der  Injection  in  einem  Theil  der  Fälle 2)  Spuren 
von  Quecksilber  mit  aller  Deutlichkeit  nachgewiesen 
werden  konnten,  in  einem  andern  dieser  Nachweis  zweifelhaft 
war,  im  Uebrigen  endlich  völlig  misslang.  Es  unterliegt  für  mich 
keiner  Frage,  dass  im  Grossen  und  Ganzen  selbst  bei  einem  wöchent- 
lichen Injectionstypus  eine  Gumulation  der  Ausscheidung  mit  dem 
Harn  bestand,  trotzdem  in  einzelnen  Fällen  die  Schwankungen  im 
Lauf  mehrerer  Monate  recht  erheblich  sich  gestalteten,  derart,  dass 
unter  Umständen  trotz  Fortsetzung  der  Injectionen  in  der 
angegebenen  Weise  plötzlich  der  Harn  als  quecksilberfrei  befunden 
wurde.  Auf  diese  Intermittenz  der  Quecksilberausscheidung,  die  ich, 
nebenbei  bemerkt,  an  zahlreichen  mercurialisirten  Syphilitischen, 
gleichviel  welches  Quecksilberpräparat  und  auf  welchem  Wege  es 


1)  Derselbe  war  bei  Aufbewahrung  der  Tagesmengen  in  Krankenzimmern,  in 
denen  Patienten  der  Inunctionscur  unterworfen  waren,  durch  dauernde  Bedeckung 
der  Harngläser  einem  etwaigen  Contact  mit  Hg-Dftmpfen  uDzug&nglich  gemacht 
Niemals  ist  der  Nachweis  von  regulinischem  Metall  in  den  Harnportionen  gelungen. 

2)  Darunter  Harne  von  Privatpatienten,  die  niemals  in  Hg-haltiger  Atmosph&re 
sich  aufgehalten,  noch  je  zuvor  mercurialislrt  worden  waren. 


Mercorialien  bei  Syphilis.  139 

ihnen  zugefahrt  worden  war,  beobachtet  habe,  und  welche  seit  mehr 
als  10  Jahren  von  verschiedenen  Autoren,  namentlich  von  Overbeck, 
mehr  oder  weniger  deutlich  hervorgehoben  worden  ist,  werde  ich  bei 
besonderer  Gelegenheit  noch  zurtlckkommen.  Die  Ausscheidung  des 
Hedicamentes  im  Harn  sistirte  in  einigen  Fällen  in  der  3.,  einmal 
in  der  5.  Woche ;  f flr  die  Mehrzahl  habe  ich  leider  in  dieser  Hinsicht 
auf  ein  sicheres  Resultat  verzichten  müssen,  da  die  Objecto  entweder 
mit  quecksilberhaltigem  Harn  aus  meiner  Behandlung  schieden,  oder 
aber  zur  Zeit  sich  noch  unter  der  Wirkung  fortlaufender  Injectionen 
befinden. 

Ich  glaube  mich  nicht  wesentlich  von  der  Wahrheit  zu  entfernen, 
wenn  ich  behaupte,  dass  bei  den  meisten  Kranken  je  eine  Einspritz- 
ung sich  bezüglich  der  resorptiven  Wirkung  im  Wesentlichen  binnen 
2  bis  4  Wochen  erschöpft,  so  dass  also  mit  jeder  Injection  ein  Unter- 
haatdepot  von  Quecksilber  dem  Organismus  zu  eigen  gegeben  wird, 
ton  dem  er  gegenüber  den  subcutanen  Einspritzungen  loslicher  Mer- 
carialien  äusserst  langsam  und  stetig  zehrt  und  dass  er  bei 
Vornahme  der  Injectionen  alle  halbe  oder  ganze  Wochen  in  der  Zeit- 
einheit unter  der  cumulativen  Wirkung  der  Resorption  aus  durch- 
schnittlich 6  resp.  3  Depots  steht.  Hiemach  müssten  bei  wöchentlichen 
Injectionen  von  0,05  Hg  (gewöhnliches  Verfahren  für  die  Zeit  der 
Einspritzungen)  je  5—10  Milligrm.  Hg  im  Blute  kreisen  (abgesehen 
natürlich  von  den  genannten  Resorptionsschwankungen),  welche  Gon- 
sequenz  ich  jedoch  Angesichts  der  antisyphilitischen  Wirkungen  (s.  u.) 
entschieden  negiren  muss,  und  auf  welche  ich  bei  der  Charakterisirung 
der  letzteren  zurückkommen  werde. 

Was  die  Verträglichkeit  des  Oesammtorganismus  für  die  genannte 
Art  der  subcutanen  Injectionen  anlangt,  so  habe  ich  bei  keinem  Pa- 
tienten, zu  keiner  Zeit  irgend  eine  specifische  Nebenerscheinung  be- 
obachten können,  weder  je  Salivation  auch  nur  in  dem  geringsten 
Maasse,  noch  Symptome,  die  mit  gewisser  Wahrscheinlichkeit  auf 
den  chronischen  Mercurialismus,  wie  er  bereits  vor  nahezu  20  Jahren 
dorch  die  fundamentalen  Erörterungen  EussmauTs^)  und  Ov er- 
beck's  2)  als  geklärter  und  wohl  charakterisirter  Begriff  in  allen 
seinen  Erscheinungen  endgiltig  fixirt  worden  ist,  zu  beziehen  sind. 
Freilich  hat  es  nicht  an  Aeusserungen  gefehlt,  die  recht  lebhaft  an 
die  Erscheinungen  erinnern,  welche  man  der  neuerdings  wieder  recht 
geliebkosten   „  Quecksilberkrankheit "  zuzuschreiben   nicht  gezögert, 


1)  Untersnch.  über  den  constitut  Mercurialismus.   1861. 
2j  Mercnr  und  Sjphilis.   1861. 


140  VI.  FOSBRINGER 

Aensserungen ,  die  fttr  die  Gesammtheit  der  von  mir  beobachteten 
Fälle  sich  durchans  zwanglos  von  der  syphilitischen  Erkrankung 
ableiteten  und  bei  fortgesetztem  und  gesteigertem  Quecksilberconsum 
nicht  zu-  sondern  abgenommen  haben,  resp.  ganz  geschwunden  sind. 
In  Sonderheit  ist  es  mir  zu  keiner  Zeit  geglückt,  die  meist  sichtlich 
hervorgetretene  Zunahme  des  Körpergewichts  und  der  Kräfte  der 
Patienten  als  „scheinbare"  irgendwie  in  Zusammenhang  mit  einem 
durch  Quecksilbervergiftung  erzeugten  „ specifischen  Eiweisszerfall" 
zu  bringen. 

Die  Wirkung  der  Metallinjectionen  auf  den  syphilitischen  Process 
war  .in  den  meisten  leichten  und  recenten  Formen  fraglos  zu  beob- 
achten. Hingegen  wurde  sie  bei  den  resistenten  Formen  der  papu- 
lösen  Phase  und  im  gummösen  Stadium  ganz  vermisst  Ueberall, 
wo  sie  sich  geltend  gemacht,  trag  sie  den  Charakter  des  Lang- 
samen und  Allmählichen  (Tilgung  der  momentanen  Erscheinun- 
gen in  durchschnittlich  8  Wochen  'durch  10  Injectionen  im  Mittel) 
und  liess  sich  mit  den  rapiden  EflPecten  der  Inunctionscur,  der  Be- 
handlung mit  starken  Sublimatdosen  (innerlich  oder  subcutan),  oder 
des  Decoct.  Zittm.  cum  Hydrarg.  nicht  entfernt  vergleichen,  was  den 
momentanen  Schwund  der  secundären  Erscheinungen  anlangt;  selbst 
hinter  der  Wirkung  der  Ricord'schen  und  Calomelpillen  in  klein- 
sten Dosen  blieb  sie  entschieden  zurück.  So  schwand  die  Roseola 
frühestens  am  12.,  spätestens  am  22.  Tage,  durchschnittlich  in  2V2 
Wochen,  die  trockne  squamirende  Hautpapel  der  ersten  secundären 
Attaque  erst  nach  4 — 8  Wochen  spurlos,  während  das  Schleimhautcon- 
dylom  und  die  pustulösen  Exantheme  bei  mangelnder  Localbehand- 
lung  in  ihrem  schleppenden  Verlaufe  beharrten,  bisweilen  progressiv 
sich  gestalteten. 

Diese  so  langsame  Tilgung  der  luetischen  Manifestationen  lässt, 
wie  schon  oben  erwähnt,  eine  Resorption  der  ganzen  unter  die  Haut 
gebrachten  Menge  des  metallischen  Quecksilbers  in  der  Form  von 
löslicher  (nachträglich  oxydirter)  Verbindung  als  geradezu  unmöglich 
erscheinen  und  zwingt  nothwendig  zur  Annahme,  dass  unter  allen 
Umständen  eine  beträchtliche  Quote,  höchst  wahr- 
scheinlich der  Löwenantheil  der  im  Unterhautraum 
deponirten  Metallemulsion  als  solche  eine  Propagation 
in  die  benachbarten  Gewebsspalten  erfährt,  um  in  in- 
differentem Zustande  dauernd  in  mehr  oder  weniger 
entfernten  Bezirken  zu  verweilen.  Begegnen  wir  solchen 
Wanderungen  der  Hg-Kügelchen  schon  bei  geringfügigen  Läsionen 
der  Haut  während  der  Inunctionscur,  ist  der  Eintritt  des  regulinisehen 


Mercurialien  bei  Syphilis.  141 

Metalles  allenthalben  in  das  klaffende  Parencbym  des  Körpers,  ins- 
besondere in  offene  Lymphgefässe  festgestellt  (Rindfleisch^)),  so 
wird  sie  uns  um  so  plausibler  im  Unterbaatbindegewebe  ersobeinen. 

Aber  noch  eine  Frage  scheint  mir  der  auffallend  träge  Effect 
der  Injectionen  auf  die  bekämpfte  Krankheit  zu  beantworten:  er 
bestätigt  die  Richtigkeit  der  Annahme  ^^  dass  fein  vertbeiltes  in  das 
Gewebe  eingedrungenes,  dem  Unterhautraume  entzogenes  metallisches 
Quecksilber  keine  oder  doch  nur  äusserst  langsame  resorptire  All- 
gemein Wirkungen  entfaltet,  dass  es  sich  hierbei  vielmehr  im  Wesent- 
lichen um  einfach  mechanische  Anhäufungen  handelt,  die  mit  einer 
(mrksamen)  Resorption  nichts  zu  thun  haben. 

Gegen  aber  dem  tarden  Effect  der  Injectionen  auf  die  beim  Be- 
ginn der  Behandlung  bestehenden  syphilitischen  Affecte  trat  jedoch 
mehrfach  und  zwar  mit  besonderer  Prägnanz  bei  leichten  Formen 
eine  Gestaltung  der  Krankheit  auf,  deren  Abhängigkeit  von  den 
fortlaufenden  Injectionen  meiner  Meinung  nicht  geleugnet  werden 
darf.  Ich  meine  die  Beeinflussung  der  Recidive.  Es  hat  an  diesen 
nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  nach  oder  bei  jeder  anderen 
antisyphilitischen  correcten  Cur  gefehlt,  so  vollständig  auch  die 
ersten  Secundärerscheinungen ,  sei  es  durch  unsere  Injectionen,  sei 
es  (in  schwereren  Fällen)  durch  spätere  energischere  Behandlung, 
getilgt  waren.  Jener  Einfluss  aber  bestand  in  der  Milde  der  rück- 
fälligen Erscheinungen,  welche  sich  unter  Formen  äusserten,  welche 
an  die  recentesten  Phasen  des  Secundärstadiums  erinnerten  und  zu- 
dem auffällig  abortiv  und  passager  verliefen,  abgesehen  allein  von 
den  Schleimhaut- ,  insbesondere  Rachenpapeln ,  welche  bei  Mangel 
topischer  Behandlung  trotz  geringer  Neigung  zur  Ulceration,  hart- 
näckig Form  und  Sitz  behaupteten.  In  einigen  Fällen  habe  ich  in- 
mitten dieser  Recidive  die  Injectionen  abgebrochen,  resp.  abbrechen 
müssen,  um  mit  seltener  Consequenz  die  Entwicklung  schwerer  Er- 
scheinungen aus  ihnen  bei  entschiedenem  Herabgehen  des  Allgemein- 
befindens und  der  Ernährung  wenige  Wochen  nach  der  Sistirung  der 
Einspritzungen  zu  beobachten.  Somit  möchte  ich  selbst  gegenüber 
der  Thatsache,  dass  leichte  Syphilisformen  auch  ohne  jede  Behand- 
lung in  einer  der  geschilderten  entsprechenden  Art  verlaufen,  und 
dass  es  nicht  an  Fällen  gefehlt  hat,  die  nicht  bezüglich  der  Recidive 
jenes  Bild  während  der  Behandlung  ergaben,  so  viel  als  gesichert 
nrgiren,  dass  durch  die  ganze  Zeit  der  Behandlung  mit 
den  Metallinjectionen    eine    entschieden    mercurielle 


1)  Archiv  für  Dermatologie  und  Syphilis.    1870. 


142  VI.  FÜRBRINGER 

resp.  antisyphilitiflcbe  Wirkung  stattfindet,  und  zwar  eine 
Wirkung,  die  mit  der  Zeit  sich  progressi?  günstig  zu  gestalten  neigt. 
In  dieser  Wirkung  erblicke  ich  aber  nichts  ffir  meine  Injectionen 
Specifisches,  sondern  nur  einen  Eflfect;  der  durch  eine  Fiele  Monate 
lang  und  selbst  durch  Jahresfrist  ununterbrochen  durch- 
geführte, in  recenter  Phase  der  Krankheit  begonnene, 
unschädliche  Mercurialisation  des  syphilitischen  Organismus 
überhaupt  bedingt  ist. 

Dass  endlich  gewisse  ungünstige  Luesformen  trotz  recenten  Cha- 
rakters und  ausgesprochener  Milde  der  ersten  Erscheinungen  auch 
hier  Misserfolge  aus  noch  unbekannten  Gründen  geben  werden,  be- 
darf wohl  kaum  der  Erwähnung,  ebensowenig,  dass  ich  weit  ent- 
fernt bin,  aus  der  spärlichen  und  zeitlich  so  eng  begrenzten  Summe 
meiner  Beobachtungen  eine  günstige  Beeinflussung  der  späten  Phase 
(gummösen  Periode)  der  Krankheit  folgern  zu  wollen.  Genügt  ja 
nach  den  bisherigen  Erfahrungen  zu  einem  solchen  Wagniss  kaum 
die  Frist  eines  Menschenalters. 

Ob  bis  zur  Zeit  bei  irgend  einem  der  durch  Metallinjectionen 
Mercurialisirten ,  der  nach  monatelanger  Behandlung  und  Tilgung 
der  ersten  Secundärerscheinungen  sich  einer  weiteren  Medication  ent- 
zogen, Recidive  gänzlich  ausgeblieben  sind,  vermag  ich  leider  nicht 
anzugeben,  da  die  Mehrzahl  sich  nicht  herbeigelassen  hat,  lange  Zeit 
nach  ihrer  „Heilung^  ihren  Körper  mit  unter  Umständen  sehr  lästigen 
Localaffecten  versehen  zu  lassen.  Diejenigen  aber,  welche  ich  nach 
monatelanger  bis  halbjähriger  Sistirung  der  specifischen  Behandlung 
wieder  zu  Gesicht  bekam,  litten  ausnahmslos  an  zweifellos  syphiliti- 
schen, theils  leichten,  theils  schwereren  Erscheinungen.  Ihr  Harn 
erwies  sich,  so  oft  ich  denselben  der  Prüfung  auf  Quecksilber  unter- 
zog, als  durchaus  frei  von  diesem  Metall. 

Vergleiche  ich  somit  die  Summe  meiner  jetzigen  Erfahrungen 
mit  den  Effecten  der  bisher  gangbaren  mercuriellen  Syphilisbehand- 
lung, so  stehe  ich  nicht  an,  gegenüber  den  letzteren  den  prakti- 
schen Werth  der  Metallinjectionen  so  weit  einzuschränken,  dass 
ich  sie  als  eine  exceptionelle  Methode  anspreche,  auf  welche 
ich  selbst  gegenwärtig  nur  in  den  seltenen  Fällen  recurrire,  in  denen 
die  üblichen  Mercurialisationen  schlecht  vertragen  werden  und  zu- 
gleich eine  schnelle  Tilgung  der  momentanen  Erscheinungen  nicht 
Noth  thut»). 

1)  Es  scheint  mir,  als  sollten  gerade  die  unbefangenen  Beobachtnngen  aas 
neuester  Zeit  das  Bedenken  mehr  und  mehr  anregen,  ob  Oberhaupt  ein  Parallelis- 
mus zwischen  der  Schnelligkeit,  mit  welcher  die  manifesten  Symptome  der  Syphilis 


Mercorialien  bei  Syphilis.  143 

Eine  bestimmtere  Motivirung  der  Indicationen  zu  gewinnen,  be- 
darf  es  zunäcbat  eines  kurzen  Vergleichs  der  Wirkung  und  Verträg- 
lichkeit der  Metallinjectionen  mit  den  Aeusserungsweisen  der  sub- 
cutanen Einverleibung  anderer  Mercurialien.  Hier  wird 
es  sich  im  Wesen  um  2  Gruppen  bandeln ,  die  löslichen  Präparate 
(Sablimat,  Kochsalzsnblimat,  Albuminat  und  Peptonat  des  Bicblorids 
etc.)  und  die  unlöslicheni  7on  denen  man  nur  das  Calomel  versucht 
zu  haben  scheint.  Die  ersteren  gelangen  augenblicklich  zur  Resorp- 
tion, wirken  deshalb  schnell,  aber  bei  seltener  Vornahme  wenig 
nachhaltig ,  während  die  Calomelinjectionen  eine  weniger  schnelle, 
aber  nachhaltigere  Wirkung  entfalten  und  die  subcutane  Einverlei- 
buDg  des  Metalls  durch  sehr  träge,  aber  zeitlich  um  so  ausgedehntere 
Beeinflussung  ausgezeichnet  ist.  Während  diese  letztere  (unmittelbar 
nach  der  Injection)  völlig  schmerzlos  sich  erweist,  pflegen  die  Schmer- 
zen bei  keinem  der  löslichen  Präparate  zu  fehlen,  selbst  das  salpeter- 
saure Oxydul  (s.  unten  Nr.  4)  und  Bicyanuret  nicht  ausgenommen. 
Dagegen  fällt  bezüglich  der  späteren  Reaction  am  Orte  der  Injec- 
tion die  grossere  Geneigtheit  unserer  Einspritzungen  fdr  entzündliche 
Schwellung  und  Abscessbildung  ins  Gewicht,  wenn  sie  auch  niemals 
die  Calomelwirkung  aufs  Unterhautbindegewebe  und  seine  Nachbar- 
schaft erreichen. 

Anders  die  Inunctionscur  und  innerliche  Einverleibung 
von  (löslichen  und  unlöslichen)  Mercurialien.  Werden  diese  beiden  Me- 
thoden, was  in  der  Regel  der  Fall,  gut  vertragen,  so  kenne  ich  kei- 
nerlei Vortheile,  welche  den  Metallinjectionen  vor  ihnen  eigen  sein 
könnten,  und  somit  bleiben  nur  jene  sehr  seltenen  Bedingungen  für  die 
Aufnahme  der  letzteren  übrig,  dass  der  Digestion  stractus  gegen  eine 
längere  Darreichung  löslicher  oder  unlöslicher  Quecksilberpräparate 
sich  sträubt,  das  Integument  auf  keine  Weise  die  Inunctionscur  (resp. 
Fumigationen)  verträgt  und  eine  häufige  subcutane  Einverleibung 
löslicher  Präparate  der  schmerzhaften  Injectionen  wegen  unzulässig 
erscheint.  Vereinigen  sich  diese  drei  Bedingungen  mit  einer  recen- 
ten,  leichten  Form  der  Syphilis,  dann  halte  ich  die  Wahl  unserer 
Metallinjectionen  in  einer  Woche  für  Woche  applicirten  Einzeldose 
von  0,05  bis  0,1  Hg  in  der  geschilderten  Weise  als  einer  höchst 


getilgt  werden,  und  einer  Heilung  der  Krankheit  als  solcher  in  der  Weise  be- 
stehe, wie  sie  von  einer  Zahl  von  Autoren  Yertreten  wird.  Solange  es  nicht  er- 
iriesen,  dass  schneller  Schwund  der  Aeusserungen  der  Krankheit  mit  einer  Heilung 
gleichbedeutend,  solange  wird  ftkr  Formen,  die  ein  schnelles  Eingreifen  nicht  noth- 
weodig  erheischen,  eine  Mercurialisation  in  genanntem  Sinne  gewiss  nicht  als 
iirationell  verworfen  werden  dürfen. 


144  VI.  FORBBINGEB 

bequemen   und  milden   mercuriellen  Behandlung  der  Syphilis  am 
Platze. 

Wie  hoch  sich  aber  die  geeignete  Durchschnittsdaner  einer  sol- 
chen Cur  stellen  wird,  die  natürlich  weder  einer  correcten  topischen 
Behandlung,  noch  sorgfältigsten  Beobachtung  der  für  die  Syphilis- 
therapie hochwichtigen  allgemein -sanitären  Maassnahmen  entbehren 
darf,  ob  eine  einjährige  ununterbrochene  Zufuhr  des  Medicamentes  ^), 
oder  eine  mehrjährige  mit  Unterbrechungen  nach  dem  Vorgange 
Fournier's^)  die  besten  Chancen  gewähren  wird,  diese  Fragen 
können  selbstverständlich  nur  an  der  Hand  zahlreicher  gewissenhaft 
durchgeführter  Experimente  und  langjähriger  Nachbeobachtung  einer 
motivirten  Beantwortung  entgegengeführt  werden. 

Mir  galt  es  vorwiegend,  zu  eruiren,  dass  reines  Quecksilber  unter 
Umständen  vom  Unterhautraum  aus  in  wirksamer  Form  resorbirt  und 
als  lösliche  Verbindung  mit  dem  Harn  eliminirt  werden  kann  und 
somit  den  Beweis  zu  liefern,  dass  das  regulinische  Metall  nach  seiner 
Einführung  in  abgeschlossene  Hohlräume  des  Organismus  einer  nach- 
träglichen Oxydation  innerhalb  des  Stoffwechsels  unter- 
liegt. 

2.    Subcutane  Ii^eetionen  von  Slsaurem  Queoksilberoxyd. 

Die  günstigen  Resultate,  welche  in  den  letzten  6  Jahren  bezüg- 
lich der  Resorbirbarkeit  und  Wirksamkeit  des  Ölsäuren  Quecksilbers 
bei  epidermatischer  Application  in  die  Oeffentlichkeit  gelangt  sind 
(MarshalP),  Berkeley-HilH),  Vayda^),  Martini«),  Cane'j, 
Ringer  u.  A.),  die  fast  allgemeine  Betonung  einer  leichteren  Vertrug 
lichkeit  Quecksilberolelinat- haltiger  Salben  Seitens  der  Haut  gegen- 


1)  In  neuester  Zeit  hat  der  internationale  medicinische  Congress  zu  Phila- 
delphia für  eine  ununterbrochene  Meditation  von  den  frühesten  Eruptionen 
an,  solange  es  angeht,  pl&dirt  und  benrtheilt  diese  Methode  der  Syphifisbe- 
handlung  als  die  beste. 

2)  Fournier  (Le^.  sur  la  Syphilis.  1873)  verlangt  für  seine  Tagesdosen  Ton 
0,05—0,1  (seltener  0,15,  ausnahmsweise  0,2)  Hg-Jodürs  per  os  nach  seiner  Methode 
des  traitemen  ts  successifs  eine  zweij&hrigeMedication  mit  Unterbrechungen : 
ftCe  sont  deux  annees  re'parties  en  dix  mois  environ  de  traiiement  contre  qua- 
torze  mois  de  repos,  deux  annees  divisees  en  Stades  altemants  de  therapeu- 
tique  active  et  de  desaccoutumance." 

3)  The  Lancet.  1872. 

4)  Practitioner.  1873  (Ref.  i.  d  Jahresber.  1873.  I). 

6)  Wiener  med.  Presse.  1874  (Ref.  in  Schmidt*s  Jahrb.  Bd.  163). 

6)  Schmidt*8  Jahrb.  Bd.  160. 

7)  The  Lancet.  1872  (Ref.  in  Schmidt's  Jahrb.  Bd.  160). 


Mercunalien  bei  Syphilis.  145 

Aber  den  nieht  seltenen  Reizeraclieinungen  beim  Gebrauch  der  grauen 
Salbe,  endlich  der  von  subcutanen  Injectionen  einer  Mischung  yon 
graner  Salbe  und  Mandelöl  gertthmte  Vorzug  der  Schmerzlosigkeit 
(Lebert)  Hessen  trotz  so  mancher  abweichenden  Erfahrung  den 
Versuch  gewiss  gerechtfertigt  erscheinen ,  die  Verträglichkeit  und 
antisjrphilitische  Wirkung  einer  hypodermatischen  Einverleibung  von 
ölsaurem  Quecksilberoxyd  zu  studiren. 

Ich  habe  ein  reines  Pr&parat  aus  der  Merck'schen  Fabrik  mit 
einem  Oxydgehalt  von  15  Proc.  (also  Hg -Gehalt  circa  V^)  benutzt, 
das  anfangs  in  der  fünffachen  Menge  süssen  Mandelöls  zertheilt  in 
äner  Dose  von  1  Ccm.  injicirt  wurde.  0er  Erfolg  einiger  weniger 
Injectionen  bestand  in  lebhafter  localer  Entzündung  wenige  Stunden 
nach  der  Manipulation  und  späterer  Abscessbildung.  Erst  bei  einer 
zehnfachen  Verdünnung  des  Präparates  ^)  und  der  Wahl  einer  Einzel- 
dose von  0,5  Ccm.  konnte  der  Eingriff  als  einigermaassen  verträglich 
bezeichnet  werden* 

Vier  Patienten  mit  recenten  Secundärerscheinungen  habe  ich  je 
3-^5  Wochen  lang  mit  solchen  Injectionen  in  2  —  Stägigen  Inter- 
Tallen  behandelt 

Hierbei  gestaltete  sich  die  locale  Wirkung  des  Präparates  folgen- 
dermaassen:  Etwa  in  der  Hälfte  der  Fälle  (i.  G.  über  50  Injectionen) 
anmittelbar  nach  der  Injection  geringer  Schmerz,  der  in  der  anderen 
Hälfte  ganz  fehlte..  Ein  völliges  Ausbleiben  der  späteren  reactiven 
Entzfindungserscheinungen  war  geradezu  eine  Ausnahme.  In  circa 
25  Procent  verwandelte  sich  die  entzündliche  Infiltration  binnen  2 
big  4  Tagen  in  einen  regelrechten  Abscess,  dessen  Inhalt  entweder 
von  anscheinend  reinem  Eiter  hergestellt  war,  oder  hämorrhagisch- 
eitrig  sich  zeigte  mit  spärlichen  Beimischungen  von  Resten  des  Prä- 
parates in  Form  von  Fettaugen  und  -Kflgelchen.  Schnelle  Heilung 
der  gespaltenen  Abscesse. 

So  oft  ich  den  Harn  während  dieser  Behandlung  auf  Hg-6ehalt 
prüfte,  habe  ich  niemals  auch  nur  eine  Spur  des  Metalles  nachweisen 
können. 

Mercurielle  Nebenerscheinungen  fehlten  völlig. 

Ob  ein  Einfluss  auf  den  Syphilisprocess  stattgefunden,  ist  mir 
sehr  zweifelhaft    Bei  dem  ersten  Patienten  war  in  3  Wochen  die 


1)  Rp.:        Hydrarg.  oleinic.  (15  Proc.)      2,0, 

Ol.  amygd.  dulc 20,0, 

M.  leni  calore. 
Ea  resultirt  eine  fast  völlig  klare  Lösung,  die  sich  indess  meist  nach  12— 24  stan- 
digem Stehen  stark  trübt  (HgO-Abscheidung?). 

OtotaebM  Archiv  f.  klln.  Madicin.   XXIV.  Bd.  10 


146  VI.  FORBBDiaBR 

Koseola  geschwunden,  in  den  übrigen  Fällen  war  selbBt  am  Ende 
der  4.  und  5.  Woche  keine  wesentliche  Aenderung  eingetreten,  aller- 
dings auch  keine  progressive  Gestaltung  der  Exantheme  ersichtlich. 
Letztere  wurden  durch  eine  Inunctionscur  mit  grauer  Salbe  in  weniger 
als  einer  Woche  beseitigt. 

Berechne  ich  die  Menge  des  injicirten  Quecksilbers,  die  sich  für 
den  Tag  auf  kaum  3  Milligrm.  durchschnittlich  stellt  (Vs  Spritze 
etwa  0,007  Hg  entsprechend),  bedenke  ich  die  Schwerlöslichkeit 
des  Präparates  und  vor  Allem  seine  Geneigtheit  zur  Reduction,  so 
kann  ich  nur  annehmen,  dass  hier  eine  zum  Nachweis  im  Harn  und 
zur  Entfaltung  deutlicher  antisyphilitischer  Wirkung  durchaus  insof- 
ficiente  Quote  resorbirt  worden  ist,  und  stehe  trotz  der  spärlichen 
Versuche  im  Hinblick  auf  die  Unmöglichkeit  einer  wesentlichen  Er- 
höhung  der  Dose  ohne  Schaden  fttr  den  Patienten  nicht  an,  vor 
einer  Behandlung  der  Syphilis  mit  subcutanen  Injectiouen  von  queck- 
silberoleünathaltigen  Präparaten  zu  warnen. 

3.   Sttheatane  Ii^eetionen  tou  Qaecksilberjodld-Jodkallum. 

Die  Eigenschaft  des  rothen  Jodquecksilbers,  mit  Jodkalium  direet 
ein  leicht  lösliches  Doppelsalz  zu  bilden,  hat  so  manchen  Arzt  ver- 
anlasst, eine  dergestalt  gewonnene  Lösung  zur  subcutanen  Einver- 
leibung zu  benutzen. 

Was  nun  zunächst  die  locale  Einwirkung  und  Verträglichkeit 
überhaupt  dieses  Präparates  anlangt,  so  gehen  die  Ansichten  anschei- 
nend unerklärlich  .auseinander.  So  berichtet  man  von  dem  Ausblei- 
ben eines  jeden  ttblen  Zufalls  bei  Injectionen  von  0,02  Jodidgehalt 
(Aimä  Martin  1)),  von  völliger  Reizlosigkeit  einer  Iprocentigeo 
Lösung  von  Na2HgJ4  ^),  des  Bouilhou'schen  Präparats,  zu  1  Ccm. 
injicirt  (Felix  Bricheteau^)),  während  von  anderer  Seite  den- 
selben Lösungen  „Schmerzhaftigkeit^  und  » Beizzustände  ^  zugeschrie- 
ben werden  (L6on  Labbö^))  und  von  noch  anderen  Autoren  betont 
werden  intensive  Schmerzen,  stundenlange  entzündliche  Schwel- 
lung bei  Application  einer  3procentigen  Lösung  (F.  v.  Wil le- 
hr and  ^)),  tagelange  heftige  Schmerzen,  Abscessbildung ,  Verschor- 


1)  Gftz.  des  Höp.  112  (1869). 

2)  Die  Alkalibase  (K,  Na)  ist  hier  ziemlich  irrelevant    Vielleicht  kommt  der 
Natronverbindung  eine  etwas  geringere  Irritation  zu. 

3)  Bullet,  de  Th^r.  76  (1869). 

4)  Gaz.  des  Hdp.  124  (1869). 

5)  Finska  l&kar.  Handling.  XII  (1870).    Bef.  in  Schmidt's  Jahrb.  150. 


Mercmialien  bei  Syptulis.  147 

fang  der  Haut  bei  lojeetion  von  0,5  einer  l,2prooentigen  Solution 
(K.  R.  Paqyalin^)),  endlich  ekchymosenartige  Scborfbildung,  Ulce* 
rationen  und  constante  Entwicklung  von  Indurationen  von  Wochen- 
daaer  bei  Anwendung  einer  Iprocentigen  Lösung  (S.  EngeUted^)). 

BeeQglich  der  Wirkung  auf  den  syphilitischen  Process  melden 
die  ersteren  Autoren  im  Allgemeinen  günstige  Erfolge,  ja  selbst  Hei- 
lung der  Syphilis  bei  Verbrauch  von  wenigen  Gentigrammen  des 
Jodids,  während  Paqyalinin  mehreren  F&llen  keine  Wirkung,  aber 
zahlreiche  Recidive  beobachtete,  endlich  Engelsted  dem  unsuver- 
Itoigen  Mittel  geradezu  Nachtheiie  vindicirt.  Der  Letztere  hat  in 
SO  Proc.  seiner  Fülle  (durchschnittlich  14  Injectionen)  eine  andere 
Behandlung  einschlagen  müssen. 

Ein  Rückblick  auf  diese  Angaben  lässt  nun  trotz  manchen  Wider- 
spraehs  die  Thatsache  nicht  verkennen,  dass  Verträglichkeit  und 
Wirkung  des  Präparates  im  Allgemeinen  Yon  der  Concentration  der 
Lösung  abhängen,  derart,  dass  die  erstere  mit  dem  Gehalte  der  Solu- 
tion an  Jodid  ab-,  die  letztere  zunimmt. 

Es  galt  also  vor  Allem,  diesem  Dilemma  wirksam  zu  begegnen ; 
hierfür  glaubte  ich  zunächst  die  Betheiligung  des  die  Lösung  ver- 
mittelnden Jodkaliums  an  der  örtlichen  Reizwirkung  prüfen  zu 
mfissen,  um  so  mehr,  als  die  genannten  Autoren  sich  schwankender 
Mengen  dieses  Salzes  zur  Lösung  des  Quecksilberjodids  bedient  3) 
and  demgemäss  verschieden  concentrirte  Salzlösungen  angewendet 
haben. 

Bezüglich  dieses  letzteren  Punktes  war  zu  erwägen  einerseits 
die  (additive)  reizende  Wirkung  des  Jodkaliums  bei  der  Wahl  eines 
beträchtlichen  Ueberschusses  desselben,  andererseits  bei  Benutz- 
uog  einer  der  chemischen  Formel  HgJ2,  2  KJ  entsprechenden  Quote 
die  Möglichkeit  einer  durch  schnellere  Resorption  ^)  des  Jodkalium- 


1)  Ak.  afhandl  1871  (Ref.  in  Schmidfs  Jahrb.  153). 

2)  Nord.  med.  ark.  III  (1871).  .Ref.  in  Schniidt*8  Jahrb.  153. 

3)  Während  Engelsted  die  Gewichtsmengen  des  Hg- Jodids  und  Jodkaliums 
gleieh  w&hlt,  benatzt  Paqvalin  einen  10  fachen  Ueberschuss  des  letzteren ;  auch  die 
übrigen  Autoren  haben  sich  des  eigentlichen  Quecksilber- Jodid- Jodkaliums  von  der 
Zagammensetzung  KsUgJjnHgJt,  2KJ  (oder  des  entsprechenden  Natronsalzes) 
bedient,  ich  sage  des  eigentlichen,  weil  es  in  der  That  diese  Verbindung  ist, 
welche  bei  wechselnden  Ueberscbassen  von  ^odkalium  in  gleicher  Weise  aus- 
IcrystaUisirt,  and  nicht  das  Doppelsalz  2KHgJ3 -hH30^2HgJt,  2KJ  +  HsO. 

4)  Die  Neigung  des  Salzes  zur  Zersetzung  in  seine  Componenten  ist  eine  ganz 
frappante.  So  genügte  ein  directer  Zusatz  von  einem  Tropfen  frischen  Harns  zu 
ca.  20  Ccm.  der  Lösung  des  krystallisirten  Salzes,  am  bei  Erw&rmung  die  gesammte 
Meoge  des  Hg-Jodids  ausfallen  zu  machen.    Ja,  als  ich  wenige  Monate  nach  dem 

10* 


148  VI.  FfiRBBlHQBR 

gehaltes  der  Doppelverbindung  bedingten  Abscheidong  des  sebwer 
löslicben  QnecksilberjodidB,  mit  dessen  ätzender  Wirkung  das  Unter- 
hantbindegewebe sich  gewiss  nicht  friedlich  stellen  konnte. 

Nur  das  Experiment  konnte  hierüber  Auskunft  geben. 

Ich  habe,  um  zugleich  die  Maximalgrenze  der  Conoentration  für 
die  Verträglichkeit  des  Präparates  zu  bestimmen,  sowohl  fttr  die 
reinen  Doppelsalzlösungen,  wie  für  jene  mit  einem  Ueberschuss  von 
Jodkalium  3  verschiedene  Goncentrationen  (Vs,  1,  2  Proc.  Hg- Jodid) 
benutzt 

Im  Ganzen  wurden  8,  durchweg  an  frischen  Secundärsymptomen 
(Flecken  und  Papeln)  leidende  Patienten  mit  Ober  160  Einzelinjec- 
tionen  (0,5  bis  1  Ccm.  der  (jösung)  in  1— 2tägigen  Intervallen  3  bis 
5  Wochen  lang  behandelt. 

Es  zeigte  sich  nun  bezüglich  der  localen  Wirkung,  um  zu- 
sammenfassend zu  berichten,  Folgendes: 

a)  Beine  K2HgJ4-Lösungen^). 

Solutionen  von  2  Proc.  HgJi-Gebalt  (Hydrarg.  bijodat  0,2,  Ealii 
jodat.  0,146,  Aq.  dest.  10,0  oder  Hydrarg.  bijod.  cum  Kai.  jod.  0,346, 
Aq.  dest.  1 0,0  ^))  riefen  ausnahmslos  heftige  Schmerzen  und  entzünd- 
liche Reaction  hervor,  so  dass  nach  einigen  wenigen  Versuchen  von 
dieser  Losung  Abstand  genommen  werden  musste.  In  einem  Falle 
entstand  ein  Abscess,  in  einem  anderen  ausgedehnte  Hautverschorfung 
mit  nekrotischer  Exfoliation  und  wochenlanger  Granulation. 

Lösungen  von  1  Procent  Hg Js -Gehalt  (0,1  :  0,073  :  10,0,  resp. 
0,173:10,0)  wurden  ebenfalls  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  schlecht 
vertragen,  so  dass  trotz  Befolgung  aller  Gautelen  Infiltration  und 
selbst  Abscessbildung  nicht  verhütet  werden  konnte. 

Dagegen  erwiesen  sich  Solutionen  von  V2  Proc.  Hg  Js- Gehalt 
(0,05  :  0,037  :  10,0,  resp.  0,087 :  10,0)  insofern  verträglich,  als  in  der 


Auskrystallisiren  des  Präparates,  während  ▼elcher  dasselbe  verschlossen  aufbe- 
wahrt worden  war,  Lösungen  in  destillirtem  Wasser  anfertigen  wollte,  gelang  dies 
überhaupt  gar  nicht  mehr,  da  bei  einfacher  Benetxung  der  gelben  Krystalle  die- 
selben in  rothes  Hg-Jodid  zerfielen,  während  der  gesammte  Jodkaliumgehalt  vom 
Wasser  aufgenommen  wurde.  Um  wie  viel  mehr  dürften  die  complicirten  Ldsungea 
der  warmen  ^örperflüssigkeiten  diese  Zersetzung  begünstigen  I 

1)  Es  war  völlig  gleichgültig,  9b  dieselben  aus  Hg-Jodid  und  Jodkalium  a 
tempore  bereitet  wurden,  oder  ob  das  fertige  Präparat  (aus  der  Merc kuschen 
Fabrik)  benutzt  wurde.  Letzteres  bildete  schön  gelbe  hygroskopische  Krystalle 
von  intensiv  ätzendem  Geschmack,  ähnlich  jenem  des  Sublimats. 

2)  Nach  der  Formel  entspricht  1,0  HgJs  ziemlich  genau  1,73  des  Doppel- 
salzes bezüglich  des  HgJs-  resp.  Hg-Gehaltes. 


Mercorialien  bei  Syphilis.  149 

Hälfte  der  Fälle  die  Schmerzen  unmittelbar  nach  der  Injection  gering, 
in  der  anderen  Hälfte  massig  waren,  jene  entzündlichen  Infiltrationen 
etwa  in  20  Proc.  auftraten  und  nur  einmal  sieh  ein  regelrechter 
Äbscess  entwickelte.  Fast  constant  dagegen  resultirten,  auch  bei 
geringer  Schmerzhaftigkeit,  mehr  oder  minder  umfängliche,  durch 
Wochen  und  Monate  dauernde  knotige  Hautinfiltrationen ,  wie  sie 
Eiigelsted  ausnahmslos  beobachtete. 

b)  Lösungen  von  HgJs  mit  bedeutendem  (5  —  lOfachem) 

Ueberschuss  von  JE. 

Dieselben  wurden  durchweg  noch  schlechter  vertragen  als  die 
der  Formel  entsprechenden  Lösungen  mit  gleichem  Hg-Gehalt,  derart, 
dass  selbst  bei  einem  Hg  J2- Gehalt  von  nur  ^'2  Proc.  fast  constant 
über  lebhafte  Schmerzen  nach  der  Injection  geklagt  wurde  und  die 
fibrigen  genannten  Consequenzen  entschieden  häufiger  sich  ent- 
wickelten. — 

Den  Harn  habe  ich  nur  einige  wenige  Male  auf  Hg-6ehalt  ge- 
prüft, der  sich  auch  während  der  Behandlung  unzweifelhaft  docu- 
mentirte,  und,  wenn  grössere  Mengen  (2 — 3  Liter)  der  Analyse  unter- 
worfen wurden,  ziemlich  reichlich  ausfiel. 

Auffällige  Nebenerscheinungen  habe  ich  nicht  mit  Sicherheit 
coDstatiten  können.  Vielleicht  bestand  in  einem  oder  dem  anderen 
Falle  eine  leichte  mercurielle  Salivation.  Was  endlich  die  Wir- 
kung auf  die  syphilitischen  Manifestationen  anlangt,  so  war  sie  auf 
das  Sichtlichste  vorhanden  bei  täglichen  Injectionen  von  je  1  Ccm. 
der  2procentigen  Lösung,  und  zwar  erfolgte  sie  in  prompter  Weise, 
ganz  ähnlich  wie  bei  Injectionen  von  Sublimat  und  Sublimatverbin- 
dangen  von  entsprechendem  Hg-6ehalte.  Entschieden  träger  gestal- 
tete sich  die  Wirkung  bei  Anwendung  der  schwächeren  Solutionen, 
ja  bei  2  tägigen  Einzelinjectionen  von  0,5  Gem.  der  V^procentigen 
Lösung  verharrten  selbst  Roseola  und  Hautpapeln  während  einer 
3  wöchentlichen  Behandlung  im  Wesentlichen  in  ihrer  Form  und  Aus- 
dehnung, so  dass  zu  anderen  Curen  geschritten  werden  musste.  Vier 
Patienten,  die  sich  mir  nach  Wochen  oder  Monaten  nach  ihrem  Aus- 
tritte ans  meiner  Behandlung  wieder  vorgestellt,  litten  an  zwar  leich- 
ten, aber  unzweideutigen  Recidiven. 

Berechnen  wir  den  Hg-Gehalt  der  V2  procentigen  Lösung,  so  stellt 
er  sich  für  die  Einzeldose  (0,5  Ccm.)  und  den  Zeitraum  von  durchschnitt- 
lich 48  Stunden  noch  nicht  auf  V»  Centigrm.  (genau  ^^^/4&4  Milligrm.j, 
welche  ]|{inimaimenge  höchst  wahrscheinlich  nicht  einmal  in  toto  sAh 
losliches  Präparat  zur  Resorption  gelangt  (b.  n.). 


150  VI-  FOBBRIMGEB 

Resumä:  Die  Behandlung  selbst  frischer  und  leichter  Syphilis- 
formen  mit  subcutanen  Injectionen  von  Kalium  -  Hydrargyri  -  Jodid 
bietet  keinerlei  Vortheile  vor  der  Behandlung  mit  hypodermatischen 
Einspritzungen  von  Quecksilberohlorid|  Kochsalz-Sublimat,  Hg-Albu- 
minat  oder  -Peptonat.  Im  Gegentheil  werden  Lösungen  des  Doppel- 
salzes  mit  einem  Hg-Jodidgehalt  von  1  Proc  schlechter  vertragen,  als 
Iprocentige  Lösungen  von  Sublimat  oder  den  genannten  Sublimat- 
Verbindungen.  Diese  aber  wirken  durch  ihren  höheren  Hg-Gehalt 
(1  Gem.  »=  ca.  7,5  Milligrm.  Hg)  im  Allgemeinen  kräftiger,  als  jene 
(1  Ccm.  —  ca.  4,5  Milligrm.  Hg).  Lösungen  von  2  Proc.  Hg-Jodid- 
gehalt, die  ihrem  Hg -Gehalt  nach  (1  Ccm.  =  8--9  Milligrm.)  Ipro- 
centige Sublimatlösungen  übertreffen,  scheinen  zwar  mindestens  gleich 
intensiv  zu  wirken  wie  die  letzteren,  sind  aber  als  fast  durchweg  un- 
verträglich zu  verwerfen.  Ein  Ueberscbuss  von  Jodkalium  befördert 
nicht  nur  nicht  die  Verträglichkeit  des  Präparates,  sondern  erhöht  die 
localreizende  Wirkung  desselben  durch  Goncentration  der  Lösung. 

Es  ist  mir  wahrscheinlich,  dass  ohne  Rücksicht  auf  die  Menge 
des  mit  dem  Hg-Jodid  vergesellschafteten  Jodkaliums  das  Doppelsalz 
im  Unterhautraum  unter  dem  Einfluss  der  complicirten  Organsäfte 
und  der  Körpertemperatur  sehr  bald  zerlegt  wird,  und  dass  durch 
Ausfällung  des  Hg -Jodids  einmal  der  Localreiz  beträchtlich  erhöht 
wird  (ähnlich  wie  durch  Calomel)  und  des  Ferneren  die  Resorption 
verzögert  wird,  mithin  die  Wirkung  sich  etwas  langsamer,  aber  nach- 
haltiger (allmähliche  Ueberföhrung  dei^  Jodids  in  lösliches  Chlorid) 
als  bei  Sublimatinjectionen  gestaltet 

4.    Subcutane  Injeetlonen  Ton  salpeter-,  essig-  und  milebBaurem 

QueeksilberoxyduL 

Bei  Gelegenheit  der  Mittheilungen  von  Behandlungsmethoden 
fttr  phagedänische  Geschwüre  vindicirt  G.  E.  Weisflog 0  dem  sal- 
petersauren Quecksilberoxydul  in  der  Form  der  subcutanen  Injection 
ausgezeichnete  Eigenschaften :  „  Man  hat  hier  nicht  zu  besorgen,  neue 
gangränöse  Geschwüre  zu  pflanzen,  wie  dies  bei  Sublimatinjectionen 
der  Fall  ist;  ausserdem  ist  die  Injection  viel  schmerzloser,  führt 
an  nicht  schon  entzündeten  Stellen  nie  zu  Abscessen  und  incor- 
porirt  dem  Organismus  eine  viel  grössere  Quantität  ge- 
lösten  Quecksilbers,  als  dies  bei  Benutzung  anderer 
Präparate  dieses  Metalls  der  Fall  ist,  ohne  zu  Salivation 
zu  führen.^    Sehen  wir  nun  nach  der  Art  der  subcutanen  Einver- 

1)  Virchow*s  ArchiY.  Bd.  66. 


Mercorialien  bei  Syphilis.  151 

leiboog;,  wie  sie  der  Autor  übt,  so  finden  wir,  dass  er  sich,  „  obgleich 
die  ftosseren  Dosen  dieses  Präparates  so  tolerant  sind,  dass  selbst 
sehr  eonoentrirte  Lösungen  zu  subcutanen  Injectionen  ver- 
wandt werden  können ',  far  gewöhnlich  eines  nach  der  Formel  : 

Rp.:     Hydrarg.  nitric.  oxydnl.  cryst.  0,5. 
Solve  in 
Aq.  deatill.  50,0.     D.  solatio  limpida 

angefertigten  Pr&parates  bedient  Dasselbe  wird  alle  14  Tage  wegen 
befürchteter  Salivation  nur  e  i  n  Mal  injicirt  (in  welcher  Menge  wird 
nicht  genannt).  Weiterhin  wird  noch  einmal  die  „ grosse  Toleranz" 
gegen  solche  Injectionen  betont,  und  nach  Jahresfrist,  d.  i.  im  Jahre 
1877 ^)y  spricht  der  Verfasser  noch  einmal  wörtlich  aus:  »Die  wäss- 
rige  Lösung  des  salpetersauren  Quecksilberoxyduls ,  subcutan  in- 
jicirt, besitzt  die  Eigenthttmlichkeit,  an  nicht  bereits  entzündeten 
Körperstellen  niemals  Abscesse  heryorzurufen,  an  bereits  entzün- 
deten oder  entzündlich  gereizten  hingegen  ausnahmslos  Abscesse  zu 
eraengen.*'  Der  Inhalt  dieser  Abscesse  soll  sich  durch  „eigenthttm- 
liehe  Chokoladefarbe"  von  dem  anderer  unterscheiden. 

Ich  habe  nun  nicht  gewagt,  solche  Injectionen  zu  wiederholen, 
am  auch  meinerseits  zur  Lösung  der  wichtigen  Frage  der  » Abortiv- 
behandlnng  der  Syphilis*'  mit  beizutragen,  aber  ich  leugne  nicht, 
dass  die  vom  Autor  gepriesene  überaus  glückliche  Gombination 
zweier  für  die  Injection  von  Quecksilberlösungen  höchst  werthvollen 
Eigenschaften :  Goncentration  der  Lösung,  d.  i.  beträchtlicher  Hg-6e- 
halt  und  grosse  Toleranz  derselben  bei  sicherer  Vermeidung  von 
Abscessen,  mich  lebhaft  gelockt  hat  zur  Aufnahme  der  Weisf logi- 
schen Injectionen  zur  Behandlung  von  Secundärsyphilis,  um  so  mehr, 
als  alle  übrigen  von  mir  in  dieser  Hinsicht  versuchten  Präparate  an 
dem  bedanerlichen  Dilemma  laborirten,  bei  stärkerer  Goncentration 
zwar  in  prägnanter  Weise  auf  syphilitische  Erscheinungen  zu  wirken, 
aber  kaum  vertragen  zu  werden,  bei  zunehmender  Verdünnung  zwar 
als  nach  und  nach  verträglich,  aber  wegen  des  wachsenden  Wir- 
kungsmangels als  nicht  praktisch  verwerthbar  bezeichnet  werden  zu 
müssen. 

Meine  Versuche  haben  folgende  Resultate  geliefert: 
Zunächst  beobachtete  ic(h,  dass  beim  Versuch,  1  procentige  Lösun- 
gen des  Präparates  2)  in  der  Wärme  herzustellen,  entweder  sofort 
oder  nach  wenigen  Minuten  eine  Quote  des  Salzes  schmutzig  grün- 

'  1)  Yirchow'B  Archiv,  fid.  69. 
2)  Reinates  HgNOs-f  HiO,  in  schwarzem  Glase  wohl  yerschlossen  von  der 
Merck *schen  Fabrik  abgegeben.    Farblose  monokliue  Krystalle. 


152  VI.  FüBBRIKGER 

gelb  sich  verfärbte,  ohne  überhaupt  in  Lösung  zu  gehen.  Es  wurde 
deshalb  kaltes  destillirtes  Wasser  angewandt,  das  indess  beim  Con- 
tact  mit  dem  fein  zerriebenen  Präparat  nur  einen  Theil  desselben 
aufnahm,  einen  anderen  ganz  allmählich  in  gelbgrünes  unlösliehes 
Pulver  verwandelte.  Ein  Blick  in  die  chemischen  Handbücher  sagte 
mir  denn  auch,  dass  unser  Präparat  „in  grösseren  Mengen  kalten 
Wassers  nicht  ohne  Zersetzung  löslich"  ist^)  und  dass  jenes 
gelbgrQne  basische  Salz  als  Halbnitrat  („Turpethum  nitrosum'')  auf- 
zufassen sei. 

G.  E.  Weisflog  verlangt  aber  eine  klare  Lösung,  d.  h.  die 
Filtration  der  Mischung  Seitens  des  dispensirenden  Apothekers.  Wel- 
ches ist  aber,  frage  ich,  der  Hg-Oehalt  eines  solchen  Filtrats,  dem 
eine  Hg -haltige  Verbindung  entzogen?  Enthält  es  wirklich  noch 
immer  eine  „viel  grössere  Quantität''  gelösten  Quecksilbers  als  z.  B. 
eine  Iprocentige  Sublimatlösung?  Ich  glaube,  der  Autor  wird  ab- 
lassen, an  dieser  Behauptung  festzuhalten,  wenn  ich  ihm  sage,  dass, 
gesetzt  selbst,  es  löste  sich  das  gesammte  Oxydul  un- 
zersetzt  (was  bei  Iprocentigem  Gehalt  niemals  der  Fall),  in  je 
1  Gem.  einer  Iprocentigen  Lösung  von  salpetersaurem  Quecksilber- 
oxydul unter  7,3  Milligrm.  (genau  ^V)  Hg  enthalten  sein  virürde, 
dass  aber  1  Ccm.  einer  Iprocentigen  Sublimatlösung  über  7,3  Milli- 
gramm (genau  ^^0^/211)  Hg  enthält. 

Ich  habe  nun  aber  auch  jene  in  der  Kälte  gesättigte  filtrirte 
Lösung,  die  also  unter  1  Proc.  des  Oxyduls  enthalten,  auf  ihre  Wir- 
kung auf  das  normale,  ungereizte  Unterhautgewebe  geprüft  und  bin 
nach  einigen  wenigen  Injectionen  zu  dem  Resultat  gelangt,  dass  zwar 
der  Schmerz  unmittelbar  nach  der  Injection  (l  Ccm.)  allerdings  gering- 
fQgig,  ja  kaum  vorhanden  ist,  dass  aber  regelmässig  nach  wenigen 
Stunden  recht  lebhafte  Schmerzen  eintreten  und  am  anderen  Tage  die 
deutlichsten  reactiven  Entzündungserscheinungen  entwickelt  sind,  die 
entweder  zu  hämorrhagischen  Infiltraten  mit  nachträglicher  wochen- 
und  monatelanger  Knotenbildung,  oder  aber  zu  regelrechter  Abscess- 
entwicklung  führen.  Nur  eine  einzige  Injection  konnte  als  tolerant 
bezeichnet  werden. 

Ich  suche  den  Grund  für  diese  Erscheinung  in  der  Thatsache, 
dass  bei  Contact  der  Lösung  des  Oxyduls  mit  albuminhaltigen  Kör- 
perflttssigkeiten  ein  voluminöser  Niederschlag  entsteht,  anfangs  weiss, 
sehr  bald  durch  Reduction  grau,  der  sich  kaum  mit  den  Wänden 

1 )  Was  bereits  die  Pbarmacopoea  German.  (»non  sine  decompositione  in  aqua 
Bolveos** )  anfuhrt,  welche  eben  deshalb  xur  Herstellung  des  Liquor  Hydrarg.  nitr. 
exydulat.  deu  Zusatz  voo  freier  Salpetersäure  vorschreibt 


Mercorialien  bei  Syphilis.  153 

des  yitalen  Uoterhaatraams  vertraglich  stellen  dürfte ,  wenn  man 
bedenkti  dafls  es  sich  hier  um  die  Bildung  von  corrosiyem  salpeter- 
saurem  Quecksilber oxyd  handelt 

Ich  habe  aus  den  genannten  Gründen  die  Versuche  sehr  bald 
als  unzweckmfissig  aufgeben  müssen  und  kann  deshalb  auch  weder 
über  Elimination  noch  resorptive  Allgemeinwirkung  berichten. 

liit  der  Wahl  des  essigsauren  und  milchsauren  Queck- 
silberoxyduls  bin  ich  nicht  wesentlich  glücklicher  gewesen,  so 
plaasibel  die  milden  Eigenschaften  dieser  Salze  auch  die  Verträg- 
lichkeit gemacht. 

Misslich  ist  bei  diesen  Salzen  (schneeweisse  Merck 'sehe  Prä- 
parate) zunächst  ihre  schwer  zu  überwältigende  Neigung,  sich  unter 
Lichteinfluss  zu  reduciren  und  ihre  Löslichkeit  herabzustimmen.  Diese 
letztere  anlangend  habe  ich  für  das  Acetat  als  stärkste  ConcentratioD, 
die  wenigstens  für  einige  Tage  dem  Licht  widersteht,  das  Verhältniss 
ron  1 :  ca.  300,  für  das  Lactat  0  dasjenige  Yon  1  :  ca.  250  erhalten. 
Aber  selbst  diese  Hg-armen  Solutionen  wurden  nicht  durchweg  ver- 
tragen,  so  schmerzlos  auch  die  Injection  für  die  ersten  Stunden  sich 
erwies.  Auch  hier  traten  zuweilen  spätere  entzündliche  Infiltrationen 
auf,  so  dass  ich  auch  für  diese  Verbindungen  von  einer  Oxydbil- 
duDg  ^)  in  loco  applicationis  überzeugt  bin.  Dies  und  die  Erwägung, 
daas  die  dem  Organismus  durch  eine  Injection  von  1  Com.  der  be- 
treffenden Lösung  zugeführte  Menge  Hg  (für  das  Acetat  ^^^259  ="  ca. 
2>;2  Milligrm.,  für  das  Lactat  ^<^<^/289  =  ca.  3  Milligrm.)  für  prägnante 
antisyphilitische  Wirkungen  als  entschieden  zu  gering  veranschlagt 
werden  musste,  bestimmte  mich  sehr  bald,  von  weiteren  Injectionen 
and  somit  vom  Studium  ihrer  resorptiven  Wirkungen  abzustehen. 
Hit  Befriedigung  lese  ich,  dass  auch  andererseits  die  Versuche  der 
sabeatanen  Einverleibung  dieser  beiden  Salze  des  Schmerzes  und 
Widerwillens  der  Kranken  halber  als  unzweckmässig  aufgegeben 
worden  sind  (v.  Sigmund^),  ZeissH)).  — 

Blicke  ich  zurück  auf  die  vorstehenden  Beobachtungsresultate 
und  vergleiche  ich  mit  ihnen  die  Wirkungsweise  und  Verträglichkeit 


1)  IMeses  Salz  geht  ähnlich  dem  Oxydulnitrat  schon  beim  Gontact  mit  kaltem 
Wasser  mne  aUm&hliche  Zersetzang  in  eine  unlösliche  0-&rmcre  Verbindung  ein. 
Durch  Digestion  bei  Tageslicht  wird  eine  rapide  Reduction  unter  Bildung  von 
Uxyds&b  eingeleitet. 

2)  Eine  solche  ist  bereits  nachweisbar  beim  Gontact  der  OxyduUdsungen  mit 
einfachen  Albuminsolutionen. 

3)  Wiener  med.  Klinik.    1876. 

4)  Grandriss  der  Syphilis.   IST 6. 


154  VI.  FOBBRINOER 

der  SablimatiBJectioneni  in  Sonderheit  jener  des  AlbaminatB«  Pepto- 
nats  and  der  Chlornatriamyerbindang ,  80  will  es  mir  aeheinen,  als 
ob  für  die  subcutane  Behandlnngamethode  der  Syphilis 
(ganz  abgesehen  von  ihren  Vorzttgen  und  Nachtheilen  gegenüber  den 
anderen  Mercurialisationsmethoden)  die  Wahl  anderer  und  anderer 
Präparate  aus  dem  reichen  Vorrath  der  Quecksilberverbindungen 
wenig  Chancen  für  eine  günstigere  Lösung  des  Hauptproblems  bieten 
sollten.  Ich  meine  unter  letzterem  die  Aufgabe,  mittelst  spärlicher 
(etwa  allwöchentlicher)  Injectionen  prompt,  ergiebig  und 
nachhaltig  zugleich  zu  wirken  bei  sicherer  Vermeidung 
von  Schmerzen  und  entzündlicher  Infiltration.  Dieses 
Problem  ist  noch  nicht  gelöst:  Gehen  wir  aus  von  dem  Dreh-  und 
Schwerpunkt  der  mercuriellen  AUgemeinwirkungi»  d.  i.  der  Lieferuiig 
einer  gewissen  Menge  von  im  Blute  kreisender  löslicher  (in  wirk- 
samer Form  resorbirter)  Verbindung  in  der  Zeiteinheit,  so  wächst 
ceteris  paribus  mit  der  Schnelligkeit  der  Resorption  die  Erschöpfung 
des  medicamentösen  subcutanen  Depots  und  somit  die  Noth wendig- 
keit, dasselbe  durch  häufige  Injectionen  zu  ersetzen  (leicht  lös- 
liche, beständige  Oxydverbindungen),  während  andererseits 
eine  langsamere  Resorption  zwar  die  Frequenz  der  (immer  lästigen) 
Manipulationen  vermeidet,  aber  nicht  die  Einverleibung  grosser  Dosen, 
die  zudem  eine  momentane  Wirkung  versagen  (das  Metall  selbst, 
schwer  lösliche  und  zur  Zersetzung  geneigte  [namentiicb 
Oxydul-]  Verbindungen)  1). 

5.  QueeksilberoleYnatlialtige  Suppositorien. 

Ueber  die  Behandlung  der  Syphilis  durch  Einwirkung  queck- 
silberhaltiger Präparate  auf  die  Mastdarmschleimhaut,  speciell  von 
graue  Salbe  enthaltenden  Suppositorien  finde  ich  von  zwei  Autoren 
wenig  übereinstimmende  Berichte:  Während  nämlich  ZeissP)-bei 
Application  von  0,75  Ung.  ein.  auf  1,5  und  3,0  Ung.  ceti  pro  dosi 


1)  Man  sieht,  dass  im  Wesentlichen  hier  die  Voit*8chen  Gruppen  wieder- 
kehren. Es  unterscheidet  bekanntlich  der  Autor  nach  der  Lieferung  wirksamer 
Substanz  in  das  Blut  3  Reihen:  t)  Die  Gruppe  des  Metalls  (langsamste  Lie- 
ferung, langsamste  Wirkung,  sicherste  constitutionelle  Wirkung).  2)  Die  Gruppe 
des  Galomels  nebst  Oxydul,  Oxyduisalzen,  BromOr,  JodOr  und  Snlfnret  3)  Die 
Gruppe  des  Sublimats  nebst  Oxyd,  löslichen  Oxydsahsen,  Bromid  und  Jodid. 
Hier  erzielen  kleinste  Gaben  dieselben  constitutionellen  Erfolge,  wie  die  Reprisen- 
tauten  der  beiden  ersten  Reihen,  welche  viel  weniger  Chlorid  in  der  2Mtetnb«t 
liefern. 

2)  Grundriss  der  Syphilis.  1876. 


Mercaruüien  bei  Syphilis.  155 

et  die  die  Sehleimbaut  des  Reetums  durch  die  Zäpfchen  direct  nicht 
afficirt  sah,  als  raereurielle  Nebenencheinangen  höchstens  Sym- 
ptome der  „  beginnenden  Mundaffection  ^  beobachtete  and  recente  oder 
recidive  papulöse  Eruptionen  zum  Schwinden  brachte,  theilt  v.  Sig- 
mund Oi  der  als  Vehikel  Cacaobntter  und  eine  wesentlich  höhere 
Dose  der  grauen  Salbe  (4,5: 1,5)  wählte,  Folgendes  mit: 

1.  Die  Mehrzahl  der  Behandelten,  und  zwar  ttber  Vsy  wurde  bei 
täglicher  Einfflhrung  der  Suppositorien  von  Tenesmus  und  Darm- 
katarrh befallen  in  einer  Weise,  dass  eine  planmftssige  Behandlung 
fQr  mehrere  Wochen  nicht  durchgeführt  werden  konnte.  Einzelne 
Patienten  ertrugen  das  Mittel  kaum  2—4  Stunden. 

2.  Stomatitis  nnd  Salivation  traten  fast  constant  auf. 

3.  Der  Verlauf  der  syphilitischen  Exantheme  (frische  Papeln, 
grodsmaculöse,  pustulöse  und  psoriatische  Formen)  wurde  durch  die 
BebandluDg  nicht  wesentlich  alterirt^). 

Soviel  geht  aus  diesen  Beobachtungen  hervor,  dass  eine  Besorih 
tion  des  Präparates  von  der  Mastdarmscbleimhaut  unmittelbar  bestand 
nnd  diese  Thatsache,  die  ihrerseits  die  Möglichkeit  einer  gttnstigen 
antisyphilitischen  Wirkung  involvirt,  vereint  mit  der  Vorstellung  der 
denkbar  bequemsten  magenschonenden  Behandlung  der  Syphilis,  falls 
es  gelänge,  sie  zu  einer  schmerzlosen  zu  gestalten,  genttgte  mir  zur 
Wiederaufnahme  der  Versuche  in  veränderter  Form :  Ich  wählte  näm- 
lich mit  Bticksicht  auf  die  bereits  genannten  Erwägungen  (s.  Nr.  2) 
statt  der  grauen  Salbe  das  Ölsäure  Quecksilberoxyd.  Als  Vehikel 
fQr  die  Suppositorienform  habe  ich  nach  Ausprobung  verschiedener 
Fette  mit  niedrigem  Coagulationspunkt  das  Ol.  Gaoao  am  besten  be- 
funden und  zwar  in  folgei\der  Composition: 

Rp.:     Hydrarg.  oleYnic.  (15  Proc), 

Ol.  Cacao  ana  10,0. 
M.  f.  Supposit.  Nr.  X. 

Mit  solchen  Suppositorien  habe  ich  5  Syphiliskranke  (darunter 
2  Weiber)  mit  recenten  maculösen  und  papulösen  Secundärerschei- 
naogen  bebandelt. 

Sämmtliche  vertrugen  die  tägliche  Einführung  unmittelbar  nach 
der  Defäcation,  abgesehen  von  ganz  vereinzelten  leichten  Attaquen 
von  Mastdarmkolik  bei  einer  Frau,  vortrefflich,  und  zwar  behiel- 
ten sie  fast  constant  das  Mittel  12—24  Stunden  bei  sich.    Im  (meist 

1)  Wiener  med.  Klinik.   1876. 

2)  Dieses  Resultat  ist  mir  schwer  erklärlich  bei  den  prägnanten  mercuriellen 
Nebenerscheinungen.  Sollten  die  gewählten  Formen  nicht  zufällig  schwereren 
F&Uen  progressiven  Charakters  angehört  haben? 


156  YL  FöRBiUNaut 

gefonnten)'  Stahle  fanden  rieh  fast  regelmSssig  mehr  oder  weniger 
deutliche  Reste  des  Präparates,  die  ich  leider  auf  Hg-Gehalt,  speciell 
auf  ihre  Verarmung  an  Hg  durch  Resorption  zu  prüfen  Terabsäumt 

Keinerlei  mercurielle  Nebenerscheinungen. 

Einige  Male  habe  ich  den  Harn  auf  eliminirtes  Quecksilber  unter- 
sucht, aber  nur  ein  Mal  ein  unzweifelhaft  positives  Resultat  erhalten. 

Bezüglich  der  Einmrkung  auf  die  Aeusserungen  des  syphiliti- 
schen Processes  durch  diese  Medication  muss  ich  auf  das  ftbr  die 
subcutanen  Injectionen  des  Ölsäuren  Quecksilbers  Beobachtete  (siehe 
Nr.  2)  verweisen:  Es  ist  möglich,  dass  eine  Beeinflussung  stattgehabt; 
sicher  war  sie  aber  dann  sehr  geringfügig,  schleppend,  praktisch 
nicht  verwerthbar. 

Es  ist  mir  zweifelhaft,  dass  der  gesammte  Hg-Gehalt  der  Sup- 
positorien  während  des  durchschnittlich  20  ständigen  Verweilens  in 
der  Mastdarmhöhle  zur  Resorption  gelangt  ist,  einmal  wegen  der 
grossen  Neigung  des  Ole'lnats  zur  Reduction,  femer  deshalb,  weil 
eine  Totalresorption  von  0,15  HgO,  d.  i.  nahezu  14  Centigrm.  Hg 
pro  die  'sicher  der  Entdeckung  des  im  Harn  eliminirten  Mercan 
günstigere  Chancen  geboten. 

Der  Versuch  einer  Steigerung  des  relativen  Olelnatgehaltes  der 
Suppositorien ,  sowie  eine  wesentlichere  Vergrössernng  der  letzteren 
musste  als  unzweckmftssig  wieder  aufgegeben  werden.  In  beiden 
Fällen  begannen  sich  die  von  v.  Sigmund  gemeldeten  Mastdarin- 
erscheinungen zu  entwickeln. 

Ich  vermag  somit  auch  nicht  der  Behandlung  der  Syphilis  durch 
quecksilberhaltige  Suppositorien  das  Wort  zu  reden. 


NACHTRAGE. 

I  (zu  S.  134). 

Mehrere  Wochen  nach  Absendung  des  Manuscripts  erhalte  ich 
von  Herrn  Medicinalrath  Stephani  aus  Mannheim  eine  freund- 
liche Zuschrift,  nach  welcher  er  aus  umschriebenen  Hautulcerationen 
am  Arme  einer  angeblich  früher  von  mir  behandelten  Patientin  Kugel- 
eben  regulinischen  Quecksilbers  durch  Druck  entleert  habe.  Einer 
gefälligen  Einladung  zur  Patientin  selbst  in  das  dortige  Krankenhaas 
folgend  constatire  ich  die  Identität  derselben  mit  einem  meinerseits 

1)  Eine  regelrechte,  seit  t  Woche  bestehende  Roseola  schwand  u.  A.  erst  im 
Laufe  der  4.  Woche. 


Mercuriafien  bei  Syphilis.  157 

vor  nahezu  IVsJabren  wegen  frischer  Secandftrsyphilis  mit  sub- 
eatanen  QaeekBilbermetallinjectionen  behandelten  Mftdchen.  Es  zei- 
gen sich  im  Bereich  der  frtlheren  Injectionen  indurative  umschriebene 
Verlöthnngen  der  Haut  mit  der  unterliegenden  Fascie«  An  2  Stellen 
ist  es  zur  Entwicklung  braunrother^  mit  seichten  Fisteln  durchsetzter 
Qnd  schlaffen  Granulationen  bedeckter,  indolenter  Knoten  gekommen. 
Es  gelingt  mir,  aus  einem  derselben  bei  starkem  Druck  einige  steck- 
nadelkopfgrosse  spiegelnde  Quecksilberkügelchen  mit 
spärlichem  Wundsecret  durch  die  Fisteln  zu  entleeren.  Die  Unter- 
Buchong  der  Yorzflglich  genährten,  blflhenden  Patientin  (Aufnahme 
wegen  frischer  Vaginalblenorrhoe)  ergibt  keine  Spur  von  Syphilis 
oder  Mercurialismus.  Ihr  Harn  erweist  sich  als  vollkommen  queck- 
nlberfrd.  —  Offenbar  war  es  hier  im  Bereich  zweier  Injectionen  zu 
einer  entzündlichen  Infiltration  der  W&nde  des  Unterhautraumes  mit 
narbigem  Abschluss  gekommen,  der  seinerseits  eine  Locomotion  sowie 
einen  resorptiven  Schwund  des  Metalls  verhindert,  das  als  mechanisch 
nnd  chemisch  reizender  Fremdkörper  lediglich  locale  Läsionen  be- 
dingt hatte. 

II  (zu  S.  137). 

Die  kürzlich  vorgenommene  Analyse  einer  Partie  dieser  Queck- 
silberemulsion,  welche  ich  bei  mangelhaftem  Luftabschluss  nahezu 
I.Jahr  sich  selbst  überlassen  hatte,  ergab  eigenthümliche  Verände- 
rungen :  Die  Flüssigkeit  hatte  sich  in  den  obersten  Schichten  aufge- 
hellt, und  reagirte  intensiv  sauer.  Der  Boden  des  Gefässes  war  be- 
deckt mit  einem  dichten  mattschwarzen  Metallpulver,  das  unter  dem 
Mikroskop  die  von  Voit  und  Ov erb  eck  für  die  Metallkttgelchen 
in  alter  grauer  Salbe  beschriebenen  Veränderungen  aufwies:  Die 
meisten  Kügelchen  eckig,  sternförmig,  mit  zum  Theil  langen  aus- 
strahlenden Stäbchen  versehen.  Letztere  auch  isolirt  vorhanden,  an 
den  Kanten  leicht  durchscheinend,  stellenweise  ein  eng  verschränk- 
tes Gitter  darstellend,  in  welchem  das  Auge  hie  und  da  rundliche 
Knotenpunkte  (ursprüngliche  Metalltröpfchen)  unterscheidet  Das 
Filtrat  des  mit  Wasser  verdünnten  Präparates,  sowie  jenes  des  mit 
stark  verdünnter  Essigsäure  behandelten  Sedimentes  ergibt  die  ver- 
schiedenen Quecksilber  o  x  y  d  u  1  -  Beactionen.  Ich  beurtheile  somit  bei 
Berücksichtigung  der  Art  der  Gährung  des  Gummischleimes  jene 
Produete  als  schleimsaures  Quecksilberoxydul,  das  in  ähn- 
licher Weise,  nur  ungleich  langsamer,  wie  das  fettsaure  Oxydul  in 
der  grauen  Salbe,  zur  Entwicklung  gelangt  ist. 


VII. 


Drei  Fälle  von  Poeumopericardie. 


Ton 


Dr.  Hermaxm  Müller, 

Privatdoecnt  vnd  Secandararzt  der  med.  Klinik  In  Zürich. 

Luftansammlung  im  Herzbeutel  ist  ein  so  seltenes  EreignisSi  dass 
schön  durch  die  grosse  Seltenheit  die  Veröffentlichung  jeder  neuen 
Beobachtung  gerechtfertigt  erscheint.  Viele  erfahrene  Kliniker  haben 
während  langjähriger  Thätigkeit  nie  einen  Fall  zu  Gesichte  bekom- 
men. Ein  besonderes  Glück  vei-schaffte  mir  die  Gelegenheit,  drei 
solcher  Fälle  genauer  zu  beobachten,  zu  deren  Mittheilung  ich  mich 
um  so  mehr  entschlossen  habe,  als  in  einem  Fall  der  Entstehungs- 
modus des  Pneumopericards  ein  bisher  unbekannter  ist.  Ich  habe 
in  der  ganzen  Literatur  über  Fneumoperiqardie  keinen  Fall  entdecken 
können,  welcher  dem  Ourchbruoh  eines  eitrigen  Fericardialexsudates 
in  die  Lungen  seine  Entstehung  verdankte.  Diese  Beobachtung  habe 
ich  auf  der  Huguen  in 'sehen  Klinik  bis  zum  Schlüsse  verfolgt  und 
die  beiden  anderen  Fälle,  welche  traumatischen  Ursprungs  sind,  habe 
ich  auf  der  Abtheilung  von  Prof.  Rose  gesehen  und  wiederholt  selbst 
untersucht.  Den  beiden  Herren  bin  ich  für  die  gütige  Ueberlassung 
der  schönen  Beobachtungen  zu  bestem  Danke  verpflichtet 

L  Beobachtung.  Hilzioger,  Johannes,  34  Jahre,  Maler  von  See- 
bach  (bei  Zürich),  wurde  am  19.  Mai  1876  in  die  med.  Klinik  aafgenom- 
meo.  —  Patient  will  bisher  immer  vollständig  gesnnd  gewesen  sein.  Vor 
4  Wochen  erkrankte  er  mitten  im  vollen  Wohlbefinden  während  der  Arbeit 
mit  heftigem  Uebeli^eitsgefühl  und  Erbrechen.  Er  legte  sich  sofort  zu  Bette 
und  konnte  darauf  einige  Stunden  schlafen.  Beim  Erwachen  verspürte  H. 
starke  Beengung  und  stechende  Schmerzen  auf  der  linken  Seite.  Es  trat 
heftiges  Fieber  auf  und  der  gerufene  Arzt  erklärte,  dass  eine  Lungeneat- 
Zündung  im  Anzüge  sei.  Dazu  kamen  bald  heftiger  Husten  und  ziegel- 
rother  zäher  Auswurf.  —  Hnsten,  Beengung  und  schwere  Fiebersjmptome 
hielten  ungefähr  10  Tage  an,  dann  trat  eine  wesentliche  Besserung  ein, 
so  dass  Patient  nach  Ablauf  von  14  Tagen  ohne  grosse  Beschwerde  mit 


Pneumopericardie.  159 

seiner  Familie  naeh  HirslaDdeo  ttbersiedeln  konnte.  Trotz  guter  Pflege 
ging  die  BeeonvaleBcenz  sehr  langsam  vor  sich ;  immer  noch  bestand  Husten 
und  Beengung.  Zeitweise  hatte  Patient  über  heftige  Schmerzen  auf  der 
Brost  zu  klagen  und  seit  einiger  Zeit  fast  beständig  ttber  Herzklopfen,  so 
dass  von  Arbeiten  keine  Rede  sein  konnte.  Der  Zustand  verschlimmerte  sich 
mehr  und  mehr,  weshalb  Patient  ins  Spital  geschickt  wurde.  Hier  bietet 
er  bei  seiner  Aufnahme  folgenden  Befund: 

Sehr  kräftiger,  gut  genährter  Mann.  —  Massiges  Fieber  bis  38,7  <^. 
108—132  kleine  Pulse.  Livides  Gesicht,  keine  subjective,  aber  deutliche 
objeetive  Dyspnoe.  Respiration  28.  Herzbewegung  in  ziemlicher  Ausdeh- 
QUDg  fahlbar;  kein  distincter  Herzchoc,  kein  pericardiales  Reiben. 

Der  rechte  Lungenrand  verläuft  etwas  ausserhalb  vom  Sternum  nach 
unten  und  steht  in  der  Mammillarlinie  an  der  7.  Rippe.  Die  untere  Leber- 
grenze  ist  3  Cm.  oberhalb  der  horizontalen  Nabellinie.  Der  linke  Lungen- 
rand ist  stärker  abgeschoben  als  der  rechte.  Die  relative  Herzdämpfung 
geht  bis  an  den  oberen  Rand  der  2.  Rippe,  nach  links  4  Cm.  tiber  die 
Papillarlinie  und  ebenso  weit  nach  rechts  über  das  Sternum.  Links  unten 
und  seitlich  stösst  die  Herzdämpfung  zusammen  mit  einem  linksseitigen 
Pleuraexsudate,  welches  hinten  bis  ttber  die  Mitte  der  Scapula  hinaufgeht. 
Bd  der  Anscnltation  hört  man  am  Herzen  wie  aus  der  Tiefe  zwei  leise, 
dampfe  Tdne,  während  der  2.  Pulmonalton  verstärkt  und  accentuirt  er- 
scheint. Pericarditisches  Reiben  oder  endocardiale  Geräusche  werden  nicht 
gehört.  —  Hinten  links  unten  bronchiales  Compressionsatbmen,  in  der  lin** 
ken  Seite  im  Bereich  der  Dämpfung  aufgehobenes  Athemgeräusch.  —  Im 
Weiteren  nichts  Besonderes;  Urin  ohne  Eiweiss;  kein  Auswurf.     - 

Am  22.  Mai  vom  Mittag  an  sehr  hohes  Fieber,  sehr  frequente  Pulse 
bis  156  und  starke  Dyspnoe.  Gegen  4  Uhr  Abends  fängt  Pat.  an  heftig 
zu  husten  und  expectorirt  binnen  kurzer  Zeit  maulvoll  eine  ziemlich  be- 
deutende Quantität  (ca.  300  Ccm.)  eitriger  Massen.  Natürlich  denkt  man 
sofort  an  eitrige  Beschaffenheit  des  pleuritischen  Ergusses  und  Durchbruch 
in  die  Lungen.  Mit  dieser  Diagnose  wird  auch  Patient  Tags  darauf  (am 
23.  Mai)  von  Prof.  Huguenin  in  der  Klinik  vorgestellt. 

Ans  der  sehr  ausführlichen  klinischen  Besprechung  hebe  ich  nur  die- 
joiigen  Momente  heraus,  welche  fflr  den  Gang  der  Krankheit  von  Interesse 
äind.  Die  Temperatur  stieg  gestern  auf  40,8<^  und  hält  sich  seither  immer 
am  40.  Die  Dyspnoe  ist  noch  stärker  als  gestern.  Die  Herzdämpfung 
beginnt  am  oberen  Rand  der  2.  Rippe  und  geht  nach  rechts  bis  zur  Para- 
steraallinie,  beide  Lungenränder  sind  bei  Seite  geschoben.  An  der  Herz- 
spitze hört  man  das  gestern  Abend  zum  ersten  Mal  beobachtete  pericar- 
ditische  Reiben  heute  noch  deutlicher.  Das  Pleuraexsudat  hat  nach  der 
Percussion  das  Niveau  nur  wenig  verändert. 

Die  Diagnose  lautet  Pericarditis,  linksseitiges  Empyem  mit  Durch- 
brach in  die  Lunge.  Zeichen  von  Pneumothorax  fehlen  gänzlich.  (Ordin. : 
Ruhe,  Eisblase,  Chinin.) 

25.  Mai.  Bedeutende  subjective  Besserung,  Temperatur  gestern  noch 
bis  38,8 0,  heute  normal.  Puls  116,  klein.  .Die  relative  Herzdämpfung 
beginnt  am  oberen  Rand  der  2.  Rippe,  geht  nach  links  auf  der  Höhe  der 
Papille  1  Gm.  über  die  Mammillarlinie  und  nach  rechts  daumenbreit  über 
dis  Sternum.    Die  Herztöne  sind   dumpf.    Das  pericardiale  Geräusch   ist 


160  VU.  MOlleb 

weniger  hörbar  als  gestern,  der  2.  Pulmonalton  erheblich  verstflrkt.  Die 
untere  Grenze  des  Pleuraergusses  ist  in  der  Azillarlinie  an  der  9.  Rippe, 
Dämpfung  nach  oben  7  Cm.  breit.  Bei  der  Auscultation  abgeschwächtes 
Athmen,  durchaus  nichts  Metallisches.  Im  linken  Infraclavicularraum  hört 
man  eine  Anzahl  feuchter,  nicht  klingender  Rhonchi ;  hinten  Dämpfung  von 
der  Mitte  der  Scapnla  und  unten  Compressionsathmen.  Der  eitrige  Aus- 
wurf hält  in  geringer  Menge  noch  an. 

Am  29.  Mai  wird  Fat.  zum  zweiten  Mal  der  Klinik  Vorgestellt  Das 
Befinden  des  Kranken  ist  sehr  gut,  der  Verlauf  der  Krankheit  ein  ganz 
günstiger.  Der  Livor  ist  geringer,  der  Ausdruck  ruhiger.  Die  Athmung 
geschieht  langsam  und  ruhig,  das  Fieber  ist  zurücisgetreten ,  erreichte  in 
den  letzten  Tagen  höchstens  noch  38, 2^.  Der  Auswurf  dauert  in  geringer 
Quantität  fort,  er  enthält  nichts  Besonderes,  sieht  aus  wie  gewöhnlicher 
Bronchialeiter.  —  Die  Herzdämpfung  ist*  kleiner  geworden,  das  Pericardial- 
exsudat  hat  abgenommen ;  die  linke  Grenze  der  relativen  Herzdämpfung  ist 
in  der  Mammiilarlinie,  die  rechte  geht  nur  noch  1 7^  Qnerfingerbreite  Ober 
den  rechten  Stemalrand.  Das  pericarditische  Reibegeräusch  Ist  nicht  mehr 
zu  hören.  Der  linke  Lungenrand  ist  noch  etwas  abgeschoben.  Es  ist 
jedenfalls  noch  Exsudat  im  Herzbeutel,  die  Beschaffenheit  desselben  ist  nicht 
ganz  sicher  zu  bestimmen,  die  früher  angenommene  eitrige  ist  wegen  der 
raschen  Abnahme  zweifelhaft.  Oberhalb  der  Milzgegend  ist  ein  Dämpfongs- 
gflrtel,  an  dessen  oberer  Grenze  der  Schall  etwas  tympanitisch  ist;  über 
dieser  Dämpfung  abgeschwächtes  Athmen.  Hinten  von  der  Mitte  der  Sca- 
pnla an  Dämpfung,  leerer  Schall  vom  unteren  Winkel,  abgeschwächtes 
Vesiculär- Athmen  und  am  Angulus .  scapulae  Bronchial -Athmen;  absolat 
nichts  Metallisches,  kein  Succussionsgeräusch.  Therapeutisch  wird  der  Ge- 
danke an  eine  Operation  des  Empyems  wegen  der  möglicherweise  noch 
offenen  Lungenfistel  und  wegen  der  Complication  mit  Pericarditis  vorläufig 
zurückgewiesen. 

In  der  nächsten  Zeit  änderte  sich  nichts  im  Verlaufe,  das  subjective  Be- 
finden des  Patienten  blieb  gut,  die  Temperatur  normal,  der  Puls  aber  immer 
noch  klein  und  frequent.  Das  Pleuraexsudat  stand  still ;  eitriger  Auswurf 
hielt  in  spärlicher  Menge  an,  eine  grössere  Masse  wurde  seit  dem  22.  Mai 
nie  mehr  entleert.  Am  Herzen  waren  keine  Geräusche  zu  hören.  Es  wurde 
täglich  wiederholt  und  von  verschiedenen  Untersuchem  anscnitirt,  aber  nie 
mehr  etwas  Abnormes  wahrgenommen,  abgesehen  von  der  Abschwächung 
der  Töne  bis  am  8.  Juni. 

An  diesem  Tage  fand  ich  bei  meiner  Morgenvisite  am  Herzen  eine  so 
überraschende,  auffallende  Veränderung  des  Auscultationsbefnndes,  so  sinn- 
fällige und  unzweifelhafte  Phänomene,  dass  ich  meinem  Vorgesetzten,  Prof. 
Huguenin,  bei  seiner  Visite  referirte,  Pat.  habe  über  Nacht  ein  Pneumo- 
pericard  bekommen.  Prof.  Huguenin  bestätigte  diese  Diagnose  und  stellte 
den  Kranken  am  gleichen  Morgen  der  Klinik  vor: 

Gestern  bei  der  Abendvisite  wurde  noch  nichts  Besonderes  beim  Ptt 
wahrgenommen.  Später  verspürte  er  Kopfweh  und  klagte  über  BeengoDg, 
woran  er  in  den  letzten  Tagen  nie  zu  leiden  hatte.  Die  Nacht  war  ud- 
ruhig,  der  Schlaf  sehr  gestört.  Heute  Morgen  ist  das  Aussehen  des  Fat. 
merkUch  livider  als  bisher,  Respiration  und  Herzbewegung  sind  aufgef^er, 
der  Puls  aber  ist  trotz  der  gereizten  Herzthätigkeit  schwächer  als  gestern. 


Pneoniopericardie.  161 

Patient  sieht  luinüiig  und  ängstlich  aus;  wer  den  Kranken  gestern  noch 
gesehen  hat,  erkennt  auf  den  ersten  Blick  eine  Verschlimmerung  des  Zu- 
Standes.  Patient  negirt  Schmerzen  auf  der  Brust,  klagt  aber  über  ein  be- 
ängstigendes Gefühl  und  über  Beengung,  worüber  er  bei  der  gestrigen 
Abendvisite  noch  nicht  zu  klagen  hatte.     Die  Untersuchung  ergibt: 

Rechter  unterer  Lungenrand  am  unteren  Band  der  6.  Rippe,  neben 
dem  Sternum  etwas  abgeschoben,  der  linke  verläuft  oben  ziemUch  normal. 
Dach  der  linken  Seite  geht  er  in  die  Dämpfung  über.  Die  relative  Herz- 
üämpfung  ist  kiemer  als  früher,  sie  durchschneidet  die  linke  Papille  und 
gebt  nach  rechts  daumenbreit  über  das  Sternum ;  unterer  Herzrand  an  der 
7.  Rippe  stehend.  —  Hinten  unter  der  Spina  scapulae  leichte  Differenz  zu 
Uogunsten  der  linken  Seite,  nach  unten  zunehmend;  leerer  Schall  am  An* 
gulas  inf.  scap.,  zuunterst  immer  noch  Compressionsathmen. 

Höchst  bemerkenswerth  sind  die  Schaliphänomene  am  Herzen.  Die 
Töne  sind  auffallend  klingend,  daneben  hört  man  ein  Plätschern  von  be- 
wegter Flüssigkeit,  ein  Geräusch,  wie  wenn  Luftblasen  in  einer  Flüssigkeit 
aufsteigen  und  an  der  Oberfläche  platzen.  Zwischenhindurch  hört  man 
ausserdem  manchmal  ein  Geräusch,  wie  wenn  Luft  durch  eine  kleine  Oeff- 
auog  getrieben  wird.  Alle  Praktikanten  der  Klinik  werden  zur  Nachunter* 
sochnng  eingeladen,  alle  sind  überrascht  von  dem  höchst  auflailenden  Aus- 
cuitationsbefund.  Diese  Phänomene  sind  so  sinnHUlig  und  leicht  verständ- 
lich in  ihrer  Entstehung,  dass  man  keinen  Augenblick  daran  zweifeln  kann, 
dass  diese  Erscheinungen  von  einem  Hohlräume  geliefert  werden,  in  welchem 
Loft  mit  Flüssigkeit  durch  die  Herzbewegungen  durcheinander  geschüttelt 
wird.  Ea  könnte  sich  handeln  um  einen  Luftaustritt  in  den  Pleurasack,  oder 
in  das  Cavum  des  Herzbeutels,  oder  allenfalls  noch  um  eine  grosse  Gayerne 
io  der  Nähe  des  Herzens,  welch  letzteres  allerdings  unter  vorliegenden 
Umständen  nicht  denkbar  ist.  Luftansammlung  in  der  Pleurahöhle  ist  wohi 
auazuschliessen,  da  wir  von  der  Lunge  aus  gar  keine  entsprechenden  Phä- 
nomene wahmelimen  und  die  metallischen  Geräusche  ganz  ^unabhängig  von 
der  Athmung  sind. 

Für  das  Pneumopericard  fehlt  der  charakteristische  Percussionsbefund, 
es  fehlt  die  Tympanie  im  Bereich  der  absoluten  Ilerzdämpfung.  Diese  ist 
aber  kein  absolutes  Erfordemiss;  Verwachsungen  des  Herzbeutels  an  der 
vorderen  Wand  können  das  Aufsteigen  der  Luftblasen  verhindert  haben. 
Die  Luftansammlung  ist  wohl  nicht  gross^  denn  die  Grösse  der  Herzdämpfung 
hst  gegenüber  gestern  jedenfalls  nur  wenig  abgenommen  und  die  subjectiven 
Erscheinungen  sind  nicht  hochgradig. 

Bei  der  Behandlung  ist  unsere  Aufgabe,  die  Luftansammlung  nicht  zu- 
nehmen zu  lassen  —  grosse  Ruhe,  Abstumpfung  des  Hustenreizes  durch 
narkotische  Mittel,  Eisapplication  in  die  Herzgegend  erzielen  dieses  Postulat 
am  einfachsten. 

Im  Laufe  des  Tages  habe  ich  den  Kranken  noch  wiederholt  unter- 
sucht und  namentlich  das  Herz  sorgfältig  auscultirt.  Die  Schallphänomene 
blieben  die  gleichen,  es  traten  keine  neuen  Erscheinungen  hinzu.  Tempe- 
ratur am  Abend  37,5®,  Puls  104,  klein  und  schwach;  subjectiv  keine  Ver- 
schlimmerung. Von  Seiten  der  Lungen  Hess  sich  nichts  Abnormes  nach- 
weisen, namentlich  keinerlei  Zeichen  von  Pneumothorax. 

Am  9.  Juni  Morgens  ist  von  den  metallischen  Phänomenen  am  Herzen 

DontacliM  ArchlY  L  kUa.  Medicin.    XXIV.  Bd.  1 1 


162  Vn.  MüLiiSR 

nichts  mehr  zn  hören.  Patient  ist  fieberfrei  und  befindet  sich  snbjectiv 
wieder  recht  ordentlich,  als  ob  gar  nichts  Besonderes  passirt  wäre. 

Am  13.  und  14.  Juni  waren  während  24  Standen  die  nämlichen  Phä- 
nomene noch  einmal  in  voller  Dentlichkeit  zu  hören,  nur  das  plätschernde, 
gurgelnde  Geräusch  nicht  mehr  so  reichlich,  der  metallische  Klang  der  Herz- 
töne vorwiegend.  Die  Herzbeutel-Lungenfistel  hat  sich  demnach  noch  enmial 
geöffnet  und  Luft  in  den  Pericardialsack  eintreten  lassen.  Das  Ereigniss 
ging  aber  auch  diesmal*  ohne  weitere  Folgen  vorüber  und  die  Reconvales- 
cenz  machte  von  da  an  ungestörte  Fortschritte.  Das  Pleuraexsudat  fing 
nun  endlich  auch  an,  sich  zu  resorbiren. 

Am  24.  Juni  wurde  nachträglich  zum  Zwecke  der  Controle  eine  Probe- 
punction  des  pleuritischen  Ergusses  gemacht  und  zwar  absichtlich  an  der 
tiefsten  Stelle  und  eine  ganz  klare  seröse  Flflssigkeit  entleert,  so  dass  also 
der  Beweis  geliefert  war,  dass  nicht  ein  eitriges  Pleuraexsudat,  sondern  ein 
eitriger  Pericardialergnss  nach  den  Lungen  durchgebrochen  war  und  dass 
demnach  eine  Herzbeutel-Lungenfistel  vorhanden  sein  musste. 

Wegen  des  Resultates  der  Probepunction ,  welche  an  anderer  Stelle 
nochmals  wiederholt  wurde,  wurde  Patient  am  3.  Juli  noch  einmal  der 
Klinik  vorgestellt. 

Die  Herzdämpfung  ist  nunmehr  normal,  die  Töne  sind  rein ;  die  Fistel 
ist  jedenfalls  ganz  geschlossen.  Das  Pleuraexsudat  geht  noch  bis  zum 
unteren  Winkel  der  Scapula  und  ist  seitlich  noch   1  Zoll  hoch. 

Von  da  an  ging  es  stetig  besser,  die  Resorption  des  Pleuraexsudats 
machte  ungestörte  Fortschritte,  so  dass  Pat.  am  25.  Juli  geheilt  entlassen 
werden  konnte.  —  Beim  Austritt  war  vom  pleuritischen  Ergüsse  nichts  mehr 
nachzuweisen.  Die  Untersuchung  des  Herzens  ergab  nichts  Besonderes;  die 
Obliteration  des  Herzbeutels,  welche  mit  Sicherheit  angenommen  werden 
konnte,  machte  keine  objectiven  Phänomene.  Subjectiv  klagte  Patient  noch 
Ober  Herzklopfen  und  Beengung,  wenn  er  sich  körperlich  anstrenge.  Pat. 
wird  deshalb  mit  der  Weisung  thunlichster  Schonung  nach  Hause  entlassen. 

Ein  Jahr  später  stellt  sich  mir  der  blühend  aussehende,  sehr  gut  ge- 
nährte Mann  zur  Untersuchung,  da  er  immer  noch  zeitweise  Herzklopfen 
und  Beengung  verspüre.  Ausser  einer  massigen  allseitigen  Vergrösserung 
der  Herzdämpfung  fand  ich  absolut  keine  Abnormität,  keine  weiteren  Zeichen 
von  Obliteratio  pericardii. 

Epikrise.  Dass  es  sich  bei  der  vorstehenden  Beobachtung 
wirklich  um  Luftansammlung  im  Herzbeutel,  um  einen  Fall  von  Pyo- 
pneumopericardie  gehandelt  hat,  darüber  kann  nach  meiner  Ansicht 
kein  Zweifel  herrschen,  obwohl  der  Diagnose  diesmal  ganz  ungewöhn- 
liche Schwierigkeiten  sich  entgegenstellten.  Recapituliren  wir  noch- 
mals die  Reihenfolge  der  Erscheinungen.  —  Am  19«  Mai  1876  wird 
ein  Kranker  mit  der  Diagnose  „linksseitiges  pleuritisches  Exsudat 
nach  Pneumonie"  vom  Lande  ins  Spital  gebracht.  Die  Untersuchung 
ergibt  zur  Evidenz,  dass  gleichzeitig  noch  eine  Pericarditia  mit  Ex- 
sudat vorhanden  ist;  die  Form  und  Grösse  der  Herzdämpfung  und 
namentlich  auch  der  Auscultationsbefund  am  Herzen  verlangen  mit 


Pneumopericardie.  1 63 

BefltiiDmtheit  di68e  Diagnose,  obwohl  periearditiBches  Reiben  nicht 
gehört  wird.  Am  4.  Tage  des  Spitalaufenthifltes  expectorirt  Patient 
nach  Yorangegangenem  Fiebersprung,  nach  Steigerung  des  Pulses 
und  der  Dyspnoe  binnen  kurzer  Zeit  eine  grössere  Quantität  Eiters, 
80  dass  man  unwillkSrlich  an  Durchbruch  des  pleuritischen  Exsu- 
dates, dessen  eitrige  Beschaffenheit  allerdings  bis  jetzt  noch  nicht 
bekannt  war,  dachte.  Eine  andere  Möglichkeit  wird  gar  nicht  ventilirt 
and  w&re  wohl  auch  Ton  keinem  anderen  Beobachter  aufgestellt  wor- 
den. Eine  sehr  deutliche  Abnahme  des  pleuritischen  Ergusses  ist  zwar 
nicht  nachzuweisen,  aber  auch  nicht  zu  erwarten,  da  die  Menge  des 
ausgeworfenen  Eiters  auch  keine  beträchtliche  war.  Dagegen  findet 
man,  dass  die  Herzdämpfung  entschieden  abgenommen  hat.  Man 
findet  daran  nichts  sehr  Auffallendes.  Im  weiteren  Verlaufe  passirt 
nichts  Neues;  Yon  einer  operativen  Behandlung  des  Empyems  wird  vor- 
läufig Abstand  genommen,  besonders  da  wahrscheinlich  die  Lungen- 
Gstel  noch  nicht  geschlossen  und  Entleerung  des  Empyems  nach  innen 
möglich  und  nicht  unerwünscht  ist.  —  Da  kommen  am  8.  Juni  plötz- 
lieb ganz  neue,  überraschende  Phänomene  am  Herzen  zum  Vorschein, 
welche  zur  Diagnose  „Pneumopericard  "  führen.  Das  plätschernde  mit 
den  Gontractionen  des  Herzens  zusammenfallende  Geräusch  und  der 
metallische  Klang  der  Töne  machen  ernstliche  Zweifel  an  der  Dia- 
g:nose  unmöglich.  Nach  dem  bisherigen  Verlaufe  der  Krankheit  und 
der  früheren  Annahme  eines  linksseitigen  Empyems  könnte  es  sich 
allenfalls  noch  um  die  Möglichkeit  eines  Pneumothorax  in  der  Nähe 
des  Herzens  handeln;  denn  es  ist  der  Fall  0  bekannt,  dass  bei  Pneu- 
mothorax durch  die  Herzbewegung  ein  lautes,  ä  distance  hörbares 
plätscherndes  Klingen,  ganz  ähnlich  wie  bei  Pneumopericardium,  an- 
geregt wurde.  Hier  zwar  könnte  es  sich  höchstens  um  einen  ganz 
kleinen,  abgesackten  Pneumothorax  hinter  dem  Herzen  handeln,  was 
bei  dem  gänzlichen  Mangel  von  Veränderungen  der  Athmungsge- 
rausche  sehr  unwahrscheinlich  und  gesucht  erscheint.  5  Tage  später 
kamen  die  nämlichen  Phänomene  nur  etwas  weniger  stark  nochmals 
zur  Beobachtung.  Zur  Erklärung  des  Lufteintrittes  in  den  Herzbeutel 
nahm  man  Durchbruch  eines  eitrigen  Pericardialexsudates  in  die 
Lungen  an,  nicht,  wie  anfangs  fälschlich  diagnosticirt  wurde.  Durch- 
brach eines  eitrigen  Pleuraexsudates.  Diese  Ansicht  gewann  eine 
wesentliche  Stütze  durch  das  Resultat  einer  Probepunction  des  pleu- 
ritischen Ergusses,  welche  anfangs,  verleitet  durch  die  auffallenden 
Gehörswahmehmungen  am  Herzen,  versäumt  worden  ist   Um  jedem 


I)  Biermer,  Schweiz.  Zeitschrift  für  Heilkunde.  II.    Bern  1863. 

II* 


164  yu.  Müller 

Einwand  zu  begegneni  wuFde  die  Probepunction  absichtlich  an  einer 
möglichst  tiefen  Stelle  yorgenommen.   Zuerst  hinten  unten  und  dann 
noch  einmal  wiederholt  mehr  in  der  Nähe  des  Herzens,  mit  dem 
gleichen  Resultate.    Der  Kritiker  könnte  auch  gegen  dieses  schein- 
bar unfehlbare  Resultat  den  Einwand  machen,  dass  vielleicht  gerade 
hinter  dem  Herzen  ein  abgesacktes,  kleines  eitriges  Exsudat  neben 
dem  serösen  vorhanden  gewesen  sei  und  dass  dessen  Durchbrach 
nach  den  Lungen   zu   einem  kleinen  Pneumothorax  gefahrt  habe. 
Abgesehen  von  der  grossen  Unwahrscheinlichkeit  einer  solchen  An- 
nahme sprechen  gegen  dieselbe  ganz  besonders  noch  eine  Reihe  von 
Erscheinungen,  welche  wir  wohl  berücksichtigen  müssen.    Die  Bil- 
dung der  Lufthöhle  war  beide  Male,  wenn  auch  nicht  mit  hochgra- 
digen Reizerscheinungen  des  Herzens  —  Beklemmung  auf  der  Brust, 
Angstgefühl,  Steigerung  des  Pulses,  grosser  Athemnoth  und  Blauer- 
werden des  Gesichtes  —  verbunden,  was  wohl  beim  Auftreten  eines 
kleinen  Pneumothorax  hinter  dem  Herzen  nicht  der  Fall  gewesen 
wäre.    Am  gleichen  Abend,  als  der  Durchbruch  des  eitrigen  Exsu- 
dates in  die  Lungen  erfolgte,  kam  zum  ersten  Mal  ein  Beibegeräusch 
am  Herzen  zum  Vorschein.    Das  plötzliche  Erscheinen  des  pericar- 
ditischen  Geräusches  und  die  sicher  nachgewiesene  Abnahme  der 
Herzdämpfung  finden  nachträglich  die  beste  und  einfachste  Erklärung 
in  der  Entleerung  des  eitrigen  Pericardialergusses.    Beim  Vorhanden- 
sein eines  Pneumothorax  hätten  wir  wohl  EÜangphänomene  wahr- 
nehmen müssen,  welche  die  Respirationsgeräusche  begleitet  hätten. 
Nach  alledem  sind  wir  gewiss  berechtigt,  diese  interessante  Beobach- 
tung ohne  Bedenken  als  einen  Fall  von  Durchbruch  eines  eitrigen 
PericardialexBudates  in  die  Lungen  und  vorübergehendem  Austritt 
von  Luft  in  den  Herzbeutel  zu  taxiren,  obwohl  ein  wichtiges  Krite- 
rium, das  charakteristische  Percussionsresultat  nicht  vorhanden  war. 
Das  Fehlen  dieses  physikalischen  Zeichens  erklärt  sich  zur  Genüge 
durch  die  naheliegende  und  sehr  plausible  Annahme,  dass  Verwach- 
sungen, resp.  Verklebungen  der  Pericardialblätter  an  der  vorderen 
Wand  das  Aufsteigen  der  Luftblasen  verhinderten«  Die  Luft  sammelte 
sich  an  der  hinteren  und  linken  seitlichen  Wand  des  Herzens  an, 
wo  auch  offenbar  die  Lungenfistel  ihren  Sitz  hatte.    Dass  die  Per- 
foration wirklich  in  die  linke  Lunge  und  nicht  etwa  in  die  rechte 
stattgefunden  hat,  können  wir  daraus  entnehmen,  dass  unmittelbar 
nach  vollendeter  Perforation  im  linken  Infraclavicularraum  reichliche, 
feuchte  Rhonchi  zum  Vorschein  kamen,  welche  vorher  sicher  nicht 
gehört  wurden. 


Pneomopericardie.  165 

II.  Beobachtung.  Aagnst  Jlgolf,  28  Jahre,  Steinhauer,  wurde  am 
7.  Noybr.  1875  Nachmittags  auf  die  Abtheilung  von  Prof.  Rose  aufge- 
nommen. —  Als  Anamnese  wird,  um  den  Fat.  nicht  unnöthig  mit  Fragen 
ZQ  belästigen,  das  ärztliche  Zeugniss  benutzt,  welches  von  einem  unserer 
besten  Zflricher  Aerzte  geschrieben  ist.  Dasselbe  lautet  wörtlich:  A.  E. 
wurde  am  5.  Novbr.  Abends  zwischen  zwei  schweren  Steinplatten  gequetscht, 
in  der  Art,  dass  Schulter  gegen  Schulter  gepresst,  der  Mann  also  seitlich 
znsammengedrflckt  wurde.  Die  Folge  war  ein  Bruch  der  linken,  wahr- 
scheinlich auch  rechten  Clavicula,  Zerreissung  der  linken  Lunge  und  Ver- 
letzung des  Herzens  oder  Herzbeutels.  Es  besteht  noch  Hautemphysem 
am  linken  Thorax,  Cyanose,  Reibegeräusch  am  Herzen  und  der  linken 
Pleura,  Bronchialathmen  links  hinten  unten.  Blutige  Sputa  waren  nie  da, 
hlogegen  dflrfte  die  innere  Blutung  eine  beträchtliche  gewesen  sein.'' 

Status  praesens:  Kräftiger,  wohl  gebauter,  musculöser  Körper. 
Schmerzhafter  djspnoötischer  Gesichtsausdruck,  starker  Li  vor.  Respiration 
sehr  angestrengt,  36.  Puls  120,  Temperatur  38,4®.  —  Die  linke  Thorax- 
b&lfto  etwas  mehr  aufgetrieben.  Hautemphysem  in  der  linken  Seite  bis 
zur  Herzgegend  und  bis  in  die  Achselgrube,  aber  nicht  im  Bereich  des 
Herzens  selbst.  Die  5.  und  6.  linke  Rippe  ist  in  der  Nähe  des  Herzens 
fractorirt;  die  genaue  Fracturstelle  wird  in  Anbetracht  der  sicher  vorhan- 
denen Herzbeutelverletzung  nicht  ausfindig  gemacht ;  die  Untersuchung  flber- 
baopt  mit  allergrösster  Schonung  vorgenommen.  —  Fractur  an  den  Akro- 
mialenden  beider  Claviculae. 

Am  Herzen  werden  bei  der  Auscultation  sehr  auffällige  Phänomene 
constatirt;  ich  wurde  deshalb  unmittelbar  nach  Aufnahme  des  Pat.  von 
meinem  chirurgischen  CoUegen  Dr.  Schläpfer  hinzugerufen  und  wir  con- 
statiren  physikalische  Zeichen*,  nach  denen  die  Diagnose  Verletzung  des 
Herzbeutels  (eventuell  auch  des  Herzens)  und  Luftansammlung  im  Herz- 
beutel unabwendbar  ist.  An  Stelle  der  absoluten  Herzdämpfung  und  in  der 
ganzen  Ausdehnung  derselben  ist  der  Schall  sehr  hell,  exquisit  tympanitisch 
und  bei  der  Auscultation  hört  man  ein  lautes  metallisch  klingendes,  bro- 
delndes Greräusch  synchron  mit  der  Herzbewegung.  Zeichen  von  einem 
Pneumothorax  fehlen.  In  der  linken  Seite  ist  eine  Anzahl  feuchter  Rassel- 
geräusche zu  hören.  Die  Untersuchung  am  Rücken  wird  absichtlich  unter- 
lassen. 

(Behandlung:  Absolute  Ruhe,  Schreibtafel,  Eisblase,  strenge  Diät. 
Morphium.) 

Der  Allgemeineindruck  ist  ein  so  schwerer,  dass  wir  eine  ganz  schlimme 
Propose  stellen;  beim  Weggehen  machen  wir  gegenseitig  die  Bemerkung, 
dass  der  Exitus  wohl  in  der  Nacht  erfolgen  werde. 

8.  Novbr.  Patient  war  in  der  Nacht  sehr  unruhig;  grosse  Athemnoth, 
Klagen  Aber  starken  Durst.  Zu  unserer  grossen  Ueberraschung  sind  heute 
Morgen  die  Luft-Flüssigkeit-Geräusche  am  Herzen  nicht  mehr  hörbar. 

10.  Novbr.  Die  Dyspnoe  und  der  frequente  Puls  dauern  fort.  Das 
»elgenthflmliche  Geräusch''  am  Herzen  ist  verschwunden;  dagegen  hört  man 
in  den  unteren  Lungenpartien  links  pleuritisches  Reiben.  Die  dem  Pneumo- 
thorax zukommenden  Phänomene  fehlen  gänzlich.  Rechte  Herzgrenze  an 
der  rechten  Parastemallinie.  Herztöne  abgeschwächt.  Ordination  —  wegen 
grosser  Unruhe  —  Ostündl.  0,03  Morph. 


166  yn.  MüLLBR 

12.  Novbr.  Pat.  ist  bedeutend  ruhiger,  athmet  nicht  mehr  so  ange- 
strengt. Keine  abnormen  Geräusche  am  Herzen,  in  den  unteren  Partien 
links  abgeschwächtes  Athmen.    Herztöne  schwach.    Temp.  3S,4^  Puls  102. 

15.  Novbr.     Temperatur  37,20.     Puls  84. 

23.  Novbr.  Patient  wird  heute  zum  ersten  Mal  aufgesetzt.  Links 
unten  Dämpfung  vom  Winkel  der  Scapula  an,  in  der  Seite  bis  zur  Höhe 
der  Papille.  Herztöne  immer  noch  sehr  abgeschwächt.  Rechte  Grenze  der 
Herzdämpfnng  am  rechten  Stemalrand,  linke  in  der  Mammillarlinie.  Immer 
noch  starke  Schmerzen  bei  Bewegung  des  linken  Armes.  Allgemeinbefinden 
gut.     Temperatur  37,6^. 

29.  Novbr.  In  der  letzten  Zeit  in  der  Mitte  des  Stemoms  leichtes 
systolisches  Geräusch  von  schabendem  Charakter.  In  der  linken  Achsel- 
grube noch  etwas  Hautemphysem. 

7.  Decbr.  Das  systolische  Geräusch  über  dem  Sternum  ist  verschwun- 
den. —  Befinden  gut. 

14.  Decbr.  Immer  noch  Schmerzen  bei  Bewegung  des  linken  Armes. 
Hautemphysem  ganz  verschwunden. 

12.  Januar  1876.  Patient  hält  den  linken  Arm  nicht  mehr  in  der 
Schlinge,  Arm  doch  noch  nicht  frei  beweglich. 

19.  Januar.     Patient  wird  heute  geheilt  entlassen. 

in.  Beobachtung.  Kormann,  Friedrich,  21  Jahre,  Schlosser  von 
Oetlikon,  wird  am  20.  Mai  1878  Nachmittags  1  Uhr  auf  die  chirurgische 
Abtheilung  des  Spitals  gebracht.  —  Patient  erhielt  letzte  Nacht  (Sonntag 
Abends  spät)  in  Schwerzenbach  beim  Raufhandel  einen  Messerstich  in  die 
linke  Brust.  Sofort  nach  der  Verwundung  eilte  Patient  in  die  nächste  etwa 
200  Schritte  entfernte  Wirthschaft  und  kleidete  sich  daselbst  aus.  Die 
Wunde  blutete  stark ;  bis  ärztliche  Hülfe  kam ,  wurden  kalte  tJmschläge 
auf  die  beständig  blutende  Stelle  aufgelegt.  Während  der  halben  Stunde, 
die  inzwischen  verstrich,  soll  Patient  recht  viel  Blut  verloren  haben.  Der 
gerufene  Arzt  nähte  die  Wunde  sofort  zu,  worauf  die  Blutung  stille  stand. 
Patient  wurde  darauf  zu  Bette  gebracht,  die  kalten  Umschläge  wur- 
den fortgesetzt  bis  am  Morgen,  wo  Patient  nach  dem  Spital  transportirt 
wurde. 

Noch  auf  der  Tragbahre  wird  Pat.  untersucht  und  durch  die  Güte 
meines  chirurgischen  CoUegen  Dr.  Fritzsche,  der  mich  rufen  liess,  hatte 
ich  Gelegenheit,  den  Kranken  unmittelbar  nach  der  Aufnahme  zu  unter- 
suchen und  die  Diagnose  der  Lungen-  und  Herz-,  resp.  Herzbeutel- Ver- 
letzung mit  Pneumopericardium  zu  bestätigen.  Die  Untersuchung  ergab: 
Pat.  ist  ein  sehr  kräftig  gebauter,  gut  genährter  junger  Mann.  Lippen  und 
Wangen  bläulich  verftrbt;  an  der  Blässe  erkennt  man  den  vorausgegan- 
genen starken  Blutverlust.  Der  Ausdruck  des  Gesichtes  ist  etwas  ängst- 
lich und  dyspnoätisch.  Ungefähr  5  Cm.  oberhalb  der  linken  Mammilla, 
etwas  nach  innen  von  der  Mammillarlinie  sitzt  eine  Stichwunde,  über  deren 
Grösse  und  genauen  Verlauf  sich  vorläufig  noch  nichts  Bestimmtes  aus- 
sagen lässt,  da  sie  genäht  und  mit  Ausnahme  des  oberen  Randes  mit  einer 
bereits  eingetrockneten  Kruste  von  blutgetränktem  Spinngewebe  bedeckt  ist. 
In  der  Umgebung  der  Wunde  ist  in  der  Ausdehnung  eines  Kinderhand- 
tellers Gmphysemknistern   zu  fühlen.     Am  oberen  Ende  der  Wunde   sieht 


Pneumopericardie.  167 

man  dn  wenig  von  der  Nadel,  welche  ▼om  Arzte  zur  umachloDgenen  Naht 
verwendet  wiu^de. 

Die  ReBpiration  ist  mhig,  24.     Pnis  84.     Temperatur  37,4^. 

Die  üntersnchnog  der  Lungen  ergibt  rechts  ttberall  Vesicnlärathmen, 
links  vom  und  seitlich  unten  sehr  abgeschwächtes  Athmen  und  hie  und  da 
einige  fnne  Rasselgeräusche.  Die  Untersuchung  der  Rttckenfläohe,  welche 
bei  dtf  Umlagemng  des  Pat  ins  Bett  ohne  Schäden  rasch  vorgenommen 
verdoi  konnte;  ergibt  keine  Abnormität ;  Pneumothorax  kann  mit  aller  Be- 
stimmtheit ausgeschlossen  werden.  Bei  der  Untersuchung  des  Herzens  findet 
man  an  der  Stelle  der  absoluten  Herzdämpfung  in  der  Ausdehnung  von 
einem  kleinen  Handteller  sehr  schönen,  vollen  tympanitischen  Schall  und  zwar 
nach  innen  von  der  Manunilla  bis  zum  linken  Sternakand.  Die  Stelle  dieser 
Tympanie  deckt  sich  durchaus  nicht  mit  der  emphysematösen  Hautpartie, 
welche  weiter  oberhalb  liegt.  Die  Herzbewegung  ist  schwach  fühlbar  und 
sichtbar,  der  Spitzenstoss  direct  unterhalb  der  Mammilla.  —  Bei  der  Aus- 
enltation  hört  man  am  ganzen  Herzen,  am  lautesten  gegen  die  Herzspitze 
hin  lautkiingende  brodelnde  Geräusche,  ein  Succussionsgeräusch,  welches 
Btraig  mit  der  Hersbew^ung  zusammenfällt  und  ganz  unabhängig  von  der 
Athmung  ist.  Die  Herztöne,  metallisch  klingend,  sind  durch  das  laute 
gurgelnde  Geräusch  beinahe  verdeckt.  —  Blutiger  Auswurf  fehlt,  keine 
Schmerzen  in  der  Herzgegend. 

(Ordin.:  Absolute  Ruhe,  Schreibtafel,  Glocke,  Eisblase  in  die  Herz- 
gegend, flflssige  Nahrung.  Morph,  mur.  0,10,  Aq.  Lanrocer.  20,0,  stflndlich 
15  Tropfen.) 

5  Uhr  Abends.  Das  Hautemphysem  ist  nur  noch  spnrweise  vorhanden. 
Die  metallisch  klingenden  Geräusche  am  Herzen  sind  nicht  mehr  so  laut 
und  weniger  reichlich. 

71/2  Uhr  Abends.  An  der  Herzspitze  werden  nur  noch  vereinzelte  klin- 
gende Geräusche  gehört.  Dagegen  hört  man  bereits  daselbst  ein  feines, 
schabendes  Geräusch,  ebenso  an  der  Herzbasis  3  Cm.  innerhalb  von  der 
Wnnde.  Die  Tympanie  im  Bereich  der  absoluten  Herzdämpfung  ist  bei- 
nahe verschwunden. 

21.  Hai.  Vergangene  Nacht  war  ruhig;  nur  gegen  9  Uhr  Abends 
einmal  leichte  Erhöhung  der  Athemfrequenz  und  subjective  Beengung,  bald 
darauf  ruhiger  Schlaf.  Die  Untersuchung  des  Herzens  ergibt  heute  ein 
deutliches,  schabendes  Geräusch  an  der  Herzspitze,  weniger  exquisit  an  der 
Basig.  —  Nachmittags  klagt  Pat.  über  Beengung  und  stechende  Schmerzen 
in  der  linken  Seite.  Man  hört  nunmehr  nach  unten  und  aussen  von  der 
Herzspitze  in  der  Ausdehnung  einer  Kinderhand  deutliches  in-  und  exspira- 
torisches  Reiben. 

23.  Mai.  Pat.  hustet  öfter.  Das  Seitenstechen  hat  bedeutend  abge- 
nommen. Es  ist  auch  bereits  in  den  seitlichen  Partien  ein  Pleuraexsudat 
nachzuweisen. 

24.  Mai.  Das  Geräusch  an  der  Herzbasis  ist  viel  weniger  rauh,  hat 
einen  mehr  blasenden  Charakter  angenommen.  Die  Schmerzen  in  der  linken 
Seite  haben  vollständig  aufgehört.  Fieber  hat  immer  gefehlt,  bei  2  täg- 
lichen Messungen  Temperatur  normal. 

27.  Mai.     Befinden  gut.     Respiration  noch  etwas  beschleunigt. 

31.  Mai.    Die  umschlungene  Naht  wird  heute  weggenommen,  die  noch 


Iö8  Vn.  MOllbb 

nicht  ganz  geschlossene  Wunde  mit  CarholOl  bepinselt  und  mit  Bleipflaster 
bedeckt.  Die  Wunde  sitzt  direct  oberhalb  der  31  Rippe  etwas  nach  innen 
von  der  Mammillarlinie,  verläuft  etwas  schräg  und  hat  eine  Breite  von  2  Cm. 

11.  Juni.  Die  Wunde  ist  geheilt.  Patient  tHlgt  immer  noch  die  Eis- 
blase auf  dem  Herzen. 

15.  Juni.  Herzdämpfnng  ziemlich  stark  vergrOssert,  hauptsächlich  in 
die  Quere.  An  der  Basis  das  alte  Geräusch.  Pat.  wird  heute  —  also  fast 
4  Wochen  nach  der  Verletzung  —  zum  ersten  Mal  im  Bett  aufgerichtet 
und  am  Rücken  untersucht  Das  Exsudat  erreicht  die  Mitte  der  Scapula, 
unten  ist  Oompressionsathmen  zu  hören. 

2.  Juli.  Pat.  steht  zum  ersten  Male  auf  und  geht  herum,  muss  sich 
aber  wegen  starker  Beengung  und  Herzklopfen  wieder  legen.  Das  Exsudat 
ist  immer  noch  vorhanden.  Herzdämpfung  ziemlich  beträchtlich  vergrössert; 
an  der  Basis  ein  rauhes  systolisches  Geräusch,  das  nicht  mehr  pericarditi- 
sehen  Charakter  hat 

Durch  den  ganzen  Monat  Juli  musste  Pat.  beständig  das  Bett  hflten. 
Die  Resorption  des  pleuritischen  Exsudates  ging  sehr  langsam  vor  sich. 
Patient  klagte  trotz  Bettruhe  immer  noch  von  Zeit  zu  Zeit  fiber  Herz- 
klopfen, die  Herzdämpfung  wurde  sehr  langsam  etwas  kleiner,  das  plenri- 
tische  Exsudat  resorbirte  sich. 

Am  15.  Aug.  spät  am  Abend  verliess  Pat  vor  völliger  Genesung  und 
ohne  Wissen  und  gegen  den  Willen  der  behandelnden  Aerzte  das  Spital, 
weil  er  in  der  Nacht  auf  einer  Bahre  schlafen  sollte. 

Epikrise.  loh  habe  nicht  nötbig,  ttber  diese  beiden  Fälle  noch 
eine  ansftthrliche  Begründung  der  Diagnose  beizufügen.  Beide  Male 
waren  die  physikalischen  Phänomene  so  prägnant,  dass  die  Diagnose 
nicht  die  geringste  Schwierigkeit  machen  konnte  und  eine  andere 
Möglichkeit  geradezu  undenkbar  war.  Bei  beiden  war  der  charak- 
teristische Befund  der  Percussion  und  Auscultation  in  schönster  Weise 
vorhanden.  Das  metallisch  klingende  Plätschern  und  die  Tympanie 
in  der  Herzgegend  verschwanden  bei  beiden  innerhalb  der  12  ersten 
Stunden  des  Spitalaufenthaltes.  Bei  Egolf  konnten  die  metallischen 
Phänomene  vor  Eintritt  2  mal  24  Standen,  bei  Eormann  nur  12  Stun- 
den bestanden  haben,  wenn  —  was  natürlich  nicht  unbedingt  be- 
wiesen —  das  Pneumopericardium  unmittelbar  nach  der  Verletzung 
erfolgte.  Bei  beiden  trat  im  Verlaufe  eine  Entzündung  der  Pleura 
und  des  Herzbeutels  hinzu,  was  seinerseits  ein  Beweis  für  die  gleich- 
zeitige Verletzung  der  Lunge  und  des  Herzbeutels  ist  Ob  auch  das 
Herz  selbst  verletzt  war,  konnte  weder  in  Abrede  gestellt,  noch  be- 
wiesen werden.  Bekanntlich  ist  diese  Diagnose  oft  ganz  unmöglich. 
Andererseits  gehören  isolirte  Herzbeutelverletzungen  nicht  zu  den 
Seltenheiten.  Natürlich  wurden  gleichwohl  beide  Fälle  wie*  Herzver- 
letzungen behandelt  Absolute  Ruhe,  die  gewissenhafteste  Strenge 
bei  der  Behandlung  sind  selbstverständliche  Forderungen,  gegen  die 


Pneomopericardie.  "  169 

Kwar  immer  wieder  grobe  Verstösse  gemacht  werden.  Auf  Aende- 
rangen  der  Perenssions-  und  Aascultationsverbältnisse  beim  Sitzen 
Bnd  Liegen  wurde  deshalb  in  den  beiden  Fällen  nicht  untersucht. 
Za  solchen  diagnostischen  Spielereien,  welche  nichts  ntltzen  und  dem 
Kranken  das  Leben  kosten  können,  sollte  sich  —  bei  traumatischem 
Pneamopericard  —  Niemand  verleiten  lassen. 

Fragen  wir  nach  dem  Verhalten  unserer  3  Fälle  in  pathogeneti- 
seher  Beziehung,  so  ergibt  sich,  wie  bereits  angedeutet,  dass  unser 
erster  Fall  einen  Entstehungsmodus  repräsentirt ,  welcher  in  dieser 
Art  bis  jetzt  noch  nie  beobachtet  worden  ist  oder  wenigstens  noch 
nie  mit  Bestimmtheit  diagnosticirt  werden  konnte.  Ftlr  die  beiden 
anderen  Fälle  finden  wir  in  der  Literatur  vollständig  zutreffende 
Analoga.  -^  Wir  kennen  nämlich  bis  jetzt  nur  3  ganz  zweifellose 
Möglichkeiten,  welche  die  Entstehung  einer  Luftansammlung  im  Peri- 
Card  veranlassen  können.  Unter  diesen  nimmt  nach  unserer  eigenen 
Zasammenstellung,  welche  zwar  nicht  den  Werth  absoluter  Vollstän* 
digkeit  in  Anspruch  nehmen  will,  aber  doch  eine  relativ  sehr  grosse 
Zsüil  von  Fällen  umfasst,  die  traumatische  Eröffnung  des  Herzbeutels 
die  erste  Stelle  ein.  In  den  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Fällen 
geschah  die  Eröffnung  des  Herzbeutels  auf  verschiedene  Arten.  Es 
gehören  hieher  die  Fälle  von  penetrirenden  Messerstichwunden  von 
Baam(Erause%  Feine^),  Grüttner»;,  Riebet«),  Dolbeau^) 
and  unser  3.  Fall.  An  diese  schliesst  sich  die  Beobachtung  von 
Aran^)  an,  nach  welcher  bei  Gelegenheit  der  Paracentese  des  Herz- 
bentels  Luft  eintrat,  welche  aber  schon  nach  wenigen  Stunden  wieder 
verschwand.  Bodenheimer^)  hat  einen  Fall  beschrieben,  wo  circa 
14  Tage  nach  einer  perforirenden  Schusswunde  des  Herzbeutels  offen- 
bar in  Folge  von  Anstrengung  durch  wiederholtes  Aufstehen  (wegen 
Diarrhoe)  durch  den  beinahe  verschlossenen  Schusskanal  Luft  ein- 
drang. In  dem  Falle  von  Thompson  und  Wals  he  ^)  geschah  die 
Durchbohrung  des  Herzbeutels  vom  Oesophagus  aus  durch  ein  ver- 
schlacktes Messer.  Diesem  Falle  ganz  analog  ist  der  von  Buist^), 
wo  ein  verschlucktes  künstliches  Gebiss  vom  Oesophagus  aus  die 


1)  Das  Empyem  und  seine  Heilang.    Danzig  t843.  S.  t90. 

2)  Dissert  inaag.  pericardii  laesi  etc.    Leipzig  1854. 

3)  Deutsche  Klinik.  7.  Octbr.  1865. 

4)  n.  5)  BeiJamain,  dt  nach  Fischer  (Fall  175  u.  216),  , Wunden  des  Her- 
zens und  des  Henbeatels^   Langenbeck's  Archiv  f. klin.  Ghir.  IX.  Bd.  I.Heft.  1867 

6)  Friedreich,  Krankheiten  des  Herzens.  S.  258. 

7)  Berl.  kl.  Wochenschr.  1865.  Nr.  35  (ans  der  Klinik  von  Prof.  M  unk  in  Bern). 

8)  A  pract.  treatise  on  the  diseases  of  the  lungs,  heart  and  Aorta.    London 
t$54.  p.201  and  627. 

9)  Charleston  Joorn.  Jan.  1858.    Citirt  nach  Fischer  (Fall  257), 


170  *       TU.  MftLLBR 

Pericardialhöhle  eröffnete.    In  Folge  von  gleichzeitiger  Bnptar  des 
Herzbcatels  (in  einem  Fall  auch  partielle  Ruptur  des  Herzens)  und 
Einriss  der  Lunge  durch  heftige  Erscbtitterung  (ohne  Fracturen  am 
Brustkorbe)  sah  Horel-Lavallöe^)  2 mal  Pneumothorax  und  Pnen- 
mopericard  entstehen.    Der  nämliche  Autor  hat  binnen  kurzer  Zeit 
auch  noch  einen  3.  Fall  von  Pneumopericard  in  Behandlung  bekom- 
men, bei  welchem  das  Anspiessen  von  Lunge  und  Herzbeutel  durch 
fracturirte  Rippen  die  Quelle  des  Lufteintrittes  in  die  Pericardialhöhle 
war.    Unser  Fall  Egolf  ist  das  zweite  bekannte  Beispiel  von  dieser 
Entstebungsart.    Die  beiden  FAlle  gingen  in  Heilung  Aber,  was  bei 
der  enormen  Seltenheit  nicht  tödtlicher  Herzverletzungen,  hervoif;e- 
bracht  durch  Rippenfragmente,  eine  besondere  Erwähnung  verdient. 
In  zweiter  Linie  kommen  diejenigen  Fälle^  wo  durch  Schmelziing 
des  Herzbeutels,  durch  ulcerative  Perforation  von  innen  oder  von 
aussen  —  in  Folge  von  Erkrankung  nahegelegener  Tfaeile  —  der 
Herzbeutel  mit  einem  luftftthrenden  Organ  in  Verbindung  gebracht 
wird.    In  der  Mehrzahl  bandelte  es  sich  bis  jetzt  um  Perforationen 
von  aussen.    Chambers^  und  TüteP)  [die  von  Beckers^)  be- 
schriebene Beobachtung  betrifft  den  gleichen  Kranken]  haben  nach 
Perforation    eines    Oesophaguscarcinoms   Pneumopericard    auftreten 
sehen.     Im  Falle   von  Eisenlohr^}  war  Durchbruch   eines  Pyo- 
pneumothorax  und   bei  Saexinger^)  Perforation   eines  Magenge- 
schwürs und  des  Diaphragmas  die  Veranlassung  zur  Luftansammlung 
im  Cavum  pericardii.    Graves^)  theilt  den  interessanten  Fall  mit, 
datis  ein  Leijorabscess  zu  gleicher  Zeit  mit  dem  Herzbeutel  und  mit 
dem   Magen   communicirte   und    so   zu   Pyopneumopericard   führte. 
B.  Mac  DoweP)  beschreibt  einen  Fall,  bei  dem  nach  Durchbrach 
einer  Lungencaverne  Pneumo-Pericarditis  entstand.   Uebrigens  scheint 
mir,  dass  weder  durch  die  Krankengeschichte,  noch  durch  den  ana- 
tomischen Befund  die  Annahme  widerlegt  ist,  dass  ein  der  Diagnose 
entgangenes  pericarditisches  Exsudat  in  die  Gaverae  durchgebrochen 
ist  und  so  zu  einer  Herzbeutel-Lungenfistel  geführt  hat 

1)  Rapture  du  p^ricarde;  broit  de  roue  hydraulique;  bruit  de  moulin.    Gaz. 
m^d.  de  Paris.  1864.  No.46,  4h,  51  et  53. 

2)  London  Journ.  Juli  1852. 

3)  Ein  Fall  von  Pneumopericard  aus  der  Klinik  von  Prof.  Nie  m  e y  er.  Deutsche 
Klinik.  1860.  ^>.37. 

4)  De  pneumopericardio  addita  morbi  historia.   Diss.  inaug.  Greifswald  1860. 

5)  Ein  Fall  von  Pneumopericardie.  Aus  der  Klinik  von  Gen.Hofrath  Fried- 
reich.    Berliner  klin.  Wochenschrift.  1S73.  Nr.  40. 

6)  Pneumopericard  durch  Perforation  eines  runden  Magengeschwürs.    Prager 
med.  Wochenschrift.  1865. 

7)  Clinical  mcdic.  1843.  bei  Stokes,  llerzkiankheiten.  S.20. 
b)  Bei  S tokos. 


PDeaxDopeiicardie.  171 

DasB  in  der  That  Perforationen  des  Herzbentels  durch  eitrige 
Sehmelzang  in  der  Richtung  von  innen  nach  aussen  vorkommen  und 
zu  Luftansammlung  im  Herzbeutel  führen  könneui  beweisen  der  Fall 
Ton  0.  Wys8^)|  wo  die  Perforatioü  des  pericarditischen  Exsudates 
durch  die  Brust  wand,  und  unser  1.  Fall|  wo  der  Durchbruch  nach 
den  Lungen  stattfand.  Uebrigens  gehören  Zerstörungen  des  Herz- 
beutels durch  eitrige  Pericardialexsudate  jedenfalls  zu  den  seltensten 
Ereignissen.  In  den  meisten  Specialwerken  über  Herzkrankheiten 
ist  ihr  Vorkommen  nicht  einmal  erwähnt,  oder  es  wird  als  zweifei* 
haft  hingestellt,  ob  Überhaupt  auf  diesem  Wege  Fisteln  im  Herzbeutel 
entstehen  können.  Indess  führt  0.  Wyss  in  seiner  Arbeit  ausser 
dem  eigenen  Fall  zwei  andere  Fälle  vonSabatier  und  Fabricius 
an,  wo  die  Perforation  durch  die  Brustwand  erfolgte.  Perforationen 
nach  innen  scheinen  noch  seltener  zu  sein ;  ich  habe  keinen  Tall 
finden  können.  Um  so  mehr  halte  ich  es  der  Mühe  werth,  bei  der 
Gelegenheit  eine  Beobachtung  zu  erwähnen,  welche  ich  auf  der 
Hag  uen  in 'sehen  Klinik  gemacht  habe.  Im  Februar  1876  kam  ein 
59jähriger  Mann  mit  Pericarditis  und  linksseitigem  Empyem  zur 
Section,  bei  dem  zuunterst  links  die  Pericardialhöhle  durch  eine 
tbalergrosse  Oeffnung  mit  der  Pleurahöhle  communicirte.  Während 
der  kurzen  klinischen  Beobachtung  wurde  nichts  beobachtet,  was 
für  einen  solchen  Durchbruch  sprechen  konnte,  aus  der  ganz  be- 
deutenden Erweiterung  des  Herzbeutels  Hess  sich  aber  vermuthen, 
dass  der  Herzbeutel  von  innen  und  nicht  etwa  vom  Pleurasäcke  aus 
perforirt  wurde. 

Die  dritte  Art  der.  Entstehung  eines  Pneumoperioards  ist  die 
Folge  von  spontaner  Gasentwicklung  aus  einem  jauchig  gewordenen 
Exsudate.  Wir  lassen  uns  hier  nicht  auf  die  Gontroverse  ein,  ob 
fiberhaupt  Gasentwicklung  auf  diesem  Wege  möglich  sei.  Verschie* 
denes  wird  dagegen  angeführt,  eine  andere  Entstehungsart  konnte 
in  ganz  exact  anatomisch  untersuchten  Fällen  (Duchek,  Fried- 
reich)  nicht  constatirt  werden.  Vorzugsweise  die  älteren  Autoren 
—  Morgagni,  Laennec,  Senac,  Houlier  u.  A.  —  haben  diese 
Entatehungsweise  ins  Auge  gefasst;  diese  Fälle  halten  aber  wegen 
un?ollständiger  Beobachtung  vor  einer  strengen  Kritik  nicht  Stand. 
Auch  von  den  Fällen  jüngerer  Autoren  —  Bricheteau-),  Stokes^), 


1)  De  fistula  pericardii  commentatio.    Habilitationsschrift.   Breslau  1866. 

2)  Observation  d'bydropneumop^ricardet  accompiffinee  d*an  bruit  de  fluctuation 
perceptible  a  roreillc.    Archiv,  gen^r.  de  Möd^cine.  Tome  4.  1844.  p.  334. 

<i)  Krankheiten  des  Herzens  und  der  Aorta.    1855.     Uebersctzt  von  Lind- 
vttrm. 


172  yn.  MüLiiBR 

Sorauer^);  Friedreich^),  Duchek')  haben  Beispiele  dieser  Ent- 
stehungsart  veröffentlicht  —  sind  nicht  alle  ganz  zweifellos.  Jeden- 
falls ist  es  ein  Grund  gegen  die  unbedingte  Beweiskraft  der  ange- 
nommenen Entstehungsart,  dass  in  den  beiden  Fällen  von  Stokes 
und  Sorauer  Heilung  erfolgte,  welche  man  bei  Jauchigwerden  des 
Exsudates  nicht  erwarten  sollte.  Wir  haben  deshalb  gewiss  einige 
Berechtigung,  zu  vermuthen,  dass  in  den  beiden  genannten  F&llen 
die  Luft  durch  eine  kleine  in  ein  luftftlhrendes  Organ  (die  Lungen) 
gehende  Fistel  eingetreten  ist,  um  so  mehr,  als  bei  beiden  ein  Per- 
cussionsresultat  (bruit  du  pot  f%li)  gewonnen  wurde,  welches  ohne 
diese  Voraussetzung  ganz  unerklärt  wäre.  Es  ist  ja  nicht  unbedingt 
nothwendig,  dass  dem  Eindringen  von  Luft  eine  theilweise  Entleerung 
des  eitrigen  Exsudates  vorausgehen  musste. 

Stabsarzt  Dr.  Fetz  er  ^)  in  Stuttgart  veröffentlichte  im  Jahre  1874 
einen  Fall  von  Pneumopericardie,  dessen  Entstehung  unter  keine  der 
eben  erwähnten  drei  Gruppen  fällt.    Der  Fall  ist  so  eigenartig,  aber 
auch  so  unklar,  dass  ich  ihn  etwas  näher  erwähnen  nmss.    Bei  einem 
septikämischen  Schwerverwundeten  traten  4  Stunden  vor  dem  Tode 
plötzlich  ohne  besondere  Veranlassung  heftige  Sticknoth,  Schmerzen 
in  der  Herzgegend  und  ein  kleiner  frequenter  Puls  auf.    Der  Kranke 
sass  laut  stöhnend  im  Bett;  schon  h  dütance  hörte  man  ein  lautes, 
plätscherndes  Geräusch  mit  der  Herzbewegung  und  an  Stelle  der 
Herzdämpfung  fand  sich  ein  hell-tympanitischer  Schall,  so  dass  von 
allen  Beobachtern  die  Diagnose  Luftansammlung  im  Herzbeutel  ge- 
macht wurde.  —  Bei  der  schon  12  Stunden  nach  dem  Tode  gemach- 
ten Section  wurde  zunächst  die  Punction  des  Herzbeutels  vorgenom- 
men;  es   entwichen  „nur  einige  wenige  Luftblasen **   und  bei  der 
nachherigen  Eröffnung  des  Herzbeutels  fand  man  gar  keine  Luft 
mehr  und  nur  eine  geringe  Menge  seröser  Flttssigkeit   Fetz  er  hebt 
hervor,  dass  die  Section  keine  unzweifelhafte,  positive  Bestätigung 
gebracht  hat,  hält  aber  gleichwohl  »wegen  der  zwingenden  Klarheit 
der  Symptome  **  an  der  Diagnose  fest.    Indessen  sind  der  (fast)  nega- 
tive Obductionsbefund,  die  ganz  ungewöhnliche  Acuität  des  Verlaufs, 
die  mangelnde  oder  wenigstens  bis  jetzt  ganz  unbekannte  Aetiologie 
(Exhalation  von  Gas  aus  dem  septikämischen  Blute  Fetzer)  und 
die  Thatsache,  dass  hier  Täuschung  so  leicht  möglich  und  vom  Magen 
aus  ganz  identische  Phänomene  geliefert  werden  können,   gewiss 

1)  De  hydro-pneumopericardio.    Dissert.  Berlin  1858. 

2)  Heizkrankheiten.  S.  266  (Decbr.  t859). 

3)  Krankheiten  des  Herzens,  Herzbeutels  und  der  Arterien.  Bd.  I.  S.  56. 

4)  Ein  Fall  von  Pneumopericard.  WQrtembeiv.  medicinisches  Correspondenz* 
blatt.  1824. 


Pneamopericaidie.  1 73 

schwerwiegende  Orflnde  gegen  die  unümstössliche  Beweiskraft  der 
Beobachtong. 

In  physikaliBcher  Besdehung  bieten  unsere  3  Fälle  kein  beson- 
deres Interesse.  Ein  genaues  Eingeben  auf  die  Symptomatologie 
Bämmtlicher  in  der  Literatur  bekannten  Fälle  liegt  nicht  in  unserer 
Absicht  und  wir  können  auch  eine  ausführliche  Schilderung  der 
Symptome  um  so  eher  unterlassen,  als  in  allen  Lehrbüchern  über 
Herakrankheiten  die  Hauptsache  erwähnt  ist  Alle  acustischen  Phä- 
DomenCi  welche  gefunden  wurden,  sind  in  ihrer  Entstehung  sehr 
leicht  yerstttndlich ,  wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  es  sich 
beim  Pneumopericard  um  einen  Schallraum  handelt,  welcher  beinahe 
aosBahmslos  neben  Luft  noch  Flüssigkeit  (Blut  oder  Eiter)  in  gerin- 
ger oder  grösserer  Menge  enthält  und  dass  die  Luft  dem  Gesetz  der 
Schwere  folgend  die  obersten  Stellen  im  Schallraume  einnimmt.  — 
Bei  zweien  unserer  Fälle  war  das  charakteristische  Percussionsresultat 

—  beller  tympanitiscber  Schall  an  Stelle  der  absoluten  Herzdämpfnng 

—  in  voller  Ausbildung  vorhanden.  Auf  allfällige  Aenderungen  des 
Schalls  bei  Lagewechsel,  wie  sie  z.  B.  im  Eisenlohr'schen  Falle 
eonstatirt  wurden,  wurde  aus  therapeutischem  Interesse  nicht  geprüft 
Bei  unserem  ersten  Falle  erklärten  wir  das  Fehlen  der  Tympanie 
in  der  Herzgegend  durch  Verwachsungen  des  Herzbeutels  an  der  vor- 
deren Wand.  Bei  allen  3  Beobachtungen  wurden  bei  der  Auscultation 
die  nämlichen  höchst  auffallenden  Phänomene  gehört,  wie  sie  in 
flbereinstimmender  Weise  von  der  Mehrzahl  der  Beobachter  beschrie- 
ben werden.  Man  hörte  sehr  laute  rhythmisch  plätschernde  Geräusche, 
welche  mit  der  Herzbewegung  isochron  sind  und  unzweifelhaft  durch 
die  Schüttelbewegungen  der  iin  Herzbeutel  eingeschlossenen  Luft  und 
Fittssigkeit  entstehen.  Die  Einen  nennen  die  Geräusche  plätschernde 
oder  gurgelnde,  brodelnde;  Andere  reden  von  Fluctuations-  oder 
Saccussionsgeräusch.  Bricheteau  und  Morel-Lavallöe  brauch- 
ten den  allerdings  etwas  drastischen,  aber  doch  nicht  unpassenden 
Vergleich  des  Mühlradgeräusches  {bruit  de  maulm,  kruit  de  roue 
lydrauUque).  Man  kann  das  Geräusch  sehr  einfach  nachahmen,  wenn 
man  Flüssigkeit  in  einer  halbgefüllten  Flasche  schüttelt  Nicht  ganz 
selten  hört  man  vom  Magen  aus  durch  die  Herzbewegung  angeregt 
das  nämliche  Succussionsgeräusch ;  vor  Verwechslung  mit  deinselben 
mu88  man  sich  hauptsächlich  in  Acht  nehmen.  Bei  einigen  Kranken 
war  das  Geräusch  so  auffallend  laut,  dass  es  auf  Entfernung  sogar 
im  ganzen  Krankenzimmer  gehört  wurde  (Tutel,  Morel-LavalUe)| 
md  in  dem  S  tokos 'sehen  Falle  wurde  Patient  selbst  und  seine  Frau 
durch  das  laute  Geräusch  im  Schlafe  gestört.    Die  Herztöne  sind 


174  yil-  Moller,  Pnenmopciicardie. 

durch  das  plätochernde  Geräasch  verdeekt  oder  haben  einen  ange- 
wöhnlich lauten  metallischen  Klang  und  werden  mitunter  auch  auf 
Entfernung  gehört  (Baum,  Fried  reich).  Bei  zwei  Fällen  von 
Morel-Lavallöe,  welche  er  darauf  untersuchte,  und  in  dem  Falle 
von  Bodenheimer  (Munk)  verschwand  das  plätschernde  Geräusch 
beim  Aufrichten  der  Kranken  —  eine  auffallende  Erscheinung,  welche 
schwer  zu  erklären  ist.  —  Bei  unserem  ersten  Kranken  wurde  neben 
dem  metallisch  klingenden  Plätschern  ein  eigenthtlmliches  blasendes 
Geräusch  gehört,  das  allen  Untersuchen!  den  Eindruck  von  Durch- 
pressen der  Luft  durch  die  Herzbeutelfistel  machte.  Dasselbe  war 
mit  dem  Aufhören  der  Erscheinungen  der  Luftansammlung  spurlos 
verschwunden. 

Die  nämliche  Beobachtung  ist  der  erste  constatirte  Fall  von 
Recidiviren  der  Luftansammlung.  Das  zweite  Mal  war  das  blasende 
Nebengeräusch  nicht  zu  hören. 

Der  gttnstige  Ausgang  von  allen  unseren  3  Fällen  veranlasst 
mich,  zum  Schlüsse  noch  ein  Wort  über  die  Prognose  beizufügen. 
Dieselbe  ist  vielfach  zu  ungünstig  hingestellt  worden.  Bricheteaa 
ging  seiner  Zeit  so  weit,  als  ein  Kriterium  der  Diagnose  den  todt- 
lichen  Ausgang  zu  verlangen,  und  bestritt  aus  diesem  Grunde  die 
Beweiskraft  älterer  Beobachtungen  (Baillou,  Haulier,  Morgagni, 
Laennec).  Er  ging  jedenfalls  damit  viel  zu  weit.  Ich  halte  dafflr, 
dass  Luftansammlung  im  Herzbeutel  an  und  für  sich  kein  bedenk- 
licher Zufall  ist.  Die  Prognose  ist  bei  den  traumatischen  Fällen 
hauptsächlich  von  der  Verletzung  selbst  abhängig  und  bei  den  übri- 
gen Fällen  richtet  sie  sich  nach  dem  Grundleiden.  Von  den  28  Fällen 
der  eigenen  Zusammenstellung  gingen  9  in  Heilung  über.  Die  g&n- 
stigste  Prognose  bieten  die  traumatischen  Fälle,  von  14  heilten  6 
(Feine,  Aran,  Morel-LavalHe,  Baum,  Rose  2  Fälle).  Von 
den  Fällen  der  2.  Reihe  (8),  bei  denen  das  Pneumopericard  auf 
ulcerativer  Durchbohrung  des  Herzbeutels  beruhte,  liefen  alle  mit 
Ausnahme  unserer  Beobachtung  (Fall  I)  mit  dem  Tode  ab.  Beinabe 
bei  allen  handelte  es  sich  um  ein  Grundleiden,  welches  an  und  für 
sich  schon  eine  schlechte  Prognose  abgibt.  —  Es  liegt  in  der  Nator 
des  Processes,  dass  auch  Pneumopericardie  in  Folge  Zersetzung  eitri- 
ger Pericardialexsudate  eine  schlechte  Prognose  bietet.  Wie  wir 
schon  an  einer  früheren  Stelle  bemerkt,  sollte  man  glauben,  dass 
jeder  Fall  der  Art  letal  verlaufe,  und  deshalb  halten  wir  auch  die 
beiden  geheilten  Fälle  von  Stokes  und  Sorauer  (Traube)  in 
ätiologischer  Beziehung  nicht  für  ganz  zweifellos. 


vin. 

'Zor  KenDtniss  der  Sehnenreflexe. 

Von 

Br.  Adolf  Strümpell, 

Prlrttdoeent  nnd  I.  Atilstent  an  der  med.  Klinik  sa  Leipzig. 

Die  auffallende  Prägnanz  der  Erscheinungen,  welche  wir  unter 
dem  Namen  der  Sehnenreflexe  zusammenf^bssen,  und  die  interessanten 
theoretischen  Fragen,  welche  sich  an  das  Studium  derselben  an« 
knttpfen  lassen,  haben  in  neuerer  Zeit  die  Aufmerksamkeit  zahl- 
reicher Beobachter  auf  diese  bei  vielen  Erkrankungen  des  Nerven- 
systems so  ausserordentlich  mannigfaltigen  Phänomene  hingelenkt.  Je 
mehr  man  sich  wundem  muss,  dass  die  Sehnenreflexe  trotz  der 
grossen  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  so  lange  Zeit  von  den  guten 
älteren  Beobachtern  ganz  übersehen  oder  nur  wenig  beachtet  und 
nnriehtig  gedeutet  worden,  um  so  höher  müssen  wir  das  Verdienst 
Derjenigen  anschlagen,  welche  zuerst  die  Wichtigkeit  des  Gegen- 
standes erkannten  und  dem  Studium  desselben  in  kürzester  Zeit  all- 
gemeine Verbreitung  verschafften.  Denn  wenn  auch  die  bekannten 
grundlegenden  Arbeiten  von  Erb  und  Westphal  uns  bereits  mit 
einer  Menge  thatsächlicher  Verhältnisse  bekannt  machten,  so  blieben 
doch  noch  zahlreiche  Fragen  offen  und  noch  jetzt  müssen  wir  ge- 
stehen, dass  wir  weder  über  di^  Theorie  der  Erscheinungen  schon 
yöllig  im  Klaren  sind,  noch  auch  ein  erschöpfendes  klinisches  Be- 
obachtungsmaterial  über  Vorkommen,  Fehlen,  diagnostische,  pro- 
gnostische und  semiotische  Bedeutung  derselben  besitzen. 

Dass  wir  in  der  That  berechtigt  sind,  die  in  Bede  stehenden 
Erscheinungen  als  reflectorische  aufzufassen  und  so  den  von 
Erb  eingeführten  Namen  „Sehnenreflexe^  beibehalten  können, 
scheint  nach  den  vorliegenden  experimentellen  Untersuchungen  sicher 
za  sein  und  wird  auch  durch  zahlreiche  klinische  Erfahrungen  in 
unzweideutiger  Weise  bestätigt.  Nur  ist  der  Name,  streng  genom- 
men, zu  eng  gewählt,  d.  h.  umfasst  nicht  die  ganze  Reihe  der  zwei- 
fellos zusammengehörigen  Erscheinungen.  Denn  die  in  Bede  stehen- 
den Reflexe  lassen  sich  in  fast  allen  Fällen  durchaus  nicht  von  den 
eigentlichen  Huskelsehnen  allein  auslösen,  sondern  in  engster  Be- 


176  ym  StrOmpbll 

Ziehung  zu  ihnen  stehen  ausserdem  noch  zahlreiche  Reflexe,  welche 
im  Periost,  den  Fascien»  Bändern  u.  s.  w.  ihren  Ausgangspunkt  haben. 
Immerhin  erscheint  es  aber  zweckmässig,  die  Bezeichnung  «Seh- 
nenreflexe'' als  Gollectivnamen  fttr  alle  von  den  »seh- 
nigen Theilen*'  des  Körpers  aus  durch  mechanische 
Reize  hervorzurufenden  reflectorischen  Muskelzuck- 
ungen beizubehalten.  Von  diesen  sind  bis  jetzt  freilich  die 
von  den  eigentlichen  Sehnen  selbst  ausgehenden  Reflexe  am  meisten 
beobachtet  worden,  obgleich  die  Fascien-  und  Periostreflexe  denselbeu 
an  Häufigkeit  des  Vorkommens  keineswegs  nachstehen,  an  Mannig- 
faltigkeit vielleicht  sogar  überlegen  sind. 

Ohne  hier  eine  vollständige  Uebersicht  aller  bis  jetzt  von  mir 
und  Anderen  überhaupt  beobachteten  Sehnenreflexe  geben  zu  wollen, 
beschränke  ich  mich  darauf,  nur  einige  häufiger  zu  machende  Beob- 
achtungen anzuführen,  welche  besonders  geeignet  sind,  die  reflec- 
torische  Natur  der  erhaltenen  Zuckungen  darzuthun.  Hierher  gehören 
zunächst  alle  Periostreflexe.  Schon  frühere  Beobachter  haben 
angegeben,  dass  man  in  Fällen  mit  stark  erhöhten  Patellarreflexen 
dieselbe  Zuckung  im  Extensor  cruris  auch  von  der  inneren  llbia- 
fläohe  aus  erhalten  kann.  Ich  selbst  habe  zu  wiederholten  Malen 
Fälle  beobachtet,  wo  von  der  ganzen  Tibiafläohe  aus  schon  durch 
einen  leichten  Percussionsschlag  eine  starke  Zuckung  im  Quadriceps 
hervorgerufen  werden  konnte.  An  eine  fortgepflanzte  mechanische 
Erschütterung  des  Muskels  kann  nicht  *  gedacht  werden.  Denn  zu- 
weilen reicht  zur  Auslösung  der  Zuckung  schon  ein  so  leichter  Schlag; 
auf  das  unterste  Ende  der  Tibia  aus,  dass  durch  denselben  kaum 
eine  irgend  erhebliche  Erschütterung  des  Oberschenkels  hervorgerofen 
werden  kann,  während  starke  Schläge  auf  andere  Theile  des  Unter- 
schenkels keine  Quadriceps-Zuckung  zur  Folge  haben. 

Bekannt  und  mehrfach  beschrieben  sind  die  von  den  Vorderarm- 
knochen, besonders  von  deren  unteren  Enden  aus  hervorzurufenden 
Reflexe  im  Supinator  longus,  Biceps,  Deltoideus  u.  a.,  von  denen 
namentlich  die  zuweilen  vorkommende  Zuckung  des  Deltoideus  bei 
Beklopfen  des  unteren  Ulna-  oder  Radiusendes  interessant  ist  ^)  Zu 
diesen  „entfernten  Reflexen**  gehören .  ferner  der  Bicepsreflex 
von  der  Glavicula  aus,  die  von  den  Dornfortsätzen  der  Halswirbel 
aus  zu  erhaltenden  Zuckungen  in  den  Oberarmmuskeln  und  von  den 
Domfortsätzen  der  Lendenwirbel  aus  in  den  Olutaeis  und  den  Muskeln 

1)  Nachträgliche  Anmerkung.  Vor  Kurzem  sah  ich  auch  eineäusserst 
pilLgnante  Zuckung  im  M.  cncullaris  nach  jedem  Beklopfen  des  Capitolam 
ulnae  derselben  Seite  auftreten. 


Zur  Kenntnifls  der  Sehnenreflexe.  177 

an  der  inneren  Flftche  der  ObersehenkeL  Alle  diese  Zuckungen 
können  nur  als  refleetorisehe  ao^efasst  werden,  und  da  sie  stets  im 
Verein  mit  den  yon  den  Sehnen  selbst  auszulösenden  Zuckungen 
yorkommeui  so  liegt  hierin  ein  Grund,  auch  die  letzteren  in  gleichem 
Sinne  zu  draten. 

Weniger  gekannt  scheint  bis  jetzt  das  Vorkommen  gekreuzter 
Periostreflexe  zu  sein,  welche  ich  wiederholt  beobachtet  habe. 
Schon  Westphal  erwähnt  die  gekreuzte  Bicepszuckung  beim  Klopfen 
anf  die  davicula  der  entgegengesetzten  Seite.  Dieser  Reflex  ist 
durchaus  kein  seltener.  Bei  Hemiplegien  habe  ich  ihn  mehrmals 
constatirt,  ferner  in  einem  Fall  von  BleiUhmung,  auf  den  ich  unten 
noch  ausführlicher  zurückkomme.  In  allen  diesen  Fällen  folgte  jedem 
Schlag  auf  die  Glaricula  gleichzeitig  sowohl  eine  Zuckung  in  dem 
Bieeps  derselben  Seite,  wie  eine  geringere,  aber  doch  ganz  ausge- 
sprochene Zuckung  im  Bieeps  der  entgegengesetzten  Seite.  Ein  wei- 
tere häufig  gekreuzt  zu  beobachtender  Reflex  ist  die  Zuckung  in 
den  Adductoren  am  Oberschenkel  durch  Beklopfen  des  inneren  Con- 
dflus  der  Tibia.  Auch  hier  sieht  man  dann  neben  der  Zuckung  in 
dem  gleichseitigen  Oberschenkel  eine  deutliche  Zuckung  derselben 
Hoskeln  auf  der  andern  Seite.  Endlich  kommt  häufig  ein  Reflex 
im  Pectoralis  major  gekreuzt  Tor,  herrorgerufen  durch  Beklopfen 
der  Stemalenden  der  oberen  Rippen  auf  der  entgegengesetzten  Seite, 
wie  ich  das  am  deutlichsten  bei  Fhthisikern  (s.  u.)  beobachtet  habe. 
Eigentliche  Sehnenreflexe  scheinen  gekreuzt  nur.  selten  vorzukommen. 
KelatiT  am  häufigsten  sieht  man  in  geeigneten  Fällen  bei  mechani- 
scher Beizung  des  Ligamentum  patellae  ausser  der  starken  gleich- 
Bcitigen  Quadriceps-Zuckung  am  andern  Bein  eine  geringe  Zuckung 
in  den  Adductoren  am  Oberschenkel.  Von  der  Tibiafläche  aus  habe 
ich  einmal  aueh  ausser  dem  gleichseitigen  Quadricepsreflex  eine 
schwache  Zuckung  desselben  Muskels  auf  der  anderen  Seite  neben 
stärkerer  gekreuzter  Adductorenzuckung  erhalten. 

Besondere  Aufmerksamkeit  habe  ich  in  allen  Fällen  mit  erhöhten 
Sehnenreflexen  dem  Verhalten  der  Muskeln  bei  directer  mechanischer 
Beizung  geschenkt.  Nach  sehr  zahlreichen  Beobachtungen  glaube 
ich  wohl  behaupten  zu  können,  dass  gewiss  mit  nur  seltenen  Aus- 
nahmen jeder  Muskel,  in  welchem  von  seiner  Sehne  aus  eine  reflee- 
torisehe Zuckung  hervorgerufen  werden  kann,  auch  durch  directes 
Beklopfen  seines  Muskelbauchs  mehr  oder  weniger  stark  in  Zuckung 
versetzt  werden  kann.  Fasst  man  diese  Zuckung  als  Folge  einer 
directen  mechanischen  Reizung  des  Muskels  (resp.  der  Kervenenden 
in  demselben)  auf,  so  würde  also  die  beaclitenswertbe  Thatsache 

DratMbM  ArehlT  f.  klin.  Medicln..   XXIV.  Bd.  12 


178  Yin.  Stromfsll 

bestehen,  dasB  eine  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  fast  immer  gleich- 
zeitig mit  einer  gesteigerten  mechanischen  Erregbarkeit  derjenigen 
Muskeln,  welche  die  erhöhte  Reflexerregbarkeit  seigen,  rerbunden 
ist.  Dies  scheint  in  manchen  Fftl|en  auch  das  thatsfichliehe  Ver- 
halten zu  sein.  In  manchen  anderen  Fällen  aber  habe  ieh  mich 
der  Ueberzeugung  nicht  verschliessen  können,  dass  die  betreffende 
Zuckung  nicht  als  Folge  directer  mechanischer  Reizung  des  Muskels 
selbst,  sondern  als  Reflex,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  der 
Muskelfascie  ausgehend,  zu  betrachten  ist  In  solchen  Fällen  unter- 
scheidet sich  die  Zuckung,  welche  man  durch  leises  Beklopfen  einer 
Stelle  des  Muskelbauchs  in  dem  ganzen  Muskel  erhält,  durch  nichts 
von  der  Zuckung,  welche  man  beim  Beklopfen  der  zugehörigen 
Sehne  erhält.  Am  Oastrocnemius,  Extensor  cruris,  besonders  schön 
am  Semimembranosus  und  Semitendinosus,  am  Biceps  und  an  zahl- 
reichen anderen  Muskeln  habe  ich  dieses  Verhalten  beobachtet.  Indem 
man  z.  B.  nach  und  nach  jeden  Punkt  der  Bicepssehne  in  der  Ellen- 
beuge und  Ton  da  nach  oben  fortschreitend  den  Muskelbauch  des 
Biceps  selbst  mechanisch  reizt,  erhält  man  jedes  Mal  durchaus  gleich- 
artige Zuckungen  dieses  Muskels.  Man  wird  vielleicht  yermuthen 
können,  dass  bei  dem  directen  Beklopfen  des  Muskels  die  Sehnen- 
enden im  Muskel  miterschdttert  werden  und  somit  der  Ort  der  Rei- 
zung doch  in  beiden  Fällen  derselbe  sei.  Allein  dagegen  spricht 
der  Umstand,  dass  diese,  wie  ich  glaube,  fasciale  Reflexreizung  der 
Muskeln  in  vielen  Fällen  von  den  obern  Partien  des  Muskelbauchs 
aus  viel  intensiver  erfolgt,  wie  von  dem  unteren,  dem  Sehnenansatz 
näher  gelegenen  Theile.  Dieses  Verhalten  ist  namentlich  an  man- 
chen Vorderarmmuskeln  (Supinator  longus,  Flexores  und  Extensorei 
carpi)  die  Regel.  Beweisend  fflr  das  Vorhandensein  von  Fascien- 
reflexen  überhaupt  sind  wieder  die  Beobachtungen  ttber  entfernte 
Reflexe,  d.h.  Zuckungen  in  entfernten  Muskeln  bei  direc* 
tem  Beklopfen  eines  Muskels.  Ein  derartiger  Reflex  findet 
sich  z.  B.  nicht  selten  im  Biceps  beim  Klopfen  auf  den  Muskelbaacb 
des  Supinator  longus  oder  auf  andere  Muskeln  an  der  Volarseite  des 
Vorderarms.  Ferner  habe  ich  oft  bei  „directer  Reizung^  des  Gastro- 
cnemius  ausser  der  Zuckung  dieses  Muskels  gleichzeitig  einen  Reflex 
im  Semimembranosus  und  Semitendinosus  erhalten,  weloher  meist 
mit  derselben  Deutlichkeit  auch  von  der  Achillessehne  selbst  aus- 
gelöst werden  konnte.  In  einem  Fall  von  Myelitis  sah  ieh  nach 
jedem  Percussionsschlag  auf  den  Tibialis  anticus  eine  sehr  detiKche 
Zuckung  im  Extensor  cruris  eintreten,  während  Beklopfen  der  be- 
nachbarten Tibiafläche  keine  Spur  von  Reflexzuckung  zur  Folge  hatte. 


Zur  Keoainiss  der  Siihneiireflexe.  179 

glaube  ich  annehmen  m  dürfen ,  daas  manche  älteren 
Angaben  ttber  Erhöhung  der  »directen  mechanischen  Erregbarkeit* 
geltimiter  Mnskeln  sieh  auf  die  oben  beschriebeneni  wie  ich  glaube, 
refiectorischen  Zocknngen  beziehen.  Es  gibt  sogar  Fälle,  wo 
sieh  diese  Zocknngen  von  der  Fascie  des  Muskels  selbst  noch  leichter 
und  aosgiebiger  erhalten  lassen,  wie  von  den  zugehörigen  Sehnen« 
Vor  Kurzem  habe  ich  in  einem  Fall  Yon  ausgebreiteter  Blutung  an  der 
Gehirabasis  sehr  lebhafte  Gattrocnemiusreflexe  bei  directem  Beklopfen 
des  Muskels  beiderseits  erbalten,  während  von  der  Achillessehne  selbst 
EOS  trotz  sorgsamer  Untersnehong  kein  Reflex  ausgelöst  werden  konnte. 
Bei  jedem  leisen  Pereussionsschlag  aber  auf  eine  beschränkte  Stelle 
der  Wade  sah  man  sofort  eine  ausgiebige  Zuckung  im  gesammten 
Trieeps  surae  eintreten.  Immerhin  ist  aber  die  Deutung  der  bei 
meehanischer  Reizung  des  Muskels  selbst  erhaltenen  Zuckungen  zur 
weilen  schwierig.  In  vielen  Fällen  sieht  man,  wie  blos  die  direct 
betroffenen  Muskelbündel  sich  contrahiren,  und  wird  dann  in  erster 
Linie  an  eine  directe  Reizung  des  Muskels  denken  müssen.  Auch 
in  Fällen  mit  aufgehoben«i  Sehnenreflexen  erhält  man,  besonders 
oft  im  Gastrocnemins,  deutliche  Zuckungen  beim  Beklopfen  desselben, 
wie  Erb  fflr  die  Tabes  dorsalis  angegeben  hat  und  ich  bei  dieser 
und  yerwandten  Krankheiten  gleichfalls  gefunden  habe.  In  andern 
Fällen  aber,  welche  Oberhaupt  lebhafte  Reflexe  zeigen,  sind  neben 
den  Sehnen-  und  Periostreflexen  auch  wirkliche  Fascienreflexe  vor- 
handen. Sie  bieten  in  jeder  Beziehung  mit  den  ersteren  so  unter 
rinander  analoge  Erscheinungen  dar,  dass  sie  gewiss  in  übereinstim- 
mender Weise  erklärt  werden  müssen  und  ihre  gemeinsame  Erhöhung 
anf  dieselbe  Ursache  zu  beziehen  ist. 

Die  Zuekung  im  Muskel  bei  mechanischer  Reizung  desselben 
stellt  sich  nicht  selten  auch  in  der  Weise  dar,  dass  neben  der  Zuck- 
ung des  ganzen  (reflectorisch)  erregten  Muskels  die  direct  unter  der 
gereizten  Stelle  gelegenen  Bändel  sieh  ihrer  ganzen  Länge  nach  noch 
stärker,  wie  die  ttbrigen  Bändel,  contrahiren.  Ein  derartiges  Ver- 
halten findet  sich  nicht  selten  am  Oastrocnemius  und  besonders 
sebön  am  Pectoralis  mi^or.  In  Fällen  mit  erhöhten  Sehuenreflexen, 
namenüieh  häufig  bei  Phthisikem,  ist  der  Pectoralis  major  sehr  leicht 
doreh  mechanische  Reizung  des  Sternums  erregbar.  Man  erhält  nach 
jedem  Schlag  anf  die  entsprechende  Hälfte  des  Sternums  eine  rasche, 
oft  uemlich  starke  Zuckung  des  genannten  Mnskels.  Hierbei  b^ 
merkt  man  nun  sehr  gewöhnlich,  wie  sich  in  der  Zuckung  des  ganzen 
Mnskels  diejenigen  Bändel,  deren  Ansatzpunkte  am  Stemum  gerade 
der  gerdzten  Stelle  desselben  entsprechen,  sich  besonders  stark  con- 

12* 


180  VHL  &FaßuPBLL 

trahiren  und  sich  so  deatlich  von  den  Übrigen  Bündeln  unterscheiden 
lassen. 

Besonders  hervorgehoben  mnss  f«mer  werden,  dass  sieh  häufig 
neben  der  gesteigerten  Reflexerregbarkeit  auffallend  starke  wirk- 
lich idiomuBculäre  Contraetionen  hervorrufen  lassen.  Ich 
meine  die  umschriebenen,  sich  relativ  langsam  bildenden  und  erst 
allmählich  sich  wieder  ausgleichenden  Wfllste,  die  man  bei  stärkerer 
mechanischer  Reizung  des  Muskels  erhält.  Am  besten  lässt  sich 
diese  allgemein  bekannte  und  als  idiomusculäre  Zuckung  Bxdgeiassbt 
Erscheinung  am  Biceps  beobachten,  wenn  man  mit  der  Ulnarkante 
der  Hand  auf  denselben  einen  kurzen,  kräftigen  Schlag  ausübt.  Mir 
ist  wiederholt  aufgefallen,  besonders  bei  Phthisikem,  jedoch  auch 
in  anderen  Fällen  mit  erhöhten  Sehnenreflexen,  wie  stark  gleich- 
zeitig die  idiomusculären  Zuckungen  bei  relativ  geringer  Reizung  des 
Muskels  auftraten. 

Als  Folge  directer  mechanischer  Muskelreizung  werden  femer 
die  in  peripherisch  gelähmten  Muskeln,  welche  elektrische  Entartnngs- 
reaction  zeigen,  durch  Beklopfen  erhaltenen  Zuckungen  aufgefasst 
Hier  sind  allerdings  a  priori  reflectorische  Vorgänge  sehr  unwahr- 
scheinlich. Jedenfalls  sind  aber  die  in  Rede  stehenden  Zuckungen 
schon  in  ihrer  Erscheinung  und  in  ihrem  Ablauf  von  den  oben  er- 
wähnten idiomusculären  Contraetionen  ganz  verschieden,  und  was 
ihre  Deutung  besonders  erschwert,  ist  der  Umstand,  dass  in  den  be- 
treffenden Fällen  oft  in  der  Tbat  gleichzeitig  sicher  reflectorische 
Vorgänge  zur  Beobachtung  kommen,  welche  von  den  eventuell  durch  ' 
directe  Reizung  hervorgerufenen  Zuckungen  mindestens  sehr  schwer 
sich  trennen  lassen.  Ich  denke  hier  besonders  an  die  zuerst  von 
Hitzig  bei  peripherischen  Facialislähmungen  näher  studirte  erhöhte 
Reflexerregbarkeit.  Zu  einer  Zeit,  wo  die  willkflrliehe  Beweglich- 
keit in  der  gelähmten  Gesichtshälfte  noch  vollständig  aufgehoben 
ist,  die  gelähmten  Muskeln  ausgesprochene  Entartungsreaction  und 
die  bekannte  erhöhte  ^ mochanische  Erregbarkeit"  besitzen,  erhält 
man  in  denselben  Muskeln  zuweilen  auch  genau  dieselben  Zuck- 
ungen von  der  anderen  Gesichtshälfte  aus.  Die  z.  B.  im  LevatcM* 
alae  nasi  durch  directes  Beklopfen  erhaltene  Zuckung  unterscheidet 
sich  dem  Anschein  nach  nicht  im  Geringsten  von  der  im  gldchen 
Muskel  erhaltenen  Zuckung,  wenn  man  einen  leichten  Schlag  mit 
dem  PercuBsionshammer  auf  den  Nasenrücken  oder  auf  das  Nasen- 
bein der  anderen  gesunden  Seite  führt.  Auch  in  den  Muskeln  des 
Mundwinkels  auf  der  gelähmten  Seite  (M.  risorius,  zygomaticus)  sab 
ich  Zuckungen  beim  Beklopfen  des  Nasenbeins  und  sogar  der  Stin 


Zur  Kenntniss  der  Sehnenreflexe.  181 

laf  der  gesnnden  Seite.  Bis  jetzt  aber  laesen  sieh  diese  Reflexe 
durchaus  nicht  sioher  als  Periost-  oder  Fasdenrefleze  auffassen,  wie 
es  dem  ersten  Anschein  nach  zu  sein  scheint.  Wenigstens  ist  es  mir 
noch  nicht  gelangen ^  die  Möglichkeit,  dass  es  sich  um  Hautreflexe 
handelt,  hierbei  anssuschliessen.  Gerade  ttber  diese  interessanten 
Reflexe,  welche  auch  bei  anderen  peripheren  LAhmungen  Yorkom- 
men,  hoffe  ich  noch  genauere  Beobachtungen  anstellen  zu  können, 
besooders  Ober  die  Zeit  ihres  Auftretens,  sowie  Aber  ihr  Verhftltniss 
ZQ  den  jetzt  allgemein  als  Folge  directer  mechanischer  Muskelreizung 
anfgefassten  Zuckungen  und  zu  den  Mitbewegungen. 

In  den  Fftllen,  wo  an  den  Extremitäten  eine  hochgradige  Stei- 
gerung der  Sehnenreflexe  vorkommt,  gibt  diese  häufig  Anlass  zu  einer 
Rdhe  weiterer  Erscheinungen,  deren  Znsammenhang  mit  der  erhöhten 
Beflexerregbarkeit  nicht  immer  ohne  Weiteres  klar  ist  Bekannt  ist, 
da«  das  schon  von  früheren  Beobachtern  beschriebene  „Fussphä- 
nomen'*  in  der  Erhöhung  des  Achillessehnenreflexes  seine  durchaus 
zureichende  Erklärung  gefunden  hat.  Auch  andere  Reflexe  kann 
mau  zuweilen  in  ähnlicher  klonischer  Form  erhalten.  Erb  beschrieb 
zaerst  den  Clonus  im  Extensor  cruris  bei  plötzlichem  Abwärtsziehen 
der  Patella.  Ich  habe  ausser  diesen  beiden  häufigen  Erscheinungen 
in  einem  Fall  von  Qehimsklerose  auch  in  der  Hand,  bei  passiver 
Dorsalflexion  derselben,  einen  andauernden  Clonus  gesehen  und  in 
einem  Fall  von  Gliom  an  der  (Jehimbasis  in  dem  gelähmten  und  in 
Pronationscontractur  befindlichen  Vordenurm  bei  jedem  etwas  plötz- 
licheren Supinationsversuch  einen  sofort  eintretenden  Clonus  in  den 
Pronatoren,  wodurch  der  Vorderarm  in  eine  beständige  Drehbewegung 
mit  abwechselnder  Pronation  und  Supination  versetzt  wurde.  Beide 
Encheinungen  beruhten  in  ganz  analoger  Weise  auf  den  erhöhten 
Sehnenreflexen  in  den  betreffenden,  bei  der  passiven  Bewegung  ge- 
zerrten Muskeln.  Die  Angabe  von  Brown-S6quard,  dass  man 
das  Fuasphänomen  durch  eine  passive  Plantarflexion  der  grossen 
Zehe  sofort  zum  Stillstand  bringen  kann,  ist  in  dieser  Fassung  ge- 
wiss nicht  richtig.  Beugt  man  während  eines  andauernden  Fussclonus 
die  grosse  Zehe  noch  so  stark,  vermeidet  aber  dabei  eine  gleichzeitige 
Plantarflexion  des  ganzen  Fusses,  so  bleibt  das  Fussphänomen  da- 
von vollständig  nnbeeinflusst.  (Jeschieht  aber  dabei  gleichzeitig  eine 
Plantarflexion  des  Fusses,  so  hört  damit  selbstverständlich  die  me- 
ehanisehe  Heizung  der  Achillessehne  und  mithin  auch  der  Clonus  in 
dem  Fusse  auf.  In  anderen,  ziemlich  häufigen  Fällen,  wo  die  passive 
Plantarflexion  der  grossen  (ttlMrigens  ebenso  jeder  andern)  Zehe  das 


183  Vin.  StrCbcpisll 

FuBsphänomen  zu  sistiren  scheint ,  beruht  diesoB  darauf,  dass  durch 
die  Bewegung  der  grossen  Zehe  jedesmal  eine  reflectorische ,  auch 
durch  einfaches  Kneifen  der  Zehe  hervorzurufende  Beugung  des  ganzen 
Beins  im  Hüft-  und  Kniegelenk  mit  starker  Dorsalflexion  des  Fusses 
erfolgt,  wobei  ebenfalls  das  Fnssphftnomen  gleichzeitig  nicht  weiter 
bestehen  kann.  Bekanntlich  existiren  auch  Beobachtungen  Aber  wirk- 
liche Reflexhemmnng  in  Bezug  auf  das  Fussphänomen ,  worüber  ieh 
indessen  bis  jetzt  keine  eigenen  Erfahrungen  *  besitze. 

Die  wichtigste  klinische  Bedeutung  hat  die  Erhöhung  der  Seh- 
nenreflexe bei  derjenigen  Form  spinaler  LlUimnng,  fflr  welche  neuer- 
dings von  Erb  der  sehr  bezeichnende  Name  der  spastischen 
Spinalparalyse  eingefflhrt  worden  ist.  Der  Ausdruck  kann,  wie 
ich  glaube,  nur  gebraucht  werden  für  einen  allerdings  sehr  prftg- 
nanten  und  wohl  charakterisirten  Symptomencomplex,  aber  nicht  für 
eine  anatomisch  einheitliehe,  besondere  Krankheitsspecies.  Zunftehst 
gibt  es  Fälle,  wo  bei  einer  echten  motorischen  Lähmung  der  unteren 
Extremitäten  in  diesen  gleichzeitig  eine  excessive  Steigerung  der 
Sehnenreflexe  besteht,  welche  das  gewöhnliche  Bild  der  spinalen 
Paraplegie  wesentlich  ändert.  In  solchen  Fällen  bedarf  es  nicht  erst 
besonderer  passiver  Bewegungen  oder  anderer  mechanischer  Reise, 
um  die  Reflexe  auszulösen.  Schon  die  eigene  Schwere  der  Beine, 
jede,  auch  die  kleinste  active  oder  passive  Bewegung  in  denselben 
genügt,  um  eine  grosse  Anzahl  von  Muskeln  in  reflectorische  Span- 
nung  zu  versetzen.  Hierdurch  erscheinen  die  gelähmten  Beine  in 
eine  fast  beständige  tetanische  Starre  versetzt.  Diese  Starre  ist  in 
allen  Fällen,  welche  ich  bis  jetzt  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte, 
ausschliesslich  reflectorischen  Ursprungs.  Ist  das  Bein 
vollständig  unterstützt,  so  fühlen  sich  die  einzelnen  Muskeln  zeitweise 
ganz  weich  und  schlaff  an,  aber  schon  der  erste  Versuch  passiver 
Bewegung,  jede  bei  einem  geringen  Lagewechsel  des  Kranken  durch 
die  Schwere  der  Beine  erfolgende  Zerrung  der  Sehnen  ruft  sofort 
reflectorisch  die  Starre  wieder  hervor.  Das  sind  die  Fälle,  von  denen 
man  in  den  Krankengeschichten  liest:  „untere  Extremitäten  in  den 
Knieen  trotz  grösster  Anstrengung  nicht  zu  beugend  Der  Ansdrock 
ist  ganz  unrichtig.  In  der  That,  versucht  man  mit  Gewalt  das  Knie 
zu  beugen,  so  ist  der  reflectorisch  sofort  eintretende  Muskelwiderstand 
oft  kaum  zu  überwinden.  Fasst  man  aber  Ober-  und  Dntertchenkd 
vorsichtig  an,  vermeidet  jede  plötzlichere  schnelle  Bewegung,  h^ 
ganz  behutsam  und  langsam  den  Obersehenkel  und  versucht  den 
Unterschenkel  zu  beugen,  so  geht  es  mit  einem  Male  oft  ganz  leicht, 
die  Muskeln  bleiben  weich  und  was  durch  Gewalt  nicht  erzwungen 


Zar  Keontniaa  der  Behnearefieze.  183 

w^en  konnte,  weicht  von  selbst  der  richtigen  Einsicht.  Nur  in 
wenigen  FftUen  kann  man  trotz  grosser  Vorsicht  und  Lang- 
samkeit der  passiven  Bewegungen  die  unteren  Extremitäten  in  den 
Esiegelenken  nicht  YoHstftndig  beugen. 

Ein  weiteres  Mittel,  die  refleetorisehe  Natur  der  Starre  der  Ex- 
tremitäten bei  der  spastischen  Paraplegie  besonders  dentlich  darsu- 
than,  ist  der  Einfluss  des  Bades.  Wird  der  Körper  ins  Wasser  ge- 
bracht, so  verlieren  damit  die  Beine  an  Schwere,  sie  werden  wenig- 
ste!» sum  Theil  vom  Wasser  getragen  und  alle  durch  die  Schwere 
der  Extremitäten  selbst  hervorgerufenen  Zerrungen  und  Dehnungen 
der  Sehnen  mttssen  dadurch  selbstverständlich  viel  geringer  werden. 
Die  Folge  davon  ist  in  der  That  auch  stets  die,  dass  im  Bade  die 
Starre  nachlässt,  die  Beine  nicht  mehr  in  vollständiger  Streck- 
contraetur  verharren  und  dass  die  passiven  Bewegungen  bis  su  ge* 
winem  Grade  leichter  werden.  Damit  hört  die  Reflexerregbarkeit 
natSrlich  nicht  auf,  wie  jeder  Percussionsschlag  auf  das  Ligamentum 
patellae  beweist,  aber  die  gewöhnlichen  Anlässe  und  Beize  können 
unter  den  veränderten  Umständen  weniger  aur  Geltung  kommen.  In 
manchen  Fällen  aber  scheint  wirklich  ausser  dieser  rein  physika- 
lischen Wirkung  des  Bades  auch  eine  physiologische  Wirkung 
desselben  einzutreten.  Man  beobachtet  dann,  dass  auch  noch  einige 
Zeit  nach  dem  Bade  die  refleetorisehe  Starre  geringer  bleibt,  was 
nur  auf  einer  vorübergehenden  Uerabsetsung  der  Beflexerregbarkeit 
beruhen  kann.  Hierauf  beruht  wahrscheinlich  zum  Theil  auch  der 
gerade  bei  spastischer  Paraplegie  bereits  mehrfach  erprobte  tbera- 
peutisehe  Erfolg  regelmässig  angewendeter,  protrahirter  warmer  Bäder. 

Noch  andere  Erscheinungen  treten  bei  der  spastischen  Paralyse 
BcheiDbar  spontan  ein,  für  welche  in  gleicher  Weise  immer  der  reflee- 
torisehe Ursprung  nachgewiesen  werden  kann.  Ich  meine  die  »Schat- 
telkrämpfe'' der  Beine,  das  Zittern  der  Fttsse  u.  dgl.  Alle  diese 
Erscheinungen  können  in  solchen  Fällen  auch  jeder  Zeit  künstlich 
hervorgerufen  werden  durch  einen  plötzlichen  Versuch  das  Knie  zu 
beugen,  oder  durch  eine  plötzliche  passive  Dorsalflexion  des  Fusses. 
Sobald  durch  irgend  einen  äusseren  Anlass,  z.  B.  sehr  häufig  bei 
gewollten  Bewegungen  des  Oberkörpers,  die  betreffenden  Sehnen  in 
den  unteren  Extremitäten  leicht  gezerrt  werden,  tritt  unter  geeigneten 
Bedingnageii  sofort  derselbe  l'remor  in  den  Muskeln  ein  und  kann 
ebenso,  wie  der  absichtlich  hervorgerufene  Clonus,  durch  zweckmäs- 
sige Haltung  und  Lagerung  des  Beins  sofort  sisirt  werden. 

Während  in  den  bis  jetzt  besprochenen  Fällen  die  Steigerung 
der  Sehnenreflexe  in  den  gelähmten  Gliedern  das  gewöhnliche 


184  VIII.  Strümpell 

Bild  der  Paraplegie  modifioirt,  so  gibt  es  aber  ferner  aueh  ein  Sym- 
ptomenbild,  welches  durch  den  Binfloss  einer  hochgradigen  Steigeroog 
der  Sehnenreflexe  auf  die  Bewegungsfähigkeit  nicht  gelähmter  Glie- 
der entsteht.  Es  kommen  zweifellos  Fälle  vor,  in  denen  bei  voll- 
kommen intacter  Motilität  der  unteren  Extremitäten,  bei  durch- 
aus normaler  Muskelkraft  derselben,  bei  gleichfalls  intacter  Sensibilität 
ein  eigenthümliches  Erankheitsbild  besteht,  welches  ausschliesslich 
auf  die  vorhandene  hochgradige  Steigerung  der  Sehnenreflexe  zurflck- 
zufOhren  ist.  Wie  bei  der  oben  besprochenen  Form  der  spaatisehen 
Paralyse  die  Ausfahrung  der  passiven  Bewegungen  durch  den 
reflectorisch  entstehenden  Muskelwiderstand  erschwert  ist,  so  stellt 
sich  in  diesen  Fällen  letzterer  jeder  intendirten  activen  Bewegung 
hemmend  entgegen.  Das  sind  die  Fälle,  wo  der  spastische  Gang 
in  seiner  exquisitesten  Form  zur  Beobachtung  kommt,  wo  die  Kran- 
ken mit  grossen  raschen,  fast  hastigen  Schritten  gehen,  dabei  aber 
die  Beine  beständig  völlig  gestreckt  bleiben,  die  Hacken  bei  jedem 
Schritt  schnellend  gehoben  werden ,  die  Zehenballen  scharrend  41m 
Boden  kleben,  der  ganze  Körper  bei  jedem  Schritt  nach  vorne  Ober 
zu  fallen  scheint.  In  dieser  Weise  aber  können  die  Kranken  meh- 
rere Stunden  lang  gehen.  Selbstverständlich  ermüden  sie  trotz 
ihrer  normalen  Kraft  eher  wie  ein  Gesunder.  Denn  ihr  Gehen  er- 
fordert viel  mehr  Anstrengung,  es  ist  ein  beständiges  Ankämpfen 
gegen  die  hemmenden  Muskelwiderstände,  zu  vergleichen  mit  drai 
erschwerten  Gange  eines  Gesunden  im  tiefen  Sande.  Prüft  man  bei 
diesen  Kranken  die  Ausführung  einzelner  Bewegungen  während  der 
Bettlage,  so  findet  man  keine  Spur  von  Lähmung,  die  rohe  Kraft 
in  manchen  Muskeln  sogar  auffallend  gut,  gestählt  durch  den  be- 
ständigen Kampf  gegen  die  widersetzlichen  Antagonisten.  Durch 
Untersuchung  mit  dem  Percussionshammer  überzeugt  man  sich  von 
der  beträchtlichen  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  und  es  bedarf  keiner 
ausführlicheren  Auseinandersetzung  mehr,  wie  diese  allein  alle  Er- 
scheinungen ausreichend  erklärt. 

Nun  gibt  es  ferner  Fälle,  wo  eine  hochgradige  Steigerung  der 
Sehnenreflexe  gleichzeitig  mit  einer  mehr  oder  weniger  grossen  Ab- 
schwächung  der  Motilität,  oder  auch  mit  wirklichen  partiellen  Läh- 
mungen besteht.  In  diesen  Fällen  kann  sich  die  hemmende  Wirkung 
der  bei  activen  Bewegungsversuchen  sofort  eintretenden  Muskelwider- 
stände  so  sehr  geltend  machen,  dass  eine  vollständige  Lähmang 
vorgetäuscht  wird,  welche  in  Wirklichkeit  nicht  besteht«  In  sol- 
chen Fällen  ist  es  oft  ungemein  schwierig  zu  entscheiden,  wie  weit 
die  vorhandene  Motilitätsstörung  auf  wirklicher  Muskelparese  beruht, 


Zur  Kenntnita  der  Sehnenreflexe.  185 

oder  blos  aaf  der  Unmöglichkeit ,  den  antagoniBtifichen  Widerstand 
m  überwinden.  Auch  hier  kann  die  Untersuchung  der  Kranken  im 
Bsde  Aufsohluss  geben.  Zuweilen  sieht  man  dann  im  Bade  die 
Kranken  ihre  Beine  leidlich  bewegen  y  welche  sie  vorher  nur  mit 
gröflster  Anstrengung  etwas  beugen  konnten.  Der  Widerstand,  weU 
eher  sieh  der  Bewegung  entgegrasetste ,  ist  geringer  geworden ,  die 
nicht  gelähmten  Mmkeln  können  ihre  Wirksamkeit  entfalten  und 
man  sieht,  dass  es  sich  um  keine  wirkliche  Lfthmung,  sondern  um 
eine  «spastische  Pseudoparalyse'  handelt. 

So  erklärt  es  sich  auch,  warum  bei  manchen  Kranken  die  Be- 
wegangsfähigkeit  der  Beine  so  ausserordentlich  weehselnd  gefunden 
wird.  Ich  beobachtete  lange  Zeit  einen  Fall  von  multipler  Sklerose 
mit  starken  spastischen  Symptomen  der  unteren  Extremitäten.  Zu 
manchen  Zeiten  war  der  Kranke  nur  im  Stande  kleine  Bewegungen 
der  FOsse  und  Zehen  activ  auszuführen,  im  Uebrigen  erschienen  die 
Beine  vollständig  gelähmt  Und  zu  anderen  Zeiten,  zuweilen  nur 
einen  halben  Tag  später,  konnte  der  Kranke  die  Beine  vollständig 
an  den  Rumpf  heranziehen ,  die  Kniee  beugen  u.  s.  w.  Dieser  be- 
stftndige  scheinbare  Wechsel  der  Lähmungserscheinungen  beruhte 
einaig  auf  der  bald  stärker,  bald  geringer  ausgesprochenen  Reflex- 
erregbarkeit, ein  Wechsel,  welcher  auch  sonst  nicht  selten  beobachtet 
wird.  Es  wird  allen  genaueren  Beobachtern  aufgefallen  sein,  wie 
ach  z.  B.  bei  Kranken,  welche  das  Fussphänomen  zeigen,  dieses  an 
manchen  Tagen  viel  intensiver  und  anhaltender  hervorrufen  lässt, 
als  an  anderen  Tagen,  ohne  dass  wir  bis  jetzt  im  Stande  wären,  den 
Grand  fär  diese  wechselnde  Reflexerregbarkeit  anzugeben. 

Allein  die  wirkliche  Hemmung  der  Bewegung,  die  spastische 
Paeadoparalyse,  ist  nicht  der  einzige  Einfluss,  welchen  die  Steigerung 
der  Sehnenreflexe  auf  die  Bewegungen  nicht  gelähmter  Muskeln  aus- 
&bt.  Tritt  der  reflectorische  Widerstand  nicht  derartig  ein,  dass  die 
Anaftthrung  der  gewollten  Bewegung  unmöglich  wird,  so  machen  sich 
doch  auch  \)ei  den  sonst  gut  ausgeführten  Bewegungen  die  Sehnen- 
reflexe oft  genug  bemerkbar  und  fahren  in  dem  regelmässigen  Ab- 
lauf der  gewollten  Bewegung  zu  einer  Störung,  welche  ohne  Kennt- 
nias  ihrer  Ursache  leicht  falsch  gedeutet  werden  kann.  Während 
die  Erscheinungen  der  spastischen  Paralyse  und  Pseudoparalyse  be- 
sonders an  den  unteren  Extremitäten  beobachtet  werden,  tritt  diese 
jetzt  zu  erwähnende  Bewegungsstörung  vorzugsweise  an  den  oberen 
Extremitäten  bei  ihren  mannigfaltigeren  Bewegungen  hervor.  Bei 
jeder  etwas  eneif^iseheren ,  plötzlicheren  Bewegung  ti^ten  derartige 
Z^n^Dgen  gewisser  Sehnen  ein,  dass  in  den  zugehörigen  Muskeln 


186  VUI.  Strümpbll 

Yorlibergehende  reflectorisobe  Zuckungen  eintreten,  welche  sieh  ato- 
rend  in  dag  Gleichmaass  der  gewollten  Bewegung  einmischen.  So 
sind  es  namentlich  Zuckungen  im  Triceps  bei  rascher  Beugung  des 
Vorderarms»  welche  diese  letztere  vorttbergehend  durch  eine  kuree 
Streckung  des  Vorderarms  unterbrechen.  .Doch  treten  gewiss  auch 
in  anderen  Muskeln  unter  geeigneten  Bedingungen  derartige  reflec- 
torische  Zuckungen  ein  und  geben  so  den  Anlass,  dass  die  gewollte 
Bewegung  unregelmässig,  zitternd  erscheint.  Da  dieses  Zit- 
tern nur  bei  Bewegungen  des  Arms  auftritt,  so  kann  es  leieht  fttr 
wirkliches  Intentionszittern  gehalten  werden,  und  ich  ^ube 
mich  mit  Bestimmtheit  überzeugt  zu  haben,  dass  das  ckaraktmstiBche 
Zittern  bei  multipler  Sklerose  zuweilen  (durchaus  nicht  immer)  auf 
die  vorhandenen  stark  erhöhten  Sehnenreflexe  zurftekgefllhrt  werden 
konnte.  Auch  bei  Hemiplegischen,  welche  ihren  Vorderarm  beugen 
können  und  dabei  erhöhte  Reflexerregbarkeit  im  Tricepe  haben,  sieht 
man  diese  reflectoriscbe  Unterbrechung  der  Beugung  durch  Streck- 
bewegungen, wodurch  die  ganze  Bewegung  zitternd  erseheint,  nieht 
selten.  Ich  vermutbe  auch,  dass  gewisse  Angaben  in  der  Literatur 
Ober  „Mitbewegungen''  in  den  zu  den  willkürlich  inner?irten 
Muskeln  sich  antagonistisch  verhaltenden  Muskeln  auf  Sehnen- 
refiexe  zurUckgefttbrt  werden  können. 

An  den  Nachweis  des  Vorkommens  stark  erhöhter  Sehnenreflexe 
in  Muskeln,  deren  Motilität  sonst  in  jeder  Beziehung  eine  vöUig  nn* 
gestörte  ist,  knüpft  sich  eine  Folgerung  an,  welche  fOr  die  Frage 
nach  der  anatomischen  Ursache  der  erhöhten  Reflexerregbarkeit 
nicht  ganz  unwichtig  zu  sein  scheint  Es  hat  sieh  nämlich,  ohne 
hinreichend  beweisende  experimentelle  oder  pathologiseh^anatomische 
Erfahrungen,  ziemlich  allgemein  die  Meinung  festgesetzt,  dass  die 
Erhöhung  der  Sehnenreflexe  bei  centralen  Erkrankungen  ihren  ana- 
tomischen Orund  in  einer  Affection  der  Seitenstränge  des  Rücken* 
mark 8  habe.  Man  spricht  in  derartigen  Fällen  jetzt  vielfach  ohne 
alles  Bedenken  von  Lateralsklerose,  von  Sklerose  der  Seitenstränge, 
welche  entweder  für  sich  allein  oder  neben  anderen  Abschnitlen  des 
Rückenmarks  erkrankt  sein  sollen.  Hiermit  in  Verbindung  steht  die 
gleichfalls  ziemlich  verbreitete  Annahme,  dass  auch  die  bei  Hemi* 
Plegien  eintretende  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  von  der  absteigenden 
seoundären  Seitenstrangdegeneration  abhängig  sei. 

So  verlockend  auch  in  der  Tbat  diese  Meinungen  sind  und  so 
viel  Annehmbares  dieselben  auch  zu  enthalten  scheinen,  so  können 
wir  doch  bis  jetzt  ihre  Allgemeingültigkeit  noch  nieht  als  bewiesen 


Zar  KenntnisB  der  Sehneoreflexe.  187 

aniehen.  Znniebst  kann  offenbar  die  Erhöhung  der  Sebnenreflexe 
nicht  auf  eine  Erkrankung  der  »Seitenstrftnge'*  in  ihrer  Totalität 
bexogen  werden,  da  diese  ja  swetfellos  Fasern  von  der  yersehieden- 
gten  Dignität  enthalten.  Fragt  man  aber,  welche  dieser  Fasern  es 
sind,  deren  Erkrankung  die  spasti sehen  Symptome  bewirken  soll, 
80  hat  man  bis  jetzt  immer  vorzugsweise  an  die  Pyramidenbah- 
nen gedacht  Dies  geht  dentlich  sowohl  aus  den  directea  Angaben 
der  Autoren,  wie  aus  der  Heranziehung  der  absteigenden  secundftren 
Degeneration  henror,  welche  bekanntlich  ausschliesslich  die  Pyra- 
mideabahnen  betrifft  Nun  enthalten  aber  nach  unseren  jetzigen 
Anschaunngen  die  Pyramidenbahnen  diejenigen  Fasern,  welche  der 
willkllrlichen  motorischen  Innervation  dienen.  Ihre  Functionsstörung 
mnss  zunächst  zur  Aufhebung  der  willkllrlichen  Bewegung,  also  zu 
achter  Lähmnng  ftthren.  Dem  entsprechend  hat  man  ja  anfangs  auch 
Ton  den  Sehnenreflexen  als  einer  besonderen  „  Bewegungsstörung  in 
gelähmten  Oliedem*  gesprochen.  Wenn  nun  auch  bei  der  später 
Eiemlieh  allgemein  anerkannten  reflectorischen  Natur  der  betreffenden 
Erscheinungen  ihre  Steigerung  auf  einer  Functionsstörung  gewisser 
reflexhemmender  Fasern  beruhen  sollte ,  so  fehlt  doch  überall  der 
prScise  Ausdruck,  wo  diese  Fasern  liegen  sollen,  und  immer  sind  es 
wieder  die  »hinteren  Abschnitte  der  Seitenstränge ^,  d.  h.  die  Pyrami- 
denbahnen, deren  Erkrankung  die  erhöhten  Sehnenreflexe  zur  Folge 
haben  soll. 

Die  klinischen  Erfahrungen  stimmen  aber  mit  dieser  Annahme 
keineswegs  ohne  Weiteres  ttberein.  Das  zeigen  unzweideutig  die 
Fälle,  wo  bei  vollständig  erhaltener  willktlrlicher  Motilität  ohne  jede 
Parese  der  Muskeln ,  wo  also  wenigstens  nach  unseren  jetzigen  An- 
Behauungen  die  Pyramidenbahnen  normal  sein  mttssen,  hochgradige 
Steigerung  der  Sehnenreflexe  besteht  ^).  Solche  Beobachtungen  macht 
man  theils  an  Fällen,  welche  als  typische  Fälle  der  Erhaschen  spa- 
stischen Spinalparalyse  („primäre  Seitenstrangsklerose '^ ?)  betrachtet 
werden  mflssen,  oder  an  Kranken  mit  multipler  Cerebrospinalsklerose, 
welche  mcht  selten  an  den  unteren  Extremitäten  eine  reine  spastische 
Paralyse  oder  richtiger  gesagt  Pseudoparalyse  zeigen,  wobei  die 
scheinbare  mehr  oder  weniger  starke  Beeinträchtigung  der  willkilr- 
liehen  Bewegungsfähigkeit  ausschliesslich  auf  der  excessiven  Steige- 
rung der  Sehnenreflexe  beruht  Aus  solchen  Beobachtungen  mttssen 
wir,  wie  ich  glaube,  den  Schluss  ziehen,  dass  eine  höehstgradige 


1)  Die  von  mir  gesammelte,  hierher  gehörige  Casnistik  werde  ich  ausführlich 
in  tiner  gp&teren  Arbeit  mittheilen. 


188  VUI.  Stbümpbll 

SteigeniDg  der  Sehnenreflexe  ohne  wesentliche  Erkrankung  der  Pyra- 
midenbahnen Torkommen  kann,  dasB  letztere  also  nicht  als  veran- 
lassende  anatomische  Ursache  der  erhöhten  Sehnenreflexe  angesehen 
werden  kann.  Dass  die  Seitenstrftnge,  speciell  die  Pyramidenbahnen 
derselben  miterkrankt  sind,  wo  es  sich  neben  wirklicher  Lfth> 
mung  um  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  handelt,  ist  sehr  wahrsehein- 
lieh,  dann  ist  aber  fflr  die  letztere  immer  noch  eine  besondere  Er- 
klärung nothwendig. 

Hiermit  hängt  auch  die  von  mir  gemachte  Erfahrung  zusammen, 
dass  in  einem  Fall  von  spinaler  Paraplegie  mit  äusserst  hochgradigen 
spastischen  Symptomen,  welcher  nach  ttber  3  jähriger  Erankheitsdaner 
zur  Heilung  gelangte,  die  erhöhte  Reflexerregbarkeit  lange  Zeit  die 
eigentlichen  Lähmungserscheinungen  überdauerte.  Beide  Erscheinun- 
gen müssen  also  von  einander  unabhängige  Ursachen  gehabt  haben. 
Als  dieser  Kranke  in  den  Füssen  bereits  wieder  normale  Beweglich- 
keit zeigte,  konnte  er  selbst  jederzeit  durch  eine  plötzliche  active 
Dorsalflexion  seines  Fusses  diesen  in  den  lebhaftesten  Clonus  ver- 
setzen, welcher  sofort  vom  Kranken  wieder  sistirt  werden  konnte, 
wenn  derselbe  eine  active  Plantarflexion  seines  Fusses  ausführte  and 
damit  die  Achillessehnen  wieder  erschlaffen  machte.  Hier  bestand 
also  gleichzeitig  ein  »passives*'  und  ein  „actives"  Fussphänomen. 

Mit  der  Annahme,  dass  eine  hochgradige  Steigerung  der  Sehnen- 
reflexe unabhängig  von  einer  Erkrankung  der  Pyramiden  -  Seiten- 
strangbahnen  bestehen  kann,  stimmen  auch  weitere  klinische  Erfah- 
rungen überein. 

Man  hat  bisher  eine  Steigerung  der  Sehnenreflexe,  welche  weit 
über  die  mögliche  Norm  hinausgeht,  fast  ausschliesslich  bei  Krank- 
heiten des  Gehirns  und  Rückenmarks  gefunden.  Bei  sonstigen  Er- 
krankungen hat  man  bisher  wohl  überhaupt  dem  Verhalten  der  Re- 
flexe keine  besondere  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Meines  Wissens 
erwähnt  nur  Westphal,  dass  Remak  bei  Kranken  mit  Gelenk- 
rheumatismus .das  Fussphänomen  wiederholt  constatirt  habe.  Mir  ist 
bis  jetzt  gerade  bei  dieser  Krankheit  kdne  besondere  Erhöhung  der 
Sehnenreflexe  aufgefallen.  Dagegen  glaube  ich  zuerst  nachgewiesen 
zu  haben,  dass  sich  sehr  häufig  bei  abgemagerten,  schwächlichen 
Kranken,  und  zwar  ganz  besonders  bei  Phthisikem  und  schweren 
Typhnskranken  eine  so  erhebliche  Steigerung  der  Sehnenreflexe  findet, 
wie  man  sie  sonst  nur  bei  Rttokenmarkskranken  zu  finden  gewohnt 
ist.  Die  Thatsache  ist  so  häufig,  dass  ich  specielle  Beispiele  anzu- 
führen unterlasse,  da  solche  in  jedem  grössern  Krankenhause  zu 
jeder  Zeit  gefunden  werden  können.    Bei  Phthisikem,  Typhnskian- 


Zur  KenntoiiB  der  Seh&enieflexe.  189 

kea  oder  Eeeonvalesceiiten  in  der  ersten  Zeit  naeh  dem  Typhas,  wo 
soeh  eine  hochgradige  Abmagerung  der  geeammten  Husculatur  be- 
steht, kann  man  sehr  hftnfig;  durch  passiTC  Dorsalflexion  eines  Fusses 
einen  lebhaften,  Minuten  lang  anhaltenden  Clonus  in  demselben  her- 
Torrofen.  Gleichzeitig  findet  man  fast  stets  sehr  starke  Patellar- 
reflexe.  Zuweilen  ist  das  Fussphftnomen  beiderseits  gleich  stark  und 
anhaltend,  zuweilen  auf  der  einen  Seite  ausgeprägter  wie  auf  der 
andern.  Nicht  selten  wechselt  seine  Intensität,  es  ist  an  einem  Tage 
stärker  wie  an  dem  andern,  oft  indessen  auch  wochenlang  constant 
demonstrirbar.  Andere  nervöse  Erscheinungen  fehlen  gewöhnlich 
ganz,  nur  besteht  häufig  gleichzeitig  ausgesprochene  Hyperästhesie 
der  Haut  und  besonders  der  Muskeln,  welche  bei  Druck  stark 
onpfindlich  sind.  Die  Hautreflexe  erscheinen  gleichzeitig  erhöht,  in 
anderen  Fällen  aber  verhalten  sie  sich  normal.  Manche  der  bei 
schweren  Typhösen  zu  beobachtenden  motorischen  Beizerseheinungen, 
wie  besonders  das  oft  so  heftige  Zittern  der  Fttsse,  beruhen  augen- 
scheinlich auf  nichts  Anderem,  als  den  erhöhten  Sehnenreflexen.  Ich 
beobachte  gerade  jetzt  einen  Typhuskranken,  welcher  schon  viele 
Tage  hindurch  häufig  einen  Clonus  beider  Fttsse,  genau  wie  beim 
Fassphänomen,,  zeigt.  Sowie  man  den  Fuss  passiv  plantarflectirt,  die 
Aehillessehnen  erschlaffen  lässt,  hört  sofort  das  Zittern  auf.  Macht 
man  nun  eine  passive  Dorsalflexion  des  Fusses,  so  tritt  dasselbe  sofort 
wied^  in  heftigster  Weise  ein.  Ebenso  kann  man  jederzeit  schon 
durch  einen  leichten  Schlag  mit  dem  Percussionshammer  auf  die 
Achillessehne  den  Oastrocnemius  in  lebhafte  Zuckung  versetzen.  Doch 
auch  an  den  oberen  Extremitäten,  am  Biceps,  Supinator  longus  u.  a. 
zeigen  solche  Kranke  die  erhöhten  Sebnenreflexe.  Dabei  ist  immer 
auch  die  »directe  mechanische  Erregbarkeit '^  der  Bluskeln  gesteigert, 
welche  Erscheinung  ich,  wie  oben  gezeigt,  in  manchen  Fällen  auch 
für  eine  reflectorische  halte.  Treten  Typhuskranke,  welche  erhöhte 
Sehnenreflexe  darboten,  in  die  volle  fieconvalescenz  ein,  so  kehrt 
auch  die  Refiexerregbarkeit  langsam  wieder  zur  Norm  zurück.  Bei 
den  Phthisikem  dauert  dieselbe  oft  bis  kurz  vor  dem  Tode  an, 
erliseht  aber  gewöhnlich  in  den  letzten  Tagen  bei  beginnender 
Agonie')-  Bei  einem  Phthisiker,  welcher  während  des  Lebens  na- 
mentlich an  den  unteren  Extremitäten  sehr  lebhafte  Sehnenreflexe 
(beiderseits  starkes  Fussphänomen)  gezeigt  hatte»  wurde  das  Rttcken- 
mark  genau  makroskopisch  und  mikroskopisch  untersucht.    Es  fand 


1)  Auch  bei  Rückenmarkskranken  mit  erli(^hten  Sehnenreflexen  hOren  diese 
f&st  constant  in  den  letzten  Tagen  vor  dem  Tode  völlig  .auf. 


190  VIII.  8TBÜMFBLL 

sich  nichts  Abnormes  an  demselben.  Die  Ursache  der  erhöhten  Seh- 
nenreflexe in  allen  diesen  Füllen  kennen  wir  noch  nicht»  aber  es 
liegt  doch  nicht  der  geringste  Anhaltspunkt  vor,  auch  hier  an  eine 
Alteration  der  Seitenstrftnge  zu  denken.  Ich  glaubte  frfther  die  er- 
höhten Reflexe  bei  den  betreffenden  Kranken  anf  die  Anämie  des 
Rdckenmarks  beziehen  zu  können,  allein  diese  Annahme  wird  da- 
durch widerlegt,  dass  ich  wiederholt  in  Fftllen  hochgradiger  pemi- 
cidser  Anftmie  keine  irgendwie  auffiallende  Steigerung  der  Sehnen- 
reflexe bemerken  konnte.  Wo  diese  yorhanden  ist,  zeigen  die  be- 
treffenden Muskeln  bemerkenswerther  Weise  oft  auch  eine  sehr 
gesteigerte  echt  idiomusculäre  Erregbarkeit.  Bei  Phthisikem  ist 
es  eine  bekannte  Thatsache,  wie  leicht  man  beim  Pereutiren  der 
vorderen  Brustwand  die  idiomuseulftren  Zuckungen  im  Pectoralis 
major  erhalten  kann.  Fahrt  man  z.  B.  mehrere  kurze  SchlSge  neben 
einander  auf  die  ttber  einer  Rippe  gelegenen  MuskelbUndel ,  wobd 
der  Knochen  als  feste  Unterlage  dient,  so  sieht  man  entsprechend 
viele  kleine  umschriebene  Wfllste  in  auf  den  Faserverlauf  senkreebter 
Richtung  entstehen  und  sich  erst  nach  einer  kurzen  Zeitdauer  wieder 
ausgleichen. 

Gegen  die  Zulässigkeit  der  Ansicht,  die  Erhöhung  der  Sehnen- 
reflexe bei  Nervenkranken  ohne  Weiteres  auf  eine  Affection  der 
Seitenstränge  beziehen  zu  können,  sprechen  auch  die  klinischen  Er- 
fahrungen über  die  Verbreitung  der  Sehnenreflexe  bei  Affectionen 
des  Gehirns  und  Rückenmarks.  Bei  Westphal  findet  sich  bereits 
die  Angabe,  dass  er  bei  Hemiplegischen  das  Kniephftnomen  auf  der 
nicht  gelähmten  Seite  ebenso^  stark,  wie  auf  der  gelähmten  Seite 
gefunden  habe.  DöjörineO  gibt  an,  auch  das  Fussphänomen  bei 
Hemiplegikem  auf  der  gesunden  Seite  gefunden  zu  haben.  Diesen 
Beobachtungen  kann  ich  ferner  die  Thatsache  hinzufügen,  ^as»  man 
bei  Rückenmarkskranken  mit  spastischen  Symptomen  der  unteren 
Extremitäten,  während  die  Arme  vollständig  gesund  erscheinen  and 
es  nach  der  Angabe  der  Patienten  selbst  auch  sind,  in  den  oberen 
Extremitäten  zuweilen  eine  Steigerung  der  Sehnen-  und  Periostreflexe 
beobachtet,  wie  sie  bei  völlig  Gesunden  nicht  vorkommt  Nament- 
lich bei  Kranken  mit  „spastischer  Spinalparalyse ^,  jedoch  auch  bei 
anderen  Formen  der  Paraplegie,  findet  man  an  den  Armen,  über 
welche  die  Kranken  nicht  die  geringste  Klage  führen,  erhöhte  Seh- 
nenreflexe im  Biceps,  Trieeps,  Supinator  longus  u.  a.  Zuweilen 
machen  sich  diese  Reflexe  auch  durch  ein  leichtes,  von  den  Kranken 


1)  Progr^  m^  1678.  No.  23. 


Zur  KenntnisB  der  Sehnenrefleze.  191 

gur  nicht  beachtetes  Zittern  1)ei  raschen  willkflrlichen  Bewegungen 
der  Arme  bemerkbar. 

Eine  weitere  hierher  gehörige  Beobachtung  machte  ich  in  einem 
Fall  Yon  BleiUhmung.  Bei  dem  Kranken,  einem  26jährigen 
Maler y  der  schon  frflher  wiederholt  Zeichen  chronischer  Bleiintoxi- 
cation  dargeboten  hatte,  bestand  seit  einigen  Wochen  eine  typische 
Bleil&hmung  im  rechten  M.  extensor  digitorum  communis.  Im  linken 
Extensor  digitorum  Tremor,  aber  keine  Lfthmung.  Obgleich  alle 
anderen  Muskeln  normal  beweglich  waren,  zeigte  der  Kranke  an 
beiden  Armen  ungemein  lebhafte  Sehnenreflexe.  Vom  Capitulum 
radii  aus  erhielt  man  Zuckungen  im  Supinator  longus,  Biceps  und 
Pronator  teres,  von  der  Clavicula  aus  einen  gleichseitigen  und  ge- 
krenzten  Bicepsreflex.  Im  Triceps  beiderseits  starke  Reflexe.  Auch 
an  den  unteren  Extremitäten  beiderseits  starke  Patellarreflexe ,  Ad- 
dnetorenreflexe,  links  schwaches  Fussphänomen.  Also  auch  hier  die 
starke  Reflexerregbarkeit  weit  tlber  den  scheinbar  allein  befallenen 
rechten  Vorderarm  hinaus  yerbreitet.  Nach  allen  diesea  Beobach- 
tungen bedarf  also  die  Frage  nach  der  anatomischen  Ursache,  welche 
die  flo  oft  zu  beobachtende  Steigerung  der  Sehnenreflexe  hervorruft  und 
welehe  wahrscheinlich  gar  keine  einheitliche  ist,  son- 
dern in  mehreren  Verhältnissen  liegen  kann,  noch  weiterer 
Untersuchung,  ehe  die  jetzt  so  verbreitete  Ansicht  von  der  hierbei 
allein  in  Betracht  kommenden  Affection  der  Seitenstränge  und  speciell 
der  Pyramidenbahnen  derselben  als  wohl  begründet  gelten  kann. 

Schliesslich  noch  die  Bemerkung,  dass  ich  in  einem  Fall  von 
leichterer  Strychninvergiftung  die  Erhöhung  der  Sehnenreflexe, 
ebenso  wie  Borger^),  gefunden  habe.  In  fttnf  Fällen  von  leichter 
Atropinvergiftung  fand  ich  bei  zweien  entschieden  stark  erhöhte 
Sehnenreflexe,  bei  einem  eine  geringe  Erhöhung,  während  bei  den 
zwei  letzten  die  Sebnenreflexe  sich  etwa  normal  zu  verhalten  schie- 
nen. Das  vollständige  Fehlen  der  Sehnenreflexe  bei  typischer  Tabes 
dorsalis  ist  auch  nach  meinen  Erfahrungen  constant.  Auffallend  und 
Tielleicht  fernerer  Beachtung  werth  ist  es,  dass  auch  in  einigen  Fällen 
Ton  progressiver  Muskelatrophie  keine  Sehnenreflexe  hervorgerufen 
werden  konnten. 


1)  Centraiblatt  für  Nerrenheilkunde.  1879.  Nr.  4. 


IX. 

Materialien  zur  Pathologie  und  Therapie  des  Rflckfallstyphas. 

Von 

Dr.  J.  MooBUtkowBky, 

Ant  am  BtadttaoipiUl  xa  Odeisi. 
(SchloSB.)  ^) 

Hierzu  Tafel  VI  (Curventafel). 

IL 

Ich  gehe  jetzt  Über  zu  dem  Verhalten  der  Spirochaeten  zu  eini- 
gen Substanzen  I  welche  vermittelst  endosmotiscber  Apparate  des 
Organismus  ins  Blut  eintreten,  oder  welche  unmittelbar  dem  ausser- 
halb des  Organismus  befindlichen  Blute  hinzugesetzt  werden. 

Den  letzteren  Fall  betreffend  muss  ich  vorausschicken,  dass  die 
Betmltate  meiner  Beobachtungen  in  vielen  Stdcken  mit  den  Besul- 
taten  EngeTs  undLitten's  Übereinstimmen.  Meine  Versuche  wur- 
den detaillirter  ausgeführt,  da  die  möglichst  genaue  Bestimmung  der 
Quantität  der  Beimischung  erzielt  werden  sollte,  bd  welcher  den 
Spirochaeten  ihre  Bewegungsfähigkeit  erhalten  bleibt,  oder  aber  die- 
selbe eingebüsst  wird. 

Um  einen  richtigen  Begriff  von  der  Menge  einer  Losung  zu  er- 
halten, welche  nöthig  ist,  um  die  Beweglichkeit  der  Spirochaete  auf- 
zuheben, ist  es  noth wendig,  zuerst  genau  den  Einfluss  der  gewöhn- 
lichen Lösungsmittel  (Wasser,  Spiritus,  Glycerin)  auf  die  Spirochaeten 
kennen  zu  lernen,  d.  h.  die  Grenze  zu  bestimmen,  über  welche  hinaus 
die  Beimischung  eines  Lösungsmittels  das  Aufhören  der  Bewegung 
der  Spirochaeten  nach  sich  zieht. 

Ich  beginne  mit  dem  Wasser.  Nach  Engel,  Heidenreicb 
und  Ob  er  m  ei  er  2)  bleibt  den  Spirochaeten  ihre  Beweglichkeit,  nach- 
dem dem  Blute  Wasser  beigemischt  worden,  erhalten.  Nach  Wei- 
gert, Litten  und  Anderen  raubt  das  Wasser  den  Spirochaeten  fast 

1)  s.  dieses  Archiv.  Bd.  XXIV.  S.96. 

2)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1S73.  Nr.  33. 


BackfkllstyphQB.  193 

aogenblioklioh  ihre  Beweglichkeit.  Dessen  ungeachtet  lesen  wir  bei 
einigen  Autoren,  dass  schwache  wftssrige  Lösungen  einiger  Chemi- 
kalien durchaus  keinen  Einfluss  oder  einen  schwächeren ,  als  das 
Wasser  allein ,  auf  die  Spirochaeten  ausüben.  Hieraus  folgt,  dass 
einmal  das  Wasser  für  sich  allein  schon  sehr  empfindlich  auf  die 
Spiroehaete  wirkt,  ein  anderes  Mal  dagegen  selbst  in  Verbindung 
mit  chemischen  Reagentien  keine  Wirkung  hat.  Mich  der  Quantit&t 
nach  Terschiedener  Mischungen  von  Blut  und  Wasser  bedienend,  kam 
ich  zu  dem  Besultate,  dass  bei  Hinzuthun  von  1:4  Volumtheilen 
destillirten  Wassers  die  Spirochaeten  die  Beweglichkeit  einzubttssen 
binnen.  Dabei  yerloren  sie  ihre  Beweglichkeit  5  Stunden  nach 
dem  Hinzuthun  nur  in  einem  Falle;  in  vielen  anderen  Fällen  ver- 
loren sie  ihre  Bewegung  kaum  in  10  mal  kürzerer  Zeit  als  in  reinem 
Biate.  Folglich  ist  somit  das  Yerhältniss  von  4  Theilen  Blut  zu 
1  Theil  Wasser  eben  die  Grenze,  bei  welcher  schon  ein  Einfluss  auf 
die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  bemerkt  wird.  In  einer  Mischung 
von  gleichen  Theilen  Blut  und  Wasser  gehen  die  Spirochaeten  fac- 
tisch  oft  augenblicklich  zu  Grunde.  Die  Beimischung  von  Vs— Vu 
Volnmtheil  Wasser  verkürzt  nicht  die  Dauer  der  Beweglichkeit  der 
Spiroehaete. 

Was  den  Alkohol  betrifft,  so  beginnt  br  beim  Vermischen  von 
nicht  weniger  als  Vs  Volumtheil  eines  12procentigen  Alkohols  mit 
Blat  deutlich  (nach  Verlauf  von  2  Stunden)  auf  die  Beweglichkeit 
der  Spirochaeten  zu  wirken.  Eine  Beimischung  von  Vi  2  Volumtheil 
eines  12procentigen  Alkohols  verkürzte  kaum  bemerkbar  die  Dauer 
der  Beweglichkeit  der  Spiroehaete.  Fast  augenblicklich  tddtlich 
wirkt  eine  Beimischung  von  Vs  Volumtheil  eines  20procentigen  Alko- 
hols. Denselben  Effect  erhält  man  durch  Hinzuthun  von  Vi«  Volum- 
theil eines  60  procentigen  Alkohols. 

Chemisch  reines  Glycerin  im  Verhältniss  von  Vi  2  Theil  tödtet 
auch  ziemlich  rasch  (nach  2 — 3  Stunden)  die  Spirochaeten.  Vs  Theil 
nift  bei  ihnen  augenblickliche  Aufhebung  der  Bewegung  hervor. 
Besser  wird  das  zur  Hälfte  mit  Wasser  verdünnte  Glycerin  von  den 
Spirochaeten  vertragen.  Im  Blut  mit  einer  Beimischung  letzterer 
Verdünnung  im  Verhältniss  von  ^'s  Theil  erhielt  die  Spiroehaete  ihre 
Beweglichkeit  durch  8  Stunden;  im  Parallelversuche  mit  reinem 
Blute  unter  sonst  gleichen  Bedingungen  erhielt  sich  die  Beweglich- 
keit 26  Stunden.  Längere  Dauer  der  Beweglichkeit  der  Spiroehaete 
beim  HinzufQgen  einer  Mischung  von  Glycerin  mit  Wasser  zum  Blute, 
als  beim  Hinzuthun  von  reinem  Glycerin  beobachtete  auch  Engel. 

D«nteeliM  ArehiT  f.  klia.  Medleia.  XII V.  Bd.  13 


194  IX.  MOOZUTKOWSKY 

Die  BeimisehuDg  von  Vio  Theil  Glyoerin  hatte  auf  die  Beweglichkeit 
der  Spirochaete  einen  fast  unmerklichen  EinfloM* 

Aus  diesen  Versuchen  geht  hervor,  dass  man  Aber  die  chemische 
Wirkung  rersehiedener  Bestandtheile  auf  die  Beweglichkeit  der  Spiro- 
chaete nur  in  dem  Falle  urtheilen  darf,  wenn  diese  Bestandtheile, 
in  Wasser,  Glyoerin  oder  Spiritus  gelöst,  dem  Blute  in  gewissen 
Verhältnissen  beigemischt  werden  und  zwar  nicht  mehr  als  1:4  Thei- 
len  der  wässrigen  Lösung,  1 :  12  Theilen  der  12procentigen  Alkohol- 
lösung,  fflr  das  reine  Glyoerin  aber  nicht  mehr  als  1 :  20  TheilcD. 

Die  Versuche  wurden  in  Parallel -Reihen  ansgefDhrt,  so  dass, 
wenn  z.  B.  der  Einfluss  des  Hinzuthuns  einer  bestimmten  Ldsnng 
eines  gewissen  Körpers  in  gegebenen  Verhältnissen  zum  Blute  unter- 
sucht wurde,  man  zu  gleicher  Zeit  über  den  Einfluss  Yon  destillirtem 
Wasser  in  demselben  Verhältnisse  auf  die  Spirochaete  desselben 
Blutes  Beobachtungen  machte.  Ausserdem  beobachtete  man  die  Dauer 
der  Beweglichkeit  der  Spirochaete  in  reinem,  mit  Hülfe  von  niederen 
Temperaturgraden  seiner  Gerinnungsfähigkeit  beraubtem  Blute.  Im 
Uebrigen  blieben  bei  den  Untersuchungen  dieser  drei  Blutproben  alle 
anderen  Bedingungen  sich  gleich. 

Auf  diese  Weise  wurden  mit  dem  Chinin  folgende  Untersuchun- 
gen angestellt.    Man  nahm  drei  Reihen  von  Röhrchen,  von  welchen: 

in  die  Röhrchen  a)  zu  4  Volumtheilen  Blut,  welches  einem  Re- 
currenskranken  am  3.  Tage  des  3.  Anfalles  entnommen  und  durch- 
schnittlich im  Sehfelde  20 — 3&  Spirochaeten  enthielt,  t  Volumtheil 
einer  wässrigen  l,Oprocentigen  salzsauren  Ghininlösung  hinzngefflgt 
wurde  *), 

in  die  Röhrchen  b)  zu  4  Volumtheilen  desselben  Blutes  1  Volum- 
theil destillirten  Wassers, 

die  Röhrchen  c)  enthielten  dasselbe  Blut,  nur  unvermischt,  aber 
unter  sonst  gleichen  Bedingungen,  wie  in  den  vorher  angeführten 
Röhrchen  (a  und  b). 

Die  Spirochaeten  verloren  ihre  Beweglichkeit 

in  den  ersten  Röhrchen  nach    1  Stunde, 
n    n     zweiten      „  »24  Stunden, 

n     n     dritten        „  »82  Stunden. 

Die  weiteren  Beobachtungen  in  dieser  Richtung  zeigten,  dass  die 
Beweglichkeit  der  Spirochaete  bei  Anwendung  von  2  procentigen  wftss- 

1)  Das  MiBchen  von  bestimmten  Mengen  von  Blut  und  Lösungen  wuxde  ver- 
mittelst eines  Glasst&bchens  auf  einem  Uhrglase  Yorgenommen.  Bei  ParaUelver- 
suchen  wurde  dasselbe  Verfahren  und  in  derselben  Zeit  mit  reinem  Blute  Torge* 
nommen« 


RackfftUttyphttB.  195 

rigen  und  st&rkeren  Salzsäuren  ChminltoaDgen  augenblicklich  aufhört. 
Eine  O^Sprocentige  Ldsnng  zeiehnete  sich  in  ihrer  Wirkung  auf  die 
Beweglichkeit  der  Spirochaete,  in  Bezug  auf  die  Zeit,  in  gar  nichts 
?on  der  Einwirkung  destillirten  Wassers  in  entsprechender  Proportion 
ans.  Diese  Resultate  stimmen  nicht  mit  denen  Engel's  Uberein, 
welcher  behauptet,  dass  schon  0,5 procentige  Ghininlösungen  einen 
Einfluss  auf  die  Spirochaete  hAtten.  Ganz  entgegengesetzt  den  Re* 
siiltaten  Engel's  sind  die  Beobaohtungen  von  Binz^),  welcher 
Spirillom  und  andere  niedere  Organismen  ihre  Beweglichkeit  augen- 
blicklich nach  Beimischung  von  Vsoo  procentiger  OhininUsung  ver- 
lieren sah. 

Die  in  gleicher  Weise  mit  Strychnin  ausgefQhrten  Untersuchun- 
gen zeigten,  dass  die  Gegenwart  von  0,00015  Proc.  schwefelsauren 
Strychnins  im  Blute  die  Dauer  der  Beweglichkeit  der  Spirochaeten 
ebenso  wenig  verkflrzte,  wie  die  zur  Lösung  des  Strychnins  ange- 
wandte Menge  destillirten  Wassers.  Nur  0,003  Proc.  verkürzten  die 
Dauer  der  Bewegung  der  Spirochaeten  um  die  Hälfte  der  Zeit  gegen- 
Aber  einer  gleichen  Portion  von  destillirtem  Wasser,  wogegen  0,008 
Proeent  sofort  tödteten.  Schwache  Strychninlösungen  konnten  die 
erlöschenden  Bewegungen  nicht  verstärken  oder  unterhalten,  noch 
die  in  Folge  von  anderen  Reagentien  verloren  gegangene  Beweglich- 
keit der  Spirochaeten  wieder  herstellen. 

Das  Kochsalz  wurde  chemisch  rein  zu  den  Versuchen  ver- 
wandt Ich  vermochte  nie  zu  beobachten,  dass  die  Salzlösungen 
gleich  dem  Blutserum  (Engel)  befähigt  gewesen  wären,  den  Spiro- 
ehaeten  ihre  Beweglichkeit  zu  erhalten.  In  0,5*  bis  Iproc.  Koch- 
salzlösungen verkflrzte  sich  die  Dauer  ihrer  Beweglichkeit  um  den 
vierten  Theil  der  Zeit,  als  in  reinem  Blute;  schwächere  Lösungen 
näherten  sich  in  ihrer  Wirkung  dem  Wasser.  Eine  Sättigung  des 
Blutes  mit  IVs  Proc.  Gl  Na  (in  wässriger  Lösung)  hatte  zur  Folge^ 
dasB  die  Dauer  der  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  gegenttber  der 
Beweglichkeit  derselben  in  mit  der  entsprechenden  Menge  Wasser 
Termischtem  Blute  um  die  Hälfte  der  Zeit  abnahm;  2procentige  und 
stärkere  Lösungen  wirkten  fast  augenblicklich.  Somit  stimmen  die 
Resultate  meiner  Untersuchungen  nicht  mit  denen  Heidenreich 's 
flberein,  welcher  beobachtete,  dass  die  Spirochaeten  sich  in  schwachen 
Salzlösungen  besser  erhielten,  als  im  Blutserum,  dass  in  4  procentigen 
die  Beweglichkeit  tagelang  erhalten  bleibt  und  dass  nur  8  procentige 
Lösungen  augenblicklich  von  Wirkung  waren. 

1)  M.  Schnitze's  Archiv,  fid  111.  Ueber  die  Einwirkung  des  Chinins  auf  Proto- 
plasma-Bewegungen. 

13* 


196  IX.  MOGZÜTKOWSKY 

Ebenso  habe  ich  nicht  bemerkt,  dass  Salzlösungen  die  von  Lit- 
ten erwähnten  varieösen  Anschwellungen  bei  den  Spirochaeten  her. 
vorriefen. 

Das  kohlensaure  Natron  hat  sich  sowohl  in  meinen  Yer- 
sucheui  ebenso  wie  in  denen  Engers  und  Obermeier's,  als  ein 
nur  äusserst  schwach  auf  die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  ein- 
wirkender Körper  bewiesen,  was  von  Gohn  schon  lange  in  Bezie- 
hung auf  Monaden  angegeben  ist  Selbst  2  procentige  Losungen  von 
CONaO  hoben  die  Bewegungen  der  Spirochaeten  nicht  vor  4  Stan- 
den auf;  stärkere  Lösungen  wirkten  ziemlich  energisch. 

Die  Lösimgen  von  Kalium  hypermanganicum  äusserten 
eine  sofortige  Wirkung  auf  die  Spirochaeten  erst  bei  0,5procentiger 
Concentration. 

Das  Kalium  jodatum  erwies  sich  in  Beziehung  auf  die  Auf- 
hebung der  Bewegung  der  Spirochaeten  als  ein  äusserst  starkes  Agens. 
Schon  0,01  Proc.  hob  die  Beweglichkeit  nach  2  oder  3  Minuten  auf, 
0,05  Proc.  tödteten  augenblicklich. 

Dem  Acidumsalicylicum  gegenüber  verhielten  sich  die  Spiro- 
chaeten weniger  empfindlich ;  sie  erhielten  ihre  Beweglichkeit  selbst 
bei  0,1  Proc.  Stärkerer  0,2  procentiger  Qehalt  rief  schon  fast  augen- 
blicklich eine  Einwirkung  hervor. 

Noch  schwächer  zeigte  sich  die  Wirkung  von  Acid.  muriati- 
cum.    Erst  1  procentige  Lösung  wirkte  tödtlich  auf  die  Spirochaeten. 

Greosot  hob  beim  Hinzuthun  einer  0,6 procentigen  wässrigen 
Lösung  die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  auf. 

Die  Zucker-  und  Hühnereiweiss-Lösungen  wirkten  auf 
die  Spirochaeten  um  so  stärker,  je  mehr  diese  Körper  in  denselben 
vertreten  waren ;  so  ertödtete  eine  5  procentige  Lösung  des  ersten 
und  eine  12  procentige  Lösung  des  zweiten  Körpers  die  Beweglich- 
keit augenblicklich.  2  procentige  Zuckerlösung  und  5  procentige  Ei- 
weisslösung  blieben  ohne  Wirkung  auf  die  Spirochaeten. 

Jetzt  folgt  eine  Reihe  von  Untersuchungen,  welche  das  Verhalten 
der  Spirochaeten  zu  den  flüssigen  Secreten  und  Excrementen 
des  menschlichen  Organismus  zeigen. 

Das  Hinzuthun  von  flOssiger,  18  bis  26  Stunden  nach  dem  Tode 
den  Leichen  entnommener  Galle  tödtete  nur  in  dem  Falle  die  Spiro- 
chaeten, wenn  die  Galle  den  zehnten  Theil  des  zur  Mischung  be- 
nutzten Blutes  übertraf.  Hierbei  ist  noch  zu  bemerken,  dass,  je 
consistenter  die  Galle  war,  man  eine  um  so  geringere  Menge  dersel- 
ben zur  Aufhebung  der  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  bedurfte. 


Rftckfalktyplitts.  197 

Ganz  ebenso  wirkte  die  Gonsistenz  des  Speichels  auf  ihre 
Beweglichkeit:  in  einer  Mischung  von  4  Theilen  Blut  zu  1  Theil 
mnen  und  äusserst  flüssigen  Speichels  Yom  Menschen  konnte  sich 
die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  1  Stunde,  ja  mitunter  4  Stunden 
erhalten.  Bei  Zusatz  Ton  consistenterem  Speichel  gingen  sie  sofort 
onter. 

In  der  Mischung  Yon  Milch  einer  yor  8  Monaten  Entbundenen 
(1  Theil  zu  4  Theilen  Blut)  bewegten  sich  die  Spirochaeten  8  Stün- 
den. Litten  beobachtete  dieselbe  Dauer  der  Beweglichkeit  in  Frauen- 
milch. In  einer  Mischung  von  1  Theil  Frauenmilch  einer  7  Monate 
Schwangeren,  welche  zur  selben  Zeit  am  Typhus  recurrens  erkrankt 
war,  mit  4  Theilen  ihres  eigenen  Blutes  hörten  die  Bewegungen  der 
Spirochaeten  nach  5  Stunden  auf;  dagegen  behielten  sie  ihre  Beweg- 
lichkeit in  reinem  Blute  im  Oi^anismus  (bis  zum  Ende  des  Anfalles) 
4^2  Tage,  ausserhalb  des  Organismus  in  zugesohmolzenen  Röhrchen 
12  Tage- 
in Kuhmilch  (Zeit  des  Kalbens  unbekannt)  gingen  die  Spiro- 
chaeten nach  1  Stunde  zu  Grunde.  Sahne  von  derselben  Milch  wirkte 
nach  10—30  Minuten  (in  beiden  Fällen  war  das  Verhftltniss  der 
Mischung  1  Theil  zu  4  Theilen  Blut). 

Nach  dem  Hinzuthun  von  V^  Theil  Seh  weiss  blieb  den  Spiro- 
chaeten ihre  Beweglichkeit  nicht  länger  als  2  Stunden  erhalten. 

Eine  augenblickliche  Wirkung  ergab  das  Hinzuthun  Ton  V«  Vo- 
lamtheil  normalen  Urins.  Ganz  frischer  Urin  eines  Recurrenskran- 
ken  hinzugethan  zum  eben  entnommenen  Blute  desselben  Kranken 
wirkte  noch  energischer  als  normaler  Urin. 

Ausser  obigen  Körpern  beobachteten  wir  noch  die  Wirkung  eini- 
ger Gase,  der  Temperatur  und  der  Elektricität. 

Das  Hindurohstreiohen  eines  schwachen  Stromes  von  Kohlen* 
säure,  wie  auch  von  Sauerstoff  in  der  Stricker'schen  Kammer 
rief  nach  V^  Stunde,  mitunter  nach  Vk  Stunden  Unbeweglichkeit 
der  Spirochaeten  hervor.  Dieselbe  energische  Wirkung  des  Sauer- 
8to&,  wie  auch  der  verdichteten  Luft  bemerkte  auch  Bert  auf  Bac- 
terien.  Nach  Feltz  verloren  die  Bacterien  des  faulenden  Blutes 
ebenso  schnell  auf  Einwirkung  von  Sauerstoff  ihre  Beweglichkeit. 
Kaum  sich  bewegende  und  gänzlioh  der  Bewegung  beraubte  Spiro- 
chaeten erhielten  unter  dem  Einfluss  eines  Sauerstoffstromes  ihre  Be- 
weglichkeit nieht  wieder.  Es  ist  sogar  beobachtet,  dass  die  Spiro- 
chaeten im  Blute,  welches  dem  freien  Zutritt  der  atmosphärischen 
Luft  ausgesetzt  war,  ktbrzere  Zeit  (nicht  länger  als  1 — 3  Tage)  leben, 
ab  in  hermetisch  zugeschmolzenen  Röhrchen  (37  Tage). 


198  IX.  MbOZUTKOWSKY 

Die  Schläge  eines  Bobwaehen  elektrischen  Stromes  hoben 
äusserst  rasch  die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  auf.  Unbewegliche 
Spirochaeten  erhielten  anter  dem  Einfloss  elektrischer  Ströme  ihre 
Beweglichkeit  nicht  wieder. 

Ausser  dem  Einflüsse  von  Gasen  war  ich  noch  bemtlht,  den 
Einfluss  der  Dämpfe  von  Alkohol  und  Chloroform  zu  beobachten. 
Es  zeigte  sich,  dass  die  Spirochaeten  ein  und  desselben  Blutes  ihre 
Beweglichkeit  unter  dem  Einfluss  von  60  gradigen  Alkoholdämpfen 
ebenso  schnell  (nach  Vs  Stunde)  verloren,  als  unter  dem  Einflasse 
von  Chloroformdämpfen. 

Bezüglich  der  nur  wenigen  Beobachtungen  von  Temperatur- 
Einflüssen  kann  ich  nur  sagen,  dass  die  Spirochaeten  bei  mehr 
als  48^  C.  äusserst  rasch  zu  Grunde  gingen.  Nach  Verlauf  einer 
halbstündigen  Einwirkung  dieser  Temperatur  (im  Luftbade)  war  bei 
sämmtlichen  Spirochaeten  die  Beweglichkeit  aufgehoben.  In  dieser 
Beziehung  stimmen  meine  Beobachtungen  nicht  mit  denen  Heiden- 
reich 's  überein  (die  Spirochaeten  gingen  nach  ihm  sehr  rasch  zu 
Grunde  bei  einer  Temperatur,  die  43^  C.  überstieg).  Dagegen  ist  es 
mir  nicht  so  wie  Litten  gelungen,  lebende  Spirochaeten  bei  so 
hohen  Temperaturen  (60  <^  R.)  zu  beobachten.  Niedrige  Temperatur 
wird  dafür  von  den  Spirochaeten  ausserordentlich  gut  vertragen.  Bei 
+  20  R.  beginnen  sie  schon  fast  immer  ihre  Beweglichkeit  einzu- 
büssen,  zuweilen  selbst  schon  bei  -|-  4<^  B.  Bd  0  und  niedriger  hören 
alle  Spirochaeten  sich  zu  bewegen  auf.  Wird  Blut  selbst  bis  auf 
—  8^  R.  abgekühlt,  in  Zimmertemperatur  erwärmt,  so  erhalten  die 
Spirochaeten  ihre  Beweglichkeit  nach  5,  zuweilen  20  Minuten  aufs 
Neue  wieder  und  behielten  sie  wochenlang.  Ja  ich  bemerkte  sogar, 
dass  die  Beweglichkeit  derselben  sich  unvergleichlich  länger  erhielt 
im  Blute,  welches  durch  Gefrieren  seiner  Gerinnungsfähigkeit  beraubt 
war,  als  in  dem  durch  Schütteln  defibrinirten.  Hei  den  reich  be- 
obachtete auch,  dass  die  unter  dem  Einflüsse  niederer  Temperaturen 
erstarrten  Spirochaeten  aufs  Neue  ihre  frühere  BewegUehkeit  erhiel- 
ten; auch  in  dieser  Beziehung  unterwerfen  sich  die  Spirochaeten 
demselben  Gesetze,  welches  Cohn  für  Monaden  gefunden. 

Ich  habe  bisher  nur  von  dem  Einflüsse  verschiedener  Reagentien 
auf  die  Spirochaeten  gesprochen  und  dabei  alle  anderen  Einwirkun- 
gen derselben  auf  die  rothen  und  farblosen  Blutkörperchen,  auf  das 
Serum  u.  s.  w.  unberücksichtigt  gelassen.  Die  Yeräuderungen  schienen 
sich  in  Nichts  von  denen  zu  unterscheiden,  welche  unter  denselben 
Bedingungen  im  gesunden  Blute  erhalten  werden. 


ROcküidlstyphiis.  199 

Aber  nicht  nur  fremde  Körper  haben  einen  solch  starken  Ein- 
floM  auf  die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten.  Selbst  das  Blut  ver- 
gehiedener  Snbjecte  verhält  sich  nicht  gleichartig  sa  den  Spirochaeten. 
Im  BlutCi  welchem  ein  gleiches  Volumen  frischen  defibrinirten  Men- 
sehenbltttes  (das  meinige)  hinzugemischt  worden  war,  verloren  die 
Spirochaeten  ihre  Beweglichkeit  um  einige  Tage  früher,  als  im  un- 
Termisehten  ursprünglichen  Blute. 

Im  Gemisch  von  gleichen  Theilen  Becurrensblut  mit  dem  Blute 
Ton  Thieren  —  Affen,  Hunden,  Katzen  —  verloren  die  Spirochaeten 
die  Beweglichkeit  nach  5—14  Stunden,  während  sie  in  den  Parallel- 
versachen  im  ursprOnglichen  reinen  Blute  bis  4  Tage  und  länger 
beweglich  blieben. 

Das  Hinzumischen  von  durch  verschiedene  pathologische  Processe 
verändertem  Blute  ttbt  auch  einen  grossen  Einfluss  auf  die  Beweg- 
üehkeit  der  Spirochaeten  aus.  Die  Beimischung  von  gleichen  Theilen 
septiehämischen  Blutes,  gleich  wie  von  Blut  eines  an  chronischer 
Dysenterie  Leidenden  hob  die  Beweglichkeit  nach  einigen  (2 — 4) 
Standen  auf.  Das  Blut  von  Leichen  im  Paroxysmus  verstorbener 
Becurrenskranker  vernichtete  die  Beweglichkeit  ebenso  rasch.  Das 
Blut  eines  in  Folge  von  Insufficienz  der  Bicuspidalis  an  starkem 
Oedem  Leidenden  in  gleichen  Theilen  dem  Spirochaeten  enthaltenden 
Blute  beigemischt,  verkfirzte  die  Beweglichkeit  um  einige  Tage.  Die 
Beimischung  einer  gleichen  Menge  von  durch  Punction  einem  an 
Lebereirrhose  Leidenden  entzogener  Ascites-FlQssigkeit  zu  Spirochaete 
enthaltendem  Blute  hob  die  Beweglichkeit  in  der  Hälfte  der  Zeit 
auf,  als  solches  in  demselben  reinen  Blute  der  Fall  war. 

Den  Einfluss  der  hier  aufgeftthrten  Körper  auf  die  Beweglich- 
keit der  im  Blute  ausserhalb  des  menschlichen  Organismus  befind- 
lichen Spirochaeteü  berflcksichtigend  erhalten  wir  folgende  Daten: 

a)  Dass  die  Spirochaeten  ihrer  Beweglichkeit  beraubt  werden 
durch  Hinzufügen  gewisser  Quantitäten  von  Laugen,  Säuren  und 
Salzen  zum  Blute,  durch  Einwirkung  einiger  Gktse  und  der  Elektri- 
cit&t,  wie  auch  endlich  durch  hohe  und  niedrige  Temperaturen. 

b)  Dass  einige  Excremente  und  Secrete  des  menschlichen  Oi^a- 
nismos  einen  grösseren  Einfluss  auf  die  Beweglichkeitsdauer  der  Spi- 
roehaeten  ausüben  als  eine  entsprechende  Menge  von  destillirtem 
Wasser. 

c)  Auch  das  Blut  von  Thieren,  von  gesunden  und  kranken  Men- 
sehen (in  einzelnen  Fällen),  sowie  Leichenblut  verkürzen  die  Dauer 
der  Beweglichkeit. 

d)  Die  Verdünnung  des  Blutes  in  bestimmten  Verhältnissen  mit 


200  IX.  MOCZUTEOWSKY 

sogenannten  indifferenten  Substanzen  verkflrzt  die  Dauer  der  Bew^- 
lichkeit  der  Spirochaeten. 

e)  Die  Verdickung  des  Blutes,  sei  es  durch  Beimischung  Yon 
die  Consistenz  des  Medium  beeinflussenden  Substanzen,  sei  es  einfach 
durch  Verdunsten ,  hebt  äusserst  rapid  die  Beweglichkeit  der  Spiro- 
chaeten auf. 

Sehen  wir  jetzt  zu,  wohin  die  Anwendung  obiger  Facta  im  mensch- 
lichen Organismus,  dessen  Blut  (im  Anfalle  des  Securrens)  Spiro- 
chaeten enthält,  führt.  Oder  stellen  wir  die  Frage  anders:  Ist  es 
nicht  möglich,  vermittelst  gewisser  Mittel  die  Beweglichkeit  der  Spiro- 
chaeten aufzuheben,  und  könnte  nicht  diese  Aufhebung  zum  Goupiren 
des  recurrenten  Typhus  führen?  Die  Beantwortung  dieser  Fragen 
im  positiven  oder  negativen  Sinne  ist  fttr  die  praktische  Medidn  von 
grösster  Wichtigkeit.  Sie  bestimmt  das  Verhalten  des  Arztes  am 
Bette  des  Recurrenskranken,  d.  h.  sie  begründet  entweder  seine  ener- 
gische Thätigkeit,  um  die  Krankheit  zu  coupiren,  oder  aber  verur- 
theilt  ihn,  ein  passiver  Zuschauer  des  Erankheitsverlaufes  zu  sein. 
Diese  Aufgabe  hat  die  volle  Berechtigung  der  Berücksichtigung,  da 
es  entschiedene  Fälle  von  coupirtem  Typhus  recurrens  gibt. 

Abgesehen  von  vielen  Angaben  in  der  Literatur  kann  ich  nicht 
umhin,  darauf  zu  verweisen,  dass  es  schon  im  menschlichen  Körper 
selbst  den  Krankheitsprocess  coupirende  Bedingungen  geben  muss, 
d.  h.  es  werden  oft  Fälle  von  sehr  kurzer  Dauer  oder  von  äusserster 
Oeringfügigkeit  beobachtet;  endlich  kommt  es  oft  vor,  dass  ohne 
jegliche  Behandlung  der  Process  mit  einem  Paroxysmus  endigt,  d.  h. 
es  kommt  zu  keinem  Rückfalle. 

Zugleich  mit  dieser  Frage  eröffnet  sich  eine  andere:  Warum 
wendet  man  bei  dem  Verlangen,  den  recurrenten  Process  zu  coupiren, 
seine  Aufmerksamkeit  hauptsächlich  auf  die  Beweglichkeit  (das  Leben) 
der  Spirochaeten?  Es  ist  noch  nicht  entschieden,  welche  Rolle  die 
Spirochaeten  in  diesem  Processe  spielen  —  sind  sie  selbst  der  An- 
steckungsstoff oder  erscheinen  sie  nur  als  die  Träger  desselben  — , 
in  welchem  Verhältniss  endlich  stehen  der  Ansteckungsstoff  und  die 
Spirochaeten  zu  anderen  im  Blute  Recurrenter  gefundenen  Bildungen 
(Obermeier'sche  Körper,  Taf.  VL  Fig.  3  u.  4«)  u.  s.  w.  Dagegen 
darf  nicht  übersehen  werden,  dass  die  Erscheinung  der  Spirochaeten 
im  Blute  Recurrenter  mit  dem  Eintritt  des  Paroxysmus  zusammenfällt, 
dass  die  Fähigkeit,  als  Impfstoff^)  des  Typhus  recurrens  zu  dienen, 


1)  Gentralblatt  für  die  med.  Wissenschaften.  1876.  Nr»  11. 


Rückfallstyphas.  201 

nur  dem  Blute  anhängt,  d.  h.  dem  Medium,  in  welchem,  wenn  auch 
in  demBelben  in  einzelnen  Fällen  die  Spirochaeten  in  den  ersten 
Tagen  der  Krankheit  nicht  beobachtet  worden  sind,  solche  aber  doch 
enthalten  sein  mttssen,  da  ihr  Erscheinen  sogar  dem  Beginne  des 
Anfalles  (Heidenreich)  vorausgeht,  femer  dass  das  Impfen  mit 
apyretisehem  Blut  nicht  gelingt,  und  endlich  dass  der  Moment  des 
Yerschwindens  der  Spirochaeten  aus  dem  Blut  mit  dem  Ende  des 
Anfalles  zusammenfällt*  Alles  dieses  in  Betracht  ziehend  ist  es  nicht 
möglich,  die  Abhängigkeit  des  Recurrensprocesses  von  [den  Spiro- 
ehaeten  zu  leugnen. 

Ermuthigt  durch  die  kühnen  Gaben  von  Chinin,  welche  in 
letzter  Zeit  im  Typhus  (Liebermeister,  Jttrgensohn,  Binz)  an- 
gewandt worden,  verordnete  ich  dem  Kranken  Mitrofan  Stepanoffsky, 
26  Jahre  alt,  von  kräftigem  Körperbau  und  64,2  Kilogrm.  Gewicht, 
am  27.  Febr.  1874,  am  zweiten  Tage  des  vierten  Anfalles  4  Grm. 
salzsauren  Chinins  innerlich  in  zwei  Dosen  zu  je  2  Grm.  in  einer 
Zwischenzeit  von  V«  Stunde.  Das  Chinin  wurde  nüchtern  und  in 
200  Grm.  Wasser  gelöst  genommen. 

Vor  der  Chiniugabe  bot  Stepanoffsky  folgendes  Bild:  Der  Allgemein- 
lastand  sehr  gut,  der  Kranke  ist  munter  und  guter  Dinge,  sogar  nicht 
bettUgerig,  sondern  geht  im  Krankenzimmer  umher;  der  Puls  130,  ziem- 
lich ?oll,  die  Zunge  stark  belegt  18  Athemzüge  in  der  Minute.  Die  Haut 
trocken.     Die  Temperatur  40,3^  C. 

1 V2  Stunden  nach  der  zweiten  Gabe  begann  der  Kranke  über  Schwin- 
del, Schwäche  in  den  Fassen  und  Abnahme  der  Sehschärfe  zu  klagen.  Der 
Pols  fiel  auf  100,  das  Athmen  wurde  oberflächlich  —  29  in  der  Minute. 
Die  Temperatur  fiel  um  0,6  0. 

Noch  eine  Stande  später  trat  Klingen  und  Sausen  in  den  Ohren  auf. 
Der  Kranke  verfiel  in  einen  apathischen  Zustand,  die  Reflexthätigkeit  war 
herabgesetzt.  Der  Puls  fiel  bis  auf  54  Schläge  in  der  Minute  und  war 
dabei  äusserst  weich  und  klein.  Die  Herzschläge  äusserst  schwach,  die 
Lippen  cyanotlsch.  Oberflächliches  Athmen,  28  in  der  Minute.  Tempe- 
ratur 38,40  C. 

Auf  häufige  Gaben  von  Wein  hob  sich  8  Stunden  nach  der  zweiten 
Chiningabe  der  Puls  auf  74  Schläge,  die  Temperatur  auf  39,0 0  C.  Der 
Rräfleverfall,  die  Taubheit  und  der  Schwindel  hielten  aber  noch  5  Tage  an. 

Die  Beobachtung  der  Spirochaete  in  dem  diesem  Kranken  alle 
2  Stunden  entnommenen  Blute  ftthrte  mich  zu  der  Ueberzeugungi 
dass  die  Beweglichkeit  der  Spirochaete  während  der  Chininvergiftung 
des  Organismus  sich  in  keiner  Weise  ron  der  Beweglichkeit  der- 
selben vor  den  Ghiningaben  unterschied.  Den  folgenden  Tag  ver- 
doppelte sich  die  Anzahl  der  Spirochaeten  im  Blute  und  erst  am 
5.  Tage  erreichte  der  Anfall  sein  Ende. 


202  IX.  MoozmxowBCT 

Die  Versuche  der  Einwirkung  dee  Chinins  auf  die  Spiroefaaete 
ausserhalb  des  Organismus  lieferten  das  Resultat,  dass  die  niedrigste 
Goncentration  von  Chinin,  welche  Äusserst  schnell  die  Bewegoug  der 
Spirochaete  aufzuheben  im  Stande  ist,  die  Iproeentige  ist  Berech- 
nen wir  nun,  welchen  Procentsatz  im  Verhftltniss  zur  Blntmasse  die 
von  Stepanoffsky  eingenommenen  4  6rm.  ausmachen.  Die  Blntmasse 
eines  Erwachsenen  bildet  nach  Bisch  off  den  13.  Theil  des  6e- 
sammtgewichtes  desselben.  Demnach  kommen  4  6rm.  Chinin  auf 
5000  Grm.  Blut  Es  ist  aber  nicht  anzunehmen,  dass  sämmtliches 
Chinin  ins  Blut  übergegangen  sei.  Welitchkoffsky  0  hat  gezeigt, 
dass  durchschnittlich  17,5  Proc.  des  eingeführten  Chinins  mit  den 
Entleerungen  (folglich  im  therapeutischen  Sinne  nicht  zu  yerwerthen) 
ausgeschieden  werden;  somit  mussten  von  4  Grm.  Chinin  nur  3,3 
ins  Blut  übergehen,  was  im  Verhältniss  zu  5000  Grm.  Blut  im  Ganzen 
0,06  Proc.  ausmacht.  Das  heisst,  es  konnte  nur  eine  solche  Quantität 
Chinin  ins  Blut  übergehen,  welche  als  mikrochemisches  Reagens  auf 
die  Bewegung  der  Spirochaete  ohne  Wirkung  bleiben  musste. 

Selbstverständlich  wird  sich  in  Anbetracht  der  ernsten  Erschei- 
nungen, welche  4  Grm.  Chinin  auf  den  Organismus  des  Kranken 
hervorriefen,  kaum  Jemand  entschliessen,  die  Gabe  zu  verdreifachen, 
nur  um  sich  zu  überzeugen,  ob  eine  Quantität,  welche  auf  dem  Ob- 
jectgläschen  ziemlich  rasch  die  Spirochaeten  tödtet,  die  Beweglich- 
keit derselben  im  menschlichen  Organismus  vernichtet  Nimmt  man 
nach  Engel  an,  dass  erst  eine  0,5procentige  Chininlösung  auf  die 
Spirochaeten  einwirkt,  so  müsste  man  zum  Zwecke  des  Coupirens 
eines  Recurrensanfalles  noch  mehr  geben,  d.  h.  über  30  Grm. ;  nach 
Berechnungen  von  Bochefontaine ^)  aber  müssten  zur  Vemichtang 
der  Malaria -Vibrionen  im  menschlichen  Organismus  etwa  80  Orm. 
eingeführt  werden. 

Folglich  ist  die  auf  praktische  Beobachtungen  sich  stützende 
Meinung  (Binz,  Lebert,  Unt  erb  erger),  dass  der  Recurrenspro- 
cess  durch  Chinin  nicht  zu  coupiren  sei,  vollständig  richtig. 

Dasselbe  wiederholt  sich  bei  Stry  chnin.  Um  die  Spirochaeten 
ihrer  Beweglichkeit  durch  mikrochemische  Reaction  zu  beraaben, 
bedarf  man  0,008  Proc.  Strychnin.  Demnach  bedarf  man  auf  5000 
Gramm  Blut  0,4  Grm. 

Das  Jodkalium,  welchem  Willebrandt  und  Sauer^)  auch 

t )  Materialien  zur  Pharmakologie  des  Salzsäuren  Chinins.  Diss.  inaug.  (mss.). 
St.  Petersbuig  1876. 

2)  Arch.  de  Physiolog.  norm,  et  pathol.  Jnület  1873. 

3)  Ungar.  Zeitschrift.  1860.  XL  6. 


RackfiülBtyphiu.  203 

eine  antimiasinatiBebe  Wirkung  zuBchrieben  und  welchem  Lieber- 
meiflter  in  der  neuesten  Zeit  eine  speeifisohe  Wirkung  auf  den  Ab- 
dominaltyphua  zuerkennt,  erwiee  sieh  bei  den  mikrochemisehen  Ver- 
8Qehen  als  eines  der  empfindliehsten  Beagentien;  denn  sehen  0,05 
Prooent  desselben  genügen,  um  die  Spiroohaete  augenblicklich  zu 
tödtOD.  Bei  aller  Schnelligkeit  der  Ausscheidung  des  Jods  ails  dem 
Organismus  [nach  HeubeP)  wurden  im  Verlauf  von  2  Stunden  ^/s 
der  in  den  Magen  eingeführten  Quantit&t  durch. den  Harn  ausge- 
schieden] ist  es  doch  im  Stande,  sich  im  Blute  in  bedeutenden  Quan- 
titäten anzusammeln.  Die  auf  Qrund  der  yon  Heu  bei  angegebenen 
ZaUen  gemachten  Berechnungen  beweisen,  dass  das  Jodkalium  im 
Blate  im  Verhältniss  von  0,02—0,2  Proc.  zurflckgehalten  wird,  somit 
in  Tollständig  genügender  Menge,  um  die  Bewegung  der  Spiroohaeten 
in  Temiehten.  Zur  Erhaltung  aber  eines  solchen  Procentverhältnisses 
des  Jodkalioms  im  Blute  müsste  man  (nach  Heu  bei)  dieses  Prä- 
parat dem  thierischen  Organismus  etnftthren  in  dem  Verhältniss  zum 
Körpergewicht  wie  1 :  1700  bis  1 :  300.  Daraus  ergibt  sich,  dass  zur 
Erreichung  obigen  Zweckes  ein  menschlicher  Organismus  von  65  Kilo- 
gramm eine  Gabe  von  38 — 217  Grm.  Jodkalium  nehmen  mttsste. 

In  meinen  Fällen  habe  ich  in  einer  Gabe  nicht  mehr  als  eine 
halbe  Drachme  eingeführt;  die  Spirochaeten  zeigten  im  Verlauf  der 
ersten  4  Stunden  durchaus  keine  anormalen  Erscheinungen«  Die 
Jodieaction  im  Urin  zeigte  sich  in  einem  Falle  erst  nach  40  Minuten, 
in  den  flbrigen  Fällen  nach  10 — 25  Minuten  und  verschwand  erst 
nach  3  Tagen. 

*  Die  Salicylsäure.  Zu  den  Versuchen  wurde  das  Präparat 
der  Ton  Heyden'schen  Fabrik  (in  Dresden)  benutzt.  Man  gab  die 
Salicylsäure  in  steigender  Dosis  an  verschiedenen  Tagen  des  Anfalles. 
leh  bin  bis  zu  Gaben  von  3 — 4  Grm.  gestiegen,  welche  stttndlich 
wiederholt  wurden.  Zweimal  nach  Einffihrung  von  15  und  18  Grm. 
trat«!  3>^~5  Stunden  nach  der  ersten  Gabe  Intoxicationsersehei- 
nungen  auf,  welche  sich  in  folgenden  Symptomen  äusserten :  bis  zur 
Taubheit  führendes  Ohrensausen,  Unruhe,  tiefe  und  frequente  Athem- 
zQge,  weicher  langsamer  Puls  und  Abfall  der  Temperatur  um  1^. 

Vor  Allem  muss  ich  vorausschicken,  dass  die  von  mir  benutzte 
Salicylsäure  sich  nicht,  wie  Hey  den  behauptet,  in  300  Theilen 
Wasser  bei  Zimmertemperatur  von  14<^  B.  ISste,  sondern  erst  in 
500  Theilen.    Die  Salicylsäure  gehört  zu  den  Körpern,  welche  sehr 


1)  Ueber  das  Verhalten  verschiedener  Körperorgane  zor  Jodkalium-Besorption. 
I>i88eit.    Dorpat  1865. 


204  IX.  MOCZUTKOWSKT 

leicht  ch^misoh  nachgewiesen  werden  können  und  ftuBserst  rapid 
vom  Magen  aufgesogen  werden.  Ich  überzeugte  mich  an  mir  selbst, 
dass  man  sie  nach  einer  bei  nüchternem  Magen  genommenen  Dosis 
von  Vs  Gtrm.  nach  10  Minuten  im  Harne  nachweisen  kann.  Sie  bleibt 
proportional  der  eiageftthrten  Menge  im  Organismus  nachweisbar: 

8  Grao  sind  schon  nach  4  Stunden  nicht  mehr  nachweisbar, 

20|,„|,  „36         „  n  n  n 

«'^         »  »  »  »     ^ö  nun  n 

60         „  ^  n  n     90  „  „  „ 

Bei  fiebernden  Kranken  wird  die  Salicylsfture  um  Vs  der  Zeit 
schneller  aus  dem  Organismus  ausgeschieden. 

Aus  den  Versuchen  auf  S.  196  ist  zu  ersehen,  dass  erst  0,2  Proc. 
Salicylsäure  im  «Blute  zur  Aufhebung  der  Beweglichkeit  der  Spiro* 
chaeten  führen.  Demnach  muss  ein  menschlicher  Organismus  von 
63  Kilogrm.  Gewicht  im  bestimmten  Moment  9^5  Grm.  Salicylsäure 
enthalten.  Um  mich  davon  zu  überzeugen,  ob  wirklich  eine  solche 
Quantit&t  dieses  Körpers  ins  Blut  übergehen  kann,  machte  ich  Paral- 
lelversuche,  indem  ich  zum  Harn  Gesunder  und  Fiebernder,  wie  auch 
zu  destillirtem  Wasser  verschiedene  Quantitäten  Salicylsäure  hinzu- 
setzte und  nach  der  Färbung  der  erhaltenen  Beaction  auf  die  an- 
nähernde vom  Blute  aufgenommene  Salicylsäuremenge  schloss. 

Es  zeigte  sich,  dass  der  0,2procentige  Gehalt  derselben  in  destil- 
lirtem Wasser  sehr  leicht  nachweisbar  und  durch  Hinzusetzen  von 
Liquor  ferri  sesquichlorati  eine  ziemlich  intensive  violette  Färbung 
der  Flüssigkeit  entsteht  0« 

Ein  0,2procentiger  Salicylsäure-Gehalt  im  Harn  gibt  eine  deut- 
liehe violette  Färbung ;  der  V2  Stunde  nach  der  Aufnahme  von  12  Grm. 
Salicylsäure  (im  Verlauf  von  4  Stunden)  gelassene  Urin  zeigt  aber 
eine  bedeutend  dunklere  Färbung.  Folglich  kann  man,  nach  der 
Reaction  des  Harns  urtheilend,  wenn  die  Salicylsäure  nur  unverän- 
dert durch  den  Harn  ausgeschieden  wird  (Tb  i  er  seh  2),  Bus  8^), 
Binz^),  Keller^)),  annehmen,  dass  mehr  als  9,5  Grm.  ins  Blut 


1)  Um  die  Intensität  der  F&rbung  zu  prüfen,  nahm  ich  im  Probiiglftschen 
immer  eine  bestimmte  Qa&ntit&t  (3  Gem.)  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  (Htm, 
Wasser)  und  fügte  einen  Tropfen  Liquor  ferri  sesquichlorati  hinzu. 

2)  Sammlung  klin.  Yortrftge  von  Volkmani^  ]Nr.  84,  85. 

3)  Zur  antipyret  Bedeutung  der  Salicylsäure  und  des  salicylsauren  Natrons. 
Stuttgart  1876. 

4)  Berliner  klin.  Wochenschrift  XUI.  27.   1876. 

5)  Med.  Centralblatt  XIY.  32.    1876. 


RackfaUstyphoB.  205 

flbergüstwsoi^  i  ^-  ^-  ^^^^  gröasere  Quantität ,  als  zur  Aufhebung  der 
Beweglichkeit  der  Spirochaeten  ausserhalb  des  menschlichen  Organis- 
mus nöthig  ist;  dem  entgegen  hat  die  Einführung  noch  grösserer 
Qttantitiiten  dieses  Körpers  durchaus  keine  Wirkung  auf  die  sich  im 
kranken  Menschen  bewegenden  Spirochaeten.  Die  Einführung  von 
grossen  Quantitäten  Salicylsfture  kürzen  nach  Fttrbringer  und 
Schnitze Oy  Fischer  und  RiegeP)  den  Verlauf  des  Typhuspro- 
cesses  nicht  ab,  auch  nach  Unterberger  blieben  grosse  Dosen  des- 
selben, welche  Kindern  im  Recurrens  gegeben  wurden^  ohne  Wirkung. 

Abgesehen  Yon  der  geringen  Anzahl  der  angewandten  Mittel  ist 
die  Reihe  dieser  Versuche  doch  von  grösster  Wichtigkeit  Sie  setzt 
ans  in  den  Stand,  den  Schluss  zu  ziehen»  dass  einige  von  den  Mit- 
teln, welche  gewöhnlich  bei  der  Behandlung  Typhöser  zum  Zwecke 
des  Coupirens  des  Processes  angewandt  werden,  nicht  in  der  Pro- 
portion verwendet  werden  können ,  in  welcher  sie  die  Spirochaeten 
tödten,  weil  eine  solche  Quantität  dieses  Mittels  schädlich  einwirken 
mfisste  auf  einen  menschlichen  Organismus,  welcher  ein  gflnstiger 
Boden  ffir  die  Entwicklung  des  recurrenten  Typhus  geworden.  Andere 
Mittel  (die  Salicy Isäure) ,  in  den  Organismus  sogar  in  einer  solchen 
Menge  eingeführt,  dass  sie  in  grösserem  Procentverhältniss  ins  Blut 
flbergehen,  als  solches  zur  Aufhebung  der  Beweglichkeit  der  Spiro- 
chaeten ausserhalb  des  menschlichen  Organismus  nöthig  ist,  äussern 
keine  bemerkbare  Wirkung  auf  die  Spirochaeten  und  coupiren  den 
Feenrrenten  Typhusprocess  nicht. 

Wir  müssen  daher  den  Gedanken  aufgeben,  den  Recurrenstyphus 
ZQ  coupiren,  und  zwar  nicht  nur  mit  den  erwähnten  Mitteln,  sondern 
auch  mit  einigen  anderen,  wie  Creosot,  Chlorwasser,  Kali  hyper- 
manganicnm,  Natrum  chloratum,  bezQglich  welcher  die  Versuche 
weniger  umständlich  vorgenommen,  welche  aber  in  Dosen  gegeben 
wurden,  die  den  heftig  wirkenden  nahe  kamen. 

Obgleich  die  letzteren  Versuche  wegen  Mangel  an  Zahlen  die 
Anforderungen  der  Experimental- Pharmakologie  nicht  vollkommen 
befriedigen,  so  haben  sie  fttr  den  praktischen  Arzt  immerhin  einige 
Bedeutung  und  in  Anbetracht  des  beschränkten  Feldes  des  Experi- 
mentes am  Krankenbett  fuhren  sie  zu  der  Ueberzeugung ,  dass  das 
Conpiren  eines  Recurrensanfalles  vermittelst  gewisser  in  den  Grenzen 
erlaubter  Dosen  angewandter  Mittel  nicht  möglich  ist.  Zu  diesem 
Schlosse  sind  übrigens  einige  praktische  Aerzte  schon  lange  gekom- 


1)  Dieses  Archiv.  Bd.  XVIII.  Heft  2  a.  3. 

2)  Deutsche  Zeitschrift  für  prakt  Med.  1875.  50. 


206  IX.  MOGKOTKOWSKT 

men.  Das  ist  wieder  eines  von  den  vielen  Beispieleni  wo  die  Em- 
pirie der  Praxis  die  Fortsehritte  der  Untersnchnngen  im  Laboratorium 
ttberholt  hat.(Haeter). 

Ueberzengt  von  der  chemiseben  Wirkungslosigkeit  der  Mittel  aof 
die  Spirochaeten  im  Innern  des  kranken  Menschen  mttssen  wir  die 
Mögliohkeit  des  Coapirens  des  Typhus  wo  anders  Sachen  nnd  zwar 
in  den  Bedingungen,  welche  den  Process  im  Organismus  selbst  coa- 
piren.  Vor  Allem  kommt  uns  der  Gedanke:  spielen  in  diesem  Falle 
nicht  diejenigen  Veränderungen  des  Blutes  eine  grosse  Rolle,  welche 
in  demselben  unter  dem  Einfluss  der  Krankheit  selbst  vollxogen 
werden?  oder  anders  gesagt:  wird  das  durch  den  Einfluss  des  recur- 
reuten  Typhusprocesses  veränderte  Blut  nicht  selbst  ein  ungünstiger 
Boden  nicht  nur  für  die  Entwicklung,  sondern  auch  für  die  weitere 
Existenz  der  Spirochaeten? 

Vorerst  muss  ich  bei  der  in  der  letzten  Zeit  in  die  Wissenschaft 
eingeführten  Hypothese  stehen  bleiben;  ob  nicht  die  hohe  Temperatur 
während  des  Anfalles  des  Recurrenstyphus  die  nächste  Ursache  des 
Verschwindens  der  Spirochaeten  aus  dem  Blute  sei?  Gegen  die  Ent- 
scheidung dieser  Frage  im  positiven  Sinne,  wie  Heidenreich  es 
gethan,  kann  ich  folgende  Thatsachen  anführen: 

1.  Es  kommen  Paroxysmen  mit  sehr  hoher  Durchschnitts-Tem- 
peratur, z.B.  40,6<^C.  (Taf.  VI.  Anfall  2)  vor,  wo  man  im  Blate 
sehr  viele  Spirochaeten  fand,  und  umgekehrt,  wo  bei  massiger  mitt* 
lerer  Temperatur  ihrer  nur  wenige  zu  finden  waren.  Ich  sehe  mich 
genöthigt,  auf  die  letztere  Art  der  Anfälle  etwas  näher  einzugehen, 
da  dieselben  nicht  genau  genug  beschrieben  worden  und  nur  von 
einigen  Autoren  ihrer  nebenbei  Erwähnung  gethan  wird  (Bern- 
stein 0»  Pastau^)). 

In  der  Reihe  der  verschiedenartigen  Anfälle  von  Typhus  recarrenfl 
begegnen  uns  sogenannte  „no vollständige '^  Anf&Ue.  Sie  charakteriuren  rieh 
meistens  durch  ein  rapides  Steigen  der  Temperatur,  bis  39<^,  zuweilen  4PC., 
durch  eine  sehr  kurze  Dauer  des  Verlaufes,  von  einigen  Stunden  bis  za 
einem  Tage,  und  durch  rapides  Abfallen  der  Temperatur  bis  zur  Norm 
oder  unter  dieselbe  (Litten«  Wyss  nnd  Bock 3)  U.A.);  dabei  worden 
nicht  immer  Spirochaeten  gefunden.  Man  beobachtet  aber  auch  derartige 
Anfälle,  welche  sich  von  den  gewöhnlichen  durch  eine  sehr  geringe  HGbe 
der  Temperatur  auszeichnen.     Ich  hatte  zwei  derartige  Fälle: 

1.  Fall.  Awdotja  Emeljanowna  trat  am  25.  Januar  1875  in  das 
Odessaer  städtische  Krankenhaus  (Abtheilnng  fflr  typhöse  Kranke).  PatieatiD 


1)  Medizinsky  Wjestnik.  1864.   28,  29. 

2)  yirchow*8  Archiv.  XLYII.  2,  3,  4. 

3)  Studien  Aber  Febris  recurrens.    Berlin  1869. 


Rflck&Ustyphas.  207 

Ist  etwa  30  Jahre  alt,  im  höchsten  Grade  blatarm,  schwach  und  abgezehrt 
3ie  flberstand  ohne  jegliche  Complicationen  die  gewöhnlichen  AnflUlle  des 
Typhi»  recnrrena  (Taf.  VL  Gurre  1),  so  dass  ich  es  fflr  (Iberflttssig  halte, 
sie  genauer  zu  beschreiben.  Nach  dem  dritten  Anfalle  verblieb  die  Eme- 
Ijuowna  in  Folge  der  sich  im  höchsten  Grade  entwickelt  habenden  Schwäche 
im  Krankenhause.  Da  am  1.  Mftrz  die  Temperatur  bis. zu  37,9<^  C.  stieg, 
10  erweckte  sie  in  mir  den  Verdacht  der  Annäherung  eines  vierten  Anfalles. 
In  Folge  dessen  und  in  Anbetracht  der  mich  damals  interessirenden  Frage, 
io  welchem  Moment  des  Anfalles  die  Spirochaeten  auftreten,  unterwarf  ich 
du  Blut  der  mikroskopischen  Untersuchung  ^). 

Trotz  der  aufmerksamsten  Untersuchung  des  am  2.  März  entnommenen 
BIntes  fand  ich  keine  Spirochaeten^  aber  im  am  3.  März  entnommenen  Blute 
kamen  2  oder  3  auf  jedes  Sehfeld.  Im  Verlauf  der  folgenden  Tage  wurden 
wieder  keine  Spirochaeten  gefunden.  Der  ganze  Anfall  zeichnete  sich  durch 
eJDe  massig  feuchte  Haut,  leicht  belegte  Zunge  und  Abwesenheit  der  Muskel- 
sehmerzen aus,  an  Stelle  der  letzteren  gab  sich  nur  grosse  Schwäche  der 
Extremitäten  zu  erkennen.  Patientin  hatte  keinen  Durst  und  verlor  auch 
nicht  den  Appetit  Der  Puls  war  klein  und  frequent  (von  104 — 120  in 
der  Minute).  Die  Milz  erschien  fast  von  derselben  Grösse,  wie  sie  sich 
am  4.  Tage  der  3.  Apyrezle  bei  der  Untersuchung  dargeboten,  aber  merk- 
lich kleiner  wie  zur  Zeit  des  dritten  Anfalles. 

Vom  4.  bis  zum  14.  März  nahmen  die  Kräfte  der  Kranken  erfreulich 
zn  und  bereitete  sie  sich  schon  vor,  das  Krankenhaus  zu  verlassen,  als 
eine  neue  abendliche  Temperatursteigerung  mich  veranlasste,  aufs  Neue  das 
Blot  zu  untersuchen.  In  dem  am  15.  entnommenen  Blute  sah  ich  im  Ver- 
lauf einiger  Minuten  ganz  deutlich  zwei  sich  sehr  rasch  bewegende  Spiro- 
chaeten. Im  Verlauf  der  folgenden  4  Tage  fand  ich  keine.  Die  Kranke 
verliess  das  Krankenhaus  und  ihr  weiteres  Schicksal  ist  mir  unbekannt. 

2.  Fall.  Matrena  Zubova,  56  Jahre  alt,  trat  am  12.  Mai  1875  in 
dieselbe  Abfheilung  des  Odessaer  städtischen  Krankenhauses.  Die  beiden 
ersten  Anfälle  zeichneten  sich  aus  durch  eine  besonders  hohe  Temperatur, 
durch  einen  vollen  zwischen  94 — 116  in  der  Minute  zählenden  Puls,  trockene 
Haut,  trockene  Zunge,  heftigen  Durst,  Phantasiren  in  der  Nacht  und  durch 
massenhafte  Spirochaeten  im  Blute.  Am  ersten  Tage  z.  B.  des  zweiten 
Anfalls  konnte  man  in  jedem  Sehfelde  3 — 4  Spirochaeten  wahrnehmen.  Am 
letzten  Tage  desselben  Anfalles  waren  ihrer  60  und  mehr ;  hin  und  wieder 
begegnete  man  sie  zu  Knoten  verflochten.  Am  Vorabende  der  Krisis  des 
2.  Anfalles  trat  trockener  Husten  auf.  Am  ersten  Tage  der  2.  Apyrexie 
wurde  im  hinteren  Theile  des  unteren  Lappens  der  rechten  Lunge  Dämpfung 
nachgewiesen.  Daselbst  auch  geschwächtes  Athemgeräusch.  Am  folgenden 
Tage  leichter  Auswurf  und  an  Stelle  der  Dämpfung  Subcrepitation.  In 
der  linken  Lunge  normales  Athemgeräusch.  Die  Kranke  ist  fortwährend 
im  Schweiss.  Der  Puls  schwankt  zwischen  108  und  120  Schlägen  in  der 
Minute.  Die  am  31.  Mai  (Taf.  VII.  Curve  2)  Abends  erfolgte  Steigerung 
der  Temperatur  bis  zu  38^  C.  veranlasste  mich,  die  täglichen  Untersuchungen 

1)  Die  Tage,  an  welchen  auf  Sphrochaeten  untersucht  wurde,  sind  auf  der 
Tafel  angegeben:  X  bezeichnet,  dass  Spirochaeten  gefunden  wurden,  —  dass  sich 
keine  fanden. 


208  IX.  MOGZCTFKOWSKT 

des  Blutes  der  Kranken  vorzonehmen.  Am  1.,  2.  und  4.  Juni  wurden 
nur  in  geringer  Zahl  (1  oder  2  im  Sehfelde)  Spirochaeten  beobachtet,  nur 
am  5.  waren  ihrer  10  und  mehr.  Bis  zum  12.  Juni  wurden  wieder  keine 
Spirochaeten  wahrgenommen.  Im  Verlaufe  der  letzten  Tage  machte  sich 
häufigeres  Husten  und  deutliches  Geringerwerden  des  Auswurfs  bemerkbar. 
In  der  Snbscapnlargegend  der  linken  Thoraxhälfte  wies  man  am  12.  Juni 
Dämpfung,  bronchiales  Athmen  und  daselbst  verstärkten  Fremitus  Yoealis 
nach.  Die  Kranke  fuhr  fort,  mehrere  Mal  am  Tage  zu  schwitzen.  Am 
14.  und  15.  Juni  stieg  die  Temperatur  ziemlich  hoch^).  Das  am  16.  and 
17.  gesammelte  Blut  iiess  nur  mit  Mtthe  Spirochaeten  (kaum  eine  auf  5 
bis  6  Sehfelder)  auffinden.  Darauf  folgte  bei  freiem  Auswurfe  sehr  schnell 
Genesung. 

Im  Grunde  sind  somit  die  Zeiträume  vom  1.  bis  4.  und  vom  14.  bis 
16.  März  im  ersten  Fall,  sowie  die  vom  31.  Mai  bis  zum  6.  Juni  und  vom 
14.  bis  zum  18.  Juni  im  zweiten  Falle  Paroxysmen  des  Typhus  recurrens, 
welche  sich  von  den  gewöhnlichen  Anfiälien  nnr  durch  geringere  Intensität 
auszeichnen.  Diese  Art  der  Anfälle  zieht  nicht  die  Aufmerksamkeit  der 
Beobachter  auf  sich,  wahrscheinlich  theils  weil  die  Patienten  sich  beeilen, 
das  Krankenhaus  zu  verlassen,  theils  weil  die  nicht  sehr  hohen  Temperatar- 
grade dnrch  die  von  den  Complicationen  abhängenden  Temperaturen  maskirt 
werden  (mein  2.  Fall). 

Es  ist  sehr  möglich,  dass  die  von  einigen  Autoren  während  der  Apyrexie 
beobachteten  Spirochaeten  sich  auf  derartige  Anfillle  beziehen. 

2.  Als  zweite  Widerlegung  der  Heidenreich'sohen  Theorie 
dient  die  Thatsache,  dass  die  Spirochaeten  ausserhalb  des  mensch- 
lichen Organismus  bei  einer  höheren  (48<^  C.)  Temperatur  leben,  wie 
solche  der  Organismus  in  der  Zeit  des  Recurrensanfalles  (42|5^  nach 
Obermeier*))  erreicht. 

3.  Wenn  der  Schluss  Hei d eure ich's  richtig  wäre,  so  mOssten 
im  Recurrens  intermittens  unter  dem  Einfiuss  der  hohen  Temperatur 
der  Paroxysmen  des  letzteren  die  Spirochaeten  untergehen,  was  nicht 
der  Fall  ist. 

4.  Ebenso  mttssten  auch  die  abendlichen  Temperatursteigeran- 
gen, welche  zuweilen  gegen  die  Morgentemperatur  einen  Unterschied 
von  3<^C.  (Pribram  und  Bobitsohek^))  erreichen,  zerstörend  auf 
die  Spirochaeten  einwirken  und  es  mttsste  sich  zu  der  Zeit  oder 
wenigstens  am  Morgen  die  Zahl  der  Spirochaeten  vermindern,  was 
nicht  immer  stattfindet,  wie  solches  aus  der  65.  Beobachtung  Hei- 
denreich's  (S.  102,  103  seiner  Dissertation)  zu  ersehen  ist 

1)  Das  an  diesen  Tagen  entnommene*  Blut  wurde  nicht  untersucht,  da  die 
RChrchen,  in  welchen  dieses  Blut  aufbewahrt  worden  war,  verloren  gingen. 

2)  Virchow'8  Archiv.  XLVII.  2,  3,  4. 

3)  Studien  über  Febris  recurrens.    Prag  1869. 


RackfallBtyphiiB.  209 

5.  Die  Theorie  Heidenreich's  erklftrt  nicht  die  Ursache  des 
Versehwindens  der  Spirochaeten  am  Ende  des  Anfalles  in  {solchen 
Fällen,  die  ohne  eine  Krisis  mit  vorhergehender  starker  Steigerung 
und  darauf  folgendem  rapiden  Abfall  der  Temperatur  ablaufen,  son- 
dern wo  der  Anfall  in  Form  eines  allmählichen  Abfallens  der  Tem- 
peraturlysis  (Taf.  VI,  Curve  1,  Anfall  1)  in  die  Apyrexie  übergeht 

6.  Unerklärt  bleibt  desgleichen  die  Ursache  des  Versehwindens 
der  sehr  grossen  Anzahl  von  Spirochaeten  in  Anfällen,  welche  sich 
dareh  keine  hohe  Temperatur  auszeichnen. 

Nachdem  ich  also  darauf  hingewiesen,  dass  die  hohe  Temperatur 
nieht  den  Hauptfactor  beim  Zugrundegehen  der  Spirochaeten  spielt, 
bleiben  nur  noch  die  chemischen  Veränderungen  des  Blutes  zu  be- 
rfleksichtigen  ttbrig.  Dank  der  Sparsamkeit,  welche  der  heutige  Arzt 
anf  das  Blut  des  Kranken  verwendet,  sind  bis  jetzt  weder  chemische 
Analysen,  noch  Spectralanalysen  des  Blutes  Recurrenter  in  den  ver- 
schiedenen Stadien  des  Krankheitsveriaufee  gemacht  worden.  Wir 
mflasen  uns  auf  die  kärglichen  Thatsachen,  welche  uns  noch  aus  der 
Hamoralperiode  geblieben,  beschränken,  nach  welchen  das  Blut  in 
entzündlichen  Krankheiten  reicher  an  Fibrin  und  weissen  Blutkör* 
perehen,  dicker  und  klebriger  wird.  Ueber  die  Veränderungen  des 
Bluteb  im  Typhus  recurrens  haben  wir  noch  weniger  Facta.  Man 
nimmt  eben  hier  dieselben  Veränderungen,  wie  in  anderen  fieber- 
haften Krankheiten,  an:  Vermehrung  des  Fibrins,  Anhäufung  von 
Sahen  und  Verringerung  des  Wassergehalts  (Obermeier). 

Die  einzelnen  Veränderungen  bei  Seite  lassend,  constatire  ich 
das  von  Allen  anerkannte  Factum  der  Verdickung  des  Blutes  Recur- 
renter. In  der  That  —  die  reichlichen  Verluste  des  Organismus  an 
Flüssigkeit  in  Form  von  Schweiss,  wie  auch  in  Folge  des  fieber- 
haften Processes  selbst,  in  dessen  Verlauf  der  Organismus  zuweilen 
gegen  V&  seines  Gewichtes  (Ob  er  m  ei  er  ^))  verliert,  mttssen  haupt- 
sächlich auf  den  Wassergehalt  des  Blutes  fallen.  Selbstverständlich 
mufls  sich  das  letztere  verdichten,  das  Procentverhältniss  der  anderen 
Beatandtheile  aber  deutlich  verändern. 

Die  Verdichtung  des  Blutes  zur  Zeit  des  Schweisses  und  das 
Verschwinden  der  Spirochaeten  aus  dem  Organismus  in  derselben 
Periode  als  Facta  hinstellend,  mttssen  wir  den  Gedanken  des  Ein- 
flusses der  Conststenz  der  Lösungen  auf  die  Dauer  der  Beweglichkeit 
der  Spirochaeten  festhalten.  Versuche,  dem  Blute  Korper  hiniuzn- 
mischen,  welche  dasselbe  verdicken,  rechtfertigen  vollständig  diese 

1)  Virchow'B  Archiv.  XLVII.  2,  3,  i. 

Deauehw  AfchlT  f.  kUn.  Medlctn.    XXIV.  Bd.  U 


210  TL  M0GZOTKOW8KT 

YoraaBsetzung :  Olycerin,  Zucker,  Ei  weiss,  Speichel  hoben  um  so 
schneller  die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  auf,  je  mehr  von  ihnen 
eine  Verstärkung  der  Verdichtung  abhing.  Die  Grenze  der  Verdich- 
tung zu  bestimmen,  bei  welcher  durchschnittlich  das  Blut  ungflnstig 
für  die  Beweglichkeit  der  Spirochaeten  wird,  ist  mir  bis  jetzt  nicht 
gelungen,  aber  ich  bin  gegenwärtig  mit  der  Erforschung  dieser  Frage 
vermittelst  des  Haro'schen  Apparates  beschäftigt 

Um  auf  experimentellem  Wege  die  Richtigkeit  der  Voraussetzung 
des  Einflusses  der  Blutverdickung  auf  die  Beweglichkeit  (die  Lebens- 
fähigkeit) der  Spirochaeten  zu  verificiren,  unternahm  ich  eine  Reibe 
von  Versuchen,  welche  darin  bestanden,  dass  man  künstlich  einen 
Theil  der  Flüssigkeit  aus  dem  Organismus  ausschied  und  dabei  nach 
Möglichkeit  die  Aufnahme  von  Flttssigkeit  verringerte.  Erreicht  wurde 
es  durch  das  Schwitzen  in  nassen  Laken  und  durch  innere  Gaben 
von  Jaborandi, 

Zur  Bestimmung  dessen,"  coupirt  ein  gewisses  Mittel  den  Anfall 
oder  nicht,  ist  es  vor  Allem  nothwendig,  die  mittlere  normale  Dauer 
jedes  keiner  Behandlung  unterworfen  gewesenen  Anfalles  zu  be- 
stimmen.' 

Aus  meinem  Material  habe  ich  folgende  Daten  erhalten: 
Von  26  ersten  Anfällen  kamen  durchschnittlich  auf  jeden  6^/4  TageM. 
„     33  zweiten      «  .        „  »  »      »       öVt     » 

n     38  dritten       «  „  „  «       »       3V4     . 

Die  erhaltenen  Ziffern  kommen  den  von  Litten  angeführten  sehr 
nahe;  er  fand  als  mittlere  Dauer: 

fdr  den  ersten  Anfall  7  Tage, 
,      „     zweiten    »      5     „ 
n      »     dritten     „      3     , 
unterscheiden  sich  aber  von  denen  Wyss  und  Bock's,  welcbe 
fflr  den  ersten  Anfall  als  mittlere  Dauer  5,8  Tage, 
n      n    zweiten    «       «         n  I,      3,5     „ 

fanden. 

Diese  Unterschiede  sind  möglicherweise  Folgen  der  Eigenthfim- 
lichkeit,  durch  welche  sich  jede  Epidemie  auszeichnet 

Ich  habe  9  Beobachtungen  von  Einwicklungen  in  nasse  LakeUi 
von  welchen  sich  1  auf  einen  ersten  Anfall,  5  auf  zweite  und  3  auf 
dritte  Anfälle  beziehen.  Der  Gewichtsverlust  in  Folge  des  Schwitzens 
in  nassen  Laken  überstieg  niemals  2000  Grm.  und  erreichte  mit 

1)  Als  ftussente  Grenzen  eines  Anfalles  wurden  angenommen:  als  Anfang  dts 
Gefühl  des  ersten  Frostes  oder  der  allgemeinen  Schwäche  (Abgeschlagenheit)  und 
als  Ende  des  Anfalles  der  Moment  des  Auftretens  des  kritischen  Schweisses. 


Rttckiallstjpbiis.  211 

dem  durch  den  Anfall  gelbst  hervorgerufenen  Verlast  gegen  3000  Qrm. 
Die  Einwicklangen  dauerten  gewöhnlich  nicht  weniger  als  2  und 
niebt  mehr  als  4  Stunden.  In  4  Fällen  nahm  die  Zahl  'der  Spiro- 
ehaeten  merklich  (fast  um  die  Hälfte,  in  einem  Falle  von  20  auf  6) 
ab,  in  2  Fällen  verschwanden  sie  ganz,  in  3  erschienen  sie  am  fol- 
genden Tage  aufs  Neue. 

Unter  dem  Einflüsse  der  Einwicklungen  war  die  mittlere  Dauer 

des  zweiten  Anfalles    4   Tage, 
«    dritten         ,         23/4    „ 

Jaborandi  würde  in  der  Gabe  von  1  Drachme  10  Kranken  ge- 
geben: 2  im  ersten  Anfalle,  5  im  zweiten  und  3  im  dritten.  Der 
Gewichtsverlust  in  Folge  des  Schweisses  und  Speichelflusses  schwankte 
Kwischen  900  und  1700  Grm.  und  erreichte  mit  dem  Verluste  in  Folge 
des  Anfalles  2500—3200  Grm.  Die  Spirochaeten  gingeif  in  3  Fällen 
während  des  Schweisses  zu  Grunde,  in  einem  dieser  Fälle  erschienen 
sie  am  folgenden  Tage  aufs  Neue,  in  7  Fällen  verschwanden  sie  erst 
am  folgenden  Tage  bei  erneutem  Schweisse  ganz  aus  dem  Blute. 

Unter  dem  Einflüsse  von  Jaborandi  ist  die  mittlere  Dauer 

des  zweiten  Anfalles  3^/4  Tage, 
„    dritten         ,        2Vi      » 

Ich  bin  der  Meinung,  dass  man  die  gleichen  Resultate  auch  bei 
fortdauerndem  Gebrauch  von  Abführmitteln  erhalten  könnte.  Ich  hatte 
keine  Gelegenheit  diese  Methode  zu  beobachten,  aber  es  wird  in  der 
Literatur  angeführt,  dass  sehr  oft  dem  Ende  des  Anfalles  Durchfall 
Toraosgeht;  zuweilen  vertritt  er  die  Stelle  des  Schweisses  (Dja- 
tscbemko  ^)).  Tritt  der  Durchfall  nicht  als  Ursache  der  Abkürzung 
des  Erankheitsverlanfes  des  Recurrens  auf?  Es  Hesse  sich  dann  der 
TonGriesinger  angeführte  Nutzen  der  Abführmittel  beim  Recurrens 
erklären. 

Die  angeführten  Beobachtungen  zeigen,  dass  man  zu  einer  be- 
liebigen Zeit  den  Process  des  Typhus  recurrens  nicht  coupiren  kann. 
Alles  was  gelingen  kann,  ist  den  Anfall  abzukürzen  und  auch  dies 
in  keinem  bedeutenden  Maasse.  Diese  Abkürzung  erreicht  man  durch 
Bolebe  Mittel,  welche  das  Blut  derart  verändern  (verdichten),  wie 
solches  systematisch  durch  Krankheitsprocesse  selbst  geschieht. 

Auf  Kosten  welcher  Bestandtheile  des  Blutes  diese  Verdichtung 
za  Stande  kommt,  werde  ich  nach  Beendigung  dieser  Untersuchun- 
gen mittheilen. 


t)  Medizinsky  Wjestnik.  1875.  No.45. 

14* 


212  IX.  MOCZUTKOWSKT 

III. 

Die  Ansicht  Griesinger's  über  das  biliöse  Typhoid,  welche 
derselbe  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  in  Gairo  im  Jahre  1851 
aufgestellt  hatte  ^),  hat  sich  ziemlich  lange  in  der  Literatur  erhalten. 
Griesinger  verstand  unter  biliösem  Typhoid  die  schwere  oder 
länger  dauernde  Form  desselben  Processes,  welcher  der  Febris  recur- 
rens zu  Grunde  liegt.  Indem  er  dieser  letzteren  eine  noch  grössere 
Ansteckungsfähigkeit  beilegt,  als  dem  exanthematischen  Typhus,  be- 
hauptet Griesinger  vom  biliösen  Typhoid ,  dass  dessen  Ansteck- 
ungsfähigkeit nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben  sei.  Er  hatte  zwar 
selbst  keine  Gelegenheit,  sich  dayon  zu  ttberzeugen,  aber  anderea 
Beobachtern  waren  Facta  begegnet,  welche  zu  Gunsten  seiner  Be- 
hauptung siftrechen.  Dies  veranlasste  Griesinger,  das  biliöse  Ty- 
phoid als  eine  Krankheit  sui  generis  aufzufassen.  Derartige  Anschau- 
ungen über  das  biliöse  Typhoid  erhielten  sich  bis  in  die  neueste  Zeit 

Schon  im  Jahre  1865  hat  sich  Erichsen^)  fttr  die  Selbständig- 
keit beider  Krankheitsformen,  sowohl  des  biliösen  Typhoids,  als  des 
Typhus  recurrens  ausgesprochen,  und  in  dem  besten  Werke  der  Neu- 
zeit, in  Ziemssen's  Handbuch  der  Pathologie^)  sagt  Lebert  in 
seiner  Arbeit  über  das  biliöse  Typhoid,  es  sei  für  ihn  bis  jetzt  noch 
keineswegs  entschieden,  ob  diese  Krankheit  und  die  Febris  recurrens 
nur  besondere  Formen  eines  und  desselben  Processes  seien,  oder  ob 
dieselben  nicht  vielmehr,  wenn  auch  einander  ähnlich,  im  Grunde 
ganz  verschiedene  typhöse  Processe  darstellen,  und  dass  er,  solange 
nicht  gewichtigere  Beweise  vorgebracht  werden,  sich  auf  Seite  der 
Gegner  der  Identitätslehre  stellen  muss.  Als  Grund  fttr  diese  An- 
schauungen dienen  Lebert  folgende  Betrachtungen: 

1.  Es  kommen  Epidemien  vor  (in  Irland),  wo  das  biliöse  Typhoid 
nicht  gleichzeitig  mit  dem  Typhus  recurrens,  folglich  absolut  selb- 
ständig auftritt  (Goodsirj. 

2.  Die  Mortalität  ist  beim  biliösen  Typhoid  bedeutend  grösser 
als  bei  der  Recurrens. 

3.  Während  die  Febris  recurrens  niemals  den  Charakter  einor 
„  Recurrens "  verliert,  zeichnet  sich  das  biliöse  Typhoid  durch  seinen 
continuirlichen  Verlauf  aus  und  nimmt  nur  bisweilen  den  Charakter 
einer  Recurrens  an. 

4.  Die  geographische  Verbreitung  des  biliösen  Typhoids  ent- 

1)  Archiy  fttr  physioL  Heilkunde.  1853.  XII. 

2)  Deutsche  Klinik.  1865.  Nr.  49,  50. 

3)  Bd.  U.  1.  TheU  und  Dieses  Archiv.  Bd.  VI. 


Rackfallstyphas.  iVi 

spricht  nicht  der  Verbreitung  der  Reearrens,  denn  es  wird  das  biliöse 
Typhoid  an  Orten  getroffen,  wo  niemals  Secarrens  vorkommt. 

5.  Leber t  nimmt  an,  dass  das  Wesen  der  Vorgänge  beim 
biliösen  Typhoid  in  der  Wirkung  eines  besonderen  infectiösen  Agens 
besteht,  welches  sich  nicht  durch  unmittelbare  Ansteckung  weiter 
Terbreitet 

Hieraus  scbliesst  Lebert,  dass  die  leicht  ansteckende  Febris 
recurrens  und  das  biliöse  Typhoid,  dessen  Ansteckungsfähigkeit  noch 
iweifelhaft,  nichts  Gemeinsames  haben. 

Ich  werde  mich  bemühen,  die  Ansichten  Lebert's  zu  wider- 
legen, indem  ich  die  Beweise  fttr  meine  vollständig  entgegengesetz- 
ten Anschauungen  liefere. 

Erst  in  der  letzten  Zeit  hat  man  in  der  in>  und  ausländischen 
Literatur  (Heidenreicb  [I.e.],  Affanasjeff  ^))  die  Ansicht  ausge- 
sprochen, die  sich  hauptsächlich  auf  klinische  und  pathologischana- 
tomische  Beobachtungen  gründete,  dass  nämlich  der  Typhus  recurrens 
und  das  biliöse  Typhoid  nicht  von  einander  getrennt  werden  dürfen. 
Bei  der  Darstellung  des  klinischen  Bildes  finden  wir  ausserordent- 
lich viel  gemeinschaftliehe  Züge  bei  beiden  Erankheitsformen. 

Ich  beschränke  mich  darauf,  den  Verlauf  der  einen  und  der 
andern  Form  in  allgemeinen  Umrissen  zu  zeichnen.  Fehlen  der  Pro- 
dromalerschetnungen,  rasches  Auftreten  des  eigentlichen  Krankheits- 
anfalles :  Frost,  Kopfschmerz,  Ohrensausen,  apathischer  Zustand,  Auf- 
treten von  Hitze  mit  hohen  abendlichen  Exacerbationen,  ein  häufiger, 
voller  und  gespannter  Puls,  feuchte,  bisweilen  trockene  Haut,  Fehlen 
einer  Roseola,  Durst,  belegte  feuchte  Zunge  und  heftige  gastrische 
Erscheinungen  (Uebelkeit,  Erbrechen),  rapide  Vergrösserung  der  Milz 
bis  zu  bedeutendem  Umfaag,  Vergrösserung  der  Leber  und  überaus 
heftige  Huskelschmerzen  —  das  sind  die  Anfangssymptome,  die  beiden 
Krankheiten  gemeinsam  sind.  Erst  nach  4—6  Tagen,  in  dem  Falle 
nämlich ,  wenn  Icterus  hinzutritt ,  ändert  sich  das  Bild  vollständig : 
die  Gewebe  sind  icterisch  verfärbt;  —  im  Urin  erscheinen  Gallen- 
bestandtheile ,  die  Zunge  wird  trocken,  der  Puls  wird  weicher  und 
Tcrlangsamt  sich,  oder  aber  er  wird  beschleunigt  und  dabei  sehr 
klein,  das  Bewusstsein  geht  verloren,  es  beginnen  Delirien,  Koma, 
Krämpfe,  blutige  Ausleerungen.  In  diesem  Stadium  kommt  es  zu 
folgenden  Ausgängen:  entweder  tritt  rasch  der  Tod  ein,  oder  aber 
es  folgt  nun  mit  einem  Male,  unerwartet«  eine  Besserung,  unmittel- 
bar nach  einem  Schweisse,  oder  auch  ohne  solchen,  wobei  die  Tem- 


\}  Eine  Recurrensepidemie  in  Kiew.  1868. 


214  IX.  MOCZUTKOWSKY 

peratur  plötzlich  abfällt,  die  Milz  rasch  zum  normalen  Umfang  zurflck- 
kehrt  (bisweilen  innerhalb  eines  einzigen  Tages):  Nach  2  Tagen 
vergehen  die  Kopfschmerzen  nnd  der  Kranke  ist  Reconvaleseent 
Nach  einigen  Tagen  kann  sich  derselbe  Vorgang  wiederholen,  wobei, 
wenn  der  Icterus  bis  dahin  nicht  völlig  geschwunden  ist,  von  nenem 
eine  Exacerbation  eintritt  Den  zweiten  Anfall  überleben  nach 
Griesinger  die  Kranken  sehr  hänfig  nicht 

Anstatt  dieser  raschen  Wendung  nimmt  die  Krankheit  zuweilen 
einen  schleppenden  Verlauf  und  diese  F^lle  sind  es,  bei  denen  am 
häufigsten  Complicationen  (Pneumonie ,  Urämie,  Pericarditis,  Leber- 
und Milzabscesse ,  Diphtherie  des  Tract  intest.)  beobachtet  werden, 
von  denen  dann  in  erster  Linie  der  Ausgang  abhängt  Tritt  Wie- 
dergenesung ein,  so  erfolgt  sie  nur  ganz  langsam.  Das  sind  die 
Bilder  des  biliösen  Typhoids,  wie  sie  Griesinger  gezeichnet  und 
Lebert  copirt  hat 

Was  nun  die  Febris  recurrens  betriflft,  so  kehre  ich  zu  dem  Mo- 
ment zurück,  in  dem  ich  sie  verlassen  habe,  d.  h.  zum  4. — 6.  Tsge; 
in  dieser  Zeit,  oder  vielleicht  noch  2—3  Tage  später  macht  er  seine 
gewöhnliche  Krisis  durch ;  hierauf  tritt  die  Apyrezie  ein,  nach  dieser 
der  2.  Anfall  mit  derselben  Reihenfolge  der  Erschrinungen,  wie  bdm 
ersten,  hierauf  der  3.,  4.,  ja  bisweilen  5.  Anfall. 

Es  kommt  vor,  dass  das  biliöse  Typhoid  unter  dem  Bild  einer 
leichteren  Form  verläuft,  oder  in  seinem  Verlauf  unterbrochen  wird 
(Griesinger).  In  diesen  Fällen  gleicht  es  sehr  jenem  Krankheits- 
bilde ^  das  man  Recurrens  biliosa  genannt  hat,  d.  h.  einer  Febris 
recurrens  complicirt  mit  Icterus« 

Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  bezüglich  des  klinischen  Bildes,  wie 
dies  auch  Kernig^)  bemerkt,  beide  Krankheiten  einen  gemein- 
samen Typus  haben,  der  sich  nur  beim  biliösen  Typhoid  in  Fol^ 
besonderer  Umstände  ändert  (Anhäufung  von  Gallenbestandtheilen 
im  Blute).  Die  sonstigen  Complicationen  kann  man  jedoch  bei  bei- 
den Processen  beobachten. 

Was  die  Prognose  und  die  Mortalität  anbelangt,  so  unterscbei' 
den  sich  in  dieser  Beziehung  beide  Processe  weit  von  einander. 
Während  bei  Febris  recurrens  die  Mortalität  2— 5o/o  beträgt  (Bran* 
ner^))  und  nach  Hermann^)  sogar  14,95%,  steigt  sie  beim  biliösen 

1)  Ueber  Milzabscesse  nach  Recurrens.    Militftr-medicin.  Jonmal  (rassisch). 
Februar  1S69. 

2)  Die  Infectionskrankheiten  vom  fttiologischen  und  prophylaktischen  Stand- 
punkte. 1876. 

3)  St.  Petersburger  med.  Zeitschrift  XU.  1. 


Rackiallstyphiu.  215 

Typhoid  bis  66^/0  (Langet);  die  Prognose  ergibt  sich  aus  diesen 
Ziffern  sehr  einfach. 

Hinsichtlich  der  Dauer  der  einzelnen  AnfftHe  kann  man  sagen, 
daas  sie  zwar  beim  biliösen  Typhoid  grösser  ist,  dass  aber  streng 
genommen  bei  der  Febris  recurrens  die  volle  Beconvalescenz  im 
Darchsehnitte  später  eintritt 

Feuchtigkeit  und  Unreinlichkeit  mflssen  bei  beiden,  gewöhnlich 
zu  gleicher  Zeit  herrschenden  Formen  ^)  als  die  besten  Verbreitungs- 
mittel der  Ansteckung  angesehen  werden  (Brunner).  Dasselbe  gilt 
Ton  der  Anhäufung  von  Menschen  an  einem  Orte  und  von  Miss* 
jähren,  welche  auch  als  prftdisponirende  Momente  für  das  Auftreten 
der  Febris  recurrens  gelten  (Wyss  und  Bock). 

Auch  auf  Seite  der  pathologisch -anatomischen  Veränderungen 
eiistiren  viele  Momente ,  die  fQr  die  Gemeinsamkeit  des  Processes 
beider  Krankheiten  sprechen.  Ich  beginne  mit  dem  Organ,  das  die 
am  meisten  charakteristischen  Veränderungen  darbietet  —  der  Milz. 

Die  Milz  ist  im  einen  wie  im  andern  Fall  ausserordentlich  ver- 
grössert,  bisweilen  um  das  Sechsfache  ihres  normalen  Umfanges, 
weich,  von  dunkel  zimmtbrauner  Farbe  4ind  hin  und  wieder  mit 
Einrissen  versehen.  In  beiden  Fällen  ist  dieselbe,  nach  Qriesin- 
ger  und  Erichsen '),  besät  mit  kleinen  graugelben  Punkten,  welche 
nur  die  verschiedenen  Perioden  der  Eiterung  in  den  Malpigbi'schen 
Korperchen  darstellen. 

Die  Leber  erscheint  ebenfalls  in  beiden  Fällen  vergrössert, 
die  Läppchen  trQbe,  das  ganze  Organ  blutreich.  Bei  dem  biliösen 
Typhoid  zeigt  die  Leber  die  charakteristische  fettige  Degeneration 
(Brunn er) 9  welche  übrigens,  wenn  auch  in  geringerem  Grade  von 
Wyss  und  Bock,  sowie  von  Prölfs  ^)  auch  bei  der  einfachen  Form 
von  Recurrens  beobachtet  worden  ist.  Die  von  Eüttner^)  beschrie- 
bene  albiiminöse  Infilti-ation  der  Leber  kann  nicht  als  charakteri* 
Btisch  fttr  das  biliöse  Typhoid  angesehen  werden,  weil  sie  derselbe 
Autor  in  geringerem  Grade  auch  bei  den  einfachen  Fomren  der  Re- 
currens gefunden  hat  und  weil  das  Infiltrat  hier,  wie  Kttttner  zu- 
gibt, früher  wieder  resorbirt  werden  kann,  bevor  es  zu  einem  aus- 
gebreiteten Zerfall  des  Organes  kommt. 


1;  Griesinger,  Infectionskrankheiten.   Yirchow's  Hsndb.  II.  Abth.  II.  1864. 

2)  Beitlinger  in  „untersuch,  über  Qeschichte,  Geographie  a.  Statistik  des 
Recorrensfiebers.  St.  Petersburg.  1874"  bat  mehrere  solche  Epidemien  beschrieben. 

3)  St.  Petersburger  med.  Zeitschrift.  1865.  Bd.  YIII.  Heft  5. 

4)  Beiträge  zur  pathol.  Anatomie  des  Typhus  recurrens.    Diss.  Berlin  1872. 

5)  8t.  Petersburger  med.  Zeitschrift.  Bd.  YIII.  Heft  2. 


216  IX.  MOCEOTKOWSKY 

Der  Gallenausführangflgang  wird  bowoU  bei  Recurreng, 
als  beim  biliösen  Typhoid  oft  unverändert  gefunden.  Bei  letzterem 
jedoch  ist  er  etwas  häufiger  verstopft  oder  verengt  infolge  einer 
katarrhalischen  Schwellung  seiner  Schleimhaut  (Pastau,  Küttner). 
Hermann,  sowie  Wyss  und  Bock  beobachteten  constant  eine  In- 
jection  und  einen  Katarrh  der  Schleimhaut  des  Ductus  choledochus 
und  der  Gallenblase.  Von  dem  Aussehen  der  feinsten  Verzweigan- 
gen  der  Oallengänge  ist  nirgends  die  Rede. 

Die  Lungen  sind  entweder  normal  oder  es  findet  sich  eine 
katarrhalische,  zuweilen  auch  eine  hypostatische* Pneumonie  vor.  — 
Im  Darmkanal  findet  sich  constant  Katarrh,  'zuweilen  mit  Exco- 
riationen  und  Drüsenschwellung.  Beim  biliösen  Typhoid  hat  man 
häufig  hier,  sowie  auch  auf  der  Schleimhaut  des  Kehlkopfs  kleine 
Ekchymosen  beobachtet ;  doch  kommen  diese  auch  bei  der  Recurrens 
vor  (Küttner,  Prölfs).  Diphtheritische  Veränderungen,  wie  man 
sie  bisweilen  beim  biliösen  Typhoid  findet,  bilden  keine  constante 
Erscheinung  und  treten  wie  bei  andern  typhösen  Formen  nur  als 
Complicationen  auf. 

Das  Blut  ist  dünn-  oder  dickflüssig  und  enthält  sowohl  bei  Re- 
currens als  beim  biliösen  Typhoid  Fibrincoagula. 

Im  Urin  haben  Wyss  und  Bock  bei  Recurrens,  complicirt  mit 
Icterus,  Gallenpigment  und  Gallensäuren  beobachtet.  Nach  Prib- 
ram  und  Robitschek  fanden  sich  die  Gallenfarbstoffe  im  Urin  pro* 
portional  der  Verfärbung  der  Haut  vor;  die  Gallensäuren  waren  nur 
bei  sehr  intensivem  Icterus  nachzuweisen. 

Die  Verfärbung  der  Faeces  kommt  in  verschiedenen  Nuancen 
vor  und  hängt  von  der  Ausdehnung  der  Leberaffection  (Küttner) 
und  dem  Grad  der  Durchgängigkeit  der  Gallenwege  ab. 

Am  stärksten  sprechen  jedoch  für  die  Identität  des  biliösen  Ty- 
phoids und  der  Recurrens  die  pathologisch  -  anatomischen  Verän- 
derungen im  Blute  zu  Lebzeiten  der  Kranken  —  und  zwar 
die  Anwesenheit  von  mikroskopischen  Organismen  in  demselben, 
der  Spirochaeten,  wie  sie  im  Blute  Recurrenskranker  gefunden 
wurden  und  welche  nach  Obermeier  und  allen  andern  Forschem, 
die  in  dieser  Richtung  nach  ihm  gearbeitet  haben,  eine  nur  der  Be- 
currens  ausschliesslich  eigene  Erscheinung  bilden.  Bei  dem  biliösen 
Typhoid  hat  sie  ausser  mir  (Taf.  II,  Fig.  3)  auch  Heidenreich 
beobachtet  (Diss.  S.  106). 

Unter  11  Fällen  von  biliösem  Typhoid,  die  mir  zu  Gesicht  kamen, 
habe  ich  sie,  nachdem  ich  zuerst  im  4.  Fall  darauf  aufmerksam  ge- 
worden war,   in  allen  übrigen  constatiren  können.    Alles,  was  ich 


RQck&U8<7pha8.  217 

oben  hinfiichüieh  der  bei  Febris  recurrens  vorkommenden  Spirochae- 
ten  gesagt  babe,  gilt  aueb  von  den  Spiroebaeten  beim  biliösen  Tj- 
phoid. 

Zwar  ist  dieses  Factum  in  die  Augen  fallend;  docb  bedarf  es 
zur  YoUständigen  Ueberzeugung  noch  des  Nachweises,  dass  diejenigen 
FÜle  Yon  biliösem  Typhoid,  die  ich  in  Odessa  beobachtete,  wirklich 
diejenigen  krankhaften  Formen  darstellten,  welche  Oriesinger  in 
Kairo  gesehen  und  unter  dem  Namen  des  biliösen  Typhoids  be- 
schrieben bat.  Ich  lasse  deshalb  eine  Krankengeschichte  folgen,  um 
za  zeigen,  womit  ich  es  zu  thun  hatte« 

Atbaoaslus  Pavlov,  trat  am  16.  August  1874  in  das  Odesaaer  Stadt- 
hoapital  ein.  Patient  ist  40  Jahre  alt,  Arbeiter.  Am  Tage  des  Eintritts 
ioB  Hospital  hatte  er  Morgens  (noch  zu  Hause)  einen  leichten  Frostschaner 
verepflrt,  der  bald  in  Hitze  überging.  Der  Kranke  kam  ins  Spital;  hier 
brach  gegen  Abend  ein  Seh  weiss  hervor,  und  Pavlov  fQblte  sich  ganz 
wohl.  Am  folgenden  Tage  klagte  er  nur  Aber  faden  Geschmack,  Appetit- 
maogel  und  Abgeschlagenheit  in  den  Gliedern.  Der  Puls  war  voll^  80 
Schläge  in  der  Minute,  Temperatur  37,6  (cfr.  Taf.  VI  Cnrve  4).  Die 
Haut  fencht.  Weder  die  Leber  noch  die  Milz  waren  vergrössert.  Doch 
erschien  die  erstere  bei  Drnck  etwas  empfindlich.  Die  Zunge  war  weiss 
belegt,  feucht.  Am  Abend  trat  Hitze  auf,  begleitet  von  starkem  Durste 
während  der  Nacht. 

18.  August.  Uebligkeiten  und  bitterer  Geschmack  im  Munde  beun- 
ruhigten den  Kranken  schon  seit  dem  frflhen  Morgen.  Der  Druck  auf  das 
rechte  Hypochondrinm  ist  etwas  schmer2haft,  in  der  Magengegend  ist  eine 
leichte  Dämpfung  bemerkbar.  Die  Zunge  vollkommen  weiss  belegt.  Der 
Durst  hält  an.  Kein  Stuhlgang;  (der  Kranke  leidet  schon  einige  Jahre  an 
hartnäckiger  Verstopfung);  gegen  Abend  Erbrechen.  lo  dem  Blute,  das 
am  1  Mittags  entnommen  war,  war  nichts  Abnormes  nachzuweisen. 

19.  August.  Die  Uebligkeiten  haben  abgenommen.  Nach  einem  Kly- 
stier  war  Stuhlgang  erfolgt  >).  Der  Patient  hat  mit  Lust  etwas  Bouillon 
getrunken.  Es  zeigt  sich  eine  leicht  gelbliche  (icterische)  Verfärbung  der 
Baut  auf  der  Brust  und  am  Bauch.  Am  Abende  starker  Frost,  hierauf 
Hitze  und  Delirien.     Puls   120,  voll  und  rasch.     Respiration  26. 

20.  August.  Die  icterischen  Erscheinungen  sind  sehr  deutlich  aus- 
geeproehen  an  der  Sclera  und  der  Haut  des  ganzen  Körpers.  Die  Leber  ist 
empfindlich  bei  Druck  auf  den  unteren  Rand,  welcher  etwas  unter  dem  Rip- 
p^bogen  hervorragt.     Die  Maasse  im  Bereich  der  absoluten  Dämpfung: 

in  der  Axillarlinie  ....     18  Cm. 

in  der  Mammillarlinie ...     19     „ 

in  der  Sternallinie  ....     15     „ 
Die  Milz  ist  ebenfalls  vergrössert ;  sie  flberragt  den  Rippenbogen  um  6  Cm. 
Die  obere  Grenze  der  Milzdämpfting  Mit  mit  einer  Dämpfung  zusammen, 
die  Bieh   vom   untern  Winkel  des  linken  Schulterblattes  nach  abwärts  er- 


1)  Ich  werde  auf  die  Therapie  als  einen  zu  der  von  mir  angeregten  Frage 
nicht  gehörigen  Gegenstand  weiterhin  nicht  eingehen. 


21 S  IX.  MooziTTKOWSKr 

streckt,  (wahrBcheinlicb  ein  altes  plenritisches  Ezandat).  Im  Blate  werden 
Spirocbaeten  aDgetroffeo,  jedoch  in  geringer  Menge;  man  kann  sie  nicht 
einmal  in  jedem  Sehfelde  finden.  Der  Kranke  isst  nichts,  trinkt  jedoch 
gierig  das  ihm  dargereichte  Wasser.  Die  Zunge  ist  stark  belegt,  yoU- 
stftndig  trocken.  Bei  Druck. auf  die  Extremitäten  fflhlt  der  Kranke  befdge 
Muskelschmerzen. 

21.  August.  Der  Kranke  bat  die  ganze  Nacht  delirirt  Die  ioterische 
Verfärbung  ist  sehr  intensiv.  Die  Zunge  trocken,  an  einigen  Steilen  rissig. 
Das  Bewusstsein  kehrt  immer  nur  für  kurze  Zeit  zurück.  Urin  wird  wenig 
ausgeschieden ;  in  demselben  findet  man  eine  grosse  Menge  von  Gallenpig- 
ment.  Die  Haut  ist  trocken;  der  Puls  weicher,  104.  Ein  trockener  Husten 
ist  hinzugetreten.  Im  Blute  viele  Spirocbaeten,  lO-r-20  in  jedem  Sehfelde; 
stellenweise  bemerkt  man  Knäuel  von  unter  einander  verschlungenen  Spiro- 
cbaeten. Gegen  Abend  wird  der  Husten  stärker,  die  Respiration  freqnenter 
(von  20  auf  34),  im  unteren  rechten  Lnngenlappen  kleinblasige  Rassel- 
geräusche. 

22.  August.  Der  Kranke  bat  die  ganze  Nacht  phantasirt  und  ge- 
stöhnt.  Nach  einem  Klystier  war  Stuhlgang  erfolgt;  die  Faeces  zur  Ge- 
nüge gefärbt.  Im  Blute  noch  mehr  Spirocbaeten  als  gestern;  in  jedem 
Sehfelde  kann  man  30 — 40  Exemplare  zählen.  Die  Knäuel  erscheinen 
ebenfalls  zahlreicher.  Am  Morgen  kam  Patient  etwas  zum  Bewusstsein; 
mehrere  Male  leichtes  Frösteln.  Er  stöhnt  fortwährend  und  wirft  sich  im 
Bette  umher.  Um  10  Ubr  Morgens  begann  er  stark  zu  schwitzen;  der 
Schweiss  hielt  bis  4  Uhr  Nachmittags  an.  Die  Temperatur  fiel  auf  37,2, 
der  Puls  auf  88.  Im  Blute,  das  um  V22  Uhr  Mittags  abgenommen  war, 
wurden  noch  mehr  unter  einander  zu  Knäueln  verschlungener  Spirocbaeten 
gefunden ;  auch  vereinzelte  unbewegliche  Exemplare  sichtbar.  Um  9  Abends 
wieder  starker  Frost;  in  der  Nacht  wiederholte  sich  die  Hitze,  die  Be- 
wusstlosigkeit  und  die  Delirien.  Der  Husten  wurde  seltener  und  schwächer. 
Der  Puls  äusserst  klein,  weich,  stieg  auf  136  Schläge  in  der  Minute. 
Respiration  34.  Gegen  Morgen  2  mal  unwillkQrlicber  Abgang  von  schwar- 
zen, festen,  blutigen  Faeces. 

23.  August.  Im  Blute  weniger  Spirocbaeten,  8 — 12  im  Sehfelde; 
darunter  bin  und  wieder  unbewegliche  Exemplare.  Der  Patient  befindet 
sich  in  soporösem  Znstande.  Respiration  oberflächlich,  46.  Am  Thorax  ist 
hinten  rechts  eine  geringe  Dämpfung  und  eine  Abschwächung  des  Fremitns 
vocalis  zu  bemerken.  Bei  der  Auscultation  erscheint  hier  das  Atbmungsge- 
räusch  sehr  schwach.  In  den  oberen  Partieen  beider  Lungen,  vom  und 
hinten,  sind  grossblasige  Rasselgeräusche  wahrzunehmen.  Der  Puls  inter- 
mittirend,  kaum  zählbar  (140).  Die  icterischen  Erscheinungen  ohne  Ver- 
änderung. Es  zeigt  sich  Nasenbluten.  Die  Vergrösserung  der  Leber  und 
Milz  besteht  unverändert  fort.  Die  Lippen  sind  cyanotisch  geworden, 
Hände  und  Fttsse  sind  kalt.  Die  Temperatur  in  der  Achselhöhle  Morgens 
38,2  hob  sich  gegen  Abend  auf  39,6.  Nachts,  nachdem  einige  Krampf- 
anf^lle  vorangegangen  waren,  starb  der  Kranke. 

Bei  der  Section  ergab  sich :  acutes  Oedem  der  Hirnhäute,  mit  kleinen 
Eccbymosen  auf  der  Dura  mater.  In  beiden  Lungen  hypoatatische  Pnen- 
monie;  die  linke  an  den  unteren  Partieen  verwachsen.  Das  Herz  schlaff, 
enthielt  flttssiges  klebriges  Blut,  ohne  Gerinnsel.    Die  Leber  veigrössert, 


RückfidUtyphna.  219 

blntreicb.  Die  feiiwteD  OallengADge  waren  angefüllt  mit  einer  schleimigen 
Flflssigkeit.  Der  ganse  Darmeanal  seigt  einen  katarrhalischen  Znstand. 
Im  M sgen  finden  sich  Ecchymosen,  im  DiciEdarm  oberflächliche  Abschflrfongen, 
die  mit  Icleinen  BlntklUmpchen  bedeckt  sind.  Die  Milz,  am  das  4 fache 
Tergrössert,  enthält  eine  Menge  graulicher,  stellenweise  confloirender  Punkte. 
M  Druck  tritt  aus  diesen  Punkten  ein  trflber  Inhalt  hervor. 

Der  geachilderte  Fall  unterscheidet  sich  in  keinem  wesentlichen 
Punkte  Yon  den  Griesinger'schen  Fällen.  Ich  will  an  diesem 
Orte  nicht  meine  Beobachtungen  anfuhren,  bei  denen  man  denselben 
Complieationen  und  Abweichungen  begegnet  wie  bei  Oriesinger; 
ich  beschränke  mich  nur  auf  diesen  einen  Fall. 

Fflgt  man  noch  hinzu,  dass  es  Oriesinger  recht  wohl  bekannt 
war,  dass  das  biliöse  Typhoid  in  der  Umgegend  von  Odessa,  in  der 
Krim,  vorkommt,  so  wird  es  wohl  keines  weitern  Beweises  mehr 
bedfirfen,  dass  meine  und  Griesinger's  Fälle  vollständig  identische 
Krankheitsformen  sind. 

Ich  habe  hier  die  Krankengeschichte  des  Pavlov  deshalb  so  aus- 
führlich mitgetheilt,  weil  das  Blut  (Taf.  II,  Fig.  3),  das  ihm  am 

21.  August  entnommen  war  und  viel  Spirochaeten  enthielt,  mir  als 
Material  zur  Impfung  auf  einen  gesunden  Menschen  diente.  Das 
Resultat  dieser  Impfung  war  das  Auftreten  einer  einfachen  Form 
von  Recurrens  nach  7  Tagen  (ohne  complicirenden  Icterus)  ^). 

Zum  vollen  Beweis  dafür,  dass  auch  in  genetischer  Beziehung 
vollständige  Identität  des  biliösen  Typhoids  mit  der  Febris  recurrens 
herrscht,  gehörte  noch  der  Nachweis  der  Entstehung  der  ersteren 
Krankheitsform  aus  der  letzten.  Es  stehen  mir  zwar  keine  Experi- 
mentalbeobachtungen  Aber  diese  Frage  zu  Gebote,  doch  besitze  ich 
einen  Fall  von,  sozusagen,  natürlicher  Ueberimpfung,  welcher  das 
Hervorgehen  eines  biliösen  Typhoids  aus  der  gewöhnlichen  Form- 
der  Febris  recurrens  beweist. 

Am  9.  April  1874  trat  die  Kranke  Olga  Mudrjakowa  in  das  Odessaer 
Stadthospital  mit  allen  charakteristischen  Symptomen  eines  exantbematischen 
Typhus  am  12.  Tage  der  Krankheit  bei  normalem  Verlauf.  Am  18.  April 
war  die  Patientin  schon  reconvalescent,  (Taf.  VI,  Cnrve  3)  als  plötzlich  am 
19.  Mittags  sich  ein  heftiger  Schüttelfrost  bei  ihr  einstellte.  Am  Abende 
lag  dieM.  schon  in  der  Hitze  und  am  21.  wurden  in  dem  vom  Prosector 
des  Odessaer  Stadthospitals,  Prof.  Mttncb,  untersuchten  Blut  Spirochaeten 
gefuDden.     Die  Leber  schien  empfindlich,  die  Milz  stark  vergrössert.    Am 

22.  April  stellte  sich  am  Morgen  zuerst  bitterer  Geschmack  im  Munde, 
später  Erbrechen  ein;  in  der  Nacht  Bewusstlosigkeit  und  starke  Delirien. 
Die  Zonge  war  feucht,  Puls  100,  Respiration  18.  Auf  ein.Klystier  er- 
folgte nach  2  tägiger  Verstopfung  Stuhlgang.   Die  Kranke  schwitzte  häufig. 

1)  Gentralblatt  für  die  med.  Wissenschaften.  1876.  N.  11. 


220  IX.  MO0ZDTKOW8K7 

Am  23.  April  MorgeDS  kam  die  Kranke  sam  BewnBsteeiD,  verlor  aW  das- 
selbe  nach  einigen  Stunden  wieder.  Die  icteriscbe  Verfärbung  der  Haut 
war  sebr  stark.  Die  Zunge  trocken,  die  Haut  ebenfalls,  dabei  brennend 
hdss;  heftige  Muskelscbmerzen.  Urin  wurde  wenig  ausgeschieden  und 
enthielt  derselbe  Oalienbestandtheile.  Gegen  Abend  erfolgte  ein  halbflo«- 
siger  Stuhl  von  natürlicher  Färbung.  In  der  Nacht  wahrend  sehr  grosser 
Unruhe  und  unter  heftigen  Delirien  begann  die  Kranke  zu  schwitzen.  Den 
folgenden  Tag  war  sie  äusserst  schwach,  apathisch,  aber  bei  vollem  Be- 
wusstsein.  An  demselben  Tage  hatte  sie  einige  Ausleerungen.  Die  fol- 
genden Tage  nahmen  die  Kräfte  wieder  ganz  allmählich  zu,  der  Icterus 
verschwand.  Vom  1. — 6.  Mai  dauerte  ein  Rückfall,  während  dessen  die 
Leber  zwar  nicht  vergrössert  war,  aber  die  icterischen  Erscheinungen  ein 
wenig  zunahmen.  Gegen  Ende  des  Anfalls  begann  die  icteriscbe  Färbaog 
abzunehmen  und  nach  einer  Woche  war  keine  Spur  mehr  davon  zu  sehen. 
Im  ersten  wie  im  zweiten  Anfalle  hatte  das  Blut  Spirochaeten  enthaltai. 

Die  von  mir  nur  mit  den  nothwendigsten  Details  versehene 
Krankengeschichte  ist  in  der  Beziehung  wichtig,  dass  sie  einen  Fall 
darstellt,  in  welchem  die  Ansteckung  mit  dem  biliösen  Typhoid  im 
Hospital  erfolgte.  Ich  muss  bemerken,  dass  die  Abtheilung  (Nr.  20), 
in  welcher  die  M.  lag,  während  dieser  Zeit  mit  Fällen  von  reiner 
Febris  recurrens  angefüllt  war.  Von  biliösem  Typhoid  war,  soviel 
ich  nach  den  von  mir  angestellten  Nachforschungen  annehmen  darf, 
kein  Fall  während  zweier  Monate  vor  Aufnahme  der  H.  vorgekom- 
men und  zwar  nicht  bloss  in  der  betreffenden  Abtheilung,  sondern 
auch  in  dem  ganzen  Flügel,  in  welchem  letztere  untergebracht  ist. 
Hiernach  lässt  sich  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  aussagen,  dass 
die  M. 

1.  inficirt  wurde,  während  sie  an  einem  exan thematischen  Ty- 
phus  darnieder  lag, 

2.  dass  die  Infection  im  Hospital  stattgefunden  hatte.  Dieser 
Schluss  findet  darin  seine  Begründung,  dass,  wie  dies  auch  aus 
meinen  experimentellen  Beobachtungen  ^)  und  den  klinischen  Studien 
vieler  anderer  Autoren  hervorgeht  (Zorn,  Hermann,  Lebert, 
Wyss  und  Bock),  die  Incubationsperiode  der  Febris  recurrens  sich 
auf  5—8  Tage  erstreckt.  Nimmt  man  sogar  mit  Litten  eine  In- 
cubationsdauer  von  14  Tagen  an,  so  muss  dennoch  die  Infection 
während  des  Aufenthaltes  der  M.  im  Hospitale  erfolgt  sein. 

3.  Dass  die  zweite  Krankheit  der  M.  hervorging  aus  der  In- 
fection mit  einer  reinen  Form  von  Recurrens.    Und  endlich 

4.  dass  die  Dauer  der  Incubationsperiode  für  die  Recurrens  und 
das  biliöse  Typhoid  annähernd  gleich  sind. 


1)  Centralblatt  für  die  med.  Wissenschaften.  1876.  Nr.  11. 


BackfallstyphiiB.  221 

Hiermit  ist  auch  die  Möglichkeit  zu  dem  Schlüsse  gegeben,  dass 
das  biliöse  Typhoid  Griesinger's  aus  einer  einfachen  Form  von 
Becarrens  herrorgehen  kann  und  umgekehrt  Es  ist  klar,  dass  der 
letems  in  diesen  Fällen  nur  das  Zeichen  einer  bekannten  Gompli- 
cation  der  Krankheit  ist.  Diese  Complication  besteht  in  einer  ka- 
tarrhalischen Affection  der  Gallen wege,  welche  auch  Griesinger 
beobachtet  hat,  die  er  aber  nicht  für  hinreichend  hielt,  um  ein  Hin- 
demiss  für  den  Ausfluss  der  Galle  zu  bilden.  Aber  die  Sections- 
befunde  anderer  Anatomen  haben  zu  entgegengesetzten  Resultaten 
geführt.  Münch  fand  constant  eine  katarrhalische  Affection  der 
feinsten  Gallen  wege  bei  den  biliösen  Formen  von  Recurrens.  Litten 
sah  bei  Recurrens  biliosa  ebenfalls  eine  Verstopfung  der  feinsten 
Gallengänge  mit  gallig  gefärbten  Schleimpfröpfen. 

Bis  jetzt  ist  es  allerdings  noch  nicht  gelungen,  nachzuweisen, 
weshalb  die  Recurrens  das  eine  Mal  in  reiner  Form,  das  andere  Mal 
als  biliöses  Typhoid  auftritt.  Aber  auch  in  diesen  Beziehungen  finden 
sich  schon  einige  Angaben  in  der  Literatur  vor.  Ziemssen  hat 
die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
als  Boden  für  die  Entwicklung  der  biliösen  Form  ein  Katarrh  des 
Darmkanals  dient. 

Litten  sagt,  dass  in  seinen  Fällen  der  Katarrh  des  Magens 
and  der  Gallenwege  gleichsam  den  Grund  der  Empfänglichkeit  für 
das  Recurrensgift  abgibt.  Münch  0  machte  bei  der  Section  von 
Leichen  solcher  Kranker^  die  an  der  biliösen  Form  gestorben  waren, 
darauf  aufmerksam,  dass  mit  Vorliebe  solche  Individuen  daran  er- 
kranken, bei  denen  die  Leber  die  Spuren  mehr  oder  weniger  alter 
Krankheitsprocesse  zeigt  (Cirrhose,  Syphilis). 

Wenn  also  der  Icterus  nur  als  Symptom  einer  CSomplication  bei 
der  Recurrens  erscheint,  so  haben  die  icterischen  Formen  dieser 
Krankheit,  die  sonst  analog  dem  Typus  derselben,  sich  nur  dem 
klinischen  Bilde  nach  etwas  verschieden  präsentiren  (wahrscheinlich 
in  Folge  der  Aufnahme  der  Gallensäuren  in  das  Blut,  FrerichSi 
Coze  und  Feltz),  gerade  soviel  Recht,  als  selbständige  Krankheits- 
formen  angesehen  zu  werden,  wie  die  Gyanose,  die  zuweilen  andere 
Complicationen  der  Recurrens  begleitet  (Pneumonie).  Es  ist  somit 
klar,  dass  das  biliöse  Typhoid  Griesinger's  als  selbständige  In- 
fectionskrankbeit  aus  der  medicinischen  Nosologie  gestrichen  wer- 
den muss. 


1)  Protokolle  der  Sitzungen  der  Gesellschaft  Odessaer  Aerzte.  1874.  YII. 


X. 

Deber  subfebrile  Zustände  von  erheblicher  Dauer. 

Von 

Dr.  W.  Kernig, 

Ordinator  am  Obuchoff-Hoipltal  in  St.  Pttenbnrg. 

(Schloss.) 

In  dem  nun  folgenden  Theile  dieser  Arbeit  will  ich  versacheni 
Aber  subfebrile  Zustände  im  Verlaufe  einzelner  anderer  Krankheiten 
zu  beriehteni  welche  nicht  zu  den  beiden  Kategorien  der  Phthisischen 
und  der.  Scrophulösen  gehören. 

Es  ist  jetzt  allgemein  anerkannt,  dass  der  Abdominaltyphus, 
oder  vielleicht  präciser  gesagt,  die  abdominaltyphöse  Infection  aach 
in  der  Form  von  sehr  leichten,  oft  nur  wenige  Tage  dauernden  febrilen 
Erkrankungen  verlaufen  kann.  Selbst  afebril  kann  der  Verlauf  ge- 
wisser Erkrankungen  sein,  die  ätiologisch  zum  Abdominaltyphus  ge- 
rechnet werden  müssen  ^).  Die  Ausdrücke  Febricula,  Abortivtyphos, 
infectiöser  Magenkatarrh,  febriler  und  afebriler  Abdominalkatarrh 
(Liebermeister),  wohl  auch  Febris  gastrica  werden  zur  Bezeich- 
nung derartiger  Fälle  benutzt 

Auch  ich  habe  eine  grosse  Zahl  von  solchen  leichten  und  ab- 
ortiven Fällen  beobachtet,  bin  aber  nur  ein  Mal  auf  einen  Verlauf 
des  Abdominaltyphus  gestossen,  wo  die  Dauer  desselben  der  eines 
recht  schweren  gleichkam,  nämlich  ca.  6  Wochen,  und  wo  dennoch 
die  ganze  Erkrankung  nur  unter  dem  Bilde  eines  leichten  subfebrilen 
Unwohlseins  verlief.  Der  folgende  in  dieser  Art  abgelaufene  Fall 
ist  um  so  sicherer  constatirt,  als  er  einen  CoUegen  betraf,  der  selbst 
grosse  Erfahrung  Ober  typhöse  EJ^krankungen  besitzt,  und  ich  wieder- 
holt Oelegenheit  hatte,  auch  anderen  CoUegen  die  Richtigkeit  der 
Diagnose  zu  demonstriren. 


1)  Liebermeister  in  Ziemssen's  Handbuch.  Bd.  IL  1.  S.  133. 


Subfebrile  Zustände.  223 

32.  Dr.  N.  N.,  ein  kräftiger  Mann  von  40  Jahren,  erkrankte  am 
Abend  dea  26.  Febmar  1877  mit  Frösteln.  Am  27.  Februar,  also  am 
ersten  Krankheitstage  lagen  die  Temperaturen  zwischen  38,6  und  39,8, 
am  zweiten  Tage  zwischen  38,4  und  39,2,  am  dritten  zwischen  38,3  und 
3S,5,  am  vierten  schon  zwischen  37,8  und  38,1,  und  von  nun  ab  war 
Pat.  dnrch  5  Wochen  subfebril  in  den  engen  Grenzen  von  37,0  und  38,0. 
Y^.  Curve  19.  Einzelne  afebrile  Tage  kamen  mehr  als  Ausnahme  vor. 
Die  Bemissionen  fallen  auf  die  Morgen-  und  Vormittagsstunden,  die  ge- 
ringen Steigerungen  auf  den  Nachmittag  oder  Abend.  Chinin  zu  gr.  X 
(0,6j  war  ganz  ohne  Wirkung;  ^j  (1,2)  am  18.  März  Nachmittags  dar- 
gereicht hatte  nur  einen  unbedeutend  niedrigeren  Stand  der  Temperatur 
am  nächsten  Tage  zur  Folge.  Der  am  21.  März  dargereichte  Scrupel 
hatte  gar  keinen  Einflnss.  —  Das  Interessante  war  nun,  dass  in  den 
ersten  Tagen  der  Erkrankung  die  Milz  sich  erheblich  vergrösserte,  und 
bis  zum  Schlnss  der  6.  Woche  so  vergrössert  blieb,  dass  um  die  gewöhn- 
liche Zeit  gegen  den  7.  bis  9.  Krankheitstag  vereinzelte  Roseolae  an  der 
Vorderfläche  des  Rumpfes  erschienen,  und  wiederholt  Nachschübe  bis  in  die 
4.  Woche  hinein  machten,  dass  immerfort  ein  geringer,  aber  deutlicher  Me- 
teorismua  bis  gegen  Schlnss  der  Erkrankung  vorhanden  war,  dass  mit 
Sehluss  der  ersten  Woche  und  im  Laufe  der  zweiten  eine  leichte  Diarrhoe 
auftrat,  die  später  einer  Verstopfung  oder  normalem  Stuhl  Platz  machte, 
dass  die  Zunge  von  Anfang  bis  zum  Schlnss  belegt  blieb.  Anfangs  war 
selbstverständlich  auch  der  Appetit  schlecht,  in  den  letzten  drei  Wochen 
aber  wurde  er  gross,  zumal  Pat.  immerfort  einer  strengen  Diät  unterzogen 
blieb.  —  Im  Grossen  und  Ganzen  hielten  sich  die  Kräfte  gut,  und  es  trat 
im  Laufe  dieser  sechs  Wochen  nur  eine  massige  Abmagerung  ein.  Selbst- 
verständlich gelang  es  nur  in  den  ersten  Tagen,  den  Pat.  ganz  im  Bett  zu 
halten,  später  verbrachte  er  den  grösseren  Theil  des  Tages  ausser  Bett, 
machte  selbst  Atisfahrten,  in  den  ersten  3  Wochen  nur  ganz  vereinzelt,  von 
der  Mitte  der  4.  Wochen  ab  täglich.  Bei  diesen  Ausfahrten  überkamen 
ihn  einige  Mal  Ohnmachtanwandlungen,  doch  war  ein  ßchädlicher  Einfluss 
in  Bezug  auf  die  abnormen  Temperaturen  nicht  zu  bemerken.  Später  er- 
holte sich  Pat.  rasch  und  vollständig. 

Ein  derartiger  Verlauf  des  Abdomii^ltyphus  gehört  hier  in  Peters- 
burg doch  wohl  zu  den  Seltenheiten,  entspricht  tlbrigens  gerade  dem 
febrilen  resp.  afebrilen  Abdominalkatarrh  Liebermeister 's,  oder 
dem,  was  man  Typhus  ambulatorius  nennt. 

Der  Unterschied  dieses  Falles  von  den  früher  unter  Nr.  18,  19, 
20,  28  und  31  mitgetheilten  Fällen  ist  der,  dass  bei  letzteren  der 
genauere  Vergleich  der  Temperaturcurven  mit  den  übrigen  Notizen 
den  Eindruck  macht,  als  seien  die  dem  infectiösen  Process  zukom- 
menden Erscheinungen,  namentlich  die  Milzschwellung,  zurückge- 
gangen um  eine  Zeit,  wo  die  subfebrilen  Temperaturen  einsetzten, 
oder  noch  fortdauerten,  so  dass  letztere  gewissermaassen  nur  als  ver- 
anlasst durch  die  vorausgegangene  Erkrankung  zu  betrachten 
sind.    Am  deutlichsten  ist  dieses  in  Fall  20.    In  dem  vorliegenden 


224  X.  Kernig 

Fall  32  aber  handelt  es  sich  offenbar  um  einen  infectiösen  ProceBS, 
der  die  ganzen  6  Wochen  über,  wo  die  abnormen  Temperataren  vor- 
handen sind,  selbst  andauert.  Am  beweisendsten  sind  in  dieser  Be- 
ziehung die  Nachschübe  der  Roseolae  und  die  fortdauernde  Milz- 
schwellung. Fall  13  würde  für  die  Zeit  vom  25.  H&rz  bis  15.  April 
noch  am  ehesten  mit  diesem  Fall  32  übereinstimmen ,  wenn  nicht 
tlie  Diagnose  desselben  als  leichtester  Abdominaltyphus  immerhin 
zweifelhaft  wäre  (wie  das  Krankenjournal  ergibt,  wurde  z.  B.  trotz 
Suchens  keine  Roseola  an  dem  Patienten  entdeckt).  Auch  in  Fall  31 
ist  die  Diagnose  nicht  ganz  sicher. 

Ich  erinnere  mich  noch  eines  Falles  in  der  Privatpraxisi  wo  ein 
Abdominaltyphus  von  3  Wochen  Dauer,  abgesehen  von  dem  aller- 
ersten Anfang,  nur  mit  subfebrilen  Temperaturen  verlief.  Leider  be- 
sitze ich  keine  Notizen  über  ihn,  kann  aber  so  viel  als  authentisch 
mittheilen,  dass  der  etwa  50jährige  gesunde  Mann,  der  mit  einem 
Schüttelfrost  und  einer  sofortigen  Temperatursteigerung  auf  40,0  er- 
krankt war,  schon  am  nächsten  Tage  Temperaturen  unter  38,0  hatte, 
nun  genau  3  Wochen  mit  nur  subfebrilen  Temperaturen  verbrachte. 
In  dieser  Zeit  liefen  die  übrigen  charakteristischen  Erscheinungen 
eines  Abdominaltyphus,  Milzschwellung,  Roseolae,  Meteorismus,  Diar- 
rhoe, vollkommen  legaliter  ab,  waren  freilich  ebenfalls  nur  in  sehr 
massiger  Intensität  vorhanden. 

Bei  rheumatischen  Affectionen,  speoiell  beim  acuten  Ge- 
lenkrheumatismus, kommen  ebenfalls  länger  dauernde  subfebrile  Zu- 
stände vor.  Senator^)  gibt  ausdrücklich  an,  „dass  die  allerleich- 
testen  Formen,  in  denen  nur  wenige  Gelenke  und  in  geringem  Grade 
entzündlich  ergriffen  sind,  mit  äusserst  geringen  subfebrilen  Tempe- 
raturerhöhungen einhergehen  und  zeitweise  normale  Temperataren 
zeigen  können,  so  dass  hei  seltener  wiederholten  Messungen  die 
Temperaturerhöhung  leicht  übersehen  werden  kann*'.  —  Ich  behan- 
delte im  Sommer  1877  einen  kräftigen,  Übrigens  wiederholt  an  Rheu- 
matismen erkrankt  gewesenen  Mann  von  40  Jahren  an  massig  star- 
ken, den  Ort  wechselnden  rheumatischen  Gelenkschmerzen.  Einige 
Wochen  lang  fand  ich  ihn  bei  den  Besuchen,  die  ich  etwa  alle  4 
bis  5  Tage  machte,  bei  einer  Temperatur  von  ca.  38,0  Nachmittags. 
Es  wurden  keine  regelmässigen  Messungen  gemacht,  doch  ergaben 
die  sonstigen  Angaben  und  das  Befinden  des  Patienten,  dass  wohl 
kaum  erheblichere  febrile  Zustände  dazwischen  vorgekommen  waren. 
Patient  wurde  ganz  gesund.    Ein  Gleiches  meine  ich  wiederholt  in 

1)  V.  Ziemssen's  Handbach.  Bd.Xm.  1.  S.44. 


Sttbfebrüe  Zustände.  225 

der  Privatpraxis  beobachte  zu  haben.  —  In  den  folgenden  Fällen 
wurde  der  blos  snbfebrile  Charakter  des  Fiebers  sicherer  eonstatirt 

33.  Niklfor  Wassiljeff,  21  jähriger  kräftiger  Bauer  wurde  am  16.  Nov. 
1S71  in  das  Obachow'sche  Hospital  mit  acutem  Gelenkrheumatismud  am 
3.  Krankheitstage  aufgenommen;  befallen  waren  beide  Hand-  und  Knie- 
gelenke, beide  Fussgelenke  hatten  bis  zur  Aufnahme  schon  mehr  geschmerzt 
als  zur  Zeit  des  Status  pr.  Die  Temperatur  war  39,0  und  flberschritt  bei 
2  mal  täglicher  Messung  diese  Höhe  in  den  nächsten  Tagen  nicht,  wo 
mehrere  Fingergelenke  recht  stark,  beide  Schulter-  und  Ellenbogengelenke 
leicht  befallen  wurden.  Vom  S.  Rrankbeitstage  an,  während  die  Schmerzen 
Oberall  nachliessen^  gingen  dPe  Temperaturen  nicht  Aber  38,0  und  schwank- 
ten bis  zum  27.  Krankheitstüge  zwischen  37,4  und  38,0  (einmal  38,2),  wäh- 
rend sich  noch  immer  hie  und  da  Schmerzen  zeigten.  Am  14.  December 
wurde  Pat.  gesund  entlassen. 

34.  Wassily  Wassntowitsch,  18  Jahr,  taubstumm,  war,  als  ich  ihn  am 
31.  Hai  1873  zum  ersten  Mal  sah,  als  Rheumatiker^  verrufen.  Gegen- 
wärtig bot  er  nur  eine  gewisse  Steifigkeit  des  linken  Kniegelenks,  und 
Schmerzen  an  der  Rückseite  desselben  in  den  ßeugesehnen;  dieselben 
sollten  seit  Ende  April  bestehen.  Er  war  dabei  subfebril  (37,8)  und  blieb 
es  während  der  nächsten  8  Tage.  Erst  vom  26.  Juni  ab,  während  in 
dieser  Zeit  das  Gelenk  unter  dem  Gebrauche  von  Bädern  und  Jodkalium 
entschieden  freier  beweglich  geworden  war,  und  die  Schmerzen  nachge- 
lassen hatten,  war  Pat.  wieder  snbfebril  bis  Mitte  Juli.  In  der  2.  Hälfte 
Juli  und  im  August  nur  hin  und  wieder  etwas  erhöhte  Temperaturen, 
während  das  Kniegelenk  allmählich  normal  brauchbar  wurde.  September 
afebril,  doch  von  Mitte  October  an  wieder  erhöhte  Temperaturen.  Vom 
2S.  bis  31.  October  leichtes  Fieber  bis  38,7,  und  nun  entwickelte  sich 
ein  Katarrh  des  rechten  Oberlappens,  der  bis  zum  16.  November,  wo  Pat. 
die  Anstalt  verliess,  sich  wohl  besserte,  jedoch  noch  andauerte.  Bis  hier- 
her blieb  Pat.  auch  subfebril.  Gegenwärtig,  nach  5  Jahren,  lebt  Pat.  ge- 
sund in  Witebsk.  —  So  wahrscheinlich  es  ist,  dass  die  subfebrilen  Tem- 
peraturen von  Mitte  October  an  zu  dem  Katarrh  des  rechten  Oberlappens 
in  Beziehung  stehen,  ebenso  wahrscheinlich  scheinen  die  subfebrilen  Perioden 
im  Juni  und  Juli  von  der  rheumatischen  Knleaffection  bedingt  worden 
tu  sein. 

Ich  habe  schon  oben  in  dem  Fall  4  erwähnt,  dass  im  Verlauf 
eines  leichten  S  cor  bat  hie  und  da  subfebrile  Temperaturen  ge- 
messen wurden.  Ich  erinnere  mich  im  Hospital  mehrere  Scorbut- 
kranke  gehabt  zu  haben,  bei  welchen  andauernde  subfebrile  Tem- 
peraturen Yorkamen.  Die  betreffenden  Journale  sind  mir  nicht  zur 
Hand.  Ob  immer  schwerere  Störungen  (hämorrhagische  Pleura-  und 
Perieardialexsudate  etc.),  welche  fQr  das  Auftreten  der  abnormen 
Temperaturen  verantwortlich  gemacht  werden  konnten,  gleichzeitig 
vorhanden  waren,  ist  mir  nicht  erinnerlich,  doch  ist  das  Factum, 
dass  auch  bei  Scorbutiscfaen  subfebriie  Zustände  vorkommen,  immer- 

DntMbM  ArehlT  f.  klln.  Mediein.    ZXIV.  Bd.  15 


226  X.  Kebnig 

hin  bemerkenswerth.  —  lieber  einen  Fall  von  Purpura  rheuma- 
tica  (Immermann)  kann  ich  bestimmter  berichten. 

Der  betreffende  Kranke,  WasBÜi  Timofejeff,  wurde  am  15.  December 
1875  in  das  Obuchow'sche  Hospital  aufgenommen  am  9.  Krankbeitstage. 
Beide  Knie  und  beide  Ellenbogengelenke  waren  schmerzhaft,  am  linken 
Ellenbogengelenk  ein  auffallend  starkes  Oedem,  das  sich  auf  den  halben 
unter-  und  Oberarm  fortsetzte.  Die  Temperaturen  waren  subfebril  (nur 
2  mal  wurde  38,6  gemessen)  und  blieben  es  11  Tage  lang;  bis  sie  in  völlige 
Fieberlosigkeit  übergingen.  Am  2.  Hospitalstage  traten  sehr  verschieden 
grosse  blassrothe  Hautecchymoseb,  zum  Theil  sehr  grosse,  am  linken  Arm, 
an  beiden  Beinen  und  am  Rücken  auf;  an  der  Vorderfläche  der  Beine  wa- 
ren die  Flecken  kleiner  als  an  der  Rückseite.  Das  Zahnfleisch  ganz  ge- 
sund, am  Herzen  nichts  nachzuweisen.  Während  der  späteren  fieberfreien, 
aber  noch  nicht  schmerzlosen  Periode  traten  noch  einmal  frische,  blasse 
Hantecchymosen  an  der  Volarfläche  des  linken  Unterarms  und  an  den 
Beinen  auf.  Der  Mann  verliess  das  Hospital  ganz  geheilt  am  19.  Januar 
1876. —  Der  Fall  gehört  off'enbar  zur  Purpura  mit  Oelenkaffectionen,  wie 
sie  Scheby-Buch  besprochen  hat.  i) 

Das  Fieber,  welches  bei  progressiver,  perniciöser  Anä- 
mie und  bei  Leukämie  beobachtet  wird,  zeigt  ebenfalls  subfebrile 
Perioden.  —  Die  beiden  von  Immermann '^j  mitgetheilten  Fälle 
von  perniciöser  progressiver  Anämie  weisen  mehrere  Reihen  von 
Tagen  auf,  an  welchen  die  Fat.  nur  subfebril  waren;  es  wechseln 
diese  Tage  mit  höher  febrilen  Perioden.  —  In  einem  Fall  von  pro- 
gressiver perniciöser  Anämie,  der  hier  in  Petersburg  beobachtet  wor- 
den ist,  und  in  dessen,  über  die  letzten  anderthalb  Monate  vor  dem 
Tode  sich  erstreckende  Temperaturcurve  mir  Einsicht  gestattet  worden 
ist,  finden  sich  ebenfalls  einige  subfebrile  Perioden  bis  zu  10  Tagen 
Dauer.  —  In  dem  Buche  von  Mosler  (Pathologie  und  Therapie  der 
Leukämie,  1872)  sind  S.  169  allerdings  nicht  lange  fortgesetzte  Mes- 
sungen an  zwei  Patienten  mitgetheilt,  aus  denen  ein  subfebriler  Zu- 
stand hervorgeht,  ebenso  aus  dem  Fall,  welcher  S.  264  und  265  be- 
sprochen ist.  —  In  dem  von  Thierfelder  und  Uhle  mitgetheilten 
Fall  von  Leukämie  ^)  scheint  ebenfalls  das  Fieber  vorzugsweise  einen 
subfebrilen  Charakter  gehabt  zu  haben.  Wenngleich  nur  Mittelzahlen 
für  je  10  Tage  aus  der  ganzen,  langen  ^lijüingen  Beobachtung  mit- 
getheilt werden,  so  wird  doch  hinzugesetzt,  dass  diese  von  den  Ein- 
zelbeobachtungen  nur  ganz  unwesentlich  abweichen. 


1)  Dieses  Archiv.  Bd.  XIY.  Heft  5  u.  6.    Gelenkaffectionen  hei  den  hämor- 
rhagischen Erkrankungen. 

2)  Dieses  Archiv.  Bd.  XIII.  Heft  3. 

3)  Archiv  für  physiologische  Heilkunde.  Jahrgang  1856. 


Sttbfebrile  Zustände.  227 

Für  die  Syphilis  sind  mehr  oder  weniger  leichte  Fieberer- 
flcheinangen  fdr  die  Zeit' des  Eintritts  der  Allgemeinerscheinungen 
bekannt,  auch  in  späteren  Stadien  vorhanden.  —  Dass  das  syphili- 
tiflehe  Eruptionsfieber  zeitweilig  nur  subfebrile  Temperaturen  machen 
kann,  geht  aus  der  Angabe  von  E.  Gflntz  hervor,  dass  bei  dem- 
selben nach  der  ersten  höheren  Temperatursteigerung  noch  längere 
Zeit  eine  massige  Temperaturerhöhung  zwischen  37,5  und  38,0  fort- 
dauern kann.  1)  —  Der  in  Bau  ml  er 's  unten  citirter  Arbeit:  ttber 
das  Verhalten  der  Körperwärme  etc.  mitgetheilte  Fall  4,  der  ein 
spätes  Stadium  der  Syphilis  betrifft,  verläuft  mit  exquisit  subfebrilen 
Temperaturen.  —  In  einem  Fall  von  syphilitischem  Eruptionsfieber, 
den  ich  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  zeigt  das  Fieber  nur  zeit- 
weise den  subfehrilen  Charakter,  zu  Anfang  und  zum  Schluss  der 
Beobachtung  gehen  die  einzelnen  pseudo-intermittirenden  Anfälle  zu 
erheblicheren  Höhen  hinauf.  Das  Fieber  hatte  den  stark  remittiren- 
den  Typus,  wie  er  überhaupt  für  das  syphilitische  Fieber  charakte- 
ristisch ist. 

35.  Herr  R.  D.,  einige  20  Jahr  alt,  war  seit  mehreren  Tagen  unwohl, 
scheinbar  ohne  bestimmte  Ursache.  Die  Messungen  ergaben  täglich  einen 
febrilen  resp.  Bubfebrilen  Zustand,  der  eigenthflmlicher  Weise  seinen  Höhe- 
punkt regelmässig  gegen  Mitternacht  hatte,  vg].  Curve  20;  den  Tag  ttber 
fühlte  sich  Fat.  noch  recht  gut,  erst  in  den  späten  Abendstunden  über- 
kamen ihn  Frösteln  und  Unbehagen.  Die  syphilitische  InitialscleroBe  be- 
stand noch  (der  Termin  des  Beginns  der  letzteren  ist  nicht  notirt),  sonst 
aber  war  an  dem  Fat.  zu  Anfang  der  Beobachtung  ausser  einer  geringen 
Hilzschwellung  und  einem  ziemlich  erheblichen  Magenkatarrh  Nichts  nach- 
weisbar. Erst  gegen  den  20.  Mai  nach  mehr  als  zweiwOchentlichem  Be- 
stand des  Fiebers,  trat  eine  Roseola  syphilitica  auf,  und  wurde  damit  die 
Diagnose  zweifellos.  Bereits  nach  den  ersten  Inunctionen  schwand  das 
Fieber. 

In  zwei  früheren  Arbeiten^)  habe  ich  mehrere  Fälle  von  Milz- 
abscessen  resp.  Milzinfarkten  mitgetheilt,  in  welchen  es  sich 
auch  zum  Theil  um  länger  dauernde  leicht  febrile  Zustände  handelt. 
Eine  genauere  Durchsicht  der  Fälle  von  zweifellosen  Milzabscessen 
(1.  Arbeit)  zeigt  indess,  dass  so  gering  auch  das  Fieber  bei  densel- 
ben oft  war,  es  sich  doch  durch  die  Höhe  der  Abendexacerbationen 


1)  Yergl.  Bäum  1er y  lieber  das  Verhalten  der  Körperwärme  als  Hülfsmittel 
zur  Diagnose  einiger  Formen  syphilitischer  Erkrankung.  Dieses  Archiv.  Bd.  IX. 
S.40i;  ausserdem  Bau  ml  er  in  v.  Ziemssen's  Handbuch.  Bd.  III.  S.  120. 

2)  lieber  Milzabscesse  nach  Febris  recurrens.  St.  Petersburger  med.  Zeit- 
schrift Bd.  Xn.  1867  und  Ein  Fall  von  Milzruptur  mit  glücklichem  Ausgang. 
Dieselbe  Zeitschrift.  N.F.  Bd.y.  Heft  4.  1875. 

15* 


228  ^*  EERHia 

von  den  hier  geschilderten  Zuständen  unterscheidet.  Eigentlich  sab- 
febrile  Tage  kommen  doch  nur  vereinzelt  zwischen  den  andern  mehr 
febrilen  Tagen  vor.  Die  beiden  Fälle  der  2.  Arbeit  zeigen  aber  in 
der  That  längere  Perioden  subfebriler  Temperaturen.  Im  ersten 
Fall,  wo  es  sich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  um  einen  Hilzinfarkt 
nach  exanthematischem  Typhus  handelt,  war  Pat.  vom  18.  März  bis 
8.  April  1875,  also  durch  22  Tage  am  Nachmittag  oder  Abend  sab* 
febril,  an  vier  einzelneu  Tagen  in  dieser  Periode  erfolgten  jedoch 
wirkliche  Fieberanfälle.  (Es  trat  am  9.  April  Milzruptur  ein,  wie 
a.  a.  0.  ausfflhrlich  geschildert;  Pat.  blieb  am  Leben.)  Im  zweiten 
Fall,  dort  mehr  anhangsweise  mitgetheilt,  handelt  es  sich  um  einen 
15  bis  18  tägigen  auffallend  gleichmässigen,  nicht  remittirenden  Zu- 
stand, ebenfalls  im  unmittelbaren  Anschluss  an  exanthematiseben 
Typhus.  Während  dieses  Zeitraumes  blieb  die  Milz  ebenso  gross, 
wie  sie  während  des  Typhus  gewesen  war,  während  sie  normaliter 
nach  Ablauf  des  exanthematiseben  Typhus  rasch  abschwillt;  sie  ver- 
kleinerte sich  erst,  als  vollkommene  Fieberlosigkeit  eintrat  Die 
Curve  2  dieser  Arbeit  gibt  den  subfebrilen  Temperaturverlauf  dieses 
letzteren  Falles  wieder.  • —  Auis  beiden  Fällen  geht  mit  Sicherheit 
hervor,  dass  bei  gewissen  Milzerkrankungen  (Infarkten  ?  nach  exan- 
thematischem  Typhus)  andauernde  subfebrile  Zustände  vorkommen. 

Lebert  spricht  in  seinem  Buche:  Die  Krankheiten  des  Magens 
(Tübingen  1878,  S.394),  von  dem  anhaltenden  Fieber,  das  den  Ha- 
genkrebs unter  Umständen  auch  ohne  alle  weitere  Complicationen 
begleiten  kann,  und  nennt  es  geradezu  eine  Febris  carcinomatosa, 
da  es  ähnlich  auch  bei  anderen  Garcinomen  vorkommen  soll.  Da 
es  sich  zwischen  37,5  und  38,0  in  den  leichteren  Formen  hält,  so 
dürften  subfebrile  Zustände  auch  bei  (Magen-)  Krebskranken  be- 
obachtet werden. 

Im  Gefolge  von  Masern,  nach  Ablauf  des  Exanthems  habe  ich 
ebenfalls  längere  Zeit  andauernde  subfebrile  Temperaturen  gesehen, 
wohl  im  Zusammenhang  mit  mehr  oder  weniger  leichten  Broncbial- 
oder  Lungenaffectionen.  Doch  besitze  ich  keine  Notizen  hierüber, 
ausser  der  nicht  reinen  Beobachtung  36,  welche  alsbald  mitgetheilt 
wird.  —  Uebrigens  waren  in  dem  Fall  26  auch  ursprünglich  Masern 
dem  subfebrilen  Zustand  vorangegangen. 

Dass  die  parenchymatöse  Nephritis  ebenfalls  subfebrile 
Zustände  erzeugen  kann,  lehrt  der  folgende  Fall.  Er  zeigt  sowohl 
nach  Ablauf  von  Masern,  als  nach  mehreren  hochfebrilen  Perioden 


Sabfebrile  Zusende.  229 

einer  an  dieselben  sich  scbliessenden  parenchymatösen  Nephritis  län- 
gere Zeit  hindurch  snbfebrile  Temperaturen. 

36.  Marie  Majnsewitsch ,  taubBtnmm,  war  am  11.  Juni  1873,  als  sie 
nach  Ablanf  eines  Masemexaothems  in  meine  Beobachtung  trat,  noch  febril 
(39,1),  und  hatte  eine  ziänlicfae  Milzvergrösserung.  Die  Masern  hatten  am 
30.  Mai  begonnen.  Bald,  vom  13.  Juni  ab,  war  sie  subfebril  bis  zum 
23.  Jnni ,  die  Milzschwellung  verschwand  in  dieser  Zeit.  —  Am  25.  Juni 
trat  starkes  Fieber  auf  (in  den  nächsten  Tagen  bis  40,8)  und  es  erschien 
fiiweiss  im  Urin,  (derselbe  schwarzbraun  von  aberreichlicher  Blutbeimengung), 
die  Milz  vergrOsserte  sich  wiederum  und  wegen  eines  auf  beginnende  Pocken 
verdächtigen  Exanthems  wurde  sie  in  ein  Hospital  geschickt  Am  11.  Juli 
kehrte  sie  noch  fiebernd  und  leicht  hydropisch  aus  demselben  zurtlck,  das 
Exanthem  hatte  sich  nicht  zu  Pocken  entwickelt.  In  den  nächsten  Tagen 
blieb  sie  fieberhaft,  der  Urin  enthielt  viel  £iweiss,  reichliche  Blutkörperchen, 
und  viel  Fibrin-  und  Epithelcylinder;  die  Milz  war  vergrössert,  und  es  er- 
Bcliien  aufs  Neue  ein  juckendes  Knötchenezanthem ,  jetzt  nur  an  beiden 
Unterarmen.  Vom  15.  Juli  an  indess  war  sie  nur  subfebril  bis  zum  30. 
(mit  einer  Ausnahme  am  18.  Juli)  bei  fortdauernden  Zeichen  der  Nephritis ; 
der  leichte  Hydrops  hatte  sich  Inzwischen  verloren.  —  Vom  8.  August  bis 
10.  August  wieder  starkes  Fieber  mit  starkem  Blutgehalt  des  Urins  und 
leichtem  Oedem  im  Gesicht.  Von  da  ab  fieberlos  bis  Ende  August.  In 
den  letzten  Angusttagen ,,  im  September  und  October  finden  sich  wieder- 
holt Tage,  oft  aufeinander  folgend,  an  weichen  die  Temperatur  sei  es  am 
Morgen  oder  am  Abend  subfebril  ist.  Der  Eiweissgehalt  und  das  Sediment 
blieb  bei  sich  besserndem  Allgemeinbefinden  andauernd,  wenn  auch  in  wech- 
lelnder  Menge.  —  Ende  Januar  1874  eine  Pneumonie  des  rechten  Unter- 
lappen mit  abermals  bedeutendem  Blutgehalt  des  Urins;  danach  absolut 
fieberlos.  —  Im  September  1874,  nachdem  das  Allgemeinbefinden  mittler- 
weile bei  fortdauerndem  Einweissgehalt  des  Urines  sich  bedeutend  gehoben 
hatte,  noch  eine  hochfebrile  viertägige  Periode  mit  Blut  im  Urin,  viel  Ei- 
weiss  und  Cylinder.  —  Im  Laufe  der  Jahre  1875 — 1877  ist  bei  stets 
gutem,  durchaus  nicht  anämischem  Aussehen  immer  ab  und  zu  ein  mehr 
oder  weniger  starker  Eiweissgehalt  des  Urines  constatirt  worden.  Ver- 
liess  die  Anstalt  Mai  1878. 

In  einem  Fall  von  puerperaler  Parametritis,  der  zu  Abs- 
cedirung  in  die  Scheide  und  vorübergehend  zu  allgemein-peritoni- 
tischen  Erscheinungen  geführt  hatte,  sah  ich  noch  3  Monate  nach 
Ablauf  der  schweren  Symptome  wiederholt  Mittags  oder  Abends 
subfebrile  Temperaturen,  wenn  auch  mehr  vereinzelt.  Reste  des  para- 
metritischen  Exsudates  waren  noch  nachweisbar. 

Jul.  Uf feimann  hat  in  diesem  Arehiv  (Band  XX,  Heft  5  u.  6) 
einen  höchst  interessanten  Fall  yon  drei  Monate  anhaltendem,  leich- 
tem Fieber  bei  einem  gastrotomirten  Knaben  mitgetheilt,  den 
er  zu  Versuchen  bezüglich  der  Physiologie  und  Pathologie  der  Ver- 
dauung benutzte«    Es  handelte  sich  um  einen  7^/4  jährigen  Knaben 


230  ^  Kernig 

mit  fast  completer  Oesophagusstenose  in  Folge  einer  Schwefelsäure- 
Tergiftung.  Prof.  Trendelenburg  hatte  an  dem  Knaben  am  28.  Mftrz 
die  Gastrotomie  ausgeftthrt,  und  unmittelbar  an  diese  schloss  sich  ein 
febriler  Zustand,  der  circa  drei  Monate  andauerte.  Da  das  tftgliche 
Maximum  durchschnittlich  um  38,3  bis  38,4  lag,  so  kann  ich  diesen 
Fall  lang  andauernden  leichten  Fiebers  meinen  subfebrilen  Fällen 
sehr  wohl  anreihen.  Bezüglich  der  Details  des  Fieberverlaufs  ver- 
weise ich  auf  den  Aufsatz  selbst,  bemerke  nur,  dass  vom  13.  Juni 
ab  sich  die  Fieberlosigkeit  anzubahnen  begann. 

Uffelmann  bringt  das  tägliche  leichte  Fieber,  für  das  eine 
sonstige  Ursache  nicht  zu  findeti  war,  bei  dem  äusserst  elenden  stark 
abgemagerten  Knaben,  der  vom  20.  April  ab  lediglich  nur  von  der 
Fistel. aus  ernährt  werden  konnte  —  vordem  hatte  er  noch  kleine 
Mengen  Milch,  Bouillon  und  Suppen  schlucken  können,  war  aber 
schon  zum  bei  Weitem  grösseren  Theil  von  der  Fistel  aus  ernährt 
worden  —  mit  der  Nahrungsaufnahme  in  Verbindung.  Zwar  wfirde 
die  von  Uffelmann  zum  Nachweise  dieses  Zusammenhanges  heran- 
gezogene Form  der  Tagescurve  nach  meiner  Meinung  nicht  viel  ins 
Gewicht  fallen,  wichtiger  ist  aber  der  Umstand,  dass  wie  Uffel- 
mann hervorhebt,  zu  der  Zeit,  wo  nur  flüssige  Nahrung  gereicht 
wurde,  die  Temperaturen  durchschnittlich  geringer  waren,  und  noch 
wichtiger,  dass  mit  einer  Aenderung  in  dem  Modus  der  Nah- 
rungszufuhr das  Fieber  aufzuhören  begann.  Der  Knabe  wurde 
nämlich  nach  der  Operation  bis  zum  1 2.  Juni  in  der  Weise  ernährt, 
dass  er  die  flüssigen  und  festen  Speisen  in  den  Mund  nahm,  hier, 
wie  in  der  Norm  mit  einander  verarbeitete,  und  dass  dann  die  von 
ihm  in  ein  reines  Glasgefäss  im  Laufe  von  20 — 25  Minuten  entleer- 
ten, 'mit  Speichel  vermischten  Massen  mittelst  einer  Spritze  in  den 
Gummischlauch  eingeführt  wurden ,  der  in  der  Fistel  lag.  Als  nun 
seit  dem  12.  Juni  durch  Prof.  Trendelenburg  dieses  Verfahren 
in  der  Weise  geändert  wurde,  dass  die  zum  Genuss  bestimmten 
Massen  zwar  auch  erst  im  Munde  verarbeitet  wurden,  dann  aber 
direct  in  einen  mit  einem  Mundstück  verbundenen  Gummischlanch 
gespuckt  wurden,  der  in  den  Gummischlauch  der  Fistel  eingesetzt 
war,  —  begann  das  Fieber  zu  schwinden.  Uffelmann 's  Voraus- 
setzung, dass  die  bei  der  ersten  Ernährungsweise  nach  Einführung  der 
Nahrung  beobachtete  Bildung  von  Gährungs-  und  Fäulnissprodueten 
das  Fieber  unterhalten  habci  wurde  hierdurch  bestätigt;  ausserdem 
wurde  noch  constatirt,  dass  nach  Einführung  der  zweiten  Ernäh- 
rungsweise die  vordem  reichlich  beobachteten  Zersetzungsprodncte 
schwanden.     Uffelmann  spricht   daher  die  Meinung  aus,   „dass 


Subfebrile  Zast&ade.  231 

G&hruDg  und  Zersetzung  hier  die  Fortdauer  des  Fiebers  zum  Mm- 
desten  in  hohem  und  hervorragendem  Maasse '  begünstigt  habe ,  sei 
es  dass  durch  die  abnormen  Produete  direct  ein  zu  starker  örtlicher 
Reiz  auf  die  Verdauungsschleimbaut  ausgeübt  wurde,  oder  dass  der 
Uebergang  irgend  eines  bei  jenen  Processen  auftretenden  Agens  in 
die  Säftemasse  einen  pyrogenen  Effect  hatte.  **  —  Der  Knabe  nahm 
während  des  Fiebers  an  Gewicht  und  Kräften  erheblich  zu.  —  Ueber 
sein  endliches  Schicksal  ist  in  dem  Aufsatz  Nichts  erwähnt. 

Endlich  hat  Dr.  C.  Gregory  in  üttolje  (Gouvernement  Ssim- 
birsk)  in  der  St.  Petersburger  medic.  Wochenschrift  1878,  Nr.  5, 
einen  Fall  von  chronischer  Arsenikvergiftung  mitgetheilt, 
bei  welchem  ebenfalls  ein  lange  dauernder  subfebriler  Zustand  be- 
obachtet wurde. 

Mit  Beginn  des  Winters  1S76  erkrankte  der  bis  dabin  kräftige  Mann 
aD  HaUbeschwerden  (Geftthl  von  Trockenheit  im  Halse,  leichtes  Verschlucken), 
an  Sebnupfen  und  Mattigkeit,  und  dauerten  diese  abnormen  Erscheinungen  in 
Bcheiobar  unmotivirter  Weise  den  Winter  über  fort.  Mit  Beginn  des  Februar 
1S77  kamen  dazu  Athembeklemmung,  ein  Geftthl  von  Druck  auf  der  Brust, 
nnd  zeitweilig  Herzklopfen.  Mattigkeit  nnd  Abgeschlagenheit  nahmen  mehr 
und  mehr  zu,  der  Appetit  wurde  schlecht,  der  Stuhl  träge,  der  Sebnupfen 
andauernd,  dazu  quälende  Schlaflosigkeit,  trflbe  reizbare  Stimmung.  Tem- 
peratarmessangen ,  die  regelmässig  nnd  täglich  vorgenommen  wurden,  er- 
gaben mit  einer  erstaanlichen  Regelmässigkeit  Morgens  37,4,  Mittags  1  Uhr 
39,0,  Nachmittags  6  Uhr  38,2,  seltener  38,4,  Abends  9  Uhr  38,0,  Abends 
11  Uhr  37,6.  Nacht  fieberfrei.  Puls  zwischen  80  nnd  96.  Chinin  auch 
in  grossen  Dosen  hatte  keinen  Einflnss  auf  das  Fieber.  —  Es  kam  zu 
den  Qbrigen  Symptomen  noch  das  Auftreten  zahlreicher  kleiner  Pusteln 
und  Furunkeln  am  Oberkörper.  Dieselben  waren  auf  den  subfebrilen  Zu- 
stand ohne  Einfluss.  —  Die  Ursache  der  Erkrankung  wurde  nun  gegen 
£nde  Februar  in  den  Arsengehalt  der  .Tapete  (grüne  Blätter  auf  mehr 
braunem  Grunde)  gefunden.  —  Bis  in  den  Mai  blieb  Pat.  an  das  Haus 
gefesselt,  und  obgleich  er  das  ominöse  Zimmer  selbstverständlich  verlassen 
hatte,  dauerten  die  Vergiftungserscheinuugen  zunächst  noch  an.  Das  Erste, 
das  sich  besserte,  war  der  Appetit ,  auch  die  Athembeklemmung  und  das 
Halsweh  schwanden,  doch  war  Ende  Mai  der  subfebrile  Zustand  verbunden 
mit  einem  starken  GefOhl  von  Abgeschlagenheit  und  Mattigkeit  noch  vor- 
handen. Gegen  Ende  Mai  der  letzte  Abscess.  Im  Juni  und  Juli  eine 
KnoiTsskur,  während  welcher  die  abnormen  Temperaturen  schwanden  und 
die  Kräfte  sich  hoben,  doch  war  die  volle  frühere  Gesundheit  bis  Beginn 
des  Winters  1877  noch  nicht  da. 


.  Nachdem  ich  somit  das  Vorkommen  subfebriler  Zustände  von 
erheblicher  Dauer  in  den  eingangs  aufgezählten  Krankheiten  und 
Krankheitscategorien  dargelegt  habe,  gehe  ich  nun  zu  den  allge- 


232  X.  KsBNia 

meinen  Sätzen  überi  welche  sich  etwa  aus  den  Yorliegenden  Be- 
obachtungen ziehen  lassen. 

Es  ist  selbstverständlich  nicht  möglich  und  ganz  ungerechtfer- 
tigt, das  Vorkommen  lange  andauernder  subfebriler  Temperaturen  in 
all  den  aufgezählten  Fällen  auf  eine  und  dieselbe  Ursache  zurück- 
führen  zu  wollen« 

In  dem  Fall  32  (Abdominaltyphns)  und  in  dem  bei  demselben 
erwähnten  Fall  von  3  wöchentlichem  Abdominaltyphus  (ebenso  viel- 
leicht in  Fall  28),  ist  der  subfebrile  Temperaturverlauf  bei  den  sonst 
gesunden  Individuen  wohl  ziemlich  sicher  auf  die  Art  und  aut  die 
Intensität  der  Infection  zurückzuführen.  Ob  eine  geringe  indivi- 
duelle Disposition  für  das  specifische  Gift  mit  im  Spiele  ist,  mag 
dahingestellt  bleiben.  —  Dass  das  Fieber  bei  Eintritt  der  syphiliti- 
schen Allgemeinerscheinungen  ebenfalls  als  infectiöses  aufzufassen 
ist,  ist  selbstverständlich. 

Bei  einer  langen  Reihe  von  Fällen,  so  bei  den  rheumatiscben 
Affectionen,  bei  der  parenchymatösen  Nephritis,  bei,  oder  vielmehr 
pach  Parametritis,  bei  Milzinfarkten,  bei  Pleuritis,  bei  dem  Fall  von 
schwerer  Bronchitis  handelt  es  sich  offenbar  um  locale,  mehr  oder 
weniger  protrahirt  verlaufende  entzündlicheVorgänge,  welche 
den  subfebrilen  Zustand  unterhalten.  Ebenso  wohl  auch  bei  dem 
subfebrilen  Zustande  nach  Masern  (Lungen,  Bronchialdrüsen). 

Als  wesentlich  ebenfalls  auf  entzündlichen  Vorgängen  beruhend 
ist  das  Fieber  bei  den  zur  Pbthisis  führenden  Lungeninfiltraten  auf- 
zufassen. Wenn  auch  ein  constitutionelles  Moment  hier  mitwirken 
mag  (siehe  unten),  so  ist  doch  der  Zusammenhang  zwischen  den  ent- 
zündlichen Processen  im  Lungenparenchym  und  dem  subfebrilen  resp. 
febrilen  Zustande  ein  zweifelloser.  DieserZusammenhang  ist  so  evi- 
dent, dass  er  mich  zwingt,  auch  für  unsere  sechs  ersten  Fälle,  in 
denen  die  subfebrilen  Zustände  allen  überhaupt  wahrnehmbaren 
Zeichen  einer  Lungenaffection,  zum  Theil  selbst  dem  Husten,  voran- 
gingen, anzunehmen,  dass  die  localen  Processe  in  den  Lungen  doch 
gleichzeitig  mit  dem  Fieber  begonnen,  dieses  bewirkt  haben,  freilich 
eben  noch  nicht  nachweisbare  Localsymptome  machten.  Als  ein 
Grund  mehr  hierfür  kann  angeführt  werden,  dass  in  mehreren  von 
den  sechs  Fällen  (in  Nr.  3,  4,  5,  6)  zu  der  Zeit,  wo  es  zum  ersten 
Mal  gelang  ein  Lungeninfiltrat  zu  finden,  sich  zunächst  Nichts  an 
dem  (subfebrilen)  Charakter  des  Fiebers  änderte.  Erst  mit  fort- 
schreitender Infiltration  wurde  das  Fieber  erheblicher  und  auch  nicht 
immer. 

In  der  Mehrzahl  der  anderen  oben  angeführten  Fälle  haben  aber 


Sabfebrile  Zust&nde.  233 

die  andauernden  aabfebrilen  Zustände  mehr  oder  weniger  klar,  ausser 
etwaigen  localen,  chronisch  entzündlichen  Vorgingen  (Lymphdrüsen), 
soch  eine  anomale  Constitution  sur  Begründung. 

Am  klarsten  und  am  meisten  in  die  Augen  springend  ist  dieses 
hinsichtlich  der  Serophnlösen  der  Fall.  Wir  haben  gesehen,  dass 
selten  einfache  katarrhalische  Anginen,  leichteste  Fälle  Ton  abdomi- 
saltyphöser  Infection,  katarrhalischer  Icterus,  Phlegmone  subfebrile 
Zostände  bei  ihnen  hervorrufen,  welche  mehr  oder  weniger  lange 
fortdauern  können,  auch  wenn  die  veranlassende  Krankheit  als  ab- 
gelaufen zu  betrachten  ist.  Ob  dieses  auf  dem  Wege  geschieht,  dass 
eine  mehr  chronische  Entzündung  d^  entsprechenden  Lymphdrü- 
sen durch  die  Angina,  den  leichten  Abdominaltyphus  etc.  veranlasst 
wird,  und  dass  diese  supponirte  Lymphadenitis  (interna)  dann  die 
eigentliche  Ursache  des  subfebrilen  Zustandes  darstellt,  ist  fraglich, 
jedoch  nicht  ganz  unwahrscheinlich;  wenigstens  zeigen  die  Fälle 
mit  äusseren  Lymphadeniten  und  diejenigen,  bei  welchen  aus  anderen 
Gründen  eine  Affection  innerer  Lymphdrüsen  sehr  wahrscheinlich  ist 
(Fall  25  und  26),  dass  eine  derartige  Begründung  der  häufigen  sub- 
febrilen Zustände  bei  Scrophulösen  sehr  wohl  möglich  ist  —  Aber 
wie  man  sich  auch  die  Entstehung  denken  mag,  das  Factum, 
dasB  Scrophulöse  verhAltnissmässig  oft  und  leicht  an- 
dauernde BubfebrilelZustände  aufweisen,  bleibt  in  die 
Augen  fallend  und  kann  unter  Umständen  ebenso  gut 
aUCharakteristicum  der  scrophulösen  Constitution  be- 
nutzt werden,  wie  der  Habitus,  wie  die  bekannten  Entzündungen 
der  Haut,  der  Schleimhäute,  der  Augen  und  Ohren,  der  Gelenke  und 
Knochen. 

Ich  habe  schon  oben  erwähnt,  dass  auch  bei  dem  Fieber,  wel- 
ches mit  den  zur  Lungenphthisis  führenden  Processen  verbunden  ist, 
ebenfalls  ein  constitutionelles  Moment  zur  Begründung  desselben, 
aoaser  den  loealen  Processen  selbst,  herangezogen  werden  kann. 
Wenigstens  ist  bekannt,  dass  die  mehr  oder  weniger  chronischen 
Langenkranken  verhältnissmässig  leicht  auf  geringfügige  Ursachen 
hin,  ebenso  wie  die  Scrophulösen  fiebern,  und  dass  andererseits  für 
die  grosse  Mehrzahl  der  zur  Phthisis  führenden  Proce&se  eine  ano- 
male Constitution  als  zu  Grunde  liegend  angenommen  werden  muss  ^). 

1)  V.  Bnhl  macht  in  seinem  Bache:  LungenentzQndung,  Tuberkulose  und 
Schwindsucht.  München  1873,  eine  anomale  Constitution  für  die  reine  desquama- 
tive und  die  k&aige  resp.  tuberculose  Pneumonie  geradezu  zur  Yoraussetzung  und 
definirt  dieselbe  iS.  139)  als  „die  Neigung  der  organisatorischen  Th&tigkeiten  eines 
Individuums,  auf  geringe  Reize  durch  ungewöhnlich  zellenreiche  Exsudate  zu  ant- 


234  X.  Kernig 

Ausserdem  ist  unter  Umst&nden  bei  den  Phthisischen  ein  gewisses 
Missverhältniss  zwischen  dem  Fieber  und  den  localen  Erscheinungen 
nicht  zu  verkennen;  ich  yerweise  hier  auf  unsem  Fall  6,  der  den 
übrigen  Symptomen  nach  als  abgelaufen  betrachtet  werden  kann  und 
dennoch  bis  jetzt  abnorme  Temperaturen  aufweist 

Hinsichtlich  der  Constitution  der  Patienten  in  unseren  oben  an- 
geführten 12  Fällen  Yon  Lungeninfiltraten,  die  den  in  Rede  stehen- 
den Verlauf  nahmen,  bemerke  ich,  dass  sich  7  Fälle  bei  schon 
anderweitig  als  scrophulös  gekennzeichneten  Individuen  (Fall  5,  6, 
7,  8,  10,  11,  12)  finden.  Unter  den  5  anderen  finden  sich  bei  2 
(Fall  1  und  3)  noch  vor  der  Lungenerkrankung  jene  (ominösen)  bei 
den  Scrophulösen  hinreichend  geschilderten  Anginen  mit  verhältniss- 
massig  lange  andauernden  subfebrilen  Temperaturen  —  nach  meinen 
hier  dargelegten  Erfahrungen  fast  schon  ein  genügendes  Zeugnias, 
dass  auch  bei  ihnen  die  Constitution  keine  gesunde  (auch  Scrophu- 
lose?)  war.  Fall  1  betraf  ausserdem  ein  von  vornherein  sehr  schwäch- 
liches, anämisches  zartes  Kind.  Nur  bei  3  (Fall  2,  4,  9)  ist  ein 
constitutionelles  Leiden  von  der  uns  hier  interessirenden  Art  im  Eran- 
kenjoumal  nicht  nachzuweisen  (bei  4  leichter  Scorbut  vor  der  Lnn- 
generkrankung). 

Wenn  ich  nun  auch,  wie  oben  ausgeführt,  annehmen  muss,  dass 
bei  den  zur  Phthisis  führenden  Lungenproc€M9sen  die  subfebrilen  (resp. 
febrilen)  Zustände  durch  die  localen  Processe  hervorgerufen  und  unter- 
halten werden,  so  ist  doch  die  Mitwirkung  des  constitutionellen  Mo- 
mentes insofern  nicht  ausgeschlossen,  als  in  Folge  desselben  die  be- 
treffenden Patienten  eben  schon  leichter ,  andauernder  und  auf  ge- 
ringere Ursachen  hin  fiebern  als  Gesunde.  Ein  Katarrh,  eine  leichte 
Angina,  die  beim  Gesunden  noch  fieberlos  verläuft,  wird  beim  Phtbi- 
siker,  resp.  zur  Phthisis  Disponirten  sich  mit  Fieber  verbinden. 

Für  die  Fälle  von  andauernden  subfebrilen  Temperaturen  bei 
Scorbut,  perniciöser  Anämie,  Leukämie  ist  die  constitutionelle  Be- 
gründung wohl  ebenfalls  anzunehmen,  wenn  auch  mit  dem  Zwischen- 
gliede  chronisch- entzündlicher  Localaffectionen  (Scorbut),  oder  inso- 
fern infectiöse  Processe  als  Zerfallsproducte  im  Körper  entstehen, 
die  normaler  Weise  in  ihm  nicht  gebildet  werden  (pemiciöse  Anämie, 
Leukämie)  0- 


Worten''.  —  Rindfleisch  identificirt  die  in  Frage  stehende  Constitution  mit  der 
scrophulösen. 

1 )  Man  vergleiche  die  interessanten  Auseinandersetzungen  Immermann *8  über 
Entstehung  des  Fiebers  bei  progressiver  perniciöser  An&mie,  bei  Leuk&mie  und 
Fseudoleuk&mie  in  v.  Ziemssen's  Handbuch.  Bd.XIIL  l.  S.  639  ff. 


Sabfebrile  Zost&nde.  235 

Nicht  zu  bezweifeln  soheint .  mir  femer  die  constitationelle  Be- 
grflndang  der  subfebrilen  Znatände  in  einigen  der  obigen  Fälle  (IS, 
30,  31),  welche  ich  zwar  nicht  unter  die  bekannten  Kategorien  ein- 
reihen konnte,  aber  doch  den  Scrophulösen  und  Phthisischen  zunächst 
stellen  musste.  lieber  den  Fall  13  habe  ich  mich  schon  in  der  da- 
selbst beigefügten  epikritischen  Bemerkung  ausgesprochen  und  kann 
hier  nur  wiederholen,  dass  das  auffallende  Factum  eines  ^A  jährigen 
Bestehens  von  subfebrilen  Temperaturen,  wenn  auch  mit  Unter- 
brechungen, und  wenn  auch  successiye  aus  yerschiedenen  Veranlas- 
sungen, wohl  nur  durch  constitutionelle  Disposition  erklärt  werden 
kann.  —  Fall  30  betrifft  ein  äusserst  elendes,  mageres,  anämisches 
Individuum,  welches  auch  bei  guter  Pflege  alle  die  Jahre  hindurch, 
wo  ich  es  sah,  kein  besseres  Aussehen  gewann;  dasselbe  war,  wenn 
auch  nicht  deutlich  scrophulös,  so  doch  offenbar  nicht  von  normaler 
Constitution.  Der  lange  andauernde  subfebrile  Zustand  trat  ganz 
ohne  sichtbare  Veranlassung  ein.  —  Fall  31  endlich  liess  bei  der 
ersten  Untersuchung  zwar  keine  constitutionelle  Anomalie  bemerken, 
aber  ein  Jahr  später  hat  der  Patient  nach  Ablauf  eines  infectiösen 
Hagenkatarrhs  wiederholt  subfebrile  Temperaturen  ohne  sonstige 
Ursache,  und  die  Pneumonie,  die  ein  halb  Jahr  später  eintritt,  nimmt 
einen  auffallend  schlimmen  Verlauf  (complicirt  sich  mit  einem  Peri- 
cardialexsudat  und  einer  Parotitis). 

Es  bleiben  somit  von  den  bei  den  Scrophulösen  anhangsweise 
mitgetheilten  Krankengeschichten  nur  die  Fälle  27,  28  und  29,  fttr 
welche  ich  ein  Merkmal  constitutioneller  Disposition  nicht  anführen 
kann,  wenn  eben  die  subfebrilen  Zustände  selbst  nicht  als  ein  sol- 
ches genommen  werden  sollen.  Die  Fälle  betrafen  resp.  eine  Angina, 
einen  Abdominaltyphus  und  einen  simpeln  Magenkatarrh;  in  diesem 
letzten  Falle  (29)  constatirte  ich  Übrigens  doch  nachträglich  ein  Drfl- 
senpaquet  in  der  rechten  Achselhöhle.  Das  Auftreten  und  der  Ver- 
lauf der  subfebrilen  Temperaturen  zeigte  in  diesen  Fällen  eine  ent- 
schiedene Analogie  mit  demjenigen  bei  Scrophulösen;  auch  ist  sehr 
wohl  möglich,  dass  die  Scrophulose  bei  ihnen  ttbersehen,  nicht  notirt 
worden  ist. 

Ganz  eigenartig  ist  die  ätiologische  Begründung,  welche  Uf fei- 
mann seinem  Fall  von  anhaltendem,  leichtem  Fieber  bei  dem  gastro- 
tomirten  Knaben  gegeben  hat.  Obgleich  ich  dieselbe  durchaus  nicht 
znrflckweisen  will,  so  lässt  sich  doch  die  Frage  aufwerfen,  ob  nicht 
immerhin  eine  hier  sehr  wohl  begreifliche  „  constitutionelle  Schwäche  ^ 
begründet  in  der  vorangegangenen  Inanition,  bei  dem  Zustandekom- 
men der  ganzen  Erscheinung  mitgewirkt  hat    Auch  die  subfebrilen 


236  X.  KsBNia 

Temperaturen  bei  Magencarcinom  und  bei  dem  Fall  von  chronischer 
Aroenikvergiftung  mögen  zum  Tbeil  ihre  Ursache  in  der  Zerrflttung 
oder  Schwächung  der  Constitution^  welcher  die  betreffenden  Patienten 
unterliegen,  ihre  Ursache  haben,  zum  andern  Theil  mögen  auch  hier 
abnorme  ins  Blut  aufgenommene  Zorsetzungsprodncte  mitwirken. 

Nach  diesen  Erörterungen  über  die  ätiologische  Begründung  der 
in  Bede  stehenden  Zustände  und  nach  der  ausführlichen  Darlegung 
der  oben  mitgetheilten  Beobachtungen  glaube  ich  den  Satz  aufstellen 
zu  dürfen,  dass  das  Auftreten  subfebriler  Temperaturen 
für  längere  Zeit  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  als  mitbe- 
gründet in  der  Constitution  des  betreffenden  Indivi- 
duums anzusehen  ist,  dass  ausdemselben  invieleuFäl- 
len  ein  Bttckschluss  auf  eine  nicht  normale  Constitution 
gestattet  ist.  Diese  Constitution  ist  vorzugsweise  die  scrophulose 
und  die  phthisische. 

Wer  den  obigen  Krankengeschichten  einige  Aufmerksamkeit  ge- 
schenkt hat,  wird  es  begreiflich  finden,  dass  derartige  Fälle  recht 
häufig  dem  Arzte  bedeutende  diagnostische  Schwierigkeiten 
machen  können.  Man  sieht  sich  wochenlang  dem  Patienten  gegen- 
über in  der  Lage,  nicht  zu  wissen,  worauf  die  offenbar  vorliegenden 
krankhaften  Erscheinungen,  das  leichte  Febricitiren,  das  Gefühl  des 
Unwohlseins,  die  Schwäche  oder  leichte  Abmagerung  zu  beziehen 
sind,  ob  nicM  gai*  jene  fatalen  Lungenerkrankungen  im  Anzüge  sind. 
Diesen  Schwierigkeiten  gegenüber  habe  ich  selbstverständlich  nnr 
den  einen  Bath,  immer  und  immer  wieder  möglichst  allseitig  den 
Kranken  zu  untersuchen  und  die  ätiologischen  Beziehungen  zu  er- 
wägen. 

Mit  am  wenigsten  Schwierigkeiten  machen  noch  die  infeetiösen 
Fälle  (leichteste  Abdominaltyphen),  da  bei  diesen  im  Laufe  von  Tagen 
die  gastrischen  Erscheinungen  und  die  Milzschwellung  sich  unTer- 
kennbar  manifestiren,  auch  in  vielen  Fällen  die  vereinzelten  Boseolae 
nicht  ausbleiben. 

Leicht  auch  ist  die  Diagnose,  wo  der  entzündliche  Herd  schon 
manifest  ist,  so  bei  Lungenerkrankungen,  die  physikalisch  nachweis- 
bar sind,  bei  rheumatischen  Affectionen,  bei  Parametritis  in  späteren 
Stadien,  bei  Entzündung  äusserlich  fühlbarer  Lymphdrüsen.  Beim 
Suchen  nach  entzündlichen  Herden  sind  auch  Milz  und  Nieren  zn 
berücksichtigen.  Hinsichtlich  der  Milz  haben  wir  in  der  Anamnese, 
in  dem  Factum,  dass  eine  schwere  acute  Krankheit  (Typhus,  Febris 
recurrens)  vorangegangen  ist,  eine  diagnostische  Handhabe,  hinsiebt- 


Sabfebrile  Zust&nde.  237 

lieb  der  Nieren  in  dev  HamanterBachung«  Uebrigens  ist  hinsichtlich 
interner  EiterungsprocesBe  2U  bemerken,  dass  sie  daroheehnittlich 
höhere  Temperaturen  als  blos  subfebrile,  namentlich  erheblichere 
Exacerbationen  machen. 

Die  Diagnose  der  aufgezählten  Constitutionsanomalien,  der  Sero- 
phalose,  der  Syphilis,  des  Scorbut,  der  pernieidsen  Anämie,  der  Leuk- 
ämie, ist  im  Allgemeinen  keine  schwierige  und  geschieht  nach  den 
bekannten  Regeln.  Nur  fflr  die  phthisische  Constitution,  wenn  man 
diese  von  der  scrophulosen  trennt,  ist  sie  schwieriger,  hier  fällt  unter 
Umständen  die  Heredität  schwer  ins  Gewicht. 

Aber  wenn  bei  einem  andauernd  subfebrilen  Individuum  die 
Diagnose  der  Constitutionsanomalie  gestellt  ist,  dann  bleibt  die  eigent- 
lich schwierige  Frage :  warum  fiebert  dasselbe?  welche  specielle  Ur- 
sache ffir  das  Fieber  liegt  bei  demselben  vor?  noch  zu  beantworten. 
Der  Scrophulöse,  der  zur  Phthisis  Disponirte,  der  Scorbutische  oder 
Syphilitische  fiebert  an  sich  ja  nicht,  das  Fieber  hat  immer  noch 
eine  besondere  Veranlassung.  Wenn  wir  hier  zunächst  nur  die  Scro- 
phulosen und  die  einer  Disposition  zu  Lungenerkrankungen  irgendwie 
Verdächtigen  ins  Auge  fassen,  so  ist  klar,  dass  hier  für  die  Diagnose 
and  Prognose  subfebriler  Zustände  der  Kernpunkt  liegt.  Denn  in 
der  Praxis  bilden  diese  Fälle  das  häufige  und  fast  alltägliche  Vor- 
kommniss,  während  alle  ttbrigen  Fälle  subfebriler  Zustände  doch 
rarae  ares  sind. 

Können  wir  bei  Scrophulosen,  oder  bei  einer  phthisischen  Con- 
stitution Verdächtigen  eine  vorausgegangene  veranlassende  an  sich 
leiehte  Krankheit  fttr  die  subfebrilen  Temperaturen  nachweisen,  wie 
etwa  eine  Angina,  Binen  leichten  Abdominaltyphus,  Masern,  oder 
können  wir  bei  ihnen  Grund  haben,  eine  Entzündung  äusserer  oder 
innerer  Lymphdrflsen  anzunehmen,  so  mag  sich  die  Diagnose  nach 
BerQcksichtigung  der  Lungen  damit  begnügen.  Fehlt  aber  bd  der* 
artig  disponirten  Individuen  eine  veranlassende  anderweitige  Krank- 
heit, so  ist  beim  Eintritt  subfebriler  Zustände  mit  um  so  grösserer 
Aufmerksamkeit  der  Zustand  der  Lungen  ins  Auge  zu  fassen.  Frei- 
lich können  hier  Wochen  vergehen,  ehe  man  zu  einer  sichern  Dia- 
gnose kommt 

Dass  man  im  Allgemeinen  bei  der  diagnostischen  Beurtheilung 
sobfebriler  Zustände  ein  ausschliessendes  Verfahren  wird  einzuhalten 
haben,  d.  h.  Organ  fbr  Oigan  und  eine  Möglichkeit  nach  der  andern 
^rd  durchgehen  mfissen,  ehe  man  zu  einer  bestimmten  Diagnose 
gelangt,  versteht  sich  nach  dem  Obigen  leicht.  (Geduld  freilich  ist 
nöthig  —  erst  die  Zeit  bringt  unter  Umständen  Aufklärung.  —  Wie 


238  X.  Kbrnio 

eindringlich  auch  unsere  Fälle  einem  systematischen  Gebrauch  des 
Thermometers  zu  diagnostischen  Zwecken  das  Wort  reden  i  scheint 
.  fast  überflüssig  zu  bemerken.  Fttr  alle  die  Fälle  namentlich,  welche 
Verdacht  hinsichtlich  der  Lungen  erwecken,  ist  ein  regelmässiges 
Thermometriren  unbedingt  nöthig;  es  gehört  mit  zu  den  ersten  Er- 
kennungsmitteln beginnender  Phthisis  und  ist  reichlich  ebenbürtig 
allen  den  anderen  bekannten  physikalisch-diagnostischen  Methoden. 

Au(jh  in  prognostischer  Beziehung  sind  die  Fälle  von 
andauernden  subfebrilei^  Temperaturen  nicht  gleichwerthig.  Wenn 
ihnen,  ganz  im  Allgemeinen  gesprochen,  immer  etwas  Ominöses,  Un- 
behagliches für  den  Praktiker  anhaftetf  so  beruht  dieses  wohl  haupt- 
sächlich darauf,  dass  er  dieselben  am  häufigsten  an  Lungenkranken 
und  an  Solchen  beobachtet,  welche  es  später  leicht  werden  (Sero- 
phulöse),  er  auch  häufig  wegen  derselben  diagnostische  Scrupel  dareb- 
zukämpfen  hat.  Uebrigens  ist  eine  derartige  Auffassung  subfebriler 
Zustände  im  Allgemeinen  nicht  unberechtigt. 

Verlaufen  anderweitig  wohl  charakterisirte  Fälle  von  Infections- 
krankheiten  (Abdominaltyphus)  unter  dem  Bilde  eines  nur  subfebrilen 
Unwohlseins,  so  wird  man  offenbar  die  Prognose  gut  stellen  dürfen; 
wenn  man  sich  auch  nicht  verleiten  lassen  wird,  die  sonst  Ablieben 
Vorsichtsmaassregeln  (Diät  etc.)  ausser  Acht  zu  lassen.  Auch  bei 
rheumatischen  Affectionen  ist,  wenn  sonst  keine  Gomplication  yor- 
handen  ist,  die  Prognose  gut  zu  stellen.  Sehr  bedenklich  ist  sie 
aber  offenbar  bei  parenchymatöser  Nephritis  und  bei  Milzinfarcten; 
hinsichtlich  der  letzteren  ist  es  ja  sogar  der  subfebrile  Zustand  allein, 
welcher  der  fortbestehenden  Milzschwellung  den  ominösen  Charakter 
gibt.  Bei  pemiciöser  Anämie  und  bei  Leukämie  sind  die  febrilen 
resp.  subfebrilen  Zustände  von  schlimmer  Bedeutung  und  können 
Ankündiger  des  nicht  sehr  fernen  Todes  sein.  Bei  Scorbut  werden 
sie  immerhin  eine  unliebsame  Beigabe  bilden.  Welche  Prognose  ibnen 
bei  Syphilis  zukommt,  geht  aus  ihrem  Eintritt  zur  Zeit  des  begin- 
nenden Allgemeinleidens  oder  in  sehr  späten  (tertiären,  Bäum  1er) 
Perioden  hervor. 

Wenn  bei  nachweisbar  Scrophulösen  subfebrile  Zustände  im  An- 
schluss  an  anderweitige  leichtere  Krankheiten  eintreten ,  so  deuten 
sie  prognostisch  schon  auf  eine  erheblichere  Schädigung  der  Consti- 
tution ,  sind  also  recht  ernst  aufzufassen ,  und  ist  die  Zukunft  des 
Individuums  im  Auge  zu  behalten.  Ist  man  bei  Scrophulösen  gd- 
nöthigt,  die  subfebrilen  ZustäQ.de  auf  Erkrankung  innerer  Lymph- 
drüsen, der  Bronchial-  und  Mesenterialdrttsen  zu  beziehen,  so  ist  die 
Prognose  noch  vorsichtiger  zu  stellen. 


Sabfebrile  Zustände.  239 

Handelt  es  sieh  um  Individuen,  die  einer  Disposition  zu  Phtkisis 
verdäehtig  sind,  seien  sie  nun  dabei  deutlich  scrophulds  oder  nicht, 
erscheinen  die  subfebrilen  Temperaturen  ohne  deutliche  Veranlassungi 
Qüd  etwa  noch  in  der  Form  des  Typus  inversus  der  Tagescurve,  so 
bat  man  dringend  den  Beginn  von  zur  Phthisis  führenden  Processen 
io  den  Lungen  zu  befttrchten.  Sind  letztere  endlich  nachweisbar,  so 
ist  ihre  Prognose  die  leider  nur  zu  bekannte.  Handelt  es  sich  um 
phthisische  Individuen,  die  schon  seit  längerer  oder  kürzerer  Zeit 
LoDgeninfiltrate  etc.  haben,  und  bei  denen  sich  Zeichen  von  Besserung 
and  eben  darum  nur  subfebrile  Zustände  einstellen,  so  rede  man 
doch  so  lange  nicht  von  Stillstand  oder  halbwegs  sicherer  Besserung, 
als  nicht  die  subfebrilen  Temperaturen  andauernd  geschwunden  sind 
and  Monate  lang  nicht  vorkommen.  —  Das  Vorkommen  von  sub- 
febrilen Zuständen  nach  acuten  Pneumonien,  zumal  wenn  diese  nicht 
ganz  entschieden  die  Merkmale  der  croupösen  an  sich  tragen,  ist 
immer  sehr  vorsichtig  aufzufassen  und  muss  ernste  Maassregeln  (event 
klimatische  Curen)  fttr  die  Zukunft  indiciren. 

In  dem  Fall  von  schwerer  acuter  Bronchitis  (Nr.  14)  hat  sich 
nachträglich  der  subfebrile  Zustand  als  irrelevant  erwiesen,  aber 
während  des  Bestehens  desselben  war  es  unmöglich,  die  Prognose 
mit  einiger  Sicherheit  zu  stellen.  Dagegen  habe  ich  in  einigen  Fällen 
Yon  ebenfalls  sehr  schwerer  diffuser  Bronchitis,  die  durch  den  fiber- 
aas heftigen  Husten  und  die  begleitenden  Schweisse  und  Verdauungs- 
at^QDgen  die  Patienten  ernst  afficirten,  die  aber  unter  meinen  Augen 
absolut  fieberlos  begannen  und  verliefen,  die  Prognose  mit  grosser 
Sicherheit  gut  gestellt  und  bin  nicht  getäuscht  worden.  Wie  pro- 
gnostisch vorsichtig,  man  bei  einer  Pleuritis  sein  muss ,  wenn  sich 
ihr  lange  anhaltende  subfebrile  Temperaturen  anschliessen ,  lehrt 
Fall  13  und  ist  ja  auch  sonst  selbstverständlich. 

Die  wenigen  Fälle  (eigentlich  nur  27  und  28),  in  denen  sub- 
febrile Temperaturen  bei  Individuen  beobachtet  wurden,  fttr  welche 
keine  Constitutionsanomalie  notirt  ist,  werden  uns  somit  nach  all 
Diesem  unsere  Meinung  kaum  ändern  lassen,  dass  allerdings  in  der 
grossen  Mehrzahl  der  Fälle  ihnen  etwas  Ominöses,  Zweideutiges  an- 
haftet, dass  sie  meist  sehr  ernst  zu  beurtheilen  sind.  —  Auch  der 
Umstand,  dass  es  in  einzelnen  Fällen  (6,  25,  Uffelmann's  Fall) 
gelangen  ist,  durch  eine  äusserst  sorgfältige  Pflege  den  Einfluss  der 
subfebrilen  Temperaturen  in  der  Weise  zu  compensiren,  dass  die 
Patienten  an  Eörperfttlle  zunehmen,  kann  uns  an  dieser  Meinung 
Bicht  irre  machen« 


240  X.  Ekrnig 

< 

Therapeutische  Bemerkungen  zu  machen,  kann  ich  mich  woU 
enthalten.  Die  therapeutischen  Maassnahmen  werden  sich  ja  ganz 
nach  den  individuellen  Verhältnissen  richten  und  sehr  häufig  darauf 
ausgehen,  die  Constitution  zu  bessern;  gute  Luft  und  gute  Nahrung 
werden  alsdann  obenan  stehen.  —  Ich  möchte  hier  nur  auf  die  Wir- 
kung des  Chinin  in  so  grossen  Dosen  (^j,  oder  1,2  bis  1,5  6rm.), 
wie  ¥rir  sie  häufig  bei  schwer  Fiebernden  anwenden,  aufmerksam 
machen.  Im  Fall  26  (Tafel  IV.  Curve  18)  sind  sie  von  dem  Vater 
des  Patienten  doch  wohl  mit  Nutzen  bezttglich  des  definitiven  Schwin- 
dens der  abnormen  Temperaturen  gebraucht  worden.  Ich  selbst  habe 
in  unseren  Fällen  5,  6  und  32  Versuche  mit  Chinin  gemacht,  doch, 
wie  man  sieht  (Curve  8  b,  Curve  1 1  b  und  Curve  19),  blieb  es  ohne 
Wirkung.  In  Oregory's  Fall  von  chronischer  Arsenikvergiftung 
war  dasselbe  der  Fall.  Auch  in  zwei  anderen  Fällen  von  subfebrilen 
Temperaturen,  die  mir  jetzt  zur  Beobachtung  stehen,  ist  das  Chinin 
in  den  obigen  Dosen  ohne  Wirkung;  der  eine  dieser  Fälle  moss  zn 
unserm  Fall  20  in  Analogie  gestellt  werden  (ist  dort  auch  erwähnt), 
der  andere  betrifft  eine  ausgesprochene  Affection  beider  Lungenspitzen. 
In  dem  letztem  Fall  schafft,  wie  gesagt,  das  Chinin  die  subfebrilen 
Temperaturen  nicht  weg,  scheint  aber  höhere  Fieberexacerbationen 
zu  verhindern.  Es  erinnert  dieses  an  das  Verhalten  der  Chininwir- 
kung bei  Gesunden,  wie  sie  von  JttrgensenO  festgestellt  worden 
ist.  Bei  Gesunden  setzt  das  Chinin  in  den  bekannten  Dosen  die 
Temperatur  nicht  herab,  bewirkt  aber,  dass  dieselbe  das  Bestreben 
zeigt,  nach  dem  Typus  der  geraden  Linie  zu  verlaufen.  Vielleicht 
liegt  in  diesem  Satze  die  Erklärung,  warum  in  der  Mehrzahl  unserer 
Chininversuche  eine  deutliche  Wirkung  nicht  eintrat;  die  subfebrilen 
Temperaturen  liegen  eben  sehr  nahe  der  Norm.  Ausserdem  mag 
der  Umstand,  dass  in  den  Fällen  5  und  6  die  abnormen  Tempera- 
turen schon  sehr  lange  andauerten,  ehe  die  Chininversuohe  gemacht 
wurden,  nicht  ohne  Bedeutung  sein. 

Jodkalium  ist  in  der  Idee,  auf  entzündliche  Proeesse  in  den 
Lymphdrüsen  einzuwirken,  in  vier  Fällen  (1,  15,  23,  26,  wo  das 
Chinin  wirksam  war)  ohne  jeden  Erfolg  auf  die  subfebrilen  Tempe- 
raturen genommen  worden,  vielleicht  nicht  mit  genflgender  Ausdauer. 
In  den  Fällen  von  syphilitischem  Fiebw,  zumal  wenn  dieses  in  den 
späteren  (tertiären)  Perioden  auftritt,  ist  es  entschieden  wirksam 
(Bäumler). 


1)  Die  Körperwärme  des  gesunden  Menschen.  S.  40. 


Sttbfebrile  Zustände.  241 

Ich  schliesse  diese  Arbeit  mit  der  Aufstellung  einiger  SAtze,  die 
sich  unmittelbar  aus  den  Beobachtungen  ergeben: 

£8  kommen  subfebrilei  über  Wochen  und  Monate,  ausnahmsweise 
noch  länger  sich  erstreckende  Zustände  vor,  die  nur  durch  lange 
fortgesetzte  thermometrische  Messungen  nachzuweisen  sind. 

Sie  deuten  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auf  eine  anomale  Con- 
stitution, auf  eine  gewisse  constitutionelle  Schwäche. 

Sie  werden  am  häufigsten  an  Scrophulösen,  an  zur  Phthisis  Dis- 
ponirten  und  an  schon  Phthisischen  beobachtet,  kommen  aber  auch 
bei  mannigfachen  anderen  Krankheiten  vor. 

Bei  Scrophulösen  und  Phthisischen  ist  ihr  Auftreten  auch  in  Folge 
anderweitiger  Krankheiten  ein  so  häufiges,  dass  sie  mit  als  Charak- 
teristicom  der  scrophulösen  und  phthisischen  Constitution  benutzt 
werden  können. 

Sie  können  bei  später  Pbthisischen  um  (2 — 5)  Wochen  jedem 
andern  auf  die  Lungen  bezüglichen  Symptom  Yorausgehen,  auch  dem 
Hasten. 

Sie  sind  häufig  in  prognostischer  Beziehung  als  ominös  zu  be- 
trachten, zumal  wenn  die  Tagescurve  den  Typus  inveraus  einhält. 

Ausnahmsweise  kann  ihr  consumirender  Einflus»  durch  gute 
Pflöge  compensirt  werden. 


DeutMhM  ArctalT  f.  kUn.  Mddioln.    XXIV.  Bd  lÖ 


XL 

Kleinere  Mittheilungen. 

1. 

£in  Fall  von  Lyssa  humana  mit  ungewöhnlich  langer 

Latenz.  0 

Von 

Prof.  Dr.  N.  Friedreich. 

Der  14  jährige  W.  L.  in  Weinheim,  ein  geistig  nnd  körperlich  völlig 
gesunder  Knabe,  wurde  am  14.  Juli  1867  von  dem  eigenen  Hunde,  einem 
kleinen  Pinscher,  in  den  Mittelfinger  der  linken  Hand  gebissen.  Das  schon 
seit  mehreren  Tagen  wuthverdächtige  Thier,  welches  dem  Thierarzte  zur 
Beobachtung  übergeben  wurde,  krepirte  am  21.  Juli.  Die  Section  ergab 
starke  Hyperämie  der  Gehirnhäute,  missfarbigen  Schleim,  sowie  allerlei  an- 
verdanlicbe  Dinge  (Stroh,  Holzstflckchen  etc.)  im  Magen,  dessen  Schleimbact. 
namentlich  im  Cardiatheil,  fleckig  geröthet  erschien.  Die  Diagnose  des 
Thierarztes  lautete  nach  dem  Resultate  der  Section,  sowie  der  Beobach- 
tung des  noch  lebenden  Thieres  entschieden  auf  Wuthkrankheit.  Die  in 
einer  kaum  blutenden  Excoriation  an  der  Dorsalseite  des  Nagelgliedes  des 
genannten  Fingers  bestehende  Verletzung  wurde  von  dem  Hausarzte  nach- 
drücklich, jedoch  erst  nach  mehreren  Stunden  mit  Höllenstein  geätzt  und 
Kupferoxydsalbe  zur  Einreibung  in  deren  Umgebung  ordinirt.  Die  kleine 
Wunde  war  nach  wenigen  Tagen  geheilt;  der  Knabe  blieb  frisch  nnd  ge- 
sund. 

Man  hatte  längst  das  frühere  Ereigniss  vergessen,  als  am  4.  Mai 
1868  Gefühle  von  Pelzigsein  nnd  „  zuckende '^  Schmerzen  im  linken  Anne 
sich  einstellten,  welche  von  dem  früher  verletzten  Finger  ausgehend  nach 
oben  bis  zur  Schulterhöhe  sich  erstreckten.  Der  im  üebrigen  sich  wohl- 
fühlende  Knabe  beachtete  diese  Symptome  Dicht,  besuchte  noch  täglich  die 
Schule  und  unternahm  noch  am  7.  Mai  mit  seinen  Commilitonen  einen 
weiteren  Spaziergang.  Aber  schon  am  folgenden  Tage,  nach  einer  nn- 
ruhigen,  durch  gesteigerte  Schmerzen  im  Arm  gestörten  Nacht,  kamen 
schlimmere  Symptome  zum  Ausbruch:  belegte  Zunge,  gallig -schleimiges 
Erbrechen,  bis  zu  den  höchsten  Graden  rasch  sich  steigernde  Angstgefühle, 
Beklemmungen,   Unruhe,   Aufregung  und  Unfthigkeit  zu  schlucken.    Die 


n  Mitgeiheilt  in  der  Versammlung  süddeutscher  Neurologen  und  Irrenftnte 
in  Heidelberg  am  17.  Mai  tS79. 


XI.  Kleinere  MittheDungen.  243 

folgende  Nacht  wiedernm  sehr  nnrnhig  und  schlaflos;  doch  waren  die 
Schmerzen  im  Arne  seit  dem  Eintritt  der  Wuthsymptome  verschwanden. 
im  9.  Mai  traf  der  behandelnde  Arzt  bei  der  Morgenvisite  den  Kranken 
mit  scheuen,  verstörten  Gesichtszflgen ,  höchster  Präcordialangst,  heftigen 
Scblnndkr&mpfen  und  grösstem  Abscheu  vor  Getränken.  Eine  subcutane 
Morpbinminjection  brachte  nur  vorübergehende  Erleichterung,  so  dass  die- 
gelbe  gegen  Mittag  wiederholt  wurde.  Als  ich  am  Nachmittage  desselben 
Tages  zur  ConsuUation  beigezogen  wurde,  fand  ich  den  Knaben  in  der 
grössten  Aufregung  und  Unruhe;  sehr  freqnente  Respiration  mit  Gefühlen 
der  qualvollsten  präcordialen  Angst  und  Beklemmung,  momentan  nachlas- 
BCDd,  dann  wieder  mit  erneuter  Heftigkeit  exacerbirend.  Jeder  Schluck- 
TersDch  ist  begleitet  von  der  heftigsten  Erregung;  der  Knabe  stösst  das 
Dargebotene  mit  hastigen  Bewegungen  von  sich,  bittet,  man  möge  sich  ihm 
nicht  nähern  und  durch  Zureden  ihn  nicht  quälen,  da  dies  seine  Aufregung 
und  Angst  vermehre,  lieber  Schmerz  beim  Schlucken  klagt  Pat.  nicht; 
er  sagt,  dass  er  selbst  den  Grund  nicht  wisse,  wesshalb  er  nicht  schlucken 
könne,  er  bringe  eben  Nichts  herunter,  am  Wenigsten  etwas  Flüssiges. 
Der  Speichel,  dessen  Secretlon  nicht  wesentlich  vermehrt  zu  sein  scheint, 
wird  mit  einem  Tuche  von  dem  Kranken  beständig  mit  grösster  Hast  aus 
dem  Munde  gewischt  aus  Angst,  ihn  schlucken  zu  müssen.  Dazwischen 
hänfiges  Würgen  und  Erbrechen  einer  geringen  Menge  schleimig-galliger 
Flüssigkeit.  In  den  Remissionen  gelingt  es  mitunter,  dem  Knaben  halb- 
feste, schleimige  Nahrungsmittel,  allerdings  nur  in  geringen  Quantitäten 
beizubringen,  während  ganz  flüssige  Dinge,  namentlich  Wasser,  auch  dann 
hastig  zurückgewiesen  werden.  Den  quälenden  Durst  sucht  Patient  durch 
Ablecken  des  in  Wasser  getauchten  Fingers  zu  mindern.  Häufig  steigert 
sieh  die  Unrphe  zu  Anfällen  wirklicher  Raserei,  in  denen  der  Kranke  tobt, 
schreit ,  um  sich  schlägt,  aus  dem  Bette  springt  und  den  Kopf  gegen  die 
Wand  stösst,  „um  dem  Leiden  ein  Ende  zu  machen **;  er  verlangt  unge- 
stüm, in  eine  Zwangsjacke  gesteckt  oder  in  eine  Irrenanstalt  gebracht  zu 
werden;  er  will,  dass  alle  Menschen  aus  dem  Zimmer  sich  entfernen,  da 
deren  Nähe,  selbst  schon  deren  Anblick  die  fürchterliche  Angst  nur  ver- 
mehre. In  den  Remissionen  gelang  es  mir,  allerdings  erst  nach  wieder- 
holten Versuchen,  durch  Einführen  eines  Spatels  einen  Einblick  in  die 
Mnndrachenböhle  und  die  Ueberzeugung  zu  gewinnen,  dass  alle  Theile 
normal  sich  verhalten.  Störungen  des  Bewusstseins ,  eigentliche  Delirien, 
Kopfschmerzen  fehlten  während  des  ganzen  Krankheitsverlaufes,  ebenso 
tetanische  Krämpfe.  Pupillen  normal.  Keine  Temperaturerhöhung,  dagegen 
sehr  beschleunigter  Puls.  Die  Organe  der  Brust-  und  Unterleibshöhle  durch- 
aus normal.  Am  Finger  ist  nur  noch  eine  undeutliche,  schmerzlose  ober- 
fiächliche  Narbe  an  Stelle  der  früheren  Verletzung  zu  erkennen. 

Nachdem  die  Anfälle  der  heftigsten  Wuth  und  Erregung  bis  10  Uhr 
Nachta  angedauert  hatten,  trat  Erschöpfung  und  längere  Ruhe  ein.  Unter 
Ausbruch  reichlichen  Schweisses  wurde  der  Puls  kleiner  und  noch  freqnen- 
ter,  und  nach  einem  nochmaligen  heftigen  Anfall  von  Würgen  und  Erbrechen 
erfolgte  bereits  um  1  Uhr  Nachts  die  Letalität.  Die  Narbe  hatte  nach  dem 
Tode  eine  etwas  livide  Farbe  angenommen.  Die  Section  der  Leiche,  welche 
auffallend  rasche  Fäulnisserscheinungen  zeigte,  konnte  nicht  vorgenommen 
werden. 

16* 


244  XI.  {[leittere  MittheUungen. 

In  diesem  ätiologisch  und  diagnostisch  durchaus  sichergestellten  Falle 
von  Lyssa  humana  ist  zunächst  die  lange,  auf  fast  zehn  Monate  sich  er- 
streckende Dauer  der  Latenzperiode  bemerkenswerth.  Da  in  dem  Knaben 
die  Erinnerung  an  den  früheren  Biss  längst  geschwunden  war,  und  man 
Alles  vermied,  was  dieselbe  hätte  zurückrufen  und  somit  den  Gedanken  an 
die  wahre  Ursache  der  Erkrankung  hätte  wecken  könneui  so  durfte  wohl 
jeder  psychische  Einfluss  auf  die  Entstehung  der  Krankheitserscheinungen 
mit  aller  Bestimmtheit  ausgeschlossen  werden,  und  es  widerlegt  somit  unser 
Fall  die  von  manchen  Autoren  ausgesprochene  Meinung,  wenn  solche  Über- 
haupt heut  zu  Tage  noch  einer  Widerlegung  bedttrfte,  dass  es  sich  bei 
der  Wuthkrankheit  des  Menschen  nicht  um  die  Wirkung  eines  specifischen 
Giftes  handle ,  sondern  lediglich  um  eine  durch  Angst  und  Aufregung  in 
der  Erwartung  des  furchtbaren  Uebels  hervorgerufene  Neurose. 

Allerdings  liegt  etwas  Widerstrebendes  in  der  Annahme,  dass  ein  Gift 
während  der  langen  Dauer  von  10  Monaten  durchaus  unschädlich  mit  dem 
Blute  circulirt  haben  sollte,   um  erst  nach  dieser  Zeit  mit  einem  Schlage 
die  acutesten  und  rasch  zum  Tode  führenden  Krankheitssymptome  her- 
vorzurufen.    Aber    die  Sache    wird    dem   Verständnisse    näher  gebracht, 
wenn  wir   an  der  von  verschiedenen   Autoren   vertheidigten  Ansicht  fest- 
halten, nach  welcher  das  Wuthgift,  dessen  Träger  wir  uns  doch  nur  als 
ein  Gontagium  vivum  in  Form  niederster,  lange  Zeit  hindurch  dnes  latenten 
Lebens,  einer  Vita  minima  fähiger  Organismen  denken  können,  in  dem  Ge- 
webe der  Narbe  und  deren  Umgebung  oder  in  den  nächsten  Lymphdrüsen 
deponirt  bleiben  kann,  um  erst  nach  unbestimmter  Zeit  unter  dem  Einfluss 
begünstigender  Momente  flott  zu  werden  und  in  den  Kreislauf  zu  gelangen, 
oder  auch  um  vielleicht  für  das  ganze  Leben  des  Verletzten  in  jener  un- 
schädlichen Ruhe  zu  verharren.    Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  and  An- 
gesichts der  in  dem  mitgetheiiten  Falle  sicher  gestellten  Latenzperiode  von 
10  Monaten  scheint  es  mir  ungerechtfertigt  und  willkürlich,   wenn  einige 
Schriftsteller  über  Lyssa  Fälle,  in  denen  die  Latenzperiode  über  die  Dauer 
eines  oder  mehrerer  Jahre  hinaus  sich  erstreckt  haben  sollte,   bezweifeln 
and  in  das  Bereich  der  Fabeln  zu  verweisen  geneigt  sind.  ^)     I>eDn   wean 
ein  Gift  nachweislich    10  Monate  hindurch  unschädlich  irgendwo   in  den 
Geweben  zu  lagern  im  Stande  ist,   so   ist  nicht  einzusehen,  wamm  dies 
nicht  auch   während   eines  oder  mehrerer  Jahre  und  während  dner  noch 
längeren,  lieliebigen  Zeitdauer  möglich  sein  sollte.    Bezüglich  meines  Falles 
dürfte  der  Umstand  besonders  hervorgehoben  zu  werden  verdieoeo,  dass 
der  Knabe  das  Violinspielen,   welches  seit  dem  Bisse  nnterlasaen  worden 
war,  erst  wenige  Tage  vor  dem  Aaftreten  der  ersten  Knnkhätssymptoine 
wieder  b^onnen  hatte,  und  es  drängt  sieh  die  Annahme  aof,  daas  durch 
die  damit  verbundenen  Bewegungen  der  Finger  der  verletzten  Hnnd  eise 
lebhaftere  Saftströmung  im  Arme  angeregt,  und  dadurch  das  in  der  Narbe 
oder  deren  Umgebung,  oder  in  den  nächsten  Lymphdrflseo  deponirte  Gift 
fortbewegt  and  dem  allgemeinen  Krdslanfe  zngefUhrt  wurde. 

Letsteror  Vorstellung  gemäss   ?rird  man  bei  der  Lyssa  homana  des 


\)  Yen^.  Tire  ho  w,  Zoonosen.  Dessen  Handbach  der  spec.PathoL  o-Ther. 
Bd.IL  LAbCh.  Erlai^en  1S55.  S.366.~  Bollinger  mZiemsseB^IiamflNicb  da 
spec  Path.  u.  Ther.  Bd.IIL  2.AnfL  tS76.  S.601. 


XI.  Kleinere  Mitthdlongen.  245^ 

iirigcheo  dem  Bisse  and  dem  Eintritt  der  Krankheitserscheinungen  gelege* 
neo  Zeitraum  aus  swei  Perioden  zusammengesetzt  sich  zu  denken  haben, 
Dlffllich  ans  einem  ersten  Zeitabschnitt,  innerhalb  dessen  das  Gift  local  in 
den  Geweben  deponirt  bleibt,  und  aus  einem  zweiten,  welcher  zwischen  dem 
Eintreten  des  Giftes  in   die  Girculation  und  dem  Erscheuien  der  ersten 
Kraokbeitssymptome  gelegen  ist.    Immerhin  aber  möchte  es  in  den  meisten 
Fällen  unmöglich  oder  mindestens  höchst  unsicher  sein,  eine  derartige  Un- 
terscheidung vorzunehmen,  und  eine  solche  wtirde  nur  dann  mit  einem  grös- 
seren oder  geringeren  Grade  von  Wahrscheinlichkeit  gelingen,  wenn  bei 
eioem  vor  kürzerer  oder  längerer  Zeit  Gebissenen  irgend  eine  auffUlige 
Ursache  (Gemfithsaffecte,  gewisse  Körperbewegungen  u.  dgl.)»  unter  deren 
Einfloss  ein  Flottwerden  des  Giftes  angenommen  werden  dQrfte,  dem  Aus* 
bmeh  der  Krankheit  vorausgehend  nachgewiesen  werden  könnte.     Wenn 
in  dem  von  mir  mitgetheilten  Falle  wirklich  die  Wiederaufnahme  des  Vio- 
Uospielens  als  eine  solche  Ursache  bezeichnet  werden  darf,  so  würde  jener 
zweite  Zeitabschnitt  nur  die  kurze  Dauer  von  wenigen  Tagen   betragen 
haben,  was   unseren  Vorstellungen   von  der  enormen  Virulenz  des  Wuth- 
giftes  entsprechend  sein  würde.    Vielleicht  dürfte  es  sich  der  Mühe  lohnen, 
die  in  der  Literatur  zerstreuten,  zahlreichen  Fälle  von  menschlicher  Lyssa 
TOD  dem   angedeuteten  Gesichtspunkte   aus  einer  Revision  zu  unterziehen. 
Terminologisch   würde  man  die  beiden  Zeitabschnitte  in  passender  Weise 
Qoterscheiden  können,  wenn  man  für  den  ersten  der  Benennung  „Latenz- 
8tadiam%  und  nur  für  den  zweiten  der  Bezeichnung  „Incubationsstadium*' 
sich  bedienen  würde.    Nur  letzteres  Stadium  würde  analog  sein  dem  Incu- 
batioDsstadium  der  meisten  acuten  Infectionskrankheiten ,  bei  welchen  das 
Eiotreten  des  Giftes  ohne  vorherigen  Aufenthalt  in  den  Geweben  direct  und 
QDmittelbar   von  den  Respirations«  oder  Digestionswegen  ans  in  die  Cir- 
calation  erfolgt. 

2. 
Bromkalinm  gegen  Hyperemesis  gravidarum.^) 

Von 

Prof.  Br.  K.  Friedreioh. 

Die  Hartnäckigkeit,  mit  welcher  oftmals  das  in  den  ersten  Anflbigen 
der  Gravidität  sich  einstellende  Erbrechen  andauert,  sowie  die  Gefahren, 
welche  dadurch  ebenso  der  Mutter,  wie  der  Frucht  mitunter  erwachsen, 
sind  Thatsachen,  welche  jedem  Praktiker  zur  Genfige  bekannt  sind.  Bei 
der  UnZuverlässigkeit  der  gegen  das  genannte  Leiden  bisher  uns  zu  Ge- 
bote stehenden  Mittel  glaube  ich  die  Veröffentlichung  einiger  Erfahrungen 
sieht  unterlassen  zu  sollen,  welche  ich  bezüglich  der  Wirksamkeit  des 
Bromkaliums  zu  machen  Gelegenheit  hatte.  Es  handelte  sich  um  vier 
Erstgeschwängerte,  bei  denen  das  Monate  hindurch  andauernde,  nach  jeder 
Nahrungsaufnahme  erfolgende  Erbrechen  einen  hohen  Grad  von  Erschöpfong 

1)  Mitgetheilt  in  der  Versammlung  aüddeutscher  Neurologen  und  Irrenärzte 
in  Heidelberg  am  17.  Mai  1879. 


246  XL  Kleinere  Mittheiltmgea. 

der  Kräfte  und  damit  einen  bedrohlichen  Znstand  herbeigeführt  hatte.  Drei 
Fälle  beziehen  sich  anf  meine  eigene  consaltative  Praxis;  der  vierte  Fall 
gehört  der  Erfahrung  eines  mir  befreundeten  CoUegen,  welcher,  in  dnem 
sehr  schweren  Falle  znr  Consoltation  beigezogen,  die  Anwendung  des  ge- 
nannten Mittels,  nachdem  ich  ihm  die  Resultate  meiner  eigenen  Erfahrung 
mitgetheilt  hatte,  veranlasste.  Schon  nach  den  ersten  Oaben  der  Brom- 
kaliumlösung (10  Grm.  auf  150  Orm.  Wasser,  3  mal  täglich  1  Esslöffel) 
cessirte  dauernd  das  Erbrechen,  nachdem  die  verschiedensten  Mittel  ohne 
jeden  Erfolg  vorher  angewendet  worden  waren,  und  die  Schwangeren  er- 
holten sich  von  diesem  Momente  an  rasch  und  vollständig.  Bei  dieser 
frappanten,  in  allen  Fällen  sofort  erfolgenden  günstigen  Wirksamkeit  des 
Mittels  dürfte  selbst  die  äusserste  therapeutische  Skepsis  kaum  einen  Zu- 
fall beschuldigen  können,  und  ich  möchte  behaupten,  dass  wir  im  Brom- 
kalium geradezu  ein  specifisches  Mittel  gegen  das  in  Rede  stehende  Uebel 
besitzen,  soweit  wir  überhaupt  in  der  Medicin  von  Specificis  zu  sprechen 
berechtigt  sind.  Ich  hoffe,  dass  weitere  Erfahrungen  die  Wirksamkeit  des 
Mittels  bestätigen  werden. 


3. 
Zur  localen  Behandlung  der  Rirnhautaffectionen. 

Von 

Professor  Fr.  Mosler. 

Aus  älterer  und  jüngerer  Zeit  haben  Aerzte  das  ableitende  Verfahren 
bei  Himhauterkrankungen  empfohlen.  So  sagt  Peter  Frank:  „Auch  kön- 
nen wir  die  Blasenpflaster  (bei  Himentzündung),  wenn  die  erhöhte  Empfind- 
lichkeit des  Kranken  nicht  im  Wege  steht  und  auch  das  Fieber  bereits 
gebrochen  ist,  ohne  Furcht  selbst  an  den  Kopf  appliciren. ** 

Von  Schülern  des  Geh.-Rath  Bern  dt,  der  bekanntlich  früher  in 
Greifswald  Kliniker  war  und  den  Ruf  eines  ausgezeichneten  Praktikers  sieb 
erworben  hat,  wurde  mir  mitgetheilt,  dass  derselbe  bei  Hirnhautent- 
zündungen mit  Vorliebe  Ableitungen  auf  die  äussere  Haut  des  Kopfes 
angeordnet  und  gute  Erfolge  dabei  erzielt  habe. 

Dadurch  angeregt  habe  ich  seit  einer  Reihe  von  Jahren  das  ablei- 
tende Verfahren  bei  Erkrankungen  der  Gehirnhäute  in  Anwendung 
gezogen  und  auch  in  schwereren  Fällen  davon  Erfolg  beobachtet.  Einen 
der  eklatantesten  Erfolge,  bei  meningitischen  Symptomen  im  Ver- 
laufe des  acuten  Gelenkrheumatismus  erzielt,  habe  ich  in  Nr.  23 
und  24.  1878  der  „Deutschen  MMicinischen  Wochenschrift*'  mitgetheilt. 
Er  verdient  um  so  mehr  Beachtung,  weil  eine  ausgedehnte  Anwendung 
der  Ableitungsmittel  in  Form  eines  grossen  über  die  abgeschorene  Kopfhaut 
applicirten  Blasenpflasters  nebst  zwei  zur  gleichen  Zeit  hinter  beiden  Ohren 
zur  Anwendung  gekommenen  Vesicantien  einen  auffallend  raschen  Erfolg 
erzielt  hat,  nachdem  viele  andere  Mittel  vergebens  versucht  worden  waren. 

Inzwischen  habe  ich  dieselbe  Methode  bei  verschiedenen  Fällen  von 
Hirnhautaffectionen  acuter  und  chronischer  Art  mit  dem  gleichen  Erfolge 
erprobt.     Um  die  Aufmerksamkeit  von  Neuem  auf  diesen  Gegenstand  su 


XL  Kleinere  Mittheilongen.  247 

lenken,  will  ich   in  Kürze  über  einen  derartig  behimdelten  Kranken  hier 
berichten. 

Johann  Klenz,  ein  54  Jahre  alter  Arbeiter  aas  Alt-Ungnade,  wurde 
am  5.  Februar  1879  in  meine  Klinik  aufgenommen.  £r  stammt  aus  ge- 
sander Familie,  hat  die  gewöhnlichen  Kinderkrankheiten,  im  späteren  Alter 
2veimal  die  Lungenentzündung  überstanden,  Nachkrankheiten  wurden  da- 
nach nicht  beobachtet.  Ohne  besondere  Ursache,  vielleicht  nach  intensiver 
Erkaltung,  begann  sein  jetziges  Leiden  zu  Weihnachten  1878  mit  heftigen 
Stimschmerzen  und  SchwindelanfWen,  so  dass  er  vielfach  wie  ein  Betrun- 
kener taumelte.  Der  Kopfschmerz  wurde  constant,  so  dass  er  unfiihig  zu 
arbeiten  war.  Verschiedene  Mittel  blieben  erfolglos,  weswegen  er  Hülfe 
in  der  hiesigen  Klinik  suchte.  Patient  von  kraftiger  Statur,  gut  entwickelter 
MuBCulatur,  zeigt  bei  der  physikalischen  Untersuchung  keine  aijffallende 
Anonudie,  insbesondere  sind  Herz  und  Lungen  normal,  Leber  und  Milz  ' 
Dicht  vergrössert;  der  Urin,  von  normaler  Menge  und  Schwere,  zeigt  keine 
abnormen  Bestandtheile.  Die  Hanptklage  des  Patienten  bezieht  sich  auf 
sehr  starke  Kopfschmerzen,  die  sich  von  der  Stimg^end  nach  dem  Scheitel 
erstrecken.  Beim  Bücken  nehmen  dieselben  erheblich  zu,  ebenso  beim 
Gehen,  weshalb  der  Kranke  am  liebsten  still  liegt.  Die  Kopfhaut  zeigt 
massige  Erhöhung  der  Temperatur,  Fieber  ist  nicht  vorhanden.  Patient 
hat  ständiges  Flimmem  vor  den  Augen,  das  auch  nicht  schwindet,  wenn 
er  die  Angen  schliesst  Die  Pupillen  sind  beiderseits  gleich  weit,  doch 
etwas  enger  als  normal.  Die  übrigen  Sinne  zeigen  keine  Anomalie.  Die 
Motilität  und  Sensibilität  ist  überall  normal  mit  Ausnahme  einer  Stelle  von 
der  Grösse  eines  Zweimarkstücks  in  der  linken  oberen  Glutealfläche.  Wäh- 
rend die  Haut  rings  um  diese  Stelle  auf  Nadelstiche  und  Kälteeindrücke  in 
promptester  Weise  reagirt,  erfolgt,  sobald  man  diese  Stelle  triflft,  kaum  ein 
Zacken  und  ist  auch  der  Drucksinn  daselbst  bedeutend  herabgesetzt.  Dieser 
Befand  gewinnt  dadurch  noch  an  Interesse,  dass  Patient  behauptet,  niemals 
an  dieser  Stelle  sich  gestossen  oder  geschlagen  zu  haben  oder  darauf  ge- 
fallen zu  sein.  Der  Schlaf  des  Patienten  war  in  Folge  der  Kopfschmerzen 
öfters  unterbrochen,  der  Appetit  verringert,  der  Durst  in  massigem  Grade 
gesteigert  y  die  Defäcation  etwas  angehalten.  Dem  Patienten  wurden  ein 
Laxans  salinum  und  12  blutige  Schröpf  köpfe  in  den  Nacken  verordnet| 
ausserdem  kalte  Fomente  auf  die  Stirn. 

Als  nach  8  Tagen  durch  diese  Therapie  kein  erheblicher  Erfolg  erzielt 
worden  war,  vielmehr  Patient  während  des  Gehens  und  Stehens  noch  starkes 
Schwindelgefflhl  und  sehr  intensive  Kopfschmerzen  hatte,  wurde  von  mir 
die  bereits  früher  erprobte  Ableitung  auf  die  äussere  Kopfhaut  angeordnet. 
Es  wurde  dem  Krankenwärter  aufgegeben,  an  einer  handtellergrossen  Stelle 
des  Scheitels  die  Haare  abzurasiren.  Er  gab  indess  dem  besonderen  Wunsche 
des  Patienten,  der  gerne  recht  bald  seine  Schmerzen  los  sem  wollte,  nach 
und  rasirte  fast  die  ganze  behaarte  Fläche  des  Kopfes,  so  dass  nur  ein 
sehr  schmaler  Kranz  von  Haaren  übrig  blieb.  In  der  ganzen  Ausdehnung 
wurde  nunmehr  täglich  zweimal  Brechweinstein  salbe  eingerieben.  Schon 
nach  3  Tagen  war  beginnende  Pustelbildung  sichtbar.  Da  Patient  gegen 
die  dadurch  verursachten  Schmerzen  wenig  empfindlich  war,  wurden  die 
Eioreibongen  noch  5  Tage  lang  in  der  gleichen  Weise  fortgesetzt  und  be- 
deckte sich  der  grösste  Theil  der  von  Haaren  entblössten  Kopfhaut  mit 


248  XI.  Kleinere  Mittheilimgen. 

einem  dicken  Schorfe.  Schon  am  23.  Februar  bemerkte  Patient  eine  auf- 
fallende Erleichterung,  er  konnte  gehen  und  stehen,  ohne  dasa  er  von 
Schwindel  befallen  wurde.  Die  Kopfschmerzen  waren  nur  noch  in  geringem 
Orade  vorhanden,  das  Flimmern  vor  den  Augen  war  gänzlich  Terschwundeo. 
Mit  den  Einreibungen  wurde  nunmehr  gänzlich  aistirt  und  die  Heilung  des 
Schorfes  begünstigt.  Patient  fühlte  sich  von  Tage  zu  Tage  wohler.  Da 
auch  nach  Abheilung  des  Schorfes  die  frflheren  Erscheinungen  nicht  wieder 
auftraten,  wurde  Patient  auf  seinen  Wunsch  in  der  ersten  Hälfte  des  MoDats 
März  aus  der  Klinik  entlassen.  Sobald  Beschwerden  eintreten  würden, 
wollte  er  in  der  Klinik  wieder  sich  melden.  Bis  jetzt  ist  dies  noch  Dicht' 
geschehen,  weshalb  eine  gänzliche  Heilung  wohl  angenommen  werden  darf. 
Es  hat  diese  Beobachtung  die  Bestätigung  gelirfert,  dasa  die  Hantreice 
in  mögJichat  grosser  Ausdehnung  und  in  nächster  Nähe  des 
leidenden  Organes,  also  direct  auf  die  Kopfhaut  appUdrt,  auch  bei 
chronischen  Himhautaffectiotten  Erfolg  haben.  Negative  Resultate  der  änt- 
lichen  Praxis  mögen  theilweise  daraus  zu  erklären  sein,  dass  die  ausge- 
dehnte und  längere  Application  dieser  Mittel  nicht  zur  Anwendmig 
gekommen  ist  Es  haben  ja  auch  die  Versuche  von  Max  Schfllier<) 
mit  in  die  abgeschorene  Nackenhaut  von  Kaninchen  applicirten  Senftdgeo, 
sowie  diejenigen,  welche  von  uns  beiden 2)  mit  Kantharidenpräparaten  in 
derselben  Weise  angeleitet  worden  waren,  an  den  blossgelegten  Piageftssen 
dargethan,  dass  erst  nach  längerer  und  ausgedehnter  Anwendung 
derselben  vermindernd  auf  den  Blntgehalt  der  Hirnhänte  eingewii^t  wer- 
den kann. 


4. 
Ueber  die  Entstehung  der  Albuminurie. 

Von 

Dr.  HoritB  Kossbaiun, 

Privatdoceat  und  AMlst«nt  am  anatomlfchen  loititut  ra  Bonn. 

Herr  Professor  Runeberg  zu  Helsingfors  veröffentlicht  hn  23.  Bde. 
dieses  Archivs  (S.  41.  225)  eine  Abhandlung  ttber  die  pathogenetiscben 
Bedingungen  der  Albuminurie.  Derselbe  Gegenstand  war  m  einer  Habilitt- 
tionsschrift  vom  Jahre  1876  in  schwedischer  Sprache  behandelt  worden. 
Herr  Runeberg  macht  in  einer  zur  Einleitung  gegebenen  Anmerkung 
darauf  anfmeii^sam,  dass  von  ihm  die  Beobaditnngen  des  letzten  Jahres 
unberflcksichtigt  geblieben  sind.  Da  jedoch  meine  Abhandlungen ')  Aber 
die  Secretion  der  Niere  den  Beweis  für  die  von  Runeberg  am  Kranken- 
bett gewonnenen  Anschauungsformen  enthalten,  so  darf  ich  wohl  die  Anf- 
merkaamkeit  auf  diese  Abhandinngen  lenken ;  zumal  es  vorläufig  mmdglich 
erscheinen  muss,  am  Warmblüter  Aber  die  beregte  Frage  exacte  Unte^ 
snchnngen  anzustellen  und  in  Folge  dessen,   wie  auch  deutlich  ans  der 


1)  Berliner' klin.  Wochenschrift.  1874.  Nr.  25. 

2)  Deutsche  med.  WochenBchrift.  1878.  Nr.  24. 

3)  Pflüger'8  Archiv.  Bd.  XVI  und  XVII. 


XI.  Kleinere  Idittheflungea.  249 

Darstelloog  Raneberg's  hervorgeht,  die  Meinungen  der  Aerzte  ttber  die 
Entstehung  der  Albaminarie  getheilt  sind. 

Meine  Versache  sind  am  Frosch  angestellt,  wo  eine  eigenthflmliche 
Geflssanordnung  in  der  Niere  die  Ausschaltang  der  Glomerali  erlaubt,  ohne 
dass  die  Circulation  im  Bereich  der  Harnkanäle  aufgehoben  würde.  Die 
Glomerali  der  Amphibienniere  beziehen  nämlich  aus  den  Nierenarterien  ihr 
Blut;  an  den  Harnkanälen  verzweigt  sich  ein  System  weitmaschiger  Capii- 
liren,  gespeist  aus  einer  Nierenpfortader  und  den  Vasa  efferentia  der  Olo- 
meroli.  Unterbindet  man  demgemäss  die  Nierenarterien,  so  hört  der  Blut- 
liaf  in  den  Oefässen  des  Glomerulns  auf,  was  sich  nicht  allein  an  lebenden 
Amphibien  (Tritonen),  sondern  auch  durch  die  vom  Herzen  aus  bewirkte 
Injection  eines  so  vorbereiteten  Frosches  nachweisen  lässt.  Es  bleiben  in 
diesem  Falle  die  Glomeruli  nngefttllt;  während  die  übrigen  Blutgefässe  der 
Niere  prachtvoll  injicirt  sind.  Hierhin  ist  die  Injectionsmasse  dnrdb  die 
Cspillaren  der  Hintereztremitäten  und  der  Rumpfwand  vermittelst  der  Nieren- 
pfortader vorgedrungen.  Die  Nierenpfortader  sammelt  nämlich  das  venöse 
Blut  dieser  Gegenden  und  leitet  es,  unter  normalen  Verhältnissen  mit  dem 
Blute  der  Vasa  efferentia  der  Malpighi'schen  Knäuel  gemischt,  an  die  Harn- 
kanäle  und  von  dort  zur  Vena  cava  inferior. 

Spritzt  man  nun  Fröschen  verschiedene  Sto^c  ins  Blut  und  untersucht  das 
Secret  der  Nieren  einmal  bei  wegsamen,  das  andere  Mal  bei  verschlossenen 
Nierenarterieu,  so  wird  man  bestimmt  ermitteln  können,  auf  welchem  Wege 
die  Ausscheidung  jedes  einzelnen  Stoffes  erfolgt.  Der  Einwand,  es  hätten 
bei  Verschluss  der  Nierenarterien  die  Zellen  der  Hamkanäle  ihre  Function 
eiogestellt,  ist  dadurch  zu  widerlegen,  dass  man  gleichzeitig  mit  einem  bei 
Versehlass  der  Nierenarterien  nicht  im  Harne  wiedererscheinenden  Stoffe 
einen  zweiten  injicirt,  der  trotz  der  Unwegsamkeit  der  Glomeruli  —  also 
durch  die  Epithelien  der  Hamkanäle  —  ausgeschieden  wird. 

Wie  ich  gefunden  (Pilttger's  Archiv,  Bd.  XVII.  S.  584),  seeemirt  ein 
Frosch  mit  unterbundenen  Nierenarterien  nach  Injection  von  1  Gem.  eines 
Gemisches  von  gleichen  Theilen  flüssigen  Hflhnereiweisses,  oder  10  pCt. 
Peptonlösnng  und  10  pCt.  Harnstoff lösung  ins  Blut  einen  eiweissfreien 
Harn;  bei  ungehinderter  Circulation  in  den  Glomerulis  erzeugt  dieselbe 
Dosis  dieser  Eiwdsskörper  (0,5  Ccm.)  Albuminurie. 

Dass  für  den  Durchtritt  der  Eiweissstoffe  des  Blutes  eine  Veränderung 
der  Gefässwandnngen  des  Glomerulns  erforderlich  sei,  wurde  auf  folgende 
Weise  dargethan. 

Unversehrte  Frösche  mit  eiweissfreiem  Harn  secemirten  nach  Untere 
bindaog  der  Nierenarterien  und  Einverleibung  von  1  Ccm.  10  pCt.  Ham- 
stofflösiag  ins  Blut  weiter  eiweissfreien  Harn.  Wurde  aber  die  Ligatur 
4er  Nierenart^en  wieder  gelöst,  so  trat  Albuminurie  ein,  die  längere  oder 
kürzere  Zeit  andauerte. 

Ebenso  gelang  der  Nachweis,  dass  wie  das  Eiweiss  so  auch  der  Zucker 
durch  die  Glomeruli  ausgeschieden  werde. 

Es  erweist  sich  somit  die  Theorie  Runeberg' s  als  die  richtige, 
und  ich  kann  mir  wohl  denken,  dass  eine  gut  begründete  Vorstellung  ttlüer 
das  Wesen  eines  krankhaften  Processes  der  Therapie  weiter  helfen  wird. 


250  XI.  Kleinere  Mittheüangen. 

5. 
Ein  Fall  von  luetischer  Erkrankung  der  Lungen. 

Von 

Dr.  W.  Henop, 

Assistenzarzt  am  städtischen  Krankenhause  la  Alton». 

Die  SelteDheit  der  Flüle,  in  denen  die  Diagnose  anf  syphüiüscbe  Er- 
krankung der  Langen  mit  Wahrscheinlichkeit  gestellt,  und  die  noch  grös- 
sere Seltenheit  derer,  wo  die  Diagnose  durch  die  Section  bestätigt  werden 
konnte,  veranlasst  mich  zur  Mittheilung  der  folgenden  Krankheitsgeschichte, 
deren  Veröffentlichung  Herr  Oberarzt  Dr.  von  T baden  mir  freundlichst 
überliess. 

Der  Schiffer  Theodor  Oflbel,  18  Jahre  alt,  aus  Altona,  wurde  am 
8.  Februar  1878  der  medicinischen  Abtheilung  des  Krankenhauses  wegen 
gastrischer  Beschwerden  überwiesen.  £r  klagte  über  Schmerzen  in  der 
Brust  und  Druckempfindlichkeit  der  Magengegend,  zeigte  eine  belegte  Zunge 
und  eine  etwas  erhöhte  Temperatur,  die  in  den  nächsten  Wochen  Öfters 
Abends  über  38^  und  gana^  vereinzelt  auf  39  und  39,2<>  sich  erhob  bei 
morgendlichen  Remissionen,  die  häufig  einen  Grad,  bisweilen  noch  mehr 
betrugen.  Mitte  März  Hessen  die  sonstigen  Symptome  nach,  während  das 
Fieber  zunahm  und  Abends  nicht  mehr  unter  39  <^  zurttckblieb;  hinzu  trat 
jetzt  starke  Heiserkeit  und  Schmerzen  beim  Schlucken,  an  welchen  letzteren 
Patient  gelegentlich  schon  seit  ^/4  Jahren  zu  leiden  angibt.  Die  wieder- 
holte Untersuchung  der  Lungen  gab  keinen  Anhaltspunkt  für  die  Annahme 
einer  tnberculösen  Erkrankung ;  auch  fehlen  hereditäre  Momente.  Dagegen 
wurde  zuerst  am  18.  März  eine  Psoriasis  an  Rumpf  und  Extremitäten  con- 
statirt,  sowie  beginnende  Ulcerationen  am  Rachen,  und  der  Patient  wurde 
am  22.  März  mit  der  Diagnose  „Lues  febriiis"  der  äusseren  Station  über- 
wiesen. In  den  nächsten  Tagen  kamen  deutliche  Ulcera  am  rechten  hin* 
tern  Gaumenbogen,  an  der  linken  Tonsille,  Condylomata  ani,  sowie  das 
erwähnte  weitverbreitete  papulöse  Exanthem  zur  Beobachtung;  auch  findet 
sich  eine  Induration  am  Praeputium.  Der  Kranke  räumt  ein,  vor  2  Jahren 
ein  Ulcus  praeputii  gehabt  zu  haben,  welches  jedoch  nur  local  behandelt 
worden  sei.  Die  eingeleitete  Inunctionscur  vertrug  Patient  schlecht,  da  er 
alsbald  wieder  gänzlicher  Appetitlosigkeit  verfiel,  besser  vertrug  er  Jod* 
kalium.  Schlingbeschwerden  und  Heiserkeit  wichen  bald,  sehr  langsam 
aber  das  Fieber;  seit  Anfang  April  freilich  39P  nicht  mehr  erreichend,  hielt 
es  sich  doch  noch  Abends  bis  zum  8.  Mai  über  38  ^  um  endlich  in  den 
nächsten  Tagen  ganz  zu  verschwinden.  Einige  Male  im  April  und  Mai 
traten  heftige  Diarrhöen  auf;  in  den  Lungen  war  auch  jetzt  nichts  Ab- 
normes nachzuweisen.  Am  25.  Mai  wurde  Patient  entlassen  ohne  andere 
Krankheitssymptome  als  die  einer  massigen  Adenitis  indolens  universalis. 
Er  hatte  nur  22  Inunctionen  (k  4  Grm.)  gemacht,  aber  HO  Orm.  Jodkalinio 
innerlich  genommen. 

Am  14.  September  1878  trat  Patient  von  Neuem  in  die  Anstalt  Er 
hatte  bis  vor  4  Wochen  leichte  Arbeit  versehen,  seitdem  war  er  wegen 
Husten  und  Schlingbeschwerden  bettlägerig   und  in  ärztlicher  Behandlang. 


XL  Kleinere  MittheUungen.  251 

Aach  leidet  er  an  Bchleimigem  AuBwurf,  ohne  dasB  Blnt  im  Sputam  bemerkt 
wDrde.  Der  Kranke  zeigte  wieder  unzweifelhafte  Piaqties  muqtieuses  am 
weichen  Gaomen,  aber  die  Unteranchnng  der  Langen  ergab  nnnmefar  diffuse 
katarrhaliache  OerlUBche,  welche  am  vernehmbarsten  unterhalb  der  rechten 
Ctavicnla  waren,  ohne  deutliche  Dämpfung.  Es  wurde  daher  kein  Jod* 
k&Iinm  gegeben,  sondern  auf  Innnctionen  zurückgegriffen,  die  eine  Zeit  lang 
vertragen,  später  wegen  eingetretener  Appetitlosigkeit  nur  jeden  zweiten 
Tag  vorgenommen  wurden.  Auch  jetzt  bestand  abendliches  Fieber  von  39^ 
bei  tforgenremissionen  von  8  oder  6  Decigraden.  lütte  October  waren 
die  Ulcerationen  im  Rachen  beseitigt,  das  Allgemeinbefinden  des  Kranken 
aber  noch  wenig  befriedigend.  Die  Geräusche  in  den  Lungen  wechselten, 
doch  wurden  kleinblasige  Rasselgeräusche  besonders  in  der  linken  Lunge 
unten  constant  gehört,  während  in  den  Spitzen  die  Athmnng  normal  war. 
Die  Sputa  waren  sehr  reichlich,  schleimig,  ohne  Blutbeimengung;  Durchfälle 
traten  mehrfach  auf;  gelegentlich  Schwindelgefflhl  und  Eingenommenheit  des 
Kopfes;  kein  Albumen  im  Urin.  Die  Milz  schien  etwas  vergrössert,  Chinin 
erwies  sich  jedoch  als  wirkungslos  gegen  das  Fieber.  Immer  entschiedener 
verschlechterte  sich  der  Zustand;  seit  dem  21.  October  wich  das  Fieber 
aach  Morgens  nicht  unter  39<^  und  erreichte  am  25.  und  26.  Abends  die 
Temperatur  von  40,6^  bei  geringen  morgendlichen  Remissionen ;  wiederholte 
Bäder  blieben  ohne  Wirkung.  Patient  klagt  über  heftigen  Schwindel  und 
Uebelkeit;  er  soll  am  23.  und  24.  einen  kurzdauernden  Schüttelfrost  gehabt 
haben;  die  Diarrhöen  nehmen  überhand.  In  diesen  Tagen  sind  wieder  die 
rnndlichen,  specifisch  luetisch  aussehenden  Rachen-  und  Gaumengeschwttre 
za  constatiren  und  stören  das  Bild  einer  tuberculösen  Allgemeinerkrankung. 
Am  27.  October  wurde  bei  hochgradiger  Dyspnoe  eine  frische  linksseitige 
Pleuritis  gefunden,  am  29.  Mittags  starb  Patient  nach  langer  Agone.  Das 
Sensorinm  war  in  den  letzten  Tagen  bisweilen  benommen,  in  den  Zwischen- 
zeiten äusserte  der  Kranke  subjective  £uphorie. 

Aus  dem  Seetionsbeftuid  hebe  ich  Folgende^  hervor.  Die  Leiche  zeigt 
geringes  Fettpolster  und  schwache  Mnsculatur.  In  der  linken  Pleura- 
höhle finden  sich  ca.  500  Orm.  hellgelbe  Flüssigkeit;  die  linke  Lungen- 
plenra  zeigt  frische,  leicht  zerreissliche  Niederschläge  und  ist  durch  strang- 
förmige  lockere  Verwachsungen  mit  Rippenpleura  und  Zwerchfell  verbunden. 
Beide  Lungenspitzen  frei  von  Verwachsungen;  die  Aussenfläche  der  Lun- 
gen ist  dunkelblau  marmorirt  und  zeigt  einige  buckeiförmige  gelblich- weisse 
harte  Prominenzen,  darüber  die  Pleura  getrübt  und  verdickt.  Auf  dem 
Durchschnitt  des  obern  Lappens  der  rechten  Lunge  zeigt  sich  die  Spitze 
ohne  Verdichtungen ;  1 V2  Cm.  tiefer  drei  erbsengrosse  Einlagerungen.  Ein 
gleich  diesen  gelblich-weisser,  durch  einzelne  Pigmentstreifen  graulich  mar- 
morirter,  derber,  gefässioser  Knoten  von  Gänseeigrösse,  für  den  Finger  nur 
mit  Mühe  eindrückbar  und  auf  der  Schnittfläche  über  die  Umgebung  pro- 
mineot,  nimmt  den  grössten  Theil  der  Vorderfläche  des  obern  Lappens  ein 
und  ist  vom  Pieuraüberzug  nur  durch  eine  2  Mm.  breite  Schiebt  lufthaltigen 
Oewebes  geschieden.  Die  Basis  dieses  grossen  keilförmigen  Knotens  ist 
der  Pleura,  die  Spitze  den  Bronchien  zugewandt.  Ein  eitriger  oder  käsiger 
Zerfall  ist  nicht  zu  bemerken.  Eine  hyperämische  Zone  gesunden  Oewebes 
umgibt  den  Knoten,  dessen  Prominiren  über  die  Schnittfläche  im  Verein 
mit  seiner  derben  Structur  den  Vergleich  mit  einer  carcinomatösen  Neu« 


2S2  XI.  Kldnere  MitUieiltuigen. 

(»IdiiDg  nahe  legt.  An  den  in  seinem  Bereich  belegeoeo  Bronchien  sind 
die  Wandungen  stark -Bcbwielig  verdickt,  sowohl  peripherisch  als  auch  cod- 
centrisch  auf  Kosten  ihres  Lumen ;  die  Dicke  der  Wandungen  betrftgt  b« 
einigen  3 — 4  Mm.  Im  mittlem  Lappen  der  rechten  Lange  sitien  nnr  iwei 
erbsengroBse  Knoten  gleicher  Bescbsffenbeit ,  im  untern  Lappen  mehr^ 
bis  zn  TanbeneigröBse.  Aoch  die  linke  Longe  beaitit  in  ihrem  Torders 
Lappen  6  Cm.  unterhalb  der  dnrchaus  intacten  Spitze  einen  hühnerdgroBBen 
Knoten  von  ähnlicher  BeachaffeDbeit ;  ancb  dieser  ist  keilfftrmig,  clie  Basis 


MlHrllcbfi  Gtlim 


ist  g^en  die  Pleura  gerichtet  Ein  gleicher  Knoten  sitzt  am  Hilos  mit 
derben  peribronchiti sehen  Verdickungen;  einige  kleinere  sitzen  veiter  >b- 
wirta.  Im  hintern  Lappen  sind  zwei  grössere  Knoten  verbanden  dnrcb 
eine  Schicht  fQr  das  Ange  fast  normalen,  fOr  das  GefOhl  schon  verdich- 
teten Gewebes;  in  dessen  Mitte  ein  stark  verdickter  Bronchus,  dnrch  Usige 


XI.  Kleinere  MittheUangen.  253 

Gerinnsel  verstopft.  Die  BronchialdrflseD  beider  Lungen  sind  vergrössert, 
hart,  dunkel  pigmentirt. 

Zungenwnrzel  und  Epiglottis  zeigen  rundliche  Geschwttre;  die 
Epiglottis  auch  harte,  eingezogene  Narben.  Im  Sinus  pharyngis,  an 
den  falschen  und  wahren  Stimmbändern  rundliche  Geschwüre;  Schleim- 
baat  des  Kehlkopfs,  der  Trachea,  der  Bronchen  roth  und  geschwollen,  ohne 
Narben. 

Id  der  Bauchhöhle  findet  sich  nichts  Abnormes  ausser  einem  erbsen- 
grossen  derben  Knoten  auf  der  Oberfläche  des  grossen  Leber lappens  nahe 
dem  Lig.  suspensor.,  welcher,  scharf  gegen  die  Umgebung  abgegrenzt,  ganz 
die  Beschaffenheit  der  in  der  Lunge  gefundenen  Knoten  besitzt. 

In  der  Kopfhöhle  wurde  nur  die  Pia  hyperämisch  gefunden. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Lungenknoten  ergab  die  Ab- 
wesenheit normalen  Gewebes  in  denselben;  es  fand  sich  ein  Granulations- 
gewebe, an  einzelnen  Stellen  von  spindelförmigen  Zellen  durchsetzt.  Riesen- 
zelleo  waren  keine  vorhanden. 

In  unserem  Falle  ist  offenbar  der  makroskopische  Lungenbefund  ein 
sü  eigenartiger,  dass  er  an  sich  schon  bei  der  mangelnden  Uebereinstimmung 
mit  den  gewöhnlichen  pathologisch  -  anatomischen  Bildern  die  Vermnthung 
einer  luetischen  Erkrankung  erwecken  musste.  Es  beschreibt  auch  Zeissl 
nach  Wagner  ein  knotiges  Syphilom  der  Lunge,  das  eigross,  scharf  um- 
grenzt, homogen,  ohne  Spur  von  Lungentextur  in  verschiedenen  Lungen- 
lappen  vorkommen  soll.  Virchow  und  Di t trieb  haben  dagegen  nur 
seüefergrane  Narben  und  callöse  Gewebsmassen  gefunden.  Unser  Fall 
schliesst  sich  offenbar  der  ersteren  Form  an  als  knotiges  Sjphilom  mit 
Peribronchitis ;  von  Bedeutung  ist  die  gleichzeitige  Anwesenheit  von  Rachen- 
nnd  Kehlkopfgeschwüren  und  Geschwürsnarben,  sowie  besonders  das  isolirte, 
aber  charakteristische  Gumma  der  Leber. 

Nur  in  Bezug  auf  den  Krankheitsverlauf  sei  es  mir  gestattet,  noch 
einige  Worte  hinzuzufügen.  Während  Zeissl  gerade  das  Fehlen  einer 
vorausgegangenen  febrilen  Reaction  als  charakteristisch  für  syphilitische 
Erkrankung  der  Lungen  bezeichnet,  äussert  sich  Bäumler  (Syphilis  in 
Ziemssen's  Handbuch  der  spec.  Path.  u.  Ther.  Bd.  III.)  dahin,  dass,  vom 
syphilitischen  Eruptionsfieber  ganz  abgesehen,  längeres  hektisches  Fieber 
^i  Lues  daa  Vorhandensein  einer  katarrhalischen  Pneumonie  vortäuschen 
kann.  Bäumler  hat  in  diesem  Archiv  (Bd.  IX.  1872)  mehrere  hierher 
gehörige  Fälle  veröffentlicht. 

Erwähnt  sei  noch,  dass  in  unserem  Falle  der  von  Grandidier  als 
fast  regelmässiger  Sitz  der  Erkrankung  bezeichnete  mittlere  Lappen  der 
rechten  Lunge  die  geringste  Betheiligung  zeigte;  dagegen  fand  sich  die 
Intactheit  der  Spitzen  auch  hier  bestätigt.  In  unserem  Falle  war  die  Dia- 
gnose auf  Syphilis  der  Lungen  während  des  Lebens  nicht  mit  Bestimmtheit 
gestellt,  aber  die  Möglichkeit  einer  solchen  wiederholt  erwogen  worden. 


xn. 

Besprechungen. 

1. 

Od  astbma:  its  pathology  and  treatment.   By  J.  B.  Berkart,  M.  D.  Member 
of  the  Royal  Coli,  of  Physicians.  London.   Churchill  1878.   264  Sto. 

In  dem  vorliegenden  Buche  bekämpft  der  Autor  auf  das  Entschiedenste 
die  Richtigkeit  der  verbreiteten  Anschauungsweise,  welche  ein  „ Asthma '^ 
als  eine  eigene  Krankheitsform  anerkennt  und  auf  nervösen  Ursprung  zurflck- 
zufahren  geneigt  ist.  Auf  eine  objectiv  gehaltene,  von  Sorgfalt  und  Litera- 
turkenntniss  zeugende  historische  Einleitung  lässt  er  ein  grösseres  Kapitel 
folgen,  welches  er  ausdrtlcklich  als  „ Discussion  der  vorherrschenden  Theorie" 
bezeichnet.  In  demselben  sucht  er  Schritt  fftr  Schritt  den  Nachweis  za 
fahren,  wie  die  Sttitzen  jener  Lehre,  mögen  sie  den  Resultaten  der  klini- 
schen Untersuchung  und  Beobachtung,  den  negativen  Befunden  pathologisch- 
anatomischer  Forschungen,  den  ätiologischen  Momenten  etc.  entnommen  sein, 
einer  eingehenden  Kritik  nicht  Stand  halten  können.  So  kommt  er  zu  dem 
Schluss,  dass  das  Asthma  nichts  als  ein  Symptom  sei  und  als  solches  ein 
Glied  in  der  Kette  eines  Krankheitsprocesses,  der  mit  Entzündung  des 
Lungengewebes  beginnt  und  mit  Bronchiektasie  und  Emphysem  endigt. 
An  diese  Ausfflhrungen  reiht  sich  dann  eine  eingehendere  Darstellung  der 
Ursachen,  des  klinischen  Verlaufs,  der  Erkennung,  Vorhersage  und  Behand- 
lung des  Asthmas.  Am  ausführlichsten  bespricht  Verf.  die  Aetiologie  and 
die  Therapie ,  erstere,  indem  er  die  vertretene  Ansicht  noch  fester  zn  be- 
gründen bestrebt  ist,  letztere,  indem  er  die  Behandlungsmethoden  nach  den 
von  ihm  hervorgehobenen  Gesichtspunkten  schildert. 

Die  zusammenhängende  Darstellung  des  Gegenstandes  im  Verein  mit 
den  kritischen  Untersuchungen  lassen  das  vortrefflich  ausgestattete  Boch 
als  eine  lesens-  und  schätzenswerthe  Bereicherung  der  einschlägigen  Lit^ 
ratur  erscheinen.  Wenn  auch  Rec.  die  angeführten  Beobachtungen  noch 
nicht  für  zahlreich  genug,  die  ins  Feld  geführten  Gründe  noch  nicht  fflr 
hinreichend  zwingend  halten  kann,  die  Bezeichnung  „Asthma  nervoenm' 
für  eine  gewisse,  seltene  Asthmaform  vollständig  zu  streichen,  so  ist  er 
doch  der  Ansicht,  dass  es  ein  Verdienst  Berkart's  ist,  zu  eingehenderen) 
Studium  der  Frage  angeregt  und  zu  sorgfältiger  Sichtung  des  vorhandenen 
und  künftigen  Materials  aufgefordert  zu  haben.  Pe&zoidt  (Ertenges). 


Xn.  Besprechungen.  *     255 


2. 


Zar  Kenntniss  der  GesnndheitaverhAltnisse  des  Marschlandes.^   I.  Wechsel- 

■ 

fieber.  Von  Dr.  A.  P.  J.  Dose,  praktischem  Arzte  in  Marne.  Mit 
7  Figuren  in  Holzschnjtt  nnd  1  lithogr.  Tafel.  Leipzig.  Breitkopf 
und  Härtel.    4«.    27  Seiten. 

Die  reichen  Erfahrungen  gediegener  Praktiker  werden  leider  nnr  zu 
oft  mit  ihnen  in  das  Grab  gesenkt  nnd  gehen,  wenn  sie  auch  der  Mitwelt 
genfitzt  haben,  der  Nachwelt  verloren.  Wir  mtlssen  daher  einem  ünter- 
Dehmen,  wie  das  vorliegende  es  ist,  volle  Anerkennung  zollen:  Verf.  will 
das  reichliche  statistische  Material  einer  22  jährigen  Praxis  (des  verstor- 
benen Dr.  Michaelsen  in  Meldorf),  29,629  Kranke  umfassend,  durch  eigne 
Beobachtungen  ergänzt,  für  unsere  Kenntniss  von  den  Gesundheitsverhält- 
nissen eines  interessanten  Landstriches  zur  Verwerthung  bringen.  Er  be- 
ginnt mit  den  Malariaerkrankungen,  von  denen  ihm  7000  Beobachtungen 
ixa  Verffigung  stehen.  Wir  erfahren  aus  seinen  Zusammenstellungen,  wie 
die  Curve  der  Erkrankungszahlen  im  Marschland  in  den  Monaten  April 
und  Mai  zu  steigen  pflegt,  in  den  Regenmonaten  Juni  nnd  Juli  herabge- 
drflckt  wird,  um  sich  im  August  und  September  zur  höchsten  Höhe  zu 
erheben,  und  wie  die  Spitzen  dieser  Curve  mit  der  Acme  der  Barometer- 
stände coincidiren.  Wir  ersehen  aber  auch  weiter,  dass  neben  den  monat- 
lichen Schwankungen  grössere,  gewöhnlich  5  Jahre  umfassende  Undula- 
tionen  (grössere  Wechselfieberepidemien)  stattfinden  und  dass  dieselben  nach 
der  Ansicht  des  Verf.  vorwiegend  von  den  Grundwasserschwankungen  (Sin- 
ken des  Grundwassers  fliUt  mit  Steigen  der  Krankheitsziffer  zusammen) 
abhängig  gemacht  werden  müssen.  Das  trotz  der  Trockenheit  des  Inhalts 
anregend  geschriebene  Werkchen  verdient  auch  ausserhalb  der  Grenzen  des 
Marschlandes,  überall  wo  Malaria  endemisch  ist,  von  den  Aerzten  gelesen 
und  auch  in  weiteren  Kreisen  als  ein  Muster  ärztlichen  Beobachtungs-  und 
Sammelfleisses  geschätzt  zu  werden.  Pcnzoidt  (Erlangen). 


3. 

Der  Erfolg  mit  der  animalen  Vaccine  in  der  Hamburger  Impfanstalt.  Von 
Dr.  med.  Leonhard  Voigt,  Oberimpfarzt.  Leipzig.  F.  C.  W. 
Vogel.    1879. 

Auf  Grund  umfassender  Statistik  weist  Voigt  nach,  dass  seit  dem 
Jahre  1874,  in  welchem  in  Hamburg  mit  animaler  Lymphe  zu  impfen 
begonnen  wurde,  sich  die  Ergebnisse  zu  Gunsten  der  animalen  Lymphe 
wesentlich  verbessert  haben.  Wenn  auch  die  Impfung  von  Arm  zu  Arm 
noch  immer  bessere  Verhältnisse  ergibt  als  die  mit  frischer  animaler  Lymphe, 
so  ist  doch  die  Wirksamkeit  der  letzteren  erheblich  günstiger  als  die  der 
conservirten  bumanisirten  Lymphe.  Conservirte  animale  Lymphe  ist  viel 
minderwerthiger  und  verliert  viel  schneller  ihre  Wirksamkeit  als  conservirte  i 
humanisirte  Lymphe.  Als  Gründe  der  noch  immer  geringeren  Wirksamkeit 
äer  animalen  Lymphe  gegenüber  der  frischen  bumanisirten   führi  Voigt 


256    *  XII,  Bespiechungen. 

an ,  dass  wegen  der  grossen  Kosten  immer  möglichst  wenig  Kälber  ver- 
wendet werden  und  daher  auch  von  Pusteln  vom  4.  und  6.,  statt  nur  vodci 
5.  Tage,  sowie  von  Abortivpnsteln  abgeimpft  wird,  ferner  die  all^meio 
gebräuchliche  Impfung  durch  Stich,  statt  welcher  die  Impfung  durch  Schnitt 
oder  Kritzeln,  letztere  namentlich  bei  Verwendung  von  conservirter  animaler 
Lymphe,  vorgeschlagen  wird.  Von  grossem  Einflüsse  ist  endlich  der  Ge- 
sundheitszustand der  Kälber,  welche  oft  beim  Transport  sehr  leiden  nnd 
sehr  häufig  bei  der  Ankunft  fiebern.  Schliesslich  hält  es  Verf.  für  Erhal- 
tung eines  guten  reichlichen  Impfstoffes  für  unerlässUch,  neben  humanish-ter 
Lymphe  animale  zu  züchten,  und  weist  den  der  animalen  Lymphe  gemach- 
ten Vorwurf,  als  schädige  sie  den  Werth  der  Impfung,  zurück. 

Stampf  (Mttnchen). 


xni. 

Zar  Percossion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea.') 

Von 

Prof.  Dr.  TSr.  Friedreich 

In  Heid«lberg. 

Die  Mehrzahl  der  aus  der  Percossion  des  Kehlkopfs  und  der 
Trachea  sich  ergebenden  Zeichen  hat  seit  Erfindung  und  Ausbil- 
dung der  Laryngoskopie  an  praktischem  Werthe  sehr  verloren,  in- 
dem mittels  letzterer  die  Erkennung  der  meisten  anatomischen  und 
functionellen  Störungen  der  obersten  Abschnitte  der  Athmungswege 
durch  directe  Anschauung  mit  einer  früher  ungeahnten  Sicherheit 
und  Präcision  möglich  geworden  ist.  Aber  doch  ist  andereraeits  der 
laryngotrachealen  Percussion  das  wissenschaftliche  Interesse  auch 
heute  Doch  ungeschmälert  verblieben,  insofeme  durch  dieselbe  die 
Demonstration  rein  physikalischer  Gesetze  am  menschlichen  Körper 
in  evidenter  Weise  möglich  ist  und  dadurch  verschiedene  Vorgänge 
an  den  Innengebilden  des  Kehlkopfs  zum  akustischen  Ausdruck  ge- 
bracht werden  können.  Ueberdies  dürfte  aus  der  Berücksichtigung 
der  laryngotrachealen  Percussionsresultate  auch  die  diagnostische  Be- 
urtheilung  krankhafter  Zustände  des  Lungenparenchyms  in  gewisser 
Weise  und  unter  bestimmten  Verhältnissen  eine  Förderung  erfahren 
können. 

Die  Percussion  des  Kehlkopfs  wird  am  besten  in  der  Weise  ge- 
übt, dass  man  den  leicht  rückwärts  gebeugten ,  durch  ein  in  den 
Nacken  gelegtes  Polster  gestützten  Kopf  zugleich  in  eine  etwas  seit- 
liche Lage  bringt  und  nun  auf  die  vorliegende  Platte  des  Schild- 
knorpela  die  Percussionsschläge  ausübt.  Was  die  Trachea  anlangt, 
so  ist  die  zwischen  Ringknorpel  und  oberem  Rande  des  Manubrium 
stemi  gelegene  kuize  Strecke  der  vorderen  Halspartie  die  einzige 
Stelle  y  an  welcher  dieselbe  der  directen  Percussion  zugänglich  ist, 


1)  Nach  einem  in  der  Versammlong  mittelrheinischer  Aerzte  zu  Wiesbaden 
am  3.  Juni  1879  gehaltenen  Vortrage. 

DeatschM  ArehlT  f.  klln.  Medlcln.    XXIV.  Bd.  17 


258  Xin.  Friedreich 

m 

namentlich  wenn  man  diese  kürze  Zwischenstrecke  dadurch  verlän- 
gert, dass  man  den  Kopf  unter  Vermeidung  seitlicher  Drehung  etwas 
rückwärts  beugen  lässt.  Am  zweckmässigsten  bedient  man  sieh  als 
Plessimeter  des  eigenen  Fingers,  der  sich  leicht  und  bequem  an  alle 
Punkte  anschmiegt  und  den  man  mit  dem  Finger  der  andern  Hand 
oder  dem  Wintrich'schen  Hammer  mit  kurzen  und  kräftigen  Schlägen 
beklopft. 

Bekanntlich  ergibt  die  Percussion  des  Larynx  und  der  Trachea 
einen  hellen,  tympanitischen  Schall,  welcher  bei  den  einzelnen  In- 
dividuen unter  normalen  Verhältnissen  nicht  unerhebliche  Verschie- 
denheiten bezüglich  seiner  einzelnen  Qualitäten  darbietet.  Die  In- 
tensität des  Schalles  steht  im  geraden  Verhältnisse  zur  Stärke  des 
Anschlags  und  im  umgekehrten  Verhältnisse  zur  Dicke  der  an  der 
percutirten  Stelle  den  Hals  constituirenden  Theile;  auch  wird  die- 
selbe in  besonderem  Grade  bestimmt  durch  das  Maass  der  Wider- 
stände, welche  der  Fortleitung  der  durch  die  Percussion  im  Innern 
des  Kehlkopfs  und  der  Trachea  erregten  Schallwellen  nach  aussen 
zum  Ohre  des  Beobachters  entgegenstehen.  So  hört  man  bekanntlich, 
wenn  man  durch  Oeffnen  des  Mundes  den  Austritt  der  Schallwellen 
erleichtert,  bei  gleich  starker  Percussion  den  Schall  viel  lauter  als 
bei  geschlossenem  Munde,  am  lautesten,  wenn  man  die  Zunge  mög- 
lichst stark  aus  dem  weit  geöfTneten  Munde  herausstrecken  lässt, 
indem  der  dabei  sich  emporhebende  Larynx  der  Mundöffnung  sich 
nähert,  der  Kehldeckel  sich  aufrichtet  und  das  Gavum  pharyngis  sich 
möglichst  erweitert,  somit  die  günstigsten  Bedingungen  für  das  freie 
Entweichen  der  Schallwellen  nach  aussen  hergestellt  werden.  Am 
schwächsten  hört  man  aus  den  entgegengesetzten  Gründen  den  larjn- 
gotrachealen  Schall,  wenn  man  den  Mund  schliessen  und  zugleich 
die  Nasenlöcher  zuhalten  lässt.  —  Für  die  Höhe  des  laryngotra- 
chealen  Percussionsschalles  kommt  vor  Allem  in  Betracht  die  Weite 
des  Lumens  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea,  besonders  die  Länge 
der  letzteren,  und  es  erklärt  sich  aus  diesen  bei  den  einzelnen  In- 
dividuen variablen  Verhältnissen  die  beträchtlichere  Höhe  des  Schalles 
bei  Kindern,  sowie  bei  Leuten  mit  kurzen  Hälsen  und  untersetzter 
Statur  gegenüber  Erwachsenen  und  grossen,  langhalsigen  Individuen. 
Auch  die  im  Allgemeinen  beträchtlichere  Höhe  des  Schalles  bei  Wei- 
bern im  Vergleiche  zu  Männern  lässt  sich  auf  den  verschiedenen 
Umfang  der  laryngotrachealen  Gavitäten  zurückführen. 

Indessen  wird  man  nicht  übersehen  dürfen,  dass  ein  reiner 
Larynxschall  oder  ein  reiner  Trachealschall  eigentlich  nicht  existirt, 
indem  der  Schall,  wie  er  durch  die  Percussion  des  Kehlkopfs  oder 


Percassion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea.  259 

der  Trachea  gewonnen  wird,  nicht  den  einfachen  Ausdrack  der 
Schwingungen  des  zunächst  und  unmittelbar  percutirten  Tbeiles  dar- 
stellt. Vielmehr  ist,  wie  dies  schon  Ton  Gerhardt  ^  richtig  hervor- 
g:ehoben  wurde,  der  Schall  immer  ein  zusammengesetzter,  indem  bei 
der  percutorischen  Erschütterung  eines  der  genannten  Gebilde  immer 
auch  das  andere  in  Schwingungen  versetzt  wird  und  überdies  auch 
noch  die  Lufträume  des  Rachens,  der  Mund-  und  Nasenhöhle  in  con- 
Bonirende  Schwingungen  gerathen.  Es  liegt  damit  auf  der  Hand, 
dass  auch  die  Architektonik  und  der  Umfang  der  letztgenannten 
Lufträume  auf  die  Qualität  des  durch  die  Percussion  des  Larynx  oder 
der  Trachea  erzeugten  Schalles  einen  mitbestimmenden  Einfluss  aus- 
fiben  müssen.  Auch  kann  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  durch 
die  laryngotracheale  Percussion  mehr  oder  minder  weit  nach  abwärts 
die  Lufträume  der  grossen  Bronchien,  sowie  auch  etwa  innerhalb  des 
LuDgengewebes  gelegener  pathologischer  Höhlen  in  consonirende 
Schwingungen  versetzt  werden  können. 

Gerade  dieses  Zusammengesetztsein  des  an  der  Trachea  und 
dem  Kehlkopf  erzeugten  Schalles  aus  Schwingungen  nicht  allein  der 
direct  und  zunächst  percutirten  Theile,  sondern  auch  aus  solchen, 
welche  zugleich  in  den  Schallräumen  des  Rachens,  Mundes  und  der 
Nase  erregt  werden,  ist  die  Ursache,  wesshalb  Aenderungen  in  der 
Stellung  und  dem  Volumen  dieser  Räume,  sowie  in  der  Weite  ihrer 
Verbindungen  unter  einander  und  ihrer  äusseren  Mündungen  Modi- 
iicationen  des  laryngotrachealen  Percussionsschalles  herbeizuführen  im 
Stande  sind.  Wintrich^)  hat  bekanntlich  gezeigt,  dass  der  tym- 
panitische  Schall  des  Kehlkopfs  und  der  Luftröhre,  abgesehen  von 
Aenderungen  seiner  Intensität,  an  Höhe  wechselt,  wenn  man  den 
Hund  öffnen  oder  schliessen  lässt,  dass  derselbe  am  höchsten  ist, 
wenn  Mund-  und  Nasenlöcher  möglichst  weit  ofifen  sind,  und  an  Höhe 
abnimmt,  wenn  man  den  Mund  schliessen  lässt,  noch  mehr,  wenn 
eine,  resp.  beide  Nasenöffnungen  zugebalten  werden.  Es  gelangt 
bierbei  das  allgemeine  physikalische  Gesetz  zur  Erscheinung,  nach 
welchem  die  Höhe  des  tympanitischen  Schalles  offener  Schallräume 
wesentlich  abhängig  ist  von  dem  Durchmesser  der  freien  Mündung. 
Bekanntlich  hat  der  genannte  Forscher  die  berührten  Verhältnisse 
fQr  die  Diagnose  von  Verstopfung  der  Nasenkanäle,  von  Rachen- 
geschwülsten n.  dgl.  zu  verwerthen  gesucht. 

Dass  Aenderungen  nicht  allein  in  der  Weite  der  äusseren  Mund- 

1)  Ueber  Percussion  des  Kehlkopfs.    Virchow's  Archiv.  24.  Bd.  S.  197.   1862. 

2)  Krankheiten  der  Respirationsorgane.   Yirchow's  Handbuch  d.  spec.  Pathol. 
Q  Ther.  5.  Bd.  l.Abth.  S.  23.  Erlangen  1854. 

17* 


260  XIII.  Fbiedbeich 

und  Nasenöffnungen ,  sondern  auch  in  dem  Umfang  der  zwischen 
diesen  und  dem  Introitus  laryngis  gelegenen  Cavitäten  die  Höhe  des 
laryngotrachealen  Percussionsschalles  beeinflussen,  lehrt  folgender 
Versuch,  den  man  in  jedem  Augenblicke  an  sich  selbst  anstellen 
kann.  Vergleicht  man  den  Percussionsschall  des  Larynx  oder  der 
Trachea^  wenn  man  bei  möglichst  weit  geöffnetem  Munde  die  Zunge 
bald  hervorstrecken,  bald  in  der  Mundhöhle  zurückhalten  Iftsst,  so 
ist  derselbe  in  ernterem  Falle  um  ein  Bedeutendes  höher,  als  in  letz- 
terem, obgleich  die  um  die  Dicke  der  herausgestreckten  Zunge  ver- 
minderte Weite  der  äusseren  Mundöffnung  an  sich  den  Schall  tiefer 
machen  sollte.  Es  ist  hiebei  das  bei  hervorgestreckter  Zunge  Freier- 
und Weiterwerden  der  Rachenhöhle,  welche  die  Höhe  des  laryngo- 
trachealen Percussionsschalles  bestimmen  und  die  in  entgegengesetzter 
Richtung  wirkenden  EinflQsse  der  enger  werdenden  Mundöffhung  über- 
wiegen. 

Auch  eine  andere  Erscheinung  lässt  sich  nur  durch  eine  Aende- 
rung  in  der  Weite  des  Pharyngealcavums  in  befriedigender  Weise 
erklären,  nämlich  das  Tieferwerden  des  laryngotrachealen  Pereos- 
sionsschalles,  wenn  man  den  Kopf  nach  rückwärts  beugt.  Man  könnte 
meinen,  dass  bei  dieser  Bewegung  das  Gaumensegel  eine  die  hin- 
teren Ghoanenaperturen  deckende  Stellung  einnehme,  wodurch  die 
Gommunicationsöffnung  nach  aussen  verkleinert  wttrde.  Betrachtet 
man  aber,  während  die  genannte  Bewegung  vorgenommen  wird,  durch 
den  weit  geöffneten  Mund  das  Velum  pendulum,  so  überzeugt  man 
sich,  dass  eine  solche  Stellungsänderung  desselben,  wie  sie  für  die 
Aenderung  des  Percussionsschalles  erforderlich  sein  würde,  nicht 
stattfindet;  auch  vermindert  sich  die  Höhe  des  bei  rückgebeugtem 
Kopfe  erzeugten  laryngotrachealen  Percussionsschalles  noch  mehr, 
wenn  man  eines  oder  beide  Nasenlöcher  schliesst,  woraus  gleichfalls 
hervorgeht,  dass  die  hinteren  Nasenöffnungen  bei  der  bezeichneten 
Eopfstellung  durch  das  Gaumensegel  nicht  gedeckt  werden  können^ 
indem  sonst  der  Nasenschluss  einen  merklichen  Einfluss  auszuüben 
wohl  nicht  mehr  im  Stande  sein  dürfte^).  Auch  ein  mechanisches 
Rücksinken  der  Zungenwurzel  bei  der  genannten  EopfstelluDg  und 
eine  dadurch  erzeugte  Raumbeschränkung  der  Pharynxhöhle  kann 
dem  Tieferwerden  des  Schalles  nicht  zu  Grunde  liegen,  indem  letz- 

1)  Während  ich  dieses  schreibe,  behandle  ich  in  meiner  Klinik  ein  junges 
Mädchen,  bei  welchem  in  Folge  von  Syphilis  der  weiche  Gaumen  vollständig  und 
der  harte  Gaumen  partiell  zerstört  sind.  Trotz  des  completen  Defectes  des  Velum 
pendulum  ist  bei  Rückbeugung  des  Kopfes  das  Tieferwerden  des  laryngotrachealen 
Percussionsschalles  doch  deutlich  wahrnehmbar. 


Percassion  des  Kehlkopfs  and  der  Trachea.  261 

teres  auch  dann  eintritt,  wenn  man  ein  Zurttcksinken  der  Zunge 
während  der  Rttckbeugung  des  Kopfes  dadurch  verhütet,  dass  man 
dieselbe  entweder  zwischen  den  Zähnen  festhalten  oder  weit  aus  der 
Mundhöhle  hervorstrecken  lässt.  Der  eigentliche  Grund  jener  Er- 
scheinung kann  meiner  Meinung  nach  nur  darin  gelegen  sein,  dass 
bei  Rfickbengung  des  Kopfes  eine  Raumbeschrftnkung  des  Cavum 
pharyngis  durch  die  nach  vom  conyex  sich  hervorbeugende  Hals- 
wirbelsäule erfolgt.  Man  könnte  zur  Annahme  versucht  sein,  dass 
die  bei  Bttckbeugung  des  Kopfes  sich  verlängernde  Tracht  die  Wir*' 
kungen  der  sich  verengenden  Rachenhöhle  auf  die  Vertiefung  des 
laryngotrachealen  Percussionsschalles  unterstütze.  Aber  der  Versuch 
an  einer  herausgenommenen  Trachea  zeigt,  dass  deren  Schall  an 
Höbe  um  so  mehr  zunimmt,  je  mehr  man  sie  durch  Dehnung  ver- 
längert, wobei  offenbar  der  Einfluss  der  zunehmenden  Spannung  der 
Trachealwand  für  die  Höhe  des  Schalles  bestimmend  wird  und  die 
den  Schall  vertiefendea  Wirkungen  der  Verlängerung  des  Tracheai- 
rohres hypercompensirt.  Auch  bei  Bückbeugung  des  Kopfes  würde 
in  Folge  gesteigerter  Spannung  der  Trachealwand  der  Schall  ebenso 
höher  werden,  wie  bei  dem  Experiment  an  der  herausgenommenen 
Trachea,  wenn  nicht  das  Engerwerden  des  Pharyngealcavums  seine 
nach  entgegengesetzter  Richtung  wirkenden  Einflüsse  in  dominiren- 
dem  Grade  geltend  machen  würde. 

Win  trieb  (a.  a.  0.  S.  23)  hat  die  Folgen  eines  momentanen 
Verschlusses  der  Keblkopfapertur  auf  den  laryngotrachealen  Percus- 
sionsschall  in  richtiger  Weise  erkannt,  indem  er  das  Tieferwerden 
deflselben  im  Momente  eines  Scblingactes  hervorhob.  Es  ist  indessen 
selbstverständlich,  dass  ein  Defect  des  Kehldeckels  an  diesem  Ver- 
halten keine  Aenderung  wird  hervorbringen  können,  indem  der 
Sehloss  des  Introitus  laryngis  während  der  Deglutition  schon  durch 
das  Aneinandertreten  der  Taschenbänder,  sowie  durch  die  nach 
rfickwärts  sich  bewegende  Zungenwurzel,  an  welche  der  sich  empor- 
hebende Kehlkopf  innig  sich  anschmiegt,  gesichert  wird. 

Ebenso  hat  der  genannte  Forscher  gezeigt,  dass  der  laryngo- 
tracheale  Percussionsschall  unter  Verlust  seines  Tympanismus  höher 
and  kürzer  wird,  wenn  man  auf  der  Höhe  einer  tiefen  Inspiration 
durch  eine  Pressbewegung  die  Glottis  schliessen  lässt,  also  die  laryn- 
gotraeheale  Luftsäule  zugleich  durch  Gompression  verdichtet.  Aller- 
dings, müssen  wir  hinzufügen,  kommt  zur  Entstehung  dieses  Resul- 
tates auch  die  beim  Pressact  gesteigerte  Spannung  der  Wandungen 
der  Trachea  und  des  Larynx  in  Betracht.  Ist  in  Folge  von  Zerstörung 
oder  gewissen  Lähmungszuständen  der  Stimmbänder  ein  solcher  Ver- 


262  XIII.  Friedreich 

schluss  unmöglich,  so  bleibt  die  bezeichnete  Aenderung  des  Percus- 
sionsschalles  aus^).  Aber  die  Höhe  des  laryngotrachealen  Percus- 
sionsschalles  während  eines  Pressactes  ändert  sich  auch  dann  noch, 
wenn  man  den  Mund  oder  die  Nasenlöcher  öffnen  oder  schliessen 
lässt,  obgleich  die  Gommunication  des  direct  percutirten  Luftschall- 
raumes mit  der  äusseren  Atmosphäre  in  Folge  des  Glottisverschlusses 
aufgehoben  ist.  Auch  wechselt  beim  leisen  Intoniren  eines  Vocales 
der  Tracheaischali  ebenso  an  Höhe,  wenn*  man  den  Mund  öffnen 
oder  schUessen  lässt,  wie  bei  offener  Glottis,  obgleich  die  hierbei 
gegeneinander  getretenen  Stimmbänder  (Area  glottidis)  die  Conti- 
nuität  des  trachealen  Luftraumes  mit  der  äusseren  Atmosphäre  unter- 
brechen. Es  geht  hieraus  hervor,  dass  auch  bei  geschlossener  Glottig 
durch  Percussion  der  laryngotrachealen  Luftsäule  die  Lufträume  des 
Pharynx,  des  Mundes  und  der  Nase  noch  in  Consonanz  versetzt  wer- 
den, und  dass  auch  dann  immer  noch  der  laryngotracheale  Percas- 
sionsschall,  ebenso  wie  bei  offener  Glottis,  als  ein  zusammengesetzter 
aufgefasst  werden  muss.  Ich  kann  daher  Gerhardt 's  Annahme 
<a.  a.  0.  S.  198),  dass  man  bei  geschlossener  Kehlkopfshöhle  durch 
di^  laryngeale  Percussion  nur  allein  den  Schall  der  im^Eehlkopf 
enthaltenen  Luft  und  etwa  noch  den  der  Trachea  erhalte,  als  richtig 
nicht  anerkennen. 

Abgesehen  von  den  durch  die  bisher  erwähnten  Proceduren  er- 
zeugbaren Aenderungen  lässt  sich  auch  während  tieferRespira- 
tionsbewegungen  ein  Wechsel  des  laryngotrachealen  Percussions- 
Schalles  mehr  oder  minder  deutlich  in  der  Weise  erkennen,  dass 
derselbe  am  Ende  einer  tiefen  Inspiration  höher  ist,  als 
während  der  Exspiration.  Diese  mir  bereits  längst  bekannte 
Thatsache  glaube  ich  auf  Aenderungen  in  der  Weiite  der  Stimmritze, 
wie  sie  während  tiefer  Athembewegungen  erfolgen,  resp.  auf  die  in- 
spiratorische Erweiterung  derselben,  zurQckftthren  zu  müssen.  Ruhige 
und  oberflächliche  Athemzüge  äussern  keinen  merklichen  Einflnss. 
Gerhardt  (a.a.  0.  S.  199),  welcher  die  inspiratorische  Höhenzunahme 
des  laryngotrachealen  Percussionsschalles  gleichfalls  erkannte,  weiss 
keine  Erklärung  zu  geben,  indem  man,  „da  bei  der  Inspiration  die 
Leitungsröhren  der  Athmungsluf t  sich  erweitem  und  strecken  ^  eher 
das  Umgekehrte  erwarten  müsste.  Am  deutlichsten  lässt  sich  der 
in  Rede  stehende  Schallwechsel  erkennen,  wenn  man  während  der 
Percussion  den  Mund  offen  halten  lässt ;  doch  wird  man  zur  Vermei- 
dung irrthttmlicher  Resultate  selbstverständlich  darauf  achten  mOssen, 
dass  das  Versuchsobject  während  der  tiefen  Athembewegungen  den 

1)  Wintrich  a.  a.  0.  S.  31,  54. 


Percassion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea.  263 

Mund  stets  gleich  weit  geöffnet  halte,  keinerlei  Bewegungen  mit  der 
Zunge  Yollfttbre,  kurz  alle  jene  so  leicht  eintretenden  Nebenbewegun- 
gen Tenneide,  welche  ihrerseits  die  Höhe  des  laryngotracbealen  Per- 
cussionsschalles  influiren  könnten.  Die  Meinung,  dass  die  beim  tiefen 
Einathmen  geschehende  Hebung  der  Epiglottis  der  inspiratorischen 
Höbenzunahme  des  laryngotracbealen  Percussionsschalles  zu  Grunde 
liegen  möchte,  ist  deshalb  unstatthaft,  weil  die  genannte  Bewegung 
des  Kehldeckels  meist  nicht  bedeutend  genug  ist,  um  den  Introitus 
laryngis  wesentlich  zu  beeinflussen,  und  weil  die  Deutlichkeit  des 
respiratorischen  Schallwechsels  nicht  im  Verhältniss  steht  zu  dem 
durch  das  Laryngoskop  leicht  constatirbaren ,  bei  den  einzelnen  In- 
dividuen sehr  variablen  Grade  der  respiratorischen  Beweglichkeit  des 
Kehldeckels.  Auch  sprechen  gegen  den  Einfluss  der  Epiglottis  jene 
Fälle,  in  denen  bei  Defect  derselben  der  respiratorische  Wechsel  des 
laryngotracbealen  Percussionsschalles  dennoch  yorhanden  ist.  So 
fand  ich  bei  einem  an  Pneumolaryngophthise  leidenden  jungen  Mann 
den  Kehldeckel  zu  einem  starren,  dicken  und  niedrigen  Wulste  de- 
generirt,  der  weder  beim  Intoniren,  noch  bei  tiefer  Athmung  eine 
Bewegung  oder  Aenderung  seiner  Stellung  erkennen  Hess.  Die  ge- 
rutbeten,  an  den  Rändern  usurirten  Stimmbänder  dagegen  YollfQhrten 
bei  tiefen  Athemzügen  die  ausgiebigsten  Bewegungen.  Demgemäss 
war  trotz  der  bezeichneten  Degeneration  der  Epiglottis  der  respira- 
torische Schallwechsel  am  Kehlkopf  und  an  der  Trachea  aufs  Deut* 
liebste  ausgeprägt. 

Der  Einfluss  der  Stimmritze  auf  die  Höhe  des  laryngotracbealen 
Percussionsschalles  ergibt  sich  auch  aus  gewissen  Veränderungen, 
welche  letzterer  während  des  Intonirens  erleidet.  Es  empfiehlt 
sich  dabei,  den  betreffenden  Vocal  möglichst  leise  intoniren  zu  lasseUi 
da  starkes  Intoniren  den  Percussionsschall  leicht  übertönt  und  da- 
durch die  Perception  der  eintretenden  Veränderung  schwierig  oder 
selbst  unmöglich  macht.  Indem  beim  Intoniren  die  aneinander  tre- 
tenden Stimmbänder  einen  nahezu  vollständigen  Abschluss  der  Glottis- 
spalte bewirken,  wird  der  tracheale  Percussionsschall  sofort  tiefer, 
während  die  dabei  zugleich  stattfindende  Hebung  des  Kehldeckels, 
wenn  dieselbe  überhaupt  einen  Einfluss  ausüben  würde,  den  ent- 
gegengesetzten Effect  zur  Folge  haben  mttsste.  Dieses  Tieferwer- 
den des  Trachealschalles  erfolgt  in  gleichem  Grade  beim  Intoniren 
eines  hohen,  wie  tiefen  Tones,  indem  eben  nur  der  Schluss  der 
Stimmritze  der  Schälländerung  zu  Grunde  liegt,  dagegen  der  Span- 
nuDgsgrad  der  Stimmbänder  ohne  Einfluss  ist.    Gerhardt^)  findet, 

l)  a.a.O.  S.  198.  —  Lehrbuch  d.  Auso.  u.  Perc.  3. Aufl.  1S76.  S.  156. 


264  Xm.  Fbiedreich 

dass  der  laryngotracheale  Percussionsschall  nur  ganz  wenig  sieh 
ändere,  wenn  man  abwechselnd  e  intoniren  und  tief  athmen  lasse, 
welchen  beiden  Acten  die  grössten  Differenzen  in  der  Weite  der 
Glottisspalte  entspräjchen,  und  kommt  zu  dem  meiner  Meinung  nach 
nur  theilweise  richtigen  Schlüsse  9  dass  ein  akustisch  -  percutorischer 
Abschluss  der  Eehlkopfhöhle  nach  oben  durch  die  ausgespannten 
Stimmbänder  nicht  bewirkt  werden  könne.  Ich  meinerseits  finde 
ganz  bedeutende  Unterschiede  bezüglich  der  Höhe  des  laryngotra- 
chealen  Percussionsschalles  während .  jener  beiden  Acte ,  und  wenn 
ich  auch  zugebe ,  dass  ein  akustisch  -  percutorischer  Abschluss  der 
laryngotrachealen  Luftsäule  nach  oben  durch  die  ausgespannten 
Stimmbänder  insofeme  nicht  yoUständig  bewirkt  werden  kann,  als, 
wie  ich  oben  gezeigt  habe,  Oeffnen  und  Schliessen  des  Mundes  und 
der  äusseren  Nasenöffnungen  auch  während  des  Intonirens  noch  immer 
ihren  Einfluss  auf  die  Höhe  des  laryngotrachealen  Percussionsschalles 
bewahren,  so  ist  doch  andererseits  der  selbständige  und  isolirte  Ein- 
fluss der  respiratorischen  Differenzen  in  der  Weite  der  Stimmritze 
auf  die  Höhe  desselben  keineswegs  ausgeschlossen  und  in  der  Tbat 
mit  aller  Bestimmtheit  constatirbar.  —  Percutirt  man  während  des 
Intonirens  eines  Vocales  die  Trachea  mit  genügend  kräftigen  Schlägen» 
so  kann  man  besonders  bei  geöffnetem  Munde  ein  sehr  laut  remehm- 
bares  Bruit  de  potf^U  erzeugen,  welches  zweifellos  an  der  verengten 
Glottisspalte  seine  Entstehung  hat 

Endlich  beweisen  auch  Erfahrungen,  welche  man  bei  motori- 
schen Eehlkopfneurosen  zu  machen  Gelegenheit  hat,  den  Ein- 
fluss der  Stimmritzenweite  auf  die  Höhe  des  laryngo- 
trachealen Percussionsschalles.  Auf  Grund  mehrfacher  Be- 
obachtungen glaube  ich  behaupten  zu  können,  dass  sowohl  Krampf 
wie  Lähmung  der  Eehlkopfmuskeln,  insoweit  sie  die  Bewegungen 
der  Stimmbänder  beeinträchtigen,  auch  die  Verhältnisse  des  unter 
normalen  Bedingungen  erkennbaren  Schallwechsels  an  Kehlkopf  und 
Trachea  influiren.    Ich  will  in  Kürze  einige  Beispiele  beifügen. 

Am  20.  Juli  1 876  untersuchte  ich  ein  junges  Mädchen,  welches 
wegen  ausgesprochener  Hysterie  mit  nervöser  Aphonie  in  der  Klinik 
sich  Torstellte.  Die  laryngoskopische  Untersuchung  zeigte  eine  stark 
klaffende,  entschieden  über  das  Maass  der  „  Cadaverstellung  **  hinaus 
erweiterte  Stimmritze,  deren  Weite  auch  bei  tiefen  Athembewegungen 
nicht  im  Geringsten  sich  veränderte.  Beim  Versuch  zu  intoniren  be- 
wegten sich  die  Stimmbänder  wohl  rasch  und  für  einen  kurzen  Mo- 
ment gegen  einander,  sprangen  aber  sofort  in  ihre  frühere  Stellung 
wieder  zurück,  indem  eine  Spannung  und  Fixation  derselben  nicht 


Percassion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea.  265 

erfolgte.  Entspreehend  der  respiratorischen  Immobilität  der  Stimm- 
bänder mangelte  jede  Andeutung  eines  Höbenwechsels  des  laryngo- 
trachealen  Pereossionsschalles  bei  tiefen  Atbembewegungen,  w&hrend 
Oeffnen  nnd  Schliessen  des  Mundes  und  der  Nasenlöcher,  ebenso  der 
Sehliogact  den  exquisitesten  Einfluss  in  normaler  Weise  äusserten. 

Das  laryngoskopische  Bild  dieses  Falles,  welches  so  wenig  dem  typi- 
schen Bilde  einer  eompleten  Recnrrensparalyse  entsprach,  schien  nur  durch 
eine  nngleichmässige,  die  einzelnen  Aeste  der  Nn.  recurrentes  in  verschie- 
denem Grade  betreffende  Parese  gedeutet  werden  zu  können.  Das  die  sog. 
Cadaverstellung  der  Stimmbänder^  wie  sie  den  eompleten  Recurrensläh- 
mQDgen  entspricht.  Überschreitende  Klaffen  der  Stimmritze  deutete  auf  einen 
geringeren  Grad  von  Parese  der  Glottiserweiterer  (Mm.  cricoarytaen.  post.) 
als  der  Glottisschliesser  (Mm.  cricoarytaen.  lateral.,  M.  arytaen.);  denn 
würden  lediglich  die  ersteren  gelähmt  gewesen  sein,  so  hätte  durch  die 
flberwiegende ,  antagonistische  Thätigkeit  der  letzteren  Verengerung  der 
Stimmritze  vorbanden  sein  müssen.  Würde  es  sich  andererseits  um  eine 
Lähmung  der  Schliesser  bei  intacten  Erweiterern  gehandelt  haben,  so  wäre 
die  momentane  Gegeneinanderbewegung  der  Stimmbänder  bei  Intonations- 
bestrebnngen  unerklärlich  gewesen.  In  unserem  Falle  hielten  sich  somit 
die  paretischen  Verengerer  und  Erweiterer,  allerdings  unter  Vorwiegen  des 
noch  in  höherem  Grade  erhaltenen  Innervationsrestes  der  letzteren,  das 
antagonistische  Gleichgewicht.  Auch  die  Mm.  thyreoarytaen.  int.,  sowie 
die  vom  N.  laryng.  super,  versorgten  Mm.  cricothyreoidei  mussten  bei  der 
bestehenden  Aphonie  und  Unfähigkeit  einer  Spannung  und  Fixation  der 
gegeneinander  bewegten  Stimmbänder  als  an  der  Lähmung  betheiligt  be- 
trachtet werden.  Durch  den  bei  energischer  Aufforderung  zur  Intonirung 
geweckten  Willensimpuls  wurde  allerdings  bei  unserer  Kranken  eine  die 
Thätigkeit  der  Erweiterer  überwiegende  Innervation  der  Verengerer  hervor- 
gebracht, welche  aber  sogleich  wieder  nachliess,  und  bei  dem  Mangel  einer 
die  Stimmbänder  fixirenden  Action  das  antagonistische  Uebergewicbt  der 
Erweiterer  sofort  wieder  in  Wirksamkeit  treten  Hess.  Eine  derartige,  durch 
einen  energischen  Willensimpuls  erzeugte  Action  paretischer  Muskeln  wird 
bei  Hysterischen  nichts  Auffallendes  besitzen  können,  und  es  dürften  gerade 
diese  unvollständigen  Lähmungen  der  Kehlkopfmuskeln  und  deren  Varia- 
tionen gegenüber  den  Symptomenbildem  completer  Paralysen  ein  eingehen- 
deres Studium  verdienen.  Es  begreift  sich,  dass  Abweichungen  von  dem 
typischen  Bilde  totaler  und  completer  Paralysen  der  Nn.  recurrentes  dann 
eintreten  müssen,  wenn  die  einzelnen  Aeste  der  genannten  Nervenstämme 
in  verschiedenem  Grade  von  der  Lähmung  betroffen  sind. 

In  einem  anderen  Falle  handelte  es  sich  um  einen  Mann,  der 
sich  am  16.  December  1876  wegen  einer  angeblieh  nach  Erkältung 
zurückgebliebenen  Heiserkeit  in  der  Klinik  vorstellte.  Das  Laryngo- 
skop zeigte  linkerseits  das  bekannte  Bild  einer  eompleten  Recurrens- 
paralyse;  doch  schien  auch  der  rechtseitige  Nerv  nicht  ganz  intact, 
iudem  auch  das  rechte  Stimmband  nur  sehr  geringe  respiratorische 
Excursionen  vollführte,  so  dass  die  Weite  der  Stimmritze  bei  tiefen 


266  XIII.  Fribdreich 

AthembeweguDgen  nahezu  unverändert  blieb.  Beim  Intoniren  blieb 
das  linke  Stimmband  vollständig  ruhig,  während  das  rechte  ziemlich 
bis  zur  Medianlinie  sich  bewegte,  auch  wenn  man  den  Kranken  nur 
möglichst  schwach  zu  intoniren  aufforderte.  Während  nun  bei  letz- 
terem Acte,  bei  welchem  schon  durch  die  einseitige  Bewegung  des 
rechten  Stimmbandes  ein  erhebliches  Engerwerden  der  Glottisspalte 
erfolgte,  der  tracheale  Percussionsschall  sich  deutlich  vertiefte,  waren 
Respirationsbewegungen  ohne  jeden  Einfluss.  Der  Wintrich'sche 
Schallwechsel  war  bei  dem  Kranken  am  Kehlkopf  und  an  der  Tra- 
chea aufs  Deutlichste  demonstrirbar. 

Im  Juli  1878  wurde  mir  durch  die  Güte  meiner  Herren  CoUegen 
Gzerny  und  Jurasz  Gelegenheit  geboten,  einen  27jährigen  Mann 
wiederholt  zu  untersuchen,  welcher  Ende  Mai  1877  in  der  Becon- 
valescenz  von  einem  schweren  Abdöminaltyphus  von  heftiger,  im 
Verlauf  weniger  Tage  zu  solcher  Höhe  sich  steigernder  inspiratorisch- 
laryngealer  Dyspnoe  befallen  wurde,  dass  zur  Tracheotomie  geschrit- 
ten werden  musste.  Als  Ursache  zeigte  das  Laryngoskop  eine  voll- 
ständige Paralyse  beider  Mm.  cricoarytaenoidei  postici.  Zur  Zeit 
meiner  Untersuchung  hatte  sich  der  Zustand  bereits  so  weit  gebes- 
sert, dass  Patient  den  Tag  über  mit  geschlossener  Ganüle  athmen 
konnte,  während  die  des  Nachts  ziemlich  regelmässig  um  Mittemacht 
eintretende  Dyspnoe  ihn  zwang,  die  Ganttle  zu  öffnen.  Die  klaffende, 
etwa  4  Mm.  mittlere  Weite  besitzende  Stimmritze  bot  auch  bei  tiefen 
Athemzttgen  keine  Aenderung ;  dagegen  erfolgte  beim  Phoniren  nor- 
maler Glottisschluss ;  die  Bänder  wurden  gut  gespannt  und  Hessen 
deutlich  vibratorische  Bewegungen  erkennen.  Bei  geschlossener  Ca- 
ntile  konnte  Patient  mit  vollkommen  guter  Stimme  sprechen.  Ent- 
sprechend dem  laryngoskopischen  Bilde  mangelte  jede  Spur  eines 
respiratorischen  Schallwechsels  an  Kehlkopf  und  Luftröhre,  während 
beim  Intoniren  der  laryngotracheale  Percussionsschall  sich  deutlich 
vertiefte ;  ebenso  äusserten  Oeffnen  und  Schliessen  des  Mundes,  sowie 
der  Deglutitionsact  auf  denselben  die  den  normalen  Verhältnissen 
entsprechenden  Wirkungen  0* 

In  gleicher  Weise,  wie  die  phonischen  und  respiratorischen  Stimm- 
bandparalysen,  vermögen  auch  Stimmbandkrämpfe,  insofeme  sie  die 
Stimmritze  schliessen,  den  laryngotrachealen  Percussionsschall  zu  in- 
fluiren,  resp.  zu  vertiefen,  und  den  respiratorischen  Schallwechsel  auf- 
zuheben.   Ich  hatte  Gelegenheit,  hiervon  mich  aufs  Bestimmteste  bei 


1)  Yergl.  die  genauere  Veröffentlichung  dieses  Falles  von  Jurasz:  Beitri^ 
zur  laryngoskopischen  Gasuistik.    Deutsche  med.  Wochenschrift.  1879.  Nr.  U. 


Percussion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea.  267 

einem  18jährigen  TQnchergesellen  zu  überzeugen ,  der  an  Tetanie 
der  Extremitäten  in  meiner  Klinik  behandelt  Tirurde.  Auf  der  Höhe 
besonders  heftiger  Paroxysmen  gesellte  sich  nicht  selten  Glottiskrampf 
hinzu,  welcher  indessen  nicht  plötzlich,  sondern,  analog  den  langsam 
und  träge  sich  einstellenden  Extremitätenkrämpfen,  in  der  Weise 
erfolgte,  dass  erst  nach  6—8  AthemzUgen,  von  deneü  jeder  folgende 
immer  gezogener,  schwieriger  und  stridulöser  wurde,  der  Verschluss 
der  Stimmritze  ein  vollständiger  geworden  war.  Während  der  1  bis 
selbst  IVs  Minuten  langen  Dauer  des  Glottiskrampfes  trat  grösste 
Dyspnoe  mit  Cyanose  ein,  und  Patient  schien  mit  dem  Ersticken  zu 
ringen.  Der  Zufall  fQgte,  dass  ich  gerade  bei  Beginn  eines  derartigen 
Anfalles  am  Bette  des  Kranken  stand  und  diese  seltene  Gelegenheit 
benQtzen  konnte,  um  den  Einfluss  des  Glottisverschlusses  auf  den 
tnchealen  Percussionsschall  zu  prüfen.  Ich  überzeugte  mich  dabei, 
dass  jede  folgende  Inspiration,  insofeme  sich  dabei  die  Stimmritze 
mehr  und  mehr  verengte,  den  Trachealschall  successive  vertiefte  und 
die  Höhendifferenzen  desselben  zwischen  In-  und  Exspiration  vermin- 
derte. Auf  der  Höhe  des  Krampfes,  als  die  Respiration  nur  unter 
äusserster  Anstrengung  sämmtlicher  Inspirationskräfte  erfolgte,  war 
der  Trachealschall  am  tiefsten  geworden  und  ein  respiratorischer 
Schallwechsel  an  der  Trachea  während  der  Dauer  des  Paroxysmus 
nicht  mehr  zu  erkennen.  Nach  Lösung  des  Krampfes  kam  der  normale 
Höhenwechsel  des  laryngotrachealen  Percussionsschalles  bei  tiefen 
Athembewegüngen  in  der  deutlichsten  Weise  wieder  zum  Vorschein. 
Nachdem  wir  in  Vorstehendem  den  Einfluss  der  Stimmritzenweite 
auf  die  Höhenverhältnisse  des  laryngotrachealen  Percussionsschalles 
kennen  gelernt  haben,  wird  schon  von  vornherein  vermuthet  werden 
dQrfen,  dass  ein  solcher  Einfluss  auch  auf  die  Höhe  des  Percussions- 
schalles am  Thorax  unter  gewissen  pathologischen  Bedingungen  sich 
wird  geltend  machen  können.  In  der  That  kann  man  sich  über- 
zeugen, dass  bei  solchen  Veränderungen  des  Lungenparenchyms,  wie 
sie  dem  Willi  am  s'schen  Trachealtone  zu  Grunde  liegen,  namentlich 
in  gewissen  Fällen  ausgebreiteter  und  gleichmässiger  Verdichtungen 
der  oberen  Lungenpartien  (chronisch-pneumonische  Indurationen),  der 
an  den  entsprechenden  Thoraxstellen,  meist  den  Infraclaviculargegen- 
deu,  bestehende  gedämpft -tympanitische  Percussionsschall  alle  jene 
Aenderungen  wiederholt,  welche  an  der  Trachea  selbst  durch  directe 
Percussion  derselben  zur  Wahrnehmung  gebracht  werden  können. 
Der  an  solchen  Stellen  vorhandene  Williams 'sehe  Trachealton  zeigt 
nicht  allein,  wie  bekannt,  den  Wintrich^schen  Schall  Wechsel,  son- 
dern wird  auch  tiefer  während  des  Schluckactes  und  höher  bei  tiefen 


268  Xni.  Fribdbbich 

InspiratioDsbewegungen.  Da  hier  wegen  der  gleichmässigen  V^dicb- 
tung  des  Lungenparenchyms  die  Brustwand  keine  respiratorischen 
Excursionen  mehr  vollführt  und  somit  eine  respiratorische  Spannungs- 
änderung  derselben ,  sowie  des  erkrankten  Lungengewebes  nicht  in 
Betracht  kommen  kann,  so  wird  man  für  die  Erklärung  der  Inspira- 
torischen  Höhenzunahme  des  Williams'schen  Trachealtones  eben 
nur  die  inspiratorische  Erweiterung  der  Stimmritze  zu  Hülfe  nehmen 
können. 

Die  gleiche  Genese  einer  inspiratorischen  Höhenzunahme  des 
gedämpft  -  tympanitischen  Schalles  am  Thorax  wird  für  jene  Fälle 
Geltung  besitzen,  in  welchen  tiefliegendei  von  verdichteter  Umgebung 
begrenzte  Caverhen  vorhanden  sind,  deren  Volumen  wegen  der  Dicke 
und  Starrheit  der  sie  umgebenden  Schichten  bei  den  einzelnen  Be- 
spirationsphasen  immer  das  gleiche  bleibt  und  über  denen  die  Brust- 
wand  gleichfalls  keine  respiratorischen  Spannungsänderungen  erieidet. 
Der  in  solchen  Fällen  an  den  betreffenden  Thoraxstellen  vorhandene 
tympanitische  Beiklang  des  mehr  oder  minder  gedämpften  Percussions- 
Schalles  wird  zum  Theil  gleichfalls  nach  Art  des  Williams'schen 
Trachealtones,  zum  Theil  als  der  Ausdruck  der  aus  dem  Höhlenraum 
längs  der  in  denselben  mündenden  Bronchienkanäle  bis  hinauf  zur 
laryngotrachealen  Luftsäule  fortgesetzten  Schwingungen  aufgefasst 
werden  müssen,  und  es  wird  derselbe  demgemäss  aluch  die  gleichen 
respiratorischen  und  durch  die  übrigen  Einflüsse  erzeugbaren  Höhen- 
änderungen darbieten  können,  wie  sie  der  directe  Percussionsschall 
des  Kehlkopfs  und  der  Trachea  erleidet.  Damit  ergibt  sieh  aber^ 
dass  wir  auch  den  Williams'schen  Trachealton,  sowie  den  unter 
den  angeführten  Verhältnissen  an  Excavationen  bestehenden  tympa- 
nitischen  Percussionsschall  als  eine  zusammengesetzte  Schallerschei* 
nung  auffassen  müssen,  bei  deren  Entstehung  ebenso  wie  bei  der 
directen  laryngotrachealen  Percussion  auch  Schwingungen  der  in  den 
Rachen-,  Mund-  und  Nasenräumen  enthaltenen  Luft  concurriren.  Bis 
zu  welchem  Grade  solches  speciell  bei  Cavemen  der  Fall  ist,  wird 
freilich  von  verschiedenen  Momenten  abhängig  sein,  als  welche  irir, 
abgesehen  von  der  Stärke  des  Percussionsstosses  und  der  variablen 
Dicke  und  Impressionabilität  der  Cavemen-  und  Thoraxwand,  die 
Zahl  und  Weite  der  einmündenden  Bronchien,  die  Stellung  ihrer  Mfln- 
düngen  zum  percutirten  Punkte  der  Thoraxwand,  sowie  ihre  Verlaufs- 
richtung  als  hauptsächlich  in  Betracht  kommend  bezeichnen  wollen. 

Gomplicirter  gestalten  sich  die  Verhältnisse  bei  jenen  grossen, 
oberflächlich  gelegenen  Excavationen,  welche  durch  eine  nur  dünne 
und  dehnbare  Gewebsschichte  von  der  Thoraxwand  getrennt  sind 


Percussion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea.  269 

und  demgemitoy  den  Excursionen  der  letzteren  folgend,  respiratorische 
Aenderungen  ihres  Volumens  erleiden.  Die  hier  bei  tiefer  Inspiration 
in  der  Begel  mehr  oder  minder  deutlich  constatirbare  Höhenzunahme 
des  hell-tympanitischen  CSavemenschalles  wird  allerdings  nicht  ledig- 
lieh auf  eine  Aenderung  in  der  Weite  der  Stimmritze  bezogen  werden 
können,  indem  auch  noch  andere  Factoren  in  Wirksamkeit  treten^ 
welche  theils  nach  gleicher,  theils  nach  entgegengesetzter  Richtung 
wirkend  einen  Einflnss  auf  die  Höhe  des  Fercussionsschalles  äussern. 
So  mttsste  die  bei  tiefer  Inspiration  geschehende  Dehnung  und  Er- 
weiterung der  Caveme,  insoferne  deren  grösster  Durchmesser  dabei 
in  der  Regel  eine  Zunahme  erfahren  dtlrfte,  eine  inspiratorische  Ver- 
tiefang  des  Fercussionsschalles  zur  Folge  haben,  wenn  nicht  die  bei 
der  Inspiration  eintretende  Spannungszunahm^  der  Thoraxwand  und 
der  mit  derselben  verwachsenen  membranösen  Höhlenwand,  unter- 
stötzt  durch  die  inspiratorische  Erweiterung  der  Stimmritze,  ersteren 
Einflass  hypercompensiren  und  als  *Gesammtresultat  eine  inspirato- 
rische Erhöhung  des  Schalles  herbeiführen  würde. 

In  einer  vor  längeren  Jahren  publicirten  Arbeit  ^)  hatte  ich  das 
bei  tiefer  Inspiration  erkennbare  Höherwerden  des  tympanitischen 
CaTsmenschalles,  wenn  derselbe  ausserdem  den  Wintrich'schen 
Sehallwechsel  darbietet,  als  die  Folge  der,  -wie  oben  erwähnt,  auch 
an  der  Trachea  nachweisbaren  inspiratorischen  Erweiterung  der  Stimm- 
ritze zu  deuten  Tersucht.  Wenn  ich  allerdings  bekenne,  dass  ich 
damals  in  einer  zu  exclusiven  Weise  die  wechselnde  Weite  der  Stimm- 
ritze als  Ursache  der  genannten  Erscheinung  in  den  Vordergrund 
stellte  und  den  Einfluss  der  in  gleicher  Weise  die  Höhe  des  Cavemen- 
schalles  steigernden  inspiratorischen  Spannungszunahma  der  Thorax- 
und  Höhlenwand  ausser  Betracht  gelassen  hatte  ^  so  kann  ich  doch 
Rosenbach 2)  nicht  zustimmen,  wenn  derselbe  jeden  Einfluss  der 
Stimmritzenweite  auf  die  Höhe  des  Cavernenschalles  in  Abrede  stellt, 
nnd  ich  glaube  auch  gegenüber  den  Einwendungen  des  genannten 
Forschers  an  der  Annahme  der  inspiratorischen  Erweiterung  der 
Stimmritze  als  der  theilweisen,  unter  bestimmten,  oben  bezeichneten 
pathologischen  Veränderungen  selbst  ausschliesslichen  Ursache  der 
inspiratorischen  Höhenzunahme  des  an  erkrankten  Stellen  des  Lun- 
gengewebes vorhandenen  tympanitischen  Fercussionsschalles  festhal- 
ten zu  müssen.    Die  Richtigkeit  der  Bemerkung  Rosenbach 's,  dass 

1)  Ueber  die  diagnostische  Bedeutung  der  objecti?en  Höhiensymptome.    Ver- 
handlungen der  physikal.-med.  Gesellschaft  zu  Würzburg.  YII.  1857.  S.  105. 

2)  Die  Relaxation  des  Lungengewebes  u.  s.  w.  Dieses  Archiv.  Bd.  XYIII.  1876. 
S.  90. 


270         XIII.  Frusdreich,  Percassion  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea. 

die  Differenz  in  der  Weite  der  Stimmritze  bei  In-  und  Exspiration 
eine  nur  minimale  sei  und  daher  nicht  von  Einfluss  auf  die  Schall- 
höhe sein  könne,  gebe  ich  fQr  ruhige  Athembewegungen  yoUkommen 
zu;  für  solche  aber  habe  ich  einen  Einfluss  niemals  behauptet,  son- 
dern ausdrücklich  nur  für  tiefe  Inspirationsbewegungen,  bei  welchen 
doch,  wie  das  Laryngoskop  zeigt,  die  Excursionen  der  Stimmbänder 
bedeutend  genug  sind,  um  einen  Einfluss  ausüben  zu  können.  Wenn 
endlich  Rosenbach  gegen  meine  Meinung  von  der  Bedeutung  der 
Stimmritzen  weite  für  den  Percussionsschall  noch  den  Umstand  zo 
verwerthen  sucht,  dass  „über  normalen  Lungen  Oeffnen  und  Scblies- 
sen  des  Mundes  nur  in  sehr  seltenen  Fällen  und  dann  nur  einen 
minimalen  Schallhöhewechsel  bedingt ''y  so  muss  ich  die  thatsäch- 
liehe  Richtigkeit  dieses  Satzes  in  Zweifel  ziehen,  indem  für  mein 
akustisches  Perceptionsvermögen  ein  Wintrich'scher  Schall wechsel 
am  normalen  Thorax  nicht  existirt. 


XIV. 
Die  allgemeine  Bindegewebshyperplasie  (Fibromatosis). 

Prof.  F.  W.  Beneke 

in  Marborg. 

Es  dürfte  wenige  pathologische  Anatomen  geben,  welche  nicht 
schon  einmal  mit  Staunen  einer  Leiche  gegenübergetreten  wären, 
die,  ihnen  als  „  phthisisch  ^  gemeldet,  in  ihrem  ganzen  äussern  Habitus 
doch  keine  Spur  einer  „Phthisis"  .verrieth  und  bei  der  Obduction 
dennoch  grosse  Gayemen  in  den  Lungen  und  auch  secundäre  Miliar* 
tabercnlose  in  yerschiedenen  Organen  auffinden  Hess.  —  Es  sind  mir 
derartige  Befunde  in  den  letzteren  Jahren  häufiger  entgegengetreten 
nnd  ich  gestehe  offen,  dass  ich  dieselben  anfangs  pathologisch  kaum 
zu  deuten  wusste.  Erst  nach  und  nach  glaube  ich  ein  Verständniss 
dieser  bemerkenswerthen  Fälle  gewonnen  zu  haben  und  da  ich  bis 
dahin  vergeblich  in  der  Literatur  nach  einer  zutreffenden  Schilderung 
derselben  gesucht  habe,  so  möge  es  mir  gestattet  sein,  die  haupt* 
sächlichen  bezüglichen  Beobachtungen,  sowie  meine  Auffassung  der 
Befunde  mitzutheilen.  Ich  erwähne  dabei  von  vornherein ,  dass  es 
sich  in  den  fraglichen  Fällen  nicht  etwa  nur  um  jene  Form  von 
Bindegewebshyperplasieen  in  den  Lungen ,  Bronchektasieen  u.  s.  w. 
handelt,  welche  als  sogenannte  Pneumokoniosen  bekannt  sind;  die 
wesentlichen  ätiologischen  Momente  dieser  letzteren  konnten  ausge- 
schlossen werden.  Der  Nachdruck  liegt  in  meinen  Fällen  auf  der 
weiten,  wenn  nicht  allgemeinen  Verbreitung  von  Bindege- 
webshyperplasieen, wie  sie  sich  bei  den  gewöhnlichen  Pneumokonio- 
sen seltener  vorfinden.  Zugleich  liegen  entscheidende  Kriterien  in 
der  gesammten  Constitution  der  Leichen,  um  welche  es  sich  handelt, 
um  die  Aufstellung  einer  besonderen  Krankheitsform  zu  rechtfertigen. 

Die  ersten  hierher  gehörigen,  meine  Aufmerksamkeit  fesselnden 
Fälle  waren  folgende: 


272  XIV.  Bbnbke 

1.  Franz  P.  (Protok.  W.  Nr.  28),  42  Jahre  alt,  Gelbgieasergehilfe. 
Klinische  Diagnose:  „Phthisis  pulmonum^. 

Der  gesammte  Körperbau  kräftig,  schön  proportionirt;  165  Cm.  lang. 
In  beiden  Lungen  finden  sich  in  den  oberen  Lappen  grössere  und  klei- 
nere Cavernen,  daneben  interstitielle  Induration  und  weitverbreitete  käsige 
Knoten.  Im  Darm  einzelne  tuberculöse  Geschwüre.  Das  Herz  von  sehr 
beträchtlicher  Grösse,  ziemlich  stark  mit  Fett  überwachsen  (393  Gem.  Volniu). 
Leichter  Ascites.  An  der  Leber,  von  ziemlich  normaler  Grösse,  findet 
sich  eine  Verdickung  der  Kapsel  und  interstitielle  Wucherung.  Die  Milz 
ist  sehr  gross  (375  Ccm.  Volum)  und  enthält  miliare  Tuberkel.  Die  Nie- 
ren Tmd  beide  gross  (zusammen  348  Ccm.  Volum),  sehr  derb  und  zeigen 
bindegewebige  Schwielen.  Das  arterielleGefäsasytem  ist  sehr  weit; 
die  Aorta  ascendens  hat  80  Mm.,  die  Art.  pulmonalis  76  Mm.  Umfang. 

2.  Franz  W.  (Protok.  W.  Nr.  29),  2lJahre  alt,  Tischler.  Klinische 
Diagnose:  „Phthisis  pulmonum^. 

Der  Körperbau  sehr  kräftig,  schön  proportionirt,  175  Gm.  lang.  In 
der  rechten  Lunge  finden  sich  alte  und  ganz  frische  zahlreiche  peribrou- 
chitische  Herde ;  ebenso  in  der  linken  Lunge.  Die  älteren  Herde  sind  von 
derbem,  schwieligem  Gewebe  umgeben;  in  den  noch  lufthaltigen  Partien 
befinden  sich  frische  miliare  Tuberkel.  Schleimhautgeschwüre  sind  weder 
im  Larynx,  noch  im  Darm  vorhanden.  Das  Herz  hat  eine  sehr  gute 
Grösse  (295  Ccm.  Volum).  Die  Leber  ist  ausserordentlich  gross,  blnt- 
reich  und  zeigt  frische  interstitielle  Wucherungen.  Im  Protokoll  befindet 
sich  die  besondere  Bemerkung :  „  Lungen  nicht  so  stark  infiltrirt,  dass  sieb 
die  Grösse  der  Leber  durch  Stauung  erklären  Hesse ^.  Ueber  Milz  und 
Nieren  fehlen  mir  genauere  Notizen;  die  arteriellen  Gefässe  haben 
eine  gute  normale  Weite  (Aorta  asc.  66,  Pulmonalis  67  Mm.). 

3.  Franz  Cn.  (Protok.  W.  Nr.  106),  24  Jahre  alt,  Bäcker.  KUnische 
Diagnose :  „  Phthisis  pulmonum  ". 

Sehr  schöner,  kräftiger,  musculöser  Körper;  173  Cm.  Körperlänge. 
Sämmtliche  Organe  sehr  blutreich.  Beide  Lungen  von  starken  plenriti- 
Bchen  Schwarten  umgeben  und  überall  adhärent.  Rechts  frische  eitrige 
Pleuritis.  In  beiden  Lungen  starke  interstitielle  pigmentirte  Induration, 
daneben  käsige  Herde  und  kleine  Cavernen.  Die  Bronchialdrflsen  be- 
trächtlich, frisch,  grau  geschwellt.  Das  Herz  von  guter  Grösse  (257  Ccm. 
Volum).  Die  Leber  blutreich,  aber  makroskopisch  ohne  wesentliche  Ver- 
änderung (1575  Ccm.  Volum).  Die  Nieren  sehr  gross  und  blutreich,  derb 
(zusammen  408  Ccm.  Volum).  Viel  Fett  in  der  Umgebung  ihres  Beckens. 
Das  arterielle  Gefässsystem  von  guter,  normaler  Weite  (Aorta  asc. 
68  Mm.,  Pulmonalis  67  Mm.). 

4.  Vitalis  L.  (Protok.  W.  Nr.  141),  55  Jahre  alt,  Tagelöhner.  Kli- 
nische Diagnose:  „Pyopneumoihorax^. 

Sehr  kräftiger  musculöser  Körper.  Die  linke  Lunge  ganz  frei,  aber 
sehr  blutreich  und  von  einer  stark  verdickten  Pleura  überzogen,  die  rechte 
Lunge  ebenfalls  von  einer  dicken  pleuritischen  Schwarte  Aberzogen.  In  ihrer 
Spitze  Induration,  3  —  4  alte  kleine  käsige  Herde  und  2  kleine  broncbi- 
ektatische  Cavernen.    Die  eine  derselben  befand  sich  unmittelbar  anter  der 


Fibromatosis.  273 

Pleura,  perforirte  und  fahrte  den  Pneomothorax  herbei.  Der  mittlere  und 
antere*  Lappen  ganz  frei.  Daa  Herz  sehr  grosa  (388  Ccm.  Volnm);  die 
Pericardialblitter  verdickt.  Die  Leber  groBs  (1755  Ccm.),  stark  fettig 
and  interstitiell  hypertrophisch.  Die  Milz  weich  nnd  klein;  die  Nieren 
gross  (336  Gem.)  und  sehr  blnthaltig.  Der  Darm  frei  von  Oeschwttren. 
Das  arterielle  Gefässsystem  sehr  weit,  ganz  vereinzelte  atheroma- 
tö8e  Plaques  zeigend  (Aorta  ascendens  81,  Palmonalis  78,  Aorta  thoracica 
69  Mm.).  Es  handelte  sich  hier  also  um  einen  alten  interstitiellen  Process 
in  den  Lnngen  in  einem  später  voll  nnd  kräftig  entwickelten  Rdrper. 

Diese  ersten  4  Fälle  erregten  meine  Aufmerksamkeit  wesentlich 
durch  den  grossen  Widerspruch  zwischen  der  Ffille  und  Schönheit 
der  Eörperentwicklung  und  dem  verderblichen  Process  in  den  Re- 
spirationsorganen. Auffallend  war  mir  femer  die  fast  überall  be- 
trächtliche Grösse  des  Herzens,  die  bedeutende  oder  doch  gute  Weite 
des  arteriellen  Gefftssi^Btems,  sowie  die  beträchtliche  allgemeine  Blut- 
ffille,  Erscheinungen  also,  wie  sie  bei  der  gewöhnliehen  Lungenphtbisis 
eben  nicht  gefunden  'werden.  Auf  eine  allgemeinere  Verbreitung  des 
Bindegewebes  war  meine  Aufmerksamkeit  noch  weniger  gerichtet; 
dieselbe  ist  eben  nur  da  notirt,  wo  sie  geradezu  hochgradig  her- 
vortrat 

Erst  die  folgenden  Fälle  ftihrten  zu  einer  näheren  Bekanntschaft 
mit  dem  inneren  Wesen  dieser  Processe,  und  es  wurden  von  nun  an 
sämmtliche  Organe  genauer  auf  das  Verhalten  der  interstitiellen  Ge- 
webe untersucht.  Als  lehrreichste  hierher  gehörige  Beobachtungen 
wähle  ich  die  nachstehenden  aus: 

l.  Johann  P.  (Protok.  W.  Nr.  251),  40  Jahre  alt,  Tagelöhner.  Kli- 
nische  Diagnose:  „Phthisis  pulmonum*'. 

Kräftiger  musculöser  Körper  von  173  Gm.  Länge;  breiter  Thorax. 
In  dem  ganzen  Körperbau  nur  ein  Gegensatz  von  Allem,  was  ,,  phthisisch^ 
genannt  wird.  Beide  Langen  von  sehr  grossem  Volumen,  namentlich  die 
rechte.  Die  linke  Lunge  ist  durch  eine  dicke  Schwarte  der  Brastwand 
äberall  fest  verlöthet;  im  oberen  Lappen  2  grosse  bronchiektatische  Ga- 
vemen.  Das  interstitielle  Gewebe  überall  hypertrophisch.  In  beiden  Lappen 
fast  gleichmässig  verbreitet  zahlreiche  kleinere  und  grössere  peribronchitische 
Knoten,  zum  Theil  im  verkästen  Zustande.  Die  rechte  Lunge  nur  im 
oberen  Lappen  adhärent  und  mit  verdickter  Pleura  versehen.  Im  oberen 
Lappen  starke  interstitielle  Verdichtung,  daneben  zahlreiche  peribronchi- 
tische Knötchen  und  ältere  ganz  trockene  verkäste  Knoten.  Der  mittlere 
Qnd  antere  Lappen  fast  frei  von  Knoten,  aber  sehr  blutreich  und  ödematös. 
Im  Darm  tnberculöse  GeschwSre.  Die  ganze  Leiche  sehr  blutreich;  das 
Herz  von  ausserordentlicher  Grösse  (431  Gem.  Volnm),  ziemlich  stark  fett- 
fiberwachsen.  Die  Wände  der  Ventrikel  stark  entwickelt,  aber  schlaff, 
leicht  zerreisslich.  Die  Leber  von  sehr  grossem  Volnm  (1974  Gem.).  Auf 
dem  Durchschnitt  etwas  fettig,  mnscatnussfarbig ;  am  unteren  Rande  gra- 
nnlirt.    Die  Milz  weich,  klein  (149  Gem.  Volum).    Die  Nieren  sehr  gross 

D«DtoehM  ArehlT  f.  klin.  Medlcln.    XXIV.  Bd.  18 


274  XIV.  BENiBKE 

(zusammen  408  Ccm.  Volam),  von  sehr  derber,  fast  harter  Bescbaffenheit, 
geben  ihre  Kapsel  sehr  schwer  her  and  zeigen  eine  betrachtliche  inter- 
stitielle Hyperplasie.  Das  arterielle  Gefässsystem  fflr  das  Alter  von 
40  Jahren  ausserordentlich  weit  (Aorta  asc.  77,  Pulmonalis  81,  Aorta 
thoracica  51,  Aorta  abdominalis  40  Mm.  u.  s.  w.). 

2.  Anna  W.  (Protok.  W.  Nr.  229),  41  Jahre  alt,  Magd.  KlhuBcbe 
Diagnose:  ^Morbus  Brighiii^.  i 

Sehr  kräftiger,  musculöser  und  mit  starkem  Fettpolster  ausgestatteter 
Körper  von  167,5  Cm.  Körperlänge.  Alle  Organe  sehr  blutreich;  an  der 
rechten  Lunge  eine  starke  pleuritische  Schwarte;  in  beiden  oberen  Lud- 
genlappen  starke  schiefrige  Induration  mit  einzelnen  miliaren  Knötchen 
durchsetzt;  links  auch  einige  kleine  k&sige,  zum  Theil  verkalkte  Knoten. 
Beide  untere  Lungenlappen  sehr  blutreich.  Volum  beider  Lungen  annähernd 
normal.  Das  Herz  gross  (310  Ccm.  Volum),  ziemlich  stark  fettflberwachsen, 
die  Musculatur  aber  schlaff,  die  Leber  gross  (1848  Ccm.  Volum),  fein 
granulirt;  zeigt  eine  bedeutende  interstitielle  Hyperplasie.  Die  Milz  etwas 
vergrössert  (220  Ccm.  Volum),  ziemlich  fest  und  derb  und  sehr  blutreich^ 
nicht  amyloid.  Die  Nieren  gross  (zusammen  387  Ccm.  Volum).  Sehr 
derb,  blutreich.  Die  Kapsel  haftet  fest;  an  der  Oberfläche  leicht  granulirt. 
Das  arterielle  Gefässsystem  von  ziemlich  normaler  Weite  (Aorta 
asc.  67,  Pulmonalis  64,  Aorta  tbor.  47  Mm.  Umfang  u.  s.  w.).  Keine  Ge- 
schwüre im  Darm. 

3.  Josef  K.  (Protok.  W.  Nr.  170),  38  Jahre  alt,  Tagelöhner.  Klinische 
Diagnose:  „Mstuia  ani,  Dysenterie'*. 

Sehr  kräftiger  musculöser  Körper  mit  gering  entwickeltem  Pannicnlos. 
178  Cm.  Länge.  Die  ganze  Leiche  sehr  blutreich.  Beide  Langen  sehr 
stark  adhärent,  gross  und  blutreich.  Der  rechte  obere  Lappen  zeigt  in 
der  Spitze  schiefrige  Induration  und  kleine  bronchiektatische  Cavemen.  Die 
linke  Lunge  von  einer  starken  pleuritischen  Schwarte  fiberzogen.  Nach 
Abtrennung  derselben  sieht  man  die  Pleura  pulmonalis  mit  zahllosen,  mili- 
aren fibrösen  Knötchen  durchsetzt.  In  der  Spitze  dieser  Lunge  ein  frischer 
lobulärer,  pneumonischer  Herd.  Keine  Miliartuberkel  in  der  Lange.  Das 
Herz  sehr  gross  (362  Ccm.  Volum),  stark  fettfiberwachsen.  Die  Musculator 
schlaff,  etwas  entfärbt.  Die  Leber  gross  (1966  Ccm.  Volum),  zeigt  mitt- 
leren (3rad  fettiger  Degeneration.  Die  Milz  gross  (272  Ccm.  Volum).  Die 
Nieren  sehr  gross  (zusammen  411  Ccm.),  äusserst  hart,  sehr  blutreich, 
massig  granulirt.  Im  Dickdarm  katarrhalische  Geschwüre.  Das  arte- 
rielle Gefässsystem  von  entsprechender  Weite  (Aorta  asc.  66,  PdI- 
monalis  63,  Aorta  thorac.  47  Mm.  Umfang  u.  s.  w.). 

4.  Catharina  K.  (Protok.  W.  Nr.  169),  42  Jahre  alt,  Tagelöhoerio. 
Klinische  Diagnose:  „Tuberculosis  acuta'*. 

Kräftige  Musculatnr;  massiges  Fettpolster.  155  Cm.  Körperlfioge. 
Durchaus  kein  tuberculöser  Habitus.  Beide  Lungen  vollständig  adhärent; 
in  beiden  Lungen  oben  massige  interstitielle  Verdichtungen  und  Bronchi- 
ektasien,  aber  nichts  von  käsigen  oder  tuberculösen  Bildungen.  Uoteo 
beiderseits  Oedeme.  Das  Herz  nicht  gross,  fast  fettfrei  (225  Ccm.  Volom). 
Die  Leber  sehr   derb,  mit  starker  interstitieller  Bindegewebswucheroog 


Fibromatosis.  275 

(1250  Ccm.  Volnm).  Die  Milz  gross,  sehr  weich  (488  Ccm.  Volom).  Die 
Nieren  etwas  verkleinert  (cnsammen  256  Ccm.  Volnm);  die  Kapsel  sehr 
sehwer  zu  entfernen;  frische  interstitielle  Wucherungen  in  beiden  Nieren 
.verbreitet.  Der  Uterus  total  hypertrophisch;  zwischen  ihm  und  dem 
Rectum  Iigamentöse  Verwachsungen,  links  eine  Ovarialcyste.  Das  arte- 
rielle Qefiss  System  fUr  die  Körperlänge  etwas  weiter  als  normal  (Aorta 
asc.  68,  Pulmonalis  67,  Aorta  thor.  45  Mm.  Umfang  u.  s.  w.).  (Die  Kranke 
ging  wahrscheinlich  urämisch  zu  Grunde.) 

5.  Josef  6.  (Protok.  W.  Nr.  202),  67  Jahre  alt,  Tagelöhner.  Klinische 
Diagnose:  ^Emphysema  pulmonum,  Marasmus^. 

Ziemlich  kräftiger,  musculöser  Körper.  178  Cm.  Körperlänge.  An  den 
iooeren  Organen  viel  Fett.  Die  Rippen  und  auch  der  Larynz  stark  ver- 
kilkt.  Beide  Lungen  überall  adhärent  Die  Pleuren  schwartenartig  ver- 
dickt. Die  rechte  Lunge  im  ganzen  oberen  und  mittleren  Lappen  schiefrig 
indorirt  und  mit  zahlreichen  grauen  und  käsigen  miliaren  Tuberkeln  be- 
setzt; im  unteren  Lappen  ödematös  und  am  Rande  wenig  emphysematös. 
lo  der  linken  Lunge  dieselben  Erscheinungen,  nur  weniger  weit  verbreitet. 
Das  Herz  (260  Ccm.  Volum)  ziemlich  stark  ttberfettet,  etwas  braungrau. 
Die  Leber  von  normaler  Grösse  (1600  Ccm.  Volum),  ist  überall  adhärent, 
durch  eine  sehr  grosse  Gallenblase  ausgezeichnet;  auf  dem  Durchschnitt 
fettig,  muacatfarbig.  Die  Milz  von  normaler  Grösse,  ist  ebenfalls  überall 
adhärent,  bat  eine  stark  verdickte  Kapsel,  aber  sonst  normale  Consistenz. 
Die  Nieren  annähernd  normal  gross  (zusammen  293  Ccm.  Volum) ,  die 
linke  sehr  beträchtlich  grösser  als  die  rechte,  leicht  granulirt,  ihre  Kapsel 
schwer  hergebend.  Das  arterielle  Gefässsystem  ausserordent- 
lich weit,  ohne  irgend  erhebliche  atheromatöse  Wanddegeneration  (Aorta 
ucend.  91,  Pulmonalis  87,  Aorta  thorac.  62,  Aorta  abdom.  45  Mm.  Um- 
fang n.  s.  w.). 

6.  Franz  R.  (Protok.  W.  Nr.  266),  64  Jahre  alt,  PfrUndner.  Klinische 
Diagnose:  „Tumor  iienis^.  '  • 

Kräftig  entwickelter  Körper,  164  Cm.  lang,  gut  musculös,  geringes 
Fettpolster,  Rippenknorpel  stark  verkalkt,  alle  Organe  sehr  blutreich.  Die 
rechte  Lunge  adhärent ;  in  ihrer  Spitze  ein  altes  Kalkknötchen ;  die  Lun* 
gen  Qbrigens  intact,  beiderseits  etwas  Hypostase  und  wenig  Emphysem; 
links  ein.  massiges  pleuritisches  Transsudat.  Die  Bronchialdrttsen  gross, 
hart  und  stark  pigmentirt.  Das  Gesammtvolam  der  Lungen  von  mittlerer 
Grösse  (beide  Lungen  zusammen  1661  Ccm.  Volumen).  Das  Herz  gross, 
sehr  wenig  fiberfettet  (308  Ccm.  Volum),  Muscnlatur  schlaff;  die  Leber 
sehr  gross  (2125  Ccm.  Volum,  2180  Grm.  Gewicht),  sehr  derb,  hart,  fein 
granollrt;  auf  dem  Durchschnitt  «feine  Muscatzeichnnng  und  bedeutende 
interstitielle  Wucherung.  Die  Milz  hat  das  colossale  Volum  von  1532  Ccm. 
nnd  ein  Gewicht  von  1640  Grm.  Das  Gewebe  sehr  blutreich,  von  normaler 
Consistenz,  so  dass  der  Tumor  nur  als  ein  durch  Stauung  entstandener 
betrachtet  werden  kann.  Die  Nieren  etwas  klein  (zusanimen  232  Ccm. 
Volam),  sehr  derb  und  hart.  Die  Kapsel  nicht  leicht  abziehbar,  die  Ober- 
fläche leicht  granulirt.  Das  arterielle  Gefässsystem  auch  hier  wieder 
sehr  weit,  aber  fast  ohne  Spuren  von  Atherom  (Aorta  ascend.  87,  Pulmo- 
nalis 79,  Aorta  thor.  62,  Aorta  abdom.  53  Mm.  Umfang  u.  s.  w.). 

18* 


276  XIV.  Beneke 

7.  Anna  B.  (Protok.  W.  Nr.  276),  52  Jahre  alt  (hat  geboren),  Pfrfind- 
nerin.     Klinische  Diagnose:  „Carcinoma  hepatis*^. 

Sehr  abgemagerte  Leiche.  Hochgradiger  Icterus.  162  Gm.  Körper- 
länge. Die  linke  Lunge  von  einer  starken  plenritischen  Schwarte  fiber- 
zogen ;  an  der  rechten  findet  sich  solche  Schwarte  nnr  am  unteren  Lappeo. 
In  beiden  oberen  Lappen  hochgradige  schiefrige  Induration,  Aber  die  ganzen 
Lappen  verbreitet,  aber  auch  auf  diese  beschränkt  Im  linken  oberen  Lap- 
pen eine  kleine  bron^ektatische  Caverne.  In  beiden  Unteren  Lappen  zahl- 
reiche Miliartuberkel ^on  zum  Theil  sehr  frischer  Beschaffenheit;  das  Herz 
sehr  atrophisch,  schlaff,  mit  noch  ziemlich  viel  Fett  überwachsen  (171  Com. 
Volum).  Die  Leber  von  zahlreichen  Garcinomknoten  durchsetzt,  sehr  gross. 
Die  Milz  sehr  gross  (mindestens  300  Gem.  Volum  —  genaue  Messung 
fehlt),  von  Miliartuberkeln  in  zahlloser  Menge  durchsetzt  (Miliartubercnlose 
zweifellos  mikroskopisch  constatirt).  Die  Nieren  von  guter  GrOsse  (zu- 
sammen 275  Gem.  Volumen).  Das  Gewebe  sehr  derb;  starke  interstitielle 
Wucherung ;  auch  hier  viele  miliare  Knötchen ,  deren  genauere  mikrosko- 
pische Untersuchung  aber  leider  nicht  vorgenommen  wurde.  Das  arte- 
rielle Gefässsjstem  sehr  weit,  aber  auch  hier  kaum  Spuren  athero- 
matöser  Degeneration  (Aorta  asc.  85,  Pulmonalis  88,  die  Wand  derselben 
sehr  stark  entwickelt,  fast  wie  die  einer  Aorta.  Aorta  thor.  53,  Aorta 
abdom.  37  Mm.  Umfang  u.  s.  w.). 

8.  Josef  P.  (Protok.  W.  Nr.  190),  61  Jahre  alt.  Klinische  Diagnose: 
„  Carcinoma  pylori**. 

Sehr  abgemagerter  Körper,  163  Gm.  lang.  Die  rechte  Lunge  fiberall 
adhärent,  am  oberen  Lappen  von  einer  pleuritischen  Schwarte  überzogen. 
In  der  Spitze  starke  Pigmentinduration  und  bronchektatische  Gavemen. 
Die  linke  Lunge  von  einer  pleuritischen  Schwarte  überzogen  nnd  fiberall 
adhärent ;  in  ihrer  Spitze  starke  schiefrige  Induration.  Im  unteren  Lappen 
frische  Pneumonie  und  Oedem.  Gesaramtvolum  beider  Lungen  1836  Ccm.. 
wovon  auf  die  rechte  648,  auf  die  linke  1188  fallen.  Die  Bronchialdrflsen 
beiderseits  stark  vergrössert,  piginentirt  und  hart.  Das  Herz  hat  trotz 
der  hochgradigen  Abmagerung  der  Leiche  noch  202  Gem.  Volum  und  einen 
sehr  resistenten  linken  Ventrikel.  Die  Mnsculatur  zeigt  jedoch  etwas  braun- 
graue  Entfärbung.  Die  Leber  ist  klein,  braun,  wenig  blutreich,  ohne 
carcinomatöse  Metastasen  (Volumen  nicht  bestimmt).  Die  Milz  ist  klein 
und  derb  (125  Gem.  Volumen).  Die  Nieren  sehr  klein  (zusammen  146  Gen. 
Volumen),  sehr  derb,  hart;  Kapsel  schwer  zu  entfernen.  Am  Pylorns 
ein  grosses  carcinomatöses  Ulcus.  Das  arterielle  Gefässsystem  sehr 
weit,  aber  auch  hier  kaum  Spuren  atheromatöser  Degeneration  (Aorta  asc  86, 
Pulmonalis  70,  Aorta  thor.  65,  Aorta  abd.  50,  Iliaca  communis  dextra  31. 
sinistra  32,  Subclavia  sinistra  32,  Garofis  sinistra  21,  Subclavia  dextra  40. 
Garotis  dextra  20,5  Mm.  Umfang). 

9.  Peter  L.  (Protok.  M.  Nr.  84),  37  Jahre  alt.  Klinische  Diagnose: 
jf Stenosis  ostii  venosi  sinistri.    Alter  Gelenkrheumatismus'^. 

Mittelkräftiger  Körper,  171  Gm.  lang.  Körpergewicht  123  Pfand, 
180  Grm.  Die  Lungen  sind  flberall  adhärent  und  von  stark  verdickter 
Pleura  überzogen.  Links  abgesacktes  pleuritisches  Exsudat.  In  der  linken 
Lungenspitze  eine  narbige  Einziehung,   im  Uebrigen   beide  Lungen  wenig 


Fibromatons.  277 

veriodert  und  g^t  lufthaltig.  Das  Herz  sehr  gross,  mit  dem  Herzbeutel 
im  ganzen  Umfange  Yerwachsen  (463  Com.  Volum);  Die  Leber  verklei- 
oert  (1238  Com.  Volum),  stark  granulirt,  auf  dem  Durchschnitt  muscat- 
färben.  Die  Milz  ziemlich  gross  (202  Ccm.  Volum),  sehr  hart,  durch 
biodegewebige  Stränge  mit  dem  Diaphragma  und  dem  Magen  verlöthet; 
(ksStroma  hypertrophisch.  Die  Nieren  verkleinert  (zusammen  267  Ccm. 
Volam),  derb,  interstitiell  hypertrophisch,  mit  kleinen  Cysten  an  der  Ober- 
fläche versehen.  Zwischen  Leber,  Gallenblase  ^  Darm  und  Pankreas '  viel- 
fache abnorme  bindegewebige  Verwachsungen.  Das  arterielle  Gefäss- 
system  von  normaler  Weite,  nur  die  Pulmonalis  in  Folge  der  linksseitigen 
Stenose  beträchtlich  dilatirt  (Aorta  asc.  67,  Pulmonalis  82,  Aorta  thora- 
cica 45,5,  Aorta  abdom.  38  Mm.). 

Wenn  man  diese  Fälle  tiberblickt,  so  wird  man  geneigt  sein, 
die  vielfachen  Bindegewebshyperplasieen  an  den  Pleuren,  in  der 
Leber,  in  den  Nieren  u.  s.  w.  ffir  Folgen  venöser  Stauungen  zu  hal- 
ten. Man  wird  meinen,  dass  die  Bindegewebshyperplasieen  in  den 
Lungen  durch  den  Reiz  irgendwelcher  inhalirter  Stoffe  hervorgerufen, 
und  in  Folge  dieser  sogenannten  Cirrhosen  der  Lunge  die  Stauung 
and  weiterhin  die  Bindegewebshyperplasieen  in  den  Unterleibsorganen 
entstanden  seien.  Diese  Auffassung  liegt  sehr  nahe.  Allein  es  gibt 
eine  grosse  Reihe  Ton  sogenannten  käsigen  Lungenphthisen,  in  wel- 
chen die  Stauung  des  venösen  Blutes  sehr  beträchtlich  ist,  die  Blut- 
menge  auch  nicht  gering  genannt  werden  kann,  aber  dennoch  die 
fraglichen  Bindegewebshyperplasieen  gar  nicht  oder  nur  in  sehr  ge- 
ringem Grade  vorhanden  sind.  Wir  wissen  ferner,  dass  in  Folge 
der  Einathmung  unorganischer  Staubmassen  in  einzelnen  Individuen 
ein  käsiger  phthisischer  Process  in  den  Lungen  zur  Entwicklung 
kommt,  in  anderen  dagegen  eine  derbe  interstitielle  Bindegewebs- 
wucherung  bis  zur  elephantiastischen  Schwartenbildung  hin,  ohne 
jede  Spar  yon  verkäsenden  Neubildungen.  Was  bedingt  diese  Dif- 
ferenz? In  dem  einen  Falle  die  ganz  hinfällige,  nekrosirende,  in 
dem  anderen  Falle  die  feste  persistirende  Neubildung?  —  Vor  Allem 
kommen  aber  an  dritter  Stelle  die  gesammten  constitutionellen  Eigen- 
thömlichkeiten  in  Betracht,  Eigenthümlichkeiten,  welche  den  bei  der 
käsigen  Lungenschwindsucht  zu  constatirenden  geradezu  entgegen- 
gesetzt sind.  Fast  durchgehends  finden  wir  in  unseren  Fällen  einen 
kräftigen  Körperbau,  einen  breiten  Thorax,  ein  grosses  Hens,  ein 
weites  und  selbst  sehr  weites  arterielles  Gefässsystem ,  ohne  dass 
letzteres  durch  atheromatöse  Degenerationen  der  Gefässwände  herbei- 
geführt wäre.  Fast  sämmtliche  Leichen  waren  dazu  durch  eine  sehr 
reichliche  BlutfdUe  ausgezeichnet.  Allerdings  finden  sich  auch  ein- 
'^Ine  Fälle,  in  welchen  sich  in  den  Lungen  neben  beträchtlicher 


278  XIV.  Beneke 

interstitieller  Indaration  käsige  Herde  fanden  und  yermathlieh  von 
diesen  aus  auch  Miliartuberkel  in  den  Lungen,  sowie  im  Darmkanal 
derivirten.  Solche  Fälle  können  nicht  Wunder  nehmen.  So  wenig 
wie  zwischen  anderen  Krankheitsformen  existiren  scharfe  Grenzen 
zwischen  den  hinfälligen  verkäsenden  und  den  persistirenden  binde- 
gewebigen Neubildungen  in  der  Lunge.  Solchem  etwaigen  Bedenken 
gegenüber  ist  auf  die  in  den  Fällen  Nr.  7  und  8  hervortretende  Gom- 
bination  weitgehender  Bindegewebshyperplasie  mit  hochgradigen  car- 
cinomatösen  Erkrankungen  hinzuweisen,  mit  Processen  also,  welche 
den  käsigen  Lungenphthisen  diametral  entgegengesetzt  sind.  Der 
Fall  Nr.  7  ist  dabei  noch  besonders  ausgezeichnet  durch  die  gleich- 
zeitige Entwicklung  von  Miliartuberkeln  in  Lunge  und  Milz  bei  aus- 
gesprochenem Lebercarcinom.  Ganz  frei  blieben  andrerseits  die  Lun- 
gen in  dem  Fall  Nr.  9.  In  diesem  trat  eine  weitverbreitete  Binde- 
gewebshyperplasie mit  einem  nach  Gelenkrheumatismus  entstandenen 
Hei'zleiden  combinirt  auf,  und  zwar  in  einem  so  hohen  Grade,  wie 
wir  ihn  nicht  oft  zu  beobachten  Gelegenheit  haben. 

Nach  allem  Diesen  muss  ich  zu  der  Ansicht  gelangen ,  das»  es 
eine  besondere  Constitutionsanomalie  gibt ,  welche  ausgezeichnet  ist 
durch  die  grosse  Neigung  zu  Bindegewebshyperplasieen  in  den  ver- 
schiedensten Organen.  Diese  Constitutionsanomalie  schliesst  sich 
nach  den  durch  die  Messungen  ermittelten  Verhältnissen  des  Herzens, 
der  grossen  Gefässe,  der  Lungen,  sowie  des  gesammten  Körperbaues 
vielmehr  den  zu  hyperplastischen,  luxuriirenden  Neubildungen  hinnei- 
genden Constitutionsanomalieeui  wie  namentlich  der  carcinomatösen, 
an,  als  den  zu  phthisischen  Processen  disponirenden,  und  wie  Rind- 
fleisch nicht  abgeneigt  ist,  vom  einfachen  Fibrom  bis  zu  den  weich- 
sten Erebsformen  hin  eine  untrennbare  Formenreihe  von  Neubildun- 
gen zu  staituiren,  so  könnte  ähnlich  die  allgemeine  Bindegewebs- 
hyperplasie  als  ein  Anfangsglied  in  der  Reihe  weit  verbreiteter 
hyperplastischer  Neubildungen  verschiedenen  Charakters  auf  ähn- 
licher constitutioneller  Basis  betrachtet  werden. 

Diese  Anschauung  gewinnt  noch  an  Wahrscheinlichkeit,  wenn 
wir  der  Fälle  weitverbreiteter  miliarer  Fibromatosis,  wie  sie  mitunter 
vorkommen,  gedenken.  In  solchen  Fällen  findet  man,  ähnlich  wie 
in  Fall  Nr.  3  (IL  Reihe)  an  der  Pleura ,  das  ganze  Peritoneum  von 
zahllosen  miliaren  bis  erbsengrossen  Bindegewebsknötchen  durch- 
setzt, Knötchen-,  welche  beim  ersten  Anblick  wie  Miliartuberkel  im- 
poniren,  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  sich  aber  als  kleine 
und  kleinste  Fibrome  erweisen.  Ferner  dürften  hierher  gehören«  F&Ile 
von  Pachymeningitis  in  robusten  Individuen,   welche  mitunter  an 


Fibromatoiis.  279 

iDteratitieller  Nephritis  zu  Grande  gehen  und  daneben  auch  Binde- 
gewebebyperplasieen  in  den  Lungen,  an  den  serösen  H&uten ,  in  der 
Leber  u.  s.  w.  auffinden  lassen.  Ja  ich  glaube,  dass  die  in  neuerer 
Zeit  80  vielfach  besprochene  Granularniere  in  robusten  Individuen 
hierher  zu  rechnen  sein  dürfte.  Fflr  diese  Anschauung,  welche  in 
mir  ganz  unabhftngig  von  anderweitigen  Mittheilungen  während  des 
Verlaufs  meiner  Untersuchungen  entstand,  finde  ich  neuerer  Zeit  eine 
erfreuliche  Uebereinstimmung  mit  von  Buhl  in  dessen  trefflicher 
Arbeit  Aber.  Bright's  Oranularschwund  der  Niere  und  Herzhyper- 
tropbie^).  «Geht  man  die  Befunde  durch ^  schreibt  derselbe  auf 
Seite  88,  «so  gewahrt  man,  dass  es  zunächst  anatomisch  und  histo- 
logisch analoge  Gewebe,  nämlich  seröse  Membranen  sind,  welche 
besonders  ergriffen  werden ;  das  Pericard,  die  Pleura,  das  Endocard, 
die  Synovialmembranen  der  Gelenke.  Den  serösen  Häuten  schliessen 
sich  Herz-  nnd  Körpermuskeln  an,  von  Organen  besonders  aber  das 

interstitielle  Bindegewebe  der  Nieren  und  der  Lungen. " „In 

allen  diesen  Geweben  gibt  es  eine  bestimmte  und  analoge  Krank- 
beitsfi^m,  welche  ich  wegen  ihres  besonderen  Ausgangs  als  ,fibröse 
Entzündung'  zusammenfasse. ** 

Die  Wahrscheinlichkeit  des  Vorkommens  einer  derartigen  allge- 
meinen Hyperplasie  einer  bestimmten  Gewebsgruppe  liegt  offenbar 
nach  der  Analogie  anderer  Gewebe  sehr  nahe.  Wir  kennen  eine 
allgemeine  Hyperplasie  des  Fettgewebes,  die  Polypionie;  eine  solche 
des  Enocbengewebes,  auch  eine  solche  des  Epithelgewebes,  wie  sie 
in  verschiedenen  Formen  an  der  äusseren  Haut  und  stellenweise  auch 
an  den  Schleimhäuten  vorkommt,  und  in  einzelnen  Fällen  einen  Vor- 
läufer bildet  fär  Carcinombildung.  Es  ist  a  priori  sehr  einleuchtend, 
dass  eine  ähnliche  Hyperplasie  auch  an  dem  fibrillären  Bindegewebe 
des  Körpers  vorkommt,  unter  Modificationen  der  allgemeinen  constitu- 
tionellen  Verhältnisse  und  des  Stoffwechsels,  die  wir  allerdings  noch 
nicht  mit  Schärfe  zu  bezeichnen  wissen,  die  aber  jedenfalls  von  denen, 
welche  den  bekannten  und  eben  genannten  Hyperplasieen  zu  Grunde 
liegen,  nicht  weit  verschieden  sind. 

Was  die  Vorgänge  in  den  Lungen  selbst  anbetrifft,  von  denen 
ich  hier  den  Ausgang  genommen  habe,  so  wurde  bereits  erwähnt, 
dass  sich  dieselben  gar  mannigfaltig  gestalten ;  in  allen  Fällen  schei- 
nen dieselben  aber  mit  der  Bindegewebshyperplasie  zu  beginnen.  In 
einzelnen  Fällen  findet  man  lediglich  beträchtliche  Verdickung  des 
interstitiellen  Bindegewebes,  durch  dessen  Retraction  eine  Gompres- 


U  Mittheilungen  aas  dem  pathologischen  Institut  zu  München.   Stuttgart  1878. 


280  XIY.  BsNBKE 

sionsatrophie  des  Lungengewebes  selbst  und  unregelrnftssige  Erwei- 
terungen und  Verengerungen  der  grösseren  Bronchen  berbeigeftthrt 
werden.  Von  käsigem  Zerfall  der  Neubildnagen  ist  in  solchen  Fällen 
oft  keine  Spur  zu  finden.  In  anderen  Fällen  zeigt  sich  die  inter- 
stitielle Bindegewebshyperplasie  weniger  mächtig.  £s  kommt  zu  be- 
trächtlicheren Bronchialerweiterungen  und  zur  Bildung  bronchektati- 
scher  Cavernen,  in  deren  Umgebung  bald  mehr,  bald  weniger  ver- 
fettete oder  verkäste  Massen  nachweisbar  sind.  In  noch  anderen 
Fällen  stösst  man  auf  diese  Vorgänge  vielleicht  in  den  oberen  Lappen 
der  Lungen,  und  in  den  unteren  finden  sich  miliare  Tuberkel  oder 
peribronchitische  käsige  Knoten.  Von  diesen  Formen  bis  zu  den 
echten,  käsigen  Desquamativpneumonieen  ist  in  Bezug  sowohl  auf  die 
klinischen  als  auf  die  anatomischen  Erscheinungen  Seitens  der  Re» 
spirationsorgane  kein  weiter  Schritt  mehr.  Fdr  beide  Arten  von 
Fällen  wird  die  klinische  Diagnose  auf  „Lungenphthisis*'  lauten. 

Wie  soll  man  diese  Fälle  unterscheiden  and  auseinanderhalten? 
In  den  vorgerückteren  Stadien  der  Erankheitsprocesse  hat  diese  Frage 
nur  eine  geringe  praktische  Bedeutung ;  eine  um  so  höhere  dagegen 
in  den  Anfangsstadien.  Die  klinischen  Erscheinungen  der  Lungen- 
erkrankung  selbst  können  hier  sehr  ähnliche  sein;  das  Wesen  des 
Krankheitsprocesses  ist  aber  sehr  weit  verschieden  und  das  entschei- 
dende Moment  sowohl  far  die  pathologische  Auffassung,  als  fflr  das 
praktische  Handeln  liegt  hier  lediglich  in  den  allgemeinen  con- 
stitutionellen  Verhältnissen.  Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein, 
dass  ein  Kranker  mit  grossem  Herzen ,  weiten  Blutgefässen ,  reich- 
licher Blutmenge  und  mehr  oder  weniger  kräftigem  Körperbau  bei 
den  hier  in  Frage  kommenden  Bronchialkatarrhen,  Hustenreizen,  viel- 
leicht auch  kleinen  Hämoptoen,  eine  ganz  andere  Behandlung  erfor- 
dert, als  ein  Kranker,  welcher  ähnliche  Erscheinungen  darbietet,  aber 
in  ausgeprägter  Weise  den  sog.  phthisisohen  Habitus  besitzt.  Wäh- 
rend im  letzteren  Falle  im  Allgemeinen  eine  tonisirende  Behandlungs- 
methode eingeschlagen  werden  wird,  wird  im  ersteren  Falle  eine 
derivirende  und  oftmals  selbst  vielleicht  eine  depotenziirende  am 
Platze  sein.  Katarrhe,  und  zwar  häufig  recidivirende  Katarrhe,  in 
robust  erscheinenden  Individuen  werden  häufig  kaum  dner  Beach- 
tung gewürdigt,  und  in  manchen  Fällen  wird  damit  vielleicbt  auch 
nichts  versäumt  werden.  Die  genauere  Kenntniss  von  der  Entvrick- 
lung  und  den  Ausgängen  der  chronisch  intei-stitiellen  Bindegewebs* 
hyperplasieen  in  den  Lungen  machen  es  jedoch ,  erforderlich ,  der 
hier  in  Erwägung  gezogenen  Fälle  eingedenk  zu  sein,  und  zeitig 
sowohl  auf  diätetischem  als  arzneilichem  Wege  der  Entwicklung  eines 


Fibromatosis.  281 

Leidens  vorsabeugen,  welches,  wenn  es  erst  eine  bestimmte  Höhe 
erreicht  hat,  als  ein  irreparables  erscheinen  dürfte.  Es  erscheint 
räthlich«  in  solchen  Fftllen  niemals  die  Untersuchung  des  Harns  auf 
etwaigen  Eiweissgehalt  zu  unterlassen,  da  möglicherweise  die  Binde- 
^ewebshyperplasie  in  den  Nieren  mit  derjenigen  in  den  Lungen  schon 
frflhzeitig  coincidirt.  Nicht .  minder  ist  frühzeitig  auf  das  Verhalten 
der  Leber  in  Grösse,  Function  u.  s.  w.  Acht  zu  haben.  Desgleichen 
können  die  Verhältnisse  des  Körpergewichts,  die  Zu-  und  Abnahme 
desselben,  voraussichtlich  wichtige  Anhaltspunkte  darbieten.  Von 
den  an  der  Granulamiere  leidenden  Individuen  wissen  M(ir,  dass  sich 
dieselben  oft  noch  eines  sehr  guten  Gesundheitszustandes  erfreuen, 
wenn  das  Leiden  einen  schon  relativ  hohen  Grad  der  Entwicklung 
erreicht  hat.  Es  ist  jedem  Arzt  bekannt,  wie  sehr  occult  diese  Krank- 
heit oft  verläuft  Ganz  ähnlich  scheint  es  sich  oftmals  mit  den  ersten 
Stadien  der  interstitiellen  Bindegewebshyperplasieen  in  den  Lungen 
zu  verhalten,  abgesehen  von  dem  Bronchialkatarrh  und  einem  geringen 
Grade  von  Dyspnoe,  ohne  welche  dieselben  wohl  selten  verlaufen. 
Dm  so  höherer  Werth  aber  nur  ist  auf  diese  Erscheinungen  zu  legen, 
und  selbst  eine  vielleicht  unnöthige  Vorsicht  erscheint  hier  gerecht- 
fertigt 

Ueber  die  Frequenz  der  besprochenen  Bindegewebshyperplasieen 
nach  Alter  und  Geschlecht  der  Betroffenen  kann  ich  bei  der  verhält- 
oissmässig  geringen  Zahl  der  gesammelten  Beobachtungen  noch  nichts 
Bestimmtes  sagen.  Dass  der  Process  sich  schon  in  jflngeren  Jahren 
entwickeln  kann,  beweisen  die  Fälle  2  und  3  (L  Reihe).  Die  Mehr- 
zahl der  von  mir  beobachteten  Fälle  betraf  jedoch  Individuen  in  dem 
Alter  von  35 — 55  Jahren,  und  es  will  scheinen,  als  ob  die  Alters* 
disposition  zu  diesen  Erkrankungsformen  in  eine  viel  spätere  Lebens- 
periode fällt,  als  die  zu  den  echt  phthisischen  Erkrankungen. 

Ich  beschränke  mich  für  diesmal  auf  diese  kurzen  Mittheilungen. 
Fernere  Beobachtungen  und  vielseitige  Beachtung  der  bezeichneten 
Krankheitszustände ,  sowohl  Seitens  der  Kliniker  als  der  pathologi- 
schen Anatomen,  werden  darüber  zu  entscheiden  haben,  ob  die  von 
mir  als  „Fibromatosis"'  bezeichnete  Krankheitsfprm  als  solche 
Aufnahme  finden  und  Geltung  beanspruchen  darf. 


XV. 
Ceber  postmortale.  Temperataren. 

Von 

H.  Quincke  und  Ii.  Brieger. 

Die  Absiebt,  in  welcber  die  folgende  Beobacbtungsreibe  vor  etwa 
10  Jabren  von  dem  einen  von  uns  begonnen  wurde,  ging  dabin,  zur 
Lösung  der  damals  viel  debattirten  Frage  beizutragen,  ob  die  fieber- 
liafte  Temperatursteigerung  durcb  vermebrte  Wärmeproduction,  oder 
durcb  verminderte  Wärmeabgabe  bedingt  werde.  Hätte  man  2  voll- 
kommen gleiche  thierische  Körper,  in  deren  einem  das  Leben  bei 
einer  Temperatur  von  37 ^  in  deren  zweitem  das  Leben  bei  einer 
fieberhaften  Temperatur  von  42^  z.  B.  erlischt  oder  vernichtet  wird, 
und  brächte  man  beide  unter  relativ  gleiche  Abkühlungsverhältniase, 
also  den  einen  z.  B.  in  einen  Luftraum  von  15<^,  den  andern  in  einen 
Luftraum  von  20^  (Differenz  beidemal  »=  22^),  so  mttsste  die  zeitliche 
Abküblungscurve  in  beiden  Fällen  parallel  laufen,  wenn  die  post- 
mortale Wärmeproduction  gleich  (oder  auch  wie  bei  anorganischen 
Körpern  =  0)  wäre.  Findet  dagegen  in  dem  einen  Falle  eine  stftr- 
kere  Wärmeproduction  statt,  so  würde  sieb  dies  in  einem  langsameren 
Absinken  der  Temperatur  kundgeben.  Möglichste  Gleichheit  der  Ver- 
gleichsobjecte  würde  sich  nun  allerdings  bei  Thieren  am  ehesten 
haben  erreichen  lassen;  dem  gegenüber  standen  äussere  Schwierig- 
keiten und  die  Unsicherheit,  resp.  Einseitigkeit  der  künstlichen  Er- 
zeugung fieberhafter  Zustände.  Es  wurden  daher,  trotz  der  sogleich 
zu  besprechenden  Einwände  und  Zweifel,  die  Beobachtungen  an  Men- 
schen angestellt. 

Allerdings  ist  nyn  seit  dem  Beginne  dieser  Untersuchung  unsere 
Kenntniss  über  die  Vorgänge  beim  Fieber  nach  den  verschiedensten 
Richtungen  hin  erweitert  und  die  Lösung  der  ursprünglichen  Frage 


Postmortale  Temperaturen.  283 

auf  anderen  Wegen  angebahnt  worden ,  aueh  liefert  das  Ergebniss 
der  Untersucbung  keine  ganz  eindeutige  Antwort;  nichtsdestoweniger 
schien  uns  dasselbe,  weil  auf  einem  bisher  nicht  betretenen  Wege 
gewonnen,  ein  gewisses  Interesse  zu  bieten. 

Die  Beobachtungen  wurden  etwa  zur  Hälfte  auf  der  medieini- 
schen  Klinik*  in  Berlin,  zur  anderen  Hälfte  auf  der  in  Bern  gemacht 
unter  sonst  gleichen  äusseren  Verhältnissen. 

Der  Verstorbene  wurde,  wie  üblich,  sofort  nach  dem  Tode  ent- 
kleidet und  nur  mit  einem  Leintuch  bedeckt  in  Rflckenlage  auf  sei- 
nem Bett  (Strohsack  oder  Matratze)  belassen.  Die  Temperaturmes- 
sung geschah  im  Rectum,  in  welches  das  Thermometer  10  bis  12  Gm. 
tief  eingeschoben  wurde ;  strenggenommen  hätte  stets  auch  dasselbe 
Thermometer  angewendet  werden  müssen;  es  war  dies  nicht  mög- 
lieh,  doch  sind  die  Krankenthermometer  einer  Fabrik  bekanntlich 
ausserordentlich  ähnlich;  in  der  grösseren  Hälfte  der  Fälle  wurde 
ein  speciell  zu  diesem  Zweck  verfertigtes  Thermometer,  das  in  V&o 
getheilt  war,  angewendet. 

Wenn  irgend  thunlich,  war  das  Thermometer  schon  vor  dem 
Tode  eingelegt  worden,  so  dass  der  Temperaturrerlauf  von  diesem 
Augenblick  ab  verfolgt  werden  konnte;  andernfalls  musste  als  zeit- 
licher Ausgangspunkt  der  Temperaturbeobachtung  der  Zeitpunkt  10 
oder  15  Minuten  nach  dem  Tode  gewählt  werden.  (Es  ist  diese  Ab- 
weichung deshalb  erlaubt,  weil  sie,  wie  sich  zeigen  wird,  eher  ge- 
eignet wäre,  die  gefundenen  Resultate  zu  beeinträchtigen,  als  sie 
vorzutäuschen.)  Die  Temperatur  wurde  nun  (natürlich  ohne  Ver- 
rückung  des  Thermometers)  alle  10  oder  15  Minuten  notirt,  gewöhn- 
lich bis  2  Stunden  nach  dem  Tod»,  resp.  nach  Beginn  der  Beobach- 
tung (da  die  äusseren  Umstände  ein  längeres  Liegen  der  Leichen 
nur  selten  gestatteten) ;  die  Ablesungen  machten  wir  selbst  oder  zu- 
verlässige Wärter  und  Wärterinnen. 

In  der  Tabelle  A  (S.  284—286)  sind  die  Fälle  nach  der  Todes- 
temperatur (Colonne  a)  in  absteigender  Reihe  geordnet;  die  zweite 
Zahlencolonne  (b)  gibt  an,  um  wie  viel  die  Rectaltemperatur  in  der 
ersten  Stunde  abnahm  (resp.  anstieg),  die  dritte  Zahlencolonne  (c), 
um  wie  viel  sie  in  der  zweiten  Stunde  absank;  Colonne  d  gibt  die 
Abweichung  von*  der  Todestemperatur  am  Ende  der  zweiten  Stunde 
(also  i/sB  &4.e);  in  der  fünften  Zahlencolonne  (e)  ist  endlich  der 
Abstand  der  Zimmertemperatur  (die  während  der  Beobachtungszeit 
80  gut  wie  constant  blieb)  von  der  Rectaltemperatur  notirt. 


XV.  Quincke  und  BBrnoKB 

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XV.  •Quincke  and  BRneBs 


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Postmortale  Temperaturen. 


287 


Tabelle  B. 


s 

• 

,1 

'i 

Temperaturabnahme 

• 

DlfTereni  der 

Todestemperatar 

• 

g 

in  der  1.  Stande  Dach 

hl  der  2.  Stande  nach 

▼on  der  Ansäen- 

« 

dem  Tode 

dem  Tode 

ftemperatar 

Max. 

Min. 

Mittel 

Max. 

Min. 

Mittel 

Max. 

Min.   Mittel 

43 

6 

43,24 

-0,1 

-4-  1,02 

-f  0,295 

—  0,9 

—  0,05 

—  0,36 

28 

19 

24,1 

43 

9 

42,48 

-1,0 

+  1.2 

+  0,16 

-t,2 

+  0 

—  0,51 

30 

20 

24,2 

41 

10 

41,55 

-1,2 

+  0,6 

—  0,17 

—  0,44 

—  0,17 

—  0,28 

30 

19 

24,5 

40 

12 

40,52 

—  0,22 

+  0,09 

—  0,05 

—  0,9 

+  0 

—  0,21 

26 

19 

23,4 

39 

7 

39,33 

-1,0 

4-  1,33 

—  0,12 

-1,8. 

-0,1 

—  0,50 

24 

20 

22,2 

38 

10 

38,57 

—  0,6 

+  0,14 

—  0,19 

-1,0 

+  0 

—  0,38 

25 

13 

21,1 

37 

5 

37,37 

—  0,52 

-0,10 

—  0,24 

-0,8 

—  0,15 

—  0,46 

24 

16 

21,0 

36 

6 

36,39 

—  0,4 

+  0,12 

—  0,08 

—  0,31 

-  0,16 

—  0,23 

22 

16 

19,4 

35 

2 

35,94 

—  0,54 

-0,2 

—  0,37 

—  0,56 

-0,4 

—  0,48 

20 

17 

18,5 

28—34 

6 

32,6 

—  0,26 

+  0,1 

—  0,14 

-0,4 

-0,1 

—  0,25 

26 

14 

18,0 

Tabelle  0. 


jjg 

9 

s 

C, 

PaU  Mr. 

1 

0 

Todeatemperatnr 


Max. 


I. 

n. 
m. 

IV. 

y. 


(Ibis  15) 
(16  bis  30) 
(31  bis  44) 
(45  bis  59) 
(60  bis  73) 


15 
15 
14 
15 

14 


43,6 

41,94 

40,62 

38,97 

36,8 


Min. 


42,0 

40,7 

39,0 

37,04 

28,6 


Mittel 

42,78 
41,27 
39,82 
38,18 
34,70 


ß\ 


Mittel  der  Temperatwmbaalime 


In  der 

1.  Stande 

+  0,216 

—  0,218 

—  0,093 

—  0,208 
-0,154 


in  der 
2.  Stande 

0,444 

0,237 

0,38 

0,384 

0,38 


in  d.  enten 
2  Stnnden 

0,228 
0,365 
0,473 
0,592 
0,534 


I 


il 


ml 


es 

o 
► 


24,2 

24,4 
22,5 
21,0 
18,5 


Wie  aoa  dem  bisher  Gesagten  hervorgeht  und  wie  sich  von 
vornherein  Toraussehen  Hess,  sind  nun  selbst  fflr  massig  exacte  An- 
forderungen die  einzelnen  vorliegenden  Beobachtungen  nicht  unter 
einander  Tergleichbar  >  Der  Hauptfehler  liegt  in  der  ungleichen  Grösse, 
noch  mehr  aber  dem  ungleichen  Ernährungszustände  und  der  un- 
gleichen Zusammensetzung  (ob  Fett,  Muskel,  Hydrops  etc.)  der  ver- 
schiedenen Körper;  auch  die  Differenz  der  Körper-  und  Zimmertem- 
peratur ist  in  den  einzelnen  Fftllen  eine  sehr  verschiedene.  Diese 
Ungleiehartigkeit  der  Bedingungen  drttckt  sich  auch  aus  in  der  gros- 
sen Verschiedenheit  des  postmortalen  Temperaturverlaufes  bei  den 
einzelnen  Fällen  der  Reihe;  es  ist  deshalb  noth wendig,  Gruppen  zu 
bilden  und  Mittelzahlen  zu  ziehen.  In  Tabelle  B  sind  10  solcher 
Gruppen  gebildet  —  nach  den  verschiedenen  Graden  abgetheilt; 
Tabelle  C  ist  noch  mehr  zusammengezogen  und  gibt  5  Gruppen, 
deren  jede  von  fast  der  gleichen  Zahl  von  Fällen  gebildet  wird. 

Vergleichen  wir  zunächst  die  Mittelzahlen  der  Colonne  b  und  c. 


288  XV.  QomoxB  and  Bribobr 

wie  sie  sich  aus  der  Gesammtzahl  der  Beobachtangen  berechnen  und 
am  Fu88  der  Tabelle  A  angeführt  sind,  so  ergibt  sich,  dass  die  Tem- 
peratur während  der  ersten  Stunde  nach  dem  Tode  um  0)07®,  wäh- 
rend der  zweiten  Stunde  um  0,36<>  gesunken  ist;  diese  Abkflblaiig 
um  0,36  in  der  zweiten  Stunde  ist  also  mehr  als  5  mal  so  gross  als 
diejenige  innerhalb  der  ersten  Stunde  —  ein  Beweis,  dass  während 
der  ersten  Stunde  im  Gadaver  mehr  Wärme  producirt  worden  ist  als 
während  der  zweiten.  Vergleichen  wir  mit  diesen  Gesammtmittel- 
werthen  die  Zahlen  der  Tabelle  C,  so  sehen  wir,  da^s  die  Abkühlung 
der  ersten  Stunde  in  den  verschiedenen  Gruppen  sehr  bedeutend  yom 
Mittel  abweicht  und  zwar  so,  dass  im  Ganzen  betrachtet  die  AbkQb- 
lung  um  so  geringer  ist^  je  höher  die  Todestemperatur  und  dass  ffir 
die  Temperaturen  Ober  42<^  statt  der  Abkflhiung  sogar  eine  Tempera- 
tursteigerung sich  findet  Man  kann  dies  nur  so  erklären,  dass  bei 
den  höheren  Todestemperaturen  die  postmortale  Wärmeproduction 
eine  bedeutendere  ist  als  bei  den  der  Norm  nahestehenden  und  es 
ist  dieser  Schluss  um  so  mehr  berechtigt,  als  für  die  höhten  Kör- 
pertemperaturen der  grössere  Abstand  von  der  Zimmertemperator 
eher  eine  beschleunigte  Abkühlung  bedingen  würde.  Wenn  die  Zah- 
len der  Colonne  ß  keine  ganz  continuirliche  Reihe  bilden,  so  liegt 
dies  eben  daran,  dass  die  Ungleichartigkeit  der  einzelnen  Fälle  durch 
ihre  Gesammtzahl  doch  noch  nicht  genügend  ausgeglichen  wird;  fQr 
Gruppe  V  dürfte  die  Geringfügigkeit  der  Abkühlung  der  ersten  Stande 
wohl  aus  der  bedeutend  geringeren  Differenz  von  der  Zimmertem- 
peratur zu  erklären  sein. 

Im  Gegensatz  zu  den  mittleren  Abktthlungswerthen  der  ersten 
Stunde  weichen  die  Abkühlungswerthe  der  zweiten  Stunde  y  in  den 
einzelnen  Gruppen  von  dem  Gesammtmiitel  sehr  wenig  (stets  weniger 
als  die  Hälfte  des  Werthes)  ab]  es  zeigt  also  in  der  zweiten  Stande 
die  postmortale  Wärmeproduction  nur  geringfügige  Unterschiede  fOr 
hohe  und  niedrige  Todestemperaturen.  Auffallend  ist  die  Grösse  der 
Zahl  y  »=  0,444  für  die  Gruppe  I  (42,78);  vielleicht  ist  diese  starke 
Abkühlung  der  zweiten  Stunde  daraus  zu  erklären,  dass  bei  der 
starken  Wärmeproduction  der  ersten  Stunde  in  dieser  Omppe  alles 
Material  für  die  wärmebildenden  Processe  im  Körper  verbraucht  wurde 
und  darum  die  Abkühlung  eine  um  so  schnellere  ist;  doch  mag  diese 
Abweichung  auch  nur  zufällig  sein ,  zumal  die  Zahl  y  in  Gruppe  II 
kleiner  als  das  Mittel  ist  und  man  bei  Zusammenziehung  von  Gruppe 
I  und  II  für  y  eine  dem  Mittel  sehr  nahe  stehende  Zahl  erhält 


|-- (0,444  +  0.237) ^g^^ 


PoBtaMMrtele  Tempentluren.  289 

PaMt  man  die  ÖeflamiDt-TemperatarabBahine  nach  Ablauf  von 
2  Stiuden  ins  Auge,  so  baben  aioh  diese  einselnen  Ungleichbeiten 
idioii  etwa«  yerwischt  and  die  Oolonne  d  (Tabelle  C)  zeigt  eine 
stetig  geringere  postmortale  Abkflblang,  je  böber  die  absolute  Todes- 
temperatur  ist  (nur  die  Zabl  der  Gruppe  V:  0,534  fftUt  ein  wenig 
«u  der  Reibe  —  wie  sebon  erwflbnt,  wahrsoheinlicb  deshalb,  weil 
die  Differenz  von  der  Aussentemperatur  hier  eine  geringere  war).  — 

Aus  dem  Mitgetheilten  glauben  wir  schliessen  zu  dQrfen: 

1.  Die  W&rmebUdung  im  Kärper  ist  geringer  in  der  zweiten 
Stunde  nach  dem  Tode  als  in  der  er$ten^). 

2.  Je  höher  die  Temperatur  im  Augenblick  des  Todes,  um  so 
bedeutender  ist  die  postmortale  Wärmebildung;  da  man  nun  anzuneh- 
men berechtigt  ist,  dass  die  wärmeeneugenden  Umsetzungsprocesse 
nach  dem  Tode  zum  Theil  eine  Fortsetzung  der  im  Leben  stattge- 
fandenen  sind  (und  zwar  zu  einem  um  so  grösseren  Bruchtheil,  je 
kttnere  Zeit  seit  dem  Tode  verfloss),  so  darf  man  folgern,  dass  auch 
die  mit  höheren  Temperaturen  (d,  i.  die  fieberhaß)  verlaufenden  Krank- 
heitsprocesse  mit  grösserer  Wärmeproduction  als  normal  einhergehen. 
Höchst  wahrscheinlich  wird  das  Maass  dieser  Steigerung  der  Wärme- 
prodnction  nicht  einfach  proportional  der  gesteigerten  Körpertempe- 
ratur sein,  sondern,  da  auch  die  Wärmeabgabe  variirt,  bei  gleicher 
Bectaltemperatur  in  verschiedenen  Krankheitszuständen  verschieden 
gross  sein.  Auch  in  dieser  Beziehung  hofften  wir  ursprünglich  aus 
Qnserem  Beobachtnngsmaterial  Schltisse  ziehen  zu  können,  mussten 
aber  davon  abstehen,  weil  die  Zahl  der  Fälle  einzelner  Krankheiten 
nicht  ausreicht,  um  die  vielen  Ungleichheiten  der  Einzelfälle  zu  com- 
pensiren. 

Die  Vertheilnng  der  Krankheiten  auf  die  verschiedenen  Tem- 
peraturen .  bestätigt  nur  das  darüber  schon  Bekannte*  Dass  die  post^ 
mortale  Temperatursteigerung  bei  absolut  hohen  Temperaturen  viel 
häufiger  vorkommt,  ist  nur  ein  specieller  Ausdruck  des  obigen  Satzes, 
dass  bei  diesen  die  Wärmeproduction  eine  grössere  ist.  Dass  die  post- 
mortale Temperatursteigerung  überhaupt  keine  Beziehung  zu  speciel- 
len  Krankheitsvorgängen  habe,  sondern  auch  physiologisch  (bei  ge- 
schlachteten Thieren)  beobachtet  werden  könne,  war  ja  schon  von 
A.  Valentin <)  nachgewiesen  worden.  — 

Schliesslich  wollen  wir  nicht  unterlassen,  auf  einige  Einwände 

1)  In  den  folgenden  Standen  wahracheinlich  immer  geringer,  wofür  aach  die 
wenigen  langer  fortgesetzten  postmortalen  Messungen  (Tabelle  A)  zu  sprechen 
scheinen» 

2)  Dieses  Archiv.  Bd.  TL  S.  200. 

^KhiT  f.  Utn.  M«dtolB.   XXIV.  Bd.  19 


290  XY.  Quincke  und  BaiEaBB,  PostnKNrtale  TemperatureD. 

einzugehen,  welche  sich  —  aueser  den  schon  früher  hervorgehobeneni 
auf  die  Beschaffenheit  der  Untersuchungsobjecte  bezOglichen  —  gegen 
die  Resultate  dieser  Untersuchung  geltend  machen  lassen.  Einer 
derselben  wäre  der,  dass  wir  nur  an  einem  Orte  des  Körpers  ge- 
messen und  dass  das  Rectum  nicht  central  genug  gelegen  sei.  Aller 
dings  ist  dasselbe  der  Abkfihlupg  von  der  Kreuzbeinseite  her  aus- 
gesetzt, wie  uns  mehrere  (nicht  mitbenutzte)  Beobachtungen  lehrten, 
die  in  Seitenlage  angestellt  wurden  und  eine  erheblich  schnellere 
Abktthlung  ergaben ;  doch  waren  für  unsere  FällCi  in  denen  die  Lei- 
chen auf  dem  im  Leben  innegehabten  Lager  unverrftckt  liegen  blie- 
ben, die  Abktthlungsverh&ltnisse  wenigstens  immer  die  gleichen« 

Mehr  Berechtigung  hfttte  der  Einwand,  dass,  wenn  auch  das 
Rectum  die  mittlere  Bluttemperatur  im  Augenblick  des  Todes  an- 
nähernd genau  angebe,  doch  der  periphere  Mantel  von  variabler  Tem- 
peratur, welcher  den  gleichmässig  temperirten  Kern  des  Körpers  am- 
httUt,  verschieden  dick  sei,  und  dass  gerade  bei  den  niedrigeren 
Körpertemperaturen  der  Unterschied  zwischen  Centrum  und  Peripherie 
grösser  zu  sein  pflegen  und  deshalb  aus  rein  physikalischen  Grttnden 
die  Abkühlung  eine  schnellere  sein  mOsse^). 

Auch  diesem  Einwand  gegenfiber  kommt  in  Betracht,  dass  gerade 
wegen  der  Rflckenlage  auf  der  schlecht  leitenden  Matratze  fflr  das 
Rectum  dieser  Unterschied  zwischen  Peripherie  und  Centrum  in  den 
Einzelfällen  vermuthlich  kein  sehr  verschiedener  (und  ttberhaupt  kein 
grosser)  gewesen  sein  wird.  Wenn  aber  wirklich  die  als  möglieb 
hingestellte  Verschiedenheit  der  Wärmevertheilung  bei  hohen  und 
niedrigen  Todestemperaturen  stattgefunden  hätte,  so  wäre  nicht  ab- 
zusehen, warum  diese  verschiedenen  physikalischen  Bedingungen  des 
Temperaturausgleichs  sich  nur  in  der  ersten  und  fast  gar  nicht  in 
der  'zweiten  Stunde  nach  dem  Tode  sollten  geltend  gemacht  haben. 


1)  Diese  Umstände  waren  realisirt  in  einem  Falle  von  Typhus,  der  starb,  an 
mittelbar  nachdem  ein  kaltes  Bad  gegeben  worden  war;  hier  sank  die  Rectaltem 
peratur  (von  43,7)  in  der  ersten  Stunde  um  l,7^  in  der  zweiten  Stande  um  0, 


?. 


XVI. 
Ueber  Herzstosscurven  und  Poiscurven. 


TOD 


Dr.  F.  Maurer, 

AfaUtent  «m  {Mtholofflsch-Anatomifchen  InitUnt  za  Heidelberg. 

Ehe  eine  Yollständige  Einigung  in  der  Deutung  des  Cardiogramms 
erzielt  ist,  dürfte  die  Cardiograpbie  wohl  kaum  ein  Gemeingut  der 
Kliniker  werden.  Es  ist  deshalb  wünschenswerth ,  dass  das  Aus- 
einandergehen der  Meinungen  über  die  Qualität  der  einzelnen  Er- 
hebangen  in  der  Herzstosscurve  in  einer  allseitig  genügenden  Er- 
klärung einen  Abschluss  finden  möge.  Ich  möchte,  um  etwas  dazu 
beizutragen,  einige  Bemerkungen  veröffentlichen,  die  in  einer  Reihe 
eardiograpbischer  Untersuchungen,  die  ich  in  den  Monaten  Novem- 
ber 1877  bis  Juni  1878  angestellt  habe,  ihre  Begründung  finden. 

Da  ich  die  Absicht  hatte,  einfach  Controlversuche  anzustellen, 
so  möchte  ich  Einiges,  was  ich  bestätigen  konnte,  kurz  wiederholen ; 
daneben  dürften  sich  vielleicht  einige  neue  Gesichtspunkte  in  vor- 
liegender Arbeit  vorfinden.    . 

Ich  werde  in  möglichster  Kürze  die  bisher  aufgestellten  Deu- 
tungen der  Herzstosscurve  vorführen,  daran  einige  Bemerkungen 
knüpfen  und  eine  kleine  Anzahl  pathologischer  Herzstosscurven  fol- 
gen lassen.  Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  eine  kurze  Besprechung 
der  Pulscurven  beifügen.  Ich  habe  von  sämmtlichen  Individuen,  die 
ich  untersucht  habe,  von  Gesunden  und  Kranken  stets  neben  den 
Herzstosscurven  noch  Pulscurven  von  der  Carotis,  Axillaris,  Brachialis, 
Radialis  und  Femoralis  entnommen. 

Ich  benutzte  anfangs  den  Marey 'sehen  Sphygmographen  allein, 
später  verzeichnete  ich  Herzstosscurven  sowohl  mit  ihm,  als  auch 
Qiit  dem  Bourdon-Sanderson'schen  Cardiographen  ^ ,  um  mich 

1)  Den  Herren  6eb.-R.  Friedreich  und  Prof.  v.  Dusch,  die  mir  die  ge- 
Q^onten  Instrumente  und  das  Untersttchungsmaterial  freundlichst  cur  Verfolgung 
Stttellt,  spreche  ich  hiermit  meinen  besten  Dank  aus.  —  Eine  genaue  Beschrd* 
^iig  des  Cardlographen  yon  Bourdon-Sanderson  nebst  Abbildung  geben 
Ott  und  Haas  (Prag.  Vierte^ahrschrift.  136.  Bd.  1877). 

19* 


292  XYI.  ÜAUBER 

einerseits  möglichst  Aber  die  Formen  der  Herzstosseurven  sa  infor- 
miren,  dann  aber  auch  um  die  Leistungen  der  genannten  Instrumente 
vergleichen  zu  können. 

Ich  möchte  dem  Cardiographen  ganz  entschieden  den  Voreng 
geben,  namentlich,  wie  es  sich  später  ergeben  wird,  wegen  der  grd« 
seren  Correctheit  der  Bilder,  dann  auch  wegen  der  dem  Sphyg;mo- 
graphen  gegenüber  bedeutend  erleichterten  Anwendbarkeit.  Er  ist 
mit  verschieden  gestalteten  Pelotten  versehen  und  lässt  sich  in  jeder 
Haltung  des  zu  Untersuchenden  bequem  anlegen,  während  man  den 
Sphygmographen  nur  in  der  Rfickenlage  einigermaassen  gut  anwen- 
den kann. 

Ueber  das  vielbesprochene  Thema  der  Eigenschwingungen  beider 
Instrumente  werde  ich  später 'Einiges  bemerken. 

Bekanntlich  deutet  Marey  seine  Herzstosscurve  in  der  Weise, 
dass  sich  an  ihr  die  relative  Dauer  der  Gontractions-  und  Dilatation»- 
Perioden  der  Ventrikel  ausdrücke  und  die  Zacken  am  absteigenden 
Schenkel  den  Verschluss  der  Atrioventricularklappen  und  Semilunar- 
klappen  darstellen. 

Landois^)  dagegen  sagt:  „Unter  Herzstoss  versteht  man  unter 
normalen  Verhältnissen  eine  an  einer  umschriebenen  Stelle  des  5.  In- 
tercostalraums  wahrnehmbare  rhythmische  Erhebung,  welche  aus  den 
in  der  normalen  Herzstosscurve  als  Elevationen  zum  Ausdruck  ge- 
brachten Contractionen  der  Vorhöfe  und  der  Ventrikel  und  dem 
Schluss  der  Semilunarklappen  sich  zusammensetzt.^ 

Entsprechend  den  Bewegungsvorgängen  am  Herzen  soll  die  nor- 
male sowohl,  wie  die  pathologische  Herzstosscurve  in  vier  Tbeile 
zerfallen:  Einer  bezeichne  die  Arbeit  der  Vorhöfe,  ein  zweiter  die 
Ventrikelcontraction ,  ein  dritter  die  Diastole  der  Ventrikel  und  der 
vierte  endlich  die  Pause  zwischen  zwei  Herzrevolutionen. 

Betrachten  wir  eine  an  der  Stelle  des  Spitzenstosses  bei  eineai 
gesunden  Menschen  gezeichnete  Gurve  (Fig.  1  und  2)  ^),  so  würde  sieb 
der  erste  Theil  derselben  als  eine  mehr  oder  weniger  stark  anstei* 
gende,  leicht  wellige  Erhebung  ab  präsentiren,  die  bis  zum  Fussa 
des  plötzlich  steil  ansteigenden  zweiten  Theils  b  c  hinreicht  Die  ein^ 
zelnen  mehr  oder  weniger  ausgeprägten  zackigen  Erhebungen  dieser 
sogenannten  Vorhofsthätigkeit  hat  man  noch  besonders  zu  deuten 

1)  Qraphische  UntersuchuDgen  Ober  den  Herzschlag.    Berlin  1876.  S.  73. 

2)  I.-R. » Intercostalraum.  L.  m.  ->  Linea  mammillaris.  L.  p. »  Linea  pu*- 
ftternalis.  A.  R.  —  Angehaltene  Respiration.  M.  R.  »  Mit  Respiration.  Die  Ab- 
kürzung «Card.*  bedeutet,  dass  die  Cunre  mit  dem  Cardiographen  anfgenomoeB 
ist.  —  Die  Cunren  Fig.  1  u.  2  stammen  Yon  demselben  Indindaam. 


Ueber  HenatoM-  oad  FnUciuren.  293 

Rtneht:  Die  ente  soll  den  entoo  Momont  der  BlntfBUong  dM  Vm- 

trikeli  indentfln,  bewirkt  dnreh  die  Oontnietion  der  Hertohren.  Dann 

(otgea,  entaprecfaend  dem  weiteren  Einströmen  des  Blutes  nnd  den 

didnreh  bedingten  leichten 

EiwbOtteningeii  der  Ventri- 

kelvand,  kleine  wellige  £r- 

beboDgen,  lui  welche  nch 

eine  letzte,  meiet  rerhAltniis- 

mluig  grosse  anreiht,  die 

schon  den  Beginn  der  Ven> 

trikelsystole  anzeigen,  einer 

ibortiven   VentrikeloontrsO' 

ÜoD  eotspreeben  soll.    Es 

uU  letztere  dadareta  ventn- 

luBt  werden,  das«  der  Ven-  "^  '  i^- ''""   *■  ^-'•-  -■*■'«■-»•)• 

trikel  bei  seiner  stirksten  Fttllang,  im  Moment  der  Systole  ptdtdich 

einen  Dmek  anf  die  in  ihm  enthaltene  Blutmasse  aoatlben  soll,  ehe 

a  den  Qegendniek  der  in  den  gros- 

ttc  Arterienstfimmen  gelegenen  Blut- 

lialeQbsrwindenkaiin;  nachher  erst 

feiingt  es  ihm,  seine  eigentliche  87- 

Mole  aogzDfDhren. 

So  die  Erklftrnng  von  Ott  und 
Baas. 

Landoisi)  sagt:  „An  allen 
Corren  der  Reibe  ä  beobachtet  man  suerat  den  Abschnitt  ab,  wel- 
elier  als  leicht  ansteigender  Htlgel  mit  einzelnen  kleineren  Erbebun- 
^ea  besetzt  sieb  zu  erkennen  gibt  Dieser  CarTenabscbnitt  ent- 
iprieht  der  Contraction  der  Vorkammern.  Da  die  Vorkammern  bei 
^hrer  Contraction  eine  Bewegung  in  der  Richtung  nach  der  Herz- 
ipitze  hin  vollfOhren  und  das  Blut  in  derselben  Direction  in  die 
Einern  werfen,  so  ist  leicht  ersichtlich,  dass  die  Weicbtheile  des 
intercostalraume,  welche  die  Pelotte  des  Instrumentes  tragen,  eine 
Erbebaog  nach  aussen  erleiden  mflssen.  Jene  leichten  Erbebungen, 
■riebe  der  flach  ansteigende  HQgel  ab  tr&gt,  welche  an  manchen 
Smatosscarren  nur  zwei,  an  anderen  selbst  drei  und  vier  an  der 
iabi  sind,  leite  ich  ab  von  den  der  eigentlichen  Vorbofscontraction 
'oranfgebenden  Undulationen  an  den  grossen  Hohladerstämnien  und 
'on  den  Zusammenziehungen  der  Herzohreo.    Man  findet  mitunter 


1)  Henichlkg.  S.  58. 


294  XVI.  Maübbb 

den  ersten  Theii  von  ab  mehr  oder  weniger  einer  geraden  horizon- 
talen Linie  gleieh  gezeichnet,  wir  haben  alsdann  in  ihr  den  Äos- 
dnick  der  wirklich  vorhandenen  Herzpanse  zu  erkennen.  In  den 
meisten  Fällen  ist  es  aber  unthnnlich,  zwischen  der  Herzpanse  und 
den  beginnenden  Undulationen  der  Garve  mit  Sicherheit  zu  unter- 
scheiden. ^ 

Ich  kann  mich  der  ersten  dieser  beiden  Ansichten  darin  nicht 
anschliessen,  dass  an  der  ersten  Zacke  der  sogenannten  Vorhofsthltig- 
keit  sich  die  Herzohren  durch  Contraction  activ  betheiligen  aollen; 
nnd  auch  der  zweiten  nicht,  dass  die  Contraction  der  Hersohren  dorcb 
eine  besondere,  vor  der  Zacke  der  eigentlichen  Vorhofscontraeäon 
gelegene  Elevation  bezeichnet  werde. 

Es  ist  ja  bekannt,  dass  die  Vorhofscontraction  in  der  Weise  vor 
sich  geht,  dass  sich  eine  peristaltische  Zusammenziehang,  die  Ton 
der  EinmQndungsstelle  der  Gefässe  und  der  Spitze  der  Herzohren 
ihren  Anfang  nimmt,  nach  dem  Septum  atrioventriculare  hinzieht 
Doch  ist  dieser  Vorgang  von  so  kurzer  Dauer,  eigentlich  nur  ein 
kleiner  Bruchtheil  ^)  der  Ventrikelcontraction ,  dass  man  seinen  Be- 
ginn, also  etwa  die  Contraction  der  Herzohren,  wenn  man  die  Ver- 
gleichungszeit der  Linie  ab^)  zu  Rathe  zieht,  unmöglich  mit  dem 
Auftreten  der  ersten  Zacke  coincidiren  lassen  kann. 

Ott  und  Haas  (S.  6)  beziehen  sich  auf  Marey,  doch  kann  ich 
in  dessen  Arbeit  3)  von  einer  Contraction  speciell  der  „ Herzohren' 
nichts  angegeben  finden.  Es  ist  hier  nur  von  y^oreUlette*^  dem  Vorhof, 
die  Rede,  der  sich  erst  contrahirt,  nachdem  er  bei  der  diastolischen 
Erweiterung  des  Herzens  voUstftndig,  der  Ventrikel  nahezu  den  höch- 
sten Grad  der  Ausdehnung  durch  das  EinstrSmen  des  Blutes  erlangt 
hat.    Gleich  nach  ihm  contrahirt  sich  der  Ventrikel« 

Aus  dem  Gesagten  wttrde  also  resultiren,  dass  der  eigentUeheo 
activen  Vorhofscontraction  nur  die  letzte  Zwacke  bei  b  entspricht,  wäh- 
rend die  erste  bei  a  einfach  eine  stärkere  Undulation  vorstellt  Dass 
die  erstgenannte  Zacke  unter  normalen  Verhältnissen  nicht  so  deutlich 
hervortritt,  mag  wohl  seinen  Grund  darin  haben,  dass  der  sehwach 
musculöse  normale  Vorhof  den  beinahe  ad  maximum  durch  Blut  aos- 
gedehnten  Ventrikel  nur  wenig  mehr  ausdehnen  kann.  Ganz  anden 
muss  sich  dieses  Verhftltniss  bei  pathologischen  Zuständen  gestalten. 

1)  G.  Ludwig,  Physiologie  des  Menschen.  Bd. II.  1859. 

2)  Die  Yorhofsth&tigkeit  nach  Landois,  also  die  VorhofBcontraction  wflrde 
dann  im  Durchschnitt  hei  normalem  Herzen  0,338  Secunden  betragen,  also  gleich 
der  H&lfte  der  ganzen  Herzrevolution  («  0,677  Secunde)  sein. 

3)  Physiologie  m^dicale.  p.  37. 


Ueber  HenstOM*  und  Pulseurveo.  295 

die  das  Einfließen  des  Blntee  in  den  Ventrikel  enM^hweren.  Hier 
wird  die  ente  Zacke  deutlieh  hervortreten ,  weil  die  in  den  Venen 
ond  dem  Vorhof  gestaute  Blotmenge  mit  grösserer  Kraft  die  Anfdl- 
long  des  Ventrikels  zn  erstreben  sucht  (Mitralstenosen  machen  hier 
eine  Ausnahme),  und  ebenso  deutlich  und  oft  noch  deutlicher  die 
zweite,  eigentliche  Vorhofscontraetionssacke ,  entsprechend  der  ener- 
gischen Zusammenziehung  dieser  alsdann  hypertrophirten  Herzab- 
theilung. 

Mit  dieser  Annahme  würde  femer  die  etwas  gezwungene  Erkift- 
roDg  der  letzten  Zacke  als  nftbortiver  Veutrikelsystole^  wegfallen. 

Ich  werde  auf  den  als  Herzpause  bezeichneten  Theil  wieder 
zarttekkommen. 

Dieser  Vorhofscontraction  folgt  der  zweite  Theil  der  Herzaction : 
Die  steilansteigende  Ventrikelsystole  b  c  und  bei  c  beginnt  der  dritte 
Theil  der  Curve,  der  diastolische  Schenkel  e/)  der  mehr  oder  weniger 
steil  abfftUt  und  in  Terschiedener  Höhe  zwei  zackige  Erhebungen  d 
Qod  e  trflgt 

Dem  yierten  Theile,  der  HerzpausCi  entspricht  ein  kleines  hori- 
zontal verlaufendes  Stflck  am  Anfangstheil  yoü  ab. 

So  die  von  Ott  und  Haas  gegebene  Erklärung,  der  ich  in  ein- 
zelnen Punkten  nicht  völlig  beistimmen  kann. 

Dass  bc  der  Ventrikelsystole  entspricht,  ist  klar.  Auscultirt  man 
gleichzeitig  beim  Cardiographiren  mittelst  eines  kleinen  Olastrichters 
mit  Gummischlauch,  den  der  zu  Untersuchende  auf  einer  angegebenen 
Stelle  seiner  Brustwand  fest  aufdrflckt,  so  sieht  und  hört  man  ganz 
deutlich,  dass  der  erste  Herzton  mit  der  Verzeichnung  der  höchsten 
Spitze  der  Gurve,  also  dem  Ende  der  Verzeichnung  der  Ventrikel- 
systole,  sein  Ende  erreicht  hat. 

Bei  mittelrascher  Herzaction  geht,  meiner  Ansicht  nach,  die  Ven- 
trikelsystole nicht  plötzlich  in  die  Diastole  ttber,  sondern  allmählich, 
wag  sich  an  einer  leicht  gewölbten  Kuppe  kundgeben  muss.  Ich 
werde  hierauf  noch  zurflokkommen. 

Während  des  Nachlasses  der  Ventrikelcontraction  erfolgen  die 
BQekstöBse  des  Blutes  gegen  die  Semilunarklappen  der  Aorta  und 
Arteria  pulmonalis,  die  ihn  zweimal,  entsprechend  den  katakroten 
Zacken  wieder  in  stärkere  Berflhrung  mit  der  Brustwand  bringen. 
Die  diastolische  Anfftllung  des  Ventrikels  war  bis  zum  Punkte  f  nicht 
ausreichend,  um  eine  Erhebung  der  Pelotte  zu  bewirken,  daher  der 
steile  Abfall.  Sie  vermag  es  erst  von  /,  resp.  a  und  nimmt  nun 
stetig  zu  bis  zur  eigentlichen  Vorhofscontraction  bei  b,  was  sich  durch 
isiA  leichte  Ansteigen  der  Linie  von  a  bis  zur  letzten  Zacke  b  wieder- 


296  XYI.  Maub» 

gibt '  Es  beginnt  demnaeh  die  Diastole  des  Ventrikels  bei  e  and 
gebt  bis  zum  Fasspunkt  der  YorbeiBelevation  bd  t. 

Diese  Erklftrang  widersprieht  allerdings  der  Ansehauung  yon 
Landois,  der  die  Diastole  nur  bis  /  rdlehen  Iftsst  und  am  Anfangs* 
theil  von  ab  die  Henspause  findet,  von  der  er  selbst  angibt,  dass  es 
bei  ihrem  seltenen  Vorkommen  unthunlieh  sei|  sie  von  dem  übrigen 
Theile  von  ab  zu  unterscheiden. 

Ich  kann  mir  eine  solche  Herzpause  im  Sinne  von  Landois, 
sofern  ich  ihn,  nicht  missverstehe,  in  welcher  weder  ein  systoliscber, 
noch  ein  diastolischer  Vorgang  am  Herzen  statthaben  soll,  nicht  gut 
vorstellen. 

Dass  am  Ende  des  absteigenden  Schenkels  bisweilen  eine  kleine 
horizontale  Linie  auftreten  kann,  möchte  ich  auf  eine  mangelhafte 
Beaction  vorzüglich  des  Sphygmographen ,  auf  die  kaum  merkUohe, 
dennoch  stetig  zunehmende  Füllung  des  Ventrikels  zurückführen. 
Wir  finden  sie  deshalb  von  dem  empfindlicheren  Cardiographen  nur 
äusserst  selten  verzeichnet 

Wie  wir  oben  sahen,  sagt  Marey,  dass  die  Zacken  am  abstei- 
genden Curvenschenkel  den  Verschluss  der  Atrioventricularklappen 
und  Semilunarklappen  darstellen.  Landois  dagegen  schliesst  Au 
Sichtbarwerden  des  Verschlusses  des  erstgenannten  Klappenpaares 
vollständig  aus. 

Fragen  wir  uns,  welcher  Ciontractionsphase  des  Herzens  der  Atrio- 
ventricularklappenton  entspricht  —  wir  sehen  hier  von  dem  Mnskei- 
ton  ab,  der  mit  ihm  den  ersten  Herzton  zusammensetzt  — ,  so  müssen 
wir  ihn  offenbar  noch  in  die  Systole  des  Ventrikels  vers^en;  denn 
die  Diastole  des  Ventrikels  beginnt  erst  einige  Zeit  nach  dem  Sehloss 
der  Atrioventricularklappen.  Am  absteigenden  Schenkel  kann  sich 
also  nur  ein  tonerzeugender  Vorgang  ausprägen,  der  in  der  Diastole 
erfolgt,  und  das  ist  das  Rückströmen  des  Blutes  gegen  die  Semilanar- 
klappen  der  Aorta  und  Arteria  pulmonalis.  Dem  entsprechend  sehen 
wir  auch  bei  gleichzeitiger  Auscultation  die  Schreibhebelspitze  im 
Moment  des  zweiten  Herztones  auf  der  Höhe  der  ersten  diastolischen 
Erhebung.  Oleich  nach  der  ersten  verzeichnet  sich,  meist  ohne  be- 
sondere Schallerscheinung,  die  zweite.  Ich  sage  ,» meiste  denn  fOr 
gewöhnlich  macht  nur  der  zweite  Herzton  den  Eindruck  dines  ein- 
fachen,  nicht  gespaltenen  Tones. 

Es  entspricht  die  erste  Erhebung  dem  Rückstosse  des  Blutes 
gegen  die  Semilunarklappen  der  Aorta,  die  zweite  demjenigen  gegen 
die  Pulmonalklappen. 

Die  Richtigkeit  dieser  zuerst  von  Landois  gegebenen  Deutong 


lieber  Hemtou-  und  Palscurven.  297 

könnte  deshalb  angezweifelt  werden  *  weil  man,  wie  eben  bchierkt, 
nnr  dnen  einfachen  zweiten  Herston  hört,  also  aaeh  annehmen  könnte» 
daas  entsprechend  dem  einen  Ton  nnr  eine  Zacke  mit  dem  zwei- 
ten Herzton  auftreten  mttsste.  Aach  folgender  Einwand  könnte  noch 
gemacht  werden :  Warum  sollen  die  Rflckstösse  des  Blutes  gegen  die 
beiderseitigen  Semilonarklappen  nicht  ganz  ebenso,  wie  die  beiden 
Herzhälften  arbeiten,  synchron  erfolgen? 

Erwägt  man  aber,  dass  die  Spannung  in  der  Aorta,  die  der  linke 
Ventrikel  zu  flberwinden  hat,  viel  grösser  ist  als  diejenige  in  der 
Pulmonalarterie ,  welcher  der  rechte  Ventrikel  entgegenarbeitet,  so 
dflrfte  sieh  wohl  ergeben,  dass  auch  bei  gleichzeitiger  Systole  det 
Ventrikel  der  ROckstoss  des  Blutes  gegen  die  Aortaklappen  zeitlich 
etwas  frtther  eintreten  muss  als  der  gegen  die  Pulmonalklappen. 
Nnn  beträgt  nach  Helmholtz  die  kleinste  zwischen  zwei  Oehörs- 
eindrUcken  noch  eben  wahrnehmbare  Zeitdifferenz  0,t  Seounde;  und 
da  nach  mdnen  Berechnungen,  die  mit  denjenigen  yon  Landois 
übereinstimmen,  die  Zeitdifferenz  zwischen  dem  Aortenklappenrttek- 
stoss  und  dem  Eintretet  des  Pulmonalklappenrttckstosses  bei  nor* 
malern  Herzen  im  Mittel  0,092  Secunden  beträgt,  so  finde  ich  es  ganz 
erklärlich,  dass  die  zwei  Momente,  die  den  zweiten  Herzton  zusammen- 
seteen,  eben  nur  eine  Qehörsempfindung  veranlassen.  Wird  dieser 
Intervall  grösser,  so  gross,  dass  er  die  physiologische  Grenze  zweier 
Gehörseindr&cke  überschreitet,  so  hört  man  einen  gespaltenen  zweiten 
Herzton. 

Ich  bin  wie  Landois  in  der  Lage  gewesen,  einen  Beleg  fttr 
das  Gesagte  bei  zwei  Fällen  (Philipp  St.  und  Adam  L.)  zu  finden. 

St.,  der,  ohne  einen  Klappenfehler  zu  haben,  einen  sehr  deutlichen 
doppelten  zweiten  Herzton  hatte,  der  namentlich  im  2.  linken  Intercostal- 
mm  mit  besonderer  Klarheit  hervortrat,  bot,  wie  es  sich  nach  Ausmessung 
der  Cnrven  in  der  von  Landois  angegebenen  Weise  (Arterienpnls,  S.  78) 
ergab,  zwischen  dem  Auftreten  der  den  beiden  letzten  Herztönen  entspre- 
chenden Zacken  eine  Zeitdifferenz  von  0,156  Secnnde.  Bei  Aufnahme  der 
Herzstosscurven  mit  gleichzeitiger  Anscultation,  was  ich  wiederholt  bei  dem 
Individuum  vorgenommen,  sah  man  sehr  deutlich^  dass  dem  Ende  des  ersten 
Berztons  die  höchste  Spitze  der  Curve  c  entsprach.  Bei  der  ersten  Hälfte 
des  gespaltenen  zweiten  Tons  bildete  sich  die  Elevation  d  und  bei  der 
zweiten  Hälfte  die  Elevation  e,  die  bei  den  mit  dem  Spbygmographen  auf- 
genommenen Cnrven  ganz  am  Fusse  des  absteigenden  Schenkels  lag  (Fig.  8). 

Auf  diesen  Fall,  der  mir  die  Richtigkeit  der  von  Landois  ge- 
gebenen Deutung  der  Rflckstosszacken  hinlänglich  zu  beweisen  scheint, 
werde  ich  noch  specieller  zurückkommen. 

Marey's  Ansicht,  dass  die  Elevation  d  den  Schluss  der  Atrio- 


298  XVI.  Maübbr 

» 

ventri&larklappen  zur  Ansehauaiig  bringe,  Iftsst  sieh  wohl,  ganz  ab- 
gesehen davon,  dass  diese  Elevation  d  zeitlioh  gar  nieht  mit  dem 
genannten  Klappensehlasse  zosammenfalien  kann,  duroh  folgende 
Erwftgnng  widerlegen. 

Welcher  Vorgang  am  Herzen  kann  überhaupt  eine  Erhebung  des 
Schreibhebels  veranlassen?  Doch  nur  ein  solcher,  der  entweder 
durch  Gestalt  Veränderung ,  oder  Locomotion  des  Herzens  die  Hen- 
wand  der  Brustwand  dermaassen  andrttekt,  dass  eine  direote  Ein- 
wirkung der  Herzwand  auf  die  im  Intereostalraum  sitzende  Pelotte 
ausgeflbt  wird.  Der  erste  Fall  tritt  ein  bei  der  allmfthlichen  dia- 
stolischen FflUung  des  Ventrikels,  der  zweite  beim  Bttckstoss  des 
Blutes  gegen  die  Semilunarklappen.  Eine  Combination  beider  ent- 
steht bei  der  Systole  der  Ventrikel,  bei  welcher  das  Herz  einmal 
mit  bedeutender  Kraftentwicklung  die  mehr  einem  regelmissigen 
Kegel  entsprechende  Oestalt  annimmt,  wodurch  seine  Spitze  nach 
oben  und  vom  bewegt  wird,  und  weiterhin  durch  die  Streckung  der 
grossen  Gefässe  die  bekannte  Spiraldrehung  ausfuhrt,  welche  beide 
Momente  das  Herz  in  innigere  Bertthrung  mit  der  Brustwand  bringen. 

Ich  glaube  hiermit  die  Gonfiguration  der  normalen  Herzstossemre 
aus  den  einzelnen  Bewegungsvorg&ngen  am  Herzen  genflgend  erlftn- 
tert  zu  haben.  Ich  möchte  nur,  ehe  ich  einige  derselben  vorführe 
und  ihre  Veränderungen  unter  verschiedenen  Einflttssen,  wie  Respi- 
ration, Körperbewegung,  oder  solchen,  die  ihren  Grund  im  schrei- 
benden Instrumente  selbst  haben,  ausführlicher  bespreche,  zur  grös- 
seren Uebersichtlichkeit  das  bis  jetzt  Gesagte  in  folgender  Weise 
zusammenfassen : 

A.  Ich  unterscheide  an  der  Herzstosscurve  drei  Theile: 

1.  Die  Vorhofsystole,  aii^eprägt  in  einer  mehr  oder  weniger 

deutlichen  Zacke  bei  b  (S.  294). 

2.  Die  Ventrikelsystole,  repräsentirt  durch  die  steil  anstei- 

gende Linie  vom  zweiten  Fusspunkt  der  Zacke  bei  b 
bis  zu  c. 

3.  Die  Ventrikel  diastole  von  c  bis  zum  ersten  Fusspunkt 

der  Vorhofzacke  bei  b. 
B)  Die  zwei  am  diastolischen  Schenkel  sichtbaren  Erhebungen  i 
und  e  sind  der  Ausdruck  des  Rückstosses  gegen  die  Semi- 
lunarklappen  der  Aorta  und  Arteria  pulmonalis. 

Wenn  ich  die  von  Lande is  angegebene  Buchstabenbezeiobnong 
der  einzelnen  Curventheile  ganz  in  derselben  Weise  beibehalten  habe, 
so  geschah  es  deshalb,  weil  ich  dieselben  Abstände  wie  er  gemessen 


lieber  Hemtosr-  uod  Palscanren.  299 

habe,  um  meine  AosmeMangsresaltate  mit  den  seinigen  reigleichen 
SU  können.  Der  einzige  Mangel,  welcher  bei  der  von  mir  vertretenen 
^Anrieht  daraus  entspringt,  ist  der,  dass  ieh  keine  Ausmessung  der 
eigentlichen  Vorhofscontraction  besitze,  d.  h.  der  Entfernung  vom 
ersten  Fusspunkte  der  Zacke  bei  b  bis  zu  ihrem  zweiten,  resp.  dem- 
jenigen der  Ventrikelsystole  bc.  Doch  ist  diese  Zacke  meist  so  klein, 
dass  es  gar  nicht  mdglieh  ist,  eine  Messung  an  ihr  vorzunehmen. 

Bei  den  normalen  Curven  habe  ich  die  Ausmessung  in  der  Weise 
vorgenommen,  dass  ich  von  der  Spitze  von  d  nach  der  Spitze  von  e 
and  von  hier  nach  /  gemessen  habe.  Es  geschah  dies  deshalb,  weil 
es  mir  bei  der  Kleinheit  und  gleichen  Grösse  der  Zacken  bequemer 
war,  ihre  Spitze,  als  ihren  ersten  Fusspunkt  einzustellen,  obwohl 
Letzteres  das  allein  Richtige  und  bei  pathologischen  F&Uen  Unum- 
gängliche ist. 

Die  Höhe  der  Rückstosszacke  ist  ja  der  Ausdruck  der  Kraft, 
mit  welcher  das  Herz  durch  den  RQckstoss  des  Blutes  gegen  die 
Semilunarklappen  nach  vom  gestossen  wird.  Uebersteigt  diese  Kraft 
an  dem  einen  oder  anderen  Gefilss  die  Norm,  so  wird  auch  die  ent- 
sprechende Zacke  sehr  gross  ausfallen  und  zu  ihrer  Verzeichnung 
eine  grössere  Zeit  in  Anspruch  nehmen,  sie  wird  ihren  Gulminations- 
punkt  später  erreichen.  Da  es  sich  aber  bei  diesen  Messungen  um 
die  Zeit  des  Eintritts  des  Rttckstosses,  nicht  um  die  zeitliche  Aus- 
messung der  Zackenhöhe  handelt  und  mit  dem  Momente  des  Semi- 
lanarklappenschlusses  die  Wirkung  des  Rttckstosses  am  Fusspunkte 
der  Erhebung  beginnt,  so  ist  es  klar,  dass  wir  die  Messung  von 
diesem  aus  vornehmen  mflssen;  also  immer  vom  ersten  Fusspunkte 
einer  Zacke  zum  entsprechenden  Fusspunkte  der  zweiten  und  nicht 
von  Zackenspitze  zu  Zackenspitze  rechnen  dttrfen. 

Um  die  Beschreibung  der  Curven  zu  erleichtem,  werde  ich  die 
der  Vorhofszacke  vorausgehenden  Elevationen  von  a  bis  b  „diasto« 
tische  **  Zacken  nennen.  Wir  wttrden  also  zwei  Rttckstosszacken,  eine 
wechselnde  Anzahl  diastolischer  Zacken  und  eine  Vorhofszacke  zu 
unterscheiden  haben. 

Bei  den  normalen  Herzstosscurven  (Figg.  1 — 7,  11  — 13)  prägt 
rieh  die  individuell  verschiedene  Energie  der  Herzactionen  in  den 
ungleichen  Curvenhöhen  aus.  An  allen  sind  die  bisher  genannten 
Theile  deutlich  ausgeprägt:  die  steil  ansteigende  Ventrikelsystole, 
der  brflske  diastolische  Abfall  mit  den  beiden  Rttckstosselevationen, 
▼on  denen  die  erste  meist  mit  etwas  grösserer  Schärfe  gezeichnet 
ist  Bereits  an  dem  unteren  Ende  des  absteigenden  Schenkels,  zum 
grössten  Theile  aber  in  der  mehr  oder  weniger  stark  ansteigenden, 


300  XVI.  Maureb 

die  weitere  diaatolisebe  ADfDllung  de«  VentrikelB  soadrUekeDden  Lisie, 
finden  wir  die  diastoliacfaen  Zacken  (Fig.  1).  SehHenlichiebeB  wir 
die  der  Ventrikelajstole  direct  vorangehende  Vorbofaiacke  (Fig.  L  11). 
Daaa  sie  niebt  immer  deutlich  ausgeprftgt,  manchmal  sogar  fartpr 
nieht  nebtbar  ist,  habe  ich  oben  zu  begrandea  geaneht  (ß.  39^ 

Die  Angaben  von  Ott  und  Haas  Ober  den  Einflnae  der  B^i- 
ration  auf  die  Herzstossoarven  finde  ich  bestätigt.  Weil  iob  iker 
nieht  speeiell  bierttber  experimentirt  habe,  so  kann  ich  nur  weai^ 
Belege  vorftthren,  die  flieh  im  Laufe  meiner  Untersaebungeu  xufllU; 
ergaben.  Mit  Hinweis  auf  die  ausfabrlichen  AnseiDandersetsangia 
der  genannten  Autoren  werde  ich  mich  wohl  mit  KaohsteheudeBi 
begnügen  können. 

Die  Bespiration  beeinflusst  die  Herzaction  in  verschiedener  Won: 

1.    Bei  angehaltener  Respiration  werden  die  HenschlSge  aehwftr 

cher  (Fig.  ^a.  4).    Sie  nehmen  anfanga  an  Frequenz  ab,  dann  wieder 


Plfu  i  (S.  I.-R.  —  L.  pinat.  —  A.  B.  —  88). 

ZU.  Diesen  Uebergang  von  dem  einen  in  das  andere  Extrem  erkl-' 
Landois  durch  dne  Ueberreiaung  der  Hednlla  oblongata  und  L*^ 
mang  dea  VagasiT^ 
trumg.  Die  EVequff*' 
abnähme  siebt  man 
Figur  5,  wodieSplt^' 
der  Cnrven  ansan^*' 
derrUoken.  Den  Ueb^ 
gang  in  die  vem^^ 
Frequena  zeigt  uns  '0^ 

Fta«  .  ,».  ...R.  -  L.  p™..  -  A.  fi.  -  M,.  ^^   ^^    .^.  ^^^^  ^i 

Gurvengipfel  nach  dem  Ende  zu  immer  n&ber  aneinanderrOeken  (S^ 
auf  der  horizontalen  Linie  gezeichneten  Funkte  geben  die  EntfemiUrt 

der  beiden  ersten  Currengipfel  an). 


Ueber  Herutoii-  und  Palscurren, 


>er  Orad  der  Deutlichkeit  dieser  CurreaTer&nderungen  antertiegt 
Tentindlicb  dem  Einflnsie  der  individuellen  Reizbarkeit. 


Flgar  i  (&.  1. 


2.  Bei  fortdauernder  Respiratioii  steigt  bekanntlich  der  Blnt- 
i  \m  der  Exspiration,  während  er  bei  der  Inspiration  sinkt. 
1  findet  dieser  Wechsel  niebt  in  der  Weise  statt,  dass  mit  der 
irationsacme  das  Blutdrucksminimum  erreioht  wird ,  sondern  es 
,  wie  Einbrodt  nachgewiesen  bat,  beim  Beginn  der  Inspiration 
1  erreicht  Es  steigt  der  Blutdruck  w&brend  der  Fortdauer  der 
ration  and  erreicht  im  Beginn  der  Exspiration  sein  Maximum. 
)  sinkt  er  wieder  bis  in  den  Beginn  der  Inspiration,  wo  er  ad 
iram  abftllt,  n.  s.  f. 

Da  nun,  nach  den  Versuchen  yon  Landois,  der  BOckstoss  in 
iseben  RSbren  um  so  stärker  ist,  je  schwächer  der  intravaaouUre 
k  und  je  leichter  der  Abflnss  geschieht,  so  werden  die  Btlck- 
zackeo  im  Beginn  der  Inspiration  am  deatliohsten  nnd  bei  be- 
Bnder  ExspiratioD  am  wenigsten  deutlich  ausgeprägt  sein. 
Wird  der  Athem  angehalten,  so  entspricht  die  Ausbildung  der 
:en  der  gerade  vorhandenen  Beepirationsphase. 


3ei  Figur  6  war  der  Sphjgmagraph  durch  Sebntlre  in  Ähnlicher 
Q  aufgebunden  wie  der  Cardiograph.  Die  hdchsten  Stellen  der 
anreibe  entsprechen  der  Inspiration,  weil  durch  die  inepiratorische 
ebnung  des  Thorax  die  Schntlre  mehr  angespannt  wurden,  was 


302  XVI.  Haubbb 

d«n  Pelottendnick  yentirkte.    Wir  sehen  die  wAbread  der  lupin- 

tioD  TerKeichneten  Gurren  niedrig,   entsprechend   dem  geHmluBn 

Blutdruck  (und  der  swischengeaohobesen  Lunge),  aber  mit  jehr  dnit- 

liehen  RackstOBBelevattonen  versehen.    Duadbe  Verfakltni«  Higteu 

Fig.  7,  nur  liegen  hier,  wtil 

der  Sphygmogimph  mit  der 

Hand   anfgeeetst   war,  di« 

inapiratorischen   Gurren  ii 

der  Tiefe.    Daaselbe  ^It  für 

Fig.  8.   Auch  bei  pathologi- 

sehen  Fällen  sehen  wir  ditu 

Verbältnisee     sehr    babiek 

ausgeprftgt ,  so  bei  Fig.  30. 

Inspiration  nur  .eine  Hen- 
atosscurre  geiuchnet,  die 
ans  die  RflckstosBsackeD  in 
ganz  eminenter  Weise  iw- 
geprägt  zeigt  Sie  übentei- 
gen  hier  den  Gipfel  der  Ven- 
trikelsystole. 

Bei  den  Figuren  9  u.  1*1 
ist  die  Bespiratioa  >»  24,  die  Pulafreqneiu  -"  &2,  also  entapricht  3' 
einer  Inspiration  oder  Exspiration  ein  Hetnehlag.    Figur  9  entspHc^^ 


KLg,  S  {i.  I.-R.  -  L.  m.  —  Nicb  ll(w«tiln|.  ■■  B.  ü. 


der  Figur  7,  die  inspiratorischen  Curven  liegen  anten.    Bta  Fignr  i*'' 
als  einer  cardiographiscben  Aufnahme,  der  Figur  6   entsprecheixl' 


Ueber  Uenstou-  oad  PnlscnrreD.  303 

»igen  uns   nur  die  inspintorisofaen   Cnrren    deatitebe  Bttekstow- 

ucken. 

WeitnhiD  verlndert  sieh  die  Oestalt  der  Henotocsonire  lutolt 
rucber  Bewegung. 

Nioh  Ott  und  Haee  wird,  wenn  der  Henscblag  für  gewöhnlich 
rabig  iBt  nnd  die  Fnisfolge  nun  frequenter  wird,  desto  höher  die 
durch  die  VentrikeUyBtole  vernrsaehte  £rbebting  and  es  Snden  sich 
ig  den  diutolisohen  Linien  die  Verwöhnungen  der  Bttekstosswii^ 
kQngeo  desto  weiter  vom  Gipfel  entfernt.  Bs  soll  Ersteres  dadurch 
reranlaatt  werden,  dtus  die  Aorta,  die  bei  raaoher  Pnlifolge  vor  der 
Sfgtole  um  so  erscblaffter  ist,  durch  die  plötzliche  Ftlllung  rascher 
gestreckt  wird.  Die  Kflckstosazacken  sollen  deswegen  üefer  sitzen, 
weil  nach  Uarey  Blntdmcfc  und  Berzaction  in  Wechselwirkung 
stehen,  der  intravasculäre  Druck  bei  rascher  Herzaction  geringer  wird. 
Es  moss  demnach  der  Semilnnarklappenscbluss  später  erfolgen  und 
dementsprechend  seine  Verzeichnung  an  den  Curven  tiefer  unten  er- 
scheinen. 

Als  Belege  dienen  die  Curven  VI  u.  VU  der  genannten  Autoren. 

Die  Figuren  11  und  12  stammen  voh  demselben  Individuum, 
and  zwar  ist  die  erste  nach  Körperbewegung,  die  zweite  nach  Ruhe 
abgenommen. 


Plpa  IJ  (J.  I,-R.    L.  p.  —  Rnhi.  -  A.  1.  —  81). 

Die  Hesanng  mehrerer  Curven  jeder  Reihe  ergab  deutlieh  fol- 
gende Werthe: 

Flprr  n.  Ffgor  12. 

'ii-0,196  See.  </e  — 0,0«S  See    ;  <i6~ 0,333  See.  d^ ~ 0,077  See 

*e- 0,019      ,  e/"— 0,040      .  6c  — 0,093      .  «/"— 0,017     . 


304  XTI.  Haubeb 

Es  rerbalten  sich  in  beiden  Reihen  die  Werthe  Ton  eri  mdttn 
von  af,  d.  b.  die  Dauer  der  Ablaufszeit  vom  GurreDgipfel  bii  ud 
Eintritt  der  RflckBtosawirkung  sur  Dauer  einer  Jansen  HemeTolntioii, 
wie  4:6.  Hit  anderen  Worten:  Es  tritt  die  RBokitoweleTatioB  in 
Figur  11  später  auf,  was  die  obige  Angabe  von  Ott  ond  Baai  be- 
stätigen durfte. 

An  den  Cnrren  Figg.  12  a.  13  fftllt  uns  in  der  Nfthe  dea  Gipfali 
eine  anakrote  Zacke  auf.    Um  eine  discontinuirliobe,  BtOHweiH  Coa- 


1 


Flj«  IJ  (S.  I,.E.  b.  p.  -  A.  B.  -  7«.  -  »). 

traotion  des  Ventrikels  kann  es  sieb  bier  nicht  bandeln,  denn  die 
Gurvenreihen  sind  Ton  ganz  gesunden  jungen  Individuen  (reu  18  nad 
20  Jabren)  entnommen,  von  denen  ich  andere  Reiben  ohne  dlMW 
Zacken  gewonnen  babe. 

Das  Herz  dürfte  also  nicbt  dann  aohuld  sein;  prüfen  wir  dsd 
luBtrumeut 

DaBs  die  Feder  des  aufgelegten  Harey'sohen  Spfaygmograpbev 
keine  Eigenschwingungen  macht,  ist  experimentell  dareh  Mach  ond 
LandoiB  nachgewiesen  worden.  Es  fragt  sich  weiter,  ob  anch  dex 
Schreibbebel  von  diesem  Fehler  frei  ist.  Landois ')  behauptet  die« 
ganz  entschieden,  indem  er  als  Grund  die  von  Böhier  angegebens» 
Modificationen  des  Instruments  anfahrt. 

Meine  eben  genannten  Currenreihen  sind,  wie  gesagt,  von  jiiii^<* 
Individuen  mit  kräftiger  Husculatur  und  starkem  Pannicalns  ab^^' 
nommen.  Die  Nachgiebigkeit  der  Intercoatalwdchtbeile  war  «ta« 
geringe,  der  Herzstoss  verbSltnisimSssig  schwach  dnrchznfllhlen.  Uk" 
daa  Hindemisa  zu  durchdringen,  drückte  ich  durch  Sehraaben  dä^ 
Feder  tief  herab,  so  dass  sie  ad  maximum  gespannt  wnrde.  D>^ 
Folge  davon  war,  dass  der  von  der  stark  gespannten  und  dadufo^ 
harter  gewordenen  Feder  dem  Scbreibhebel  mitgetheilte  Stoss,  weia» 
ich  so  sagen  darf,  etvras  Hartes,  Schnellendes  bekam,  Ahnlieh  v^* 
dies  beim  Pulsus  durus  der  Fall  ist. 

I)  Puls.  3.  50. 


Ueber  HerutoM-  and  Polacorven.  305 

Maehte  nun  der  Scbreibhebel  an  sich  keine  Eigenschwingnngen, 
80  würde  er  in  jedem  Moment  der  Bewegung  der  Feder  genau  nach- 
folgen, und  gans  gleich,  ob  die  Feder  schwach  oder  stark  gespannt, 
eine  reine  Linie  beschreiben.  Dass  er  in  jenen  Füllen  bei  stark 
gespannter  Feder  anakrote  Zacken  beschrieben  hat,  scheint  mir  ein 
Beweis,  dass  er  nicht  frei  von  Eigenschwingungen  ist  Ich  gebe  ja 
Landois  gern  su,  dass  diese.  Dank  der  Construction  des  Apparats, 
an  dem  Drehpunkt  des  Hebels  ganz  minimal  sein  mögen,  aber  ab* 
golat  gleich  Null  sind  sie  keineswegs;  denn  die  Zähne  des  Rädchens 
nnd  der  Fflhrungsstange  passen  nicht  so  genau  in  einander,  dass 
nicht  ein  kleiner  Spielraum  zwischen  ihnen  bliebe.  Trotzdem  dass 
der  Hebel  verhältnissmässig  leicht  gearbeitet  ist,  um  die  Masse  so 
gering  wie  möglich  zu  machen,  und  er  im  Verhältniss  zu  seiner  Breite 
sehr  dünn  und  überdies  noch  auf  die  sehmale  Kante  gestellt  ist,  so 
vermag  das  elastische  Material,  aus  dem  er  besteht,  verticale  Eigen- 
Schwingungen  nicht  zu  unterdrfloken,  die  in  der  Nähe  seines  Dreh- 
punktes angeregt,  an  der  Spitze  des  verhältnissmässig  sehr  langen 
Hebels  zu  einer  ziemlich  bedeutenden  Höhe  anwachsen  können. 

Bei  den  vorerwähnten  Curven  bekommt  die  Schreibhebelspitze 
durch  den  harten  Stoss  eine  anfangs  grössere  Beschleunigung  als  die 
Feder,  welche  die  Beschleunigung  der  Herzcontraction  genau  wieder- 
gibt; sie  eilt  dieser  voraus.  NuA  überwindet  aber  der  Herzstoss  den 
Widerstand  der  stark  gespannten  Feder  nicht  in  dem  Maasse,  dass 
er  der  Schreibhebelspitze  eine  solche  Beschleunigung  zu  geben  ver- 
möchte, dass  dieselbe  ihr  Minimum  erst  auf  der  Höhe  des  Curven- 
gipfels  erreichte,  sondern  es  tritt  dieses  Celeritätsminimum  etwas 
früher  ein.  Der  Hebel  kommt  etwas  in  Stillstand  und  wird  von  der 
nach  ihrem  Beschleunigungsminimum  hinstrebenden  Feder,  die  immer 
noch  unter  dem  Einflnss  des  sich  contrahirenden  Herzens  steht,  fort- 
gerissen, bis  beide  ihr  Beschleunigungsminimum  auf  der  Curvenhöhe 
erreicht  haben. 

Es  würde,  meiner  Ansicht  nach,  wenn  ein  derartiges  Vorauseilen 
der  Hebelspitze  nicht  stattgefunden  hätte  und  diese  genau  der  Be- 
wegung der  Feder  gefolgt  wäre,  die  Gurve  auf  ihrer  Höhe  keine 
Spitze,  sondern  eine  gewölbte  Kuppe  erhalten  haben,  der  Zeit  ent^ 
sprechend»  während  welcher  der  Ventrikel  im  Zustand  der  stärksten 
Contraction  verbleibt  Ich  möchte  aber  damit  keineswegs  gesagt 
haben,  .dass  alle  spitzen  Curvengipfel  dem  Bewegungsvorgang  am 
Herzen  nicht  entsprechen-,  denn  bei  rascher  Herzaction  wird  dieser 
Zustand  stärkster  Zusammenziehung  so  kurze  Zeit  andauern,  dass  er 
in  der  Verzeichnung  verschwindet.    Ist  dagegen  die  Herzaction  lang- 

DmiMkM  ArehiT  f.  Uin.  Uedtoin.  B4.  XXIV.  20 


306  XTI.  Mauibb 

sam,  so  mu8S|  wenn  man  den  Federdnick  richtig  gewfthlt  hat,  eine 
gewölbte  Kuppe  entstehen. 

Wir  können  also  Folgendes  ttber  die  Gonfiguration  der  Curven 
sagen: 

Bei  rascher  Herzaction  entsteht  immer  eine  spitze  Curve»  die  bei 
starkem  Federdruck  eine  anakrote  Zacke  haben  kann. 

Bei  langsamer  Herzaction^  angenommen  dass  das  Instrument  im- 
mer mit  gleicher  Kraft  aufgesetzt  ist,  können  folgende  FftUe  eintreten : 

1.  Bei  mittlerem  Federdruck,  d.  h.  mittelstark  gespannter  Feder, 
wird  die  Hebelspitze  genau  der  GontractionsschneUigkeit  des  Herzens 
folgen.  Ihre  Celeritftt  nimmt  nach  dem  Currengipfel  hin  ab  und 
geht  hier  allmählich  in  die  Diastole  Über,  der  entsprechend  sie  nun 
den  absteigenden  Schenkel  verzeichnet. 

2.  Bei  zu  schwachem  Federdruck  wird  der  sich  contrahirende 
Ventrikel  die  Kraft  besitzen,  der  Schreibbebelspitze  im  ersten  Moment 
der  Contraction  eine  solche  Celeritftt  zu  geben,  dass  sie  ihr  Celeri- 
tfttsminimum  später  erreicht  als  die  Herzcontraction.  Es  entsteht  auf 
der  Gurvenhöhe  eine  Spitze,  die  durch  eine  Eigenschwingung  der 
Hebelspitze  entstanden  ist  Es  fällt  diese  nach  Verzeichnung  des 
Artefacts  wieder  herunter  und  verzeichnet  den  absteigenden  Curven- 
Schenkel,  da  inzwischen  das  Herz,  dessen  Contraction  während  der 
Verzeichnung  jener  Spitze  ihr  Celcnitätsminimum  erreicht  hatte,  all- 
mählich wieder  in  Erschlaffung  ttbergegangen  ist 

3.  Bei  zu  starkem  Federdrucke  werden  zwei  Fälle  eintreten 
können : 

a)  einmal  entsteht  in  der  oben  angedeuteten  Weise  eine  ana- 
krote Zacke,  die  um  so  tiefer  steht,  je  stärker  der  Druck  ist  und  ist 

b)  der  Druck  schwächer,  aber  fär  die  Herzaction  immer  noch 
verhältnissmässig  zu  stark,  so  wird  durch  die  schnellende  Bewegung, 
welche  die  Feder  der  Hebelspitze  mittheilt,  ein  ähnliches  Verhittniss 
entstehen  wie  bei  zu  schwachem  Druck:  die  anakrote  Zacke  fUlt 
mit  dem  Curvengipfel  zusammen,  dieser  wird  spitz.  Doch  wird  die 
Gurvenhöhe,  weil  sie  der  Ausdruck  der  Kraft  der  einzelnen  Ben- 
contraction  ist,  in  diesem  Falle  geringer  sein,  als  bei  schwachem  Feder- 
druck. Bei  gleicher  Kraft  wird  der  Ausschlag  im  umgekehrten  Gros- 
senverhältnisse  zum  Widerstand  stehen;  demnach  bei  zu  stark  ge- 
spannter Feder  eine  kleinere  Gurve  entstehen  mOssen. 

Ich  habe  diese  verschiedenen  Verhältnisse  bei  einem  Indiriduam 
mit  deutlichem  Herzschlag  und  wenig  resistenten  Interoostalwdch- 
theilen  experimentell  wiederzugeben  versucht  (Philipp  St).  Bei 
Figur  14  ist  die  unterste  der  drei  Gurvenreihen  bei  einer  der  Con- 


lieber  Houtoas-  und  Pulicurren.  307 

tnetionskraft  des  Ventrikels  entsprecheoden  FederepaDnuiig  verz«ieh< 
net;  wir  finden  den  leicbt  abgenindeteD  Curvengipfel  und  die  gröSBta 
Habe.  Die  beiden  oberen,  bei  zu  atarkem  Druck  vera^chneten  Reihen 
■od  bedentend  kleiner  und  zeigen  uns  die  anakrote  Zacke  (x). 

Eiu  10  gHnatiger  Fall  steht  Einem  nicht 
immer  zu  Gebote,  und  bedenkt  maa,  welche 
iDdifiduellen  Vencbiedenbeiten  an  Herzkraft, 
Poiiiabl  und  Tboraxbescbaffeaheit  bei  ge- 
dulden nnd  kranken  Individuen  vorkommen, 
*o  möchte  ich  behaupten,  daas  man  selbst 
^  einiger  Uebung  es  mehr  dem  Zufall  rer- 
'wiken  mosB,  wenn  man  am  Sphygmographen 
"'e  der  Raschheit  und  Kiaft  der  Herzcon- 
''seMon  entsprechende  Federspannnng  findet. 
"*  der  Spb^gmograph  mit  der  Hand  auf- 
^drtickt  wird,  so  wird  man,  auch  bei  gleich- 
blei  b«Dder    Federspannung    kleine    Druck- 
•^'"»ankungen  der  Pelotte  bei  den  einzelnen 
(^Qlraetionen     kaum    venn^den     können. 
Oorob  unwillkBrlicbes  Nähern   oder  Entfer-  ""  "' 

lea    «leg  Instroments  von  der  Brustwand  wird  man  den  Pelottendruck 
'8r*tlrken  oder  verriDgem. 

So  erkläre  ich  mir  die  Verschiedenheit  der  Gurvengipfel  der 
^*kien  Figg.  12  o.  13  entstanden.  Hier  waren  die  Weichtheile  rigide. 
DuiTehdrang  man  diesen  Widerstand  durch  festeres  Aufdrucken  des 
^^ruments,  so  kam  man  der  Herzkraft  zu  Hülfe;  sie  konnte  jetzt 
■^Tker  auf  die  Pelotte  einwirken  und  brachte  jetzt,  während  sie 
vor\ier  nur  eine  anakrote  Zacke  zu  erregen  im  Stande  war,  einen 
■flitzen  Gipfel  hervor.  In  diesen  beiden  Fällen  war  eine  der  Herz- 
Kraft  vollständig  proportionale  Federspannung  gar  nicht  anzuwenden, 
^eil  die  flache  Spbygmograpben pelotte  durch  die  rigiden  Weichtheile 
hjadurch  dem  Herzen  gar  nicht  nahe  genug  gekommen  wäre.  Gerade 
in  solchen  ^llen  tritt  der  Vorzug  des  Gardiograpben  deutlich  hervor. 
Seine  halbkugelfdrmige  Pelotte  dringt  mit  grösserer  Leichtigkeit  in 
die  Intercostalrttume  ein.  Wegen  des  Widerstandes,  den  die  Pelotte 
erleidet,  muss  der  Cardiograpb  fester  aufgeschnallt  werden,  dadurch 
wird  allerdings  die  Spannung  der  Luft  im  Guinmiscfalaueb  und  in 
der  aberspannten  Trommel  vermehrt.  Doch  verschwindet  diese  Span- 
oongsverraebrung  sofort,  wenn  man  ein  am  Instrumente  angebrachtes 
SeitenrÖhrchen  öffnet  Nachdem  es  wieder  verschlossen,  wird  der 
Schreibhebel  ganz  unabhängig  von  dem  Pelottendruck  seine  E:^cur- 


308  XVI.  Mauber 

sionen  in  einer  der  Kraft  der  Yentrikeleontraetion  entspreehenden 
DimeuBion  augftthren. 

Figur  8  wird  uns  jetzt  erklärlich  werden.  Dieee  Reihe  ist  bei 
leicht  zu  durchdringenden  Wdchtheilen  offenbar  mit  zu  starkem 
Federdruck  abgenommen  worden.  Es  war  eine  lebhafte  Körperbe- 
wegung des  Patienten  vorausgegaAigen.  Während  die  rasche,  stos- 
sende  Herzaction  spitze  Gipfel  zu  beschreiben  strebtCi  sehen  wir  an 
einzelnen  Stellen  anakrote  Zacken  (x)  auftreten.  Es  musste  hier  die 
Einwirkung  des  Herzens  in  dem  Maasse  abgeschwächt  gewesen  sein, 
dass  sie  die  Hebelspitze  nicht  gleich  bis  zum  Curvengipfel  schleudern 
konnte.  Es  geschah  dies  immer  auf  der  Höhe  der  Exspiration,  weil 
ich  den  raschen  respiratorischen  Thoraxexcursionen  nicht  schnell 
genug  mit  dem  Aufdrücken  des  Sphygmograpben  gefolgt  bin. 

Eine  Andeutung  der  vorliegenden  Verhältnisse,  die  sie  indessen 
nicht  genügend  erklären  dürfte,  finden  wir  bei  Lande is  (Herzschlag. 
S.  60) :  n  Der  Gipfel  der  Gurve  c  kann  unter  Umständen  eine  gewisse 
Breite  haben,  namentlich  dann,  wenn  die  Weichtheile  des  Intercostal- 
raums  eine  über  die  Norm  gesteigerte  Unnachgiebigkeit  haben.  Ein 
derartig  abgeplatteter  Curvengipfel  entspricht  natürlich  noch  der  Dauer 
des  Gontractionszustandes  der  Ventrikel." 

Ich  habe  solche  von  Landois  gewonnene  Gurven  nicht  gesehen, 
zweifle  aber  nicht,  dass  sie  meiner  Gurvenreihe  Figur  12  analog  sind. 

Ich  halte  dieses  Verhalten  des  aufsteigenden  Gurvenschenkels 
und  des  Gurvengipfels  trotz  dieser  etwas  eingehenden  Auseinander- 
setzung irrelevant  für  die  Diagnostik  pathologischer  Fälle.  Die  hier 
wichtigsten  Curventheile  sind  die  Linie  ab  und  die  beiden  Rück* 
stosselevationen  d  und  e.  Es  kam  mir  hier  lediglich  darauf  an,  durch 
die  Erklärung  der  anakroten  Zacken  den  Beweis  zu  liefern,  dass  der 
Marey'sche  Sphygmograph  nicht  frei  von  Eigenschwingungen  ist. 
Entgegen  der  Ansicht  von  Landois  (Herzschlag.  S.  52)  möchte  ich 
mich  gerade  dahin  aussprechen,  dass  der  Gardiograph,  ceteris  paribus, 
bei  nicht  zu  rascher  und  heftiger  Herzaction  dem  jeweiligen  Contrac- 
tionsgrad  des  Herzens  besser  folgt,  getreuere  Bilder  als  der  Sphygmo- 
graph zeichnet,  indem  er  uns  unter  den  genannten  Umständen  stets 
etwas  abgerundete  Gurvengipfel  liefert.  Es  fällt  bei  ihm  das  lang- 
wierige Suchen  nach  dem  richtigen  Federdruck  vollständig  weg. 

Dass  ferner  die  Applicationsstelle  der  Pelotte  von  grösster  Wich- 
tigkeit für  die  Gonfiguration  der  Gurven  ist,  haben  Landois  (Herz- 
schlag. S.  80)  und  Ott  und  Haas  (S.  15)  eingehender  auseinander- 
gesetzt; ich  verweise  hier  auf  die  hierauf  bezüglichen  Stellen  ihrer 
Arbeiten. 


Ueber  Herutou-  und  FalicarTen.  309 

Je  nftfaer  den  SemiluDarklappen  wir  die  Pelotte  aufsetzen,  desto 
deutlicher  wird  sich  ihr  Rnckstoss  markiren.    Weil  wir  uns  we^n 
itt  von  linka  her  das  Hera  Qlierlagerudeii  LuDge  mehr  nach  rechts, 
ittt  u  das  StemDm  halten  mDssen ,  um  eine  deutliche  Curve  zu 
wkonmen,  so  prSgt  sich  hier  oben  der  BOckstoss  gegen  die  Pui- 
nonalklappen  sehr  deutlich  ans  (Figur  15,  von  demselben  Individnam 
fie  Figur  13),    wenigstens  im  Verbältniss 
ar  Corvenhöhe,  wftbrend  wir  den  Aorten- 
^penrttckstoBs    beim    Aufsetzen    aaf   die 
luupitze    deutlicher    markirt    finden.     Je 
libar  wir  dem  Vorhof  sind,  desto  deutlicher 
'erden  sich  die  diastolischen  und  die  Vor- 

ofszRcke  ausprägen.  Eg  igt  wichtig,  dieses  fi««' i»  (i.l-b.  iiBki^diobtn 
erhalten   bei  der  Vergleichung  pathologi- 

^her  und  normaler  Herzatosscurven  im  Auge  zu  behalten ,  um  bei* 
'lelsweise  beim  Cardiographiren  auf  dem  Spitzenstosse  eines  kran- 
>i)  Berzens  die  VerstArkuag  einer  Erhebung,  die  uns  unter  denselben 
<dingungen  am  gesunden  Herzen  klein  erscheint,  richtig  deuten  zu 
Qnen, 

Die  Ausmessung  einiger  normaler  Herzstosscurven  ergab  im  Mittel 
Sende  Werthe: 

ab  =-  0,338  de  =  0,092 

*c—  0,098  ef—  0,069 

cd  —  0,078  af~  0,677 

Soll  die  Cardiograpbie  für  den  Kliniker  ünigen  Werth  haben, 
tettesen  uns  die  Herzstossourven  pathologischer  Fälle  das  bisher 
lagte  bestätigen.  Sie  mUssen  die  einzelnen  Theile  der  Herzstoss- 
9*6  insgesammt,  aber  in  der  dem  vorhandenen  Leiden  entsprechen- 
1  Veränderung,  sei  es  Verstärkung  oder  AbschwAchung ,  wieder- 
en.  Wie  weit  sie  dieser  Anforderung  entsprechen,  werden  wir 
einzelnen  Fällen  sehen. 

Ich  möchte,  ehe  ich  mich  zu  diesen  wende,  in  KOrze  den  Fall 
lipp  St;  dessen  Herzstosscarven  (Figg.  8  u.  14)  uns  schon  an  ver- 
iedenen  Stellen  begegnet  sind,  etwas  näher  besprechen- 

Patieot,  ein  43  Jahre  alter  PhthiBiker,  der  Bpiterhio  eqf  Obdnclion 
•«mmen  ist,  leigte  bald  nach  seinem  Eintritt  ip  die  Klinik  (28.  Novbr. 
^  7)  mit  auffallender  Deutlichkeit  eine  Verdoppelung  dea  zweiten  Herz- 
et, die  bia  zum  Tode  (am  21.  Mai  1S78)  anhielt. 

Klioiacb  konnte  kein  Herzfehler  conBtatirt  werden. 

Die  Obduction  ergab-.  Chronische  PneumoDie  mit  Cavernenbildnng. 
Htmatose  und  fettige  Degeneration  des  Hercmuskels,  vorwiegend  des 
■hten  Venirikela  (die  Huacnlatiir  war  hier  in  der  Gegend  der  Herzspitze 


BO  betrlehtlioh  venehmilert,  data  ai«  nur  in  Fonn  einei  sehmilai  Budti 
keDDilich  w«r).  Ferner  fand  sich  chronitclie  intentitielle  Nephrit«  nl 
Hepititii. 

Ea  worden  zu  verschiedenen  Zeiten  CurreD  von  dem  Patientn 
eDtDommeD,  die  stets  folgende  Merkmale  zeigten :  Bei  einer  mittlmB 
HSbe  wne  sehr  schwache,  kaum  angedeutete  Vorhofszacke  und  dtnl- 
lich  auBgeaprochenen  AortenrUckstoss. 

Die  Currenaufnahme  mit  dem  Spbygmographen  gesehah  imLi^ 
gen,  es  mag  dies  wohl  der  Omnd  Bein,  dass  unter  den  nngDmäpn 
ApplieationsrerfaftltDissen  des  Spbygmographen  überhaupt  und  bä  dn 
Bebr  Bcbwaehen  Action  des  rechten  Ventrikels  die  PnlmonalrOekitM- 
zaoke  nur  sehr  sehwaefa  wu- 
gebildet   ist  (Figur  16).    Bei 
Figur  8  trat  sie  nnr  dann  deat- 
lich  hervor,  wenn  gleicbuitig 
eine  starke  diaatolieche  Welle 
in  den  Ventrikel  einfloss.  Dareh 
o.  ■uMrtiiib  ii»[  L.  M  -      Öummirung  beider  Momente  ent- 
''^-  —  ">■  stand  wie  in  der  zweiten  nnä 

letzten  Curve  der  Figur  8  eine  deutliche  grosse  Zacke.  Hit  dieiftoo 
Punkte  fiel  die  zweite  Hälfte  des  gespaltenen  zweiten  Herztones,  iric 
icb  Bcbon  oben  bemerkt,  zusammen.  Durcfa  gleichzeitige  Anscolt^- 
tioD,  während  icb  die  Curve  abnalim,  konnte  sich  Herr  Dr.  BeneftE-i 
Assistenzarzt  der  medicinischon  Klinik,  genau  davon  Ubeizeugov- 
Viel  deutlicher  als  bei  der  sphygmographischen  Aufnahme  tritt  A-ic 
Pulmonaliszacke  bei  der  ebenfalls  im  Liegen  aufgenommenen  Card 
graphcurve  hervor  (Figur  17).  Bei  der  erwähnten  ROcklagemng,  it^> 
Schrumpfung  der  linken  Lunge  lag  bei  aufrechter  Körperbaitang  A.** 


lier  in 
L'jt  n: 


.pont 
ffPul 

iRiekBi 
Für  d 
Iruehn 


[■Kide 
[sien 


Herz  in  grosser  Ausdehnung  der  Brustwand  an,  daher  das  deutli*^  ^ 
Hervortreten  der  Pulmonalzacke  in  der  Cardiograpbcurve  (Figur  i  ^^ 
die  bei  aufrechtem  Sitzen  entnommen  ist. 

Es  wUrde  sich  nun  fragen :  Was  war  die  Veranlassung  ditf^' 
Spaltung  des  zweiten  Pulmonaltones?    Das  Intervall  zwischen  beideo 
Tönen  war  so  gross,  dass  man  nicht  gut  an  einen  ungleichmä<sif>° 
SchlusB  der  einzelnen  Klappensegel  an  der  Pulmonalklappe  deoken 


Ueber  HerEBtosS"  and  Folscanren.  311 

kann,  auch  gibt  die  Seetion  hienu  keinen  Anbaltspunkt.  Die  Er- 
klftrung  dflrfte  yielmehr  in  der  flberhandnehmenden  fettigen  Dege- 
neration ,  in  der  allmftblieh  abnebmenden  Energie  der  Maaeulator 
des  recbten  Ventrikels  gegeben  sein. 

Der  im  Aortensystem  doreb  die  Nierenaffeetion  gesetzte  Wider- 
stand ist  niebt  unbedeutend  gewesen.  Wir  finden  daber  die  Action 
des  dilatirten  linken  Ventrikels  (Sectionsprotokoll :  Die  Muscalatur 
des  linken  Ventrikels  bei  sebr  weiter  Hoble  dflnner,  bellbraun  ge- 
fftrbt  und  sebr  brttcbig)  trotz  der  Erkrankung  seiner  Musculatur  rer- 
bältnissmässig  niebt  scbwaeb,  was  sieb  in  der  den  Verbältnissen 
naeh  grossen  Aortenrftckstosszacke  ausprägt  Der  intravasculäre  Druck 
in  der  Pulmonalarterie  war  berabgesetzt,  was  das  späte  Eintreffen 
des  Bfickstosses  erklären  dürfte« 

Fflr  die  Verlaufszeit  der  Cunrenreihe  Figur  16  ergeben  sich  im 

Darcbscbnitt  folgende  Wertbe: 

ab  a»  0,280  de  —  0,156  (s.  S.  297) 

&c  =  0,167  e/*™  0,072 

cd  =0,145  a/=  0,822 

Von  den  Pulscurven  des  Patienten  fäbre  ich  absichtlich  hier 
keine  vor,  weil  sie  nichts  Nennenswerthes  darboten.  Auch  von  den 
folgenden  Fällen,  die  nur  eine  kleine  Auswahl  der  von  mir  unter- 
suchten Kranken  darstellen,  werde  ich  nur  einige  Pulscurven,  die 
mir  gerade  nothwendig  scheinen,  später  vorführen. 

Aorteninsttfficienz. 

1.  Valentin  K.,  36  Jahre  alt.  Herzstoss^)  im  5.  Intercostalraum 
in  der  Linea  mammillaris  am  deutlichsten  sieht-  und  fflhlbar,  jedoch  in 
grösserer  Ansdehnimg  wie  gewöhnlich  zu  fühlen,  etwas  hebend.  Die  Herz- 
dämpfong  b^nnt  oben  an  der  4.  Rippe;  rechts  am  linken  Sternalrande 
links  2  Qoerfinger  nacb  aussen  von  der  Mammillarlinie ;  unten  geht  sie  bis 
zum  6.  Intercostalraum.  Herztöne  an  der  Spitze  und  am  Ostinm  pulmonal; 
rein.  Auf  dem  Stemum  hört  man  ein  nach  oben  in  der  Gegend  des  Aor- 
tenostinm  am  deutlichsten  erscheinendes  diastolisches,  blasendes,  nicht  sehr 
lautes  Geräusch  neben  dem  zweiten  Ton.  Puls  voll.  Radialarterie  ziem* 
lieb  stark  gespannt.  —  Klinisehe  Diagnose:  Awteninsufficienz. 

Zwei  Gurvenreiben  dieses  Patienten  haben  wir  schon  kennen 
gelernt  (Figg.  9  u.  10).  —  Figur  19,  bei  angehaltener  Respiration  ver- 
zeichnet, zeigt  massig  ausgebildete  diastolische  Sacken,  dagegen  eine 
recht  ausgesprochene  Vorhofszacke,  die  uns  noch  viel  deutlicher  in 


1)  Die  angeführten  Status  und  Diagnosen  sind  aus  den  Journalen  der  medi* 
cuischra  Klinik  entnornnsn. 


313  ZVI.  lUuBu 

der  Figur  20  entgegeDtritt  Die  KdehBtonuekeB  Btehen  in  gLiieher 
Höbe.  Die  Pulmonalzacke  üt  Mhr  groM ,  die  Aortenuoke  im  Vtr ' 
btitniiB  zu  ihr  klein,  aber  immerhin  noch  gerade  to  aeharf  top- 
bildet  wie  beim  normalen  Herzen. 

Die  leichte  Stuinng  im  Pulmonaliystem  dtlrfte  aieb  aoi  dm 
Regurgitiren  des  Blutes  in  den  linken  Ventrikel  erklSreD.  Wie  irir 
um  abereeogen  kfiDoen ,  hat  his 
die  graphische  Untanuefaung  d» 
abnorme  DmekverhiltniM  fiflher 
zur  Anachaunng  gebraeht,  ab  <l 
diophfaikaliwhe  Untersuehnng  to- 
mochte.  Wir  können  auf  Gnad 
dieser  Curve  mit  Bestimmtheit  ■■ 
gen,  dasB  ein  vermehrter  Dmek  ii 
der  Palmonalarterie  Torhandn  ii^ 
obwohl  er  sich  noch  nicht  dnnh 
eine  wahrnehmbare  VeistftTknng 
des  zweiten  PulmoDaltons  gelos- 
sert  hat. 

Hehr  als  die  Palmonalucke 

Fir.,MM.-«.ic-.™.d.u«.-A.i,.,.    ""«»  •»"  "l«  Aortenzacke  inter- 

esairen,  weil  es  sich  hier  um  einaa 

Fall  von  Aorteninsufficienz  handelt,  welcher  von  jeher  die  Dnachtt 

eigenthamticber  Verfinderungen  an  der  Radialiacurve,  wie  z.  B.  n>o 


Flfur  M  (C«rf.  -  DMfL  — ). 

Hare;   und   in  neuester  Zeit  auch  von  Landois  bezüglich  d^v 
Carotis-,  Subclavia-  und  Berzstosscurve  zugeschrieben  worden  iit 

Landois  nimmt  an,  dass  eine  BücketoBselevation  nur  dann  en'' 
stehen,  wenigstens  sich  deatlieh  aasbilden  könne,,  wenn  intacte  Sen^v 
lunarhlappen  vorhanden  seien  (s.  Herzschlag.  S.  85  ff.).  Weil  »  ^ 
aber  in  Wirklichkeit  in  dem  von  ihm  angeführten  Falle  (Herzschlag' 
S.  79)  recht  deutlich  ausgebildet  ist,  vertheidigt  er  bei  der  BeBobre«' 
bung  der  Curve  D'  seine  Ansicht  in  folgender  Weise:  «Es  darf  lu^^ 
niebt  aberraachen,  von  dem  Schluss  der  Semilunarklappen  in  i'eia' 
Zachen  zu  finden;  denn  wenngleich  die  Klappen  insufficient  sinil'' 
Bo  ist  doch  keineswegs  ihr  Spiel  und  damit  ihr  Widerstand  in  dar 
Diastole  aufgehoben.     Uebrigens  erkennt  man  in  Ds  und  Di,  dtf^ 


tlri>«r  Hemtott-  und  Pulictirta].  313 

die  Eleration  tob  deo  Pnlmonalklappen  e  g:rö8ser  ist  als  die  tob 
deo  Aortenklappen  d,  wag  mit  der  vorhandeiien  VeratArkun^  des 
iträteD  PalmonaltonB  harmonirt.  Die  Cnrve  D*  ist  einen  Intercostal- 
nom  höher,  als  der  SpitzenstosB  fahlbar  ist,  eDtnommen. " 

Die  beiden  Corren  Ds  ood  D4  stammen  von  noch  hfther  nach 
oben  nnd  innen  gelegenen  Stellen, 

Ich  kann  mich  nicht  recht  daron  flbeneugen,  dass  die  Eleva- 
don  e  in  Di  (1.  c.)  grOsser  ist  als  in  d,  weil  sie  es  in  Ds  und  Dt  in 
Wirklichkeit  ist,  nnd  gar  in  Di  dürfte  wohl  d  ganz  bedeutend  grösser 
«ein  als  e.    Ich  möchte  vielmehr  mit  Ott  und  Haas  behaupten,  dass 
die  Insafficienz  der  Klappen  den  Aortenrflckatoas  \a  keiner  Weise 
uhw&cht,  dass  dieser,  im  Gegeatheil,  wie  es  die  genannten  Autoren 
durch  einen  pr&gnanten,  zur  Obduction  gekommenen  Fall  nachweisen 
koDnten,  bei  TollsUndig  insufScienten  Klappen  sogar  verstärkt  sein 
kann.  Ein  RUckstnaB  des  Blu- 
tes, gegen  das  Herz  zu,  findet 
noter  allen  Umatfinden  statt, 
mögen    Klappen    vorhanden 
Bein  oder  nieht,  und  in  Folge 
dessen    auch  ein  Rtlckstoss, 
der  bei  fehlenden,  resp.  ganz 
tDgaf&eienten    Klappen    ganz 
direct    auf    die    Innenfläche 
der Ventrikelwand  einwirken, 
also  unmittelbar  seine  bewe- 
gende  Kraft  zur  Erzeugung 
der  Rückstoflszacke    äussern 
kann. 

Kura  gesagt,  wDrden  also 
bei  Aorteniosuffieienz  die  Aor* 
lenrQckstoBszacken  jedenfalls 
nicht  verkleinert  und  die  Pul- 
monalzacken  vergrössert  sein 
können. 

Die  Aasmessung  der  Cur- 
ven  dieses  Patienten  ergab 
im     Durchschnitt      folgende 

Werth«-  »'Ignrli  (4.I.-R.  ICm.  um.  iL  L.  w.   -  A.  R.  "»). 

ab  —  0,804  rfe  — 0,077 

be  —  0,141  £/*— 0,305 

crf— 0,072  o/'— 1,402 


314  XTI.  HAusn 

2.    William  E.,   19  Jahre  «It.     SpitHSito«  im  5.  IntercoitilniB 

etwxs  nach   aussen  vun  der  Mammillarlitiie   am  deatlichateD,   als  bebend 

sieht-  und  ftllilbar.    Die  Herndftmpfung  beginnt  oben  im  3.  iQtercostalrtBm, 

gebt  nach  reelits  bis  lum  linken  Stemalrand,  nach  lioka  et«a  l'i  Qner- 

finger  Dach  ansäen  tod  der 

Linea  mammillaria,  nntanbii 

aar  6.  lUppe.    Die  TOdc  u 

der    Henapitie    und  mt. 

Auf  dem  Sternnm  bOrt  bu 

ein  ziemlich  lautet  diutolh 

iches  Blaaen,  das  am  dent> 

lichtten   ist    iwiacbea  da 

beiden  2.  Intercoatalrtnmai 

Pulmonal-  und  Tricmiüdil' 

tOne  rein.    Erster  Aortatn 

doppelt.   An  der  Craritii  iil 

double   Souffle    va.   bUna 

FK«  n  (1. 1.-1.  -  L. ».  -  A.  E.  -  7J).  Der    CarotidenpnlB    eriMgl 

merlilicb     spiter     WK   KT 

Henchoe.    Pals  regelmMaiR,  voll.  —  Klinische  Diagnose:  Imufficiaa  itr 

Aortenklappen  {Rheumatitmus  artieul,  .subacutus  levis). 

Die  HeTzatoBBCurren  da 
Patienten  (Figur  21—23)  be- 
dürfen   kaum    einer  Erkil- 
Hing;    sie    dflrften    nabem 
Ebenbilder  der  Landoii'- 
Bcben    Curren    sein  (Hen-    ' 
n„»„.,.*„.^.*»..„s,„...-*.,.,.       ««ll««-  S.  79)      Sie  .«8.. 
uns  eine  sehr  deuthclie  Aor- 
tenxacke,  die  nur  bei  der  im  3.  linken  IntercoBtalraum  entnommeaen 
Figar  23  von  der  Pulmonalrflckstosezacke  bedeutend  flberholl  wird- 
DaBB  letztere  an  dieaer  Stelle  deutlicber  benrortreteu  muss,  babe  ieb 
schon  oben  (S.  309)  beaprocben. 

Die  Wertbe  der  Ablaufateiten  betrugen  durcbBchnittlieh: 
ab  "i  0,380  de  =  0,102 

frr  — 0,108  ef=  0,193 

cd— 0,105  rt/=  0,899 

Bei  Aorteninaufficienz  dürften  wir  Folgendea  an  der  HenstoB*' 
curve  finden: 

1.  Eine  bedeutende  Currenböbe. 

2.  Die  eigentliche  VorLofazacke  tritt  deutlich  hervor. 

3.  Die  AortenrUckstoBSzacke    ist    mindestens    ebeuBo  deatli^'^ 

ausgeprägt  wie  normal.    Die  Pulmonalzacke  kann  grü»^'' 
werden. 


Deber  Henitou-  und  PolBCarren.  315 

Mitralinsuffioienz. 
dricb  H.,  25  Jahre  alt.    Die  HerzdAmpfnng  beginnt  ÜDka  im 
kam,   im  4.  wird   sie  absolut   und   reicht  bis  zur  6.  Rippe 
h  rechts  reicht  die  Dtaipfang  bis  auf  die  Mitte  dea  Siemnm, 
9r  Hammilla  noch  etwas  Ober  den  rechten  Stemalrand  hlnaiU' 
iht  sie  bis  zur  Hammillarlinie,  — 
stArksten  im  4.  Intercostalraam  In 
Unie,   etwas  weniger  stark  im  6. 
a.    Er  ist  denilicb  sichtbar  im  3., 
ind  3.  und  4.  rechten  Intercostal- 
ht  neben  dem  Sternnm.  —  An  der 

lautes  systolisches  Ger&usch  und      ^ifv  h  (4.1.-R.  l.  mnit.  - 
Tod.    Der  sweite  Pulmonaiton  ist  '  ~  ' 

irkt.  —  Puls  ziemiidi  klein.  —  Kliniache  Diagnose:   Insu/'- 
'itralis.    {St/philü.) 

ofazacke  bei  b  (Pigg.  24 — 26)  ut  tebr  deatlieb  anigepiUgt, 
ie  Bweite  ROckstosseleTation  bd  e,  die  sieb  in  dep  beiden 
1  sogar  noch  Ober 
er  Aortenrückstoss- 
ebt. 
iwacbsen  der  Zacke 

schon  bei  der  Aor- 
'.  begegnet.   Dass  e 

aDwacbsen  mnss, 

von  der  Herzspitse  nia  k  (i.t.-i.  L.m.  -  a.b.). 

cken,  ist  schon  be- 
QD  aber  diese  Zacke 
ipitze  immer  noch 
dhe  bat  wie  in  Fi- 
las  es  sieb  entscbie- 
)  abnorme  Druck- 
n  Palmonalsystem 
ben  wir  den  Befand 
ichen  Untersuchung 

bt:  Das  systolische  Fi,«  »  n. i..b.  -  l.».  -  i.e.). 

der  Herzspitze,  den 

zweiten  Pulmonalton,    die  nach  rechts  bin  verbreitete 
IS  Herzens,  so  können  wir  mit  aller  Sicherheit  die  Dia- 
tralinsufficienz  stellen.    Die  Herzstosscurve  bestätigt  eben 
iscben  Befund, 
messung  der  Gurren  ergab: 

—  0,111    -  ci/-.0,120  ef^i,\m 

—  0,059  rftf  =  0,05S  <^-.  0,461 


316  XTI.  Maubeb 

2.    A  n  D  n  W.,  6  Jihre  alt.    Herzchoc  im  5.  Intercoetalrinm,  in  dtr 

linken  Linea  mAmmiliaria  deutlich  fühlbar;  als  diffase  EracbOtternng  nci 

im  4.,  sowie  weiter  nach  recbts  bis  nihe  an  dae  Sternnm  nnd  llngnbKit 

aber   die  linke  Mammilla  nach  anu«  ii 

fühlen.    Mit  der  aufgelegten  Hand  apfltt  du 

tiber  der  Heraspitte  ein  aTaloliiehM  Mm- 

ren.  —  Die  Hertdtmpfang  beginnt  obn  u 

der  2.  Rippe  nnd  geht  bis  ur  6.  abvlrti. 

Nach  links  reicht  sie  einen  Qoerfliwer  Ibn 

die  Mammillarlinie  hinaua.  —  Bdder  Au- 

cnltation   hSrt  man   Ober  dem  ünka  T» 

"wÄ"  «■V-'%i"°-m"       '"''*'  einUnt«,  langgnogflBM  ■TttoSd» 

GerftiiBcli  von  pfeifendem  Chanklar.   Utbtr 


dem  nnleren  Stemalabscbnitt  bOrt  man  ebenfalla  ein  ayatuUMbN  Gerlucb 

von  dumpfem,  mehr  klapperndem  Charakter,  daa  nach  recht«  Un  tlber  dtr 

Leber  aebr  weit  fortgeleitet  wird.    Zweiter  Pnimonalton  uekr  dentiBch  Ter- 

stirkt.  —  Pnis  regelmlsaig,   voll,  weich.  —  KlioiachB  Diaignow;  hn/f- 

valv.  milral.  ex  endocvi.  rkit- 

malica  {Pneumonia  cAmucaj. 

Die  Gurren  [Figg.  !7  oii 

28)  zeigen  in  aosgesproehenei 

Wdae  die  vergröuerte  Pnlm>i- 

nalzacke. 

Die  Werthe  der  AUlib- 
Zeiten  waren: 

ab  — 0,l»i 
he  —  u,08« 
cä  —  0,050 
de  —  o,09K 
e/—  0,15B 

Flfir  1«  (ä.l.-H.  -  Um.  -  M.B.  -  III.  -  31|,  '^/"^  0,509 

3.  Subaatian  B.,  21  Jahre  alt.  Die  Herzdimpfang  nuh  tacUi, 
oben  nnd  onten  normal,  nach  linka  überragt  sie  die  Hammillarlinfe  in  ftit 
zwei  Querfinger.  An  der  Heraapitze  hört  man  ein  bis  zum  zweitti  Tm 
sich  hinziehendes,  lantea,  blasendes  Gerlnach  an  Stelle  des  ersten  TiK 
Die  TOne  der  übrigen  Herzostten  aind  rein.  Der  aweite  PnImonaltM  irt 
nicht  wesentlich  verstärkt.  —  DVr  Hericboc  ist  innen  und  etwas  oMt 
aussen  von  der  MammillHrlinie  sehr  stark  fUhl-  und  sichtbar;  auch  AUl 
man  an  der  Herzepilze  ein  deutliches  syatoliscbes  Fr^missement.  —  Eliaitebe 
Diagnose:  Iruuff.  valmtl.  mitralis  (Rheumatismus  arlicul.  acutus). 

Die  HerzBtoascurvea,  und  namentlich  die  cardiographische,  leigep 
uns  wieder  ein  prägnantes  Bild  der  Mitralinsufficienz ,  die,  bei  Ab- 
nahme der  Curve  von  dem  äpilzenstoBse,  vergrößerte  Pulmonalrdcfc- 
BtosBzacke.  Es  widerspticbt  dies  Bild  allerdings  etwas  dem  Wortliui 
des  Status  praesens,  wo  der  zweite  Pulmonalton  als  nicht  weseDtlieli 


Ueb«r  HenitoM-  und  PulKurveD.  317 

rentürkt  bezeichoet  wird ;  doch  dDrfte  nni  hier  wieder  der  Umetsnd 
entge^eatreten,  dass  nni  das  objectiv  arbeitende  Instrument  Über  die 
jeweiligen  DruckrerbfiltniaBe  im  Herten  bAnfig  niTerlftwiger  nnter- 
riefatet  ab  nnser  Gebflr. 


INgw  3V  (UhcU    Cu-d.)'  Inipir. 

Das  bedeutende  Anwachsen  der  RUckstoBseleration  im  Ingpirium 
Ut  schon  oben  besprochen  (S.  301).  Es  erübrigt  uns  noch,  das  Ver- 
balten der  Vorhofsth&tigkeit  etwas  eingehender  zu  besprechen. 

Statt ,  inrie  wir  es  erwarten  sollten ,  eine  grosse  Zacke  bei  b  zu 
finden,  fällt  uns  diese  durch  ihre  Kleiuheit,  die  Zacke  bei  a  durch 
ihre  Grösse  auf-  ^b  würde  dies  mit  der  erwarteten  stärkeren  Thll- 
äekeit  des  linken  Vorhofs  im  Widerspruche  stehen.    Doch  nur  schein- 


31 B  XTL 

bar;  denn  berDckgiehtigen  wir  du,  was  ich  (S.  292j  Sber  die  Vor- 
bofstbitigkeit  gesagt  babe,  so  werden  wir  es  begreiflich  finden,  iim 
ein  stark  dilatirter  Vorhof,  ehe  er  sich  ed  seiner  eigentlichen  Con- 
traction  anschickt,  eben  wegen  der  in  ihm  and  den  Venenwnnelo 
vorhandenen  grösseren  SpanaoDg,  sdnen  Inhalt  rasoh  und  in  bedea- 
tender  QoantitAt  in  den  in  der  Diastole  befindlieben  Ventrikel  entlNrt 
—  dass  also  die  Aotion  des  selbst  hypertrophischen  Vorb^ti  lur 
dnen  geringen  Effect  erzielen  kann  and  die  seiner  Gontraction  est- 
sprechende  Zacke  klein  ausfallen  wird. 

Vielleioht  berechtigt  uns  dieser  erleichterte  Einflusa  des  Vorhofi- 
blutes  in  den  Ventrikel,  eine  Mitralstenose,  welche  doch  so  blsli; 
die  Iniufticienz  begleitet,  auszuschliessea. 

B^  Mitralinsufficienz  würde  die  HenstoBScurve  zeigen: 

L.    Eine  stark  ausgebildete  Vorhofstbätigkeit  b  (bei  Complicstion 
mit  Stenose). 

2.    Eine  vergrösserte  PulmonalrQckstosszacke,  auch  bei  Abnahne 
der  Gurren  an  der  Herzspitze. 

Combiairte  Klappenleiden. 
1.  Adam  L-,  23  Jfthre  alt.  Herzchop  im  5.  und  6.  linken  btK- 
costalraum  bis  iwei  Qaerfinger  Über  die  Hammillarlinie  nach  aiuwn  hii 
«chtr  und  fühlbar,  stark  hebend.  Die  Heridämpftang  beginnt  oben  to  da 
3.  IKppe  —  rechts  am  rechten  Stemalrand,  links  swei  Queifinger  uä 
anasen  von  der  Hammillarlinie ;  unten  awischen  7.  und  8.  Rippe.    Die  Fom 

der   HendlmpRing  ist   die  eines  iducf    i 
von  oben  innen  nach   unten  anises  p- 
stelltea  Orali.  1 

Die  Anscnltatit»  ergibt  an  der  Hcn*    1 
B|ritae,  anstatt  des  ersten  Tmis,  ein  IsitH 
blasendes  Ger&ttscb,  den  iweiten  Ton  igf   \ 
pelt.     An  der  Valvula  tricnapidalis  bUrt 
man,  abgeeeben  von  dem  forlgepflaail'' 
Uitralgertusch,  reine  TQne.    Ueber  i» 
Aörtenostinm   hOrt    man    anstatt  bildet 
TOoe  dentlicbfi  Gerftuscbe,  von  dena  iM 
diastolische  nicht  sehr  stark,  aber  itotä 
vollkommen  unverkennbar  ist.    Der  imK 
Pulmoualton  ist  versl&rkl.  —  Puls  krtffif. 
FifBiai  («.i.-R.  -  L.m.    '  A.K.  =  B4).      celcr.     Der  CarotideDpuls  und  HerutoH 
erfolgen  nicht  gleichzeitig,  sondern  es  i>t 
ersterer  merklich  apitter  wahmetimbnr   als  lelstgenaniiter.     Double  teuffi 
in  der  Cruralis  dextra  wurde  melirere  Male  gehört.  —  Klinische  Dia^ose: 
Inmff.  et  slenoxis  valnuL  milralis.  —  Irtsuff.  vatmtl,  semilun.  oortat. 

Patient  bekum,  nachdem  er  einige  Tage  auf  der  Klinik  gelegeui 
plötzlich  sehr  starke  Palpitationen  und  einen  sehr  ausgesprochencQ 


Ueber  HcmtosB-  nod  FulscurveD.  319 

:  icrsgularis  (Figg.  32  u.  33).    Ehe  dieser  Zustand  eintrat,  hatte 

fi  Cnrre  Fig.  31  und  eine  andere  von  der  Stelle  dea  stärksten 

nstossea  1 6.  Intercostal- 

.nsaerfaalb  der  Mammil- 

b)  entnommeD,  welch' 

fl  deutlich  anageprigte 

toMsacken ,     nament- 

es  AortenrQckstoBseB. 
und  eine  ungewöhn- 

3Öhe  (11  Cm.)  besaSB. 

tl — 33  B&mmtlich  Tom 

ireostalranm,  aber  auf 

tnunillarlinie  entnom- 

lassen  namentlich  die 

nalzacke      vortreten ; 

schont  mir  die  Vor- 

eke   bei  b   deutlicher  fiimm  ie.i.-B.  -  l.«.  -  ».m.). 

i  bei  d. 

ie  Ausmessung  der  Curre  Fig.  31  ergab  folgende  Wertbe: 
ab  —  0,288  See.  de  =  0,118  See. 

*C  — 0.112     „  (>/■=  0,257     „ 

cd— 0,081     ,  «/■=- 0,853    „ 


flfoi  n  ICtid.  —  Dufl.  wl«  Flfor  tl). 

Irinnem  wir  nna  dessen,  dass  im  Statua  gesagt  ist :  ,  Der  iweile 
in  der  Henspitze  ist  doppelt",  so  finden  wir  hier  wieder  einen 
fOr  die  Landois'scbe  Erklärung  der  Rflckstoaszacken.  Das 
^1  Ewiscben  dem  Rflckstoss  der  Aorta  und  Pnlmonalis  ist 
18  See,  also  seitlich  gross  genug,  um  die  beiden  Rtickstdase  als 
inte  SchsUerscbeiDungen  zur  Wabmebmnng  zu  bringen  (S.  297). 

.  Adam  Z.,  20  Jahre  alt.  An  der  Hcrzspilie  starkes  diastoliscbes 
Ten,  im  2.  Iluken  Intercostalraum  ein  deutliches  Klappen  za  fohlen, 
irxdlmpfung  beginnt  oben:  auf  der  3.  Rippe  —  rechts:  etwas  nach 

vom  rechten  Slernalrsnd  —  unten:  an  der  7.  Rippe  —  links:  awei 
Bger  nach  aussen  vou  der  Mammillarlinie.     Die  Herzleerheit  beginnt 

am  Stenialrand  und  ist  nach  nnlen  und  links  ebenfalls  betrichtlicti 


320  XVI.  Hadsbb 

tlber  die  Norm  vergrOisert.     In  der  Nlhe  des   nnteren  Endu  ( 

beiDB   UDleracheidet   roan  mit   der  Kargelegten  Hand   neben  dem 

diastolischen  ein  schwächeres  aTstoliBcliea  Frimistemmt.    Die  Ai 

ergibt  ein  leises  BjstoliMl 

neben  dem  ersten  Ton  im 

tee    diastolisches    Blasen 

Henspitie.    Au  noterai 

Sternum  ein  schwaches  dii 

OerftUBch,  das  sich  von  d 

Hera  spitze    wahrnehmbai 

M.  B.  -  «  -  M.  -  c«d.).  jgjj,^  geringere  SUrke  i 

dampferen  Charakter  nDterscheidet.    Enteres  wird  weiter  nach  di 

Ende  des  Sternum  liin  at&rker   und  ist  am  deDÜichsten  in  der 

2.  IntercoatalrtaD 

I  ren.     Im   2.   linl 

j  costalranm  hQrt 

reine  TSne,  von 

diastoliBche  beden 

ker  ist.   —   Pols 

voll.    —     Doubl 

_,      ,,,.,»      ,  w  B      ,—^ .  wurde      namentli' 

mehnnals   gehOrt. 

niscbe   Diagnose:    Stenosis   ost.   renos.   sinislri.    Insuff.   vahml 

et  aortne. 

Die  von  verschiedenen  Stellen  gewonnenen  Curven  % 
Wesentlichen  den  verstärkten  Pulmonal  rUcketofl».  Ich  habe 
selben  Stelle,  von  der  die  oardiograpbiBche  Carre  Fig.  37  { 


Flgar  30  (Deigl.  «Ic  Flf or  U).  Flfur  31  (B.1.-R.  ICm.  hu.  d.L.Bi.  — 

ist  (vom  6.  Intercostalraum  2  Cm.  ausserhalb  der  Hamm 
auch  eine  sphygmographiBche  Herzstosacurve  abgenommen, 
ebenfallB  wegen  ihrer  bedeutenden  Grösee  hier  nicht  rerOfl 


üeber  Herutoa«-  und  Pulsciuren.  32  t 

mochte;  sie  zeigt  im  Wesentlichen  dieselben  Veränderungen  wie  die 
rerwandfe  Curve  des  vorigen  Patienten.  Es  dürften  mir  vielleicht 
dieie  beiden  Corven  die  Bereebtigung  geben«  in  ihrer  eminenten  Höhe 
das  Vorhandensein  der  Aorteninsuffieienz  bestätigt  zu  sehen.  So 
eolossale  Cnrven  kann  eben  nur  ein  stark  hypertrophirter  Ventrikel 
besehreiben. 

Demzufolge  dürfte  in  diesen  beiden  Fällen  die  Diagnose  auf  diie 
oben  genannten  eombinirten  Rlappenaffectionen  in 

1.  der  stark  vergrösserten  Pulmonalzacke  und 

2.  der  aussergewöhnlichen  Höhe  des  Curvenbildes 
ihre  Bestätigung  gefunden  haben. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  noch  einmal  in  Kürze  die  Leistungen 
der  Gardiographie ,  erinnern  wir  uns,  dass  sie  uns  von  der  Arbeit 
des  normalen  Herzens  ein  Bild  von  ganz  bestimmtem  Gepräge  ent- 
wirft, das  je  nach  dem  einen  oder  anderen  pathologischen  Zustand 
wieder  einen  ganz  besonderen  Charakter  annimmt,  so  können  wir 
wohl  ganz  unparteiisch  ein  durchaus  günstiges  Urtheil  über  den 
klinischen  Werth  der  Gardiographie  fällen.  Ich  will  nicht  sagen, 
dass  sie  uns  für  jede  Herzkrankheit  gerade  ein  ganz  specifisches  Bild, 
Ton  stets  gleichem  Aussehen  liefere,  hierzu  sind  die  individuellen 
Verschiedenheiten  an  Intensität  der  Herzaction  und  Beschaffenheit 
der  Thoraxwände  zu  bedeutend.  Sie  lässt  uns  aber,  wenn  wir  uns 
das  Verhältniss  der  einzelnen  Curventheile,  wie  es  uns  bei  dem  nor- 
malen Herzen  begegnet,  wieder  vergegenwärtigen,  mit  Sicherheit  die 
Terschiedenen  Druckveränderungen,  die  sich  im  kranken  Herzen  aus- 
gebildet haben,  erkennen  —  und  das  genügt  vollständig,  um  in  der 
Carve  eventuell  eine  Bestätigung  unserer  auf  dem  Wege  der  gewöhn- 
lichen physikalischen  Untersuchung  gestellten  Diagnose  zu  finden. 

Sollte  die  Gardiographie  auch  nur  den  Werth  einer  objectiven 
Controle  in  sich  bergen  und  nicht  selbständig  zur  Diagnosenstellung 
führen  können,  so  dürfte  es  sich  doch  empfehlen,  sie  bei  allen  Fällen 
von  Herzkrankheiten  anzuwenden ;  denn  sie  liefert  uns  ein  Bild  des 
Leidens  I  das  uns  den  gegenwärtigen  Zustand  des  Patienten  nach 
langer  Zeit  wieder  viel  lebhafter  in  das  Gedächtniss  zurückruft,  als 
es  mit  Worten  die  genaueste  Krankengeschichte  vermag.  Schon  das 
dürfte  ein  Vorzug  der  Gardiographie  sein,  der  die  übrigens  gar  nicht 
80  bedeutende  Umständlichkeit  des  Verfahrens  reichlich  aufwiegen 
dürfte  und  ihr  einen  wohlverdienten  Platz  unter  den  Untersuchungs- 
niQthoden  der  Herzkrankheiten  einräumen  sollte. 


DcntBchM  Archiv  f.  k)in.  Medldn.    XXIV.  Bd.  21 


922  XVI.  Maurer 

In  neuester  Zeit  ist  Roaenstein')  gegen  die  Landoii'iebe 
Erklärung  des  Cardißgramms  aufgetreten,  indem  er  aaf  Onind  mbs- 
Reihe  von  UnterBucbuDgen,  die  er  an  Thieren  angeatellt,  tine  mekl 
synchrone  Contraction  der  einzelnen  Theile  de<  Ventrikels  naefag» 
wiesen  hat,  mit  welcher  er  in  scharfsinniger  Weise  eine  Theorie  dn 
Spitzenatosses  liefert,  und  deren  Ausdruck  er  im  Cardiogramm  wieder- 
finden lu  mSssen  glaubt 

Ohne  die  Richtigkeit  seiner  Beobachtung  im  Mindesten  anim- 
feln  zu  wollen,  glaube  ich  doch  eine  Deutung  seiner  CaFdiogrunme 
geben  zu  kennen ,  die  ihre  völlige  Uebereinstimmnng  mit  dem  za 
Anfang  entworfenen  Schema  der  HeTZstosscurve  dartbnt    Ich  möchte 
hieraus  die  Annahme  folgern,  dass  diese  ungleichxeitige  Contractioii 
allerdings  vorhanden  ist,  die  einzelnen  Bewegungsmomente  aber  der- 
art in  einander  Hbergehen,    dass  sie  an  der  der  Ventrikelaystol« 
entsprechenden  Linie  keine  Absätze  herrorhringen.     Roseniteiii 
mflsste,  Wenn  dies  Letztere  der  Fall  wäre,  an  seinen  Fähnchen  eine 
ruckweise,  aber  nicht  eine  gleichmSssige  elliptische  Bewegung  b6 
obachtet  haben.    Einen  weiteren  Grund  gegen  seine  Deutung  finde 
ich  darin,  dass  diese  zwei  oder  mehrere,  seiner  Heinong  nach  die 
Ventrikeleystole  znsammensetzenden  Zacken  zum  Theil  aaeh  am  ab- 
steigenden Schenkel  auftreten.    Die  Ventrikelaystole  ist  wq  Vorgang, 
der  unter  allen  Umständen  seinen  Ausdruck  in  einer  aufsteigenden 
und  nicht  absteigenden  Linie  finden  muss,  in  welel 
seine  Dauer  fallenden  Bewegungsrorgfinge  ausgepr 
anderen  Worten:  die  Elevationen,  die  jenseits  des 
der  Systole  fallen,  gehören  der  Diastole  an;  deo 
minatiODBpunkte  hat  auch  die  Systole  ihr  Ende  en 

Zunächst  möchte  ich  seiner  Ourve  Figar   15 
gegenllberstellen.    Ihre  Aehnlichkeit  dürfte  gevriss  prägnant  Mdn.' 


Da  Figur  38  von  demBclben  ludividnum  stammt,  wie  Figur  20, 
so  glaube  ich  ancb  dieselbe  Bezeichnung  der  einzelnen  Theile  bei 
ihr  anbringen  zu  dtlrfeu.  Den  Uebergang  aus  der,  Rosenstein'i 
Curve  mehr  ähnlichen  Figur  in  die  Figur  2U  erkläre  ich  mir  so,  da» 
icb  aus  Ungeschicklichkeit  (es  ist  die  erste  Curve  gewesen,  die  ich 

I)  Dieses  Archiv.  Bd  XXIII.  Heft  1  u.  2.  S.  75. 


Ueber  Herutou-  and  Fulicnnen.  323 

Vax  dem  Cwdiographen  aufgenommeQ  habe)  die  Pelotte  etwas  za 
locker  aufgebunden  hatte,  und  diese  bei  einer  ^nz  oberQächlioben 
Inspiration  des  Patienten  in  seinem  Qbrigens  sehr  breiten  Intercostal- 
Tuni  um  ein  Weniges  herabgeglitten  ist,  wodurch  die  Vorbofsaacke 
gegenttber  der  Ventrikelele?ation  mehr  in  den  Hintergrund  getreten 
iit  Ich  glaube  als  Ursache  dieser  leichten  Verftnderung  der  Gurre 
gerade  une  OrtSTerftnderung  der  Pelotte  aus  folgenden  Bildern  an- 
■ihmeu  EU  dürfen. 

Figar  39  entspricht  ungefilhr  der  Gurre  6  tod  Rosenatein, 
DU  lind  an  letaterer  die  Zacken,  welche  ich  als  diastolische  nnd 


FIfBt  II,  Flr>r  41. 

■b  Vorhofszacke  ansehe,  etwas  särker  ausgebildet,  die  RüekstoBS- 
.MAsa  dagegen  schwacher.  Sfeine  Figur  39  stammt  aus  dem  vierten 
J^veostalranme  eines  mit  Aorteninsufficienz  und  Stenose  behafteten 
"ntieitten,  ihre  Erklärung  dürfte  die  cardiographische  Curve  Figur  40 
Terrollstftndigen.  Die  aus  dem  fünften  Intercostalraum  desaelben 
Patienten  stammenden  Figuren  41  und  42  (s.  Rosenatein's  Curve 
2  und  20)  zeigen  uns  auf  das  Deutlichste  das  oben  erwähnte  Zurück- 
treten der  diastolischen  und  der  Vorhofszacke  gegendber  der  systo- 
lischen Erhebung. 

Seine  Carven  8  und  9  kann  ich  mir  ebenfalls  ohne  Schwierigkeit 
erkl&ren,  wenn  ich,  wie  ich  glaube  mit  Recht,  annehme,  dass  die 
Pelotte  vor  und  nach  der  am  Herzen  Torgenommenen  Operation  nicht 

21* 


824  XVI.  Maurer 

genau  aaf  denselben  Platz  applioirt  worden  ist  Denn  das  Hen  der 
SU  den  Experimenten  benutzten  Tbiere  ist  im  Verbiltniss  zur  Breite 
der  Pelotte  so  klein,  dass  eine  yer&nderte  Lage  derselben  dem  Auge 
vielleicht  kaum  auffällt,  im  Gardiogramm  dagegen,  je  näher  oder 
^veiter  jene  von  der  Herzspitze  gelegen  ist,  eine  ganz  bedeutende 
Veränderung  hervorbringen  kann.  Ich  sehe  in  Gurve  8  (Rosen- 
stein) bei  finden  Gipfel  der  Vorhofszaeke ,  bei  b  den  Gipfel  der 
systolischen  Erhebung  und  bei  c  fällt  es  mir  nicht  schwer,  wenn  ich 
die  einzelnen  Gurven  dieser  Reihe  durchmustere,  die  beiden  Rflek- 
stosselevationen  herauszulesen.  In  Gurve  9  sehe  ich  bei  a  den  Gipfel 
der  Systole,  bei  b  eine  RQckstosselevation.  Dass  hier  die  Vorhofs- 
zacke fehlt,  ist  klar,  denn  es  war  ja  hier  die  Pulmonalarterie  unter- 
bunden, und  dass  bei  b  eine  ganz  deutliche  RQckstosselevation  vor- 
handen ist,  glaube  ich  durch  einen  Einwand  gegen  die  absolute  Un- 
trtlglichkeit  der  Methode  erklären  zu  können,  dessen  Rosenstein 
selbst  an  einer  anderen  Stelle  gedenkt  (S.  89),  nämlich  dass  die 
Aorta  nicht  unmittelbar  über  den  Klappen  unterbunden  war. 

Vergleicht  man  bei  den  einzelnen  Gurven  seiner  Figur  12  die 
Entfernungen  der  sehr  deutlich  verzeichneten  Vorhofszacken  von  dem 
Fusspunkte  der  vorhergehenden  Gurve,  so  dürfte  sich  leicht  nach- 
weisen lassen,  dass  bei  den  als  unvollständig  bezeichneten  Herzcon- 
tractionen  diese  Vorhofszacke  bis  nahe  an  den  Gurvengipfel  hinauf- 
reicht. Die  Vorhofscontraction  wird  erst  ganz  in  der  Nähe  des  Gipfels 
von  einer  sehr  kleinen  Ventrikelcontraction  unterbrochen  —  daher 
der  stets  wiederkehrende  kleine  Absatz  am  aufsteigenden  Gurven- 
schenkel  — ,  diese  lässt  gleich  nach,  entleert  nicht  alles  Blut  in  die 
grossen  Gefässe  und  vermag  daher  kaum  einen  Rückstoss  zu  ver- 
anlassen. 

Man  dürfte  hieraus  vielleicht  den  Schluss  ziehen,  dass  es  sich 
bei  gewissen  Fällen  von  arbythmischer  Herzthätigkeit  um  eine  be- 
schränkte Tbätigkeit  des  Ventrikels  allein  handelt. 

Jenen  kleinen  Absatz  am  aufsteigenden  Gurvenschenkel  scheint 
Rosenstein  übersehen  zu  haben,  denn  er  benutzt  dieses  scheinbar 
ununterbrochene  Auf-  und  Wiederabsteigen  der  Gurven  bei  unvollstän- 
digen Herzcontractionen  als  Beweis  für  seine  Ansicht,  dass  unter  nor- 
malen Umständen  die  Ventrikelcontraction  absatzweise  vor  sich  gebt. 

Ferner  besitze  ich  ein  Gegenstück  zu  seiner  Gurve  3  in  den  Herz- 
stosscurven  eines  an  starkem  Atherom  und  Lipomatose  des  Herzens 
leidenden  Patienten,  der  in  der  Minute  32  Pulse  zeigte.  Die  Er- 
klärung der  weniger  deutlichen  spbygmographischen  Gurve  (Figur  43) 
dürfte  die  beigegebene  cardiographische  Gurve  liefern. 


Ueber  Ilerutou-  imd  PuUcurTea.  325 

M  der  in  der  Inspiration  yeneichaetea  HAlCte  der  Carve  1& 
ich  in  der  Grössenabnahme  der  Einzelcurven  das  bekannte  Sin- 
dea  BlutdruekeB,  im  Steigen  der  Reihe  die  Verzerrung,  welche 
sirdiographischen  Reihen  dnreh  das  Aufbinden  des  Initrumentes 


'  Fifnr  lt.    (Cud.) 


den  Thorax  erleidea;  wäre  der  Cardiograpb  statt  aufgebunden 
aufgedruckt  worden,  so  wDrde  sich  hier  die  Reihe  im  Gegentheil 
'  daa  Niveau  der  vorderen  Hälfte  gesenkt  haben.  Im  Uebrigen 
I  ich  keine  Unterscheidungsmerkmale  vom  normalen  Bilde  daran 


Indem  ich  mich  jetzt  zu  einer  kurzen  Bespreehung  der 

Pulacarven 
.e,  verweise  ich  sunächst  auf  die  äusserst  flbersichtliche  Dar- 

Dg  dea  gegenwärtigen  Standes  der  Sphygmographie,  die  Riegel, 
lem  wir  in  neuerer  Zeit  die  besten  Ourvenbilder  verdanken,  in 
mann's  klinischen  Vorträgen  niedergelegt  bat.    Ich  schlieeae  mich 

n  alten  Hauptpunkten  vollständig  an. 

^andnia  sagt,  indem  er  die  Carotis-')  und  Subdaviacurve ^l 
ndividiiums  mit  AorteninBufficienz  bringt,  dessen  Herzstosscurven 
eben  oben  gedacht  haben :  „  Da  wegen  der  Insufficienz  der  Aor- 
appen  der  Zugang  zu  diesem  Gefäss  stets  offen  ist,  so  wird  die 
-action  des  dilatirten  und  hypertrophischen  Vorbofes  das  Blut 

allein  in  die  Kammer  treiben,  sondern  dieses  auch  zum  Theil 
positive  Welle  im  Anfange  der  Aorta  erregen." 
Er  nimmt  also  an,  dass  die  erste  Zacke  seiner  Curve  (Puls. 
1),  die  er  mit  .1  bezeichnet,  durch  eine  positive,  aus  dem  Vorhof 
nende  Welle  erzeugt  sei,  desgleichen  auch  in  seiner  Subclavia- 
I  die  gleichnamige  Zacke. 


<  Pull.  3.  263.  2)  Herzschlig.  S.  b 


826  XVI.  MAtntER 

AU  ich  bei  meinem  Patienten  Valentin  K.  (s.  o.)  die  Carotiscurve 
(Figur  45)  aufnahm,  fiel  mir  sogleich  ihre  grosse  Aehnliohkeit  mit 
der  L  a  D  d  o  i  s'sehen  Carotit- 
curre  bei  Aorteninsufficienz 
'  auf,  zugleich  aber  auch,  da» 
diese  Vorhofszacke  ^  an  deo 
ersten  Curven  die  Ventrikel- 
zacke V  doch  gar  sehr  über- 
traf. Ich  experimentirte  wei- 
ter und  kam  zu  dem  Re- 
sultat, dass ,  bei  starkem 
Aufdrucken  des  Sphjgmo- 
graphen  und  bei  stark  an- 
gespannter Feder,  die  erste 
Zacke  kleiner  wurde,  bei 
"*"  *■  sobwaohem  Druck  dagegen 

wuchs,  und  wenn  ich  die  Feder  ganz  locker  spannte  und  gleichmtig 
das  Instrument  auf  eine  möglichst  unverdeckte  Stelle  des  Gefässea 
aufsetzte,  diejenige  Hßhe  erreichte,  welche  sie  in  der  Figur  47  hat. 


FiEV  lt. 

Vergleichen  wir  die  genannten  Curven  (Figg.  45 — 47}  und  Fig.  48 
mit  der  normalen  Carotiacurve  Fig.  49,  so  finden  wir  s&mmtliche 
Theile,  die  Landois  (Puls.  5.316)  als  Kennzeichen  der  Dormaleo 
Carotiacurve  bezeichnet,  auf  das  Schönste  daran  ausgeprägt:  die  kräf- 
tige erste  Erbebung  1 — 2,  die  Elappenschlusszacke  3,  endlich  die 
Rllckgtoaselevation  4  mit  den  nachfolgenden  Elasticititselevationen. 

Ich  kann  wohl  dreist  behaupten,  daaa  meine  Carven  Fig.  45. 
46,  48  der  LBndois'scben  Curve  (Puls.  S.  324)  analog  sind;  und, 
da  sie  mit  der  normalen  Carotiscnrre,  abgesehen  von  der  bedeuten- 
den Grösse,  roUstfindig  übereinstimmen,  der  Landois'scheo  Carve, 


Ueber  Heruloii-  und  PnlacurreD.  327 

weai^ni  mit  der  von  ihm  gegebenen  Erkl&rang  die  Specifltftt  ttir 

AorteDinsuffinienz     TollBtAndig 

abgeht 

Seins  Idee  ist  ja  ganz  plau- 
sibel, nur  dOrfte  sie  eich  ge- 
rade in  seinem  Falle,  den  er 
doch  für  absolut  prägnant  hält, 
m'cfat  Terwirkliehen. 

Landoia  bat  einfach  wäh- 
rend der  ganzen  Verteichnungs- 
dauer  seiner  Curvenreihe  mit 
dem  Sphygmographen  einen  zu 
starken  Druck  auf  das  Gef&ss 
ausgeübt,  bei  den  zwei  letzten 
Curven  hat  er  etwas  nachge- 
laggen. 

Utäne  Behauptung  durfte  rirun 

aus  der  Vergleicbung  der  ein- 
zelnen Curreo  erwiesen  sein,  doch  möchte  ich  zum  weiteren  Beweis 


Pl(iir  u. 

noch  einige  Curvenreihen  anfahren,  die  ich  absichtlich  mit  wechseln- 
dem Druck  ausgeführt  habe. 

Figg.  49  und  50  stammen  von  demselben  Individuum,  dessen 
Herzstosscurve  wir  in  Figur  7  finden.  Beide  sind  hei  angehaltener 
Respiration  gezeichnet  Bei  Figur  &0  Hess  ich  in  der  Mitte  der  Platte 
das  Uhrwerk  stehen,  schraubte  die  Feder  nieder  und  druckte  gleich- 
zeitig das  Instrument  fester  auf  das  Gef&BS.  Nun  Hess  ich  die  Platte 
wieder  rorbeilaufen  und  es  entstand  eine  niedrigere  Curvenreihe  mit 
aankhernd  flacbem  Gipfel,  dessen  linke  Ecke  t/  der  Spitze  a  in  der 


328  XTI.  Maurek 

«raten  HSIfle  der  Reibe,  dessen  rechte  Ecke  ^  der  Klappensehlon- 
contractioD  entsprach. 

Weit  schöner  ist  dieses  Verb&ltniss  in  Figur  51  (Carotisaure 
eines  jungen  Mädchens  mit 
Aorteninsufficienz). 

Es  beweist  uns  diese  Ver- 
ftndemng  der  CarrengipM, 
dass  bei  starkem  Druck,  weil 
«D  meohaniacbee  Hindemiw 
sich  der  Erweiterung  des  Ge- 
fasses  entgegensetzt,  die  pri- 
märe Expansion  der  Carotis 
geringer  ist,  ihren  H5bepnnkt 
fritber  erreicht  In  der  Zeit, 
die  verlauft  von  dem  Eintritt 
des  Höbepunktee  dieser  pri- 
mären, behinderten  Expansion  bis  zum  Sohlnss  der  Semilunarklappen, 
der  bei  z  (Figg-  4S  u.  49)  liegt,  ist  dauernd  Blut  in  das  Oeftss  ein- 


Biuku  Dnck. 


geflossen;  die  Elappenscblueselevation  kommt  folglich  jener  an  Habe 
gleich,  kann  sie  sogar  Ubereteigen.  Mithin  wird,  je  stärker  der  Dmek 
ist,  desto  tiefer  die  efste  Spitze  sitzen,  sogar  eine  anakrole  Zacke 


neber  HemtoBs-  und  PuUcurven.  329 

«1  kOnaen,  wie  sie  unB  in  Wirklichkeit  die  Figg.  62,  54,  bb 

leb  werde  gleich  ausführlicher  hierauf  zu  sprecbeo  kommen. 
Iren,  an  denen  sich  diese  Veränderung  durch  starkes  Auf- 
D  des  Sphygmographen  ao  schön  präsentirt,  wie  die  Lan- 
;he  und  auch   meine  Carotiscurve 
leninBufGcienz  (Figg.  4& — 48),  kön- 
en,  weil  nur  eine  sehr  starke  Herz- 
liese  Veränderung  so  prägnant  aus- 
kann, nur  bei  dem  genannten  Leiden 
len  werden,  das  wir  stets  yon  einer 
rophie  des  linken  Ventrikels   be- 
finden.   Doch  dflrfen  dabei  die  6e- 
)ch  nicht  sehr  rigide  geworden  sein, 
I  aus  den  Figuren  52  —  55  folgern 
.    Diese  stammen  von  Greisen  von 

84  Jahren,  Pfründnern  des  Darm- 

stfidtiscfaen  Hospitals,  welche  ich 
lehreren  anderen  in  Gegenwart  des 
;en  Assistenten  Herrn  Dr.  ßaettig  „p„  ^ 

cht  habe. 

darf  uns  nicht  wundem,  trotz  der  hrUsken  Heixaction  die 
ieratioQ  sich  auch  bei  schwachem  Druck  nur  wenig  oder  kaum 
e  KlappeDBchtusBelevation  erheben  zu  sehen  (Figg.  52  u.  53). 


r  verminderten  Etasticitftt,  geringeren  Dehnbarkeit  des  starren 
wird  bei  der  Systole  des  Ventrikels  nahezu  seine  vollständige 
ing  mit  Blut  stattfinden  können.  Es  wird  von  dem  Momente 
pansiooshöhe  bis  zum  Semilunarklappenschluss  nur  eine  ganz 


330  XVL  Haubkk  I 

geringe  Menge  Blutes  noch  eintreten  können,  alM  die  HObe  der    1 
Klapp enschluBBzacke  nicht  viel  höher,  aber  auch  kaum  nenneiuweTtb 
tiefer  liegen  können,  als  die  Spitze  der  ExpansionBeleration. 

Die  obere  Reihe  der  Figur  52  ist  bei  schwachem,  die  mittlere 
bei  stärkerem  und  die  unterste  bei  gaas  starkem  Druck  gewonnen- 
Die  Unregelm&ssigkeit  im  Höheostaud  der  anakroten  Zacke  io  der 
anteraten  Beihe  erklArt  sich  durch  die  Schwierigkeit,  einen  ganz 
glüchmässigen  Dmck  anszuUben. 

Die  Figuren  53  —  55  gehören  dem  S4jftbngen  Grase  an.  Die 
erste  ist  bei  schwachem 
Druck  gewonnen  (in  der 
rechten  Ecke  sehen  wir  « 
Über  b  hinauaragen)  die  Fi- 
gur 54  bei  mittlerem  ood 
endlich  Figur  55  b«  stax^ 
kern  Druck. 
^"""-  Der    Druck    mit   dom 

Sphygmographen ,  der  j  e 
nach  seiner  Stärke  die  eis'te 
Expansion  des  GeßUses  ä-o 
verscbiedenem  Maasse  t»e- 
einträchtigt,  hindert  nieb^ 
dass  Ton  dem  Eintrete! 
der  Expansionshöhe  bis  iim  v 
Schlüsse  der  Semilunarklm-P 
^^^  ^  pen  der  Gefftsaabschnitt  t*:»« 

der  AortenwuTzel  bis  lur  X-  f 
plicationsstelle  des  Sphygmographen  sieh  weiter  mitBlnt  anfOH-^ 
Es  tritt  deswegen  rom  Moment  des  Elappensoblusaes  ^ne  positi  ~^^' 
Welle  (hierflber  später)  in  die  Carotis  ein ,  welche  innerhalb  um  ^ 
grösseren  Blntmenge  angeregt  einen  stärkeren  Druck. aof  die  PeloC*' 
auBllben  wird.  Es  wächst  daher  proportional  dem  Sinken  der  ersl^' 
ExpassionBuieke  die  Höhe  der  Elappensehlusauoke;  allerdings  a  »■ 
relativ,  denn  die  Ausbildung  der  letsteren  wird  obenfilli  von  d-^' 
Stärke  des  Drucks  abhängig  sein. 

Wir  mflssen  hierbei  das  normale  und  das  rigide  itfaeromtt»«^ 
GefäsBsyetem  wohl  auseinanderhalten. 

Während  sich  die  normale  GefäsBwand  durch  den  Vollbeiif 
ihrer  Elasticität  bei  ihrer  Ausdehnung  durch  eine  Blutwelle  dem 
Pelottendruck  mit  einer  stärkeren  Kraft  zu  widersetzen  vermag,  wirii 
es  uns  leichter  gelingen,  das  rigide  atheromatöse  Gefäss,  trotz  der     . 


Ueb«r  Heraatou'  und  Pulicanen.  831 

doreh  die  hypertrophische  HenmoBcnlatar  mit  grösserer  Kraft  ein- 

fCMhleuderten  Blutwelle,  znsammeiiXQdrllekeii,  in  seiner  an  sich  sehr 

geringen   Expansionstendens  sehr  zu  sohw&chen.    Die  erste  Zaeke 

kann  demnach  tief  herabsinken,  aber  desto  höher  muss  im  Verhältt 

niss  zum  normalen  GefSss  die  KlappensohlusseleTatioa  stehen.    Denn 

wir  haben  es  hier  mit  der  AoftllluDg  eines  wenig  dehnbaren ,  wei- 

offenen  und  sein  Lumen  nur  wenig  Terkleinemden  GeMsBrohres  zu 

tban,  welches  nach  Eintritt  der  ersten  Expansionseleration  noch  völlig 

mit  Blut  angefflUt  werden  muss.    _ 

Einmal  mit  Blut  angefOllt,  wird   I 

et  wegen  seiner  vermindertes  I 

ElBstieität   dem   Pelottendruek  I 

einen   kräftigeren   Widerstand  I 

entgegensetzen,   wie  das  nor-  I 

maleGefiss;  denn  dieses  wird  "*""•■    »""'«•"•"«»■ 

die  Blatmeage,  die  an  der  Applicationsatelle  zur  Wirkung  gekomnien 

wfire,  -leichter  auf  andere  Gefbsabsebnitte  vertheilen  können.    Es 

wird  demnach  beim  rigiden  Gefftss,  bei  dem  «ne  solche  Blutrerthei- 

lang  nicht  so  leicht  von  ^ 

Statten  geht,   durch  die  1 

Klappenschlusswelle  eine  I 

atSrkere  Einwirkung  auf  I 

die  Applicationastelle  der  I 

Pelotte  ausgeübt  werden.  | 

Kurz  gesagt:  es  wird  "*"  "-    "'^"  •*"'*■ 

beim  normalen  OefUss  und  normalen  Herzen  die  erste  Elevation  nicht 
so  tief  herabgedrSokt  werden  kfinneo,  als  beim  rigiden;  aber  die 
RlappenschluBselevation  auch  nicht  so  hoch  stehen  können,  wie  bei 
diesem. 


Staikir  Dnck.  Pl(ir  M.  WtcbMlidar  Draek. 

Ebenso  wenig  pathognomonisch  fttr  Aorteninsaffidenz  wie  seine 
Carotiscurve  dürfte  auch  Landois'  SubctaTiaenrve  sein.    Indem  ich 


332  XVI.  Maurer 

auf  meine  bei  verschiedenem  Druck  verzeichneten  Curven  Figg.  56 
bis  58  von  der  Azillaris  des  Patienten  Valentin  K.  und  des  jungeo 
Mädchens  mit  Aorteninsuffieienz  hinweise,  möchte  ich  eben  nur  die 
Behauptung^  wiederholen,  dass  Landois  seine  Curven  bei  zu  star* 
kem  Druck  aufgenommen  hat.  Es  bandelt  sich  bei  meinen  Curven 
Fig.  57  u.  58|  ebenso  wie  bei  Landois'  Curve,  um  mich  seines  Aus- 
drucks zu  bedienen,  um  einen  „falschen  Anakrotismus^  im  wahren 
Sinn  des  Worts. 

Mit  seiner  eben  angefahrten  Carotiscurve  will  Landois  die 
Richtigkeit  seiner  Annahme  beweisen,  dass  die  zweite  Zacke,  die 
»Klappenschlusszacke*',  wie  er  sie  nennt,  durch  einen  wippenden, 
das  Blut  in  der  Richtung  nach  dem  Oefftss  hinwerfenden  Schluss 
der  Aortenklappen  entstehe,  indem  er  aus  seiner  Curve  dedueirt, 
dass  diese  Erhebung  bei  Aorteninsuffieienz  fehle.    (Puls  p.  325.) 

Wie  wir  uns  aber  ttberzeugen  konnten,  existirt  die  sogenannte 
KUppenschlusszacke  bei  Aorteninsuffieienz  und  sogar  in  ganz  beson- 
derer Grösse  an  der  Landois'schen  Curve;  es  muss  also  noth wen- 
diger Weise  ein  anderer  Beweis  dafdr  erbracht  werden,  dass  diese 
Zacke  dennoch  zum  Klappenschlusse  in  Beziehung  steht. 

Landois  gibt  an,  und  ich  konnte  mich  wiederholt  davon  Qber- 
zeugen,  dass  diese  Zacke  gleich  nach  dem  Eintritt  des  zweiten  Hera- 
tones verzeichnet  werde. 

Ich  habe  den  zeitlichen  Verlauf  der  Carotiscurve  Figur  48  be- 
rechnet und  finde  beim  Vergleich  mit  der  Herzstosscurve  (Figur  19) 
ftlr  die  Entfernung 

cd  eine  Verzeichnungszeit  von  0,072  Secunde, 
für  die  von  2— j?   „  «  n  «     0,076       „ 

d  und  X  entsprechen  dem  Eintritt  des  Klappenschlusses.  Die  kleine 
Differenz  von  0,004  Secunde  dürfte  wohl  kaum  in  Betracht  zu  ziehen 
sein,  sie  zeigt  uns  einfach  an,  dass  eine  kleine  Differenz  in  der  Puls- 
zahl während  der  Aufnahme  beider  Curven  bestanden  hat;  bei  Auf- 
nahme der  Carotiscurve  war  sie  geringer. 

Es  dtlrfte  hierdurch  der  Beweis  geliefert  sein,  dass  die  fragliche 
Zacke  mit  dem  Klappenschlusse  in  Zusammenhang  steht. 

Wäre  Landois'  Annahme  richtig,  dass  ein  Rflckstoss  nur  bei 
sufficienten  Klappen  stattfinden  kann,  so  mitsste  sie  eben  bei  'Aorten- 
insuffieienz fehlen.  Nun  haben  wir  aber  gesehen,  dass  diese  Vor- 
aussetzung nicht  richtig  ist,  dass  ein  Rttckstoss  des  Herzens  gegen 
die  Thoraxwand  auch  bei  fehlenden  Klappen  eintreten  kann.  Aeus* 
sert  sich  dieser  Rtlckstoss  nach  der  einen  Seite  hin,  indem  er  das 
Herz  zur  Beschreibung  einer  RQckstosselevation  an  der  Herzstoss- 


Ueber  Herzstoss-  und  Pulscurven.  332 

enire  veranlassty  8o  wird  er  sich  auch  nach  der  anderen-  Seite  hiü, 
nach  dem  Gefftas  znrttckpflanzen  mllBsen.  Die  brttake  Systole  des 
hypertrophischen  Ventrikels  wirft  das  Blat  mit  bedeutender  Kraft  in 
die  Aorta,  weiche  dasselbe,  vermöge  ihrer  Elasticitftt,  mit  ähnlicher 
Kraft  nach  beiden  Seiten  hin  auszutreiben  sucht.  Die  mit  beendigter 
Systole  des  Ventrikels  zurfickgeschleuderte  Portion  trifft  auf  die  Klap- 
pen, oder  —  stellen  wir  uns  eine  sehr  bedeutende  Insufficienz  mit 
geringgradiger  Stenose  yor  —  auf  die  Ventrikelwand,  die  in  diesem 
Momente  noch  nahe  der  Aortenmttndung  gegenQberli^,  von  der  es 
in  derselben  Weise  zurQckprallt,  wie  von  den  Klappen. 

Je  nach  dem  Grade  der  diastolischen  Erweiterung  der  Ventrikel- 
bohle  wird  bei  Insufficienz  ein  grösserer  oder  kleinerer  Theil  des 
Blutes  im  Ventrikel  zurfickbleiben;  aber  eine  Portion  wird  in  das 
Gefäss  zurflckgeschleudert ,  und  sie  ist  es,  die  jene  Klappenschluss- 
elevation  hervorbringt. 

Bei  völlig  fehlenden,  wenigstens  gar  nicht  functionirenden  Klap- 
pen dürfte  ihr  also  der  Name  „Klappenschlusszacke*'  unter  keinen 
Umständen  mehr  zukommen,  und  auch  bei  vorhandenen  Klappen 
möchte  ich  ihn  fflr  nicht  ganz  passend  halten.  Ich  kann  mir  nach 
dem  Bau  der  Klappen  nicht  gut  vorstellen,  wie  der  Klappenschluss 
als  solcher  eine,  wie  Landois  (Puls  S.  316)  meint,  aktive  schleu- 
dernde Kraft  ausüben  soll. 

Ich  glaube  vielmehr,  dass  sich  an  der  Entstehung  dieser  Zacke 
die  Klappen  nur  in  gewissem  Sinne,  nämlich  auf  Grund  ihrer  Elasti- 
eität  activ  betbeiligen;  während  bei  ihrer  Insufficienz  die  Ventrikel- 
wand nur  passiv  daran  betheiligt  sein  kann. 

Ich  gebe  Landois  vollständig  Recht,  dass  die  Zacke  bei  in- 
tacten  Klappen  grösser  ausfallen  wird,  als  wenn  sie  nur  theil  weise 
vorbanden  sind,  oder  ganz  fehlen;  denn  von  einer  elastischen  Mem- 
bran, wie  sie  die  geschlossenen  Klappen  darstellen,  wird  das  Blut 
mit  grösserer  Kraft  zurflckprallen.  Es  verstärkt  die  Elasticität  der 
Membran  diese  RQckbewegung  des  Blutes,  während  es  von  der  starren 
in  der  Diastole  begriffenen  Ventrikelwand,  die  gerade  in  einer  dem 
anströmenden  Blute  gleichgerichteten  Rückwärtsbewegung  begriffen 
ist,  in  geringerem  Grade  zurückgeschleudert  werden  wird.  Je  hoch- 
gradiger die  Insufficienz,  desto  undeutlicher  wird  sich  die  Zacke 
markiren. 

Daraus  würde  folgen,  dass  es  sich  in  unseren  beiden  Fällen,  in 
dem  von  Landois  und  in  meinem,  um  keine  besonders  hochgradigen 
Aorteninsnfficienzen  handeln  kann. 

Ich  behalte  den  von  Landois  eingeführten  Namen  „Klappen- 


334  XVI.  UiuBtR 

8t)hlu88elevation "  bei,  obwohl  ich  die  BeaennuDg  , erste  BflckiUm- 
zacke*  zum  Unterschiede  tos  der  groBsea,  «piter  auftretenden  Rttk- 
stoBszaoke  fUr  die  fragliche  Zacke  fOr  passender  halte. 

Nach  Landois  geht  die  Blutbewegung  in  den  Geäseen  folgend« 
maasaen  vor  sich ;  der  Ventrikel  contrahirt  sich  und  schickt  die  enti 
grosse  positive  Welle  in  die  Aorta.  Der  klappende  Schlnsa  dw  Soü- 
lunarklappen  erzeugt  eine  schwächere  positive  Welle,  die  der  entet 
immer  in  gleicher  Distanz  nachfolgt  Das  in  ContractioD  begriSeu 
elastische  GefSssrohr  treibt  seiaerseita  eine  Welle  ge^en  du  Hn 
zarOck,  welche,  von  den  geschlossenen  SemiluDarklappen  abprallnd, 
auf  ihrem  ROckwege  die  Rüekstosselevation  erzeugt,  die  am  so  tielir 
unter  der  Curvenspitze  liegt ,  je  entfernter  der  untersuchte  Gefl» 
abschoitt  vom  Herzen  entfernt  ist  Zwischen  dem  Corvengipfel  ud 
dem  Fnsapunkte  des  absteigenden  Schenkels  finden  sieh,  tma 
den  genannten  Elevatiooen,  noch  eine  oder  mehrere  ElastieitltKle 
vationen. 

Heine  Vorstellung  weicht  von  dieser  Darlegung  darin  ab,  in» 
ich  die  Elappenschlusselevation  fQr  gar  nichts  Anderes  halte,  all  da 
Ausdruck  einer  im  Anfangstheil  der  Aorta,  unmittelbar  vor  des 
Klappen  entstandenen  Welle,  die  ihren  Ursprung  aus  einer  Comlii- 
nation  zweier  RQckstöBse  herleitet,  deren  einer  bedingt  ist  durch  du 
intravasculAren  Druck,  deren  anderer  der  Elasticit&t  der  Aorteniru- 

düng  seine  Eotate- 
bung  verdankt.  Di^ 
ser  RBokitou  i<t 
stark  senng,  u» 
eine  klfliae  pwtiTB 
Welle  »  flneogto, 
die  sieh  als  klein« 
Elevationf  in  imnv 
*»"•■""•'■      c™"'-  c^lr.ll^      Ptdin«.         gleicbbleibendeB 

zeitlichen   lotemU 

von  derCorveDspitu 

entfernt  liegend  prt 

sentiren  wird,  mif 

das  untersuchte  G»- 

f288  noch   so  wl 

vom  Herzen  entfenit 

sein.    Je  weiter  ein  Gefässabschnitt  von  jenem  ersten  Querscbnilt  w 

der  Aortenwurzel  entfernt  liegt,  desto  spiter  wird  die  negative  WellSi 

die  seine  Contraction  erzeugt,  nach  dem  Herzen  zurfickeilen  und  desto 


Ueber  Hemtou-  und  Palactirfeii.  330 

BpUer  wird  die  ihm  entaprecfaende  RflckBtoaezMke  am  abateigeiiden 
CnrTenscheiiket  eraebeinen. 

Die  Fignr  59  dürfte  da«  Gesagte  erUuteni.  Denkt  man  sieb 
die  Gipfel  sfimmtlicber  durch  eine  Herzcontniotion  erzeugten  Curven 
—  an  der  Aortenwurzel,  der  CarotiB,  CraraliB,  Fediaea  —  durch  eine 
Linie  a  Terbonden ,  lo  wflrde  diese  die  Dilatationsamplitade  eines 
jeden  der  genannten  QentssabBCbnitte  durch  die  erste  positive  Welle 
bezeichnen.  In  gleicher  Entfemnng  von  ihr  Iftnft  durch  die  ganse 
Geftssbahn  hindurch  die  EUppttischlusseleTation  b,  und  in  wechseln' 
der  Entfernung  vom  Cnrrengipfel  die  RQckstosszacke  c,  entsprechend 
der  Entfernung  des  untersuchten  Geßlssabschnittes  von  den  Aorten- 
klappen, 

Landois  sieht  die  Elappenschlusszacke ,  als  solche,  an  der 
Carotis,  Subclavia,  Axillaris  und  Cruralis ;  an  der  Radialis  und  Fediaea 
sieht  er  au  ihrer  Stelle  eine  Zacke,  welche  er  als  Elasticitätselera- 
tion  deutet,  and  auch  an  der  Brachialis  eine,  deren  Erklärung  ihm 
schwierig  dOnkt,  die  er  aber  fOr  eine  Elasticitätselevation  ansprechen 
machte. 

Da  diese  Zacke  b,  wie  wir  uns  Oberzeugen  kdnnen  (Figur  60), 
b«  normalem  Herzen  und  GefSserohr  an  den  Pulscurren  der  sämmt- 
licben  oben  genannten  GefAsie  an  derselben  Stelle  deutlich  herror- 
trilt,  80  Sehe  ich  eigentlich  nicht  ein,  warum  man  sie  hei  dem  einen 


.     Oatoili.      BncUiJI 


QefäsB  als  Klappenschlusszacke ,  bei  dem  anderen  als  Elaaticitftts- 
elevatiou  auffasst,  und  nicht  durchweg  als  Klappenschlasazacke,  resp. 
erste  RQckstosszacke  bezeichnet,  namentlich  wo  die  Untersobeidnng, 
I.  B.  an  der  Brachialis,  so  viel  Schwierigkeit  macht.  Warum  soll 
die  Elevation  an  der  Brachialis  und  Radialis,  die  bezHglicb  ihrer 
Eintrittsieit  Tolletfindig  der  Klappenscblnsszacke  an  der  Axillaris 
entspricht,  gerade  eine  ElasticitAtselevation  sein,  und  ihr  Entstehen 


336 


XVI.  Mauber 


Klgor  Hl 


einer  anderen  Ursaclie  verdanken,  aU  eben  der,  welebe  die  Klappet- 
BchluBSimcke  berrorbringt? 

lob  bebanpte  also,  daes  die  Zacke  b  die  Kli 
oder  erste  BtlokstoBszacke  darstellt  Wir  würden 
steigenden  Carrenschenkel  aller  normalen  Gairen 
haben:  1.  Die  Klappenachlusszacke  bei  b;  2.  di 
bei  c;  3.  die  ElasticitAtselevatioaen  (kleine  an  den 
ven  nioht  näher  bezeichnete  Zäckehen). 

tat  jene  Annahme  richtig,  so  werden  wir  dii 
zacke  b  in  den  Fällen  schwach  entwickelt  Dnde 
Aortenklappe 
safficient  ain< 
vascnl&re  G 
Termindml  i» 
schlecht  com 

sufficienz,  hei  Pnlana  irregalanir 
bei  Anämie,  nach  dem  Hnilen. 
Sie  wird,  umgekehrt,  nm  u 
deutlicher  herrortreten,  je  itlr- 
ker  der  intraTaaeatlre  Dnek 
ist,  z.  B.  bei  Atherom,  b«i  Sit- 
rensohn 
Fi«, 
peratur 
Brachial 
iaauffioii 
Mannet, 
venaufni 
Henklo] 
I  achwerdi 
eohlnssel 
I  sichtbar. 
Die 

von  dem  Patienten  Adam  L.  In  Fig.  62,  wc 
mftsBig  war,  ist  die  Klappenschlusselevation  b  deutlich,  noch  sebOner 
ist  sie  an  der  GarotiecurTe  desselben  Patienten  Fig.  59.  Naebdm 
Patient  einige  Zeit  auf  der  Station  gelegen,  stellte  sich  am  9.  Janur 
187S  unter  äusserst  hartnäckigen  Herzpalpitationen  ein  Pulsiu  im- 
gularis  ein.  Die  Elappenschlusselevation  verschwindet  zunäebst  fut 
vollständig  (Figg.  64  u.  65)  und  tritt  erst  nach  einiger  Zeit  bei  m- 
nebmender  Besserung  wieder  auf  (Figg.  66  und  67  hei  3).    flgur  63 


Ueber  Hctzitou-  und  PiÜBCurren.  3 

stellt  die  Verftndemng  der  Carve  naob  dem  Husten  dar.    Efst  i 
Ende  der  Carre  sehea  wir  b  etwas  deutlicher  hervortreten. 


pisu  es.  Fifu  u. 

Wie  ich  aus  der  Figur  68  folgern  mficbte,  dOrfte  man  beim 
Qreiienalter  nur  mit  Vorsicht  einen  Palana  planus  und  F.  rotundo- 
tardna  nnterscbeödeD.  Diese  3  Curren  sind  von  demselben  Indiri- 
duum,  aber  bei  Terschiedenem  Druck  gexeiohnet.    Sie  zeigen  uns, 


Fipu  «7.  FlRur  a&. 

dass  man  sieh  niobt  glttoh  mit  der  ersten  Curre,  die  man  von  einem 
Qrüsen  abnimmt,  als  sei  ne  richtig,  begntlgen  darf;  ent  nach  län- 
gerem Experimentiren  wird  man  die  d«n  Individuum  latcommende 
Paliart  angeben  k&nnen. 

Ich  bin  ganz  der  Ansicht  Biegel's,  dass  die  Ourre  des  Pulsos 
planus  die   bei   Weitem  b&ufigste  Oreisenpulsenrre  sein  dürfte,  da 

DtDiKb«  ArcUT  (■  kllB.  HtdleJa.    XXIV.  B«.  31 


339 


XVI.  Maurbb 


sie  den  ContractionBoioditB  des  atberomatüseii  Gefassee  am  beiten    | 
wiedergibt.  ] 

Auch  an  der  G reisen piilecurve  ist  dag  Vorhandensein  der  Klip- 
peDSchluBseleTation  nicht  schwer  nacbiaweisen. 

Ich  möchte  hier  einige  Worte  Über  das  AortenaneuTviDix 
saj^en.  Ich  bin  in  der  Lage,  zwei  derartige  Fälle  vorfahren  zn  kOnacs. 
Der  ente  betritFt  einen  46jfthrigen  Mann  mit  Aortenineufficieni,  DiW 
tation  des  anfiteigenden  Theils  der  Aorta  und  ehroniseher  Endar- 
-    -  teritia.  Der  Aorteoinsiiföneu 

entspricht  die  Herzitoucotn 
vollständig  (Fig.  69).  Die  in 
2.  rechten  lotercostalnuinib- 
genummene  epb^gmognpiii- 
Fi«u  tu  (c>ni-i.  sehe  Curve  {Fig.  70)  hatetuti 

das  Aussehen  der  cardiogn.- 
pbi8cben(Fig.71].  lehmüehte 
sie  in  der  Weise  deuteo,  iu* 
die  Aorta  im  Zustande  ucts~ 
rygmatischer  DilatatioQ  gin^ 
dieselben  Verhältnisse  dir- 
stellt,  wie  das  rigide,  itvfc 
mit  dem  SpbygmognpkaB 
^lo'Ti-  comprimirte    Gefto.     B«Me 

difTerireD  nur  darin,  Aui  b« 
dem  anearysmatisehen  SiA  j 
die  nach  Eröffnung  der  Senii-  I 
lunarklappen  durch  den  «-  1 
sten  Moment  der  Ventrikel-  1 
Systole  eingeachleaderte  Blutmenge  nicht  zu  seiner  gänzlichen  FDlIiiiif 
gentlgt,  während  daa  rigide  Gefäss  in  der  schon  oben  besehriebena 
Weise  mecbaniseb  an  der  völligen  Expansion  bebindert  wird.   Ki 
zum  Eintritt  der  Klappenschlusswelle  bkt 
sich  der  Sack  weiterhin  zur  Genüge  mit  Blut 
angefüllt,  er  veranlasst  die  auf  dem  Curreo- 
gipfel  liegende  Klappenscblusselevation. 
Dass  diese  Erbebuug  wirklich  der  KUp- 
Figar  1%  penschlusswelle  entspricht,  resp.  durcb  die- 

selbe hervorgebracht  wird,  durfte  Figur  72  genügend  beweisen;  ick 
habe  hier  die  Curven  des  HerzstosseB  and  der  auenrj'sniatischen  Er- 
weiterung direet  (ibereinander  gezeichnet. 


FlSnr  71  (Deigl.  ( 


Ueber  HenatoEB-  and  Pulicunen.  -339 

Weiter  folgt  am  absteigenden  Schenkel  die  RUekstoBseleTatioD, . 
lun  einige  kleine  Elasticitätaelevationen  und  Bchlieaslich  kommt 
loeh  dne  grosse  Zacke,  die  ich  für  eine  „dritte"  Rflckstosselevation 
uüten  mJJchte,  die  ja  auch  Landois  bisweilen  au  der  Carotis  (als 
tweite"  RackstoBselevation)  gefunden  hat. 

Wenn  ich  annehme,  dass  die  KlappenBohluBs-  und  Bflckstossele- 
ation  in  der  Aorta  susammeDfallen,  so  widerspricht  dem  das  eben  ge- 
ebilderte  Weitroneinanderstehen  der  beiden  Glevationen  keineswegt. 

Wir  haben  einmal  kein  normales  Gefftss  vor  uns,  sondern  eines, 
as  sich  Terh&ltnisimäsaig  langsam  contrahirt,  und  dann  sind  wir  an 
6r  Untersuchungsstelle  schon  ziemlich  weit  von  dem  Anfangstheil, 
Dm  ersten  Querschnitt  der  Aorta,  entfernt.     Dass   sich    fibrigena  an 
eser  Stelle   noch   eine   nachtr&glicbe   kleinere  KUckstosselevation 
iehler  ausbilden  kann,  als  an  der  Carotis,  wo  sie  ja  ebenfalls  Lan- 
>ia  gesehen  hat,  dQrfte 
:h  BUS  der  weit  gerin- 
reo  Entfemang  von  den 
appen  ergeben. 

Ich  mAchte  noch  auf 
i  Aehnlichkeit  der  Ma- 

y'Mhen  Curve  (Fig.  74 j,  "■"  "' 

kenrysma  des  Truncup  brachio-cephalicus  (Physiol,  m£d,  p.  449) 
it  der  Carotiscurve  (Fig.  73)  unseres  Patienten  aufmerksam  machen. 


F\gn  74. 

wn  diese  Aehnlichkeit  der  Curven  von  Aneurysmen  anderer  Arte- 
m  >)  mit  denen  der  Aorta  und  in  zweiter  Linie  mit  der  einfachen 
.rotiseurre  bei  Atherom  dQrfte  wohl  die  Richtigkeit  meiner  Behaup- 
ig  (S.  338)  zur  Evidenz  beweisen. 

Mwn  zweiter  Fall  betriflfl  eine  Frau  you  62  Jahren.  Figg.  75 
d  76  stammen  aus  dem  rechten  3.  Intercostalraum ;  die  nöthige 
klArung  gibt  uns  die  beigefOgte  Fig.  77,  die  ich  von  Lorain  ent- 
mmen  habe. 

Ott  und  Haas   bringen    in  ihrer  Fig.  33  (1.  c-)  die  Curve  eines 


I)  Solche  findfn  sich  zahlreich  nbgebildet  bei  Marey  iPbjBiologie  m^dicale) 
1  Lorain  {Etiidea  de  mädecine  clinique). 


S40  XTI.  MlUBBK 

, AortenaneuoBma ,  welche  den  meinigen  ganz  Ähnlich   bcsd  dOrl 

Hit  ihrer  Erklärung  der  dazu  gehörigen  HerzstosBcurren  bin  iehü 

einrerBtanden.    Sie  Beben  a&mlich  am  abBteigendea  CurrenKtuBl 

bei  laugBamer  Herzaction  (Fig.  33  L 

im  Anschlusfl  an  die  BflohstoBnae) 

(I  U.2)  eine  dritte  Zacke  (3)  aoftnl 

welche  sie  mit  dem  ÄDeniysiu 

Verbindung    bringen ,    hei    Bchne 

Herxaction  (Fig.  34  1.  c.)  soll  dieBi 

verschwinden.     Wie  dies  zu  Sta 

kommen  sotl,  kann  ich  mir  nicht  c 

^'■"""  ken;    ich  nehme   vielmehr  an,  ■ 

diese  Zacke  gar  nicht  mit  dem  Aortenaneurysma  in  Zusammenh 

steht,  aondem  —  man  braucht  nur  die  L&ngen  der  einzelnen 

hofithitigkeiten  der  Figg.  32  und  34  mit  einander  zu  Tergleichei 

weiter  nichts  darstellt,  als  die  erste  diastolische  Zaoke  bei  a. 


Wenn  ich  kurz  das  zusammenfasse,  was  ich  besüglich  der  I 
curren  gesagt  habe,  so  sehen  wir: 

1.  Die  Klappenschlusszacke  (Landois)  steht  im  Zusammen) 
mit  dem  Schiusa  der  Semilnnarklappen  der  Aorta;  doch  wird 
nicht  durch  eine  active,  fortschlendernde  Wirkung  des  ElappenBcl 
ses  hervorgebracht,  sondern  durch  den  RückatosB  des  Blutes  im 
fangstheil  der  Aorta.  Sie  entsteht  hier  gleichzeitig  durch  die  El 
citflt  der  Gef&aswand  und  den  iotravasculären  Druck,  wobei  6 
beiden  Momente  in  Wechselwirkung  stehen.  Ist  der  intravascn 
Druck  vermindert,  so  wird  die  KlappenBchlusselevation  klein 
scheinen,  die  Elastieitfit  des  OefAases  wird  mehr  in  Wirkung  tr< 
wodurch  die  BOckstosszacke  vergrösatot  wird.  Ist  umgekehrt 
iDtravascul&re  Druck  erhöht,  so  wird  die  Elaaticität  der  Gel 
wand ,  bei  ihrem  Bestreben  eine  negative  Welle  zu  erzeugen,  je 
kaum  Überwinden  können,  es  wird  daher  die  Rdckstosszacke, 
lediglieb  durch  die  elastiBche  Contraction  des  Gefässrohrs  entsl 
nur  klein  ausfallen  können. 


Ueber  Henttoss-  und  Palscorven.  341 

Dies  gilt  indessen  nicht  für  den  Anfangstheil  der  Aorta;  hier 
wird  nnr  eine  Zacke  entstehen,  da  sich  an  dieser  Stelle  beide  Factoren 
gleichzeitig  ftussem,  sondern  nur  für  die  Übrigen  Gefässabschnitte» 
Je  weiter  wir  uns  von  der  Aortenwurzel  entfernen,  desto  weiter  rUcken 
die  Wirkungen  des  intravasculären  Drucks  und  der  Elasticität  der 
Gefftsswandung,  mit  andern  Worten,  die  Elappenschluss-  und  Rttck- 
stosszacke  auseinander. 

2.  Die  Klappenschlusszacke  ist  an  jeder  normalen  Pulscurve  zu 
sehcD,  Yon  welchem  Geffisse  sie  auch  stammen  mag,  und  zwar  folgt 
sie  der  Vergrösserung  des  Guryengipfels  in  einem  gleichbleibenden 
zeitlichen  Intervall  durch  die  ganze  Gefässbahn  hindurch  nach. 

3.  Sie  fehlt  bei  Aorteninsufficienz  keineswegs.  Sie  ist  hier,  im 
Gegentheil,  weil  der  ersten  brflsken  Dilatation  des  Gefftsses  die  erste 
Contractionsbewegung  an  Energie  nicht  nachgibt,  deutlicher  ausge- 
prägt als  bei  normalem  Herzen ,  und  verliert  nur  dann  an  Deutlich- 
keit, wenn  die  Aorteninsufficienz  so  bedeutend  ist,  dass  ein  grosser 
Theil  des  Blutstroms  in  den  Ventrikel  regurgitirt. 

4.  Sie  hilft  bei  der  Greisenpulscurve  den  rechten  Abschnitt  des 
Gipfels  bilden,  indem  sie  die,  bei  der  geringen  Expansionsfähigkeit 
des  atheromatösen  Gefässes  niedrig  gebliebene  Gipfelzacke  an  Höhe 
erreichen  und  sogar  Überholen  kann. 

5.  Die  Aneurysmen  der  Aorta  und  der  Korperarterien  zeigen 
dasselbe  Verhalten,  wie  atheromatöse ,  mit  dem  Sphygmographen 
stark  comprimirte  Gefässe. 


XVII. 
Kleinere  Nittheilungen. 

1. 

Zur  Symptomatologie  der  medullären  Leukämie. 

Von 

Professor  Fr.  Moaler. 

* 

Im  XXI.  Bande  dieses  Archives  hat  Dr.  C.  Pilz  aus  Stettin  „eineo 
eigenthflmlichen  Fäll  von  progressiver  perniciöser  Anämie* 
mitgetheilt.     Auf  S.  124  findet  sich  folgende  Stelle: 

„M Osler  machte,  auf  grosse  Erfahrung  gesttttst,  die  Angabe,  dass 
der  Schmerz  im  Sternum  charakteristisch  für  Leukämie  sei ;  aber  nicht  nur 
unsere  Kranke  hatte  andauernd  diesen  durch  leichten  Druck  zu  einer  nn- 
erträglichen  Höhe  sich  steigernden  Schmerz,  sondern  auch  MflIIer  beob- 
achtete denselben  in  2  Fällen ;  dadurch  verliert  dieses  Symptom  seinen  ex- 
quisit diagnostischen  Werth  fflr  Leukämie.  Die  Ursache  des  Schmerzes 
vermochte  selbst  die  Section  nicht  aufzufinden.  ** 

Ich  war  im  höchsten  Grade  Überrascht,  dass  eine  derartige  Aeusserong 
von  Dr.  C.  Pilz  mir  zugeschoben  wurde,  da  in  meinen  Mittheilungen  Aber 
Leukämie  nichts  davon  zii  finden  ist.  Aus  verschiedenen  Orflnden,  die  ich 
hier  nicht  erörtern  will,  war  ich  nicht  geneigt,  dem  Dr.  G.  Pilz  in  Stettin 
eine  öfi^entliche  Erwiderung  werden  zu  lassen.  Zu  meinem  Bedauern  ist 
diese  meine  Absicht  dadurch  vereitelt  worden,  dass  von  anderer  Seite  die 
Angaben  des  Dr.  C.  Pilz  weiter  verbreitet  werden.  In  einer  kürzlich  in 
Halle  erschienenen  Dissertation  von  Dr.  Georg  Krukenberg 0  scbdnt 
derselbe  durch  die  Pnblication  des  Dr.  G.  Pilz  zu  folgender  Aenssemng 
auf  S.  9  veranlasst  worden  zu  sein:  „nicht  unwichtig  ist  deshalb  die  bei 
Pilz  und  Osler  sich  findende  Angabe,  dass  in  zwei  Fällen  von  perniciöser 
Anämie  Schmerzhaftigkeit  des  Sternums  vorhanden  war,  wie  dies  schon 
M  tili  er  für  zwei  Fälle  angibt;  ein  Symptom,  welches  Mo  sie  r  bekanntlich 
als  pathognostisch  für  medulläre  Leukämie  ansah. '^ 

In  Folge  davon  habe  ich  mich  am  19.  Juni  d.  J.  ah  Dr.  C.  Pili 
brieflich  gewandt  mit  dem  Ersuchen,  mir  mittheilen  zu  wollen,  an  welcher 
Stelle   meiner   Publicationen   über  Leukämie  er  die  Behauptung  gefunden 


1)  Beitrag  zur  Kenntniss   der  progressiven  perniciösen  Anämie.    Inaogural- 
Dissertation  von  Georg  Krukenberg.    Halle  1879. 


XVII.  Kleinere  MittheUangen.  343 

habe,  dass  ich  dem  Schmerze  am  Stcrnum  einen  so  exquisit  diagnostiachen 
Wertb  ftlr  Leok&mie  beilege,  daaa  ich  »ein  Vorkommen  bei  anderen  Krank- 
heiten leugne.  Dieser  Aufforderung  hat  Dr.  C.  Pilz  nicht  entsprechen 
köDuen.  Um  zu  verhüten,  dass  die  falschen  Angaben  des  Dr.  C.  Pilz 
von  Anderen,  die  meine  Schriften  über  Leukämie  selbst  nicht  genauer  stu- 
dirt  haben,  weiter  verbreitet  werden,  sehe  ich  mich  veranlasst,  meine  An- 
sicht Aber  die  Bedeutung  des  Sternalschmerzes  bei  Leukämie,  wie  ich  sie 
von  Anfang  an  gehabt  und  zuletzt  in  der  IL  Auflage  von  v.  Ziemssen's 
Pathologie  und  Therapie  VIll.  2.  Abth.  S.  179  mitgetheilt  habe,  hier  wieder- 
zugeben; 

„Die  Symptomatologie  der  medullären  Leukämie  ist  selbstverständlich 
noch  weniger  ausgebildet,  als  die  der  übrigen  Formen.  Mitunter  thut  sich 
dieselbe  als  einziges  und  erstes  Symptom  durch  Knochenschmerzen^ 
die  spontan  und  auf  Druck  entstehen,  kund.  Am  häufigsten  ist  von  mir 
Scbmerzhaftigkeit  des  Sternums  beobachtet  worden.  Die  Knochen- 
schmerzen haben  in  den  Fällen  von  Leukämie,  in  denen  sie  beob- 
achtet werden,  ganz  besondere  Bedeutung,  weil  nach  meinen  bisherigen 
Beobachtungen  daraus  mit  Sicherheit  auf  die  medulläre  Affectiou  geschlossen 
werden  darf.  Verdickungen  der  Knochen  kommen  neben  der  Scbmerzhaftig- 
keit vor.  Mangel  einer  Schwellung  der  Knochen,  oder  mangelnde  Schmerz- 
baftigkeit  schliessen  leukämische  Hyperplasie  des  Knochenmarkes  nicht  aus. 
Dieselbe  kann  sich  vielmehr  entwickeln,  kann  selbst  hohe  Grade  erreichen, 
ohne  äusserlich  an  der  Oberfläche  der  Knochen  sichtbare  Veränderungen 
zu  veranlassen.  An  den  Knochen  wird  erst  dann  eine  auch  äusserlich 
wahrnehmbare  Veränderung  eintreten,  wenn  die  lymphoide  Infiltration  sich 
bis  auf  das  Periost  fortsetzt,  wo  dann  die  Verdickung  scheinbare  Fluctna- 
tion  zeigen  kann.*' 


2. 

Ein  nach    secbstägiger  Erankbeitsdauer   tödtlicb    ver- 
laufender Fall  von  Diabetes  mellitus.    Entstehung  durch 

eine  Gallensteinkolik. 

Hltgotbeilt  von 

Dr.  med  M.  Iioeb 

in  Worms  a.  Rh. 

C.  H.^  ein  5 2  jähriger  Bildhauer,  welcher,  einige  Kolikanfälle,  auf  die 
wir  gleich  zu  sprechen  kommen,  abgerechnet,  zuvor  vollständig  wohl  war, 
ericrankte  den  6.  December  1878  Morgens  8  Uhr  mit  sehr  heftigen  Schmer- 
zen in  der  Magengegend,  welche  nach  rechts  und  unten  ausstrahlten.  Da 
Patient  schon  mehr  solcher  Anfälle  gehabt  hatte  (den  letzten  den  24.  Juli 
desselben  Jahres),  die  nach  mehrstündiger  Dauer  wieder  nachgelassen  und 
da  sich  regelmässig  ein  leichter  Icterus  nachträglich  eingestellt  hatte,  musste 
auch  diesmal  eine  Gallensteinkolik  angenommen  werden.  Die  heftigen  Schmer- 
zen bestanden  trotz  zweier  Morphiuminjectionen  (je  0,012),  einer  Morphium- 


344  XYII.  Kleinere  MittheUuogen. 

mixtur  von  0,03  und  späterer  Btflndlicber  Darreichang  von  0,08  Opinm- 
pnker  bis  zum  Abend  des  Dftcbsten  Tages.  Gleichzeitig  stellte  sich 
bei  dem  Patienten  ein  kaum  zu  stillender  Durst  ein,  der  um 
so  auffallender  war,  als  keine  Temperatursteigerung  bestand,  noch  sonst 
ein  Symptom y  welches  denselben  erklären  konnte.  (Vor  dem  6.,  es  sei 
dies  hier  nochmals  ansdrflcklich  bemerkt,  war  Patient  vollständig  wohl; 
er  war  in  der  letzten  Zeit  nicht  abgemagert,  hatte  Aber  keinen  gesteigertes 
Durst  zu  klagen;  er  trank  sehr  wenig  Wasser,  war  ein  misaiger  Wein- 
trinker; sein  Appetit  war  normal,  jedoch  durchaus  kein  ungewöhnlicher, 
indem  er  sich  z.  B.  Morgens  mit  der  Hälfte  eines  Weckes  begnttgte).  Auf- 
fallend war  femer  die  grosse  Unruhe  des  Kranken,  der  bald  aus  dem 
Bette,  bald  ins  Bett  wollte.  Diese  Unruhe  Hess  ihn  kaum  5  Minuten  sof 
derselben  Stelle  verweilen  und  hielt*  bis  wenige  Stunden  vor  dem  Tode  so. 
—  Der  Puls  war  gleich  von  Anfang  an  frequent  und  hielt  sieh  während 
der  ganzen  Krankheit  auf  einer  Hohe  von  108 — 120  Schlägen.  Der  Harn 
war  hlassgelb,  geruchlos,  von  hohem  specif.  Gewichte  (es  schwankte  zwi- 
schen 1,024  und  1,026);  derselbe  wurde  sehr  reichlich  gelassen  ond 
enthielt  kein  Eiweiss,  jedoch  grosse  Quantitäten  Zucker  (2  von  Herrn 
Apotheker  Ed.  M fluch  ausgeführte  Analysen  ergaben  das  eine  Mal  3,4; 
das  andre  Mal  3,04  pCt.  Zucker);  Oallenfarbstoif  konnte  nicht  nachge- 
wiesen werden. 

In  der  Nacht  vom  0.  auf  den  7.  stellte  sich  ein  Schüttelfrost  ein; 
die  Morgens  3  Uhr  gemessene  Temperatur  betrug  ^S^  5  C.  (in  axillt), 
fiel  jedoch  unter  massiger  Schweissentwicklung  bei  dem  Patienten  gegen 
9  Uhr  auf  36<^  5  C.  —  Den  8.  Morgens  war  Patient  schmerzfrei;  er  Uagte 
nur  ttber  ein  leichtes  Gefühl  von  Spannung  im  Leibe;  eine  Vergrösseruog 
der  Leber  war  nicht  nachzuweisen,  trotzdem  ein  leichter  Icterus  bestand, 
der  sich  besonders  an  der  Conjunctiva  deutlich  manifestirte.  Temperatar- 
steigerung bestand  keine  (der  erwähnten  Unruhe  des  Patienten  wegen  konn- 
ten die  Messungen  häufig  nur  8 — 10  Minuten  andauern,  weshalb  es  mir 
nicht  möglich  ist,  bestimmte  Zahlen  mitzutheilen ;  es  dürfte  indessen  bei- 
spielshalber eine  in  10  Minuten  gefundene  Temperatur  von  36^  C.  ge- 
nflgen,  um  Fieber  auszuschliessen) ;  der  Puls  jedoch  *war  noch  freqoent 
(110);  der  Durst,  trotz  Apollinariswasser,  Limonade,  verschluckten  Eisstflck- 
chen  etc.,  unstillbar,  so  dass  Patient  selbst  des  ihn  verzehrenden  Brandes 
wegen  seinen  Körper  mit  einer  glühenden  Kohle  verglich.  Auf  Ricinusöl 
und  Klysma  erfolgten  2  malige  Stuhlgänge,  in  welchen  indessen  keine  Gallen- 
steine nachweisbar  waren.  Die  Zunge  war  dick  belegt.  Auf  der  Brost 
waren  hinten  unten  grossblasige  feuchte  Rasselgeräusche  zu  hören ;  die  Kx- 
pectoration  war  erschwert,  so  dass  man  die  Rhonchi  schon  in  einiger  Ent- 
fernung vom  Kranken  hörte;  dabei  Klagen  ttber  Dyspnoe.  Diese  Rassel- 
geräusche nahmen  an  Extensität  immer  mehr  zu.  Am  9.  stellten  sich 
Diarrhöen  ein,  10 — 14  pro  die;  die  Stuhlgänge  waren  ddnnflflssig,  hie 
und  da  feste  bröcklige  Massen  enthaltend.  Die  verschiedensten  Styptica 
(Bismuth.  Hydr.  nitr.,  Tannin,  Stärkemehlklystiere,  Tinct.  thcbaic.)  erwiesen 
sich  unwirksam.  Die  sonstige  Behandlung  bestand  der  drohenden 
Lungen-  und  Herzparalyse  wegen  in  der  reichlichen  Darreichung  von  Wein 
und  in  einem  Senegainfas  mit  Liq.  Ammon.  anis. 

Am  11.  December  Morgens  8  Uhr  war  der  Status  praesens  fol- 


XYII.  Kleinere  Mitthefinngen.  345 

geoder.  Keine  TemperatureteigeroDg,  Pulsfireqaens  112;  Hant  trocken, 
b]<M«  die  Stime  fencht.  Patient  sehr  coUabirt  und  trots  der  kräftigen 
Nahnmg  in  den  wenigen  Tagen  etark  abgemagert.  Dyspnoe;  das  Gesicl)t 
livid;  icterische  Färbung  der  ConjonctiTae;  die  Angen  während  des  (kaum 
llnger  als  V«  Stunde  dauernden)  Schlafes  nicht  vollständig  von  den  Lidern 
bedeckt.  Keine  Sehmersen;  nur  Klagen  Aber  den  fortwährenden  peinigen* 
des  Durst  Auf  der  ganzen  Brust,  vom  sowohl  als  hinten,  hOrt  man  schon 
io  der  Entfernung  grossbissiges  feuchtes  Rasseln.  Im  Abdomen  nichts  Ab* 
Dormes  su  fahlen.  —  Die  Stuhlgänge  sind  immer  noch  sehr  häufig,  sehr 
dtloD,  geftrbt  Der  Harn,  dessen  Menge  nicht  au  bestimmen  war  und  der 
sich  wie  oben  geschildert  verhielt,  wurde  an  diesem  Morgen  tum  ersten 
Male  auf  Aceton  resp.  Aethyldlacet säure  untersucht  und  letalere 
gefanden,  indem  der  Zusata  von  Eisenchlorid  eine  tief  braunrothe  Färbung 
berrorbrachte ;  der  sassliche  Acetongeruch  war  erst  wahrsunehmen,  als  der 
Hira  einige  Tage  stand  und  die  Eisenchloridreaction  verschwunden  war.  ^) 
Die  Ordination  bestand,  nach  dem  Vorschlage  des  zugezogenen  Collegen 
Dr.  Manch  in:  Aeth.  sulf.  5,0  :  200,0,  1— 2stflndl.  1  Esslffl.;  femer  in 
Portwein,  schwarzem  Theo  mit  Rum.  Den  IL  Abends:  Keine  Tempera- 
torsteigerung, Pulsfrequenz  112.  Immer  noch  dttnne  Stähle.  Stockende 
Expecloration,  Orthopnoe.  Am  linken  Ellbogen  vom  Aufstätzen  beginnen- 
der Decubitus.    Sonst  die  Erscheinungen  wie  heute  Morgen. 

Den  12.  Morgens  8V2  Uhr:  Die  Nacht  Ober  10— 12 malige  Diarrhöen 
und  starke  Athemnoth.  Von  gestern  Abend  6  (Ihr  bis  heute  Morgen  8 
Uhr  wurden  3  Schoppen  Urin  entleert;  derselbe  hatte  zum  ersten  Male 
wahrend  der  Krankheit  eine  röthliche  Färbung  und  Hess  ein  Sediment 
fallen;  spec.  Gew.  1026;  3,04  pCt.  Zucker;  Aethyldiaoetsäure  gleichfalls 
nachweisbar;  kein  Eiweiss.  Temperatur  36^8  (in  axilla);  Puls  120.,  sehr 
kldn,  jedoch  regelmässig.  —  Die  Ober  die  ganze  Brust  verbreiteten  Rassel- 
geräusche immer  noch  auf  Distanz  hdrbar.  —  Fat.  soll  in  der  Nacht  mehr- 
mals dellrirt  und  unfreiwillige  Stuhlgänge  gehabt  haben. 

Um  12V2  Uhr:  Puls  sehr  elend,  kaum  zu  ftthlen;  Extremitäten  kalt; 
Patient  nicht  mehr  bei  Besinnung.  Sehr  grosse  Beengung;  Respirations- 
freqnenz  44.  Seit  heute  Morgen  hat  der  Durst  nschgelassen.  Fat.  spricht 
mit  lallender  Stimme.  Conjunctivae  immer  noch  gelblich  gefUrbt.  —  Tod 
Nachmittags  3  Uhr.  —  Die  Section  wurde  nieht  gestattet. 

Fassen  wir  das  Krankheitsbild  kurz  zusammen,  so  sehen  wir  einen 
bis  dahin  anscheinend  vollständig  gesunden  kräftigen  Mann  von  einem  Ko- 
likanfall ergriffen  werden,  der,  obwohl  in  den  Fäces  keine  Concremente 
nachweisbar  waren,  früherer  ähnlicher  AnfUle  und  des  nachträglichen  Auf- 
tretens von  Icterus  wegen  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  Gallensteine 
zurflckgeftthrt  werden  kann.  Gleichzeitig  stellte  sich  bei  dem  Kranken  ein 
fast  unstillbarer  Durst  ein ;  die  Untersuchung  des  Urins  ergab  bedeutenden 
Zuckergehalt;  der  frequente  Puls  und  die  erschwerte  Ezpectoration  wiesen 


I)  Vgl.  Neubauer  und  Yogel  (7. Aufl.  1876.  8.122).  —  Nach  Rupstein 
(Centralblatt  ftLr  die  med.  Wissenschaften.  1874.  Nr.  65)  spaltet  sich  die  Aethyl- 
diacets&ore  in  Aceton,  Alkohol  und  doppelkohlensaures  Natron  nach  der  Formel : 
ecHtNaea  +  2Hje  —  €aHo^  4-  6iH«e  -h  NaH  GOa. 


346  XVII.  Kleinere  MittheUangen. 

anf  beginnende  Herz-  und  Lungenlähmung  bin,  welcher  der  Patient  am  6. 
Tage  der  Krankheit  erlag,  nachdem  die  Untersnchung  des  Harns  Id  den 
2  letzten  Lebenstagen  (frtther  wurde  nicht  darauf  untersucht)  die  Anweseo- 
heit  von  Aethyldiacetsftnre  ergeben  hatte. 

Dass  wir  es  in  unserem  Falle  nicht  mit  einem  symptomatischen  Dia- 
betes, mit  einer  s.  g.  Oiykosurie,  zu  thnn  hatten,  dafflr  spricht  der  iiobe 
Zuckergehalt  des  Urins.  „  Ein  Zuckergehalt  von  über  2  pCt  kommt  sicher 
nur  beim  Diabetes  vor**.  (Senator,  v.  Ziemssen*s  Hdb.  XUL  Bd.  2.  H&lfle 
S.  223).  Viel  ist  durch  diese  Thatsache  freilich  nicht  gewonnen,  da  die 
Pathogenese  des  Diabetes  noch  so  dunkel  ist  und  wahrscheinlich  verschie- 
denartige Rrankheitszustände  mit  dem  gemeinschaftlichen  Namen  des  Dia- 
betes mellitus  bezeichnet  werden.  Sicherlich  hatten  wir  es  bei  unserem 
Kranken  mit  einer  schweren  Affection  des  Nervensystems  zu  thun.  Wo- 
durch war  in  unserem  Falle  der  rasche  tödtliche  Ausgang  bedingt?  Einigen 
Aufsohluss  gibt  uns  die  Arbeit  KussmauTs,  der  (dieses  Archiv  Bd.  XIV. 
1874.  S.  2)  3  Fälle  mittheilt,  wo  bei  Diabetikern  unter  dyspaoischen  Er- 
scheinungen und  Koma  der  Tod  rasch  erfolgte.  Als  charakteristisch  fflhrt 
Kussmaul  an:  1)  eine  Dyspnoe  besonderer  Art,  2)  beschleunigte 
Herzth&tigkeit,  3)  grosse  Aufregung  mit  Stöhnen  etc.,  Jactation, 
heftige  Schmerzen,  4)  Koma.  Die  3  ersten  Symptome  waren  bei  unserem 
Kranken  vorhanden;  ein  komatöser  Zustand  war  indessen  nur  am  letzten 
Krankheitstage  bemerkbar.  Ein  Symptom,  welches  in  unserem  Falle  vor- 
handen war,  in  den  KussmauTschen  FftUen  fehlte,  waren  die  Diar- 
rhöen. Die  Dyspnoe  welche  sich  bei  unserem  Patienten  bis  zur  Ortho- 
pnoe steigerte  und  dadurch  zum  beginnenden  Decubitus  des  einen  Ellbogens 
führte,  stimmte  insofern  mit  der  von  Kussmaul  beschriebenen  tiberein, 
als  die  Respirationsfrequenz  beschleunigt  und  das  Athmen  regekuAssig  war. 
Während  jedoch  in  den  KussmauTschen  Fällen  Oberall  ganz  reines,  lautes 
und  scharfes  Vesicnlärathmen  zu  hören  war,  ebenso  in  einem  von  v.  Dusch 
(Zeitschr.  f.  rat.  Medic.  Neue  Folge  Bd.  4.  1854  S.  1)  beschriebenen  Falle, 
bestand  bei  unserem  Patienten  ein  Bronchialkatarrh  mit  weit  verbreiteten 
Rasselgeräuschen,  der  indess  die  starke  Athemnoth  nicht  erklärte.  Ferner 
fehlte  in  unserem  Falle  die  von  Kussmaul  angegebene  Grösse  resp.  Tiefe 
der  Athembewegungen ;  die  Klagen  tlber  Athemnoth  waren  trotz  der  he- 
stehenden  Orthopnoe  bei  unserem  Patienten  keine  so  lebhaften.  —  Während 
Kussmaul  bei  seinen  Kranken  keine  ihm  zusagende  Erklärung  fßr  die 
Dyspnoe  und  gesteigerte  Respirationsfrequenz  finden  konnte,  glaube  ich 
ftir  unseren  Fall  Folgendes  annehmen  zu  können :  Die  beginnende  Lähmnog 
des  Vagus  bedingte  einestheils  die  vermehrte  Schlagfolge  des  Herzens,  tn- 
derntheils  neuroparalytische  Hyperämie  (s.  Rosenthal,  Hdbch.  d.  Nerven- 
krkhten.  1870  S.  508)  und  Lähmung  der  Bronchialmuskeln;  die  dadarcb 
hervorgerufene  Kohlensäureansammlung  im  Blute  führte  in  zweiter  Linie  aar 
Reizung  des  Athmungscentrums  und  zur  vermehrten  Respirationsfreqaeni. 
—  Die  von  Kussmaul  beobachteten  Schmerzen  in  der  Regio  hypogs- 
strica  fehlten  bei  unserem  Kranken;  dagegen  litt  derselbe  an  profusen 
Diarrhöen,  welche  wohl  als  nervöse  aufgefasst  werden  können.  Schwe- 
rer ist  die  Beantwortung  der  Frage,  wodurch  diese  schweren  Nervenstörnngen 
bedingt  waren;  denn  die  Lehre  von  der  Acetonämie  steht  meiner  An- 
sicht nach   auf  sehr  schwachen  Füssen.     Petters   hat  nämlich  (Prsger 


XYIL  Kleinere  Mittheilungen.  347. 

Vierteljsdir.  1857.  S.  81),  da  er  im  Urine  und  Blate  einer  Diabetica  Aceton 
gefaoden,  die  Theorie  aufgestellt,  dass  dieaer  Stoff  eine  eigenthflmliche,  selbst 
tödtliche  Intoxication  lierrorrofen  könne.  Obwohl  nun  Kussmaul  bei 
Kaoiochen,  welche  er  grosse  Mengen  Aceton  inhaliren  liess,  hochgradige 
Betäubung  und  Unfähigkeit  zu  Bewegungen  erzielte,  so  ist  doch  wie  ich 
glaube  der  öfters  im  Endstadium  des  Diabetes  mellitus  auftretende  Sym* 
ptomencomplez  ein  ganz  verschiedener.  Hervorzuheben  ist  femer,  dass 
sich  in  unserem  Falle  sowie  in  fthnlichen,  nur  Aethyldiacetsfture  nach- 
weisen liess  und  dass  sich  erst  später  durch  Zersetzung  der  genannten 
Säure  Aceton  bildete.  Scheube  (2  Fälle  von  diabet.  Koma,  Archiv  der 
Heilk.  1876.  Hft.  5)  hält  das  diabetische  Koma  mit  Urämie  identisch,  während 
Kernig  (8t  Petersb.  med.  Wochenschr.  1876.  Mo.  51  u.  52)  mit  Kuss- 
maul diese  Ansicht  verwirft.  Da  bei  unserem  Kranken  das  Ei  weiss  im 
Harne  stets  fehlte,  fUlt  die  Annahme  einer  Urämie  von  selbst.  Es  ist 
jedoch  nicht  abzusehen,  weshalb  es  bei  Diabetes  mellitus,  der  ja  so  häufig 
zQ  tieferen  Nierenveränderungen  führt,  nicht  manchmal  zur  Urämie  kommen 
soll.ij  —  Der  Lösung  erwähnter  Frage  könnte  man  vielleicht  durch  Ex- 
perimentiren mit  der  Aethyldiacetsäure  näher  kommen. 

Die  Krankheitsdauer  bei  unserem  Patienten  dttrfte  wohl  eine  der  kür- 
zesten der  bei  Diabetes  mellitus  beobachteten  sein.  Mit  voller  Bestimmt- 
heit ist  freilich  nicht  zu  eruiren,  ob  die  Krankheit  nicht  zuvor  bestanden 
habe;  wir  können  indessen  schon  deswegen  das  Gegentheil  annehmen,  da 
Patient  (wie  oben  bemerkt)  sich  zuvor  vollständig  wohl  fühlte,  durch- 
aus keine  Kräfteabnahme  bemerkte  und  weder  gesteigerter  Durst  noch  ver- 
mehrter Appetit  vorhanden  war.  Von  grossem  Werthe  erscheint  mir  auch 
die  Angabe  der  Frau,  dass  bei  ihrem  Manne  der  Urin  vor  der  Krankheit 
rötblich  gewesen  sei  und  manchmal  sedimentirt  habe.  Selten  wird  der 
Arzt  im  Stande  sein,  so  genau  wie  in  dem  von  Wallach  (Virch.  Arch. 
Bd.  XXXVI  S.  297)  mitgetheilten  Falle  den  Anfang  der  Krankheit  bestim- 
men zu  können.  Es  handelte  sich  hier  um  einen  29jäfarigen  Chemiker, 
welcher  der  Vergleichung  mit  einem  diabetischen  Harn  wegen  seinen  eigenen 
wiederholt  mit  negativem  Erfolge  auf  Zucker  untersucht  hatte  und  der  kurz 
darauf  an  einem  Bronchialkatarrh  und  sehr  lebhaftem  Durste  erkrankte; 
der  nun  untersuchte  Harn  enthielt  8  pCt.  Zucker;  der  Tod  trat  nach  fünf- 
wöchentlicher  Krankheitsdaner  ein.  —  Unter  100  von  Oriesing^r  zu- 
sammengestellten Fällen  dauerte  nur  einer  unter  V4  Jähr.  —  Den  rasdiesten 
Verlauf  sieht  man  bei  Diabetes  der  Kinder;  unter  46  von  Kfllz  (Gerhardfs 
Hdbch.  d.  Kinderheitk.  HI.  Bd.  1.  Hlft.  S.  282)  zusammengestellten  Fällen 
war  bei  16  Kindern  die  Dauer  unter  f/4  Jahr.  In  Kfllz's  Tabelle  findet  sich 
No.  29  ein  von  Rösing  mitgetheilter  Fall  von  einem  1jährigen  an  Hydro- 
cephalns  acutus  und  Diabetes  mellitus  erkrankten  Knaben,  wo  der  Tod 
nach  8  Tagen  eintrat,  —  doch  ist  hier  der  Exitus  letalis  auf  die  Menin- 
gitis zu  schieben.  —  In  einem  Falle  Becquerel's  (cit.  bei  Senator  1.  c. 
p.  230)  soll  bei   einem  9jährigen  Knnben   die  Krankheit  nur  6  Tage  ge- 


1)  Eine  Bestätigung  meiner  Ansicht  erhielt  ich  nachträglich  durch  die  Mit- 
theiluDg  eines  CoUegen,  dessen  an  hochgradigem  Diabetes  mellitus  leidender  Bruder 
an  unzweifelhaft  urämischen  Erscheinungen  zu  Grunde  ging;  die  Untersuchung 
des  Harns  ergab  bedeutenden  Eiweissgehalt. 


348  XVII.  Kleinere  Mittheilungen. 

dauert  haben.  (Bei  Lebert,  Hdbeb.  d.  pract.  Medic.  3.  Aufl.  Bd.  II.  8.  728) 
wird  die  Dauer  auf  Iß  Tage  angegeben;  welche  Zahl  die  riehtige,  moss 
ich  bei  der  Unmöglichkeit  das  Original  zu  Tergleichen  dahin  gestellt  sein 
lassen).  Ein  sehr  rascher 'Verlauf  wurde  bei  einem  1 1/4  jährigen  Kiode 
von  Busch  beobachtet  (s.  Jahresber.  von  Virchow  und  Hirsch.  XI.  Jahrg. 
1877.  S.  271).  —  Seegen  (s.  dessen  Monograph.  2.  Aufl.  8.  122)  hat  bei 
400  Diabetikern  niemals  einen  acuten  Verlauf  beobachtet,  was  sich  wohl 
aus  dem  Umstände  erklärt,  dass  derartige  Patienten  wohl  schwerlich  mehr 
im  Stande  sind,  Bäder  aufzusuchen.  —  Fälle,  wo  der  Tod  in  wenigea 
Wochen  eintrat,  sind  ausserdem  von  Dobson  (cit.  bei  Vogel,  Virch.  Hdbch. 
d.  spec.  Path.u.Ther.  VI.  2.  Abth.  3.  Hft.  8.487),  Roberts,  Beckler <), 
'W.  F.  Smith 2)  und  Senator  (1.  c.  8.  230)  mitgetheilt  worden. 

Die  Aetiologie  unseres  Falles  anlangend,  ist  die  Entstehung  der 
Zuckerhamruhr  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Oallensteinkolik  zurtickzn- 
fahren.  So  sehr  ich  mich  bemflht,  konnte  ich  in  der  mir  zugänglichen 
Literatur  keine  ähnliche  derartige  Entstehungsursache  auffinden.  Welcher 
Art  dieser  ursächliche  Zusammenhang  ist,  darüber  könnte  man  wohl  leicht 
eine  mehr  oder  minder  plausible  Hypothese  aufstellen,  was  wir  jedoch  un 
so  mehr  vermeiden,  als  ja  die  Pathogenese  des  Diabetes  in  sehr  vieleo 
Punkten  noch  in  tiefes  Dunkel  gehüllt  ist;  können  wir  ja  höchstens  be- 
haupten, dass  es  sich  bei  demselben  um  eine  AffSection  des  Nerrensysteois 
handle.  Vielleicht  ist  in  unserem  Falle  die  Entstehungsursache  eine  äbo- 
liehe  wie  in  den  Fällen,  wo  durch  directe  Verletzung  der  Leber  Glykosorie 
entstand.  Bernard  und  Fischer  erzählen  je  einen  Fall,  in  welchem 
Glykosurie  durch  einen  Stoss  in  die  Lebergegend  auftrat;  Schiff  erzeugte 
einen  vorübergehenden  Diabetes  durch  Einstechen  von  Nadeln  in  die  Leber; 
Pavy  dadurch,  dass  er  die  Pole  einer  galvanischen  Batterie  in  das  Organ 
einsetzte  und  dann  einen  Strom  hindurchgehen  liess  (Blau,  Schmidfs 
Jahrbücher  Bd.  165.  S.  189).  Vielleicht  ist  für  unseren  Fall  auch  die  m 
Ph.  Munk  (Innsbruck,  Tagebl.  d.  Naturforschervers.  1869.  8.  113)  gefoo- 
dene  Thatsache  nicht  ohne  Bedeutung,  dass  nach  partieller  Exstirpation  des 
Ganglion  solare  Diabetes  auftritt,  da  ja  der  Plexus  hepaticus  mit  dem 
Sonnengeflechte  im  Zusammenhange  steht. 


Anschliessend  an  obige  Mittheilnng  erlaube  ich  mir  in  Kürze  über  die 
von  mir  in  Worms  und  Umgegend  beobachteten  Fälle  von  Diabetes  zu  b^ 
richten.  Es  sind  dies  11  an  der  Zahl;  davon  4  Männer,  7  Weiber;  fflitf 
Erkrankungen  hiervon  kommen  auf  Juden.  Wenn  es  erlaubt  ist,  aus  einer 
so  kleinen  Zahl  Schlüsse  zu  ziehen,  so  ist  das  Verhältniss  des  mänolicheo 
zu  dem  weiblichen  Geschlecht  hierin  gerade  das  umgekehrte  als  sonst  (See« 


1)  Beckler*s  Fall  betrifft  einen  8jährigen  Knaben;  die  Daner  der  Krankheit 
war  ungefilhr  4—5  Wochen  (Bayr.  ärztl.  Intelligenzblatt.  XV.  U.  166S). 

2)  Es  handelte  sich  um  einen  16jährigen  Landknecht;  die  Dauer  der  Krank- 
heit war  4  Wochen;  der  Tod  erfolgte  im  Koma  (Brit.  Med.  Joum.  1871.  23.Dec.). 
-  Ein  ähnlicher  Fall  wurde  von  Prof  Bohn  (Acuter  Diabetes  melUtus  mit  a(V- 
diabetischem  Coma  endend.  Centralzeitung  fQr  Kinderhellk.  1.  Jahig.  Nr.  6  - 
bei  einem  13  jährigen  Mädchen)  mitgetheilt. 


XVn.  Kleinere  MittheUungen.  349 

geo  dhlt  bei  140  Diabet.  100  Mftnser,  40  Weiber;  Dickinsoo  bekam 
bei  seiner  ZusammensteliaDg  4273  Mftnner,  2223  Weiber).  Worms  mit 
seiner  Umgebung  scheint  sieb  Ähnlich  wie  Thflringen  eu  verhalten;  auf 
der  Jenaer  Klinik  kamen  in  einer  Reihe  von  Jahren  auf  13  Diabetiker 
onr  3  Minner.  Das  stärkere  Befallenwerden  der  hiesigen  Juden  bestätigt 
die  Behauptung  See  gen 's  von  der  stärkeren  Disposition  derselben  zu 
Diabetes;  (Seegen  beobachtete  unter  140  Diabetikern  36  Juden).  Hie- 
sige CoUegen,  die  ich  deswegen  befragte,  wollen  eine  ähnliche  Bemerkung 
gemacht  haben.  Ob  Seegen's  Annahme  einer  grösseren  Erregbarkeit  des 
Nerrensystems  bei  den  Juden  als  Erklärung  hierfür  richtig  ist,  muss  ich  da- 
hingestellt sein  lassen ;  mir  scheint  das  hereditäre  Verhältniss  bei  den  Juden 
eine  grössere  Rolle  bei  der  Aetiologie  des  Diabetes  zu  spielen  als  bei 
Christen.  Soviel  mir  bekannt,  fehlen  darüber  noch  genauere  statistische 
Angaben. 

Unter  meinen  Fällen  befinden  sich  2  ältere  Frauen  (eine  von  75,  die 
andre  von  67  Jahren);  bei  beiden  verläuft  der  Diabetes  sehr  milde;  ein 
aufTallender  umstand  bei  beiden  ist  mir,  dass  der  Harn  trotz  hohem  spec. 
Gewicht  nicht  die  gewöhnliche  blassgelbe,  sondern  eine  weingelbe  Färbung 
besitzt.  Einen  ätiologischen  Zusammenhang  mit  Ischias  konnte  ich  nicht 
nachweisen  (Braun,  System.  Lehrb.  d.  Balneotherapie  1868.  S.  343  will 
wiederholt  bei  Ischias  einen  symptomatischen  Diabetes  mellitus  wahrgenom- 
men haben,  in  7  Fällen  4  mal;  auch  Eulenburg  und  Gutmann,  Pathol. 
d.  Sympathictts,  1873  8.  194  wollen  ähnliche  Erfahrungen  gemacht  haben); 
ich  glaube  dass  gerade  umgekehrt  eine  symptomatische  Ischias  bei  Dia- 
betes nicht  selten  ist  (s.  auch  Erb,  v.  ZIemssen's  Hdbch.  1.  Aufl.  Bd.  XII.  1. 
Hälfte  S.  154).  So  leidet  die  oben  erwähnte  7 5  jähr.  Patientin  schon  seit 
Jahren  an  heftiger  doppelseitiger  Ischialgie;  eine  andre  40 Jähr.  Diabetica 
wird  häufig  von  jedoch  rasch  wieder  schwindenden  Schmerzen  der  Hüft- 
nerven  heimgesucht;  ich  kenne  ferner  eine  Beobachtung  bei  einer  70 jähr, 
diabetischen  Frau,  die  heftiger  Ischias  wegen  Jahre  lang  Wildbad  besuchte 
nnd  später  unter  apoplektiformen  Erscheinungen  sp  Ornnde  ging.  —  Unter 
meinen  7  weibl.  Kranken  befanden  sich  3  mit  Affectionen  des  Uterus  (eine 
55 jähr.  Frau  litt  an  Fibroid;  2  andre  an  Prolapsns  uteri.  Ob  diese  Er- 
krankungen der  weiblichen  Genitalien  zuMlig  sind,  oder  ob  ein  gewisser 
causaler  Zusammenhang  mit  Diabetes  besteht,  ist  nur  an  einer  grösseren 
Zahlenreihe  nachzuweisen.  In  einem  der  von  Kussmaul  mitgetheilten 
Falle  (l.  c.  S.  1)  litt  die  3  5 jähr.  Frau  gleichfalls  an  Senkung  des  Uterus 
und  Geschwüren  des  Gerviz.  Man  muss  sieh  Indessen  um  so  mehr  vor 
rasch  gezogenen  Schlössen  hflten,  als  die  erwähnten  Qenitalaffectionen  bei 
Frauen  ja  so  häufig  sind.  —  Aehnliches  habe  ich  bei  einem  diabetischen 
Manne,  den  ich  einige  Zelt  fflr  einen  (Tollegen  behandelte,  beobachtet,  in- 
dem  bei  dem  Patienten  eine  hochgradige  Strictur  der  Harnröhre  bestand. 
—  Erblichkeit  sah  ich  zweimal:  einmal  bei  einer  40 jähr.  Jüdin,  deren 
Vater  und  einer  Bruder  an  Diabetes  starben  nnd  der  andre  Bruder  noch 
jetzt  an  gleicher  Krankheit  leidet ;  dann  bei  meinem  Vater  (bei  den  erwähnten 
11  Fällen  nicht  mitgerechnet),  welcher  nebst  einer  7  3  jähr.  Sohwester  und 
einem  Schwestersohne  an  Zuckerharnruhr  starb.  Sicher  spielt  die  Here- 
dität  beim  Diabetes  eine  grössere  Rolle,  als  man  nach  der  Statistik  glauben 
sollte,  da  ja  in  vielen  Fällen  die  Todesursachen  der  Familienglieder  vom 


350  XVII.  Kleinere  MittheUangeD. 

Patienten  entweder  falsch  oder  gar  nicht  angegeben  werden,  von  den  dia- 
gnostischen Schwierigkeiten  mancher  DiabetesfUlle  und  der  dadurch  beding- 
ten Vefkennnng  der  Krankheit  gar  nicht  zu  reden.  —  Ich  kann  nur  den 
Satz  unterschreiben,  dass  es  Fälle  ?on  Diabetes  gibt,  welche  sich  sonst 
durch  kein  Synoptom  verrathen  und  dass  nur  eine  fleissige  Hamuntersachang 
bei  chronisch  Kranken  Irrthflmer  in  dieser  Beziehung  vermeiden  iftsst. 


3.    . 

Morphiumvergiftung  eines  14  Tage  alten  Kindes 

mit  gttnBtigem  Ausgange. 

Von 

Dr.  Adolf  Wertheimber 

in  Mttncban. 

Am  Abend  des  16.  Februar  1.  J.  wurde  ich  zu  einem  14  Tage  aiteo, 
wohl  ausgebildeten  Kinde  gerufen,  weiches  an  der  Brust  einer  Amme  ge- 
nährt wurde;  wegen  einer  leichten  Darmaffection  verordnete  ich  fUr  das- 
selbe kleine  Gaben  von  Calcar.  carbon.  praecip.  in  abgetheilten  Palvero. 
Andern  Tages  gegen  6V2  Uhr  Morgens  wurde  eiligst  nach  mir  geschick: 
mit  dem  Bemerken,  dass  das  Kind  sterbend  sei. 

Bei  meinem  Eintreffen  fand  ich  folgenden  Zustand:  Das  Kind  lag 
regungslos  auf  dem  Kissen,  im  tiefsten  Coma;  Kopf  schlaff  nach  hinteo 
herabhängend,  auch  die  Muskeln  der  Gliedmaassen  völlig  erschlafft;  Haut 
livid,  insbesondere  starker  Livor  an  den  Lippen  und  Nägeln ;  die  gesammte 
Körperoberfläche  sehr  kühP),  an  Stirn  und  Rumpf  feucht;  Respiration  ver- 
langsamt, flach  und  seicht,  von  Zeit  zu  Zeit  einige  langsam  aufeinander 
folgende  schnappende  Athemzflge;  Herzschlag  schwach,  aussetzend,  Puls 
an  der  Art.  radialis  nicht  fühlbar;  die  Buibi  nach  oben  gerollt,  Horobaut 
matt,  glanzlos,  Bindehaut  von  einigen  injicirten  GeHUsen  durchzogen.  Con- 
vulsionen  waren  nicht  vorhanden  und  auch  nicht  vorhergegangen ;  aber  kurz 
vor  meiner  Ankunft  war  Erbrechen  einer  geringen  Menge  schleimiger  FlQsaig- 
keit,  welche  theil weise  wieder  verschluckt  wurde,  eingetreten. 

Die  erste  flüchtige  Betrachtung  des  Kindes  Hess  mich  vermuthen,  dm 
es  sich  um  eine  mit  Steigerung  des  intracraniellen  Druckes  verbundene 
Läsion  handehi  möchte,  und  ich  dachte  zunächst  an  ein  spontan  oder  auf 
traumatischem  Wege  entstandenes  Extravasat  im  Gehirne.  Beztlglich  einer 
traumatischen  Einwirkung  wurde  von  den  Angehörigen  des  kleinen  Patienten, 
welcher  iu  sorgsamster  Pflege  stand,  auf  das  Bestimmteste  in  Abrede  g^ 
stellt,  dass  derselbe  einen  Fall,  einen  Stoss  auf  den  Kopf  oder  dergK  er- 
litten hätte.     Gegen  die  Annahme  einer  Hirnblutung  sprach  aber  noch  ein 

1)  Eine  Temperaturmessung  vorzunehmen,  habe  ich  in  der  fiedrSogniss  d« 
Augenblicks  leider  vers&umt. 


XVIL  Kleinere  MittheUungen.  351 

weiterer  gewichtigerer  Umstand,  nämlich  die  Beschaffenheit  der  grossen 
FontsDelle,  deren  Spannnng  vielmehr  vermindert  als  erhöbt  erschien  nnd 
welche  keine  Spur  von  Pnlsation  erkennen  Hess. 

Bei  genauerer  Untersuchung  des  Kindes  nun  frappirte  mich  eine  Er- 
seheinnng,  welche  meiner  Aufmerksamkeit  anfinglich  entgangen  war:  die 
Pupillen  nämlich  zeigten  sich  aufs  Aeusserste  verengt, 
punktförmig. 

Mit  der  Entdeckung  dieses  Symptoms,  welche  durch  die  Stellung  der 
Balbi  einigermaassen  erschwert  gewesen,  war  auch  die  Beurtheilung  des 
Falles  sofort  auf  eine  andere  Fährte  gelenkt:  eine  so  ungewöhnlich  hoch 
gesteigerte  Myosis  musste  nothwendiger  Weise  den  Verdacht  erregen,  dass 
eine  Vergiftung  durch  Opium  oder  Morphin  vorläge.  Die  hierauf 
angestellte  Nachforschung  fflhrte  auch  zur  vollständigen  Aufklärung  des 
Tbatbestandes.  Es  ergab  sich  nämlich,  dass  dem  Kinde  durch  eine  Ver- 
wechslung des  R^eptes  statt  der  verordneten  Arznei  ein  Pulver  verabreicht 
worden  war,  welches  Morph,  muriat.  in  der  Dosis  von  0,01  enthielt.  Gegen 
4^2  Uhr  Morgens  war  ein  solches  Pulver  dem  Kinde  gegeben  worden  und 
1  \i  Stunden  später  war  dasselbe  in  den  oben  geschilderten  Zustand  verfallen. 

Nach  gesicherter  Diagnose  schritt  ich  unverzüglich  zur  Vornahme  der 
kflostlichen  Athmung  durch  rhythmische  Compression  des  Brustkorbes  — 
ein  Verfahren,  das  hier  in  leichter  und  ergiebiger  Weise  ausfahrbar  war; 
gleichzeitig  Hess  ich  die  Zimmerwärme  auf  il^  R.  erhöhen,  den  Körper  des 
Kindes  andauernd  in  heisse  Tücher  einhüllen  und  flösste  ihm  löffelweise 
schwarzen  Kaffee  ein.  Alsbald  wurde  der  Herzschlag  deutlicher,  die  Athem- 
zflge  etwas  tiefer  und  die  Gyanose  wich  einer  intensiven  Blässe.  Ich  liess 
non  durch  eine  geflbte  Person  die  kflnstiiche  Athmung  zeitweilig  fortsetzen, 
ebenso  die  Erwärmung  des  Körpers  und  gab  die  Weisung,  das  Kind  in 
der  Zwischenzeit  in  leicht  schaukelnder  Bewegung  umherzutragen ;  innerlich 
wurde  der  schwarze  Kaffee,  abwechselnd  mit  Liquor  ammon.  anis.  (in  einer 
Mixtura  gummosa)  fortgegeben.  Diese  Verordnungen  wurden  pünktlich  aus» 
geführt  und  schon  Mittags  hatte  sich  der  Zustand  des  Kindes  merklich 
gebessert.  Um  5  Uhr  Abends  —  mithin  nach  einer  mehr  als  12  ständigen 
Pause  —  erfolgte  zum  ersten  Male  wiedei*  eine  Harnentleerung;  Stuhlgang 
wurde  durch  ein  Klysma  herbeigeführt ;  Versuche,  das  EÜnd  nunmehr  zum 
Saugen  zu  veranlassen,  blieben  noch  erfolglos;  erst  um  7  Uhr  Abends 
machte  es  einige  schwache  Züge  an  der  Brust  und  einige  Stunden  später 
kam  das  Stillen  wieder  in  besseren  Gang. 

Die  Genesung  machte  nun  rasche  Fortschritte;  am  nächsten  Morgen 
hatten  die  Pupillen  ihre  normale  Weite  wieder  erlangt  und  in  kurzer  Zeit 
hatte  sich  der  kleine  Patient  von  dem  verhängnissvollen  Zufalle  vollständig 
erholt.  Das  14  Tage  alte  Kind  hatte  vom  Morgen  bis  zum  Abend  beiläufig 
150  Grro.  schwarzen  Kaffees  und  1  Grm.  Liquor  ammon.  anis.  verbraucht, 
ohne  dass  hierdurch  die  geringste  gastrische  Störung  oder  irgend  eine  andere 
nachtbeilige  Wirkung  hervorgerufen  worden  wäre. 

In  diesem  Falle,  in  welchem  der  Verdacht  auf  Morphin -Vergiftung 
ganz  und  gar  ferne  lag  und  keinerlei  äussere  Umstände  auf  die  Annahme 
einer  solchen  hinlenkten,  war  es  allein  die  Myosis,  die  zur  richtigen  Deu- 
tung der  fast  plötzlichen  und  schweren  Erkrankung  führte.  Das  genannte 
Symptom   ist  für  die  Erkenntniss   derartiger  Fälle  im  Kindesalter  um  so 


352  XVU.  Kleinere  Mitthdlungen. 

werthToller,  als  ee  in  gleich  hohem  Qrade  keiner  anderen  dem  betreffenden 
Lebensalter  eigenthümiichen  Krankheitaform  zukommt. 

Die  Diiferentialdiagnose  awischen  Morphin  Vergiftung  und  der  coma- 
tösen  Form  der  Meningitis  simplex,  welche  schon  im  frühesten 
Kindesalter  beobachtet  wird,  kann  trotz  mancher  Aehnlichkeit  des  Krank- 
heitsbildes  schon  deshalb  kaum  in  Betracht  kommen,  weil  letztere  stets  tod 
hohem  Fieber  begleitet  ist.  Weit  schwieriger  hingegen  ist  die  Unterschei- 
dung von  den  intermeningealen  Blutungen,  von  welchen  sowohl  Neo- 
geborene  als  auch  Kinder  in  den  ersten  vier  Lebenswochen  befallen  werden. 
Bei  einigermaassen  grösseren  Blutergüssen  In  den  Arachnoidealsack  könoeo 
die  Erscheinungen  denjenigen  der  Morphinvergiftung  aufs  Täuschendste  iho- 
licii  werden ;  gleichwie  bei  letzterer  finden  sich  auch  bei  der  Haemorrhigia 
meningum :  Sopor,  kühle  und  livide  Haut,  schlaff  (gelähmt)  herabhangende 
Extremitäten,  unregelmässige  und  verlangsamte  Respiration,  kleiner,  retar- 
dirter  Puls  und  verengte  Pupillen.  Das  unterscheidende  Merkmal  liegt  aber 
—  ausser  in  dem  geringeren  Grade  der  Myosis  —  vor^BUgsweise  in  deio 
verschiedenen  Verhalten  der  grossen  Fontanelle,  welche  bei  der 
in  Rede  stehenden  Hirnblutung  gespannt,  vorgewölbt  und  —  wenigstens  in 
Anfang  —  stark  pulsirend  erscheint,  während  sich  in  unserem  Falle  von 
Morphinvergiftung  das  Verhalten  der  Fontanelle  vielmehr  demjenigen  näherte, 
welches  den  Gollapszuständen  eigen  ist.  Die  Erklärung  für  die  eben  er- 
wähnte Erscheinung  dürfte  wohl  in  der  durch  Lähmung  namentlich  des 
vasomotorischen  Oentrums  bedingten  Abnahme  des  arteriellen  Blutdrackes 
zu  suchen  sein. 

Wie  tief  die  Irritabilität  des  veriängerten  Marks  in  dem  oben  geschil- 
derten Falle  gesunken  sein  musste,  beweist  unter  Anderem  4er  umstand, 
dass  trotz  der  bekanntlich  sehr  hohen  Reflezerregbarkeit  im  frühesten  Kio- 
desalter  das  stark  venöse,  kohlensäurerdche  Blut  keine  Erstickungskrämpfe 
zu  erzeugen  vermochte. 


.•-"'- 


xvin, 

rrbotiscbe  Verkleinerung  des  Magens  und  Schwund  der  Labdi*üsen 
unter  dem  klinischen  Bilde  der  perniciOsen  Anämie« 

Von 

Prof.  Dr.  n.  Kothnagel 

in  Jena. 

Vor  Jahresfrist  beobachtete  ich  den  nachstehenden  Erankheitsfally 
äsen  Mittheilung  vielleicht  einiges  Interesse  bietet,  weil  er  einen 
der  letzten  Zeit  in  der  englischen  Literatur  mehrfach  bespreche- 
Q,  bei  uns  in  Deutschland  dagegen  wenig  erörterten  Zustand  be- 
flt  Der  in  Rede  stehende  Patient  bot  das  ausgeprägte  Bild  der 
g.  progressiven  perniciösen  Anämie  dar.     Ich  glaubte  als  dieser 

Grunde  liegendes  ursächliches  Moment  eine  Atrophie  der 
agendrdsen  beziehentlich  der  Schleimhaut  des  Magens, 
iet  wie  die  englischen  Autoren  es  kurzweg  nennen,  eine  Atrophie 
D8  Magens  annehmen  zu  sollen.  Die  Section  erwies  diese  Dia- 
loge als  richtig;  ergab  aber  nicht  blos  die  Atrophie  der  Magensaft- 
'flsen,  sondern  zugleich  eine  enorme  Verdickung  der  Magenwände 
»  gleichzeitiger  Verkleinerung  des  Organs  im  Ganzen  —  eine  hoch- 
ftdige  Cirrhosis  ventriculi. 

Die  wesentlichen  Punkte  der  Krankengeschichte  sind,  mit  Rttr- 
^g  beziehentlich  Uebergehung  alles  nicht  in  Betracht  Kommenden, 
?6nde : 

Friedrich  R.,  23  jähriger  Schubmacher,  lieber  erbliche  Anlagen  nichts 
ermitteln.  In  frühester  Jugend  Masern;  im  9.  Lebensjahre  eine  „Darm- 
KfinduDg"  (ohne  weitere  Angaben)  und  bald  darauf  eine  Lungenentzün- 
ig.  Fat.  war  stets  schwächlich  und  hinter  seinen  Altersgenossen  in  der 
"perlichen  Entwicklung  zurück,  will  aber  sonst  bis  zu  seinem  15.  Jahre 
Und  gewesen  sein.  Er  trinkt  gar  nicht  und  stellt  Lues  entschieden  in 
t^ede;  auch  ergibt  die  Untersuchung  weder  für  die  eine  noch  die  andere 
Uahme  Anhaltspunkte.     Er  macht  einen  geistig  beschränkten  Eindruck. 

Ueber  den  Beginn   seines  gegenwärtigen  Leidens  macht  er  eine  sehr 

^nthümlicbe  Angabe.     Vor  9  Jahren  verzehrte  er  einen  Hundekopf.    Als 

^egen  dieser  Mahlzeit  von  seinen  Genossen  verspottet  wurde,   bekam 

DrattcbM  ArchlT  f.  klin.  Hedicin.    XXIV.  Bd.  23     ^ 


354  XVIII.  Nothnagel 

er  alsbald  nach  der  Mahlzeit  Ekel  und  sehr  starke  Brechneigung,  erbrach 
jedoch  nichts.  In  der  darauffolgenden  Zeit  will  er  öfters  erbrochen  haben, 
namentlich  nach  festen  schweren  Speisen  (lyKlösse**  werden  besondere  be- 
tont),  and  zwar  meist  alsbald  nach  dem  Essen.  Flttssige  Nahrung  wurde 
vertragen.  Er  kam  allmählich  so  herunter,  dass  er  seine  Arbeit  aufgeben 
musste.  Bei  einer  strengen  Diät,  welche  sich  auf  eine  überwiegend  flüssige 
Nahrung  beschränkte,  war  das  Erbrechen  geringer,  hörte  aber  nie  ganz 
auf.  Mit  diesen  Klagen  stellte  er  sich  im  August  1874  in  der  hiesigen 
Poliklinik  vor;  in  dem  Journal  ist  bemerkt:  „Aufstossen  von  bitterem  Ge- 
schmack, Stuhlgang  unregelmässig;  Schlundsonde  kommt  ohne  Hindemiss 
bis  in  den  Magen.  *  Nach  Entfernung  der  Sonde  soll,  wie  Pat.  angibt  — 
doch  schweigt  das  Journal  hierflber  — ,  durch  den  Mund  eine  beträchtliche 
Menge  Blut  und  übelriechender  Eiter  sich  entleert  haben.  Seit  jener  Zeit 
besserte  sich  der  Zustand,  so  dass  er  grössere  Mengen  auch  consistenter 
Nahrung  ohne  Gefahr  des  Erbrechens  zu  sich  nehmen  konnte;  dabei  hoben 
sich  die  Kräfte  und  er  konnte  wieder  etwas  arbeiten.  —  Im  Spätsommer 
1877  zog  er  sich  eine  Durchnässung  und  Erkältung  zu;  auf  diese  folgte 
Frost  und  danach  stellte  sich  wieder  eine  Verschlimmerung  seines  Magen- 
leidens ein.  Erbrechen  allerdings,  welches  seit  1874  ausgeblieben  war, 
trat  auch  jetzt  nicht  auf,  wohl  aber  Brechneigung,  wenn  er  etwas  grössere 
Mengen  ass ;  besonders  aber  klagte  er,  dass  er  nach  Genuse  weniger  Bisseo 
sich  schon  voll  ftthle  und  warten  müsse  „bis  die  Speisen  sich  gesetzt 
hätten";  auch  will  er  beim  Schlingen  grösserer  Bissen  hinter  dem  Stemon, 
etwa  dessen  Mitte  entsprechend,  eine  schmerzhafte  Empfindung  haben.  Seit 
vorigem  Herbst  besteht  auch  wieder  starkes  Aufstossen  nach  dem  Essen, 
der  Stuhl  ist  angehalten  und  er  will  seitdem  wieder  sehr  heruntergekom- 
men sein.     Seit  einiger  Zeit  hat  auch  das  Sehvermögen  abgenommen. 

Status  praesens  Anfang  Mai  1878  bei  seinem  Aufenthalt  in  der 
Klinik. 

Pat.  ist  für  sein  Alter  dürftig  entwickelt;  die  Knochen  zart,  die  Mus- 
keln besonders  am  Oberkörper  atrophisch,  der  Panniculus  welk;  doch  ist 
zu  bemerken,  dass  der  Schwund  des  Fettpolsters  in  keinem  parallelen  Ter- 
hältniss  zu  der  excessiven  Blässe  steht,  nicht  so  bedeutend  ist  wie  man 
nach  dem  Grade  der  letzteren  erwarten  sollte.  Wachsbleiches  Ausseben 
des  ganzen  Gesichts ;  der  Lippen,  der  Mundschleimhaut;  dabei  leicht  icte- 
rischer  Anflug  der  Conjunctivae.  Haut  am  Rumpf  spröde  und  trocken. 
Keine  Oedeme.  —  Ausser  den  in  der  Anamnese  angegebenen  Beschwerden 
klagt  der  Kranke  über  hochgradige  Mattigkeit  und  über  ein  beständiges 
Kältegefühl ;  bei  theilweiser  Entblössung  des  Körpers  sofort  Gänsehaut  ood 
Zittern. 

Puls  80 — 90 ;  enge  Radialis,  niedrige  Welle,  geringe  Spannung.  R^p« 
12;  Temp.  37,3  (Rectum). 

Das  Blut  siebt  blass  aus.  Die  rothen  Blutkörper  sind  entschieden 
(der  Schätzung  nach)  im  Gesichtsfeld  an  Zahl  vermindert,  die  weissen  aber 
nicht  vermehrt.  Die  rothen  Zellen  zeigen  neben  normalen  Formen  die  ver- 
schiedenartigsten Gestaltveränderungen  y  ganz  kleine  (Mikrocyten),  bimför* 
mig  ausgezogene,  semmelförmige  u.  s.  w.  (ausgeprägte  Poikilocytoee). 

Beständiges  Flimmern  und  Schwarzsehen  vor  den  Augen.  Der  Augea- 
hintergrund   ist  im  Allgemeinen   blasser  als  normal;  daneben  finden  sich 


Cirrhotische  Yerkleinerang  des  Magens  and  Schwand  der  Labdrüsen.     355 

aber  beiderseits  Himörrhagien  von  zum  Tbeil  bedentendem  Darchmesser 
in  sehr  grosser  Zahl.  Sie  sind  punktförmig,  grossfleckig,  breitstreifig ;  neben 
der  einen  Papille  liegt  ein  halbmondförmiger  Fleck.  Meist  finden  sie  sich 
neben  den  Oefässen,  deren  Richtung  folgend.  An  den  Papillen  selbst  nichts 
fiemerkenswerthes. 

Ab  und  zu  Nasenbluten. 

Appetit  sehr  gering;  Pat.  geniesst  fast  nur  flttssige  Nahrung,  und 
diese  immer  nur  in  kleinen  Mengen ;  dabei  wird  jedesmal  nur  ein  kleiner 
Bissen  hinuntergeschluckt.  Der  Schlingact  selbst  scheint  flbrigens  normal 
vor  sich  zu  gehen.  Zunge  blass,  feucht,  nicht  belegt  Bei  ruhiger  Lage 
kein  Schmerz. 

Abdomen  kahnförmig  eingesunken;  etwas  Diastase  der  Musculi  recti. 
Im  Epigastrium  sieht  man  oberhalb  des  Nabels  das  Pnlsiren  der  Aorta. 
Druck  im  Epigastrium  etwas  empfindlich ;  aber  die  Palpation  lässt  nirgends 
am  Abdomen  etwas  Besonderes  erkennen,  insbesondere  ist  in  der  Magen- 
^end  ein  Tumor  oder  eine  sonstige  Abnormität  nicht  mit  Sicherheit  zu 
palpiren.*  Auch  die  Percussion  ergibt  im  Wesentlichen  anscheinend  nor- 
male Verhältnisse. 

Bei  der  Untersuchung  mit  der  Schlundsonde  gelangt  man  ohne  Schwie- 
rigkeit in  den  Magen. 

Am  Herzen,  ausser  einem  leichten  systolischen  Blasen,  und  in  den 
Longen  nichts  Pathologisches  nachweislich. 

Urinmenge  vermindert,  c.  500  CC,  Sp.  Gew.  1,0 15,  sauer,  klar,  gelb, 
ohne  Eiweiss,  aber  deutliche  Indlcanreaction.  — 

Verlauf.  Der  Zustand  blieb  in  allen  genannten  Erscheinungen  durch 
die  folgenden  Wochen  der  gleiche;  dazu  kamen  folgende  Veränderungen: 
von  Mitte  Mai  ab  stellte  sich  Temperaturerhöhung  ein,  aber  mit  einer  voll- 
ständig irregulären  Curve,  das  Minimum  37,8^,  das  Maximum  39,5®  (im 
Rectum);  bald  war  die  Morgen-,  bald  die  Mittags-,  bald  die  Abendtempe- 
ratnr  die  höchste. 

Mehrmals  traten  AnfliUe  von  Bewusstlosigkeit  auf,  anscheinend  syn- 
eopaler  Natur.  Am  25.  Mai  unvollkommener  Bewusstseinsverlust,  Patient 
spricht  etwa  20  Minuten  lang  wirr  vor  sich  hin,  und  man  constatirt  eine 
Parese  des  rechten  Facialis  und  der  rechtsseitigen  Extremitäten.  Er  kam 
dann  wieder  zu  sich  und  eine  halbe  Stunde  später  war  von  den  Lähmungs- 
eracbeinungen  nichts  mehr  zu  bemerken. 

Am  30.  Mai  wurde  die  arterielle  Transfusion  gemacht,  und  zwar  wurde 
das  von  einem  gesunden  Studenten  entnommene  Blut  in  das  periphere  Ende 
der  rechten  Radialis  mjicirt.  Patient  befand  sich  in  den  ersten  Tagen  da- 
nach besser  (die  genauere  Schilderung  der  Einzelheiten  übergehe  ich).  Die 
Transfusion  wnrde  aber  nicht  wiederholt,  weil  die  erste  Wunde,  trotz  strenger 
Antisepsis,  nicht  die  mindeste  Neigung  zur  Verheilung  zeigte.  Dann  ver- 
fiel der  Kranke  immer  mehr,  an  verschiedenen  Hautstellen  traten  Petechien 
aaf,  und  am  8.  Juni  erfolgte  der  Tod. 

Seetion  (Prof.  W.  M  All  er)  im  kurzen  Auszüge,  mit  alleiniger  Her- 
vorhebung der  pathologischen  Veränderungen.  Hochgradige  Blässe  aller 
Organe;  Unterhautbindegewebe  nahezu  fettlos,  Muskeln  dttnn  und  bleich, 
b  Ferschiedenen  Organen  finden  sich  Hämorrhagien ,  meist  punktförmig, 
zum  Tbeil  auch  etwas  grössere  Stellen  bildend,  so  im  Pericardium,  in  beiden 

23* 


356  XVm.  NOUSNAOEL 

Pleuren,  am  Kehldeckel,  in  der  Larynxschleimhaat,  im  Oesophagus,  in  der 
Blase,  im  Lig.  gastro-colicam.  Eine  Anzahl  theils  panktförmiger  thetls 
mehr  fläcbenhafter  Sugillationen  in  der  Retina  beider  Balbi ;  ebenso  in  der 
Lamina  fasca  der  vorderen  H&lfte  des  Bnlbns. 

Hypostatische  Pneumonie  beider  Unterlappen,  besonders  links,  und 
gleichfalls  besonders  links  serofibrinöse  Pleuritis.  —  Einige  frische  Excres- 
cenzen  am  inneren  Mitralsegel. 

Ziemlich  starke  und  ausgedehnte  Paehymeningitis  haemorrhagica.  Ge- 
hirn im  Allgemeinen  sehr  bleich.  Haselnussgrosser  rother  Erweicbungsherd 
in  der  Pars  frontalis  media  des  Gentrum  semiovale  linkerseits;  eine  An- 
zahl punktförmiger  Hämorrhagien  zwischen  diesem  Herd  und  der  grauen 
Substanz  des  Gyrus  fornicatus  in  dessen  Stirnabschnitt.  Zerstreute  punkt- 
förmige Hämorrhagien  in  beiden  Inneren  Kapseln,  in  beiden  Ammons- 
hörnern,  in  den  Basa|theilen  von  Linse  und  SehhQgel,  in  Haube  und  Basis 
des  Hirnstiels,  in  beiden  Gerebellarhemisphären. 

Im  Oesophagus  ausser  den  erwähnten  Hämorrhagien  nichts  wesentlich 
Pathologisches. 

Der  Magen,  welcher  äusserst  wenig  gallig  gefärbten  trüben  Inhalt 
hat,  ist  hochgradig  verkleinert.  Seine  Länge  beträgt  t2  Gentimeter,  der 
senkrechte  Durchmesser  von  der  kleinen  zur  grossen  Gurvatur  in  maximo 
6  Gentimeter.  Das  Lumen  hat  einen  derartigen  Durchmesser,  dass  es  etva 
eine  grosse  Birne  aufnehmen  könnte.  Dabei  sind  die  Wandungen  enoro 
verdickt,  steif  und  starr,  knirschen  fast  unter  dem  Messer.  Die  Verdickung 
ist  gleichförmig,  glatt,  am  stärksten  nach  dem  Pylorns  zu  ausgesprochei ; 
hier  ist  die  Submucosa  beinahe  1  Gentimeter  dick,  grauweiss;  die  Mob- 
cularis  6  Millimeter  dick,  graugelb.  Die  Schleimhaut  im  Gardiatheil  schwie- 
lig, intensiv  rostgelb  gefib'bt;  im  Pylorustheil  theils  glatt  und  grauweiss^ 
theils  schwielig  und  an  der  Oberfläche  wie  rauh,  rostgelb.  —  Im  ganzen 
übrigen  Darm  nichts  Pathologisches. 

Der  mikroskopische  Befund  ist  nach  einer  freundlichen  Aufsdeii- 
nung  meines  verehrten  Gollegen  Prof.  W.  Müller  folgender: 

Der  Bau  des  Magens  ist  an  der  Gardia,  am  Pylorus  und  drei  da- 
zwischen gelegenen  Stellen  untersucht  .worden. 

An  der  Gardia  und  den  drei  zwischen  Gardia  und  Pylorus  befindliclien 
Stellen  ist  die  Schleimhaut  auf  senkrechten  Schnitten  am  in  Alkohol  ge- 
härteten Präparat  0,15  bis  0,45  Mm.  dick,  während  ihre  Dicke  am  ent- 
sprechend gehärteten  normalen .  Magen  im  Mittel  1,1  Mm.  beträgt  Die 
Oberfläche  ist  theils  eben,  theils  wellig,  hie  und  da  mit  kurzen,  relatir 
dicken  papillären  Vorsprflngen  besetzt.  Epithel  ist  an  der  Oberfläche  nicht 
nachweisbar.  Die  Stelle  der  Schleimhaut  wird  eingenommen 
von  welligem  fibrillärem  Bindegewebe,  mit  spärlichen  6e- 
fässen.  Das  Bindegewebe  ist  theils  zellenarm,  theils  reich  an  Leukocjteo 
und  ellipsoidischen  Zellen.  Die  Menge  der  zwischen  den  Fibrillen  befind- 
lichen Zellen  ist  an  den  Stellen  mit  stärkerer  papillärer  Unebenheit  so  be- 
trächtlich, dass  der  Bau  an  jenen  cytogenen  Bindegewebes  erinnert.  Nach 
Aussen  hin  nimmt  auch  an  diesen  Stellen  der  Zellenreichthum  ab.  An  des 
sugilürten  Stellen  sind  die  Maschen  des  Bindegewebes  auseinandergedrängt 
und  von  dicht  gedrängten  Blutkörpern  erfüllt.  Drüsen  sind  an  allen 
diesen  Stellen  nicht  nachweisbar. 


Cirrhotische  Yerkletnerang  des  Magens  und  Schwand  der  Labdrüsen.    357 

Die  Moscularis  mncosae  ist  streckenweise  verdickt,  enthalt  aber  noch 
Moskelzellen ;  die  Verdickung  ist  am  Cardiatheil  beträchtlich. 

Das  stark  verdickte  submncöse  Bindegewebe  verhält  sich  ungleich,  in- 
dem dasselbe  theils  den  gewöhnlichen  Bau  schwieligen  Bindegewebes  zeigt, 
theilfl  von  mehr  lockerer  Beschaffenheit  ist  und  zahlreiche  z.  Th.  grosse 
Spaltränme  enthält,  was  vermnthen  lässt,  dass  im  frischen  Zustande  schwie- 
lige und  ödematöse  Stellen  mit  einander  abgewechselt  haben.  An  beiderlei 
Stellen  ist  das  snbmocöse  Bindegewebe  zellenarm. 

Die  stellenweise  enorm  verdickte  Maskelschicht  ergibt  den  Befand  ein- 
facher Hypertrophie. 

Am  Pylorus  ist  der  Bau  der  Magen  wand  in  einer  wenig  über  10  Mm. 
breiten  Zone  wesentlich  anders  beschaffen.  Die  Schleimhaut  besitzt  hier 
ao  der  Grenze  gegen  das  Duodenum  auf  senkrechten  Schnitten  am  gehär- 
teten Präparat  eme  Dicke  von  1,1  Mm.;  in  der  Richtung  gegen  die  Car- 
dia  nimmt  diese  Dicke  erst  allmählich,  dann  rascher  bis  auf  0,55  ab.  Die 
Drüsen  zeigen  an  der  Grenze  gegen  das  Duodenum  normalen  Bau  mit  spär- 
lichem, Längsmuskeln  führendem,  interstitiellem  Bindegewebe ;  in  der  Rich- 
timg gegen  die  Cardia  nehmen  die  Drüsen  an  Höhe  ab  und  zugleich  ist 
ihr  Verlauf  mehr  unregelmässig,  das  Lumen  streckenweise  erweitert.  Das 
ioterstitielle  Bindegewebe  wird,  je  mehr  gegen  die  Cardia  hin,  desto  reich- 
licher und  zeigt  grossen  Reichthum  an  spindelförmigen,  namentlich  aber 
an  runden  Zellen;  seine  Masse  nimmt  gegenüber  jener  der  Drüsen  rasch 
in  dem  Grade  zu,  dass  an  der  Grenze  der  Pyloruszone  nur  noch  verein- 
zelte kurze  streckenweise  erweiterte  Drüsen  in  demselben  nachweisbar  sind. 

Der  Bau  des  Duodenum  zeigt  keine  Abweichung  von  der  Norm. 

Dass  nnser  Kranker  die  Gesammtheit  der  Erscheinangen  dar- 
bot, bei  deren  Vorliandensein  man  den  klinischen  Begriff  der  seit 
Biermer  so  genannten  pernieiösen  progressiven  Anämie  diagnosti- 
cirt,  bedarf  keiner  weitern  Ausführung.  Hochgradigste  allgemeine 
Blässe,  alle  Folgesymptome  der  Anämie,  Netzhautblutungen,  anämi- 
sches Fieber,  Mikro-  und  Poikilocytose ,  und  dazu  auf  den  ersten 
Blick  anscheinend  negatives  Ergebniss  bei  der  Untersuchung  der  ein- 
zelnen Organsysteme  —  diese  Momente  genügen  für  die  Diagnose. 

Auf  die  Frage,  ob  die  pemiciöse  Anämie  immer  nur  der  sympto- 
matologische  Ausdruck  bestimmter,  verschiedenartigster  Organerkran- 
kungen  sei,  oder  auch  als  „selbständige''  Bluterkrankung  auftreten 
könne,  überhaupt  einzugehen,  liegt  hier  nicht  in  meiner  Absicht. 
Für  unseren  Fall  musste  man  bei  genauerer  Ueberlegung  auf  die 
Vermuthung  geführt  werden,  dass  dieser  hochgradigsten  Anämie  eine 
bestimmte  anatomische  Lftsion  als  Ursache  zu  Grunde  liegen  möchte 
—  und  zwar  wiesen  die  Erscheinungen  auf  den  Magen,  als  das  primär 
erkrankte  Organ,  hin.  Das  Leiden  begann  vor  neun  Jahren  mit  Er- 
brechen, und  während  des  ganzen  Verlaufes  berichtet  Patient  über 
ein  Steigen   und  Fallen  der  Allgemeinsymptome  im  fortlaufenden 


358  XYIIL  Nothnagel 

Verhältniss  mit  den  oben  geschilderten  Magensymptomen,  bis  scbliess» 
lieh  erstere  in  den  Vordergrund  traten  und  dem  Krankheitsbilde  den 
massgebenden  Stempel  aufprägten. 

Welcher  Natur  aber  konnte  dieses  Magenleiden  sein?  Ich  glaube 
nicht  des  Weiteren  ausführen  zu  müssen,  wie  sehr  erhebliche  Be- 
denken gegen  die  Annahme  eines  Ulcus  simplex  oder  einer  malignen 
Neubildung  sprachen,  wenigstens  fehlen  verschiedene  positive  An- 
haltspunkte für  dieselben.  Auch  eine  blosse  chronische  Dyspepsie, 
oder  ein  gewöhnlicher  chronischer  Magenkatarrh  (im  gebräuchlichen 
anatomischen  Wortsinn)  dürften  zur  Erzeugung  eines  derartigen 
Erankheitsbildes  nicht  ausreichen.  Dagegen  entsprach  dasselbe  darch- 
aus  demjenigen,  welches  am  ausführlichsten  S.  Fenwick  als  bei 
Atrophie  der  Labdrüsen  vorkommend  geschildert  hat. 

Dass  bei  unserem  Falle  die  Cirrhose  des  Magens  das  Primäre, 
die  Drüsenatrophie  das  Secundäre  gewesen,  kann  man  wohl  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  annehmen.  Was  aber  die  Anregung  zu  der  Binde* 
gewebswucherung  gegeben,  ist  schwerer  zu  bestimmen.  Die  anamne- 
stische Angabe  des  Kranken,  dass  nach  der  Einführung  der  Sonde 
Blut  und  Eiter  sich  entleert  habe,  könnte  auf  die  Vermuthung  einer 
vorhergegangenen  Gastritis  phlegmonosa  führen ;  indessen  ist  es  frag- 
lich, wie  weit  man  den  Mittheilungen  des  stupiden  Patienten  trauen 
darf,  namentlich  da  in  dem  poliklinischen  Journal  gar  nichts  davon 
bemerkt  ist.  Alkoholmissbrauch,  aufweichen  namentlieh  Brinton^) 
Gewicht  legte,  hat  hier  entschieden  nicht  stat^efunden.  Dass  die 
Hypertrophie  durch  das  Erbreehen  angeregt  sei  —  Bruch  2)  meint, 
dass  rt  neurotische  Zust&nde,  namentlich  krankhaftes  und  anhaltendes 
nervöses  Erbrechen  zu  Hypertrophien  führen '  könne  —  ist  eine  fOr 
diesen  Fall  (wenn  überhaupt)  wohl  kaum  beweisbare  Hypothese.  Da- 
gegen erscheint  es  als  das  Nächstliegende,  dass  hier  ein  Magen- 
katarrh der  Ausgangspunkt  gewesen  sei,  welcher  dann  auch  in 
den  tieferen  Gewebsschichten  Veränderungen  veranlasste.  L  e  u  b  e  ^) 
scheint,  abweichend  von  mehreren  anderen  Beobachtern,  diesen  Modm 
für  alle  Fälle  von  Girrhosis  ventriculi  anzunehmen.  Allerdings,  wenn 
die  Sache  sich  so  einfach  verhielte,  bliebe  immer  noch  zu  beant- 
worten, warum  trotz  der  grossen  Häufigkeit  der  chronischen  Magen- 
katarrhe Cirrhose  sich  so  relativ  selten  entwickle. 

Indessen  beabsichtige  ich  in  dieser  kuven  Mittheilung  auch  niebt, 

1)  Krankheiten  des  Magens,  übersetzt  von  Bauer.    Wttrzborg  1B62. 

2)  Ueber  Magenkrebs  und  Hypertrophie  der  Magenb&ute  in  anatomischer  and 
klinischer  Hinsicht.    Zeitschrift  für  ration.  Med.  1849.  YÜI.Bd.  3.  Heft 

3)  V.  Ziemssen*s  Handbuch  d.  spec.  Path.  u.  Ther.  Bd.  VH.  2.  H&lfte.  2.  Aai 


Cirrhotische  Verkleinerung  des  Magens  und  Schwand  der  Labdrüsen.     359 

auf  die  Pathologie  der  Magencirrhose  einzugehen  und  erlaube  mir 
deswegen  auf  die  ausführliehe  soeben  erwähnte  ältere  Arbeit  von 
Brach  zu  verweisen;  die  weitere  Literatur  bis  zum  Jahre  1872  findet 
sich  bei  Wilson  Fox^,  und  bis  1876  bei  Lesser^)  zusammen- 
gestellt In  allen  diesen  Arbeiten  ist  ganz  überwiegend  oder  aus- 
schliesslich die  bindegewebige  Verdickung  der  Magenwände  (Linitis 
plastica  nach  Brinton)  besprochen,  ihre  anatomische  beziehentlich 
klinische  Unterscheidung  von  malignen  Neubildungen,  ihre  Entstehung 
u.  8.  w.  erörtert. 

Ausser  der  Cirrhose  kommt  aber  in  unserem  Falle  ganz  wesent- 
lich die  Atrophie  der  Labdrüsen  in  Betracht,  welche  in  vielen 
älteren  Arbeiten  nur  ganz  oberflächlich  oder  wenigstens  als  neben- 
sächlich  neben  der  Cirrhose  berührt  ist.  Ein  theilweiser  Untergang 
der  Drüsen  des  Magens  (durch  vollständige  Atrophie  oder  cystische 
Äbschnürung)  wird  seit  längerer  Zeit  beim  chronischen  Katarrh 
gekannt;  Handfield  Jones,  Wilson  Fox^),  Habershon^), 
Leube  (1.  c.)  und  verschiedene  andere  Autoren  haben  diesen  Zu- 
stand anter  den  anatomischen  Veränderungen  des  chronischen  Magen- 
katarrhs aufgeführt.  Die  meisten  Autoren  jedoch  legen  ihm  bei  der 
Symptomatologie  des  Magenkatarrhs  oder  überhaupt  der  Magener- 
krankungen keine  ausdrückliche  Wichtigkeit  bei  (oder  thun  es  viel- 
leicht nur  stillschweigend).  Meines  Wissens  ist  es  zuerst  Fenwick  ^) 
gewesen,  welcher  bestimmte  klinische  Symptome  direct  von  der  Lab- 
drüsenatrophie abgeleitet  hat;  einschlägige  Bemerkungen  einiger  an- 
derer.  Schriftsteller  sollen  weiterhin  erwähnt  werden. 

Hauptzweck  dieser  Mittheilung  ist,  in  Kürze  zu  erörtern,  welche 
klinischen  Symptome  die  Atrophie  der  Labdrüsen,  be- 
ziehungsweise welche  die  mit  Verkleinerung  der  Magen- 
lichtung einhergehende  Magencirrhose  bedingt,  und  ob 
diese  Zustände  einer  sicheren  Diagnose  zugängig  sind. 

Vorweg  ist  die  Frage  zu  beantworten,  ob  die  Atrophie  der  Drüsen 
vorkommt  ohne  Verdickung  der  Magenwand  und  ohne  Schrumpfung 
des  OrganeSi  und  umgekehrt  letztere  ohne  erstere. 

In  einer  erheblichen  Anzahl  der  Fälle  von  diffuser  ausgespro- 
chener Magencirrhose  (mit  Schrumpfung  des  Organes  —  denn  nur 
diese  Fälle  sollen  hier  berücksichtigt  werden)  ist  ein  vollständiger 


1)  In  Reynolds'  A  System  of  Medicine.    London  1872.  Vol.  IL  p.  975. 

2)  Cirrhosis  ventriculi.    Inaug.-Diss.    Berlin  1876. 

3)  1.  c.  p.  903. 

4)  DiBeases  of  the  alimentary  canal.   1857. 

5)  Lectore  on  atrophy  of  the  stomach.    The  Lancet  1877.  Joly  7  sqq. 


360  XYIII.  Nothnagel 

oder  bis  auf  geringe  Beste  sich  erstreckender  Untergang  der  Lab- 
drttsen  vermerkt;  so  war  es  in  meinem  Falle,  so  in  den  Beobach- 
tungen Nr.  1,  3,  7  bei  Brueh,  und  in  mehreren  weiteren,  Aber 
welche  jedoch  klinische  Mittheilungen  mangeln.  Andere  Male  ist 
nur  ein  Theil  der  Drttsen  verschwunden,  ein  anderer  noch  vorhan- 
den, so  in  den  Fällen  Nr.  2  und  6  bei  Bruch.  Einzelne  Autoren 
schweigen  ganz  über  das  Verhalten  der  Drttsen,  und  nicht  blos  in 
der  älteren,  sondern  selbst  in  der  neuesten  Literatur  kommt  dies  vor: 
so  Charles^),  welcher  eine  hochgradige  cirrhotische  Verkleinerung 
des  Magens  beschreibt.  J.  Vogel  (bei  Bruch  S.  349)  wiederam 
theilt  einen  Fall  mit,  in  welchem  es  heisst:  ^die  Schleimhaut  war 
eine  Linie  dick  und  schien  normal,  enthielt  auch  deutliche  Magen- 
drttsen  ^ ;  allerdings  wird  dann  weiter  noch  gesagt,  dass  auf  derselben 
mehrere  Geschwttre  sich  befunden  hätten ;  ttbrigens  ist  von  einer  Ver- 
kleinerung des  Magenlumens  nicht  die  Bede. 

Wenn  also  auch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  bei  cirrhotischer 
Schrumpfung  die  Labdrttsen  untergehen,  so  kommt  es  doch  vor,  dass 
gelegentlich  ein  grösserer  oder  geringerer  Theil  derselben  wohl  er- 
halten ist  —  ob  ihre  Oesammtheit  unversehrt  bleiben  kann,  ist  auf 
Orund  von  Beobachtungen  nicht  zu  sagen,  ttbrigens  wohl  unwahr- 
scheinlich. 

Die  Atrophie  der  Labdrttsen  kommt  aber  auch  ohne  erhebliche 
und  selbst  ohne  jede  Verdickung  der  Magenwand  vor,  bei  ganz  nor- 
malen Verhältnissen  der  Lichtung  und  der  Gapacität  des  Organes. 
Dies  trifift  zu  fttr  die  meisten  Fälle,  wo  sie  in  beschränkter  Ausdeh- 
nung Magenkatarrhe  begleitet;  noch  mehr  aber  fttr  die  Art  von  Fällen, 
welche  Fenwick  beschrieben  hat  Hier  scheint  die  Atrophie  der 
Labdrttsen  die  wesentliche  und  hauptsächliche  Alteration  zu  sein: 
die  Gapacität  des  Magens  ist  gar  nicht  verringert,  seine  Wandang 
ist  eher  verdttnnt  als  verdickt.  Ob  in  derartigen  Fällen  eine  inter- 
stitielle Wucherung  in  der  Schleimhaut  das  Primäre  ist  und  diese 
erst  die  Atrophie  der  Drttsen  im  Gefolge  hat,  oder  ob  letztere  von 
vornherein  als  selbständiger  Process  sich  entwickelt,  das  wage  ich 
nicht  mit  Bestimmtheit  auszusprechen.  Jedoch  möchte  ich  das  wenig- 
stens betonen,  dass  die  Annahme,  auch  hier  handele  es  sich  um  die 
Veränderungen  und  Folgen  eines  „  Magenkatarrhs^  im  gewöhnlichen 
Wortsinn,  im  Hinblick  auf  den  klinischen  Verlauf  dieser  Fälle 
sehr  unwahrscheinlich  ist. 

Es  gibt  also  drei  Beihen  von  Fällen:  eine,  in  welcher  die  Drflsen 

1)  On  a  case  of  cirrhosis  er  fibroid  Infiltration  of  the  stomach.  Dublin  Joorn. 
of  Med.  Scienc.  187S.  March. 


CiirhotiBche  Yerkldnernng  des  Magens  und  Schwund  der  Labdrüsen.     361 

atrophisch  sind  ohne  Verdickung  der  Magenwand  und  ohne  Verklei- 
nerung seiner  Lichtung ;  eine  zweite,  in  welcher  hochgradige  Cirrhose 
und  Verkleinerung  des  Magens  ohne  nennenswerthen  Schwund  der 
DrQsen  besteht;  eine  dritte,  wo  beide  Zustände  existiren. 

Von  Yomherein  kann  man  nun  sich  sagen,  dass  der  erste  dieser 
drei  Zustände  im  Wesentlichen  Folgen  bedingen  muss,  welche  einer. 
Störung  beziehungsweise  einem  Ausfall  der  Magenverdauung  entspre- 
chen; während  der  zweite  zunächst  mechanische,  physikalische  Sym- 
ptome veranlassen  wird ;  bei  dem  dritten  werden  sich  beide  Sympto- 
mengruppen vereinigen. 

Fenwick  beobachtete  bei  vier  Patienten  der  ersten  Gruppe 
(Atrophie  der  Labdrüsen  ohne  Verdickung  der  Wand  und  ohne  Ver- 
kleinerung des  Magenlumens),  deren  Autopsie  gemacht  wurde  (einer 
davon  gehört  Ramskill,  ein  anderer  Handfield  Jones),  eine 
hochgradige  Anämie:  äusserste  Blässe,  Erschöpfbarkeit  und  Mattig- 
keit, Palpitationen  und  Eurzathmigkeit  bei  jeder  Bewegungsanstren- 
gung; Puls  klein,  anämische  Herz-  und  Oefässgeräusche.  Drei  von 
diesen  Kranken  waren  fett,  nur  einer  abgemagert.  Die  Untersuchung 
der  einzelnen  Oi^ane  ergab  keine  Abnormität.  In  dem  einen  Fall, 
in  dem  eine  mikroskopische  Blutuntersuchung  vorgenommen  wurde, 
zeigte  sich  „eher  eine  Verminderung  in  der  Zahl  der  weissen  Blut- 
zellen "  (mehr  ist  darüber  nicht  gesagt).  —  Seitens  des  Verdauungs- 
apparates bestanden  folgende  Symptome:  constant  war  „ schlechter, 
sehr  schlechter,  äusserst,  schlechter  Appetit";  die  übrigen  Erschei- 
nungen wechselten  in  den  verschiedenen  Fällen.  Der  Stuhl  war  ein- 
mal regelmässig,  einmal  bestand  Diarrhoe,  einmal  Neigung  dazu, 
einmal  Verstopfung.  Erbrechen  fehlte  in  zwei  Fällen,  einmal  erschien 
es  in  den  letzten  Lebenstagen,  einmal  trat  im  Verlauf  der  Krankheit 
gelegentlich  galliges  Erbrechen  auf.  Zwei  Kranke  litten  an  Auf- 
stossen,  einer  an  Gefühl  von  Druck  und  Vollsein  nach  dem  Essen. 
Eigentliche  Schmerzen,  irgendwelche  Ergebnisse  der  objectiven  Unter- 
snchung  des  Abdomen  fehlten  durchaus.  —  Die  Entwickelung  der 
Anämie  war  immer  langsam,  schleichend,  die  Dauer  des  Leidens 
vom  Auftreten  der  ersten  bemerkbaren  Symptome  betrug  der  unge- 
fähren Berechnung  nach  ein  halbes  bis  einige  Jahre. 

Quincke^)  beschreibt  einen  Fall  von  pemiciöser  Anämie,  in 
welchem  der  Kranke  seit  drei  Jahren  an  Magenschmerz  und  Er- 
brechen fast  nach  jeder  Mahlzeit  litt.  Die  Magenschleimhaut  war 
sehr  dünn  und  blass;  die  Magensaftdrüsen  erschienen  sehr  sparsam. 


1)  Ueber  perniciöse  Anämie.    Volkmann's  Samm}.  klin.  Vorträge  (Fall  Nr.  6). 


362  XYUL  NOTHNAOEL  . 

durch  weite  Zwisehenräame  von  einander  getrennt  Verfasser  be- 
merkt dazu:  „vielleicht  bildete  die  Atrophie  der  Magenschleimhaot 
in  diesem  Falle  den  Ausgangspunkt  des  Leidens." 

Eine  von  Brabazon^)  mitgetheilte  Beobachtung,  in  welcher  bei 
einer  Patientin  Appetitlosigkeit  und  hochgradige  Anämie  mit  allen 
.ihren  Symptomen  sich  entwickelten,  ohne  dass  die  mindeste  Verän- 
derung eines  Organes  bei  der  Untersuchung  aufzufinden  war,  ist  nicbt 
stichhaltig.  Verfasser  bezeichnet  allerdings  —  die  übrigen  Organe 
erwiesen  sich  bei  der  Section  als  normal  —  die  Magen  Wandungen 
dem  Anschein  nach  als  „  äusserst  atrophisch ",  aber  die  entscheidende 
mikroskopische  Untersuchung  fehlt. 

Diese  Fälle  lehren  fflr  die  Symptonratologie  der  Labdrtl- 
senatrophie  Folgendes.  Regelmässig  entwickelt  sich,  bald  rascher, 
bald  langsamer,  eine  hochgradige  Anämie  mit  allen  dieser  zukom- 
menden Erscheinungen,  welche  insoweit  dem  Begriffe  der  „  pemiciosen 
progressiven "  Anämie  durchaus  entspricht,  als  sie  unaufhaltsam  und 
sicher  zum  Tode  fflhrt.  Es  bedarf  wohl  ebensowenig  eines  Beweises 
wie  einer  Ausführung,  dass  der  gänzliche  Ausfall  der  Magenverdau- 
ung  die  Veranlassung  dieser  Anämie  ist;  während  andererseits,  wie 
bereits  Fenwick  bemerkt,  der  zuweilen  gut  erhaltene  Panniculos 
adiposus  sich  ungezwungen  damit  vereinigen  lässt,  da  ja  die  Mund- 
und  Darmverdauting  unbeeinträchtigt,  ist.  —  Regelmässig  ist  femer 
eine  mehr  oder  weniger  hochgradige  anhaltende  Appetitlosigkeit  — 
Nicht  regelmässig  dagegen  gehören  zum  Bilde  andere  direct  und  un- 
mittelbar auf  den  Magen  hinweisende  Symptome :  subjective  Empfin- 
dungen im  Bereich  desselben,  Aufstossen,  Erbrechen.  Zuweilen  sind 
dieselben  mehr  oder  weniger  ausgeprägt  vorhanden,  zuweilen  aber 
fehlen  sie  vollständig.  Es  lässt  sich  nicht  entscheiden,  aus  welchen 
Gründen  bald  dieses  bald  jenes  Verhalten  entspringt 

Man  sieht,  dass  es  Symptome,  welche  bestimmt  und  direct  eine 
Labdrttsenatrophie  erschliessen  lassen,  nicht  gibt  Die  Diagnose 
wird  auf  dem  Wege  der  Ausschliessung  geschehen  müssen,  nicht 
unmittelbar  aus  den  Erscheinungen  abgeleitet  werden  können,  und 
deshalb  immer  nur  einen  gewissen  Wahrscheinlichkeits- 
grad erreichen  können.  Ich  möchte  so  formuliren:  man  wird 
das  Vorhandensein  einer  Labdi^senatrophie  überhaupt  in  Erwftgung 
ziehen,  wenn  das  Bild  einer  hochgradigen,  sogenannten  pemidöeen 
progressiven  Anämie  vorliegt,  für  welche  irgend  eins  der  vielen  sie 


1)  Gase  of  genend  atrophy  of  stomach,  with  absence  of  organic  disease.  Brit 
med.  Journ.  1878.  July  27. 


Cirrhotisclie  Yerkleinening  des  Magens  and  Schwund  der  LabdrOsen.    363 

reranlaasenden  uraAehlichen  Momente  nioht  aufzufinden  ist.  Besteht 
dann  ausser  den  anämischen  Symptomen  weiter  nichts  als  hochgra* 
dige  Anorexie,  welche  ja  übrigens  von  der  An&mie  selbst  abhängen 
könnte,  so  wird,  obwohl  dann  auch  LabdrQsenatrophie  vorhanden 
sein  kann,  die  Diagnose  vollständig  in  der  Luft  schweben.  Treten 
aber  daneben  noch  eigentliche  weitere  Magensymptome  hervor,  wie 
Erbrechen,  Magenschmerzen,  Anfstossen,  so  wird  man  schon  mit  einer 
gewissen  Wahrscheinlichkeit  an  Labdrttsenatrophie  denken  können. 
Allerdings  wird  man  auch  dann  noch  bei  weitem  keine  Sicherheit 
haben,  weil  im  Symptomenbilde  der  perniciösen  Anämie  nicht  zu 
selten  Erbrechen  sich  zeigt  auch  da,  wo  dieselbe  nicht  von  einer 
Labdrttsenatrophie  bedingt  ist  —  Im  Ansehluss  hieran  sei  bemerkt, 
daas  es  wttnschenswerth  ist,  bei  den  Sectionen  pemiciöser  Anämie, 
falls  nicht  anderweite  offenbare  Organerkrankungen  bestehen,  regel- 
mässig auf  Labdrttsenatrophie  zu  untersuchen. 

Die  Symptomatologie  der  zweiten  Gruppe  (hochgradige  cir- 
rhotische  Verkleinerung  ohne  wesentlichen  Schwund  der  Labdrttsen) 
ist  aus  den  in  der  Literatur  vorhandenen  Krankengeschichten  nur 
sehr  Ittckenhaft  abzuleiten.  Von  dem  erwähnten  Falle  Vogel's 
wird  nur  berichtet,  dass  der  Mann  keine  bedeutenden  Symptome 
eines  Magenleidens  gehabt,  kein  Erbrechen,  keinen  Schmerz  in  der 
Magengegend,  nur  Mangel  an  Appetit ;  indessen  ist  auch,  wie  erwähnt, 
die  Verkleinerung  des  Magens  hier  fraglich,  der  Fall  also  ttberhaupt 
nicht  recht  verwendbar  fttr  Schlussfolgerungen.  In  den  meisten  Be- 
obachtungen werden  Symptome  beschrieben,  welche  ganz  analog  sind 
den  beim  Ulcus  oder  noch  mehr  beim  Carcinoma  ventriculi  vorkom- 
menden :  zuweilen  Druck  oder  Schmerzen  in  der  Magengegend,  häu- 
figes Erbrechen,  Aufstossen,  Appetitlosigkeit  und  Abmagerung.  Be- 
sonders hervorheben  möchte  ich,  dass  schliesslich  Abmagerung  auch 
in  allen  den  Fällen  eintrat,  wo  die  Labdrttsen  noch  zum  Theil  er- 
halten waren.  Dies  kann  nicht  ttberraschen,  wenn  man  berttcksich- 
tigt,  wie  viele  Umstände  hier  zusammentreffen,  um  die  allgemeine 
Ernährung  zu  beeinträchtigen:  die  hochgradige  Verkleinerung  des 
Magenlumens,  die  vernichtete  Peristaltik  der  Wandungen,  der  katar- 
rhalische Zustand  der  Schleimhaut,  das  Erbrechen  und  die  Appetit- 
losigkeit, und  schliesslich  doch  meist  ein  theilweiser  Untergang  der 
Pepsindrftsen. 

Abgesehen  jedoch  von  diesen  vieldeutigen  functionellen*  Störun- 
gen, welche  begreiflicher  Weise  nicht  das  mindeste  Charakteristische 
für  die  cirrhotische  Verkleinerung  des  Magens  besitzen,  muss  die- 


364  XVin.  Nothnagel 

selbe  auch  noeh  physikalische  und  mechanische  Symptome  veran- 
lassen. 

Die  Verdickung  der  Wandungen  wird  den  tastenden  Fingern  als 
eine  gleichmässige,  glatte,  die  Contonren  des  Magens  in  yerkleiner- 
tem  Maassstabe  wiedeigebende,  ziemlich  derbe  Resistenz  erscheinen. 
Leider  wird  es  nicht  immer  gelingen,  eine  solche  nachzuweisen ;  auch 
in  meinem  Falle  war  es  trotz  wiederholten  Untersuchens  nicht  mög- 
lich. Der  Orund  ist  dann  wohl,  dass  der  Magen  von  der  Leber 
überdeckt  wird.  (Ob  umgekehrt  eine  wirkliche  diffuse  Cirrhose  mit 
einer  „erheblichen  kugeligen  Hervorwölbung  der  Magengegend *"  ein- 
hergehen kann,  wie  Lesser  für  den  von  ihm  beschriebenen  Fall 
annimmt,  halte  ich  nicht  fttr  bewiesen;  in  Lesser 's  Fall  fehlt  die 
Section,  die  Diagnose  ist  demnach  anfechtbar,  und  andere  derartige 
Beispiele  sind  mir  aus  der  Literatur  nicht  bekannt.)  Aber  selbst 
wenn  man  die  geschilderte  Art  von  Resistenz  ftthlt,  darf  man  nicht 
'  vergessen,  dass  auch  diffuse  ächte  carcinomatöse  Infiltrationen  der 
Magenwände  vorkommen,  welche  sich  für  die  zufühlende  Hand  ebenso 
darstellen  können.  Immerhin  ist  deren  Vorkommniss  so  selten,  dass 
in  einem  solchen  Falle  die  Annahme  einer  bindegewebigen  Girrhose 
mindestens  dieselbe  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat. 

Das  zweite  mechanische  Symptom  wird  durch  die  verringerte 
Capacität  der  Magenlichtung  bedingt.  In  meinem  Falle  äusserte  sich 
dieselbe  schon  in  der  Art  des  Essens  in  ziemlich  charakteristischer 
Weise :  der  Kranke  konnte  immer  nur  sehr  geringe  Nahrungsmengen 
auf  einmal  zu  sich  nehmen,  nach  wenigen  Bissen  bereits  hatte  er  die 
Empfindung  voll  zu  sein,  und  jeder  einzelne  Bissen  oder  Schlack 
war  klein ;  dabei  ging  der  Schlingact  selbst  ohne  Hindemiss  vor  sieh. 
Wenn  dieses  Verhalten  in  den  bisherigen  Krankengeschichten  der 
Literatur  nicht  bemerkt  ist,  so  lässt  sich  das  vielleicht  aus  der  Kürze 
ihrer  Mittheilung  erklären. 

Ein  weiteres  Hilfsmittel  für  die  Diagnose  könnte  vielleicht  die 
künstliche  Aufblähung  des  Magens  durch  Kohlensäure  abgeben,  welche 
eben  ein  negatives  Resultat  liefern  müsste.  —  Die  Percussion  dflrfte 
kaum  ein  irgendwie  zuverlässiges  Ergebniss  ermöglichen. 

Am  wichtigsten  ist  anscheinend  die  Untersuchung  mit  der  Sonde 
nach  der  von  Leube  angegebenen  Methode,  wobei  es  darauf  an- 
kommt, die  untere  Sondenspitze  zu  fühlen.  Der  Werth  dieser  Unter- 
suchung wird  indessen  meines  Erachtens  erheblich  durch  einen  Um- 
stand eingeschränkt:  ich  bezweifle,  dass  es  möglich  ist,  die  Spitze 
der  Sonde  durch  eine  Magenwand  hindurch  zu  fühlen,  welche  1—2  CSm. 
dick  ist.    Es  würde  dann  nur  noch  übrig  bleiben,  die  Länge  des  ein- 


Ciirhotische  Yerkleinenuig  des  Magens  und  Schwand  der  LabdrOsen.    365 

gefllhrten  Sondenstdckes,  von  den  Zähnen  an  gemessen  und  anderer* 
seits  bestimmt  durch  den  dem  weiteren  Vordringen  entgegengesetzten 
Widerstand,  bei  dem  fragliehen  Patienten  zu  yergleichen  mit  der  bei 
einem  gleich  grossen  gesunden  Menschen  gefundenen  Länge  —  ein 
Verfahren,  dessen  Ergebniss  auch  nur  bedingten  Werth  besitzt 

Man  sieht,  dass  es  beim  gttnstigen  Zusammentreffen  von  Um- 
ständen gelingen  kann,  die  Diagnose  auf  Verkleinerung  des 
Magens  mit  einem  hohen  Grade  von  Wahrscheinlich- 
keit zu  stellen;  die  positive  Sicherheit  indessen,  welche  in  man- 
chen Fällen  von  Magenerweiterung  hinsichtlich  der  Diagnose  besteht, 
dürfte  hier  kaum  je  zu  erreichen  sein.  Dann  aber,  wenn  man  auch 
wirklich  die  vermehrte  Resistenz  und  die  diffuse  Verdickung  der 
Hagenwände  fühlt,  ist  man  erst  noch  vor  die  Entscheidung  der  Frage 
gestellt,  ob  einfache  bindegewebige  Verdickung  oder  ob  malignes 
Neoplasma.  Bruch  erörtert  (a.  a.  0.  S.  403)  eine  ganze  Reihe  von 
Anhaltspunkten  für  die  differentielle  Diagnose.  Alle  von  ihm  auf- 
geführten positiven  Symptome  beziehen  sich  auf  die  Neoplasmen; 
es  sind  die  gewöhnlichen  diagnostischen  Momente,  deren  Reproduc- 
tion  ich  unterlassen  darf.  Da  es  allbekannt  ist^  dass  auch  trotz  dem 
Mangel  aller  dieser  positiven  Momente  (umscbriebene  Geschwulst, 
Bluterbrechen,  lebhafte  Schmerzen  u.  s.  w.)  sehr  oft  Carcinom  besteht, 
80  kann  dieser  Mangel  im  concreten  Fall  natürlich  nicht  gegen  die 
Diagnose  Carcinom  und  für  die  einer  Cirrhose  entscheiden.  Am 
meisten  möchten  dann  noch  für  die  letztere  folgende  Punkte  ins  Ge- 
wicht fallen :  jugendliches  Alter,  sehr  langsamer  Über  Jahre  sich  er- 
streckender Verlauf,  gänzlicher  Mangel  von  Schmerzen  —  doch  sei 
wiederholt,  dass  dieser  bekanntlich  auch  gelegentlich  Carcinomen 
zukommt,  und  umgekehrt  können  Schmerzen  die  Cirrhose  begleiten  — 
und  endlich  vielleicht  Alkoholmissbrauch. 

Nach  dem  Vorstehenden  ergibt  sich  von  selbst,  dass  die  Com- 
bination  von  cirrhotischer  Verkleinerung  mit  Labdrüsenatrophie  nicht 
mit  grösserer  Sicherheit  diagnosticirt  werden  kann ,  als  jeder  dieser 
Zustände  im  Einzelnen.  Besonders  möchte  ich  betonen,  dass  auch 
die  Symptome  der  hochgradigsten  Anämie,  dass  auch  das  Vorhanden- 
sein von  Mikro-  und  Poikilocytose  im  concreten  Falle,  wo  es  sich 
um  die  Entscheidung  handelt,  ob  Carcinom  oder  ob  Cirrhose  mit 
Labdffisenatrophie ,  durchaus  nichts  für  letztere  beweisen,  wie  es 
nach  meinem  Falle,  beziehungsweise  den  Beobachtungen  Fen  wick's 
und  Quincke 's  scheinen  möchte.  Denn  ich  habe  selbst  bei  zwei 
—  wie  die  Section  ergab  —  typischen  ulcerirenden  Magencarcinomen 
eine  exquisite  Mikro-  und  Poikilocytose  während  des  Aufenthaltes 


366     XVUI.  Nothnagel,  Girrhotische  Verkldnernog  des  Magens  o.  s.  w. 

der  Kranken  in  der  Klinik  sich  entwickeln  sehen  und  verfolgen 
können. 

Wir  kommen  also  zu  dem  Ergebniss:  1.  die  Atrc^hie  der  Lab- 
drttsen,  2.  die  cirrbotische  Verkleinerung  des  Magens,  3.  die  Ver- 
einigung dieser  beiden  patbologischen  Veränderungen  sind  Zustftnde, 
deren  Vorbandensein  unter  bestimmten  Verhältnissen  vermuthet  wer- 
den kann  und  mit  in  den  Bereich  der  Diagnose  gezogen  werden 
muss,  deren  sichere  Erkenntniss  jedoch  beim  gegenwärtigen  Zustande 
der  diagnostischen  Hil&mittel  nicht  oder  nur  ganz  ausnahmsweiBe 
möglich  ist. 


XIX. 
Zur  Kenntniss  des  Malleos  acutus  beim  Menschen, 

Von 

FrofeBBor  Fr.  Mosler. 

Acuter  Rotz  kommt  beim  Menschen  so  selten  vor,  dass  ein  kli- 
nisch beobachteter  Fall  der  Veröffentlichung  werth  erscheinen  dürfte, 
zumal  er  in  diagnostischer  Hinsicht  manche  Besonderheiten  geboten 
bat.  In  hervorragender  Weise  ist  neuerdings  durch  Bollinger  die 
Symptomatologie  der  Botzkrankheit  festgestellt  worden.  Seiner  aus- 
gezeichneten Schilderung  verdanke  ich  es,  dass  die  Diagnose  selbst 
unter  schwierigeh  Umständen,  bei  mangelnder  Anamnese,  in 
einem  Falle  ermöglicht  wurde,  in  welchem  die  Infection  auf  dem 
W^e  des  flflchtigen  Contagiums  stattgefunden  hat,  äusserliche  Zeichen 
der  Ansteckung  demnach  fehlten  ^j. 

Johann  R.,  ein  45  Jahre  alter  Kuhhirt,  wurde  am  3.  November  1878 
in  die  medicinische  Klinik  aufgenommen.  Er  stammt  aus  gesunder  Familie, 
ist  selbst  immer  gesund  gewesen,  bis  er  vor  4  Jahren  an  Typhus  abdo- 
minalis erkrankte.  Er  wurde  6  Wochen  in  meiner  Klinik  behandelt  und 
?ollBtäodig  davon  geheilt  Als  Ursache  seines  jetzigen  Leidens  gibt  er  an, 
dass  er  vor  8  Tagen  schwere  Arbeit  verrichtet  habe,  darnach  sei  Unwohl- 
sein, Mattigkeit,  heftiges  Glied erreissen,  Schmerzhaftigkeit  des  rechten  Ober- 
schenkels aufgetreten.  Am  Donnerstag  *  den  31.  October  stellte  sich  star- 
ker Frostanfall  bei  ihm  ein,  dem  bedeutende  Hitze  folgte.  Er  wurde  sehr 
hiofällig,  das  Fieber  steigerte  sich,  so  dass  er  sich  genöthigt  sah,  die  Auf- 
nahme in  die  hiesige  Klinik  nachzusuchen. 

Status  praesens  vom  3.  November  1878. 

Patient  ziemlich  gross,  von  starkem  Knochenbau,  massig  entwickelter 
Mnscnlatur,  geringem  Panniculus  adiposus,  Thorax  gut  gewölbt,  Abdomen 
io  geringem  Maasse  aufgetrieben,  Leistendrüsen  rechts  wenig,  links  nicht 
angeschwollen,  rechter  Oberschenkel  in  geringem  Grade  öde- 
matös,  Berflhrung  des  Musculus  quadriceps  äusserst  schmerz- 

l)  Der  Fall  ist  auch  beschrieben  in  der  Dissertation:  Zur  Symptomatologie 
des  Malleus  acutus  von  Dr.  Otto  Brihkmann.    Greifswald  1879. 


368  XIX.  MosLER 

haft.  ZuDge  trocken,  zittert  beim  Herausstrecken,  Durst  gesteigert,  Ap- 
petit gering,  Stahl  angehalten.  Leber  weder  vergrössert,  noch  bei  der 
Palpation  schmerzhaft,  Milz  normal.  Temperatur  am  Abend,  im  Rectum 
gemessen,  «  40,4^0.,  Pulsfrequenz  ss  124,  Respirationsfrequenz  »36. 
In  der  linken  Regio  axillaris  und  subscapnlaris  gedämpfter  Schall  von  der 
Ausbreitung  einer  Hohlhand,  daselbst  Knisterrasseln  und  bronchiales  Ex- 
spirium  hörbar.  Sputum  nicht  vorhanden.  Herz  normal.  Urin  sparsam, 
rothgelb,  enthält  weder  Eiweiss,  noch  Oallenfarbstoff,  noch  Zucker.  Ver- 
ordnung :  Acidum  phosphoricum  in  Mixtur,  Einreibungen  des  rechten  Ober- 
schenkels mit  Chloroform  und  Ol.  Terebinthinae.    Abends  1  Morphiumpolrer. 

4.  November.  Unruhige  Nacht,  apathisches  Aussehen,  heftiger  Darst, 
trockne  Zunge,  reichliches  Schwitzen.  Respirationsfrequenz  Morgens  «  30, 
Pulsfrequenz  »=  120,  Temperatur  »s  39,6^  C.  Die  Erscheinungen  auf  der 
linken  Brustseite  dieselben,  wie  gestern,  auf  der  rechten  Bronchialkatarrfa; 
allgemeine  Mattigkeit  und  Gliederschmerzen.  Patient  erhält  im  Laufe  des 
Tages  3  Bäder  von  26 ^  R.,  die  allmählich  bis  auf  18^  R.  abgekühlt  wer- 
den; Abends  l;0  Orm.  Ghininum  muriaticum.     Abendtemperatur  =  39^1^  C. 

5.  November.  In  der  Nacht  mehrere  Stunden  ruhiger  Schlaf.  Morgen- 
temperatur =  37,8<>  C,  am  Nachmittage  »=  39,60  C.  Die  Bäder  werden 
wiederholt.  Das  apathische  Aussehen  hat  zugenommen,  Durst  gesteigert, 
Zunge  sehr  trocken,  Bauch  etwas  schmerzhaft,  Stuhl  angehalten.  Exan- 
them nicht  vorhanden,  Milz  wenig  vergrössert.  Erscheinungen  von  Seiten 
der  Respirationsorgane  in  gleicher  Weise  vorhanden.  Oberschenkel  öde- 
matös  und  schmerzhaft,  heftiges  Ziehen  in  den  Armen.  Urin  spar- 
sam, zeigt  eine  geringe  Menge  von  Eiweiss  und  Blutfarbstoff. 

Therapia  continuatur. 

6.  November.  Ruhiger  Schlaf.  Morgentemperatur  «>  40,7  <^  C.  Das 
typhöse  Aussehen  hat  zugenommen,  weshalb  in  Darreichung  von  Chi- 
nin und  Anwendung  kühler  Bäder  fortgefahren  wird.  Wegen  seit  3  Tagen 
bestehender  Obstipation  werden  im  Laufe  des  Tages  2  EsslOffel  Ricinnsöl 
gereicht,  worauf  sehr  reichliche,  dOnnflUssige  Stühle  erfolgen.  Patient  wird 
dadurch  erheblich  geschwächt,  reichliche  Gaben  von  Wein  werden  gereicht. 

7.  November.  Patient  liegt  somnolent  da,  mit  reichlichem  Schweisse 
bedeckt.  Die  Zunge  vollständig  roth,  ganz  ohne  Epithel,  sehr  trocken. 
Fragen  beantwortet  er  unvollkommen,  Klagen  werden  nicht  laut  Morgen- 
temperatur  ^=  39,4 <^  C,  Nachmittags  5  Uhr,  nachdem  im  Laufe  des  Tages 
3  Bäder  gegeben  waren,  —  39,0<^  C.  Abends  erhält  er  2  6rm.  Chininam 
muriat.  Die  linke  Hand  des  Patienten  ist,  ohne  dass  eine  Ursache  da- 
für zu  finden  ist,  stark  ödematös  getf^hwellt.  Exanthem  nicht  nach- 
weisbar. Bauch  aufgetrieben,  zeigt  eine  starke  Pulsatio  epigastrica.  Leber 
etwas  vergrössert,  schmerzhaft.  Die  Milz  misst  von  oben  nach  unten 
=  12  Cm.  und  ragt  5  Cm.  vor  die  Linea  axillaris.  Die  Erscheinungen  von 
Seiten  der  Lungen  haben  nicht  zugenommen.  Herztöne  normal,  Herzim- 
puls  schwach,  Pulsfrequenz  =»  160,  Puls  welle  kaum  fühlbar.  Respirations- 
frequenz =  38.  Temperatur  =^  39,4<>  C.  Grössere  Scliwäche,  coUapsns- 
äbnlicher  Zustand.  Patient  erhält  grosse  Dosen  Wein,  concentrirte  Bouillon 
und  Eier.  Ausserdem  wird  ihm  stündlich  1  Esslöffel  einer  Salzsäuremixtur 
gereicht. 

8.  November.     Patient  hat  in  letzter  Nacht  nach  Aussage  der  Wache 


Malleus  acutas  beim  Menschen.  369 

haltenden  Wärter  delirirt.  Morgentemperatar  «»  dSyG^'  C,  Palsfreqnenz  •«  120, 
Athemfreqnenz  <»  36.  Das  SenBorium  etwas  freier.  Heftige  Schmer- 
zen Im  rechten  Oberschenkel,  derselbe  ist  stark  ddematös  ge- 
schwellt, fohlt  sich  an  einzelnen  Stellen  weich  elastisch,  fast  flac- 
tuirend  an;  der  linke  Oberarm  wieder  völlig  abgeschwollen.  Es  ist 
aofTallend,  dasa  die  Odematösen  Schwellungen  der  Haut  wechselnder 
Natur  sind. 

Der  Urin  ist  donkelroth,  trabe  von  harnsauren  Salzen,  500  Ccm.  in 
24  Stunden,  darin  weder  Eiweiss,  noch  Gallenfarbstoff,  noch  Zucker  nach* 
weisbar.  Vormittags  1 1  Uhr  steigt  die  Temperatur  auf  »s  39,6  ^  C«,  das 
Sensorium  ist  mehr  benommen,  weshalb  Patient  im  kflblen  Bade  eine  kalte 
Uebeigiessung  des  Kopfes  erhält.  Während  des  Bades  coUabirt  er 
vollständig,  so  dass  es  nöthig  wird,  dasselbe  zu  unterbrechen.  Sub- 
cutane Injection  von  Aether  camphoratus  beseitigt  den  Collapsus.  Am  Nach- 
mittage zeigen  sich  zum  ersten  Male  auf  der  rechten  Seite  derStirn- 
haat,  an  der  Nase  und  Lippe,  sowie  auf  der  rechten  Wange  und 
dem  behaarten  Theile  des  Kopfes  linsen-  bis  erbsengrosse  Bläs- 
chen, die  schon  nach  wenigen  Stunden  eitrigen  Inhalt  zeigen. 
Dieselben  stehen  theils  einzeln,  theils  in  Gruppen  dicht  beisammen,  im 
Ganzen  sind  es  etwa  40.  Die  Haut  in  der  Umgebung  derselben  ist  schmerz- 
haft. An  den  übrigen  Körpertheilen  sind  solche  Pusteln  nicht  vorhanden, 
überhaupt  ein  Hautausschlag  nicht  nachweisbar.  Abendtemperatur  =  39,2  ^^C, 
Pulsfrequenz  =»  136,  Athemfrequenz  =>  40. 

Patient  ist  am  Abend  mehr  somnolent.  Statt  einfacher  Salzsäuremixtur 
wird  ein  Chinadecoct  mit  Salzsäure  gereicht,  Abends  noch  1  Orm.  Chinin. 
Reichliche  Gaben  Wein, 

9.  November.  Morgentemperatar  »»  3S,9<^  C,  Pulsfrequenz -»  124, 
Athemfrequenz  =  44.  Im  ersten  Theile  der  Nacht  hat  der  Kranke  ziem- 
lich ruhig  geschlafen,  gegen  Morgen  stark  delirirt,  den  Versuch  gemacht, 
aus  dem  Bette  aufzustehen.  Am  Morgen  liegt  er  somnolent  da,  reagirt  wenig 
auf  Fragen;  Puls  sehr  klein,  Herzimpnls  schwach,  Herztöne  rein.  Vorn 
und  hinten  auf  beiden  Seiten  des  Thorax  trockne  Rasselgeräusche  hörbar. 
Zange  vollständig  trocken.  Rachenschleimhaut  stark  geröthet,  an  einzelnen 
Stellen  mit  trflbem  Belage  bedeckt.  Ein  sehr  übler  Foetor  ex  ore.  Aus 
der  Nase  gar  kein  Ausfluss,  die  Nasenschleimhaut  stark  geröthet, 
trocken.  Beide  Arme  stark  ödematös  geschwellt,,  bei  Berüh- 
rung schmerzhaft.  Die  Haut  derselben  an  einzelnen  Stellen  gleich- 
falls mit  Pusteln  bedeckt.  An  den  unteren  Extremitäten,  von  denen 
besonders  die  rechte  Odematöse  Anschwellungen  zeigt  und  schmerzhaft 
ist,  sind  Pusteln  noch  nicht  wahrnehmbar.  Auch  die  Haut  des  Thorax 
und  des  Bauches  ist  frei  von  Exanthem.  Bauch  massig  aufgetrieben.  Fäces 
von  gelbbrauner  Farbe  und  breiiger  Consistenz,  innerhalb  24  Stunden  er- 
folgt 1  mal  Def&kation.  Leber  vergrössert,  bei  der  Palpation  schmerzhaft, 
Milzvergrössernng  besteht  in  der  gleichen  Weise  wie  früher. 

Abendtemperatur  *«  39,6  0  C.     Sie  ist  den  Tag  über  2  stündlich  ge- 
messen worden,  nie  über  die  angegebene  Höhe  hinausgekommen. 
Therapia  continuatur. 

10.  November.  In  der  letzten  Nacht  hat  der  Kranke  beständig  delirirt, 
sehr  viel  getrunken;  trotz  des  in  grossen  Dosen  gereichten  Weines  ist  er 

DrauohM  ArchlT  f.  klin.  M«dloln.    XXIV.  M.  24 


STQi  XIX.  MosLER 

sehr  collabirt,  entleert  Stuhl  und 'Urin  unwillkflrlich.  Morgentemperatur« 
39,2  0  C,  Mittags  1  Uhr  —  39,5  ^  C,  Abends  9  Uhr  »  40,0  <»  C.  PuU- 
frequenz  wie  frtther,  der  Herzimpuls  noch  schwächer;  im  Laufe  des 
Tages  mehrere  Anfälle  von  CoUaps,  gegen  die  wiederholte  In- 
jectionen  von  Aether  camphoratus  in  Anwendung  kommen.  Das  Bewnsst- 
sein  kehrt  zeitweilig  zurück  und  klagt  Patient  dann  Ober  grosse  Schwäche. 
Die  Lymphdrüsen  am  Halse  und  in  der  Achselhöhle  nichtge- 
schwollen, in  der  Grösse  von  Bohnen  bis  Taubeneiern  mar- 
kiren  sich  die  Leistendrüsen  auf  beiden  Seiten.  Der  Pha- 
rynx sehr  geschwollen,  zeigt  einen  schmutzigen  Belag,  die 
Znnge  dauernd  trocken,  ein  sehr  übler  Geruch  aus  dem  Munde.  Der 
pustulöse  Ausschlag  hat  sich  an  der  Kopf-  und  Gesich'tshant 
noch  vermehrt,  ist  auf  die  Haut  des  Rückens  übergegangen, 
auch  auf  der  rechten  Fnsssohle  etwa  in  15  Bfflorescenzen 
nachweisbar.  Die  Arme  und  Beine  sind  auffallend  geschwellt, 
bei  Druck  schmerzhaft,  kaum  beweglich. 

Therapia  continuatur. 

11.  November.  Nachdem  Patient  Nachts  wiederum  sehr  heftig  delirirt, 
liegt  er  am  Morgen  collabirt  da.  Temperatur  um  7  Uhr  ■=  39,6^  C, 
Puls  unzählbar,  Athemfrcquenz  ss  48.  Patient  reagirt  auf  Anrufen  nicht 
mehr.  Es  stellt  sich  sehr  reichliche  Schweisssecretion  ein.  Um  10  Uhr 
beginnt  tracheales  Rasseln,  und  es  erfolgt  der  Exitus  letalis  Nachmittags 
4  Uhr. 

Seetionsbefand  (nach  dem  Protokoll  des  Herrn  Prof.  Dr.  Groh^j: 
Mittelgrosse  männliche  Leiche,  kräftig  gebaut,  von  gut  entwickelter  Mus- 
culatur,  massigem  Panniculus  adiposus,  grauweisser  Hautfarbe.  In  der 
rechten  Schläfengegend,  sowie  auf  dem  Vorderkopfe  rechts  an  einer  von 
Haaren  ganz  entblössten  Stelle  bis  zur  Stirn  finden  sich  Stecknadelkopf*  bis 
halberbsengrosse  theils  einzelne,  theils  in  Haufen  stehende,  theils  confluireode 
Pusteln,  welche  die  Haut  überragen  und  mit  gelblichem  Eiter  gefüllt 
sind.  Die  Haut  in  der  Umgebung  derselben  ist  blass,  um  einzelne  dieser 
Pusteln  liegt  ein  lividblauer,  um  andere  mehr  ein  blanrother  Ring. 
Aus  der  eigenthflmlichen  Lage  der  Pusteln  lässt  sich  vermuthen,  dass  diese 
etwa  dem  Verlauf  der  Lympbgeflftsse  entsprechen.  An  der  linken  Schläfen- 
seite zeigen  sich  solche  Pusteln  nicht.  An  dem  rechten  Nasen fldgel 
befindet  sich  ein  ungefähr  erbsengrosser  Substanzverlust,  der  von 
einer  geplatzten  Pustel  herrührt.  Eingetrocknete  Secrete  sind  in  der  Naseo- 
öffnung  nicht  vorhanden.  Auf  dem  Rücken  sind  ebenfalls  zahlreiche 
Pusteln  sichtbar,  die  auf  der  oberen  Hälfte  dichter  liegen  und  mit  livid- 
blauen  Rändern  umgeben  sind,  während  sie  auf  der  unteren  Hälfte  weniger 
dicht  zusammen  liegen  und  einen  mehr  rothen  Rand  zeigen.  Am  linken 
Arm  bis  auf  die  Fingerspitzen  herab  einige,  am  rechten,  ebenso  so 
Gesicht  wenige  Pusteln.  Brust,  Bauch,  Scrotnm,  Ober-  und  Unter- 
schenkel rechts  und  links  sind  von  Pusteln  vollständig  frei,  während  sich 
an  der  rechten  Plantarseite  eine  grössere,  über  dem  linken  Fnss- 
gelenk  eine  geringere  Anzahl  derselben  befindet. 

Bei  der  Eröffnung  des  Schädels  zeigen  sich  die  Schädelknocheo  nor- 
mal gebaut,  die  Diploö  reichlich  bluthaltig,  die  Dura  mater,  so  wie  die 


Malleos  acatos  beim  Menschen.  371 

weichen  Haute  völlig  normal.  In  der  Sebädelhöhle  findet  eich  ebenfalls 
nichts  Abnormes,  ein  Erguss  ist  nirgends  nachzuweisen.  Die  Section  des 
Gehirns  ergibt  ausser  etwa  8  stecknadelkopfgrossen  Cysten  am  Plexus 
choroideus  keinerlei  Anomalien. 

Bei  der  Eröffnung  der  Nasenhöhle  erscheint  die  Nasenschleimhaut, 
besonders  der  Ueberzug  der  oberen  und  mittleren  Muschel  in  ihrem  hinte- 
ren Theile  von  blassrother  Farbe ^  während  der  vordere  Theil  dieser 
Partien,  die  mit  kleinen  Knötchen  und  Qeschwtlrchen  durch- 
setzt sind,  eine  mehr  grau-rothe  Färbung  hat.  Die  Schleimhaut  der 
unteren  Muschel  ist  nach  hinten  stark  ödematös  und  von  durch- 
scheinend gelblichem  Colorit.  Die  Schleimhaut  der  Highmorshöhle  ist 
von  weisser  Farbe,  die  Gefässe  derselben  sind  stärker  gefüllt,  und  zeigen 
sich  hier  weissliche  Verdickungen,  die  Schleimhaut  der  Keilbein- 
höhlen dagegen  ist  normal,  ohne  Farben  Veränderung.  Inder  linken  Na- 
senhöhle findet  sich  in  der  Nähe  der  Choanenöffnung  ein  längliches, 
scharfrandiges,  gering  vertieftes  Oeschwflr  von  5  Mm.  Länge 
und  3  Mm.  Breite. 

Am  meisten  verändert  sind  Schleimhaut  und  Weichtheile  des 
Rachens,  and  zwar  diejenigen  Theile,  welche  an  der  unteren  Fläche  des 
Keilbeins  angeheftet  sind.  Die  Schleimhaut  ist  dort  1  Cm.  dick,  missfarbig, 
grangelb,  die  Oberfiäche  derselben  befindet  sich  im  Stadium  nekrotischer 
AbstoBsnng.  Zunge  und  Epiglottis  zeigen  keine  bemerkenswerthen  Abnor- 
mitäten. 

Der  rechte  Ober-  und  Unterarm  hat  eine  grau-gelbliche, 
livide  Färbung.  Namentlich  markirt  sich  über  dem  Oberarm  eine 
Stelle^  wo  zwar  die  Epidermis  unverletzt  ist,  jedoch  eine  Erhebung  sichtbar 
wird,  die  im  Centrnm  ein  mehr  gelbliches,  in  der  Peripherie  ein  mehr  livid- 
blanes  Aussehen  hat.  Vier  ähnliche  solche ,  etwa  wallnussgrosse  Promi- 
Densen  liegen  voneinander  abgesondert  unterhalb  des  Ellenbogens,  bei  der 
Palpation  zeigen  alle  mehr  oder  weniger  deutliche  Fluctuation.  Beim  Ein- 
schneiden entleert  sich  aus  dieser  eine  reichliche,  dicke,  schmutzig 
gelb-rothe,  theils  gallertartige,  theils  leicht  bröckliche, 
eitrige  Masse,  welche  zwischen  den  Muskeln  der  Rückseite  eingelagert 
ist.  Mehr  nach  unten  zeigt  sich  nach  Ablösung  der  Haut  das  submucöse 
Gewebe  des  rechten  Vorderarms  stark  mit  Blut  gefüllt,  und  scheint  die 
Mnscolatnr  darunter  braun  durch.  Beim  Einschneiden  entleert  sich  auch 
hier  ein  dicker,  rahmiger,  chocoladenfarbiger  Eiter  von  ungeheuer  pene- 
trantem Geruch.  Diese  Eiterherde  liegen  theilweise  direct  unter 
der  Haut,  theilweise  zwischen  Muskelsubstanz   und  Fascie. 

Auch  am  Oberschenkel  befinden  sich  zahlreiche  Eiterherde 
von  eben  beschriebener  Beschaffenheit.  Ausserdem  zeigen  sich  in  einem 
excidirten  Stück  vom  M.  quadriceps  zahlreiche  gelbe  bis 
erbsengrosse  Knoten,  die  zum  Theil  von  festerem  Gewebe 
umgeben  sind.  Von  gleicher  Beschaffenheit  ist  die  Musculatur  der 
Planta  pedis  und  der  Hohlhand. 

Musculatur  am  Abdomen  und  Thorax  ziemlich  ausgebildet,  von  dun- 
kelbraunrother  Farbe,  sehr  trocken.  Im  Abdomen  findet  sich  keine  Flüs- 
sigkeit vor.     Die  Leber  überragt  in  der  Axillarlinie  den  Rippenrand  um 

24* 


372  XIX.  MosLER 

5,  den  Processns  xiphoidens  um  2^2  Cm.  Der  Herzbeutel  zeigt  keine 
Anomalie.  Das  Herz  ist  grösser  als  normal,  die  Klappen  sind  sehr  fein 
und  zart.  Am  Conus  des  rechten  Ventrikels  liegen  2  durch  das 
Endocardium  durchscheinende,  linsengrosse,  gelbe  Knoten, 
die  nach  Durchschneidung  des  Endocardiums  weiss  und  von  fester  Consistenz 
erscheinen.  Ein  eben  solcher  Knoten  findet  sich  im  rechten  Vor- 
hof und  im  linken  Ventrikel  unter  der  Aortenklappe. 

Die  linke  Lunge  ist  mit  der  Pleura  costalis  vollständig  durch  Sltere, 
jedoch  noch  ziemlich  leicht  trennbare  Adhäsionen  verwachsen.  Der  Ober- 
lappen, der  im  oberen  Drittel  vollständig  lufthaltig  ist,  zeigt  nur  am  vo^ 
deren  Rande  oben  eine  ungefähr  kirschgrosse,  luftleere  Partie.  Der  Unter- 
lappen ist  stark  ödematös  und  fflhlt  sich  teigig  an.  Beim  Durchschnitt 
ergibt  sich  der  obere  Theil  desselben  lufthaltig,  von  geringem  Blntgebalt 
und  mit  kleinen  luftleeren  Herden  durchsetzt.  Der  untere  Theil  ist  fast 
völlig  luftleer,  von  theils  schmieriger,  theils  brtlcbiger  Consistenz  nnd  ent- 
leert auf  Druck  missfarbiges  Blut.  Die  Schleimhaut  der  Bronchien  ist 
hellrosaroth,  mit  eitrigen  gelbgrttnen  Auflagerungen  bedeckt  Die  broochisr 
len  Drttsen  sind  schwarz-schiefrig  gefUrbt  und  bis  zur  Grösse  einer  Mandel 
geschwollen. 

Die  rechte  Lunge  ist  an  der  Spitze  ziemlich  fest  mit  der  Plenn 
verwachsen.  Im  Cavnm  Pleurae  finden  sich  etwa  2  Esslöffel  gelber,  leicht 
getrübter  flockiger  Flflssigkeit.  Die  Pleura  ist  mit  zahlreichen 
Pusteln  versehen,  deren  Centrum  von  gelber  Farbe  und  der 
Qrösse  einer  Erbse,  deren  Peripherie  theils  mit  einem  grau-rothen  Ring, 
theils  mit  einem  dunkelblau-rothen  Hof  und  Petechien  umgeben  ist  Unten 
befinden  sich  zahlreiche  gelbliche  Punkte  von  der  Qrösse  eines  Steclyiadel- 
knopfes,  mit  Rändern  von  hochrothen,  kleinen  Ekchymosen,  theils  einzeln, 
theils  confluirend.  Von  den  oben  beschriebenen  Pusteln  befinden  sich  etva 
15  auf  der  Oberfläche  zerstreut,  die  grössten  sind  von  der  Dicke  einer 
Kirsche«  Der  Oberlappen  ist  vorn  lufthaltig,  hinten  derb  und  luftleer.  Die 
Pleura  desselben  ist  mit  einem  grauröthlichen  Belage  versehen.  Auf  dem 
Durchschnitt  findet  sich  in  dem  Oberlappen,  etwa  2,5  Cm.  von 
der  Spitze  ein  ungefähr  erbsengrosser  Knoten,  der  im  Centram 
eitrig,  an  der  Peripherie  hart  ist  Weiter  nach  unten  liegen  noch 
zahlreiche  Knoten,  zum  Theil  kleinere,  zum  Theil  grössere, 
von  derselben  Beschaffenheit.  Der  Unterlappen  ist  im  oberen  Drittel 
stark  ödematös,  in  den  beiden  unteren  Dritteln  luftleer  und  im  Ganzen  tob 
schmutzig  dunkelrother  Färbung.  Auch  in  dem  Mittel-  nnd  Unter- 
lappen«finden  sich  zahlreiche  Knoten  vor.  Ans  den  Bronchien  ent- 
leert sich  gelbgraues  eitriges  Secret  Die  Bronchialdrflseo  sind  stark  ge- 
schwollen, von  der  Qrösse  eines  Hühnereies,  schwarzblau  gefiirbt  und  aof 
dem  Durchschnitt  weich. 

Die  Milz  ist  15  Cm.  lang,  in  der  Mitte  9,5,  oben  7,5  Gm.  breit  nnd 
4 — 4,5  Cm.  dick.  Der  Blutgehalt  derselben  ist  sehr  vermehrt,  die  Mal- 
pighischen  Bläschen  sind  sehr  zahlreich.  Am  Hl  Ins  befindet  sich  m 
erbsengrosser  Eiterherd. 

Die  rechte  Niere  ist  bedeutend  vergrössert  Auf  dem  Durchschnitt 
sieht  man  etwa  30  miliare  bis  hanfkorngrosse  Knoten,  die  mit  eitriger 


Malleus  acutas  beim  Menschen.  373 

Flössigkeit  gefüllt  und.  Aehnliche  Abnormitäten  finden  sich  In  der 
linken  Niere. 

Magen  und  Darmkanal  zeigen  keine  bemerkenswerthen  Besonderheiten. 

In  der  ziemlich  stark  vergrOsserten,  enorm  blnthaltigen  Leber  findet 
sich  etwa  5  Cm.  vom  hinteren  stampfen  Rande  derselben  ein  grosser  rother 
Fleck,  in  dessen  Gentram  ein  etwa  tanbeneigrosser  Eiterherd  gelagert  ist. 
Derselbe  ist  mit  einem  rahmigen,  weisslichgelben,  übehriechenden  Eiter  gefüllt. 

^  VerBuchen  wir  ein  Resumö  zu  geben  über  die  Symptome  und 

den  Verlauf  dieses  höchst  merkwürdigen  Falles,  der  mich  und  die 
Zuhörer  meiner  Klinik,  sowie  verschiedene  CoUegen  lebhaft  inter* 
essirt  hat 

Ein  45  Jahre  alter,  völlig  gesunder  Kuhhirt  wurde,  wie  er 
meint,  in  Folge  von  intensiver  Muskelanstrengung  bei  der  Arbeit  von 
Schmenhaftigkeit  der  Muskeln,  insbesondere  des  rechten  Oberschen- 
kels befallen.  Zunächst  waren  Fiebererseheinungen  nicht  vorhanden. 
Erst  am  4.  Tage  stellte  sich  ein  heftiger  Schüttelfrost  ein.  Das 
Fieber  war  darnach  sehr  intensiv,  mit  grosser  Hinfälligkeit  verbunden. 
Es  kommen  Schmerzen  in  anderen  Muskeln  hinzu,  die  ihm  Gehen 
and  Stehen  verbieten,  zumal  sich  Athembeschwerden  mit  Bruststichen 
hinzugesellen. 

Am  8.  Tage  der  Krankheit  erfolgt  die  Aufnahme  in  meine  Klinik. 
Hohes  Fieber,  intensive  Anschwellung  der  Extremitäten,  Schmerz- 
haftigkeit  bei  Berührung  einer  grossen  Zahl  von  Muskeln,  ins- 
besondere des  rechten  Oberschenkels,  an  der  vorderen  Seite 
desselben  eine  Geschwulst  nachweisbar.  Infiltration  des  linken 
unteren  Lungenlappens  physikalisch  erkennbar.  Leber-  und  Milz- 
Bchwellung  konnten  noch  nicht  constatirt  werden.  Diagnosticirt  wurde 
zunächst  eine  linksseitige  Pneumonie  in  Verbindung  mit  einer  Muskel- 
affection,  deren  Natur  nicht  genau  festzustellen  war.  IEa  wurde  von 
uns  die  rheumatische,  trichinöse,  pyämische  Natur  dersel- 
ben in  Betracht  gezogen. 

An  den  beiden  nächsten  Tagen  änderte  sich  der  Zustand  nicht 
wesentlich.  Die  Allgemeinerscheinungen,  die  an  Infectionskrank- 
heiten  denken  Hessen,  nahmen  zu,  apathisches  Aussehen,  heftiger 
Durst,  trockene  Zunge,  reichliche  Schweisse. 

Am  11.  Krankheitstage  steigerten  sich  die  Erscheinungen 
der  Muskelaffection ,  es  war  ein  geringer  Milztumor  nachweisbar, 
Eiweiss  und  Blutfarbstoff  konnten  im  Harn  nachgewiesen  werden. 
Die  Nervenerscheinungen,  insbesondere  gewisse  Störungen  des  Sen- 
Boriums  Hessen  an  Typhus  denken,  ohne  dass  man  im  Stande  war, 
eine  der  drei  Formen  desselben  mit  Bestimmtheit  zu  diagnosticiren. 


374  XIX.  MosLER 

Für  Abdominaltyphas  fehlten  die  ErBcheinungen  des  Unterleibes  gänz- 
lich. Auch  war  auf  dem  Gate,  von  dem  der  Kranke  stammte,  nicht 
ein  einziger  derartiger  Fall  vorgekommen.  Typhus  exanthematicus 
und  Typhus  recurrens  waren  im  Anfange  des  Winters  hier  noch  nicht 
beobachtet  worden.  Dass  es  sich  um  eine  Infectionskrankheit 
handle,  wurde  durch  den  Nachweis  des  zunehmenden  MiU- 
tumors  festgestellt.  Am  13.  Tagader  Eranklieit,  am  7.  November, 
hatte  derselbe  bereits  eine  Ausdehnung  von  oben  nach  unten  ^^  12  Cm., 
ragte  5  Gm.  vor  die  Linea  axillaris;  auch  war  die  Leber  vergrossert 
und  schmerzhaft.  Das  Fieber  hatte  in  Form  einer  Febris  remittens 
bisher  fortgedauert,  war  durch  die  Darreichung  der  Antipyretica  nicht 
in  dem  Maasse  influirt,  wie  es  bei  anderen  Infectionskrankheiten, 
insbesondere  beim  Typhus  vorzukommen  pflegt. 

Am  14.  Tage  der  Krankheit  wurde  am  Morgen  ein  geringer 
Nachlass  des  Fiebers  constatirt;  doch  traten  zu  wiederholten  Malen 
Collapsuszustände  auf,  mit  denen  wohl  theil weise  die  Tempe- 
raturschwankungen in  Verbindung  zu  bringen  sind.  Gleichzeitig  hat 
die  Muskelaffection  an  den  verschiedensten  Stellen  zugenom- 
men und  gibt  sich  an  der  vorderen  Partie  des  rechten  Obersehen- 
kels durch  eine  teigig-elastische,  fast  fluctuirende  Geschwulst 
in  grösserer  Ausdehnung  deutlich  kund.  An  demselben  Tage  kommt 
auf  der  rechten  Seite  der  Stirnhaut,  der  Nase  und  Lippen,  sowie  der 
rechten  Wange  ein  pustulöses  Exanthem  zum  Vorschein,  das 
fflr  mich  Veranlassung  wird,  das  Bestehen  von  Malleus  acntos 
in  diesem  Falle  anzunehmen. 

Gleichzeitig  mit  der  Herzschwäche  traten  Hirnerscheinan- 
gen,  Delirien  abwechselnd  mit  soporösen  Zuständen  in  den  Vorder- 
grund. Ausfluss  aus  der  Nase  fehlte,  die  Nasenschleimhaat 
war  indess  stark  geröthet.  Dazu  kam  intensive  Rachenent- 
z flu  düng  mit  Foetor  ex  ore,  wie  bei  Diphtheritis. 

Am  16.  Krankheitstage  hatte  sich  das  pustulöse  Exan- 
them an  der  Gesichts-  und  Kopfhaut  vermehrt,  auf  die  Haut  des 
Rückens  sich  fortgesetzt  und  war  auch  auf  der  rechten  Fusssohle  nach- 
weisbar. Die  ödematöse  Anschwellung  der  Arme  und  Beine  hatte 
zugenommen,  an  verschiedenen  Stellen  derselben  waren  teigige  Oe«. 
schwfllste  von  verschiedener  Grösse  nachweisbar. 

Am  17.  Tage  der  Krankheit  erfolgte  der  Tod  unter  hochgra- 
digen Collapsuserscheinungen. 

Vorstehende  Beobachtung  bietet  vielseitiges  Interesse.  Zunächst 
ist  hervorzuheben,  dass  es  nicht  gelungen  ist,  Ort  und  Zeit  der  In- 


MalleuB  acutus  beim  Menschen.  375 

fection  genau  festzustellen.  Sofort  nach  vorgenommener  Obduetion 
wurde  nämlich;  da  meine  im  Leben  gestellte  Diagnose  dadurch  be- 
stätigt war,  der  hiesigen  Behörde  die  erforderliche  Anzeige  gemacht. 
Die  polizeilichen  Kachforschungen  nach  der  Entstehung  des  Uebels 
auf  dem  betreffenden  Oute  blieben  indess  ohne  Resultat.  Von  ein- 
zelnen Seiten  war  man  daher  geneigt,  die  bei  diesem  Kranken  an* 
genommene  Rotzkrankheit  in  Frage  zu  stellen. 

Es  mag  deshalb  daran  erinnert  werden,  dass,  wie  man  allgemein 
annimmt,  das  Incubationsstadium  des  Rotzes  14  Tage  und  3  Wochen 
betragen  kann.  Es  ist  dies  nicht  unwichtig  für  die  Möglichkeit  der 
Entstehung  dieses  Uebels.  Innerhalb  der  erwähnten  Zeit  konnte 
gewiss  unser  Kranker  durch  das  Pferd  eines  der  in  hiesiger  Oegend 
die  Dörfer  und  Güter  so  häufig  besuchenden  Hausirer  infioirt  worden 
sein,  und  wäre  es  in  diesem  Falle  leicht  zu  erklären,  warum  die 
5—6  Wochen  später  erfolgte  Nachforschung  nach  dem  Ursprung  des 
Uebels  resultatlos  geblieben  ist.  Gelingt  es  uns  denn  jedesmal  direct 
die  Stelle  der  Infection  von  Typhus  recurrens,  von  Typhus  exan* 
thematicus,  selbst  von  Variola  nachzuweisen?  Sind  uns  überdies 
schon  alle  die  Zwischenträger  des  Contagiums  bekannt?  In  der 
Literatur  existirt  bereits  eine  Zahl  von  Rotzfällen  mit  mangelnder 
Anamnese.  Ich  glaube  darum  im  Rechte  zu  sein,  wenn  ich  unter 
den  hier  obwaltenden  Umständen,  zumal  Rotzerkrankungen  von  Pfer- 
den im  Verlaufe  des  Herbstes  und  Winters  1878,  wenn  auch  nicht 
auf  dem  betreffenden  Gute  und  seiner  nächsten  Umgebung,  doch  an 
Terschiedenen  Stellen  unserer  Provinz  nachgewiesen  worden  sind,  an 
der  Diagnose  des  Malleus  acutus  festgehalten  habe.  Ich  hielt  mich 
um  so  mehr  dazu  berechtigt,  da  ich  ein  derartiges  Erankheitsbild 
bisher  nicht  vor  mir  gehabt  habe.  Welche  qualvollen  Symptome 
bat  dasselbe  dargeboten!  Den  Eindruck  einer  Infectionskrankheit 
habe  ich  selten  in  so  crasser  Weise  vor  Augen  gehabt.  Hilfloser  als 
bei  anderen  Infectionskrankheiten  stand  man  diesem  schweren  Leiden 
gegenüber.  Die  antipyretischen  Mittel  hatten  nur  vorübergehende  Wir- 
kung und  waren  von  so  gefährlichen  CoUapsuszuständen  gefolgt,  dass 
von  einer  häufigen  Wiederholung  grosser  Gaben  derselben  abgestan- 
den werden  musste. 

Aufs  Neue  bat  dieser  Fall  bestätigt,  dass  die  Eintheilung  des 
Rotzes  nach  dem  Verlauf  und  der  Dauer,  in  acuten  und  chronischen 
Rotz^  die  einfachste  und  zweckmässigste  ist.  Mit  Bestimmtheit  Hess 
sich  Anfang  und  Ende  des  Leidens  ermitteln.  Der  Tod  ist  genau 
am  17.  Tage  der  Krankheit  erfolgt.  Es  stimmt  diese  Dauer  mit  den 
Angaben  von  B  o  1 1  i  n  g  e  r.    Unter  28  acuten  Rotzfällen,  die  derselbe 


376  XIX.  MosLER 

zusammengeBtellt  hat,  betrag  die  mittlere  Krankheitsdaaer  ohne  Ein- 
rechnung  der  IncubationBzeit  «»16,5  Tage. 

Die  einzelnen  Symptome  waren  in  nnserem  Falle  so  exquigiter 
Art,  dasB  sich  die  Reihenfolge  derselben  sehr  genau  controliren  liesa. 
Diesem  Umstände  ist  um  so  mehr  Werth  beizulegen,  weil  unser  Fall 
SU  den  selteneren  gehört,  welche  durch  flüchtiges  Contagiam  entstan- 
den sind,  in  welchen  ftusserliche  Zeichen  den  Ansteckung  fehlen.  Die 
Diagnose  des  Leidens  wird  dadurch  wesentlich  erschwert.  Es  war 
der  erste  Fall  von  acutem  Rotz,  den  ich  in  meiner  Klinik  Yorgestellt, 
überhaupt  je  gesehen  habe.  Nur  durch  BoUinger's^  treffliche 
Schilderung  dieser  Krankheit  ist  es  mir  möglich  geworden,  das  Lei- 
den zu  erkennen.  In  mehr  als  einer  Hinsicht  ist  die  Symptomato- 
logie dieser  selteneren  Art  von  Malleus  durch  unsere  Beobachtong 
gefördert  worden. 

Die  ersten  Erscheinungen  waren  Mattigkeit,  Gliederreissen, 
Schmerz  im  rechten  Oberschenkel.  Fieber  scheint  bei  diesen  rheama- 
toiden  Schmerzen  anfangs  nicht  bestanden  zu  haben.  Am  4.  Krank- 
heitstage ist  dasselbe,  wie  es  scheint,  in  Folge  einer  embolischen 
Lungenaffection  mit  einem  Schüttelfroste  eingeleitet  worden  und  ist 
es  von  da  an  so  intensiv  gewesen,  dass  es  durch  Antipyretiea  weniger 
influirt  worden  ist,  als  es  bei  anderen  Infectionskrankheiten  der  Fall 
zu  sein  pflegt.  Der  Charakter  des  Fiebers  war  der  einer  Febris  con- 
tinua  remittens. 

Mit  Recht  sagt  BoUinger:  „Ein  Beginn  mit  Schüttelfrost  ist 
sehr  selten.  Oefters  fehlt  im  Anfang  jedes  Fieber  —  mit  den  heftiger 
werdenden  Schmerzen  treten  häufig  förmliche  Fieberanfftlle  auf  oder 
ein  continuirliches  Fieber.  —  Bei  mangelnder  Anamnese  und  wenn 
die  Infection  auf  dem  Wege  des  flüchtigen  Gontagiums  stattgefunden 
hat,  wenn  also  äusserliche  Stichen  der  Ansteckung  fehlen,  hat  das 
ganze  Bild  einige  Aehnlichkeit  mit  einem  beginnenden  Typhus  oder 
auch,  wenn  die  Schmerzen  vorherrschend  sind,  mit  acutem  Oelenk- 
rheumatismus. " 

Am  7.  Krankheitstage  diagnosticirte  ich  linksseitige  Pnea- 
m  0  n  i  e  in  Verbindung  mit  einer  Muskelaffection,  von  der  es  zunfichst 
zweifelhaft  war,  ob  sie  rheumatischer,  trichinöser,  pyftmi- 
scher  Natur  sei.  Die  Allgemeinerscheinungen,  welche  an  eine  In- 
fectionskrankheit  denken  Hessen :  apathisches  Aussehen,  heftiger  Durst, 
trockene  Zunge,  reichliche  Seh  weisse,  nahmen  an  den  folgenden  Tagen 
noch  zu.    Besonders  auffallend  und  vielleicht  für  diese  Art  von  Fällen 


1)  ▼.  Ziemssen^s  Handbuch.  III.  Bd.  S.  473. 


Mallens  acatus  beim  Menschen.  377 

charakteristisch  war,  dass  die  dabei  vorkommenden  ödematösen 
Schwelinngen  der  Hant,  die  bei  der  Berührung  schmerzhaft 
warenjn  eigenthUmlicher  Weise  die  Eörperstellen  wech- 
selten. 

Am  11.  Erankheitstage  nahmen  die  Symptome  der  Muskelaffeo- 
tion  noch  zn.  Die  Neryenerscheinnngeni  insbesondere  Störungen  des 
SensoriumSi  Hessen  an  Typhus  denken,  ohne  dass  man  im  Stande 
war,  eine  der  drei  Formen  desselben  mit  Bestimmtheit  zu  diagnosti- 
dren.  Dass  es  sich  wirklich  um  eine  Infectionskrankheit  handele, 
wurde  durch  den  Nachweis  des  zunehmenden  Milztumors  fest- 
gestellt. Erst  am  14.  Tage  der  Krankheit  vermochte  ich  eine 
sichere  Diagnose  zu  formuliren  aus  den  beulenartigen  Geschwül- 
sten des  Oberschenkels  in  Verbindung  mit  dem  pustulösen  Exan- 
them, das  an  diesem  Tage  zuerst  auf  der  rechten  Wange  zum  Vor- 
sehein kam,  an  der  Gesichts-  und  Kopfhaut  sich  vermehrte,  an  den 
folgenden  Tagen  an  vereinzelten  anderen  Körperpartien,  z.  B.  auf 
dem  Rücken,  an  der  rechten  Planta  pedis  und  dem  linken  Fuss- 
rücken  noch  zum  Vorschein  kam.  Es  hatte  das  Exanthem  ganz  den 
Charakter  von  Variola.  Indem  unser  Fall  überhaupt  zu  denjenigen 
gehört,  die  einen  sehr  raschen  Verlauf  genommen  haben ,  ist  es  er^ 
klärlich,  dass  auch  die  Pusteln  und  Abscesse  sich  sehr  rasch  ent- 
wickelt haben. 

Was  die  Schleimhäute  anbelangt,  so  ist  besonders  hervor- 
zaheben,  dass  ein  Nasenausfluss  während  des  Lebens  gänz- 
lich gefehlt  hat.  Die  bei  der  Section  am  hinteren  Theile  der 
Nasenhöhle  aufgefundene  Ulceration  ist  jedenfalls  erst  am  Schluss 
der  Erkrankung  gleichzeitig  mit  der  Pharyngitis  hinzugekommen. 
Die  Diagnose  des  Leidens  ist  durch  den  fehlenden  Nasenausfluss 
wesentlich  erschwert  worden.  Kelsch  vermisste  unter  23  von  ihm 
gesammelten  Fällen  nur  viermal  den  Nasenausfluss.  Jedenfalls  ge- 
hört das  Fehlen  des  Nasenausflusses  bei  Rotz  zu  den  selteneren  Vor- 
kommnissen. Indem  wir  ihn  in  einem  so  genau  beobachteten  Falle 
Termisst  haben,  wird  BoUinger's  Behauptung  aufs  Neue  bestätigt, 
dass  der  Nasenausfluss  bei  Kotz  nichts  weniger  als  pa- 
thognomisch  ist.  Gleichzeitig  mit  der  Hauteruption  stellte  sich  in 
unserem  Falle  eine  sehr  intensive  Entzündung  der  Bachenschleim- 
haut mit  diphtheritischem  Charakter  ein.  Die  Submaxillar-  und 
Sublingualdrösen  waren  dabei  nicht  angeschwollen. 

Vonseiten  des  Gastro- Intestinal -Tractus  beobachteten  wir  hef- 
tigen Durst,  trockene  Zunge,  gedngen  Appetit,  angehaltenen  Stuhl. 
Defäcation  musste  erst  durch  einige  Gaben  Ricinusöl  erzielt  werden, 


378  XIX.  MosLER 

wonach  der  Kranke  erheblich  geschwächt  war,  was  gewiss  als  Zeichen 
der  allgemeinen  Schwäche  anzusehen  ist.  Vom  11.  Krankheitstage 
an  wurde  der  Unterleib  massig  aufgetrieben,  bei  Palpation  schmen- 
haft.  Die  Leber  war  vergrössert,  empfindlich  bei  Berdbning, 
wahrscheinlich  in  Folge  der  durch  die  Autopsie  constatirten  Hepa- 
titis suppurativa  metastatica. 

Nach  Bollinger  wurde  nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen 
im  Leben  Milzvergrösserung  nachgewiesen.  In  unserem  Falle 
konnte  schon  am  11.  Tage  die  Percussion  eine  Milzvergrösserung 
auffinden.  Dieselbe  nahm  an  dem  folgenden  Tage  nachweisbar  to. 
Die  Section  Hess  den  Milztumor  theils  als  acuten  Infectionstumor, 
theils  als  eitrigen  Infarkt  erkennen. 

Auffallend  waren  die  Phänomene  im  Bereiche  der  RespirationB- 
Organe.  Mit  am  ersten  konnte  die  metastatische  Infiltration  des  unte- 
ren Lappens  der  linken  Lunge  aufgefunden  werden.  Die  Section 
ergab  mit  die  interessantesten  Befunde  in  den  Athmungsorganen, 
weitverbreitete  Pusteln  der  Pleura,  zahlreiche  grössere 
und  kleinere  Knoten  in  den  Lungen.  Hochgradige  Schwäche 
des  Pulses  war  in  Verbindung  mit  exquisiter  Herzschwäche  während 
des  ganzen  Verlaufes  erkennbar.  Letztere  lässt  sich  theil weise  aus 
den  bei  der  Section  aufgefundenen  Knoten  der  Herz- 
muskulatur erklären.  Auch  die  Theilnahme  des  Centralnerven- 
systems  war  sehr  beträchtlich. 

Vom  13.  Tage  an  entwickelte  sich  unter  Kleinwerden  des  Palses 
und  Auftreten  von  Delirien  soporöser  Zustand ;  reichliche  Schweisse, 
unfreiwillige  Entleerungen  traten  hinzu  und  unter  Erscheinungen  des 
Collapsus  erfolgte  der  Tod.  Nach  allen  Seiten  hat  die  Section  unsere 
Diagnose  bestätigt.  ^Zu  meinem  grossen  Bedauern  bin  ich  ausser 
Stande,  über  die  genaueren  Verhältnisse  des  pathologisch  -  anatomi- 
schen Befundes  zu  referiren^  da  es  mir  obwaltender  Umstände  wegen 
nicht  möglich  gewesen  ist,  eine  genauere  Untersuchung  der  patho- 
logisch-anatomischen Präparate  vorzunehmen  oder  Cognition  von  einer 
stattgehabten  Untersuchung  zu  erlangen.  Zu  erwähnen  will  ich  nicht 
unterlassen,  dass  durch  die  intra  vitam  angestellte  Untersuchung  des 
Blutes  I  selbst  mit  den  schärfsten  Vergrösserungen ,  das  Vorhanden- 
sein von  Bacterien  nicht  constatirt  werden  konnte.  Auch  war  es 
unmöglich,  ein  abnormes  Verhältniss  der  weissen  zu  den  rothen  Blut- 
körperchen nachzuweisen. 

Eine  Uebertragung  des  Malleus  vom  Menschen  zum 
Menschen  hatten  wir  zu  beobachten  Gelegenheit.  Bei 
dem  Wärter  B.,  welcher  den  Kranken  täg}ich  verschiedene  Male  mit 


lialletts  acutus  beim  Menschen.  379 

entblössten  Armen  ins  Bad  getragen  und  umgebettet  batte,  zeigten 
sieh  auf  beiden  Vorderarmen  etwa'  zwanzig  ebensolcher  Pusteln,  wie 
sie  auf  der  Stime  und  Wange  des  Patienten  zu  sehen  waren.  Die- 
selben nahmen  ebenfalls  schnell  einen  eitrigen  Inhalt  an  und  waren 
mit  einem  dunkelrothen  Hof  umgeben.  Dabei  klagte  B.  über  geringen 
EopfschmerZ;  auch  wies  das  Thermometer  geringe  Temperatursteige- 
rang  nach.  Durch  Application  von  Umschlägen  mit  Sprocentiger 
Carbolsäure,  welche  täglich  mehrere  Male  erneuert  wurden,  gelang  es, 
die  Pustelbildung  zu  hemmen,  und  griff  die  Infection  nicht  weiter 
um  sich. 

Die  Versuche,  das  Botzgift  auf  Kaninchen  überzuimpfen,  ergaben, 
trotz  der  dabei  angewandten  Vorsicht,  keine  positiven  Resultate. 


Beitrag  zur  Symptomatologie  der  Lähmungen  der  SchultergOrtel* 

Musculatur. 

Von 

Dr.  M.  Bernhardt, 

Docent  in  Berlin« 

I.    Serratnslähmnng^en. 

Im  XXIL  Bande  dieses  Archivs  habe  ich  unter  den  von  mir 
von  Ostern  1874  bis  Ende  1876  beobachteten  peripheren  LAhmangea 
auf  S.  376  auch  drei  Serratuslähmungen  erwähnt,  dieselben  indessen 
der  Bekanntheit  des  Symptomenbildes  halber  nur  cursorisch  mittheilen 
zu  sollen  geglaubt.  Seitdem  aber  neuerdings  Lewinski  in  einer 
Arbeit  „  lieber  die  Lähmung  des  M.  serratus  anticus  major  (Virchow's 
Archiv.  Bd.  74.  1878)  die  Aufmerksamkeit  aufs  Neue  auf  diese  L&h- 
mungsform  gelenkt  und  sich  in  einigen  Hauptpunkten  gegen  allg^ 
mein  verbreitete  Annahmen  und  Behauptungen  vieler  gewichtiger 
Autoren  ausgesprochen  hat,  glaube  ich  durch  wörtliche  Wiedergabe 
des  lange  Zeit  vor  dem  jetzt  entbrannten  Streit  erhobenen  Status 
praesens  meiner  Fälle  vielleicht  einigen  Nutzen  bringen  zu  können. 

Es  handelt  sich  bei  dieser  Controverse  zumeist  um  die  Stell  an; 
des  Schulterblattes  in  der  Ruhe;  nach  Duchenne  wäre  bei 
isolirter  Lähmung  des  M.  serratus  kefne  Abweichung  von  der  nor- 
malen Haltung  zu  bemerken.  ^Les  signes  pathognonäques  de  ralro- 
phte  du  grand  denteU  ne  se  manifesterU  que  pendnnt  Vilevalion  volon- 
taire  du  bras.  Tai  dimontre  en  effet  que  tatrophie  du  grand  deiUde 
n'occasionne  aucune  dtfformüS  appridable  dans  Fattitude  de  Fepaule 
pendant  le  repos  musculah^e  et  lorsque  les  bras  tomberU  sur  kscdtes 
du  troncy  a  moins  toutefois  que  les  deux  tiers  infirieurs  du  trapisf 
ne  soient  en  meme  temps  entihrement  airophiis^  (De  l'ölectrisation 
localisäe.  Paris  1872.  p.  942).  —  Zugleich  gesteht  derselbe  Autor 
indessen  zu,  dass  er  diese  Behauptung  eigentlich  mehr  theoretisch 


L&limaiigen  der  Schttltergttrtelmuscalatiir.  381 

coDBtruirt  habe;  denn  an  einer  anderen  Stelle  (Physiologie  des  mou* 
rementB.  1867.  p.  40)  sagt  er:  „N'ayant pas  encore  eu  Poccasion  (Tob- 
Server  une  parcdysie  ou  nne  atrophie  parfaitement  limitie  au  grand 
ienteli  (ce  qui  proiwe  que  eette  localisation  dort  ätre  rare,  putsque 
sur  tme  vingtaine  de  cos  au  movns  datrophies  ou  de  paralysies  du 
grand  deniele  que  fai  exploris^  je  ne  taipas  rencontre  une  seule  fois), 
je  ne  puis  Vappuyer  sur  V Observation  clinique. " 

Berger  benutzt  in  seiner  Monographie  (Die  Lähmung  des  Nervus 
thoracicus  longus.  Lähmung  des  M.  serratus  ant.  major.  Breslau 
1S73)  auf  S.  42  dieses  Zugeständniss  Duchenne's  für  die  Verthei- 
digung  seiner  Ansicht  von  der  Deviation  des  Schulterblattes  bei 
Serratuslähmung  auch  in  der  Buhe  ^) :  es  habe  eben  durch  die  gleich- 
zeitige Parese  der  Antagonisten  (besonders  des  Cucullaris,  Rhomb. 
und  Levator  ang.  scap.)  die  Difformität  nur  deshalb  gefehlt,  weil  die 
antagonistische  Verkürzung  der  genannten  Muskeln  und  damit  die 
Ursache  der  Verschiebung  nicht  habe  zu  Stande  kommen  können. 

Umgekehrt  fand  Lewinski  bei  einer  Durchmusterung  der  dies* 
bezQglichen  Literatur  nur  einen  reinen  Fall  isolirter  Serratusläh- 
muDg  (Busch,  Archiv  für  klin.  Chirurgie.  Bd.  4.  S.  39),  bei  dem  in 
der  Ruhelage  keine  Abweichung  des  Schulterblattes  zu  bemerken 
war;  alle  anderen  fand  er  mit  Lähmungen  oder  Paresen  anderer 
Muskeln  des  Schultergürtels  complicirt  und  verwirft  auch  er  aus  die- 
sem Grunde  die  Beweiskraft  dieser  Fälle.  Es  liegt  uns  fern,  auf  die 
theoretischen  Auseinandersetzungen  Lewinskj's  hier  einzugehen, 
nur  das  sei  noch  erwähnt,  dass  dieser  Autor  selbst  den  Fall  einer 
an  progressiver  Muskelatrophie  leidenden  Dame  beschreibt,  bei  wel- 
cher trotz  des  Fehlens  der  Mm.  rhomboidei,  der  Levatores  ang.  scap. 
und  fast  der  ganzen  Mm.  cucullares  (also  gerade  der  Muskeln,  durch 
deren  antagonistische  Verkürzung  die  Deviation  bedingt  sein  sollte) 
die  als  typisch  beschriebene  Abweichung  der  Schulterblätter  in  der 
Rahelage  zu  beobachten  war.  Am  Schluss  seiner  inhaltreichen  Arbeit 
spricht  sich  Lewinski  so  aus:  bei  ruhig  herabhängendem  Arm  und 
aufrechter  Körperhaltung  machen  isolirte  Lähmungen  des  M.  serratus 
keine  Erscheinungen,  sie  werden  dagegen  deutlich  erkennbar  bei  der 


1)  „Bei  ToUständiger  Paralyse  des  Serratus  und  bei  völliger  Integrit&t  seiner 
Antagonisten  zeigt  sieb  schon  in  der  Ruhestellung  bei  berabh&ngendem  Arm  des 
Kranken  folgende  Difformität:  Die  Scapnla  steht  schief  mit  von  oben  und  aussen 
nach  unten  and  innen  schr&gverlaafendem  spinalem  Rande;  dieser,  besonders  sein 
unterer  Winkel,  ragt  flügelartig  nach  hinten  vor.  Das  Schulterblatt  steht  ausser- 
dem im  Oanzen  höher  und  der  Wirbelsäule  beträchtlich  genähert.  Der  äussere 
Scapnlarrand  hat  eine  mehr  horizontale  Richtung  angenommen"  (Berg er,  S.  43). 


382  XX.  Bernhardt 

Erhebung  des  Arms  nach  seitwärts  und  vorn:  die  jetzt  entstehende 
Deviation  ist  nur  die  Folge  der  isolirten  Deltoideus -Wirkung;  zu 
diesen  Anschauungen,  sagt  Lewin ski  (und  wir  haben  oben  die 
Richtigkeit  dieses  Ausspruchs  nachgewiesen),  war  bereits  Duchenne 
durch  Analyse  seiner  klinischen  Beobachtungen  im  Grossen  ond 
Ganzen  gelangt. 

Nachfolgende  Mittheilungen  beanspruchen  nur,  wie  schon  zu 
Anfang  erwähnt,  das  Interesse  vorurtheilsfreier,  lange  ^or  der  jetzigen 
Controverse  gemachter  Beobachtungen. 

Fall  I:  Im  Begriff  einen  schwer  wiegenden  Gegenstand  von  seinem 
hochgelegenen  Standort  hernnterzunehmen,  fühlte  die  bis  dahin  gesunde 
20jährige  Kranke  8.  einen  heftigen  Schmerz  im  rechten  Schalterblatt.  Trotz- 
dem (oder  weil?)  sie  sich  „ ziehen '^  liess,  trat  eine  fortschreitende  Behin- 
derang  in  der  Armbewegung  und  eine  zeitweilige  Verschlimmerong  der 
Schmerzen  ein.  Die  Lfihmung  bestand  zar  Zeit  meiner  ersten  Untersachnng 
(April  1875)  schon  2  Jahre  und  hatte  sich  trotz  stattgefundener,  conse- 
qnenter  und  von  sachkundiger  Hand  ausgefflhrter  Behandlung  nicht  gebes- 
sert. Beim  Aufrechtstehen  der  Kranken  und  dem  verticalen  Herabhängen 
beider  Arme  bemerkt  man  rechts  ein  Schrägstehen  und  deutliches  Hervor- 
treten des  ganzen  rechten  inneren  Schulterblattrandes:  die  rechte  Scapnla 
steht  tiefer  als  die  linke.  Beide  unteren  Schulterblattwinkel,  speciell  der 
rechte,  stehen  nach  hinten  und  aussen  hervor.  Der  Abstand  des  linken 
Schulterblattes  von  der  Wirbelsäule  beträgt  8  Cm.,  der  des  rechten  10  Cm. 
Beim  Versuch,  den  rechten  Arm  in  der  Sagittalebene  zu  heben,  gelangt 
derselbe  kaum  bis  zur  Horizontalen ;  dabei  tritt  das  Schulterblatt  nach  hinten 
sehr  stark  hervor,  so  dass  man  die  ganze  Hand  zwischen  dasselbe  und 
den  hinteren  Abschnitt  der  Rippen  hineinlegen  kann.  Die  elektrische  Er- 
regbarkeit der  einzelnen  Bündel  des  M.  trapezins  und  der  Zacken  des 
M.  serratus  ist  eine  minimale. 

Die  hier  beobachtete  Stellung  des  Schulterblatts  in  der  Ruhe  ist 
offenbar  zum  grossen  Theil  von  der  Parese  und  Atrophie  des  rechten 
Trapezmuskels  abhängig. 

Fall  II:  Eine  3 9 jährige  Hebamme  K«  setzte  sich  während  einer 
kalten  Nacht  starkem  Luftzug  aus  und  verspürte  noch  in  derselben  Nacht 
heftige  Schmerzen  in  der  rechten  Schulter,  welche  den  Arm  hinab  und  nach 
dem  Nacken  heranf  zogen.  Innerhalb  der  nächsten  14  Tage  machte  sich 
allmählich  eine  Besserung  der  zu  Anfang  bestehenden  Steifigkeit  bemerklich; 
erst  nach  Ablauf  von  etwa  6  —  8  Wochen  trat  die  Beeinträchtigung  der 
Function  des  rechten  Arms  beim  Erheben  ein. 

In  der  Ruhestellung  bei  herabhängendem  Arm  tritt  der  rechte  An- 
gnlus  scapulae  inferior  mehr  nach  hinten  hervor  wie  der  linke.  Das 
ganze  rechte  Schnlterblatt  steht  etwas  höher  als  das  linke.  Der  Ab- 
stand des  rechten  inneren  Schulterblattrandes  von  der  Wirbelsänle  iBt 
höchstens  gleich  dem  des  linken,  jedenfalls  nicht  geringer.  £ioe 
anf fallende  Schrägstellung  des  inneren  Schulterblattrandes  ist  nicht 


L&hmttDgen  der  SchultergOrtelmascalatar.  383 

za  bemerken.  Der  Ann  kann  in  der  Sagittalebene  bis  zur  Horizontalen 
erhoben  werden,  bei  weiteren  Versuchen  treten  Schmerzen  in  der  Schulter 
ein.  Schon  bei  der  Horizontalerhebung  tritt  das  Schulterblatt  flUgelförmig 
vom  Thorax  fort,  so  dass  man  mit  der  Hand  die  Innenseite  palpiren  kann. 
Auf  die  linke  Schulter  kann  die  rechte  Hand  gelegt  werden.  Schiebt  man 
den  Angulua  scapulae  nach  vom,  so  kommt  die  Erhebung  des  Arms  bis 
zur  Verticalen  gut  zu  Stande. 

Die  elektrischen  Erregbarkeitsverhältnisse  waren  normal. 

Hier  war  also  bei  einer  isolirten  Serratuslähmung  keine  wesent- 
liche StellungaveränderuDg  des  Schulterblatts  in  der  Ruhe  zu  be- 
merken gewesen.  ^ 

Etwas  anders,  mehr  der  Beschreibung  Berger's  und  Anderer 
entsprechend,  stellten  sich  die  Verhältnisse  in 

Fall  m  dar.  Hier  hatte  ein  22 jähriger  Schlächter  die  Gewohnheit, 
die  gefönte  Mulde  stets  auf  der  linken  Schulter  zu  tragen.  Ganz  allmäh- 
lich fühlte  Patient  eine  seit  einigen  Wochen  zunehmende  Schwierigkeit  bei 
der  Erhebung  des  linken  Arms,  während  Schmerzen  nie  bestanden.  Ein 
Trauma  hatte  nicht  eingewirkt.  In  der  Ruhelage  sieht  man  den  linken 
unteren  Schnlterblattwinkel  etwas  höher  und  mehr  vom  Brustkasten  nach 
binten  abstehen  als  den  rechten.  Der  innere  Scapularrand  steht  etwas 
weniger  vertical  als  der  rechte  (mehr  nach  ausseq  gerichtet).  Der 
QDtere  Scapulawinkel  steht  links  der  Wirbelsäule  um  1"  näher  als  der 
rechte.  Das  Heben  der  Schultern  ist  beiderseits  vollkommen  frei.  Beim 
Versuch,  den  linken  Arm  in  der  Sagittalebene  zu  erheben,  bildet  sich  zwi- 
schen dem  inneren  Schulterblattrand  und  der  Wirbelsäule  eine  tiefe  Rinne, 
io  die  man  fast  die  Hand  legen  kann.  Dabei  tritt  das  Schulterblatt  sehr 
weit  von  der  Thoraxwand  ab  und  der  Arm  kommt  nur  bis  zur  Horizon-  | 

taleo.  Drtlckt  man  kräftig  auf  den  Angulus  scapulae  nach  auswärts  und 
zugleich  nach  dem  Brustkasten  zu,  so  geht  die  Erhebung  leicht  vor  sich. 
Aach  bei  der  Elevation  des  Arms  in  der  Frontalebene  gelangt  er  nur  bis 
zur  Horizontalen :  statt  nach  auswärts  zu  rücken,  bleibt  der  innere  Schulter- 
biattrand  stehen  und  hebt  sich  vom  Thorax  ab. 

Resnmiren  wir  kurz  das  Ergebniss  der  drei  hier  mitgetheilten 
Beobachtungen;  so  ist  die  erste  bei  der  offenbaren  Mitbetheiligung 
des  M.  trapezius  an  der  Lähmung  für  die  Beurtbeilung  der  Ruhestel- 
lung des  Schulterblatts  bei  Serratuslähmungen  im  Sinne  Lewinski's 
nicht  zu  verwerthen.  Im  zweiten  Fall  wie  im  dritten  stand  das 
Schulterblatt  der  kranken  Seite  etwas  höher  als  das  gesunde  und 
der  Angulus  scapulae  infer.  trat  mehr  nach  hinten  hervor.  Warum 
im  dritten  Fall  noch  eine  geringe  Schrägstellung  des  inneren  Schul- 
terblattrandes und  damit  ein  Nähertreten  des  Angulus  scapulae  infer. 
an  die  Wirbelsäule  vorhanden  war,  Erscheinungen,  welche  im  zweiten 
Falle  entschieden  fehlten,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden ;  jedenfalls 
war  Lähmung  des  M.  cucullaris  auszuschliessen. 


384  XX.  Bbbnhabdt 

Serratuslähmungen  gehören,  soviel  ieh  weiss,  nicht  zu  den  be- 
sonders häufig  vorkommenden ;  daher  ist  es  geboten,  gegebenen  Falles 
noch  mehr  von  jetzt  ab  als  früher  auf  die  erwähnten  Punkte  zu  achten 
und  neben  der  Beschaffenheit  des  gelähmten  M.  serratus  auch  dem 
Verhalten  der  übrigen  Schultermuskeln,  besonders  dem  Cucullaris, 
Levator  ang.  scapulae,  dem  Rhomboideus  und  dem  Deltoideus  eine 
eingehende  Aufmerksamkeit  zu  schenken. 

II.    Lähmung  des  M.  cucnllaris  und  sterno-cleidomaatoldoiis  dezter, 
sowie  der  rechten  Zungenhälfte  und  des  rechten  Stimmbandei  (Lili- 
mung  des  H.  accessorius  und  hypoglossus  dexter). 

Es  sei  mir  gestattet,  im  Anschluss  an  das  eben  Ausgesprochene 
und  in  Bezug  auf  die  Schulterblattstellung  des  Vergleiches  wegen 
die  Krankengeschichte  einer  53jährigen  Frau  Er.  hier  raitzutheilen, 
welche  neben  anderen  interessanten  Krankheitserscheinungen  auch 
eine  exquisite  Lähmung  des  rechten  M.  cucullaris  zeigte. 

Die  früher  ioimer  gesunde  und  rflstige  Frau  (Wäscherin)  fing  etwa 
2  Jahre  vor  dem  jetzt  (Januar  1879)  niedergeschriebenen  Status  praesens 
an,  eine  Erschwerung  und  Veränderung  ihrer  Sprache  zu  bemerken.  Ein- 
zelne Buchstaben  konnte  sie  nur  mit  Mflhe  und  ohne  Kraft  hervorhringeo 
(P,  B,  K);  die  Sprache  erhielt  einen  nasalen  Beiklang,  das  Athmen  wurde 
zeitweise  beklommen,  einige  Male  wurde  das  Sprechen  für  eine  bis  zwei 
Minuten  überhaupt  unmöglich.  Dazu  gesellte  sich  seit  einem  Jahre  eine 
stets  zunehmende  Schwäche  des  rechten  Arms,  der  ihr  das  Aufstecken  der 
Wäsche  auf  die  Waschleine  fast  unmöglich  machte.  Speciell  der  letzteren 
sie  hauptsächlich  in  ihrem  Berufe  schädigenden  Beschwerden  wegen  snchte 
sie  endlich  ärztliche  Hilfe  auf. 

Patientin  ist  fieberfrei  und  geht,  soweit  möglich,  ihrem  Berufe  nach. 
Sie  klagt  zunächst  über  heftige  Kopfschmerzen,  die  besonders  im  Hinter- 
haupt, aber  auch  zeitweilig  in  der  Stirn  ihren  Sitz  haben.  Manchmal 
schwankt  sie  im  Gehen  wie  eine  Betrunkene,  fällt  auch  in  der  letzten  Zeit 
oft  hin,  ohne  indess  je  das  Bewusstsein  zu  verlieren.  An  den  Angen  ist 
in  Bezug  auf  Bewegung,  Pupillenweite  und  Reaction  nichts  Abnormes  lo 
bemerken;  das  Sehvermögen  soll  sich  gegen  früher  verschlechtert  haben 
(ophthalmoskopisch  war  zur  Zeit  nichts  nachzuweisen),  ebenso  das  Hör- 
vermögen des  rechten  Ohres.  Die  Sensibilität  ist  in  der  rechten  Gesichts-, 
Mund-  und  Schiandhälfte  in  nichts  von  der  der  linken  Seite  verschiedeOi 
ebenso  ist  die  Geschmacksempfindlichkeit  der  rechten  Zungenhälfte  dnrcbaoB 
erhalten.  Die  Gaumensegelhälften  sind  ungleich,  die  linke  schmaler  als  die 
rechte  und  höher  stehend.  Die  Sprache  ist  näselnd,  Flüssigkeiten  kommen 
beim  Schlucken,  das  oft  mit  Mühe  verbunden  ist,  zeitweilig  aus  der  Nase 
zurück.  Die  rechte  Zungenhälfte  ist  deutlich  schmaler  als  die  linke  aod 
zeigt  lebhafte  fibrilläre  Zuckungen;  beim  Herausstrecken  weicht  die  Zooge 
nach  rechts  hin  ab;  nach  den  Seiten  hin  kann  sie  zwar  bewegt  werden, 
aber  entschieden  langsamer  als  normal. 


Lfthmungen  der  Schultet^gOrtelmascalatar.  385 

Der  Pols  ist  regelmftSBig,  88  Scblftge  in  der  Minute,  die  Atlimnng  ist 
in  der  Rahe  frei ;  bei  Anstrengungen  und  schnelleren  Bewegungen  tritt  ein 
GefOhl  Ton  Beklemmung  auf.  Die  Sprache  ist  eher  leise,  wenig  energisch, 
etwas  heiser;  kräftiges  Hasten  kommt  nicht  zu  Stande,  der  Exspirations- 
strom  ist  schwach,  so  dass  trotz  intacten  N.  faciales  und  gut  ausfahrbaren 
LippenschiusBes  die  Explosivlaute  nur  matt  und  kraftlos  gebildet  werden. 

Eine  laryngoskopische  Untersuchung  ergibt  aufs  Deutlichste  die  Läh* 
mang  des  rechten  Stimmbandes:  dasselbe  bleibt  bei  der  Phonation  unbe- 
weglich an  Ort  und  Stelle,  während  das  linke  Stimmband  sich  über  die 
Mittellinie  hinaus  nach  rechts  hinüber  bewegt.  Uebrigens  fühlte  ich 
rechts  wie  links  die  Stimmbandvibrationen  beim  Auflegen  der 
Finger  auf  die  Selten  wände  des  Kehlkopfs  in  gleicher  Stärke  (vergl. 
B.  Fränkel,  Verhandl.  der  Berl.  Med.  Oeseiisch.  1875.  S.  73). 

Betrachtet  man  die  aufrechtstehende  Kranke  von  hinten,  so  sieht'  man 
die  rechte  Schulter  bedeutend  niedriger  stehen  als  die  linke.  Der  Abstand 
des  inneren  Schulterblattrandes  von  der  Mittellinie  ist  rechts  mehr  als  hand- 
breit, links  etwa  2  —  3  Qaerfinger.  Der  rechte  innere  Scapularrand  geht 
von  unten  und  innen  schräg  nach  oben  und  aussen.  Soll  der  Arm  erhoben 
werden,  so  rückt  das  ganze  Schulterblatt  deutlich  nach  aussen  und  bleibt 
dem  Thorax  anliegend,  ein  deutlicher  Unterschied  von  dem  Verhalten  bei 
SerratosUhmung.  Beim  Heben  der  Schultern  bleibt  die  rechte  deutlich 
hinter  der  linken  zurück:  der  M.  levator  ang.  scapulae  springt  dabei  als 
starker  Wulst  energisch  hervor.  Während  Drehungen  des  Arms  nach  aussen 
und  innen  gut  zu  Stande  kommen,  gelangt  der  Arm  beim  Heben  nur  bis 
zur  Horisoatalen.  Bdm  Zusammenbringen  der  Schultern  nach  hinten  bleibt 
der  rechte  innere  Schulterblattrand  weit  von  der  Mittellinie  ab,  tritt  aber 
doch  etwas  mehr  heran  als  in  der  Ruhe:  das  ganze  Schulterblatt  steht 
dann  höher  und  oben  am  inneren  Winkel  zeichnen  sich  die  Contoaren  des 
M.  rhomboid.  und  levator  ang.  scap.  deutlich  ab. 

Während  die  beiden  letztgenannten  Muskeln,  sowie  die  M.  supra-  und 
infraspinati  in  prompter  Weise  auf  den  elektrischen  Reiz  reagiren,  zeigt 
sich  die  Erregbarkeit  des  M.  trapezius  durchaus  verschwiln- 
den.  Das  Gleiche  gilt  für  den  rechten  M.  sterno-cleidomasto* 
idens;  nur  ein  dünner,  zarter,  vom  rechten  Processus  mastoideus  nach 
dem  Stemum  hinziehender  und  bei  passiven  Drehungen  nach  links  hin  her- 
vortretender Strang  erinnert  an  den  geschwundenen  Muskel.  Der  Kopf 
(leicht  nach  rechts  gedreht)  kann  zwar  activ  nach  links  hin  gedreht  werden, 
doch  ist  das  in  keiner  Weise  in  der  Ausdehnung  möglich  wie  bei  Rechts- 
drehangen  desselben.  Im  Uebrigen  ist  an  der  rechten  Oberextremität  keine 
Lähmung  oder  Atrophie  nachweisbar,  nar  empfindet  die  Kranke  zeitweilig 
Schmerzen  im  rechten  Arm  sowohl  wie  im  Bein.  —  Die  Behandlung  bestand 
in  der  Darreichung  von  Jodkalium  und  der  zweckentsprechenden  Anwendung 
des  galvanischen  Stroms. 

Dies  das  Thatsächliobe  der  Beobachtung ;  es  geht  daraus  hervor, 

dass  wir  es  in  diesem  Falle  zu  than  hatten  mit  einer  Lähmung  des 

gesammten  rechten  Accessoriusgebiets,  sowie  des  rechten  Hypoglossus. 

Gelähmt  sind  die  für  den  rechten  M.  cucuUaris,  sternocleidomastoi- 

deus  und  die  für  die  Bewegungen  des  Gaumens  and  des  Schlundes 

DtstwhM  ArcblT  t  klln.  Medioln.    XXIV.  Bd.  25 


386  XX.  Bermhabdt,  Lfthmiuigen  der  Schulteigflrtelmusculatar.      . 

rechteneiU,  sowie  die  motorischen,  dem  rechten  Vagns  beigemiBchten 
und  fflr  den  Kehlkopf  bestimmten  Aeste.  Veränderungen  des  PoIbcs 
kamen,  abgesehen  von  einer  massigen  Vermehrung  der  Frequenz  des- 
selben, nicht  zur  Beobachtung.  Die  beschriebenen  Symptome  sind  fflr 
die  Lähmung  des  N.  accessorius  von  allen  Autoren  (Erb^,  Seelig- 
mttller^),  Holz^J  n.  A.)  als  charakteristisch  bezeichnet  worden  nnd 
die  Lähmung  und  Atrophie  der  rechten  Zungenhälfte  kann  fhglieh 
nicht  anders  als  auf  eine  Lähmung  des  rechten  N.  hypoglossus  dexter 
bezogen  werden.  Schwieriger  zu  entscheiden  ist  die  Frage  nach  der 
Natur  des  zu  Grunde  liegenden  Leidens:  ohne  uns  zu  weit  auf  das 
Gebiet  der  Vermuthungen  zu  verirren,  glaube  ich  in  BerflcksiehtigaDg 
der  andauernden  Hinterhauptsschmerzen,  der  öfteren  Schwindelanf&lle, 
der  Verminderung  des  Hörvermögens  auf  dem  rechten  Ohre  und  der 
beginnenden  Sehschwäche  an  einen  in  der  hinteren  rechten  Schftdel- 
grube,  yielleicht  im  obersten  Theil  des  Wirbelkanals  rechts  sich  lang- 
sam entwickelnden,  raumbesehränkenden  und  die  Nachbartheile  eom- 
primirenden  Tumor  denken  zu  dürfen.  Was  aber  auch  die  Nstar 
des  krankhaften  Processes  sein  mag,  er  hat  mit  Sicherheit  die  ge- 
sammten  Ursprungsfäden  des  rechten  N.  accessorius  und  den  N. 
iiypoglossus  dexter  hochgradig  betheiligt 

Die  mitgetheilte  Lageyeränderung  des  rechten  SchulterblaUs 
weicht  von  den  Beschreibungen  anderer  Autoren,  welche  sieb  mit 
dem  Studium  der  Trapeziuslähmungen  eingehender  beschäftigt  haben, 
nicht  ab. 


1)  Handbuch  der  Krankheiten  des  Nervensystems,  n.  S.  472. 

2)  Archiv  fttr  Psychiatrie  etc.  HI.  S.  433. 

3)  L&hmung  des  rechten  Beioerven.    Dissert  inang.  Berlin  1877. 


XXL 
BemerkuDgen  betrefl'eod  den  Pulsus  bigeminus. 

Von 
Prof.  Dr.  Knoll 

In  Prag. 

In  einer  jflngBt  in  diesem  Archiv  yeröffentlicbten  Abhandlang  >) 
sucht  Sommerbrodt  die  von  mir  aufgestellte  Behauptung,  dass 
der  Pulsus  bigeminus  den  Zeitwerth  von  zwei  vorhergehenden  oder 
nachfolgenden  rhythmischen  Herzschiftgen  hat,  zu  widerlegen. 
leb  habe  dieses  Verhalten  des  Pulsus  bigeminus  seinerzeit  >)  betont, 
weil  ich  verhttten  wollte,  dass  man  in  den  beim  Kaninchen  bei 
Steigerung  des  intracardialen  Druckes  öftßr  in  ununterbrochener 
Folge  auftretenden  zweigipfeligen  Pulswellen  eine  Beschleunigung 
des  Herzschlages  erblicke,  welche  bekanntlich  von  Bezold  und 
den  Brüdern  Cyon  als  Effect  von  Blutdrucksteigerungen  angegeben, 
aof  Grund  eingehender  Untersuohung  jedoch  von  mir  bestritten  wurde. 

Die  betreffende  Behauptung  stützte  sich  auf  eine  grosse  Anzahl 
von  Beobachtungen,  die  für  diese  Frage  um  so  entscheidender  waren, 
als  es  sich  um  Thiere  handelte,  welche  curarisirt  waren  und  kfinst- 
lich  ventilirt  wurden ;  als  das  Herz  dabei  in  vielen  Fftllen  von  aller 
Verbindung  mit  den  nervösen  Centralorganen  losgelöst  war,  als 
lange  ununterbochene  Seihen  einerseits  von  regelmftssigen  und  ander- 
seits von  zweigipfeligen  Pulswellen  einen  genaueren  Vergleich  dieser 
heiden  Pulsarten  mit  Bezug  auf  ihren  Zeitwerth  ermöglichten,  und 
als  endlich  bei  der  Bestimmung  dieses  Zeitwerthes  nicht  etwa  eine 
blosse  Annahme  bezflglich  des  gleichmftssigen  Ganges  der  rotirenden 
Trommel,  sondern  die  verzeichnete  Zeit  selbst  als  Grundlage  diente. 


1)  Zur  AUorrhythmie  des  Hersens.    Bd.  XXIII.  Heft  5  n.  6.  S.  542  ff. 

2)  Ueber  die  YerSadernngen  des  Herzschlages  etc.    Sitsangsber.  der  Wiener 
Akademie.  Bd.  66.  HI.  Abth.  Juli-Heft. 

25* 


388  XXI.  Enoll 

Eine  Behauptung,  welche  auf  solcher  Basis  sich  aufbaut,  kann 
überhaupt  nicht  durch  Beobachtungen  widerlegt  werden,  welche  am 
Menschen  gemacht  wurden,  wobei  es  vor  allem  schon  gar  nicht  mög- 
lich ist,  die  Interferenz  der  mannigfachsten  störenden  Einwirkungen 
äuszuschliessen ,  welche  gerade  bei  diesem  Gegenstand  ins  Spiel 
kommen  können.  Dagegen  lassen  sich  allerdings  Beobachtungen 
am  Menschen,  welche  mit  einer  so  begründeten  Behauptung  in  lieber- 
einstimmung  stehen,  wie  z.  B.  die  in  deinen  „  Beiträgen  zur  Kennt- 
nis s  der  Pulscurve '^ ^)  unter  Figur  23  und  24  angeführten,  wenn 
sie  nicht  yereinzelt  dastehen,  als  Beleg  dafür  verwenden,  dass  beim 
Menschen  in  dieser  besonderen  Frage  nicht  etwa  Verhältnisse  ins 
Spiel  kommen,  welche  wesentlich  von  jenen  des  gebrauchten  Ver- 
Buchsthieres  differiren. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  ausgehend  habe  ich  auch  die  ange- 
führten Curven  veröffentlicht  und  darauf  hingewiesen^  dass  dieselben 
einen  Beleg  vom  Menschen  für  jene  Behauptung  liefern.  Ich  wäre 
auch  damals  schon  in  der  Lage  gewesen,  mehrere  vom  Menschen 
gewonnene  Beispiele  für  die  zeitliche  Aequivalenz  des  Bigeminus  mit 
zwei  rhythmischen  Herzschlägen  zu  liefern,  Beispiele  die  um  so  ge- 
wichtiger sind,  als  es  sich  um  Individuen  mit  im  Ganzen  rhythmischem 
Herzschlag  handelte^  bei  denen  der  Pulsus  bigeminus  nur  intercurrent 
auftrat,  wodurch  eine  genügende  Basis  für  den  Vergleich  gegeben 
war.  Denn  in  Fällen,  wo  die  Herzthätigkeit  im  Allgemeinen  arhyth- 
misch erfolgt,  ist  die  Bezeichnung  dieser  oder  jener  Herzschläge 
als  rhythmische  doch  meistens  eine  willkürliche,  wie  schon  ans 
den  kleineren  oder  grösseren  Differenzen  hervoi^eht,  welche  sich 
dann  bei  genauer  vergleichender  Messung  der  Basen  der  anscheinend 
rhythmisch  aufeinanderfolgenden  Pulscurven  gewöhnlich  finden.^) 

Es  war  mir  aber  anderseits  auch  nicht  entgangen,  dass  die  er- 
wähnte zeitliche  Gleichwerthigkeit  sich  auch  in  solchen  Fällen,  wo 
der  Bigeminus  bei  Individuen  mit  rhythmischem  Herzschlag  interear- 
rent  auftritt,  nicht  immer  herausstellt,  und  ich  habe  darum  in  un- 
mittelbarem Anschlüsse  an  die  von  Sommerbrodt  angeführte  Stelle 
selbst  darauf  hingewiesen,  dass  bei  meinen  Beobachtungen  am  Men- 
schen nin  andern  Fällen  von  Arhythmie  der  Bigeminus  oder  Trige- 
minus  nicht  genau  zwei  oder  drei  rhythmischen  Pulsen  entsprach, 

1)  Archiv  für  experim.  .Path.  u.  Pharm.  Bd.  IX.  5.  n.  6.  Heft. 

2)  So  ergibt  beispielsweise  ein  genaues  Ausmessen  der  Figur  1  bei  Sommer- 
brodt (I.e.  S.  545),  dass  die  drei  als  rhythmisch  bezeichneten  Pulse,  mit  welchen 
die  darauf  folgenden  Bigemini  vergUchen  werden,  unter  einander  recht  erhebliche 
Differenzen  in  der  oben  bezeichneten  Richtung  bieten. 


FuIbos  bigeminus.  389 

dass  aber  dann  auf  gleicher  Carvenstrecke  die  Zahl  der  arhythmischen 
Schläge  im  Ganzen  meistens  eben  so  gross  war  wie  die  Zahl  der 
regelmässigen.  * 

Dass  aber  jene  Fälle,  in  denen  bei  Menschen  die  Zahl  der 
rhythmischen  und  arhythmischen  Herzschläge  während  gleicher  Zeit- 
abschnitte differirt;  als  Gegenbeweis  gegen  meine  Behauptung  nicht 
dienen  können,  glaubte  ich  allerdings  nicht  besonders  hervorheben 
za  müssen ,  da  es  ja  selbstverständlich  ist,  dass  gleichzeitig  mit  dem 
Factor,  welcher  den  Pulsus  bigeminus  bedingt,  bei  spontan  athm en- 
den, allen  psychischen  Eindrücken  preisgegebenen  Menschen  mannig- 
faltige anderweitige  Einflüsse  auf  die  Schlagfolge  des  von  den  ner- 
vösen Gentralorganen  aus  innervirten  Herzens  einwirken  können. 

Es  liegt  aber  auf  der  Hand,  wie  unwahrscheinlich  es  ist,  dass 
durch  diese  Einflüsse  eine  für  den  Pulsus  bigeminus  supponirte  Be- 
schleunigung gerade  ausgelöscht  und  eine  unveränderte  Pulszahl 
bewirkt  werden  sollte.  Und  wenn  man  auch  ein  solches  Spiel  des 
Zufalles  für  einen  einzelnen  Fall  gelten  lassen  wollte,  so  erscheint 
doch  eine  solche  Supposition  ganz  unannehmbar,  wenn  bei  einem 
Individuum,  bei  dem  längere  Zeit  hindurch  abwechselnd  rhythmischer 
Puls  und  Pulsus  big.  zu  beobachten  ist,  der  intercurrent  oder  in 
Reihen  auftretende  Bigeminus  stets  den  Zeitwerth  von  zwei  rhyth- 
mischen Pulsschlägen  hat. 

Gerade  eine  derartige  Beobachtung  konnte  ich  aber  in  der  letzten 
Zeit  bei  einer  Kranken  machen,  die  an  einem  Aneurysma  der  auf- 
steigenden Aorta  und  Insufficienz  der  Aortaklappen  leidet.  Durch 
mehr  als  zwei  Wochen  konnte  ich  bei  dieser  Kranken,  und  zwar 
unabhängig  von  der  Respiration,  einen  steten  Wechsel  zwischen 
rhythmischem  und  arhythmischem  Puls  constatiren,  welch'  letzterer 
vorzugsweise  in  der  Form  des  Pulsus  bigeminus  auftrat. 

Ich  habe  bei  dieser  Kranken  an  verachiedenen  Tagen  eine  grosse 
Reihe  Pulscurven  mittelst  des  von  mir  beschriebenen  Polygraphen  0 
aufgenommen  und  stets  constatiren  können,  dass  in  diesem  Falle  der 
Pulsus  bigeminus  den  Zeitwerth  von  zwei,  und  der  zuweilen  intercur- 
rirende  Trigeminus  den  Zeitwerth  von  drei  rhythmischen  Pulsen  hatte. 

Ich  gehe  als  Belege  hiefür  drei  an  verschiedenen  Tagen  auf- 
genommene Curven,  die  sich  schon  durch  die  sehr  differente  Grösse 
der  auf  den  einzelnen  Curven  verzeichneten  Pulse  von  einander 
unterscheiden. 


1)  üeber  einen  verbesserten  Polygraphen.   Prager  med.  Wochenschrift.  1879. 
>«r.2lu.  22. 


I         I 


FiÜBOi  bigeminus.  391 

IKs  gleiehuitig  durch  eine  Secuodenuhr  verzeichnete  Zeit  gestattet 
Ig  der  einzelnen  Pulssehläge  und  lehrt,  dast 
in,  wo  die  vergleichende  Uessung  der  Ciirven- 
srenz  zwischen  den  rhythmischen  and  ai'jth- 

diese  Differenz  nur  durch  den  ungleichmAsai- 
sn  Cylindert  bedingt  i^L 

sich  ein  allmählicher  Uebergang  des  Pulsus 
ligeminus  und  umgekehrt  vom  Bigeminus  zum 
n  jeder  Beziehung  regelmässigen  Puls  rer* 
,  das  ich  bei  meinen  Versuchen  am  Kaninchen 
n  der  früher  citirten  Abhandlung  beschriehen 
ildet  habe. ') 
der  Uebergang   des   rhythmischen  Pulses   in 

bigeminus  und  trigeminug  in  zwei  Ober  ein- 
telbar nach  einander  aufgenommenen  Curren- 
Fig.  3  ist  bei  Benfltzung  eines  schneller 
erzeichaet,  dessen  Bewegung  bei  a  eine  ganz 
ohung  erfahren  hat 

oh  aber  hier  noch  darauf  aufmerksam  machen, 
>tande,  dass  hei  dem  in  Fig.  1—3  abgebildeten 
ischen  Pulses  in  den  Pulsus  bigeminos  kein 
sr  Currenreihe  zu  beobachten  ist,  nicht  etwa 
"f,  daSB  in  diesem  Falle  nne  Steigerung  des 
.   bei    der   auftretenden   Arhythmie   nicht   im 

sh  milssige  allm&hlich  sich  vollziehende  Er- 
m  Hitteldruckes  an  der  Pulscurve  nicht  immer 
I  wenn  die  Verzeichnung  durch  einen  „Sph^g- 
n"  erfolgt;  femer  habe  ich  auch  bei  meinen 
ichen  die  Erfahrung  gemacht,  dass  die  Arhyth- 
aoh  l&ngerem  Bestehen  einer  künstlich  herbei- 
s  arteriellen  Blutdruckes  ohne  weiteren  Druck- 
ne  Druckabnahme  vorübergehend  oder  dauernd 

denken,  daas  viel  dafür  spricht,  dasa  wir  in 
;hmie  hei  Steigerung  des  intracardialen  Druckes 
Arkeren  Erregung  des  Herzens  zu  erblicken 

ter  Schreiber  In  einer  Äbhuidloiig  Ober  den  Pulsoi 
im.  Path.  a.  Phum.  Bd.  TU.  S.  317  ff.)  die  iiuiere  Tar< 

adteehsft  und  den  allm&hllchen  Uebeig&ng  von  PnliuB  bigeminaa  nnd  &Ittfnaiis 

tftttiriich  daqelegt. 


392  XXI.  Enoll 

haben,  —  was  ich  in  meiner  Abhandlung  ttber  die  Verftndeiungen 
des  Herzschlages  etc.  S.  33  u.  34  n&her  auseinander  gesetzt  habe. 
Zwei  Factoren  werden  also  demzufolge  bei  dem  Zustandekommen 
der  Arhythmie  unter  den  erwähnten  Verhältnissen  wirksam  gedacht 
werden  müssen,  einerseits  der  Druck  im  Herzen  und  anderseits  die 
Erregbarkeitsverhältnisse  des  letzteren.  Da  nun  aber  mannigfaltige 
Umstände  die  Erregbarkeit  des  Herzens  beeinflussen  können,  so 
erscheint  es  yoUständig  begreiflich,  dass  das  Herz  auf  Druckstei- 
gerungen  „scheinbar  so  capriciös  reagirt**,  d.  h.  dass  die  Arhythmie 
bei  unverändert  hohem  Druck  zuweilen  nur  yorübergehend  bemerk- 
bar wird,  und  dass  ihr  Auftreten  weder  an  bestimmte  absolute  Höhen, 
noch  an  bestimmte  Schwankungen  des  Druckes  gebunden  erscheint.  — 

Ich  habe  auch  diesen  letzteren  Punkt  an  der  vorher  angeffihrten 
Stelle  bereits  erörtert,  musste  es  aber  unentschieden  lassen,  ob  es 
sich  bei  der  Erregung  des  Herzens  durch  den  intracardialen  Drock 
und  bei  dem  Wechsel  in  der  Erregbarkeit  um  die  Muskelfasern,  oder 
die  motorischen  Nervenapparate  handelt.  Und  bei  der  engen  Ver- 
knüpfung des  Nervenmuskelapparates  sehe  ich  auch  gegenwärtig 
noch  keine  Möglichkeit  vor  mir,  eine  Entscheidung  hierüber  her- 
beizuführen. 

So  wenig  ich  also  im  Sinne  hatte  zu  leugnen ,  dass  Nervenein- 
fluss  betheiligt  sein  könne  bei  der  Arhythmie,  die  durch  directe 
Wirkung  auf  das  Herz  herbeigeführt  wird,  ebensowenig  denke  ich 
daran  in  Abrede  zu  stellen,  dass  durch  Einwirkung  auf  den  Vagus 
oder  den  sogenannten  Accelerans  Störungen  im  Rhythmus  des  Herz- 
schlages herbeigeführt  werden  können.  Ich  habe  im  Gegentheil  in 
meinen  Beiträgen  zur  Kenntniss  der  Pulscurve  ganz  besonders  her- 
vorgehoben, welchen  wesentlichen  Factor  in  dieser  Richtung  die  an 
die  Bespiration  sich  knüpfenden  Veränderungen  des  Vagustonos  bil- 
den ;  allerdings  habe  ich  aber  dabei  nur  den  Reflex  von  den  Lungen  auf 
das  Herz  im  Auge  gehabt,  da  die  bei  Störungen  der  Respiration 
auftretenden  Veränderungen  im  Gaiigehalt  des  Blutes,  abgesehen  von 
den  Erscheinungen  bei  dem  Absterben  des  Herzens  während  der 
Erstickung,  wohl  einen  Wechsel  der  Frequenz,  aber  keine  eigent- 
liche Alteration  im  Rhythmus  des  Herzschlages  veranlassen. 

Und  wenn  Sommerbrodt  glaubt,  die  Arhythmie,  welche  ich 
unter  gewissen  Vorbedingungen  bei  forcirter  Athmung  auftreten  sah, 
durch  eine  dabei  stattfindende  zweifellos  intensive  Decarbonisirung  des 
Blutes  erklären  zu  können,  so  übersieht  er,  dass  ich  ausdrücklich 
hervorgehoben  habe,  dass  ich  diese  Erscheinung  nicht  allein  bei 
forcirter  rascher,  sondern  auch  bei  forcirter  langsamer  Athmung  he- 


Pulsus  bigeminas.  393 

obaehtete  und  in  Fig.  24  (Beiträge  zur  Eenntniss  der  Pulscarve)  einen 
sphygmographiflchen  Beleg  fflr  diese  Beobachtung  beigebracht  habe. 

Ich  halte  es  flbrigens  theoretisch  und  praktisch  fttr  wichtig,  die 
dareh  refiectorische  oder  directe  Einwirkung  auf  den  Vagus  oder 
den  Accelerans  heryorgebrachten  Störungen  im  Rhythmus  des  Herz- 
sehlages  streng  zu  sondern  von  der  durch  directe  Wirkung  auf  das 
Herz  hervoigebrachten  Arhythmie,  welche  mit  abortiven  Herzsystolen 
and  verlfingerten  Diastolen  verknQpft  ist. 

Fflr  letztere  Art  der  Arhythmie  ist  aber,  abgesehen  von  der 
hier  nicht  in  Frage  kommenden  directen  mechanischen  oder  elektri- 
schen Reizung,  neben  der  Veränderung  der  Erregbarkeit  des 'Herzens 
durch  Gifte  keine  andere  Grundbedingung  mit  Sicherheit  ermittelt, 
als  die  Steigerung  des  intracardialen  Druckes. 

Diese  muss  aber  durchaus  nicht  immer  mit  Steigerung  des 
Druckes  in  den  Arterien  verknttpft  sein;  und  gerade  bei  den  soge- 
nannten Herzfehlem  haben  wir  allem  Anscheine  nach  in  der  mit  Er- 
niedrigung des  arteriellen  Blutdruckes  einhergehenden  Stauung  im 
rechten  Herzen  die  Hauptquelle  der  bei  Wegfall  der  Compensation 
jener  Zustände  so  gewöhnlich  auftretenden  Arhythmie  zu  suchen. 


XXII. 
lieber  Icterasepidemien. 

Dr.  Carl  Frohlioh, 

AMigtonxant  de«  CoriMf  eneralarstei  14.  Armeecorpi  In  Karlsruhe  1.  B. 

Unter  allen  Epidemien  nehmen  diejenigen  des  Ictenu  die  be- 
scheidenste und  am  wenigsten  bekannte  Stellang  ein;  so  erw&hBt 
Hirsch  in  seiner  historisch-geographisehen  Pathorogie  dieselben  nur 
an  einer  Stelle  in  einer  Randbemerkung,  obwohl  er  selbst  in  einem 
Referate  ttber  eine  derartige  Epidemie  iiL  seinem  Jahresberichte  am 
Schlüsse  die  Notiz  anfügt,  dass  epidemischer  Icterus  schon  wieder- 
holt von  deutschen  und  franzosischen  Militärärzten  beobachtet  worden 
sei.  Ha  es  er  erwähnt  dieselben  in  seiner  Oeschichte  der  epidemi- 
schen Krankheiten  gar  nicht.  Beurtheilen  wir  allerdings  die  Bedeu- 
tung einer  Epidemie  nach  dem  Procentsatze  ihrer  Mortalität,  welche 
bei  Icterus  im  Allgemeinen  sehr  gering  ist,  so  nimmt  dieselbe  eine 
der  am  wenigsten  unser  Interesse  in  Anspruch  nehmenden  Stellen 
ein ;  immerhin  jedoch  werden  wir  im  Laufe  dieser  Abhandlung  sehen, 
dass  ihr  Vorkommen  keineswegs  so  selten  ist,  dass  wir  nicht  unsere 
Aufmerksamkeit  auf  dieselbe  richten  sollten. 

Gerade  fflr  uns  Militärärzte  hat  besagte  Krankheit  ein  doppeltes 
Interesse,  indem  sich  einestheils  aus  der  Zusammenstellung  aller  bis- 
her in  der  Literatur  verzeichneten  Epidemien  dieser  Art  ergibt,  Ab» 
die  meisten  beim  Militär  beobachtet  worden  sind,  so  dass  man  mit 
einigem  Rechte  dieselbe  unter  die  Armeekrankheiten  rechnen  dürfte, 
wenn  wir  sie  auch  in  den  betreffenden  Sammelwerken  unter  diesem 
Titel  nicht  verzeichnet  finden ;  anderntheils  zeigen  die  sorgfältig  zu- 
sammengestellten Krankheitsberichte  der  Vereinigten  Staaten  aus  dem 
nordamerikanischen  Feldzuge,  welch  grosser  momentaner  Verlost  der 
Armee  durch  die  bezeichnete  Krankheit  erwachsen  kann,  indem  im 
ersten  Kriegsjahre  allein  10,929  Fälle  von  epidemischer  Gelbsocht 
mit  40  Todesfällen  vorfielen.    Ferner  waren  in  dem  deutsch-franid- 


Ueber  IcteroBepidemien.  395 

Bischen  Feldzage  beim  1.  bayr.  Armeecorps  während  der  Monate 
Februar  bis  Mai  im  Ganzen  799  Soldaten  —  2,4  Proc.  des  Corps  — 
von  diesem  mehr  peniblen  als  gefährlichen  Leiden  befallen;  Aehn- 
liebes  wird  anch  von  dem  sächsischen  Armeecorps  vor  Paris  in  dem- 
selben Feldznge  berichtet  Obige  Zahlen  an  nnd  für  sich  sprechen 
deutlich  genug,  dass  es  sich  der  Mflhe  verlohnen  dflrfte,  den  ursäch- 
licben  Bedingungen,  welche  diese  Krankheit  hervorzubringen  im 
Stande  sind,  nachzuforschen. 

Dass  diese  Erkrankung  übrigens  durchaus  nicht  als  zu  leichte 
anfsufassen  ist  —  wird  sie  ja  sogar  von  einigen  Beobachtern  nur  als 
eine  Modification  des  Gelbfiebers  angesehen  — ,  zeigen  verschiedene 
Fälle  von  acuter  Leberatrophie  (Icterus  gravis,  letalis  oder  typhoides) 
in  den  einzelnen  Epidemien.  Schon  Hippocrates  sagt:  Icterus  est 
morbus  maxime  periculosus,  cum  supervenientia  dicta  symptomata 
apparent,  femer  Graves^)  in  seinem  System  of  elinieal  medicme: 
Zeigen  sich  während  des  Icterus  nervöse  Symptome,  so  ist  das 
Schlimmste  zu  befürchten.  Aehnlich  drückt  sich  Stokes^)  aus;  auch 
Marsh  warnt  davor,  die  Gelbsucht  nicht  für  gefahrlos  zu  halten 
und  knüpft  daran  die  Bemerkung,  dass  namentlich  Kranke  mit  reiz- 
barem Nervensystem  bei  dieser  Erkrankung  immer  mit  ängstlichen 
Aagen  betrachtet  werden  müssen.  Auch  Abercrombie^)  hält  die- 
selbe, wenn  sie  auch  von  Ursachen  entstehe,  die  dem  Anseheine  nach 
Torflbergehend  sind,  doch  nicht  für  eine  durchaus  gefahrlose  Krank- 
heit Von  den  neueren  Autoren  bemerkt  Sieb  er  t^),  dass  von  jeher 
die  praktischen  Aerzte  durch  Gehimzufälle ,  welche  die  Gelbsucht 
begleiteten,  interessirt  wurden;  auch  nach  Lebert  zeigt  epidemisches 
Auftreten  des  Icterus  Fälle  mit  sehr  bösartigem  Verlaufe. 

Im  Allgemeinen  können  wir  unter  den  Epidemien  der  Gelbsucht 
zwei  Hauptformen  unterscheiden,  die  eine,  in  Europa  und  vor  Allem 
in  Deutschland  vorkommend,  unterscheidet  sich  in  Beziehung  auf  die 
einzelnen  Symptome  der  Krankheit  in  nichts  von  den  sporadischen 
Fällen  des  sogenannten*  katarrhalischen  Icterus  und  bietet  für  uns 
zunächst  das  Hauptinteresse  dar;  die  andere  hingegen,  vorzugsweise 
in  der  heissen  Zone,  in  einzelnen  wenigen  auch  in  Frankreich  be- 
obaehtet,  scheint  in  ziemlich  naher  Beziehung  zu  dem  gelben  Fieber 
zu  Btehen  und  nur  eine  modificirte  Form  desselben  zu  sein;  es  sind 
dies  namentlich  auch  jene  Epidemien,  welche  acute  Leberatrophie 

1)  Uebersetzt  Yon  Bre ssler  1843. 

2)  DubUn.  faosp.  reports.  f 

3)  Pathol.  tt.  prakt  Untersuchungen  aber  die  Krankheiten  des  Magens.  1843. 

4)  Diagnostik  der  Krankheiten  des  Unterleibes.  1855. 


396         *  XXII.  Fröhlich 

in  ihrem  Verlaufe  mit  sich  bringen,  obwohl  selbstverständlich  diese 
auch  hie  und  da  bei  der  ersten  Form  gefunden  wird. 

Was  nun  die  ätiologischen  Momente  dieser  Epidemien  betrifft, 
so  müssen  wir  uns  leider  gestehen,  dass  wie  bei  allen  ttbrigen  Epi- 
demien so  auch  hier  die  eigentliche  Ursache  des  Entstehens  keines- 
wegs mit  unumstösslicher  Sicherheit  und  Gewissheit  bekannt  ist,  son- 
dern zum  grössten  Theil  ebenfalls  nur  auf  Hypothesen  beruht,  so 
dass  hierher  des  grossen  van  Swieten^)  schon  vor  hundert  Jahren 
ausgesprochenen  Worte  trefflich  passen :  ,  Der  Fleiss  unserer  neueren 
Gelehrten  hat  Vieles,  was  den  Bau  des  Leibes  anbetrifft,  entdecket, 
noch  mehr  aber  ist  verborgen  und  wird  auch  vielleicht  lange  ver- 
borgen bleiben:  die  Aerzte,  welche  sich  auf  diese  neuen  Entdeck- 
ungen etwas  einbildeten  und  verschiedene  noch  unerwiesene  Sätze 
anzunehmen  geneigt  waren,  machten  aus  wenigen  besonderen  allge- 
meine Regeln  in  der  Arzneykunst  und  Hessen  Dasjenige,  so  bey 
denen  Krankheiten  mit  ihrem  angenommenen  Satze  nicht  wol  flbe^ 
einstimmte,  entweder  gar  aus  der  Acht,  oder  verdrehten  es  mit  Ge- 
walt so  lange,  bisz  es  damit  flbereinzustimmen  schiene.  Auf  diese 
Weise  wollten  sie  die  Kunst,  welche  von  unseren  weisen  Alten  lang 
genannt  worden,  abkürzen.  ^  Die  Behauptung,  dass  der  epidemische 
Icterus  nur  die  weitere  Folge  eines  Gastroduodenalkatarrhs,  der  durch 
allerlei  einwirkende  Schädlichkeiten  und  Vorkommnisse,  sowie  anch 
namentlich  durch  eine  Störung  in  der  Verdauung  hervorgerufen  wer- 
den kann,  und  bei  gemeinsamer  Ifahlzeit  auch  die  betreffenden  Leute 
gemeinsam  befallen  wird,  ist  am  wahrscheinlichsten  und  bei  verschie- 
denen Epidemien  mit  ziemlicher  Gewissheit  nachgewiesen;  aus  let^ 
teren  Grflnden  erklärt  sich  auch  das  häufige  Vorkonunen  der  Gelb- 
suchtepidemien bei  Soldaten ,  in  Seminaren ,  Gtofängnissen  u.  s.  w. 
Für  den  Truppenarzt,  der  ohnedies  in  seiner  bescheidenen  Friedens- 
thätigkeit  hauptsächlich  auf  die  Prophylaxis  angewiesen  ist,  entsteht 
dadurch  die  Pflicht,  sein  Augenmerk  auch  auf  die  Kahrung  der  Sol- 
daten zu  lenken,  und  unterliegt  es  wohl  keinem  Zweifel,  dass  sich 
demselben  hier  noch  ein  weites  Feld  zur  Entwicklung  einer  eingrei- 
fenden Thätigkeit  bietet,  welche  er  nicht  nur  durch  Vortrag  bei  den 
betreffenden  Befehlshabern  ausüben  und  verwerthen  kann,  sondern 
auch  im  Privatverkehr  mit  den  einzelnen  Chefs  der  C!ompagnie,  Bat- 
terie oder  Escadron;  letzteren  ist  meistentheils  die  Verpflegung  des 
Soldaten  anheimgegeben  und  sind  dieselben  ebenso  sehr,  wie  der 


1)  Des  Herrn  Gerhard  van  Swieten  Erläuterungen  der  Boerhaa▼e'8chenLeh^ 
Bätze.  1778. 


Ueber  Icterusepidemien.  397 

« 

Arzt,  bemüht,  Krankheiten,  soweit  dies  durch  entsprechende  Maass- 
regeln  möglich  ist,  zu  verhüten  oder  wenigstens  zii  beschränken. 
Findet  der  Militärarzt  hier  nur  die  richtige  Art  und  Weise,  so  darf 
er  fast  stets  auf  ein  williges  Entgegenkommen  in  dieser  Hinsicht 
rechnen  y  das  allerdings  bequemere  laisser  aller  ist  hier  keineswegs 
am  Platze. 

Dass  ausser  den  Ernährungsstörungen  noch  eine  Menge  anderer 
ursächlicher  Momente  im  Laufe  der  Zeiten  von  den  yerschiedenen 
Schriftotellem  angefahrt  worden  ist,  braucht  wohl  nicht  erst  beson- 
ders hervorgehoben  zu  werden;  immerhin  jedoch  dürften  dieselben 
nicht  ausser  Acht  gelassen  werden  und  verdienen,  dass  wir  sie  etwas 
näher  betrachten.  Die  zweite  Stelle  hinsichtlich  ihrer  Aetiologie 
nehmen  die  atmosphärischen  und  miasmatischen  Einflösse  bei  dieser 
Form  von  Epidemie  ein.  Franciscus  Rubens,  dem  wir  die  erste 
Beobachtung  Aber  die  schwere  Form  des  Icterus  verdanken,  deutet 
sehoiv  in  seinen  Noctum.  exercit.  in  medicas  historias  (1660)  in  dem 
Kapitel  de  ictero  letali  darauf  hin  mit  den  Worten :  „  Apud  auctores 
icteri  causas  plures  legimus,  cum  aliquando  sanguis  a  veneno  cor- 
mmpitur,  icteri  causa  fit,  deleteria  qualitate  inficiente**;  des- 
gleichen Peter  Franko):  „heisse  Luft  schwächt  in  feuchten  und 
Bumpfigen  Gegenden  die  Nervenkraft  und  jene  des  Magens  und  er- 
zeugt galliges  Fieber^;  Horaczek^)  femer  in  seiner  vortrefflichen 
Monographie,  dass  der  Spätsommer  und  der  Herbst  der  galligen  Dys- 
krasie  günstiger  sind  als  die  anderen  Jahreszeiten,  ferner  plötzlicher 
Wechsel  höherer  Temperaturgrade,  besonders  der  feuchten,  warmen 
Witterung  mit  kalter,  trockener,  daher  die  Angaben  Aber  epidemi- 
sches Vorkommen  nicht  unrichtig  seien;  auch  Lebert^)  hat  locale 
Einflüsse,  die  nicht  näher  bestimmbar  sind,  aber  den  Miasmen  gleich- 
zustellen, beobachtet  und  führt  die  Entstehung  auf  localmiasmatische 
Einflttsse  in  den  Pariser  Forts  (1870/71)  durch  monatelange  Anhäu- 
fung von  Excrementen  zurück.  Nach  Gerhardt^)  liegt  gleichfalls 
die  Frage  nahe,  ob  es  bei  Icterus  epidemicus  sich  um  katarrhalische 
Erkrankung  des  Verdauungskanales  handle  oder  um  ein  oonstitutio- 
neues  Leiden,  das  eine  Vorstufe  von  Malaria  oder  Gelbfleber  dar- 
stelle. Diesen  schliessen  sich  die  Beobachtungen  von  Ballot^)  an, 
der  auf  der  Insel  Martinique  Gomplicationen  von  Icterus  mit  reinit- 

1)  Orondsätze  über  die  Behandlnng  der  Krankheiten  des  Menschen.  1829. 

2)  Die  gallige  Dyskrasie  (IcteruB).  1844. 

3)  Ziemssen's  Handbuch  der  spec.  Pathol.  u.  Ther.  Bd.  II.  1. 

4)  Sammlang  klinischer  Vorirftge.  17. 

5)  Oaz.  des  höpit.  1859. 


398  N  XXU.  Fröhlich 

tirendem  Fieber  sah,  ebenso  wie  Näret  in  Nancy  Complicationen 
mit  Intennittens  und  Remittens;  nach  Frerichs'^  klasaischer  Scliil- 
derung  können  alle  Schädlichkeiten,  welche  den  Oastrodaodexud- 
katarrh  herrorrufen,  eine  Ueberladung  des  Magens,  schwer  yerdaa- 
liche  Ingesta,  Spirituosen,  femer  Erkältung  und  andere  atmoisphärisehe 
Einflüsse,  welche  im  Sommer  und  Herbst  gastrische  Affectionen  her- 
beifflhren,  auch  katarrhalischen  Icterus  veranlassen  und  hat  man  anf 
diese  Weise  hin  und  wieder  die  Krankheit  epidemisch  beobacbtet; 
auch  Bamberger ^)  zählt  ohne  allen  Zweifel  zu  den  Ursachen  des 
epidemischen  Icterus  gehörend  fette  und  schwer  verdauliche  Fleisch- 
speisen, Verkältungen  und  atmosphärische  Einflüsse,  daher  im  Frflb- 
jähr  am  häufigsten.  Nach  Horaczek  (L  c)  kommen  zu  den  oben 
erwähnten  Ursachen  noch  unzweekmässige  stickstoffreiche,  rohe,  Ter- 
dorbene  Nahrungsmittel  bei  etwa  gänzlicher  Enthaltsamkeit  aller 
vegetabilischen  Nahrung.  Thierfelder^)  sagt  bei  Besehreibang 
der  acuten  Leberatrophie:  »In  der  Einwirkung  eines  Miasmas  die 
Ursache  zu  vermuthen,  wird  durch  einige  Beobachtungen  nahegel^gti 
nach  denen  die  Krankheit  Glieder  derselben  Familie,  Leute  von  dem- 
selben fichiffe  u.  s.  w.  gleichzeitig  befällt,  diesen  Fällen  reihen  sich 
hinsichtlich  der  Aetiologie  manche  in  Icterusepidemien  vorgekommene 
an.''  Endlich  möge  hier  noch  eine  Aeusserung  von  Hirsch^)  er- 
wähnt werden,  dass  diese  Epidemien  mit  dem  Genüsse  verdorbenen 
Trinkwassers  zusammenhängen  dürften,  obwohl  f&r  diese  Behauptang 
eigentlich  keinerlei  Anhaltspunkt  zu  finden  ist. 

Ich  habe  mich  nun  bemüht,  sämmtliche^}  in  der  Literatur  be- 
schriebenen Epidemien  von  Gelbsucht  zusammenzustellen,  und  hierbtt 
gefunden,  dass  bis  jetzt  drca  30  derartige  Epidemien  publicirt  wor- 
den sind.  Die  meisten  Schriftsteller  beschränken  sieh  allerdings 
leider  auf  die  Aufzählung  der  betreffenden  Fälle  und  die  Erwähnung 
etwaigen  Vorkommens  von  acuter  Leberatrophie,  ohne  näher  auf  die 
Aetiologie  dieser  in  Bezug  auf  ihre  Entstehung  immerhin  noch  ziem- 
lich dunklen  Epidemie  einzugehen. 

Die  ersten  Icterusepidemien  sind  gegen  Ende  des  18.  und  im 


1)  Medlcinische  Klinik,  tsei. 

i)  Vircbow'B  Handb.  d.  spec.  Pathologie  u.  Therapie.  Bd.  VI. 

3)  Ziemsaen's  Handb.  d.  spec.  Pathologie  u.  Therapie.  Bd.  VIU.  1. 

4)  Yirchow  und  Hksch's  Jahresbericht  ttber  die  Fortschritte  der  Medids. 

5)  Die  beiden  von  Bamberger  erw&hnten  Epidamen  Ton  Lentin  und 
Kerkring  habe  ich  nirgends  auffinden  können;  sollte  letzterer  meht  vielleicbt 
Kerksig  sein?  (in  Kerckringius,  SpiciL  anatom.  1670  ist  wenigstens  mchti hierauf 
Bezug  Habendes  zu  finden). 


üeber  leteniBqiidemien.  399 

Anfange  des  19.  Jahrhunderts  yerzeiohnet  und  finden  wir  in  dieser 
Zeit  eine  Reihe  Ton  Epidemien  bösartiger  Gelbsueht,  welche  als  dem 
gelben  Fieber  sehr  fthnelnd  beschrieben  sind;  die  erste  derartige 
kam  vor  in  Bremen  1760,  die  nfichste  in  Essen  im  Jahre  1772  und 
wnrde  von  Brflning  in  seinem  Tractatus  de  ictero  spasmodico  in- 
hntam  yeröffentlicht,  sie  betraf  ausschliesslich  nur  Kinder  und  muss 
alt  verhftltnissmässig.  sehr  schwere  bezeichnet  werden.  Gleghorn^) 
beschreibt  eine  im  Jahre  1775  auf  der  Insel  Minorka  in  den  Monaten 
Jnli  und  August  Yorgekommene;  dann  folgt  eine  in  Genua  und  Um* 
gebung  1792—93  von  Batt  beschriebene;  Eerksig^)  beobachtete 
1794  eine  in  Lüdenscheid  in  der  Pfalz  vom  Ende  August  bis  No* 
Tember;  es  waren  im  Ganzen  circa  70  Personen  erkrankt;  als  ursflch- 
licbe  Momente  fahrt  er  an  ungünstige  Lebensbedingungen,  schlechte 
Wohnung,  rohe  Kost,  strenge  Arbeit  und  flble  WitterungseinflOsse. 
Dann  folgt  Mende^)  in  Greifswald  im  Winter  1807/8,  Garnot  auf 
der  Insel  Martinique  im  Jahre  1832  tlber  die  ganze  Insel  verbreitet, 
hält  dieselbe  f&r  eine  Modification  des  Gelbfiebers;  Ghardon^)  in 
einigen  Distrietan  an  der  Saöne  im  letzten  Trimester  des  Jahres  1841, 
CharpentierB)  zu  Roubaix  im  Anfang  des  Jahres  1854,  Harley 
auf  Martinique  1858,  hatf^ächlich  Schwangere  befallend,  desgleichen 
Douillö  und  Saint-VeP;  ebendaselbst,  sowie  Ballot  (1.  c.)  im 
Jahre  1859,  die  letzte  mit  gutartigem  Verlaufe,  meist  Soldaten  be- 
fallend, Beginn  im  März,  Zunahme  im  Mai  bis  Juli,  durchschnittliche 
Dauer  3  Wochen;  Bergeron ^)  beschrieb  eine  sehr  bösartige  Epi- 
demie im  Jahre  1859  nach  den  Beobachtungen  von  Garrille  im 
Gefängnisse  von  Gaillon  (Eure)  im  Mai  ohne  nachweisbare  Ursache 
beginnend,  im  October  endigend;  es  erkrankten  im  Ganzen  47  Per- 
sonen, von  denen  11  starben,  die  meisten  Fälle  fielen  auf  den  An- 
fang, die  intensivsten  auf  das  Ende,  die  meisten  Patienten  standen 
im  Alter  von  40  —  50  Jahren  und  gerade  die  am  schwersten  Er-  < 
krankten  waren  kräftig ;  die  Dauer  der  eigentlichen  Erkrankung  be^ 
trog  circa  12  Tage,  die  Reconvalescenz  aber  Aber  einen  Monat; 
Bar  d  in  et  ^)  im  Winter  1859/60  in  Limoges,  bei  Schwangeren  vor- 
kommend; Beck  (Privatmittheilung)  beobachtete  in  den  fünfziger  Jah- 
ren in  Rastatt  eine  Epidemie  beim  MHitär,  sämmtliche  circa  30  hiervon 
Befallene  waren  nachweisbar  unmittelbar  nach  dem  Mittagessen  zum 

1)  Bndd,  Diseases  of  liver.    Uebersetzt  Yon  Henoch.  1846. 

2)  Hofeland's  Journal  Bd.  7.      3)  Ebenda.  Bd.  31. 

4)  Journal  de  Lyon.  1841.  5)  Bevue  m^dic-chir.  Mai  1854. 

6)  Gazette  des  hftpit.  1862.         7)  Union  mödic.  1862. 
8)  L'union.  1863. 


400  XXn.  FbAhlich 

Schwimmen  geführt  worden  und  hatten  sieh  die  Erkrankung  dmch 
diese  eingreifende  Störung  in  der  Verdauung  zugezogen.  Die  Epi- 
demie  yerschwand,  nachdem  ohige  Haassregel  aufgehoben  wurde  und 
die  Leute  erst  in  den  Abendstunden  Schwimmunterricht  erhielten.  lo 
dem  TortreflFlichen  Buche  von  Woodward^)  finden  wir  die  Epidemien 
des  Icterus  während  des  amerikanischen  Feldzuges  verzeichnet;  haapt- 
sftchlich  befallen  waren  einige  grössere  Lager  der  Potomak -Armee 
vor  Washington  1861—62,  dann  vor  Torktown  im  April  1862,  am 
Chickahorming  im  Juni;  nicht  nur  die  ganze  Lagerfiäehe,  sondern 
auch  der  Baum  in  den  einzelnen  Zelten  und  Baracken  wird  als  m 
klein  geschildert;  als  Ursache  finden  wir  die  Lagerkost,  namentlich 
den  Mangel  an  frischen  Vegetabilien  beschuldigt,  sowie 'die  fehler- 
hafte Anlage  der  Abtritte  und  den  mangelnden  Abfluss  der^Viehabfälle 
nach  dem  Schlachten;  über  die  seuchenartigen  Krankheiten  im  All- 
gemeinen heisst  es  dann,  dass  die  Hehrzahl  dieser  Krankheiten  drd 
verbreiteten  und  mächtigen  Einflössen ,  welche  ihren  Charakter  be- 
stimmten, ihre  Entstehung  verdankten,  nämlich  dem  Malariagiite,  der 
Zusammenhäufung  von  Menschen  und  scorbutischem  Verderbnüs. 
Diese  drei  zeigen  die  Einwirkung  von  dreierlei  Verhältnissen  auf  den 
Menschen,  das  Klima,  Lebensweise  und  Eniikrung,  und  bedingen  in 
verschiedener  Combination  fortwährend  auftretend  die  vorwaltenden 
Krankheiten;  Ursachen  sind  zu  suchen  in  der  Zusammenhäufang, 
schlechter  Ventilation  und  ungenttgender  Beinlichkeit,  .schlecbter 
Polizei''  nach  Ausdruck  der  Armeeärzte.  Saint-Vel  (1.  c.)  bescbreibt 
eine  zweite  Epidemie  auf  Martinique  im  Jahre  1862;  Bizet^;  1867 
in  Arras,  der  Festungsgraben  von  21  Meter  Breite  war  nach  10  Jahren 
wieder  gereinigt;  3  Wochen  darauf  Steigen  der  Temperatur  von  —4® 
auf  -f-  &^  in  der  nächsten  Kaserne  erster  Fall ,  Icterus  wiederholt 
nach  Beinigung  dieses  Grabens  beobachtet.  Hayden')  beobachtete 
eine  Epidemie,  welche  1868  nur  Studirende  im  gleichen  Institute 
befiel,  Nachfragen  ergaben  keine  localen  Ursachen;  Behn^)  im  Jahre 
1869  in  Hanau  unter  den  Kindern  namentlich  vorkommend;  Verfasser 
glaubt  klimatischen  Einflüssen  die  Entstehung  zuschreiben  zn  mflssen, 
vorwiegende  Nässe  während  dieser  Zeit;  Frank  ^)  im  Frflhlinge  1869 
in  Ingolstadt  bei  einem  Begimente,  ätiologisches  Moment  nicht  er- 


1)  Oatlines  of  the  chief  camp  diseases  of  the  uoitod  States  annies  etc.  Phil«- 
delphia  1863. 

2)  Rec.  de  mem.  de  möd.  milit.  1867« 

3)  Med.  press.  and  circul.  1868. 

4)  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1869. 

5)  Bayrisches  ärztliches  Intelligenzbl.  1869. 


Ueber  Icterasepidemien.  401 

mittelt;  Ganghey  0  eine  Epidemie  in  Ost-Tenessee  1870;  Decaisne^) 
eise  in  der  Umgegend  von  Paris  1871  unter  den  verschiedensten 
bygieinischen  Verhältnissen,  sowohl  bei  Civil  wie  bei  Militär,  auch 
schon  frfiher  öfter  daselbst  beobachtet,  namentlich  im  Herbst;  Seg- 
geP)  schreibt  die  Schuld  der  Icterusepidemie  beim  1.  bayr.  Armee- 
corps während  des  Feldzuges  1870/71  dem  ununterbrochenen  Genüsse 
von  Schaf- oder  gesalzenem  Rindfleische  zu,  desgleichen  hält  Roth^) 
die  ausgedehnten  Icterasepidemien  im  sächsischen  Armeecorps  vor 
Paris  von  der  Einförmigkeit  der  Kost  herrührend;  Köhnhorn^) 
beschreibt  eine  Epidemie  in  Köln  1872  bei  einem  Regimente;  er- 
krankt waren  58  Mann  mit  einer  durchschnittlichen  Behandlungs- 
daaer  von  25  Tagen;  als  Grund  gibt  er  ebenfalls  die  Einseitigkeit 
der  Kost,  den  häufigen  Genuss  von  Schweinefleisch  und  HUlsenfrdch* 
ten  an,  die  Befallenen  waren  durchweg  Rekraten,  welche  an  die 
Einförmigkeit  und  Eigenthttmlichkeit  der  Menage  nicht  gewöhnt 
waren,  Mangel  der  nöthigen  Resistenz  und  Gefühl  des  Ekels;  nament- 
lich wenn  die  Speisen  schon  etwas  erkaltet  sind,  tritt  letzteres  sehr 
hervor;  See^)  eine  Epidemie  in  Paris  1872  im  März,  Entstehung 
unklar,  in  einzelnen  Fällen  Gastroduodenalkatarrh,  desgleichen  Ha- 
genbach ^)  im  October  1874  in  Basel  beobachtet;  Lindemann ^) 
in  Soest  1874  Febraar  bis  Mai,  beim  Bataillon  27  Mann,  nur  Rekra- 
ten, ursächliches  Moment  in  der  Beköstigung  gesucht,  deutet  an,  dass 
die  Abwechslung  in  der  Menage  in  den  Frühjahrsmonaten  am  schwie- 
rigsten sei;  Stitzer®)  im  Juli  bis  August  1874  in  Wetzlar  bei  einem 
Bataillon,  eine  Compagnie  hatte  14  Mann  daran  erkrankt,  Aufenthalt 
in  den  betreffenden  Kasernen  kein  salubrer,  schlechte  Luft  in  der 
Stube,  die  hauptsächlich  Kranke  lieferte;  Klingelhöfer^o)  eine  in 
Heusenstamm  1874/75  October  bis  März  ohne  weitere  Angabe,  als 
dass  die  Haupterkrankung  das  mittlere  Alter  betraf,  endlich  Stitzer 
(1.  c.)  noebmals  eine  Epidemie  im  März  1 875  in  Mainz,  der  Aetiologie 
wegen  interessant,  es  wurden  nämlich  nur  weibliche  Mitglieder  einer 
Familie  hiervon  befallen;  als  Ursache  fand  sich  ein  verstopftes  Ab- 

1)  Philadelph.  med.  Times. 

2)  Compt.  rend.  LXXIII.  26. 

3)  Peuteche  milit&r&rztliche  Zeitschrift.  1872. 

4)  Jahresber.  ttber  die  Fortschr.  auf  d.  Gebiete  d.  MUit.-Saiiit.- Wesen.  1873. 

5)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1877. 

6)  Gaz.  des  höpit.  1872. 

7)  Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte. 

8)  Deutsche  Zeitschrift  für  praktische  Medicin.  1874. 

9)  Wiener  med.  Presse.  1876. 

10)  Berliner  klin.  Wochenschrift.  1876. 

DestaehM  Archiv  f.  kUa.  Mtdtoin.   XXIY.  Bd.  26 


402  XX  IT.  FRdHLiOB 

• 

zQgsrohr  des  Spttlsteines  in  der  EflobOi  in  welehem  sich  ein  Knochen- 
fragment  eingekeilt  hatte  ^  auf  dem  .ein  ganzer  Haufe  faulenden  Ab- 
falles aufgespeichert  lag. 

Aus  diesen  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Epidemien  Ifisst  sich 
kurz  folgendes  Resumö  ziehen. 

Was  die  Entstehungsursacbe  besagter  Krankheit  betrifft, 
so  können  1.  dieselbe  alle  jene  Veranlassungen  herbeif Obren,  welche 
einen  Gastroduodenalkatarrh  zu  erzeugen  im  Stande  sind,  als  Erkäl- 
tungen, Durchnässungen,  schwer  verdauliche,  namentlich  stiekstoff- 
reiche  Nahrungsmittel,  grosse  Einförmigkeit  der  Speisen;  2.  ist  die 
Entstehung  durch  Infection  in  Folge  local-miasmatischer  EinflQsse  in 
einzelnen  Epidemien  mit  Sicherheit  nachgewiesen,  obwohl  dieselbe 
von  einigen  Autoren  geleugnet  wird. 

Hinsichtlich  der  Jahreszeit  ist  zu  bemerken,  dass  zwar  Ictenu- 
epidemien  zu  jeder  Jahreszeit  beobachtet  worden  sind,  aber  doch 
weitaus  die  häufigsten  in  den  Frflhjahrsmonaten ,  in  welchen  einer- 
seits an  und  für  sich  die  meisten  sogenannten  Erkältungskrankheiten 
vorkommen,  andererseits  die  Verpflegung  die  grössten  Schwierigkeiten 
darbietet,  indem  zu  dieser  Zeit  die  geringste  Abwechslung  des  Speise- 
zettels ausser  mit  ganz  unverhältnissmässig  grossen  Kosten  möglich 
ist,  was  gewiss  jede  Hausfrau,  die  einem  grösseren  Hausstande  vor- 
steht, bezeugen  wird. 

Bei  den  militärischen  Epidemien  darf  dann  auch  die  Thatsaehe 
nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  sehr  häufig  nur  die  Leute  des  jQngsten 
Jahrgangs  von  der  Epidemie  befallen  worden  sind,  und  ist  in  den 
einzelnen  Berichten  schon  darauf  hingewiesen  worden,  dass  Rekruten 
fiberhaupt  eine  geringere  Widerstandsfähigkeit  gegen  die  verschieden- 
artigen auf  sie  einwirkenden  Schädlichkeiten  besitzen  und  dass  hierzu 
unter  Anderem  auch  die  denselben  bisher  ungewohnte  Emähnmgs- 
weise  ihren  Theil  beiti-agen  möge. 

Zu  diesen  oben  erwähnten  Epidemien  bin  ich  nun  in  derLage, 
vier  neue  hinzufttgen  zu  können,  welche  im  Laufe  der  letzten  Jahre 
im  Bereiche  des  14.  Armeecorps  zur  Beobachtung  kamen;  auch  in 
diesen  Epidemien  wieder  finden  wir  obige  Angaben  sämmtlich  be- 
stätigt. 

Die  1.  Epidemie  fiel  1875  in  den  Frtlhjahrsmonaten  in  Keu- 
breisach  vor  und  wird  der  Grund  ihrer  Entstehung  auf  eine  Infection 
durch  die  schädliche  Einwirkung  eines  Wallgrabens  zurttckgefflbrt 
Nach  den  Aufzeichnungen  des  Stabsarztes  Dr.  Helfer,  dessen  Freund- 


üeber  IcteruBepidemien.  403 

liebkeit  ich  nachstehende  Bemerkungen  zu  verdanken  habe,  ent- 
stammte das  Miasma  ans  dem  Hauptwallgraben ;  dieser  erhält  sein 
Wasser  aus  dem  Vauban- Kanal  und  ist  der  Zufluss  so  construirt, 
dass  er  nach  der  einen  Seite  ein,  nach  der  andern  zwei  Dritttheil 
der  Festung  umfliessen  muss ;  in  Folge  dessen  ist  der  Strom  in  letz- 
terem Theile  sehr  schwach  und  stagnirt  stellenweise,  die  äusseren 
Festungsgraben .  sind  phne  Wasserlauf,  in  der  wärmeren  Jahreszeit 
nur  mit  kleinen  sumpfartigen  Stellen  versehen;  in  den  Hauptkanal 
mdnden  ausserdem  Abzugskanäle  aus  der  Stadt,  die  gerade  auch 
nicht  sehr  begflnstigend  für  die  hygieinischen  Verhältnisse  einwirkten, 
und  kam  dann  in  Folge  der  ungünstigen  Stromverhältnisse  eine  fast 
Tollständige  Stockung  und  Ablagerung  von  organischen  Substanzen 
zu  Stande;  in  der  Kaserne,  welche  an  dem  längeren  Arme  gerade 
an  der  Stelle  der  schwächsten  Kanalströmung  liegt,  kamen  die  haupt- 
sächlichsten Erkrankungen  vor,  während  die  in  der  Nähe  der  stär- 
keren Strömung  einkasernirten  Mannschaften  von  der  Epidemie  ver- 
schont blieben.  In  den  meisten  Fällen  traten  keine  Prodromal- 
erscbeinungen  auf  und  wurden  wiederholt  Leute  erst  durch  das 
Gelbwerden  ihrer  Haut  auf  ihre  Erkrankung  aufmerksam  gemacht; 
hingegen  war  die  Dauer  der  Reconvalescenz  —  bei  einzelnen  40  Tage 
--  eine  sehr  lange  und  namentlich  die  ersten  Fälle  am  hartnäckig- 
sten, der  ganze  Verlauf  glich  einer  infectiösen  Krankheit;  öfters 
wurden  von  den  gewöhnlichen  Erscheinungen  des  Icterus  Herabgehen 
des  Pulses  und  der  Temperatur  beobachtet,  hingegen  fehlte  Haut- 
jucken und  Oelbsehen,  sowie  Anschwellung  der  Leber,  alle  Fälle 
gingen  in  Genesung  über,  die  Zahl  der  Erkrankten  betrug  19. 

Die  2.  E  p  i  d«  m  i  e  kam  vor  in  dem  kleinen  elsässischen  Städt- 
chen Sulz,  welches  nach  dem  Kriege  bis  zum  Ausbau  der  neuen  Ka- 
Beraen  in  Mflhlhausen  i.  E.  provisorisch  mit  Militär  belegt  war;  auch 
diese  fiel  in  die  Frtthjahrsmonate  Februar  und  März  1877;  hauptsäch* 
lieh  betroffen  waren  zwei  Gompagnien,  die  aber  in  zwei  verschie- 
denen Kasernen  lagen,  während  die  beiden  anderen  Gompagnien  in 
dem  gleichen  Gasernement  fast  völlig  verschont  blieben;  auch  noch  aus 
anderen  Grfinden  war  es  nicht  möglich,  die  Ursache  der  Erkrankung 
in  den  Unterkunftsräumen  der  Leute  zu  suchen,  desgleichen  musste 
die  Kost  ausgeschlossen  bleiben,  da  das  ganze  Bataillon  eine  gemein- 
same Verpflegung  hatte.  Hingegen  wird  berichtet,  dass  gerade  in 
dieser  Zeit  sehr  heftige  Regengüsse  an  der  Tagesordnung  waren, 
durch  welche  die  Mannschaften  völlig  durchnässt  wurden  und  bei 
dttn  provisorischen  Gasernement,  das  doch  immerhin  ziemlich  mangel- 
haft war,  keine  Gelegenheit  hatten,  ihre  Montur  vollständig  auszu- 

26* 


404  XXII.  Fröhlich 

trocknen.  Am  meisten  betheiligt  war  das  Schuhwerk,  da  auch  der 
Exercierplatz  ungenügend  angelegt  war,  durchweg  völlig  aufgeweich- 
ten Untergrund  darbot  und  auf  solche  Weise  die  Veranlassung  za 
zahlreichen  Magen-  und  Darmkatarrhen  wurde;  im  Gänsen  waren 
16  Mann  und  zwar  ausnahmslos  nur  Rekruten  erkrankt;  die  mittlere 
Behandlungsdauer  betrug  19,4  Tage,  die  höchste  41  und  die  nie- 
drigste 11.  Leberanschwellung  wurde  nicht  beobachtet,  hingegen 
Mattigkeit,  Appetitmangel,  Schwindelgefflhl,  weisslich  belegte  Zunge, 
drückende  Schmerzen  im  Unterleibe,  Puls  schwach,  träge;  von  den 
letzten  Zugängen  waren  einige  schon  lange  vorher  unwohl  ohne  be- 
sondere hervortretende  Erscheinungen,  einer  wurde  durch  seine  gelbe 
Hautfarbe  darauf  aufmerksam,  fühlte  sich  sonst  vollkommen  wohl, 
alle  Fälle  verliefen  fieberlos,  überwiegend  waren  die  hervortretenden 
Symptome  diejenigen  eines  Gastroduodenalkatarrhs  und  es  fehlten 
durchweg  die  auf  eine  infectiöse  Erkrankung  hinweisenden. 

Die  3.  Epidemie  ereignete  sich  in  den  Monaten  Februar  and 
März  1878  in  Rastatt  und  blieb  nur  auf  eine  Compagnie  beschränkt; 
da  alle  übrigen  ursächlichen  Momente  ausgeschlossen  werden  konn* 
ten ,  mussten  als  einzige  Veranlassung  nur  die  Verhältnisse  der  Er- 
nährung angesehen  werden ;  jede  Compagnie  dieses  Regimentes  führt 
ihre  eigene  Verpflegung,  kauft  die  Nahrungsmittel  selbst  ein  und 
kocht  für  sich  allein,  so  dajBS  Verschiedenheiten  bei  der  Ernähmng 
leicht  Differenzen  im  Gesundheitszustande  der  einzelnen  Compagnie 
darbieten  können;  Eücbeneinrichtung  und  Wasserbezug  waren  die 
gleichen,  wie  bei  den  übrigen,  so  dass  die  Ursache  eigentlich  nur  in 
den  Nahrungsmitteln  selbst  liegen  konnte,  und  wurde  denn  auch 
allerdings  eine  grosse  Einförmigkeit  des  Speisezettels  constatirt,  indem 
sich  derselbe  fast  ausschliesslich  auf  Hülsenfrüchte  beschränkte,  Kar- 
toffeln und  Gemüse  hingegen  fast  vollständig  ausschloss,  auch  wurde 
häufiger  als  bei  den  anderen  Compagnien  Schweinefleisch  verabreicht; 
die  Erkrankten  waren  auch  in  dieser  Epidemie  durchweg  Rekruten. 
Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Entstehung  der  Erkrankung  von 
einer  Störung  in  der  Ernährung  resp.  Verdauung  ausgehe,  wurde 
übrigens  noch  dadurch  erhöht,  dass  zur  nämlichen  Zeit  ein  Rekrut 
derselben  Compagnie  mit  Scorbut,  eine  Krankheitsform,  welche  na- 
mentlich seiner  Zeit  in  der  damaligen  Bundesfestung  Rastatt  in  enor- 
mer Ausdehnung  unter  den  österreichischen  Truppen  wüthete,  seit 
langer  Zeit  jedoch  daselbst  vollständig  verschwunden  ist  und  nur  hie 
und  da  noch  in  ganz  sporadischen  Fällen  in  ganz  leichter  Form  bei 
heruntergekommenen  Festungsgefangenen  auftritt,  welche  als  alte 
Deserteure  vor  ihrer  Einlieferung  in  den  verschiedensten  Ländern, 


Ueber  Icterusepidemien.  405 

• 

namentlich  auch  in  Afrika,  sich  herumgetrieben  haben ,  im  Lazarethe 
zoging.  Die  Krankheit  selbst  war  bei  den  einzelnen  Leuten  von  ver- 
hAltnissm&Bsig  kurzer  Dauer,  nur  in  4  Fällen  blieb  der  Icterus  auf- 
lallend  lange  zurück;  Gomplicationen  wurden  nicht  beobachtet,  die 
hauptsächlichsten  Symptome  waren  leicht  belegte  Zunge,  hie  und  da 
Diarrhöen,  Abgeschlagenheit,  Pulsverlangsamung  und  nicht  sehr  be- 
deutende Empfindlichkeit  der  Leber  bei  Druck  ohne  Anschwellung 
derselben;  erkrankt  waren  im  Ganzen  19  Mann,  von  denen  aber 
einige  als  nicht  zu  der  betreffenden  Epidemie  gehörend  abgerechnet 
werden  müssen. 

Die  4.  Epidemie  finden  wir  genau  zur  selben  Zeit  wie  die 
vorige  Februar  und  März  1878  in  Constanz  und  wird  die  Entstehungs- 
ursache dieser  Epidemie  den  atmosphärischen  und  klimatischen  Ein- 
wirkungen zugeschrieben,  indem  während  des  bezeichneten  Frühjahres 
sehr  häufige  Regengüsse  vorfielen  und  zu  zahlreichen  Durchnässungen 
und  Verkältungen  wiederholt  Veranlassung  gaben.  Abgesehen  davon, 
dass  eine  Menge  von  Gastroduodenalkatarrhen  ausserdem  noch  in  dieser 
Zeit  beobachtet  wurden  und  die  hervorstechendsten  Erscheinungen 
in  dieser  Epidemie  bildeten,  waren  auch  wiederholt  Fälle  mit  Angina, 
worunter  einige  sehr  heftig,  zu  gleicher  Zeit  complicirt.  Auch  hier 
wieder  waren  alle  Erkrankten  Rekruten,  die  Zahl  derselben  ist  dies- 
seits nicht  genau  bekannt,  hat  aber  die  Summe  von  20  nicht  über- 
schritten ;  ein  Fall  verdient  noch  besonderer  Erwähnung,  in  dem  als 
Complication  des  Icterus  eine  Vereiterung  des  Fussgelenkes  auftrat, 
welche  zur  Amputation  des  Unterschenkels  führte ;  nach  Ansicht  des 
behandelnden  Stabsarztes  Dr.  Vi  eh  off,  dessen  freundlicher  Mitthei- 
lung  diese  Notizen  entstammen,  ist  der  mit  grosser  Vehemenz  gestei- 
gerte und  ausgedehnte  Process  dieser  Erkrankung  zum  grossen  Theil 
auch  durch  die  krankhaft  veränderte  icterische  Säftemischung  ver- 
anlasst worden,  was  allerdings  nicht  ohne  Weiteres  von  der  Hand 
gewiesen  werden  kann. 

An  diese  Epidemien  anschliessend  dürfte  noch  erwähnt  werden, 
dass  auch  in  Mülhausen  i.  E.  im  Jahre  1876  mehrere  Fälle  von  Icterus 
in  einer  Stube  sich  ereigneten  und  wurde  als  ätiologisches  Moment 
nach  Au^hluss  aller  übrigen  ein  verfaulter  Balken  unter  der  betref- 
fenden Stube  vorgefunden,  nach  dessen  Entfernung  keine  weiteren 
Fälle  von  Gelbsucht  mehr  vorfielen,  ein  Beitrag  zu  der  miasmati- 
schen Entstehung  einzelner  Icterusepidemien. 

Prüfen  wir  nun  diese  vier  neuen  Epidemien  hinsichtlich  ihrer 
Aetiologie,  so  finden  wir  bei  denselben  die  verschiedenerlei  Ursachen, 


406  XXn.  Fröhlich,  Ueber  Icterosepidemien. 

welche  epidemischen  Icterus  nach  der  obigen  Auseinandersetzang 
hervorzubringen  im  Stande  sind,  so  ziemlich  alle  vertreten ;  die  erste 
in  Neubreisach  verdankte  den  local  -  miasmatischen  Einflüssen  ihren 
Ursprung,  die  2.  und  4.  in  Sulz  und  Constanz  hatten  ihren  Grund 
in  den  häufigen  Verkftltungen  und  Durchnässungen  (Niemeyer's^) 
Genius  epidemicus  gastricus?),  während  die  3.  in  Rastatt  aus  der 
Fürsorge  eines  Compagniechefs  entsprang,  welcher  seine  Soldaten 
aus  missverstandenem  Wohlwollen  mit  recht  vielen  stickstoffreieben 
Nahrungsmitteln,  Hülsenfrüchten  und  Schweinefleisch,  stopfte,  ohne 
dass  es  jedoch  glücklicher  Weise  bei  denselben  bis  zur  Fettleber  ge- 
kommen wäre,  indem  sich  der  beleidigte  Magen  schon  vorher  wei- 
gerte, mehr  hiervon  noch  aufzunehmen,  und  dies  nach  aussen  bin 
selbst  für  ein  Laienauge  durch  die  gelbe  Hautfarbe  deutlich  sichtbar 
machte,  ein  Fingerzeig,  dass  auch  die  Hassenverpflegung  gesunder 
Personen  nach  hygienischen  Grundsätzen  geleitet  werden  sollte. 

Die  gleichfalls  schon  in  früheren  Epidemien  des  Militärs  gemachte 
Beobachtung,  dass  hauptsächlich  Rekruten  von  der  Krankheit  befallen 
werden,  fand  ihre  Bestätigung  in  dreien  der  unserigen. 

Ueber  die  physiologischen  Vorgänge  beim  Icterus  und  über  die 
Therapie  dieser  Krankheit  hier  etwas  zu  äussern,  liegt  ausserhalb 
des  Bereichs  dieser  Arbeit  und  muss  in  dieser  Hinsicht  auf  die  be- 
treffenden Specialwerke  eines  Frerichs,  Bamberger,  Lebert, 
Budd,  Henoch  u.  A.  verwiesen  werden. 

Der  grösste  Theil  der  bezüglichen  Literatur  ist  aus  der  gross- 
herzoglich  badischen  Hof-  und  Landesbibliothek  geschöpft,  wofür  der- 
selben an  dieser  Stelle  herzlicher  Dank  gezollt  wird. 

Karlsruhe  i.  B.,  im  Februar  1879/ 


1)  Lehrbuch  der  spec.  Patbologie  und  Therapie. 


i 
j 


xxni 

Multiple  Herdsklerose  des  HIros  und  Rflekenmarks  im 

Säuglingsalter. 

Von 

Br.  LadiBlans  Foll&k, 

Honorttr-Physioni  des  BQuver  ComlUtes  In  OroM-Wardeln  (Ungani). 

Ein  glacklicher  Zafall  brachte  mich  in  die  Lage,  auf  der  Frauen- 
Abtbeilung  des  hiesigen  Comitats-Erankenhauses  ein  3V2  Jahr  altes 
Baaemmädchen  beobachten  zu  können,*  welches  ein  so  prägnantes, 
exquisites  und  klinisch  entwickeltes  Krankheitsbild  der  multiplen 
Herdsklerose  des  centralen  Nervensystems  und  der  Neryenstämme 
darbot,  wie  es  vollständiger  —  nicht  nur  in  seinen  Cardinal-,  son- 
dern auch  in  den  Nebensymptomen  und  Begleiterscheinungen  — 
kaum  sich  denken  lässt. 

Ich  war .  eben  mit  der  Ausarbeitung  des  hochinteressanten  Falles 
für  ein  ungarisches  Fachblatt  beschäftigt,  als  das  Märzheft  dieses 
Archivs  mir  zukam  und  in  demselben  der  XXV.  Aufsatz  von  Dr. 
ten  Gate  Hoedemaker  meine  Aufmerksamkeit  auf  sich  zog. 

Da  nun  dieser  eminent  klinische  Fall  nicht  nur  zur  Ergänzung 
der  berechtigten  Annahme  des  Vorkommens  der  benannten  Krank- 
heit einen  erwünschteu  Beitrag  liefern  kann,  sondern  vermöge  seines 
durch  positive  Merkmale  sichergestellten  Auftretens  im  5.  Lebens- 
monate  auf  eine  noch  gar  nicht  beobachtete  frtlhzeitige  Entwicklung 
—  vielleicht  congenitalen  Ursprungs  —  sich  zurückführen  lässt  und 
hierdurch  einen  literarischen  Werth  besitzt,  entschloss  ich  mich,  den- 
selben in  der  den  weitesten  Kreisen  zugänglichen  deutschen  Fach* 
literatur  zu  verwerthen. 

Zudem  hat  unser  Fall  noch  eine  nicht  geringe  Bedeutung  dadurch, 
dass  trotz  der  totalen  Buchstaben-,'  Wort-  und  Sprachlosigkeit  (An- 
arthria  literalis,  syllabaris  et  verbalis)  auch  diese  Stummheit  als 
complicirende  abnorme  Erscheinung  in  den  Rahmen  des  ganzen 
Krankheitsbildes  sich  einfügen  lässt« 


408  XXIU.  POLLAK 

■ 

Die  kleine  Kranke  —  Rosa  Deim,  3 V2  Jahre  alt,  aus  Hosaznpalyi 
im  Bibarer  Comitate  — ,  die  von  mir  in  Gemeinschaft  mit  meinen  Spitals- 
Collegen,  den  Doctoren  Joseph  Fachs  nnd  Coloman  Korda,  seit 
ihrer  Aufnahme  am  12.  März  d.  J.  bis  hente  täglich  und  oft  lange  an- 
haltend geprüft  wurde,  demonstrirte  ich  auch  am  1.  April  im  „Verein  der 
Aerzte^  des  hiesigen  Gomitates,  wo  der  Fall  ein  allgemeines  Aufsehen 
erregte. 

Das  Kind  stammt  von  ganz  gesunden,  körperlich  kräftigen  Eltern  ab, 
in  deren  Familie  nie  eine  nervöse  oder  psychische  Krankheit  vorkam,  ja 
selbst  somatische  Erkrankungen  höchst  selten  waren  und  deren  geistige 
Entwicklung  über  ihren  Bildungsgrad  erhoben  ist.  Dessen  Geburt  ging 
normal  von  Statten  und  in  den  5  ersten  Lebensmonaten  fiel  der  dasselbe 
säugenden  Mutter  nur  der  Umstand  auf,  dass  das  sonst  üppig  gedeihende 
Mädchen  nie  mit  seinen  Händchen  die  Brüste  suchte  oder  packte,  wie  dies 
ihr  erstes  Kind  that,  sondern  nur  durch  eine  körperliche  Unruhe,  Auf- 
reissen  des  Mundes  und  heftiges  Weinen  es  errathen  Hess,  dass  es  trmken 
wolle.  Auch  die  Arme  liess  es  immer  in  der  gegebenen  Lage  hängen  nnd 
machte  nie  Hebe-,  Greif-  oder  sonstige  Willkür-Bewegungen,  ob  es  in  die 
Windeln  gebunden  oder  frei  z.  B.  in  der  Badewanne  lag.  Mit  den  Füssen 
arbeitete  und  spielte  es  dafür  mit  allen  Kräften. 

Lächeln  und  lachen  sah  man  es  nie,  wenn  man  sich  noch  so  sehr 
mit  ihm  beschäftigte. 

Im  5.  Monate  merkte  dafür  die  Mutter,  dass  seine  sonst  unbeweg- 
lichen Arme  und  Hände  öfters  zu  zittern  anfingen,  am  Leibe  herumschlot- 
terlen  und  sonstige  Schwingbewegungen  machten,  welche  keinem  Zwecice 
entsprachen  und  die  bestehende  Scblafifheit  der  Extremitäten,  die  Actions- 
Unfähigkeit  gar  nicht  modificirten. 

Zwischen  dem  6.  und  7.  Monate  begann  das  Kind  sowohl  in  der 
Wiege  wie  auch  auf  dem  Arme  das  Köpfchen  rasch  hin  und  her  zu  werfen, 
heftig  zu  schütteln,  was  bei  der  sonstigen  Ungeschicklichkeit  im  Gerade- 
halten des  Rumpfes  und  des  Kopfes  den  Eltern  auch  unerklärlich  blieb. 

Da  nun  in  den  noch  späteren  Monaten  das  Kind  sich  gar  nicht  auf- 
richten konnte,  auch  gestützt  sich  nicht  zu  erhalten  im  Stande  war,  trotz- 
dem dass  es  schon  6  Zähne  ohne  Beschwerden  bekam  und  das  Balanciren 
des  Kopfes,  das  Schütteln  der  Arme  noch  zunahm,  führten  die  beunruhigten 
Eltern  das  Kind  zu  einem  Landarzte,  welcher  sie  mit  einer  unvermerkt 
aufgetretenen,  aber  sich  allmählich  bessernden  „ Lähmung '^  tröstete,  die 
um  so  mehr  erhofft  werden  könne^  weil  sie  unvollständig  und  nur  „  auf  die 
Kopf-  und  Armmusculatur  beschränkt  isf 

Das  Kind  bekam  eine  flüssige  Medicin  in  einer  schwarzen  Flasche 
—  wahrscheinlich  Jod-  oder  Bromkalium  — ,  welche  es  längere  Zeit  ohne 
Wirkung  gebrauchte,  da  es  auch  später  die  Hände  nicht  gebrauchen  nnd 
zu  keinem  gewohnten  Zwecke  verwenden  konnte  und  das  Kopfschaukeln, 
Nicken,  das  Werfen  der  Arme  nnd  Hände  ohne  Abnahme  fortdauerte. 

Rosa  war  schon  1 V2  Jahre  alt  geworden,  bis  sie  endlich  —  ohne  je 
früher  gekrochen  zu  haben  —  Steh-  und  Gehversuche  unternahm,  welche 
ihr  aber  mit  grosser  Noth  und  Mühe  nur  nach  Wochen  gelangen,  haupt- 
sächlich deshalb,  weil  sie  mit  den  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  paretiscben 
Händen  sich  nicht  helfen,  insbesondere  sich  nirgends  anhalten  konnte.   Sie 


Multiple  Herdsklerose  im  Säuglingsalter.  4Q9 

gebranchte  wohl  ihre  Handteller  als  Sttttze,  ihre  Arme  als  Hebel,  indem 
sie  selbe  an  den  Boden  festdrOckte  und  sich  an  ihnen  heramrollte,  aber 
io  der  ersten  Periode  hatte  sie  sich  ebenso  des  Kopfes  als  Stütze  bedient 
(so  dass  die  Eltern  meinten,  sie  wollte  auf  dem  Kopfe  herumgehen),  bis 
sie  sich  von  der  horizontalen  in  die  verticale  Ebene  erheben  konnte. 

Nach  vielem  Straucheln,  Stürzen  und  Fallen  fing  sie  dann  zu  gehen^ 
ja  zu  laufen  an;  aber  merkwürdiger  Weise  nahmen  auch  die  Kopf-  und 
Armbewegungen  mit  diesen  Experimenten  und  Bestrebungen  zu  und  das 
Kiod,  welches  im  Schlafe  sich  ganz,  auch  in  wacher  aber  sitzender  Lage 
siemlich  ruhig  verhielt,  beutelte  den  Kopf  und  die  Arme,  je  mehr  es  seine 
Lage  verandern  oder  Ortsbewegungen  unternehmen  wollte. 

In  diese  Zeitperiode  fällt  auch  ein  erster  heftiger  Schwindelanfall, 
zufolge  dessen  Kosa  2  —  3  Tage  lang  mit  heissen,  glührothen  Wangen 
regungslos  ausgestreckt  lag,  soporös  war  und  dennoch  Alles  empfand  und 
die  ihr  dargereichten  Speisen  und  Getränke  nur  mechanisch  schluckte. 

Unter  den  eben  geschilderten  und  den  noch  später  zu  erwähnenden 
immer  gleichmäasig  fortbestandenen  auffälligen  Erscheinungen  entwickelte 
sich  das  Kind  bis  zum  heutigen  Tage,  wo  es  sich  uns  in  folgenden  Zügen 
prtsentirt. 

Rosa  ist  ihrem  Alter  entsprechend  gebaut,  gradgliedrig,  ohne  irgend 
welche  Deformitäten  am  Kopfe,  Rumpfe  oder  Extremitäten,  an  denen  weder 
rbachitische  oder  sonstige  Verkrümmungen,  noch  Muskel-,  Gelenkcontrac- 
taren  oder  welchen  Namen  immer  habende  Defecte  zu  entdecken  sind. 

Selbst  die  Kopfbildung  ist  fast  als  absolut  normal  zu  betrachten,  da 
mehrere  vergleichende  Messungen,  welche  ich  an  Kindern  zwischen  3  bis 
4  Jahren  vornahm,  eine  genaue  Uebereinstimmung  mit  den  Längs-,  Breiten-, 
Höben-  und  allen  Umfangs-Dlmensionen  ergaben,  und  nebenbei  der  Anblick 
allein  schon  genügt,  um  den  Schädel  nicht  als  mikro-,  makro-  oder  hydro- 
cephalisch  aufzufassen. 

Die  Gesichtszüge  des  Kindes  sind  angenehm,  der  Ausdruck  apathisch- 
naiv.  Es  verzerrt  nie  seine  Züge,  macht  keine  Grimasen ;  höchstens  wird 
das  milde  Antlitz  bei  manchen . Erregungen  verdüstert,  ernst,  zornig.  An 
den  sanften,  blauen  Augen,  die  gewöhnlich,  ohne  etwas  zu  fixiren,  hernm- 
Bchwanken,  oder  melancholisch  vor  sich  hinstarren,  ist  ein  mit  den  noch 
anderweitig  auch  auftretenden  Motilitäts-  und  Coordinationsstörungen  iso- 
chroner Nystagmus,  ein  leichtes  Herumrollen  der  Bulbi  zu  sehen,  das  bei 
der  Seitwärtsschiebung  des  Kopfes  oder  Schief  haltung  desselben  einem  Stra- 
bismus con-  et  divergens  Platz  macht,  oder  zu  einem  Zudrücken  des  einen 
Auges  führt,  woraus  ich  um  so  mehr  auf  die  Gegenwart  einer  sonst  in 
unserem  Falle  nicht  eruirbaren  Diplopie  zu  schliessen  mich  berechtigt  fühle, 
weil  bekanntlich  von  allen  an  Doppeltsehen  Leidenden  zur  Eliminirung  der 
Doppelbilder  ein  Auge  geschlossen  wird  und  auch  Rosa  dieses  Manöver 
fast  immer  prakticirte,  wenn  sie  ins  Schwanken  gerieth,  wodurch  sie  sich 
automatisch  oft  vorm  Falle  rettete. 

An  Stumpfsinnigkeit,  Idiotie  wird  man  bei  ihrem  Anblicke  gar  nicht 
erinnert,  wiewohl  ihre  geistigen  Fähigkeiten  und  intellectuellen  Kräfte,  die 
ein  vielseitiges  Interesse  darbieten  und  darum  etwas  ausführlicher  bespro- 
chen werden  sollen,  jedenfalls  auf  einer  sehr  niedrigen  Stufe  der  Entwick- 
lung stehen. 


410  XXm.  POLLAK 

Auf  diesen  psychischen  Defect,  der  stark  mit  der  physischen  Evo- 
lution contrastirt,  hat  zweifellos  auch  die  absolute  Laut*  und  Wertlosigkeit 
ihren  leicht  erklärlichen  Elnflass  gehabt;  denn  die  Kranke  hatte  w&hrend 
ihres  ganzen  Lebens  nie  eine  Silbe,  ein  Wort  auszusprechen  vermocht,  ja 
nicht  einmal  die  sogenannten  Interjections-  und  Klagelaute,  kein  ah,  oh, 
weh,  vernehmen  lassen,  überhaupt  nie  einen  Ton  Aber  die  Lippen  ge- 
bracht, der  irgend  eine  Aehnlichkeit  mit  einem  Buchstabenlante  hktte. 

Ihren  sieht-  und  wahrnehmbaren  Unlustgefflhlen  hat  sie  immer  durch 
Winseln,  Weinen  und  Schreien  Luft  gemacht  und  damit  auch  ihre  Bedflrf- 
nisse  und  Wflnsche  bekannt  gegeben;  ausserdem  äussert  sich  ihre  Stimm- 
begabung  in  einem  dem  Schütteln  und  Zittern  sich  beigesellenden  Mäckero 
und  Blöken,  welches  diesen  Thierlauten  so  auffallend  ähnlich  ist,  dsss 
die  das  Kind  blos  hörenden  und  nicht  auch  sehenden  Personen  einigemal 
an  die  Gegenwart  eines  Lammes  oder  Schafes  im  Krankenzimmer  dachten. 

Wenn  man  nun  die  monotone,  stereotype,  gedehnte  und  gezogene  Ans* 
drucksweise  dieser  Thierlaute,  die  zumeist  synchronisch  mit  den  Tremorefl 
auftreten,  in  Betracht  zieht,  wenn  man  das  tactmässige  Crescendo  und  De- 
crescendo ihrer  Mittheilnngs-,  Empfiodungs-  und  Leidenschaftsausdrücke  — 
welche  vom  leichten  Wimmern  bis  zum  Gebrüll  sich  steigern  —  mit  einiger 
Aufmerksamkeit  verfolgt,  wird  man  unwillkürlich  zur  Annahme  gedrängt, 
dass  selbst  in  diesen  inarticulirten  Tönen  ein  Scandiren  vorliegt, 
wie  ein  solches  sonst  nur  bei  früher  gut  entwickelter  Sprache  zufolge  dieser 
Erkrankung  aufzutreten  pflegt. 

Deshalb  hat  das  Kind  auch  kein  Wort-  und  Sprachverständniss,  und 
trotzdem,  dass  es  auf  Stampfen  mit  den  Füssen,  Poltern,  Klingen  and 
barsches  Anschreien,  wie  auch  Klatschen  oder  Knalleffecte  deutlich  anf- 
passt,  horcht,  das  Geklirr  der  Speisegeräthschaften  von  anderen  Tönen 
unterscheiden  kann,  hört  es  nie  auf  den  Namensruf,  oder  irgend  eine  noch 
so  ins  Gesicht  gesprochene  Anrede.  Ich  habe  unter  Anderem  auch  mit 
meiner  Taschenuhr  Versuche  mit  ihr  angestellt  und  deutlich  bemerkt  — 
natürlich  nach  geduldigeooi  Warten  — ,  dass  sie  von  dem  Tik-tak  derselben 
zuerst  genirt  und  deshalb  unwillig  ist,  während  nach  Gewöhnung  an  diesen 
unbekannten  Eindruck  sie  ganz  still  zuhört  und  bei  der  Entfernung  der 
Uhr  sogar  spähend  herumblickt. 

Dem  Kinde  mangelt  auch  die  Geberdensprache  und  nicht  einmal  durch 
eine  stumm-beredte  Mimik   kann   sie  ihren  Wünschen  Ausdruck  verleihen. 

Was  nun  die  sehr  beschränkten  seelischen  Functionen  anbelangt,  ist 
besonders  hervorzuheben,  dass  Rosa  alle  sensu-motorischen  Eindrücke  per- 
cipirt,  starke  Willenskraft  besitzt,  aber  ihr  Denk-  und  Erinnerungsvermögen^ 
sowie  die  Ideen-  und  Begriffsbildung  fast  als  gar  nicht  vorhanden  zu  be- 
trachten sind,  während  instinctive  UrtheilsfUbigkeit  ihr  nicht  abgesprochen 
werden  kann. 

Um  zu  diesen  Schlüssen  zu  gelangen,  dienten  mir  die  anamnestiiehen 
Daten  einerseits  und  vielfache  Experimente  andererseits  zur  Unterlage. 

Rosa  erkennt  nie  ihre  Umgebung,  auch  die  Eltern  —  die  sich  dnrch 
3  V2  Jahre  mit  ihr  plagten  —  kennt  sie  nicht.  Sie  erkennt  und  sieht  wohl 
Gestalten,  kann  aber  selbe  nie  unterscheiden,  und  es  ist  ihr  ganz  gleich- 
gültig, wer  sich  mit  ihr  abgibt,  wer  ihr  die  Speisen  und  das  Wasser  in 
den  Mund   reicht  oder  giesst   (sie  muss  nämlich   gefüttert  und  getränkt 


Multiple  Herdskleroge  im  S&uglingsalter.  411 

werden,  da  sie  sonst  wegen  der  ApplicatioDB-ünfilhigkeit  der  Hände  bei  dem 
reichlichsten  Vorrathe  von  Nahrung  und  Getränken  unter  Tantalns-Qualen 
lu  Grunde  geben  mdsste),  wer  sie  wäscht  und  reinigt,  anzieht  n.  s.  w.  Sie 
dreht  sich  um  die  Personen  in  ihrer  Umgebung  herum,  ohne  je  eine  Nei- 
gang  fflr  eine  oder  die  andere  zu  markiren,  was  dooh  leicht  bemerkt  wer- 
den könnte.  Dieser  Indlfferentismns  datirt  von  der  frühesten  Kindheit,  wo 
sie  sich  auch  nicht  kümmerte,  wer  sie  herumtmg  und  in  wessen  Hände 
sie  gerieth. 

Und  sonderbarer  Weise  hat  sie  ein  ziemliches  Orientirungstalent ;  denn 
ihren  Aufenthaltsort,  sowie  die  Objecte  darin  erkennt  sie  nach  einiger  Zeit 
ganz  gut,  weicht  allen  im  Wege  stehenden  Hindernissen  aus,  sncht  selbst 
ihren  Strobsack,  der  ihr  zum  Lager  dient,  anf  (ins  Bett  konnten  wir  sie 
Dicht  legen,  theils  ^eil  sie  bei  ihren  Schflttel-  nnd  Zitterformen  zu  Hanse 
hemnterfiel,  theils  weil  sie  ihre  Dejectionen  zumeist  im  Liegen  verrichtet, 
da  sie  tlber  ihre  Bedürfnisse  sich  in  gar  keiner  Weise  verständlich  machen 
kann)  und  fürchtet  sich  förmlich  beim  Hinausführen  aus  der  Krankenstube, 
wo  sie  sich  schon  einigermaassen  ein  Local-Oedächtniss  für  die  darin  be- 
findlichen Gegenstände  erwarb.  Sogar  in  dem  anstossenden  Nebenzimmer 
hält  sie  sich  ungern  anf,  nnd  ihre  Marschrouten,  die  sie  in  der  ganzen 
Länge  und  Breite  in  ihrem  Krankenzimmer  durchläuft,  beschränkt  sie  auf 
wenige  Schritte  und  kehrt  wieder  um ;  schliesst  man  aber  diese  Thür  und 
lässt  sie  nicht  zurück,  so  wird  sie  unwirsch  und  gibt  ihrer  verdriesslichen 
Stimmung  durch  heftiges  Schreien  und  Weinen  Ausdruck.  Die  Schwelle 
des  Krankenzimmers  überschritt  sie  nicht,  wiewohl  die  auf  den  Gorridor  füh- 
rende Thür  den  ganzen  Tag  bei  der  jetzigen  schönen  Witterung  oflfen  war 
und  die  meisten  Patienten^  sich  draussen  aufhielten. 

An  die  Wand  gedrückt  oder  bei  unfreiwilligem  Anlehnen  an  einen 
Bettrand  machte  sie  allerhand  geschickte  Bewegungen  mit  dem  Rumpfe 
und  den  Füssen,  um  diesen  gezwungenen  Lagen  zu  entschlüpfen.  Ihre 
zwedientsprechenden  Actionen  bei  diesen  Anstrengungen,  sowie  auch  die 
Bemühungen  bei  der  Erhebung  aus  der  Rückenlage  —  die  mit  sehr  vielen 
Schwierigkeiten  verbunden  ist  —  liefern  deutliche  Beweise  dafür,  dass 
Rosa  sich  der  Lage  ihrer  Glieder  bewusst  ist  und  mit  ihnen  so  experi- 
mentirt,  dass  ihre  gewollten  Actionen  durchgeführt  werden. 

Ihr  Gang  ist  nicht  ataktisch,  nicht  steif,  aber  plump  und  schnellend, 
80  dass  sie  trotz  ihres  breiten  Auftretens  mit  der  ganzen  Fussfläche  fast 
immer  eilt  und  läuft,  wenn  sie  geradlinig. fortschreitet;  dann  bleibt  sie 
Minuten  lang  an  einem  Fleck  stehen  und  rotirt  sich  um  ihre  Körperaze, 
beginnt  allerlei  Spiral-  und  Cirkel- Bewegungen,  mit  welchen  abwechselnd 
dag  Kopfschütteln,  das  Zittern  der  Arme,  ein .  Händeklatschen,  Nystagmus 
and  die  erwähnten  monotonen  Thierlaute  zum  Ausbruch  kommen.  Dieses 
sonderbare  Spiel  wiederholt  sich  in  einem  Tage  unzählige  Male,  auffallender 
Weise  seltener  nach  den  Mahlzeiten;  sehr  häufig,  wenn  man  ihrem  orga- 
nischen Begebren  zu  den  normalen  Zeiten  nicht  gleich  Genüge  leistet. 

Zu  aussergewöhnliohen  Zeiten  äussert  sie  selten  Hunger-  und  Dnrst- 
gef&bl,  welche  sie  bei  der  Speisenaustheilung  durch  ein  niciit  von  der  Stelle 
weichendes  Hemmdrehen  um  die  Schüsselplatten  nnd  Trinkgefässe ,  ferner 
dnrch  ein  Anfreissen,  weites  Oeffnen  des  Mundes  kundgibt.  Auch  wenn 
sie  im  Laufe  des  Tages  trinken  will,  geht  sie  zum  Kruge,  oder  wo  sie 


412  XXin.  POLLAK 

grade  ein  Olas  erblickt,  heftet  sie  ihre  Blicke  darauf,  winselt,  bis  man  sie 
befriedigt 

Sowohl  zn  Hause  als  hier  wurde  der  Versuch  gemacht,  sie  fasten, 
hungern  zu  lassen,  damit  sie  selbst  gezwungen  werde,  die  ihr  vorgelegte 
Nahrung  zu  sich  zu  nehmen ;  aber  trotzdem  sie  sich  den  ganzen  Tag  nicht 
von  dem  Platze  rührte,  wo  ihr  das  Essen  servirt  wurde,  ungeberdig,  wild 
aufschrie  und  dann  auch  sitzend  das  wechselvolle  Schaukeln  explodirte, 
hatte  sie  nicht  einmal  probeweise  ihre  Hände  danach  ausgestreckt,  die 
Finger  hineingesteckt,  oder  durch  Winken  und  Zeigen  darauf  hingedeutet, 
dass  man  ihr  davon  etwas  geben  solle. 

Das  Kauen  und  Schlingen,  Schlucken  erfolgen  normal,  wenn  aacb 
beim  Trinken  von  Flüssigkeiten  zeitweise  ein  regurgitirendes  Glucksen  vor- 
kommt. In  den  Speisen  ist  sie  blos  insoferne  wählerisch,  dass  sie  breiige, 
weiche  Substanzen  lieber  hat,  als  z.  B.  härtere  Bratensorten.  Am  besten 
mundet  ihr  in  Milch  gebrocktes  Brod. 

Ihre  Excretionen,  Darm-  nftd  Blasenftinctionen  sind  ganz  normal  and 
erfolgen  zu  gewissen  Oewohnheitszeiten,  aber  natürlich  immer  an  dem  Ort, 
an  welchem  und  in  der  Lage,  in  welcher  sie  sich  befindet,  da  die  Aermste 
durch  kein  Zeichen,  keinen  Laut  im  Voraus  sich  melden  kann. 

Auch  das  Athmen  und  alle  anderen  vegetativen  Processe  nehmen  ihren 
ungestörten  Fortgang,  so  dass  das  materielle  Leben  mit  Ausnahme  der  Mo- 
tilitätsstörungen kaum  afficirt  erscheint. 

Was  die  Sensibilitätsarten  anbelangt,  so  sind  sie  ohne  Ausnahme  der 
Norm  entsprechend,  während  sowohl  die  Kitzel-  als  Sehnenrefiexe  manch- 
mal so  sehr  gesteigert  sind,  dass  durch  Beklopfen  der  Patellarsehne  und 
Rttckwärtsbeugung  des  Fusses  mit  den  bekannten  Knie-  und  Fussph&oo- 
menen  auch  das  Intentionszittem  der  oberen  Extremitäten  und  das  Kopf- 
wackeln ausgelöst  werden  können.  Dies  geschieht  aber  zumeist  des  Mor- 
gens nach  dem  Erwachen;  bei  der  Abendvisite  dauerte  es  schon  immer 
länger,  bis  nach  wiederholten  Eingrififen  selbe  hervorgerufen  werden  konnten. 

Im  Schlafe  des  Kindes,  welcher  auch  in  der  Nacht  oft  durch  Er- 
wachen gestört  ist,  dafür  aber  am  Tage  ersetzt  wird,  ist  eine  vollkommene 
Körperruhe  zu  beobachten,  so  dass  bei  diesem  Anblicke  der  Rosa  gewiss 
Niemand  an  irgend  eine  Krankheit  denken  könnte. 

Trophische  und  vasomotorische  Störungen  sind  auch  nirgends  wahr- 
nehmbar, und  selbst  die  Arme,  die  doch  mindestens  als  pareUsch  angesehen 
werden  müssen,  haben  eben  ;so  runde,  gut  entwickelte  Muskeln  als  die 
Beine  ohne  die  geringsten  Atrophien,  mit  dem  Unterschiede,  dass  in  den 
gebrauchten  Unterextremitäten  auch  Rigidität,  vorübergehende  Contracturen, 
Spannungen  —  insbesondere  bei  passiven  Bewegungen  —  nachgewies«! 
werden  konnten,  während  in  den  unwillkürlich  pendelnden  Armen  nichts 
von  Alledem  vorkam. 

Ich  nahm  weder  Messungep  der  Muskelkraft  vor,  noch  die  galrano- 
faradische  Prüfungsmethode,  da  ausser  ihrer  Umständlichkeit  selbe  in  diesem 
Falle  nichts  zur  Deutlichkeit  hätten  beitragen  können. 

Nach  dieser  fast  photographischen  Darstellung  unserer  Kranken  moss 
ich  noch  erwähnen,  dass  sie  am  28.  März  einen  ähnlichen  Insult  vor  meinen 
Augen  erlitt,  den  ich  in  der  Krankengeschichte  als  Schwindelanfall  erElhite 


Multiple  Herdskieroso  im  S&ugUngsalter.  413 

und  der  facttscb  weder  einer  Apoplexie,  noch  einem  epileptischen  Anfalle  ähn- 
lich ist,  da  weder  Lähmungen  auftraten,  noch  vollkommener  BewusBtseins- 
verlost  und  Unempfindlichkeit  oder  Convulsionen,  dafür  aber  ein  soporöser 
Znstand,  der  36  Stunden,  mit  sichtlichen  Congestionen  des  Gehirns,  fort- 
dauerte, wobei  die  Körpertemperatur  auf  39,8  sich  erhob,  das  ganze  Gesicht 
heiss,  turgescirend  wurde,  die  Carotiden  heftig  pulsirten,  während  Hände 
nnd  Ffisse  eiskalt  anzufühlen  waren  und  am  Radialpulse  keine  sonderliche 
Abweichung  im  Charakter  und  Zahl  der  Schläge  auftrat. 

Während  dieses  Anfalles,  der  mich  lebhaft  an  die  Pseudo-Apoplexy 
der  englischen  Autoren  erinnerte,  lag  das  Kind  wie  leblos  ausgestreckt 
ohne  jegliches  Zeichen  der  vielfachen  Symptome ;  doch  empfand  sie  Alles 
und  reagirte  auf  Kneipen,  Zwicken,  Begiessen  wie  sonst.  Auch  begehrte  sie 
unterdessen  in  keiner  Weise  etwas  und  beschmutzte  sich  aufTallend  selten. 

Derartige  Attaquen  hatte  sie  ausser  den  beiden  erwähnten  in  6  bis 
8  monatlichen  Intervallen  früher  noch  2 — 3  mal  und  ihr  Befinden  verschlim- 
merte sich  nach  solchen  zusehends,  wiewohl  sie  nach  24 — 48  Stunden  sich 
80  erholte,  als  wenn  ihr  nichts  passirt  wäre. 

Ausserdem  sah  ich  einige  Male  ein  momentanes  Hinfallen  des  Kindes 
während  seiner  Drehbewegungen  —  ohne  Stolpern  — ,  welches  nur  als  der 
bekannte  „  Fertige  giratoire*^  (Cbarcot)  aufgefasst  werden  konnte  und 
sehr  schnell  vorüberging. 

Das  Kind  wurde  abwechselnd  von  noch  4  Aerzten  —  in  der  Um- 
gebung —  transitorisch  als  an  „allgemeiner  Nervenerschütterung*'  leidend 
behandelt. 

Der  letzte  Arzt,  der  seine  Transferirung  in  unser  Krankenhaus  ver- 
anlasste:  Dr.  Ferdinand  Z eiszier,  Gemeindearzt  in  Hosszupälyi;  stellte 
eine  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  —  in  dem  Geleitschreiben  —  auf  hoch- 
gradige Chorea,  die  seit  3  Jahren  ohne  Unterbrechung,  trotz  Kunsthülfe, 
andauert  und  im  jähen  Zunehmen  begriffen  ist. 

Selbst  diese  Täuschung  meines  verehrten  Collegen  ist  aber  als  triftiger 
Beweis  unaerer  Diagnose  zu  betrachten,  da  vor  der  systematischen  Ein- 
reihung dieser  Erkrankung  in  die  Kette  der  Nervencentren- Krankheiten 
derartige  Fälle  als  f,€horee  rhythmique^  und  „Paralysie  chor^i forme'*  be- 
schrieben wurden  y  wenn  sie  auch  nach  unseren  jetzigen  Kenntnissen  und 
DifPerentialmerkmalen  nicht  die  entferntesten  Aehnlichkeiten  mit  den  chorea- 
ÜBchen  Formen  darbietet. 

Aus  dieser  etwas  weitläufigen  Schilderung  erhellt  nun  zur  Ge- 
nüge, dass  unser  Fall  sowohl  vermöge  seines  Auftretens  in  den  ersten 
Lebensmonaten,  als  auch  der  seltenen  Complicationen  wegen  als  ein 
Unicum  in  der  Geschichte  der  „  multiplen  Hirn-Bflekenmarkssklerose " 
dasteht;  dass  die  ganze  Gerebrospinal-Axe  durchgehends  von  ver- 
schiedenartig vertheilten,  in  grösseren  und  kleineren  Herden  dis- 
seminirten,  insularen  Flecken  (Residuen  einer  lange  latent  verlau- 
fenen chronischen  Encephalomyelitis)  durchsetzt  ist,  deren  scenische 
Reihenfolge  —  mit  vieler  Wahrscheinlichkeit  —  in  chronologischer 
Ordnung  verfplgt  werden  kann. 


414  XXm.  POLLAK 

Sehr  plausibel  ist  es  sogar,  den  Ursprang  der  Krankheit  in  die 
intrauterine,  embryonale  Periode  zurückzuyerlegen,  da  der  merk- 
wQrdige  Ausfall  mancher  psychischer  Thfttigkeiten  geradezu  auf  ein 
frühes  Regionär-Ergriffensein  solcher  Zellenzonen  der  Bindensubstanz 
hinweist,  welche  jenen  Verrichtungen  vorstehen. 

Daraus  erklärt  sieh  auch  die  eigenthflmliche  Geistesspaltung  — 
die  ich  in  einzelnen  Zflgen  zu  skizziren  trachtete  — ,  da  die  gruppen- 
förmige  Evolution  der  stossweise  durchgreifenden  chronischen  Entzfln- 
dungsform  in  den  Binden- Zellennetzen  manche  Einzelarten  ihrer  spe- 
cifischen  Energien  total  aufhebt,  andere  beeinträchtigt  und  etwelche 
doch  —  wenn  auch  gestört  in  ihrer  seelischen  Anastomose  (?)  —  fonc- 
tionsfähig  bleiben. 

Auch  der  Mangel  an  phonetischen  Zeichen  steht  mit  dieser  vor- 
zeitigen Krankheitsentwicklung  im  Zusammenhange;  da  sowohl  das 
vermeintliche  Sprachcentrum  (Brooa's)  in  der  linken  dritten  Fron- 
talwindung, als  das  basale  Lautcentrum  (KussmauTs)  mit  dem 
dazwischen  liegenden  Sprach-Bahüencomplexe  und  den  den  Articu- 
lationsmechanismus  vermittelnden  nervösen  Apparaten  so  zeitig  affi- 
cirt  war,  dass  es  in  denselben  nicht  einmal  zu  den  vorbereitenden 
Stadien  der  Bede  kommen  konnte  und  somit  selbst  die  Urlaute 
(Kussmaul),  das  Lallen  des  Säuglings  ausblieben. 

Die  ganze  Gehirncultur  ist  durch  die  histologischen  Verände- 
rungen zurflckgeblieben ,  welche  in  unserem  Falle  auch  viele  nicht 
näher  localisirbare  Theile  der  Grosshimrinde  erlitten  und  welche 
sowohl  die  sinnliche  Perceptionsfähigkeit  als  das  Begistriren  der 
gewonnenen  Eindrücke  und  die  daran  sich  kndpfende  Beflexion  ver- 
nichteten. 

Wenn  auch  die  Concentrationsstätte  aller  Sensibilitäten:  das 
Sensorium  commune  der  Bindenschichten  fast  intact  blieb,  eine  Um- 
setzung der  Eindrücke  der  Aussenwelt  in  Begriffe  war  nur  in  be- 
schränktem Maasse  möglich  und  darum  blieb  auch  die  Entwicklong 
der  automatischen  Thätigkeit  zurück,  die  sich  bis  heute  im  Mangel 
der  Mimik  und  Gesticulation  so  auffallend  äussert. 

Dem  Kinde  fehlten  sowohl  die  begrifflichen  Elemente  der  Sprache 
als  ihre  Lautelemente,  daher  es  kein  richtiges  Vorstellen,  keine 
geistige  Prüfungskraft  besass  und  nur  auf  ein  instinctives  Urtheil 
beschränkt  war. 

Wenn  wir  nun  diese  centrale  Dysarthrie  mit  der  locomotorischen 
Parese  der  Sprachwerkzeuge  —  durch  den  gestörten  Mechanismas 
der  peripheren  Nervenapparate  —  als  allererste  Phase  in  dem  De- 
cursus  morbi  annehmen;  daran  das  ganz  deutliche  Scandiren  der 


Multiple  Herdsklerose  im  SäugliDgsalter.  415 

Klagelaate,  die  Monotonie  der  Thierlaute  anreihen;  dann  die  ange- 
borene und  fortbestehende  Parese  der  oberen  Extremitäten  ins  Auge 
fassen,  zu  denen  sich  beim  allmählichen  Fortschreiten  unter  apo- 
plektiformen  Anfällen  —  in  mehrmonatlichen  Intervallen  die  klinisch 
wohl  bekannten  Symptome  des  Intentionszitterns,  Kopfschflttelns, 
Nystagmus,  Diplopie  (?),  veränderte  psychische  Beschaffenheit,  Dreh- 
und  Rollbewegungen,  Schwindel  gesellten,  während  weder  Sensibili* 
täts-  noch  trophische,  vasomotorische,  ataktische  Störungen,  functio- 
nelie  Beschwerden  Seitens  der  Blase  und  des  Rectums  in  die  Er- 
scheinung traten:  so  haben  wir  volles  Recht,  auf  Grund  dieser 
classischen  Merkmale  unsere  Diagnose  aufzustellen,  wenn  auch  die 
Deutung  der  Initialstadien  Manches  zu  wünschen  übrig  lässt 

Nach  der  Dignität  der  Symptome  zu  urtheilen,  müssen  die  haupt- 
sächlichsten  Herde  der  Reihe  nach  in  verschiedenen  Bezirken  der 
^uen  Hirnrinde  und  Basalganglien,  in  den  weissen  MeduUarmassen, 
im  Pons,  in  den  Pedunculi  cerebri,  im  Kleinhirn,  in  der  Medulla 
obloDgata,  in  den  Hirnnervenwurzeln  und  in  den  Vorder-  und  Seiten- 
strängen  des  Rückenmarks  zerstreut  liegen,  während  die  Hinter- 
sträDge  fast  gänzlich  von  ihnen  verschont  blieben. 

Jedenfalls  sind  die  psychomotorische  Centralstation,  sowie  deren 
ableitende  Bahnen  hauptsächlich  in  ihren  Transmissionen  pathologisch 
und  functionell  verändert,  während  in  den  excitomotorischen  Geleisen 
ziemlich  normal  die  Beförderung  der  zuleitenden  Eindrücke  bis  zu 
gewissen  Wechselstellen  und  Knotenpunkten  erfolgt,  dort  aber  in 
Folge  mangelhaften  Dienstes  Entgleisungen  und  Zusammenstösse  der 
Maschinen  stattfinden,  aus  denen  die  polymorphen,  wechselnden  Er- 
gebnisse resultiren,  die  diese  Krankheit  charakterisiren. 

Indem  ich  mich  jeder  weiteren  psycho-physiologischen  und  neuro- 
pathologischen  Auseinandersetzung  enthalte,  trotzdem  dass  dieser  Fall 
vielfach  zu  solchen  auffordert,  wünsche  ich  nur,  dass  durch  die  Mit- 
theilung desselben  sowohl  in  Bezug  auf  die  congenitale  Entwicklung 
als  auch  die  Mitbetheiligung  der  grauen  Rindensnbstanz  ein  neuer 
Lichtstrahl  in  manche  noch  ziemlich  dunkle  und  verborgene  Partien 
dieser  Lehre  eindringe. 

Die  Verknüpfung  der  vielen  interessanten  Daten  unseres  Falles 
mit  den  heute  gangbaren  Theorien  über  Localisation  im  Gehirn  wird 
bei  den  sachverständigen  Forschern  und  Nerven -Klinikern  gewiss 
dber  den  Causalitätsnexus  ihrer  sonderbaren  Einzelheiten  auch  zu 
solchen  Aufschlüssen  führen,  die  wir  uneingeweihten  Beobachter 
höchstens  supponiren  können. 

Gross- Wardein  im  April  1879. 


XXIV. 
lieber  die  therapeutische  Verwendung  der  Selerotinsäure« 

Aus  dem  klinischen  Institute  zu  München. 

Von 

Dr.  Max  Stumpf. 

Die  Frage  über  den  wirksamen  Bestandtheil  des  Mutterkorns 
war  lange  eine  offene  und  lange  war  es  den  angestrengtesten  Be- 
mühungen der  hervorragendsten  Forscher  nicht  gelungen,  aus  der 
genannten  Drogue  einen  Stoff  zu  isoliren,  der  nicht  nur  ein  Gemische 
verschiedener  Körper,  sondern  wirklich  ein  chemisches  Individaam 
ist.  Erst  in  den  letzten  Jahren  fanden  Dragendorff  und  Pod- 
wissotzky^),  dass  neben  anderen  minderwerthigen  Bestandtheilen 
die  Sclerotinsfture  und  das  Scleromucin  die  Hauptträger  der 
Mutterkornwirkung  sind  und  empfahlen  vor  Allem  den  ersteren  Kör- 
per als  den  weit  leichter  darstellbaren  und  löslichen  zur .  therapeu« 
tischen  Anwendung. 

Versuche  über  den  Werth  und  die  Anwendbarkeit  des  neuen 
Präparates  in  der  Therapie  wurden  bis  jetzt  meines  Wissens  nur  von 
Holst  angestellt,  welcher  sclerotinsaures  Calcium  in  Dosen  von 
0,04—0,05  anwendete  und  wirksam  fand.  Ueber  die  therapeutische 
Anwendung  der  reinen  Säure  fehlen  bis  jetzt  noch  Untersuchungen 
und  ist  die  Mittheilung  einer  grösseren  Versuchsreihe  Zweck  gegen- 
wärtiger Arbeit,  zu  welcher  ich  von  meinem  hochverehrten  Lehrer 
und  Chef,  Herrn  Professor  v.  Ziemssen,  Aneiferiing  und  Material 
in  der  liebenswürdigsten  Weise  erhalten  habe. 

Seit  länger  als  einem  Jahre  wird  auf  der  zweiten  medicinischea 
Abtheilung  des  Münchener  Krankenhauses  die  Sclerotinsäure  bei  allen 
Arten  von  Blutungen  angewendet  und  hat  dieselbe  das  früher  aus- 
schliesslich in  Gebrauch  gewesene  wässerige  Secaleextract  der  Pbar- 

1)  Ueber  die  wirksamen  und  einige  andere  Bestandtheile  des  Mutteri^oms. 
Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie.  Bd.  V. 


SddrotiiiB&ure.  417 

makopoe  vollständig  verdrängt  Das  zur  Anwendung  gekommene 
Präparat  stammt  aus  der  Fabrik  von  Witte  in  Bostoek,  wo  das^ 
Bslbe  strikte  nach  den  Vorschriften  von  Dragendorff  bereitet  wird. 
Es  ist  ein  hellbrauneSi  amorphes,  in  hohem  Qrade  hygroskopisches 
Pulver,  das  sich  in  Wasser  klar  und  leicht  zu  einer  tief  dunkel* 
braunen,  dem  Fleischextract  ähnlich  riechenden  und  schmeckenden 
Flüssigkeit  löst 

Die  Application  des  Mittels  geschah  anfangs  ausschliesslich  sub« 
CQtan,  später  auch  innerlich,  namentlich  wenn  eine  sehr  rasch  ein- 
tretende Wirkung  nicht  beabsichtigt  war. 

Bei  den  subcutanen  Injectionen  wurden  alle  Cautelen  befolgt, 
die  geeignet  sind,  eine  zu  starke  locale  Beizung  zu  vermeiden,  wie 
sie  ja  gerade  bei  Injectionen  des  wässerigen  Mutterkomextractes  trotz 
aller  Vorsichtsmaassregeln  in  so  unangenehmer  Weise  auftreten  kann. 
Vor  allem  wurde  möglichst  tief  ins  Unterhautbindegewebe  eingesto« 
eben  und  nach  vollendeter  Injection  die  FlQssigkeit  durch  Beiben  und 
Streichen  möglichst  vertheilt.  Als  Injectionsstellen  wurden  meistens 
die  vordere  und  die  seitlichen  Thoraxgegenden  und  das  Abdomen 
gewählt,  in  einzelnen  Fällen  bei  besonders  gut  entwickeltem  Panni- 
ealns  auch  die  Extremitäten,  besonders  die  Oberschenkel. 

Trotz  aller  dieser  Vorsichtsmaassregeln  traten  doch  in  einer 
grossen  Anzahl  von  Fällen  locale  Beizungserscheinungen  auf.  Un* 
mittelbar  nach  der  Injection  verspflrten  die  Kranken  ein  brennendes 
Oefflhl  an  der  Stichstelle,  das  sich  gewöhnlich  nach  15  Minuten  verlor 
und  bei  Druck  auf  die  Injectionsstelle  vielleicht  noch  nach  einigen 
Standen  empfunden  wurde.  Von  194  Injectionen  verliefen  95,  also 
49  Proc.,  auf  diese  Weise,  also  ohne  eigentliche  locale  Beaction. 
Xänger  andauernder  Schmerz,  meist  verbunden  mit  Böthüng  der  Stich- 
stelle und  ihrer  Umgebung  ohne  Infiltration,  trat  in  73  Fällen,  also  bei 
37,7  Proe.  auf.  Meist  breitete  sich  die  Böthung  nicht  von  der  Stich« 
atelle  aus,  sondern  von  der  Stelle,  welche  der  Spitze  der  Injections- 
nadel  entsprach,  so  dass  die  Stichstelle  selbst  nahe  dem  Bande  der 
geröfheten  Partie  zu  liegen  kam.  In  den  übrigen  21  Fällen,  also 
bei  10,8  Proc«,  kam  es  zur  Infiltration  und  Bildung  von  Knoten,  von 
welchen  im  Ganzen  5  (»»  2,6  Proc.)  abscedirten  und  6  (»»3,1  Proc.) 
zu  leichter  Fieberbewegung  führten;  die  Temperatur  stieg  in  einem 
Falle  nur  auf  38,1  ^  (Achselhöhle),  in  einem  anderen  di^egen  mit 
Schüttelfrost  auf  40,7  <>,  jedoch  mit  raschem  Abfall  zur  Norm  inner- 
halb 24  Stunden. 

Diese  ungttnstigen  Zahlen  finden  theilweise  ihre  Erklärung  in 
dem  schlechten  Ernährungszustände  eines  grossen  Theiles  der  zu  den 

DratMhM  Archiv  f.  klln.  Medleln.   XXIV.  Bd.  27 


418  XXIV.  Stdhff 

Versuchen  verwendeten  Kranken.  Je  echlaffer  die  Haut,  je  weniger 
entwickelt  das  Unterhantbindegewebe  war,  desto  eher  trat  eine  locale 
Beaction  von  grösserer  oder  geringerer  Intensität  auf*  Es  ist  daher 
begreiflich,  dass  Phthisiker,  bei  welchen  wegen  Lungenblntoögen 
das  Mittel  zur  Anwendung  kam,  und  Typhnskranke,  bei  denen  ohne- 
hin das  leichteste  Trauma  genflgt,  um  eine  locale  Entzündung  her« 
vorzurufen,  das  grösste  Gontingent  zu  unseren  ungttnstigen  Zahlen 
stellen. 

Ein  weiteres  Momenti  das  auf  die  örtliche  Beaction  von  grösstam 
Einflüsse  ist,  ist  der  Concentrationsgrad  der  injicirten  FIflssigkät 
Anfangs  wurde  zur  Injection  eine  Lösung  von  0,3  SclerotinsSnre  aaf 
5  Wasser  benutzt,  welche  sich  jedoch  sehr  bald  wegen  der  zu  ge- 
ringen mit  einer  einzigen  Spritze  einverleibbaren  Dose  als  unzulfing- 
lieh  erwies,  so  dass  in  der  Folge  zu  immer  stärkeren  Lösungen,  za 
0,4 : 5,  0,5 : 5,  1,0 : 5  und  schliesslich  zu  2,0 : 5  ttbergegangen  wurde. 
Während  bei  der  Concentration  von  0,4 : 5  76,5  Proc.  aller  Inje^o* 
nen  reactionslos  verliefen,  ergab  sich,  dass  bei  Einspritzungen  der 
stärkeren  Lösungen  —  ffir  alle  drei  Concentrationsgrade  flbereinstini- 
mend  —  nur  43  Proc.  völlig  ohne  örtliche  Erscheinungen  einh^- 
gingen.  Namentlich  waren  unter  den  zu  Induration  und  Absoesi- 
bildung  oder  zu  febriler  Temperatursteigerung  ftthrenden  Fällen  die 
Lösungen  von  1 : 5  und  2 : 5  am  meisten  belastet 

Immerhin  sind  jedoch  die  erhaltenen  Besultate  bei  weitem  gfln- 
stiger  als  die  von  anderen  Autoren  Aber  die  bisher  gebräuchlieben 
Mutterkompräparate  mitgetheilten  Erfahrungen.  Nach  Eulenba rg^) 
haben  alle  früher  angewendeten  Seealepräparate  äusserst  nngflnstige 
Localerscheinungen  zur  Folge  und  einige  Beobachter  sahen  dieselben 
sogar  bei  keiner  einzigen  Injection  fehlen,  so  dass  also  fBr  das  neue 
Präparat  unsere  auf  den  ersten  Blick  ungünstig  scheinenden  Resnl- 
täte  doch  einen  wesentlichen  Fortschritt  darstellen.  Besonders  ist 
das  seltene  Auftreten  einer  Induration  an  der  Stichstelle  bei  Anwen- 
dung unseres  Mittels  hervorzuheben,  während  D rasch e<)  bei  An- 
wendung des  Ergotins,  besonders  bei  Injection  wässeriger,  nicht  mit 
Glycerin  bereiteter  Lösungen  solche  Anschwellungen  und  Knotenbil- 
dungen unendlich  viel  häufiger  auftreten  sah. 

Versuche,  die  örtliche  Beizung,  namentlich  die  in  der  Hllfte 
aller  Fälle  eintretende  dauernde  Schmerzhaftigkeit  durch  Zusatz  ron 
Morphium  zur  InjeetionsflQssigkeit  zu  verhüten  oder  wenigstens  zn 

1)  Die  hypodermatische  Injection  der  Arzneimittel.    Berlin  tS75. 

2)  Ueber  die  Anwendung  and  Wirkung  subcutaner  Ergotin-ligectioDeo  bei 
Blutungen.    Wiener  med.  Wocbenscbrift  1872.  Nr.  38  u.  40. 


Sderotms&nre.  419 

Termindern,  blieben  erfolglos,  und  so  mttssen  wir  ans  wohl  mit  den 
Ifewonnenen  Zahlen  begnügen. 

In  neneeter  Zeit  hat  Felsenreich  0  an  der  Braun'sehen  Klinik 
eine  grossere  Versuchsreihe  von  Injectionen  mit  dialysirtem  Ergotin 
verdffentlioht>  welche  zu  weitaus  gflnstigeren  Resultaten,  wenigstens 
in  Besag  auf  Knoten-  und  Abscessbildung  geführt  haben ;  Ober  Iftnger 
andauernde  Schmerzhaftigkeit  finden  sich  in  der  kurzen  Mittheilung 
allerdings  keine  näheren  Zahlenangaben.  Hier  ist  jedoch  zu  berflck- 
sichtigen,  dass  in  Gebftranstalten ,  denen  ein  ungleich  besseres  Ma- 
terial zuströmti  stets  gflnstigere  Verhältnisse  erzielt  werden  können, 
und  dass  auch  wir  bei  gesunden,  verhältnissmSssig  kräftigen  Indi- 
viduen, wie  sie  uns  in  einer  geringen  Anzahl  von  gewerbsmässigen 
Spitalbesuchem  zur  Verfügung  standen,  viel  günstigere  Resultate  er- 
halten haben;  weitaus  die  grösste  Zahl  yon  Injectionen  verlief  in 
solchen  Fällen  ohne  jede  örtliche  Reaction,  besonders  können  wir 
uns  nicht  erinnern,  dass  bei  nur  annähernd  kräftigen  Individuen  eine 
Induration  oder  ein  Abscess  aufgetreten  wäre. 

In  Anbetracht  der  im  Folgenden  zu  zeigenden  hämostatischen 
Wirkung,  welche  die  Sclerotinsäure  als  reines  Präparat  in  noch  höhe* 
rem  Grade  besitzt  als  das  Ergotin,  werden  die  erwähnten  Nachtheile, 
die  Schmerzhaftigkeit  der  subcutanen  Anwendung,  und  sogar  das 
Auftreten  einer  Induration  doch  sehr  wenig  ins  Gewicht  fallen.  Hat 
man  ja  auch  die  älteren  Präparate  trotz  ihrer  noch  unangenehmeren 
Nebenwirkungen  bis  jetzt  überall  angewendet  und  waren  die  im  Ver- 
bältniss  zu  der  allgemein  beobachteten  guten  Wirkung  weit  in  den 
Hintergrund  tretenden  Uebelstände  nicht  im  Stande,  dieselben  aus 
dem  Araneischatze  zu  verdrängen. 

Misslicher  als  die  geringen  Nachtheile  bei  der  Application  des 
Mittels  ist  ein  anderer  Umstand,  der  vielleicht  einer  allgemeinen 
Verbreitung  desselben,  wenigstens  in  der  Privatpraxis,  im  Wege 
stehen  könnte,  nämlich  die  geringe  Haltbarkeit  der  Substanz.  Die 
Säure  muss  nämlich  wegen  ihrer  hochgradig  hygroskopischen  Eigen- 
schaft stets  in  Substanz  und  luftdicht  verschlossen  aufbewahrt  wer- 
den; wässerige  Lösungen  werden  schon  nach  zweimal  24  Stunden 
unbrauchbar  oder  wenigstens  unzuverlässig.  Nicht  ganz  gut  ver- 
schlossene Lösungen  bedecken  sich  schon  nach  wenigei^  Tagen  mit 
einer  dicken  Schimmeldeoke.  Das  von  Witte  in  Rostock  bereitete 
Präparat  wird  deshalb  als  Pulver  in  Fläschchen  zu  je  einem  Gramm 


l)  Dialystiflches  Injections- Ergotin  für  subcutane  Anwendung.    Wiener  med. 
WochcDBchrift.  1879.  Nr.  7. 

27* 


420  XXnr.  Stumpf 

luftdicht  verBchloBsen  yeraohickt  Während  daa  ErgotiH  in  wtae- 
riger  oder  mit  Glycerin  versetzter  Lösung  im  Voraus  bereitet  werden 
konnte  I  um  im  Falle  des  Bedarfes  sofort  angewendet  zu  werden, 
muss  die  Sclerotinsäure  jedesmal  ad  hoc  aufgelöst  werden.  Eine 
wässerige  Ergotinlösung  hält  sich  wenigstens  10 — 14  Tage,  wall^ 
scheinlich  weil  im  wässerigen  Mutterkomextract  die  ScIerotindUire 
an  irgend  eine  Basis  gebunden  ist  und  als  Salz  länger  unzaietzt 
bleibt.  Bei  strenger  Abwägung  der  beiderseitigen  Vor-  und  Naeh- 
theile  wird  jedoch  auch  dieser  Umstand,  als  nur  gegen  die  Bequem- 
lichkeit der  Applicationsweise  verstossend,  nicht  allzuschwer  ins  Ge- 
wicht fallen  und  man  wird,  wenn  man  zwischen  beiden  Pri4>araten 
die  Wahl  hat,  wohl  immer  zur  Sclerotinsäure  greifen. 

In  der  ersten  Arbeit  flber  Sclerotinsäure  von  Dragendorff  0-c), 
welche  lediglich  die  chemischen  Eigenschaften  des  neuen  Körpen 
behandelt,  findet  sich  am  Schlüsse  die  Bemerkung,  dass  der  subcuta- 
nen Anwendung  des  Mittels  beim  Menschen  in  Dosen  von  0^03—0,045 
nichts  im  Wege  stehe.  In  einer  erst  kflrzlich  erschienenen  Arbdt 
hat  Nikitin  ^)  nähere  Angaben  über  die  Dosirung  gemacht  und  dar- 
auf hingewiesen,  dass  die  von  manchen  Autoren  mitgetheilten  Hi»- 
erfolge  wohl  darauf  zu  beziehen  sind,  dass  die  angewendeten  Dosen 
zu  klein  waren.  Die  niedrigste  Dosis,  welche  bei  Thieren  Uteras- 
contractionen  hervorrief,  ist  nach  Nikitin0,2;  eine  Katze  warf  nach 
Iigection  von  1,0  vollkommen  gesunde  Junge.  Die  tödtliche  Gabe 
berechnet  er  nach  seinen  Thierversuchen  für  den  Menschen  auf  10,0. 
Bei  unseren  ersten  Versuchen  hielten  wir  uns  an  die  von  Dragen- 
dorf f  angegebene  Dosis  und  gaben  0,02--0,04  als  Einzeldosen.  Sehr 
bald  erwiesen  sich  jedoch  diese  Mengen  als  viel  zu  klein  zur  Her- 
vorbringung eines  therapeutischen  Effectes  und  es  wurden  naeh  und 
nach  immer  grössere  Dosen  angewendet,  schliesslich  sogar  Einzel- 
gaben von  0,6  subcutan  applicirt,  eine  Dosis,  welche  die  von  D ra- 
gender ff  empfohlene  um  das  15  fache  flbersteigt  und  nach  dessen 
Berechnungen  einer  Mutterkornmenge  von  8,0  und  2,0  des  Bon  jean- 
schen wässerigen  Auszuges  entspricht.  Unangenehme  Allgemeiner- 
scheinungen oder  Intoxicationssymptome  vmrden  auch  bei  den  gross* 
ten  Dosen  nicht  beobachtet.  An  eine  Minderwerthigkeit  des  Prä- 
parates ist  jedoch  deshalb  nicht  zu  denken ,  da ,  wie  im  Folgenden 
gezeigt  werden  wird,  in  therapeutischer  Beziehung  beaehtenswerthe 
Erfolge  erzielt  wurden. 

1)  Ueber  die  physiologische  Wirkung  und  therapeutische  Yenrendoog  der 
SclerotiBS&are,  des  sclerotinsauren  Natrioms  und  des  Mutterkorns.  Bossbtck's 
pharmakologische  Untersuchungen.  Bd.  III.  Heft  1  u.  2.  1879. 


SderotinB&iire.  421 

Die  Anwendang  der  Scleroünsäare  geschah  bei  allen  Blatungeni 
bei  welchen  frfther  Ergotin  angewendet  wurde.  Wir  wollen  znni&chflt 
die  an  Zahl  obenanstehenden  Blutungen  aus  den  weiblichen 
Genitalorganen  einer  nftheren  Betrachtung  nnterziehen.  Es  wur- 
den deren  im  Gkuizen  15  Fftlle  mit  Sclerotinsäure  behandelt,  davon 
3  Meno-  nnd  12  Metrorrhagien.  Die  enteren  standen  s&mmt- 
lieh  schon  nach  dem  Gebrauche  Ton  0|2,  eine  davon  schon  nach 
einer  einzigen  Injection  von  0,08.  Etwas  hartnSckiger  verhielten  sich 
die  Metrorrhagien,  besonders  die  im  Gefolge  der  chronischen  Metritis 
auftretenden  y  von  welchen  6  Fälle  zur  Beobachtung  kamen.  Wäh- 
rend in  den  günstigeren  Fällen  nur  wenige ,  in  einem  sogar  eine 
emzige  Injection  genOgte,  um  die  Blutung  dauernd  zu  beseitigen, 
verhielt  sich  namentlich  in  einem  Falle  die  Hämorrhagie  äusserst 
renitent,  so  dass  man  sich  genöthigt  sah,  nach  18  Injectionen ' von 
im  Ganzen  1,3  Sclerotinsäure,  und  nachdem  wiederholt  das  Mittel 
anf  die  Uterusschleimhaut  selbst  ohne  Erfolg  angewendet  worden 
war,  zu  anderen  styptischen  Mitteln  zu  greifen.  In  den  übrigen 
Fällen  war  der  Erfolg  ein  befriedigender,  indem  meist  3 — 4  Injec- 
tionen von  je  0,05  genügten,  um  die  Blutung  zum  Stehen  zu  bringen. 

Bei  Aborten  und  bei  Blutungen  im  Wochenbett  wurde 
das  Mittel  in  5  Fällen  angewendet  Nur  in  einem  derselben  vor* 
Bagte  es  seinen  Dienst  und  waren  6  Injectionen  von  im  Ganzen 
0,58  Substanz  nicht  im  Stande,  die  Blutung  dauernd  zu  beseitigen, 
wenn  dieselbe  auch  momentan  auf  ein  paar  Tage  stand.  Nach  5  Be- 
eidiven  und  nachdem  die  letzte  Blutung  in  ziemlich  befriedigender 
Weise  vermindert  war,  entzog  sich  die  Kranke  durch  den  Austritt 
der  weiteren  Beobachtung. 

Die  übrigen  hierher  gehörigen  Blutungen  standen  fast  momentan 
aaf  eine  einzige  Injection,  nur  in  einem  Fall  endigte  die  Hämorrhagie 
erst  nach  Ausstossung  eines  ziemlich  umfänglichen  Eihautrestes,  nach- 
dem 1,2  Sclerotinsäure  in  6  Einzeldosen  injicirt  worden  waren.  Die 
AuBstossong  ging  unter  ziemlich  schmerzhaften  Gontractionen  des 
Uterus  vor  sich,  welche  nach  den  Versuchen  von  Nikitin  (I.e.) 
vielleicht  der  Sclerotinsäure  zu  gut  gerechnet  werden  können. 

Weist  schon  dieser  Fall  sehr  deutlich  auf  die  ecbolische  Wir« 
kung  des  Mittels  hin,  so  ist  der  folgende  noch  in  erhöhtem  Grade 
dazu  geeignet  Am  25.  October  1878  stellte  sich  im  Ambulatorium 
eine  Kranke  vor,  bei  welcher  von  einem  Assistenten  die  Diagnose 
auf  Fibromyome  des  Uterus  gestellt  und  dem  entsprechend  0,1  Sclero- 
tinsäure injicirt  worden  war.  Schon  in  der  Nacht  traten  wehenartige 
Sehmenen  ein  und  die  Kranke,  welche  selbst  nicht  an  Gravidität 


422  XXIV.  Stumpf 

glaubte,  warde  am  nächsten  Tage  ins  Krankenhaas  verbraeht,  wo 
ungefähr  20  Stunden  nach  der  Injection  die  Ausstossung  eines  fflnf- 
monatlichen  Fötus  erfolgte.  Die  angewendete  Dose  war  zwar  an* 
zweifelhaft  zu  klein ,  als  dass  ihr  allein  das  Eintreten  des  Abortos 
zur  Last  zu  legen  wäre,  und  es  ist  wahrscheinlich,  dass  in  Folge  der 
Anwesenheit  ziemlich' grosser  Fibromyome,  welche  post  abortum  ud- 
zweifelhaft  zu  oonstatiren  waren,  auch  ohne  Selerotinsäure  frflher 
oder  später  der  Abortus  erfolgt  sein  wflrde,  jedoch  ist  es  nicht  ganz 
von  der  Hand  zu  weisen,  dass  die  Injection  eines  Mittels,  das  noto- 
risch ecbolische  Wirkung  hat  %  eine  Beschleunigung  einer  schon  ror- 
bereiteten  frühzeitigen  Ausstossung  veranlasst  haben  kann. 

So  wenig  beweisend  in  therapeutischer  Beziehung  dieser  einzelne 
Fall  fflr  die  erwähnte  Wirksamkeit  der  Selerotinsäure  sein  soll  and 
sein' kann,  so  sehr  ist  er  doch  geeignet,  auf  diese  Seite  der  thera- 
peutischen Anwendbarkeit  aufmerksam  zu  machen  und  zu  weiteren 
Versuchen,  welche  jedoch  nur  an  dem  Materiale  einer  geburtshilf- 
lichen Anstalt  gemacht  werden  können,  aufzufordern. 

Ausser  den  beschriebenen  Uterinblutungen  wurde  noch  eine 
Kranke  mit  Metrorrhagien  in  Folge  eines  intraparietal  sitzenden  Fi- 
bromyomes  mit  Selerotinsäure  behandelt.  Die  Blutungen  cesrirten 
nach  5  Injectionen  von  je  0,1  Selerotinsäure  und  waren  nicht  wieder 
recidivirt,  als  die  Kranke  2  Monate  später  wegen  GesichtserysipeU 
aufgenommen  wurde.  Dagegen  konnte  eine  Verkleinerung  des  Tu- 
mors, wie  sie  von  anderen  Autoren  unter  Anwendung  des  Eigotins 
gesehen  wurde,  nicht  constatirt  werden,  was  in  Anbetracht  der  gt- 
ringen  Menge,  die  zugeführt  worden  war,  auch  nicht  Wunder  nehmen 
kann.  Ein  anderer  Fall  eines  ohne  Blutung  verlaufenden  welsch- 
nussgrossen,  an  der  hinteren  Wand  des  Uterus  nahe  dessen  recbt«r 
Kante  sitzenden  subserdsen  Fibromyomes  zeigt  dagegen  in  über- 
raschender Weise  den  günstigen  Einfluss  unseres  Mittels  auf  Tumoren 
dieser  Art.  Da  wegen  Abwesenheit  von  Blutungen  die  Indication 
einer  möglichst  raschen  Einverleibung  nicht  gegeben  war,  wurde  von 
der  subcutanen  Anwendung  abgesehen  und  per  os  täglich  zweimal 
0,2  Selerotinsäure  in  Tropfenform  —  es  wurde  dieselbe  Lösung  wie 
bei  der  subcutanen  Anwendung  benützt  —  gegeben.  Das  Mittel 
wurde  7  Tage  hindurch  von  der  Kranken  ohne  allen  Widerwillen 
und  ohne  jegliche  subjective  Beschwerde  genommen.  Am  7.  Tage 
liess  sich  bereits  eine  Verkleinerung  des  Tumors  um  die  Hälfte  con- 


t)  8.  Wernich,  Einige  Yerfiachsreihen  über  das  Mutterkorn.   Beriioer  Bei- 
trage zur  Geburtshalfe  und  Gynäkologie.  Bd.  Ili. 


SderoCins&ure.  423 

statiren.  Obwohl  jetzt  das  Mittel  aoageaetst  warde,  machte  die  Ver- 
kleinenmg  stetige  Fortschrittei  so  dass  die  Gesohwalst  bei  der  Ent- 
IsflSttiig  der  Kranken  •-«*  3  Wochen  nach  Einleitang  der  Sclerotin- 
behandlong  —  nur  mehr  die  Orösse  einer  kleinen  Haselnnss  hatte. 
Dabei  waren  alle  subjectiven  Erscheinungen,  Schmerzen,  Dmcksym- 
ptome  auf  die  Nachbarorganei  YoUstftndig  yerschwunden. 

Von  Blutungen  aus  den  Athmungsorganen  sind  zunichst 
11  Fftlle  von  Hämoptoe  zu  erwähnen,  welche  mit  Solerotinsfture  be- 
handelt wurden.  Nach  den  Ausführungen  der  meisten  Autoren  über 
die  Theorie  der  Mutterkomwirkung  Iftsst  sich  bei  Lungenblutnngen 
a  priori  bei  Weitem  nicht  der  Effect  erwarten,  wie  bei  Blutungen 
aoB  den  Unterleibsorganen.  So  hat  vor  Allen  Wem  ich  (I.e.)  nach- 
gewiesen, dass  unter  dem  Einflüsse  des  Mutterkornes  das  Blut  aus 
dem  arteriellen  Systeme  verdrängt  werde  und  sich  in  der  venösen 
Ereislaubhälfte  also  auch  im  kldnen  Kreislauf  anhäufe^  und  neuer- 
dings hat  Nikitin  (1«  c.)  bei  seinen  Versuchen  ttber  Sclerotinsäure 
wiederholt  die  Ventrikel  blutleer,  dagegen  die  Vorhöfe  gefallt  und 
die  Lungen  äusserst  blutreich  gefunden.  Wir  dürfen  uns  daher  nicht 
wundem,  wenn  wir  bei  Hämoptoe  nicht  die  bei  Metrorrhagien  ge- 
wonnenen gttnstigen  Besultate  erzielt  haben,  ja  nach  den  Unter- 
sachungsei^ebnissen  der  angefahrten  Autoren  wäre  sogar  die  Anwen- 
dung der  Mutterkompräparate  bei  Hämoptoen,  die  aus  den  feinsten 
Aesten  iler  Lungenarterie  stammen,  geradezu  contraindicirt. 

Dem  entsprechend  gestalten  sich  nun  auch  die  von  uns  gewon- 
nenen therapeutischen  Erfahrungen.  In  5  Fällen,  also  in  nahezu 
der  Hälfte  aller  mit  Sclerotinsäure  behandelten  Lungenblutungen, 
blieb  dieselbe  ganz  oder  nahezu  wirkungslos ;  die  Blutungen  standen 
nicht,  oder  wenn  sie  auch  momentan  aussetzten,  recidivirten  sie  sehr 
bald.  Es  sind  dies  lauter  vorgeschrittenere  Fälle  von  Lungenphthise, 
bei  welchen  die  physikalische  Untersuchung  mehr  oder  minder  umfang- 
reiche Zerstörungen  ergab.  Dagegen  war  in  Fällen  von  sogenannten 
initialen  Blutungen,  wo  physikalisch  auf  der  Lunge  Veränderungen 
noeh  kaum  oder  nur  in  ganz  geringem  Orade  vorhanden  waren,  ein 
günstiger  Einfluss  auf  die  Blutung  nicht  zu  verkennen.  In  2  solchen 
F&llen  genügten  2,  in  2  anderen  6  Injectionen,  um  die  Blutung  rasch 
nnd  dauernd  zum  Stehen  zu  bringen.  Diese  beeinflussbaren  Blutun- 
gen stammten  vielleicht  aus  den  Bronchialarterien  und  cessirten  dann 
ans  denselben  Orttnden  wie  die  arteriellen  Blutungen  aus  den  Ab- 
dominaloiganen. 

Von  Blutungen  aus  dem  Respirationstractus  kam  ausser  den 
Hämoptoen  noch  eine  Epistaxis  in  Behandlung.   Da  dieselbe  sehr 


424  XXIY.  8Tu«r 

pröfofl  war  und  auf  eine  eismalige  Dotis  yon  0,1  SelerotincAare  tab- 
catan,  statt  zu  ateben,  noeh  stärker  warde,  nahm  man  von  einer 
weiteren  Anwendung  des  Mittels  Abstand  and  griff  sur  Tamponade 
der  Nasenhöhle,  welehe  sofort  die  gewflnsohte  Wirkung  zar  Folge 
hatte.  Da  die  Nasenblntongen  meist  yenBsen  Ursprungs  sind,  so 
wird  wohl .  hier  die  SclerotinsSare  gewöhnlieh  nieht  von  Erfolg  sem. 

Ungleioh  sicherer  und  prompter  als  bei  Lungenblutungen  war 
die  Wirkung  der  Selerotinsfture  bei  Blutungen  ans  dem  Ver- 
danungstraottts,  was  auch  durch  die  Versuche  von  Nikitis, 
welcher  die  D&rme  stets  blutleer  und  die  Arterien  derselben  yerengt 
fand,  seine  Erklftrung  findet.  Es  kamen  im  Ganzen  9  Fftlle  von  In- 
testinalblutungen  zur  Behandlung,  davon  4  Fftlle  von  Hagenblutong 
in  Folge  von  rundem  llagengeschwflr  und  5  Fftlle  von  Dannblutoiig 
im  Verlaufe  des  Abdominaltyphus.  Bei  2  Fftllen  von  Magenge- 
schwür stand  die  Blutung  schon  nach  Injection  von  0,1,  ein  dritter 
Fall  erforderte  5  Einspritzungen  von  je  0,1  Sclerotinsfture.  Eine 
vierte  Kranke  ging  mit  einer  enormen  Magenblntung  zu,  welche  troti 
0,1  Solerotinsfture  immer  profuser  wurde  und  nach  wenig  Stunden 
zum  Tode  fahrte.  Die  Section  ergab  eine  im  Grunde  eines  grossen 
Magengeschwftrs  liegende  arrodirte  Arterie  von  Babenkieldioke. 

Nicht  minder  gttnstig  sind  die  Resultate  bei  den  typhösen 
Darmblutungen«  Von  den  5  Fftllen  verliefen  4  vollstftndig  be- 
friedigend, indem  im  ungflnstigsten  Falle  schon  nach  der  2.  Iigeetion 
die  Blutung  vollkommen  aufhörte.  Bei  der  5.  Kranken  konnte  die 
sehr  abundante  Blutung  nicht  gestillt  werden  und  dieselbe  ging  rasch 
zu  Grunde. 

Es  bliebe  nun  noch  ein  Fall  zu  erwfthnen,  in  welchem  ein 
grosser,  schwammiger,  leicht  blutender  Krebstumor  vom  Kehlkopf 
ausgehend  nach  aussen  durchgebrochen  war.  Das  Mittel  wurde  hier 
in  das  blutende  Parenchym  eingespritzt,  ohne  irgendwie  Ideale  Bei- 
zungserscheinungen  hervorzurufen.  Ea  wurde  nur  eine  Injection  (Ton 
0,09)  applicirt,  welche  auch  momentan  palliativen  Erfolg  hatte,  aber 
die  Blutung  recidivirte  sehr  bald  wieder. 

Ueberblicken  wir  die  gewonnenen  therapeutischen  Resultate,  so 
sehen  wir,  dass  die  Sderotinsfture  in  keiner  Weise  hinter  den  früher 
üblichen  Mutterkornprftparaten  znrttcksteht  Die  vollkommene  Aeqni- 
valenz  mit  diesen  in  Bezug  auf  die  blutstillende  Wirkung  geht  ans 
den  mitgetheilten  Beobachtungen  aufs  Deutlichste  hervor,  ja  in  einer 
Hinsicht  übertrifft  die  Sderotinsfture  die  ftlteren  Prftparate.  Sie  ist 
zwar  nur  die  isolirte  Substanz,  welche  in  Verbindung  mit  anderen 


Sderotini&are.  425 

im  Matterkom  enthaltenen,  weniger  oder  gar  nicht  wirkaamen  Stoffen 
ohne  Zweifel  ebensogut  wirkt  wie  in  reinem  ZuBtande»  aber  sie  kann 
eben  deshalb,  weil  sie  ein  reiner  Stoff  ist,  in  grösserer  Dosis  gegeben 
werden,  als  in  Verdflnnung  mit  werthlosen  Substanzen.  Die  grösste 
7on  uns  gegebene  Dosis  (0,6)  entspricht  solchen  Mengen  Mutterkorns 
and  Ergotins,  wie  sie  wohl  kanm  jemals  am  Krankenbette  gegeben 
worden  und  wenigstens  hypodermatisch  wegen  der  höchst  unangeneh- 
men localen  Beizung  kaum  je  gegeben  werden  können.  So  trefflich 
auch  die  Wirkung  des  Ergotins  bis  jetzt  gefunden  wurde,  so  werden 
doch  an  der  Hand  dieser  grossen  Dosen  die  therapeutischen  Erfolge 
unzweifelhaft  noch  viel  prompter  und  zufriedenstellender  ausfallen, 
und  dieser  Umstand,  zusammengehalten  mit  der  viel  geringeren  Wahr- 
scheinlichkeit des  Auftretens  localer  Reizerscheinungen,  dtlrfte  Yollkom- 
men  genOgen,  um  den  bisher  Yon  dem  wftsserigen  Mutterkornextracte 
eingenommenen  Platz  in  der  Therapie,  wenigstens  fflr  subcutane  An- 
wendung, der  Sclerotins&ure  einzuräumen  und  zu  sichern.  Fttr  den 
internen  Gebrauch  wird  sich  dieselbe  kaum  einbürgern,  weil  bei  der 
innerlichen  Anwendung  eine  absolute  Reinheit  des  Mittels  nicht  in 
dem  Grade  geboten  erscheint,  wie  bei  der  subcutanen  Injection,  und 
weil  der  Preis  des  reinen  Präparates  wegen  der  sehr  complicirten 
Darstellungsweise  ein  unverhältnissmässig  hoher  ist  und  wohl  auch 
bleiben  wird.  Fflr  diesen  Zweck  haben  wir  in  dem  Bonjean'schen 
Extraot  der  Pharmakopoe  und  in  dem  Wernich'schen  Dialysat  aus- 
reichend wirksame  Mittel. 

Wir  haben  im  Vorausgehenden  die  therapeutische  Anwendung  und 
Wirksamkeit  der  Sderotinsäure  besprochen  und  möchten  nun  im  Fol- 
genden einen  Beitrag  zur  Theorie  der  Mutterkornwirkung 
liefern,  obwohl  wir  damit  eigentlich  den  Rahmen  unserer  Arbeit  ttber- 
sehreiten,  deren  Zweck  zunächst  nur  ist,  therapeutische  Gesichts- 
punkte und  Resultate  am  Krankenbett  mitzutheilen.  Die  nachfolgen- 
den Beobachtungen  sind  weit  entfernt,  einen  entscheidenden  Werth 
für  die  Theorie  der  Mutterkomwirkung  zu  beanspruchen,  sondern  es 
sollen  nur  Mittheilungen  Aber  die  Veränderungen  der  Gefässspan- 
nung  sein,  welche  in  der  charakteristischen  Weise,  wie  sie  eingetreten 
Bind,  doch  vielleicht  fflr  das  Verständniss  der  Sclerotin  -  Effecte  yon 
Bedeutung  sein  dflrften. 

Die  von  der  grossen  Mehrzahl  der  Forscher,  namentlich  von 
Holm  es  1)  und  Wem  ich  (1.  c.)  auf  Grund  zahlreicher  Versuche 


1)  Effets  de  Vergoi  da  seigle.    Arch.  de  Physiologie.  1870, 


426  XXiy.  Stumff 

constmirte  Theorie  der  Matterkorawirkang  gipfelt  in  Bezug  auf  das 
G^ftsssystem  in  folgenden  Sätzen: 

1.  Der  Tonus  der  Venen  sinkt  und  das  Blut  sammelt  sich  in 
den  grösseren  Oefftssen  der  venösen  Kreislaufshftlfte  an; 

2.  der  Blutdruck  sinkt,  und 

3.  die  Arterien  werden  leer  und  yerengem  sich. 

Dabei  nimmt  Wem  ich  das  Sinken  des  Blutdruckes  als  d» 
Primäre,  die  Verengerung  der  Arterien  als  das  Seeundäre  an« 

Nehmen  wir  nun  diese  Sätze  als  wahr  an,  so  stellt  das  Artmen- 
System  ein  Böhrensystem  dar,  in  welchem  die  ursprüngliche  Flttssig- 
keitsmenge,  welche  hineingetrieben  wurde,  vermindert  und  znglei^ 
der  Abfluss  verengt  ist.  Die  Untersuchungen  von  Landois^)  geben 
uns  nun  sofort  Aufschluss,  welche  Veränderungen  die  Pulswelle  bti 
derartigen  Verhältnissen  erfahren  muss. 

Das  erste  Moment,  die  Verringerung  der  Flttssigkeitsmenge,  die 
in  das  Arteriensystem  geschleudert  wird,  ist  von  geringem  Einflun 
auf  die  Form  der  einzelnen  Pulscurve ;  namentlich  wird,  wenn  andere 
Verhältnisse  influiren,  die  Veränderung  der  Pulscurve,  die  durch  ein 
Sinken  des  Blutdruckes  allein  bedingt  ist  und  nach  den  Untersuchun- 
gen von  Landois  und  KnolP)  in  einer  Vergrösserung  der  ROck- 
stosserhebung  und  in  einer  Abschwächung  und  einem  Hinaufrflcken 
der  ersten  Elasticitätsschwankung  gegen  den  Gurvengipfel  (Landois] 
besteht,  hinter  den  durch  die  ttbrigen  Momente  gesetzten  Veränderun- 
gen erheblich  zurücktreten  oder  gar  verschwinden.  Eine  nicht  za 
verkennende  Wirkung  wird  dagegen  das  zweite  Moment,  die  Ver- 
engerung der  Ausflussöfihung,  oder  auf  das  Circulationssystem  Aber- 
tragen,  die  Verengerung  def*  kleinsten  Arterien  auf  die  Gestaltang 
der  Pulscurve  ausüben.  Landois  hat  gezeigt,  dass  die  Büeksto«- 
erhebung  immer  kleiner  und  die  Elasticitätsschwankungen  immer 
zahlreicher  und  ausgeprägter  werden,  je  mehr  die  Gefässspannung 
zunimmt,  und  hat  drei  Spannungsgrade  aufgestellt: 

1.  Geringe  Spannung,  bei  stark  ausgeprägter  Rückstosserhebang 
und  Verschwinden  oder  nur  geringer  Andeutung  der  Elastidt&ts- 
^chwankungen, 

2.  Mittlere  Spannung,  bei  gleichmässiger  Ausbildung  der  Bflek- 
stosserhebung  und  der  Elasticitätsschwankungen, 

3.  Starke  Spannung,  bei  Verschwinden-  der  Bftckstosserhebiuig 
und  Zahlreicherwerden  der  Elasticitätsschwankungen. 

1)  Lehre  vom  Arterienpols.    Berlin. 

2)  Beiträge  zur  Eenntniss  der  Pulscurve.    Archiv  für  experimentelle  Patho- 
logie und  Pharmakologie.  Bd.  IX. 


ScleroUiuiure.  427 

Bei  deo  hfiehsteti  Spumungagraden  rnttueo  wegen  der  Vermin- 
deniDg  der  Schwingungumplitude  des  Rohres  anch  die  Elasticit&ts- 
scbwankungen  sehr  klein  werden,  bo  dass  also  eine  solche  Curre 
DDT  sehr  geringe  Osdllationen  zeigen  wird.  Auiserdem  tritt  brä  ex- 
tremen Spanuungsgraden  der  AnakrotiBmoB  auf,  d.  h.  der  aufsteigende 
Cnrrenechenkel  wird  durch  eine  Elasticit&ta&chwanknng  unterbrochen, 
dadurch  dass  bei  verminderter  Auedehnungsfäbigkeit  des  Rohres  das 
Durchströmen  der  FlQssigkeit  I&ngere  Zeit  in  Anspruch  nimmt,  so 
dass  schon  vor  Erreichung  dea  Curveogipfels  Elasticitätsschwankan- 
gen  auftreten  können. 

Die  Verengemng  des  AbflosseB  eines  Röhrensystens,  oder  auf 
das  Geftasaystem  fibertragen,  die  Verengerung  der  kleinsten  Arterien 
wird  nun  nacb  Landois  eine  Spannungszunahme ,  also  das  Auf- 
treten von  Gurren  2.  und  3.  Spannnngsgrades  zur  Folge  haben. 

Alle  diese  Ver&ndemngen  treten  nun  in  unseren  Sclerotincurren 
iD  der  ausgepritgtesten  Weise  zu  Tage.  Die  im  Folgenden  mitzu- 
(halenden  Gurren  sind  sämmtlicb  mit  dem  Marey'schen  Spbygmo- 
graphen  gezeichnet  Als  Maass  für  die  Belastung  der  Arterie  worden 
die  Umdrehungen  der  Schraube,  welche  die  Spannung  der  die  Fe- 
lotte  gegen  die  Arterie  andrückenden  Feder  regulirt,  angenommen, 
eise  üfethode,  welche  wenigstens  für  ein  und  dasselbe  Instrument 
die  Gri>S8e  der  Belastung  annähernd  anszudracken  im  Stande  ist. 
Sieben  Halbumdrehungen  der  Schraube  waren  bei  nuBerem  Spbygmo- 
graphen  nfttbig,  um  die  Feder  aus  dem  Zustande  der  vollständigen 
Belasation  in  das  Maximum  der  Spannung  aberzufabren.  Als  Span- 
nungsminimum wurde  daher  0  angenommen,  als  Maximum  7. 

Am  frappantesten  zeigt  die  durch  ScIerotinsSare  bewirkten  Ver- 
änderungen des  Pulses  ein  Fall  von  HäidoptoS  massigen  Grades, 
welchen  ich  wegen  der  verschiedenen  Eigenthttmlicbkeiten ,  die  er 
bietet,  im  Folgenden  näher  anführe. 

J.  B.  30  Jahr  alt,  aurgeuommeii  dea  31.  Jannar  1879,  gibt  an,  vor 
1  Tagen  Eum  ersten  Male  von  einem  H  am  optoSas  falle  befallen  worden  zu 
^Q.  Der  BlalverluBt  soll  nicht  bedeutend  gewesen  sein.  Sogldch  nach 
seioer  Aufnahme  wnrde  folgende  Cnrre  anfgeaommen  (rechte  Radialis,  gtkrkste 
Federspannnng  ^7): 


Vit  Cnrre  Irigt  die  Ctiarsktere  sehr  geringer  Spansnng,  die  Blicke 


Sderotinaiiire.  430 

ist  ia  Pnia  stark  Terlingumt,  die  Länge  der  W«lle  betrag  im  extremateo 
FiUe  3,2  Cm.,  die  Pnluahl  sank  auf  42  in  der  Umate. 

Am  8.  Februar  batte  Patient  einen  ScbflttelfroBt,  der  ein  Portechreiten 
des  LnDgeDproc«B8es  einleitete,  mit  darauf  Tolgendem  hohen  Fieber  (bia  zn 
40,8  in  der  Achselhöhle).  Die  während  der  Fieberbewegnng  an  zwei  anf- 
dnander  folgenden  Tagen  gezeichneten  Cnrven  4  and  5  cdgen  wieder  die 
Charaktere  der  abnehmenden  Spannung,  Carve  4  den  mittleren,  Cnrve  5 
den  geringsten  Spaannngagrad ;  dabei  wieder  Pnlabeechlennignng. 


Am  II.  Februar  halte  sich  das  Fieber  wieder  verloren  nnd  nun  stellte 
sich  nach  dem  Absinken  der  Temperatur  wieder  der  vorher  vorhanden  ge- 
vesene  hohe  Spannungsgrad  ein,  wie  Cnrve  6  zeigt,  in  derselben  Weise 
wie  fraber,  nar  war  der  Puls  HereitB  weniger  Tetiangsant 


Erat  am  21.  Februar,  bia  zu  welchem  Tage  die  Fortdauer  der  Span> 
uongscnrve  beobachtet  wurde,  begannen  sich  wieder  allmfthlich  die  nonna- 
Im  Verhältnisse  heranstellen,  so  dass  also  die  hohe  Spannung  des  Pulses, 
ohne  dass  nochmals  Scierotin säure  gegeben  worden  wäre,  mit  2  tägiger 
OnUrhrechODg  durch  Fieber  19  Tage  gedauert  hatte.   Curve  7  (22.  Febr.j 


leigl  die  allmähliche  Abnahme  der  Spannung,   Cnrve  8  (25.  Febr.)  die 
Wiedotehr  der  normalen  Verhältnisse. 


ooacDtung,  aa  aer  Kranke  das  spitai  Teriie«. 

Eine  weniger  frappante  Verändening  des  Pulses  zeigte  der  whon 
erwähnte  Fall  von  Fibromyom  des  Uterus,  weDiger  frappant  detbalb, 


SelaotinUnTe.  481 

weil  Hbon  von  Anhug  An  eine  nicht  geringe  Spannnng  des  Pulses 
vorbanden  war.  Die  Solerotinstare  wurde  in  diesem  Falle  von 
Anfang  an  innerlieh  in  Dosen  von  0,2  zweimal  tfiglich  gegeben. 
Corre  13  ist  die  Noimaloarre  der  rechten  Radialis  bei  mittlerer 
Pederqwnnnng  (4  Halbamdrehnngen  der  Sobnube);  die  folgenden 
Corven  sind  ebenfalls  mit  derselben  Belastang  gexeicbnet 


Die  Pnlsver&nderaDg  trat  hier  schon  am  2.  Tage  nach  der  Dar- 
reicbnng  ein  nnd  dauerte,  obwohl  das  Mittel  schon  nach  7  Tagen 
ausgesetzt  wurde,  so  lange  an,  dass  die  hohe  Spannung  noch  beim 
Austritt  der  Kranken  —  3t  Tage  nach  Beginn  der  Sclerotinbehand- 
iQDg  —  za  erkennen  war  nnd  eine  Relaxation  der  Arterie  leider 
nicht  mehr  zur  Beobachtung  kam.    Wir  sehen  auch  hier  die  böchaten 


Die  Rtickkehr  zur  Xorm    kam  auch  hier  wegen  Anstrittes  des 
Kranken  nicht  znr  Beobachtung. 


Sclerotins&ttre.  433 

In  ebenso  schöner  Weise  zeigte  sich  die  Spannungszunahme  des 
Pulses  bei  einem  vierten  Kranken,  jedoch  kann  von  der  Mittheilung 
der  betreffenden  Curven  abgesehen  werden,  weil  dieselben  mit  den 
obigen  ganz  flbereinstimmende  Formen  zeigen. 

An  die  mitgetheilten  4  positiven  Fälle  reihen  sich  nun  auch 
ebenso  viele  negative,  in  welchen  trotz  fortgesetzter  Beobachtung 
auch  nach  langem  sowohl  subcutanem  als  innerlichem  Gebrauche 
keine  Spur  einer  Veränderung  des  Pulses  auftrat.  Es  sind  dies  durch- 
gebends  Fälle  von  sehr  weichem,  stark  dikrotem  Pulse  bei  hochgradig 
anämischen  Individuen  (3  Pbthisiker  in  sehr  vorgeschrittenem  Sta- 
dium) von  welchen  2  kurz  vor  ihrem  Eintritte  äusserst  abundante 
Lungenblutungen  überstanden  hatten,  und  ein  ebenfalls  etwas  anämi- 
scher an  Pollutionen  leidender  Hypochonder. 

Ist  nun  auch  nicht  in  allen  Fällen  die  Veränderung  des  Pulses 
eingetreten,  welche  wir  nach  der  von  uns  als  richtig  vorausgesetzten 
Theorie  Wem  ich 's  erwarten  durften,  so  dürfte  es  doch  nicht  un- 
gerechtfertigt erscheinen,  die  Spannungszunahme  des  Pulses  als  einen 
wirklichen  Ausdruck  der  Sclerotin-Wirkung  zu  erklären.  Die  ange- 
führten positiven  Fälle  in  das  Gebiet  des  Zufalls  verweisen  zu  wollen, 
ist  unmöglich,  einerseits  weil  Pulsformen  wie  die  mitgetheilten  nicht 
leicht  spontan  auftreten,  andererseits  weil  die  Fälle,  in  welchen  die 
Spannungszunahme  nicht  auftrat,  durchaus  keine  normalen  Verhält- 
nisse darboten.  Es  scheint  also  berechtigt,  die  gesteigerte  Span- 
nung des  Pulses  als  wesentliches  Attribut  der  Mutterkomwirkung  und 
als  weitere  Stütze  für  die  We  mich 'sehe  Theorie  aufzufassen. 

Sehr  auffallend  ist  das  späte  Auftreten  der  Pulsveränderung  nach 
Tagen,  ja  erst  nach  einer  Woche  bei  einem  Mittel,  von  dem  man  bis 
jetzt  momentane  Wirkung  erwartete;  besonders  glauben  Geburtshelfer 
in  der  Austreibungsperiode  momentane  Verstärkung  der  Wehenthätig- 
keit,  noch  dazu  auf  sehr  kleine  Dosen  zu  beobachten.  Solche  augen- 
blickliche Erfolge  scheinen  nach  unseren  mitgetheilten  Versuchen 
höchst  zweifelhaft,  da  nur  in  einem  einzigen  Falle  schon  7  Minuten 
nach  der  Injection  eine  Spannungszunahme  zu  beobachten  war,  die 
aber  nach  5  Minuten  schon  wieder  verschwand.  Nach  unseren  Erfah* 
rungen  können  wir  nur  dann  eine  prompte  und  rasche  Wirkung  erwar- 
ten, wenn  man  grosse  Dosen  in  kurzen  Zwischenräumen  aufeinander 
häuft;  auf  momentanes  Eintreten  des  Erfolgs  müssen  wir  jedoch  ver- 
zichten. Gerade  dieses  späte  Auftreten  der  Wirkung  ist  vielleicht 
der  Grund,  warum  frühere  Experimentatoren  den  Resultaten  von 
Holmes,  Wernich  und  Andern  entgegengesetzte  erhalten  haben, 
indem  sie  ihre  Versuche  nicht  lange  genug  fortsetzten. 

DentacliM  Arehir  f.  klin.  Mediein.  XXIV.  Bd.  2S 


/ 
434  XXIV.  Stumpf,  Sderotinsäure. 

Sehr  auffallend  ist  endlich  die  lange  Dauer  der  vermehrten  6e- 
f&88spannung,  auch  wenn  die  SclerotinBäure-Darreichung  ausgeeetzt 
worden  war.  So  war  in  dem  zweiten  der  mitgetheilten  Fälle  nach 
31  Tagen  ein  Schwinden  der  vermehrten  Spannung  noch  nicht  zu 
conBtatiren.  Wenn  die  Spannungsvennehrung  wirklich  der  kliniseh 
zu  beobachtende  Ausdruck  der  Sderotinsäure-Wirkung  ist,  so  ist  das 
Eintreten  und  Andauern  der  vermehrten  Qefftssspannung  von  hohem 
prognostischen  Werthe,  und  in  der  That  war  gerade  in  den  Fällen, 
wo  eine  lange  Dauer  der  Spannung  zur  Beobachtung  kam,  auch  der 
therapeutische  E£fect  ein  vollständiger. 


XXV, 

lieber  einen  Fall  von  Stenosirung  der  Palroonalarterie  in  Folge 
von  acuter  Endocarditis  der  Semilunarklappen.^) 

Aus  der  med.  Klinik  zu  Freiburg  i.  B. 

Von 

Dr.  MoritB  Mayer 

ans  Dannstadt. 

Während  des  Fötallebens  entstandene  Affectionen  der  rechten 
Herzhälfte,  insbesondere  der  Arteria  pulmonalis,  an  dem  Elap- 
penapparat  derselben  sowohl,  als  auch  an  dem  Tor  den  Klappen 
gelegenen  Conus,  sind  nicht  selten  Gegenstand  der  Beobachtung  und 
Beschreibung  geworden.  Letztere  machen  sogar  bei  Weitem  die 
Mehrzahl  der  entzündlichen  Erkrankungen  des  rechten  Herzens  aus. 

So  häufig  nun  diese  pathologischen  Veränderungen  am  rechten 
Herzen  angeboren  vorkommen,  so  selten  beobachtet  man  tiefer 
greifende  Erkrankungen  der  Art,  welche  unzweifelhaft  erst  während 
des  Extrauterinlebens  entstanden  sind.  Bei  der  bis  jetzt  äusserst 
spärlichen  Casuistik  derartiger  Fälle  dürfte  daher  jede  neue  Beob- 
achtung mittbeilenswerth  erscheinen. 

Der  im  Folgenden  beschriebene  Fall  von  erworbener  Pul- 
monalstenose  in  Folge  von  acuter  Endocarditis  an  den 
Palmonalklappen,  dessen  Geschichte  auch  nach  anderen  Rieh- 
tangen  hin  manches  Interessante  bietet,  wurde  auf  der  medicinischen 
Klinik  des  Herrn  Prof.  Bau  ml  er  während  einer  Reihe  von  Monaten 
bis  zum  Exitus  letalis  genau  beobachtet. 

Anamnese:  Katharina  Barbara  Danzeisen  aas  Bähungen  in  Baden 
ist  16  Jahre  alt.  Der  Vater  derselben  starb  durch  einen  Unglücksfall; 
die  Matter  lebt  nnd  ist  gesund.  Eine  vierjährige  Schwester  der  Patientin 
starb  angeblich  an  Auszehrung ;  die  sechs  noch  lebenden  Geschwister  sind 
alle  gesund. 

Patientin  selbst  war  ein  schwächliches  Kind,  blieb  übrigens  von  jeder 
acuten  Affection  frei  und  war  bis  zu  ihrem  13.  Lebensjahre,  mit  Ansnahme 
bisweilen  auftretender  Anfälle  von  Kopfschmerzen,  ganz  gesund. 

Im  Frühjahr  1877  bemerkte  Patientin   besonders   bei   bastigen  Bewe- 

1)  Freiborger  Dissertation. 

28* 


436  XXV.  Mayer 

gUDgen  heftiges  Herzklopfen,  dabei  hatte  sie  reissende  Schmerzen  in  Armen 
und  Beinen. 

Nach  Angabe  ihres  Dienstherrn  begann  sie  schon  um  Weihnachten 
1876  über  Müdigkeit  und  Herzklopfen  zu  klagen.  Eine  cyanotische  Fär- 
bung sei  jedoch  nie  an  ihr  bemerkbar  gewesen.  Gegen  diesen  Zastaod, 
mit  dem  eine  der  Patientin  fühlbare  Abnahme  ihres  Kräftezustandes  ein- 
herging,  suchte  sie  ohne  Erfolg  ärztliche  Hülfe;  arbeitete  jedoch  weiter, 
bis  sie,  3  Wochen  vor  ihrem  Eintritt  in  das  Krankenhans,  durch  Steige- 
rung ihrer  Beschwerden,  sowie  durch  die  fortwährende  Abnahme  ihrer  Kräfte 
genöthigt  wurde,  aus  dem  Dienste  auszutreten  und  in  das  elterliche  Haas 
zurückzukehren. 

Hier  lag  sie  fast  beständig  zu  Bette,  fror  öfters,  schwitzte  dann  wie- 
der u.  s.  f.  Da  trotz  ärztlicher  Behandlung  eine  Besserung  ihres  Znstandes 
nicht  eintrat,  bewirkten  die  Eltern  der  Patientin  am  4.  August  1877  ihre 
Aufnahme  in  das  Hospital. 

Status  praesens  vom  6.  August  1877.  Patientin  ist  von  mittlerer 
Grösse,  sehr  anämisch,  stark  abgemagert,  von  kindlichem  Habitus.  Ihr 
Thorax  ist  schmal  und  LO  etwas  abgeflacht;  rechts  die  Rippenknorpel 
von  der  4 — 6.  Rippe  stark  vorspringend.  Die  Athmungsbewegungen  siod 
links  etwas  weniger  ausgiebig,  als  rechts.  Herzstoss  diffus,  die  ganze 
Mammargegend  vorwölbend,  nach  aussen  im  4.  Intercostalraum  bis  3  Finger 
breit  jenseits  der  Brustwarze  zu  fühlen. 

Percnssionsschall  L  oberhalb  der  Clavicula  ein  wenig  höhen 
unterhalb  auf  der  I.Rippe  deutlich  gedämpft;  auch  auf  der  2.  Rippe  noch 
deutlicher  Unterschied  zu  Ungunsten  der  linken  Seite  und  ebenso  gegen 
die  Axilla  hin,  wo  der  Schall  einen  leicht  tympanitischen  Beiklang  hat 
Auch  RO  der  Schall  nicht  sehr  voll. 

Absolute  Herzdämpfung  am  3.  Rippenknorpel,  nach  linicB  an 
der  4.  Rippe  bis  3  Finger  breit  nach  aussen  von  der  Papille  rächend, 
nach  rechts  vom  linken  Stemalrand  begrenzt.  Die  relative  Herzdämpfnng 
geht  bis  zum  rechten  Stemalrande. 

Absolute  Leberdämpfung  beginnt  in  der  ParaSternallinie  an  der  6.  Rippe. 

In  der  linken  Azillarlinie  in  der  Rückenlage  Dämpfung  von  der  7. 
Rippe  abwärts,  rechts  etwas  tiefer.  Der  untere  Leberrand  fiberschreitet 
den  Rippenbogen  nicht.  — 

Die  Auscültation  ergibt  rechts  rauhe  vesiculäre  Inspiration  in  den 
oberen  Partien,  das  Exspirium  oberhalb  der  Clavicula  stark  verlängert, 
weich.  — 

Links  oberhalb  der  Clavicula  ist  das  Inspirationsgeräusch  weich,  das 
Exspirium  weniger  verlängert,  als  rechts;  unterhalb  der  Clavicula  bis  znr 
2.  Rippe  das  Athmungsgeräusch  rauher  als  rechts;  bei  der  Inspiration  zu- 
weilen feinblasige  Rasselgeräusche  unter  der  äusseren  Hälfte  der  Clavicola 
zu  hören. 

Die  Auscültation  des  Herzens  ergibt:  In  der  Gegend  der  Spitse 
ein  sehr  weiches,  systolisches  Geräusch,  mit  einem  Ton  begin- 
nend und  endigend.  Die  beiden  Herztöne  sind  deutlich  von  dem  Geräusch 
getrennt  zu  hören,  wenn  das  Ohr  von  der  Platte  des  Stethoskops  etwas 
entfernt  gehalten  wird. 


Stenosimng  der  Pulmonalarterie.  437 

Das  systolische  Qerftusch  nimmt  nach  oben  an  Intensität  ^ zu  und 
ist  am  lautesten  und  von  singendem  Charakter  im  2.  Intercostal- 
raum  links,  wo  es  mit  der  systolischen  Erweiterung  der  Pulmonalis 
auch  tastbar  ist. 

Dieses  Schwirren  ist  im  2.  Intercostalraum  bis  jenseits 
der  Mammillarlinie  zu  ftlhlen,  schwächer  im  t.  und  noch  schwächer 
im  3.  Intercostalraum,  wo  man  deutlich  den  Schlnss  der  Pulmo- 
nal klappen  fühlt.  Das  Geräusch  ist  auf  Entfernung  von  Stethoskop- 
länge  auch  mit  unbewaffnetem  Ohre  zu  hören. 

Während  es  nun  mit  aufgesetztem  Stethoskop  links  bis  in  die  Äxilla^- 
gegend  und  auch  im  Supraclavicularraum  zu  hören  ist,  hört  man  es  nach 
rechts  hin  schwächer,  doch  ist  es  auch  in  der  rechten  Axilla  noch  ver- 
nehmbar. 

Der  2.  Aortenton  ist  deutlicher,  als  der  2.  Pulmonalton. 

Hinten  bietet  die  Inspection  keinerlei  Asymmetrie. 

Der  Percussionsschall  ist  über  der  rechten  Spina  scapulae  etwas 
höher  und  dumpfer;  UL  absolute  Dämpfung  in  der  Scapularlinie  am  oberen 
Rande  der  11.  Rippe,  rechts  desgleichen.  Schwache  Dämpfung  beiderseits 
etwas  höher  hinauf  reichend. 

Die  Auscultation  ergibt  hinten  beiderseits  rauhes  Athmungsge- 
räuscb,  links  etwas  schwächer.   Exspirium  nicht  besonders  stark  verlängert. 

Stimm  fr  emitus  unten  etwas  abgeschwächt,  reicht  rechts  weiter 
nach  abwärts,  als  links. 

Das  systolische  Herzgeräusch  istLHO  gleichfalls  ausserordent- 
lich stark  hörbar,  auch  rechts  bis  zum  Angulns  scapulae  hinab,  links  bis 
zor  Dämpfungsgrenze;  links  ist  neben  dem  Geräusch  auch  der  2.  Ton 
zu  hören. 

In  der  rechten  Seitenlage  wird  links  ein  Dämpfungsbezirk  constatirt, 
der  in  der  Mammillarlinie  an  der  6.  Rippe  beginnt  und  von  da  horizontal 
nach  hinten  gegen  die  Wirbelsäule  läuft,  nach  unten  nahezu  den  Rippen- 
bogen erreicht.  Im  linken  Hypochondrium  ist  bei  tiefer  Inspiration  zwar 
eine  vermehrte  Resistenz  zu  fühlen,  der  Rand  der  Milz  aber  nicht  deutlich 
abzutasten. 

Abdomen  etwas  aufgetrieben,  in  den  unteren  Theilen  ziemlich  deut- 
liche Fluctuation. 

Die  Haut  ist  mit  Miliaria  crystallina  bedeckt. 

Die  Fttsse  sind  um  die  Malleolen  herum  stark  ödematös;  ebenso  die 
unteren  Augenlider. 

Puls  voll,  aber  sehr  compressibel ,  bei  der  Inspiration  nicht  kleiner 
werdend. 

Die  Respirationsphasen  scheinen  auf  die  Stärke  des  Ge- 
räusches keinen  wesentlichen  Einfluss  zu  haben. 

Die  Ränder  der  linken  Lunge  sind  durch  Percussion  bei  der  Respira- 
tion nur  ausserordentlich  wenig  verschieblich  nachweisbar. 

Die  Phalangen  der  Finger  ziemlich  stark  kolbig  angeschwollen.  — 

Nach  mehrfacher  genauer  Untersachung,  welche  dieselben  Resul- 
tate ergab;  lautete  die  Diagnose:  Stenosis  rami  stntstri  arteriae  pul- 
monalis,  wabracbeinlich  durch  Compression  Seitens  einschnürender 


438  XXV.  Mater 

Bindegewebsstrftnge  im  Gefolge  einer  älteren  Affeetion  der  linken 
Lunge  (Abflachung  LO;  feinblasige,  wenn  auch  spärliche  Rasselge- 
räusche daselbst ;  Hochstand  des  Zwerchfells ;  geringe  Verschieblich- 
keit der  Lungengrenzen).  Die  kaum  nennenswerthe  Verbreitening 
der  Herzdämpfung  nach  rechts  und  der  YoUe  Puls  schienen  dafflr  zu 
sprechen,  dass  eine  bedeutende  Anstauung  des  Blutes  vor  dem  lin- 
ken Herzen  nicht  stattfand.  Auch  die  grosse  Seltenheit  acquirirter 
Pulmonalarterienaffectionen  musste  der  gemachten  Annahme  vor  an- 
cderweitigen  Erklärungsversuchen  die  erste  Stelle  überlassen. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Krankheit,  welcher  bis  zum  4.  September 
von  einem  ganz  regelmässigen  stark  remittirenden  Fieber  —  normale  oder 
nur  wenig  erhöhte,  zuweilen  auch  subnormale  Morgentemperatnren ,  hohe, 
nicht  selten  40^  C.  erreichende. Abendexacerbationen  —  begleitet  war,  wurde 
Patientin  mehr  und  mehr  anämisch.  Das  Oedem  des  Oesichts  wurde  stär- 
ker; die  Respirationen  wurden  auffallend  tief  und  langsam. 

An  den  Halsvenen  waren  am  15.  August  Pulsationen  sichtbar  gewor- 
den, welche  von  da  an  fortdauerten.  Die  Pulsfrequenz  schwankte  ent- 
sprechend der  Temperatur  zwischen  80  und  108.  Vom  4.  September  an 
bis  zum  Tode  war  das  Fieber  viel  geringer,  die  Abendtemperatur  erreichte 
39^  nicht  mehr,  hielt  sich  sogar  meist  unter  38®  bei  ziemlich  gleichblei- 
bender Pulsfrequenz. 

Eine  genauere  Untersuchung  am  11.  October  ergab  nur  unweseDtliche 
Veränderungen  im  Vergleich  zu  dem  am  6.  August  Aufgenommenen,  na- 
mentlich keine  Zeichen  einer  fortschreitenden  Lungenaf* 
fection: 

Die  Percussion  der  Lungen  ergibt  rechts  oberhalb  der  Glavicola  einen 
nicht  sehr  vollen  Schall,  links  deutliche  Dämpfung.  Im  inneren  Tfaeil  des 
2.  linken  Intercostalraumes  ist  ausgesprochene  Dämpfung,  die  nach  abwärts 
unmittelbar  in  die  Herzdämpfung  übergeht.  Letztere  reicht  nach  rechts 
bis  an  den  rechten  Sternalrand,  nach  links  im  5.  Intercostalranm 
bis  etwa  3  Gm.  jenseits  der  Mammillarlinie. 

Auch  gegen  die  Axillarlinie  hin  ist  links  der  Schall  dumpfer  und  viel 
höber,  als  rechts,  und  auch  LHO  ist  eine  leichte  Dämpftong  nachweisbar. 
An  der  7.  Rippe  beginnt  in  der  linken  Axillarlinie  starke  Dämpfung,  die 
nach  abwärts  sich  fortsetzt.  Die  Leberdämpfung  beginnt  am  unteren  Rand 
der  5.  Rippe.  — 

Die  Auscultation  der  Lungen  ergibt  Folgendes: 

Das  Inspirium  RO  verschärft,  das  Exspirium  oberhalb  der  Glavicola 
verlängert,  unterhalb  derselben  undeutlich.  —  Nirgends  Rasselgeräusche. 

Links  hat  das  Inspirium  ebenfalls  einen  scharf  ▼esicnlären  Gharakter, 
ist  aber  schwächer  als  rechts  und  das  Exspirium  nicht  so  deutlich.  Links 
ebenfalls  keine  Rasselgeräusche. 

Hinten  die  untere  Grenze  des  vollen  Schalles  rechts  an  der  10.  Rippe, 
links  an  der  11.  Rippe.  Athmungsgeräusch  allenthalben  rauh  vesicsür. 
Exspirium  nur  wenig  verlängert;  kein  Rasseln. 


Stenosirang  der  Palmonalarterie.  439 

D«8  Ergebniss  der  AaBcnltation  des  Herzens  ist  ganz  dasselbe  wie 
im  ersten  Status;  nur  ist  das  Geräusch,  sowie  das  fühlbare  Schwirren 
schwächer  als  damals,  doch  wird  auch  HLO  das  systolische  Schwirren 
noch  immer  sehr  deutUeh  gehört.  — 

Die  Milz  ist  vergrössert,  ihr  unterer  Rand  nun  deutlich  zu  ftthlen. 
Hie  und  da  hat  Patientin  Schmerzen  in  der  Milzgegend.  — 

Abdomen  etwas  voll;  aber  nicht  besonders  aufgetrieben.  Percussions- 
schall  über  dem  linken  Ligamentum  Pouparti  und  in  der  linken  Lumbai- 
gegend etwas  gedämpft,  rechts  dagegen  tjmpanitisch.  Finctuation  nicht 
deatüch  nachzuweisen. 

Urin  zeigt  bei  geringer  Verminderung  der  Menge  von  Bnde  August 
an  immer  Eiwe  issgeh  alt,  der  bis  zum  Exitus  zunimmt;  Farbe  röth- 
licb  bis  rothbraun.  Unter  dem  Mikroskop  erkennt  man  rothe  Blutkörper- 
chen in  grosser  Anzahl ;  viele  und  sehr  dicke  Epithelialcylinder.  Die  Epi- 
thelien  sind  zum  grossen  Theil  verfettet. 

Die  Schwäche  nahm  fortdauernd  zu  und  wurde  besonders  auch  durch 
Diarrhoe  noch  gesteigert.  Der  Stuhl  ganz  dünnflüssig,  mit  geringer  Bei- 
mengung von  Schleim,  ohne  Blut. 

Das  Oedem  verbreitete  sich  nun  auch  auf  das  Gesicht;  dabei  wurde 
die  Kranke  so  kraftlos,  dass  sie  2  Tage  vor  dem  Tode  kaum  mehr  auf 
Anrufen  reagirte. 

Am  17.  October  1877  Mittags  erfolgte  der  Tod,  nachdem  in  den 
letzten  Tagen  vorher  die  Puls-  und  Respirationsfrequenz,  erstere  zuletzt  bis 
anf  76,  letztere  bis  18  in  der  Minute  abgenommen  hatte.  Die  höchste 
Oberhaupt  beobachtete  Respirationsfrequenz  war  32  gewesen. 

Die  Therapie  war  natürlich  eine  rein  symptomatische  gewesen.  Beim 
Eintritt  der  Patientin  wurde  ihr  Tct.  digitalls  mit  Tct.  ferri  pomati  ana 
p.  aequ. ,  3  mal  täglich  10—15  Tropfen  gegeben,  die  späterhin,  da  ein 
Erfolg  nicht  ersichtlich  war,  ausgesetzt  wurden. 

Man  beschränkte  sich  dann  auf  die  Antipyrese  durch  Darreichung  ent- 
sprechender Dosen  von  Natron  salicylicum  und  Chinin,  ersteres  wurde  bei 
dem  remittirenden  Charakter  des  Fiebers  vor  der  Exacerbation  (in  den 
ersten  Stunden  des  Nachmittags)  gegeben. 

Die  zeitweilig  auftretenden  Schmerzen  wurden  theils  durch  Derivantien, 
tbeils  durch  Narcotica  in  geringer  Dosis  bekämpft. 

Dabei  wurde  selbstverständlich  auf  möglichst  kräftige  Ernährung  Be- 
dacht genommen.  — 

Obduetion  am  18.  Oct.  10  Uhr  Vormittags  (Hofrath  Maier). 

Körper  sehr  mager,  blass,  an  der  Haut  mehrfache  Abscbilferungen. 
Sopra*  und  Infradaviculargruben  eingesunken,  überhaupt  dw  ganze  Brust- 
korb abgeflacht. 

In  der  Unterleibshöhle  etwas  klare,  helle  Flüssigkeit;  die  Gedärme 
bloss,  aberall  glänzend.    Mesenterialdrttsen  unbedeutend  vergrössert. 

Der  untere  Milzrand  reicht  bis  an  die  Grenze  des  Hypochondriums; 
der  Leberrand  ist  etwa  2  Finger  breit  davon  entfernt. 

Die  Vena  cava  inferior  ist  wenig  gefttlit  und  ebenso  die  venöse  Ge- 
ftssfällung  im  Darm  sehr  gering. 

Die  Rippenkttorpei  sind  weiss,  weich  und  ziemlich  leicht  durchachncidbar. 


440  XXV.  Mayer 

Nach  EröfifnaDg  des  Brustkorbes  retrahiren  sich  die  Lungen  sehr  wenig. 
Der  Herzbeutel  liegt  zum  Tbeil  bloss. 

Reste  der  Thymus  sind  vorhanden. 

Die  vorderen  Lungengrenzen  sind  scharf,  glatt,  nirgends  dnrcL 
Verwachsungen  mit  der  Pleura  verbunden. 

In  beiden  Pleurahöhlen  etwa  2  Esslöffei  voll  heller  Flflssigkeit. 

Im  Herzbeutel  finden  sich  etwa  1 — 2  Esslöffel  voll  heller,  seröser 
Flüssigkeit. 

Die  linke  Lunge  hat  oben  einige  kleine  Verwachsungen,  die  rechte  keine. 

An  der  rechten  Lunge  ist  die  hintere  Partie  mit  dem  Zwerchfell,  aber 
leicht  löslich  verwachsen. 

Das  Zellgewebe  an  der  Aorta  ist,  namentlich  am  unteren  Theile  der 
Pars  thoracica  stark  ekchymosirt. 

BronchialdrUsen  sämmtlich  etwas  vergrössert  und  pigmeutirt;  Durch- 
schnitt derselben  derb.  — 

Der  Breitendurchmesser  des  ungeöffneten,  zusammengelegten  Geflss- 
rohres  der  Arteria  pulmonalis  beträgt  3,3  Cm.  Der  linke  Ast  1,9  Cm. 
Der  rechte  Ast  1,8  Cm. 

Die  Aorta,  in  derselben  Weise  gemessen,  an  der  Wurzel  unterhalb 
des  Abgangs  der  Anonyma  2,8  Cm.,  nach  dem  Abgang  der  grossen  6e- 
fässe  2,1  Cm.  Pars  thoracica  der  Aorta  enge,  das  comprimirte  Geftss- 
rohr  zeigt  am  Ende  der  Pars  thoracica  eine  Breite  von  1,5  Cm. 

Das  Herz  ist  gross.  Der  linke  Ventrikel  ziemlich  conisch.  Der 
rechte  Conus  arteriosus  prall,  rigid.  Das  Epicardinm  mehrfach  umschrie- 
ben verdickt. 

Die  Breite  des  Herzens  an  der  Basis  beträgt  11  Cm.,  auf  den  rechten 
Abschnitt  fallen  davon  9  Cm.  Der  Conus  am  Uebergang  in  den  Bulbns 
der  Art.  pulm.  misst  4  Cm.,  die  Höhe  des  Herzens  von  der  Spitze  bis 
zum  Anfang  der  Aorta  10  Cm. 

Das  Ostium  venosum  sinistrnm  jässt  2  Finger  durchschieben.  Die 
Mitralis  ist  etwas  verdickt. 

Im  linken  Herzen  unbedeutende  dunkle  Gerinnsel.  Die  Höhle  ist  weit; 
die  Dicke  der  Ventrikelwand  beträgt  1,1  Cm.  Das  Fleisch  ziemlich  blas?, 
aber  derb. 

Auch  im  rechten  Vorhof  ist  nur  wenig  dunkles  Gerinnsel ;  das  Ostiam 
venosum  deztrum  lässt  2  Fingerspitzen  durch.  Im  rechten  Ventrikel  ebeu- 
falls  einige  dunkle  Gerinnselfetzen. 

Die  Dicke  der  rechten  Ventrikelwand  beträgt  1,2  Cm. 

Das  Ostium  arteriös,  dextrum  zeigt  sich  vollständig 
verstopft  durch  massige,  weiche  Gerinnsel,  Vegetationen 
und  Ezcrescenzen,  die  einerseits  tief  unter  die  Basalpartien  der  Klap- 
pen reichen,  andrerseits  weit  den  oberen  Rand  der  Taschen  tlberragen  und 
so  an  einer  Stelle  eine  Längsausdehnung  von  6  Cm.  zeigen. 

Das  Septnm  vcntr.  oben  im  Conus  der  Art.  pulm.  durchbrochen;  der 
Defect  hat  die  Grösse  eines  20  Pfennigstückes. 

An  der  Tricnspidalis  zwei  kleine  Vegetationen. 

Rechter  Vorhof  klein  mit  dOnnen  Wandungen;  auch  daa  rechte  Herz- 
ohr ist  von  sehr  geringem  Umfange. 

Foramen  ovale  ist  vollständig  geschlossen.  — 


Stenosirung  der  Polmonalarterie.  441 

Die  rechte  LnDge  ist  an  der  Spitze  und  an  den  Rändern  blass, 
gedunsen;  in  der  Mitte  bläulich,  mit  einzelnen  aufgedunsenen  Inseln.  Im 
mittleren  Lappen  vorn  findet  sich  eine  erbsengrosse  fibroide  Stelle.  Die 
linke  Lunge  zeigt  äusserlich  ähnliche  Veränderungen  im  unteren  Lappen. 
Seitlich  und  hinten  ist  die  Pleura  geröthet,  ekchymosirt,  getrflbt  und  ver- 
dickt. Auf  Durchschnitten  finden  sich  mehrere  kirsch-  bis  mandelgrosse 
Herde,  theils  schwielig  pigmentirt,  hart,  fibrös;  theils  grauschwarz,  scharf 
umschrieben,  feucht;  aber  schon  ziemlich  derb,  vollkommen  luftleer.  An 
der  Peripherie  derselben  treten  in  einzelnen  Pulmonalästen  Thromben  auf. 

Leber  gross,  ihre  Oberfläche  glatt,  die  Ränder  scharf.  Schnittfläche 
gleichmässig  braunroth,  glatt  und  glänzend.  Die  Gallengänge  etwas  er- 
weitert. Gallenblase  voll  und  mit  zäher  Galle  geftlllt.  Blutgehalt  massig. 
Milz  17  Cm.  lang,  8,5  breit  und  5,5  dick.  Das  Gewebe  zeigt  auf  braun- 
rothem  Grunde  reichliche  Bindegewebsentwicklung  in  Form  kleiner  Sterne. 
Follikel  treten  nicht  zu  Tage;  das  Gewebe  ist  sehr  derb.  Linke  Niere 
gross.  Oberfläche  von  zahlreichen  rothen,  sternförmigen  Figuren  besetzt. 
Das  Parencfaym  derb.  Durchschnitte  ergeben  stark  grauröthiiche  Färbung 
der  Rinde.  Glomeruli  treten  in  Form  feinster  Granulirung  über  die  Schnitt- 
fläche hervor.  Pyramiden  gleichmässig  braunroth.  Keine  Amyloid-Reac- 
tioo.  —  Rechte  Niere  lässt  ebenfalls  die  Kapsel  schwer  abziehen,  zahl- 
reiche Verbindnngsfäden  werden  dabei  zei:rissen.  Oberfläche  ist  ebenfalls 
roth  punktirt.  Die  Schnittfläche  lässt  eine  Verbreiterung  der  Rinde  er- 
kennen. Färbung  grauroth.  Beide  Nebennieren  sind  sehr  derb.  Rinde 
und  Mark  wenig  unterschieden,  gleichmässig  braunroth. 

Magen  zusammengezogen  und  klein.  Schleimhaut  blass,  etwas  schleim- 
belegt; während  das  Duodenum  stark  gallig  gefärbt  sich  zeigt.  An  der 
Mflndung  des  Ductus  choledochus  eine  kleine  Papille,  aus  der  sich  jedoch 
keine  Galle  auspressen  lässt.  Die  Schleimhaut  des  Dünndarms  ist  blass 
Qnd  wenig  geschwellt,  grau.  Die  folliculären  Gebilde  treten  deutlich  her- 
vor durch  stärkere  Pigmentirung,  ohne  aber  geschwollen  zu  sein.  — 

Die  nachträglich  vorgenommene 

Genauere  Untersuchung  des  Herzens 

ergab  Folgendes  (Prof.  Bäum  1er): 

Rechter  Ventrikel  besonders  im  Gonusantheil  erweitert, 
seine  Wandungen  durchweg  sehr  verdickt,  am  rechten  Rande  dicker, 
als  die  des  linken  Ventrikels  am  linken  Rande  des  Herzens.  Tra- 
bekeln stark  vorspringend;  auch  die  Papillarmuskeln  voluminös. 

Im  Conus  arteriosus  trennt  eine  nach  oben  in  die  hintere  Wand 
der  Arteria  pulmonalis  auslaufende  MuskelbrQcke  (b)  <),  welche  beim 
Aufschneiden  der  A^t.  pulm.  etwas  mitgetroffen  wurde,  die  durch 
eine  grosse  Oeffnung  im  Septum  (a)  vom  rechten  Ventrikel 
aus  zugängige  Aorta  (e)  von  der  Pulmonalarterie. 

Diese  Muskelbrticke,  welche  gegen  den  rechten  Ventrikel  hin 

1)  Siehe  die  Abbildung. 


442  XXV.  Mater 

leiatenartig  vorspringt  und  nichta  Anderes  ist,  als  der  vorderste  obere 
Theil  des  Septum  ventriculorum  in  seinem  Uebergang  zur  vorderen 
Ventrikelwand,  ist  mit  schwielig  verdicktem  Endocard  aberzogen  und 
eine  Fortsetzung  diesei'  Endocardschwiele  erstreckt  eich  bei  e  eine 
Strecke  weit  auf  das  Septum  und  die  vordere  Wand  des  Ventrikel!- 
Die  kleine  spitze  Prominenz  (bei  c)  ist  das  Rudiment  eines  abgeris- 
senen Sebnenfadens  der  Tricuspidalis,  dessen  anderes  Ende  in  der 
kleinen  baboenkammförmigen  Wucherung  (J")  untergegangen  ist. 


Auch  an  den  zunächst  angrenzenden,  von  der  vorderen  Ven- 
trikelwand am  Septum  ausgebenden  Trabekeln  findet  aieh  sebwielip 
Verdichtung  des  EndocardUberzuges. 

Oberhalb  der  genannten  MuskelbrUcke  finden  sieh  im  Conui 
der  Arteria  pulmonalis  und  an  deren  Klappen  blaffleo- 
kohlartige,  feit  aufsitzende  Wucherangen,  die  tlieil« 
von  der  Wand  des  Conus,  tbeils  von  den  Klappen  ans- 
geben. 


Stenosirang  d^  Fulmonalarterie.  443 

Am  meisteil  verändert  ist  die  rechtsseitige  laterale  Klappe  (i), 
die  in  eine  etwa  3  Cm.  hohe,  gegen  den  Ventrikel  convexe,  gegen 
die  Arteria  pulmonalis  concave  wulstig-höckerige  Prominenz  mit  klei- 
nen, an  festen  Bindegewebsf&den  hängenden  Anhängseln  umgewan- 
delt ist.  Die  daran  stossende ,  ttber  jener  Moskelbrtteke  befindliche 
Klappe  ig)  ist  nur  an  der  Ventrikelfläche  mit  warzigen  und  zottigen 
Eicrescenzen  besetzt,  gegen  den  Sinus  hin  dagegen  vollständig  glatt. 

Stärkere  Veränderungen  zeigt  wiederum  die  vordere  Klappe  (A), 
die  an  ihrem  medialen  Theile  abgerissen  ist  und  an  der  Ventrikel- 
fläche eine  grosse  Excrescenz  trägt. 

Der  Baum  im  Conus  unterhalb  der  Klappen  ist  namentlich  in 
dem  nach  rechts  sehenden  Theile  (i)  etwas  aufgewühlt  und  eben- 
falls mit  warzigen  Excrescenzen  ausgekleidet 

Oberhalb  der  Klappen  der  Fulmonalarterie  finden  sich  in  der 
Wand  der  letzteren  über  dem  freien  Bande  der  hinteren  Klappe  ein- 
zelne minimale,  bis  hirsekomgrosse  Excrescenzen.  Beichlicher  und 
grösser  werden  dieselben  nach  rechts  hin,  wo  unmittelbar  Aber  der 
sehr  stark  veränderten  Klappe  neben  kleineren  sich  eine  erbsen- 
grosse  Excrescenz  findet,  die  sich  zurflckschlagen  lässt  und  unter 
welcher  die  Arterienwand  usürirt  und  verdickt  ist.  * 

Die  beiden  Aeste  der  Fulmonalarterie  sind  ziemlich  weit  (Maasse 
B.  oben). 

Der  Ductus  arteriosus  Botalli  ist  geschlossen.  Da- 
gegen zeigt,  wie  bereits  erwähnt,  dasSeptum  ventriculorum 
eine  fttr  den  Zeigefinger  bequem  durchgängige  Oeff- 
nung  (a)  nach  dem  linken  Ventrikel  hin;  bedeutend  weiter  ist  diese 
Oeffnung  in  der  Bichtung  gegen  das  Ostium  der  Aorta,  so  dass 
letztere  weit  mehr  aus  dem.  rechten,  als  aus  dem  linken 
Ventrikel  zu  entspringen  scheint,  und  die  Ventrikelfläche  der 
Semilunarklappen  deutlich  vom  rechten  Ventrikel  aus  sichtbar  wird 
id:  die  hintere  Semilunarklappe). 

Der  aufsteigende  Theil  der  Aorta  bis  zum  Abgang  der  Subclavia 
sinistra  ist  weit,  von  da  abwärts  nimmt  ihr  Umfang  sehr  bedeutend 
ab  (Maasse  s.  oben). 

Der  Band  der  Oeffnung  im  Septum  zeigt  im  rechten  Ven- 
trikel leicht  schwielige  Verdichtungen  seines  Ueberzuges;  aus  die- 
sem Bande  gehen  unmittelbar  die  Sehnenfäden  fttr  den  medialen 
Thdl  des  vorderen  und  hinteren  Segels  der  Triouspidalis  hervor. 

Im  linken  Ventrikel  ist  die  untere  Umrandung  derSeptum- 
öffnung  in  Form  einer  scharfen  in  der  Mitte  durch  Adhäsionen  fest- 
gehaltenen,  niedrigen  Falte  etwas  überhängend,  als  ob  nach  ge- 


444  XXY.  Mater 

schehener  Perforation  der  nur  aus  den  beiden  Endocardblflttem  be- 
stehende Rand  durch  den  Blutstrom  nach  dem  linken  Ventrikel 
hin  umgeschlagen  worden  wäre. 

Die  Aorta  entspringt  demnach  unmittelbar  unter  und  hinter  der 
Pulmonalarterie  mit  einer  sehr  weiten  Oeffnung ,  die  gegen  die  Tri* 
cuspidalklappe  hin  durch  eine  scharfe  Kante,  gegen  die  vordere 
Ventrikelwand  durch  eine  niedrige  Falte  sich  abgrenzt. 

Das  Ostium  aortae  ist  stark  dilatirt;  die  Semilunarklappen  sind 
vergrösserti  sonst  aber  normal  und  hatten  während  des  Lebens  offen- 
bar geschlossen,  lieber  der  Insertion  der  beiden  hinteren  Semilunar- 
klappen eine  linsengrosse,  gelbe  Verdickung  der  Intima,  im  Uebiigen 
ist  die  Innenwand  der  Aorta  ganz  glatt.  — 

Am  hinteren  Zipfel  der  Tricuspidalis  findet  sich  eine  knorpelige 
Verdickung  der  mittelsten  Partie;  am  vorderen  Zipfel  an  der  ent- 
sprechenden Stelle  eine  hahnenkammförmige  Excrescenz  (f). 

Das  Septum  ventriculorum  ist  gegen  den  rechten  Ventrikel  bin 
vorspringend.  Der  linke  Ventrikel  in  Folge  davon  weit.  Trabekeln 
am  Septum  gedehnt  und  verdünnt ;  Papillarmuskeln  aber  kräftig  ent- 
wickelt. 

Mitralklappe  in  ihrem  medialen  Segel  vergrössert. 

Linker  Vorhof  weiter  als  der  rechte. 

Die  Arteriae  bronchiales  an  ihrem  Ursprung  aus  der  Aorta 
nicht  dilatirt. 

Es  erhebt  sich  nun  zunächst  die  Frage,  ob  hier  die  durch  warzige 
Vegetationen  bedingte  Verengerung  der  Pulmonalarterie  als  das  Re- 
sultat einer  fötalen,  oder  einer  erst  in  den  letzten  Monaten  entstan- 
denen Endocarditis  aufzufassen  sei.  Diese  Frage  mnss  entschieden 
zu  Gunsten  der  letztgenannten  Annahme  beantwortet  werden.  Die 
Gründe  dafür  liegen  auf  der  Hand :  Aus  den  klinischen  Beobachton- 
gen  über  angeborene  Pulmonalstenosen  ergibt  sich,  dass  sieh  in 
allen  Fällen  dieser  Erkrankung  schon  in  den  ersten  Lebensjahren  min- 
destens Andeutungen  von  Symptomen  gestörter  Circulation  zeigten. 

Ferner  hat  die  congenitale  Verengerung  der  Lungenarterie  einen 
ganz  anderen  anatomischen  Charakter  und  ihren  Hauptsitz  im  Conus 
arteriosus,  der  durch  schwielige  Myooarditis  verengt  wird. 

Endlich  wird  die  beinahe  ausnahmslos  vorkommende  Persistenz 
des  Foramen  ovale  von  den  Autoren  als  Merkmal  der  intrauterinen 
Entstehung  des  Krankheitsprocesses  betrachtet.    In  unserem  Falle 

fehlte  dieselbe. 

Ohne  alle  Beschwerden,  insbesondere  ganz  frei  von  Erseheinnn- 


StenoBimog  der  Piümonalarterie.  445 

gen  gestörter  Circulation  (Herzklopfen ,  Dyspnoe ,  Cyanose  u.  s.  w.); 
Terbracbte  Patientin  in  guter  Gesundheit  14  Jahre  ihres  Lebens,  um 
dann  auf  einmal  mit  Hei*zklopfen ,  Dyspnoe,  kurz  der  ganzen  Sym- 
ptomenreihe einer  Herzaffection  zu  erkranken;  Erscheinungen,  die 
schon  in  den  folgenden  Wochen  in  rapider  Weise  in  das  Bild  eines 
exquisiten  Herzklappenfehlers  übergeführt  wurden. 

Den  Sitz  und  die  Art  der  Stenosirung  anlangend,  so  genfigt  ein 
Blick  auf  die  beigefflgte  Zeichnung  des  Präparates,  um  die  acquirirte 
Natur  des  Leidens  ausser  allen  Zweifel  zu  setzen.  Diese  polypösen, 
warzigen,  in  das  Lumen  des  Pnlmonalostiums  hineinragenden  Ex- 
crescenzen,  die  ihren  Hauptsitz  vorzüglich  an  den  Klappen  haben 
und  den  Conus  arteriosus  fast  ganz  unbetheiligt  gelassen  haben,  ent- 
sprechen vollkommen  den  Producten  einer  Endocarditis  acuta. 

Nun  findet  sich  allerdings  in  unserem  Falle  eine  Reihe  von  Ver- 
änderungen, welche  auch  bei  den  ins  Fötalleben  zurückreichenden 
Palmonalstenosen  sehr  exquisit  ausgesprochen  sind,  nämlich  vor  Allem 
ein  Offensein  des  Septum  ventriculorum  und  dann  schwie- 
lige Verdickung  *am  Conus  arteriosus.  Ersteres  wird  von  den  Autoren 
ebenfalls  als  differentialdiagnostisches  Kennzeichen  der  angebore« 
nen  Pulmonal  Verengerung  erwähnt.  Allein  die  genauere  Prüfung  des 
Sectionsbefandes  ergibt  sofort,  dass  in  unserem  Falle  dieses  Zeichen 
nicht  nur  nicht  für  die  angeborene  Natur  des  Leidens  angeführt  wer* 
den,  sondern  im  Gegentheil  als  weiteres  Moment  zur  Unterstützung 
der  Annahme  einer  postfötalen  Erkrankung  ins  Feld  geführt  werden 
kann,  indem  eine  genauere  Betrachtung  des  Befundes  zeigt,  dass 
diese  Oeffhung  offenbar  erst  später  entstanden  ist  und  dass  nach 
Durchlöcherung  des  Septums  der  freie  Rand  des  Loches  nach  dem 
linken  Ventrikel  hin  umgeschlagen  wurde.  Femer  findet  sich  der 
Defect  im  Septum  gerade  in  demjenigen  Theile  des  Septum  mem- 
branaceum,  welcher  durch  eine  bedeutende  Blutdrucksteigerung  ge- 
rade im  Conustheil  de^s  rechten  Ventrikels  allmählich  zur  Dehiscenz 
wird  gebracht  werden  müssen,  Es  ist  nämlich  nur  der  vorderste 
Theil  des  Septum  membranaceum  defect,  während  ja  bekanntlich 
dieses  Septhm  zum  grössten  Theil  im  rechten  Herzen  in  dem  dem 
Ostium  venosum  angehCrigen  Abschnitt,  ja  sogar  im  rechten  Vorhof 
an  der  Basis  des  medialen  Segels  der  Tricuspidalis ,  gelegen  ist. 

Die  schwieligen  Veränderungen  an  dem  Loche  im  Septum 
sind  wohl  einfach  als  Folge  fortwährenden  Andrängens  des  Blutes, 
welches  durch  die  Pulmonalarterie  nicht  mehr  frei  entweichen  konnte, 
aufzufassen.  Diesem  Andrängen  waren  auch  die  von  dem  Septum 
entspringenden  Sehnenfäden  des  vorderen  Tricuspidalsegels  ausge- 


446  XXV.  Mayer 

seist  und  einer  derselben  (e)  ist  auch  in  Folge  von  endotibrditiBcher 
Urweichung  abgerissen  und  seine  Insertionsstelle  an  der  Klappe  zeigt 
eine  warzige  Wacherung  (bei  /). 

Wäre  das  Septum  schon  während  des  Fötallebens  nie  yölUg  ge- 
schlossen worden,  so  würde  die  Palmonalarterie  anch  nicht  za  nor- 
maler Weite  sich  entvdckelt  habeni  was  doch  hier  voUkommmi  der 
Fall  ist.  Femer  würde  ein  schon  aus  dem  Fötalleben  stammendes 
Offenbleiben  des  Septnms  wohl  ein  Offenbleiben  des  Dactns  art. 
Botalli  nach  sich  gezogen  haben,  der  hier  in  yölllg  normaler  Weise 
geschlossen  ist.  Ich  möchte  daher  meine  Meinung  über  die  Ent- 
stehung des  Leidens  dahin  präcisiren: 

Eine  acute  Endocarditis  an  den  Klappen  der  Pulmonalis  mit 
warzigen  Wucherungen  führte  zu  einer  Verengerung  ihres  Ostion». 
Die  Verlegung  des  normalen  Abflusses  führte  zu  einer  Dilatation  des 
Lungenherzens  mit  consecutiver  Hypertrophie  seiner  Wände.  Allein 
selbst  die  bedeutende  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels  war  nieht 
im  Stande,  das  Hindemiss  in  der  Pulmonalarterie  zu  überwinden; 
vielmehr  führte  der  verstärkte  Seitendruck  des  angestauten  Blates 
allmählich  einen  Durchbruch  des  Septum  ventriculorum  herbei  und 
zwar  gerade  an  der  Stelle,  welche  selbst  am  ausgewachsenen  Herzen 
nur  aus  einer  Aneinanderlagerung  der  beiden  Endocardblätter  be- 
steht; der  Defect  betrifft  den  vordersten  Theil  des  Sept.  membra- 
naceum,  welcher  den  Locus  minoris  resistentiae  im  Gonustheildes 
rechten  Ventrikels  darstellte. 

Das  ganze  Krankheitsbild  in  unserem  Falle  hatte  in  mancher 
Beziehung  Aehnlichkeit  mit  dem  einer  Lungenphthise :  stark  remit- 
tirendes  Fieber,  Husten,  Anämie  und  Abmagerung,  percutorische  und 
auscultatorische  Erscheinungen,  die  so  gedeutet  werden  konnten. 
Wie  die  Section  ergab,  fehlten  phthisische  Veränderungen  an  den 
Lungen.  Das  Gewebe  derselben  war  etwas  hypertrophirt  und  die 
vereinzelten  derben  Knoten  dürften  wohl  als  aus  Embolie  herror- 
gegangene  fibrös  umgewandelte  hämorrhagische  Infarkte 
anzusehen  sein. 

Der  remittirende  Fieberverlauf  kommt  ganz  in  der  hier 
beobachteten  Weise  auch  der  ulcerösen  Endocarditis  am  linken 
Herzen  zu. 

Bei  der  ausserordentlichen  Seltenheit  der  Endocarditis  der 
Pulmonalarterienklappen  war  nicht  gewagt  worden,  diese 
Diagnose  während  des  Lebens  zu  stellen,  sondern  man  hatte  sich 
mit  der  Diagnose  einer  Stenose  der  Pulmonalarterie  begnügt  und  an- 
genommen, dass  nur  der  linke  Ast  derselben,  wahrscheinlich  darch 


Stenosirong  der  Fulmonalarterie.  447 

ohroniflch  entzflndliche  Vorgänge  an  der  linken  Lunge,  stenosirt  sei. 
Dafflr  schienen  die  leichte  Abflachung  und  Dämpfung  des  Percussions- 
Schalles  LVO,  die  daselbst  ab  und  zu  hörbaren  feinblasigen  Rassel- 
geräusche,  femer  die  sehr  geringe  percutorische  Verschieblichkeit  des 
linken  vorderen  Lungenrandes  bei  tiefer  Respiration  und  der  Hoch- 
stand der  linken  Zwerchfellshälfte  zu  sprechen. 

Wie  ich  schon  oben  erwähnt  habe,  ist  die  Casuistik  der  in  Rede 
stehenden  Fälle  eine  ganz  ungemein  spärliche,  und  die  einzige  Be- 
obachtung, die  ich  in  der  Literatur  verzeichnet  finde,  welche  der 
unsrigen  ganz  gleich  kommt,  ist  ein  von  WitleyO  veröffentlichter 
Fall,  der  in  Guy's  Hospital  in  London  beobachtet  wurde.  Ich  will 
denselben  der  Hauptsache  nach  mittheilen: 

Fall  1. 

36jährige  Frau,  beim  Eintritt  ins  Hospital  9  Wochen  krank,  vorher 
^te  Gesundheit,  nie  Rheumatismus.  Die  Erkrankung  begann  mit  Diarrhoe, 
darauf  Brustschmerzen  mit  Husten.  Abmagerung.  —  Anämie.  Lautes  fühl- 
bares systolisches  Geräusch  Im  2.  linken  Intercostalraum.  Die  normalen 
Herztöne  unter  der  Brustwarze  sehr  deutlich.  —  Kein  Venenpuls  am  Hals. 
Niemals  Oedeme.     Der  spärliche  Harn  stark  eiweisshaltig. 

Seetlon:  Vergrösserung  des  Herzens  durch  den  vermehrten  Umfang 
des  rechten  Ventrikels.  „Der  rechte  Ventrikel  und  die  Fulmonalarterie 
erschienen  aufgetrieben,  als  ob  sie  eine  feste  Gerinnung  enthielten,  die  sich 
dann  auch  nach  der  Eröffnung  fand.  Mächtige  Vegetationen  fanden  sich 
an  den  Pulmonalklappen  und  unterhalb  derselben  war  fast  der  ganze  Ven- 
trikel ausgefällt  mit  antemortalen  fibrinösen,  im  Zerfall  begriffenen  Gerinn- 
seln. Der  kleine  Raum,  der  im  Ventrikel  tlbrig  blieb,  war  mit  frischem 
weichem  Gerinnsel  gefüllt,  nach  dessen  Entfernung  der  grössere  Theil  der 
Höhle  sich  ausgekleidet  fand  mit  jenen  älteren  Gerinnungen  und  Vegeta- 
tionen. ** „An  der  ganzen  convezen  Oberfläche  jeder  Semilunarklappe 

hing  eine  grosse  Vegetation  oder  ein  warziger  Auswuchs  von  der  Grösse 
eines  Schussers.  Dieselben  waren  fest  angewachsen  und  müssen  beim  An- 
einanderliegen  das  Pnlmonalostium  nahezu  verschlossen  haben.  Die  Ful- 
monalarterie selbst  war  normal. 

Der  rechte  Ventrikel  erweitert,  seine  Wandungen  ebenso  wie  die  ver- 
schiedenen Trabekeln  hypertrophirt. 

Der  linke  Ventrikel  von  normalen  Dimensionen.  Die  convexen  Ober- 
flächen der  Aortenklappen  in  derselben  Weise  wie  die  der  Pulmonalis  mit 
Vegetationen  bedeckt,  doch  waren  dieselben  viel  kleiner,  jede  Masse  rund 
und  gesondert,  nur  von  der  mittleren  Partie  ausgehend. 

Unterhalb  der  mittleren  Semilunarklappe,  demmembra- 
nösen  Theil   des  Septum  ventriculorum    entsprechend,    be- 


1)  Gases  of  disease  of  tbe  pulmonary  artery  and  its  yaWea.    Guy 's  Hospital 
Reports.  III.  Ser.  Vol.  III.  p.  255.  1857. 


448  XXY.  Matek 

fand  sich  eine  runde  Oeffnung,  durch  welche  eine  gewöhn- 
liche Schreibfeder  durchgeschoben  werden  konnte. 

Dieselbe  führte  in  den  rechten  Ventrikel  nicht  unterhalb  des  angehef- 
teten 8egels  der  Tricuspidalis,  sondern  oberhalb  der  Anheftung  des  vorderen 
Segels.  Unmittelbar  unterhalb  der  Oeffnung  im  linken  Ventrikel  fand  sich 
eine  Querleiste  und  um  sie  herum  einige  harte  Vegetationen,  so  dass  eioe 
Art  trichterförmiger  Kanal  gebildet  wurde,  und  wenn  Blut  von  einer  Höhle 
in  die  andre  drang,  so  muss  es  von  links  nach  rechts  gewesen  sein.  Im 
rechten  Ventrikel  war  die  Oeffnung  von  Vegetationen  bedeckt  und  mttodete 
unterhalb  einer  ähnlichen  Masse  unter  den  Pulmonalklappen  ans.  Die 
Tricuspidalis  war  an  ihrer  Ventrikel-  wie  Vorhofsfläche  mit  Vegetationen 
bekleidet.  An  der  ersteren  waren  sie,  wie  oben  erwähnt,  gemischt  mit 
antemortalen  Gerinnseln.  An  der  Vorhofsfläche  waren  sie  klein,  enüug 
dem  freien  Rande  der  Klappe  hingestrent  und  fest  anhaftend.^ 

Im  Uebrigen  gehören  noch  folgende  beschriebene  Fälle  in  diese 
Kategorie  von  Erkrankungen  der  Pulmonalarterien-Klappen.  Zunächst 
noch  einige  von  Whitley  mitgetheilte  Beobachtungen: 

Fall  2.1) 

11  jähriges  Mädchen.  Schon  in  früher  Kindheit  Zeichen  von  Herz- 
affection.  Parese  der  unteren  Extremitäten.  Doppelgeräusch  an  der  Herz- 
basis.    Plötzlicher  Tod.  — 

Seetion:  Vergrösserung  des  rechten  Ventrikels,  der  den  linken  fast 
um  das  Doppelte  übertrifft.  Bedeutende  Verdickung  seiner  Wandungen. 
Die  Pulmonalklappen  bis  auf  spärliche  Reste  einer  Klappe  ganz  verschwan- 
den; die  Innenwand  der  Arterie  an  dieser  Stelle  excoriirt  und  em  derbes 
Gerinnsel  haftete  ihr  fest  an.  Unterhalb  der  Insertionsstelle  der  Klappen 
war  das  Endocardium  mit  Vegetationen  bedeckt;  an  einer  Stelle  ist  das 
Endocardium  ulcerirt  und  auch  die  Muscularis  infiltrirt.  Das  Gerinnsel  in 
der  Pulmonalarterie ,  deren  Innenfläche  rauh  war,  füllte  das  Gefäss  voll- 
kommen aus  und  erstreckte  sich  bis  in  die  Aeste  zweiter  Ordnung  m  den 
Lungen. 

Auch  die  Aortenklappen  mit  Vegetationen  bedeckt ;  die  übrigen  Klap- 
pen normal. 

Fall  3. 

19  jähriges  Mädchen,  4  Monate  vor  Eintritt  ins  Hospital  Dnrchnässung, 
bald  darauf  Oedeme  und  Albuminurie.    Herztöne  sollen  normal  gewesen  sein. 

Seetion:  Die  Pulmonalklappen  bis  auf  geringe  Reste  offenbar  durch 
frische  Endocarditis  zerstört.  Die  vereinigte  Ursprungsstelle  zweier  Klap- 
pentaschen bildete  eine  bohnengrosse,  etwas  blutig  gefärbte  und  warzige 
Vegetation.     Keine  Dilatation  des  rechten  Herzens. 

Fall  4. 

38  jähriges  Weib,  hatte  als  Packerin  in  einem  Magazin  schwere  Lasten 
Treppe  auf  und  ab  zu  tragen.  5  Wochen  bevor  sie  in  Behandlang  kam, 
erhielt   sie  von  ihrem  Manne  in  einem  Streite  mehrfache  Stösse  anf  die 

1)  1.  c.  p.  257. 


Stenorirung  der  Pulmonalarterie.  449 

BroBt  Von  da  an  Brastbesch werden.  Dr.  Lloyd,  der  sie  erst  knrs  vor 
ihrem  Tode  eah,  hörte  ein  beide  TOne  begleitendes  Oertnscb  an  der 
Henbasis. 

SeetloB:  Die  Pnlmonalarterie  durch  Vegetationen  so  veratopft,  dasa 
nar  eine  Sonde  hindnrchgeschoben  werden  konnte.  Von  awei  der  Senüln«- 
narUappen  entsprangen  je  zwei  wallnnasgrosse  AnswAohsOi  während  die 
dritte  Klappe  mit  kldneren  Vegetationen  bedeckt  war. 

Fall  5. 

45  jähriges  Weib,  starb  schon  einige  Minuten  nach  der  Aufnahme  ins 
Hospital.  Sie  war  in  der  Nähe  des  Hospitals  auf  der  Strasse  plötzlich 
hingestürzt 

Seetloii :  Bedeutende  Erweiterung  der  rechten  Herzhälfte  mit  beträcht- 
licher Hypertrophie.  Pulmonalarterie  ausserordentlich  erweitert,  die  Semi- 
Innarklappen  durch  Vegetationen  an  ihrem  freien  Rande  bedeutend  verdickt. 
Linke  Herzhälfte  und  Aorta  enge,  die  Ventrikelwand  verdickt. 

An  diese  Fälle  schliesst  sich  an  eine  Beobachtung  von  J.  Paget^): 

Fall  6. 

Fall  aus  clor  Abtheilung  des  Dr.  Stanley.  20  jähriges  öffentliches 
Mädchen ;  Anämie,  Hydrops  der  unteren  Extremitäten.  Häufige  Ohnmachts- 
annUie.  Keine  besondere  Dyspnoe.  Lautes  systolisches  Geräusch 
über  der  ganzen  Brust,  hauptsächlich  an  der  Herzbasis  und  gegen  die 
linke  Schulter,  auch  hinten  zu  hören. 

Seetlon:  Nur  zwei  Pulmonalklappen ,  dick  und  opak.  Deren  freier 
Rand  nnd  die  angrenzenden  Partieen  mit  weichen  voluminösen  Vegetationen 
von  gelb -bräunlicher  Farbe  bedeckt,  den  Klappen  fest  anhaftend  und  in 
ihrem  Innern  kleine  kreidige  Concremente  enthaltend.  Auch  hinter  den 
Klappen  kleine  warzige  Vegetationen.  Hinter  der  hinteren  Klappe  die 
Wand  der  Art.  pulmon.  usurirt;  eine  ähnliche  UIceration  an  der  Bifurcation 
der  Arterie.     Mitralis  und  Aortenklappen  normal. 

Sodann  ein  Fall  von  v.  Dusch  ^): 

Fall  7. 

Junger  Mann.  —  Rechter  Ventrikel  doppelt  so  starke  Musculatur  als 
der  linke.  Septum  unter  der  hinteren  halbmondförmigen 
Klappe  der  Aorta  mit  4 — 5'^'  im  Durchmesser  haltender  Oeff- 
nung  durchbohrt.   Ränder  der  letzteren  schwielig,  zum  Their verkalkt. 

Spuren  von  Endocarditis  an  der  Mitralis  und  den  Aortenklappen,  am 
bedeutendsten  jedoch  in  der  Umgebung  der  Oeffnung,  sowie 
im  Con.  art.  und  um  die  Klappen  der  Art  pulm.,  deren  Ostium  durch  be- 
deutende Fibrinauflagerung  verengt  war.  Foramen  ovale  geschlossen.  In 
der  Nähe  der  anomalen  Oeffnung  im  Septum  in  der  Wand  des  rechten 
Ventrikels  ein  sogenanntes  partielles  Herz-Aneurysma.  — 

1)  London  med.-chir.  Transact.  1844.    Git.  von  J.  M.  de  Buman,  De  la 
Pathol.  de  TArtöre  pulm.    Th^se  de  Paris.  1858.  p.  63. 

2)  Verhandl.  des  natorhist.  medic.  Vereins  zu  Heidelberg.  I.  S.  3.  1869. 

DratMhM  ArehlT  f.  klln.  Medldn.    XXIV.  Bd.  29 


450  XXY.  Mater 

£.  V.  WaliP)  ^^ählt  folgenden  Fall: 

Fall  8. 

33  jähriger  Patient,  will  immer  gesund  gewesen  sein  bis  vor  1  Monat. 
Von  der  Zeit  an  unregelmässig  wiederkehrende'  Ffeberannille.  —  Die  Aos- 
cultation  er^bt  aber  der  Wurzel  der  grossen  Gefässe  sägende  Oeräusehe 
bei  der  Systole  und  Diastole,  die  am  lautesten  Aber  der  Arteria  pulmoDalis 
gehört  werden. 

Die  Klappeutöne  an  der  Herzspitze  dumpf,  wie  aus  grösserer  Entfer- 
nung herfiberklingend.  Quälender  Husten,  Dyspnoe,  Herzklopfen ;  gestörter 
Appetit;  unregelmässiger  oft  flüssiger  Stuhlgang.  Der  Tod  erfolgte  naeh 
etwa  3  wöchentlicher  Beobachtung  unter  ähnlichen  Erscheinungen ,  wie  in 
unserem  Falle. 

Seetion:  Körper'blass,  kräftig  gebaut.  Die  unteren  Extremitäten  leicht 
ödematös.  Leib  aufgetrieben.  —  Rechte  Lunge  stark  hyperämisch ;  Plenra 
gesund.     Keine  Tuberkeln  in  der  Lunge. 

Rechter  Ventrikel  dilatirt,  hypertrophisch,  Wandungen  verdickt. 

Tricuspidalis  normal;  Endocard  intact.  Die  rechte  und  mittlere 
Semilunark läppe  durchfrischenentztlndlichenProcesB  der- 
artig verändert,  dass  von  der  rechten  nur  nochdie  äussere 
Hälfte  existirty  die  innere  aber  in  einer  dicken,  grau-röth- 
lichen  Wucherung  untergegangen  ist,  die  abgelöst  frei  flot- 
tirt.  Statt  der  mittleren  Klappe  findet  sich  ein  unregei- 
mässig  gewucherter  Wulst.  Foramen  ovale  geschlossen. , Das  linke 
Herz  mit  Klappen  normal;  am  Arcus  aortae  einige  kleine  atheromatöse 
Plaques.  — 

Leber  und  Milz  vergrössert.  — 

V.  Wahl  glaubt,  dass  in  diesem  Falle  die  Endocarditis  als  eineCom- 
plication  einer  parenchymatösen  Nierenentzündung  anzusehen  sei. 

Endlich  gehört  hierher  noch  folgender  Fall  von  Fr.  Chvostek'): 

Fall  9. 

Ein  Soldat  starb  6  Tage  nach  einem  Sturz  vom  Pferde  unter  Erschei- 
nungen einer  Meningitis.  Am  Herzen  während  der  Krankheit  nichts  Ab- 
normes zu  hören.  Bei  der  Seetion  fand  sich  ausser  Trübung  der  weichen 
Gehirnhäute,  einem  Psoasabscess,  eitrigem  Erguss  im  linken  Handgelenk 
und  Hypostasen  in  den  Lungen  eine  Ekidocarditis  zweier  Klappensegel  der 
Pulmonalib.  „Die  mittlere  und  rechte  Pnlmonalklappe  sind  an  ihrem  Be- 
rühmngswinkel  von  einer  festhaftenden,  kömigen,  theils  grauweissen,  theils 
grauröthlichen*  Gerinnung  in  einer  Dicke  von  höchstens  1  Mm.  bedeckt.  Im 
Uebrigen  sind  sowohl  diese  als  auch  die  übrigen  Kuppen  des  Herzens 
dünn  und  zart.** 

Dies  sind  alle  dem  unsrigen  ähnlichen  Fälle,  in  welchen  es  sieh 
also  um  Endocarditis  mit  Vegetationen  und  Ulceration  an 

1)  St.  Petersburger  med.  Zeitschrift.  1861.  S.  359. 

2)  Wiener  med.  Presse.  XVIU.  Nr.  40.  7.  Oct  1877. 


Stenosining  der  Pulmoiialarterie.  451 

den  Pulmonalklappea  handelt,  die  ich  in  der  Literatur  auf- 
finden konnte.  In  den  ttbrigen  F&llen  von  acquirirter  Erkrankung 
der  Pulmonalarterienklappen  handelte  es  sich  entweder  um  athero- 
matöse  Verdickung  und  Schrumpfung  der  Klappen,  welche 
neben  der  Stenosirung  Insufficienz  zur  Folge  hatte  (Fälle  von 
WbitleyOi  Benedikt^),  Dittrioh»)),  oder  in  weitaus  der  Mehr- 
zahl der  beobachteten  Fälle  um  Stenose  des  Pulmonalostiums  durch 
Verwachsung  der  Klappen  unter  einander  (Fälle  von  Cru- 
veilhier«),  Philouze»),  Bt)uillaud»),  Graigie?),  Fallot?), 
CoDst.  Paul»),  Bond»),  Tiedemannio),  Chelius^^,  Urban>2), 
Gintrac^'),  de  Buman  (1.  c),  Frerichs^^)«  Stanhope  Tem- 
pleman  Speer"),  Peacock*»},  Mannkopf i^,  van  Veen*»). 


1)  1.  c.  Pj  252. 

2)  Wiener  med.  Wochenschrift  1854.  S.548. 

3)  Prager  yierte^ahrschrift  Bd.  21.  S.  178. 

4)  Atlas  de  Tanat.  path.  Livr.  XXVm.  4. 

5)  Comptes  rendos  de  la  Soc.  anat.  1826.  p.  158.    Cit.  von  Gonst.  Paul, 
Union  m^c.  1871.  p.  917. 

6)  Trait^  des  malad,  du  coenr.  p.  721.    Cit.  von  Gonst  Paul  ].  c 

7)  Cit  von  Gonst  Paul  1.  c.  —  Edinburgh  med.  and  surg.  Journ.  1843. 

8)  Union  medicale.  1871.  p.  722. 

9)  N.  Ghevers,  Lond.  med.  6az.  1846.    Cit  von  de  Buman,  Th^se  de 
Paris.  1858.  p.  65.  Obs.  XXYII. 

10)  Von  der  Verengerung  und  Schliessung  der  Pulsadern  in  Krankheiten. 
Hadelbov  ^^^3. 

11)  Heidelberger  klin.  Annal.  Bd.  III.  8.  417.  1827. 

12)  Jahrb.  des  ftrztl.  Yer.  in  München  1841.    Git  von  Tiedemann  1.  c. 

13)  Memoire  sur  la  Gyanose.  1824.    Git  von  de  Buman,  1.  c.  p.  46. 

14)  Wiener  med.  Wochenschrift  1853.  ' 

15)  Med.  Times  and  Gas.  1855.  No.  278. 

16)  On  MaHbrmations  of  the  heart  1858.  Fall  YIII.  —  YergL  Kussmaul, 
Ueber  angeborene  Enge  und  Schluds  der  Lungenarterienbahn.  Zeitschrift  fftr  rat. 
Med.  IIL  Reiha  Bd.  26.  8. 146.  Anm. 

17)  Gharit^-Aniftlen.  1863.  XI.  8.  42. 

18)  Dissert.   Git  von  Rosenstein,  v.  Zlemssen's  Handbuch.  Bd.  YI.  8.144 


29* 


XXVI. 
Ejd  Fall  von  Paracentesis  Pericardii.') 

Aus  der  medicinischen  Klinik  zu  Freiburg  i.  B. 


Ton 


Dr.  C.  Hindenlang, 

I.  AMiitenunt  der  Klintk. 

Die  Entfernung  abnormer  Ergüsse  in  Bauch-  und  Brusthöhle 
wurde  schon  im  Alterthum  auf  operatiyem  Wege  bewerkstelligt.  Die 
dritte  grössere  seröse  Höhle,  der  Herzbeutel,  war  bis  vor  noch  nieht 
gar  langer  Zeit  Ton  operativen  Eingriffen  unberfihrt  geblieben.  Die 
günstigen  Erfolge,  die  man  bei  der  Thoracocentese  und  der  Function 
des  Abdomens  sah,  die  Erfahrungen,  dass  penetrirende  Wunden  sich 
oft,  ohne  naohtheilige  Folgen  zu  hinterlassen,  schliessen,  mussten  zu 
weiteren  Versuchen  ermuthigen  und  auch  das  Augenmerk  auf  das 
Pericard  lenken.  Es  war  ja  natttrlich,  dass  man  sich  bei  Pericar- 
ditis  exsudativa  die  Frage  vorlegte,  ob  es  nicht  wohl  ebenso  von 
Nutzen  wäre,  das  Pericard  zu  eröffnen,  in  der  Hoffnung  den  Patienten 
der  peinlichen  Lage,  dem  sicher  bevorstehenden  Tode  zu  entreissen, 
zumal  verschiedene  Beobachtungen  vorlagen,  nach  welchen  bei  voll- 
ständiger Freilegung  des  Herzbeutels  und  des  Herzens  (Galen  und 
Harvenius)  die  Patienten  mit  dem  Leben  davongekommen  waren. 

Die  erste  Andeutung  einer  derartigen  Operation  ging  von  Bioland) 
aus,  entsprungen  allerdings  der  verzweifelten  Alternative,  den  Kranken 
entweder  dem  unvermeidlichen  Tode  preiszugeben,  oder  einen  Bet- 
tungsversuch durch  die  Paracentese  des  Herzbeutels  zu  wagen :  ^  Dubia 
Salus  certa  desperatione  potior.*' 

Biolan  begnügte  sich  übrigens  mit  diesen  Beflezionen.  Einen 
aufmunternden  Vorschlag,  zugleich  mit  Angabe  eines  Operationsver- 
fahrens, gibt  erst  Senac  (1794)3),  ohne  aber  je  selbst  zur  Operation 
geschritten  zu  sein.    Angeregt  durch  die  Ideen  Senac's,  wurde  von 

1)  Freibarger  Diasertation. 

2)  Encheiridion  anatom.  patbol.  Lib.  III.  p.  213.  1653. 

3)  Traitä  de  la  stmctore  du  coeur  et  de  ses  maladies.  Paris  1794. 


Paracentesis  PericardiL  453 

yerflchiedenen  Seiten  die  Sache  aufgegriffen  und  einer  eingehenden 
Untersuchung  unterzogen.  Mfinner  wie  Benjamin  Bell,  Camper, 
JustuB  Arnemann,  Conrad!,  Desaulti  Larrey,  Skielde- 
roup^),  van  Swieten^),  Corvisart,  Kreysig^)  hesohftftigten 
ffich  lebhaft  mit  der  Frage  von  der  Nützlichkeit,  Ungefährlichkeit 
und  den  besten  Operationsmethoden.  So  lebhaft  nun  auch  die  Frage 
discutirt  wurde,  dauerte  es  doch  sehr  lange,  bis  man  die  längst 
theoretisch  erörterte  Möglichkeit  und  Ungefährlichkeit  der  Operation 
praktisch  zu  verwerthen  wagte.  Sah  man  doch  schon  in  der  Tho- 
racocentese  einen  bedenklichen  gefahrvollen  Eingriff,  so  schien  der 
Gedanke,  das  Herz  zum  Angriffspunkt  einer  Operation  zu  machen, 
unverantwortlich  und  verwegen.  Hatte  man  sich  auch  von  diesen 
voreingenommenen  Ansichten  frei  gemacht,  so  waren  es  wieder  andere 
V  Bedenken,  andere  Hindemisse,  die  von  der  Ausführung  der  Operation 
zorüekhielten«  Vor  Allem  war  es  die  Schwierigkeit  der  Diagnose, 
die  Aehnlichkeit  der  Symptome  einer  Ansammlung  von  Flüssigkeit 
im  Pericard  mit  denjenigen  einer  grossen  Anzahl  von  Krankheiten 
der  Brust,  des  Herzens,  der  grossen  Gefässe  u.  s.  w.,  die  eine  rasche 
Entwicklung  hintenanhielten.  Daher  steht  auch  die  Paracentese  des 
Pericards  den  analogen  Operationen  an  Brust  und  Abdomen  sowohl 
an  Alter,  wie  an  Zahl  der  Ausführungen  so  bedeutend  nach,  und  erst 
dnrch  die  Beseitigung  voreingenommener  Anschauungen  von  der  Ge- 
fahr eines  Eingriffes,  vor  Allem  aber  durch  eine  grössere  Sicherheit 
in  der  Diagnose  nahm  diese  Operation  in  den  letzten  Jahren  einen 
grösseren  Aufschwung. 

Klein  ist  zwar  immer  noch  die  Zahl  der  ausgeführten  Opera- 
tionen, und  nur  sehr  zerstreut  und  meist  unvollständig  sind  dieselben 
in  der  Literatur  angegeben.  Die  meisten  genaueren  und  detaillirten 
Veröffentlichungen  sind  in  den  letzten  15  Jahren  gemacht  worden, 
während  vor  dieser  Zeit,  die  von  Kybert  in  Petersburg  beobach- 
teten und  operirten  Fälle  von  Pericarditis  scorbutica  (Morbus  car- 
diacus)  ausgenommen,  nur  da  und  dort  eine  Beobachtung  auftaucht. 

Gerade  die  relativ  geringe  Zahl  von  wirklich  ausgeführten  Pa* 
racentesen  des  Herzbeutels,  die  grosse  Bedeutung  und  das  rege  Inter- 
esse, das  die  Operation  in  der  letzten  Zeit  gewonnen  hat,  berech- 
tigen, hier  einen  Fall  von  Pericarditis  exsudativa  mit  zweimaliger 
Function  zur  Sprache  zu  bringen,  der  in  der  Freiburger  Klinik  be- 

1)  De  trepanatione  obbIs  Btemi  et  apertnra  Pericardii;  acta  noya  Societat. 
Ha&.  1818. 

2)  Commentar.  ad  aphorism.  BoerhaviL  T.  IV.  p.  139. 

3)  Krankheiten  des  Herzens.    Berlin  1816. 


454  XXYI.  HiMDEMiJkHa 

obachtet  wurde,  insbesondere  da  der  Fall  auch  in  mancher  anderer 
Hinsicht  Interesse  bot 

Fall  1. 

Acut  eingetretene  Pericarditis  bei  einem  vorher  gesunden  jungen 
Mann.  Enormes  Exsudat,  Hydrops^  LeberschweUung.  Erstickungtan- 
fäiie.  Nach  2^tmonaH%chem  Bestehen  Punction.  Darauf  grosse  Er- 
leichterung. Nach  6  Wochen  2.  Function  mit  noch  günstigerem  Erfolge, 
Langsame  Besserung  des  ganzen  Zustandes.  Rückkehr  des  Patienten 
in  seine  Heimath  2 1/2  Monate  nach  der  2.  Function ;  Tod  daselbst  3  Mo- 
nate später. 

Anamnese:  Heinrich  Oebhard,  20  Jahr  alt,  Banemsohn  ans  H0I2- 
hansen. 

Die  Eltern  des  Patienten  sind  ganz  gesnnd;  von  seinen  Geschwistern 
leidet  ein  Brnder  angeblich  an  Beinfrass.  Patient  selbst  will  bis  jetzt,  ab« 
gesehen  von  kleinen  ünpässlichkeiten,  stets  gesnnd  gewesen  sein. 

Seine  jetzige  Erkrankung  datirt  er  von  Anfang  August  und  gibt  als 
wahrscheinliche  Ursache  derselben  an,  dass  er,  stark  erhitzt,  bei  nflchter- 
nem  Magen  mehrere  Glaser  kalten  Bieres  getrunken  habe.  Gleich  daraof 
verspürte  Patient  Grimmen  im  Unterleib,  zu  dem  sich  bald  Diarrhoe  hin- 
zngeselUe.  Zu  gleicher  Zeit  trat  auch  Schüttelfrost  ein,  welchem  starke 
Hitze  und  Schweiss  nachfolgte.  Nachts  darauf  hatte  Patient  keine  Be- 
schwerden ,  konnte  jedoch  am  nächsten  Tage  nur  mit  grösster  Noth  bis 
zum  Abend  arbeiten.  In  der  folgenden  Nacht  trat  dann  grosse  Engigkeit 
und  Athemnoth  auf,  die  sich  mehrmals  derart  steigerten,  dass  es  Patieat. 
oft  unmöglich  war,  gehörig  Luft  zu  holen  und  er  sich  durch  eine  mehr 
sitzende  Stellung  Erleichterung  zu  verschaffen  suchte.  Etwa  14  Tage  spater 
trat  nun  zu  diesen  Erscheinungen  eine  Anschwellung  der  untern  Extremi- 
täten, die  allmählich  weiterschreitend  auf  den  Unterleib  flberging. 

Die  Dyspnoe,  anfangs  nnr  massig,  nahm  an  Intensität  immer  mehr  sa, 
besonders  seit  auch  das  Abdomen  mehr  angeschwollen  war;  sie  blieb  die 
ganze  Zeit  neben  Schmerzen  im  Epigastrinm  das  hervorragendste  Symptooi 
im  Krankheitsbilde  des  Patienten. 

Von  Anbeginn  seiner  Erkrankung  musste  Patient  das  Bett  hüten,  und 
nur  hier  und  da  bei  recht  schönem  Wetter  konnte  er  dasselbe  auf  einige 
Stunden  verlassen.  Er  wurde  zu  Hause  verpflegt  und  von  dem  Arzt  in 
B.  behandelt. 

Unter  Anderem  wurden  dem  Patienten  in  der  Gegend  des  Epigastr. 
unter  dem  Process.  xjphoid.  13  Blutegel  und  12  blutige  Schröpfköpfe 
gesetzt,  und  ausserdem  noch  mehrmals  trockene  Schröpf  köpfe  applicirt. 
Auch  die  übrigen  angewandten  Mittel  waren  von  nur  geringem  Einflnss 
auf  den  Zustand  des  Patienten  gewesen.  Die  Dyspnoe  nahm  im  Gegen- 
theil  immer  mehr  zu,  heftiger  Hustenreiz  und  profuser  Auswurf  eiiiöhten 
dieselbe  noch,  so  dass  Patient  an  Kräften  immer  mehr  herunterkam.  Da 
unter  solchen  Umständen  der  Zustand  des  Patienten  eine  sorgfilltigere  Pflege 
und  beständige  ärztliche  Aufsicht  erforderte,  liess  sich  Patient  auf  deo 
Rath  des  Herrn  Hofrath  Schinzinger  namentlich  behufs  der  von  Letale- 
rem bereits  vorgeschlagenen  Paracentese  am  26.  Oct.  in  das  Freiboi^ger 
klinische  Krankenhaus  aufnehmen. 


PMaeentetis  PerictfdiL  455 

Status  praeBens.  26.  Oct.  1877.  PatieDt  wird  in  einem  sehr 
elenden  Zustand  in  das  Hospital  gebracht.  Auch  im  Bette  nodi»  wo  Pat. 
nur  aufrecht  sitzen  kann,  besteht  starke  Dyspnoe,  -  welche  ihm  das  Sprechen 
sehr  erschwert. 

Patient  ist  für  sein  Alter  gering  entwickelt,  auch  sein  Emährungssu- 
Btand  ist  nur  mittelgut.  Die  Farbe  des  Gesichts  ist  leicht  cyanotisch,  Lip- 
pen und  N&gel  sind  stark  bläulich  verArbt.  An  der  Innenfläche  der  Ober- 
sehenkel, namentlich  des  linken,  und  an  den  Malleolen  massig  starkes 
Oedem.  Die  Halsvenen  sind  nicht  stark  aberfUllt,  nur  die  Jugularis  ext. 
ist  sichtbar I  etwas  mehr  ausgedehnt,  bei  der  Inspiration  kleiner  werdend. 

Der  Thorax  ist  normal  gebaut.  Kein  Herzstoss  sichtbar,  auch 
nicht  die  leiseste  Brschatterung  ftthlbar.  Die  Respiration  ist 
vorwiegend  oostal,  ortbopnoiscb,  58  in  der  Minute, 

Puls  freqnent  124,  unregelmässig  und  aussetsend  und  zwar  bei 
jeder  Inspiration  fast  ganz  intermittirend. 

Abdomen  ziemlich  stark  gespannt,  das  Epigastrium  etwas  druckem- 
pfindlich, keine  Fluctnation  nachweisbar. 

Percussion:  An  den  Lungenspitzen  heller  Schall.  Ueber  dem  gan- 
sen  jStemum  absolute  Dämpfung,  die  nach  unten  zu  breiter  werdend  sich 
nach  L  bis  zur  Mamillarlinie,  nach  R  in  der  Höhe  derselben  bis  zur  vor- 
deren Axillarltnie  erstreckt.  RV  geht  dieselbe  in  die  Leberdämpfung  aber, 
die  im  5.  Intercostalraum  beginnend  sich  nach  abwärts  in  der  ParasternaU 
Uaie  bis  zur  Höhe  des  Nabels  erstreckt.  Ueber  der  Symphyse  und  in  der 
Unken  Lumbaigegend  heller  tympanitischer  Schall,  ziemlich  grosser  }\|ilb- 
iDondförmiger  Raum. 

Auscultation:  HerztOne  schwach,  kaum  hörbar,  aber  rein;  2. 
PulmoDalton  etwas  lauter,  nirgends  pericardiales  Reiben  hörbar. 

Respirationsgeräusch  RV  rauh  vesiculär,  unten  und  nach  dem 
Stemnm  zu  abgeschwächt,  kein  Rasseln.  L  das  Athemgeräusch  schärfer, 
der  Gegend  des  zungenförmigen  Lappens  entsprechend  feinbiasiges  Rasseln, 
trotz  absoluter  Dämpfung. 

HO  kein  Unterschied  in  der  Percussion.  Die  Dämpfung  beginnt  RH 
an  der  9.  Rippe,  LH  an  der  11.  Rippe.  Stimmfremitus  HR  abgeschwächt, 
Respirationsgeräusch  H  vesiculär,  ndr  RHU  an  einer  kleinen  Stelle  im 
Bereich  der  Dämpfung  schwaches  Bronchialathmen.  L  Athemgeräusch  ver- 
scbtrffc,  LHU  feinblasiges  Rasseln. 

Ordination:  0,006  Morph,  subcutan. 

27.  Oetober.  Patient  hat  nach  der  Injection  einige  Stunden  geschlafen, 
Dyspnoe  kaum  geringer.  Puls  noch  unregelmässig  und  aussetzend.  Abends 
ist  die  Dyspnoe  sehr  gross.  RHU  Bronchialathmen,  beiderseits  Rasselge- 
räusche.   Temperatur  Abends  37,8. 

Ordination:  Pulv.  Jalap.  c.  Tartar.  depur.  — 

Infus,  digital.  1  :  120.  — 
Abends:  Morphium  0,007  subc. 

28.  Oetober.  Die  Cyanose  erheblich  stärker,  Lippen  dunkelblau.  Puls 
andaaernd  paradox  184.  Respiration  48.  Temperatur  Morgens  37,5, 
Abends  37,8. 

Patient  klagt  über  sehr  starke  Beengung  und   viel  Husten,  'derselbe 


456  XXVL  HiMszHUKO 

iBt  uhr   ger&uachToU  mit  elDem   bellesden  oder    brOllenden   Tod; 
brSnnlicher  Ätuwnrf.     Am  EnDgeofSnuigeD  Lappen  KniBterruaeln. 


RV  im  3.  iDtercostalranm ,  io  der  Nahe  der  Dlmpfluigsgrcnse  Jim- 
ritiscbea  Reiben  beim  Eupirinm. 

HurgeoB  lO'/s  Uhr  wird  ein  Versnck  gemkcht,  dasEiii- 
dat  im  Hertbentel  mit  dir 
^"'i-  Hohlnadel    de«    Dienlafoj'- 

'\  (  Beben  ApparsteB  in  eoll««- 

;  \        ;   \  ren;    Prof.   Binmier   itaeh  «a 

Hohlnadel  saent  im  5.  loUrcMbt- 
y  .        räume  5  Co.  nach  anaaeD  vom  Ei- 

/  \     ken  Stemalrand  circa  4  Cm.  tirf 

/  \   ein;    als   nur  etwaa   BInt  a^birt 

/  \   warde,  wiederholte  er  die  Paoitin 

I  I   1  Cm.  Weiler  nach  ansaan  ia  d» 

selben  IntercoBlalranm  nnd  alawA 
dies   fmcbtloB  blieb,  in  4.  Um- 
coBtalraum,  2  Cm.  Tom  ttakm  Mr 
nah-and.  entfernt,  mit  aohiig  mi 
innen   gegen  die  Hitte  dar  flnt 
gerichteter  Spitae.     Aneh  jkmA 
konnte  kein  Exsndat  aapirirt  n^ 
den.      Jedesmal   fOhlte  mti 
jedoch   die  Spitae   an  einei 
ranhen  Gegenstand,   der  lieh 
an  ihr  bewegte,   ani(oai«B- 
Da  die   Befürchtung,  es   mächte   durch  Verletaung  der  aa   der  Bchaifii 
NadelBpitLC  sich  hin   and  her  bewegenden  TascnlariBirlen  PericardlaluttM 
eine  stlrkere  Blntmig  ins  Pericard  venmlasst  werden,  sehr  nahe  lag,  di 
passender  Troicart,   der  durch  das  Zurtlckziehen  des  Stilets  dieee  Q^iht 
vermeiden  liees,  aber  gerade  nicht  inr  Hand  war,  wurde  von  weiterea  Ver- 
suchen vorerst  Abstand  genommen. 

Die  PnnclionBBtcllen  wurden  mit  Heftpflaster  bedeckt  und  eine  Eii- 
blaae  aufgelegt.     Abends;    0,006  Morph.,   2  Senfpapiere  auf  die  Brut 

29.  Octbr.  Patient  hat  in  der  Nacht  wenig  geschlafen,  die  Dyspno« 
ist  sehr  hochgradig,  so  dass  Patient  nur  nach  der  linken  Sdte  p- 
neigt  im  Bette  aufsitzen  kann.  Oedem  der  Beine  stärker,  Sehmeiua 
im  linken  Bein.  Die  Haut  über  dem  Trochanter  etwas  gerOtbet  Hinfigsr 
Husten  verbunden  mit  ifth  seh  leimigem  miasfarbigem  Auswurf.  Pols  iit 
nicht  anasetzend  bei  der  Inspiration. 

Die  Pnnctionsstellen  verursachen  ziemlich  heftigen  Schmeri;  beaoodM 
druckempfindlich  ist  eine  daselbst  aufgetretene,  nicht  knisternde,  handteUec 


Paracentesis  Pericardii.  457 

flache  Geschwulst.  Aach  das  Epigastrinm  ist  bedeutend  druckem- 
[idlieh.  Um  lOVs  Chr  wird  die  Function  des  Pericardiums 
ederholt,  diesmal  jedoch  mit  einem  feinen  Troicart  von 
¥  Mm.  Dicke.  Während  Patient  durch  Chloroform  etwas  betäubt  ist, 
Bittitechen  im  5.  Intercostalraum  4  Cm.  nach  Aussen  vom  linken 
ea«  5—6  Cm.  tief.  Beim  Einstechen  empfindet  man  sweimal 
iifCMerwindeo  euies  stärkeren  Widerstandes.  Es  wird  nun  das  Stilet 
Mnt  «id  die  CanOle  noch  etwas  vorgeschoben,  sodann  mit  dem  Aspi- 
tenr  verbunden.  Mittelst  Aspiration  werden  300  Grm.  einer  dunkelrothen 
nnen  Flflasigkeit  entleert,  die  viel  Eiweiss  und  wenig  Fibrinflocken  ent- 
It.  Ganz  deutlich  fühlt  man  das  kratzende  Anstreifen  des  Herzens  an 
a  Ende  der  Canflle,  besonders  stark  gegen  Ende  der  Operation. 

Die  Untersuchung  der  entleerten  Flüssigkeit  ergibt  folgenden  Befund : 
I  Sediment  befinden  sich  viele  noch  wohl  erhaltene  Blutkörperchen ;  andere 
igen  sternförmige  Gestalt;  ausserdem  Fibrin  in  Form  schlauchartiger 
"aler  Gebilde  oder  hyaliner  Membranen;  erstere  theils  leer  und  gefaltet, 
eila  mit  einem  grobkörnigen  fettigen  Inhalt  prall  gefüllt.  Ausserdem  fein- 
(miges  Fibrin. 

Ordination:  Eisblase.  Flanelldruckverband.  Patient  fühlt  sich  gegen 
bend  entschieden  etwas  erleichtert.  Die  Cyanose  ist  zwar  kaum  geringer 
»worden,  doch  hat  der  Husten  nachgelassen.  Der  Puls  wird  bei  der  In- 
liration  nur  um  Weniges  kleiner. 

Poltoonre  2. 


31.  Oct.  7  p.  m.    P.  128.    B.  40.    T.  88,4. 

I.  Novbr.  Der  Zustand  des  Patienten  ist  entschieden  besser.  Puls 
t  kräftig,  nicht  intermittirend;  die  Cyanose  geringer.  Im  2.  linken 
itercostalraum  lautes  pleuritisches  Reiben,  LH  Dämpfung  etwas  höher,  am 
leren  Rand  der  10.  Rippe.  Die  teigige  Geschwulst  vorne  links,  welche 
D  30.  noch  etwas  grösser  geworden  war,  wird  flacher  und  kleiner  und 
t  weniger  empfindlich.  Husten  und  Auswurf  sind  geringer,  die.  Unter- 
lehnng  der  Brust  ergibt  eine  ziemlich  bedeutende  Abnahme  in 
er  Grösse  der  triangelförmigen  Dämpfungsfigur  über  dem 
;enium  im  Verhältniss  zu  dem  vor  der  Operation  constatirten  Befunde. 

II.  Novbr.  Der  Zustand  des  Patienten  war  in  den  letzten  10  Tagen 
I  Allgemeinen  ein  befriedigender,  das  subjective  Befinden  im  Ganzen  besser. 
it  Unterstützung  allabendlicher  Gaben  von  Morphin  hatte  Patient  ziemlich 
ite  Nächte.  Abends  wurden  mehrmals  auch  Chinindosen  von  0,5 — 1,0 
trabreicht  wegen  stärkeren  Fiebers.  Die  Temperatur  war  am  Abend  der 
peration  auf  38,8 ^  gestiegen,  mit  einer  darauffolgenden  Morgenremission  auf 
J^S^.  Den  zweiten  Abend  erreichte  dieselbe  40,0<>,  um  am  anderen  Morgen 
ieder  auf  37, 4®  zu  sinken.  Diesen  remittirenden  Charakter  behielt  das 
leber  während  der  nächsten  10  Tage  bei,  erreichte  jedoch  Abends  meist 
ir  38,0^  oder  wenige  Zehntel  darüber.  Zur  Beförderung  der  Resorption 
Orden  Liq.  Kali  acet.,  mit  oder  ohne  Digitalis  und  Abends  kleinere  Dosen 


45i8  XXVI.  Ahdenlamg 

Natr.  salicjl.  verabreicht,  welch  letztere  meist  profase  Schweisae  hervor- 
riefen. Daa  Oedem  der  Beine  ist  fast  verschwanden,  die  Dftmpfting  auf 
der  Brust  hat  jedenfalls  nicht  eugenommen«  Hosten  nnd  Auswurf  sind  ?oo 
wechselnder  Stärke.  Patient  klagt  hier  und  da  aber  Kopfschmerzen.  Auch 
der  Puls  war  von  wechselnder  Beschaffenheit,  doch  im  Allgemeinen  krifitig 
nnd  weniger  intermittirend,  oft  Morgens  deutlich  paradox,  Abends 
gleichmftssig.  Ein  diffuses  systolisches  Heben  der  Herzgegend 
war  einige  Tage  nach  der  Operation  deutlich  nachzuweisen.  Das  plenri- 
tische  Reiben  war  die  ganze  Zeit  immer  stark  vorhanden«  RH  Ist  bis  ober- 
halb der  Mitte  der  Scapula  Dämpfung  nachzuweisen,  mit  vom  AnguL  scapoL 
abwärts  aufgehobenem  Stimmfremitus  und  abgeschwächtem  Athmmi.  LHU 
beginnt  die  Dämpfung  an  der  10.  Rippe.  Bemerkenswerth  ist  die 
bedeutende  Zunahme  der  Harnmenge  uumittelbar  nach  der  Ope- 
ration (s^  Hamcurve),  welche  Vermehrung  der  Secretion  bis  vor  3  Tagea 
anhielt. 

Bei  der  allmählichen  Zunahme  des  pleuritbohen  Exsudates  und  der. 
wiederum  verminderten  Hamsecretion  wurde  —  während  Patient  Aber  Breeh- 
reiz  klagte,  weshalb  Natr.  salicyl.  ausgesetzt  wurde  —  ein  Versuch  mit 
Pilocarpin  (0,02  subcutan  iiyidrt)  gemacht  Es  erfolgte  dne  reichliche 
Salivation  und  starke  Diaphorese,  die  bis  gegen  Abend  anhielt.  Patient 
klagte  über  starke  Uebelkeit  und  Kopfweh,  welche  Symptome  jedoch  gegeo 
Abend  wieder  verschwanden.  Auffallend  war  der  Einfluss  des  Pilocarpioe 
auf  den  Puls:  dieser  war  vor  der  Injection  um  10  (Ihr  48  Minuten  klein 
und  deutlich  intermittirend,  wurde  schon  um  10  Uhr  52  Miauten  viel 
kräftiger  nnd  nur  wenig  kleiner  beim  Inspiriumi  bei  Gleichbleiben  der 
Frequenz. 

Am  folgenden  Abend  erhielt  Patient  wieder  Natr.  salicyl.  2,5  Grm. 

13.  Novbr.  Das  Befinden  des  Patienten  ist  schlechter;  Husten  and 
Auswurf  sind  zwar  gering,  doch  hat  das  Oedem  der  Beine  wieder  etwu 
zugenommen  und  ist  die  Cyanose  wieder  stärker  geworden.  QrOssere  Athem- 
noth  zwingt  den  Patienten  meist  im  Bett  aufzusitzen. 

Es  wird  bei  der  klinischen  Vorstellung  des  Kranken  folgender  Statu 
aufgenommen : 

Kein  Herzstoss  sichtbar,  noch  fahlbar;  Herztöne  schwach«  rdn;  kein 
pericardiales  Reiben;  am  RU  Rand  der  Dämpfung  ein  beim  Exspuiao 
deutliches  Reibegeräuscb.  Exspiratorisohes  Anschwellen  der  Jugul.  exten.; 
keine  Pulsationen.  Abdomen,  namentlich  die  Oberbauchgegend,  stark  aof- 
getrieben.  Die  Leber  ist  bis  zum  Lig.  Poapart.  herabgedrängt,  ihr  Rand  deat- 
lich  fühlbar.  Keine  deutliche  Fluetuation  im  Abdomen,  ttber  den  Darmbeio- 
kämmen  beiderseits  tympanitischer  Schall.    Geringes  Oedem  beider  Beine. 

RH  an  der  Dämpfungsgrenze  Bronchialathmen,  LH  vMiBchärftes  Athmen. 
Stimmfremitus  rechts  eher  verstärkt,  stärker  jedenfalls  als  links. 

Urin  enthält  eine  Spur  von  Eiweiss.  Abends  starke  Cyanose,  be> 
sonders  an  den  Lippen;   Husten  unverändert;  Dyspnoe  vermehrt 

Es  wird  ein  Versuch  gemacht,  die  Diurese  durch  Resina  copairae 
(Rp.  Res.  copaiv.  6,0.  Natr.  carb.  q.  s.  ut  f.  pil.  No.  60  D.8.  dreimal  tigüch 
2  Pillen  zu  nehmen)  anzuregen  (14.  Novbr.). 

Zu  gleicher  Zeit  wird  der  einige  Zeit  ausgesetzte  Gebrauch  des  Natr. 
^salic^l.  wieder  aufgenommen.     Die  Folge  waren  meist  in  der  Nacht  auf- 


Paracenteftw  Pericardii.  459 

tretende  mehr  oder  weoiger  profuse  Schweisee.  Da  jedoch  die  Diurese  durch 
die  Res.  copsiv.  wenig  beeinflosst  su  werden  und  dieses  Medicaoient  Uebel- 
keit  und  epigastrisehe  Schmerzen  su  verursachen  schiai,  wurde  es  wieder 
aoflgesetst  und  dafflr  Digitalis  in  Anwendung  gebracht  (20.  Novbr.)« 

Die  Folge  w^  auch  ein  Ansteigen  der  Hammenge  von  600  — 1500. 
Doch  war  diese  Vermehrung  der  Secretion  nur  vorttbergehend  und  machte 
einem  stetigen  Sinken  Plats. 

Die  nächsten  vier  Wochen  war  der  Zustand  ein  ziemlich  wechselvoUer, 
das  AUgemeinbefioden  weniger  gut  Die  Nachtrulie  musste  beständig  durch 
Morphin  herbeigeftihrt  werden.  Der  Puls  war  sehr  häufig,  ja  meist  un- 
regeifflässig,  paradox,  die  Respiration  fast  immer  beschleunigt,  die  Dyspnoe 
maschmal  hochgradig,  besonders  gegen  Abend  immer  exacerbirend ,  doch 
hatte  zuweilen  das  durch  Natr.  salicyl.  hervorgerufene  Schwitzen  einen 
QDverkennbar  gflnstigen  Binfluss  auf  die  Dyspnoe.  Auch  die  Anschwellung 
der  Beine  nahm  allmählich  wieder  zu  und  reichte  zeitweilig  bis  zur  In- 
giuinalgegend.  Ascites  bestand  nicht.  Ebenfalls  wechselnd  war  auch  die 
Cyanose,  meist  Abends  stärker  hervortretend.  Husten  und  Auswurf  bald 
gerioger,  bald  stirker,  doch  beständig  vorhanden. 

In  den  ersten  Tagen  des  Decembers  nahmen  sämndtliche  Symptome 
Qsd  Beschwerden  an  Intensität  su. 

Am  9.  Decbr.  wurde  folgender  Status  aufgenommen :  Sehr  starke  Dys- 
pooe,  Puls  kaum  intermittirend.  Herztöne  schwächer  hörbar.  Das  Oedem 
der  Beine  stark.  LH  sehr  scharfes  Athmen,  ziemlich  viel  trockenes  Rasseln. 
RH  an  der  Dämpfungsgrenze  (Mitte  der  Scapula)  Bronchialathmen ;  weiter 
nach  abwärts  kein  Athemgeräusch  zu  vernehmen. 

10.  Decbr.  Dyspnoe  und  Cyanose  steigerten  sich;  der  Husten  wird 
wieder  sehr  quälend  und  ebenso  geräuschvoll,  wie  anfangs.  Patient  hat 
auch  mehrmals  Aber  Schlingbeschwerden  geklagt.  Dabei  vermindert  sich 
die  Harnsecretion ,  der  Harn  (unter  500  in  24  Stunden)  enthält  starkes 
Uratsediment  und  ziemlich  viel  Eiweiss. 

Bei  diesen  gefahrdrohenden  Symptomen  schritt  man  abermals  zur 
Function  des  Pericardiums. 

Unter  leichter  Cbloroformnarkose  wurde  dieselbe  am  11.  Decbr.  Mor- 
gens 9  Uhr  40  Min.  von  Herrn  Prof.  Bäum  1er  in  der  Klinik  ausgeführt. 

Der  Ort  des  Einstiches  war  der  schon  bei  der  letzten  Operation  ge- 
wählte. Nach  Ueberwindung  des  ersten,  offenbar  dem  Intercostalraum  an- 
gehörenden Hindernisses  drang  der  Troikart  nur  äusserst  schwer  vorwärts, 
als  ob  eine  dicke  Membran  zu  durchbohren  wäre.  Alsbald  fühlte  man 
leichte  Herzbewegungen  an  der  Canüle,  aus  welcher,  nachdem  sie  nach 
Entfernung  des  Stilets  noch  etwas  tiefer  eingedrängt  war,  gelbes  Serum 
tropfenweise  abfloss.  Die  Canfile  wurde  mit  dem  Aspirateur  verbunden 
und  langsam  angesogen.  Nach  Herausnahme  von  ungefähr  100  Gem.  wur- 
den die  vor  der  Operation  vorhandenen  inspiratorischen 
Intermissionen  des  Pulses  bedeutend  schwächer.  Um  10  Uhr 
15  Min.  Vorm.  war  der  Puls  nach  Entleerung  von  etwa  500  Com.  noch 
von  derselben  Frequenz,  bei  der  Inspiration  nicht  mehr  vollständig  aus- 
Betzend,  aber  ^och  kleiner  werdend:  die  niederste  Welle  immer  un- 
mittelbar nachdem  die  Inspiration  auf  ihrer  Höhe  ange- 
kommen ist,   die  zunächst  auf  die  Pause  folgende  Welle  be- 


\ 


460  XXTI.  HlNDBHLANG 

BODdera  boch.     Die  HeritOae  auch  wlbrend  d«r  Ii 

mlBsig  fort  zu  hfiren.    8ehoD  wifareod  d«r  Panctioo  lal 

bedeatende  Verkleineniiig  der  Hengrensen   nachwebb« 

nähme  tod   850  Ocm.   eDtstehen  platstich   starke   Drac 

dem  Gummirohr,   wobei  ein   deutlich  echabcndes  Anatn 

an   die  Caaflie  gefühlt  wnrde.     Dasselbe  ist  besonden 

der  Aapiratioa  und  gibt  das  OefQbl  einer  aostreifendcD 

glatten  Membran,   nicht  daa  GefQhl  kleiner  Rauhigkmia 

ersten  Pnnctlon   vorhanden   war.     Die  Canttle   irird   her 

die   Heasung  ergibt,  daaa  sie  4  Cm.  tief  angeführt  g 

VerSoderuDg  der  DKmpfnng  betrifft  vorwi^end  die  Unk< 

Der  Henst 

'''•"  ^  der  PonetioD  nii 

\  I  auch  deatlieher  i 

dagegen   und   i 

lant  Qdd   rän, 

etwas  Terstirkt. 

ist  nicht  hSrbar. 

Die  Cyanw 

Ende    der    Op« 

abgenommen .     i 

tritt  mne  Pnlsat 

Enittema    nebe 

Schwellung  der 

dentlich  hervor; 

wegnng«  der  J 

dicrot. 

Die  entleu 
fast  kUr,  gelbU« 
ins  Grttniiohe. 

IHe  mikroi 
chnng  ergibt  die 
licher  kleinerer  i       „ 
trOpfchen,  KOmcheDcellen,  weisser  in  Verfettung  begriffener  BlntkOipockN; 
die  rothen  BlntkSrperchen  cum  Theil  mit  langen  Ansstrahliuigen,  lui  TM 
Morgensternform  darbietend.    Femer  schollige  I^gmentmasseD  mit  uhMtk 
eingelagerten  FettkOrnchen. 

Die  Operation  brachte  dem  Patienten  entsohleden  grow 
Erleich  ternng;  die  Dyspnoe  and  Cyanose,  die  schon  während  dar  Ope- 
ration merklich  abgenommen,  wurden  auch  während  der  nlchatta  Zöt  b^ 
deutend  geringer.  Die  Nächte  waren  mhig  und  Patient  konnte  niahr  Mhlrfn 
and  wnrde  namentlich  nicht  ao  sehr  von  dem  qn&lenden  Huaten  and  An- 
warf geplagt.  Daa  Oedem  der  Beine  nahm  in  den  folgenden  Tagen  mäs 
und  mehr  ab;  die  Lebergrenze  rDckte  erheblich  nach  oben. 

Auch  diesmal  nahm  die  Harnmenge  bedeutend  in;  w 
stieg  bald  nach  der  Operation  auf  Ober  2000  Gern,  und  eine  etwu  itfr- 
kere  Secretion  hielt  auch  fßr  die  nScbale  Zeit  an  (i.  die  Hameorve). 

Der  Puls  wnrde  kräftiger,  leigte  in  der  ntcbsteo  Zdt  weniger  blifg 
daa  inapiratorische  Intermitliren ;  die  Hcrxtöne  wurden  lauter  und  denlliebW' 


11.  DMbr.    DinpDu 


\ 


FaracoDteiü  Pericirdii.  461 

Die  Dimpfang  Ober  dem  Steranm  nimmt  gtelig  ab,   allmiblich  macht 
gich  »ach  ein  deutliches  Heben  der  Herzgegend  bemerkbar. 

Hosten  nnd  Answnrf  sind  ge- 
rioger,  die  Dimpfnng  RH  ist  etwas  '«"  ^' 

lorOckgeguigen,  die  ahsolnte  Dim-  \  I 

pfong  reicht  bis  mm  Angnlns  sca-  J  \         '  V 

piilae(I4.Decbr.];  LH  vid trockene 
mittelgrosabladge  Rasaelgerftnsche.  / 

Oieaer  immerhin  relativ  gDs-  / 
slige  Fortgang  macht  jedoch  gegen  / 
Ende  December  eidem  mehr  Wechsel-  / 
vullen  Zustwid  Plats,  welch  letzterer  I 
illmihlich  wieder  sich  mm  Schlim- 
meren neigend  bis  znr  Entlasanng 
des  Patienten  ans  dem  Spital  an- 
hielt. Doch  konnte  Patient  von 
Anfang  Januar  an  ab  nnd  in  einige 
Slnndeo  anaser  Bett  sein. 

Der  Puls  war  wKhrend  der 
gtnsen  Zeit  nnd  bis  tu  seiner  EIl^ 
iMinng  zierolicb  freqnent,  er  hielt 

sich  meistens  zwischen  100  bis  120  Am  n.  Jmur  mta 

Scillagen  in  der  Minnte,  stieg  jedoch 

mehrmals  anch  bis  so  140.  Derselbe  war  meistens  ziemlich  voll  und 
kriftig  nnd  war  vom  22.  Decbr.  an  ein  eigentliches  inspiratorisches  Ans- 
setzen  nicht  mehr  beobachtet  worden.     Vergl.  Curve  3. 


Höheres  Fieber  war  nie  mehr  vorbanden,  nnd  war  Patient  bis  gegen 
Ende  Februar  vollständig  fieberfrei.  Um  diese  Zeit  begannen  wieder  leichte 
allabendliche  TemperatnrerhObungen ,  die  jedoch  38,7"  nicht  flberachritten 
QDd  jeden  Morgen  znr  Norm  inrückkefarten. 

Die  Oedeme  waren  bald  wieder  st&rker,  bald  ganz  verschwunden; 
ebenso  nnglcich  nnd  wenig  Stand  haltend  waren  Dyspnoe  nnd  Cyanose; 
binfiger  wiederkehrende  Kopfschmerzen,  besonders  ein  in  letzter  Zeit  meist 
nach  dem  Essen  auftretender  Schmerz  im  Epigastrinm,  mit  gleichzeitiger 
Druckempfindlich keit  daselbst,  gaben  dem  Kranken  Veraalassung  zu  hSofigen 
Klagen. 

Am  19.  März  1S78  wurde  folgender  Status  aufgenommen:  Patient  ist 
Hehr  mager,  cyanotiscb,  die  Oberbs  ach  gegen  d  noch  immer  stark  vorgewOIht 
nnd  die  untere  Brnstapertur  erweitert.  Rechte  Seite  im  Vergleich  zur  linken 
anfallend  angezogen,  namentlich  tritt  im  Sieben  von  hinten  betrachtet  die 
Aosweitung  der  linken  ThorazhXlfte  gegenüber  der  rechten  stark  hervor. 


i:: 


Paraeeotesifl  Pericardü.  463 

Cmfang  in  der  Hohe  der  Bmstwane  R  41,  L  44  Gm.  Die  Einziehung 
und  Abflachung  ist  auch  vorn  sehr  bemerklich ,  desgleichen  an  der  weit 
geringeren  Ezcnrsion  der  untern  seitlichen  Bmstpartie  R  bei  tiefer  In* 
spiration.  Auch  der  PerctiBsionssehaH  R  ist  nicht  gane  so  voll  wie  L. 
DlmpfoBg  iD  der  Mamillarlinie  L  am  nntem  Rand  der  4.  Rippe,  in  der 
AxiUarlinie  an  der  6.  Rippe.  Athemgerftusch  LVO  scharf  vesienlAr,  R  ober- 
iialb  der  Clavicnla  mehr  unbestimmt,  viel  schwächer,  Esspirium  verlängert. 

RHO  der  Perenssionsschall  etwas  höher;  von  der  Spina  scapulae  ab 
aosgeaprochene  Dämpfung.  L  leerer  Sehall  bis  Eum  obern  Rand  der  9. 
Rippe  in  der  Axillarlinie. 

Atfaemgerftusch  LHO  scharf  vesiculär,  im  Bereich  der  Dämpfting  zuerst 
stark  at>ge8chwäoht,  unten  fehlend.  Desgleichen  der  Stimmfremitns.  Keine 
Rasseigeräuache. 

RHO  Inspiration  vesiculär,  schwächer  als  L.  Exspiration  bis  zum 
Angulns  seap.  verlängert,  unbestimmt.  Von  der  Mitte  der  Scapula  Inspi* 
ration  sehr  schwach,  vom  Angnlus  fehlend,  in  gleichem  Maasse  der  Stimm- 
fremitns abgeschwächt.  Unter  der  Mitte  der  rechten  Scapula  verschärftes, 
etwas  saccadlrtes  Athmen.  Exspirium  bis  unten  unbestimmt,  verlängert 
hörbar.  An  der  Grenze  des  Vesiculärathmens  «m  Ende  des  Inspiriums 
feinblaaige  Rasselgeräusche. 

HerzstosB  weder  zu  fahlen,  noch  zu  sehen;  dagegen  ist  eine  leichte 
Erschfltternng  der  linken  Parastemalgegend  zu  bemecken.  Die  Halsvenen 
onter  dem  Stemocleidomastoideus  leicht  hervorquellend,  zeigen  schwache 
Doppeipnlsationen ;  die  Venen  am  obern  Theil  des  Thorax  und  an  den 
Armen  abnorm  erweitert.  Abdomen  stark  aufgetrieben,  fluctuirend.  Leber 
ist  nicht  tastbar,  auch  durch  die  Percussion  nicht  genau  bestimmbar. 

Die  Wirbelsäule  zeigt  im  obern  Brusttheil  eine  leichte  Ausbiegung 
oach  L,  im  untern  und  im  Lumbaltheil  wieder  nach  R,  die  normale  Brust* 
kyphosd  und  Lendenlordose  sind  nahezu  verstrichen,  der  3.  Lendendorn- 
fortsatz  tritt  stärker  hervor. 

Die  Pulszahl  schwankte  zwischen  il4u.  128;  Temperatur  Abends  38,0  ^ 

Am  26.  März  wurde  Patient  auf  seinen  und  seiner  Eltern  Wunsch 
entlassen. 

Spärliche  Nachrichten  meldeten,  dass  der  Zustand  des  Kranken  sich 
alimählich  mehr  und  mehr  verschlechterte  und  derselbe  das  Bett  beständig 
baten  mOsse. 

Mitte  Juni  erfolgte  der  Tod.  Derselbe  wurde  leider  zu  spät  bekannt, 
um  wegen  einer  Autopsie  Schritte  thun  zu  können. 

Herr  Professor  Kussmaul  in  Straasburg  hat  Herrn  Professor 
Bäumler  die  Notizen  über  folgenden  interessanten,  von  ihm  noch 
nicht  pablMrten  Fall  mitgetheilt,  in  welchem  zu  zwei  verschiedenen 
Haien,  das  eine  Mal  unabsichtlich,  das  zweite  Mal  mit  Absicht  höchst 
wahrscheinlich  durch  ein  rechtsseitiges  pleuritisches  Ex« 
Budat  hindurch  ein  Pericardialergusa  punctirt  worden 
war  und  hat  die  VerAfentlichung  desselben  an  dieser  Stelle  gfitigst 
geslattel. 


464  XXVI.  HlHDBNLANG 


Fall  2. 

Der  21jährige  Tischler  W.  H.,  mit  hereditärer  Anlage  snr  Phthise, 
wurde»  nachdem  er  Anfangs  November  1<876  anter  grossem  Engigkeitsgef&bl 
an  rechtsseitiger  Pleuritis  erkrankt,  vom  5.  December  ab  im  Hospittl 
zu  Kehl  behandelt  und  am  7.  Januar  1877  daselbst  punctirt  worden  war, 
am  11.  Januar  in  das  Hospital  su  Strassburg  aufgenommen.  Der  Kranke 
hatte  starkes  Oedem  der  unteren  Kdrperhälfte  und  Ascites,  und  ausser  eraem 
vorne  in  der  Mammarlinie  bis  zum  oberen  Rande  der  4.  Rippe,  hinteo  bis 
zur  Mitte  der  Scapula  reichenden  rechtsseitigen  pleuritischen  Exsudat  wir 
ein  grosser  Pericardialerguss  vorhanden,  der  eine  Dämpf nngsfigur  er- 
zeugte, die  oben  zu  beiden  Seiten  des  Sternums  durch  die  2.  Rippenknorpel, 
nach  links  hin  durch  die  Axillarlinie  begrenzt  war.  Der  untere  Leberraod 
befand  sich  dicht  oberhalb  des  Nabels.  Es  bestand  grosse  Athemnoth,  bis 
zur  Orthopnoe  sich  steigernd,  und  der  Puls  war  klein,  unregelmässig,  von 
einer  zwischen  100  und  130  wechselnden  Frequenz. 

Am  14.  Januar  wurde  von  Herrn  Professor  Kussmaul  mittebt  des 
Dieulafoy 'sehen  Apparates  der  Thorax  punctirt.  Die  Nadel  wurde  im 
rechten  5.  Intercostalraum  ungefähr  1,5  Cm.  nach  aussen  von  der  Mammar- 
linie eingestochen.  Zuerst  flössen  20  Ccm.  hellen  klaren  Serums  ab.  AU 
die  Nadel  etwas  tiefer  eingestochen  wurde,  floss  mit  einem 
Male  eine  trflbe  braunrothe  Flüssigkeit  ab^  von  welcher 
etwa  750  Ccm.  entleert  wurden.  Dieselbe  enthielt  eine  grosse  Menge 
veränderter,  aber  keine  normal  aussehenden  frischen  Blutkörperchen. 

Der  Erfolg  der  Operation  war  vortreflTlich.  Der^ranke  athmete  lelch* 
ter,  der  Puls  wurde  etwas  grösser  und  auch  regelmässiger.  Die  ürinmenge 
stieg  von  600  Ccm.  in  den  nächsten  Tagen  auf  3000  Ccm.,  die  Schmerxen 
im  Unterleib  nahmen  ab. 

Die  Percnssion  constatirte  nur  eine  geringe  Abnahme  der  HerzdämpAug 
im  obersten  Abschnitt  der  Dämpfungsfigur. 

RV  traten  pleuritische  Reibegeränsche  auf.  Diese  aufTallend  grosse 
Erleichterung,  welche  die  Pnnction  gebracht  hatte,  bestärkte  Herrn  Professor 
Kussmaul  in  der  Annahme,  welche  die  Entleerung  zweier  verschieden 
geArbter  Flflssigkeiten  nahe  gelegt  hatte,  dass  die  Nadel  zuerst  in  deo 
Pleurasack,  sodann  bei  tieferem  Einschieben  in  den  Herzbeutel  eingedrangeD 
war,  und  dass  das  helle,  klare  Serum  dem  Pleurasack,  das  hämorrhagische 
dem  Pericardialsacke  entstammte. 

Am  18.  Januar  wurde  die  Function  wiederholt  und  dabei  absichtlich 
gerade  so  verfahren,  wie  bei  der  ersten,  um  zu  sehen,  ob  es  gelinge,  wie- 
derum zweierlei  Flüssigkeiten- zu  entleeren.  Die  Nadel  wurde  in  derNftbe 
der  ersten  Stichstelle  eingestossen  und  sofort  angehalten,  sobald  Flüssigkeit 
abfloss.  Auf  diese  Weise  wurden  zunächst  550  Ccm.  klaren  serösen  Flai- 
dums  entleert.  Dann  wurde  die  Nadel  weiter  und  mehr  gegen  die  Median- 
linie gerichtet  vorgeschoben,  um  das,  wie  erwartet  werden  konnte,  stark 
ausgedehnte  Pericardium  zu  durchbohren.  In  der  That  floss  jetzt  ein  hell- 
rothes  blutiges  Serum  ab,  von  welchem  250  Ccm.  entleert  wurden.  Das- 
selbe enthielt  frische  normale  Blutkörperchen. 

Auch  diesmal  hatte  die  Function  eine  Erleichterung  zur  Folge.  Eine 
Abnahme  des  pericardialen  Exsudats  liess  sich  jedoch  durch  die  PereuBsioo 


Paracentesis  P^lcardü.  465 

nicht  nachweiseD.  Ganz  allmählich  besserte  sich  das  Befinden  des  Kranken, 
das  bisher  bestehende  remittirende  Fieber  blieb  im  Mftrz  znerst  einzelne 
Tage;  dann  auch  länger  ganz  weg.  Oedem  and  Ascites  waren  bis  znm 
März  ganz  verschwunden.  Die  Brustschmerzen  wurden  seltener^  die  Athem* 
notb  geringer,  der  Puls  wurde  regelmässig,  blieb  aber  frequent,  90 — 100 
Schläge,  während  in  den  ersten  Wochen  öfters  Anfälle  von  Palpitationen 
mit  150 — 160  Pulsen  und  verbanden  mit  quälender  Orthopnoe  vorhanden 
waren. 

Das  pleuritische  Exsudat  reichte  Ende  März  nach  hinten  bis  zum  unteren 
Schulterblatt  Winkel ,  in  der  Axilla  bis  zum  6.  Intercostalraum ;  auch  die 
Wölbung  der  Herzgegend  nahm  ab,  die  percutorische  Herzfigur  war  jedoch 
nur  wenig  verkleinert.  Am  8.  Mai  war  der  Kranke  soweit  gekräftigt  und 
erholt,  dass  man  es  wagen  durfte,  seinem  drängenden  Wunsch  nachzugeben 
und  ihn  in  seine  Heimath  nach  Schlesien  reisen  zu  lassen. 


Anschliessend  an  die  mitgetheilte  erste  Krankengeschichte  wird 
es  gerechtfertigt  erscheinen,  auf  die  in  manchen  Beziehungen  inter- 
essanten Details  etwas  näher  einzugehen  und  dieselben  einer  noch- 
maligen gesonderten  Betrachtung  zu  unterwerfen. 

Vor  Allem  ist  es  einmal  der  Erfolg  der  Operation,  der  uns  zu- 
nächst am  meisten  interessiren  dürfte  und  deshalb  etwas  näher  ins 
Äuge  gefasst  werden  muss.  Wenn  wir  später  auf  mehr  statistischem 
Boden  den  Werth  und  die  Nützlichkeit  der  Operation  im  Allgemeinen 
nachzuweisen  versuchen  werden,  so  wollen  wir  hier  blos  von  dem 
Erfolg  reden,  den  die  einzelnen  Functionen  bei  unserem  Patienten 
hervorgebracht  haben.  Im  Allgemeinen  darf  gesagt  werden,  dass 
derselbe  jeweils  ein  äusserst  gttnstiger  war,  indem  nicht  nur  eine 
augenblickliche  unmittelbare  Erleichterung  für  den  Patienten,  son- 
dern auch  für  eine  kürzere  oder  längere  Dauer  eine  Besserung  er- 
zielt wurde,  die  eben  durch  andere  Mittel  nicht  zu  erreichen  war. 

Die  Dyspnoe,  welche  vor  der  Operation  sehr  hochgradig  war, 
wurde  viel  geringer  und  machte  einer  relativen  Euphorie  Platz;  die 
Cyanose  war  ebenfalls  fast  ganz  verschwunden,  Husten  und  Aus- 
wurf geringer  geworden. 

Von  ganz  besonderem  Einfluss  war  die  Paracentese  auf  den 
Puls.  Dieser  zeigte  nämlich  vor  der  Punction  eine  eigenthümliche 
Form  der  Intermission,  die  mit  der  Inspiration  zusammenfiel.  Der 
Puls  war  klein,  frequent  (184).  Je  mehr  Flüssigkeit  dem  Herzbeutel 
entnommen  wurde,  desto  mehr  verschwand  dieses  Pulspbänomen  und 
nach  beendigter  Punction  war  der  Puls  nicht  nur  viel  kräftiger,  son- 
dern auch  nicht  mehr  aussetzend. 

Unregelmässigkeit  des  Pulses  bei  grossen  Pericardial- 
exsudaten  ist  schon  vielfach  beobachtet  und  erwähnt  worden.    Auch 

DeaUchM  Arehlr  f.  klin.  Medicin.    XXIV.  Bd.  30 


466  XXYI.  HiMDBNLAKa 

in  zahlreichen  Krankengeschichten,  namentlich  der  unten  zn  nennen- 
den russischen  Autoren,  sowie  bei  Will.  Pepper  finden  sich  mehr- 
fach Angaben  über  Unregelmässigkeiten  des  Pulses  oder  Intermittiren 
desselben  unter  ähnlichen  Umständen.  Dieser  Pulsus  inspiratione 
intermittens  oder  paradoxus  war  von  Kussmaul  ursprünglich  alg 
ein  bei  schwieliger  Mediastinitis  vorkommendes  Pulsphänomen  be- 
schrieben und  als  für  die  Diagnose  derselben  bedeutsames  Zeichen 
angesehen  worden.  Dass  aber  auch  andere  Zustände,  namentlich 
grosse  Pericardialexsudate  einen  solchen  Pulsus  paradoxus  hervor- 
bringen können,  wurde  von  Traube  0  und  Bau  ml  er  2)  nachge- 
wiesen. 

Vorliegender  Fall  dürfte  als  ein  weiterer  Beleg  für  dieses  Vor- 
kommen gelten. 

Die  Respiration  verhielt  sich  zur  Zeit  der  sphygmographiscben 
Aufnahme  des  Pulses  zu  diesem  wie  i :  3,8.  Erstere  betrug  in  der 
Minute  48,  während  an  der  Radialis  in  derselben  Zeit  zwischen  180 
und  184  schwache  Erhebungen  zu  fühlen  waren.  Ein  Blick  auf  die 
Pulscurve  (s.  0.)  wird  die'  Verhältnisse  am  ehesten  klar  legen. 

Die  Veränderung,  die  durch  die  Pnnction  bewirkt  wurde,  konnte 
nicht  nur  unmittelbar  nachher  deutlich  gefühlt  werden,  sondern  die 
oben  mitgetheilte  Gurve  2,  welche  einige  Zeit  nachher  aufgenommen 
wurde,  bestätigt  das  Fehlen  der  Intermissionen  auch  dem  Auge. 

Es  ist  somit  unzweifelhaft,  dass  das  grosse  Exsudat  im  Hers- 
beutel an  dem  Znstandekommen  des  paradoxen  Pulses  hauptsächlich 
schuld  war. 

Einen  weiteren  und  sehr  wichtigen  Einfluss  hatte  in  unserem 
wie  in  Professor  KussmauVs  Fall  die  Entleerung  des  Exsudates 
durch  Steigerung  des  arteriellen  Druckes  auf  die  täg- 
liche Harnmenge  (vgl.  die  Harncurve).  In  dem  unsrigen  stieg 
die  vor  der  ersten  Punction  sich  in  der  Höhe  zwischen  600  und 
700  Ccm.  haltende  Harnmenge  im  Laufe  der  nächsten  vier  Tage  um 
das  Vierfache,  auf  2500  Ccm.  Die  Secretion  Hess  jedoch  allmählich 
wieder  nach,  sie  sank  wieder  unter  1000  Ccm.  und  wurde  nur  zwei- 
mal durch  Digitalis  über  diese  Höhe,  und  durch  andere  Mittel,  n.  A. 
das  Copaivaharz  auf  dieselbe  gebracht 

Eine  noch  günstigere  Einwirkung  hatte  die  zweite  Punction. 
Die  Menge  des  Harnes  stieg  einmal  viel  rascher  an,  dann  war  die 
Wirkung  eine  mehr  anhaltende  und  ferner  kamen  die  übrigen  die 
Secretion  befördernden  Mittel  nachher  viel  mehr  zur  Oeltung. 

1)  Gesammelte  Beiträge  zur  Pathologie  und  Therapie.  Bd.  III. 

2)  Dieses  Archiv.  Bd.  XIV.  S.  455. 


Ptfacenteus  FencardlL  467 

Der  wichtigste  Erfolg,  der  durch  die  Function  erzielt  wurde,  war 
die  directe  Verminderung  des  gesetiten  Exsudates.  Wenn 
aach  einige  Zeit  nach  der  ersten  Operation  die  Flüssigkeitsmenge  im 
Herzbeutel  wieder  etwas  stieg,  so  war  doch  durch  die  zweite  Func- 
tion eine  dauernde  Abnahme  des  Exsudates  erreicht  worden. 

Die  Verminderung  der  Flttssigkeit  durch  die  erste  Operation  war 
leieht  percutorisch  nachweisbar,  wie  dies  Figur  2  deutlich  wieder- 
gibt, auf  welcher  die  Tor  und  nach  der  Operation  gefundenen  Dftm- 
pfungsgrenzen  gezeichnet  sind.  Das  Exsudat  war  um  die  Hälfte  des 
Manubrium  sterni  zurückgegangen.  Schon  drei  Tage  nachher  (die 
Zeit  der  rasch  ansteigenden  Hammenge)  hatte  die  Dämpfungsfigur 
mit  ihrer  obersten  Grenze  die  Verbindungsstelle  zwischen  Manubrium 
und  Corpus  sterni  erreicht,  um  sich  einige  Zeit  auf  dieser  Höhe  zu 
halten.  Hierauf  stieg  das  Exsudat  wieder,  aber  erreichte  nicht  mehr 
die  frühere  Ausdehnung. 

Einen  noch  bedeutenderen  Rückgang  der  triangelförmigen  Däm- 
pfougsfigur  brachte  die  zweite  Function.  Acht  Tage  ror  Entlassung 
des  Kranken  befand  sich  die  oberste  Dämpfungsgrenze  an  der  3.  Rippe. 

Wi^  günstig  die  zweite  Function  auf  die  weitere  Resorption  der 
Fldssigkeit  gewirkt,  beweist  die  gegen  Ende  des  Spitalaufenthaltes 
des  Patienten  auftretende  diffuse  Erschütterung  der  Herzgegend ;  ferner 
das  deutliche  pericardiale  Reiben,  welches  am  lautesten  in  der  Gegend 
des  4.  Rippenknorpels  gehört  wurde. 

Hat  nun  schliesslich  dieser  vorliegende  Fall  doch  einen  un- 
gttnstigen  Ausgang  genommen,  so  muss  immerhin  auf  die  vorstehende 
Erörterung  gestützt  die  Behauptung  aufrecht  erhalten  werden,  dass 
sowohl  durch  die  erste,  als  besonders  durch  die  zweite  Function  eine 
wesentliche  Besserung  im  Befinden  des  Kranken  herbeigeführt  worden 
war.  Fatient  befand  sich  entschieden  auf  dem  Wege  der  Besserung, 
woran  nach  der  operativen  Verminderung  des  Exsudates  auch  nament* 
lieh  die  Verpflegung  und  Abwartung  in  einem  Hospital  ihren  grossen 
Theil*  beitrug.  Rasch  neigte  sich  die  Sache  jedoch  zum  Schlimmen, 
als  Fatient  das  Spital  verlassen  und  somit  einer  geregelten  Fflege 
verlustig  ging. 

Der  nach  Wochen  erfolgte  ungünstige  Ausgang  kann  Angesichts 
der  unmittelbaren  und  geradezu  lebensrettenden  Wirkung  der  Ope- 
ration den  Werth  der  letzteren  durchaus  nicht  schmälern.  Im  Gegen- 
tbeil,  der  Fall  muss  als  eine  directe  Aufmunterung  zu  weiteren  Ver- 
suchen dienen.  Mag  nun  schon  die  genaue  Betrachtung  dieses  Falles 
und  seiner  einzelnen  Fhasen  an  und  für  sich  den  Werth  und  den 

30* 


468  XXVL  HlNIUBKLANO 

unmittelbaren  Erfolg  der  Operation  aoBser  Zweifel  stellen,  so  wird 
vielleicht  der  Zweck  dieser  Mittheilung  noch  unterstfltzt  durch  den 
Vergleich  unserer  Beobachtung  mit  bereits  bekannt  gegebenen  Adb- 
fahrungen  von  Paracentesis  Pericardii. 

Zu  diesem  Zwecke  habe  ich  in  Folgendem  die  in  der  Literatur 
niedergelegten  Mittheilungeu;  soweit  dieselben  mir  zug&nglich  waren, 
gesammelt  und  kurz  zusammengestellt  Vielleicht  lassen  sich  in  Be- 
treff des  Erfolges,  der  Indicationen,  der  Operationsmethoden,  der 
Ungefährlichkeit  des  Eingriffes  Resultate  erzielen,  die  fflr  die  wei- 
tere Entwickelung  und  die  richtige  Würdigung  der  Operation  ron 
Werth  sind. 


Zusammenstellung  der  bis  jetzt  ausgeführten  Para- 

centesen  des  Pericardiums. 

1.  Desault.  1798.  Dictioo.  des  ScIeDces  m6A.  XL.  1819.  p.  370. 
Die  Diagnose  schwankte  zwischen  Pleuritis  und  Pericardltis.  Die  Operation 
wurde  durch  Incision  zwischen  der  6.  und  7.  Rippe  ausgeführt,  mit  Er-. 
Öffnung  der  sich  vorlagernden  Tasche.  Entleerung  von  ca.  einem  Schoppen 
Flüssigkeit.  —  Tod.  Die  Autopsie  ergab  eine  Verwachsung  d^  Herz- 
beutels mit  dem  Herzen.  Die  eröffnete  Tasche  prftsentirte  sich  als  m  von 
der  Lunge  und  dem  Pericard  abgekapseltes  Pleuraexsudat.  Der  Fall  kann 
somit  eigentlich  nicht  als  hierher  gehörig  gerechnet  werden. 

2.  Larrey.  Ibid.  Ausgang  in  Tod.  Der  Fall  ist  ebenso  unsicher 
wie  der  vorige.  Die  Diagnose  war  ebenfalls  nicht  sicher  zu  stellen,  ferner 
ergab  selbst  die  Autopsie  nicht  die  volle  Gewissheit,  ob  wirklich  das  Peri- 
card eröffnet  oder  nur  eine  abgekapselte  Cyste  punctirt  worden  war. 

3.  Romero.  1819.  ibid.  35jahriger  Mann,  der  bereits  5  Monate 
vor  der  Operation  erkrankt  war.  Incision  zwischen  der  5.  und  6.  Rippe 
am  Ursprung  der  Rippenknorpel,  Hervorziehen  einer  kleinen  Falte  des  Pen- 
Cards ;  Abtragen  derselben  mit  der  Scheere ;  durch  geeignete  Lagerung  Ent- 
leerung der  Flüssigkeit.     Genesung. 

4.  Derselbe.  1.  c.  37  Jahre  alter  Mann,  3  Monate  krank  vor  der 
Operation,  die  auf  die  in  Fall  3  angegebene  Weise  ausgeführt  wird.  Ge- 
nesung. 

5.  Derselbe.  I.e.  45  Jahre  alter  Mann,  schon  8  Monate  krank, 
wird  auf  dieselbe  Weise,  doch  mit  ungünstigem  Erfolge  operirt  Als 
Ursache  des  ungünstigen  Ausganges  gibt  Romero  ausgedehnte  Verwach- 
sungen des  Pericards  mit  dem  ^erzen  an,  die  eine  vollständige  Entleerung 
der  Höhle  verhinderten. 

6.  Jowet.  1827.  Froriep's  Notizen.  Vol.  XVIU.  No.  86.  Bulletin  des 
Sciences  m^dic.  t.  XIIL  Bullet,  et  M^moires  de  la  Soci^t^  m^d.  des  Hopi- 
taux.  2.  Serie  1868/69.  Pericardltis  in  Folge  von  Rheumatismus,  üeber 
den  Erfolg  wie  über  die  Methode  der  Operation  ist  nichts  zu  eruiren.  Der 
Fall  ist  überhaupt  zweifelhaft  und  es  ist  nicht  sichergestellt,  ob  wirklich 
das  Pericard  eröffnet  wurde. 


Paracentesifl  Fericardii.  469 

7.  Schuh  in  Wien.  1840.  Oesterr.  med.  JahrbQcher.  Neae  Serie  1S40. 
Troosseau,  GÜDiqne  mödic.  Schmidfs  Jahrbflcher  Bd.  33.  1842.  S.  333. 
Dienstmftdcheo,  24  Jahre  alt,  wurde  unmittelbar  nacheinander  zweimal  punc- 
tirt.  Troicart;  linker  Stemalrand  awischen  der  3.  und  4.  Rippe,  das 
zweite  Mal  zwischen  der  4.  und  5.  Bei  der  ersten  Function  wurde  nur 
eine  kleine  Menge  syrupartiger,  blutig  gefärbter  Flflssigkeit,  bei  der  zweiten 
etwas  mehr  blutig  gefärbtes  Serum  entleert.     Kein  Erfolg. 

£8  handelte  sich,  wie  die  Autopsie  ergab,  um  einen  Mediastinal- 
tamor,  der,  in  einer  Breite  von  6  Zoll  das  Mediastinum  erfüllend,  Brust- 
bein und  Innenfiftche  der  4  obersten  Rippen  und  das  Schlüsselbein  ergriffen 
und  umgestaltet,  an  den  Wirbelkörpern  festhing  und  mit  der  Lunge  ver- 
wachsen war. 

8.  Kyberi).  1845.  Med.  Zeitschrift  Rnsslands  No.  21— 25.  1847. 
Scfamidfs  Jahrbücher  1848.  S.  168.  Feter  Saknef,  Soldat,  28  Jahre  alt,  lag 
ca.  3  Monate  an  Pericarditis  in  Folge  von  Scorbut.  Function:  Einstich 
zwischen  der  4.  und  5.  Rippe  am  linken  Sternalrand;  Schuh'scher  Trog- 
apparat; Entleerung  von  ca.  5 — 6  Ffund  Flüssigkeit.  —  Unmittelbare 
Erleichterung.  Nach  10  Wochen  vollständige  Genesung;  lang- 
same Reconvalescenz.  —  Fatient  starb  1  ^/'2  Jahr  später  an  Fhthisis  tuber- 
cDlosa. 

9.  Derselbe.  1845.  I.e.;  Seilheim,  Diasertat.  Dorpat  1848.  Ein 
Matrose,  ca.  4  Monate  krank  an  Pericarditis,  wird  auf  eine  ähnliche  Weise, 
wie  in  Fall  8  angegeben,  pnnctirt  und  4V2  Pfand  einer  blutigen  Masse 
entleert.  —  Allmählich  unter  wechselvollen  Zuständen  erfolgt  Heilung.  — 
Wie  in  dem  vorigen  Fall  handelte  es  sich  um  die  scorbutische  Form  der 
Pericarditis.  Patient  versah  nach  seiner  Genesung  noch  lange  das  Amt 
eines  Krankenwärters. 

10.  Derselbe.  1845.  I.e.  Matrose,  3V2  Monate  krank,  wurde  ebenso 
operirt  wie  in  Fall  8  und  9.  —  1 V2  Pfund  dunklen  Blutes  wurden  entleert. 
—  Langsame  Reconvalescenz  unter  zeitweiliger  Verschlimmerung  des  Zu-. 
Standes.     Gleichzeitiges  Bestehen  von  Pleuritis.     Heilung. 

11.  Derselbe.  1847.  I.e.  Matrose;  die  Function  wurde  mit  seinem 
eigens  für  diesen  Zweck  construirten  Instrument  ausgeführt.  S.  die  Be- 
schreibung und  Abbildung  in  Dr.  Seil  heim 's  Dissertation.  —  Entleerung 
TOD  4  Pfund  blutiger  Flüssigkeit.  Langsame  Genesung,  durch  Ka- 
tarrh und  wiederholte  hydropische  Erscheinungen  verzögert. 


1)  Die  Fälle  8,  9,  10,  11,  12,  13,  14  shid  die  mit  gOnstigem  Erfolg  operirten 
scorbatischen  Pericarditiden,  wie  de  von  Dr.  S el  1  h e  i  m  in  seiner  Dissertation  (s.  0.) 
näher  aaseinandergesetzt  sind.  Derselbe  gibt,  diese  7  Fälle  inbegriffen,  die  Zahl 
der  in  den  Jahren  1839—1847  ausgeführten  Functionen  hei  Pericarditis  scorbutica 
approximativ  auf  46  an.  Die  Zibl  ist  insofeme  nicht  ganz  genau,  als  über  die 
Jahre  1840,  1841  und  1843  keine  sicheren  Aufzeichnungen  vorhanden  waren.  Doch 
glaabt  Seilheim  die  Zahl  der  in  diesen  Jahren  gemachten  Operationen  ziemlich 
genau  getroffen  zu  haben.  —  Die  Gesammtsumme  der  in  den  Jahren  1842,  1844, 
1S45,  1846,  1847  zur  Behandlung  gekommenen  F&lle  von  Pericarditis  scorbutica 
wird  TOD  Seilheim  auf  154  angegeben;  davon  wurden  nachweisbar  operirt  30; 
durch  die  Operation  geheilt  7  (s.o.);  ohne  diese  genasen  6;  gestorben  sind  141. 


470  XXVI.  HiMDENLANG 

12.  Karavajew.  1840.  I.e.  Dr.  0.  v.  Bamson,  Beobachtangen  fiter 
den  Scorbnt.  Berlin  1843.  Peter  Angns,  23  Jahre  alt,  wurde  wie  in  Fall  8 
operirt.  Hei  lang.  —  V2  ^"^^  später  Tod  durch  erneute  scorbatiBche  Er- 
krankungen. Section:  Verwachsungen  des  Herzbeutels  mit  dem  Hersen; 
in  Pleura  und  Abdomen  geringe  Mengen  scorbutischen  Exsudates. 

13.  Schönberg.  1842.  1.  c.  Matrose,  27  Jahre  alt.  Operations- 
methode wie  in  Fall  8.  Heilung  nach  8  Tagen.  —  Patient  wurde  Kranken- 
wärter. Derselbe  ging  1846  an  Typhus  petechialis  zu  Grunde.  Die  Sec- 
tion ergab  vollständige  Verwachsung  des  Herzbeutels  mit  dem  Herzen. 

14.  Derselbe.  1847.  1.  c.  Kasmir  Aleschkewitz  litt  schon  1  Jahr 
lang  an  Scorbut.  Operation  wie  in  Fall  8.  4  Pfund  blutige  Flflssigkeit 
wurden  entleert;  unmittelbare  Erleichterung.  Vollständige  Heilang 
nach  ca.  7  Monaten. 

15.  Heger.  1842.  Oesterr.  med.  Jahrbücher  Bd.  XXIX.  1842.  Gitirt 
in  Trousseau,  Glinique  m^d.  Ein  19 jähriger  Schuster  wurde  zweimal  pnnc- 
tirt,  Punctionsstelle  im  5.  Intercostalraum.  Das  erste  Mal  wurden  1500  Gnn. 
eines  rothbraunen  flockigen,  das  zweite  Mal  400  Grm.  eines  trabröthlicheD 
Serums  entleert;  ohne  Erfolg.  —  Die  Section  ergab:  Tuberculose der 
Lungen  und  des  Mediastinums ;  gleichzeitige  Anwesenheit  von  Pleuritis  fand 
Ascites. 

16.  Dr.  Vigla.  1841  oder  1842.  Trousseau,  Clinique  m6d.  Junger 
Mann;  Incision.  Tod  durch  Asphyxie.  Die  Operation  blieb  unvollendet, 
da  unmittelbar  unter  dem  in  die  Wunde  eingeführten  Finger  das  Herz  schlag 
und  am  Pericard  ein  deutliches  Reiben  erzeugte.  Bei  der  Section  fand 
sich  eine  „  phaenomenale "  Erweiterung  des  Herzens  mit  Verändemngen 
seiner  Wände. 

17.  Champouillon.  1849.  Gaz.  des  höpit.  1 865.  Bullet,  de  FAc&d. 
de  m^d.  2.  Nov.  1875.  p.  1266  ff.  Soldat;  6  Wochen  krank^  werde  mit 
dem  Troicart  punctirt.  Einstichstelle  im  5.  Intercostalraum  einige  Centimeter 
vom  linken  Sternalrand  entfernt;  entleert  wurden  615  Grm.  einer  granlicheD, 
nicht  ganz  transparenten  Flüssigkeit.  Heilung;  nach  16  Wochen  wieder 
ganz  arbeitsfähig. 

18.  Ar  an.  1853.  Troussean,  Clinique  m6d.  Incision.  Die  Operation 
blieb  unvollendet.     Tod  darch  Asphyxie. 

19.  Derselbe.  1855.  Bullet,  de  TAcad.  1855.  1856.  t.  XXI.  p.  142. 
Gaz.  des  hdpit.  No.  130.  1855.  Ein  junger  Mann  von  24  Jahren  wird 
zweimal  punctirt;  die  zweite  Punction  12  Tage  nach  der  ersten.  Troicart, 
5.  Intercostalraum,  nachfolgende  Jodinjection  nach  jeder  Punction.  Ent- 
leerung zuerst  350  Grm.  eines  röthlichen,  ziemlich  klaren  Serums,  das 
zweite  Mal  1350  Grm.  eines  grQnlichen,  stark  eiweisshaltigen  Flaidno». 
Heilung.  —  Patient  wird  mit  den  Zeichen  beginnender  Tuberculose  ent- 
lassen. 

20.  Bdhier  M.  1854.  Archiv,  gän^ral.  de  m6d.  1864.  Bull,  de  U 
Soci^t^  m^d.  des  höpit.  No.  9.  1854.  Junge  Fran,  22  Jahre  alt,  wird  mit 
dem  Troicart,  nachdem  sie  1 — 2  Monate  lang  krank,  punctirt. 

Wahrscheinlich  wurde  bei  der  Thoracocentese  zugleich  das  Pericard 
eröffnet;  doch  findet  sich  in  den  betreffenden  Mittheilungen  kein  sicherer 
Anhaltspunkt,  ob  der  Fall  wirklich  als  hierher  gehörig  zu  rechnen  ist 

21.  Trousseau  et  Lasegue,   Operation  von  Jobert  ansgefllhrt 


Paracentesis  Pericardii.  471 

1S54.  Archiv,  g^o^ral.  de  m^d.  1854.  Nov,  Ein  junger  Mann  von  16  Jahren 
wurde  zweimal  operirt,  das  erate  Mal  darch  Incision  im  5.  Intercoatalraum 
3  Cm.  vom  linken  Stemalrand,  and  ca.  400  Grm.  Fiflasigkeit  langaam  ent- 
leert;  daa  sweite  Mal  dorch  directe  Pauction  mit  500  Orm.  Heilung. 
Langsame  Reconvaleacens. 

Gleichzeitig  mit  der  Pericarditis  bestand  noch  eine  Pleuritis  exsudativa 
der  linken  Seite,  Thoracocentese.  EnÜeerung  von  500  Grm.  Patient  wird 
mit  den  Zeichen  beginnender  Tubercnlose  entlassen. 

22.  Troussean.  1856.  Glinique  m^d.  L'Union  m^d.  No.  121.  Oct. 
1836.  Ein  27j&hriger  Mann  war  ca.  3  Monate  an  Pericarditis  erkrankt. 
Operirt  durch  Incision  mit  dem  Bistouri;  allmähliche  Dnrchtrennung  der 
Schichten.  Ort:  die  Mitte  der  Dämpfung,  im  Intercostalranm  unterhalb  der 
Brustwarze.  Die  ca.  1000  Grm.  betragende  röthlioh  tingirte  Flüssigkeit 
coagulirte  rasch.  Auf  die  linke  Seite  gelegt,  flössen  noch  weitere  200  Grm. 
einer  citronengelben ,  nur  unvollständig  coagullrenden  Flüssigkeit  aus.  — 
Tod  8  Tage  nach  der  Operation. 

Gleichzeitige  Anwesenheit  von  linksseitiger  Pleuritis  exsudativa.  Auf- 
treten von  Fieber  und  eclamptischen  Anfallen,  denen  der  Patient  erlag. 

Die  Autopsie  ergab  eine  unvollständige  Entleerung  des  pericarditischen 
Exsudates  durch  Verschiebung  und  Verstopfung  der  kleinen  Wunde  des  Herz- 
beutels. Pericarditische  Auflagerungen ;  beginnende  Tubercnlose  der  Lungen. 

23.  Dr.  J.  C.  Warren  und  Dr.  H.  H.  Smith.  1852.  Syst.  of  Surgery 
vol.  II.  p.  207.  Oitirt  von  Pepper»  The  Medioal  News  and  Library,  Maroh 
1S78.  Wiederherstellung,  so  dass  Patient  das  Hospital  verlassen 
konnte.    Weiterer  Verlauf  blieb  unbekannt. 

24.  Vernay.  1756.  Gaz.  hebd.  IIL  p.  793.  1856.  Schmidt*s  Jahrb. 
Bd.  93.  S.  299.  Arbeiter,  23  Jahre  alt;  etwa  1  Monat  krank,  wurde  zweimal 
panctirt.  Explorativtroicart  zwischen  5.  und  6.  Rippe,  Entleerung  von  ca. 
500  Grm.  einer  in  schwachem  continuirlichen  Strahl  abgehenden  Flüssigkeit. 
Wiederholung  der  Function  3  Tage  nach  der  ersten;  keine  langanhal- 
tende  Erleichterung;  Tod  durch  Purpura  haemorrhagica,  die  sich 
allmählich  über  den  ganzen  Leib  ausbreitete. 

Der  zweiten  Function  folgte  in  14  Tagen  die  Paracentese  des  Abdo- 
mens, ohne  Erleichterung  zu  schaffen.  —  Die  Section  ergab  in  dem  stark 
verdickten  Pericard  die  Ansammlung  von  5  Weinflaschen  voll  gelben  Serums; 
Heiz  gross,  stellenweise  mit  Faserstoffgerinnsel  bedeckt  Das  rechte  Ost, 
ven.  verengt  durch  einen  fibrösen  Ring,  in  den  man  nur  die  Kleinfinger- 
kuppe  einfflhren  konnte. 

25.  Wheelhouse.  1866.  Medical  Times  and  Gaz.  Nov.  3.  1866. 
Brit.  med.  Joum.  Oct.  10.  186S.  Schmidt's  Jahrb.  Bd.  134.S.  175.  Mann  von 
26  Jahren,  wurde  nach  2  monatlicher  Krankheit  mittelst  des  Troicart  (am 
oberen  Hand  der  5.  Rippe,  Vs  Zoll  vom  Sternalrand)  punctirt;  Entleerung 
von  ca.  3  Unzen  blassen,  leicht  coagullrenden  Serums.  Heilung.  Die  Peri- 
carditis war  im  Gefolge  eines  acuten  Gelenkrheumatismus  aufgetreten. 

26.  M.  Baizeau.  1868.  Gaz.  hebd.  de  m^d.  et  de  Chirurg.  1868. 
BalL  de  TAcad.  de  m6d.  2.  Nov.  1873.  Ein  Soldat  war  17  Tage  lang  krank 
an  Pericarditis.  Incision  mit  nachfolgender  Function  im  6.  Intercostalranm, 
3  Finger  breit  vom  linken  Sternalrand;  entleert  wurden  400  Grm.  einer  Flüs- 
sigkeit von  der  Beschaffenheit  venösen  Blutes.   Lufteintritt.   Tod  2  Stunden 


472  XXVI.  HiNDEMLANO 

Dach  der  Operation.  Die  Pericarditis  war  entstanden  nach  der  Exstirpation 
einiger  Lymphdrüsen  am  Unterkieferwinkel  ^  bei  der  Aatopsie  fand  man  das 
Herz  und  das  parietale  Blatt  des  Herzbentels  von  fibrinösen  Massen  be- 
deckt,  die  in  einer  kleinen  Menge  blutigen  Sernms  flottirten.  In  der  Pleura 
fanden  sich  450  Grm.  Blut,  welches  aus  dem  Herzbeutel  zu  stammen  schien. 
Baizeau  leitet  dieses  Blut  von  einer  bei  der  Operation  verursachten  Ver- 
wundung des  Herzens  her,  konnte  jedoch  die  Wunde  am  Herzen  nicht,  wobl 
aber  die  des  Pericards  finden. 

27.  Roger.  1868.  Bullet,  de  la  Soci^t^  m^d.  des  hdpit.  t.  VI.  t.  VII. 
1868.  Bull,  de  FAcad.  des  m^d.  2.  Nov.  1875.  L'Union  m6d.  No.  141.  186S. 
Ein  Mädchen  von  1 1  Jahren  litt  über  ein  Jahr  an  dyspnoischen  Beschwer* 
den  mit  den  Zeichen  eines  lange  bestehenden  Exsudates  im  Pericard.  Zwei- 
malige Punction  mittelst  des  Troicart.  Einstich  das  erste  Mal 
im  5.  Intercostalraum,  I V2  Cm.  vom  linken  Stemalrand  entfernt,  das  zweite 
Mal  1  Cm.  nach  aussen  von  der  letzten  Punctionsstelle,  mit  von  unten  nach 
innen  und  oben  geführter  Spitze. 

Bei  der  ersten  Punction  wurden  100  Orm.  rein  venöses  Blut,  bei  der 
zweiten  500  Grm.  einer  bräunlichrothen  serösen  Flüssigkeit  entleert.  Tem- 
poräre Heilung.  Tod  1  Monat  nach  der  zweiten  Punction  durch  hin- 
zutretende Pleuritis. 

Sectionsbefund:  stark  ausgedehntes  Pericard,  von  vascularisirten 
Neomembranen  austapezirt.  Im  Sack  selbst  300 — 400  Grm.  einer  blotig 
gefärbten  eitrigen  Flüssigkeit.  Eine  Wunde  am  rechten  Ventrikel  war  nieht 
zu  finden. 

28.  Derselbe.  1872.  Bull,  de  TAcad.  2.  Nov.  1875.  Knabe  von 
5  Jahren,  seit  5  Monaten  krank.  Punction  mit  einem  capillaren  Troi- 
cart, Aspiration.  Punctionsstelle  im  6.  Intercostalraum,  1  Cm.  unter- 
halb des  Spitzenstosses.  Anfangs  entleerte  sich  seröse  Flüssigkeit,  später 
rein  venöses  Blut.  Vollständige  Heilung  der  Pericarditis,  aber 
Tod  durch  secundäre  Organaffection  des  Herzens.    Herzlähmung. 

Autopsie:  Dilatation  des  Herzens  mit  Insufßcienz  der  Mitralis.  Aus- 
gedehnte Verwachsungen  des  Pericards.  Verletzung  des  Herzens.  Eine  an 
der  Leiche  ausgeführte  Operation  zeigte,  dass  die  Nadel  in  das  Septnm 
ventr.  eingedrungen  und  in  den  rechten  Ventrikel  gelangt  war. 

29.  Derselbe.  1869.  Bull,  et  M^moires  de  la  Soci^t^  mM.  des  Hdpit. 
1868/69.  12jähriges  Mädchen.  Punction  mit  dem  Troicart  im  6.  In- 
tercostalraum und  Entleerung  von  780  Grm.  seröser,  dunkelgelb  geftrbter, 
rasch  coagulirender  Flüssigkeit.  Die  Punction  brachte  grosse  Erleichtemog, 
doch  Tod  anderen  Tages  unter  SufTocationserscheinungen. 

Sectio n.  Wenig  Flüssigkeit  im  Pericard,  pseudomembranöse  Auf- 
lagerungen mit  Tuberkelknötchen.  In  der  Gegend  der  Herzspitze  partielle 
Verwachsungen  der  Pericardialblätter.  Massenhafte 'Fibringerinnnngen  im 
rechten  Ventrikel.  In  dem  rechten  Hauptast  der  Lungenarterie  em  Blot- 
gerinnsel  (Embolus?),  myocarditische  Veränderungen. 

30.  Löbel.  1867.  Bericht  der  k.  k.  Krankenanstalt  Rudolfsstiftnog 
vom  Jahre  1867.  Schmidfs  Jahrb.  Bd.  143.  S.  137.  Pericarditis  als  wahr- 
scheinliche Folge  einer  an  den  rechten  Bronchusstamm  andringenden  ver- 
jauchenden  Bronchialdrflse.     Die  Punctio  pericardii   missglflckte. 

31.  T.  Clifford  Allbutt.    1869.    The  Lancet.  1869.  p.  807.  - 


Paracentesis  Fericardii.  473 

Mm  H.y  27  Jahre  alt,  wnrde  2 mal  puDctirt;  feiner  Trolcart,  5.  Inter- 
eostalraam  ein  Zoll  vom  linken  Stemalrand,  mit  nach  oben  und  innen  ge- 
richteter Spitze.  Entleerung  von  5  Unzen  strohgelben  Serums;  das  zweite 
Mal  eitrige  Trübung  der  entleerten  Masse. 

Tod  durch  ausgebreitete  complicirende  Bronchitis. 

Die  Pericarditis  war  wahrscheinlich  tuberculöser  Natur. 

32.  Ponroy.  1&70.  Oaz.  des  hop.  1S70.  No.  7t.  Ein  21  jähriger 
Mann  litt  längere  Zeit  an  Oppression,  Cyanose,  Fieber,  Anasarka.  Die 
diese  Erscheinungen  hervorrufende  Pericarditis  wurde  unter  Anwendung  des 
Dien lafoy 'sehen  Aspirators  punctirt.  Einstich  6  Cm.  nach  links  von  der 
Mittellinie  des  Stemnm,  1  Gm.  oberhalb  der  unteren  Grenze  der  Dämpfung. 
Die  entleerte  serös-purulente  Flüssigkeit  betrug  800  Grm.  Reconvalescenz 
sehr  protrahirt,  bei  der  Entlassung  noch  sehr  abgems^gert  und  cyanotisch. 
Neben  der  Pericarditis  bestand  noch  gleichzeitig  linksseitige  Pleuritis. 

33.  Mader.  1870.  Wiener  med.  Wochenschrift.  XVIII.  57.  58.  59. 
Eine  Frau  von  68  Jahren  leidet  seit  einigen  Wochen  an  starker  Dyspnoe 
ohne  entzündliche  Erscheinungen.  Die  Ursache  ist  eine  Pericarditis  exsu- 
dativa, die  punctirt  wird.  3  maliger  Einstich  im  3.  Intercostalraum  i  Zoll 
vom  linken  Stemalrand  mittelst  der  Pravaz'schen  Spritze  mit  vergrOsser- 
tem  Saugcylinder.  Die  Canüle  wird  jedesmal  mit  entfernt.  14  Tage  später 
zweite  Punction  auf  ebensolche  Weise. 

Tod  nach  der  zweiten  Punction,  welche  nur  wenig  Erleichterung  ge- 
bracht hatte. 

Section:  Doppelseitige  Pleuritis.  Im  Herzbeutel  auffallend  wenig 
Flüssigkeit.  Zwei  Gruppen  von  Stichpunkten,  als  Residuen  der  Punctions- 
stellen.     Kein  Blutergnss.     Pericard  verdickt,  Auflagerungen,  Tuberkel. 

34.  Fremy.  1871.  Bull.  g^n.  de  th^rap.  Feb.  15.  1871.  Canstatt's 
Jahresber.  1871.  II.  S.  90.  Aspiration  mit  dem  Dieulafoy.  Ent« 
leernng  serös-purulenter  Flüssigkeit.    Heilung. 

35.  M.  Ghairou.  1872.  Bull,  de  l'Acad.  de  M6d.  22.  Octob.  1872. 
Ibid.  19.  Oct.  1875.  Canstatt's  Jahresber.  1875.  II.  S.  163.  Ein  23  Jahre 
alter  Mann,  Soldat,  welcher  ca.  4  Monate  krank  lag,  wird  mittelst  des 
Dieulafoy 'sehen  Apparats  operirt.  5.  Intercostalraum  2  Gm.  einwärts 
der  Brustwarze;  entleert  wurden  etwas  mehr  denn  1000  Grm.  eines  roth- 
gefärbten  Serums  mit  reichlichen  Fibrinflocken.  Tod  7  Wochen  nach  der 
Function;  sehr  heftige  unstillbare  Diarrhöen. 

Die  Diagnose  war  auf  die  Anwesenheit  von  Tuberkeln  gestellt.  Erguss 
in  die  linke  Pleurahöhle;  Thoracocentese :  1430  Grm.  Flüssigkeit. 

Die  Nekroskopie  ergibt  eine  ungeheure  Ausdehnung  des  Pericards  und 
bestätigt  das  Vorhandensein  von  Tuberkeln  in  den  Lungen. 

36.  Maciaren.  1872.  Edinb.  med.  Jonm.  Juni  1872.  XVII.  p.  1091. 
Schmidts  Jahrb.  Bd.  162.  Arbeiter,  27  Jahre  alt,  leidet  seit  3 — 4  Wochen 
an  Kopfschmerzen,  Athemnoth,  leichtem  Fieber.  Die  bestehende  Pericar- 
ditis wird  operirt,  durch  einen  Schnitt  im  5.  Intercostalraum,  IV2  Zoll 
vom  linken  Sternalrand  entfernt.  Blosslegung  des  Pericards,  Punction 
mit  dem  Explorativtroicart.  35  Unzen  gelbgrflner  Flüssigkeit.  Tod 
6  Tage  nach  der  Punction.  Die  Erleichterung  durch  die  Punction  war  wegen 
der  gleichzeitig  bestehenden  Pleuritis  nicht  sehr  hervortretend. 

Sectionsbefund:    Pleuritis   exsudativa.     Tuberculosis  pulmonum. 


474  XXVI.  HlHDENLANO 

Pericarditis  exsudativa.     12  Unzen  einer  grüniichbraanen  Flflasigkeit  im 
Herzbeutel.    Pericardium  stark  verdickt. 

37.  8.  Gemell.  1872.  Glasgow  med.  Jonrn.  Nov.  1872.  Ein  junger 
Matrose  wird  mittelst  desTroicarts  und  Aspiration  operirt;  6.  Inter- 
costalraum  nach  innen  von  der  Mamillarlinie  eingestochen.  —  Unvollstftndige 
Entleerung,  nur  tropfenweise,  obgleich  die  Saugspritze  angesetzt  und  die 
Canflle  freibeweglich  war.     Tod  nach  2  Tagen. 

Gleichzeitig  bestand  Hydrothoraz.  Im  Herzbeutel  fanden  sich  bei  der 
Section  630  Grm.  trüber  seröser  Flttssigkeit.  Mehr  oder  weniger  dicke 
Auflagerungen.    TuberkelknOtchen  in  der  Pleura  und  im  Pericard. 

38.  Jürgensen.  1872.  v.  Ziemssen's  Handb.  Bd.  V.  8.134.  2.  Auf- 
lage. Ein  6  Jahre  alter  Knabe  war  an  cronpöser  Pneumonie  erkrankt. 
Am  15.  Krankheitstage  Nachweis  einer  Pericarditis  exsudativa,  deren  be- 
denkliche Symptome  zu  einem  operativen  Eingriff  führten.  Punction  und 
Aspiration  von  220  Ccm.  dickem  Eiter.  Zweite  Punction  ex  indica- 
tione  vitae  3  Tage  nachher.  Die  Canüle  bleibt  liegen.  Ausspülung  mit 
Iprocentiger  Kochsalzlösung.  Tod  4  Tage  nach  der  zweiten  Punction 
unter  schweren  Gehirnsymptomen. 

Sectionsbefund:  Eitrige  Pericarditis ;  theil weise  Verwachsungen  der 
beiden  Pericardialblätter.  Eitrige  Meningitis  der  Basis  und  Convexitit. 
Thrombose  der  Vena  cava  sup.  oberhalb  des  Vorhofs.  Dieselbe  setzt  sich 
bis  in  den  Sinus  sigmoideus  sinister  und  Sinus  transversus  derselben  Seite 
hin  fort. 

39.  Bouchut.  1873.  Gaz.  des  hdp.  142—145.  1875.  Bei  einem 
Mädchen  von  1 1  Jahren  besteht  seit  6  Wochen  eine  linksseitige  Pleuritis, 
zu  der  eine  Pericarditis  exsudativa  hinzutritt.  Operation.  Im  Ganzen 
8  Punctionen,  jeweils  im  5.  Intercostalraum,  U/a  Cm.  vom  linken  Sternal- 
rand  entfernt.  Das  erste  Mal  wurden  320  Ccm.  gelblich-trübe  Flüssigkeit, 
das  zweite  Mal  400  Grm.  röthlicher  schlaff  gerinnender  Flüssigkeit,  bei  der 
fünften  80  Grm.  fast  reines  Blut  entleert.  Die  achte  Punction  lieferte  an- 
fangs nur  etwas  schaumiges  Serum ,  bei  tieferem  Einstechen  jedoch  reines 
Blut  in  vollem  Strahl.  Einmal  nach  der  zweiten  Punction  trat  ein  heftiger 
Frostanfall  auf;  die  späteren  Operationen  ohne  unmittelbare  Erleichterung. 
3  Tage  nach  der  achten  Punction  Tod. 

Section:  800  Grm.  seröse  chocoladefarbene  Flüssigkeit  im  Herz- 
beutel. Pericard  verdickt;  von  den  Einstichen  in  das  Herz  keine  Spar 
mehr  zu  finden;  starke  Auflagerungen  auf  das  Herz. 

40.  Villeneuve.  1873.  Archiv.  m6d.  beiges.  1875.  Marseille  med. 
Revue  de  tb^rap.  m^d.  et  chir.  1875.  The  London  medical  Record.  1875. 
Kind  von  5V2  Jahren,  wird  mit  dem  Dieulafoy 'sehen  Aspirator  punctirt 
und  2  Spritzen  voll  klaren  gelblichen  Serums  entleert  Heilung  langsam; 
die  Stichöffnung  schloss  sich  nicht  und  es  sickerte  beständig  Flüssigkeit 
nach.  Das  Serum  wurde  allmählich  trüb  eitrig  und  hielt  die  Eiterung  wäh- 
rend 5  Monate  an.  Ein  Abscess,  der  sich  an  der  Wunde  gebildet  hattet 
wurde  incidlrt.  6  Monate  nach  der  Operation  war  die  Wunde  definitiv 
geschlossen. 

41.  Dr.  Lyon.  1874.  New -York  med.  Record.  April  1876.  Med. 
Comm.  of  the  Connecticut  Med.  Society  1875.     Zweimalige  Function  bei 


Paracentesis  Pericardii.  475 

einem  31jährigen  Mann  Id  einem  Zwischenräume  von  7  Tagen;  eitriges  Ex- 
sudat.   Tod  16  Tage  nach  der  ersten  Pnnetion. 

42.  Ferrari  Bravo  und  Valtosta.  1874.  Giornale  Veneto  di 
Scienze  Med.  Mars  1875.  Tbe  London  med.  Record.  1875.  p.  275.  Ein 
35 jähriger  Mann,  der  lange  Zeit  an  Malaria  erkrankt  war,  an  Husten^ 
copidsem  Auswurf,  Anschwellung  der  Glieder,  Pleuritis  exsudativa  (die  drei- 
mal punctirt  wurde)  und  Ascites  (ebenfalls  punctirl)  litt,  wurde  femer  wegen 
des  hinzugetretenen  Pericardialergusses  (Hjdropericard)  operirt.  Das  Ope- 
ratioDsverfahren  bestand  in  Incision  durch  Erheben  einer  Hautfalte  über 
dem  5.  Intercostalraum  und  Einschnitt  parallel  mit  der  Rippe  in  der  Mitte  des 
Intercostalraumes,  2/5  Zoll  vom  Stemum  beginnend ;  successive  Trennung  der 
Maskellagen.  Punction  mit  dem  Troicart.  Entleert  wurden  10  Unzen 
Flassigkeit.     Tod.     Die  Autopsie  ergab  Tuberculose  der  Lungen. 

43.  F.  H.  Bartleet.  1874.  Lancet  Dec.  1874.  Schmidfs  Jahrb. 
Bd.  166.  In  Folge  eines  acuten  Gelenkrheumatismus  acquirirte  ein  dOjäh- 
riger  Mann  eine  Pericarditis,  die  noch  durch  eine  linksseitige  Pleuritis  com- 
pllcirt  wurde.  Punction  im  4.  Intercostalraum,  2  Zoll  nach  aussen  von  der 
SternalmittelliDie ;  durch  Aspiration  wurden  14  Unzen  einer  hämorrhagi- 
schen Flüssigkeit  von  dem  specifischen  Gewicht  1024  entleert.  Grosse 
Erleichterung  und  Besserung  schon  in  der  ersten  Nacht.  Vollstän- 
dige Heilung  nach  4  Wochen. 

44.  Moore.  1875.  Brit.  med.  Journal  19.  Juni  1875.  Ein  13jähriger 
Knabe  wird  wegen  Pericarditis  6  mal  punctirt.  Erste  Punction  mit  Aspi- 
ration im  5.  Intercostalraum,  dicht  nach  innen  von  der  Stelle  des  Spitzen- 
Btosses  und  Entleerung  von  21  Unzen  eitriger  Flüssigkeit.  Zweite  Punction 
35  Unzen.  Dritte  Punction  mit  60  Unzen  Eiter  und  nachfolgender  Injection 
von  Jodtinctur.  Lnfteintritt.  Den  übrigen  3  Functionen  folgte  ebenfalls  je- 
weils eine  Injection  von  Jodtinctur.  Nach  der  sechsten  Punction  Eiterung 
oberhalb  des  rechten  Trochanters;  schnelle  Verschlimmerung,  Peritonitis, 
Erbrechen,  Diarrhöen,  Tod. 

Die  Autopsie  ergab:  Herzbeutel  ausgedehnt,  die  sehr  verdickten 
Wandungen  sind  mit  reichlichen  eitrigen  Massen  bedeckt.  Hinterer  rechter 
Lnngenlappen  vollständig  comprimirt  und  nach  der  Wirbelsäule  gedrängt, 
Herzmusculatur  blass,  verfettet.  Im  Abdomen  geringe  Mengen  Flüssigkeit. 
Peritoneum  stark  injicirt,  stellenweise  mit  eitrigen  Massen  bedeckt. 

45.  C.J.Nixon.  1876.  Doubl.  Journ.  of  med.  Sc.  Juni  1876.  Can- 
statfs  Jahresb.  1876.  II. 

46.  Burder  (operirt  von  Thomas  Elliot).  1876.  Lancet  Jan.  1870. 
p.  50.  Ein  Mann  von  60  Jahren  litt  wiederholt  an  Gelenkrheumatismus. 
Der  Kranke  war  sehr  heruntergekommen,  Anasarca,  grosse  Dyspnoe,  schwa- 
cher Puls  bei  ausgedehnter  Pericarditis  exsudativa.  Aspiration  mit  dem 
Dieulafoy  zwischen  5.  und  6.  Rippe,  1  Zoll  nach  rechts  von  der  linken 
Brustwarze.  Entleerung  von  42  Unzen  einer  klaren  serösen  Flüssigkeit. 
Erleichterung  schon  einige  Stunden  nach  der  Operation,  fortschreitende 
BeaseruDg,  so  dass  Patient  einige  Monate  nachher  entlassen  werden  konnte, 
um  poliklinisch  weiter  behandelt  zu  werden. 

47.  Dr.  Welch.  1876.  Trans,  of  Arkansas  Stat.  Medic.  Society. 
Americain  Joum.  of  Med.  Sciences  Jan.  1877.    Operation  mittelst  Aspiration 


476  XXYL  HiKDENLÄNa 

nnd  Entleerung  von   2S  Unzen   eines  pnrnlenten  Exsudates.     Tod  nach 
wenigen  Tagen. 

48.  Hunt.  1876.  Lancet  1877.  p.  343.  EUen  B.,  1 6  Jahre  alt,  litt 
wiederliolt  an  Gelenkrheumatismus.  Im  Gefolge  einer  neuen  Erkranknog 
Pericarditis  (Salicyibehandlung).  Function  mit  Hohlnadel  im  5.  Inter- 
costalraum  und  Aspiration ;  entleert  wurden  wenige  Drachmen  seröser  Flfls- 
sigkeit,  später  etwas  Blut.  Wenig  Erleichterung.  Tod  unter  hohem  Fieber 
und  frequentem  schwachem  Puls. 

Section.  Starke  Ausdehnung  des  Herzbeutels,  Inhalt  ca.  14  Uuzes 
klaren  Serums.  Stichpunkte  deutlich  zu  sehen;  auf  dem  Herren  fibrinöse 
Auflagerungen.  Die  Pericardialblätter  an  der  hinteren  Fläche  verklebt  aod 
schwer  zu  trennen.  Herz  vergrössert,  dilatirt,  der  freie  Rand  der  MitraÜB 
bedeckt  mit  feinen  Granulationen,  an  der  Unterfläche  nehmen  die  Grana- 
lationen  das  Aussehen  beginnender  Ulceration  an.'  Ebenso  waren  auch  Vege- 
tationen an  der  Aortaklappe. 

49.  Willam  Popper.  1878.  The  medic.  News  and  Library.  Phila- 
delphia March  1878.  No.  423.  Sarah  C,  17  Jahre  alt,  wurde  mit  der 
feinsten  Hohlnadel  des  Dieulafoy 'sehen  Apparates  punctirt  im  5.  Inter- 
costalraum,  1  Zoll  einwärts  von  der  Mammillarlinie.  Die  Nadel  wurde  nach 
aufwärts  und  einwärts  eingestossen,  nach  dem  Eindringen  ins  PeriCard  etwas 
nach  unten  und  aussen  gerichtet.  Entleert  wurden  über  8  Unzen  blutig 
tingirte  ei weissh altige  Fltissigkeit.  Heilung  5  Monate  nach  der  Operation, 
jedoch  gefolgt  von  Hydrops  der  unteren  Extremitäten.  Ascites  und  doppel- 
seitige Pleuritis.  (Reibegeräusch.)  Zur  Zeit  der  Berichterstattung  BesseruBg, 
doch  Verdacht  auf  Tuberculose  ausgesprochen. 

50.  Donald  Macleo d.  1874.  Glasgow  Med.  Joum.  1877.  Juli. 
Centralblatt  für  Chirurgie  1877.  Bd.  49.  S.  813.  Patient,  23  Jahre  alt, 
wurde  dreimal  punctirt  mittelst  des  Apparates  von  Dieulafoy  im  5.  Inter- 
costalranm,  2  Finger  breit  vom  Sternalrand.  Nach  der  ersten  Entleerung 
von  600  Grm.  blutig  tingirten  Serums  augenblicklich  vorzüglicher 
Erfolg:  Puls  wurde  regelmässiger,  die  durch  das  Exsudat  comprimirt 
gewesene  Lunge  (welche?  wo?)  dehnte  sich  wieder  aus,  bedeutende  Besse- 
rung des  subjectiven  Befindens.  Auch  nach  der  zweiten  Punction  (900  Grm.) 
Besserung  mit  abermaliger  Verschlechterung  nach  einigen  Tagen,  so  dass 
1 1  Tage  später  die  dritte  Operation  nOthig  wurde  (450  Grm.).  Wiedemm 
kurzdauernde  Erleichterung,  doppelseitiges  Pleuraexsudat ,  Tod  3  Tage 
nach  der  dritten  Punction. 

Ein  von  Trousseau  in  seiner  Clinique  m^d.  angeführter  Fall  von 
Paracentesis  Pericardii  von  Bowditch  ist  nach  den  Mittheilnngeo  too 
S.  William  Pepper  (s.  No.  49)  nie  ausgeführt  worden. 

Die  Paracentese  des  Pericards  wurde  nach  vorstehender  Zusam- 
menstellung in  6  Fällen  nur  versucht ,  in  65  Fällen  wirklich  ausge* 
führt.  Dabei  ist  die  nicht  ganz  sichere  Zahl  der  bei  Pericarditis 
scorbutica  gemachten  Operationen  mit  einbegri£fen. 

Um  einen  Ueberblick  zu  bekommen  über  den  Erfolg,  der  bis- 
her durch  diese  Operation  erzielt  wurde,  müssen  wir  natürlich  solcbe 
Fälle  ausschliessen,  über  die  in  der  Literatur  in  diesem  Punkte  keine 


Paracentesis    Fericardii.  477 

oder  nur  zweifelhafte  Angaben  zu  finden  sind,  ferner  auch  solche, 
bei  denen  die  Operation  unvollendet  blieb. 

Zu  diesen  letzteren  gehören  die  Fälle  1,  2,  6,  16,  18,  20,  30,  45, 
BO  dass  wir  hier  mit  einer  Zahl  von  65  Fällen  zu  rechnen  haben 
werden.  Von  diesen  sind  2r(3,  4,  8,  9,  10,  11,  12,  13,  14,  17,  19, 
21,  23,  25,  28,  32,  34,  40,  43,  46,  49)  mit  mehr  oder  weniger 
Tollständiger  Genesung  zu  verzeichnen. 

Ohne  Erfolg  wurde  in  44  Fällen  (5,  1,  15,  22,  24,  26,  27,  29, 
31,  33,  35,  36,  37,  38,  39,  41,  42,  44,  47,  48,  50,  dazu  noch  23  mal 
bei  Scorbut)  die  Operation  vollständig  ausgeführt. 

Hieraus  würde  sich  zu  Gunsten  der  Operation  ein  Procentsatz 
TOD  83,3  Proc.  herausstellen. 

Getrttbt  würde  diese  immerhin  günstige  Statistik  werden,  würden 
wir  hier  die  späteren  Zustände  der  einzelnen  Patienten,  wenn  sich 
dieselben  auch  auf  die  fiberstandene  Pericarditis  zurückführen  lassen, 
hier  mit  in  Rechnung  bringen.  Es  ist  wohl  berechtigt,  wenn  wir 
Ton  dem  Erfolg  der  Paracentese  des  Pericards  reden,  auch  nur  die 
auf  die  Pericarditis  ausgeübte  Wirkung  zunächst  zu  berücksichtigen. 

Unvollständig  wurde  der  Erfolg  der  Operationen  oft  durch  die 
Becundär  hinzugetretenen  Gomplicationen.  Unter  diesen  nimmt,  wor- 
auf schon  Ar  an  und  Trousseau  aufmerksam  machten,  die  Tuber- 
colose  als  Folgezustand  lange  bestehender  Exsudate  die  erste  Solle 
ein.  So  finden  wir  in  Fall  8  (Eyber)  den  von  seiner  Pericarditis 
geheilten  Kranken  später  an  Tuberculose  zu  Grunde  gehen;  ebenso 
wird  im  Fall  19  (Aran),  21  (Trousseau),  49  (William  Pepper) 
beginnende  Tuberculose  vermuthet  oder  constatirt. 

Auch  die  verschiedenen  Autopsien  ergaben  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  die  gleichzeitige  Anwesenheit  von  Tuberculose.  So  in  den 
Fällen  15,  22,  29,  31,  33,  35,  36,  37,  42. 

In  zweiter  Reihe  erst  bilden  secundäre  Herzaffectionen, 
in  einer  weiteren  intercurrente  Krankheiten  den  Grund  eines 
schliesslich  doch  ungünstigen  Ausganges. 

Ist  es  erlaubt,  aus  dieser  immerhin  noch  kleinen  Zahl  von  Be- 
obachtungen Schlüsse  zu  ziehen  auf  den  Werth  der  Operation,  so 
müssen  wir  den  Erfolg  der  Operation  einen  günstigen  nennen  und 
dürften  die  Ansichten  über  die  Operation,  wie  dieselben  in  manchen 
Hand-  und  Lehrbüchern  sich  ausgesprochen  finden,  einigermaassen 
modificirt  werden.  Da  und  dort  findet  man  die  Paracentese  des  Peri- 
cards blos  als  ein  Palliativmittel  angegeben.  Unsere  Zusammenstel- 
lang  belehrt  uns  eines  Anderen.  Ja  wäre  auch  die  Zahl  der  ge- 
machten  Operationen  und  unter  Riesen  die  Zahl  der  günstigen  Re- 


478  XXYI.  HlMDBtlLAMG 

sultate  nicht  so  gross,  wie  sie  jetzt  schon  ist,  dürfte  doch  mit  Recht 
dieser  Operation  der  Beiname  einer  lebensrettenden,  eines  wirklichen 
Heilmittels  gegeben  werden. 

Die  einzig  richtige  Würdigung  wird  der  Werth  der  Operation 
erfahren,  wenn  man  ihre  Anwendbarkeit  auf  die  einzelnen  Formen 
der  Pericarditis  betrachtet. 

In  acuten  Fällen  von  idiopathischer  oder  seoundftrer  Pericar- 
ditis wird,  wenn  durch  schnelles  Ansteigen  und  die  Menge  des  Ex- 
sudates  äusserste  Lebensgefahr  vorhanden  ist,  die  Operation  unter 
derlndicatio  vitalis  sofort  vorgenommen  werden  müssen.  Bei  chro- 
nischen Formen  wird  die  Function  dann  mit  Erfolg  vorgenommen 
werden,  wenn  trotz  einer  geeigneten  medicamentdsen  Behandlung 
die  Resorption  des  Ergusses  zögert  Auch  in  den  Fällen  von  Peri- 
carditis haemorrhagica  bei  Scorbut,  Morbus  maculosus  ist  die  Opera- 
tion sowohl  unter  der  Indicatio  vitalis,  wie  auch  als  ein  die  Resorp- 
tion beschleunigendes  und  den  Kräfte*  und  Ernährungszustand  in- 
direct  hebendes  Mittel  indicirt 

Bei  Hydropericardium  kann  die  Paracentese  ebenfalls  er- 
forderlich werden ;  doch  muss  zugegeben  werden,  dass  wohl  hier  die 
Operation  meist  nur  ein  Palliativmittel  sein  und  bleiben  wird.  Aber 
auch  hier  darf  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass  durch  die 
Wegnahme  des  Exsudats  aus  dem  Herzbeutel  möglicherweise  der 
vorhandene  Circulus  vitiosus  durchbrochen  werden  könnte,  and  so- 
mit indirect  die  Operation  doch  einen  mehr  oder  weniger  gtlnstigen 
Einfluss  auf  die  Primäraffection  ausüben  kann.  Die  Hauptaufgabe, 
die  die  Operation  hierbei  zu  erfüllen  hat,  ist  die,  der  drohenden  Herz- 
paralyse vorzubeugen.  Denn  die  Insufficienz  in  der  Arbeit  des  Her- 
zens wird  einmal  direct  herbeigeführt  durch  die  Compression  des 
Herzens  durch  das  Exsudat;  sodann  verlangt  die  gleichzeitig  vor- 
handene mehr  oder  weniger  starke  Compression  der  Lunge,  indem 
sie  eine  Verkleinerung  des  Stromgebietes  setzt,  eine  Mehrleistung 
der  Herzkraft.  Dazu  kommen  noch  die  vermehrte  Inanspruchnahme 
der  Athmungsmusculatur  und  etwa  gleichzeitig  bestehendes  Fieber 
als  Umstände  hinzu,  die  noch  weiterhin  das  Herz  belasten. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  betrachtet  würde  auch  die  Punction 
des  Pericards  bei  den  mehr  secundären,  als  Theilerscheinung  anderer 
Erkrankungen  auftretenden  Ergüssen  in  den  Herzbeutel  ihre  Berech- 
tigung finden.  Selbst  auch  in  den  Fällen,  in  denen  von  vorneherein 
ein  dauernder  Erfolg  nicht  erwartet  werden  darf,  wird  doch  der 
unmittelbare  Werth  der  Punction  nicht  unterschätzt  werden  dQrfen. 

Wenn  wir  einem  Kranken,  der  fortwährend  mit  der  höchsten 


Paracentesis  Pericardii.  479 

Dyspnoe  kämpft,  nach  langer  Zeit  auch  nur  eine  ruhige  Nacht  durch 
die  Operation  verschaffen  können ,  so  hat  dieselbe  schon  genug  ge- 
leistet. 

Ein  weiterer  Punkte  der  auch  von  wesentlichem  Einfluss  und 
TOD  nicht  geringer  Bedeutung  ist,  ist  die  Zeit  der  Operation. 

RomerOy  der  erste,  der  durch  die  Operation  günstige  Erfolge 
erzielte,  räth  das  Exsudat  zu  entfernen,  sobald  dasselbe  bestimmt 
nachgewiesen  werden  könne.  In  vielen  Fällen,  in  denen  ein  wirk- 
lich gflnstiger  Erfolg  erzielt  wurde,  war  auch  bald  nach  festgestellter 
Diagnose  die  Function  vorgenommen  worden. 

Wenn  auch  hier  im  Grossen  und  Ganzen  die  für  die  operative 
Behandlung  der  Pleuritis  gegebenen  Vorschriften  (die  ja  auch  noch 
immer  discutirt  werden)  anwendbar  sind,  so  wird  doch  bei  Pericar- 
ditis  exsudativa  mehr  denn  bei  Pleuritis  der  Maassstab  für  die  Zeit 
des  Eingriffs  nach  dem  subjectiven  und  objectiven  Befinden  des  ein- 
zelnen Patienten  angelegt  werden  müssen. 

Die  Indicationen  für  die  Operation  werden  umsomehr  denen  bei 
Pleuritis  näher  kommen,  wenn  bewiesen  werden  kann,  dass  die  Ope- 
ration mit  derselben  Leichtigkeit  und  vor  allem  mit  der  gleichen 
Ungefährlichkeit  ausgeführt  werden  kann,  wie  bei  der  Pleuritis.  Und 
dieser  Beweis  ist  schon  von  verschiedenen  Seiten  geliefert;  beson- 
ders aber  dürfte  unsere  Zusammenstellung  der  ausgeführten  Opera- 
tionen am  meisten  für  die  Unschädlichkeit  des  Eingriffs  und  dessen 
Ungefährlichkeit  sprechen.  In  keinem  der  angeführten  Fälle  ist 
darch  die  Operation  ein  gefahrdrohender  Zustand  herbeigeführt 
worden,  in  keinem  kann  der  Tod  als  durch  die  Operation  herbei- 
geführt und  beschleunigt  angesehen  werden.  Selbst  in  den  wenigen 
Aasnabmen,  in  denen  die  Autopsie  eine  directe  Verletzung  des  Her- 
zens nachwies,  kann  dieselbe  nicht  als  Todesursache  betrachtet 
werden. 

Zum  Schluss  noch  einige  Worte  über  die  Operationsmetho- 
den, wie  solche  vorgeschlagen  und  ausgeführt  wurden.  Diese  lassen 
sich  —  mit  Uebergehung  einiger,  veralteter  unbrauchbarer  Vorschläge 
—  in  3  Hauptgruppen  eintheilen,  nämlich : 

1.  Die  Incision, 

2.  Incision  mit  Function, 

3.  Function. 

Bei  letzterer,  der  Function,  lassen  sich  wiederum  mehrere  For- 
DAen  unterscheiden,  je  nachdem  verschiedene  Instrumente  dabei  in 
Anwendung  kamen,  nämlich: 


480  XXVI.  filNDENLANO 

1.  die  Panction  mit  dem  Troikart, 

2.  die  Panction  mit  der  Hohlnadeli 
beide  mit  oder  ohne  Aspiration. 

Auch  in  den  verschiedenen  Formen  der  dabei  angewendeten 
Instrumente,  ihrer  Grösse,  Dicke,  Form  finden  sich  mannigfache  Ab- 
weichungen. 

Die  Incision  wurde  in  7  Fftllen  ausgeführt  (1,  3,  4,  5, 16,  21, 
22),  indem  successiv  sftmmtliche  Schichten  durchtrennt  und  der  Herz- 
beutel dann  angestochen  wurde,  oder  indem  der  letztere  etwas  her- 
vorgezogen und  mit  der  Scheere  eröffnet  wurde. 

Die  Incision  mit  der  Function  combinirt  wurde  in  3  Fällen 
(26,  36,  42)  ausgeftthrt.  Zuerst  wurde  der  Herzbeutel  freigelegt  und 
dann  die  Function  mit  dem  Troikart  vorgenommen. 

Der  Troikart  kam  19  mal  zur  Anwendung.  Zum  Theil  wur- 
den dabei  noch  Apparate  verwendet,  die  den  Eintritt  der  Luft  ver- 
hindern sollten,  wie  der  Schuh'sche  Trogapparat,  oder  fthnliche 
nach  dessen  Vorbild  construirte  Instrumente,  oder  es  wurde  ohne 
solche  Vorsichtsmaassregeln  dem  Exsudat  freier  Abfluss  gestattet. 

Zweimal  wurde  der  Troikart  auch  mit  dem  Aspiratenr 
in  Verbindung  gebracht  Auch  in  unserem  Fall  wurde  bei  der  2.  und 
3.  Function  der  Troikart  an  Stelle  der  zuerst  verwendeten  Hohlnadel 
gesetzt. 

Die  Hohlnadel  wurde  nur  in  Verbindung  mit  dem  Aspiratenr 
gebraucht  und  in  11  Fällen  in  Anwendung  gezogen. 

Einmal  (Fall  33)  wurde  die  Fravaz'sche  Spritze  mit  vergröa- 
sertem  Saugcylinder  benutzt  und  bei  jeder  Füllung  wieder  aufs  Nene 
eingestossen. 

Um  den  Nachtheil  der  scharfen  Spitze  der  Hohlnadel  oder  des 
Troikart  und  die  Gefahr  einer  Verletzung  des  Herzens  durch  die- 
selbe zu  vermeiden,  sind  verschiedene  Modificationen  angegeben  und 
verwendet  worden,  von  denen  hier  nur  die  von  Fepper  (The  me- 
dical  News  1878.  No.  423)  Erwähnung  finden  möge.  Derselbe  con- 
struirte eine  Doppelhohlnadel,  bei  welcher  nach  dem  Einstich 
die  innere  mit  der  Spitze  versehene. GanUle  zurtlckgezogen  wird,  um 
jede  Möglichkeit  einer  Verletzung  des  Herzens  auszuschliessen.  Popper 
wurde  dazu  wohl  durch  dieselbe  Wahrnehmung  veranlasst,  weiche 
Frof.  Bäumler  bestimmte,  sich  nach  dem  ersten  Versuch  mit  der 
spitzen  Hohlnadel  eines  Troikarts  mit  zurtlckzuziehendem  Stilet  zu 
bedienen,  nämlich  durch  das  Anstreifen  der  rauhen  HerzoberflAche 
an  die  Nadelspitze. 

Dass  die  Function  bei  weitem  am  häufigsten  in  Anwendung 


Paracentesis  Pericardii.  481 

gebracht  wurde ,  spricht  am  meisten  fttr  die  Brauchbarkeit  und  das 
Bationelle  der  Methode,  und  wird  dieselbe  auch  in  Verbindung  mit 
der  Aspiration ,  diesem  ausgezeichneten  unterstützenden  Hülfsmittel, 
in  jedem  Falle  zu  empfehlen  sein.  Ob  nun  diese  letztere  mit  dem 
Dieulafoy 'sehen  Saugapparat,  oder  irgend  einer  anderen  gut  schlies- 
senden  Saugspritze  ausgeführt  wird,  ist  im  Princip  einerlei.  Die  gros- 
sen Yortheile  und  Annehmlichkeiten  der  Aspiration  werden  wohl 
keinem  Zweifel  unterliegen. 

In  einzelnen  Fällen  wurden  nach  Entleerung  des  Exsudats  Aus- 
spülungen oder  Injectionen  von  Flüssigkeiten  vorgenommen. 
Aran  injicirte  mit  günstigem  Erfolge  Jodtinctur,  ebenso  Moore, 
Letzterer  jedoch,  ohne  den  Patienten  retten  zu  können.  Jürgensen 
drainirte  den  Herzbeutel  und  machte  öftere  Ausspülungen  mit  ein- 
procentiger  Kochsalzlösung  bei  einer  eitrigen  Pericarditis. 

Wichtig  ist  Tor  Allem  auch  der  Ort  der  Operation.  Die  ver- 
schiedensten möglichen  Gegenden  am  Thorax  sind  bereits  empfohlen 
worden,  um  den  Herzbeutel  zugänglich  zu  machen.  In  allen  Fällen 
wurde  man  von  dem  Gedanken  geleitet,  wichtige  Gebilde  zu  schonen 
und  möglichst  vor  Verletzung  zu  schützen.  Die  meiste  Furcht  flösste 
eine  etwaige  Verletzung  der  Art.  mammaria  interna,  des  Pleura- 
raumes« der  grossen  Gefässe,  der  Lunge  und  namentlich  des  Herzens 
selbst  ein.  Verschiedene  Vorschläge,  diese  Gefahren  zu  umgehen, 
haben  blos  historischen  Werth,  wie  z.  B.  die  Trepanation  des  Ster- 
num,  die  Besection  von  Rippen,  die  Punction  vom  Epigastrium  aus« 

Die  einzige  für  die  Punction  des  Herzbeutels  geeignete 
Stelle  findet  sich  in  den  Intercostalräumen ,  und  ist  auch  in  fast 
jedem  derselben,  und  zwar  an  den  verschiedensten  Punkten  inner- 
halb derselben  die  Punction  schon  vorgenommen  worden. 

Senac  rietb  zwischen  3.  und  4.  Rippe  den  Troikart  einzusen- 
ken; die  Führungslinie  des  Instruments  soll  dann  nach  dem  Pro- 
cessus xyphoideus  gerichtet  längs  den  Rippenknorpeln  den  Herzbeutel 
erreichen.  Auch  diese  Methode  soll  hier  blos  ihres  historischen  Werthes 
halber  Erwähnung  finden. 

um  speciell  die  Verletzung  der  Art.  mammar.  int.  zu  verhüten, 
ist  die  Wahl  der  Einstichstelle  innerhalb  des  Intercostalraumes  noch 
von  besonderer  Wichtigkeit.  Gemäss  dem  Verlauf  der  Arterie  kann 
die  Punctionsstelle  entweder  nach  innen  von  derselben,  d.  h.  median- 
wärts,  oder  nach  aussen,  lateralwärts  genommen  werden.  Beide  Me- 
thoden sind  ausgeführt  und  empfohlen  worden.  Die  erstere  ist  we- 
niger oft  geübt  und  auch,  um  obigen  Zweck  zu  erreichen,  die  weniger 

OenUches  ArclüT  f.  klln.  Medicln.    XXIV.  Bd.  31 


482  XXYI.  HiNDENLANO,  Paracentesis  PericardiL 

sichere.  Noth wendig  würde  bei  der  Wahl  dieser  Stelle  sein,  die 
Nadel  unmittelbar  am  linken  Rand  des  Stemums  einzusenken« 
Ein  weit  grösserer  Spielraum  ist  gegeben,  wenn  man  die  Ponetioo 
nach  aussen  von  der  Arterie  ausfahrt,  nur  differiren  auch  die 
bei  den  verschiedenen  Operationen  gewählten  Punkte  um  1 — 3  Cm. 
Nach  den  bisher  gemachten  Erfahrungen  wird  sich  also  von  allen 
Operationsmethoden  die  Function  mit  der  Hohlnadel,  oder 
besser  vielleicht  mit  dem  Troikart,  verbunden  mit  der 
Aspiration  am  meisten  empfehlen,  und  hat  sich  als  Einstich- 
stelle der  4.,  5.,  6.  Intercostalraum  je  nach  der  Ausdehnung  und 
Gestalt  der  Herzdämpfung  jeweils  3—4  Cm.  nach  auswärts  vom  lln- 
ken  Stemalrand  als  praktisch  erwiesen. 


XXVII. 

Beitrag  zur  Keontniss  der  ^^psychomotorischen  Centren^' 

im  Gehirn  des  Menschen. 

Von 

Br.  F.  Neelsen, 

AasUtent  un  paibol.  Institut  der  Universität  Boeiock. 

(ffierzu  Tafel  VII.) 

Der  Fall,  welcher  zu  der  nachstehenden  Abhandlung  die  Veran- 
lassung gegeben  hat,  ist  leider  nicht  klinisch  beobachtet  worden. 
Jedoch  bietet  der  anatomische  Befund  zusammen  mit  den  anamnesti- 
Beben  Daten  ein  in  vielen  Beziehungen  so  klares  Bild  und  erlaubt 
so  manche  interessante  Schlussfolgerung,  dass  ich  wohl  hoffen  darf, 
die  Veröffentlichung  desselben  werde  ihr  Scherflein  zur  Klärung  der 
Frage  nach  den  Functionen  der  menschlichen  Hirnrinde  beitragen. 

Am  20.  Januar  d.  J.  wurde  an  das  hiesige  Institut  die  Leiche  eines 
2 7 jährigen  Mannes  zur  Section  übergeben,  welcher  plötzlich  im  epilepti- 
schen Anfall  auf  der  Strasse  gestorben  war.  Der  Betreffende  war  nicht 
in  ärztlicher  Behandlaog  gewesen,  und  man  war  deshalb  betreffs  der  Ana- 
mnese über  seinen  Znstand  in  vita  und  ttber  frtthere  Krankheiten  desselben 
auf  die  Mlttbeilungen  seiner  Angehörigen  angewiesen.  Das  Wenige,  was 
sich  auf  diesem  Wege  ermitteln  Hess,  ist  Folgendes.  Der  Verstorbene  war 
unter  ungflnstigen  Verhältnissen  unehelich  (?)  geboren  und  gleich  nach  der 
Gebart  als  „  Ziehkind  **  bei  fremden  Leuten  untergebracht  worden,  bei  wel- 
chen er  eine  sehr  mangelhafte  Pflege  genossen  haben  soll.  Er  soll  gleich 
nach  der  Geburt  keine  Krankheitssymptome  dargeboten  haben,  soll  vielmehr 
gesund  gewesen  sein  bis  zum  2.  Jahre,  wo  er  anfing  das  Gehen  zu  lernen. 
Um  diese  Zeit  zeigten  sich  zuerst  Störungen  in  der  Motilität  des 
rechten  Beins.  Das  Kind  konnte  auf  demselben  nicht  stehen  und  bald 
das  Bein  gar  nicht  mehr  bewegen.  Der  Arm  war  zuerst  intact.  Erst 
einige  Zeit  später  (wie  lange  nachher  liess  sich  nicht  ermitteln)  wurde 
ancb  die  Hand  und  der  Unterarm  gelähmt.  Es  entwickelte  sich 
schnell  eine  Contractur  der  Hand  und  des  Ellenbogens.  Der  Kranke 
trug  den  Arm  rechtwinklig  gebengt,  die  Hand  und  die  Finger  in  halber 
BeugesteUnng  und  war  ausser  Stande,  mit  denselben  irgend  welche  Be- 
wegung auszuführen.    Bewegungen  im  Schultergelenk  waren  möglich,  aber 

31* 


484  XXVn.  Neelsen 

nur  beschränkt.  Während  also  der  Arm  unbrauchbar  blieb,  besserte 
sich  der  Zustand  des  Beins  insoweit,  dass  der  Kranke  mit  Hfllfe 
eines  Stockes  gehen  lernte.  Er  vermochte  den  Fuss  anzusetzen,  soll  sogar 
zeitweilig  sein  ganzes  Körpergewicht  auf  denselben  haben  stützen  können  (?). 
Dabei  fahrte  er  aber  die  Gehbewegungen  mit  demselben  sehr  nnvollständig 
aus  und  schleifte  ihn  meist  hinterher.  Bei  sonst  kräftiger  Entwicklung  des 
Körpers  blieben  der  rechte  Arm  und  das  rechte  Bein  im  Wachs- 
thum  zurück.  Namentlich  das  geringe  Wachsthum  des  Arms  war  den 
Angehörigen  auffällig,  da  die  Verkürzung  des  Beines  durch  Neigang  des 
Beckens  maskirt  wurde.  Lähmungen  des  Gesichts  oder  der  Hals-  und  Rampf- 
muskeln  sollen  nie  bestanden  haben.  Ebensowenig  Schielen  oder  Seb- 
störungen.  Auch  das  Auftreten  von  Krämpfen  oder  Zuckungen  während 
der  Ausbildung  der  Lähmung  oder  in  der  nächstfolgenden  Zeit  wird  von 
den  Angehörigen  geleugnet 

Der  Kranke  zeigte  als  Kind  gute  Begabung,  lernte  schnell  sprecheo 
und  auch  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  fertig  lesen  und  schreiben,  letz- 
teres natürlich  mit  der  linken  Hand.  Er  lebte  während  seiner  ganzen  Kind- 
heit und  auch  als  Erwachsener  unter  ungünstigen  Verhältnissen  in  Kost 
bei  fremden  Leuten.  Nach  der  Pubertätszeit  traten  zuerst  Krampfan* 
fälle  auf,  welche  vorher  nicht  beobachtet  wurden.  Diese  AnfilUe  werden 
von  den  Angehörigen  so  beschrieben,  dass  der  Kranke  unter  plötzlichem 
Aufschreien  umgefallen  sei  und  Zuckungen  bekommen  habe.  Dabei  habe 
sich  reichlicher  Schaum  vor  dem  Mund  gebildet,  es  sei  häufig  Erbrechen 
eingetreten  und  nach  einigen  Minuten  sei  das  Bewnsstsein  zurückgekehrt, 
ohne  jede  Erinnerung  an  das  Vorgefallene.  Ob  die  Zuckungen  alle  Extre- 
mitäten oder  nur  eine  Seite  betroffen  haben,  war  nicht  zu  eruiren.  —  Zum 
Theil  vielleicht  in  Folge  dieser  häufigen  epileptischen  Anfälle,  zum  Theil 
in  Folge  unmässigen  Alkoholgenusses  verminderten  sich  die  geistigen  Fähig- 
keiten des  Kranken  immer  mehr,  so  dass  er  in  den  letzten  Jahren  seines 
Lebens  halb  blödsinnig  war.  —  Sein  Tod  erfolgte,  wie  schou  oben  bemerkt, 
plötzlich,  ohne  vorhergegangene  neue  Krankheitszeichen,  im  epileptischen 
Anfall 

Die  Sectlon  ergab,  wie  in  sehr  vielen  derartigen  Fällen,  betreffs  der 
nächsten  Todesursache  ein  negatives  Resultat:  Reichliche  Gerinnsel  im 
rechten  Herzen,  Lungenhyperämie,  Hyperämie  der  Bauchorgane;  ausserdem 
die  Zeichen  des  Potatorium,  reichlichen  Panniculus,  massige  Induration  und 
Verfettung  der  Leber  und  Nieren,  starken  Magenkatarrh  mit  oberflächlichen 
Ulcerationen. 

Dagegen  ist  das  Ergebniss  der  Section  von  höchstem  Interesse  dadurch, 
dass  es  über  die  anatomische  Grundlage  und  das  Wesen  der  oben  nach 
den  Mittheilungen  der  Angehörigen  geschilderten  früheren  Krankheit  Aaf- 
schluss  gibt.  —  Ich  theile  den  hierauf  bezüglichen  Theil  des  Sectionsbe- 
richts  zunächst  ausführlich  mit. 

„  Kräftig  gebauter  männlicher  Leichnam.  Haut  glatt,  straff,  am  Rücken 
und  der  Hinterfläche  der  Extremitäten,  sowie  im  Gesicht,  am  Halse  nnd 
oberen  Thorax  mit  lividen  confluirenden  Todtenflecken  bedeckt  Keine  Starre. 
Das  rechte  Bein  kürzer  als  das  linke,  auch  beträchtlich  dünner.  Das 
Becken  in  einem  Winkel  von  ca.  15^  nach  rechts  geneigt.  Der  rechte 
Arm  im  Ellenbogengelenk  rechtwinklig  gebeugt.     Die  Beugung  lässt  sich 


Psychomotorische  Centren.  485 

durch  Zug  nicht  ausgleicheo.  Sowohl  der  Ober-  als  der  Unterarm 
viel  kürzer  und  dfinner  wie  die  entsprechenden  Theile  links ^).  Die 
rechte  Hand  hängt  in  der  für  Extensorenliüimnng  charakteristischen  Weise 
herab  nnd  ist  beträchtlich  kleiner  als  links. 

«Schftd eidecken  dick,  normal.  Das  Schädeldach  zeigt  eine  anfällige 
Asynmietrie.  Die  ganze  linke  Hälfte  desselben  ist  flacher,  schmaler  und 
dem  entsprechend  von  geringerem  Rauminhalt  als  die  rechte.  Vermehrt 
wird  der  Unterschied  in  der  Capacität  beider  Hälften  noch  dadurch,  dass, 
während  rechterseits  der  Schädel  normale  Dicke  zeigt,  links  sich  eine  be- 
trächtliche Verdickung  der  Knochenmasse  mit  Verschwinden  der  Diplofi 
findet.  Am  ausgesprochensten  ist  diese  Verdickung  an  der  linken  Hälfte 
des  Stirnbeins  und  an  einer  groschengrossen  Stelle  auf  der  Höhe  des  linken 
Scheitelbeins  dicht  neben  der  Pfeilnaht.  —  Dura  mater  mit  dem  Schädel 
etwas  fester  verwachsen ;  in  dem  Sinus  dunkle  Gerinnsel  und  flüssiges  Blut; 
Pia  blutreich,  massig  ödematös.  —  Das  Gehirn  zeigt  entsprechend  der 
Schädelform  gleichfalls  ausgesprochene  Asymmetrie ;  die  ganze  linke  Hälfte 
des  Grosshims  ist  kleiner,  die  Gjri  flacher,  namentlich  an  den  Frontallappen 
stark  abgeplattet.  Im  Scheitellappen  dicht  hinter  dem  Gyrus  postcentralis 
eine  narbige  Einziehung  mit  stärkerer,  weit  ausgebreiteter  Trübung  der 
Pia  in  der  Umgebung.  Ein  Einschnitt  zeigt  an  dieser  Partie  in  der  weissen 
Substanz  und  an  Stelle  der  grauen  Rinde  gelegen  einen  über  kirschengrossen 
abgekapselten  Herd  von  weisser  Farbe,  welcher  mit  einem  trockenen  mörtel- 
fthnlichen,  beim  Durchschnitt  knirschenden  Brei  gefüllt  ist.  Das  Gehirn 
wird  vorläufig  nicht  weiter  zerschnitten.  —  Rückenmarkshäute  unver- 
ändert, Rückenmark  von  mittlerem  Blutgehalt,  zeigt  makroskopisch  eine 
deutlidie  Volumverschiedenheit  beider  Hälften;  die  rechte  ist  bedeutend 
kleiner,  namentlich  die  Seitenstränge  erscheinen  verdünnt;  zugleich  ist  die 
Zeichnung  der  grauen  Substanz  hier  undeutlicher.*' 

Gehirn  und  Rückenmark  werden  in  Ammonium  bichrom.  und  darauf 
in  Alkohol  gehärtet  und  dann  die  weitere  Untersuchung  vorgenommen. 
Dieselbe  bezog  sich  zunächst  auf  die  genaue  Feststellung  des  Sitzes  jenes 
oben  beschriebenen  Herdes. 

Wenn  man  die  beiden  durch  einen  Horizontalschnitt  abgetrennten  Hemi- 
sphären, wie  sie  unsere  genau  nach  der  Photographie  gezeichnete  Abbildung 
Figur  1  darstellt,  mit  einander  vergleicht,  so  ftlllt  sofort  eine  Asymmetrie 
in  der  Configuration  ihrer  Windungen  auf.  Der  leichteren  Orientirung  wegen 
sind  auf  der  Abbildung  die  einzelnen  Lappen  durch  verschiedene  Farben 
bezeichnet,  und  zwar  der  Occipitallappen  violett,  der  Parietallappen  roth 
und  der  Frontallappen  blau.  Man  bemerkt  ohne  Weiteres,  dass  auf  der 
linken  Seite  der  Parietallappen  bedeutend  verkleinert  ist,  und  zwar  durch 


1)  Die  genauen  Maasse  betragen: 

Obere  Extremität  r.  1.  Untere  ExtremltHt                    r.          1. 

Länge  vom  Akromion   bis  Länge* v.  d.  Spin.  ant.  sup.  bis 

zum  Epicondylus  lateralis  28,0  38,5  zum  Malleolus  int.          .    86,0    88,0 

Länge  vom  Epicond.  lat.  bis  Länge  t.  d.  Gelenkspalte  d. 

zum  Proc.  styloid.  radii  .  23,0  27,0  Kniegelenks  b.  z.  Mall,  int    38,0    40,0 

Umfang  des  Hnmerus,  Mitte  24,0  29,0  Umfang  des  Femnr,  Mitte    44,0    50,0 

Umfang  d.  Unterarms,  Mitte  22,0  27,0  „       der  Wade  (grösster)    31,5    36,0 


486  XXYII.  Neelsek 

deo  Ausfall  eines  medialen  Theiles  seiner  Windungen.  An  Stelle  dieses 
Theiles  findet  sich  eine  tiefe  Einsenkung,  welche  am  frischen  Gehirn,  bei 
intacter  Pia  nicht  so  auffällig  war,  da  sie  durch  lockeres  Bindegewebe  tod 
der  Pia  aus  zum  Theil  ausgefüllt  war;  nach  dem  Abziehen  der  Pia  tritt 
sie  deutlich  hervor.  Am  Grunde  dieser  Vertiefung  bemerkt  man  eine  glatte 
graue  Fläche  von  derber  Beschaffenheit,  die  Wand  des  verkalkten  Herdes. 
Eine  Vergleichung  der  Windungen,  welche  diese  Vertiefung  umgeben,  mit 
denen  der  anderen  Seite  beweist,  dass  derselbe  durch  narbige  Zusammen- 
Ziehung  eines  in  früherer  Zeit  grösseren  Defectes  entstanden  ist.  Man  findet 
nämlich  wie  von  vorne  und  von  den  beiden  Seiten  her  die  noch  erhalteoeo 
Gyri  nach  der  Stelle  des  Defectes  hin  verzogen  sind.  Am  auffäUigstai  ist 
diese  Verziehung  an  den  Seiten.  An  der  lateralen  Seite  sehen  wir  als 
höchsten  Punkt  des  linken  Scheitellappens  den  Gyrus  angularis  (a);  ein 
Blick  auf  die  rechte  Hemisphäre  zeigt,  dass  derselbe  bedeutend  medianwirts 
und  nach  vom  dislocirt  ist,  denn  anstatt  hinter  dem  Gyrus  supramargi- 
nalis  sm  und  mit  ihm  in  gleicher  Höhe,  wie  auf  der  gesunden  Seite,  liegt 
er  hier  medianwärts  von  demselben,  direct  an  den  mittleren  Theil  der  Post- 
centralwindung  pc  angrenzend.  Fast  ebenso  stark  ist  die  Verziehoog  an 
der  medialen  Seite.  Es  springt  hier  neben  der  Wand  des  Herdes  eine  in 
der  Abbildung  grau  gehaltene  Windung  vor,  ein  Theil  des  Praecnoens, 
welcher  auf  der  gesunden  Seite  in  der  Tiefe  der  Medianspalte  liegt  und 
deshalb  hier  auf  der  Abbildung  nicht  zu  sehen  ist.  —  Aber  auch  an  den 
nach  vorne  gelegenen  Theilen  ist  die  Dislocation  bemerkbar,  und  zwar  er- 
streckt sie  sich  hier  nicht  nur  auf  die  zunächst  angrenzenden  Partien,  son- 
«lern  äussert  ihren  Einfluss  auf  der  ganzen  Hemisphäre.  Bei  oberflächlicher 
Betrachtung  könnte  man  zu  der  Ansicht  kommen,  dass  der  Frontallappen 
der  linken  Seite  gegenüber  dem  der  rechten  hypertrophisch  sei.  Die  Gea- 
tralfurche  liegt  links  weiter  nach  hinten,  als  rechts,  und  die  Ausdehnuog 
in  der  Sagittalen  ist  also  in  Wahrheit  beträchtlicher.  Eine  genauere  Ver- 
gleichung lässt  jedoch  ohne  Schwierigkeit  erkennen,  dass  diese  grössere 
Längenausdehnung  aufgewogen  wird  durch  die  Verminderung  der  Breite  and 
Höhe  der  Windungen.  Wir  haben  hier  denselben  Process  wie  bei  einem 
in  die  Länge  gezogenen  elastischen  Bande,  welches  entsprechend  der  Ver- 
längerung in  einer  Dimension  in  den  beiden  anderen  sich  verkürzt.  —  Am 
Occipitallappen  ist  die  Verziehung  am  wenigsten  deutlich,  wohl  aus  dem 
Grunde,  weil  der  Defect  genau  mit  der  tiefen  Spalte  der  Fissnra  occipito- 
parietalis  abschneidet  und  demnach  seine  Contraction  nur  ein  Klaffen  dieser 
Spalte  bedingte,  ohne  sich  in  dem  Maasse  wie  an  anderen  Stellen  auf  die 
benachbarten  Gyri  selbst  fortzupflanzen. 

Die  vorstehende  Betrachtung  der  an  den  Defect  angrenzenden  Partien 
ermöglicht  es  nun  zugleich,  die  Ausdehnung  der  fehlenden  Hirnpartien  genau 
zu  bestimmen.  Auch  hier  habe  ich  versucht,  durch  eine  Farbenabstofong 
die  Orientirung  auf  der  Abbildung  zu  erleichtern;  es  sind  nämlich  die  er- 
haltenen Partien  auf  beiden  Scheitellappen  roth  ansgezeichnety  während  der 
auf  der  linken  Seite  fehlende  Theil  rechts  roth  schraffirt  ist.  Wie  ersicht- 
lich entspricht  dieser  Theil  genau  dem  Gyrus  parietalis  superiorpf 
(nebst  der  angrenzenden  Partie  des  Praecuneus).  Diese  Partie  ist  vollständig 
zerstört,  während  die  angrenzenden  Theile  abgesehen  von  ihrer  Dislocatioo 
verhältnissmässig  wenig  verändert  sind.   Nur  der  Gyrus  postcentralis, 


Psychomotorische  Centren.  487 

namentlich  der  obere  Tbeil  desselben,  ist  stärker  alterirt,  er  erscheint  ver- 
schmälert, verschiedentlich  geknickt  und  in  abnorme  Längsfalten  gelegt. 
Ansserdem  ist  anf  der  medialen  Fläche  der  Hemisphäre  der  Lobulus 
paracentralis^)  bedeutend  verkleinert,  schmäler  und  flacher  wie  rechts. 

Nachdem  wir  so  über  die  Ausdehnung  des  Defectes  an  der  Oberfläche 
des  Gehirns  uns  orientirt  haben,  ist  als  zweite  Frage  die  nach  der  Aus- 
breitung desselben  in  die  Tiefe  der  weissen  Substanz  zu  beantworten.  Zur 
Erläuterung  dieser  Verhältnisse  soll  die  Figur  2  (Taf.  VII)  und  die  beiden 
Schemata  Figur  3  und  4  dienen.  Die  erstere  ist  genau  nach  dem  Prä- 
parat (Frontalschnitt  in  der  auf  Figur  1  mit  *  bezeichneten  Linie)  in  natttr- 
licher  Grösse  gezeichnet  und  zeigt  den  Herd,  wie  er  in  der  Leiche  zur  Be- 
obachtung kam,  die  beiden  anderen  in  einen  Sagittal-  und  Frontalschnitt 
eines  normalen  Gehirns  eingetragenen  sollen  die  vermuthliche  Ausdehnung 
der  frischen  Zerstörung  darstellen.  Ich  werde  zu  der  am  Schluss  dieser 
Abhandlung  gegebenen  detaillirten  Erklärung  dieser  Abbildungen  hier  kaum 
etwas  hinzuzufügen  brauchen.  Das  Wichtigste  was  dieselben  zeigen  sollen 
ist  einmal,  dass  die  graue  Rinde  wirklich  in  der  oben  angegebenen  Aus- 
dehnung zerstört  und  nicht  etwa  nur  verdrängt  ist,  wie  das  z.  B.  durch 
einen  von  Dura  oder  Pia  ausgehenden  Tumor  hätte  geschehen  können; 
zweitens,  dass  der  Herd,  welcher  ja  allerdings  recht  weit  in  die  weisse 
Markmasse  hineinragt,  doch  die  grossen  Ganglien  sowie  die  Capsula  interna 
nicht  erreicht.  —  £s  finden  sich  in  diesen  Theilen  nur  geringe  und  erst 
bei  genauerer  Aufmerkß&mkeit  bemerkbare  Veränderungen,  und  zwar  be- 
treffen dieselben  nur  das  eigentliche  Corpus  striatum  und  die  innere  Kapsel. 
Die  letztere  ist  links  deutlich  schmäler  als  rechts,  ohne  jedoch  eine  Ver- 
änderung ihrer  Farbe  darzubieten,  und  ebenso  erscheint  der  linke  Nucleus 
caudatUB,  namentlich  an  seinem  vorderen  Ende,  etwas  verkleinert.  Dagegen 
sind  die  Linsenkerne  und  der  Thalamus  opticus  auf  beiden  Seiten  gleich. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zunächst  des  Herdes  selbst 
ergibt,  dass  der  mörtelartige  Brei  im  Inneren  desselben  zum  grössten  Theil 
aas  Kalkkörnern  und  Cholesterinkrystallen  besteht,  untermengt  mit  sehr 
spärlichen  krystallinlschen  Hämatoidinmassen.  Gewebselemente  lassen  sich 
Dicht  nachweisen  ausser  einzelnen  verzweigten  Kalkbälkchen,  welche  nach 
Salzsänrebehandlung  ein  undeutlich  faseriges  Gerüst  organischer  Substanz 
zurücklassen  und  die  deshalb  wohl  als  obliterirte  verkalkte  Gefässe  zu  deuten 
sind.  —  Dieser  Brei  ist  umschlossen  von  einer  festen  Kapsel,  deren  Innen- 
fläche durch  ein  derbfaseriges  zellenarmes  Bindegewebe  mit  reichlichen  ein- 
gelagerten Kalkkörnern  gebildet  wird.  Nach  aussen  zu  wird  dieses  Ge- 
webe zellenreicher  und  lockerer;  es  finden  sich  ziemlich  zahlreiche,  zum 
Theil  etwas  erweiterte  Gapillaren  und  zwischen  ihnen  erst  spärliche,  dann 
immer  reichlichere  Pinselzellen,  mit  ihren  Fortsätzen  dicht  ineinander  gefilzt. 


t)  Mit  diesem  in  der  deutschen  Nomenclatur  bisher  noch  nicht  völlig  einge- 
bürgerten Namen  bezeichnen  die  ausländischen  Forscher,  namentlich  die  Franzosen 
und  Italiener  diejenige  Rindenpartie,  welche  die  Centralfurche  medianwärts  be- 
grenzt, also  die  obere  resp.  mediale  Commissur  der  beiden  Centralwindungen. 
(vergl.  Charcot,  lieber  die  Localisationen  des  Gehirns.  Deutsch  von  B.  Fetzer. 
Stattgart  1S7S.  S.  38.)  Ich  werde  der  Kürze  halber  diese  Bezeichnung  im  Fol- 
genden immer  anwenden. 


488  XXVn.  Neelsen 

Diese  Zellenmasse  geht  ohne  scharfe  Grenze  in  das  benachbarte  Hinge» 
webe  über. 

Dieses  selbst  zeigt  an  den  verschiedenen  Stellen  eine  verschiedene  Be- 
schaffenheit. Während  die  Strnctur  der  lateralwärts  dem  Herde  aufgelager- 
ten Gyri  (Gyr.  angularis  und  supramarginalis)  keine  bemerkenswerthe  Ab- 
weichung von  der  Norm  zeigt,  sind  die  noch  erhaltenen  Reste  des  Prae- 
cuneus,  namentlich  aber  die  Postcentralwindung  und  der  Lobus 
paracentralis  in  ihrem  histologischen  Bau  hochgradig  verändert.  Das 
Gewebe  derselben  erscheint  sowohl  in  der  eigentlichen  Rindensubstans  wie 
in  der  unter  ihr  liegenden  weissen  Markmasse  derber  und  viel  kemreieher 
als  auf  der  gesunden  Seite.  Weit  auffälliger  als  diese  Veränderung  ist  die 
Atrophie  der  Ganglienzellen.  Von  den  Betz'schen  ^)  Riesenpyramiden  lisst 
sich  in  den  beiden  genannten  Windungen  der  linken  Seite  keine  einzige  mehr 
nachweisen,  während  sie  rechts  an  den  entsprechenden  Stellen  sehr  schdii 
ausgebildet  erscheinen.  Es  finden  sich  zwar  auch  auf  der  linken  Seite  noch 
Ganglienzellen,  namentlich  in  den  oberen  Schichten  der  Rinde;  jedoch  sind 
dies  entweder  runde  Formen,  ohne  Fortsätze 2),  oder  kleine  Pyramideo, 
welche  in  einer  eigenthttmlichen  Weise  degenerirt  erscheinen.  Unsere  Figur  11 
(Taf.  VU)  gibt  ein  Beispiel  dieser  Veränderung.  —  Dieselbe  entspricht  ziem- 
lich genau  dem  von  Meyer  3)  beschriebenen  Schrumpfungsprocess  bei  De- 
mentia paralytica.  Unter  zunehmender  Verkleinerung  der  Zelle,  besonders 
in  ihrem  Breitendurchmesser,  wird  das  Protoplasma  erst  grobkörnig,  stark 
lichtbrecbend ;  der  Kern  wird  durch  diese  Veränderung  des  Protoplasma 
verdeckt.  „Endlich  schwindet  das  Protoplasma  ganz  und  Kern  und  Zelle 
verschmelzen  zu  einer  schmalen  sehr  resistenten  Scholle,  welche  indess  io 
ihren  Fortsätzen  noch  ihren  Charakter  als  ehemalige  Ganglienzelle  bewahrt 
hat.  ^  Verfettung,  Pigmentablagerung  oder  Verkalkung  ist  in  keiner  dieser 
Zellen  nachzuweisen. 

Einen  lebhaften  Contrast  gegen  dieses  Bild  vollständiger  Zerstörung 
bietet  die  Betrachtung  von  Schnitten  aus  der  Präcentralwindung.  Ob- 
gleich diese  makroskopisch  auch  atrophisch  scheint,  bedeutend  schmäler  und 
flacher  als  die  entsprechende  Windung  der  rechten  Seite,  so  ergibt  doch 
die  mikroskopische  Untersuchung  keinerlei  Unterschied  zwischen  beiden.  Die 
Betz 'sehen  Zellen  sind  vielleicht  auf  der  linken  Seite  etwas  spärlicher  vor- 
handen, aber  die,  welche  gefunden  werden,  sind  in  ganz  derselben  Weise 
entwickelt,  sowohl  was  ihre  Grösse,  wie  was  die  Zahl  und  Länge  ihrer 
Fortsätze  anbelangt,  wie  rechts.    S.  Figur  12. 

Die  an  den  Herd  angrenzende  weisse  Substanz  zeigt  überall  ein  mehr 
derbfaseriges  Aussehen  und  einen  grösseren  Reichthum  an  Zellen.  Jedoch 
fehlen  alle  Zeichen,  aus  denen  man  auf  eine  frische  Entzündung  oder  fort- 
schreitende Erweichung  schliessen  könnte. 

Hiermit  wäre  also  die  Beschreibung  des  mikroskopischen  Befundes  sd 
dem  Herd  und  in  dessen  nächster  Umgebung  beendet;  es  erübrigt  noch 
das  Ergebniss  der  Untersuchung  an  den  entfernteren  Theilen  des  Gentral- 


1)  Betz,  Gentralblatt  für  die  med.  Wissensch.  Jahrg.  1874. 

2)  Vergl.  Meynert,  Vom  Gehirn  der  Säugethiere.   Stricker's  Handb.  Bd.  n. 

3)  Die  pathologische  Anatomie  der  Dementia  paralytica.    Virchow*B  Archiv. 
Bd.  58.  B.  300. 


Psychomotorische  Centren.  489 

nervensystems  kurz  za  schildern.  In  Bezog  anf  das  Rückenmark  be- 
stätigte die  mikroskopische  Beobachtung  die  schon  bei  der  Section  gestellte 
Diagnose  auf  secundftre  (absteigende)  Degeneration  der  Pyramiden- 
bahnen  der  rechten  Seite,  d.  h.  es  fand  sich  in  diesen  Bahnen  eine  Wuche- 
ruDg  des  interstitiellen  Bindegewebes  verbunden  mit  Schwand  der  Nerven- 
fasern. In  den  Figuren  6 — 9  sind  die  so  veränderten  sklerotiBchen  Stellen 
durch  rothe  Farbe  angedeutet.  0  Ein  Blick  auf  diese  Figuren  zeigt  jedoch, 
dass  neben  dieser  Veränderung  noch  eine  weitere  Anomalie  vorhanden  ist, 
nämlich  eine  Hypoplasie  der  weissen  Seiten  stränge  rechts,  sowie 
der  weissen  Vorderstränge  links.  Die  betreffenden  Partien  erscheinen 
beträchtlich  dtinner  wie  die  entsprechenden  der  anderen  Seite,  und  zwar 
auch  an  den  Stellen,  wo  keine  Degeneration  sich  findet,  wo  also 
keine  früher  vorhandenen  Fasern  ausgefallen  sein  können.^)  Besonders  auf- 
flilig  ist  dies  an  den  linken  Vordersträngen  der  Figuren  6  und  9  (Taf.  VII), 
sowie  an  den  rechten  Seitensträngen  der  Figuren  7  und  8.  Auffällig  ist 
es,  dass  die  graue  Substanz  des  Rückenmarks  an  dieser  Hypoplasie  resp. 
Atrophie  nirgends  theilnimmt,  wenigstens  soweit  sie  aus  Ganglienzellen  be- 
steht. An  keinem  Querschnitt  ist  irgend  eine  Abweichung  von  der  Norm 
weder  in  Bezug  auf  die  Grösse  noch  auf  die  Form  und  Anzahl  der  Gang- 
lienzellen in  den  Vorder-  und  Hinterhörnern  beider  Seiten  nachzuweisen. 
Es  erscheint  allerdings  auf  den  Querschnitten  in  Figur  7  und  8  die  graue 
Masse  des  rechten  Vorderhorns  kleiner  als  die  des  linken.  Ob  dieses 
Bild  durch  Zerrung  in  Folge  der  Atrophie  der  weissen  Stränge  entstanden 
ist,  oder  durch  den  Ausfall  von  Nervenfasern  in  der  grauen  Substanz  selbst, 
lasse  ich  dahingeatellt.  Eine  Atrophie  oder  Degeneration  der  Ganglienzellen 
ist  an  diesen  Stellen  ebensowenig  nachzuweisen  wie  eine  Verminderung  ihrer 
Zahl.  Was  die  Degeneration  der  weissen  Stränge  betrifft,  so  wird  gleich- 
falls ohne  Weiteres  aus  der  Betrachtung  der  Figuren  erhellen,  dass  die- 
selbe sich  nicht  über  das  gesammte  System  der  Pyramidenbahnen  erstreckt, 
sondern  auf  jedem  Querschnitt  nur  einen  Theil  derselben  einnimmt.  Dabei 
ist  noch  ein  Umstand  auffällig^  dass  nämlich  in  der  Hals-  und  Lendenan- 
schwellung die  degenerirten  Fasern  nur  in  den  Seitensträngen  (den  gekreuzten 
Pyramidenbahnen  nach  Flechsig)  verlaufen,  während  im  Brustmark  ein 
Theil  derselben  auf  die  entgegengesetzten  Vorderstränge  (die  nngekreuzten 


1)  Die  betreffenden  Abbildungen,  welche  Querschnitten  der  Halsanschwellung, 
des  mittleren  Brustmarks,  des  unteren  Brustmarks  an  der  Grenze  des  Lumbal- 
marks  und  der  Lendenanschwellung  entsprechen,  sind  mit  dem  Zeichenprisma  bei 
3facher  Vergrösserung  gezeichnet  Die  Dimensionen  der  einzelnen  Theile,  sowie 
der  degenerirten  Partien  entsprechen  genau  denjenigen  in  den  betr.  Präparaten. 

2)  Natürlich  wird  jedes  Fasersystem,  von  dem  ein  Theil  sklerotisch  degenerirt 
ist,  in  toto  verdünnt  erscheinen.  Diese  Verdünnung  wird  aber  immer  der  Menge 
der  ausgefallenen  Fasern  entsprechen ,  oder  vielmehr  etwas  weniger  betragen ,  als 
man  nach  der  ausgefallenen  Faserzahl  erwarten  könnte,  da  das  wuchernde  Binde- 
gewebe den  leeren  Raum  zum  Theil  ausfüUt  Ist  die  Verdünnung  grösser,  als  man 
nach  der  Ausdehnung  der  degenerirten  Partie  erwarten  muss,  oder  findet  sich 
eine  solche,  ohne  dass  eine  absolute  oder  relative  Vermehrung  des  Bindegewebes 
nachgewiesen  werden  kann,  so  wird  man  daraus  den  Schluss  ziehen  dürfen,  dass 
an  dieser  Stelle  überhaupt  weniger  Fasern  gebildet  worden  sind. 


490  XXVn.  Nbei^en 

Pyramidenbahnen)  übergeht.     Eine  BrklärnDg  dieses  eigeDthümlichen  Ver- 
haltens vermag  ich  nicht  zu  geben. 

Nach  oben  nach  der  MeduUa  oblongata  läset  sich  die  Degeneration 
ohne  Unterbrechung  verfolgen.  Sie  ist  hier,  wie  Figur  5  zeigt,  in  der  Höhe 
der  Oliven  sehr  deutlich  ausgesprochen  und  bleibt  so  deutlich  während  des 
Verlaafes  durch  die  ganze  Brücke  bis  in  den  linken  Orosshirnsclienkel. 
Hier  nimmt  sie  die  laterale  Partie  der  Basis  ein.  Im  Gehirn  selbst,  in 
der  als  Capsula  interna  bezeichneten  Ausstrahlung  der  motorischen  Bahnen 
ist  es  mir  nicht  mit  Sicherheit  gelungen,  eine  Degeneration  nachzuweiseo, 
obwohl  diese  Partie  links  dem  unbewaffneten  Auge  atrophisch  erschien;  nnd 
es  erscheint  mir  überhaupt  fraglich,  ob  unsere  jetzigen  Methoden  der  Unter- 
suchung es  ermöglichen,  bei  dem  eigenthümlichen  Bau  dieses  Gebietes <) 
degenerirte  Faserzüge  mit  Sicherheit  zu  unterscheiden.  In  dem  linken 
Corpus  striatum,  sowie  in  den  Linsenkemen  und  dem  Thalamus  opticus 
der  linken  Seite  ist  eine  Veränderung  der  Stmctur  nicht  vorhanden.  — 
Dagegen  muss  ich  noch  einer  anderen  Veränderung  in  der  linken  Seite  des 
Gehirns  Erwähnung  thun.  Auf  Horizontalschnitten  durch  das  untere  Ende 
des  Herdes  in  der  linken  Hemisphäre,  welche  zugleich  einen  Theil  des 
Thalamus  opticus  und  den  Eingang  in  das  linke  Unterhom  treffen  (s.  Fig.  13), 
bemerkt  man  eine  circumscripte  etwas  über  linsengrosse  Anhäufung  stern- 
förmiger Ganglienzellen,  welche  vollständig  verkalkt  sind.  Figur  14  unserer 
Tafel  gibt  ein  Bild  dieser  Veränderung,  wi6  es  bei  starker  Vergrössening 
sich  darstellt.  Der  Zellkörper  ist  nicht  verkleinert,  die  Gestalt  noch  an- 
nähernd erhalten,  wenigstens  die  zahlreichen  Fortsätze  noch  deutlich  er- 
kennbar. Das  Protoplasma  der  Zelle,  sowie  die  Fortsätze  dicht  mit  groben 
Kalkkömern  gefüllt,  zwischen  denen  in  einigen  Zellen  der  Kern  noch  zn 
erkennen  ist;  in  der  Mehrzahl  scheint  er  zu  Grunde  gegangen  zo  sein. 
Diese  verkalkte  Ganglienzellmasse  ist  sowohl  von  dem  Herd  in  der  Hemi- 
sphäre, wie  von  dem  eigentlichen  Thalamus  opticus  durch  normale  weisse 
Substanz  geschieden.  Ob  sie  zu  dem  Thalamus  opticus  hinzuzurechnen  ist, 
oder  ein  besonderes  Gebilde  darstellt,  ist  mir  nicht  bekannt;  einen  eigenen 
Namen  besitzt  sie  meines  Wissens  nicht.  Jedenfalls  scheint  die  Degene- 
ration und  Verkalkung  derselben  mit  der  Bildung  des  grossen  Herdes  in 
keinem  causalen  Zusammenhang  zu  stehen,  wie  man  anzunehmen  geneigt 
sein  könnte;  sie  scheint  vielmehr  das  Resultat  eines  davon  unabhängigen 
(vielleicht  gleichzeitigen)  encephalitischen  Processes  zu  sein,  denn  bei  Schnit- 
ten, die  in  einer  etwas  tieferen  Horizontalebene  geführt  sind,  wie  der  ab- 
gebildete, findet  man  nicht  nur  die  Ganglienzellen  allein  verkalkt,  sondern 
auch  das  zwischen  ihnen  und  in  ihrer  nächsten  Nähe  liegende  Gewebe  mit 
Kalkkömern  durchsetzt  und  in  ein  lockeres  Gerüst  umgewandelt,  wie  es 
Huguenin^)  als  Narbe  nach  Encephalitis  beschreibt.  —  Da  dieser,  wie 
gesagt,  etwa  linsengrosse  Herd  ein  Gebiet  betrifft,  dessen  Function  bisher 
nicht  bekannt  ist,  welches  jedoch  mit  den  motorischen  Bahnen  in  keinem 
localen  und  vermuthlich  auch  in  keinem  functionellen  Zusammenhang  steht, 
werden  wir  denselben  in  der  Epikrise  unberücksichtigt  lassen. 


1)  Vergl.  Henle,  Anatomie.  2.  Aufl.  III.  2.  S.  263  ff. 

2)  Encephahtis.    v.  Ziemssen's  Handbuch.  Bd.  XI.  2.  S.  642. 


Psychomotorische  Centren.  491 

Fassen  wir  die  vorstebende  Untersuchung  kurz  zusammen,  so 
finden  wir  als  Resultat: 

Alter,  abgekapselter  Herd  in  der  linken  Hemisphäre  als  Rest 
einer  m  früher  Jugend  aufgetretenen  Affection  mit  Zerstörung  des 
Gyrus  parietalis  superior  und  Atrophie  des  oberen  Theils  der  Fast- 
centralwindung,  sowie  des  Gyrus  paracentralis,  Lähmung  zuerst  des 
rechten  Beines,  dann  des  rechten  Arms^  im  ersteren  sum  Theil  aus- 
geglichen, im  letzteren  persistirend.  —  Atrophie  der  gelähmten  Ex- 
tremitäten, Atrophie  des  rechten  Seitenstranges  und  des  linken  Vor- 
derstrangs im  Rückenmark.  Absteigende  Degeneration  der  Pyramiden- 
bahnen, 

Epikrise.  Die  Frage,  welche  uns  bei  der  Epikrise  zunächst 
beschäftigen  muss,  ist  die  nach  dem  Wesen  der  ursprünglichen  Krank- 
heit Wäre  der  Kranke  in  vita  zur  ärztlichen  Beobachtung  gekom- 
men, 80  hätte  man  vielleicht  die  Diagnose  auf  eine  abgelaufene 
n acute  vordere  Spinalparalyse*'  stellen  können.  Das  Auftreten  der 
Krankheit  in  frtther  Jugend  (im  2.  Jahr),  die  plötzliche  Lähmung, 
die  Atrophie  der  gelähmten  Glieder  hätten  ja  fflr  eine  solche  Dia- 
gnose gewisse  Anhaltspunkte  gegeben.  Nach  dem  anatomischen  Be- 
fund kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  primäre  Krank- 
heit ihren  Sitz  im  Gehirn  gehabt  hat  und  dass  die  Veränderungen 
im  Rückenmark  nur  secundäre  sind.  Welcher  Art  diese  primäre 
Gehimaffection  gewesen,  lässt  sich  nun  freilich  aus  dem  anatomischen 
Bilde  nicht  mit  absoluter  Sicherheit  bestimmen.  Es  würden  hier 
zunächst  2  Fälle  in  Frage  kommen,  nämlich  langsame  Zerstörung 
durch  einen  Tumor  oder  Zerstörung  durch  einen  acuten  Process. 
Das  erstere  dürfte  sich  mit  Bestimmtheit  ausschliessen  lassen.  So-- 
wohl  beim  Gumma  wie  beim  Tuberkel  würde  man  auch  in  anderen 
Oiganen  Symptome  der  Krankheit  erwarten  dürfen;  diese  fehlten 
aber  in  unserem  Fall  vollständig.  Beim  Gumma  wäre  die  Verkal- 
kung, beim  Tuberkel  die  Abkapselung  auffällig,  ausserdem  aber  die 
Bildung  von  Cholesterin  in  beiden  Fällen  dem  gewöhnlichen  Verlauf 
widersprechend.  Endlich  wäre  auch  die  anamnestische  Angabe,  dass 
die  Lähmung  des  Beins  plötzlich  aufgetreten  sei ,  mit  der  Annahme 
eines  Tumors  kaum  in  Einklang  zu  bringen. 

Bei  einer  acuten  Affection  sind  dagegen  alle  diese  Erscheinun- 
gen ganz  gewöhnlich ;  der  plötzliche  Eintritt  der  motorischen  Störung, 
die  Bildung  einer  Kapsel  um  die  zerstörte  Himpartie,  Anhäufung 
von  Kalk  und  Cholesterin  im  Inneren  derselben,  endlich  die  Ver- 
kleinerung und  narbige  Contraction  des  ganzen  Herdes  mit  Disloca- 


492  XXVU.  Neelsen 

tion  der  umgebenden  Partien.  Es  bat  für  unseren  Fall  keine  Be- 
deutung, ob  dieser  acute  Process  eine  Hämorrbagie,  eine  iacbfimische 
Erweicbung,  oder  ein  entzttndlicber  Vorgang  gewesen.  Gegen  das 
erste  scbeint  die  geringe  Menge  des  Pigmentes,  gegen  das  zweite  die 
Ausbreitung  über  die  Orenze  eines  einzigen  Gefässterritorinm  ^)  hin- 
aus zu  sprecben ,  und  wir  neigen  uns  um  so  mebr  der  letzten  An- 
nabme  zu,  als  schon  von  Simon 2)  idiopatbiscbe  Encephaliten  bei 
Kindern  beschrieben  sind. 

Mag  man  diese  letztere  Annahme  zugeben  oder  nicht,  jedenfalls 
wird  man  zugestehen  müssen,  dass  im  vorliegenden  Fall  eine  acute 
Zerstörung  einer  circumscripten  Rindenpartie  im  Gehirn 
stattfand,  dass  also  Bedingungen  vorlagen,  wie  sie  in  ganz  ähnlicher 
Weise  schon  so  oft  durch  das  Experiment  herbeigeführt  worden  sind. 
Jedoch  unterscheidet  sich  dieses  Experiment  der  Natur  dadurch  in 
vortheilhafter  Weise  von  den  künstlichen,  dass  die  Zerstörung  cir- 
cumscript  blieb  und  dass  das  Lieben  nach  der  Verletzung  viele 
Jahre  lang  fortdauerte.  Es  ist  bis  jetzt  meines  Wissens  noch  Nie- 
mandem gelungen,  namentlich  bei  Experimenten  an  jungen  Thieren, 
den  Effect  der  Verletzung  auf  Jahre  hinaus  zu  verfolgen,  während 
bei  unserem  Kranken  nach  dem  Eintritt  der  Zerstörung  bis  zum  Tod 
noch  nahezu  ein  Vierteljahrhundert  verging.  Hätte  man  während 
dieser  Zeit  eine  Kenntniss  von  den  im  Gehirn  vorliegenden  Processen 
haben  und  dementsprechend  genaue  Beobachtungen  machen  können, 
so  würde  der  Fall  dadurch  wahrscheinlich  einen  ungemein  hohen 
Werth  für  die  Lösung  der  Frage  nach  den  Functionen  des  Menschen- 
hims  gewonnen  haben.  Leider  fehlen  derartige  Beobachtungen,  nnd 
die  wenigen  Angaben  der  Angehörigen  geben  uns  über  eine  Beihe 
der  wichtigsten  Fragen,  über  die  sensiblen  Functionen  an  der  der 
Verletzung  entgegengesetzten  Körperhälfte,  über  den  Muskelsinn,  Aber 
die  tactische  Fähigkeit  des  Kranken  gar  keine  Auskunft  Jedoch 
stehen  uns  immerhin  einige  positive  Angaben  zu  Gebote,  die  wir  ans 
dem  Grunde  als  wissenschaftliche  Momente  verwerthen  können,  weil 
durch  den  anatomischen  Befund  die  Richtigkeit  derselben  bestfttigt 
wird. 

Betrachten  wir  zunächst  die  einzelnen  hiemach  constatirten 
Functionsstörungen  im  Vergleich  mit  den  Ergebnissen  analoger  Ex- 
perimente. 

Das  erste  Symptom,  welches  wir  hier  zu  beachten  haben,  sind 
die  Lähmungen  der  Extremitäten  an  der  der  Läsion  g^nflber 

1)  YergL  die  Abhandlung  von  Dur  et.    Archives  de  physiol.  1874. 

2)  Yirchow's  Archiv.  Bd.  52.  S.  103. 


Psychomotorische  Centren.  493 

liegenden  Seite.  Diese  Erscheinung  widerspricht  den  durch  das 
Thierexperiment  gemachten  Erfahrungen.  Wir  wissen  durch  die  zahl- 
reichen Untersuchungen  von  Fritsch,  Hitzig 0»  Goltz^);  Noth- 
nagel'), Albertoni^),  Soltmann^),  Lussana  und  Lemoigne^), 
Ferrier'^)  und  vielen  anderen  ForscherUi  dass  es  nicht  möglich  ist, 
beim  Thier  durch  Verletzung  der  Hirnrinde  Lfthmungen  zu  erzeugen, 
dass  sich  vielmehr,  sobald  nicht  die  grossen  Ganglien  oder  die  innere 
Kapsel  mit  afficirt  sind,  immer  nur  nebensächliche  und  weniger  auf- 
fällige Störungen  der  Motilität  bemerkbar  machen,  Verlust  des  Muskel- 
sinnes, Ataxie,  und  dass  auch  diese  Störungen  in  den  meisten  Fällen 
nach  kurzer  Zeit  sich  ausgleichen,  so  dass  das  betrefifende  Thier  von 
einem  unverletzten  nicht  mehr  zu  unterscheiden  ist.  Nur  nach  sebr 
ausgedehnten  Verletzungen  hat  man  ein  Fortbestehen  der  Störung 
während  längerer  Zeit  beobachtet.  —  Gegenüber  diesen  Resultaten 
an  Thieren  steht  nun  aber  eine  sehr  grosse  Zahl  klinischer  Beob- 
achtungen von  den  ersten  Neuropathologen  unserer  Zeit,  welche  mit 
der  grössten  Bestimmtheit  den  Nachweis  liefern,  dass  beim  Menschen 
das  Verhalten  ein  anderes  ist,  dass  hier  nach  Zerstörungen  der  so- 
genannten psychomotorischen  Partien  der  Hirnrinde  die  Lähmungen 
der  gegenüberliegenden  Extremitäten  ein  ganz  gewöhnliches,  nur  in 
wenigen  Fällen  fehlendes  Symptom  darstellen,  und  dass  ferner  in 
einer  grossen  Zahl  der  Fälle  diese  Lähmungen  nicht  wieder  ausge- 
glichen werden,  sondern  constant  bleiben  und  zu  Contracturen  führen. 
Ich  will  aus  der  ungemein  grossen  Zahl  der  Arbeiten  hierüber  nur 
die  wichtigsten  Zusammenstellungen  grösserer  Beobachtungsreihen, 
die  Schriften  von  Charcot®),  Pitres^),  Bourdon^o)  und  Mara* 


1)  Untersuchungen  über  das  Gehirn.  Berlin  1874.  Berliner  klin.  Wochen- 
schrift. XL  Jahrg.  Nr.  6.    yolkmann*s  Klinische  Vorträge.  Nr.  112. 

2)  Verrichtungen  des  Grosshims.    PflQger*B  Archiv.  XIII. 

3)  ExperimenteUe  Untersach.  über  die  Functionen  des  Gehirns.  Yirchow's 
Archiv.  Bd.  57  u.  58. 

4)  Rendiconto  della  ricerche  sperimentali  eseguite  nel  gabinetto  dl  fisiologia 
della  R.  universita  di  Siena.    MilAno  1S76. 

5)  Exper.  Studien  über  die  Functionen  des  Grosshims  der  Neugeborenen. 
Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  Bd.  IX.  1876. 

b)  Sui  centri  encefalici  di  movimento.    Lo  Sperimentale  1877.  4  u.  5. 

7)  Functions  of  the  brain.  Deutsch  von  Obersteiner.  Braunschweig  1879. 

8)  Gazette  m^dicale  de  Paris.  1876.  No.  32. 

9)  Ibidem.  1877.  No.3  et  5.  Femer  Gharcot  et  Pitres,  Contribution  k 
Tetude  des  localisations  dans  Töcorce  des  h^misph^res  du  cerveau.  Revue  men- 
BueUe  1877.  No.  1-6. 

10)  Bullet,  de  Tacademie.  Oct.  1877. 


494  XXVn.  Neelshm 

gliano^)  nennen.  —  Es  feUt  uns  jedoch  trotz  der  grossen  Zahl  der 
Beobachtungen  bis  jetzt  eine  genügende  Erklfirung  ftlr  diesen  Wider- 
spruch im  Verhalten  des  menschlichen  und  thierischen  Gehimg. 
Wenn  Broadbent^)  in  Bezug  hierauf  auf  der  internationalen  Aente- 
Versammlung  in  Genf  seine  Meinung  dahin  aussprach,  dass  das  Thier- 
gehirn  nur  Gentren  ftlr  das  Tastgeftthl,  das  menschliche  dagegen  wirk- 
lich motorische  Gentren  in  der  lUnde  besitze  und  zwar  weil  der  Mensch 
so  viel  höher  organisirt  sei,  so  ist  damit  nur  eine  Umschreibung  dw 
Thatsache  gegeben,  während  diese  selbst  so  räthselhaft  bleibt  wie 
sie  war.  —  Am  genauesten  hat  sich  G  bar  cot  mit  dieser  Frage  be- 
schäftigt und  es  ist  ihm  gelungen,  auf  Grund  einer  grossen  Reihe 
klinischer  Beobachtungen  die  Ausdehnung  der  Verletzung  festzustel- 
len, welche  erforderlich  ist,  um  eine  andauernde  Lähmung  herbeiza- 
führen.  Als  den  hierfür  wichtigsten  Punkt  bezeichnet  er  den  Lobulos 
paracentralis.  Nur  wenn  ein  Zerstörungsherd  von  den  Gentralwin- 
dungen  auf  den  Lobulus  paracentralis  übergreift,  ist  ein  allmähliches 
Sichausgleichen  der  Lähmungen  unmöglich,  es  tritt  in  diesen  Fällen 
eonstant  Gontractur  der  gelähmten  Extremitäten,  absteigende  Dege- 
neration des  Rückenmarks  und  Atrophie  der  inneren  Kapsel  auf.  Es 
ist  mit  dieser  genaueren  Localisation  die  Frage  ihrer  Lösung  natfir- 
lieh  um  einen  Schritt  näher  gebracht,  wenngleich  eine  definitive 
Lösung  erst  durch  Experimente  an  höheren  Thieren  und  sorgfältigere 
Beachtung  der  auf  der  medialen  Fläche  der  Hemisphären  Hegenden 
Gyri  erwartet  werden  darf. 

In  unserem  Falle  weichen  übrigens  die  motorischen  Symptome  in 
mehrfacher  Beziehung  von  den  gewöhnlich  beobachteten  ab.  —  Eine 
solche  Abweichung  könnte  man  zunächst  schon  in  der  Localisation 
der  Lähmung  finden.  Es  waren  hier  Bein  und  Arm  gelähmt  bei 
einer  Affection,  welche  den  oberen  Scheitellappen  zerstörte  und  den 
Gyr.  paracentralis  sowie  den  oberen  Theil  des  Gyr.  postcentralis  zur 
Atrophie  brachte,  während  der  Gyr.  praecentralis  frei  blieb. 
Nach  der  in  Deutschland  bisher  am  meisten  in  Ansehen  stehenden 
Auffassung  von  Hitzig,  welcher  die  motorischen  Centren  für  den 
Arm  ausschliesslich  in  die  Präcentral windung  verlegt,  wäre  in  die- 
sem Fall  gar  keine,  oder  nur  eine  Lähmung  der  unteren  Extremität 
zu  erwarten  gewesen.  Hitzig  hat  selbst  eine  klinische  Beobachtung 
zur  Stütze,  seiner  Ansicht  mitgetheilt  ^)  und  es  ist  seitdem  mehrfach 

1)  Le  Localizzazione  motrici  neUa  corteccia  cerebrale,  studiate  specialmente 
dal  lato  clinico.   Rivista  sperimentale  di  freniatria  e  di  med.  leg.  Anno  lY.  hac  1. 

2)  Gazette  m^d.  de  Paris.  1877.  No.  39. 

3)  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  III.  Heft  2. 


Psychomotorische  Centren.  495 

eonstatirt  worden;  dass  bei  Läsionen  der  Fräcentralwindung  ausser 
Facialisstörangen  auch  motorische  Störungen  des  Armes  und  der  Hand 
eintraten.  Ich  erwähne  hier  nur  die  Beobachtung  von  Stark 0  und 
die  erste  Beobachtung  von  Beyer  2).  —  Trotzdem  scheint  jedoch 
diese  von  Hitzig  und  seinen  Anhängern  vertretene  Ansicht  eine 
irrige  zu  sein,  und  dürfte  dieselbe  wohl  bald  zu  Gunsten  der  von 
Ferrier  vertretenen  aufgegeben  werden.  Ferrier  ist  durch  seine 
Experimente  am  A£fen  zu  dem  Resultat  gekommen ,  dass  die  moto- 
rischen Gentren  für  die  Extremitäten  beim  Menschen  weiter  nach 
hinten  gelegen  seien.  Nach  ihm  3)  wären  die  Gentren  für  die  ein- 
fachen Bewegungen  des  Armes  und  der  Hand  in  der  Postcentral- 
Windung  zu  suchen  und  die  für  das  Bein  in  der  oberen  Pa- 
rietalwindung.  Der  Präcentralwindung  will  er  ausser  den  Gentren 
für  das  Facialisgebiet  nur  einen  Einfluss  auf  complicirte  erlernte 
Bewegungen  der  Extremitäten  (Schwimmen,  Klettern,  Greifen  nach 
entfernten  Gegenständen  u.  s.  w.)  zuweisen.  Diese  Ansicht  stimmt 
mit  der  weitaus  grösseren  Zahl  der  klinischen  Beobachtungen  viel 
besser  überein,  als  die  Hitzig'sche.  So  findet  sich  in  den  oben 
citirten  Zusammenstellungen  von  Gharcot  und  Pitres,  Bourdon 
undMaragliano  eine  grosse  Zahl  von  Fällen,  fast  ein  Drittel  aller 
beobachteten,  in  welchen  die  Rindenläsion  die  Gentralfurche  nach 
Yorne  nicht  überschritt  und  in  denen  doch  Lähmungen  des  Armes 
vorhanden  waren. 

Von  einzelnen  Beobachtungen  wären  hier  anzuführen  der  Fall 
von  Seeligmüller  ^)  (Tumor  der  Postcentral  Windung)  und  der  zweite 
Fall  von  Beyer^)  (Tumor  der  vorderen  und  hinteren  Gentral Win- 
dung), obwohl  Beyer  selbst  diese  beiden  Fälle  freilich  in  etwas  ge- 
künstelter Weise  als  Beweise  für  die  motorische  Function  der  Prä- 
centralwindung allein  darzustellen  sucht.  Ferner  eine  Beobachtung, 
welche  Riebet  in  seinem  Werk^)  erwähnt  (Tuberkel  in  der  Post- 
centralwindung ,  Paralyse  des  Armes),  sowie  aus  der  neuesten  Zeit 
die  beiden  von  Vetter^)  veröffentlichten  Fälle  (Gliom  des  Lob.  pa- 
rietalis  superior,  Lähmung  der  Extremitäten,  und  Erweichung  der 
Parietal  Windungen  und  der  Postcentralwindung  mit  Bewegungsstörun- 


1)  Berliner  klin.  Wochenschrift.  1874.  Nr.  33. 

2)  Beitrag  zur  Pathologie  der  Grosshinuinde.  Arch.  d.  Heilk.  Bd.  19.  S.  97. 

3)  Yergl.  die  AbbilduBg  Fig.  63.  S.  338  in  dem  oben  citirten  Werk. 

4)  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  VI.  Heft  3. 

5)  1.  c.  S.  110. 

6)  Structure  des  circonvolutions  cerebrales.    Paris  1878. 

7)  Dieses  Archiv.  Bd.  XXU.  S.  394. 


496  XXYIL  Neelsen 

gen  des  Armes  und  Beines)  und  die  Beobachtung,  welche  Bern- 
hard 0  jtlngst  in  der  Sitzung  der  Berliner  medicinisehen  Gtosdlschaft 
mittheilte  (Abscess  des  Parietallappens  —  Lähmung  des  Armes  und 
Beines).  Unser  Fall  wQrde  sich  diesen  ohne  Weiteres  anreihen  lassen, 
da  er,  was  die  Localisation  der  Lähmung  anlangt,  vollständig  mit 
dem  Ferrier'schen  Schema  übereinstimmt. 

m 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  Verlauf  der  Lähmung. 
Dieser  erscheint  zunächst  im  höchsten  Grade  auffällig  und  unerklär- 
lich. Während  das  motorische  Oentrum  für  das  Bein  (der  obere  Pa- 
rietallappen)  vollständig  zerstört  ist,  während  das  Centrum  ftlr  den 
Arm  zwar  stark  atrophisch,  aber  doch  nicht  völlig  vernichtet  ist, 
wird  die  Lähmung  des  Beines  bis  zu  einem  gewissen  Grade  rftck- 
gängig,  der  Kranke  vermag  auf  demselben,  wenn  auch  unvollkom- 
men, zu  gehen  und  es  tritt  keine  Gontractur  ein,  die  Lähmung  des 
Arms  dagegen  bleibt  bestehen  und  ftlhrt  zu  Gontractur  und  völliger 
Unbrauchbarkeit  des  Gliedes.  Vielleicht  könnte  eine  Beobachtang 
Soltmann's^)  zur  Deutung  dieser  eigenthttmlichen  Erscheinung  an- 
geführt werden.  Soltmann  fand  bei  einem  jungen  Hunde,  welchem 
er  das  motorische  Centrum  der  einen  Hemisphäre  exstirpirt  hatte, 
dass  nach  einiger  Zeit  von  dem  noch  erhaltenen  Centrum  doppel- 
seitige  Bewegungen  ausgelöst  werden  konnten.  Es  war  also  hier 
das  noch  erhaltene  Centrum  .der  anderen  Seite  für  das  zerstörte  vica- 
riirend  eingetreten.  Bei  etwas  älteren  Thieren  zeigte  sich  keine  Spnr 
einer  derartigen  vicariirenden  Function.  Aus  dieser  Beobachtung 
scheint  hervorzugehen ,  dass  ein  Ausgleich  in  dieser  Weise  nur  zu 
Stande  kommen  kann  in  frühester  Jugendzeit,  das  heisst  in  der  Zeit, 
in  welcher  die  Centren  der  Binde  noch  nicht  völlig  entwickelt  und 
ihre  Verbindungen  mit  den  motorischen  Bahnen  noch  nicht  definitiv 
geknüpft  sind.  Dieser  Zustand  würde  beim  Menschen  nach  Solt- 
mann den  Zeitraum  vom  Beginn  des  sechsten  Monates  bis  zum  Ende 
des  zweiten  Jahres  umfassen.  Darnach  wäre  in  unserem  Falle  die 
Läsion  der  Hirnrinde  gegen  das  Ende  jenes  Zeitraumes  eingetreten, 
und  wenn  wir  die  Soltmann 'sehen  Ausführungen  als  richtig  aner 
kennen,  so  erscheint  es  leicht  erklärlich,  ja  fast  selbstverständlich, 
dass  bei  dem  Bein,  dessen  Centrum  plötzlich  zerstört  wurde,  noch 
ein  theilweiser  Ausgleich  mit  Hilfe  des  Centrums  der  anderen  Seite 
möglich  war;  während  die  Zerstörung  des  Centrums  für  Arm  und 
Hand,  welche  erst  später  in  Folge  der  narbigen  Contraction  eintrat, 
in  eine  Zeit  fiel,  wo  die  motorischen  Centren  schon  zu  fest  fixirt 


1)  Berliner  klin.  Wochenschrift.  1879.  Nr.  9.         2)  1.  c.  S.  129  ff. 


Psychomotorische  Centren.  497 

waren  und  einem  Ausgleich  unüberwindliche  Hindernisse  entgegen- 
standen. Allerdings  war  auch  fttr  die  Bewegungen  des  Beines  der 
Aasgleich  kein  YoUständiger.  Wenn  auch  die  rohe  Kraft  sich  zum 
grösseren  Theil  restituirte,  so  blieb  doch  die  tacüsche  Ffthigkeit  (und 
der  Muskelsinn?)  weit  hinter  der  Norm  zurflck.  Der  Kranke  war 
im  Stande  den  Fuss  anzusetzen  und  sich  darauf  zu  stützen,  er  führte 
aber  trot^em  die  Oehbewegungen  mit  demselben  sehr  mangelhaft 
ans,  schleifte  ihn  gewöhnlich  hinterher,  zeigte  aber  in  dieser  Be- 
ziehung ein  ähnliches  Verhalten  wie  der  Hund,  dem  eines  der  psycho- 
motorischen Centren  zerstört  ist. 

Auffällig  könnte  es  erscheinen,  dass  in  der  Anamnese  das  Auf- 
treten von  Gonvulsionen  zu  der  Zeit  als  die  Krankheit  sich 
ausbildete,  nicht  erwähnt  wird,  und  ich  möchte  in  dieser  Hinsicht 
auf  die  Angaben  der  Angehörigen  kein  grosses  Gewicht  legen.  Das 
Kind  befand  sich  zur  Zeit  seiner  Erkrankung  bei  Fremden,  war  also 
der  Beobachtung  der  Eltern  und  Angehörigen  nur  zeitweilig  zugäng- 
lich, und  es  scheint  mir  die  Möglichkeit  nahe  zu  liegen,  dass  die 
Pfl^er  etwa  vorhandene,  anfallsweise  auftretende  Convulsionen  den 
Angehörigen  zu  verbergen  bestrebt  waren  und  dies  auch  vermochten, 
während  sie  nicht  im  Stande  waren  die  fortschreitende  Lähmung  zu 
verheimlichen.  Nach  der  Analogie  fast  aller  ähnlichen  Beobachtun- 
gen darf  mit  Bestimmtheit  angenommen  werden,  dass  dem  Eintritt 
der  Lähmungen  auch  in  diesem  Falle  Krämpfe  vorhergingen.  Jeden- 
falls haben  sie  aber  nicht  längere  Zeit  hinduroh  bestanden  und  sind 
nicht  ohne  Weiteres  in  Epilepsie  übergegangen,  denn  der  Eintritt 
dieser  letzteren  wird  von  Allen  mit  Bestimmtheit  in  die  Zeit  nach 
der  Pubertät  verlegt.  Dass  trotzdem  zwischen  dieser  Affection  und 
dem  Himleiden  eine  Beziehung  besteht,  kann  nach  den  klinischen 
Beobachtungen  ^)  und  den  Thierexperimenten  nicht  zweifelhaft  sein. 
Jedoch  können  wir,  da  der  Verlauf  und  die  Ausbreitung  der  epi- 
leptischen Krämpfe  in  unserem  Falle  nicht  mit  der  nöthigen  Genauig- 
keit beobachtet  ist,  auf  eine  weitere  Besprechung  dieses  Sjmptomes 
Terzichten. 

Eine  eingehendere  Würdigung  verdient  ein  anderes  Symptom, 
welches  sich  noch  an  der  Leiche  mit  vollster  Sicherheit  constatiren 
liess,  nämlich  die  Atrophie  der  gelähmten  Theile.  Haben 
wir  dieselbe  als  eine  cerebrale  anzusehen? 

Es  liegen  *  uns  aus  neuerer  Zeit  zwei  Beobachtungen  vor,  welche 
einen  trophischen  Einfluss  der  psychomotorischen  Centren  wahrschein- 

1)  Es  sind  hier  namentlich  die  oben  dtirten  Arbeiten  von  Fi t res  and  von 
Maragliano  zu  erw&hnen. 

DeatKhM  Archiv  f.  klln.  Mediein.    XXIV.  Bd.  32 


498  XXVn.  Nbelsen 

lieh  machen.  Die  eine  von  Bourneville My  weleher  bei  einem 
18jährigen  Mftdohen  einen  alten  Herd  in  beiden  Centralwindnngen, 
dem  Lob.  paracentralis  und  einem  Theil  der  Stimwindnngen  beob- 
achtete mit  Atrophie  der  Eztremitftten  an  der  entgegengesetzten  Seite. 
Eine  zweite  ist  neuerdings  von  Senator^)  mitgetheilt  worden :  Abs- 
cess  in  dem  Parietal-  und  Frontallappen,  acute  Atrophie  der  Mas- 
culatur  des  Armes  an  der  entgegengesetzten  Seite.  Auch  bei  Bonr- 
neville  betraf  die  Atrophie  nach  den  angegebenen  Maassen  nur  die 
Weichtheile,  während  in  unserem  Fall  auch  die  Knochen  der  b^ 
treffenden  Glieder  bedeutend  verkürzt  waren.  Man  könnte  diesen 
Unterschied  darauf  zurückfuhren,  dass  in  den  beiden  erwähnten 
Fällen  die  Affection  kürzere  Zeit  gedauert  habe,  und  man  könnte 
ferner  für  die  Annahme  des  centralen  Ursprungs  der  Atrophie  in 
unserem  Fall  die  Angabe  von  Onimus')  anführen,  nach  welcher 
bei  cerebralen  und  spinalen  Lähmungen  bei  Kindern  mit  nachfolgen- 
der Atrophie  der  unteren  Extremität  namentlich  der  Unterschenkel 
verkürzt  wird,  während  der  Oberschenkel  seine  normale  Länge  bei- 
behält, also  Verhältnisse  sich  ausbilden,  wie  sie  auch  bei  unserem 
Kranken  gefunden  wurden.  Trotzdem  glauben  wir  in  unserem  Fall 
jeden  directen  Einfluss  der  Hirnverletzung  auf  die  Atrophie  leugnen 
zu  dürfen  und  fassen  dieselbe  vielmehr  als  einfache  Inactivitätsatro- 
phie,  welche  von  nervösen  Einflüssen  unabhängig  sich  entwickelte, 
auf.  Dass  bei  Kindern  und  jungen  Thieren  Atrophie  der  Extremi- 
täten, oder  richtiger  Hypoplasie  der  Extremitäten  eintritt,  sobald  di^ 
selben  längere  Zeit  immobilisirt  werden,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob 
die  Unbeweglichkeit  auf  mechanischem  Wege  (Ojpsverband  etc.),  oder 
durch  Unterbrechung  der  motorischen  Leitung  herbeigefftbit  wird, 
ist  eine  so  bekannte  Thatsache^),  dass  wir  nicht  nöthig  haben  zun 
Beweise  derselben  einzelne  Beobachtungen  anzuführen.  —  Mit  der 
Annahme  einer  solchen  Inaetivitätsatrophie  stimmt  auch  der  Befosd 
des  Rückenmarks  flberein.  Wäre  eine  trophische  St(^img  too 
dem  cerebralen  Centrum  fiusgehend  die  Ursache  der  Atrophie  gew^ 
sen,  so  hätte  dieselbe  ihren  Einfluss  nicht  nur  auf  die  peripheren 
Theile,  sondern  auch  auf  die  in  ihre  Bahn  eingeschalteten  Ganglies- 
massen,  die  graue  Substanz  des  Rückenmarks  äussern  mfiMeiL  In 
dieser  findet  sich  aber  keine  Atrophie,  dagegen  besteht  eise  los- 
gesprochene Hypoplasie  in  den  der  rechten  Seite  entsprechenden 
weissen  Strängen,  ein  Zustand,  wie  er  bei  jungen  Thieren  zuerst  ron 

1)  Gazette  m^dicale  de  Paris  1876.  No.  50  et  51. 

2)  Herl.  klin.  Wochenaehr.  187S.  Nr.  4  ff.  3)  L'Union  mUkak,  I^:^ 
4)  Veigl.  die  LehrbQcher  der  allgemeinen  Pathologie  yod  Wagaer  s.  A. 


Psychomotorische  Gentren.  499 

Vulpian')  und  neuerdings  von  Bufalini^j  experimentell  durch 
Aossclialten  eineB  Gliedes  (Amputation,  Nervendurchschneidung)  her- 
Torgerafen  wurde. 

Es  haben  uns  diese  letzten  Betrachtungen  wieder  auf  die  ana- 
tomischen Veränderungen  im  Bückenmark  zurtickgeftthrt,  und  da  sei 
66  mir  gestattet,  zum  Schluss  noch  eine  Veränderung  kurz  zu  er- 
wähnen, die  in  der  früheren  Beschreibung  nicht  angeführt  ist  und 
f&r  welche  mir  offen  gestanden  die  Deutung  fehlt.    In  den  unteren 
Theilen  des  Markes,  auf  der  Abbildung  in  Figur  8  und  9  (Taf.  VII) 
angegeben,   findet  sich  ausser  der  absteigenden  Degeneration  der 
Pyramidenbahnen  eine  periphere  sklerotische  Zone  namentlich  im  Ge- 
biet der  hinteren  V^urzeln.    Es  scheint  hier  dieselbe  Veränderung  in 
geringerem  Grade  yorzuliegen,  wie  sie  Charcot  in  der  zweiten  Ab- 
theilung  seiner  Klin.  Vorträge  über  Krankheiten  des  Nervensystems  ^) 
auf  Taf.  III,  Fig.  3  abbildet  und  als  ,» ringförmige  Sklerose  *"  bei  Pott- 
scher Wirbelcaries  bezeichnet.    Im  Text  finde  ich  diese  Abbildung 
nicht  besonders  erwähnt,  habe  auch  bisher  in  der  Literatur  über 
andere  analoge  Beobachtungen  nichts  finden  können.    Ich  habe  eine 
ähnliche  Veränderung,  und  zwar  als  einzige  nachweisbare  Anomalie, 
schon  Tor  einiger  Zeit  einmal  gefunden  an  einem  Präparat,  welches 
von  dem  Director  des  Lübecker  Krankenhauses,  Herrn  Dr.  Hinkel- 
deyn,  dem  hiesigen  Institut  übersandt  wurde.*   Dasselbe  stammte 
Yon  einer  50 jährigen  an  Mammacarcinom  leidenden  Frau,  bei  wel^ 
eher  sich  vier  Wochen  vor  dem  Tode  Lähmung  der  Blase  und  der 
unteren  Extremitäten  einstellte.    Die  .Section  ergab  keine  metasta- 
tischen Krebse  der  Wirbel,  keine  Veränderung  an  der  Dura  und  Pia 
des  Rückenmarks  und  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  keine 
andere  Anomalie  als  eine  ringförmige  Sklerose  des  Lumbaimarks, 
am  stärksten  ausgeprägt  im  Bereich  der  hinteren  Wurzeln.  —  lieber 
das  Wesen  der  hier  vorliegenden  Veränderung  vermag  ich  kein  Ur- 
theil  abzugeben.    Unu  eine  einfache  Meningo-Myelitis,  an  welche  zu- 
nächst gedacht  werden  könnte,  handelt  es  sich  hier  zweifellos  nicht, 
denn  die  Pia  ist  weder  abnorm  adhärent,  noch  verdickt,  noch  in- 
filtrirt.     Auch  ein  Härtungsfehler  kann  ausgeschlossen  werden,   da 
die  Betrachtung  mit  stärkeren  Vergrösserungen  an  den  betreffenden 
Randpartien  eine  deutliche  Vermehrung  der  Gliakeme  und  Vermin- 
derung der  Nervenfasern  erkennen  lässt  (S.  Figur  10.)  —  Bei  zahl- 
reichen Querschnitten  aus  anderen  Rückenmarken  habe  ich  vergeblich 

1)  Pariser  Aead.  d.  Wissensch.  26.Fehr.  1872. 

2)  In  dem  oben  ciürten  Bericht  Yon  Albertoni. 

3)  Deutsche  Uebersetzung  von  B.  Fetz  er.    Stuttgart  1878. 

'  32* 


500  XXVII.  Nbslsbn,  Psychomotorische  Centren. 

nach  ähnlichen  Bildern  gesucht.    Obgleich  ich  demnach  gezwungen 
bin  diesen  Befund  als  einen  mir  unverständlichen  zu  erklären,  habe 
ich  doch  geglaubt,  im  Interesse  der  Vollständigkeit  der  Beobachtung 
denselben  hier  erwähnen  zu  müssen. 
Rostock,  den  10.  Mai  1879. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

(Tafel  VIL) 

Figar  1  zeigt  die  beiden  Hemisphären  des  Gehirns  von  oben  gesehen  (nich 
Photographie).  Der  Frontallappen  ist  blau,  der  Parietallappen  roth,  der  Ocdpi- 
tallappen  violett  ffezeichnet.  Die  auf  der  linken  Seite  fehlende  obere  Parietalwin- 
dwagp.s.  ist  rechts  roth  schraffirt.  Es  bedeutet  auf  beiden  Seiten  dc:  denGyros 
postcentralis;  smi  den  Gyrus  supramarginalis;  a:  den  Gyrus  angularis.  Die  mit 
«  bezeichnete  Linie  gibt  die  Richtung  des  Frontalschnittes  an,  dessen  eine  Schnitt- 
fläche in  Figur  2  abgebildet  ist. 

Figur  2.  Frontalschnitt  durch  den  Herd  in  der  linken  Hemisphäre,  Schnitt- 
fläche des  vorderen  Abschnittes,  a  und  a  Gyrus  angularis  (a  hinterer,  a  vor- 
derer Theil  desselben);  sm:  Gyrus  supramarginalis;  prc:  Reste  des  Praeconeos; 
F.S.:  Fossa  Sylvii;  V:  Ventrikel  (natürliche  Grösse). 

Figur  3.  Schema  der  frischen  Zerstörung.  Frontalschnitt  eines  normslen 
Gehirns ,  Schnittfläche  des  vorderen  Abschnitts.  Es  bedeutet  auf  beiden  Seiten 
sip:  Sulcus  interparietalis;  F.S.i  Fossa  Sylvii;  sca:  Sulcus  comn  ammonis; 
parac:  Gyrus  paracentralis ;  ps:  Gyrus  parietalis  superior;  prc:  Praecuneos; 
Sfn:  Gyrus  supramarffinalis.  —  Die  roth  gefärbte  Partie  entspricht  der  vermatfa- 
lichen  Ausdelmung  des  frischen  Herdes. 

Figur  4.  Schema  der  frischen  Zerstörung.  Sagittalschnitt  eines  normalen 
Gehirns  ca.  1  Gm.  links  von  der  Medianlinie.  Die  roth  gefärbte  Partie  entspricht 
der  vermuthlichen  Ausdehnung  der  frischen  Zerstörung.  Es  bedeutet:  sc:  oolcus 
centralis:  ^oc:  Fissura  occipito-parietalis ;  ca:  das  theils  auf  dem  Längs-  theüs 
auf  dem  Querschnitt  getroffene  linke  Cornu  ammonis.  Die  mit  *  bezeichnete  Linie 
entspricht  dem  Schnitt  f^r  Figur  3.  —  Die  Abbildung  zeigt  die  Schnittfläche  des 
grösseren  (rechten)  Abschnittes. 

Figur  5.  Frontalschnitt  durch  dieMeduUa  in  der  Höhe  der  Oliven.  Schnitt- 
fläche des  vorderen  Abschnitts.  ^  Die  roth  gefärbte  Partie  entspricht  der  De- 
generation.   Ebenso  in  den  4  folgenden  Figuren.    3:1. 

Figur  6.  Querschnitt  des  Halsmarks.  Schnittfläche  des  unteren  Abschnitts. 
Vergr.  >/i. 

Figur  7.    Querschnitt  des  mittleren  Brustmarks.    De^l. 

Fiffur  8.  Querschnitt  des  unteren  Brustmarks.  Grenze  des  Lendenrnsrio. 
Dergleichen. 

Figur  9.    Querschnitt  des  Lumbaimarks.    Desgleichen. 

Figur  10.  Partie  aus  der  Peripherie  des  Schnittes  in  Figur  9.  Vergr.  Hirt- 
nack  ^/7.  P  Pia  normal;  Sc  mit  zahlreichen  Rundzelien  durchsetete  BaDi^urtie 
des  Rackenmaiks,  in  welcher  die  Nervenfasern  fehlen.    (Sklerose.) 

Figur  11.  Sklerotische  Ganglienzellen  aus  der  linken  Postcentralwindnog. 
Vergr.  Hartnack  */t. 

Figur  12.  Normale  Bctz^sche  Riesenpyramide  und  gewöhnliche Pyramiden- 
zelle  aus  der  linken  Praecentralwindung.    Hartnack  ^^7. 

Figur  13.  Verkalkte  Ganglienzellmasse  in  der  Nähe  des  Herdes  am  Ein- 
gang des  linken  Unterhorns./  h  Herd;  To  Thalamus  opticus;  ci  Unterbom 
X  Verkalkter  Ganrijenhaufen.    Vei^gr.  'A. 

Figur  14.  Einzelne  Ga^lienzellen  aus  dem  in  Figur  13  abgebildeten  Herd 
Bei  den  beiden  oberen  ist  der  Kern  n  noch  zu  erkennen ,  bei  der  rechts  onteo 
li^enden  nicht  mehr.    Vergr.  Hartnack  *it. 


xxvin. 

Kleinere  MittheilungeD. 

1. 

Dunkler  Fall  von  erworbener  Huskelatrophie  der  rechten 
Hälfte  des  Rumpfes  und  der  rechtseitigen  Extremitäten 

bei  einem  Erwachsenen. 

Von 

Dr.  XS.  Hüter, 

Arttherem  Aaslstenten  dar  med.  Klinik  sn  StraMbvrg. 

Im  Sommersemester  1877  wnrde  auf  der  bieBigen  medicinischen  Klinik 
ein  Fall  von  erworbener  Huskelatrophie  der  rechten  Hälfte  des  Rumpfes 
Qod  der  rechtseitigen  Extremitäten  bei  einem  Erwachsenen  beobachtet,  wel- 
chen ich,  so  unaufgeklärt  er  bisher  ist,  doch  seiner  Seltenheit  wegen  (ein 
ähnlicher  Fall  wnrde  von  mir  in  der  ganzen  Literatur  nicht  aufgefunden)^ 
auf  Auffordern  meines  damaligen  Chefs,  Herrn  Geh.-R.  Kussmaul,  hier- 
mit veröffentliche. 

Anamnese.  Julius  AUa,  31  Jahre  alt,  Glaser,  stammt  ans  gesunder 
Familie  und  ist  früher  stets  gesund  gewesen.    Lues  wird  in  Abrede  gestellt. 

Anfangs  des  Winters  1875/76  empfand  Patient  in  der  rechten  Sdiulter 
einen  plötzlichen  so  heftigen  Schmerz,  dass  er  fast  ohnmächtig  wurde» 
Anfangs  1876  fiel  Patient  auf  das  Gesäss,  verlor  aber  das  Bewusstsein 
nicht,  sötzte  vielmehr  seine  Arbeit  fort  trotz  heftiger  Schmerzen  in  der 
Lendengegend,  welche  6  Wochen  anhielten.  Seitdem  traten  öfters  in  beiden 
Beinen,  besonders  im  rechten,  und  in'  der  rechten  Schulter  starke  Schmerzen 
aof,  gelegentlich  mit  Beklemmungsgefühlen  auf  der  Brust  verbunden,  Schmer- 
zen, welche  den  Pat.  stets  am  Gehen  hinderten.  November  1876  bemerkte 
er  die  Atrophie  der  rechten  Seite,  ebenso  wie  eine  Ulnarflexion  der  Finger 
der  rechten  Hand  und  Anschwellung  der  Volarfiäche  über  die  Handwurzel. 
Februar  1877  starke  Bronchitis  mit  einer  kleinen  Hämoptoe.  Danach  be- 
merkte er  eine  allgemeine  Abmagerung.  April  1877  zwei  Schwindelanfälle. 
Weil  Patient  der  Schmerzen  wegen  den  rechten  Arm  und  das  rechte  Bein 
nicht  gebrauchen  konnte,  so  Hess  er  sich  am  22.  Mai  ins  Spital  aufnehmen. 

Keine  Kopfschmerzen,  keine  Gesichts-  und  Sprachstörungen  seit  Beginn 
der  Krankheit.    Functionen  der  Blase  normal.    Obstipation  seit  14  Tagen. 

Status  praesens:  Patient  Ist  176  Gm.  gross,  von  ziemlich  kräftigem 
Knochenbau;  Musculatur  massig,  Fettpolster  gering;   deutlicher  Schwund 


502  XXVin.  Kleinere  Mittheilungen. 

desselben.  Farbe  des  Gesichtes  and  der  Schleimhäute  blass.  Anadrnck 
apathisch,  aber  frei.  Pupillen  gleichweit,  reagiren  gut  gegen  Liebt  Reine 
Ungleichmässigkeiten  in  beiden  Gesichtshälften ;  keine  Lähmungen  oder  Cod- 
tracturen.  Zunge  nicht  verzogen.  Stuhlgang  retardirt.  100  Pulse.  Puls 
klein,  etwas  celer.  25  Respirationen.  Temperatur  37,5^.  Herz  und  Lungen 
gesund :  keine  Schalldifferenzen  zwischen  rechter  und  linker  Seite.  Unter- 
leibsorgane normal.  Keine  Oedeme,  keine  Exantheme.  Urin  klar,  ohne 
Sedimente  und  Eiweiss. 

Die  Klagen  des  Patienten  bezieben  sich  auf  paroxysmenweise  auftretende 
Schmerzen  an  der  Hinterfläche  des  rechten  Oberschenkels,  besonders  ent- 
sprechend dem  Verlaufe  des  Ischiadicus.  Bei  Bewegungen  werden  die 
Schmerzen  viel  heftiger  und  strahlen  dann  bis  in  die  Malleolengegend  aus. 
Auch  in  der  Schulter  treten  ab  und  zu  intensive  Schmerzen  auf. 

Die  rechte  obere  und  untere  Extremität,  am  stärksten  die  obere,  sind 
auffallend  atrophisch,  und  zwar  hat  sich  die  Atrophie  hauptsächlich  anf 
Rosten  der  Muscnlatur  entwickelt.  Der  Umfang  der  rechten  Oberextremitit 
ist  durchschnittlich,  am  Oberarm  um  2^/4  Cm.,  am  Vorderarm  um  IVsCm., 
geringer  wie  links.  An  der  Unterextremität  beträgt  der  Unterschied  Vji 
bis  2  Cm. 

Der  Latissimus  dorsi  dext.'  ist  schlaffer  und  weniger  voluminös  als  der 
linke;'  die  untere  Partie  des  Cucullaris  fehlt  ganz;  die  Fossa  infraspinata 
und  supraspinata,  sowie  die  Fossa  clavicularis  dextra  sind  abnorm  vertieft. 
Spina  scapulae  dextrae,  sowie  Clavicula  dextra  abnorm  prominent.  Pectoralis 
major  atrophisch,  die  vordere  Wand  der  Achselhöhle  als  dünner,  schlaffer 
Strang  bildend.  Am  Ober-  und  Vorderarm  erstreckt  sich  die  Atrophie 
gleichmässig  auf  die  verschiedenen  Muskeln.  Auf  der  Volarseite  der  rechten 
Hand,  entsprechend  der  Handwurzelgegend,  springt  ein  etwa  thalergrosser, 
2  Cm.  hoher,  rundlicher,  unempfindlicher  Tumor  hervor,  über  welchem  die 
Haut  verschiebbar  ist;  derselbe  steht  in  Zusammenhang  mit  den  Sehnen- 
scheiden.  Die  rechte  Hand  steht  in  leichter  UUiarflexion;  der  Processus 
styl,  radii  springt  leicht  hervor.  Handteller  ist  auffallend  flach;  Thenar 
und  Antithenar  schlecht  entwickelt;  2.  bis  5.  Finger  leicht  volar-  und 
ulnarwärts  flectirt.  Spatia  interossea  vertieft.  Die  beiden  Phalangealge- 
lenke  des  2.  bis  5.  Fingers  sind  stark  verdickt,  schmeralos.  Die  Nigel 
rechts  wie  links  in  Folge  der  Beschäftigung  des  Pat.  auffallend  abgeschabt 

Die  Stellung  des  rechten  Armes  im  Ruhezustand  bietet  nichts  Abnormes. 
Die  active  Erhebung  des  Armes  ist  mühsam,  geschieht  aber  schon  S  Tage 
nach  der  Aufnahme  ohne  Schmerzen.  Die  Bewegungen  des  Vorderarms 
und  der  Hand  sind  ebenso  ergiebig  wie  links.  Flexion  der  Finger  activ 
leicht  möglich ;  vollkommene  Extension  unmöglich.  Active  Flexion  und  Ex- 
tension des  Daumens  ungehindert;  dem  2.  und  3.  Finger  kann  der  Daomen 
nur  mit  Mühe,  dem  4.  und  5.  Finger  gar  nicht  gegengestellt  werden.  Die 
passiven  Bewegungen  sind  in  allen  Gelenken  frei,  nur  ist  eine  vollständige 
Extension  in  den  beiden  Phalangealgelenken  des  2.,  3.,  4.  Fingers  unmög- 
lich, während  sie  am  5.  Finger  gelingt.    Am  Daumen  normale  Beweglichkeit 

Die  Intercostalräume  sind  rechts,  besonders  in  der  Seitenwasd,  etwas 
vertieft;  sonst,  abgesehen  von  den  Difl^erenzen  in  der  Schultergegend,  zwi- 
schen rechts  und  links  am  Rumpfe  keine  Unterschiede. 

An  der  unteren  Extremität  ist  die  Atrophie  nicht  so  ausgesprochen  nnd 


XXYIIL  Kleiiiere  Mittheüungen.  503 

gldcbmässig  auf  alle  Mnakelo  vertheilt  wie  an  der  obern  Extremität,  indem 
sie  besonders  nur  die  Partie  vom  Knie  aufwärts  betrifft.  Die  rechte  Hinter- 
backe ist  kleiner  als  die  linke ;  die  Glutäaimnsculatur  ist  rechts  schlaff  und 
atrophisch;  die  Glutäalfalte  hängt  deutlich.  Kniegelenk  leicht  verdickt : 
2  Cm.  über  dem  Condylos  Int.  fem.  rundlicher  Psoriasis -ähnlicher  Fleck. 
Rechte  Wade  schlaffer  und  weniger  umfangreich  als  die  linke;  am  Fui^se 
nichts  Besonderes;  nur  ist  die  Wölbung  des  inneren  Fussrandes  rechts  höher 
als  links ;  auch  erscheint  das  Bflndel  der  Extensorensehnen  auf  dem  rechten 
FnsBrflcken  dicker  als  auf  dem  linken.     Spatia  interossea  vertieft. 

Die  Bewegungen  in  den  Gelenken  der  Untereztremität  sind  frei;  nur 
ist  die  Flexion  im  Hüftgelenk  mit  den  erwähnten  Schmerzen  verbunden. 

Keine  Contracturen  an  der  obern  und  an  der  untern  Extremität.  Keine 
fibrillären  Zuckungen.  Patient  ist  zur  Zeit  der  Schmerzen  im  Bein  wegen 
verhindert  zu  gehen.  Er  steht  mit  geschlossenen  Augen  ohne  zu  schwanken : 
keine  Ataxie. 

Die  Sensibilität  ist  auf  der  ganzen  rechten  Körperseite  ebenso  gut  wie 
auf  der  linken.  Patient  fühk  die  leichtesten  Berührungen  und  localisirt 
gut;  keine  Verlangsamung  der  Nervenleitnng.  Keine  Hyperästhesie.  Tast- 
nod  Muskelsinn  normal.  Reflexerregbarkeit  nicht  erhöht  Am  Haarwuchs 
nichts  Besonderes.  Die  rechte  obere  Extremität  ist  dem  Gefühl 
and  der  thermometrischen  Messung  nach  wärmer  als  die 
linke  Extremität  (durchschnittlich  um  0,5^  C);  die  rechte  Unter- 
eztremität dagegen  kälter  als  die  linke  (durchschnittlich  um 
0,30  C). 

Die  mechanische  Muskelerregbarkeit  erscheint  an  der  gesammten  Köiv 
permuskulatur  erhöht,  rechts  aber  viel  stärker  als  links ;  besonders  reagirt 
der  rechte  Deltoideus  sehr  stark  auf  mechanische  Reize. 

Faradisation  des  Plexus  cervicalis  löst  rechts  wie  links  im  ganzen 
Arme  gleich  starke  Zuckungen  aus.  Die  Reizung  mit  dem  faradischen 
Strom  am  Deltoideus,  Biceps  und  Opponens  pollicis  ergibt  links  etwas  er- 
giebigere Contractionen  als  rechts.  Reizung  des  Ulnarisstammes  löst  rechts 
wie  links  gleich  starke  Contractionen  aus.  Bei  directer  Reizung  contrahiren 
sich  die  M.  M.  interossei  rechts  ebenso  stark  wie  links.  Die  Untersuchung 
mit  dem  constanten  Strom  ergibt  keinen  Unterschied  zwischen  rechts 
und  links. 

Der  Händedruck  ist  rechts  sehr  schwach.  Pat.  bedient  sich  zu  seinen 
alltägliclien  Verriebtangen  der  rechten  Hand,  obgleich  er  die  Gege^istände 
mit  derselben  ziemlieh  angeschickt  fasst. 

Krankengeschichte.  Die  Schmerzen  nahmen  bald  an  Intensität 
ab,  so  dass  Pat.  schon  Anfangs  Juni  aufstehen  konnte;  Mitte  Juni  ging 
er  mit  einem  Stocke  im  Saale  umher,  und  schonte  soviel  wie  möglich  das 
rechte  Bein.  Dabei  war  das  Allgemeinbefinden  sehr  gut.  Bemerkenswerth 
ist,  dass  während  seines  Aufenthalts  aaf  der  Klinik  die  Temperatur  Abends 
fast  immer  über  38 ^  C.  war.  Die  Pulsfrequenz  war  dabei  etwas  hoch, 
HO — 120.  Einige  Male  stieg  die  «Temperatur  bis  nahe  an  40^  C.  mit 
130  Pulsen.  Eine  Ursache  für  diese  Temperatursteigerungen  liess  sich 
nicht  nachweisen.  Gegen  dieselben  wurden  anfangs  bin  und  wieder  kleine 
Dosen  Chinin  ohne  grossen  Erfolg  gegeben.  Die  Temperaturverhältnisse 
zwischen  links   und  rechts  blieben  immer  dieselben.     Das  Körpergewicht 


504  XXVUL  Kleinere  MittheUnngen. 

m 

nahm  zu;  reclitB  wie  links  wurde  der  Umfang  der  EztremiUten  grdsser, 
rechts  aber  mehr  wie  links;  so  dass  Ende  August  zwischen  der  rechten 
und  linken  unteren  Extremität  fast  gar  keine  Differenz  mehr  bestand,  ood 
an  den  Ober-Extremitäten  der  Unterschied  kaum  iVs  Gm.  betrug.  Der 
Händedruck  wurde  auch  viel  stärker.  Sensibiiitätsstörungen  wurden  me- 
mals  beobachtet,  und  niemals  ergab  die  Untersuchung  mit  dem  galvanisdien 
oder  mit  dem  faradischen  Strom  einen  Unterschied  zwischen  rechts  nod 
links. 

Therapie.  Vier  Monate  lang  wurde  die  Wirbelsäule  3  mal  wö- 
chentlich mit  einem  absteigenden  constanten  Strom  behandelt. 

Ende  September  wird  Pat.  in  einem  ausserordentlich  guten  Zustand 
entlassen.  Ende  November  gibt  er  brieflich  an,  dass  er  sich  wohl  befinde, 
dass  das  rechte  Bein  schmerzlos  ist,  und  ebenso  stark  wie  das  linke,  dus 
der  rechte  Arm  noch  schwächer  als  der  linke  ist,  aber  dass  er  mit  dem- 
selben beinahe  wie  früher  seine  Arbeit  verrichten  kann. 

Februar  1878  traten,  wie  ich  später  erfuhr,  Erscheinungen  von  Seiten 
der  Lungen  auf.  Später  bildete  sich  auf  dem  rechten  Vorderarm  eine  fanst- 
grosse  fluctuirende  Geschwulst,  welche  punktirt  und  mit  Tinct.  Jodi  (?)  ans- 
gespritzt  wurde.  Darauf  verschlimmerte  sich  der  Zustand;  die  Dnter-Ex- 
tremitäten  schwollen  an,  und  Ende  Mai  1878  trat  der  Exitus  letalis  dn. 
Keine  Section. 

In  diesem  Falle,  dessen  Anfang  und  Ende  nicht  zu  unserer  Beobach- 
tung gelangten,  muss  ich  Folgendes  hervorheben.  Die  Krankheitsursache 
ist  wahrscheinlich  traumatischer  Natur  gewesen  (Sturz  auf  das  GesäSB); 
die  Atrophie  beschränkte  sich  auf  die  rechte  Hälfte  des  Rumpfes  und  die 
rechtseitigen  Extremitäten;  jede  SensibilitätsstOrung  oder  Differenz  in  der 
electrischen  Erregbarkeit  zwischen  rechts  und  links  fehlten;  die  Gebin- 
nerven  blieben  frei.  Sehr  interessant  sind  noch  die  beobachteten  Tempe- 
raturdifferenzen zwischen  beiden  KOrperhälften  (R.  0.  Ext.  wärmer,  R.  U. 
Ext.  kälter  als  die  entsprechende  linke) ,  sowie  das  intermittirende  Fieber, 
welches  öfters  über  39  <^  stieg. 

Wenn  wir  betrachten,  dass  die  Kopfmuskulatur  mit  Einschluss  der 
Zunge  und  des  Gaumensegels  frei  geblieben  ist,  müssen  wir  eine  Hin- 
affection  ausschliessen  und  eine  spinale  Krankheit  annehmen,  ohne  deren 
Charakter  näher  feststellen  zu  können. 


2. 

Zur  Pilocarpin-Wirkung  bei  Bleikolik. 

Von 

Dr.  W.  Weinberg 

in  Berlin. 

Nachdem  seit  Erscheinen  der  Arbeit  von  Dr.  Badenhewer  .Zur 
Theorie  der  Bleiintoxlcation''  aus  der  medicinischen  Abtheilung  des  Cöber 
Bttrgerspitals  (März  1877,  Beri.  klin.  Wochenschrift  Nr.  10)  in  der  Literatv 
meines  Wissens  auf  die  Anwendung  des  Pilocarpinum  muriat  bei  Bleiicolik 


XXVm.  Klemere  Mittheüaiigen.  505 

nicht  wieder  anfmerksam  gemacht  ist,  mGchte  ich  nicht  nnterlassen,  folgende 
zwei  Fälle  zur  Veröfientlichang  za  bringen,  in  denen  ich  von  diesem  Me* 
dicament  einen  flberraachend  gttnstigen  Erfolg  gesehen  habe. 

Beide  Fälle  betrafen  Maler,  welche  in  Folge  von  Beschäftigung  mit 
Bleiweissfarben  erkrankten,  nachdem  frflher  schon  mehrere  Anfälle  von  Blei- 
kolik voraufgegangen  waren.  Bei  beiden  bestanden  sehr  dentlich  ansge- 
sprochener  Bleirand  am  Zahnfleisch,  hochgradige  Abdominalschmerzen  nnd 
Obstipation  seit  mehreren  Tagen. 

1.  Fall:  am  18.  Juni  in  Behandlung  genommen.  Bis  20.  früh  6  Uhr 
Pulv.  Opii  0,24  nnd  Ricinnsöl  in  grossen  Dosen,  sowohl  per  os  als  im 
Klysma,  ohne  jeglichen  Erfolg;  die  Schmerzen  hatten  sogar  an  Intensität 
zugenommen.     Am   20.  Mittags  Pilocarpini  mnriat.  0,02  subcutan  injicirt 

Nach  10  Minuten  Schweissausbmch  und  Salivation  zugleich  mit  Nach- 
lass  der  Schmerzen.  Etwa  15  Minuten  später  reichliche  Stuhlent- 
leerung. Am  Abend  desselben  Tages  vollständiges  Aufhören  der  Schmer- 
len, -welche  auch  in  den  folgenden  Tagen  nicht  wiederkehrten,  wogegen 
die  Stuhlentleerung  noch  retardirt  blieb  und  erst  am  23.  spontan  und  spär- 
lich erfolgte.  Um  auf  dieselbe  einzuwirken,  sowie  auch  zur  Prophylaxis 
g;egen  etwaige  Wiederkehr  der  Schmerzen,  wurde  am  23.  Abends  ein  Infus. 
fol.  Jaborandi  5: 100  verabreicht,  welches,  wie  die  Pilocarpininjection,  wieder 
von  starkem  Schweissausbmch  und  reichlichem  Stuhlgang  gefolgt 
wurde.  Darauf  bis  zum  1.  Juli,  seit  welcher  Zeit  ich  Patient  nicht  mehr 
beobachten  konnte,  vollständig  normales  Befinden. 

In  dem  2.  Fall,  in  welchem  die  Abdominalschmerzen  äusserst  heftig 
waren  und  schon  seit  drei  Tagen  den  Patienten  nicht  zum  Schlaf  hatten 
kommen  lassen ,  wurde  am  14.  Juli  als  erste  Medication  Inf.  Jaborandi 
5:120,  in  einer  Stunde  zu  verbrauchen,  verabreicht.  Mit  dem  darauffol- 
genden Schweiss  stellte  sich  geringer  Nachlass  der  Schmerzen  ein,  welche 
aber  nach  einigen  Stunden  wieder  die  vorherige  Höhe  erreichten,  weshalb, 
sowie  wegen  der  fortbestehenden  Obstipation,  am  Nachmittag  zum  Opium 
0,02  zweistflndlich  und  mehrmaligen  grossen  Dosen  Ricinusöl  übergegangen 
wurde. 

Am  15.  Juli  Vormittags  11  Uhr  Status  idem;  Nachts  wegen  Heftig- 
keit der  Schmerzen,  welche  anfallsweise  alle  3 — 4  Minuten  wiederkehrten, 
nicht  geschlafen.  Abdomen  kahnförmig  eingezogen.  Radialpuls  voll,  70  in 
der  Minute,  Arterie  von  starker  Spannung.  11  Uhr  0,015  Pilocarpin  in- 
jicirt. Nach  15  Minuten  Schweissausbruch  und  Salivation,  beide  aber  nur 
massig,  auch  Nachlass  der  Schmerzen,  jedoch  kein  vollständiges  Auf- 
hören derselben.  Auch  war  bis  zum  Abend  kein  Stuhl  erfolgt,  weshalb 
ein  Klysma  von  Infus.  Sennae  mit  Na.  sulphur.  gegeben  wurde. 

16.  Juli.  Gestern  Abend  nach  erfolgtem  Stuhlgang  Verringerung  der 
Schmerzen,  Nachts  Wiederkehr  derselben  und  am  Vormittag  bis  zur  früheren 
Höhe  gesteigert.    Mit  Opium  0,02  zweistündlich  weiter  fortgefahren. 

Nachmittags  5  Uhr  Klysma  nnd  Ricinusöl  verordnet.  Hierbei  passirte 
das  Veraehen,  dass  der  Heilgehilfe  den  Rest  des  Fläschchens  mit  Pilocarpin, 
welches  ich  in  der  Wohnung  des  Patienten  zurückgelassen  hatte,  im  Ganzen 
0,085  Pilocarpin,  dem  Klysma  zusetzte,  von  dem  Patienten  hierzu  aufge- 
fordert. Das  Klysma  blieb  drei  Stunden  zurück ,  worauf  spärlicher  Stuhl, 
dann  aber  1  Stunde  später  sehr  reichlicher  Schweissausbruch  mit 


506  XXYIU.  Kleinere  MittheUoiigen. 

copiÖBcr  Speichelabsonderang  erfolgte,  welobe  2^2  Standen  an* 
daoerte. 

Hierauf  sogleich  bedeutender  Nacblaas  der  SchmerBen  nnd  am 
17.  Juli  Nachmittags,  ohne  dass  dne  andere  Medication  angewandt  war, 
gänzliches  Aufhören  derselben.  Bis  heute  normales  Befinden,  nur  noch 
allgemeine  Schwäche  geklagt 

Wenn  es  auch  nicht  gestattet  ist,  ans  zwei  Fällen  einen  allgemeiD 
giltigen  Schluss  auf  die  constante  Wirkung  eines  Medicamentes  zu  sieben, 
dürfte  dennoch  wohl  anzunehmen  sein,  dass  wir  in  dem  PilocarpiD  eio 
wirksames  Mittel  gegen  die  Beschwerden  der  Bleikolik  besitzen,  weil  dessen 
Effect  auf  physiologischen  Grundlagen  beruht.  In  dem  zweiten  der 
mitgetheilten  Fälle  war  freilich  die  Wirkung  nach  der  subcutanen  Appli- 
cation keine  so  vollständige  wie  in  dem  ersten.  Vielleicht  aber  dürfte  dieses 
auf  der  Unzulänglichkeit  der  Dosis  beruhen,  da  nur  0,015  injidrt  waren, 
«ine  Annahme,  die  um  so  mehr  zu  rechtfertigen  ist,  als  später  die  Wirkosg 
der  per  Klysma  eingeführten  0,085  Pilocarpin  auf  den  Sohweissausbradi 
und  zugleich  auch  auf  die  Schmerzen  eine  viel  intensivere  war. 

Dieser  2.  Fall  dürfte  besonderes  Interesse  wegen  der  Klysmawirkoog 
bieten,  da  wohl  kaum  zu  erwarten  ist,  dass  absichtlich  die  Klystierspritae 
zur  Application  des  Pilocarpin  wieder  gewählt  werden  wird. 

In  wie  weit  in  diesen  beiden  Fällen  die  anderweitige  Medication  (Opiate 
und  Laxantien)  den  Effect  des  Pilocarpin  unterstützt  hat,  dürften  vielleicht 
weitere  Beobachtungen  entscheiden,  in  denen  Pilocarpin  allein  zur  Ad- 
wendung  gelangt. 

3. 

Zur  intrauterinen  Vaccination. 

Vot 

Br.  Albreoht  E.  Borekhardt, 

AMisUnsant  der  medlcinlschen  KllnUc  so  Batd. 

Im  Nachfolgenden  theile  ich  kurz  einige  Versuche  mit,  die  eine  theo- 
retisch interessante  Frage  betreffen ;  hätten  sie  zahlreicher  und  prloiser  voa 
mir  können  angestellt  werden,  so  würde  das  Resultat  auch  vo«  unmittelbar 
praktischem  Werthe  geworden  sein.  Es  behandeln  meine  Versuche  die  so- 
genannte intrauterine  Vaccination,  speciell  die  Beantwortung  der 
Frage,  ob  es  möglich  sei,  durch  Impfung  der  schwangeren  Frau  ihr  Kiod 
gegen  Vaccine,  eventuell  also  auch  gegen  Variola  immun  zu  madieo. 

Die  Anregung  zur  Prüfung  dieser  Angelegenheit  geht  bekanntlich  voo 
Professor  Bollinger  in  München  aus,  der  in  seiner  Publication  über  Men- 
schen* und  Thierpocken  (Volkmann's  Samml.  klin.  Vorträge  Kr.  116)  lum 
Schluss  auch  noch  auf  die  intrauterine  Vaccination  zu  reden  kommt  uod 
diese  schon  a  priori  ungefähr  mit  folgenden  Gründen  plausibel  zu  nacbeo 
sucht: 

Da  es  hinlänglich  feststeht ,  dass  das  Variolagift  von  der  Mutter  aof 
den  Fötus  übergehen  kann  und  gewöhplich  übergeht,  so  liegt  die  Ve^ 
muthung' nicht  ferne,  dass  bei  dem  verwandten  Vaccinegift  ein  ähnliches 
Verhalten  existiren  möchte.   Man  könnte  vielleicht  eine  Anzahl  unserer  Fehl- 


XXVIIL  Kleinere  Mittheüoiigen.  507 

impfangen  bei  kleinen  Rindern  auf  den  Umstand  zorflckfflhren ,  dasB  ihre 
Mtttter  w&hrend  der  Schwangerschaft  erfolgreich  geimpft  worden  wären. 
Und  zn  dieser  Annahme  wird  man  noch  gedrängt  durch  sehr  sprechende 
Erfahrungen  bei  der  Impfung  unserer  Schafe.  Rickert  impfte  eine  Heerde 
von  ca.  700  trächtigen  Mutterschafen  während  der  sechs  letzten  Wochen 
der  Trächtigkeit  mit  Ovine.  Die  Lämmer  dieser  Schafe  wurden  in  einem 
Alter  von  vier  bis  sechs  Wochen  mit  guter  Schafpockenlymphe  geimpft ;  bei 
keinem  von  ihnen  wurde  auch  nur  eine  einzige  Impfpocke  hervorge- 
bracht, während  36  gleichzeitig  geimpfte  ControUämmer  die  schönsten  Pusteln 
zeigten.  In  gleicher  Weise  constatirte  Roloff,  dass  Lämmer,  die.  einige 
Wochen  nach  der  Impfung  ihrer  Mütter  geboren  wurden,  von  den  in  der 
Heeräe  herrschenden  natürlichen  Pocken  unberührt  blieben.  Beim  Menschen 
existirt  nur  eine  einschlägige  Beobachtung  von  Underhill,  welcher  eine 
im  achten  Monat  schwangere  Frau  mit  gutem  Erfolge  revaccinirte,  deren 
Kind  aber  im  dritten  und  vierten  Lebensmonate  mit  frischer  Lymphe  völlig 
ohne  Resultat  impfte. 

Bei  dieser  Sachlage  erschien  eine  weitere  Verfolgung  des  Gegenstandes 
wfinschenswerth.  Ich  nahm  meine  Versuche  auf  der  geburtshilflichen  Klinik 
des  Herrn  Professor  J.  J.  Bischoff  zn  Basel  vor,  dem  ich  hiermit  für 
die  freundliche  Ueberlassnng  seiner  Pflegebefohlenen  meinen  aufrichtigen 
Dank  sage. 

Zuerst  einige  Worte  über  das  Aeussere  der  Versuche.  —  Das  Haupt* 
angenmerk  war  wohl  auf  die  Beschaffung  zuverlässiger  Lymphe  su 
richten,  da  ohne  gute  Qualität  derselben  von  vornherein  jedes  Resultat 
zweifelhaft  oder  illusorisch  war.  Dureh  die  Güte  der  Herrn  Physikus  Dr. 
de  Wette  und  Schlachthansverwalter  Siegmund  zu  Basel  war  es  mir 
möglich,  beinahe  wöchentlich  zur  geeigneten  Zeit  frische  unverdünnte  Lymphe 
direct  vom  Farren  zu  erhalten;  dies'^lbe  kam  längstens  nach  48  Stunden 
zur  Verwendung,  während  welcher  Zeit  sie  luftdicht  aufbewahrt  war.  Ueber 
die  Verlässlichkeit  dieses  Materials  ist  das  Urtheil  bekanntlich  ein  absolut 
günstiges.  Daneben  bezog  ich  noch  zu  vielen  Malen  aus  dem  königl. 
bayerischen  Centralimpfinstitut  in  München  humanisirte  Lymphe, 
bei  deren  Anwendung  ich  in  Uebereinstimmung  mit  allen  Anderen  stets  sehr 
gute  Erfolge  hatte.  Nur  ein  einziges  Mal  versagte  eine  von  mir  offenbar 
zu  lange  aufbewahrte  Sendung  den  Dienst,  was  natürlich  noch  an  der  be* 
treffenden  Stelle  besonders  bemerkt  sein  wird  (s.  w.  u.). 

Ebenso  wichtig  war  die  Auswahl  der  Schwangeren.  Ausgeschlossen 
wurden  alle  diejenigen,  welche  früher  Pocken  durchgemacht  hatten,  ferner 
solche,  die  in  den  letzten  Jahren  schon  revaccinirt  worden  waren,  weil  bei 
diesen  letzteren  palpabler  Erfolg  des  Impfens  nicht  mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit zu  erwarten  war.  (Eine  Ausnahme  s.  u.)  Weiter  wurde  ausnahms- 
los der  achte  oder  neunte  Monat  der  Gravidität  gewählt,  und  zwar 
&U8  zwei  Gründen:  erstens  wollte  ich  nicht  immer  Gefahr  laufen,  bei  zu- 
fällig vorzeitiger  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  meine  Mühe  verloren 
zu  haben,  zweitens  schien  es  nicht  passend,  eine  zu  grosse  Zeit  zwischen 
^er  Impfung  der  Mutter  und  der  des  Kindes  verstreichen  zu  lassen,  da  ja 
die  Dauer  der  vaccinatorischeh  Schutzkraft  noch  nicht  hinlänglich  festge- 
stellt ist.  —  Die  Schwangeren  wurden  gewöhnlich  an  beiden  Oberarmen 
°^it  je  zwei  Schnitten  revaccinirt ;  sie  stellten  sich  nach  sechs  bis  acht  Tagen 


508  XXVm.  Kleinere  Mittheüangen. 

zur  Controle  wieder  ein,  bei  welcher  dann  immer  dnrch  Anamnese  nod 
Statna  praesens  ein  positiver  oder  negativer  Erfolg  konnte  notirt  wer- 
den. Eine  erhebliche  Beeinträchtigang  des  Allgemeinbefindens  oder  gsr  der 
Schwangerschaft  wnrde  nicht  beobachtet;  denn  die  in  drei  Fällen  soflUig 
bald  nach  der  Revaccination  eingetretene  Frühgeburt  ist  mit  Sicherheit  ande- 
ren Ursachen  zuzuschreiben. 

In  dieser  Art  wurden  nun  von  mir  in  den  Jahren  1877  und  187S 
28  Schwangere  geimpft  —  aber  leider  entsprechen  ihnen  nicht  auch  28  Be- 
obachtungen an  Rindern:  denn  dadurch  dass  1.  manche  Schwangere  sich 
später  gar  nicht  zur  Geburt  einfanden ,  dass  2.  andere  zu  frflh  oder  mit 
todten  Kindern  niederkamen,  dadurch  ferner,  dass  3.  die  Kioder  mehnnsU 
kurz  nach  der  Geburt  die  Anstalt  verliessen,  und  dadurch  endlich,  dsss 
4.  ich  selbst  nicht  auf  der  geburtshilflichen  Abtheilung  wohnend,  oft  im 
betrefienden  Augenblick  zuHlllig  am  Erscheinen  verhindert  war,  —  redn- 
ciren  sich  die  thatsächlichen  Beobachtungen  auf  die  kleine  Zahl  von  acht 
Kindern.  Diese  acht  Kinder  wurden  jeweilen  am  vierten  bis  sechsten  Tage 
nach  der  Geburt  an  beiden  Armen  geimpft  und  dann  zehn  Tage  lang  genau 
untersucht.  —  Und  hier  liegt  nun  allerdings  die  schwache  Seite  der  Ver- 
suche; denn  es  ist  ja  bekannt,  dass  nicht  selten  bei  kleinen  Kindern  in 
den  ersten  Lebensmonaten  die  Vaccine  überhaupt  nicht  haftet.  Ein  negatives 
Resultat  der  Impfungen  in  den  vorliegenden  Versuchen  wäre  also  durthana 
nicht  beweisend  für  das  factische  Zustandekommen  einer  intrauterinen  Vacci- 
nation;  man  mflsste  also  eigentlich  in  späteren  Lebensabschnitten,  etwa 
nach  einem  halben  oder  nach  einem  ganzen  Jahre,  von  Neuem  impfen. 
Das  ging  nun  (mit  Ausnahme  eines  einzigen  Falles,  bei  dem  übrigens  anch 
eine  zweite  Impfung  nach  fünf  Monaten  erfolglos  blieb)  einfach  darum  nicht 
an,  weil  es  mir  bei  aller  Mühe  nicht  gelang,  das  Schicksal  der  Kinder 
nach  ihrem  Austritt  aus  dem  Spital  weiter  zu  verfolgen.  Meine  Resultate 
wären  also  zum  mindesten  sehr  fraglich,  wenn  ich  nicht  in  vier  Fällen 
durch  gleichzeitige  Impfung  von  Controlkindern,  deren  Mütter  nicht 
revaccinirt  worden  waren,  schöne  Impfpocken  erzielt  hätte.  Dadurch  er- 
scheint ein  blosser  Zufall  nicht  gerade  wahrscheinlich. 

Es  ergab  sich  nun,  kurz  gefasst,  Folgendes: 

1.  Die  Kinder  von  vier  Müttern,  die  mit  vollständigem  Erfolge 
revaccinirt  worden  waren,  wurden  alle  erfolglos  geimpft.  (Eines  davon 
nach  einem  halben  Jahre  wieder  erfolglos;  bei  den  drei  anderen  zeigten 
Controlkinder  guten  Erfolg.) 

2.  Die  Kinder  von  zwei  Müttern,  die  mit  unvollständigem  (aber 
nicht  völlig  negativem)  Erfolge  revaccinirt  worden  waren,  wurden  beide 
erfolglos  geimpft.  (Das  eine  Gontrolkind  mit  gutem  Erfolg;  das  andere 
ohne  Erfolg;  zu  dieser  letzteren  Impfung  war  indessen  vielleicht  zu  alter 
Impfstoff  verwendet  worden,  s.  o.) 

3.  Von  den  Kindern  zweier  trotz  guter  Lymphe  ganz  ohne  Erfolg 
revaccinirter  Schwangeren  wurde  das  eine  erfolglos  (Gontrolkind  fehtt 
leider!),  das  andere  mit  schönem  Erfolge  geimpft;  die  Mutter  dieses  letz- 
teren war  vor  fünf  Jahren  mit  sehr  gutem  Erfolg  revaccinirt  worden. 

Diese  letzten  beiden  Versuche  regten  nun  bei  mir  den  Gedanken  an, 
einen  Vorschlag  Bo  Hing  er 's  noch  näher  zu  prüfen  (1.  c  S.  38).  Wttrde 
man   nämlich  das  Vaccinegift  jdirect  in  den  Blutstrom  einer  Schwangeren 


XXYIIL  Kldnere  MittheUangen.  509  . 

briogeo,  die  fOr  sich  selbst  durch  frtthere  Variola  oder  VacdiiatioD  gegen 
Pockengift  und  Schatzpockengift  immon  geworden  ist,  so  könnte  man  viel- 
leicht durch  diese  Procedur  dennoch  deiren  Kind  intrauterin  impfen.  Ich 
konnte  leider  ans  äusseren  Gründen  diesen  Punkt  nicht  näher  verfolgen 
und  blieb  daher  bei  dem  Vorversuche  stehen,  ob  überhaupt  subcutane 
iDJection  der  Lymphe  den  gleichen  Dienst  in  Beziehung  auf 
den  FdtuB  thue,  wie  die  gewöhnlich  geübte  Revaccination. 

Zu  diesem  Behufe  wurde  eine  Portion  humanisirter  Lymphe,  die  sonst 
für  die  Revaccination  von  sechs  bis  acht  Personen  reichlich  genügt  hätte, 
mit  einem  Tröpfchen  destillirten  Wassers  verdünnt  und  jeweilen  einer  Schwan- 
geren in  das  Unterhautbindegewebe  injicirt.  Es  erfolgte  bei  diesem  Ver- 
fahren in  keinem  Falle  irgendwelche  locale  Reaction,  ebensowenig  auch  eine 
Störung  des  AllgemeiDbefindens,  so  dass  also  der  Eingriff  für  Schwangere 
jedenfalls  nicht  mit  Nachtheilen  verknüpft  ist 

Ich  unterwarf  im  Ganzen  zehn  Schwangere  dieser  Procedur,  konnte 
aber  nur  bei  zwei  der  betreffenden  Nengebomen  die  Vaocination  später  vor- 
nehmen. Bei  diesen  beiden  Kindern  blieb  nun  die  vulgäre 
Impfung  thätsächlich  völlig  resultatlos,  während  die  zwei  Gon- 
trolkinder  die  schönsten  Impfpusteln  aufzuweisen  hatten. 

Ich  halte  es  freilich  für  verfrüht,  allzu  positive  Schlüsse  aus  dem  eben 
Mitgetbeilten  zu  ziehen.  Sind  wir  ja  doch  gewohnt,  in  den  das  Impfwesen 
betreffenden  Fragen  nur  mit  den  allergrössten  Zahlen,  die  überhaupt  die 
Statistik  aufzuweisen  hat,  zu  rechnen,  so  dass  also  ein  Paar  Fälle,  auch 
wenn  sie  an  sich  unanfechtbar  wären,  doch  kaum  mehr  als  eine  Andeutung 
des  Sachverhaltes  geben  könnten.  Bei  alledem  wird  wegen  der  Umständ- 
lichkeit der  Versuche  nur  dadurch  ein  klares  und  unzweideutiges  Urtheii 
in  dieser  Sache  möglich  sein,  wenn  verschiedene  Beobachter  ihre  "verschie- 
denen, auch  noch  so  kleinen  Versuchsreihen  publiciren.^ 

Und  sollte  es  sich  hierbei  herausstellen,  dass  die  intrauterine  Vaoci- 
oation,  nach  der  einen  oder  anderen  Methode  ausgeübt,  thatsächlich  leicht 
zu  Stande  kommt,  so  wäre  der  praktische  Gewinn  gewiss  ein  nicht  ge- 
ringer. Es  ist  ja  constatirt,  dass  die  Variolamortalität  in  den  ersten  Lebens- 
monaten die  bedeutendste  ist,  dass  femer  die  gewöhnliche  Impfung  bei 
kakotrophen  Kindern  etliche  Gefahr  bietet.  Die  intrauterine'  Vaccination 
würde  es  möglieh  machen,  die  Kinder  von  der  Stunde  ihrer  Geburt  an 
gegen  die  Pockenseuche  zu  schützen  und  ans  diesem  Grunde  empfiehlt  sich 
die  weitere  Verfolgung  der  Frage  einem  jeden  Arzte  wohl  von  selbst 


4. 

Brand  des  rechten  Beines  mit  tödtlichem  Verlauf  inner- 
halb 23  Stunden  bei  Morbus  Brightii  chronicus. 

Von 

Dr.  S.  Marcus 

In  Frankfurt  a.  M. 

Es  ist  eine  heikle  Sache,  einen  tödtlioh  verlaufenen  Krankheitsfall  zu 
veröffentlichen,  bei  dem  es  nicht  gestattet  war,  die  Section  vorzunehmen. 


510  XXVni.  Kleinere  Mittheflongen. 

Wenn  ich  dennoch,  angeregt  darch  einen  Vortrag  Billroth'a  fiber  „Gan* 
grän*^  und  durch  Beck's  Aufsatz  in  der  Deutschen  Zeitschrift  für  Cfainirgie 
(XL  Bd.,  3.  und  4.  Heft)  „über  Brand  nach  Thrombosimng  und  nach  Br- 
friening'^,  die  nachstehende,  bereits  in  unserem  ärztlichen  Verein  voi^ 
tragene  Krankengeschichte  aus  meinem  Pult  hervorhole  und  diesem  ArchiT 
einverleibe,  so  bestimmt  mich  hierzu  der  Umstand,  dass,  wenn  auoLFftlle 
von  Thrombosirung  der  Gefässe  der  unteren  Extremitäten  mit  nachfolgen- 
der Gangrän  bei  Typhus,  Magenkrebs,  Infiltration  der  Lungenspitzeo,  Hen- 
erkrankungen ,  Atherom  der  Aorta  u.  s.  w. ,  kurz  bei  einer  Reihe  innerer 
Erkrankungen  mitgetheilt  sind,  ich  einen  mit  meiner  Beobachtung  gleich- 
artigen Ausgang  bei  chronischer  parenchymatöser  Nierenentzündung  nirgend« 
verzeichnet  fand.  Mein  kleiner  Beitrag  zur  Casuistik  dürfte  daher  immer- 
hin nicht  ohne  Interesse  sein. 

Am  20.  August  1876,  Mittags  12  Uhr,  wurde  ich  eiligst  zu  der  gaos 
in  meiner  Nähe  wohnenden,  am  7.  October  1814  geborenen  Frau  Marga- 
retha  D.'  gerufen.  Ich  hörte,  dass  sie  noch  scheinbar  wohl  und  munter 
auf  den  Abtritt  gegangen  sei,  plötzlich  aber  laut  aufgeschrien  habe,  weil 
sie  in  Folge  eines  ganz  ausserordentlich  heftigen  Schmerzes  in  dem  rechten 
Beine  (von  der  Hüfte  bis  zu  den  Zehen)  nicht  aufstehen  konnte.  Sie  muBste 
in  das  Zimmer  resp.  Bett  getragen  werden.  Bei  meinem  Erscheinen  jam- 
merte Patientin  furchtbar;  den  Schmerz  selbst  konnte  sie  nicht  näher  be- 
schreiben. Objectiv  Hess  sich  am  Beine  absolut  nichts  Abnormes  nach- 
weisen, als  dass  von  lange  her  geringfügige  Varices  am  Unterschenkel  vor- 
handen waren.  Es  war  warm  und  hatte  die  normale  Farbe.  Harte  Stränge 
oder  Punkte  nicht  fühlbar.  .Jede  Berührung  an  allen  Stellen  des  Schenkels 
war  schmerzhaft,  besonders  aber  die  der  Leistengegend.  Drüsen  nicht  ge- 
schwollen. Linkes  Bein  normal.  Puls  90,  regelmässig;  Herz  und  Longe 
ebenfalls.  Stuhl  war  erfolgt,  seit  mehreren  Tagen  aber  war  nicht  viel  Urin 
abgegangen.     Ord. :   Chloroform  -  Liniment,  wollene  Binde. 

Obgleich  die  Untersuchung  des  Beines  nichts  Abnormes  ergab,  erklärte 
ich  doch  sofort  den  Anverwandten,  dass  es  sich  hier  wohl  nicht  um  den 
von  ihnen  angenommenen  „Hezenschuss^  handele,  sondern  um  etwas  Be- 
deutungsvoiles, nicht  Vorübergehendes.  Ich  erinnerte  mich,  dass  ich  Patientin 
zu  Ende  September  bis  Mitte  October  vorigen  Jahres  an  ausgesprochenem 
M.  Brightii  mit  leichten  hydropischen  Erscheinungen  bebandelt  hatte,  die 
allerdings  von  da  ab  verschwunden  waren,  dergestalt,  dass  Patientin,  die 
nicht  länger  ärztlich  behandelt  sein  wollte,  sich,  wie  ich  mittlerweile  manch- 
mal zufällig  erfuhr  und  wie  mir  heute  bestätigt  wurde,  vollkommen  wohl 
fühlte  und  ihren  häuslichen  Arbeiten  nachging.  Eine  Anschwellung  des 
Leibes  soll  niemals  mehr  eingetreten  sein.  Nur  hie  und  da  hatte  die  Kranke 
noch  über  Müdigkeit,  zuweilen  auch  über  Schmerzen  in  beiden  Beinen  ge- 
klagt, was  sie  auf  Rechnung  ihres  Alters  setzte,  so  einmal  im  April  des 
laufenden  Jahres;  auch  einmal  über  eine  leichte  ROthe  mit  geringer  An- 
schwellung am  Unterschenkel,  die  auf  Bleiwasserumschläge  bald  verging. 
Die  Urinabsonderung  soll  bis  zu  den  letzten  Tagen  regelmässig  gewesen 
sein.     Das  Aussehen  der  Patientin  war  sehr  gut. 

Um  1 2  Uhr  Mittags  also  hatte  ich  Patientin  zuerst  gesehen,  im  Lanfe 
des  Nachmittags  sah  ich  sie  noch  öfters,  da  die  Schmerzen  sehr  hochgradig 
wurden,  zuletzt  Abends  8  Uhr.    Auch  da  war  ausser  Schmerzen  bei  jeder 


XXJX.  BeBpreehuDgen.  51t 

• 
Berflbrung  and  bei  dem  Versnch  zu' Bewegungen  des  BeineB  sowohl  hin- 
sichtlich der  Farbe,  wie  des  Umfanges,'  der  Temperatur,  der  Weichheit  n.  s.  w. 
nichts  Abnormes  nachweisbar.  Palsation  der  Art.  fem.  schwach.  Das  linke 
Bein  normal.  Herz  nicht  yerftndert.  Pols  100.  Temperatur  37,5.  Urin, 
mit  dem  Katheter  entleert,  wenig,  stark  eiweiss-  und  cyiinderhaltig.  Im 
linken  Hypochondrium  auch  Schmerzen,  Leib  weich,  nicht  aufgetrieben. 
Sensorium  normal.  Kein  Erbrechen.  Zunge  gut.  Ord.:  Morph.  0,01  alle 
3 — 4  Standen  Klysma.     Einwicklung. 

Die  Naeht  war  zar  Hälfte  sehr  anruhig,  dann  aber  duselte  Patientin 
fast  stftndig.     Kein  Delirium.     Viel  Durst. 

Als  ich  am  21.  Morgens  zwischen  6  und  7  Uhr  zu  der  Kranken  kam, 
fand  ieh  ein  aberraschen  des  Bild.  Sie  lag  in  Agone.  Mehr  aber  noch  er- 
schrak ich,  sowie  ihre  Angehörigen,  als  ich  das  rechte  Bein  bioslegte.  Es 
bot  sich  das  Bild  des  vollständigen  Brandes.  Von  den  Zehen  bis 
herauf  zur  Darmbeinschaufel  war  das  Bein  total  dunkelbraun,  an  einzelnen 
Stellen  fast  schwarz,  dabei  kOhl,  empfindungslos,  nur  bei  Druck  in  der 
Leistengegend  zuckte  Patientin  leise.  Keine  nennenswerthe  Anschwellung, 
keine  Härte,  keine  Knoten  im  Verlauf  der  Gefllsse;  Pulsation  aufgehoben. 
Aach  der  nicht  aufgetriebene  Leib  zeigte  rechts  bis  zur  Linea  alba  und 
bis  zur  Höhe  des  Nabels  stellenweise  eine  gleiche  Färbung,  wie  das  Bein. 
Puls  klein,  kaum  fühlbar.  Sprache  lallend,  noch  klares  Bewusstsein.  Viel 
Dusel.    Wenig  mit  dem  Katheter  entleerter  Urin,  colossal  viel  Eiweiss. 

Vormittags  9  Uhr  Bewusstlosigkeit,  11  Uhr  Vormittags  Tod.  Leider 
durfte,  wie  Eingangs  bemerkt,  die  Section  nicht  ausgeführt  werden.  Es 
iässt  sich  aber  auch  ohne  solche  mit  annähernder  Gewissheit  annehmen, 
dass  es  sich  ursprünglich  um  Embolie  und  Thrombose  der  Arieria  iliaca 
ext.  dextra  und  später  auch  der  Art.  iliaca  communis  dextra  gehandelt  hat. 


XXIX. 

Besprechungen. 

Dr.  A.  Erlenmeyer,    Die  Schrift.    Grundzüge  ihrer  Physiologie  und 
Pathologie.    Stuttgart,  A.  Benz  &  Comp.,  1879.    gr.  8^.   72  Seiten. 

Erlenmeyer  hat  sich  das  Verdienst  erworben,  zum  ersten  Male  die 
Schrift  und  ihre  Störungen  durch  Krankheit,  Alter  u.  s.  w.  in  umfassender 
Weise  und  vom  ärztlichen  Gesichtspunkte  aus  dargestellt  zu  haben.  Dass 
diese  erste  Bearbeitung  der  wichtigen  und  vielseitigen  Materie  keine  durch- 
aus erschöpfende  ist,  wird  dem  Verfasser  Niemand  zum  Vorwurf  machen: 
ist  einmal  der  Grund  des  Gebäudes  gelegt,  so  werden  sich  auch  die  finden, 
die  es  ausbauen. 


512  XXIX.  Besprecluingen. 

Die  ersten  zwei  Kapitel  sind  der  Physiologie  der  Schrift  gewidmet 
Es  wird  in  ihnen  behandelt :  die  Richtung  der  Schrift,  welche  immer  eine 
Abdnctionsbewegung  darstellt,  mit  der  rechten  Hand  von  links  nach  reohts, 
mit  der  linken  von  rechts  nach  links;  die  Mechanik  des  Schreibens,  der 
Charakter  der  Schrift,  welcher  die  Eigenthflmlichkeit  des  Schreibenden  wie- 
dergibt, u.  s.  w« 

Die  pathologischen  Veränderungen  der  Schrift  werden  eingetheilt  in 
mechanische  nnd  psychische.  Bei  jenen  erscheint  die  alterirte  Schrift  nur 
undeutlich  eventuell  unleserlich,  also  formfalsch^  nie  sinnfalsch.  Die  psy- 
chischen Alterationen  der  Schrift  widersprechen  der  Orthographie,  der  For- 
menlehre und  Syntax,  also  der  Grammatik:  Dysgrammatographie.  Die 
mechanischen  Schriftstörungen  zerfallen  wieder  in  die  ataktische  Schrift  uod 
die  Zitterschrift.  Jene  kommt  physiologisch  vor  beim  Kinde,  pathologiflch 
bei  allen  Erkrankungen,  welche  Ataxie  der  Handbewegungen  verursachen: 
Cerebrale  und  spinale  Ataxie,  Intoxicationen ,  Ermüdung,  Schreibekrampf. 
Ihr  Wesen  besteht  in  der  excessiven  Ausführung  der  einzelnen  Buchstaben. 
Die  Zitterschrift  kommt  physiologisch  vor  im  Alter,  pathologisch  durch 
Alle  Ursachen,  die  Zittern  der  Hand  veranlassen,  z.  B.  Kälte,  Herdsklerose, 
Paralysis  agitans  u.  s.  w.  Wellenlinien  statt  gerader  Linien  ist  ihr  TypoB. 
Die  Dysgrammatograpbien  zerfallen  in:  1.  die  bewusst  zwangsartigen,  da- 
hin gehören  die  Agraphie  und  die  Paragraphie,  und  2.  die  willkflrlich  od- 
bewussten,  dahin  zählt  die  Schrift  der  Paralytiker.  Alle  die  verschiedenen 
Störungen  der  Schrift  können  sich  mit  einander  combiniren  nnd  thnn  dies 
besonders  bei  der  progressiven  Paralyse  der  Irren.  Gerade  bei  letzterer 
Krankheit  ist  die  Beobachtung  der  Schrift  von  besonderer  Wichtigkeit,  so- 
wohl theoretisch  als  in  Bezug  auf  Diagnose  und  Prognose.  Der  praktischen 
Verwerthung  der  Kenntniss  abnormer  Schrift  ist  das  letzte  Kapitel  gewidmet 
Diese  Kenntniss  ermöglicht  nach  Verfasser  frühzeitig  die  Diagnose  einer 
organischen,  diffusen  Rindenerkrankung,  sie  lässt  zwischen  dieser  und  con- 
sensuellen  Erkrankungsformen  der  Rinde  unterscheiden,  ebenso  zvnsehen 
echter  Paralyse  und  Himlues,  sie  stützt  die  Prognose  nnd  sie  liefert  den 
objectiven  Nachweis  therapeutischer  Erfolge. 

Das  Buch  ist  mit  12  trefflich  ausgeführten,  lithographirten  Tafehi  ans- 
gestattet,  welche  Proben  pathologischer  Schriftformen  enthalten.  Wir  glauben 
dasselbe  allen  Aerzten  angelegentlich  empfehlen  zu  können. 

Leipzig,  August  1879.  f.  j.mjbiM. 


XXX. 

Cotersachungen  Ober  mehrere  ErscheinuDgen  am  Cireulations-  und 
RespiratioDsapparate  (Herzbewegung,  Blutbewegung  in  der  Aorta 
QDd  Radialis,  StimmfremiUis,  Vesiculäratbmen  etc«),  angestellt  an 

einer  Fissura  stemi  congenita. 

Von 

Dr.  Fnms  Penaoldt, 

Obennto  der  medlolalMlMii  Poliklinik  and  Prlratdoconten  in  Erlanfan. 

Angeborene  oder  erworbene  Defecte  in  den  Wandungen  der 
menschlichen  Kdrperh&hlen ,  Defecte,  welche  normaler  Weise  ver- 
steckt liegende  Theile  am  Lebenden  einer  directen  üntersnchung  zu- 
gänglich zu  machen  im  Stande  sind,  hat  man  von  jeher  zur  Erfor- 
schung der  Lebenserscheinungen  der  inneren  Organe  mit  Vorliebe 
und  Erfolg  verwerthet.  Ja,  einzelne  Träger  solcher  Abnormitäten 
erlangten  eine  grosse  Bertthmtheit  und  ihre  Namen  erhielten  in  der 
Geschichte  der  Wissenschaft  einen  Platz  neben  denen,  welche  sie 
zu  ihren  Forschungen  benutzten.  Zu  diesen  gehörte  bekanntlich  auch 
E.  Groux,  ein  Mann  mit  einer  angeborenen  Stemalspalte,  welcher 
in  den  fünfziger  Jahren  dieses  Jahrhunderts  seine  seltene  und  inter- 
essante Missbildung  den  Aerzten  fast  der  ganzen  gebildeten  Welt 
demonstrirte  und  Veranlassung  zu  einer  grossen  Zahl  theils  von  kür- 
zeren Gutachten,  theils  von  grösseren  Arbeiten  gegeben  hat  i).  Von 
den  fibrigen  in  der  Literatur  verzeichneten  congenitalen  Stemalspalten 
ist  keine  in  der  ausgedehnten  Weise  wie  die  von  Oroux  ausgenutzt 
worden;   doch  hatte  z.B.  schon  früher  Scoda^)  ein  neugeborenes 

1)  Davon  seien  erw&hnt:  Ernst,  Yirchow'B  Archiv.  Bd.  IX.  8.269;  Hamer- 
nik,  Wiener  med.  Wochensdir.  185a.  Nr.  29 ff.;  Traube,  Deuteche  Klinik.  1857. 
Nr.  17;  Pavy,  Med.  Times  and  Gas.  1857.  Nov.;  Bennet,  Edinb.  med.  Joam«. 
1858.  March  etc.  YergL  ferner  dieAoufige  aus  dem  Album  in  £.  Groux,  Fiss. 
st  oong.    New  observ.  and  exp.  with  iUostr.  etc.    Hambuiig  1859. 

2)  AbhaodL  aber  Percussion  und  Auscultation.  6.  Aufl.  S.  147.  Die  Literatur 
Ober  die  Fissura  stemi  siehe  ftbrigens  bei  Jahn,  Dieses  Archiv.  Bd.  XVI.  S.  200. 
Dem  dortigen  Tecsflichniss  sei  noch  hinsugef&gt:  Müller,  Fissura  stemi  con- 

DMtaehM  AnhlT  f.  kltn.  M«dloln.    XXIV  Bd.  33 


614  XXX.  Penzoldt 

• 

Kind  mit  fehlendem  Brustbein  fttr  die  Theorie  des  Henstosses  Ter- 
werthet 

DasB  es  aber  möglieh  ist,  derartige  Fälle  noeh  in  mannigfaltigerer 
Beziehung,  als  es  bisher  geschehen  ist^  zumal  mit  Holfe  der  neuen 
Methoden ,  zur  Beleuchtung  und  Erforschung  einzelner  für  die  kli- 
nische Medicin  wichtiger  Erscheinungen  an  den  Brustorganen  heran- 
zuziehen, das  lehrte  mir  die  längere  Beobachtung  einer  Fissura  stemi 
congenita,  welche  ich  in  der  hiesigen  Poliklinik  zu  machen  Gelegen- 
heit hatte.  Das  betreffende  Individuum  wurde  schon  wiederholt  in 
wissenschaftlichen  Versammlungen  demonstrirtO  nnd  dann  in  der 
Dissertation  von  M.  Jahn^)  ausführlicher  beschrieben.  Letzterer 
knüpfte  an  die  Beschreibung  des  Falls  eine  kurze  Abhandlung  Aber 
den  Herzstoss.  Dieselbe  steht  jedoch  mit  jenem  Gegenstand  eigent- 
lich in  sehr  lockerer  Beziehung  und  der  Verfasser  meint  selbst,  dass 
für  die  Theorie  des  Herzstosses  der  Fall  nur  geringe  Ausbeute  liefere. 

Ich  habe  nun  an  dem  Hanne  eine  Reihe  kleiner  unter  sich  meist 
nicht  zusammenhängender  Untersuchungen  über  verschiedene  Gegen- 
stände angestellt,  welche  zu  dem  Kapitel:  physikalische  Dia- 
gnostik in  loserer  oder  engerer  Beziehung  stehen.  Die  Besultate 
sollen  in  dem  Folgenden  gegeben  werden. 

Ehe  ich  jedoch  zur  Besprechung  meiner  Untersuchungen  über- 
gehe, halte  ich  es  für  nöthig,  den  gegenwärtigen  Befund  etwas  aus- 
führlicher mitzutheilen.  Irgend  erheblichere  Veränderungen  in  Form 
und  Ausdehnung  der  Spalte  scheinen  zwar  seit  der  Jahn 'sehen  Schil- 
defung  nicht  stattgefunden  zu  haben,  doch  muss  dieselbe  nach  den 
verschiedensten  Richtungen  hin  ergänzt  und  erweitert  werden.  Vor 
Allem  ist  es  geboten,  alle  Einzelheiten  des  Befundes,  welche  von 
Werth  für  die  Beurtheilung  der  Natur  der  in  der  Spalte  zu  Tage 
tretenden  Organe  sein  können,  sorgfältig  zu  registriren.  Denn  zo- 
nächst  gibt  uns  der  Fall  selbst  Räthsel  auf,  nach  deren  möglichst 
sicherer  Lösung  wir  erst  daran  denken  dürfen,  den  Fall  zur  Lösung 
physiologischer  Fragen  zu  benutzen.  War  doch  der  vorliegende  Hen- 
abschnitt  im  Falle  Groux  von  den  verschiedensten  Autoritäten  in 
der  verschiedensten  Weise,  als  Vorhof,  Aorta  etc.  gedeutet  worden. 


genita.    Eönigsbeig.  med.  Jahrbücher.  I.  Heft  1  u.  2;  Ritter,  Wrany,  Oestr. 
Jahrb.  f.  P&diatr.  1870.  I.  S.90  a.  110. 

1)  8o,  wie  man  mir  mittheüt,  schon  als  kleines  Kind  in  der  hiesigen  Sockttt 
von  Kussmaul,  dann  1873  yon  y.  Ziemssen  auf  der Natarforscherrersanimlo]^ 
in  Wiesbaden,  sp&ter  von  B& um  1er  im  ärztlichen  Verein  in  Nümbeig. 

2)  lieber  Fissura  stemi  congenita  und  über  die  Herzbewegung,  insbesondere 
den  Herzstoss.    Inaugaraldissert  Erlangen  1875  und  Dieses  Archiv.  XYL  S.  300. 


Encheinimgen  am  CircnlmtionB-  und  Respirationsapparat  bei  Fissnia  stemi.    515 


Statas  praeseDB  des  V.  Wander  im  Febrnar  1879. 

(Die  Anamnese  bot  bei  der  Jahn 'sehen  Aufnahme  mit  Ausnahme 
der  hereditAren  Verhältnisse  (S.  203)  nichts  Erwihnenswerthes.  Seit  1874 
hat  sich  im  subjectiven  Befinden  des  W.  nichts  geändert.  Nur  in  der  letzten 
Zeit  spürte  er,  dass  ihm  die  Arbelt  in  der  hiesigen  Spinnerei  nachtbeilig 
schien,  er  meinte  sie  nicht  mehr  leisten  zu  können  und  seine  Angehörigen 
waren  der  Ansicht,  dass  sein  Aussehen  verschlechtert  sei.) 

Allgemeines:  Untersetzter,  ziemlich  kräftiger  Körperbau,  gute  Hus- 
cnlatur,  massiges  Fettpolster.  Ej^rpergewicht  126  Pfd.  Körperlänge  164  Cm. 
Ziemlich  gerade  Haltung  bei  leichter  Neigung  des  Kopfes  und  Vorstrecken 
des  Abdomens.  Blasse  Hantfarbe.  Keine  besondere  Entwicklung  der  Haut* 
YCDcn.    Rectaltemperatur  37,5. 

KopfundHals.  Gesichtsfarbe  eher  blase.  Lippen  mittelroth.  Auch 
sonst  im  Gesicht  nichts  Abnormes.  Nasenscheidewand  vollständig  i).  Rachen 
normal.  Ebenso  Larynx  mit  Ausnahme  eines  chronischen  Stimmbandkatarrbs. 
Stimme  schwach,  belegt/  Hals  kurz,  cylindrisch.  Bezüglich  der  Muskeln 
Tergl.  Jahn.  S.  202. 

Thorarx  (von  der  Spalte  abgesehen):  Gut  gewölbt.  Umfang  in  der 
Höhe  der  Brustwarze  84  Gm.,  wovon  auf  die  linke  Hälfte  nur  41  fallen. 
Entfernung  der  Papille  von  der  Mittellinie  links  12,  rechts  13  Cm.  Cla- 
viculae  stark  gekrdmmt. 

Lunge:  Rechte  Fossa  supraclavicularis  eine  Spur  dumpfer  schallend 
als  die  linke.  Schall  sonst  llberall  hell,  untere  Lungengrenze  an  normaler 
Stelle,  normal  beweglich.    Athmungsgeräusch  und  Pectoralfremitus  normal. 

Herz:  Spitzenstoss  fttr  gewöhnlich  nicht  zu  fühlen.  In  linker  Seiten- 
lage schwach  im  4.  Intercostalraum  etwas  nach  innen  von  der  Papillarlinie. 
Nach  Körperanstrengung  auch  im  Stehen  im  5.  Intercostalraum  in  der  Para- 
stemallinie.  Absolute  Herzdämpfung  Mitte  der  4.  Rippe  beginnend,  nach 
rechts  1  Querfinger  rechts  von  der  Mittellinie,  nach  links  von  der  Para- 
stemallinie  begrenzt.  Herztöne  rein.  Radialpuls  klein,  weich,  63  —  66. 
Auch  alle  übrigen  tastbaren  Arterien  schwach  pulsirend. 

Unterleibsorgane:  Keine  Abnormität. 

Die  Sternalspalte:  Das  Stemum  (Manubrium  und  Corpus)  ist  zum 
grössten  Theil  in  zwei  Hälften  gespalten.  Diese  tragen  die  Clavicula,  sowie 
die  Rippenknorpel  in  der  gewöhnlichen  Weise.  In  der  Höhe  der  Mitte  der 
4.  Rippe  vereinigen  sie  sich  zu  einer  etwa  2  Cm.  hohen,  wie  es  scheint, 
knöchernen  Leiste.  Nach  oben  von  dieser  liegt  also  die  Hauptspalte,  von 
der  unveränderten  Thoraxbaut  Aberzogen.  Sie  ist  von  einer  zwischen  den 
oberen  Rändern  der  Schlflsselbeine  gezogenen  Querlinie  bis  zum  oberen 
Kande  der  erwähnten  Querleiste  13  Cm.  lang,  zwischen  den  Claviculae  4,5, 
den  ersten  Rippen  4,2,  den  zweiten  4,2,  den  dritten  2,5  Cm.  breit  und 
ca.  1  Cm.  und  darüber  tief.  Beim  Zusammenpressen  der  Handflächen, 
sowie  beim  starken  Zurückziehen  der  Schultern  wird  die  Fissur  flacher  und 
breiter,  bis  5,5  und  7,0  Cm.  breit,  wobei  sich  die  überziehende  Membran 


1)  Dies  sei  erwähnt,  weil  Garms  (Prager  Vierte^ahrschrift.  1855.  I.  S.  168) 
bd  Grouz  einen  Defect  der  Nasenscheidewand  vermuthet  und  gefunden  hatte. 

33* 


516  XXX.  PBNZOtPT 

(Gntis  und  Fascie)  sehr  straff  spannt.  - —  Nach  abwärts  von  der  gedachten 
Querleiste  findet  sich  wieder  ein  spaltförmiger,  al>er  nur  wenige  IGiUmeter 
breiter  Ranm,  der  sieb  bis  zu  dem  von  den  spitzwinldlg  zusammenlaufenden 
Rippenbogen  begrenzten  Epigaetrium  fortsetzt.  Derselbe  erscheint  ohne 
weiteres  Interesse  und  wir  sprechen  deshalb  ansschliesslich  von  der  oberen 
(Hanpt-)  Spalte. 

Verhalten  der  Spalte  bei  der  Respiration:  Die  Breite  ändert  sich 
bei  ruhigem  *Athmen  nicht,  bei  tieferem  eher  etwas  in  dem  Sinne,  dass  sie 
bei  der  Exspiration  zunimmt.  Bei  ruhiger  Inspiration  vertieft,  bei  ruhiger 
Exspiration  verflacht  sich  die  Grube.  Tiefe,  angehaltene  Inspiration  macht 
eine  Vertiefung  bis  zu  3  Cm.,  tiefe  Exspiration  oder  Husten  eine  Vorwöl- 
bung bis  zu  einer  Hdhe  von  Aber  2  Cm.  Wie  eine  längliche  Blase  inrd 
besonders  bei  forcirten  HustenstOssen  die  Haut  der  Spalte  vorgetrieben. 
Dabei  reicht  die  VorwOlbung  nach  oben  hin  weit  Aber  die  Spalte  hinans 
bis  zur  Gegend  des  Ringknorpels,  von  einer  nach  oben  convexen  Bogeolinie 
begrenzt.  Sie  gibt  bei  der  Percussion  (bei  leiser)  hellen  nicht-tympanitischen 
Schall,  während  der  Boden  der  Vertiefung  bei  tiefer  angehaltener  Inspira- 
tion in  dem  oberen  Abschnitt  tympanitisch,  in  dem  unteren  dumpf  schallt. 
In  der  oberen  Hälfte  hört  man  bei  der  Inspiration  bronchiales  Athmungs- 
geräusch,  bei  tiefer  Inspiration  ein  schwächeres,  kürzeres,  schlurfendes  Ge- 
räusch :  Vesiculärathmen.  Der  Pectoralfremitns  ist  auch  auf  der  Vorwölbnng 
(bei  Anhalten  des  Athems  in  Exspirationsstellung  und  gleichzeitigem  Zahlen), 
jedoch  nur  schwach  zu  fflhlen.  Vergleicht  man  überdies  damit  die  die 
Spalte  begrenzenden  Thoraxpartien  in  dieser  Beziehung,  so  zeigt  sich,  da8S 
die  Abschwächung  des  Fremitus  auf  der  vorgewölbten  Stelle  der  FisBor 
eine  sehr  deutliche  ist 

Der  in  der  Spalte  pulsirende  Körper: 

1.  Bei  au/rechter  Haltung:  Man  sieht  in  der  Spalte  einen  pnlsiren- 
den  Körper,  welcher  von  der  Querleiste  an  7  Cm.  weit  (zur  Höhe  dea 
unteren  Randes  der  2.  Rippe)  hinaufreicht  und  nach  oben  hin  in  Form  eines 
Bogens,  dessen  Contouren  nach  rechts  hin  übrigens  etwas  stärker  abfallen 
als  nach  links,  begrenzt  wird.  Diese  obere  Grenze  rückt,  wie  man  bei 
gleichzeitiger  Besichtigung  und  Auscultation  feststellen  kann,  bei  jeder  Herz- 
Systole  um  etwas  über  1  Cm.  nach  abwärts.  Bei  forcirter  Inspiration  be- 
findet sich  der  obere  Rand  durchschnitüich  1  Cm.  tiefer,  bei  forcirter  Ex- 
spiration etwas  höher  als  während  des  ruhigen  Athmens.  Am  rechten  Theil 
des  Bogens  fühlt  man  den  Abgang  eines  pulsirenden,  etwa  bleistiftdicl^en 
CTefteses^  welches  sich  längs  des  rechten  Randes  der  Fissur  nach  oben  hin 
weiter  verfolgen  lässt.  Bei  der  Betastung  dieses  QefUsses  nimmt  man  ein 
systolisches  Anschwellen,  sowie  einen  diastolischen,  klappenden  Stoss  wahr. 
Dasselbe  Gefühl  hat  man  auch  bei  Berührung  des  oberen  Abschnittes  des 
pulsirenden  Tumors.  Was  man  sonst  an  dem  Organ  zu  fühlen  und  zu 
sehen  glauben  könnte,  Reihenfolge  der  Bewegungen  u.  A.,  übergehe  ich 
hier,  da  die  Resultate  der  blossen  Inspection  und  Palpation  in  dieser  Rich- 
tung nicht  genau  genug  sind  und  exactere  Methoden  zur  Verfügung  stehen. 
Die  Percussion  ergibt  auf  der  Pulsation  bei  ruhigem  Athmen  oder  Einathmen 
dumpfen  Schall.  Man  hört  auf  der  pulsirenden  Stelle  zwei  annähernd  gleich 
starke  Töne,  der  zweite  ist  eher  etwas  stärker.  Bei  (massigem)  Droek  mit 
dem  Stethoskop  kann  man  ein  lautes  Stenosengeräusch  erzeugen,  und  swar 


Encheinungen  am  Circiümtionfl-  ud  BeipirationBapparat  bei  FisBnra  sternL    517 

ein  BystoIisclMB.    Den  diastoliacheD  Tod  anfcnhebeti,  geliogt  bei  nüttierem 
Druck  nicht 

2.  Bei  horizontaler  Rückenlage:  Die  obere  Grenze  der  puUirendeD 
Gescbwulst  liegt  beträcbtlicb  böber  als  im  Stehen,  während  der  Diastole 
9,5  Gm.  Aber  der  Querleiste  (entsprechend  dem  unteren  Rande  der  1.  Rippe)» 
bei  der  Systole  8,5  Gm.  (d.  i.  bis  znm  oberen  Rande  der  2.  Rippe).  Dem» 
nach  ist  das  systoliache  Abwirtssteigen  im  Liegeo  etwaa  stärker  ausgei^ftgt 
als  in  aufrechter  Stellung.  Ferner  bemerkt  man  an  dem  klopfenden  Organ 
eine  leichte ,  von  der  Höhe  des  oberen  Randes  der  3«  Rippe  nach  rechts 
und  etwas  abwärts  laufende  Furche. 

3.  Bei  rechter  Seitenlage:  Im  Ganzen  bestehen  dieselben  Verhältnisse 
wie  in  der  Rückenlage,  nur  erscheint  die  systolische  Vorwölbung  geringer 
and  es  wird  das  links  nach  oben  abgehende  Gefäss  schlechter  gefühlt. 

4.  Bei  linker  Seitenlage:  Ungefähr  dasselbe  Verhalten  wie  in  der 
Rückenlage.  Die  obere  Grenze  der  Pnlsation  steht  noch  höher,  in  der  Dia- 
stole 10  Cm.y  in  der  Systole  9,5  hoch  über  der  Leiste.  Die  systolische 
Verschiebung  ist  also  in  dieser  Lage  gering.  Der  Spitzenstoss  wird  nur 
Id  dieser  Stellung  fühlbar  (s.  oben). 

5.  Wenn  der  Mann  sich  so  stark  vornüber  beugt,  daas  eine  fast  ver- 
ticale  Stellung  auf  den  iTop/ resnltirt:  Es  schien  nicht  unwichtig,  auch 
in  dieser  Position,  welche  der  Mann  leicht  ausführt  und  gut  erträgt,  die 
Fissur  und  ihren  Inhalt  zu  beobachten.  Die  obere  Grenze  des  Tumors 
rflckt  in  diesem  Falle  hinauf  bis  zu  einer  zwischen  den  oberen  Rändern 
der  Schlüsselbeine  gezogenen  Horizontalen,  ja  sogar  etwas  über  dieselbe 
binans.  Es  sieht  wirklich  fast  ans,  als  wolle  das  Herz  herausfallen.  In 
der  Höhe  des  1.  Intercostalraumes  sieht  man  alsdann  eine  Querfurche  deut- 
lich ausgeprägt.  Nach  abwärts  von  demselben  (d.  i.  abdominalwärts)  liegt 
ein  mächtiger  Körper,  der  sich  systolisch  zusammenzieht  und  verblutet. 
Nach  oben  (dem  Kopfe  zu)  von  der  Querfnrche  fühlt  man  ziemlich  klar 
ein  systolisch  sich,  ausdehnendes  Gefäss  von  dem  Kaliber  der  Aorta.  Die 
systolische  Verschiebung  der  oberen  Grenze  der  Pulsation  nach  unten  (dem 
Bauch  zu)  ist  in  dieser  Stellung  eine  sehr  minimale.  Auffallend  ist  endlich 
die  sichtliche  Verminderung  der  Frequenz  der  Herzaction  beim  Vomüber- 
bengen.  Während  dieselbe  im  Stehen  z.  B.  bei  mehrmaliger  Zählung  72 
bis  78  betrug,  sank  sie  in  der  angegebenen  Stellung  constant  auf  60  herab. 

Versuchen  wir  nun  auf  Orund  der  vorstehenden  Besehreibung 
die  Organe,  resp.  Organabschnitte  zu  bestimmen,  welche  in  der  Spalte 
zu  Tage  treten,  so  erscheint  dies  leicht  bezüglich  der  Bespirations- 
organe.  Wie  uns  der  tympanitische  Schall  lehrt  und  der  Lage  genau 
entsprechend,  finden  wir  im  oberen  Abschnitt  des  Baumes  die  Trachea. 
Von  Lunge  ist  während  der  Inspiration  so  gut  wie  gar  nichts  in  der 
Spalte  zu  bemerken;  die  beiden  vorderen  Lungenränder,  oder  viel- 
leicht nur  der  rechte,  füllen  dieselbe  dagegen,  wie  der  Lungen* 
schall  etc.  beweist,  bei  der  Exspiration  in  grösserem  oder  geringerem 
Grade  aus  oder  bedingen  sogar  eine  Vorwölbung. 

Viel  schwieriger  ist  die  Entscheidung,  welcher  Abschnitt  des 


518  XXX.  Pbmsoldt 

Herzens  und  seiner  Adnexa  in  der  Spalte  pulsirend  gesehen  wird. 
Und  doch  müssen  wir  dieselbe  um  so  mehr  mit  möglichster  Exact- 
heit  zu  treffen  versuchen,  als  sie  die  Basis  ftlr  eine  ganze  Reihe  der 
mitzutheilenden  Untersuchungen  bildet  —  Ehe  wir  daran  gehen,  ist 
zunftchst  die  wichtige  Vorfrage  zu  beantworten :  Ist  der  Mann,  abge- 
sehen von  der  Spaltbildung  im  Sternum,  bezflglich  seiner  Brustoigane 
und  speciell  seines  Herzens  in  Bau  und  Lage  als  vollkommen  normal 
zu  betrachten  und  kann  man  also  die  normale  topographische  Ana- 
tomie direct  auf  ihn  anwenden?  Ein  zwingender  Grund,  diese  Frage 
zu  verneinen,  liegt  nicht  vor,  da  die  Anwendung  unserer  gewöhn- 
lichen Untersuchungsmethoden  an  dem  völlig  gesunden  Menschen 
eine  wesentliche  pathologische  Veränderung  nicht  erkennen  Iftsst 
Nur  das  Eine  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Herzdfimpfung  (Stehen) 
etwas  weiter  nach  rechts,  weniger  weit  nach  links  als  in  der  Noim 
reicht  und  auch  der  Spitzenstoss,  wenn  fühlbar,  in  der  Parastemsl* 
linie  ist,  also  die  Stellung  des  ganzen  Herzens  eine  etwas  mehr  ver- 
ticale  sein  dürfte.  Aus  diesem  Umstand  ist  jedoch  nichts  weiter  zn 
schliessen,  als  dass  vielleicht  um  ein  klein  wenig  die  Basis  des  He^ 
zens  in  unserem  Falle  höher  hinauf  reicht  als  sonst  Dieser  Unter- 
schied dürfte  aber  kaum  so  gross  sein,  um  in  die  Wagschale  za 
fallen  und  wir  können  wohl  unbedenklich  auf  der  Voraussetzung  von 
normalen  Verhältnissen  basiren. 

Ueberträgt  man  nun  die  topographisch  anatomische  Beschreibung 
und  Zeichnung  auf  den  Fall,  oder  ahmt  man,  wie  wir  es  gethan 
habend),  an  der  Leiche  durch  Besection  des  betreffenden  Sternum- 
Stücks  (ohne  Pleuraverletzung)  die  Verhältnisse  der  Fissur  nach,  so 
findet  man,  dass  in  derselben  die  Strecke  von  der  Höhe  des  dritten 
Rippenknorpelansatzes  bis  zu  der  des  ersten,  also  die  oberen  zwei 
Drittel  des  pulsirenden  Körpers,  wie  er  sich  in  der  Bückenlage  prft- 
sentirt,  dem  aufsteigenden  Theil  und  dem  Beginn  des  Bogens  der 
Aorta  entsprechen  würden.  Misst  man  an  der  Leiche  nach  Eröffiiong 
der  Brusthöhle  und  des  Pericardialraumes  in  situ  die  Länge  des  frei- 
liegenden aufsteigenden  Aortentheils  bis  zum  Abgang  der  Anonyma, 
so  findet  man  beispielsweise  dieselbe  5,5  Cm.  Die  Länge  des  gan- 
zen pulsirenden  Körpers  in  unserem  Falle  betrug  8,0  (Systole)  bis 
9,5  Cm.  (Diastole),  also  im  Mittel  8,7  Cm.  Zwei  Dritttheile  dieser 
Länge  würden  aber  5,8  Cm.  sein.  Man  sieht  also  auch  nach  dieser 
Rechnung ,  dass  ungefähr  zwei  Drittel  des  Ganzen  auf  die  Aorta  za 
rechnen  sind. 


1)  Herr  Dr.  H.  Schmid  hatte  die  Gate  die  Operation  auszufahren. 


Encheiniiiigen  am  GucolatloiiB-  und  QespIrationBapparat  bei  Figsura  sterni.    519 


Za  dieser  AuffasBung  würde  ferner  die  Beobaohtang  der  leichten 
zfemlich  qaer  yerlaafenden  Furche  in  der  Höhe  der  3.  Bippe  paasen 
und  man  könnte  yennuthen,  daas  selbige  die  Grenzlinie  zwischen 
Aorta  und  rechtem  Vorho/  andeutet  ^).  Doch  soll  hieraufi  weil  Tftu- 
Bchungen  nicht  ganz  sicher  auszuschliessen  sind,  kein  besonderes 
Gewicht  gelegt  werden.  Dagegen  möchte  ich  den  Verlauf  der  ober- 
sten Bogrenzungslinie  des  pulsirenden  Körpers,  als  ganz  entsprechend 
dem  Beginn  des  Aortenbogens,  sowie  den  Abgang  des  längs  des 
rechten  Fissurrandes  nach  dem  Kopf  zu  yerlaufenden  Gefftsses,  als 
den  des  Truncus  anonymus,  ftlr  directe  Beweise  der  dargelegten  An- 
schauung halten.  Schliesslich  wird  auch  die  weiter  unten  zu  gebende 
Beschreibung  der  yon  den  yerschiedenen  Abschnitten  des  pulsirenden 
Körpers  gezeichneten  Cunren  wenigstens  so  yiel  darthun,  dass  die 
beiden  oberen  Dritttheile  ein  und  demselbeo,  das  unterste  aber  einem 
andern  Abschnitt  des  Gefftsssystems  angehören. 

Das  untere  Drittel  wUrde  der  anatomischen  Liage  nach  die  Stelle 
sein,  wo  rechter  Vorhof,  rechter  Ventrikel  und  Conus  der  Pulmonalis 
zusammen  liegen.  Welcher  yon  den  drei  Stücken  den  wesentlichsten 
Antheil  an  der  Pulsation  hat,  dürfte  schwer  ohne  Weiteres  zu  ent- 
scheiden sein.  Doch  können  auch  hier  die  Curyen  der  pulsatorischen 
Bewegung  yielleicht  etwas  näheren  Aufschluss  geben.  Bei  der  Be- 
sprechung der  Aortencurye  werde  ich  kurz  darauf  zurückkommen. 

Im  Stehen  ist  der  pulsirende  Körper  yiel  kürzer,  seine  obere 
Grenze  steht  laut  Status  praesens  yiel  niedriger.  Wir  werden  des- 
halb im  Stehen  fast  nur  Aorta  yor  uns  haben;  das  untere  Drittel 
(im  Liegen)  sinkt  offenbar  in  aufrechter  Stellung  zum  grössten  Theil 
hinter  die  „Querleiste''  hinab  und  wird  so  unsichtbar. 

lieber  die  Bewegungen  der  Lungen  sowie  über  die 
Athmungsgeräusche  in  der  Fissur. 

Dass  derjenige  Körper,  welcher  bei  der  Inspiration  und  beson- 
ders bei  Hustenstössen  in  der  Spalte  yorgewölbt  wird  und  bei  der 
Einathmung  wieder  yer8chwindet,'die  Lunge  ist,  bedarf  wohl  nach 
dem  im  Status  praesens  Mitgetheilten  keines  weiteren  Beweises  und 
wir  können  deshalb  schlechthin  yon  den  Bewegungen  der  Lunge 
in  der  Spalte  sprechen.    Ob  dieselben  den  Oberlappen  beider  Lun- 


1)  Ein  paar  ganz  leichte  backeiförmige  Erhebungen  hielt  ich  früher  (Sitzungs- 
berichte der  Erlanger  phys.-med.  Soc  S.  2  d.  S.-A.)  für  den  Ausdruck  der  Elap- 
pengegend,  habe  mich  aber  an  der  Leiche  flberzeugt,  dass  letztere  wohl  immer 
hinter  dem  rechten  Atrium  verborgen  ist 


536     '  XXX.  Pbnzoldt 

genflttgel  oder  nur  dem  rechten  angehfiren,  hat  wohl  kein  besonderes 
Interesse;  flbrigens  ist,  wenn  man  nach  dem  blossen  Eindrack  bei 
der  Besiehtignng  nrtheilen  darf,  das  Erstere  wahrscheinlicher.  Inter* 
essant  ist  dagegen  die  Beobachtang  der  Formyerftndemngen  des  Lan* 
genstflcks  bei  In-  nnd  Exspiration  nnd  dieselbe  verlangt  eine  knne 
Erlftaternng. 

B^  der  Exspiration  befindet  sieh  ein  Theil  der  Lnngenränder  in 
der  Spalte.  Dehnt  sich  nnn  bei  der  folgenden  Inspiration  der  Thorax 
aus,  so  wird,  weil  die  aus  Haut  und  vermuthlich  aus  einer  dftnoen 
Fascie  bestehende  Bedeckung  dem  äusseren  Luftdrücke  keinen  Wider- 
stand leisten  kann,  die  Lungenpartie  sammt  der  Bedeckung  durch 
den  überwiegenden  äusseren  Druck  in  die  Spalte  hineingedrängt,  also 
von  dem  sich  expandirenden  Brustkorb  aspirirt.  So  weit  ist  die  Er- 
klärung eine  einfache.  Geht  man  aber  einen  Schritt  weiter  und  fragt 
man :  wird  bei  der  Inspiration  das  vorgewölbte  Lungenstflck  in  toto 
hineingedrängt,  etwa  so  wie  es  mit  der  aufliegenden  Hautpartie  ge- 
schieht, oder  wird  vielleicht  aus  demselben  die  eingeschlossene  Luft 
Bum  Theil  ausgesaugt,  so  dass  dasselbe  sich  gleichsam  im  Zustand 
einer  Exspiration  befindet?  —  so  stösst  die  Deutung  auf  Schwierig- 
keiten, welche  wohl  auf  rein  theoretischem  Wege  ohne  eine  fjedoeh 
nicht  ganz  leichte)  specielle  Experimentaluntersuchung  nicht  zu  flber- 
winden  sein  dürften.  Wenn  es  mir  erlaubt  ist,  meine  nur  auf  Ver- 
muthung  basirte  Anschauung  hier  einzufügen,  so  dürfte  es  am  unge- 
zwungensten sein,  anzunehmen,  dass  wohl  beide  angeführte  Factoren, 
der  erste  aber  in  hervorragender  Weise,  bei  dem  Zustandekommen 
der  Erscheinung  betheiligt  sind. 

Bei  der  Exspiration  drängt  der  zusammensinkende  Thorax  die 
betreffenden  Lungenpartien  nach  der  Stelle,  an  der  sie  keinen  Wider- 
stand finden,  d.  i.  in  die  Spalte  vor.  Auch  dies  ist  leicht  zu  ver- 
stehen. Aber  auch  hier  entsteht  wieder  die  Frage :  werden  die  Lan- 
genabschnitte  in  toto  vorgedrängt  oder  füllen  sie  sich  wieder  mit 
einem  Luftquantum,  welches  bei  der  Einatbmung  ausgesogen,  jetzt 
durch  die  zuführenden  Luftwege  in  centrifugaler  Richtung  eingepresst 
wird,  und  machen  sie  so,  sit  venia  verbo,  während  der  Gesammt- 
exspiration  eine  partielle  Inspiration?  Mit  der  Beantwortung  dieser 
Frage  steht  es  genau  so,  wie  mit  jener  bezüglich  der  bei  der  inspira- 
torischen Einziehung  aufgeworfenen.  Auch  hier  vermuthe  ich,  da» 
beide  Modi  gleichzeitig,  wenn  auch  nicht  als  gleichberechtigt,  ange- 
nommen werden  können.  Denn  man  kann  sich  offenbar  leichter 
vorstellen,  dass  der  Exspirationsdruck  ein  Lungenstflck  mittlerer  Lnft- 
füUung  als  Ganzes  an  den  Ort  des  geringsten  Widerstandes  vordrängt, 


* 

Enchemnngen  am  CircolationB-  und  Respvationsapparat  bei  FisBura  stemL    521' 

als  dasfl  er  in  einen  Inftarmen  Langenabsebnitt  durch  die  engen 
Luftwege  so  viel  Luft  hineinpresst ,  dass  eine  bo  beträchtliche  Vor- 
Wölbung  entstehen  kann.  Eb  sei  hier  aber  auch  ansdrflcklich  her-^ 
Torgehoben,  dass  das  eben  besagte  nicht  mehr  als  Vermuthnng  ist 
und  sein  soll. 

Die  Betrachtung  der  exspiratorischen  Bewegungen  lenkt  unsere 
Aufmerksamkeit  auf  eine  sehr  eigenthfimliche  und  zwar  gewiss  nur 
diesem  Fall  eigenthflmliche  Erscheinung.  Bei  den  Hustenstössen, 
welche  die  stärkste  Vorw5lbung  in  der  Spalte  erzeugen,  siebt  man 
nämlich  die  Vorwölbung  bis  hinauf  zur  Gegend  des  Ringknorpels 
reichen.  Diese  Thatsache  ist  nicht  anders  zu  erklären,  als  dass  sich 
die  Pleurasäcke  abnormer  Weise  so  hoch  hinauf  und  so  weit  bis  zur 
Medianlinie  yon  beiden  Seiten  her  ausgedehnt  haben  mflssen.  Wäh- 
rend der  Wachsthumsperiode  des  Indiyiduums  mögen  die  bei  Husten- 
krankheiten (Keuchhusten  hat  es  notorisch  fiberstanden)  immer  wieder- 
und  wiederkehrenden  heftigen  Exspirationsstösse  vorfibeigehend  die 
Lunge  und  dauernd  den  Pleuraraum  in  einer  Richtung,  in  welcher 
der  Widerstand  ofifenbar  nur  gering  war,  erweitert  haben.  Eigen- 
thflmlich'  sind  die  oberen  Grenzen  des  Pleuraraumes  inclusive  der 
neugebildeten.  Dieselben  sind  nämlich  ffir  beide  Lungenspitzen  selbst- 
Terständlich,  merkwürdiger  Weise  aber  auch  ffir  den  mittleren  Raum 
nach  oben  convexe  Bogenlinien.  Demnach  wfirden  sie  alle  drei  zu- 
sammen etwa  folgende  Figur  nHO  vorstellen,  in  welcher  die  bei- 
den lateralen  Bogen  den  Lungenspitzen,  der  mittlere  dem  neuen  „  Com- 
plementärraum  *  entsprechen  wfirden.  Wodurch  aber  der  letztere 
seine  eigenthfimliche  obere  Begrenzung  erhält,  ist  wohl  schwer  zu 
sagen.  Ich  dachte  daran,  dass  vielleicht  die  Sterno-thyreoidei  sich 
an  die  beiden  Sternalhälften  inseriren,  deshalb  auseinanderweichen 
und  so  die  nach  oben  convexe  Linie  dadurch  bedingen  wfirden,  dass 
sie  in  der  Nähe  ihrer  Kehlkopfansätze  das  mediane  Vordrängen  der 
Lunge  verhindern  konnten.  Doch  scheinen  die  genannten  Muskeln, 
wie  es  sich  beim  Leer-Schlucken  zeigt,  sich  nach  abwärts  nicht  ans 
Stemum,  sondern  an  die  Fissurmembran  zu  begeben.  Sollte  vielleicht 
der  Omohyoideus  dabei  betheiligt  sein? 

Der  Schallwechsel,  welcher  mit  der  Percussion  bei  jeder  In-  und 
Exspiration  zu  constatiren  ist,  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Erklärung. 

Dagegen  seien  ein  paar  Worte  den  Veränderungen  bei  der  Aus- 
cultation  gewidmet.  Das  Trachealathmen  in  der  Tiefe  des  oberen 
Abschnitts  der  Spalte,  welches  bei  der  Inspiration  exquisit  ist,  wan- 
delt sich  bei  der  Exspiration,  sobald  Lunge  zwischen  Stethoskop  und 
Trachea  sich  eindrängt,  in  Vesiculärathipen  um.    Stellen  wir  uns  auf 


522  XXX.  P£MZOLDT 

den  (wahrscheinlicheren)  Standpunkt,  dass  im  Wesentlichen  die  Lon- 
genrftnder  als  Ganzes  bei  der  Exspiration  vorgeschoben  werden,  niebt 
quasi  eine  (passive)  Inspiration  fttr  sich  allein  machen,  so  können 
wir  in  dieser  Beobachtung  eine  weitere  Bestätigung  jener  von  Baas 
und  mir  vertretenen  Anschauung  sehen,  welche  das  vesiculftre  Ath- 
mungsgerftusch  als  eine  Modification  des  laiyngealen  Geräusches  dureh 
die  gesunde  Lunge  auffasst.  Bedingungsweise  wfirde  die  Thatsaehö 
also  dasselbe  beweisen,  was  das  von  mir  angestellte  Experiment  mit 
der  auf  den  Kehlkopf  aufgelegten  aufgeblasenen  Thierlunge  beweisen 
sollte  und,  wie  ich  glaube,  bewiesen  hat. 

Ueber  dieBeweglichkeit  des  Herzens. 

Dass  das  Herz  einen  ziemlichen  Grad  passiver  Beweglichkeit 
besitzt,  ist  schon  lange  bekannt  Die  Untersuchungen  über  das  Ver- 
halten des  Spitzenstosses  und  der  Herzdämpfung  (Gerhardt)  bei  der 
Bespiration,  sowie  in  den  verschiedenen  Körperstellungen  einerseits, 
sowie  die  Beobachtung  des  Herzens  an  Fällen,  in  denen  dieselbe 
durch  einen  günstigen  Umstand  direct  möglich  war,  haben  uns  in 
dieser  Richtung  belehrt.  Der  mitgetheilte  Fall  ist  ganz  geeignet,  die 
herrschenden  Anschauungen  zu  illustriren  und  vielleicht  etwas  zu 
erweitern,  wenn  es  nämlich  erlaubt  ist,  die  an  ihm  gemachte  Beob- 
achtung zu  generalisiren.  Nachdem  mir  schon  vorher  die  grosse 
Yerschiebbarkeit  aufgefallen  war,  hat  mein  verehrter  früherer  Lehrer 
C.  Gerhardt,  welcher  die  Fissur  ebenfalls  untersucht  hat,  brieflieb 
meine  Aufmerksamkeit  noch  ganz  besonders  auf  diesen  Punkt  durcb 
die  Aeusserung  hingelenkt,  dass  er,  der  wohl  schon  mehr  als  Andere 
eine  grosse  Beweglichkeit  des  Herzens  annehme,  von  einem  solchen 
Grade  Überrascht  sei. 

Wie  aus  dem  Status  hervorgeht,  ist  der  Unterschied  bezüglich 
des  Standes  der  oberen  Grenze  des  pulsirenden  Körpers  bei  In-  und 
Exspiration  kein  gerade  sehr  bedeutender.  Selbst  bei  forcirtem 
Athmen  steht  der  obere  Rand  inspiratorisch  nur  einen  Centimeter 
unter,  exspiratorisch  nur  einen  halben  über  der  Mittelstellung.  Auch 
bei  Wechsel  zwischen  rechter  und  linker  Seitenlage  tritt  in 
unserem  Falle  die  passive  Locomotion  nicht  sehr  deutlich  herror, 
wenn  auch  ganz  offenbar  die  seitlichen  Partien  des  freiliegenden 
Herzabschnittes  jedesmal  in  der  gleichnamigen  Seitenlage  unter  den 
betreffenden  Bändern  der  Spalte  verschwinden. 

Auffallend  dagegen  ist  die  Differenz  zwischen  verticaler  und 
horizontaler  Körperhaltung.    Der  pulsirende  Tumor  ragt  in  der 


Erscheinimgen  am  Circnlatioiii-  und  Respiratioiiaapparat  bei  Fissnra  Bterni.    523 

BOckenlage  2Vs  Gm.  (in  linker  Seitenlage  sogar  3)  höher  nach  oben 
(dem  Kopfe  zu)  als  im  Stehen.  Geradezu  llberraschend  zeigt  sieh 
aber  die  passive  Bewegliehkeit  des  Herzens,  wenn  man  die  obere 
Grenze  in  verticaler  aufrechter  Haltung  mit  der  beim  Vomttberbeugen 
bis  wieder  zu  annähernd  verticaler  Stellung  in  Vergleichung  bringt 
In  letzterer  Lage  rflckt  der  obere  Band  des  Aorten- 
bogens um  Aber  6  Gm.  kopfwftrts  in  die  Höhe.  Ob  diese 
starke  Verschiebung  nur  eine  durch  den  Defect  bedingte  Eigenthflm- 
lichkeit  dieses  IndividuumSi  oder  ob  sie  ein  normales  Vorkommniss 
ist,  darüber  konnten  ein  paar  einfache  Versuche  einige  Belehrung 
bringen. 

An  derjenigen  Leiche,  an  welcher  die  Fissur  durch  Besection 
des  Mittelstflcks  des  oberen  Sternalabschnitts  und  Auseinanderpressen 
der  restirenden  Sternumränder  die  Missbildung  annähernd  nachge- 
ahmt worden  war,  wurde  auf  den  Stand  des  Aortenbogens  in  Bflcken- 
lage  und  bei  Stellung  auf  den  Kopf  geachtet  In  der  letztgenannten 
Ferschob  sich  der  Aortenbogen  bis  zur  Höhe  einer  Horizontalen  zwi- 
schen beiden  Glaviculae  und  zwar  benutzte  er  nicht  etwa,  wie  man 
erwarten  sollte,  den  durch  Entfernung  des  Stemums  und  der  Fascie 
nach  vom  zu  frei  gewordenen  Baum,  sondern  drang  hinten  längs  der 
Wirbelsäule  hin,  also  in  einer  Gegend,  wo  durch  die  Operation  (bei 
Erhaltung  der  Pleura  etc.)  nichts  vom  Normalen  Abweichendes  ge- 
setzt war,  bis  zu  der  genannten  Höhe  vor. 

Am  gesunden  Lebenden  scheint  dagegen,  trotz  dieses  positiven 
Versachsresultats  am  Gadaver,  die  Verschiebung  nicht  ganz  so  deut- 
lich auszufallen.  Lege  ich  bei  mir  selbst  die  Zeigefingerspitze  leicht 
in  die  Fossa  jugularis  mit  der  Bichtung  nach  unten,  so  ftthle  ich  im 
aufrechten  Stehen  nichts,  dagegen  bei  starkem  Bücken  die  Pulsation 
eines  grossen  Gefässes.  Dieselbe  befindet  sich  aber  immer  noch  ein 
paar  Centimeter  unter  dem  oberen  Stemalrand,  erreicht  demnach  jene 
Horizontale  nicht.  Immerhin  muss  die  Lageveränderung  nach  dem 
Kopf  zu  bei  Vomüberbeugen  als  sehr  beträchtlich  angesehen  werden 
und  es  wäre  gewiss  zu  empfehlen,  dass  man  in  den  Fällen,  in  denen 
es  wfinschenswerth  sein  dürfte,  den  Aortenbogen  zu  palpiren:  bei 
Verdacht  auf  Atherom,  Aortenklappenfehler,  beginnendes  Aneurysma, 
sich  dieser  Stellung  bediene. 

In  Bezug  auf  die  sogenannte  active  Locomotion  des  Herzens 
können  wir  aus  unserem  Falle  leider  nicht  viel  entnehmen,  da  der 
unterste  Theil  des  Organs,  insbesondere  die  Spitze,  nicht  nur  nicht 
freiUegen,  sondern  selbst  nicht  einmal  den  normalen  Spitzenstoss  zur 
Erscheinung  bringen.   Wir  können  nur  die  vom  Thierexperiment  her 


524  XXX.  Pbnzoldt 

seit  langer  Zeit  bekannte  systoliBohe  Abflachung  des  Aortenbogens) 
aber  diese  ancb  sehr  schön  an  der  Spalte  demonstriren.  Man  kaoD 
wohl  auch  unbedenklich  sagen,  dass  der  Aortenbogen  sich  wirklieb 
nach  abwärts  yerschiebe.  Der  obere  Rand  des  sichtbaren  TheilB  des 
Organs  wenigstens  rückt  deutlich  nach  unten.  Dass  die  Bew^ng 
eine  systolische  ist,  kann  man  leicht  durch  gleichzeitige  Auscultation 
der  Spitze  und  Inspection  des  pulsirenden  Körpers  ermitteln.  Somit 
beobachten  wir  also  eine  systolische  Abwärtsbewegung  des  Aorten- 
bogens. Dieselbe  kommt  wohl  folgendermaassen  zu  Stande.  Bei  der 
Zusammenziehung  verktlrzt  sich  der  Ventrikeli  in  Folge  dessen  muss 
sich,  falls  nicht  besondere  Momente  es  hindern,  die  Herzbasis  dem 
Punkt,  um  welchen  sich  der  Ventrikel  zusammenzieht,  nothwendig 
nähern,  also  nach  abwärts  rücken.  Dass  dem  so  ist,  hat  man  am 
blossgelegten  Herzen  schon  oft  gesehen;  bei  der  später  zu  erwäh- 
nenden Frau  mit  linksseitigem  Rippendefect  ist  es  deutlich  zu  demon- 
striren. Das  Zustandekommen  der  Abwärtsbewegung  wird  aber  durch 
die  aus  kritischen  und  experimentellen  Forschungen  längst  bekannte 
Streckung  der  grossen  Gefässe  ermöglicht  Wenn  aber  die  Aorta 
sich  in  die  Länge  dehnt,  sobald  sie  systolisch  mit  Blut  gefüllt  wird, 
so  muss  dasselbe  auch  von  den  von  ihr  abgehenden  Gefässen,  Carotis 
und  Truncus  aüonymus,  gelten.  Die  Streckung  dieser  Arterien  aber 
wird  es  gestatten,  dass  auch  der,  wie  wir  gesehen  haben,  einer 
grossen  Verschieblichkeit  fähige  Aortenbogen  von.  der  sich  ab^rts 
bewegenden  Hei-zbasis  ein  wenig  mit  nach  unten  genommen  wird. 

Wie  wir  also  aus  unserer  Beobachtung  entnehmen  können,  be- 
wegen sich  offenbar  der  obere  Abschnitt  des  Herzens,  resp.  seine 
Fortsetzung  in  die  grossen  Gefässe  bei  der  Systole  in  der  Ricbtnng 
nach  abwärts,  fttr  welche  Locomotion  ausser  der  Streckung  der  Ar- 
terien vielleicht  auch  der  „  Rflckstoss^  als  Ursache  herangezogen  wer- 
den darf.  Das  beweist  aber  noch  keineswegs  für  die  systolische 
Abwärtsbewegung  der  Herzspitze.  Letztere  braucht  sich  durebaos 
nicht  bei  der  Systole  nach  unten  zu  verschieben,  im  Gegentheil  scheint 
es  a  priori  wahrscheinlicher,  dass  sie  sich  bei  der  Zusammenziehang 
und  Verkürzung  nach  demselben  Funkt  im  Innern  des  Ventrikeb 
nach  oben  zu  bewegt,  nach  welchem  sich  die  Basis  nach  unten  za 
bewegen  hat.  Ueberdies  glauben  Fi  lehne  und  ich  0  eine  systolische 
Bewegung  der  Spitze  nach  oben,  rechts  und  vom  mit  Sicherheit 
nachgewiesen  zu  haben. 


1)  Centralblatt  für  die  medicinischen  Wissenschaften.  1870.  Nr.  26,  27. 


Enchemmigeii  am  CircnUtloDS-  und  BeapIntioDUppftrat  bei  ÜBBim  Btaml.    525 

Die  FulBGorTe  der  Aorta  (eiuBohlieBslich  des  nach 
sbw&rtB  TOD  der  Aorta  gelegeneo  Herzabachnitts). 

Konnte  es  nach  den  oben  angefahrten  Erwfignngen  als  ziemlich 
Bieber  angeseheti  werden,  dasB  der  obere  Theil  des  in  der  Spalte 
pulairenden  Körpers  die  aufsteigende  Aorta  sei,  so  lag  es  nahe,  die 
seltene  Gelegenheit  zu  benutzen  und  die  BewegnngBerscheinungen 
an  der  Aorta  mittels  der  grapbiscbeo  Methode  zn  stadiren.  Es  ist 
mir  nicht  bekannt  geworden ,  dasa  AortenpnlBCDrven  vom  Menschen 
exiatiren.  Ohermeier>),  welcher  die  palsatorisobe  Bewegung  in 
seinem  Falle  von  Stemalfisanr  mit  dem  aufgelegten  Finger  zu  zer- 
gliedern sachte,  konnte  z.  B.  „eiae  Zeichnnng  der  Aortenwelle  leider 
nicht  erreichen".  Mir  standen  ans  dem  reichen  Instrumentarium  der 
hiesigen  Klinik  zwei  Apparate  fttr  diesen  Zweck  zur  Verfügung,  welche 
beide  io  hinreichend  tlbereinstinunender  Weise  zeichneten.  Es  waren 
dies  der  Doppelstetbograph  Ton  RiegePj,  sowie  der  Bronde- 
geeet'sche  Pansphygmograph  3),  dne  sehr  brauchbare  Modification 
des  Polygraphen  von  Marey  *).  Die  Curven  sind  von  Terschiedenen 
Stellen  nach  einander  oder  gleichzeitig  aufgenommen.  Um  dieselben 
zu  markiren,  tbeilte  ich  die  pulairenden  Körper  durch  Querlinien  ni 
drei  Abschnitte  und  liesa  die  Gurren  von  dem  Mittelpunkt  jedes 
dieser  drei  Abschnitte  Terzeichnen.  Betrachten  wir  zun&chst  die  Be- 
weguagserscbeiDungen,  wie  sie  sich  an  den  drei  Dritttheilen  darstellen, 
wenn  der  Hebel  bei  langsamem  Qang  des  Uhrwerks  sohrübt  E^ 
zeigt  nch: 

I.  Am  unteren  Drittel  [Figur  1  und  2]  ä)  eine  deutlich  aus- 
gesprochene Zacke  am  aufsteigenden  Ourvenschenkel;  i)  nahe  am 


rifBt  1.    Cor 


1)  Virchow'a  Ärchir  Bd.  46.  8.211. 

2)  Vergl.  Diese«  Archi?.  Bd.  X.  8.  134  and  Riegel,  Die  AUiembewegungeiL 
■Wünburg  1873. 

3)  Tergl.  seine  Anwendung  bei  Roienatein.  DieBW  Archir.  Bd.  XXIIL  S.  M. 

4)  Du  Mouvement  dtna  les  fooctjons  de  la  vle.    Fuia  ISÖS.  p.  ISO. 


S26  XXX.  PmrzoLDT 

ersten  Haaptgipfel  nach  karzem  Abfall  ein  niedrigerer  oder  ebeo  eo 
hoher  (zaweilen  auch  höherer)  zweiter  Gipfel;  c)  ein  Fehlen  jeder 
wdteren  Elevation  am  absteigenden  Schenkel. 

2.  Ad  mittleren  Drittel  [Fignr  3]  a)  eine  weniger  aosge- 
pr&gte  anakrote  Erhebang;  b)  eine  geringere  Deutlichkeit  des  Eweiten 
Gipfels  (derselbe  erscheint  in  manchen  Carrea  w&hrend  der  Exspira- 
tion fast  so  stark  wie  am  untersten  Drittel,  dagegen  bei  der  Inspin- 
tioQ  immer  niedriger.  Dies  dflrfte  aof  die  inspiratorische  Verschiebang 
des  ganzen  Herzens  nach  abwärts  zu  beziehen  sein,  in  Folge  dereo 
dann  bei  der  Einathmang  jedesmal  ein  etwas  höher  gelegener  Theil 
des  pnlsirenden  EArpers  die  Zeichnung  liefert  als  vorher  bei  der  Exspi- 
ration) ;  c)  Fehlen  jeder  weiteren  Elevation  am  absteigenden  Schenkel- 


3.  Am  oberen  Drittel  [Figur  4]  a)  noch  weniger  deutliche 
Anakrotie,  welche  üch  fiberdies  weiter  unten  am  aufsteigenden  Thal 
befindet ;  6)  nur  eine  Andeutung  oder  vollständiges  Fehlen  des  zweiten 
Gipfele,  welcher  gewöhnlich  sich  auch  weiter  unten  am  abstdgenden 
Schenkel  bemerkbar  macht;  c)  Fehlen  fernerer  katakroter  Zacken. 

Eine  Tergleichnng  aller  drei  Curven  unter  einander  lehrt  als- 
dann: die  anakroten  wie  die  katakroten  Erhebungen,  welche  an  un- 
tersten Stück  sehr  deutlich  sind,  werden  am  mittleren  und  noch  mehr 
am  oberen  niedriger.  Ausserdem  sieht  mau,  dass  die  Höhe  der  G^ 
sammtelevation  unten  eine  geringere  ist  als  in  der  Mitte  und  oben. 
Endlich  fällt  dem  Leser  gewiss  auf,  dass  die  Curve  des  oberen  und 
mittleren  Drittels  in  der  Form  einander  ziemlich  ähnlich ,  von  dem 
unteren  aber  sehr  beträchtlich  verschieden  sind. 


Enchdiiniigea  tin  CircnUtiou-  und  Bci^ntloasappant  bei  Fiuan  itend.    &27 

Noch  deotlieher  wird  das  letztbeeprochene  Verhalten,  wenn  man 
iwei  der  drei  ana^ew&hltflB  Funkte  gleiefazeitig  Carren  zeichneo  iSsst 
and  wsnn  man,  om  das  seitliche  VerhftltniM  der  einzelnen  Erhebnn- 
gea  zwischen  zwei  Stellen  deutlicher  herrortreten  za  lassen,  die 
Corren  an  einer  BChneller  rotirenden  Trommel  aufnimmt  Zu  diesem 
Zweck  wurden  zwei  Exemplare  des  Fansph^gmoprapheo  und  das 
Uhrwerk  des  Lndwig'schen  Kymographions  angewendet.  Figur'5 
»igt  das  VerbfiltniBB  des  untern  Drittels  zum  mittleren,  Figur  6  das 
des  unteren  zum  oberen  bei  dieser  Versachsanordnang.    Die  Linien, 


velehe  senkrecht  die  Gurren  schneiden,  bedeuten  die  fflr  beide  Wel- 
lenbewegungen gleichzeitigen  Momente.  Aas  der  Betrachtung  dieser 
Bilder  entnehmen  wir:  der  Anstieg  der  Gurre  ist  anfangs  ein  tr&ger 
and  lasst  eine  eben  angedeutete  Weitung  des  Verlaufs  (unten  i,  oben 
meist  3  Wellen)  erkennen.  Dann  folgt  eine  leichte,  aber  gut  cbarak- 
teriürte  E^nsenkung  nod  erst  Ton  dieser  an  wird  das  Ansteigen  rasch 
Qnd  steil.  Die  Einaenkung  oder  der  Beginn  des  steilen  Anstiegs 
coincidirt  zeitlich  in  allen  drei  Punkten.  Dagegen  wird  der  erste 
Qipfel  an  den  beiden  oberen  Dritttbeilen  frOber  erreicht  als  am  un- 
teren. Der  zweite  Gipfel  liegt  unten  dem  Hauptgipfel  nfther  als  an 
den  beiden  oberen  Stellen.  Weitere  Elevationen  zeigt  der  absteigende 
Schenkel  nicht  Endlich  lehrt  eine  Messung,  dass  die  Abscisse  einer 
AscenBionslioie  bis  zum  Bauptgipfel  im  Mittel  13  Mm.  lang  ist,  wäh- 


528  XXX.  PSKZOLDT 

rend  die  gesammte  Länge  der  Curve  23  Mm«  beträgt  Das  sind  die 
Eigentbümliohkeiten ,  welche  die  Curvenreihe ,  der  die  Figuren  ent- 
nommen sind,  mit  genügender  Uebereinstimmnng  seigt 

Bei  einem  Versuch  die  Einzelheiten  zu  erklären,  stossen  wir  auf 
zahlreiche  Schwierigkeiten.  Nor  das  Eine  können  wir  ohne  Weiteres 
mit  ziemlicher  Sicherheit  sagen:  Die  Curven  der  beiden  oberen  Drittel 
gehören  ein  und  demselben  Absohnitt^des  Oefässsystems  an  und  der- 
selbe kann  nichts  Anderes  sein  als  die  Aorta;  an  iet  Erzeugung  der 
Curven  des  unteren  Dritttheils  mflssen  sich  aber  noch  andere  Factoren 
betheiligen.  Als  Ausgangspunkte  für  die  Erklärungsversuche  mflssen 
wir  daher  die  Bilder  der  oberen  Drittel  wählen,  indem  wir  hoffen, 
dass  hier  die  Verhältnisse  noch  am  einfachsten  sein  werden.  Es  Itot 
sich  aber  bei  ihrer  Betrachtung  nicht  leugnen,  dass  man  eine  der- 
artige Form  der  Aortenpulscurve  von  vornherein  nicht  erwartet  Der 
Verlauf  der  Descensionslinie  wäre  nicht  auffallend,  aber  was  soll  man 
z.  B.  als  Ursache  der  Elevation  mitten  an  der  Ascensionslinie  an- 
sprechen? Und  wie  soll  man  es  erklären,  dass  die  in  der  aufstei- 
genden Linie  sich  ausdrückende  Bewegung,  also  wahrscheinlich  die 
Systole,  länger  dauert  als  die  absteigende,  die  Diastole,  während 
man  doch  weiss,  dass  die  Systole  des  Herzens  eher  kürzere  Zeit 
braucht  als  die  Diastole  und  während  man  an  den  Pulsourven  peri- 
pherer Arterien  eine  verhältnissmässig  sehr  kurze  Dauer  der  systoli- 
schen Erhebung  zu  sehen  gewohnt  ist?  Die  Antwort  wird  noch 
schwieriger,  wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  diejenigen  Bewe- 
gungen, welche  durch  das  in  der  Aorta  strömende  Blut  bedingt  sind, 
nicht  die  einzigen  rhythmischen  sind,  welche  der  Apparat  anzeigt 
Die  systolische  Abflachung  des  Aortenbogens  kann  sich  ebenfalls  aaf 
der  berussten  Fläche  manifestiren  und  endlich  können  Bewegungen 
der  nach  abwärts  (fusswärts)  von  der  Aorta  gelegenen  Herzabschnitte 
ihren  Einfluss  geltend  machen. 

Aus  diesen  Gründen  liegt  kein  anderer  Weg  für  die  Erklärungs- 
versuche offen,  als  dass  man  eine  unzweideutige  Aortenpulscurve  vom 
Thier  zu  erlangen  sucht  und  die  an  derselben  leichter  zu  studirenden 
Erscheinungen  als  Ausgangspunkte  benutzt.  Eine  solche  Curve  finden 
wir  bei  Marey  ^).  Mit  dieser  stimmt  aber  unsere  Curve  der  oberen 
Drittel  in  mehreren  wichtigen  Punkten  sehr  genau  überein.  Vor  Allem 
finden  wir  die  Zacken,  sowohl  die  am  auf-  als  auch  am  absteigen- 
den Schenkel  auch  an  der  Marey 'sehen  Curve  wieder.  Dieselben 
werden  von  Marey  in  folgender  Weise  gedeutet:  Die  anakrote  Er- 


1 )  Physiologie  m^dicale  de  la  circolaüon  da  sang  etc.  Fam  1 86d.  p.  1S9.  Fig.  33. 


ErscheinuDgen  am  CirculAÜons-  and  RespiratioiiBapparat  bei  Fissura  sterni.    529 

bebung^)  entspricht,  wie  Marey  durch  einen  schematiscb  Herz  und 
Aorta  nachahmenden  Apparat  zu  begrOnden  sucht,  dem  Schluss  der 
linken  Atrioventricularklappe,  die  Eatakrotie  dagegen  dem  Schluss 
der  Semilunarklappen  der  Aorta.  Unser  Fall  ist  natürlich  nicht  ge- 
eignet, dieser  Auffassung  irgend  entgegenzutreten,  im  Gegentheil  steht 
wohl  nichts  im  Wege,  dass  wir  dieselbe  auf  jenen  übertragen.  Dass 
die  anakrote  Zacke  spedell,  je  höber  oben  am  pulsirenden  Körper, 
desto  weniger  deutlich  ist,  dürfte  sich  ganz  besonders  im  Einklang 
befinden.  Auch  das  Verhalten  der  Katakrotie  spricht  nicht  gerade 
dagegen.  Das  Fehlen  weiterer  katakroter  Erhebungen  (in  unseren 
Gurven  wie  in  der  Marey 'sehen)  beweist  uns,  dass  sogenannte 
Elasticitätsschwankungen  an  der  Aorta  nicht  zu  beobachten  sind. 
Dies  erscheint  auffallend  und  entspricht  nicht  der  Annahme  von  Lan- 
dois^),  dass  bei  höherer  Spannung  und  bei  stärkerer  Elasticitftt  der 
Gefässwandung  die  sog.  Elastidtätselevationen  höher  ausfallen  sollen. 

Auch  darin  stimmen  die  beiderseitigen  Curren  (die  von  Harey 
und  die  meinige)  flberein,  dass  sie  eine  ausgesprochene  Herzpause 
ebensowenig  erkennen  lassen  wie  die  Gurven  der  Radialis  und  an« 
derer  peripherer  Arterien.  Wunderbar  bleibt  dabei  nur,  dass  die 
Carre  des  unteren  Drittels,  welches  doch,  wie  oben  ausgesprochen 
wurde,  der  Hauptsache  nach  dem  rechten  Herzohr  und  Ventrikel  ent. 
spricht,  ebenfalls  keine  Pause  aufweist,  während  z.  B.  die  Gurve  des 
linken  Ventrikels,  welche  auf  der  Marey 'sehen  Tafel  über  der  Aor- 
tencurve  steht,  dieselbe  hinreichend  ausgeprägt  zeigt  Schwierig  su 
erklären  ist  aber  endlich  das  eigenthttmliche  Verhalten  in  der  Dauer 
Ton  Systole  und  Diastole  in  unseren  Gunren.  Die  Abseissenlime  des 
ansteigenden  Schenkels  Terhält  sich  zu  der  des  absteigenden  wie 
13:10,  während  doch  sonst  die  Dauer  der  Systole  geringer,  oder 
höchstens  eben  so  lang  ist  wie  die  der  Diastole.  Hierbei  müssen 
wir  die  Möglichkeit  hervorheben,  dass  Momente,  yielleieht  die  Vor- 
bofsbewegungen,  mitspielen,  welche  genan  zu  analysiren  wir  gegen- 
wärtig ausser  Stande  sind,  welche  aber  die  Gurve  in  dieser  Beziehung 
vielleicht  fälschen  könnten.  Den  Schluss,  dass  die  Systole  länger 
daaere  als  die  Diastole,  wollen  wir  für  dieses  bestimmte  Individuum, 
geschweige  denn  generell,  ohne  Weiteres  jedenfalls  nicht  ziehen. 

So  glaubte  ich  die  Verhältnisse  beurtheilen  zu  müssen,  als  sich 
mir  die  Grelegenheit  bot,  meine  Gurven  mit  denjenigen  zu  vergleichen, 

1)  Es  sei  hier  bemerkt,  dass,  wie  aus  dem  Text  anzweifelbaft  hervorgeht,  die 
Buchstaben  r,  b  and  b^  sich  wirklich  auf  die  Anakrotie  beziehen  und  nicht  auf  die 
Erhebung  am  Fosspnnkt  der  Corre,  welcher  sie  allerdings  nlher  beigesetzt  sind. 

2)  Die  Lehre  Tom  Arterienpolt.    Berfin  1972.  S.  125,  t29,  131. 

Demtachcfl  ArehtT  f.  klta.  M^dleta.    XXIV.  Bd.  34 


530  XXX.  Penzoldt 

welche  man  von  den  freiliegenden  Herzabschnitten  eines  sehr  merk- 
würdigen pathologischen  Falles  gewinnen  konnte.  Die  Frau  (Serafim) 
mit  grossem  Rippendefect  und  offen  zu  Tage  liegendem  Herzen,  welche 
Eolaczek  auf  dem  diesjährigen  Chirurgencongresse  demonstrirt  hat, 
war  von  Filehne  und  mir  (vgl.  Centralbl.  f.  d.  med.  Wiss.  1879. 
Nr.  26  u.  27)  zum  Zweck  einer  andern  Untersuchung  hierher  citirt 
worden  und  sie  lieferte  Prof.  Rosenthal  und  mir  Gurven  vom  lin- 
ken Ventrikel,  linken  Vorhof  und  höchst  wahrscheinlich  der  Pulmo- 
nalis.  Da  derartige  Untersuchungen  vermuthlich  schon  von  anderer 
Seite  gemacht  worden  sind  und  publicirt  werden,  so  erw&hne  ich  die 
unserigen  nur  beiläufig,  soweit  sie  sich  auf  die  vorliegenden  Fragen 
beziehen.  Der  linke  Vorhof  lieferte  eine  Zeichnung,  welche  ohne 
Weiteres  sehr  schwer  zu  deuten  und  auch  mit  der  Curve  des  unteren 
Drittels  im  Fall  „Wunder''  nicht  in  Einklang  zu  bringen  war.  An 
der  Ventrikelcurve  findet  sich  ausser  der  katakroten  Erhebung  eb^- 
falls  die  Erscheinung,  dass  die  Herzpause  zu  fehlen  und  die  Systole 
länger  als  die  Diastole  zu  sein  scheint.  Da  aber  auch  in  diesem 
Fall  der  mit  der  auf  den  Ventrikel  aufgesetzten  Kapsel  in  Verbindung 
gebrachte  Hebel  nicht  nur  Contraction  und  Nachlass  derselben,  son- 
dern auch  Locomotion  des  Ventrikels,  sowie  die  Fällung  desselben 
verzeichnen  muss,  so  lässt  sich  das  resultirende  Bild  recht  wohl  8o 
erklären,  dass  das  Absteigen  der  Gurve  dem  Nachlassen  der  Con-^ 
traction  entspricht,  dass  aber  das  folgende,  scheinbar  zur  Systole 
gehörige  langsame  Ansteigen  das  Einströmen  des  Bluts  in  die  Ven- 
trikelhöhle bedeutet  und  dass  demnach  die  Systole  des  Ventrikel» 
erst  beginnt,  wenn  der  ansteigende  Schenkel  steil  zu  werden  anfängt 
Die  Zeichnung,  welche  (wenigstens  vermuthlich)  die  Pulmonalis  ge- 
liefert hat,  zeigt  die  Herzpause  deutlich  und  gibt  auch  sonst  keine 
durchgehende  Aehnlichkeit  mit  unserer  Aortencurve.  Doch  können 
die  Verhältnisse  einmal  an  sich  schon  an  der  Pulmonalis  andere  al» 
an  der  Aorta  sein  und  dann  kann  man  aus  dem  Falle,  welcher  dnreh 
Pneumothorax,  Verwachsungen  und  Gompression  der  linken  Lnnge 
complioirt  ist,  ohne  angehendere  Kritik  gerade  für  die  Pulmonalis 
wohl  keine  sicheren  Schlüsse  ableiten. 

Ueber  denEinfluss  der  Respiration  auf  diePulsfreqnenx. 

Um  das  Verhalten  der  Pulszahl  zur  Athmung  genauer  zu  studiren, 
Hess  ich  nach  genauer  Einstellung  beider  Schreibhebel  gleichzeitig 
die  massig  verstärkte  Athmung  mit  dem  Stethographen  auf  die  eine, 
den  Puls  des  mittleren  Drittels  auf  die  andere  Seite  eines  beiderseitig 


EnchdnuDgen  am  Circulktions-  and  Respfrationsappuat  bei  Fissura  sterni.     531 

beruBsten  Papiers  zeichnen  (vgl.  Figur  7,  in  welcher  die  Respirations- 
curve  durch  die  Palacarre  darchgezeicbnet  iat).  Alsdann  ergibt  Bicb 
tDDScbst  ganz  allgemein  eine  Pulabeschlennigang  bei  der  laspiration 
und  eine  PuIaTertangsamang  bei  der  Exspiration ;  und  dieser  Unter- 
schied bei  beiden  RespirationBpbaBeD  ist  bo  beträohtliob,  daea  auf 
fQnf  während  der  Binathmung  erfolgende  Pulsscblfige  (auf  gleiche 


Zeiten  bezogen)  durchschnittlich  drei  wahrend  der  Ausathmung  kon»- 
men.  Sieht  man  aber  genauer  zu,  ao  findet  man,  daas  die  Pnlsver- 
langsamnng  Bchon  vor  Anfang  der  Exspiration  beginnt  und  den  Schluas 
derselben  ebenfalls  um  etwas  Qberdauert.  Diese  Beobachtung  iat 
wohl  hinreichend  einwurfafrei,  ao  daas  sie  fQr  das  Indiridunm  jeden- 
falls  gaitig  ist. 

Allgemeine  Qtlltigkeit  kann  sie,  mindesteng  ohne  Weiteres,  nicht 
beaneprucben,  da  der  Einfluss  der  Respiration  auf  die  Frequenz  des 
normalen  meuachlichen  Pulses  in  der  Literatur  widersprechend  an- 
gegeben wird  und  da  diea  natflrlich  nicht  ao  sein  wDrde,  wenn  die 
Verhältniase  immer  ao  deutlich  wären  wie  in  unaerem  Fall.  Ea  kann 
sich  demnach  nur  um  zwei  Möglichkeiten  bandeln:  entweder  'zeigt 
HOB  der  Mann  mit  seinem  Defect  ein  dem  normalen  entgegengeaetztes 
Verhalten  und  dann  fragt  ea  aich,  warum  er  dae  thut,  oder  aber  er 
leigt  daaaelbe  Verhalten  wie  der  ^Normale,  nur  in  viel  auegeprflgterem 
Maasee  und  auch  dann  liegt  die  Frage  nach  der  Ursache  nahe. 

Mehrere  Foracher  sahen  beim  gesunden  Menschen  inspiratorische 


532  XXX.  Pekzoldt 

Verlangsamung  des  Palses,  wie  z.B.  Vierordt^,  Marey^)  und 
Landois^)i  welche  zahllose  Gurven  ausgemessen  haben.  AuchThier- 
beobachtongen  ergaben  das  Gleiche.  Dagegen  sah  Einbrodt^)an 
Hunden,  sobald  die  Athmungsbewegungen  umfangreich  und  tief  sind 
und  auf  jede  Phase  mehrere  Herzcontractionen  kommen ,  eine  Ver- 
mehrung der  Pulsschlftge  bei  der  Inspiration.  Und  unter  denselben 
Bedingungen  erzielten  auch  manche  Beobachter  vom  Menschen  dar- 
ven,  welche  das  Gleiche  lehrten.  (In  der  Curve  von  Kiemensie- 
wicz^)  glaube  ich  sogar  eine  Andeutung  you  dem^Nachlass  der  in- 
epiratorisphen  Beschleunigung  am  Ende  der  Inspiration  zu  erkennen.) 
Wir  werden  demnach  wohl  nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  annehmen, 
dass  fflr  den  angegebenen  Respirationstypus  die  Angaben  der  letzten 
Autoren  gelten  und  dass  unser  Fall  das  normale  Verhalten  in  einer 
ganz  besonders  eclatanten,  fast  übertriebenen  Weise  darstellt  Worauf 
a.ber  hier  dieses  offenbare  Hinausgehen  über  die  normalen  Grenzen 
des  Näheren  zu  beziehen  ist,  fällt  schwer  zu  sagen.  Nach  der  Hering'- 
sehen  ^)  Auffassung  von  der  Ursache  der  inspiratorischen  Pulsver- 
mehrung  ist  vor  allen  Dingen  gar  nicht  abzusehen,  warum  die  Be- 
schleunigung in  dem  vorliegenden  Falle  so  bedeutend  ist;  denn  wee- 
halb  sollen  die  sensiblen  Fasern  der  Lunge  in  demselben  stärker 
gereizt  und  dadurch  der  Herzvagustonus  reflectorisch  herabgesettt 
werden?  Es  bleibt  daher  wohl  nichts  übrig  als  vermuthungsweise 
anzunehmen,  dass  der  in  unserem  Falle  gegenüber  dem  normalen 
höhere,  d.  i.  weniger  verminderte  Druck,  der  auf  einem  Theil  dee 
'Herzens  während  des  Einathmens  lastet,  hier  zu  der  gewöhnliehen 
Ursache  der  inspiratorischen  Beschleunigung  hinzukommt  und  so  die 
Differenz  zwischen  In-  und  Exspirium  stärker  hervortreten  lässt 

Einfluss  der  Athmung  auf  die  Form  der  Aorten-  und 

Radialiscurve. 

Die  in  diesem  Abschnitt  mitgetheilten  Beobachtungen  an  dem 
Mann  mit  Fissura  stemi  zeigen  entweder  die  von  Anderen  am  nor- 
malen Menschen  gefundenen  Erscheinungen  mit  grösserer  Deutlich- 
keit oder  sie  zeigen  von  den  Ergebnissen  früherer  Beobachter  ab- 
weichende Befunde.  In  dem  ersteren  Falle  kann  man  sie  wohl  ohne 
Weiteres  als  Bestätigungen  des  schon  Vorhandenen  ansehen.   In  dem 


1)  Siehe  bei  Lande  is  1.  c.  S.276.         2)  1.  c.  p.293.         3)  L  c.  S.276. 

4)  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie.  XL.  t860.  S.  407  ff. 

5)  Ebendaselbst.  LXXIV.  m.Abth.  1876.  S.524. 

6)  Ebendaselbst.  LXIV.  1871.  S.  332. 


Erachelonngen  Bm  Circdationa-  und  Respiratiousapp&rat  bei  FigBora  tteral.    533 

zweiten  jedoch  darf  man  sie  keineswegs  gegen  die  Angaben  der 
Autoren  verwerthen  wollen;  denn  wir  müssen  im  Auge  bebalten, 
dass  ein  Fehlen  eines  Abachnittes  der  Thoraxwand  und  ein  abnormes 
Blossliegen  von  Theilen  des  Respiratious-  und  Circulationsapparats 
gerade  zu  einer  voreicbtigen  Beurtbeilung  des  Verhältnisses  zwischen 
den  Tbätigkeiten  beider  Apparate  mahnt  und  keine  directen  Scbltlsae 
auf  das  normale  Verhalten  gestattet.  Eine  eingehende  Untersuchung 
jedoch  Ober  die  Art  und  Weise,  wie  sich  in  diesem  specielleo  Falle 
gerade  die  EinflQsee  der  Athmuog  auf  den  Puls  gestalten,  dürfte  eine 
zu  dem  Wertbe  des  Resultats  unverbältnissmässig  grosse,  nicht  nur 
kritische,  sondern  auch  experimentelle  Arbeit  erfordern,  welche  ausser 
dem  Plan  dieser  Abhandlung  liegt.  leb  berichte  daher  einfach  Aber 
meine  Befunde  und  gebe  nicht  über  die  nächstliegenden  Erklftrungs- 
T Branche  hinaus. 

Der  Verlauf  der  ganzen  Pulsreibe  wird  deutlich  von  den  Athem- 
hewegungen  beeinfiuast,  wie  sowohl  an  der  Aorten-  als  an  der  Radial- 
eurre  zu  sehen  ist.  Betrachtet  man  die  Zeichnung  (Fig.  7  auf  8.  531), 
anf  welcher  Respiration  (der  beschriebene  Typus,  langsam  und  ver- 
tieft) and  Puls  gleichzeitig  aufgeschrieben  sind,  so  sieht  man,  daaa 
gegen  Ende  der  Inspiration  die  Gesammtcurve  ungefähr  gleichzeitig 
mit  der  Frequenzabnabme  anzusteigen  hcginnt,  ihre  höchste  Höhe 
eataprechend  dem  Frequenzminimum  gegen  Ende  der  EzspiratioD 
erreicht  und  am  Anfang  der  Inspiration  sinkt,  um  in  der  Mitte  der 
Inspiration  am  niedrigsten  zu  stehen.  Wenn  man  aueh  bedenken 
nauss,  dass  gerade  an  der  untersuchten  Stelle  die  Hebungen  und 
Senkungen  der  Pulsreibe  alle  möglichen  Ursachen  haben  können 
vergl.  z.  B.  die  Bemerkung  EnoH'ai)  bezQglieh  der  Carotia),  so 
larf  man  dieselben  doch  in  diesem  Falle  wohl  unbedenklich  auf  die 
Veränderungen  des  arteriellen  Drucks  beziehen,  da  sie  sieh  an  der 
Radialis  (Fig.  8)  ebenfalls  mit  einer  auffallenden  Deutlichkeit  zeigen. 


)ie  Radialiscurre  wurde,  ebenso  wie  alle  folgenden,  mit  der  Som- 
aerbrodt'schen  Hodification  des  Sphygmograpben  in  der  Rttcken- 
age  des  Mannes  geschrieben.  Zum  Studium  der  Druckschwaukungen 


I)  Beiträge  z.  Kenntniss  d.  Puhc'urve.  Ärch .  f.  exp.  Path.  n.  Phaim.  IX.  S.  395. 


534  XXX.  Peszoldt 

wollen  wir  sie  nicht  verwerthen,  da  die  Respiration  nicht  gleichzeitig 
verzeichnet,  Bondern  nur  der  Beginn  von  In-  und  Exspiration  wih- 
rend  des  Aufschreibene  markirt  wurde.  Wir  entnehmen  ihr  nur  die 
Thataacbe,  dass  die  Eischeinungen  an  dem  peripheren  Gefäss  im 
WeBentlicheo  dieselben  sind  wie  die  an  der  Aorta.  Diese  aber  nnd 
von  einer  Deutlichkeit,  die  nichts  zu  wflnschen  übrig  ISsst.  ^e  stim- 
mea  im  Altgemeinen  mit  deu  Bildern  Uberein,  welche  fOr  nngeßbr 
den  gleichen  Athmungatypus  ElemensiewiezO  (Carotis]  nnd  Pb. 
Enoll  ^)  (Radialis)  bekommen  haben.  Eine  Differens  liegt  nur  dtrin, 
dasa  jene  Forscher  den  Höhepunkt  des  Drucks  bei  Beginn  der  Ex- 
spiration (und  zwar  in  Uebereinstimmung  mit  den  Einbrodt'sclieD 
Thierversuchen)  fanden,  während  mein  Fall  ihn  gegen  Ende  iei{t. 

Die  Beobachtungen  Über  die  Verfindemsgen  der  einzelnen  Palsforo 
während  der  Respiration  stimmen,  soweit  sie  die  Radialis  betreffen, 
mit  den  früheren  Befunden  von  Wolff,  Landois  u.  A- ttberein.  An 
der  Radialis  (Figur  8)  drückt  sich  nämlich  an  den  inspiratoriscbeo 
Pulsen  die  grossere,  sogenannte  RuokstosBelevatioa  deutlicher  au 
als  au  den  exspiFatorischen,  speciell  geht  die  Descensionslinie,  beT« 
die  zweite  Erhebung  folgt,  tiefer  herab,  so  dass  das  Bild  dem  dicroten 
Pulse  ähnlich  wird.  Auch  dieses  Verhalten  erscheint  an  unserem 
Individuum  deutlicher,  als  man  ea  sonst  meist  zu  sehen  gewohnt  ilt 

An  der  Aorta  haben  wir  scheinbar  ein  umgekehrtes  Verhalten 
<Fig.  7.  S.  531),  indem  sich  die  secundären  Erhebungen,  sowohl  die 


V\fBril>t.    Radlilpoli  wlbRiid  dei  poiitlnn  VdiulTn'Khtn  Vtrucha  (bat  -t-  BigliiD) 
vom  Mun  mit  dei  Flwiir.     (SamiiurbtadI,  BalMlsog  IM.) 

am  auf-  als  auch  die  am  absteigenden  Schenkel,  deutlicher  bei  der 
Exspiration  ausprägen.  Die  starke  Verlangsamung  der  Schlagfolge 
und  die  Verlängerung  der  Diastole 
während  der  Atbmungsperiode  dflrfen 
vielleicht  als  Grand  dieser  Erschei- 
nung angesprochen  werden. 

Bei    dem  sogenannten   positiven 
i.-,g»rMb.  wiej'iiut^j.jj^uei  -  BctüiiH    Valsalva'scbeu  Versuch  (forcirte  Ex- 
spiration   hei    geschlossener   Glottis) 
zeigten  sieh  ebenfalls  an  der  Pulscurve  Veränderungen,  welche  sieh 


ErscheiauiigeD  am  Circulations-  und  RespiratioDsapparat  bei  Fisaura  sterni.    535 

theitweise  mit  den  am  Normalen  beobachteten  im  Einklang  befanden, 
tbeilweise  von  denselben  unterschieden.  Ich  gebe  auch  hier  die 
Curven  (Fig.  9a  u.  b,  Fig.  10)  und  deren  Erläuterung  ohne  weiteren 
Dommentar.    Während  man  am  gesunden  Menschen  gewübulich  eine 


Fi(ur  lu.    HudlsIpiLi  wBhrtnd  du  +  VhIhIti  (bei  +  Bii|lnn.  he\  -  Bchlnu) 

Verlangsamung  und  erst  nach  Scbluss  des  Veisuchs  eine  deatliche 
Beschleunigung  findet,  zählt  man  an  unserem  Fall  während  des  Ex- 
periments eine  sehr  beträchtliche  Beschleunigung:  die  Frequenzzahl 
stieg  von  63 — 66  auf  81  in  der  Minute.  Dagegen  ist  das  jedesmalige 
sofortige  Ansteigen  der  Gesammtcurve  (Drucksteigerung)  bei  Beginn 
und  das  sofortige  Absinken  nach  Schlnss  des  Valsalva  eine  beiden 
Carven,  der  des  Gesunden  und  des  Individuums  mit  der  Fissur,  ge- 
meiuBame  EigentbDmlichkeit.  Sehr  verschieden  ist  aber  wieder  die 
Grösse  des  einielnen  Pulses:  am  Normalen  nimmt  sie  beträchtlich 
ab,  zuweilen  fast  bis  zum  Verschwinden,  bei  dem  Fissnrmengchen 
bleibt  sie  fast  unverändert.  Im  ersteren  Falle  kann  man  (wie  in  der 
Äbbildang)  oft  die  Rflckatoraelevation  während  des  Versuchs  kaum 
beobachten  (wenn  sie  zu  sehen  ist,  ist  sie  im  Verbältniss  zum  Haapt- 
gipfel  deutlicher  als  in  der  Norm),  in  unserem  Falle  bemerkt  man 
einige  (etwa  4j  Pulsschläge  nach  Anfang  des  Valsalva  eine  allmählich 
zunehmende  Vergrössemng  der  RQckstosseleration,  welche  auch  nach 
Schloas  des  Versuchs  ebenfalls  circa  4  Pulse  lang  noch  fortbesteht 
Letztere  Erscheinung  stimmt  tibrigena  vollkommen  mit  dem  Normalen. 

Einfluss  einer  Compression  der  Aorta  ascendens  auf 
den  Puls. 
0er  Umstand,  dass  den  Einäuss  einer  Compression  der  aufstei- 
genden Aorta  auf  den  Radialpuls  beim  gesunden  Henacben  zu  beob- 
achten sich  nur  selten  Gelegenheit  bieten  wird,  führte  mich  darauf, 
den  Fall  auch  in  dieser  Beziehung  zu  einem  kleinen  Versuch  zu  be- 
nutzen. Uebt  man  auf  das  freiliegende  Aortenst&ck  einen  massigen 
Druck  ans,  den  der  Mann  ohne  Jede  Beschwerde  erträgt,  so  bemerkt 
man  zunächst  eine  deutliche  Frequenzzunahme  der  Herzschläge  von 
63 — 66  auf  69 — 72.  Ferner  aber  erhält  man,  wenn  man  gleichzeitig 
den  Puls  der  Radialarterie  vom  Sphygmographen  verzeichnen  lässt 


XXX.  Pbkzou-T 


(Fig.  1 1  a  und  b),  eine  Ver&nderung  der  noraulen  CurreDform  mi 
zwar  der  Ginzelcurve.  Sofort  mit  B^Dn  dei  Drucks  nftmUeh  wird 
die  Bog.  RtlckstoBselevatioD  höher  und  es  bildet  sich  rasch  räne  toU- 


Druck*  twi  /.) 

kommene  Dikrotie  auB,   während  sich  beim  Nachlaseen  des  Draeki 
wieder  rasch  die  alte  Curvenform  herstellt 

Die  Crb&buug  der  RQckstoBaeleration  ist  wohl  einfach  als  Folge 
der  Tenninderteil  Spannung  in  der  Radialarterie  aufzufassen.  Wir 
wissen,  dass  die  genannte  Erbebung  bei  niedrigem  Druck  höher  wird, 
und  dass  eine  CompresBion  der  aufsteigenden  Aorta  den  Druck  in 
der  peripheren  Arterie  herabsetzt,  ist  wohl  selbstverstfindlich.  Etwu 
schwieriger  ist  die  Erklärung  der  Pulabescbleunigung  bei  der  Com- 
pression.  Es  könnten  hierbei  mehrere  Momente  zusammenwirkeo. 
Z.  B.  kann,  wie  der  Druck  auf  einen  Herzabschnitt  direct,  to  auch 
die  GompreBsion  eines  dem  Herzen  so  nahe  gelegenen  Tfaeils,  >1b 
directer  Reiz  wirkend,  die  Frequenzzunahme  bedingen.  Bei  der  meb^ 
fach  erwähnten  Frau  mit  dem  freiliegenden  Herzen  machte  ein  Dnick 
auf  rerschiedene  Stellen  des  linken  Ventrikels  ebenfalls  Beschleooi' 
gung.  Auch  die  beim  Druck  unvermeidliche  Zerrung  der  Heranerrea 
könnte  die  Veranlassung  der  Acceleration  sein.  Die  Bauptursache 
glaube  ich  jedoch  in  folgender  Ueberlegung  zu  finden:  Comprimirt 
man'  einem  Tbier  die  Aorta  nach  Abgang  der  Himarterieu  (Baueb- 
aorta),  so  steigt  der  Druck  in  demjenigen  arteriellen  Gebiet,  welches 
centralwftrts  Ton  der  gedruckten  Stelle  liegt,  also  auch  in  dem  Ot 
hirn  und  durch  centrale  Vaguserregung  folgt  Seltnerwerden  des  Ben- 
Schlags.  Comprimirt  man  dagegen ,  wie  in  unserem  Falle ,  die  auf- 
steigende Aorta,  80  sinkt  der  Druck  in  den  Hirnarterien,  die  normale 
Erregung  des  Vaguscentrums  Ifisst  nach  und  die  Herzcootractionen 
werden  beschleunigt. 

Ueber  den  Pectoralfremitus. 
Eine  kurze  Bemerkung  ttber  die  Fortpflanzung  der  Stimmvibra- 
tionen von  dem  Ort,  an  dem  sie  entstehen,  bis  zu  demjenigen,  an 
welchem  sie  fühlbar  werden,  möge  ebenfalls  hier  Platz  finden. 


Erscheinungen  am  CircalationB-  und  Betpirationsapparat  bei  Fissura  sterni.    537 

Die  allgemeine  Auffassung  des  Vorgangs,  wie  sie  sich  in  den 
neueren  Lehrbttchern  der  physikalischen  Diagnostik  findet,  ist  die, 
dass  sich  die  Erzitterungen  auf  die  Luftsäule  in  den  Bronchien  so- 
wie auf  die  Bronchialwftnde  selbst  und  so  weiter  durch  das  Lungen- 
gewebe fortpflanzen  bis  zur  Thoraxwandung^  Diese  Anschauungsweise 
ist  jedenfalls  richtig  und  ich  bezweifele  sie  keinen  Augenblick.  Da« 
gegen  bezweifele  ich  auf  Grund  einer  Beobachtung  an  unserem  Falle, 
dass  sie  die  allein  berechtigte  ist  und  glaube,  dass  noch  eine  andere 
Art  der  Fortleitung  des  Stimmfremitus  hervorgehoben  werden  muss. 
Direct  auf  der  exspiratorisch  in  der  Spalte  vorgedrängten  Lunge 
waren  bei  dem  Individuum  die  Stimmvibrationen  sehr  deutlich  schwä- 
cher, als  auf  den  die  Spalte  begrenzenden  Thoraxabschnitten.  Daraus 
scheint  hervorzugehen,  dass  die  Schwingungen  der  Stimmbänder  beim 
Intoniren  sich  nicht  nur  auf  dem  Wege  der  Bronchialverzweigungen, 
sondern  ganz  besonders  auch  auf  dem  Wege  der  Enochenleitung  nach 
dem  Thorax  hin  verbreiten  mfissen.  In  der  That  ist  die  Wirbelsäule 
mit  den  sich  an  dieselbe  ansetzenden  Bippen  hierzu  vortrefflich  ge« 
eignet  und  wer  weiss,  ob  sie  nicht  unter  den  normalen  Verhältnissen 
sogar  den  Hauptantheil  an  dem  Zustandekommen  der  Erscheinung 
haben.  Alle  physiologischen  Variationen  des  Phänomens  (verschie* 
dene  Stärke  bei  verschiedener  Thoraxdicke,  an  verschiedenen  Stellen 
n.  s.  w.)  und  ebenso  die  pathologischen  Modificationen  passen  auch 
zu  der  auseinandergesetzten  erweiterten  Auffassung  des  Vorgangs  ganz 
vortrefflich.  Während  der  Fremitus  normal  von  mittlerer  Stärke  wahr- 
genommen wird,  weil  zwar  die  knöcherne  Thoraxwand,  nicht  aber 
das  Lungengewebe  seiner  Fortpflanzung  gttnstig  ist,  so  muss  er  eines- 
theils  verstärkt  auftreten,  wenn  die  Bedingungen  fUr  die  Fortleitung 
von  den  Bronchien  her  besser  sind  (Infiltration)  und  also  die  Erzitte- 
rungen  gewissermaassen  von  innen  her  und  längs  der  Wandung  gut 
zum  palpirenden  Finger  gelangen  können,  anderntheils  wird  der 
Fremitus  schwächer  oder  nicht  gefühlt,  wenn  die  Fortpflanzung  durch 
den  Bronchialbaum  bis  zur  Peripherie  irgend  gehindert  (Schleimpfropf, 
FlQssigkeit  oder  Luft  in  der  Pleura)  und  ausserdem  noch  die  Sehwin- 
guDgsfähigkeit  des  Thorax  (durch  stark  gespannte  Luftansammlung, 
durch  FlQssigkeitserguss)  beeinträchtigt  oder  aufgehoben  ist.  Manches 
erklärt  sich  sogar  nach  dieser  etwas  erweiterten  Auffassung  besser. 
So  z.  B.  das  Erhaltensein  des  Vocalfremitus  (wenn  auch  abgeschwächt) 
bei  communicirendem  Pneumothorax,  wenn  die  Lunge  von  der  Thorax- 
wandung abgedrängt  ist,  sowie  das  Erhaltensein  bei  kleineren  Exsu- 
daten. Ich  glaube  demnach  sogar  der  Wahrheit  nahe  zu  kommen, 
wenn  ich  annehme,   dass  man  wohl  schon  vielfach  den  Factor  der 


538    XXX.  Penzoldt,  Erscheinungen  am  Girculations-  u.  Respirationsapparat  etc. 

Enochenleitung  stillschweigend  oder  offen  gelten  gelassen  hat  und 
dass  die  gebräuchlichsten  Lehrbttcher  ^)  denselben  nur  aus  Zufall  nicht 
ausdrücklich  erwähnen. 

Anhangsweise  füge  ich  hier  noch  den  Befund  an,  welchen  in 
dieser  Hinsicht  die  oben  erwähnte  Frau  mit  dem  Bippendefect  ge- 
liefert hat.  Auch  hier  war  der  Stimmfremitus  selbst  an  den  Stellen 
des  Thorax  (links  vom  oben),  wo  gar  keine  Lunge  mehr  vorhandea 
ist>  deutlich  stärker ,  als  auf  der  in  der  linken  Thoraxhöhle  in  der 
Tiefe  direct,  d.  h.  nur  von  Haut  bedeckt,  fühlbaren  (coUabirten)  Lunge. 

Zum  Schluss  bitte  ich  den  Leser,  yorstehende  Abhandlung  lediglich 
als  den  bescheidenen  Versuch  ansehen  zu  wollen,  einen  günstigen  Fall 
auszunutzen  und  durch  das  Fenster,  welches  hier  die  Natur  bei  sonst 
normalen  Verhältnissen  offen  gelassen  hat,  yielleicht  ein  klein  wenig 
tiefer  einzublicken.  Im  Anfang,  wenn  Einem  ein  solcher  Fall  ent- 
gegentritt, hat  man  wohl  oft  das  Gefühl  —  wenigstens  haben  mir 
auch  Andere  so  gesagt  — ,  als  ob  die  Missbildung,  der  Defect  oder 
was  es  gerade  ist,  an  sich  recht  interessant  sei,  als  ob  man  aber  f&r 
die  physiologische  Erkenntniss  nur  wenig  Gewinn  daraus  ziehen 
könne.  Beschäftigt  man  sich  aber,  wie  ich  gethan  habe,  etwas  ge- 
nauer mit  dem  Studium  eines  derartigen  Falles,  so  kommt  man  durch 
Vergleichung  unserer  bisherigen  Kenntnisse  mit  den  Beobachtungen 
an  dem  Untersuchungsobject,  durch  Erklärung  dieser  aus  jenen  und 
durch  Erläuterung  jener  mittelst  dieser  zu  dem  Ergebniss,  zwar  nicht 
gerade  fundamentale  neue  Wahrheiten,  aber  doch  einige  kleine  That- 
sachen  von  Werth  und  eine  nähere  Beleuchtung  vorhandener  An- 
schauungen überhaupt  zu  gewinnen. 


1)  Yergl.  z.B.  Wintrich  in  Yirchow's  Handb.  der  spec.  Path.  V.  1.  S.70; 
Gerhardt,  Lehrb.  d.  Ausc.  u.  Perc.  Tübingen  1876.  S.  79;  Guttmann,  Lehrb. 
der  klin.  Untersuchungsmethoden.  1878.  S.  74. 


xxxr 

Beiträge  zur  therapeutischen  VerweoduDg  der  Bauchspeieheldrflse 

von  Schlaehtthieren  und  deren  Präparate. 

Von 
Dr.  H.  Engesfler, 

PriTfttdocent  an  der  ünlvenltät  Freiborg  I.  B. 

Das  Secret  der  Bauchspeicheldrüse  besitzt  bekanntlich  in  sehr 
hohem  Grade  die  Fähigkeit,  Amylum  in  Zucker  umzuwandeln,  ebenso 
coagulirtes  Eiweiss  in  lösliches  Eiweiss  und  Peptone  fiberzufahren  und 
endlich  Fette  zu  emulsioniren. 

Durch  diese  F&higkeit  gewinnt  der  Bauchspeichel  eine  sehr 
grosse  Bedeutung  fflr  die  Verdauung  und  zwar  in  höherem  Maasse, 
als  sie  dem  Magensafte  zukommt,  denn  die  Speisen  verweilen 
nur  verhältnissmässig  kurze  Zeit  (ca.  2 — 3  Stunden)  im  Magen  in 
wirksamer  Vermischung  mit  dem  Pepsin  des  Magensaftes,  welches 
beim  Austritt  ins  Duodenum  durch  die  alkalische  Galle  und  das 
Darmsecret  gefällt  und  dadurch  unwirksam  wird;  dabei  ist  noch 
zu  beachten,  dass  die  Verdauungsf&higkeit  des  Pepsins  auch  wäh- 
rend seines  Aufenthalts  im  Magen  keine  unbegrenzte  ist,  da  es  nach 
der  Anschauung  einiger  Autoren  durch  die  gebildeten  Peptone 
gesättigt  wird,  unter  allen  Umständen  aber  wegen  des  allmählich 
sich  einstellenden  Mangels  an  freier  Salzsäure,  welche  zum  gros* 
seren  oder  kleineren  Theile  während  der  Magenverdaunng  vom  Ei- 
weiss der  Ingesta  gebunden  und. zu  Syntoninbildung  verwendet 
wird,  seine  Wirksamkeit  einbfisst. 

Vergleichen  wir  mit  diesem  Verhalten  des  Pepsins  das  des 
Pankreasseeretes,  welches  bei  jeder  Reaction  verdaut  und,  ohne 
von  den  gebildeten  Verdauungsproducten  gesättigt  zu  werden,  auf 
dem  langen  Wege,  den  die  Ingesta  durch  den  Darmtractus  zurflck- 
legen  mttssen,  mit  diesen  in  stets  wirksamer  Vermischung  bleibt,  so 
wird  leicht  die  dem  Pankreassecret  zuerkannte  grössere  Wichtigkeit 
für  die  Verdauung  gegenüber  dem  nur  kurze  Zeit  wirkenden  Pepsin 
des  Magensaftes  als  gerechtfertigt  erscheinen. 


540  XXXI.  Engesseb 

Bei  dieser  Bedeutung,  welche  dem  Bauchspeicbel  in  dem 
Verdauungsprocesse  zukommt,  lag  es  nahe,  das  Pankreas  von 
Schlachttbieren  oder  dessen  Präparate  und  die  daraus  gewonnenen 
wirksamen  Bestandtheile  bei  Verdauungsstörungen  therapeutisch  zu 
verwenden. 

Ein  Versuch  damit,  meines  Wissens  der  erste  der  Art,  wurde 
schon  1864  von  Fies  in  Utrecht^)  mit  gutem  Erfolge  gemacht. 

Es  handelte  sich  in  diesem  Falle  um  einen  Diabetiker,  der  viel 
Fett  und  Fleisch  genoss,  in  dessen  Stuhlentleerungen  sehr  viel  Fett 
und  ganz  unveränderte  quergestreifte  Muskelfasern  sich  vorfanden. 

Diese  Bestandtheile  verschwanden  sofort  aus  den 
Stuhlen,  als  dem  Patienten  bei  sonst  gleichbleibender  Nahrung 
täglich  ein  Ealbspankreas  gereicht  wurde;  sobald  dieses  wie- 
der weggelassen  wurde,  stellten  sich  auch  Fett  und  quergestreifte 
Muskelfasern  in  den  Stflhlen  wieder  ein. 

Der  Versuch  wurde  öfters  und  stets  mit  gleichem  Erfolg  wiederholt. 

Hat  nun  dieser  Fall  auch  den  a  priori  von  der  Darreichung  des 
Pankreas  erwarteten  Erfolg  bestätigt,  so  standen  der  allgemeineren 
Anwendung  desselben  doch  noch  grosse  Schwierigkeiten  im  Wege. 

Abgesehen  davon,  dass  der  Fall  Fies  ziemlich  vereinzelt  blieb, 
bestand  die  erste  Schwierigkeit  in  der  Wahl  einer  ge.eigneten  Dar- 
reichungsmethode. 

Fies  verfuhr  folgendermaässen :  Ein  frisches  Ealbspankreas 
wurde  fein  zerhackt  mit  6  Unzen  (ca.  190,0)  Wasser  zerrieben  und 
filtrirt;  das  milchig- triibe  Filtrat  wurde  während  des  Tages  jedesnial 
nach  den  Mahlzeitea  in  einzelnen  Portionen  von  dem  Kranken  ge- 
nommen. 

Dieser  Darreichungsweise  steht  nun  aber  einmal  der  Umstand 
entgegen,  und  ich  habe  mich  selbst  öfters  davon  überzeugt,  dass 
viele  Personen  einen  untlberwindlichen  Widerwillen  gegen  diese  Art 
Emulsion  haben,  ein  Widerwillen ,  der  wohl  zum  Theil  in  dem  Ge- 
danken an  rohen  Fleischsaft,  zum  Theil  wohl  auch  in  dem  nicht 
gerade  angenehmen  Geruch  und  Geschmack  des  Präparates  begründet 
ist ;  -r-  verabscheuen  doch  viele  Personen  die  gar  nicht  unangenehm 
schmeckende,  nach  Liebig's  Vorschrift  kalt  bereitete  Fleischbrflbe, 
weil  ihnen  Farbe  und  Geruch  des  rohen  Fleisches  Ekel  erregen; 
hinlänglich  bekannt  ist  aber  auch ,  welch  nachtheiligen  Einflnss  der 
Ekel  auf  Appetit  und  Verdaunng  ttbt,  so  dass  ans  diesem  Gnmde 

1)  Ein  Fall  von  Diabetes  mellitus  mit  Atrophie  der  Leher  und  des  Pankreas. 
Archiv  f.  d.  hoU&nd.  Beitr&ge  z.  Natur-  u.  Heilkunde.  Bd.m.  S.  1S7.  Utrecht  IS64, 
und  Friedreich,  Pankreaakraakheiten.  v.Ziemaaen^s  Handb.Bd.yiILl8.2il 


Therapeatische  Yerwendmig  der  Bauchspeicheldrüse.  541 

schon  die  Darreichung  des  Pankreas  in  der  von  Fies  Torgeschla- 
genen  Form  nicht  allgemein  verwertbbar  ist 

Dazu  kommt  noch  ein  weiterer  Missstand  in  Betracht,  dass  näm- 
liehy  besonders  in  kleineren  Orten,  nicht  immer  frische  DrQsen  täg- 
lich ZQ  haben  sind,  alte  Drüsen  aber  wegen  des  leichten  üebergangs 
in  Fftalniss  nicht  benatzt  werden  sollen. 

Dieselben  Gesichtspunkte  durften  auch  für  die  von  Friedreich  0 
angegebene  Methode  Geltung  haben:  Die  Zubereitung  des  Pankreas 
nach  dieser  Methode  besteht  darin,  dass  man  das  einem  frisch  ge- 
schlachteten Thiere  (Kalb,  Schwein)  entnommene  Pankreas  zunftohst 
zur  oberflächlichen  Entfernung  des  Blutes  mit  kaltem  Wasser  abspült, 
gröblich  zerkleinert,  möglichst  von  Fettgewebe  reinigt,  mit  dem  Vier- 
fachen seines  Gewichtes  auf  2b  ^  C.  erwärmten  Wassers  übergiesst 
und  nun  2  Stunden  lang  digerirt,  wobei  zu  beachten  ist,  dass  wäh- 
rend dieser  Zeit  die  Temperatur  nicht  über  30  <^  C.  ansteigt. 

Ein  weiterer,  sehr  erheblicher  Missstand  dieses  Präparates  be- 
steht noch  darin,  dass  beim  Digeriren  der  Drüse  mit  Wasser  die 
Fennente  aus  dem  Zymogen  abgespalten  werden  (Heidenbain),  die 
so  isolirten  Fermente  aber  durch  das  Pepsin  des  Magens  ihre  Witk* 
samkeit  einbüssen  (Kühne). 

Es  wurden  nun  auch  Versuche  gemacht,  möglichst  indifferent 
schmeckende  Präparate  des  Pankreas  durch  isolirte  Darstellung  der 
Fermente  zu  gewinnen;  —  ich  werde  später  auf  diese  Präparate 
zurftckkommen. 

Stand  nun,  wie  aus  dem  Gesagten  hervorgeht,  einerseits  der 
Mangel  einer  geeigneten  Darreichungsmethode  der  allgemeinen  thera- 
peutischen Verwendung  des  Pankreas  hindernd  im  Wege,  so  erwuchs 
derselben  andererseits  noch  eine  viel  schwerer  ins  Gewicht  fallende 
Schwierigkeit,  darin  bestehend,  dass  trotz  des  guten  Erfolges  in  dem 
Falle  Fies  doch  stets  wieder  der  Einwand  auftauchte,  die  Pankreas- 
fermente  büssten  durch  das  Pepsin  des  Magensaftes  ihre  Wirksamkeit 
ein;  ein  Einwurf,  der  für  die  isolirten  Fermente  vollständig  richtig 
ist,  aber  von  diesen  auf  die  ganze  DrUsensubstanz  selbst  tibertragen, 
keineswegs  erwiesen  war. 

In  einer  grösseren  Reihe  von  Versuchen,  deren  Resultate  ich  1877 
in  einer  Arbeit  ^)  über  die  Bedeutung  des  Pankreas  und  seine  thera- 
peutische Verwendung  veröffentlichte,  bemühte  ich  mich,  über  die 


1)  Krankheiten  des  Pankreas,    v.  Ziemssen's  Handbuch.  Bd.  YIII.  2.  S.  2S8. 

2)  Das  Pankreas,  seine  Bedeutung  als  Verdaüungsorgan  und  sdne  Ter- 
verthung  als  di&tetisches  Heihnittel.    Stuttgart,  Ferd.  Enke,  1877. 


542  XXXI.  Enobsser 

beiden  genannten  Schwierigkeiten  hinwegzukommen  und  habe  dabei 
auch,  sowohl  was  das  Verhalten  des  Pankreas  zum  Magensaft,  als 
auch  was  die  Methode  der  Darreichung  betrifft,  gttnstige  Resultate 
erzielt  Trotz  dieser  befriedigenden  Resultate  konnte  die  erwähnte 
Arbeit  doch  nicht  ohne  Lücken  bleiben ;  Lücken,  die  sich  theils  daraus 
ergaben,  dass  die  Versuche  alle  mit  frischen  Drüsen  angestellt  waren 
und  das  erst  später  gefertigte  Präparat  der  Gebrüder  Keller  bei 
Abschluss  der  Arbeit  noch  nicht  erprobt  war,  femer  daraus,  dass  die 
auf  experimentellem  Wege  gewonnenen  Resultate  und  die  daraus 
theoretisch  erschlossene  günstige  Wirkung  des  beim  Menschen  per  os 
dai^ereichten  Pankreas  sich  erst  mit  der  Zeit  an  der  Hand  eines 
grösseren  casuistischen  Beobachtungsmaterials,  als  es  mir  bis  dahin 
zur  Verfügung  stand,  praktisch  bewähren  musstenO- 

Diese  Lücken  auszufüllen,  möge  daher  das  Folgende  dienen. 

Zuvor  möge  es  aber  gestattet  sein,  die  in  meiner  früheren  Arbeit 
niedergelegten ,  ans  der  Literatur  entnommenen  physiologischen  An- 
haltspunkte, sowie  die  aus  meinen  eigenen  Versuchen  gewonnenen 
Resultate  über  die  Bedingungen  der  Wirksamkeit  des  Pankreas  und 
seiner  Verwendbarkeit  für  die  Verdauung  kurz  zu  wiederholen: 

1.  Die  Bauchspeicheldrüse  producirt  einen  Körper,  das  Zymogen, 
welches  14 — 24  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme  am  reichlichsten 
darin  enthalten  ist  und  aus  welchem  sowohl  auf  natürlichem  Wege 
bei  jeder  Verdauung,  als  auch  künstlich  durch  Znsatz  von  Säure  sich 
die  eigentlich  verdauenden  Stoffe,  die  Fermente  für  die  Verdauung 
abspalten  (Heidenhain). 

2.  Diese  Fermente  sind  bei  saurer,  neutraler  und  alkaliseher 
Reaetion  wirksam. 

3.  Eine  Temperatur  von  über  50  ^  C.  vernichtet  die  Wirksamkeit 
des  Pankreas  und  seiner  Fermente,  ebenso  wird  dieselbe  erheblieh 
beeinträchtigt  resp.  ganz  aufgehoben  bei  Gegenwart  höherprocentigen 
Alkohols  während  der  Verdauung. 

4.  Die  zuvor  isolirten  Fermente  werden  durch  die 
Pepsinwirkung  bei  der  Magenverdauung  zerstört  (Kühne). 

Hierin  ist  zugleich  auch  das  Urtheil  enthalten  über  alle  jene 
Pankreaspräparate,  bei  deren  Darstellung  die  Aufgabe  gestellt  war, 
möglichst  rein  isolirte  Fermente  zu  erhalten. 

So  wünschenswerth  es  wäre,  derartige  Präparate  verwenden  zn 
können,  da  eine  sehr  kleine  Quantität  derselben  im  Stande  ist,  grosse 


1)  Mit  Bedauern  mnss  ich  hier  bemerken,  dass  bei  Durchgehen  der  literitor 
zu  der  oben  erwähnten  Arbeit  mir  die  Yeröffentlichung  von  Fies  entgangen  ist 


Therapeutische  Verwendung  der  Bauchspeicheldrase.  543 

• 

Mengen  von  Amylam,  Eiweiss  and  Fett  zu  Terdauen  (meine  Versuche 
haben  ergeben,  dass  ihnen  diese  Eigenschaft  in  sehr  hohem  Grade  za* 
kommt),  so  muss  von  ihnen  doch  bei  der  Methode  der  Darreichung 
per  OS  Abstand  genommen  werden,  weil  sie  ihre  Wirksamkeit  in  der 
Magenverdauung  vollständig  einbüssen. 

Eine  grössere  Reihe  von  Versuchen,  welche  ich  in  dieser  Rieh- 
tung  mit  verschiedenen  Präparaten:  von  Savory  und  Moore  in  Lon- 
don, mit  dem  französischen  Präparate  nach  Defresne  und  mit  dem 
Präparate  aus  der  Fabrik  von  Witte  in  Rostock  anstellte,  bestätigten 
diese  Behauptung. 

Die  Versuche  waren  in  genau  derselben  Anordnung,  wie  meine 
froheren  angestellt.     Dieselbe  war  folgende: 

Gleichzeitig  und  unter  den  gleichen  äusseren  Bedingungen  wur- 
den mit  dem  Hauptversuche  zwei  Probeversuche  angestellt,  der  eine, 
um  die  Wirksamkeit  der  verwendeten  Magenschleimhaut,  der  andere, 
um  die  Wirksamkeit  des  Pankreaspräparates  für  sich  allein  zu  prflfen. 
Die  Versuche  hatten  alle  positive  Resultate;  es  erweisen  sich  die 
oben  genannten  Pankreaspräparate  vollständig  verdauungsfähig. 

Bei  dem  Hauptversuch  wurde  das  Pankreaspräparat  mit  ge- 
schabter Magenschleimhaut  und  mit  4<^/oo  Salzsäure  im  Verdauungs- 
ofen während  2 — 3  Stunden  den  den  natttrlichen  Verdauungsverhält- 
Bissen  analogen  Bedingungen  ausgesetzt;  —  dann  neutralisirt,  um  die 
Wirkung  des  Pepsins  auszuschliessen,  filtrirt  und  das  Filtrat  mit  drei 
Proben  von  Fibrin,  Amylum  und  Fett  wieder  in  dem  Verdauungsofen 
bei  45  0  C«  einige  Stunden  digerirt. 

Das  Resultat  war  bei  allen  Versuchen  ein  negatives. 

Diese  Versuche  zeigten,  dass  die  genannten  Präparate  nicht  wider- 
standsfähig sind  gegen  die  Einwirkung  des  Pepsins;  —  sie  sind  da- 
her wohl  brauchbar  fQr  die  Application  als  Klystier  mit  Fleisch  ge- 
mischt nach  der  Le übe' sehen  Methode,  fQr  die  Darreichung  aber  per 
08  sind  sie  ganz  werthlos. 

5.  In  dem  Parenehym  der  Bauchspeicheldrüse,  sowie 
in  deren  frischem,  wässerigem  Auszugeistein  Stoff  ent- 
halten, welcher  sich  als  verdauungskräftig  erweist  und 
durch  das  Pepsin  der  Magenverdauung  in  seiner  Wirk- 
samkeit nicht  beeinträchtigt  wird.  —  Dieser  Stoff  ist  wahr- 
scheinlich das  Zymogen  Heidenhai n's,  aus  dem  sich  wohl  erst 
im  weiteren  Verlaufe  der  Verdauung  die  wirksamen  Fermente  ab- 
spalten. 

Dieser  Satz,  das  Resultat  zahlreicher  Versuche,  muss  als  F  u  n  d  a  - 
mentalsatz  ffir  die  Verwendung  des  Pankreas  als  diätetisches 


544  XXXI.  Enoessbr 

Beil  mittel  betrachtet  werden,  d.  h.  man  muas,  nm  eine  Wirkung 
von  der  Verabreichang  des  Pankreas  per  os  erwarten  zu  können,  das- 
selbe in  einer  Form  geben,  dass  die  Verdanungsfäbigkeit  nicht  dorch 
das  Pepsin  des  Magens  beeinträchtigt  werde;  diese  besteht  nun  nach 
dem  oben  Gesagten  darin,  dass  man  die  frische  zerkleinerte  Drflse 
odef,  nach  Fies,  ein  frischbereitetes  wAsseriges  Infos  derselben  ge- 
niessen  lasse,  oder  aber  ein  PHlparat  wähle,  welches,  um  den  er- 
wähnten Anforderungen  zu  entsprechen,  aus  dem  Parenchym  der 
Drüse  besteht  und  kein  freies  Ferment  enthält. 

Dass  diese  Darreichungsmethode  sich  auch  unter  ^den  natflrlichen 
Verdauungsverhältnissen ,  entsprechend  dem  Experiment,  bewähren 
werde,  ist  durch  den  Fall  Fies  hinlänglich  bewiesen;  denn  in  diesem 
Falle  verschwanden  Fett  und  Muskelfasern  sofort  aus  den  Stuhlent- 
leerungen, sobald  Pankreasinfus  gereicht  wurde,  und  wurden  als- 
bald wieder  vorgefunden,  wenn  mit  der  Darreichung  des  Pankreu 
ausgesetzt  wurde. 

Dessenungeachtet  hielt  ich  es  für  geboten,  die  bisher  gewonnenen 
Resultate  und  ihre  Beziehungen  zu  der  praktischen  Verwendung  des 
Pankreas  nach  der  angegebenen  Methode  einer  Controlprüfung  darch 
einige  Versuche  am  lebenden  Organismus  zu  unterziehen. 

Ich  sah  mich  hierzu  umsomehr  veranlasst,  als  Leube  0  in  einer 
kritischen  Besprechung  meiner  früheren  Arbeit  einen  Widersprach 
darin  zu  findta  glaubte,  dass  ich  bei  meinen  Versuchen  dem  Gemisch 
von  Pankreas  und  Magenschleimhaut  eine  auf  4<>,oo  verdünnte  Salz- 
säure zusetzte,  während  doch  nach  Heidenhain  die  .Säure  das 
Pankreasferment  aus  dem  Z;mogen  abspalte  und  dieses  isolirte  Fer- 
ment nun  durch  das  Pepsin  zerstört  werde. 

Ich  glaube,  dass  dieser  Einwurf  Leube's  auf  einem  Missver- 
ständniss  beruht. 

Ich  möchte  daher  hier  wiederholt  betonen,  dass  der  Zusatz  von 
Salzsäure  in  genannter  Verdünnung  unbedingt  nöthig  war,  wenn  man 
dem  natürlichen  Verhältnisse  der  Magenverdauung  und  der  Zusammen- 
setzung des  Magensaftes  aus  seinen  Hauptbestandtheilen,  dem  Pepsin 
und  der  Salzsäure,  gerecht  werden  wollte;  ein  so  wesentlicher  Fehler 
hierin,  wie  das  Weglassen  d^  Salzsäure,  würde  alle  Versuche  werth- 
los  machen. 

Femer  möchte  ich  noch  bemerken,  dass  ich  mich  weder  bei 
meinen  Versuchen,  noch  bei  der  therapeutischen  Verwendung  des 
Pankreas  des  aus  der  Drüse  ausgezogenen  Zymogens  bediente,  son- 
dern die  ganze  Drüse  selbst  in  feinzertheiltem  Zustande  verwendete 

1)  Jenaer  Literaturzeitung.  1877.  Nr.  49. 


Therapeutische  Verwendung  der  Bauchspeicheldrüse.  545 

und  nur  bei  dieser  Methode  das  günstige  Besultat  erhielt,  dass  die 
Einwirkung  des  Magensaftes  mit  seinem  Pepsin  keinen  nachtheiligen 
Einfluss  auf  die  Pankreasverdauung  übte.  Worin  dabei  das  schützende 
Moment  besteht,  kann  ich  mit  Bestimmtheit  nicht  sagen;  ich  habe 
früher  schon  die  Vermuthung  aufgestellt,  dass  bei  Verwendung  der 
ganzen  Drüse  zuerst  das  Drüsengewebe  durch  den  Magensaft  verdaut 
werde  und  die  Fermente  dann  erst  in  einem  späteren  Stadium  der  Ver- 
dauung abgespalten  werden,  wenn  das  Pepsin  entweder  von  Peptonen 
gesättigt,  oder  aus  Mangel  an  der  zu  seiner  Wirkung  nöthigen  Salzsäure, 
welche  indessen  zu  Syntoninbildung  verwendet  wurde,  wirkungslos 
geworden  ist,  so  dass  die  jetzt  erst  isolirt  auftretenden  Pankreasfer- 
mente  in  ihrer  Wirkung  nicht  mehr  beeinträchtigt  werden. 

Fttr  die  natürlichen  Verdauungsverhältnisse  kommt  endlicfi  noch 
ein  drittes  Moment  in  Betracht,  dass  nämlich  bei  dem  verhältniss- 
mässig  kurzen  Aufenthalt  der  Ingesta  im  Magen  nur  ein  kleiner 
Bruchtheil  der  bei  einer  Mahlzeit  eingenommenen  Speisen  vollständig 
verdaut  wird;  der  grössere  Theil  gelangt  mit  dem  Pankreas  innig 
gemischt  noch  unverdaut  in  das  Duodenum,  wo  das  Pepsin,  wegen 
der  durch  Galle  und  Darmsecret  bedingten  alkalischen  Beaction  seine 
Wirksamkeit  einbüsst  und  die  hier  erst  frei  werdenden  Pankreas- 
fermente  ungestört  ihre  Verdauungsarbeit  aufnehmen  und  zu  Ende 
führen  können. 

Soviel  über  die  theoretische,  aus  den  natürlichen  Verdauungs- 
verhältnissen abgeleitete  Bechtfertigung  der  Anordnung  meiner  Ver- 
suche gegenüber  dem  gemachten  Einwurf. 

Um  nun  auch  auf  directem  experimentellem  Wege  die  Bichtig- 
keit  dieser  theoretischen  Anschauung  klarzustellen,  würde  am  sicher- 
sten die  Anlage  einer  Duodenalfistel  beim  Hunde  zum  Ziele  führen, 
und  zwar  müsste,  um  den  Einfluss  des  von  dem  Versuchsthiere  selbst 
gelieferten  Pankreassecretes  auszuschliessen,  zugleich  auch  eine  Pan- 
kreasfistel  angelegt  werden,  um  durch  dieselbe  das  Secret  nach  Aussen 
abzuführen. 

Der  Hund  wird  nun  wie  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  ge- 
füttert und  der  Nahrung  stets  gleichmäasig  eine  Portion  Pankreas 
beigemischt.  Sobald  die  Ingesta  den  Magen  verlassen,  werden  sie 
an  der  Duodenalfistel  aufgefangen;  sofern  sie  durch  die  Galle  noch 
nicht  alkalisch  sind,  bis  zu  schwacher  Alkalescenz  neutralisirt  und 
nun  im  Verdauungsofen  bei  40— 45^  C.  weiter  digerirt. 

Werden  nun  die  aus  der  Fistel  gewonnenen,  im  Magen  noch 
nicht  verdauten  Ingesta  noch  vollständig  verdaut,  dann  wäre  der 
Beweis  für  meine  Auffassung  erbracht. 

DeotMhM  ArehlT  t  klln.  Madlein.    XXIV.  Bd.  35 


546  XXXI.  ENGBB8BR 

Leider  standen  nns  die  nöthigen  Httlfsmittel  nicht  zu  Gebote^ 
um  dieses  Experiment  ausführen  zu  können;  dagegen  hatte  ich  Ge- 
legenheiti  durch  Auspumpungsversuche  an  einem  Patienten  ähnliche 
Verhältnisse»  wie  durch  die  Anlage  einer  Duodenalfistel  su  gewinnen. 

Fall  I.  F.  H.,  20  Jahre  alt,  wohlhabender  Bauernsohn,  etwas  blut- 
arm,  nervös,  sonst  stets  gesond,  hatte  etwa  vor  1  Jahre  einen  grossen 
Schrecken  durch  die  unerwartete  Nachricht  von  dem  plötzlichen  Tode  seines 
Vaters.  In  der  darauffolgenden  Nacht  stellte  sich  ohne  besondere  Veras* 
lassung  Erbrechen  ein,  das  trotz  vielfach  dagegen  gebrauchter  Mittel  mehrere 
Tage  anhielt.  Nach  endlicher  Sistirnng  des  Erbrechens  blieb  Appetitmangel, 
Verdauungsschwache  und  Trägheit  der  Stnhlentleerung  zurUck.  Die  Magen- 
gegend war  aufgetrieben,  gegen  Druck  empfindlich,  cardialgische  Schmenen 
stellten  sich  ein  und  insbesondere  traten  sehr  lästige  klonische  Oesopbagns- 
und  Zwerchfellkrflmpfe  ein,  ähnlich  denen,  wie  sie  bei  Hysterischen  beob- 
achtet werden. 

Als  ich  Patient  sah,  war  er  durch  die  fortwährende  Appetitlosigkeit 
und  Verdauungsschwache  sehr  heruntergekommen;  —  der  Stuhl  war  an- 
gehalteUy  erfolgte  nur  auf  den  Gebrauch  künstlicher  Mittel  (künstliches  Carla- 
bader Salz),  war  sehr  Übelriechend,  von  grauer  Farbe  und  enthielt  reich- 
liche unverdaute  Fleischpartikeln,  geronnene  Milch  und  Reste  von  Eiern, 
die  er  in  der  Fleischbrtlhe  genossen. 

Die  Behandlung  bestand  in  einer  sorgiUltig  geregelten  Diät,  vor  und 
nach  dem  Essen  5  Tropfen  verdünnte  Salzsäure,  alle  Morgen  1  Esslöffel 
voll  Carlsbader  Salz  in  1  Glas  warmen  Wassers;  —  ferner  nassen  Com- 
pressen  täglich  2 — 4  Stunden  auf  die  Magengegend  und  endlich  tftgliebem 
Douchen  der  Magenschleimhaut  mit  Vichywasser  von  d5<^  C.  mittelst  der 
Schlundsonde  und  dem  Irrigateur  unter  1  Meter  Wasserdruck. 

Bei  dieser  Behandlung  besserte  sich  der  Zostand  des  Patienten  erheb- 
lich innerhalb  14  Tagen.  Die  Oesophagus-  und  Zwerchfellkrflmpfe  ver- 
schwanden vollständig,  ebenso  die  cardialgischen  Schmerzen;  Patient  ass 
meistens  mit  mehr  Appetit,  verlangte  gr(>ssere  Fleischration;  dabei  war  die 
Magengegend  nicht  mehr  so  aufgetrieben  und  empfindlich  gegen  Druck;  der 
Stuhl  durch  Carlsbader  Salz  geregelt  war  aber  immer  noch  sehr  ttbel- 
riechend,  zwar  etwas  mehr  fäcal  gefärbt,  aber  nicht  wie  normaler  Stnbi 
und  es  fanden  sich  darin  immer  noch  reichliche  unverdaute  Fleischreste. 

Die  Behandlung  wurde  jetzt  dahin  geändert,  dass  die  Salzsäure  weg- 
gelassen, und  zu  jeder  Mahlzeit  ein  Kaffeelöffel  voll  Pankreaspräparat  (aas 
der  Fabrik  der  Gebrflder  Keller)  mit  den  Speisen  vermischt  verabreicht 
wurde  *-  dabei  wurde  die  hydropathische  Cur  fortgesetzt  und  auch  die 
innere  Magendouche,  jedoch  nicht  mehr  mit  Vichywasser,  sondern  mit  ge- 
wöhnlichem Wasser  von  35<^  C.  weiter  angewendet. 

Der  Erfolg  war  ein  guter ;  nach  einigen  Tagen  verschwanden  die  dd- 
verdauten  Fleischreste  aus  dem  Stuhl,  obgleich  Patient  abermals  seine 
Fleischration  steigerte,  und  nach  weiteren  14  Tagen  konnte  Patient  krif« 
tiger  und  besser  aussehend  aus  der  Behandlung  entlassen  werden. 

Auf  die  einzelnen  Details  des  vorliegenden  Falles  einzugehen, 
ist  hier  nicht  der  geeignete  Ort.    Bei  diesem  Falle,  der  wohl  als  eine 


Therapeutische  Yerwendung  der  Banchspeicheldrase.  547 

Form  Yon  Dyspepsianeryosa,  wenn  auch  nicht  vollstAndig  in  dem 
Sinne  Leu be's  ^)i  aafgefasst  werden  darf,  möchte  ich  die  Gelegenheit 
benutzen,  nm  die  Aufmerksamkeit  in  Kflrze  auf  die  so  rasch  erfol- 
gende Beruhigung  der  cardialgischen  Schmerzen  zu  lenken,  welche 
wohl  zum  grössten  Theil  dem  günstigen  Einflüsse  der  Magendouche 
zugeschrieben  werden  muss,  indem  hier  die  vollständige  Reinigung 
der  Magenschleimhaut  yon  sich  zersetzenden  Speisebestandtheilen  und 
Schleim,  die  beruhigende  Wirkung  des  localen  Warm wasser- Bades 
und  endlich  die  durch  die  Gewalt  des  Wasserstrahles  neubelebte 
Tfafttigkeit  der  secretorischen  Apparate  sowohl  als  auch  der  Muscula- 
tar  wohltb&tig  zusammenwirkten;  eine  Wirkung  der  Magendouche, 
auf  die  Kussmaul  und  in  letzterer  Zeit  mit  besonderem  Nachdruck 
sein  früherer  Assistent  Malbranc^)  hingewiesen  haben. 

0er  gute  Erfolg  des  Pankreasgenusses  auf  die  Verdauung  einer- 
seits, andererseits  die  grosse  Toleranz,  die  Patient  gegen  die  Ein- 
führung der  Magensonde  an  den  Tag  legte,  sowie  die  Bereitwilligkeit 
des  Patienten  veranlassten  mich,  nachdem  die  Verdauung  wieder  voll- 
ständig geregelt  war,  durch  einige  Auspumpungsversuche  mich  Über 
den  Verlauf  der  Magenverdauung  und  insbesondere  über  das  Schick- 
sal des  Pankreaspräparates  während  derselben  zu  unterrichten. 

Bevor  ich  aber  an  die  eigentlichen  Pankreasversuche  ging,  war 
es  nöthig,  erst  den  Magensaft  in  den  verschiedenen  Stadien  der  Ma- 
genverdauung auf  seine  Wirksamkeit  zu  prüfen,  da  ja  nur  bei  voll- 
ständig verdauungskräftigem  Magensafte  den  Pankreasversuchen  posi- 
tiver Werth  beiglegt  werden  kann. 

Patient  erhielt  morgens  8  Uhr  sein  Frühstück,  bestehend  in  2  Tassen 
Kaffee  mit  Milch,  Weissbrod  und  2  Eiero. 

Dann  erst  wieder  um  12  Uhr  eine  für  den  Versach  besonders  einge- 
richtete Mahlzeit,  bestehend  in  V^  ^^^^^  Fleischbrühsuppe  mit  1  Ei  nnd 
1  Esslöffel  voll  saurem  Rahm  —  ohne  Einlage;  100  Grm.  feingeschabtes 
Beefsteak,  einige  Esslöffel  voll  Kartoffelbrei  und  etwas  Sardellensauce. 
Brod  erhielt  er  keines,  weil  die  Brodbrückei  im  Magen  aufgehend  zu  leicht 
die  Fenster  der  Sonde  verstopfen,  aus  demselben  Grunde  liess  ich  auch 
das  Fleisch  in  feingeschabter  Form  verabreichen. 

Am  ersten  Tage  wurde  nun  20  Minuten  nach  der  Mahlzeit  eine  Portion 
aus  dem  Magen  heraufgeholt  mittelst  des  Hebers  und  ca.  ^/g  Liter  (gerade 
soviel  um  den  Apparat  zu  füllen)  warmen  Wassers  von  3S<^  C;  hierbei  ist 
zu  bemerken,  dass  das  hiesige  Brunnenwasser  fast  chemisch  rein  ist. 

Es  waren  die  Bestandtbeile  der  Mahlzeit  in  dem  Ausgepumpten  noch 
zu  erkennen,  die  Reaction  war  entschieden  sauer. 

1)  üeber  nervöse  Dyspepsie.    Dieses  Archiv.  1878.  Bd.  XXIII.  S.98. 

2)  Ueber  Behandlung  der  Gastralgie  mit  der  inneren  Magendouche  etc.   Ber- 
liner klin.  Wochenschrift.  1878.  Nr.  4. 

36* 


548  XXXI.  Enoesser 

Das  ganze  wurde  nun  mit  Fibrinflocken  in  den  Verdaanngsofen  ge- 
bracht; nach  1  Stande  waren  die  Fibrinflocken  zum  Thdl,  nach  2  Stun- 
den fast  ganz  verdaut;  dabei  kein  Fäulnissgeruch  wahrnehmbar.  Der 
Zusatz  von  Fibrinflocken  geschah,  um  den  Gang  der  Verdauung  besser 
verfolgen  zu  können,  als  dies  an  den  feinzertheilten  FleischbestandtheilcD 
möglich  war. 

Am  zweiten  Tage  wurde  der  Versuch  in  der  gleichen  Ordnung  ange- 
stellt und  die  Auspumpnng  1  Stunde  nach  der  Mahlzeit  vorgenommen. 

Von  der  Fleischbrüh -Rahmsuppe  liess  sich  nichts  mehr  in  dem  Aus- 
gepumpten erkennen,  nur  Fleisch,  Kartoffel  und  die  braune  Sauce  waren  noch 
vorhanden ;  Reaction  entschieden  sauer.  Das  Ausgepumpte  kam  jetzt  wie- 
der mit  Fibrin  in  den  Verdauungsofen;  das  Resultat  war  das  gleiche,  wie 
beim  ersten  Versuch,  nach  1  Stunde  waren  die  Fibrinflocken  zum  Theil, 
nach  2  Stunden  vollständig  verdaut. 

Am  dritten  Tage  endlich  wurde  die  Auspumpung  2  Stunden  nach  der 
Mahlzeit  vorgenommen,  es  wurde  nur  wenig  trübe,  mit  SchleimflockeD 
untermischte  Flüssigkeit  und  sehr  wenig  Speisebrei,  welcher  noch  unver- 
daute Fleischfasern  enthielt,  entleert.  Das  Ausgepumpte  hatte  schwach 
saure  Reaction. 

Die  Probe  kam  wieder  mit  Fibrinflocken  in  den  Verdauungsofen ;  nach 

1  Stunde  war  das  Fibrin  gequollen,  aber  kaum  etwas  davon  gelöst,  nach 

2  Stunden  nur  wenig  davon  gelöst;  ich  setzte  jetzt  4  Tropfen  verdünnte 
Salzsäure  zu  der  Probe  und  brachte  sie  in  den  Verdauungsofen  zurück; 
nach  einer  weiteren  Stunde  war  das  meiste  Fibrin  gelöst. 

Diese  Vorversuche  haben  gezeigt,  dass  die  Magenschleimhaut  des 
Patienten  einen  vollständig  verdauungstüchtigen  Magensaft  producire, 
welcher  20  Minuten  und  1  Stunde  nach  der  Mahlzeit  noch  seine  voll- 
ständige Wirksamkeit  besitzt,  2  Stunden  nach  der  Mahlzeit  dagegen 
nicht  mehr  so  wirksam  war,  und  zwar  offenbar  wegen  des  Mangels 
an  freier  Salzsäure,  durch  deren  Zusatz  die  Wirksamkeit  des  Pepsins 
wieder  hergestellt  werden  konnte. 

Die  Versuche  zeigten  ferner,  dass  2  Stunden  nach  der  Mahlzeit 
ein  grosser  Theil  des  Mageninhaltes  in  den  Darm  ausgetreten  war 
und  zwar,  wie  aus  den  Resten  der  noch  vorhandenen  Fleischbestand- 
theile  hervorgeht,  ohne  vollständig  verdaut  zu  sein. 

Nachdem  ich  mich  nun  von  dem  nahezu  normalen  Verdauungs- 
vermögen  des  Magens  bei  unserem  Patienten  überzeugt  hatte,  ging 
ich  an  die  Hauptversuche  über  die  Schicksale  des  Pankreas  während 
der  Magenverdauung. 

Die  Versuche  wurden  in  ganz  der  gleichen  Ordnung  angestellt 
wie  die  Vorversuche,  nur  dass  die  Suppe  und  die  Sardellensauce^ 
welche  Patient  jeweils  vollständig  verzehren  musste,  mit  je  1  Kaffee- 
löffel voll  Pankreas  unter  den  früher  erwähnten  Gautelen  vemdscbt 
wurden. 


Therapeutische  Yerwendung  der  Bauchspeicheldrüse.  549 

Patient  erhielt,  nachdem  er  von  8  Uhr  an  nichts  mehr  genossen  hatte, 
um  12  Uhr  seine  oben  beschriebene  Mahlzeit.  —  Am  ersten  Tage  wurde 
20  Minuten  nachher  eine  Portion  mittelst  des  Hebers  aus  dem  Magen  herauf- 
geholt —  das  Ausgepumpte  hatte  saure  Reaction;  es  wurde  nun  mit 
kohlensaurem  Natron  bis  zu  schwacher  Alkalescenz  neutralisirt,  um  die 
Pepsin  Wirkung  auszuschliessen,  dann  mit  Fibrinflocken  in  den  Verdauunga- 
ofen  gebracht;  eine  Stunde  nachher  waren  die  Fibrinflocken  vollständig  gelöst. 

Am  zweiten  Tage  wurde  die  Auspumpung  eine  Stunde  nach  der 
Mahlzeit  vorgenommen;  Reaction  sauer;  die  Probe  bis  zu  schwacher  Alkales- 
cenz neutralisirt  und  mit  Fibrin  in  den  Ofen  gebracht;  eine  Stunde 
nachher  das  Fibrin  gelöst. 

Am  dritten  Tage:  Auspumpung  zwei  Stunden  nach  der  Mahlzeit;  ea 
waren,  wie  bei  dem  entsprechenden  Vorversuch,  wieder  nur  wenige  Speise- 
reste in  dem  Ausgepumpten,  Reaction  schwach  sauer.  Probe  neutralisirt; 
nach  einer  Stunde  nur  wenige  Fibrinflocken  in  Ertlmel  zerfallen,  nicht  voll- 
ständig  gelöst. 

Da  bei  diesem  Versuche  wahrscheinlich  der  grösste  Theil  des  Pankreas 
mit  den  Ingestis  schon  den  Magen  verlassen  hatte  und  daraus  sich  wohl  daa 
negative  Resultat  dieses  Versuches  erklären  lässt,  machte  ich  noch  ein^n 
weiteren  Versuch,  wobei  die  Auspumpung  IV2  Stunde  nach  der  Mahlzeit 
geschah;  es  wurden  hierbei  noch  erheblich  mehr  Speisereste  vorgefunden» 
als  im  letzten  Versuch;  Reaction  sauer;  ich  digerirte  nun  die  Ptobe  un- 
verändert noch  V2  Stunde  im  Verdauungsofen  bei  45^  G.  Dann  erst  neu- 
tralisirte  ich  und  brachte  die  Probe  mit  Fibrinflocken  in  den  Ofen  zurttck. 
Nach  1  Stunde  war  jetzt  wieder  alles  Fibrin  gelöst. 

Als  Resultat  dieser  Versachsreihe  kann  nun  wohl  angenommen 
werden,  dass  bei  Verabreichung  des  Parenchyms  der  Bauch- 
speicheldrüse die  verdauende  Kraft  derselben  während 
der  Magenverdauung  durch  das  Pepsin  nicht  beein- 
trächtigt wird,  femer  kann  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  an- 
genommen werden;  dass  ein  Theil  des  Pankreas  in  noch 
unverdautem  Zustande  den  Magen  mit  den  übrigen  In- 
gestis verlässt. 

Damit  hatte  sich  nun  die  Beobachtung  von  Fies,  sowie  die 
Resultate  meiner  früheren  Versuche  in  ihrer  praktischen  Anwendung 
bewährt  und  war  somit  die  eine  Schwierigkeit,  die  Frage  über  den 
nachtheiligen  Einfluss  des  Pepsins  auf  das  Pankreas  in  dieser  Form 
während  der  Magenverdauung  als  beseitigt  zu  betrachten. 

Es  blieb  nun  noch  eine  zweite  Schwierigkeit  zu  bekämpfen  übrig, 
nämlich  die  einer  geeigneten  Darreichungsmethode  und  der  Darstel- 
lung eines  für  die  therapeutische  Verwendung  zweckmässigen  Prä- 
parates. 

Als  oberster  Grundsatz  muss  hier  festgehalten  werden,  dass  das 
Drüsenparenchym  selbst  oder  ein  ganz  frisch  bereiteter  wässriger 
Auszug  verabreicht  werden  muss,  wenn  man  einen  sicheren  Erfolg 


550  XXXI.  Emgbssbb 

erzielen  will;  alle  Präparate,  weiche  aus  freiem  durch  irgend  eine 
Methode  extrahirtem  Ferment  bestehen,  taugen  nichts,  wie  aus  den 
oben  erwähnten  Versuchen  hervorging,  da  sie  in  der  MagenTerdatmng 
ihre  Wirksamkeit  einbüssen;  dasselbe  gilt  von  solchen  wSssrigen 
Auszügen ,  die  längere  Zeit  stehen ,  da  auch  hier  die  Fermente  ab- 
gespalten werden. 

Fies  Hess  daher  einen  vor  jedem  Gebrauch  frisch  bereiteten 
wässrigen  Auszug,  der  eine  Art  Emulsion  darstellt,  bereiten  und  diesen 
während  der  Mahlzeit  gemessen. 

Ich  Hess  die  ganze  Drüse  in  feingeschabtem  Zustande  durch  das 
Haarsieb  treiben  und  in  der  Küche  schon,  ohne  dass  die  Patienten 
den  Vorgang  sahen,  unter  die  Speisen  mischen,  welch  letztere  so 
gewählt  waren,  dass  sie  den  vielen  Patienten  unangenehmen  Ge- 
schmack und  Geruch  verbergen;  ich  habe  daher  in  meiner  früheren 
Veröffentlichung  eine  grössere  Anzahl  von  Speisen  aufgeführt,  welche 
sich  besonders  für  die  Beimischung  des  Pankreas  eignen,  und  über- 
zeugte mich  auch,  dass  bei  Beachtung  der  nöthigen  Cautelen  die 
Patienten  ohne  Widerwillen  und  mit  gutem  Erfolge  das  Pankreas  in 
dieser  Form  nahmen;  eben  so  oft  aber  überzeugte  ich  mich  leider 
auch  davon,  dass  die  ungenaue  Befolgung  der  gegebenen  Vorschrif- 
ten alle  Vortheile  dieser  Darreichungsmethode  illusorisch  machte. 
Ein  weiterer  Missstand  dieser  Darreichungsmethode  besteht  nun  aber 
auch  darin,  dass,  abgesehen  von  der  Umständlichkeit  der  Zubereitung 
der  Drüse  sowohl ,  als  auch  der  für  den  Patienten  gesondert  anzu- 
richtenden Speisen,  nicht  immer  frische  Drüsen  zu  haben  sind,  was 
besonders  in  kleineren  Orten,  wo  alle  Wochen  nur  einmal  geschhichtet 
wird,  sehr  störend  in  die  Cur  eingreift. 

Ich  war  daher  darauf  bedacht,  die  Drüse  in  eine  für  die  Con- 
servirung  geeignete  Form  zu  bringen,  ohne  ihre  Widerstandsfähigkeit 
gegen  das  Pepsin  zu  beeinträchtigen.  Ein  solches  Präparat  wurde 
nach  meiner  Angabe  in  der  Fabrik  pharmaceutischer  Präparate  der 
Herren  Gebrüder  Keller  dahier  hergestellt,  und  zwar  ^dadurch,  dass 
die  fein  zerkleinerte  Drüse  im  Vacuum  bei  AQ^  G.  auf  Extractcon- 
sistenz  eingedampft  und  nachher  mit  Kochsalz  versetzt  wurde,  um 
das  Präparat  vor  Fäulniss  zu  schützen. 

Ich  habe  verschiedene  dieser  bis  zu  einem  Jahre  alten  Präpvate 
öfters  geprüft,  sie  waren  alle  gut  conservirt,  waren  vollständig  wirk- 
sam und  widerstandsfähig  gegen  die  Pepsinverdauung ;  dabei  konnte 
in  der  Art  der  Verabreichung  der  Liebhaberei  des  Patienten  mehr 
Bechnung  getragen  werden,  da  es  nicht  mehr,  um  überhaupt  geniess- 
bar  zu  sein,  den  Speisen  beigemischt  werden  musstCi  sondern  ancb 


Therapeutische  Yerwendung  der  Bauchspeicheldrüse.  551 

in  Boli  Yon  ca.  1  —2  Grm.  gefonnt  und  in  Oblate  eingepaekt ,  wäh- 
rend der  Mahlzeit  in  3 — 4  Portionen  genommen  werden  konnte;  einer 
meiner  Pattenten  zog  es  z.  B.  vor,  das  Präparat  mit  Sardellenbutter 
anf  zwei  Brodschnitten  gestrichen,  die  ähnlich  den  belegten  Brödchen 
zusammengelegt  wurden,  zur  Mahlzeit  zu  geniessen. 

Trotz  dieser  erheblich  verbesserten  Beschaffenheit  des  Präparates 
und  der  leichteren  Darreichungsmethode  Überzeugte  ich  mich  aber 
doch,  dass  Patienten  einen  Widerwillen  gegen  das  Präparat  empfan- 
den, der  sie  zum  Aufgeben  der  Cur  veranlasste,  während  andrerseits 
wieder  andere  es  ohne  alle  Beschwerden  und  mit  gutem  Erfolge 
Monate  lang  fortnahmen. 

Ich  Hess  daher  in  letzterer  Zeit  dieses  im  Vacuum  auf  Extract- 
consistenz  eingedampfte  Präparat  noch  ca.  48  Stunden  mit  absolutem 
Alkohol  behandeln,  nachher  den  Alkohol  abtropfen  und  den  Rest 
deeselben  im  Lufttrockenraum  |  oder  noch  einmal  im  Vacuum  ver- 
flüchtigen. Das  so  gewonnene  Präparat  stellt  ein  hellbraunes,  grobes 
Pulver  dar,  das  sich  leicht  in  Oblaten,  sowie  auch  einfach  mit  Wasser 
nehmen  lässt ;  dasselbe  ist  in  hohem  Grade  hygroskopisch  und  muss 
daher  stets  trocken  aufbewahrt  werden,  wenn  es  sich  nicht  ballen 
und  in  eine  schmierige  Masse  umwandeln  soll ;  da  es  beim  Ausfällen 
mit  Alkohol  auf  die  Hälfte  des  ursprünglichen  Volums  eingeengt 
wurde,  sind  auch  erheblich  kleinere  Portionen  bei  jeder  Mahlzeit  nö- 
thig.  —  Um  irgend  auftretenden  Missverständnissen  vorzubeugen,  mag 
hier  besonders  betont  sein,  dass  es  sich  nicht  um  die  Fällung  der 
vorher  isolirten  und  extrahirten  Fermente  handelt,  wie  bei  den  an- 
deren, bisher  mit  Alkohol  dargestellten  Präparaten,  sondern  dass 
dieses  Präparat  das  ganze  erst  im  Vacuum  eingeengte  und  dann  durch 
Alkohol  gehärtete  Parenchym  des  Pankreas  enthält.  Künstliche  Ver- 
dauungsversuche haben  denn  auch  seine  Wirksamkeit  sowohl,  wie 
seine  Widerstandsfähigkeit  gegen  die  Magenverdauung  vollständig  be- 
währt ;  die  Versuche  waren  ganz  in  der  Ordnung  der  früher  erwähnten 
ausgeführt  worden.  —  Schliesslich  muss  ich  betreffs  dieses  Präparates 
noch  darauf  aufmerksam  machen,  dass  vielleicht  in  der  Darstellung 
desselben  mit  Alkohol  ein  Widerspruch  gefunden  werden  könnte  mit 
früheren  unter  Alkoholzusatz  angestellten  Verdauungsversuchen,  deren 
Resultat  war,  dass  der  Alkoholzusatz  die  Wirksamkeit  des  Pankreas 
beeinträchtige,  resp.  zerstöre.  —  Hierbei  handelte  es  sich  aber  um 
die  Gegenwart  von  Alkohol  in  höheren  Procentsätzen  wäh- 
rend derVerdauung,  bei  unserem  Präparat  aber  wird  der  Alko- 
hol ja  nach  der  Erhärtung  der  Drüse  wieder  entfernt. 

Durch  das  bisher  Angeführte  glaube  ich  nun  die  Schwierigkeiten, 


552  XXXI.  Engesser 

welche  der  therapeutischen  Verwendung  des  Pankreas  einerseits  aus 
den  Zweifeln  ttber  seine  Widerstandsfähigkeit  gegen  die  Pepsinein- 
wirkung bei  der  Magenverdauung,  andererseits  aus  dem  Hangel  eines 
geeigneten  Präparates  und  einer  passenden  Darreichungsmethode  er* 
wachsen  waren,  als  beseitigt  betrachten  zu  können. 

Hier  sei  noch  erwähnt,  dass  die  künstlichen  Verdanungsversucbe 
in  dem  hiesigen  physiologischen  Institut  angestellt  wurden.  Ich  be- 
nutze diese  Gelegenheit,  um  Herrn  Hofrath  Funke  für  die  gütige 
Ueberlassung  der  dafür  nöthigen  Räumlichkeiten  und  Apparate  meinen 
Dank  auszusprechen,  ebenso  Herrn  Prof.  Latschenberger  far 
seine  freundliche  Unterstützung,  die  er  mir  in  Bath  und  That  an- 
gedeihen  Hess.  

Es  erübrigt  jetzt  noch  zu  den  in  meiner  früheren  Arbeit  nieder- 
gelegten, aus  theoretischen  Deductionen  gewonnenen  Anhaltspunkten 
für  die  Indication  des  Pankreas  einige  casuistische  Belege  beiza- 
bringen. 

Einige  der  im  Folgenden  mitgetheilten  Fälle  sind  meiner  eigenen 
Praxis  entnommen,  andere  verdanke  ich  der  Güte  einiger  Herren 
GoUegen,  die  mir  ihr  Beobachtungsmaterial  zur  Verfügung  gestellt 
haben  und  wofür  ich  ihnen  hier  meinen  Dank  ausspreche. 

Als  erste  Indication  für  das  Pankreas  und  seine  Präparate  müssen, 
wie  ich  in  meiner  früheren  Arbeit  bereits  betont  habe,  Degenerations- 
processe  und  andere  Erkrankungen  der  Bauchspeieheldrüse  betrachtet 
werden,  welche  sie  in  ihrer  Function  beeinträchtigen  und  dadurch 
Verdauungs-  und  Ernährungsstörungen  bedingen. 

Einen  wichtigen  Beleg  für  diese  Indication  bietet  der  Fall  Fies. 

Ich  bin  in  der  Lage,  einen  weiteren  Fall  mitzutheilen,  bei  dem 
es  sich  offenbar  um  eine  degeneratire  Erkrankung  der  Bauchspeichel- 
drüse handelt.  Leider  konnte  ich  den  Patienten  nicht  während  der 
ganzen  Dauer  der  Behandlung  beobachten,  da  derselbe  weit  von  hier 
entfernt  seinen  Wohnsitz  und  seine  Berufsthätigkeit  hat;  ich  sah  und 
untereuchte  den  Patienten  nur  einige  Male,  als  er  sich  mir  behufs 
einiger  Consultationen  vorstellte.  Ich  muss  mich  daher  auf  seine 
mündlichen  Berichte,  die  er  mir  bei  Gelegenheit  der  Consultationen 
machte,  berufen,  sowie  auf  die  ausführlichen  schriftlichen  Mitthei- 
lungen ttber  seine  sehr  sorgfältig  angestellte  Selbstbeobachtung,  denen 
hier  um  so  mehr  Werth  beizulegen  ist,  als  der  Patient  selbst  Ant 
und  hervorragender  Leiter  eines  grösseren  Hospitals  ist. 

Fall  U.  Dr.  N.  N.,  34  Jahre  alt,  von  schwächlicher  Constitution,  stets 
blasser  Hautfarbe  und  spärlich  entwickeltem  Pannicnlns  adiposus,  war  ausser 


TherapeutiBche  Verwendung  der  Bauchspeicheldrüse.  553 

den  gewOhnlicheD  Kinderkrankheiten  (Reachhusten,  Masern,  Psendocronp) 
Mher  stets  gesund. 

Im  17.  Lebensjahre  litt  Patient  an  einem  heftigen  und  sehr  hartnäckigen 
Hagenkatarrh  mit  hochgradigen  cardialgischen  Schmerzen,  täglichem  Er- 
brechen, wobei  häufig  ziemliche  Mengen  Blutes  ausgeworfen  wurden,  so 
dasB  dadurch  die  Vermuthung  auf  ein  bestehendes  Magengeschwür  mit  sehr 
grosser  Wahrscheinlichkeit  nahe  gelegt  war. 

Nach  einigen  Wochen  Hess  das  Blutbrechen  nach,  ebenso  hörten  die 
cardialgischen  Schmerzen  auf,  aber  der  Magenkatarrh  dauerte,  wenn  auch 
unter  weniger  schweren  Erscheinungen  noch  ziemlich  lange  fort;  dabei  blieb 
der  Emähmngszustand  ein  leidlicher. 

Als  fröhlicher  Student  machte  sich  Patient,  nachdem  die  gefahrdrohen- 
den Erscheinungen  vorüber  waren,  auch  nicht  mehr  so  viel  daraus  und 
traute  seinem  Magen  und  seinem  ganzen  Körper  grössere  Leistungen  zu, 
als  bei  der  an  und  für  sich  nicht  kräftigen  Constitution  zweckmässig  war. 
Fat.  befand  sich  dabei  jedoch,  wenn  auch  dann  und  wann  von  Verdaunngs- 
beschwerden  gequält,  ganz  gut;  sein  Ernährnngs-  und  Kräftezustand  ver- 
besserte sich  im  Verlaufe  der  nächsten  Jahre  allmählich ,  so  dass  er  sich, 
die  zeitweise  anftretenden  Mahner  des  Magenkatarrhs  ausgenommen,  ganz 
wohl  fühlte. 

In  den  Jahren  1870/71  machte  er  den  Feldzug  in  den  Reihen  der 
deutschen  Armeen  als  Feldarzt  mit,  ohne  sich  dadurch,  trotz  der  zum  Theil 
grossen  Strapazen,  eine  Verschlimmerung  seines  Znstandes  zuzuziehen. 

Pat.  besserte  sich  noch  weiter,  als  er  sich  1872  verehelichte  und 
das  Familienleben  auch  eine  grössere  Regelmässigkeit  in  der  ganzen  Lebens- 
weise mit  sich  brachte. 

1873  litt  Pat.  längere  Zeit  an  rheumatischen  Schmerzen  in  den  Mus- 
keln und  Gelenken,  verbunden  mit  zwar  massigem,  aber  doch  hartnäckigem 
Fieber  (38,0 — 38,5<>  C.)  und  unverhältnissmässiger  Hinfälligkeit,  so  dass 
er  genOtbigt  war,  im  Winter  das  mildere  Klima  des  Genfer  Sees  aufzu- 
suchen, wo  er  sich  denn  auch  im  Verlauf  einiger  Monate  ziemlich  erholte 
and  in  leidlichem  Wohlbefinden  im  Frühjahr  nach  Hause  zurückkehrte«  — 
Verdauungsbeschwerden  waren  während  dieser  Zeit  keine  vorhanden,  doch 
stellten  sich  dieselben  in  den  folgenden  Jahren  ab  und  za  in  mehr  oder 
weniger  langen  Intervallen  wieder  ein. 

Eine  Kaltwasserkur  im  Sommer  1875  besserte  Appetit  und  Verdauung, 
allein  der  allmählich  wieder  sehr  heruntergekommene  Ernährungszustand 
wollte  sich  nicht  mehr  heben. 

Im  Sommer  1876  stellte  sich  wieder  eine  erhebliche  Verschlimmerung 
in  dem  Befinden  des  Pat.  ein;  jeder  geringfügige  Diätfehler  verursachte 
Verdauungsbeschwerden,  die  sich  in  Gefühl  von  Druck  und  Schwere  im 
Epigastrinm  äusserten  und  in  Erbrechen,  verbunden  mit  heftigem  migrans 
artigem  Kopfweh ;  cardialgische  Schmerzen  waren  dagegen  keine  vorhanden ; 
dabei  litt  Pat.  an  häufigen  Diarrhöen,  die  Stühle  waren  sehr  reichlich, 
bald  breiig,  bald  dünn,  von  dunkelbrauner  Farbe,  sehr  üblem  Geruch  und 
enthielten  reichliche  Fett-  und  unverdaute  Speisereste. 

Im  Frühling  1877  besuchte  Pat.  Kreuznach  und  unterzog  sich  daselbst, 
da  der  Zustand  sich  stets  verschlimmerte,  einer  Untersuchung  Seitens  eines 
der  dortigen  Aerzte,  welcher  zur  nicht  geringen  Ueberraschung  des  Pat  die 


&54  XXXI.  £KaE88BB 

Anwesenbelt  eines  siemlicb  grossen  Abdominaltnmors  constatirte;  Aber  die 
Zeit  und  die  Verhältnisse  der  Entstebang  der  Oescbwulst  konnte  Pat,  der 
bisher  keine  Ahnung  von  deraelben  hatte,  keine  nähere  Anskttoft  geben, 
glaubte  aber  die  Zeit  der  Entstehung  auf  ca.  ein  Jahr  zurOekverlegen  n 
müssen ,  da  seither  die  Verdauungsbeschwerden  ihn  nie  mehr  verlasseo, 
sondern  stetig  augenommen  hatten  und  sein  Allgemeinbefinden  ein  wesent- 
lich schlimmeres  geworden  war. 

Die  Herren  Professoren  Rflhle  in  Bonn  und  Kussmaul  in  Strass- 
burg,  welche  Pat.  nachher  consultirte,  erklärten  den  Tumor  fflr  eine  Ge- 
schwulst der  Bauchspeicheldrüse.  Herrn  Professor  Kussmaol 
verdanke  ich  es,  dass  mir  der  Fall  zur  Beobachtung  gekommen  ist,  indem 
derselbe  den  Pat.  an  mich  empfahl. 

Ich  sah  Pat.  am  29.  Juli  1877.  8eiir  Aeusseres  trug  das  Gepräge 
einer  hochgradigen  Ernährungsstörung  und  entsprach  vollständig  dem  aus 
der  Anamnese  sich  aufdrängenden  Bilde  eines  Kranken  mit  langdauemdem 
Leiden  und  Functionsstörung  der  Verdauungsorgane. 

Pat.  ist  gracil  gebaut,  hochgradig  abgemagert;  Augen  tief  liegend, 
Wangen  eingefallen,  Haut  blass,  fahl,  ohne  Glanz,  fühlt  sich  trocken  an, 
ohne  abzuschuppen;  die  Bewegungen  des  Patienten  waren  ziemlich  bebende 
und  der  Kräftezustand  schien  momentan  ein  leidlicher. 

Erscheinungen  von  katarrhalischen  Zuständen  des  VerdanungstractoB 
waren  keine  vorhanden,  ebenso  keine  Erscheinungen  seitens  der  Leber. 
Schmerzen  hatte  Pat.  keine,  auch  keine  anderen  Beschwerden  ausser  einem 
fortwährenden  Gefühl  von  Vollsein  und  Druck  im  Unterleib  und  zeitweiser 
Unregelmässigkeit  in  der  Stuhlentleerung,  wobei  stets  die  Stühle  den  obea 
angegebenen  Charakter  hatten.  Bei  der  Untersuchung  des  Abdomen  war 
der  erwähnte  Tumor  leicht  zu  erkennen  und  durch  die  Palpation  seine 
Grenzen  auf  die  Oberfläche  der  Bauchwand  zu  projiciren. 

Die  Oescbwulst  fühlte  sich  ziemlich  fest  an,  zeigte  keine  Flnctuation, 
ihre  Oberfläche  bot  zahlreiche  Unebenheiten  dar.  —  Sie  ragte  unter  dem 
unteren  scharfen  Leberrande  hervor  und  erstreckte  sich  als  kugelartiger, 
etwa  Kindskopf-grosser  Körper  bis  unterhalb  einer  durch  den  Nabel  ge- 
zogenen Horizontallinie;  die  äusserste  rechte  Grenze  reichte  bis  in  die  Linea 
paraxillaris;  nach  innen  zu  verjüngte  sich  der  Tumor  gegen  das  Epigastriom 
und  seine  untere  Grenze  schnitt  die  Linea  alba  etwa  am  Uebergang  des 
mittleren  zum  unteren  Drittel  der  Distanz  zwischen  Nabel  und  Schweitfort- 
satz  des  Brustbems  und  war  nach  links  bis  etwa  an  die  Stelle  zu  pal- 
piren,  wo  die  Linea  mammalis  den  linken  Rippenbogen  schneidet.  Der  Tumor 
hatte  bei  Aufzeichnung  seiner  auf  die  Bauchwand  projicirten  Grenzen  voll- 
ständig die  Gestalt  der  nach  allen  Richtungen  ziemlich  gleicbmässig  ver- 
grösserten  Bauchspeicheldrüse;  es  erscheint  somit  sowohl  der  Kopf,  als 
auch  der  Schwanz  derselben  in  den  krankhaften  Prozess  hereingezogen. 

Unter  diesen  Verhältnissen  hielt  ich  die  Annahme  fflr  gerechtfertigt, 
die  so  oft  sich  wiederholenden  und  in  letzter  Zeit  anhaltenden  StöniBgeD 
der  Verdauung  und  das  dadurch  bedingte  Damiederiiegen  der  Gesammt- 
ernährung  und  des  allgemeinen  Kräftezustandes  auf  das  erwähnte  Leides 
des  Pankreas  zurückzuführen,  das  wohl  nicht  blos  auf  ein  Jahr,  wie  Pati^t 
glaubte,  sondern  wohl  auf  viel  längere  Zeit  zurück  zu  datiren  sein  dürfte; 
dabei  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  das  Leiden  sich  in  letzterer  Zeit 


Therapeutische  Yerwendung  der  Bauchspeicheldrüse.  555 

erheblich  gesteigert,  wo  nicht  zu  ▼ollstftodiger  Degeneration  der  Banch- 
speicheldrflae  mit  bedeutender  Verminderang  oder  Aofhebang  der  Secretion 
geführt  hat 

£8  erschien  mir  daher  angezeigt,  den  Ausfall  des  natarilchen  Pankreas- 
secretes  so  weit  möglich  durch  das  kflnstliche  Präparat  zu  ersetzen;  femer 
ein  geeignetes  diätetisches  Verhalten  dringend  zu  empfehlen,  welches  bei 
Leicbtverdaulichkeit  der  Speisen  einen  möglichst  hohen  Nährwerth  erzielte 
und  durch  eine  geeignete  Zeiteintheilung  den  geschwächten  Verdaunngs- 
Organen  auch  die  nöthige  Erholung  gewährte ;  endlich  erschien  es  mir  zweck- 
mässig, damit  eine  Lnftcur  zu  verbinden,  betreffs  welcher  sich  Pat.  bereitg 
fflr  Antogast  (im  bad.  Schwarzwald)  entschieden  hatte,  um  daselbst  zur 
Unterstützung  der  Cur  die  dortige  Natronquelle  zu  gebrauchen. 

Ich  schlug  dem  Pat.  folgendes  diätetisches  Verhalten  vor: 

1.  Frflhstflck  um  7  Uhr:  1  Tasse  Theo  mit  Milch,  ein  Ei,  ge- 
bähtes Brod  (Rösterbrod)  mit  frischer  Butter,  darauf  eine  Messerspitze  voll 
Pankreaspräparat  in  Oblate. 

2.  Zweites  Frflhstttck  um  V2IO  Uhr:  Bouillon  mit  Ei  und  ge- 
bähtem Brod. 

3.  Mittagessen  um  12V2  Uhr:  kräftige  Fleiachsuppe  mit  beliebiger 
Einlage  von  Gerealien  oder  Fleischhäcksel  und  einem  Ei,  darauf  1  starke 
Messerspitze  voll  Pankreas;  gebratenes  Fleisch;  als  Zugemflse:  Kartoffel- 
brei, Meerrettig,  Wurzelgemüse,  leichte  Mehlspeisen  —  gut  ausgebackenes 
Weissbrod  —  nachher  wieder  Pankreas. 

4.  Als  Zwischenmahlzeit  um  4  Uhr:  1  Tasse  Theo  mit  Milch, 
1—2  Eier,  gebähtes  Brod  (Rösterbrod)  mit  frischer  Butter  —  1  Messer- 
spitze voll  Pankreas. 

5.  Nachtessen  um  8  Uhr:  Suppe,  kalter  oder  frischer  Braten, 
roher  Schinken,  gebähtes  Brod,  dazu  1  Olas  Bier  —  nachher  Pankreas. 

6.  In  der  Nacht,  oder  vor  Schlafengehen  um  10  ^'2  Uhr  V« — V2  Liter 
Milch  oder  2  Eier. 

Am  16.  September  d.  J.  schrieb  mir  Patient: 

„Seit  14  Tagen  bin  ich  wieder  zu  Hause  in  Thätigkeit,  es  geht  mir 
recht  ordentlich,  die  Verdauung  ist  nicht  schlimm,  was  ich  mit  Bestimmt- 
heit dem  Pankreaspräparat,  das  ich  stets  gewissenhaft  in  Oblaten  nehme, 
zuschreibe.  —  Der  Aufenthalt  auf  dem  Schwarzwald  hat  mir  gut  zugesagt.  '^ 

Pat.  verbreitet  sich  dann  des  weiteren  über  die  Verpflegung  etc.  und 
beklagt,  dass  er  die  vorgeschriebene  Diät  nicht  so  ezact  habe  einhalten 
können^  wesshalb  er  sich  dann  wieder  in  den  Familienkreis  zurückgezogen 
and  hier  das  empfohlene  diätetische  Verhalten  mit  exemplarischer  Gewissen- 
haftigkeit beobachtet  habe  und  fährt  dann  fort: 

„Ich  habe  nun.  wenigstens  5  Wochen  keine  grösseren  Verdauungs- 
störungen gehabt,  was  früher  wohl  alle  8 — 10  Tage  vorkam;  mein  Lebens- 
wandel ist  allerdings  in  sanitärer  Beziehung  auch  exemplarisch  und  bin 
ich  stets  Ihrer  freundlichen  Vorschriften  eingedenk.  ** 

Im  Sommer  1878  besuchte  mich  Patient  wieder.  Sein  Znstand  war 
befriedigend,  die  Verdauungsstörungen  hatten  ganz  nachgelassen,  die  Stuhl- 
entleerungen waren  seit  längerer  Zeit  vollständig  regelmässig,  die  Stühle 
waren  nicht  mehr  so  übelriechend  und  enthielten  kein  Fett,  sowie  keine 
Bestandtheile  unverdauter  Speisereste  mehr.  —  Ein  Fettpolster  hatte  sich 


556  XXXI.  Engesseb 

freilich  bei  ihm  nicht  entwickelt,  doch  war  der  Ernährungsznstand  ein 
wesentlich  besserer  —  Pat.  fühlte  sich  selbst  kräftiger,  die  Hant  war  etwas 
lebhafter  gefärbt,  mehr  succnlent  nnd  hatte  mehr  Glanz  als  frflher. 

Pat.  erklärte  mir  aber,  dass  er  stets  noch  auf  den  Pankreasgebranch 
angewiesen  sei,  wenn  er  nicht  ein  Wiedererwachen  der  Verdanungsstdmn- 
gen  mit  allen  ihren  Folgen,  insbesondere  mit  dem  Eintritt  von  lästigen 
Diarrhöen  beftlrchten  wollte. 

Der  vorliegende  Fall  ist  insbesondere  deshalb  von  Interesse, 
weil  es  sich  dabei  ohne  Zweifel  um  ein  nicht  gerade  häufig  zu  dia- 
gnosticirendes  Leiden  der  Bauchspeicheldrüse  handelte,  welches  wohl 
zu  vollständiger  Degeneration  und  Functionsunfähigkeit  dieses  Organes 
geführt  hat  —  Er  bot  dementsprechend  in  erster  Linie  eine  Indica- 
tion  für  die  Anwendung  des  künstlichen  Pankreas  -  Präparates  und 
war  diese  Behandlungsmethode  auch  von  dem  gewünschten  Erfolge 
gekrönt.  —  Freilich  war  eine  vollständige  Wiederherstellung  der 
normalen  Yerdauungsvorgänge  nicht  eingetreten,  dieselbe  war  aber 
auch  bei  der  höchst  wahrscheinlichen  vollständigen  Functionslosig- 
keit  einer  der  wichtigsten  Verdauungsdrüsen  nicht  zu  erwarten;  der 
Erfolg  ist  darin  zu  suchen,  dass  bei  dem  Gebrauch  des  künstlichen 
Pankreaspräparates  die  Verdauungsstörungen  nachliessen  und  die  Er- 
nährung sowie  der  Eräftezustand  sich  hoben;  dass  somit  das  künst- 
liche Präparat  wenigstens  als  theilweiser  Ersatz  für  das  natürliche 
Pankreassecret  eintrat  und  sich  als  wirksames  Unterstützungsmittel 
der  Verdauung  bewährte. 

Wie  hier  als  directer  Ersatz  für  das  fehlende  Pankreasseca-et, 
erscheint  das  Pankreaspräparat  auch  in  allen  jenen  Fällen  indicirt, 
in  denen  in  Folge  einer  qualitativ  oder  quantitativ  fehlerhaften  Be- 
schaffenheit des  Magensaftes  die  Magenverdauung  nothleidet,  und 
durch  abnorme  Säurebildung  im  Magen  eine  Form  der  Dyspepsie 
entsteht,  wdche  man  als  Dyspepsia  acida  (Bamberger)  be* 
zeichnet. 

Bei  dieser  Form  der  Dyspepsie  besteht  in  der  Regel  ein  durch 
die  Zersetzung  der  im  Magen  angesammelten,  unverdauten  Speisen 
bedingter  Magenkatarrh  mit  seinen  lästigen  Erscheinungen :  das  Epi- 
gastrium  ist  meist  aufgetrieben,  gegen  den  leisesten  Druck  sehr  em- 
pfindlich, und  bei  längerer  Dauer  des  Leidens  kommt  es  zu  Er- 
schlaffung der  Magenwandungen  und  zu  Magenerweitemng.  —  Die 
Patienten  klagen  über  ein  unangenehmes  Brennen  und  Kratzen  im 
Halse,  über  saures  Aufstossen  und  häufig  kommt  es  zum  Erbrechen 
saurer  Massen,  welche  aus  den  sauren  Producten  einer  abnormen 
Zersetzung  der  Speisen :  Kohlensäure,  Buttersäure,  Milchsäure,  Essig- 
säure u.  a.  m.  bestehen,  dagegen  findet  sich  in  dem  Mageninhalte^ 


Therapeutische  Verwendong  der  Bauchspeicheldrüse.  557 

nach  den  auf  der  Eussmaurschen  Klinik  in  Strassburg  angestell- 
ten Untersuchungen  von  y.  d.  Velden  ^)-,  nie  oder  nur  in  geringer 
Menge  die  für  die  Magenverdauung  so  wichtige  freie  Salzsäure  bei 
solchen  durch  Stagnation  der  Gontenta  erzeugten  und  unterhaltenen 
Magenkatarrhen.  Eine  weitere  Folge  dieser  Dyspepsie  ist,  dass  da- 
durch der  allgemeine  Ernährungszustand  nothleidet  und  damit  auch 
die  Function  der  ttbrigen  Verdauungsorgane ,  insbesondere  des  sehr 
empfindliehen  Pankreas,  beeinträchtigt  wird,  sodass  auch  diejenigen 
Speisen,  welche  noch  aus  dem  dilatirten  Magen  in  den  Darm  aus- 
treten, nicht  mehr  hinlänglich  verdaut  werden. 

Ein  hierher  passendes  Beispiel  bietet  der  folgende  Fall,  den  ich 
der  Vollständigkeit  wegen  aus  meiner  frtlheren  Arbeit  hier  wiederhole« 

Fall  III.  Frau  B.,  Beamtenfrau,  40  Jahre  alt.  In  der  Jugend  in 
hohem  Grade  bleichsUchtig.  Vom  18. — 20.  Jahre  litt  Fat.  an  Dyspepsie 
mit  Erbrechen.  —  Fat.  hat  drei  Kinder,  das  jttngste  14  Jahre  alt.  —  In 
der  letzten  Schwangerschaft  traten  wieder  dyspeptische  Beschwerden  auf 
mit  Erbrechen,  welche  während  des  Puerperiums  und  noch  längere  Zeit 
darüber  hinaus  fortdauerten  und  erst  allmählich  unter  dem  Gebrauch  von 
Magnesia  und  Karlsbader  Salz  nachliessen.  —  An  Albuminurie  will  Fat. 
zn  dieser  Zeit  nicht  gelitten  haben. 

Im  Jahr  1873  sah  ich  Fat.  zum  ersten  Male;  sie  litt  wieder  seit  etwa 
einem  Jahr  an  gastrischen  Beschwerden:  Geffihl  von  Schmerzen  und  Druck 
in  der  Magengegend,  besonders  kurze  Zeit  nach  der  Nahrungsaufnahme, 
ebenso  an  einem  Geftthl  von  hochgradigem  Vollsein,  so  dass  sie  ihre  Klei- 
der öffnen  musste;  jedesmal  drei  bis  vier  Stunden  nach  dem  Essen  kam 
es  zum  Erbrechen  saurer  Flflssigkeit  in  grosser  Menge  und  unverdauter 
Speisereste,  Sarcine  war  bei  mehrfacher  Untersuchung  nicht  nachweisbar; 
nach  dem  Erbrechen  wieder  Wohlbefinden;  das  Erbrechen  erfolgt  leicht, 
ohne  Schmerzen  oder  Uebelkeit,  auch  waren  sonst  nie  Schmerzen  zugegen ; 
dasselbe  erfolgte  am  meisten  und  waren  die  Beschwerden  am  heftigsten 
nach  dem  Genuas  von :  Gemüsen  jeder  Art,  schwerverdaulichen  Mehlspeisen, 
Schwarzbrod,  Sauerbraten,  Fett,  warmer  Milch.  —  Am  besten  wurden  er- 
tragen: kalter  Braten,  Fieischgelee,  Thee,  Kaffee  (kühl),  kalte  Milch,  Sauer- 
milch, weicher  Käse,  gebähtes  Brod,  leichter  alter  Weisswein.  Der  Stuhl 
war  stets  angehalten  und  erfolgte  nur  alle  drei  bis  vier  Tage. 

Bei  genauerer  Untersuchung  erwies  sich  der  Magen  erheblich  erweitert 
—  die  Magengegend  war  stark  aufgetrieben  und  die  grosse  Curvatur  ragte 
his  unter  den  Nabel. 

Die  Behandlung  bestand  in  Regelung  der  Diät,  des  Stuhls  durch  Karls- 
bader Salz,  bisweilen  mit  etwas  Rhabarber;  femer  täglichem  Auspumpen 
des  Magens  und  nachherigem  Ausspülen  desselben  mit  Vicbywasser  unter 
ziemlich  hohem  Druck  mittelst  der  Hebervorrichtung. 

Unter  dieser  Behandlung  Hessen  die  Beschwerden  nach ;  es  kam  nicht 

1)  Ueber  Vorkommen  und  Mangel  der  freien  Salzsäure  im  Magensaft  bei 
Gastrektasie.    Dieses  Archiv.  Bd.  XXni. 


558  XXXI.  Enobssbb 

mehr  zu  ErbrecheD,  aoaser  wenn  Pat  sich  einen  Difttfehler  zu  Scholden 
kommen  liess.  —  Trotzdem  wnrde  die  Magendoncbe  noch  längere  Zeit  fort- 
gesetzt, bis  sich  Pat.  meiner  Beobachtung  entzog. 

Am  2.  September  1876  stellte  sich  Pat.  wieder  vor.  —  Ihr  Zustand 
hatte  sich  ziemlich  verschlimmert.  —  Körpergewicht  9 1  Pfund,  der  Magen 
fast  bis  zur  Symphyse  ausgedehnt.  —  Das  Auspumpen  war  erst  in  der 
letzteren  Zeit  wieder  regelmässig  betrieben  worden,  Pat.  hatte  sich  selbst 
darauf  eingelernt. 

Das  saure  Aufstossen,  das  GefQhl  von  Schwere  in  der  Magengegend 
und  von  Vollsein  waren  sehr  quälend ;  auch  das  Erbrechen  hatte  sich  wieder 
eingestellt  und  zwar  regelmässig  vier  Stunden  nach  der  Mahlzeit,  worauf 
sich  Pat.  stets  wieder  erleichtert  fühlte ;  das  Erbrechen  bestand  in  grosser 
Menge  saurer  Flüssigkeit,  ohne  Sarcine,  und  in  reichlichen  unverdauten 
Speiseresten;  der  Appetit  war  sehr  schlecht;  Pat.  konnte  nur  wenig  auf 
einmal  geniessen  und  fühlte  nur  selten  das  Bedürfniss  nach  Nahrungsauf- 
nahme. 

Die  Behandlung  wurde  wieder  in  der  gleichen  Weise  eingeleitet,  wie 
vor  drei  Jahren,  und  zwar  wurde  jetzt  das  Auspumpen  und  Ausspülen  des 
Magens  stets  vor  Ablauf  von  vier  Stunden  nach  der  Mahlzeit  vorgenommen, 
um  dem  Erbrechen  dadurch  vorzubeugen,   was   in  der  That  auch  gelang. 

—  Um  die  Allgemeinernährung  zu  heben,  wurden  ausser  der  regelmässigen 
Diät  noch  täglich  zwei  nährende  Klystiere  verordnet  aus  Fleischbrühe, 
Wein  und  nach  Latschenberger's  Vorschrift  präparirten  Eiern. 

Beim  Auspumpen  wurden  grosse  Mengen  saurer  Flüssigkeit  ohne  Sar- 
cine und  reichliche  unverdaute  Speisereste,  besonders  Fleisch,  zu  Tage 
gefördert. 

Die  Verabreichung  von  Pepsinpulver  vor  dem  Essen  und  von  acht 
Tropfen  verdünnter  Salzsäure  nach  demselben  änderte  an  dem  ganzen  Ver- 
halten nichts  Wesentliches;  unverdaute  Speisereste  erschienen  nach  wie  vor 
in  dem  Ausgepumpten;  eine  Verbesserung  des  Appetits  war  nicht  zu  be- 
merken —  das  Körpergewicht  ist  im  Verlauf  von  vier  Wochen  von  91  auf 
95  Pfund  gestiegen,  welche  Zunahme  aber  nicht  auf  den  Einfluss  des  Pep- 
sins gebracht  werden  kann,  da  mit  der  Darreichung  desselben  erst  einige 
Tage  vor  dem  Wiegen  begonnen  worden  war. 

Jetzt  wurde  statt  des  Pepsins  Pankreas  gegeben;  die  Drüse  wurde 
zerschabt  durch's  Haarsieb  getrieben  und  mit  Kochsalz  für  eine  Woche 
conservlrt:  die  Conserve  hielt  sich  trotz  der  milden  Temperatur  regelmässig 
ganz  gut;  davon  nahm  Pat.  täglich  drei  Kaffeelöffel  voll  in  Oblaten  ein- 
gepackt, und  zwar  anschliessend  an  die  drei  Hauptmahlzeiten  des  Tages. 

—  Der  Erfolg  der  Darreichung  von  Pankreas  war  gleich  am  ersten  Tage 
ein  überraschender,  und  erhielt  sich  auch  seither:  Pat.  isst  nicht  nur  jedes- 
mal mit  mehr  Appetit,  sondern  sie  ist  auch  genöthigt,  zwisdien  Hauptmahl- 
zeiten eine  kleine  Zwischenmahlzeit  einzuschalten,  weil  sie  zwei  Standen 
nachher  „wieder  solchen  Hunger  verspürt,  dass  sie  es  nicht  länger  aus- 
halten kann.**  Femer,  was  als  das  Wichtigste  erscheint,  sind  in  dem 
Ausgepumpten  vier  Stunden  nach  der  Hauptmahlzeit,  trots 
der  eingeschalteten  Zwischenmahlzeit  am  2 — 2Va  Uhr  keiner- 
lei unverdaute  Fleisch-   oder  sonstige  Speisereste  vorhan- 


Therapeutische  VerweDdong  der  Bauchspeichelärttse.  559 

den:  es  wird  vielmebr  cor  eine  leicht  milchig  getrübte  Flttssigkeit  durch 
die  Pampe  entleert. 

Die  Behandlaog  wird  in  derselben  Weise  fortgesetst. 

Bemerken  will  ich  noch,  dass  Pat.  seither,  also  seit  2.  September  bis 
Aofaog  Januar,  nm  9  Pfand  sngenommen  hat. 

In  dem  vorliegenden  Falle  wurde  nun  freilich^  wie  im  Fall  II, 
wieder  keine  yollständige  Heilung  erzielt;  sie  war  aber  auch  hier 
bei  der  hochgradigen  Erweiterung  des  Magens  nicht  zu  erwarten; 
der  Erfolg  der  Behandlung  mit  Pankreas  bestand  wesentlich  in  einer 
besseren  Ernährung  der  Patientin,  die  wohl  darauf  zurückzuführen 
sein  dürfte,  dass  einerseits  diejenigen  Speisen ,  welche  wegen  der 
tiefen  Lage  im  Fundus  nicht  mehr  durch  den  Pylorus  in  das  Duo- 
denum austraten I  durch  das  Pankreas  soweit  verdaut  wurden,  dass 
sie  im  Magen  selbst  zur  Resorption  gelangen  konnten  (?),  andererseits 
aber  mit  der  künstlichen  Einleitung  einer  besseren  Verdauung  auch 
die  Verdauungsorgane  wieder  besser  functionirten  und  wirksamere 
Secrete  zu  liefern  im  Stande  waren  und  dass  endlich  mit  den  nor- 
maleren Verdauungsvorgängen  der  Magenkatarrh  mit  allen  seinen 
für  die  Ernährung  nachtheiligen  Folgezuständen  verschwand. 

Wie  bei  der  Dyspepsia  acida  und  der  Dilatatio  ventriculi  erscheint 
nun  der  Oebrauch  des  künstlichen  Pankreas  auch  angezeigt  in  allen 
Fällen  der  atonischen  Dyspepsie,  ohne  primäre  Reizerscheinungen, 
in  welchen  durch  mangelhafte  Secretion  oder  Beschaffenheit  aller 
oder  der  meisten  Verdauungssäfte  die  Verdauung  beeinträchtigt  ist 
und  in  Folge  dessen  die  allgemeine  Ernährung  Noth  leidet 

Als  Beleg  dafür  mögen  die  folgenden  Fälle  gelten: 

Fall  IV.  A.  H.,  24  Jahre  alt,  Fabrikantensohn  in  L.,  einem  Städt- 
eben des  Schwarzwaldes,  hatte  bei  vorherrschender  Comptoirbeschäftigang 
meist  sitzende  Lebensweise,  litt  viel  an  Constipation.  —  Seit  Frühjahr  1875 
fühlte  er  sich  stets  sehr  unbehaglich ,  hatte  fortwährendes  Drücken  und 
das  Gefühl  von  Vollsein  im  Unterleib,  zu  dem  sich  zeitweise  kolikartige 
Schmerzen  in  der  Nabelgegend  gesellten;  dabei  fühlte  sich  der  Leib  fest 
an,  während  die  Magengegend  nicht  aufgetrieben  war,  auch  hatte  Patient 
keine  Schmerzen  im  Magen,  kein  Drücken  nach  dem  Essen,  kein  Anfstossen. 
—  Der  Appetit  war  meist  ziemlich  gut,  der  Stuhl  wurde  zu  dieser  Zeit, 
während  er  früher  stets  angehalten  war,  unregelmässig,  bald  fest,  bald 
diarrhoisch,  er  erfolgte  stets  mit  Kollern  im  Leib,  vermehrten  Schmerzen 
in  der  Nabelgegend  und  unter  starker  Gasexplosion;  die  Entleerungen 
waren  meist  dunkel  gefärbt,  selten  grau  und  sehr  übelriechend.  Patient 
ist  besonders  gegen  Morgen  von  Blähungen  gequält.  —  Ein  stets  einge- 
nommener Kopf,  häufige  Schwindelanfälle,  Schleier  vor  den  Augen,  Ohren« 
sausen  und  eine  überaus  hypochondrische  Stimmung  sind  die  weiteren  sub- 
jectiven  Klagen  des  Patienten. 


560  XXXL  ENGB8SER 

Dabei  wurde  PatieDt  blasa  und  magerte  ab,  so  dass  er  im  Verlauf 
des  Jahres  von  115  Pfund  auf  96  Pfund  an  Körpergewicht  abgenommen 
hatte.  —  Verschiedene  Ouren,  die  Patient  auf  eigenes  Kisico  und  die  Em- 
pfehlung seiner  Bekannten  unternommen,  waren  erfulglos.  Im  Februar  1877 
unterzog  sich  Patient  einer  diätetischen  Cur  nach  WieTschen  Vorschriften 
nebst  dem  Gebrauche  des  Karlsbader  Salzes,  welche  er  fast  3  Monate  fort- 
setzte und  welche  ihm  insofern  Erleichterung  verschaflFte,  dass  der  Stuhl* 
gang  sich  regelte,  die  Blähungen  und  das  lästige  Qeftthl  von  Drücken, 
sowie  die  Kolikschmerzen  in  der  Nabelgegend  nachliessen.  Die  Stuhlent- 
leerungen waren  nicht  mehr  schwarz,  sondern  grau,  breiig  und  nur  noch 
sehr  übelriechend.  Patient  musste  sich  immer  noch  vor  Diätfehlem  ausser- 
ordentlich in  Acht  nehmen,  um  das  Wiedererwachen  der  früheren  Beschwer- 
den zu  verhüten.  Trotz  dieses  relativen  Wohlbefindens  und  des  ziemlich 
guten  Appetites  fiel  es  dem  Patienten  auf,  dass  er  nicht  kräftig  ward  und 
dass  das  Körpergewicht  in  dieser  Zeit  nicht  zunahm. 

Im  Mai  1877  kam  Patient  zu  meiner  Beobachtung,  nachdem  er  circa 
14  Tage  mit  der  diätetischen  Cur  ausgesetzt  und   in  Folge  dessen  sich 
wieder  erheblich  schlimmer  gefühlt  hatte.    Derselbe  ist  blass,  mager,  friert 
leicht  und  ermüdet  sehr  rasch,  selbst  bei  ganz   kleinen  Spaziergängen  in 
der  Ebene.     Er  klagt  über  Drücken  im  Magen  während   und  unmittelbar 
nach  dem  Essen,  etwa  3  Stunden  lang  anhaltend;   fortwährendes  Geftlhl 
von  Vollsein   im  Leibe  und  zeitweise  auftretende  Kolikschmerzen  in  der 
Nabelgegend,   der  Leib  sowie  auch  die  Nabelgegend   sind  ziemlich  aufge- 
trieben, empfindlich  gegen  Druck,  das  Abdomen  fühlt  sich  fest  an;  saures 
Aufstossen  ist  keines  vorhanden ;  der  Stuhl  unregelmässig,  3—4  mal  täglich, 
meist  diarrhoisch,  dazwischen  kleine  dunkle,  harte  Knollen,  diese  letzteren 
zeigen  makroskopisch  ziemlich  grosse  unverdaute  Speisereste.   Ord.  strenges 
diätetisches  Verhalten :    Morgens   5  Uhr  Priesnitz'scher  Umschlag  auf  den 
Leib  und  Magen;  um  ^/27  Uhr  Karlsbader  Salz,  darauf  Vs  Stunde  Bewe- 
gung im  Garten;  ^28  Uhr  erstes  Frühstück:   1  Tasse  Theo,   Rösterbrod 
und  1  Ei;  10  Uhr  zweites  Frühstück:  roher  Schinken,  Butterbrod,  1  Glas 
leichter  Landwein;    V2I  Uhr  Mittagessen:   Suppe,   geschabtes  Beef-Steak, 
etwas  Kartoffelbrei  (keine  Sauce)  und  1  Glas  leichter  Weisswein;  um  4  Uhr 
kalter  Braten;   um  7  Uhr  Abendessen:    1  Tasse  Theo,  Rösterbrod,  1  bis 
2  Eier.     Hierbei  ist   zu  bemerken,   dass    die   einzelnen  Fieischportioneo 
150  Gramm  nicht .  überschritten  und  dass  Patient  besonders  zu  beachten 
angewiesen  wurde,  die  Speisen  gründlich  erst  im  Munde  zu  zerkauen.  — 
Zur  Unterstützung  der  Cur  machte  Patient  zwischen  den  einzelnen  Mahl- 
zeiten kleine  Spaziergänge  im  Freien  von  circa  Vs  Stunde  und  nahm  jeden 
zweiten  Tag  ein  warmes  Bad  von  28  ®  R.  und  5 — 6  Minuten  Dauer.   Bei 
diesem  Verhalten  besserte  sich  ziemlich  rasch  das  Befinden  des  Patienten, 
die  Beschwerden  vom  Magen  aus  Hessen  ganz  nach,  die  Blähungen,  der 
Druck  und  das  Aufgetriebensein  des  Unterleibes  wurden  geringer,  der  Stnbl 
war  wieder  geregelt,  es  erfolgten  täglich   1 — 2  breiige  Entleerungen  von 
hellbrauner  Farbe  und  nicht  mehr  so  üblem  Geruch;  feste  Knollen  waren 
keine  mehr  darin,  jedoch  fanden  sich  immer  noch  unverdaute  Speisereste 
und  Hessen  sich  mikroskopisch  noch  reichUche  Muskelfasern  nachweisen. 
Dabei  fühlte  sich  Patient  subjectiv  besser,  war  heiterer,  konnte  seine  Spa- 
ziergänge zum  Theil  auf  eine  Stunde  ausdehnen,  ohne  zu  ermüden;  aber 


Therapeutische  Verwendung  der  Bauchspeicheldrüse.  661 

die  Zunahme  des  Körpergewichts  war  noch  eine  sehr  geringe  und  betrug 
in  14  Tagen  blos  75  Gramm. 

Ich  liess  nun  unter  Beibehaltung  derselben  Diät  und  des  gleichen  Re- 
gimens  zu  den  einzelnen  Mahlzeiten  (ausgenommen  das  erste  Frflhstflck) 
Pankreas  nehmen  und  zwar  nach  den  kleineren  Mahlzeiten  jeweils  einen 
Kaffeelöffel  voll  in  Oblate  eingepackt,  bei  dem  Mittagessen  jedoch  3  solcher 
Portionen,  je  vor  und  nach  der  Suppe  und  am  Schlüsse  der  Mahlzeit. 
Der  Erfolg  war,  dass  ausser  der  Besserung  im  Allgemeinbefinden,  die  schon 
durch  das  strenge  diätetische  Verhalten  angebahnt  war,  in  den  nächsten 
Tagen  die  unverdauten  Speisereste,  die  Muskelfasern  u.  dgl.  aus  den  Stflhlen 
verschwanden  und  auch  dann  nicht  mehr  auftraten,  als  später  ein  grösserer 
Wechsel  in  der  Diät  gestattet  wurde.  —  Pat.  nahm  in  der  Folge  ausser 
Beef-Steak,  das  nicht  mehr  geschabt  wurde,  auch  Roast-Beef,  Wildpret, 
GeflQgel  und  leichtes  Gemflse:  Blumenkohl,  Gelbe  Rflben,  ohne  deswegen 
weiter  belästigt  zu  werden. 

Ab  Patient  am  22.  Juni  in  seine  Heimath  zurflckkehrte,  wo  er  in  der- 
selben Weise  die  Cur  fortsetzte,  hatte  er  um  1 V2  Pfand  zugenommen,  fflhlte 
sich  subjectiv  wohler,  das  lästige  Drücken  im  Leibe,  die  Kolikschmerzeii 
hatten  ihn  verlassen,  der  Stuhl  war  vollständig  geregelt. 

Am  12.  Juli  schrieb  mir  Patient.  Er  war  wieder  in  seiner  vollen 
Berufsthätigkeit,  nur  dass  er  sich  in  den  freien  Stunden  mehr  Bewegung 
machte,  arbeitet  frisch,  ohne  Eingenommenheit  des  Kopfes  und  ohne  zu 
ermüden ;  dabei  befolgt  er  noch  immer  die  vorgeschriebene  Diät  und  kann 
anch  das  Pankreas  noch  nicht  entbehren ;  er  hatte  es  nämlich  nur  kurze 
Zeit  ausgesetzt,  worauf  sich  alsbald  wieder  Unregelmässigkeit  im  Stuhlgang 
und  zeitweises  Drücken  im  Unterleibe  einstellten. 

Im  Herbste  vorigen  Jahres  traf  ich  den  Patienten  zufällig  auf  einer 
Fusstour  durch  den  Schwarzwald;  er  war  eben  auch  auf  einem  grösseren 
Bergspaziergang  begriffen;  er  erzählte  mir  mit  Freude,  dass  er  jetzt 
100  Pfund  wieder  überschritten  habe,  sich  ganz  wohl  fühle  und  sich  selbst 
etwas  grössere  Freiheit  in  der  Diät  gestatten  dürfe,  dagegen  immer  noch 
auf  den  Gebrauch  des  Pankreas  angewiesen  sei,  wenn  er  nicht  eine  Wieder* 
kehr  der  Verdauungsstörungen  oder  doch  wenigstens  deren  Mahner  be- 
fürchten wolle.  — 

In  dem  folgenden  Falle  muss  ich  mich  kurz  fasaeni  da  ich  bei 
Behandlang  desselben  nur  consaltativ  betheiligt  war ;  ich  kann  mich 
dabei  auch  um  so  mehr  auf  die JBauptmomente  beschränken,  als  er 
sich  im  Wesentlichen  an  den  vorhergehenden  Fall  ziemlich  enge 
anschliesst. 

Fall  V.  P.M.,  Thierarzt  in  L.,  Hämorrhoidarius,  seit  längerer  Zeit 
an  hartnäckiger  Verstopfung  leidend,  soll  früher  gut  genährt  aber  nie  eigent- 
lich corpulent  gewesen  sein;  Appetit  stets  gut. 

Seit  Juni  1877  bemerkte  er  Störungen  in  der  Verdauung;  unmittelbar 
nach  dem  Essen  und  2 — 3  Stunden  anhaltend  Drücken  und  Druckempfind- 
lichkeit in  der  Magengegend,  Aufstossen  von  Gasen,  jedoch  ohne  Geschmack 
und  Geruch,  worauf  stets  etwas  Erleichterung  erfolgte;  massige  Dilatatio 
ventriculi,    Gefühl  von  Vollsein  im  Unterleibe,  Stuhlgang  unregelmässig, 

OanUohet  ktchir  f.  klln.  Medtoln.    XXIV.  Bd.  36 


562  XXXI.  Ekobssbb 

meist  aogehaiten,  oft  diarrhoisch,  mit  schwarzen,  harten,  kaffeebohnen- 
grossen  Knollen  untermischt,  von  grauer  Farbe,  sehr  ttbehriechend,  reichlich 
Fleischfasem  enthaltend. 

Auf  Anrathen  seines  Arztes  gebrauchte  er  eine  Cur  mit  Grenzacher 
Wasser,  worauf  der  Stuhl  geregelt  wurde  und  er  sich  betreffs  des  Magen- 
drückens und  des  Vollseins  im  Leibe  erleichtert  fühlte. 

Am  3.  September  consultirte  mich  Patient:  Derselbe  gibt  an,  seit  den 
letzten  3  Monaten  sehr  blass,  hinfällig  und  mager  geworden  zu  sein  und 
um  12  Pfund  abgenommen  zu  haben.  Der  Stuhl  erfolgt  jetzt  regelmlsaig 
2 — 3  mal  täglich,  ist  meist  diarrhoisch  und  enthält  noch  reichliche  unver- 
daute Fleischfasem.  Ich  rieth  ihm  folgendes  diätetisches  Verhalten  an: 
Morgens  6  Uhr  Carlsbader  Salz,  7  Va  Uhr  eine  Tasse  Thee  mit  Milch  und 
1—2  Zwieback;  um  9^2  Uhr  gut  verrührte  Dickmilch,  für  welche  Patient 
besondere  Vorliebe  hat,  und  Rösterbrod;  Mittags  Fleischsnppe,  gebratenes 
Ochsenfleisch,  etwas  Kartoffelbrei  und  1  Glas  leichten  Weiss  wein;  4  Uhr 
wieder  Dickmilch  mit  Rösterbrod;  Abends  7  Uhr  eine  Tasse  Milch  oder 
Suppe  und  nachher  gebratenes  Ochsenfleisch.  Zu  den  beiden  Mahlzeiteo 
Mittags  und  Abends  liesa  ich  je  2  Portionen  Pankreas  (ä  1  Kaffeelöffel 
voll)  in  Oblaten  eingepackt  nehmen. 

Am  12.  Januar  1878  schrieb  mir  Patient:  Das  Drücken  in  der  Magen- 
gegend  sowie  das  Vollsein  im  Unterleib  haben  vollständig  nachgelassen, 
der  Stuhl  sei  consistenter,  geformter  und  enthalte  keine  Fleischfasem  mehr; 
seit  etwa  4  Wochen  habe  er  mit  dem  Pankreaspräparat  ausgesetzt,  ohne 
Nachtheil  für  seine  Verdauung,  das  Carlsbader  Salz  nimmt  er  nur  noch 
ab  und  zu  bei  etwas  hartnäckigerer  Stuhlverstopfung;  endlich  bemerkt  er 
noch,  dass  er  seit  September  um  8  Pfund  zugenommen  habe. 

Ich  reihte  diesen  Fall  hier  und  nicht  an  Fall  II  an,  obgleich  hier 
eine  Dilatatio  ventriculi  vorliegt,  weil  das  ganze  Bild  doch  mehr  dem 
einer  einfachen  atonischen  Dyspepsie  entspricht;  offenbar  war  die  Peri- 
staltik des  wenn  auch  dilatirten  Magens  doch  noch  kräftig  genug,  um 
die  Speisen  in  einer  Zeit  von  2—3  Stunden  in  das  Duodenum  zu  be- 
fördern, so  dass  es  nicht  zu  einer  abnormen  Zersetzung  der  Speisen 
im  Magen  kommen  konnte.  Dass  die  Dyspepsie  übrigens  in  diesem 
Falle  nicht  lediglich  durch  eine  mangelhafte  Secretion  von  Magen- 
saft bedingt  war,  wie  aus  dem  Magendrücken  und  dem  Gasanfstossen 
angenommen  werden  könnte,  dass  vielmehr  auch  die  übrigen  Ver- 
dauungssäfte, besonders  die  Galle  und  der  Bauchspeichel  mangelhaft 
secemirt  wurden,  erhellt  aus  der  Graufärbung  der  Stühle  und  dem 
so  reichlichen  Vorhandensein  von  Fleisohfasern  in  denselben.  Dieser 
Fall  ist  aber  auch  in  der  Beziehung  lehrreich,  dass  mit  Zunahme  der 
AUgemeinemährung  auch  die  Seeretion  der  Verdauungssäfte  eine  ge- 
regeltere und  normalere  wurde,  was  daraus  herrorgeht,  dass  Patient 
nach  etwa  3  monatlicher  Cur,  die  ihn  erheblich  gekräftigt  hatte,  auf 
die  Unterstützung  des  künstlichen  Pankreaspräparates  verzichten 
konnte,  ohne  sich  neue  Verdauungsstörungen  zuzuziehen. 


Therapeatiscbe  Yerwendoiig  der  Baachspeicheldrase.  563 

Eng  an  diesen  Fall  sich  anschliessend,  möge  hier  noch  ein  wei* 
terer,  diesem  sehr  ähnlicher  Fall  Erwähnung  finden,  den  ich  nur 
ganz  kurz  mitzutheilen  im  Stande  bin,  da  ich  denselben  nicht  selbst 
behandelt  und  mir  darttber  nur  wenige  Notizen  zur  Verfflgung  stehen, 
welche  ich  der  Gttte  des  Patienten  selbst  verdanke. 

Fall  VI.  Patient,  ein  mir  befreandeter  College  von  grosser  Gestalt 
nnd  sehr  kräftigem  Körperbau,  hatte,  als  er  Süddeutschland  verliess,  wo 
er  einen  sehr  angenehmen  Wirkungskreis  und  eine  geregelte  Lebensweise 
hatte  y  eine  längere  wissenschaftliche  Reise  unternommen  und  dann  in  B. 
zur  Gründung  einer  Praxis  sich  niedergelassen.  Bei  der  Unruhe  der  Reise 
sowohl,  wie  auch  bei  der  Aufregung,  die  die  Einfahrung  in  eine  neue 
Lebensstellung  mit  sich  bringt,  ermangelte  es  Patienten  an  dem  nöthigen 
Comfort  und  der  gewohnten  Regelmässigkeit  in  der  Lebensweise,  besonders 
bezOglich  der  Wahl  der  Nahrung  und  der  Eintheilung  der  Mahlzeiten ;  dazu 
kamen  noch  die  veränderten  klimatischen  und  die  nachtbeiligen  hygieinischen 
Verhältnisse  einer  Grossstadt. 

Es  stellten  sich  in  der  Folge  erhebliche  Störungen  in  der  Verdauung 
ein  und  damit  eine  derartige  Abmagerung  und  Verfall  der  Rrflfte,  dass 
Patient  sich  genöthigt  sah,  seine  junge  aufblühende  Praxis  aufzugeben  und 
in  einem  Badeort  Schlesiens  Ruhe  und  Erholung  zu  suchen. 

Hier  trat  denn  auch  alsbald  wieder  ein  relatives  Wohlbefinden  ein, 
aber  vollständig  verliessen  ihn  die  Verdauungsstörungen  und  die  Unregel- 
mässigkeit in  den  Stuhlentleerungen  nicht. 

In  diese  Zeit  fiel  meine  erste  Veröffentlichung  Aber  das  Pankreas.  — 
Patient  nahm  in  der  vorgeschriebenen  Weise  das  Pankreaspräparat.  Die 
Verdauungsstörungen  Hessen  allmählich  nach,  Kräfte  und  Körpergewicht 
nahmen  wieder  zu,  so  dass  Patient  im  darauffolgenden  Winter  im  Stande 
war,  seine  Praxis  in  B.  wieder  aufzunehmen. 

Durch  einen  Wechsel  der  Familienverhältnisse  war  es  ihm  jetzt  auch 
ermöglicht,  mit  seiner  Mutter  eigene  Hauswirthschaft  einzurichten,  so  dass 
anch  in  seinem  körperlichen  Haushalt  dadurch  viel  grössere  Regelmässig- 
keit  eintrat. 

Am  21.  April  1878  schrieb  mir  Patient,  es  gehe  ihm  ganz  gut,  sein 
Körpergewicht  habe  im  Laufe  des  letzten  Jahres  (also  seit  Beginn  der  Cur) 
um  60  Pfd.  zugenommen,  was  er  hauptsächlich  der  günstigen  Wirkung  des 
Pankreaspräparates  zuschreibe. 

Anfangs  war  er  auch  stets  auf  den  Gebrauch  des  Präparates  ange- 
wiesen, kann  dasselbe  jedoch  schon  seit  längerer  Zeit  entbehren,  ohne  ein 
Wiedereintreten  der  Verdauungsstörungen  befürchten  zu  müssen. 

Als  Missstand  rügt  er  an  dem  Präparate,  dass  es  meistens  ein  unan- 
genehmes Aufstossen  von  Gasen  bewirke,  eine  Erscheinung,  die  ich  eben- 
falls bei  einigen  meiner  Patienten  beobachtet  und  die  wohl  darauf  zurück- 
zuführen sein  dürfte,  dass  bei  der  Pankreasverdauung,  wie  sich  aus  den 
früher  angeführten  Versuchen  von  künstlicher  Verdauung  ergab,  gleich  an- 
fangs eine  sehr  lebhafte  Gasentwicklung  stattfindet,  und  zwar  war  diese 
bei  der  künstlichen  Verdauung  um  so  lebhafter,  je  grösser  die  zu  dem 
Versach  verwendete  Pankreasportion  war;  es  dürfte  sich  daher  empfehlen, 

36* 


564  XXXI.  Engbssbr 

bei  DarreichuDg  des  Pankreas  sich  in  etwas  engeren  Schranken  zu  halten 
und  ein  gewisses  Verhältniss  zu  der  Grösse  der  Mahlzeit  nicht  ausser  Acht 
zu  lassen. 

Die  folgenden  Fälle  sind  ebenfalls  nicht  aus  meiner  eigenen 
Beobachtung,  ich  verdanke  dieselben  der  gütigen  Mittheilung  des 
Herrn  Dr.  S.  Weil,  hier. 

Fall  VII.  Frau  B.  V.  in  F.,  68  Jahre  alt,  früher  stets  gesund  und 
kräftig,  hatte  immer  guten  Appetit  und  guten  Hamor. 

Im  Frühjahr  1877  fing  sie  an  zu  kränkeln,  anfangs  ohne  bestimmt 
ausgesprochene  Erscheinungen ;  sie  litt  an  Gonstipation,  der  Appetit  wurde 
schlecht,  die  Stimmung  gedrückt;  in  der  Folge  traten  Schmerzen  ein  in 
der  Magengegend,  im  Unterleib,  Erbrechen  aller  genossenen  Speisen  und 
ein  erheblicher  Verfall  der  Kräfte,  so  dass  Patientin  genöthigt  war,  das 
Bett  zu  hüten.  Eine  antiphlogistische  Behandlung  linderte  die  Schmerzen 
und  Patientin  konnte  auch  wieder  mit  Mühe  ihren  häuslichen  Geschäften 
nachgehen ;  es  waren  jedoch  immer  Verdauungsbeschwerden  vorhanden,  der 
Appetit  blieb  schlecht  und  der  allgemeine  Ernährungszustand  wollte  sich 
nicht  heben. 

Im  November  1877  sah  sie  College  Weil,  der  sie  von  früher  her 
kannte;  er  fand  sie  sehr  blass,  hochgradig  abgemagert,  hinfällig;  sie  hatte 
gar  keinen  Appetit  und  besonders  eine  unwiderstehliche  Abneigung  gegen 
Fleisch.  —  Der  Stuhl  war  unregelmässig,  meist  angehalten,  von  Zeit  zu 
Zeit  kolikartige  Schmerzen  im  Leib,  häufiges  Erbrechen,  zum  Theil  der  ge- 
nossenen Speisen,  zum  Theil  eines  faden,  speicbelartigen  Wassers. 

Die  palpatorische  Untersuchung  des  Leibes  ergab  grosse  Drnckempfind- 
lichkeit  der  Magengegend ;  in  der  Mitte  zwischen  Nabel  und  Symphyse  eine 
Geschwulst  von  unebener  Oberfläche;  diese  ist  gegen  Berührung  sehr  em- 
pfindlich und  ruft  bei  tieferem  Druck  Ohnmachtgefühl  hervor. 

Ordination:  Electuar.  lenitiv.  —  Morph,  muriat  0,05.  Aq.  Lauro- 
cerasi  30,0.  —  Pankreaspräparat  nach  bekannter  Vorschrift. 

Ende  December  sah  Weil  die  Patientin  wieder;  sie  sah|  wenn  auch 
noch  angegriffen,  erheblich  besser  aus,  hatte  wieder  guten  Appetit  und  eine 
heitere  Stimmung ;  die  Geschwulst  war  erheblich  kleiner,  nicht  mehr  schmerz- 
haft, der  Stuhl  noch  häufig  unregelmässig;  im  Juli  1878  waren  alle  Be- 
schwerden verschwunden,  von  der  Geschwulst  nichts  mehr  nachweisbar, 
Stuhl  und  Verdauung  vollständig  in  Ordnung,  der  Kräftezustand  hatte  sich 
wieder  vollständig  gehoben,  so  dass  Patientin  sich  wieder«  wie  früher,  wohl 
und  der  Hauswirthschaft  gewachsen  fühlte ;  das  Pankreas  konnte  sie  jetzt 
entbehren,  ohne  dass  eine  Wiederkehr  der  Verdauungsstörung  eintrat 

Fall  VIII.  Frau  W.,  49  J.  alt,  klein,  blass,  mager,  unr^ehnässig 
menstruirt,  leidet  seit  3  Jahren  an  Schmerzen  im  Leibe,  besonders  in  der 
Nabelgegend;  während  oder  nach  diesen  Schmerzanf&Uen  häufig  Erbrecheo 
der  genossenen  Speisen  und  einer  faden,  klaren  Flüssigkeit;  Druck  auf  den 
Leib  schmerzhaft,  Stuhl  meist  angehalten,  bisweilen  diarrhoisch,  flbelrie- 
ehend.  Der  Gebrauch  von  Pankreas  mindert  die  Verdauungsbeschwerdes, 
die  Schmerzen  lassen  nach,  ebenso  das  Erbrechen,  Stuhl  geregelt,  mdzt 
fest  und  muss  zuweilen  durch  Electuar.  lenitiv.  hervorgerufen  werden;  all* 


Therapeutische  Yenrendong  der  Bauchspeicheldrüse.  565 

< 

gemeine  EmihruDg  wird  besser;  Patientin  kann  aber  nach  Iftngerem  Fort« 
gebrauch  des  Präparates  dasselbe  doch  nicht  entbehren;  nach  einem  yer« 
snchsweisen   Stftgigen  Aussetzen   kehrten  die  Beschwerden  wieder  zurück. 

Fall  IX.  M.,  Schuhmacher,  31  Jahre  alt,  leidet  seit  mehreren  Jahren 
an  Dyspepsie  und  Unregelmässigkeit  des  Stuhlgangs,  derselbe  ist  meist  an- 
gehalten, fest,  seltener  dazwischen  diarrhoisch.  —  Häufiges  Erbrechen  der 
Speisen,  Öfters  aber  auch  nur  eines  klaren,  faden  Wassers,  dabei  grosse 
üebligkeit.  Gefühl  von  Vollsein  im  ganzen  Leib,  Schmerzen  in  der  Nabel- 
gegend. Der  ganze  Leib  und  die  Magengegend  aufgetrieben,  gegen  Druck 
empfindlich,  Zunge  belegt,  Appetit  schlecht. 

Patient  wird  auf  Milch-  und  Fleischdiät  gesetzt,  dazu  Pankreas  ver- 
ordnet und  der  Stuhl  geregelt  durch  Pillen  aus  Extr.  Aloäs  und  Sap.  Jalap. 
Nach  8  Tagen  fühlt  sich  Pat.  wesentlich  besser,  der  Stuhl  ist  geregelt, 
der  Leib  nicht  mehr  so  sehr  aufgetrieben ;  dagegen  der  Appetit  noch  nicht 
befriedigend,  auch  der  Kräftezustand  lässt  noch  zu  wünschen  übrig.  Nach 
14  Tagen  war  der  Appetit  besser,  er  verlangt  mehr  zu  essen,  fühlt  sich 
kräftiger  und  konnte  wieder  seinem  Geschäft  nachgehen. 

Bei  den  bisher  angeführten  Fällen  handelte  es  sich  um  die  pri- 
mären Formen  der  atoniscben  Dyspepsie;  wir  müssen  nan  aber  anoh 
eine  Form  der  Dyspepsie  berücksichtigen,  welche  in  ihrer  äusseren 
Erscheinungsweise  der  ersterwähnten  ganz  ähnlich  ist,  welche  aber 
als  Folgezustand  und  Theilglied  einer  allgemeinen  autogenetischen 
Ernährungsstörung  aufgefasst  werden  muss. 

Dieser  liegt  eine  Störung  des  Wechselverhältnisses  zwischen  der 
ernährenden  Säftemasse  und  den  zu  ernährenden  Organen  zu  Grunde 
und  besteht  in  der  Kegel  in  einer  qualitativ  und  quantitativ  abnor- 
men Beschaffenheit  des  Blutes.  Dadurch  wird  die  Ernährung  der 
Gewebe,  sowie  auch  die  Leistungsfähigkeit  der  Secretionsorgane  be- 
einträchtigt und  eine  qualitative  und  quantitative  Verdickung  der 
Verdauungssäfte  bedingt,  so  dass  diese  nicht  mehr  im  Stande  sind, 
die  Ingesta  in  normaler  Weise  für  die  Besorption  und  den  Stoff- 
wechsel umzugestalten.  Es  wird  in  Folge  dessen  nicht  genügendes 
und  nicht  richtig  bereitetes  Nahrungsmaterial  der  Säftemasse  zuge- 
führt und  dadurch  wieder  die  Ausgleichsvorgänge  im  Haushalte  des 
Organismus  gestört. 

Dieser  Girculus  vitiosus  ist  bei  Behandlung  allgemeiner  Ernäh- 
rungsstörungen sehr  zu  berücksichtigen ;  denn  eine  gesteigerte,  selbst 
ganz  rationell  gewählte  Nahrungszafuhr  kann  hier  nichts  helfen, 
wenn  nicht  zugleich  die  Mittel  beschafft  werden,  dass  dieselbe  auch 
in  normaler  Weise  verdaut  werde;  es  ist  daher  zur  Anbahnung  ge- 
regelter Emährungsvorgänge  in  erster  Linie  geboten,  für  die  mangel- 
haften Verdauungssäfte  künstlichen  Ersatz  zu  schaffen.    Dadurch  bil- 


566  XXXI.  Engbsseb 

den  diese  allgetneinen  Ernährungsfitörungen  ein  wichtiges  Moment 
fttr  die  Indication  des  künstlichen  Pankreaspräparates. 

In  den  folgenden  Fällen  handelte  es  sich  nm  solche  allgemeine 
Ernährungsstörungen  mit  „secundftrer  Dyspepsie',  diezumTheil 
auf  von  Natur  aus  schwächlicher  Constitution  beruhten,  zum  Theil 
durch  körperliche  und  geistige  Ueberanstrengung  und  Aufregung  oder 
durch  directen  grösseren  Säfteverlust  bedingt  waren. 

Fall  X.  Frau  8p.,  63  Jahre  alt,  litt  als  junges  Mädchen  in  hohem 
Grade  an  der  Bleichsucht  mit  Störungen  des  Appetits  und  fast  habitaeUer 
Stuhlverstopfnng.  Als  junge  Frau  in  ihren  dreissiger  Jahren  litt  sie,  in 
Folge  fortwährender  Stuhlverhaltnng  an  einer  Perityphlitis  und  später  an 
einer  diffusen  Peritonitis.  —  Im  Beginn  ihrer  vierziger  Jahre  litt  Patientin 
an  Icterus.  —  Seitdem  waren  ihre  Verdauungsorgane  nur  sehr  empfindlich, 
so  dass  bei  jeder  geringfügigen  Gemttthsanfregnng  sofort  Appetitlosigkeit 
und  VerdannngsstOrungen  auftraten,  die  sich  durch  Magendrflcken,  Gefühl 
von  Vollsein  im  Unterleib,  Schmerzanfälle  und  stets  grosses  Schwächege- 
fühl bemerklich  machten.  In  den  fünfziger  Jahren  trat  wieder,  und  zwar 
dieses  Mal  ein  ziemlich  hartnäckiger  Icterus  auf  mit  heftigen  Schmerzen 
von  der  Lebergegend  nach  dem  Rttcken  hin  ausstrahlend. 

Eine  Cur  mit  Garlsbader  Salz,  die  sie  fast  Vs  Jahr  fortsetzte,  bekam 
ihr  ganz  gut  und  regelte  den  bis  dahin  immer  so  erschwerten  Stuhlgang. 
Dabei  blieb  aber  die  Verdauung  eine  sehr  schwache,  so  dass  sie  die  Spei- 
sen, die  ihr  wohl  bekamen,  sehr  sorgfllltig  auswählen  musste  und  jeder 
Diätfehler  ihre  Beschwerden  vermehrte. 

Im  Jahre  1875  steigerten  sich  die  Verdauungsbeschwerden,  besonders 
seitens  des  Magens ;  die  Magengegend  war  aufgetrieben,  gegen  Druck  sehr 
empfindlich ;  Patientin  litt  an  einem  heftigen  Brennen  den  Hals  herauf  ond 
saurem  Aufstossen ;  besonders  fühlte  sich  Patientin  nach  jeder  Mahlzeit  sehr 
voll  im  Leib  und  sehr  hinfällig;  häufig  traten  lancinirende  Schmerzen  anf, 
vom  Epigastrium  nach  dem  Rücken  ausstrahlend;  der  Stuhl  war  wieder 
angehalten.  Eine  Cur  in  Baden-Baden,  wo  sie  Carlsbader  Salz  in  Ther- 
mid Wasser  gelöst  nahm  und  die  Einhaltung  einer  sehr  strengen  Diät  bes- 
serten ihren  Znstand  erheblich,  so  dass  der  darauf  folgende  Winter  ganz 
leidlich  verlief.  —  Im  Frühjahr  darauf  stellten  sich  jedoch  wieder  die  alten 
Magenschmerzen  ein,  die  sich  oft  zu  heftigen  cardialgischen  Anfällen  stei- 
gerten. Patientin  reducirte  ihre  Nahrung  anf  das  Aeusserste,  zum  Theil 
wegen  der  fortwährenden  Appetitiosigkeit,  zum  Theil  wegen  der  Furcht  vor 
Schmerzen;  dabei  magerte  sie  ausserordentiich  ab,  wurde  anämisch  und 
hinfällig. 

Ihr  Arzt  verordnete  ihr  wieder  eine  strenge,  aber  nahrhafte  Diät: 
Morgens  1  Tasse  Cacao,  Mittags  Fleischsnppe,  gebratenes  Fleisch  mit  etwas 
Rartoffelbrei  oder  weichgekochtem  Reis,  Nachmittags  1  Tasse  Theo  und 
Abends  kalten  Braten  und  etwas  Wein.  Dabei  wurde  Condurango  verordnet 
und  zwar  eine  Maceration  von  15  Grm.  auf  180  Grm.  Oolatur  3  mal  tig- 
lieh  1  Essl6ffel  voll  zu  nehmen,  und  endlich  zur  Regelung  des  Stuhles  Pillen 
aus:  Extr.  Alo^s  1,0.  Extr.  Beilad.  0,15  f.  pil.  No.  15  S.  Morgens  2  bb 
3  Stück  zu  nehmen. 


Therapeutische  Yenrendung  der  Banchspeicheldrase.  567 

Anf  dieses  Verhalten,  das  sie  etwa  3  Monate  fortsetzte,  besserte  sich 
der  Zustand ;  nur  litt  sie  häufig  an  Ueblichkeit,  Brechreiz  und  musste  jede 
kleine  Ueberschreitnng  der  Diftt  mit  Magenschmerzen  btlssen,  was  veran- 
lasste, dass  Patientin  äusserst  ängstlich  wurde  und  weniger  Nahrung  nahm, 
als  ihr  zur  Ernährung  nothwendig  war.  Trotzdem  trat  im  Herbst  1876, 
anschliessend  an  eine  Reihe  unangenehmer  Erlebnisse  und  Gemftthsbewegnn- 
gen,  wieder  eine  Verschlimmerung  ein,  die  den  ganzen  Winter  durch  anhielt. 

Im  Frflhjahr  1877  sah  ich  Patientin  zum  ersten  Male.  Sie  war  blass, 
hochgradig  abgemagert,  sehr  hinfällig,  so  dass  sie  kaum  ausser  Bett  sein 
konnte,  fflhlte  sich  unbehaglich  voll  im  Leib;  der  Stuhl  war  angehalten, 
fest,  braun,  kein  Blut  enthaltend,  darin  reichliche,  ziemlich  grosse  Bröckel 
unverdauter  Fleisch-  und  Brodreste  (hierbei  ist  zu  bemerken,  dass  Patientin 
ganz  zahnlos  ist  und  sehr  rasch  isst).  Erbrechen  war  keines  vorhanden, 
ebenso  keine  Schmerzen  im  Magen.  —  Der  Puls  war  sehr  schwach,  dflnn, 
leicht  compressibel;  massig  frequent.  Fieber  keines  vorhanden.  Bei  Pal* 
pation  des  Leibes  nirgend  ein  Tumor  bemerkbar. 

Ich  betrachtete  den  ganzen  Zustand  als  eine  hochgradige  Inanition  und 
verordnete  zunächst  eine  milde,  kräftigende  Diät,  ähnlich  der  oben  be- 
schriebenen; dabei  liess  ich  fflr  ordentlichen  Stuhlgang  sorgen  durch  Appli* 
cation  von  reichlichen  Klystieren  von  Seifenwasser  mit  Ol.  Ricini  mittelst 
des  Heberapparates. 

Die  gesteigerte  Nahrungszufubr  bekam  Patientin  sehr  schlecht.  Sie 
fflhlte  Drücken  im  Magen  und  unangenehmes  Aufstossen,  die  Magengegend 
wurde  wieder  gegen  Druck  sehr  empfindlich  und  nach  4  Tagen  traten  die 
Schmerzen  wieder  sehr  heftig  auf;  dazu  stellte  sich  ein  fast  unstillbares 
Erbrechen  ein,  das  nahezu  24  Stunden  trotz  aller  angewendeten  Mittel: 
Morphinmsaturation,  Eis,  Acid.  mur.  dil.,  später  Champagner,  anhielt;  Blut 
war  keines  in  dem  Erbrochenen.  —  Patientin  fflhlte  sich  hierauf  noch 
aehwächer  als  zuvor  und  war  in  Folge  dieser  hochgradigen  Entkräftung 
ernstliche  Lebensgefahr  eingetreten.  —  Fflr  die  nächste  Zeit  musste  man 
sich,  nach  solchen  Erfahrungen  Aber  die  geringe  Reizwirkung  des  Magens, 
auf  den  Genuss  von  Brflhen,  rohen  Eiern,  Fleischgelee,  Liebig'sche  Fleisch- 
brühe u.  dgl.  beschränken,  dabei  aber  doch  auf  eine  baldige  ErmOglichnng 
gesteigerter  Nahrungsaufnahme  bedacht  sein.  Ich  liess  daher,  nachdem 
Patientin  Morgens  ein  Wasserklystier  behufs  Reinigung  und  Entieerung  des 
Darms  genommen  hatte,  ihr  täglich  drei  ernährende  Elystiere  verabreichen, 
welche  aus  Fleischbrflhe,  etwas  Wein  und  je  zwei  nach  Latschenber- 
ge r's  Vorschrift  präparirten  Eiern  bestanden  i).  Diese  blieben  auch  und 
Patientin  fflhlte  sich  darauf  stets  etwas  mehr  belebt.  —  Nach  einigen  Ta- 
gen wurden  wieder  Versuche  gemacht,  etwas  consistentere  Nahrung  durch 
den  Magen  dem  Organismus  zuzufahren;  man  begann  mit  50  Grm.  fein- 
geschabtem  englischen  Beef-Steak  (zu  rohem  Fleische  konnte  sich  Patientin 
nicht  verstehen)  erst  zweimal,  dann  dreimal  täglich;  dazu  liess  ich  sie 
jeweils  eine  Portion  Pankreas  nehmen.  —  Der  erste  Versuch  gelang  ganz 
gut.    Patientin  hatte  darauf  keine  weiteren  Beschwerden,  als  1  Stunde  lang 


1)  Die  Eier  werden  gerOhrt  in  ein  Glas  gegeben  und  mit  Wasser  bis  zum 
doppelten  Volumen  aufgefüllt,  12  Stunden  stehen  gelassen  und  filtrirt  —  dasFil- 
trat  enthält  gelöstes  Eiweiss,  das  direct  resorbirt  wird. 


568  XXXI.  ENaBSSSB 

nach  dem  Essen  Drücken  in  der  Magengegend,  aber  keine  Schmenen.  — 
Von  Tag  zu  Tag  wurde  nnn  ein  weiteres  Glied  in  der  Kette  der  Mahl- 
zeiten eingeschoben,  bis  bei  folgendem  difttetischen  Verhalten  stehen  ge- 
blieben wnrde:  Morgens  7  Uhr  1  Tasse  Thee  mit  Rösterbrod,  Vi  Stande 
nachher  ein  Reinignngsklystier,  darauf  ein  ernährendes  Klystier  von  Vi  Schop- 
pen Fleischbrühe,  einige  LOffel  voll  alten  Weissweins  und  zwei  prAparirteo 
Eiern  in  der  Temperatur  von  d8<>  C,  um  10  Uhr  1  Tasse  (ca.  Vi  L) 
Fleischbrtthe  mit  Ei,  etwas  Rösterbrod  und  1  Glas  Bordeaux  —  wenn 
Schwächeeustftnde  auftreten  im  Laufe  des  Vormittags  noch  ein  ernährendes 
Klystier —  Mittags  eine  kräftige  Fleischsnppe,  geschabtes,  gebratenes  Ochsen- 
fleisch,  1  Glas  Wein,  nach  der  Suppe  und  nach  dem  Fleisch  1  schwacher 
Kaffeelöffel  von  Pankreas.  —  Nachmittags  zwischen  2  und  3  Uhr  ein  e^ 
nährendes  Klystier,  um  4  Uhr  1  Tasse  Kaffee  mit  Zwieback,  Abends  6  Uhr 
kaltes  Beef- Steak,  1  Glas  Wein,  darauf  1  Portion  Pankreas.  1  Stunde 
nach  dem  Nachtessen  noch  ein  ernährendes  Klystier,  um  9  Uhr  Abends 
1  Tasse  Fleischsuppe,  in  der  Nacht  noch  einmal  1  Tasse  Milch  mit  £i 
oder  Fleischbrtlhe  —  bei  grosser  Schwäche  1  Gläschen  Cognac  in  Milch. 

Patientin  ertrug  jetzt  in  dieser  Weise  die  gesteigerte  Nahrangszufnhr 
ganz  gut,  anfangs  klagte  sie  noch  über  Druck  im  Magen  nach  dem  Essen, 
der  aber  bald  verschwand  und  in  der  Folge  ganz  ausblieb ;  sie  erholte  sich 
langsam;  der  Stuhl  war  nur  noch  sehr  fest,  enthielt  aber  weder  makro- 
skopisch noch  mikroskopisch  unverdaute  Speisereste.  Die  ernährenden 
Klystiere  konnten  bald  auf  zwei  pro  die  reducirt  und  nach  3  Wochen  gun 
weggelassen  werden.  Ich  liess  jetzt,  als  Patientin  sich  gekräftigt  hatte, 
Morgens  wieder  Garlsbader  Salz  in  warmem  Wasser  nehmen,  wobei  der 
Stuhl  sich  regelte  und  täglich  einmal  ohne  Klystier  erfolgte.  In  der  Er- 
nährung wurde  jetzt  eine  weitere  Veränderung  vorgenommen ;  ich  liess  Pa- 
tientin zum  Frtthstttck  um  7  Uhr  noch  1  weiches  Ei  nehmen,  um  10  Uhr 
zur  Fleischbrtthe  noch  1  Stflckchen  feingewiegten  rohen  Schinken  mit  einer 
Portion  Pankreas  und  zum  Mittagessen  etwas  Zugemüse  (Kartoffelbrei, 
Schwarzwurzeln)  und  noch  eine  dritte  Portion  Pankreas.  Störungen  in  der 
Verdauung  waren  jetzt  nie  mehr  zum  Vorschein  gekommen ;  Patientin  fohlte 
sich  erheblich  kr&ftiger,  konnte  das  Bett  verlassen  und  machte  von  Zeit 
zu  Zeit  eine  Spazierfahrt  ins  Freie. 

Nach  4  Monaten  war  Patientin  wieder  rüstiger  wie  je,  besorgte  wieder 
ihre  Hauswirthschaft  mit  einer  Geschwindigkeit  und  Ausdauer,  als  ob  sie 
nie  krank  gewesen  wäre  und  pflegte  ihre  Tochter,  die  erkrankt  und  län- 
gere Zeit  bettlägerig  war,  ohne  weitere  Hilfe.  Das  Pankreas  konnte  ue 
entbehren  und  traten  seither  (seit  Sommer  1877)  nie  mehr  Verdanungsstö- 
rungen  auf. 

Der  folgende  Fall  ist  dem  oben  angeführten  im  Wesentlichen 
sehr  ähnlich: 

Fall  XI.  Frau  Kreisgerichtsrath  L.,  68  Jahre  alt,  von  zartem  Körper- 
bau, von  frühester  Jugend  an  sehr  schwächlich  und  anämisch,  leidet  seit 
einer  längeren  Reihe  von  Jahren  an  einer  hochgradigen  Dyspepsie  nnd  will 
in  der  Jugend  schon  an  einem  „  schwachen  Magen  ^  wie  sie  sich  ausdrückt, 
gelitten  haben«  Diese  Dyspepsie  äusserte  sich  in  vollständigem  Appetit- 
mangel: Patientin  fühlt  nie  ein  Bedürfniss  zu  essen  und  findet  auch  so 


Therapeutische  Yerwendong  der  Baachspeicheldrafie.  569 

keinerlei  Speieen  irgend  Genäse ;  nach  jeder  Mahlzeit,  mögen  die  Speisen  noch 
BO  Borgfiütig  gewählt  und  zubereitet  sein,  fflhlt  sie  ein  grosses  Unbehagen : 
Oeftlhl  von  Vollsein,  Druck  in  der  Magengegend,  der  sich  bisweilen  zu 
heftigen  cardialgischen  AnflUlen  steigert,  mehrere  Stunden  lang  saures  Auf- 
stossen  und  ein  übler  Geruch  nach  faulen  Eiern  aus  dem  Munde.  Patientin 
fflrchtete  sich  deshalb  vor  jeder  solideren  Nahrungsaufnahme,  vermied  alles 
Fleisch,  die  meisten  Mehlspeisen,  beschränkte  selbst  den  Genuss  des  Brodes 
auf  ein  Minimum,  weil  sie  dadurch  eine  Vermehrung  ihrer  Beschwerden  zu 
gewärtigen  hatte.  Erbrechen  war  während  der  ganzen  Dauer  dieser  Ver- 
dauungsstörungen nicht  vorhanden;  der  Stuhl  war  stets  unregelmässig,  er« 
folgte  nur  alle  3 — 4  Tage,  war  bald  fest,  bald  diarrhoisch,  mit  reichlichem 
Schleim  vermischt,  übelriechend,  von  graubräunlicher  Farbe,  nie  schwarz, 
nie  Blut  enthaltend. 

Patientin  hatte  eine  Zeit  lang  Pepsin  genommen,  dadurch  wurde  das 
lästige  Aufstossen  etwas  besser,  auch  die  cardialgischen  Schmerzen  traten 
nicht  mehr  in  demselben  Grade  auf,  wie  früher,  der  Druck  und  das  Ge- 
fühl von  Vollsein,  sowie  die  Unregelmässigkeit  -des  Stuhles  wurden  aber 
dadurch  nicht  geändert.  —  Patientin  schränkte  ihre  Speisen  in  der  Folge 
blos  auf  3  Fleischsnppen  des  Tages  ein,  deren  Einlagen  aus  fein  geschnit- 
tenen Pfannenkuchen  (!)  bestanden.  In  Folge  dieser  äusserst  reducirten 
Nahrungsaufnahme  und  mangelhaften  Verdauung  des  Genossenen  war  bei 
der  an  und  für  sich  schwächlichen  Patientin  eine  ganz  enorme  Abmage- 
rung und  Entkräftung  eingetreten. 

Ich  sah  sie  am  20.  Januar  1877  und  fand  eine  kleine,  zart  gebaute 
Frau  mit  reichlichen,  tiefen  Falten  im  Gesicht,  vollständig  zahnlosem  Munde; 
das  Fettpolster  war  ganz  geschwunden,  die  Augen  lagen  tief  in  den  ihres 
Fettes  beraubten  Orbitalhöhlen,  waren  matt,  die  Musculatur  schlaff,  Haut- 
farbe fahl,  Leib  eingesunken,  man  konnte  leicht  die  Aorta  abdominalis  pal- 
piren;  ein  Tumor  nirgends  zu  finden,  ebenso  auch  war  die  Palpation  des 
Leibes  nirgends  schmerzhaft,  Patientin  konnte  sich  nur  mit  Mühe,  wohl 
unterstützt  in  einem  bequemen  Lehnstuhl,  ausser  Bett  halten;  ein  Gang 
durchs  Zimmer,  mit  hinlänglicher  Unterstützung  ausgeführt,  war  von  er- 
heblicher Erschöpfung  und  Ohnmachtgefühl  gefolgt;  der  Stuhlgang  erfolgte 
alle  3 — 4  Tage,  ohne  Beschwerde  und  ohne  irgend  abnorme  Erscheinun- 
gen darzubieten,  er  ist  dünnbreiig,  hellbraun,  ohne  besonders  auffallenden 
Geruch. 

Bei  diesem  Zustande  hochgradiger  Inanition  erschien  es  als  erste  Auf- 
gabe, den  Ernährungszustand  durch  eine  langsam  steigende  Vermehrung 
der  Nahrungszufnhr  aus  vorsichtig  gewählten,  leicht  verdaulichen  und  ratio- 
nell zubereiteten  Speisen  zu  heben  und  in  den  Verdanungsorganen  wieder 
eine  lebhaftere  Thätigkeit  anzuregen. 

Die  verordnete  Diät  stimmte  im  Wesentlichen  mit  der  im  Fall  X  ttber- 
ein,  doch  war  man  hier  bei  dem  gänzlichen  Appetitmangel  darauf  auge- 
wiesen, etwas  mehr  Wechsel  in  der  Wahl  der  Speisen  eintreten  zu  lassen, 
weil  der  Patientin  sehr  bald  eine  Speise  entleidete,  wenn  sie  dieselbe  einige 
Male  gehabt  hatte;  sie  bestand  aus  Folgendem: 

1.  Um  7  Uhr  Frühstück:  1  Tasse  Milch  oder  Kaffee  mit  Milch, 
Chocolade,  Thee,  bald  mit,  bald  ohne  ein  Ei,  mit  Zwieback  oder  Rösterbrod* 

2.  Um  V2IO  Uhr  zweites  Frühstück:  Fleischbrühe  mit  Ei  oder  Fleisch- 


570  XXXI.  ENOB88EB 

gel^e,  roher  Schinken,  fein  gewiegt;  kaltes,  halbrohes  Beefsteak  aus  ge« 
hacktem  Fleisch,  Sardellen  mit  Butter  verrieben,  dazu  Rösterbrod  Yuid 
1  Glas  leichter  Rothwein. 

3.  Mittagessen  nm  12Vs  Uhr:  kräftige  Fleischsoppe  mit  Fleiscbextraet 
und  verschiedenen  Cerealieneinlagen :  Gerste,  Reis,  Hafergrütze,  Griesker« 
nen  u.  dgl.;  englisches  Beefsteak  ans  geschabtem  Fleisch  oder  Geflflgel, 
Wildpret,  Kalbskopf  en  tortue  mit  Weglassnng  der  Triffein  oder  der  allza 
scharfen  GewOrze,  Ochsenzunge;  als  Zngemtlse:  Kartoffelbrei  oder  Meer- 
rettig  in  der  Fleischbrühe  gekocht,  Tomaten,  Schwarzwurzel,  hierzu  1  Glu 
Rothwein  und  Rösterbrod  in  demselben  aufgeweicht. 

4.  Um  4  Uhr:  Kaffee  mit  Milch  und  Rösterbrod. 

5.  Abendessen  um  7  Uhr:  Fleischsuppe  und  kalter  Braten  wie  bdm 
2.  Frühstück. 

6.  Vor  Schlafengehen  um  9  Uhr  und  ebenso  in  der  Nacht  ein-  bis 
zweimal  1  Tasse  Milch  oder  ein  rohes  Ei. 

Bei  grossen  Schwächezuständen  1  Glas  Champagner  mit  Rothwein  ge- 
mischt. 

Nur  nach  eindringlichem  Zureden  liess  sich  Patientin  zum  Einhalten 
dieser  Diät  bewegen. 

Das  Frühstück  wurde  ganz  gut  ertragen,  ebenso  das  zweite  Frühstück, 
wenn  dasselbe  blos  aus  Fleischbrühe  mit  Ei  oder  Fleischgei^  bestand;  bei 
Genuss  von  Fleisch  aber  trat  Magendrücken  ein,  das  circa  1  Stunde  an- 
hielt; erheblicher  und  längerdauemd  waren  die  Beschwerden  nach  dem 
Mittag-  und  Abendessen,  so  dass  sich  Patientin  bei  letzterem  wieder  blos 
auf  eine  Suppe  beschränkte.  Sie  bekam  dabei  Magendrücken,  das  Gefflbl 
von  Vollsein  im  Leib;  die  Magengegend  war  aufgetrieben  wie  eine  Blase  und 
gegen  Druck  sehr  empfindlich,  später  kam  es  zum  Aufstossen  übelriechen- 
der Gase,  womit  nach  etwa  4  Stunden  die  Beschwerden  seitens  des  Ma- 
gens nachliessen;  dagegen  fühlte  sich  Patientin  immer  noch  voll  im  Ldb, 
war  von  Blähungen  gequält,  die  ihr  von  Zeit  zu  Zeit  Schmerzen,  besonders 
in  der  Nabelgegend,  verursachten.  Der  Stuhl  musste  durch  Klystiere  er- 
zielt werden ;  er  war  fest,  dunkelbraun,  übelriechend,  enthielt  Fett  und  an- 
dere unverdaute  Speisereste  in  grosser  Menge.  —  Ich  liess  nun  Patientin 
Pepsin  nehmen  und  zwar  das  Pulver,  in  einem  Glas  Wasser  mit  5  Tropfen 
verdünnter  Salzsäure  verrührt,  zum  zweiten  Frühstück,  Mittagesa^  und 
Abendessen. 

Die  Beschwerden  seitens  des  Magens  wurden  dadurch  erbeblich  ge- 
mindert und  verkürzt,  insbesondere  trat  das  Aufstossen  von  übelriecben* 
den  Gasen  gar  nicht  mehr  auf,  dagegen  bestand  noch  der  aufgetriebene 
Leib,  das  Gefühl  von  Vollsein,  die  zeitweise  auftretenden  Schmerzen  in  der 
Nabelgegend  fort  und  der  Stuhl  enthielt  nur  noch  reichlich  unverdaute 
Fleischfasern  und  Fett.  Die  Cur  wurde  in  dieser  Weise  14  Tage  fortge- 
setzt, ohne  dass  eine  weitere  Veränderung  in  dem  Befinden  der  Patientio 
eintrat. 

Jetzt  liess  ich  unter  Weglassung  des  Pepsins  mit  Salzsäure  die  Pa- 
tientin Pankreas  nehmen  und  zwar  anfangs  die  frische  Drüse  fein  geschabt 
unter  die  Speisen  gemischt,  später  das  künstliche  Präparat  in  Oblaten  ve^ 
packt,  und  zwar  zum  zweiten  Frühstück  einen  kleinen  Kaffeelöffel  voll, 
zum  Mittagessen  drei  solche  Portionen  vor  und  nach  der  Suppe  und  nach 


ThenpeatiBche  Venrendang  der  BanchspeicheldrOBe.  571 

dem  Essen;  zum  AbeodesseD,  das  Patientin  jetzt  wieder  in  der  vorgescbrie- 
benen  Wdse  mit  Suppe  und  kaltem  Braten  nahm,  ebenfalls  drei  solche 
Portionen. 

Der  Erfolg  war  ein  entschieden  gflnstiger.  Die  Magenbeschwerden  nach 
dem  Essen  blieben  ans,  wie  beim  Gebranche  des  Pepsins ;  die  zeitweise  auf- 
tretenden Schmerzen  in  der  Nabelgegend  traten  nicht  mehr  ein,  femer  dauerte 
das  unbehagliche  OefQhl  im  Leib  in  den  ersten  Tagen  viel  ktlrzer  und 
hörte  nsch  einiger  Zeit  ganz  auf.  —  Der  Stuhl,  durch  Carlsbader  Salz 
geregelt,  enthielt  anfangs  noch  unverdaute  Speisereste,  besonders  mikrosko- 
pisch nachweisbare  Fleischfasern,  die  sich  jedoch  nach  8  Tagen  ganz  ver- 
loren. 

Patientin  fühlte  sich  subjectiv  wohler  und  auch  entschieden  etwas  kräf- 
tiger, sie  konnte  bald  wieder  längere  Zeit  ausser  Bett  zubringen,  bedurfte 
auch  beim  Aufsitzen  und  beim  Gehen  nicht  so  eingreifender  Unterstützung, 
aber  der  allgemeine  Ernährungszustand  wollte  sich  nur  langsam  heben ;  es 
traten  noch  von  Zeit  zu  Zeit  Ohnmachtsgeftlhl  und  Anfälle  hochgradiger 
Erschöpfung  ein,  so  dass  es  geboten  erschien,  nachdem  eine  bessere  Ver- 
dauung mit  Hilfe  des  Pankreasgebrauchs  angebahnt  war,  die  von  Patientin 
aus  Furcht  vor  Wiederauftreten  der  Verdauungsbeschwerden  in  äusserst 
minutiöser  Menge  genossenen  Rationen  langsam  ansteigend  auf  ein  höheres 
Maass  und  Gewicht  zu  normiren. 

Zum  ersten  Frtlhstttck  wurde  die  Milch  und  der  MilchkaffSee,  Ghoco- 
lade  auf  V2  L-  nnd  das  Rösterbrod  hier  sowohl,  wie  bei  den  tlbrigen  Mahl- 
zeiten auf  40 — 50  Grm.  festgesetzt.  Zum  zweiten  FrflhstUck  wurde  V2  I^* 
Bouillon  genommen  und  2  Eier  oder  bei  der  Wahl  von  Fleisch  100  Grm. 
vorgeschrieben.  Zum  Mittagessen  1/2  Liter  Suppe,  150  Grm.  Fleisch  und 
50  Grm.  Zugemdse ;  femer  wurde,  ausser  dem  V2  Liter  Kaffee  um  4  Uhr, 
um  6  Uhr  zweimal  100 — 120  Grm.  roher  Schinken  mit  1  Glas  Rothwein 
genommen  und  dann  erst  um  8  Uhr  das  Nachtessen  mit  V2  Liter  Suppe 
und  100  Grm.  Beefsteak.  —  Fflr  die  Nacht  wurden  drei  nach  Latsohen- 
berger's  Vorschrift  präparirte  Eier  bestimmt  und  ausserdem,  wenn  nOthig, 
noch  Vi  Liter  Milch. 

Diese  Diät  in  Verbindung  mit  Pankreas  hält  Patientin  seit  März  1877 
ein  und  befindet  sich  im  Ganzen  wohl  dabei,  —  die  Ernährung  hob  sich 
allmählich,  sie  kann  jetzt  den  ganzen  Tag  ausser  Bett  zubringen,  selbst 
kleinere  Geschäfte  in  der  Haushaltung  besorgen,  ist  ziemlich  behend  in 
Gang  und  Hantirung  —  die  Gesichtefarbe  ist  wieder  frischer  und  die  tiefen 
Falten  im  Gesicht  sind  mehr  ausgeglichen;  dabei  ist  ihre  Stimmung  eine 
wesentlich  bessere,  sie  isst  wieder  mit  Appetit  und  freut  sich  des  Essens 
und  nur  dann  und  wann,  besonders  wenn  der  Stuhlgang  wieder  angehalten 
ist,  fohlt  sie  Beschwerden  im  Unterleib  und  ab  und  zu  wohl  auch  wieder 
einmal  Schwäche-  und  Ohnmachtsgefühl.  —  Die  Stühle  sind  gewöhnlich 
ganz  normal,  von  breiiger  Consistenz,  meist  bellbraun  gefärbt,  ohne  be- 
sonders auffallenden  Übeln  Geruch  und  enthalten  keine  unverdauten  Fleisch- 
bestand theile;  dagegen  ist  Patientin  immer  noch  auf  strenge  Einhaltung  der 
vorgeschriebenen  Diät  und  den  Gebrauch  des  Pankreas  angewiesen  —  so 
oft  sie  das  Präparat  aussetzte,  kehrten  die  Verdauungsstörungen  wieder  und 
nach  längstens  8  Tagen  stellten  sich  wieder  die  früheren  Beschwerden  in 
erhöhtem  Maasse  ein. 


572  XXXI.  ENasssEB 

Pat.  machte  Im  letzten  Sommer  wieder  kleinere  Spasieiginge  ohne 
besondere  Ermfldnng  in  der  nftchsten  Umgebung  der  Stadt  und  nntemahm 
auch  zeitweise  grössere  Spazierfahrten. 

Fall  XII.  Frttnlein  N.  N.,  20  Jahre  alt,  ans  sehr  reicher  nnd 
vornehmer  Familie,  von  dem  16.  Lebensjahre  an  bleichsflchtig.  Patientin 
hatte  stets  guten  Appetit,  der  sogar  zum  Theil  als  krankhaft  gesteigert 
betrachtet  werden  konnte  —  bei  Tische  ass  sie  in  der  Regel  wenig,  ob* 
wohl  in  der  Familie  nur  solide,  kräftige  nnd  wohlschmeckende,  die  nöthige 
Abwechslung  bietende  Kost  eingefnbrt  war;  um  so  mehr  hatte  sie  aber 
eine  besondere  Vorliebe,  in  der  Zwischenzeit,  ganz  ohne  Einhaltung  einer 
bestimmten  Regelmässigkeit  allerlei  zu  naschen,  wobei  sie  nicht  sehr  wäh* 
lerisch  war  und  meist  dem  trockenen  Schwarzbrod  den  Verzug  gab;  sie 
ass  stets  sehr  hastig,  ohne  die  Speisen  genflgend  zu  verkanen. 

Die  Folge  dieser  unregelmässigen  und  fehlerhaften  Lebensweise  war, 
dass  die  Bleichsucht  weitere  Fortschritte  machte  und  Patientin  stets  an 
Verdauungsbeschwerden  litt,  die  sich  durch  Druck  in  der  Mageog^end, 
bisweilen  begleitet  von  cardialgischen  Schmerzen,  Aufstossen  flbelriechender 
Gase,  durch  das  Gefühl  von  Vollsein  im  Leib  äusserten  —  der  Stnhl  war 
angehalten  und  musste  meist  kflnstlich  erzielt  werden;  die  Stuhlentleerungen 
erfolgten  unter  Gasexplosionen  und  bestanden  aus  theils  harten,  theils  dflon- 
breiigen,  grauen,  ttbelriechenden  Massen  und  enthielten  reichlich  grobe 
Bröckel  unverdauter  Speisen,  besonders  Fleisch,  Sehnen  n.  dgl. 

Pat.  war  stets  in  gedrückter  Stimmung,  hatte  grosse  Neigung  zum 
Weinen,  sonderte  sich  von  allen  geselligen  Vergnflgungen  der  Familie  ab  und 
klagte  stets  darüber,  dass  ihr  nicht  mehr  geholfen  werden  könne.  —  Dabei 
bestand,  wie  oben  erwähnt,  eine  Art  Heisshunger,  der  wenn  er  nicht  sofort 
durch  irgend  eine,  selbst  ganz  geringfügige  Nahrnngsanfhahme  (ein  Stück 
Brod)  gestillt  wurde,  Uebligkeit  und  Ohnmachtgefühl  erzeugte. 

Erbrechen  war  nie  vorhanden,  im  Stuhl  war  nie  Blut  nachweisbar, 
ebenso  fehlten  Polyurie  und  Glykosurie.  —  Die  Menses  geregelt. 

Die  Befolgung  diätetischer  Rathschläge  wurde  stets  ernstlich  verspro- 
chen, aber  nur  sehr  unregelmässig  ausgeführt  und  meist  bald  wieder  auf- 
gegeben, weil  ja  doch  die  alten  Beschwerden  sich  immer  wieder  einstellten. 

Pepsinessenz,  vor  und  nach  dem  Essen,  hatte  gar  keinen  Erfolg,  am 
besten  bekam  noch  verdünnte  Salzsäure,  5  Tropfen  in  einem  Glas  Zncker- 
wasser  nach  dem  Essen  genommen,  darauf  Hess  wenigstens  das  Magen- 
drücken nnd  das  Aufstossen  nach  —  die  Beschwerden  im  Unterleib  und 
die  Beschaffenheit  des  Stuhlganges  blieben  unverändert. 

Eine  Besserung  fühlte  Patientin  in  Betreff  ihrer  Verdauung,  wie  auch 
ihrer  Gesammternährung  durch  den  fortgesetzten  Aufenthalt  in  frischer  Luft 
im  Herbst  1876,  die  aber  wieder  verschwand  und  den  mit  grösserer  In- 
tensität auftretenden  Erscheinungen  der  Bleichsucht  wich,  als  der  eintretende 
Winter  Patientin  wieder  mehr  an  das  Zimmer  bannte.  —  Alle  die  alten 
Verdauungsbeschwerden,  das  Magendrücken,  Aufstossen,  Gefühl  von  Vott- 
sein  im  Leibe  und  insbesondere  eine  erhebliche  Druckempfindlichkeit  in  der 
Regio  ileocoecalis  traten  wieder  auf.  Bei  Palpation  des  Unterleibes  bot 
die  Gegend  des  Blinddarmes  grössere  Resistenz  dar  —  dabei  hatte  Pat 
aber  kein  Fieber  und  zeigte  keinerlei  Erscheinungen  einer  örtlichen  Ent- 
zündung des  Peritoneums. 


Therapeutische  Verwendung  der  fianchspeicheldrOse.  573 

Der  Stuhl  wurde  geregelt  durch  Ol.  Ricini,  Carlsbader  Salz  und  rech- 
liche Klystiere  von  warmem  Wasser  mittelst  des  Heberapparates  in  der 
Knie-EUenbogeDlage.  —  Die  Entleerungen  waren  wie  frtther  und  enthielten 
yiele  nnverdante  Speisereste. 

Neben  der  Sorge  fQr  regelmässige  StuhlenÜeemng  wurde  nun  eine 
strenge  Diät,  die  neben  der  Bflcksicht  auf  N&hrwerth  und  Leichtverdaulich- 
keit auch  die  nflthige  Abwechslung  darbot,  verordnet  und  jeweils  bei  den 
Hauptmahlzeiten  Mittags  und  Abends  (die  Zwischenmahlzeiten  bestanden 
meist  aus  Milch,  Fleischbrühe,  £iem)  je  2—3  starke  Kaffeelöflfel  frischen 
geschabten  Rindspankreas  den  Suppen  und  Brflhen  beigemischt. 

Patientin  befolgte  auch  diese  Verordnung  längere  Zeit  gewissenhaft 
und  fflhlte  sich  dabei  wesentlich  besser  —  der  Druck  im  Magen,  das  Anf- 
stossen,  das  Geffihl  von  Vollsein  im  Leib  Hessen  nach  —  nur  die  Regio 
ileocoecalis  blieb  noch  gegen  Druck  empfindlich  und  war  das  Coecnm  offen- 
bar stets  auch  mit  nur  langsam  sich  weiterbewegenden  Stercoralmassen  an- 
gefiOllt  —  der  Stuhl  musste  daher  künstlich  geregelt  werden,  derselbe  ent- 
hielt aber  schon  nach  4  Tagen  nur  noch  wenig  unverdaute  Speisebestand- 
theile,  die  in  der  weiteren  Folge  ganz  wegblieben;  er  war  nicht  mehr  so 
übelriechend  und  bekam  allmählich  eine  normale  hellbraune  Färbung,  die 
sogar  zeitweise  mit  einer  vollständig  gelben  Farbe  abwechselte. 

Das  Allgemeinbefinden  besserte  sich. 

Ea  wurde  Ferr.  carb.  sacch.  verordnet,  das  Fat  aber  nicht  ertrug, 
dagegen  ertrug  sie  ganz  gut  das  pyrophosphorsaure  Eisenwasser. 

Allmählich  aber  wurde  Fat.  wieder  lässig  in  Befolgung  der  gegebenen 
Vorschriften,  es  war  ihr  lästig,  besonders  bedient  zu  werden;  dazu  kam 
noch,  dass  das  Pankreas  nicht  regelmässig  von  den  Metzgern  zu  haben 
war ;  schliesslich,  nach  zwei  Monaten,  Hess  sie  zunächst  das  Pankreas  ganz 
weg  und  gab  eine  diätetische  Maassregel  nach  der  andern  auf,  so  dass  sie 
wieder  in  ihre  alte  Unregelmässigkeit  und  diätetische  Launenhaftigkeit  verfiel. 

Die  Folgen  blieben  nicht  aus,  die  alten  Beschwerden  stellten  sich  wie- 
der  ein,  der  Ernährungszustand  ging  wieder  zurück,  die  hypochondrische 
Stimmung  kehrte  wieder,  dabei  wollte  sie  von  ärztlicher  Einsprache  gar 
nichts  wissen  und  erklärte  allen  Vorstellungen  gegenüber:  ihr  könne  doch 
nicht  mehr  geholfen  werden. 

Im  Frühjahr  1877  stellte  sich,  wohl  bedingt  durch  die  Ansammlung 
unverdauter  und  sich  zersetzender  Speisereste  im  Dickdarm,  ein  heftiger 
und  hartnäckiger  Darmkatarrh  ein.  —  Patientin  fieberte  massig,  klagte 
über  fortdauernde,  dumpfe  Schmerzen  im  Unterleib,  die  sich  zeitweise  zu 
heftigen  Rolikanftllen  steigerten,  dabei  Rollen  im  Leibe  und  starke  Gas- 
detonation bei  jeder  Stuhlentleerung. 

Der  Leib  war  aufgetrieben  und  gegen  Druck  äusserst  empfindlich,  be- 
sonders entsprechend  der  Lage  des  Dickdarms;  derselbe  Hess  sich  auch 
als  resistenterer  Körper  leicht  palpiren. 

Die  Stuhlentleerungen  erfolgten  sehr  häufig  des  Tages  unter  Schmerzen 
im  Leib  und  Tenesmus;  die  entleerten  Massen  bestanden  aber  nur  aus  ganz 
wenig  mit  Schleim  nntermisohter  Flüssigkeit  von  grauer  Farbe,  sehr  üblem 
Geruch  und  enthielten  einige  wenige  harte,  schwarze  Bröckel. 

Es  wurde  nun  tägUch  1  Löffel  voll  OL  Ricini  genommen  und  noch 
zweimal  täglich  ein  Einlauf  von  V2  Liter  warmen  Wassers   mittelst  des 


574  XXXI.  ENOB88BR 

Heberapparates.  —  Darauf  wurden  die  AaBleeraogen  volmninOser:  sie  be- 
standen ans  festen,  grau  und  schwarz  meiirten,  mit  Blut  nnd  Schleim  Aber- 
zogenen sehr  übelriechenden  Ballen,  in  denen  sich  reichliche  nnverdante 
Speisereste  nachweisen  Hessen.  Patientin  fühlte  sich  jedesmal  nach  dieaeo 
Entleerungen  erleichtert,  die  Anfgetriebenheit  des  Leibes  Hess  nach,  die 
Resistenz  im  Verlauf  des  Dickdarms  verschwand  nach  einigen  Tagen  uid 
war  nur  noch  ein  quatschendes  Geräusch  durch  die  Palpation  da  zu  e^ 
zeugen,  wo  vorher  die  festen  Massen  gefühlt  wurden.  Dabei  bestanden  aber 
die  Druckempfindlichkeit,  der  Tenesmus,  die  Schmerzen  am  After  nach  jeder 
Entleerung  fort  —  die  Entleerungen  wurden  wieder  dünner,  wilasriger  und 
enthielten  nur  in  geringerer  Menge  noch  zum  Theil  aufgelöste  Fäcalmassen, 
zum  Theil  kleine,  harte,  schwarze,  griesartige  Bröckelchen. 

Das  Ricinnsöl  wurde  jetzt  seltener  genommen,  nur  noch  jeden  2.  oder 
3.  Tag  —  dagegen  wurden  die  Rlystiere  mit  lauem  Wasser  und  zwar  in 
der  Knie-Ellenbogenlage,  zweimal  täglich,  fortgebrancht  und  nach  Entlee- 
rung dieser  Reinigungsklystiere  jedesmal ,  ein  Einlauf  von  Salepdecoct  ge- 
nommen. 

Die  Diät  bestand  ans  Milch  mit  Arrow-Root,  Schleimsuppen  ans  durch- 
getriebener Gerste,  HafergrützCi  Grünkernen,  Tapioca ;  für  den  Dnrst  nahm 
Patientin  Mandelmilch  und  kalten  schwarzen  Thee. 

Die  Erscheinungen  milderten  sich  in  Folge  dessen  innerhalb  etwa 
8  Tagen,  das  Fieber  liess  nach,  die  andanemden  Schmerzen  hörten  gaox 
auf  und  traten  nur  dann  imd  wann  in  einzelnen  KolikanfUlen  wieder  anf, 
die  Druckempfindlichkeit  des  Abdomen  war  geringer  —  die  Stnhlentlee- 
rungen,  welche  immer  noch  von  Tenesmus  b^leitet  waren,  erfolgten  sel- 
tener, 2 — 3  höchstens  4  mal  in  24  Stunden,  dieselben  waren  immer,  w^o 
auch  weniger  übelriechend,  meist  flüssig,  mit  Schleim,  selten  mit  Blot 
untermischt  —  das  Allgemeinbefinden,  ausser  dem  sehr  reducirten  Krifte- 
zustandy  war  leidlich,  der  Appetit  ganz  gut,  und  dem  Drängen  der  Patieotin 
nachgebend  liess  ich  sie  jetzt  Mittags  und  Abends  eine  kleine  Portion  ge- 
schabten ,  gebratenen  Fleisches  geniessen ,  das  ihr  anscheinend  ganz  wohl 
bekam  und  keine  Verdauungsbeschwerden  erzeugte,  so  dass  man  allmähhch 
wieder  zu  einer  reichlicheren  Nahrungsznfuhr  überging. 

Die  Sommermonate  brachte  nun  Patientin  bei  Verwandten,  die  in  Mittel- 
deutschland auf  dem  Lande  wohnten,  zn  und  befand  sich  daselbst  ihren 
Berichten  zu  Folge  ganz  wohl;  die  Allgemeinemährung  scheint  sich  in  der 
That  auch  im  Anfange  gehoben,  die  Stimmung  verbessert  zn  haben. 

Bei  ihrer  Rückkehr  stellte  sie  sich,  zwar  besser  aussehend  und  in 
besserer  Stimmung,  vor,  aber  die  alten  Verdanungsbeschwerden  hattmi  sieb, 
und  zwar  schon  seit  etwa  14  Tagen,  wie  Pat.  jetzt  eingestand  in  Folge 
von  Diätfehlem,  wieder  eingestellt,  nur  nicht  so  hochgradig,  als  sie  im 
Frühjahr  waren. 

Das  Drücken  im  Magen,  der  aufgetriebene  Leib,  die  Druckempfindlich« 
keit  des  Epigastriums,  die  unregelmässigen  Stuhlentleernngen,  bald  dunkel- 
braun, bald  grau,  mit  Schleim  untermischt,  von  sehr  üblem  Oernoh,  der 
Gehalt  an  unverdauten  Speiseresten,  Alles  war  wieder  da,  wie  früher;  dabei 
gibt  Patientin  an,  dass  sie  trotz  ihres  besseren  Aussehens  sich  doch  wieder 
in  der  letzteren  Zeit  schwächer  fühle. 

Die  Rückkehr  zu  ^er  besser  geregelten  Diät   hatte  wohl  auf  das 


TherapeuÜBche  Verwendung  der  Bauchspeicheldrüse.  575 

subjeetive  Befinden  einen  ganz  guten  Erfolg,  der  Stuhl  blieb  aber  immer 
ungeregelt  und  enthielt  stets  unverdaute  Speisereste;  dabei  wollte  der  £r- 
nibrongsznstand  sich  nicht  heben  und  Patientin  verfiel  in  den  nftchsten 
Wochen  wieder  in  ihre  hypochondrische,  weinerliche  Stimmung. 

Die  Hauptaufgabe  war  nun  wohl,  den  gesunkenen  Ernährungszustand 
durch  vermehrte  Nahrungszufuhr  zu  heben  und  dabei  Sorge  zu  tragen,  dass 
die  aufgenommene  Nahrung  auch  verdaut  werde.  Ich  liess  daher  Patientin 
wieder  zu  ihren  Mahlzeiten  Pankreas  nehmen,  das  ihr  schon  einmal  gute 
Dienste  gethan  hatte,  und  zwar  diesmal  nicht  die  frische  Drflse,  sondern 
das  kflnstliche  Präparat;  dabei  täglich  noch  Carlsbader  Salz  und  einen  Ein- 
lauf von  warmem  Wasser. 

Die  vorgeschriebene  Diät  war  der  in  dem  letzten  Fall  angefahrten 
analog,  und  wurde  dieselbe,  obgleich  sie  nicht  spärlich  war,  ganz  gut  er- 
tragen, so  dass  Patientin  bald  eine  Vergrösserung  ihrer  Rationen  verlangte. 

Die  Druckempfindlichkeit  der  Magengegend,  das  Aufgetriebensein  des 
Leibes,  die  Blähungen  Hessen  nach,  der  Stuhl,  durch  das  Carlsbader  Salz 
und  den  Einlauf  geregelt,  verlor  den  üblen  Geruch,  bekam  wieder  eine  mehr 
hellbraune  Färbung,  fast  weiche  Consistenz  und  enthielt  gleich  nach  den 
ersten  Tagen  keine  unverdauten  Speisereste  mehr,  selbst  dann  nicht,  als 
noch  einmal,  wegen  vermehrten  Appetits,  eine  nochmalige  Steigerung  der 
Diät  bewilligt  werden  musste. 

In  den  nächsten  Wochen  hob  sich  auch  der  Ernährungszustand  all- 
mählich, Aussehen  und  Stimmung  wurden  besser. 

Jetzt  fühlt  sich  Pat  ganz  wohl,  verdaut  ganz  gut,  ohne  Pankreas,  ist 
kräftig  und  wohlgenährt  und  kann  auch  wohl  einen  kleinen  Diätfehler  un- 
gestraft begehen. 

Nur  in  der  allerletzten  Zeit  erregte  ihr  der  Magen  wieder  Besorgniss, 
und  ich  will  den  Zwischenfall  hier  anilühren,  obwohl  er  ganz  ausser  Zu- 
sammenhang mit  der  Pankreasbehandlung  steht,  weil  er  zeigt,  wie  oft  an- 
scheinend ganz  geringfügige  Dinge  bei  Dyspepsien  Beachtung  verdienen. 

Im  December  1878  machten  sich  wieder  Schmerzen  im  Epigastrium 
und  den  Hypochondrien  bemerkbar,  der  Appetit  wurde  wieder  geringer, 
Patientin  fühlte  wieder  Druck  im  Magen  nach  jeder  Mahlzeit,  oft  auch  3 
und  selbst  4  Stunden  anhaltend,  litt  wieder  an  Aufstossen  von  Gasen.  — 
Der  Stuhl  war  von  normaler  Farbe  und  Consistenz,  enthielt  keine  unver^ 
danten  Speisereste  und  musste  nur  von  Zeit  zu  Zeit  durch  Carlsbader  Salz 
oder  Klystiere  geregelt  werden.  —  Das  Abdomen  nicht  aufgetrieben,  nicht 
druckempfindlich.  —  Eine  genauere  Untersuchung  des  Leibes  liess  eine 
Schnürfnrche  in  der  Haut  erkennen,  und  ich  machte  Patientin  darauf  auf- 
merksam, indem  ich  die  Beschwerden  darauf  zurückführte  und  energisch 
vor  zu  starkem  Schnüren  warnte;  Patientin  stellte  aber  ganz  entschieden 
in  Abrede,  dass  sie  dieses  Fehlers  sich  schuldig  gemacht  und  das  angelegte 
Corset  bestätigte  auch  die  Richtigkeit  ihrer  Angabe,  führte  aber  zugleich 
zur  Entdeckung  des  Fehlers.  —  Patientin  hatte  nämlich,  da  sie  den  Nach- 
theil des  Schnttrens  für  die  Verdauung  aus  Erfahrung  kannte,  um  dem 
Uebel  abzuhelfen  und  um  nicht  so  eingepanzert  zu  sein,  bona  fide  sämmt- 
liche  Fischbeine  aus  ihrem  Corset  entfernt,  mit  Ausnahme  der  Endschienen 
vornen  und  hinten ;  in  Folge  dessen  mussten  die  Röcke,  da  sie  nicht  mehr 
den  nöthigen  Halt  am  Corset  hatten,  fester  gebunden  werden  und  beding- 


576  XXXI.  Engbsber 

toD,  da  der  Druck  sich  nicht  mehr,  wie  bei  einem  normalen  Corset,  auf 
eine  breitere  Gflrtelfläcfae  vertheiite,  diese  Einschnflrang  mit  allen  ihren 
nachtheiligen  Folgen.  Ich  veranlasste  Patientin,  die  Fischbeine  wieder  ein- 
zuziehen und  das  Oorset,  ohne  es  anzuschnüren,  regehnässig  zu  tragen; 
nach  wenigen  Tagen  waren  alle  Beschwerden  wieder  verschwunden,  Appetit 
und  Verdauung  wieder  geregelt  und  die  Schnttrfnrche  hat  sich  wieder  voll- 
ständig verloren. 

Fall  XIII.  Herr  R.,  früher  in  St.-Loui8  in  Nordamerika,  hatte  1851 
einen  Gholeraanfall,  von  dem  er  sich  jedoch  ziemlich  rasch  erholte,  ohne 
dass  irgend  nachtheilige  Folgen  zurfickblieben.  —  Im  Jahre  1858  ftthlte 
er  zum  ersten  Male  Neigung  zu  Diarrhoe,  welche  sich  im  Winter  1858/59 
so  erheblich  steigerte,  dass  er  kaum  eine  Stunde  Ruhe  hatte.  Der  Arzt 
verordnete  ihm  Pillen  aus  Tannin  und  Opium  und  Klystiere  aus  Stftrke- 
kleister  mit  30  Tropfen  Laudanum  und  empfahl  ihm  einen  Aufenthalt  in 
seiner  Heimath  in  Deutschland.  Während  der  Ueberfahrt  hatte  er  viel 
durch  den  Darmkatarrh  zu  leiden,  den  er  nur  durch  strenge  Diät  und  die 
Einhaltung  der  erwähnten  Ordination  in  Schranken  halten  konnte.  Die 
altgewohnte  Lebensweise  in  der  Heimat  bekam  dem  Patienten  sehr  gut, 
ebenso  eine  Cur  in  Schwalbach  und  Ems ;  der  Dsrmkatarrh  Hess  nach,  Pat. 
wurde  wieder  kräftiger,  heiterer  und  obgleich  er  1861  von  einer  Darm- 
blutung befallen  wurde,  welche  jedoch  keine  grösseren  Dimensionen  an- 
nahm und  durch  Kaltwasserklystiere  mit  15  Tropfen  Liqu.  fern  sesqui- 
chlorati  gestillt  wurde,  erholte  er  sich  doch  ziemlich  rasch  wieder  so  weit, 
dass  er  eine  längere  Reise  in  die  Schweiz  unternehmen  und  in  selbem  Jahre 
noch  seine  Rttckreise  nach  Amerika  antreten  konnte;  der  Zustand  blieb 
hier  trotz   der  weniger   zuträglichen  Lebensweise  ein  ganz  befriedigender. 

Im  September  1868  hatte  Patient  in  St.-Louis  wieder  einen  ziemlich 
heftigen  Choleraanfall,  nach  welchem  er  sich  nicht  so  leicht  erholte,  wie 
nach  dem  ersten.  Die  Diarrhöen  dauerten  den  ganzen  Winter  Aber  fort, 
der  allgemeine  Ernährungszustand  ging  zurflck,  so  dass  Patient  1864  wieder 
nach  Deutschland  reiste,  um  sich  in  der  Heimath  zu  erholen.  Eine  Cur 
in  Carlsbad  bekam  ihm  nicht  gut,  dagegen  besserte  sich  der  Zustand  bei 
dem  zurückgezogenen  ruhigen  Familienleben,  unter  Einhaltung  einer  ge- 
regelten Diät.  Ein  zweiter  Gurbesnch  in  Carlsbad  bekam  noch  achlechter 
als  der  erste  und  auch  dieses  Mal  hatte  wieder  das  ruhige,  regelmässige 
Familienleben  den  besten  Erfolg. 

Im  März  1868  trat  Patient  in  vollständig  befriedigendem  Wohlbefinden, 
gut  genährt,  mit  gutem  Appetit,  wieder  die  Rückreise  nach  Amerika  an.  Bd 
den  heftigen  Stürmen  auf  dem  Meere  wurde  das  Schiff  schadhaft,  ein  Brach 
der  Schrauben  welle  nöthigte  es,  in  14  tägiger  stürmischer  Fahrt  unter  Segel 
mit  9'  Wasser  nach  England  zurückzukehren;  der  Dampfer  „Germania*,  aaf 
den  Patient  jetzt  kam,  hatte  ebenfalls  mit  schweren  Stürmen  zu  kämpfen, 
so  dass  die  Passagiere,  die  zum  grössten  Theile  seekrank  waren,  8  Tage 
in  der  Cajüte  eingeschlossen  waren,  weil  das  Schiff  fast  fortwährend  unter 
Wasser  war.  Diese  lange  Zeit  von  fast  4  Wochen  auf  der  See,  die  Auf- 
regung in  Folge  der  Ereignisse,  die  schlechte  Luft  in  der  von  Seekrankes 
erfüllten  Cajüte  und  dabei  stets  noch  die  Besorgniss  vor  Schiffbruch  brachten 
die  alten  Verdauungsstörungen  aufs  Neue  mit  grosser  Heftigkeit  zum  Aus- 


Therapeaiische  Verwendang  der  Bauchspeicheldrase.  577 

brach.  Kaum  wieder  einigermaassen  gebessert,  ging  Pat  gleich  wieder  mit 
aller  Energie  seinen  Qeschtften  nach  und  machte  im  heissen  Sommer  1868 
eme  sehr  unangenehme  Gesch&ftsreise,  wobei  er  sehr  schlechtes,  schwer 
verdanllches  Essen  bekam,  so  dass  er  sich  den  guten  Humor  nur  durch 
Cognac,  Grakers  und  Gigarren  aufrecht  erhielt,  dabei  aber  wieder  erheb- 
liche Rückschritte  in  seinem  Befinden  und  seiner  Ernährung  machte.  — 
Er  erholte  sich  ziemlich  rasch,  als  er  zu  Hause  wieder  in  geordnete  Lebens* 
Verhältnisse  kam  mit  guter,  geregelter  Kost  und  gutem  Wein  (Califomischem 
Burgunder).  Der  Zustand  hielt  sich  leidlich,  mit  wenigen  Unterbrechungen 
von  Verschlimmerung,  bis  Patient  im  Sommer  t870  als  Abgeordneter  nach 
Washington  berufen  wurde.  Die  angestrengte  aufreibende  Thätigkeit,  wäh- 
rend 3  Monaten,  die  mangelhafte  HotelkQche  riefen  das  alte  Uebel  wieder 
wach  und  die  wiederholte  Thätigkeit  als  Abgeordneten  von  1870  bis  Ende 
März  1871  brachten  den  Patienten  vollends  herunter,  Appetit  und  Ver- 
dauung lagen  ganz  darnieder,  der  Kräfte-  und  Ernährungszustand  wurde 
durch  die  fortwährend  sich  wiederholenden  Diarrhöen  äusserst  herabgesetzt, 
so  dass  sich  Patient  genOthigt  sah,  bleibend  nach  Deutschland  zurückzu- 
kehren. —  Ein  Aufenthalt  in  Wiesbaden  bekam  dem  Patienten  nicht  gut, 
er  versuchte  es  nun  an  mehreren  Orten;  seit  einigen  Jahren  wohnt  jetzt 
Patient  hier  m  Freiburg  und  besucht  jährlich  Ems,  wo  der  Gebrauch  des 
Wassers  stets  eine  gute  Wirkung  auf  seinen  chronischen  Darmkatarrh  hat. 

Ich  sah  Patient  zum  ersten  Male  im  August  1878,  wenige  Tage  vor 
seiner  Abreise  nach  Ems,  wohin  er  sich,  wie  alljährlich,  auf  6 — 8  Wochen 
zur  Gur  begeben  wollte.  Bisher  hatte  er  schon  Emser  Wasser  getrunken 
und  dasselbe  auch,  und  zwar  mit  gutem  Erfolg,  zu  Klystieren  verwendet ; 
gegen  die  Diarrhöen  nahm  er  abwecbslungsweise  Pillen  ans  Tannin  und 
Opium  und  Pillen  von  Extr.  Sem.  Strychni  1,0,  Opü  pnri  0,15,  Gatechu 
3,0  f.  pil.  No.  XXX,  S.  3—4  Stttck  täglich.  Längere  Zeit  hatte  Patient 
Pepsin  genommen,  und  zwar  theils  Pepsinessenz ,  theils  Pepsinpulver  in 
einem  Glas  Wasser  mit  5  Tropfen  Acid.  muriat.  dilut.  —  Einen  besonderen 
Erfolg,  ausser  dem  Nachlassen  eines  oft  einige  Stunden  nach  dem  Essen 
anhaltenden  lästigen  Magendrückens,  sowie  des  Aufstossens  übelriechender 
Gase  hatte  Patient  davon  nicht  bemerkt;  auch  Pankreaspräparat  hatte  er 
eine  Zeit  lang  genommen  und  glaubte  sich  davon  im  Leib  etwas  erleit^htert 
zu  fühlen,  doch  ist  darauf  nicht  viel  Gewicht  zu  legen,  da  Patient  angab, 
sehr  häufig  Pepsin  mit  Salzsäure  und  Pankreas  zugleich  genommen  zu  haben. 
In  letzter  Zeit  hatte  er  gar  keine  Hilfsmittel  für  die  Verdauung  mehr  ge- 
nommen. 

Patient  ist  äusserst  mager,  die  sichtbaren  Schleimhäute  blass,  die  Ge- 
sichtsfarbe fahl,  glanzlos ;  dabei  zeigt  er,  obwohl  er  leicht  ermüdet,  immer- 
hin noch  eine  gewisse  Energie  in  seinen  Bewegungen.  Epigastrium  und 
Abdomen  nicht  aufgetrieben,  keine  Druckempfindlichkeit,  bei  der  Palpation 
kann  man  tief  eindrücken,  ohne  irgend  einen  Tumor  oder  sonst  eine  harte 
Stelle  zu  finden.  Erbrechen  war  nie  vorhanden;  Stuhl  4 — 5  mal  täglich 
erfolgend,  war  wässrig,  darin  schwammen  einzelne  graue,  von  Schleim  über- 
zogene, äusserst  übelriechende  Bröckel;  zeitweise  hat  Patient  Kollern  im 
Leib  und  ab  und  zu  kolikartige  Schmerzen  quer  übers  Epigastrium,  welche  in 
der  Regel  einer  diarrhoischen  Stuhlentleernng  vorausgehen,  sowie  Tenesmus. 

DtntoohM  ArehlT  f.  klln.  Madlolii.   XXIV.  Bd.  37 


578  XXXI.  ENQB88ER 

Da  ich  den  PatieDten  zum  ersten  Maie  sab,  über  den  ganzen  Zustand 
mieh  noch  nicht  völlig  orientirt  hatte  und  er  im  Begriff  war,  seine  bisher 
stets  wohlthätig  wirkende  Cur  in  Gms  zu  beginnen,  beschränkte  ich  mich 
darauf,  ihm  die  bisher  befolgte  Ordination  und  eine  geregelte  Diät  zu  em- 
pfehlen. Bei  seiner  Rückkehr  von  £ms  fand  ich  den  Patienten  in  einer 
besseren,  weniger  niedergeschlagenen  Stimmung,  der  Appetit  war  sehr  gut, 
die  Stühle  waren  weniger  übelriechend,  oft  breiig,  häufig  braun  gdlrbt, 
die  kolikartigen  Schmerzen,  sowie  der  Tenesmus  hatten  ganz  aufgehM; 
Patient  fühlte  sich  auch  kräftiger  und  machte  täglich  Spaziergänge  oft  über 
eine  Stunde  Dauer.  Der  Zustand  relativ  guten  Wohlbefindens  hielt  bis 
Anfang  November  an ;  der  gute  Appetit  veranlasste  den  Patienten  dann  und 
wann  zu  kleineren  Ausschreitungen  über  die  vorgeschriebene  Diät,  die  an- 
fangs gar  keine  oder  ganz  unerhebliche  Beschwerden  machten,  ao  das« 
Patient  öfters  und  in  grösserem  Maasse  sich  an  Lieblingsgerichte  hielt,  die 
ihm  verboten  waren.  In  Folge  dessen  steigerten  sich  auch  wieder  die  Be- 
schwerden. Patient  fühlt  nach  jeder  Mahlzeit  mehrere  Stunden  anhaltend 
Drücken  in  der  Magengegend,  Unbehaglichkeit  und  Vollseui  im  Leibe,  kolik- 
artige Schmerzen  und  Tenesmus,  Vermehrung  der  diarrhoischen  Stuhlent- 
leerungeu  und,  obgleich  er  wieder  zu  der  strengen  Diät  zurückkehrte,  bes- 
serte sich  der  Zustand  nicht,  so  dass  Patient  innerhalb  14  Tagen  wieder 
bedeutend  in  seiner  Gesammtemährung  zurückkam. 

Die  Untersuchung  ergab:  Epigastrium  aufgetrieben,  ebenso  das  Abdo- 
men, beide  gegen  Druck  sehr  empfindlich.  Bei  der  Palpation  Lässt  sich 
das  Colon  transversum  als  ein  grosser,  voluminöser  Wulst  quer  über  dea 
unteren  Theil  des  Epigastrium  abgrenzen,  es  entsteht  darin  ein  gurrendes, 
quatschendes  Geräusch;  auch  die  Gegend  des  Cöcum  und  des  S  romanum 
zeigt  grössere  Resistenz,  doch  erscheinen  diese  nicht  in  so  hohem  Grade 
ausgedehnt,  wie  das  Colon  transversum.  —  Die  Stuhlentleerungen  erfolgen 
sehr  häufig,  6 — 8  mal  des  Tages,  dieselben  sind  zum  Theil  wässerig,  mit 
Schleim  untermischt,  zum  Theil  auch  dünnbreiig,  grau,  übelriechend  und 
enthalten  reichlich  unverdaute  Speisereste :  Fett,  Brod,  Fleischfasem  u.  dgl. ; 
Blut  wurde  nie  in  den  Stühlen  beobachtet. 

Ordination:  Klystiere  mit  Emser  Wasser,  gegen  die  profusen  Diar- 
rhöen 1 — 2  mal  täglich  1  Klystier  von  Stärke  mit  8  Tropfen  Laudannm; 
ferner  von  Zeit  zu  Zeit  die  obenerwähnten  Pillen ;  endlich  zu  jeder  Mahlzeit, 
je  nach  der  Grösse  derselben ,  1 — 3  Portionen,  des  Pankreaspräparates  in 
Oblaten  eingepackt.  Der  Zustand  besserte  sich  auch  binnen  kurzer  Zeit 
Die  Stühle  wurden  mehr  geformt  und  waren  nur  noch  selten  diarrhoisch, 
wenn  sich  Patient  eine  Erkältung  zugezogen  oder  eine  nnzweckmässige 
Speise  genossen  hatte  —  bisweilen  freilich  auch,  ohne  dass  eine  besondere 
Ursache  aufzufinden  war;  dieselben  waren  wieder  hellbraun  gefärbt,  nicht 
mehr  grau  und  enthielten  keine  unverdauten  Speisereste  mehr.  Patient  nahm 
die  Pillen  seltener.  Bei  Einhaltung  einer  kräftigen  leichtverdaulichen  Difit 
hob  sich  auch  wieder  die  allgemeine  Ernährung.  In  der  zweiten  Hälfte 
December  setzte  Pat.  mit  dem  Pankreas  wieder  aus.  Anfangs  war  kein 
Nachtheil  davon  zu  bemerken,  allein  allmählich  stellten  sieh  doch  wieder, 
wenn  auch  nur  ganz  leise  angedeutet,  Beschwerden  ein,  die  sich  tteeondera 
durch  Magendrücken'  nach  dem  Essen  und  Aufstossen  übelriechender  Gaae 
bemerkbar  machten,  auch  traten  dann  und  wann  wieder  kolikartige  Schmoieo 


Therapeutische  Yerwendung  der  fiaachspeicheldrüBe.  579 

im  Leibe  auf;  den  StohlentleeniDgen  hatte  er  während  dieser  Zeit  keine 
weitere  Anfmerksamkeit  zugewandt,  da  dieselben  ziemlich  auf  1 — 2  Ent- 
leerungen pro  Tag  beschränkt  blieben. 

Ans  eigenem  Antrieb  nahm  Patient  jetzt  wieder  Pepsin  mit  verdünnter 
Salzsäure. 

Die  Magenbeschwerden,  das  Drücken  und  Aufstossen  nach  dem  Essen 
liessen  darauf  auch  nach,  aber  im  Unterleib  nahmen  die  Beschwerden  eher 
zu.  Patient  musste  fast  täglich  wieder  Pillen  nehmen,  um  der  wiederer- 
wacbten  Diarrhoe  vorzubeugen;  er  fühlte  sich  stets  sehr  unbehaglich  voll 
im  Leib  und  vor  jeder  Stuhlentleerung  traten  mehr  oder  weniger  heftige 
kolikartige  Schmerzen  auf. 

Ich  sah  Patient  wieder  Ende  Januar:  sein  Ernährungszustand  hatte 
nicht  sichtlich  gelitten,  ausser  den  subjectiven  Beschwerden. waren  es  be* 
sonders  die  Stuhlentleerungen,  die  eine  mangelhafte  Verdauung  constatirten ; 
dieselben  waren  zwar  nicht  eigentlich  diarrhoisch,  sondern  meist  breiig, 
hellbraun  oder  grau  geHlrbt,  von  weniger  üblem  Geruch  als  früher  und  ent- 
hielten unverdaute  Speisereste. 

Ich  Hess  Patienten  das  gleiche  Regimen  und  die  gleiche  Diät  beibe- 
halten, dagegen  unter  Weglassung  des  Pepsins  mit  Salzsäure  wieder  zum 
Pankreas  greifen,  und  zwar  jetzt  zu  dem  neuen  pulverförmigen  Präparate, 
das  er  auch  ganz  ohne  Widerwillen  nahm.  —  Der  Erfolg  war  wieder  der 
gleiche  wie  früher.  —  Die  Verdauungsbeschwerden  Hessen  nach ;  die  Stühle 
waren  wieder  vollständig  verdaut  und  Patient  befindet  sich  seither  insoweit 
wohl,  dass  er  unter  Beobachtung  der  gegebenen  Vorschriften  sich  vollständig 
gut  ernährt  und  nur  zeitweise,  durch  ganz  geringfügige  Veranlassung  bedingt, 
von  Diarrhöen  befallen  wird. 

Eine  vollständige  Heilung,  mit  Wiedererlangung  der  normalen  Secre- 
tionsfähigkeit  der  Verdauungsdrüsen,  ist  freilich  bis  jetzt  bei  dem  Patienten 
nicht  erzielt  worden  und  dürfte  wohl  auch  bei  der  langen  Dauer  des  Lei- 
dens, das  offenbar  zu  secundären  Veränderungen  in  den  Verdauungsorganen 
(Erweiterung  des  Darmkanals,  Atrophie  der  Muscularis  mit  mangelhafter 
Peristaltik,  Degeneration  der  Verdauungsdrüsen)  geführt  hat;  nicht  leicht 
zu  erwarten  sein;  Patient  ist  daher  fortan  auf  die  Einführung  künstlicher 
Verdauungsmittel  und  auf  die  zeitweise  Reinigung  des  Dickdarms  durch 
Klystiere  mit  Emser  Wasser  angewiesen,  welche  ihm  immer  sehr  gut  be- 
kommen und  ihn  vor  profusen  und  erschöpfenden  Diarrhöen  schützen. 

Im  folgenden  Falle  trat  die  Dyspepsie  auf  im  directen  Anscbluss 
an  einen  grösseren,  durch  Darmblutung  bedingten  Blutverlust,  nach- 
dem längere  Zeit  vorher  schon  der  Haushalt  des  Organismus  in  Folge 
geistiger  Ueberanstrengung  gestört  war. 

Fall  XIV.  Herr  N.,  42  Jahre  alt,  Hämorrhoidarius,  schon  längere 
Zeit  mit  einem  ziemlich  hochgradigen  Emphysem  behaftet,  häufig  von  asth- 
matischen Anfällen  heimgesucht.  Herz  von  emphysematöser  Lunge  über- 
lagert. Energie  der  Herzthätigkeit  abgeschwächt,  Circulation  etwas  ver- 
langsamt. 

Im  Winter  1877/78  war  Patient  durch  Ueberhäufung  mit  Geschäften 
geistig  sehr  angestrengt,  so  dass  er  sich  besonders  gegen  Ende  des  Winters 

37* 


580  XXXI.  ENaESSER 

sehr  erschöpft  fflblte  und  durch  Denken  und  Sprechen  viel  mehr  ermfldet 
wurde  als  früher. 

Am  16.  März  1878  hatte  Patient,  nachdem  er  über  eine  Stunde  an- 
haltend gesprochen,  einen  ohnmachtähnlichen  Anfall ;  es  wurde  ihm  schwarz 
vor  den  Augen,  Seh  weiss  brach  über  den  ganzen  Körper  aus;  er  fühlte 
eine  unangenehme  Eingenommenheit  des  Kopfes,  das  Bewusstsein  blieb  dabei 
klar  und  nach  wenigen  Minuten  war  der  Anfall  vorüber,  so  daas  Patient 
den  ziemlich  weiten  Weg  nach  Hause  ohne  Begleitung  zurücklegte.  Die 
Anfälle  wiederholten  sich  in  den  folgenden  Tagen  öfters,  jedoch  nicht  in 
so  hohem  Grade,  wie  das  erste  Mal ;  Patient  machte  täglicdi  noch  seine  ge- 
wohnten Spaziergänge,  wobei  er  jedoch  sehr  leicht  ermüdete  und  dieselben 
auf  kürzere  Zeit  und  nur  auf  den  ebenen  Weg  beschränken  musste.  Auf- 
fallend war  dßm  Patienten,  dass  seit  dem  ersten  Ohnmachtanfall  die  Hft- 
morrhoidalbeschwerden  (Jucken  am  After)  vollständig  aufgehört  hatten. 

Ich  sah  Patienten  am  19.  März;  er  fühlte  sich  sehr  schwach,  schwitzte 
leicht,  bei  jeder  Bewegung  hat  er  Ohnmachtgeftlhl;  Aussehen  sehr  anämisch; 
die  Haut  fühlte  sich  kühl  an;  Puls  56  pro  Minute,  klein,  leicht  compri- 
mirbar;  Spitzenstoss  nicht  zu  fühlen;  Herztöne  sehr  schwach. 

Der  durch  Garlsbader  Salz  erzielte  Stuhl  war  theerartig  schwarz,  sdir 
übelriechend,  mit  harten  Bröckein  untermischt^  in  denen  bei  Zerdrücken 
unverdaute  Speisereste  sich  fanden.     Urin  ziemlich  reichlich,  hell. 

Patient  wurde  zur  Einhaltung  der  Bettruhe  mit  möglichst  wenig  Be- 
wegung angewiesen,  als  Diät  nur  flüssige  Nahrung  (Milch,  Fleischbrühe) 
gestattet,  Wassernmschläge  auf  den  Leib  gemacht  und  der  stets  angehaltene 
Stuhl  durch  Klystiere  geregelt.  —  Die  Stühle  waren  in  den  nächsten  Tagen 
bald  mehr,  bald  weniger  schwarz  gefärbt  und  enthielten  neben  langen 
Schl^mfäden  theerartige  dickflüssige  Massen.  Erst  vom  26.  März  an  verlor 
sich  die  schwarze  Färbung,  die  Entleerungen  wurden  mehr  gleichmässig 
breiig,  enthielten  nur  selten  mehr  harte  Bröckel,  waren  hellgelb  oder  grau 
und  zeigten  auf  der  Oberfläche  der  flüssigen  Bestandtheile  eine  glänzende 
Fettschicht. 

Der  Kräftezustand  des  Patienten  war  dabei  immer  noch  ein  sehr  ge- 
ringer, der  Puls  war  klein,  dünn,  wechselnd  in  der  Frequenz,  in  der  Rübe 
selten  mehr  als  64  pro  Minute. 

Beim  Versuch,  sich  im  Bette  aufzusetzen,  trat  stets  Ohnmachtgefühl 
und  Herzklopfen  ein ;  jede  geistige  Thätigkeit  ermüdete  den  Patienten  ausser- 
ordentlich. Zur  Hebung  der  Kräfte  und  der  Gesammternährung  wurde  ein 
vorsichtiger  Versuch  einer  gesteigerten  Nahmngszufuhr ,  besonders  durch 
die  Beifügung  fester  Speisen  (Beefsteak)  gemacht,  die  anfange  scheinbar 
auch  ganz  gut  ertragen  wurden,  so  dass  ich  mich  nicht  scheute,  vom 
26.  März  an  dem  Appetit  des  Patienten  noch  weitere  Zugeständnisse  zu 
machen. 

Alsbald  stellten  sich  aber,  trotz  der  vorsichtigen  Auswahl  der  Diät, 
wieder  Verdauungsbeschwerden  ein,  die  sich  im  Anfang  durch  Unbehaglich- 
keit  nach  dem  Essen,  fliegende  Hitze,  Herzklopfen,  späterhin  durch  Kolik- 
schmerzen, Aufgetriebensein  des  Leibes,  Blähungen,  fauligen  Geruch  au 
dem  Munde  äusserten.  Die  Stühle,  welche  zum  Theil  durch  Garisbader 
Salz,  zum  Theil  durch  Klystiere  erzielt  wurden,  waren  sehr  übelrieehend, 
meist  grau  und  enthielten  reichlich  Fett  und  unverdaute  Fleisdibeatandtheiie. 


Therapeutische  Yerwendang  der  Baachspeicheldrflse.  581 

Ich  Hess  nan,  ohne  in  der  Diftt  etwas  zu  ändern,  bei  jeder  Mahlzeit ,  je 
nach  der  Grösse  derselben,  1  —  3  Portionen  von  dem  Pankreaspräparat 
nehmen.  Schon  beim  ersten  Male  Hessen  die  subjectiven  Beschwerden  nach ; 
ausser  einer  gewissen  Müdigkeit  nach  dem  Essen  fühlte  sich  Patient  be- 
haglich; die  Anfgetriebenheit  des  Unterleibs  blieb  aus,  ebenso  die  Kolik- 
schmerzen ;  in  den  ersten  Tagen  waren  noch  unverdaute  Speisereste  in  den 
Stühlen  nachweisbar,  die  sich  aber  in  kurzer  Zeit  ganz  verloren ;  auch  die 
Schleimftden  wurden  spärlicher. 

Von  da  an  hob  sich  auch  die  allgemeine  Ernährung;  rasch  vorüber- 
gehende  und  meist  nur  schwach  angedeutete  Ohnmachtanfklle  traten  nur 
noch  selten  auf,  besonders  dann,  wenn  Patient  zwischen  zwei  Mahlzeiten 
eine  zu  grosse  Pause  machte;  zeitweise  trat  wohl  auch  noch  Druck  und 
Vollsein  im  Leib,  verbunden  mit  Herzklopfen  auf,  wenn  Patient  versuchs- 
weise bei  einer  Mahlzeit  das  Pankreas  weggelassen  hatte;  geistige  Be- 
schäftigung, selbst  das  Lesen  der  Zeitung  oder  einfaches  Nachdenken  über 
gleichgültige  Dinge,  längere  Unterhaltung  mit  besuchenden  CoUegen  er- 
müdeten den  Patienten  noch  sehr,  doch  besserte  sich  der  Zustand  von  Tag 
zu  Tag;  der  Puls  wurde  kräftiger,  bald  konnte  Patient  einen  Theii  des 
Tages  ausser  Bett  zubringen,  selbst  einige  Schritte  durchs  Zimmer  machen 
und  unternahm  am  13.  April  seine  erste  Ausfahrt,  die  zwar  etwas  Schwindel 
verursachte,  ihn  aber  doch  nicht  abhielt,  dieselbe  nach  einigen  Tagen  und 
von  da  an,  da  sie  jetzt  gut  ertragen  wurde,  täglich  zu  wiederholen. 

Patient  fühlte  sich  im  Ganzen  behaglich  und  wenn  auch  noch  ziemlich 
schwach,  so  war  doch  deutlich  eine  stetig  fortschreitende  Kräftigung  zu 
bemerken. 

Ende  April  war  er  im  Stande,  kleinere  Spaziergänge,  die  er  allmählich 
auf  V2  ^^^  später  selbst  auf  1  Stunde  ausdehnte,  zu  machen ;  mit  Vorrücken 
der  Jahreszeit  brachte  er  fast  den  ganzen  Tag  im  Walde  zu. 

Der  fortwährende  Genuss  der  frischen  Luft,  neben  der  kräftigenden 
Diät  und  die  Enthaltung  von  den  Berufsgeschäften  trugen  wesentlich  zur 
Besserung  bei;  die  Verdauung  war  mit  Hilfe  des  Pankreas  vollständig  in 
Ordnung,  die  Stühle  enthielten  keine  unverdauten  Speisereste  mehr,  doch 
konnte  Patient  das  Mittel  noch  nicht  entbehren,  ohne  dass  sich  wieder 
leichtere  Störungen  einstellten. 

Ein  längerer  Aufenthalt  im  Schwarzwald  (Steinabad)  unterstützte  we- 
sentlich die  Genesung,  so  dass  Patient  im  Winter  1878/79  wieder  seine 
volle  Berufsthätigkeit  aufnehmen  konnte  und  jetzt  selbst  im  Stande  ist, 
ziemlich  grosse  Fusstouren  zu  unternehmen.  Der  Nachhilfe  des  Pankreas- 
präparates  bedarf  er  zur  Verdauung  nicht  mehr. 

Dieses  das  mir  zur  Verfügung  stehende  Beobachtungsmaterial 
über  die  therapeutische  Ver^rendbarkeit  und  die  Wirkung  des  Pan- 
kreaspräparates. 

Auf  eine  nähere  Analyse  der  einzelnen  Fälle  einzugehen,  würde 
zu  weit  führen  und  auch  der  hier  gestellten  Aufgabe  nicht  entspre- 
chen; sie  liefern  alle  den  Beweis  von  der  hohen  Bedeutung  des 
Pankreas  für  die  Verdauung  und  von  der  Möglichkeit,  mit  vollem 
Erfolge   dieses  nach   eben  erwähnten  Gesichtspunkten  dargestellte 


582     XXXI.  Engbsseb,  Therapeutische  Verwendung  der  Bauchspeicheldrüse. 

Präparat  als  Ergatz  fQr  die  mangelhaft  secemirten  VerdauaugssäftCi 
und  zwar  zugleich  mit  Speisen  per  ob  dargereicht,  verwenden  zu 
können,  während  jenen  Präparaten,  bei  deren  Darstellung  die  Isoli- 
rung  der  Fermente  angestrebt  und  auch  erreicht  wurde,  nur  die  be- 
schränkte Verwendung  in  Klystieren  zukommt,  da  sie  durch  das 
Pepsin  des  Magens  wirkungslos  werden,  wie  sieh  aus  meinen  damit 
angestellten  Versuchen  ergab  und  auch  a  priori  angenommen  werden 
konnte,  nachdem  schon  früher  die  Versuche  Eühne's  nachgewiesen 
haben,  dass  das  isolirte  Pankreasferment  (das  Trypsin)  seine  Wirk- 
samkeit in  der  Magenverdauung  einbüsse. 

Eine  besondere  Aufmerksamkeit  —  und  zwar  in  Bezug  auf  die 
Bedeutung  des  Pankreas  gegenüber  der  des  Pepsins  ffir  die  Ver- 
dauung —  dürfte  wohl  Fall  XIII  verdienen. 

Es  handelte  sich  hier  um  hochgradige  Verdauungsstörungen,  welche 
sich  einerseits  in  Beschwerden  äusserten,  die  vom  Magen  ausgingen, 
andererseits  in  solchen,  welche  im  Darmtractus  ihren  Sitz  hatten; 
dabei  enthielten  die  Stühle  reichlich  unverdaute  Speisereste  und  der 
allgemeine  Ernährungszustand  war  ein  sehr  herabgestimmter.  —  Auf 
den  Gebrauch  des  Pepsins  mit  Salzsäure  schwanden  die  Erscheinun- 
gen seitens  des  Magens,  ein  Zeichen,  dass  ein  wirksunes  Präparat 
verwendet  worden  war;  ob  dabei  mehr  der  Pepsin,  oder  die  Salz- 
säure den  Ausschlag  gab,  will  ich  hier  dahingestellt  sein  lassen ;  da- 
gegen trat  in  den  Störungen  der  Darmverdauung  keine  Besserung  ein 
—  die  subjectiven  Beschwerden,  die  Kolikschmerzen  dauerten  fort, 
die  Stühle  enthielten  immer  noch  unverdaute  Speisereste  und  die  Er- 
nährung hob  sich  nicht.  Sobald  nun  aber  Patient  unter  Weglassung 
des  Pepsins  und  der  Salzsäure  wieder  zum  Pankreas  griff,  kam  die 
ganze  Verdauung  wieder  in  geregeltere  Bahnen  —  die  unverdauten 
Speisereste  in  den  Stühlen  verschwanden,  die  Beschwerden  im  Leib 
Hessen  nach,  auch  die  Beschwerden  seitens  des  Magens  blieben  aus, 
der  Emährungs-  und  Eräftezustand  besserte  sich  und  hielt  sich  wäh- 
rend einer  Beobachtungszeit  von  nahezu  einem  Jahre  auf  gleicher  Höhe. 

Dieser  Fall,  an  den  sich  auch  Fall  I  anreihen  lässt,  legt  die 
Frage  nahe,  ob  man  im  Allgemeinen  der  Magenverdauung  nicht  ein- 
seitig einen  zu  hohen  Werth  für  den  Stoffwechsel  beilege  ?  Ob  der- 
selben nicht  weit  mehr  eine  blos  vorbereitende  Wirkung  zukomme 
und  die  auch  an  Zeit  die  Magenverdauung  überwiegenden  Proeesse 
im  Darmtractus  unter  vorherrschender  Einwirkung  des  Pankreas  den 
wesentlichsten  Theil  in  der  Gesammtverdauung  ausmaehten? 

Frei  bürg  i.  B.,  im  März  1879. 


xxxn, 

Beiträge  zur  klinischen  Beurtheilung  von  Exsudaten  und 

Transsudaten« 

Von 

Dr.  Adolf  Beuss, 

AsaiiteoBAnt  der  medicinischen  Klinik  In  Tttbingren. 

Während  in  früheren  Decennien  die  chemische  Analyse  der  Ex- 
sadate  und  Transsudate  sehr  gepflegt  wurde,  ist  sie,  wenigstens  der 
Literatur  nach  zu  urtheilen,  in  den  letzten  Jahren  mehr  in  den  Hin- 
tergrund getreten.  Es  ist  das  um  so  auffallenderi  als  ohne  Zweifel 
die  Paracentese  von  Exsudaten  und  Transsudaten  jetzt  häufiger,  als 
früher  vorgenommen  wird  und  allmählich  schon  anfängt,  auch  ausser- 
halb der  Krankenhäuser  und  Kliniken  ihren  Platz  in  der  ärztlichen 
Praxis  einzunehmen. 

Dass  bei  einem  solchen  therapeutischen  Vorgehen  die  Haupt- 
aufmerksamkeit auf  die  Veränderungen  des  Allgemeinbefindens  des 
Patienten  und  die  objectiv  an  ihm  wahrzunehmenden  Symptome  ge- 
richtet ist,  liegt  in  der  Natur  der  Sache;  vielleicht  aber  sollte  neben 
den  makroskopischen  und  mikroskopischen  Eigenthttmlichkeiten  der 
herausgenommenen  Flüssigkeit  auch  das  chemische  Verhalten  der- 
selben etwas  mehr  berücksichtigt  werden,  als  es  gewöhnlich  zu  ge- 
schehen pflegt.  Denn  gewiss  ist  nicht  nur  in  Bezug  auf  die  Krank- 
heitsprocesse  selbst  noch  mancher  Aufschluss  davon  zu  erwarten; 
sondern  es  können  auch  in  dem  speciellen  Fall  aus  den  quantita- 
tiven Verhältnissen  der  einzelnen  Stoffe  Anhaltspunkte  gewonnen 
werden  zur  Beurtheilung  des  Ernährungszustandes  des  Kranken  und 
des  wahrscheinlichen  Ablaufs  seiner  Erkrankung. 

In  der  vorliegenden  Arbeit  habe  ich  versucht,  einige  dieser  An- 
haltspunkte fflr  die  Diagnose  und  die  Prognose,  welche  aus  der  che- 
mischen Beschaffenheit  der  Exsudate  und  Transsudate  und  namentlich 
aus  deren  Gehalt  an  Eiweiss  entnommen  werden  können,  eingehen- 
der zu  erörtern.  Die  Veranlassung  dazu  gab  der  Umstand,  dass  Prof. 
Liebermeister,  mein  hochverehrter  Lehrer ,  während  meines 


584  XXXII.  Rbubs 

Assistentenjahres  an  der  medicinischen  Klinik  za  Tübingen  durch 
mich  verschiedene  Eiweissbestimmungen  in  solchen  Flüssigkeiten  0 
ausfuhren  liess,  die  dann  in  dem  angedeuteten  Sinne  klinisch  ver- 
werthet  wurden.  Solche  Eiweissbestimmungen  habe  ich  dann  im 
Sommer  1878  in  München  bei  dem  reichen  Material  und  in  dem 
prächtigen  neuen  klinischen  Institut  von  Prof.  v.  Ziemssen  fort- 
gesetzt. Es  sind  keine  vollständigen  chemischen  Analysen  der  Flfls- 
sigkeiten;  dazu  hätte  mir  bei  meinen  sonstigen  Pflichten  die  Zeit 
gefehlt.  Aber  um  wenigstens  die  hier  in  Frage  kommenden  gröberen 
Differenzen  zu  erkennen,  genflgt  die  Bestimmung  des  wichtigsten 
Stoffs  in  dem  Exsudat  oder  Transsudat:  des  Albumins.  —  Ausserdem 
habe  ich  alle  gut  untersuchten  Fälle  von  den  vierziger  Jahren  an 
bis  jetzt,  soweit  ich  sie  in  der  Literatur  zu  finden  wusste,  fdr  meine 
Schlussfolgerungen  zu  verwerthen  gesucht. 

Bei  meinen  Untersuchungen  habe  ich  das  specifische  Gewicht 
meist  mit  dem  Pyknometer  durch  Wägung  bestimmt,  natürlich  unter 
Berücksichtigung  der  Temperatur.  Das  Eiweiss  habe  ich  meist  durch 
Siedhitze  (und  Ansäuern)  ausgefällt,  hie  und  da  mit  Zusatz  von 
Glaubersalzlösung,  dann  mit  heissem  Wasser  und  Aetheralkohol  aus- 
gewaschen. Daneben  habe  ich  oft  eine  ControUbestimmung  durch 
Einträufeln  einer  bestimmten  Flüssigkeitsmenge  in  90  bis  95  pro- 
centigen  Alkohol  und  Abfiltriren  nach  1  bis  2  Tagen  ausgeführt. 
M  6  h  u '  s  Reagens  aus  Garbolsäure,  Eisessig  und  Alkohol  (angegeben 
in  Archiv,  gön.  de  MMec.  März  1869)  habe  ich  auch  in  einigen  Fällen 
probirt,  aber  wieder  aufgegeben.  Es  bildeten  sich  zwar  schöne,  leicht 
filtrirbare  Flocken,  aber  beim  Auswaschen  quollen  diese  zu  einer 
dicken  Gallerte  auf,  die  theils  durchs  Filter  ging,  theils  dieses  so  ver- 
stopfte, dass  ein  weiteres  Auswaschen  unmöglich  wurde.  Uebrigens 
scheint  Möhu  dieses  Verfahren  selbst  wieder  aufgegeben . zu  haben; 
denn  in  den  grossen  Untersuchungsreihen  vom  Juni  1872  und  vom 
Februar  1875  (Arch.  gön.)  bestimmt  er  die  organischen  und  die  un- 
organischen Bestandtheile  mit  der  Verbrennungsmethode.  Ebenso 
verfährt  C.  Schmidt  bei  seinen  Analysen  („  Charakteristik  der  epi- 
demischen Cholera  etc.),  der  übrigens  das  specifische  Gewicht  pykno- 
metrisch,  nicht  wie  Möhu  aräometrisch  bestimmt  Die  übrigen  von 
mir  benutzten  Eiweissbestimmungen  von  Hoppe-Seyler,  Scherer 
u.  A.  sind  mit  oder  ohne  Modificationen  nach  der  Methode  ausgeführt, 
welche  in  Hoppe' s  Handbuch  der  physiol.  und  pathol.-chemischen 
Analyse  (3.  Aufl.  S.  312)  beschrieben  ist. 

1)  Das  specifiBche  Gewicht  wird  in  der  TQbinger  Klinik  ohnebin  schon  immer 
bestimmt  und  in  der  Krankengeschichte  noUrt. 


Zar  klinischen  BeurthefloBg  tob  Exsudaten  und  Transsudaten.         585 

Die  80  erhaltenen  Tabellen  zeigen  nun  auf  den  ersten  Blick 
grosse  Unterschiede  in  den  Zahlen,  und  zwar  nicht  so  sehr  grosse 
unter  Flflssigkeiten  aus  yerschiedenen  Cayitftten  und  Localitftten  des 
Körpers,  als  vielmehr  unter  solchen,  welche  aus  derselben  Höhle 
stammen. 

Ordnen  wir  diese  Analysen  der  Grösse  ihres  Albumingehalts 
nach,  so  sehen  wir  bei  fast  allen  Flüssigkeiten  2  Gruppen  hervor- 
treten^ oft  mit  Uebergängen,  oft  mehr  oder  weniger  scharf  gesondert, 
welche  wir  aber  im  Blick  auf  die  Diagnosen  als  Analoga  der  klini- 
schen Kategorien  der  entzündlichen  und  der  nichtentzündlichen  Flfls- 
sigkeiten, der  Exsudate  und  der  Transsudate  erkennen.  Gon- 
stante  qualitative  Differenzen  lassen  sich  keineswegs  auffinden,  denn 
auch  das  Fibrin,  welches  früher  den  Transsudaten  abgesprochen 
wurde,  kann  sich  in  diesen  finden  oder  bilden,  wenn  auch  meist  in 
geringerer  Menge.  Umgekehrt  aber  fehlt  das  Fibrin  vollständig  in 
eitrigen  Flüssigkeiten,  sogar  wenn  es  vorher  in  dem  noch  serösen 
Exsudat  vorhanden  gewesen  war. 

Im  Folgenden  stelle  ich  diejenigen  Flüssigkeiten  zusammen, 
welche  der  gleichen  Localitftt  des  Körpers  entnommen  sind  und  be- 
handle in  4  Abschnitten  die  Flüssigkeiten  aus  den  verschiedenen 
serösen  Höhlen  und  aus  dem  Unterhautzellgewebe^  indem  ich  einer- 
seits das  Verhältniss  jener  beiden  Gruppen  zu  einander,  unter  Be- 
rücksichtigung der  etwa  vorkommenden  Uebergangsformen  bespreche, 
andererseits  dabei  untersuche,  in  welchem  Umfang  andere  Einflüsse 
auf  die  Zusammensetzung  dieser  Flüssigkeiten  einwirken  können. 

/.    FlüssUjkeüen  aus  der  Pleurahöhle. 

1.  Exsudate.  Meine  eigenen  Untersuchungen  erstrecken  sich 
auf  7  Flüssigkeiten  aus  der  Pleurahöhle;  eine  davon  (Eig.  Unters. 
Nr.  16  und  17),  eine  sehr  stark  hämorrhagische,  wurde  nochmals 
untersucht,  nachdem  die  rothen  Blutzellen  sich  grösstentheils  gesenkt 
hatten,  wobei  jedoch  immer  noch  die  Flüssigkeit  intensiv  geröthet 
sich  zeigte.  Eine  Fibringerinnung  in  gröberen  Flocken  oder  Klumpen 
war  darin  nicht  zu  beobachten. 

Die  übrigen  Exsudate  waren  sero- fibrinös,  eines  (Eig.  Unters. 
Nr.  3.    Henne,  Tab.  II.  a  Nr.  9)  serös  eitrig. 

Von  Möhu  liegen  135  Analysen  vor,  von  anderen  Chemikern  9 
mehr  oder  weniger  vollständig  untersuchte  Fälle. 

Aus  diesem  zahlreichen  Material  nun  lassen  sich  für  die  che- 
mische Gharakterisirung  der  Exsudate  folgende  Schlüsse  ziehen: 


586 


xxxn.  reuss 


a.  Die  serös-fibrinösen  Exsudate  in  der  Pleura  zeichnen 
sieb  aus  durcb  einen  grossen  Gebalt  an  festen  Stoffen  und  nament- 
lich an  Eiweiss.  Der  Gehalt  derselben  kann  sich  dem  des  Blut- 
serums nähern,  ohne  jedoch  ihn  zu  erreichen.  Das  Bfinimum  der 
Fixa  sinkt  nicht  unter  50  pro  mille,  das  des  Albumins  fast  nie  unter 
45  pro  mille.  Nur  in  2  Fällen  unter  107  war  die  Menge  des  Ei- 
weisses  geringer;  in  dem  einen  handelte  es  sich  um  eine  Flüssigkeit, 
die  bei  einem  74  jährigen  Mann  kurz  vor  dem  Tode  durch  Paracen- 
tese  entleert  worden  war;  in  dem  andern  war  die  Flflssigkeit  der 
Leiche  entnommen  worden,  nachdem  im  Leben  2  Punktionen  vor- 
ausgegangen waren. 

Im  Folgenden  gebe  ich  eine  Zusammenstellung  der  Mittelzahlen, 
sowie  der  Maxima  und  der  Minima.  Die  vollständige  Zusammen- 
stellung der  Fälle  findet  sich  in  den  Tabellen  am  Ende  der  Arbeit 

Tabelle  I.    Serös-fibrmöse  Exsudate  in  der  Pleura. 
107  Flüssigkeiten  von  82  Kranken,  von  welchen  3  starben. 


Fixa 

Organische  Stoffe 
Albumin     .    .    . 
ExtracÜTstoffe 
Salze      .... 
Fibrin     .... 


Mittel 

Maxlmom 

Minlnam 

i 

AasAhl 
der  FUle 

63,22 

79,40 

50,86 

102 

54,93 

71,33 

42,49 

98 

52,02 

66,28 

39,60 

13 

4,27 

— 

— 

5 

8,25 

— 

— 

98 

0,38 

1,581 

0,00 

95 

•  

b.  Bei  den  rein  eitrigen  Exsudaten  der  Pleura  kommen 
grössere  Differenzen  der  Maxima  und  der  Minima  vor.  Wenn  wir 
aber  die  Fälle  besonders  betrachten,  bei  welchen  die  Kranken  ge- 
nesen sind,  so  finden  wir,  dass  bei  diesen  das  Minimum  nicht  unter 
die  vorhin  angegebene  Grenze  sinkt  und  dass  das  Mittel  Aber  dem 
der  serös-fibrinösen  Exsudate  bleibt. 

Tabelle  IIa.    Eitrige  Exsudate  in  der  Pleura  mit  günstigem  Verlauf. 

8  Flüssigkeiten  ?on  6  Kranken. 


Mittel 

Maximnm 

98,63 
90,43 

Minimam 

60,94 
53,24 

AoMhl 
der  FUle 

8 

» 

Fixa 

Organische  Stoffe 
Salze      .... 

71,98 

63,92 

8,06 

Dagegen  treffen  wir  viel  bedeutendere  Schwankungen  bei  den- 
jenigen purulenten  Pleuritiden,  welche  einen  baldigen  angttnstigen 
Ausgang  nahmen.    Das  Maximum  ist  viel  höher,  als  bei  den  seno- 


Zur  klinischen  Beurthellang  von  Exsudaten  und  Transsudaten.         587 

fibrinösen  Exsudaten,  das  Minimum  viel  niedriger;  ja  in  einzelnen 
Fällen  ist  ihr  Gehalt  so  gering,  dass  sie  in  dieser  Beziehung  ganz 
den  Transsudaten  gleichen. 

Tabelle  üb.    Eitrige  Exsudate  in  der  Pleura  mit  ungünstigem  Ausgang. 

33  Flüssigkeiten  von  12  Kranken. 


MitUl 

Maxlmmn 

IflwiaMim 

Annhl 
d«r  FKU« 

Fixa 

Organische  Stoffe 
Salze      .... 

70,35 

61,94 

8,42 

95,30 
87,00 

36,85 
26,95 

33 

n 
n 

c.  Endlich  ist  hier  noch  eine  Flüssigkeit  anzuführen  von  jau- 
chigem Charakter,  eine  Pleuritis  bei  Puerperalfieber,  welche  bei 
niedrigem  Eiweissgehalt  eine  sehr  beträchtliche  Menge  von  Extrac- 
tivstoffen  aufgelöst  enthielt. 

Der  Hauptunterschied  des  eitrigen  Exsudats  vom  serös-fibrinösen 
beruht  also  auf  dem  Mangel  an  Fibrinbildung  und  auf  der 
relativ  höheren  durchschnittlichen  Menge  der  organi- 
schen Stoffe. 

Ebenso  sehen  wir  in  den  2  Fällen,  wo  das  Exsudat  bei  den 
ersten  Punktionen  serös  war,  dann  eitrig  wurde,  mit  dem  Eintreten 
dieses  Zeitpunktes  die  Menge  der  organischen  Stoffe  stark  zunehmen. 

Wir  können  dies  vielleicht  damit  erklären,  dass  durch  den  stär- 
keren Entzündungsreiz  bei  einem  eitrigen  Exsudat  eine  tiefere  Be- 
einträchtigung des  Gewebes  mit  seinen  Gapillaren  gesetzt  wird,  als 
durch  den  schwächeren  Reiz,  der  nur  zu  einem  serösen  Exsudat  führt. 
In  noch  höherem  Grad  ist  dies  bei  jauchigen  Exsudaten  der  Fall. 
Es  lässt  sich  demnach  wohl  der  Satz  aufstellen ,  dass  im  Allgemeinen 
mit  der  Intensität  der  Entzündung  die  Menge  der  organischen  Stoffe 
in  einem  Exsudat  zunimmt. 

2.  Transsudate.  Unter  den  von  mir  untersuchten  Flüssig- 
keiten aus  der  Pleurahöhle  finden  sich  keine  Transsudate.  Dagegen 
liegt  zunächst  eine  Reihe  von  Fällen  vor,  die  von  Möhu  untersucht 
wurden.  Leider  fehlt  bei  diesen  nicht  nur  fast  jede  Angabe  über 
Entwicklung  und  Verlauf  der  Erkrankung,  sondern  sie  sind  noch 
deshalb  besonders  schwer  zu  klassificiren,  weil  M  ö  h  u  sie  alle  unter 
der  üeberschrift  „Epanchements  pj'ovoquh  d*une  gSne  de  la  circu- 
lation  des  gros  vaisseaux  öu  coincidants  avec  elle^  zusammenge- 
fasst  hat.  Nehmen  wir  einmal  die  Fälle  heraus,  bei  welchen  wir 
die  einfachsten  Verhältnisse  erwarten  dürfen,  nämlich  die  Herzfehler 
mit  ihren  rein  mechanischen  Störungen  des  Kreislaufs  in  den  Pleura- 


588 


XXXIT.  Reuss 


capillaren,  bei  denen  erfahrangsgemftsg  selten  entzfindliche  Processe 
sich  neben  dem  Hydrotborax  entwickeln.  Wenn  wir  die  Beihe  dieser 
überblicken,  so  ergibt  sich  wobl  die  Zusammengehörigkeit  dieser 
Flüssigkeiten ;  nirgends  ist  ein  Sprung  zu  bemerken,  bis  aof  die  erste 
Analyse,  welche  sich  viel  mehr  den  Exsudaten  anzuschliessen  scheint 
(Tab.  III  b,  Nr.  1)  ^);  dafür  spricht  auch  die  grosse  Differenz  mit  der 
zweiten  Function  desselben  Patienten  (Tab.  III  a,  Nr.  12),  eine  Dif- 
ferenz, für  welche  ich  eine  einfache  Erklärung  nicht  zu  geben  wüsste, 
wenn  ich  jene  Flüssigkeit  für  ein  reines  Transsudat  zu  halten  ge- 
nöthigt  w&re.  Femer  glaube  ich  den  Fall  von  C.  Schmidt')  (Tab. 
III  a,  Nr.  5  und  11)  mit  zwei  Analysen  hierher  rechnen  zu  dürfen, 
welcher  von  ihm  als  Wassersucht  mit  Albuminurie  bezeichnet  wird. 
Dagegen  darf  man  die  Wasseransammlungen  bei  Morbus  Brighti  nur 
vorsichtig  hinzuzählen,  weil  sie  bei  dieser  Krankheit  oft  als  Folgen 
leicht  entzündlicher  Processe  auftreten.  Diess  ist,  wie  es  scheint, 
gerade  bei  Hoppe's  Analyse  (Tab.  III  b,  Nr.  7)  der  Fall,  während 
die  zwei  Analysen  von  Fr  er  ich  s' 3)  (Tab.  III  a,  Nr.  13  u.  14)  sich 
ganz  wie  die  reinen  Stauungstranssudate  verhalten.  Wie  viel  solche 
leichte  Grade  von  Entzündung  ausmachen  können,  davon  werden  wir 
unten  bei  Ascites  und  Hydrocephalus  weitere  Beispiele  finden. 

Endlich  dürfen  wir  wohl  unbedenklich  den  Fall  Tab.  III  a,  Nr.  2 
hinzunehmen,  weil  es  sich  dabei  um  einen  doppelseitigen  Er- 
guss  bei  einem  „Leber-  oder  Nierentumor''  handelt 

Tabelle  ma.    Reine  Transsudate  in  der  Pleura. 

28  Flüssigkeiten  von  15  Kranken. 


Mittel 

MazlmDm 

Minlmnm 

Ansahl 
der  FSUa 

Fixa 

Organische  Stoffe 
Sause      .... 
Fibrin    .... 

30,87 

22,51 

8,39 

0,19 

41,30 
32,30 

0,469 

15,40 
6,80 

0,00 

28 

st 

1)  Alle  diese  Zahlen  beziehen  sich  auf  die  Tabellen  am  Ende  der  Arbeit,  m 
welchen  die  Analysen  der  Qrösse  ihres  Albumingehalts  nach  geordnet  erscheinen; 
die  eigenen  Untersuchungen  und  die  aus  der  Tübinger  Klinik  stammenden  and 
mit  ihren  Krankengeschichten  noch  besonders  zusammengestellt  und  werden  so 
doppelt  citirt. 

2)  Ob  dieser  Fall  als  Herzleiden  oder  als  Morbus  Brighti  anzusehen  ist,  VksA 
sich  allerdings  aus  der  Krankengeschichte  nicht  sicher  entnehmen,  da  zwar  Albu- 
minurie vorhanden  war,  aber  weder  über  deren  Grad,  noch  von  einer  Verftnderang 
der  Nieren  etwas  angegeben  ist,  was  C.  Schmidt  sonst  Yorkommenden  Falles  nie 
uuterlftsst 

3)  Die  Bright'sche  Kierenkrankheit.  S.  81. 


Zur  klinischen  Beurtheilong  von  Exsudaten  and  Transsudaten.         589 

Im  Vergleich  mit  den  exsudativen  pleuritischen  Flüssigkeiten  ist 
also  der  Gebalt  der  Transsudate  an  festen,  resp.  an  organischen 
Stoffen  um  mehr  als  die  Hälfte  schwächer,  während  der  an  Salzen 
keine  wesentlichen  Differenzen  zeigt.  Die  Minima  der  Transsudate 
sind  im  Verhältniss  zum  Mittel  viel  niedriger  als  bei  den  Exsudaten. 
Diess  erklärt  sich  daraus,  dass  die  Exsudate,  welche  oben  zusammen- 
gestellt sind,  in  erster  Linie  bei  vorher  gesunden  Leuten  auftraten, 
bei  denen  meist  wieder  Genesung  eintrat;  diese  Flüssigkeiten  da- 
gegen bei  wiederholten  Functionen  meist  in  Bezug  auf  die  chemische 
Znsammensetzung  niedrigere  Zahlen  ergeben,  bis  die  Patienten  end- 
lich dem  Tod  anheimfallen.  Mit  anderen  Worten,  es  ist  die  Blutbe- 
schaffenheit, von  welcher  die  Zusammensetzung  der  Trans- 
sudate in  hohem  Maasse  abhängt,  während  ihr  fiinfluss 
auf  die  Exsudate  durch  den  localen  Entzttndungsprocess 
stark  modificirt  wird.  Diesen  Satz  hat  C.  Schmidt  zuerst  mit 
vergleichenden  Blut-  und  Transsudatanalysen  bewiesen,  Lehmann^) 
sodann  zuerst  in  dieser  Form  ausgesprochen. 

Umgekehrt  erlaubt  dann  auch  der  Gehalt  an  organischen 
Stoffen  unter  den  oben  erwähnten  und  noch  zu  erwähnenden  Be- 
dingungen einen  Schluss  auf  die  Blutbeschaffenheit  des  Pa- 
tienten. 

Darin  liegt  die  wissenschaftliche  Begründung  der  folgenden  Sätze 
M  6  h  u '  s ,  welche  derselbe  zunächst  nur  aus  seinen  Analysen  abstrahirt. 

„Je  mehr  Fixa,  desto  günstiger  die  Prognose.** 

„  Ist  ihre  Menge  unter  dem  Mittel,  so  ist  grosse  Wahrscheinlich- 
lichkeit  für  die  Wiederansammlung  des  Exsudates,  namentlich  wenn 
die  Fibrinmenge  dabei  gering  ist.** 

„Wenn  es  der  Heilung  zugeht,  steigt  die  Menge  der  Fixa  und 
des  Fibrins  (durch  Wasserresorption?);  ein  rasches  Sinken  dagegen 
deutet  auf  baldigen  Tod.** 

Besonders  aber  sinkt  die  Menge  der  organischen  Stoffe  ent- 
sprechend der  Abnahme  des  Gehalts  des  Blutes  an  Albumin,  wenn 
zugleich  Albuminurie  vorhanden  ist  (C.  Schmidt  1.  c.  S.  146  Satz  7; 
siehe  den  Fall  Tab.  III  a  Nr.  28  von  M  £  h  u),  und  daher  vor  allem 
glaube  ich  mich  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  der  Fall  von  Hoppe 
(Tab.  III  b,  Nr.  7)  nicht  blos  durch  Transsudation,  sondern  auch  durch 
einen  complicirenden  entzündlichen  Process  sich  gebildet  hat.  Denn 
diese  zwei  Processe  können  leicht  zusammen  vorkommen,  meist  so, 
dass  zu  einem  lange  bestehenden  Transsudat  eine  Entzündung  hin- 


1)  Handbuch  der  physiologischen  Chemie.  H.  S.  311. 


590  XXSJI.  REU8S 

zutritt,  unter  Umständen  aber  auch  umgekehrt  Eine  weitere  Mög- 
lichkeit zur  Erklärung  des  obigen  Falls,  sowie  des  Falls  von  M6ha 
(Insuffic.  Aortae  Tab.  III  b,  Nr.  1)  könnte  man  in  dem  Satz  von  F. 
Hoppe ^)  suchen,  dass  alle  Transsudate  von  ihrem  Beginn  an  stets 
an  Concentration  ihres  Albumins  zunehmen,  natürlich  wenn  die  son- 
stigen Bedingungen  die  gleichen  bleiben,  und  dass  somit  in  diesem 
Falle  die  Zeit  bis  zur  zweiten  Function  noch  zu  kurz  war,  um  die 
gleiche  Concentration  zu  erhalten. 

Dagegen  dürfen  wir  die  Gültigkeit  des  Satzes  von  der  Abhängig- 
keit aller  Flüssigkeiten  von  der  Blutbeschaffenheit  wohl  etwas  weiter 
ausdehnen ;  so  erlangen  wir  ein  Verständniss  für  die  Exsudate,  welche 
bei  schon  vorher  kranken  Individuen  auftreten,  also  bei  Leuten  von 
anomaler*  Blutbeschaffenheit.  Schon  oben  haben  wir  ein  Beispiel 
davon  gehabt  bei  Morbus  Brighti.  Aber  hierher  gehören  auch  die 
Fälle  von  Pleuraergüssen  bei  Krebs.  Die  herkömmliche  Meinung, 
welche  auch  inZiemssen's  Handbuch  vertreten  ist  (Band  IV.  2.H. 
S.  565),  rechnet  diese  einfach  zu  den  hydropischen  Flüssigkeiten. 
Niemeyer  bezeichnet  sie  als  in  der  Mitte  zwischen  entzündlichen 
und  hydropischen  Ergüssen  stehend,  wegen  des  Fibrins  später  Ge- 
rinnung. Leider  konnte  ich  in  der  Literatur  keinen  Fall  auffinden, 
in  dem  die  Analyse  einer  solchen  Flüssigkeit  gemacht  wurde.  Aber 
bei  einer  derartigen  Allgemeinerkrankung  wird  wohl  auch  ein  ent- 
zündlicher Erguss  eine  Fixa-Menge  darbieten,  welche  unter  der 
Grenze  derer  liegt,  welche  bei  primärer  Pleuritis  auftreten,  wenn 
auch  noch  über  dem,  was  ein  hydropischer  Erguss  bei  kachektischen 
Individuen  darbieten  wird. 

^So  ist  auch  bei  jener  Anzahl  von  Fällen,  welche  im  Nachtrag 
der  Tab.  in  nach  M6hu  (2)  Februar  1875)  zusammengestellt  sind, 
das  Gemeinsame  nicht  sowohl  das,  dass  sie  „comcidanis  avecune 
gine  de  la  circulation''  sind,  sondern  dass  es  leichte  Pleuritiden  siod 
bei  geschwächten  d.  h.  hydrämischen  Individuen.  Dafür  spricht  u.  a. 
auch  die  niedrige  Fibrinmenge,  während  die  Fixa-  und  Albumin- 
Mengen  für  kachektischen  Hydrops  (kurz  vor  dem  Tod)  viel  zu  hoch 
sind.  Von  einem  durch  blosse  Stauung  entstandenen  Hydrothorax 
kann  man  jedenfalls  bei  den  Krankheiten  nicht  reden,  welche  zwar 
Stauung  in  den  Peritoneal-Capillaren  und  in  denen  der  Unterextremi- 
täten, aber  doch  nicht  in  den  Pleura- Capi  Haren  bewirken:  wie  Ovarien- 
cyste, Lebercirrhose  u.  dgl. 

Fassen  wir  nun  einmal  zusammen,  was  wir  bei  dieser  Klasse 


1)  Virchow's  Archiv.  Bd.  IX.  S.  245. 


Zar  klinischen  Benrtheilang  von  Exsudaten  und  Transsadaten.        591 

Yon  Flüssigkeiten  in  Bezug  auf  den  Unterschied  yon  Exsudaten  und 
Transsudaten  gefunden  haben,  so  können  wir  diese  Sätze  aufstellen : 

Finden  wir  bei  einer  aus  der  Pleurahöhle  stammenden  Flüssig- 
keit einen  Gehalt  an  festen  Stoffen,  welcher  50%o  über- 
steigt, oder  einen  Eiweissgehalt  über  40  bis  45<^;oo,  so  ist 
diese  Flüssigkeit  das  Product  eines  entzündliehen  Processes. 

Bleibt  der  Gehalt  an  organischen  Stoffen  unter  30%o 
(an  Eiweiss  ungefähr  unter  25^/00,  an  festen  Bestandtheilen  unter  38 
bis  40^M,  so  ist  die  Flüssigkeit  ebenso  sicher  ein  Transsudat 

Für  die  Fälle,  welche  zwischen  diesen  Grenzen  liegen,  giebt  es 
mehrere  Möglichkeiten :  entweder  es  handelt  sich  um  leichte  Pleuritis 
bei  hydrämischen  Individuen,  oder  um  Transsudate  bei  Kranken  in 
besonders  guten  Ernährungsverhältnissen ,  oder  endlich  es  ist  ein 
Transsudationsprocess  mit  einem  entzündlichen  Process  complicirt. 
Welche  dieser  Möglichkeiten  im  gegebenen  Einzelfalle  anzunehmen 
ist,  wird  sich  meist  aus  den  übrigen  Verhältnissen  des  Falles  er- 
scbliessen  lassen. 

Anhang.     Flüssigkeiten  aus  dem  Fericardium. 

Von  solchen  Hessen  sich  nur  7  Analysen  in  der  Literatur  auf- 
finden, worunter  ein  normales  Secret  aus  der  Leiche  eines  Hinge- 
richteten; dies  hat  den  niedrigsten  Gehalt  an  Eiweiss. 

Von  den  Uebrigen  sind  fünf  reiue  Transsudate;  beim  ersten 
könnte  es  dem  hohen  Fixa-Gehalt  nach  zweifelhaft  sein,  ob  auch  hier 
nicht  ein  leichter  Grad  von  Entzündung  mit  hereinspielte;  das  Albu- 
min aber  ist  nicht  bedeutend  vermehrt. 

Tabelle  IV.    Pericardiaiflüssigkeiten  (7). 


Mittel 

Mazimnin 

Minlmnm 

Antahl 
der  Fälle 

Fixa 

Albumin     .    .    . 
Orffaniflche  Stoffe 
Salze     .... 

35,04 

18,33 

26,03 

7,72 

44,87 
24,68 
37,37 

23,45 
10,03 
9,72  (norm.  Secr.) 

4    , 
5 
2 
2 

//.  Flüssigkeiten  aus  der  Bauchhöhle, 

1.  Exsudate.  Bei  dieser  Klasse  von  Flüssigkeiten  treten  die 
Unterschiede  zwischen  Exsudaten  und  Transsudaten  bei  Betrachtung 
der  Tabelle  auf  den  ersten  Blick  nicht  hervor,  sondern  sie  scheinen 
ganz  gleichmässig  an  Gehalt  zuzunehmen  und  ineinander  überzugehen. 
Den  Grund  davon  verstehen  wir  sofort,  wenn  wir  nur  einmal  die 
Diagnose  überschauen: 


592 


XXXII.  Rbuss 


Im  Peritoneum  ist  es  eine  häufige  Erscheinung,  dass  zu  einem 
Ascites  Entzttndungserscheinungen  leichteren  Orades  hinzutreten,  nicht 
sowohl  bei  dem  Hydrops  bei  Herzfehlem,  als  bei  dem,  der  durch 
Lebercirrhose  bedingt  ist,  worauf  bereits  Frerichs  in  der  „Klinik 
der  Leberkrankheiten"  aufmerksam  macht.  Es  wäre  ja  zu  merk- 
würdig, wenn  diese  „ interstitielle  Hepatitis''  sich  immer  nur  im  In- 
nern des  Organs  vollziehen  und  nie  die  Serosa  in  Mitleidenschaft 
ziehen  wQrde;  hat  sie  diese  aber  einmal  erreicht,  so  steht  einer 
Weiterverbreitung  im  Bauchfell  nichts  mehr  im  Wege. 

Bei  den  Diagnosen  muss  man  ferner  auch  noch  im  Auge  be- 
halten, dass  das,  was  wir  jetzt  als  idiopathische  chronische  Entzün- 
dung des  Peritoneums  ansehen,  früher  durchweg  unter  dem  Kamen 
Hydrops  (essentialis  etc.)  lief,  was  wohl  ziemlich  wahrscheinlich  bei 
der  Analyse  von  J.  Vogel  (Tab.  V,  No.  9,  citirt  bei  v.  Oorup- 
Besanez)  der  Fall  ist. 

Somit  bekommen  wir,  eingerechnet  sieben  eigene  Untersuchun- 
gen, 21  Exsudate  aus  der  Bauchhöhle,  sodann  noch  6  jauchige  aus 
einer  Puerperalfieber-Epidemie,  welche  Seh  er  er  untersucht  hat 

Ihr  Maximum  an  festen  Stoffen  haben  sie  in  einem  etwas  zweifel- 
haften^) Fall  (Tab.  V,  No.  4),  der  von  Buignet  untersucht  wurde: 
milchige  Flüssigkeit  bei  Tuberkulose  des  Peritoneums. 

Als  durchschnittliche  untere  Grenze  wird  man  wohl  einen  Fixa- 
Gehalt  von  30  bis  35^/oo,  entsprechend  einem  Eiweissgehalt  von  20 
bis  2b^loo  annehmen  dürfen.  Zwei  Flüssigkeiten  nur  reichen  unter 
diese  herab,  beide  von  Scherer  untersucht,  die  eine  (Tab.  V,  No.  20) 
bei  »scirrhöser  Entartung  der  Abdominalorgane,  ohne  entzündliche 
Beschaffenheit  des  Peritoneums  *",  aber  mit  einem  dicken  grauen  Bo- 
densatz von  Eiterzellen;  die  andere  (Tab.  V,  No.  21)  eine  Peritonitis 
puerperalis,  aber  nicht  jauchig  wie  die  andern  (ohne  Sediment). 


Tabelle  V.    JSieht  jauchige  Exsudate  in  der  Bauchhöhle. 
21  Flttssigkeiten  von  18  Patienten. 


Fixa 

Organische  Stoffe 
Eiweiss  .... 
ExtractiYBtoffe  . 
Salze      .... 


Mittel 


50,38 

43,13 

37,95 

6,72 

8,19 


Maxlmnin 


MlDimDni 


77,50 
71,50 
55,80 


33,90 
26,19 
18,72 


▲nxabl 
d«r  FUle 


13 
10 
20 

8 

9' 


1)  Wenigstens  die  Salzmenge  dieser  Analyse  ist  gewiss  falsch.    In  Canstatt^s 
Jahresberichten  1859  citirt  aus  dem  Moniteur  des  h6pitaax. 


Zar  klinischen  Beartheilang  von  Ezsadaten  und  Transsadaten.        593 

Bei  den  jauchigen  Peritoneal-Exsudaten  tritt  ebenso,  wie  bei 
dem  obenerwähnten  derartigen  Fall  in  der  Brusthöhle,  besonders  die 
bedeutende  Menge  der  übrigen  organischen  Stoffe  im  Verhältniss  zum 
Biweiss  schroff  hervor. 


Tabelle  VI.    Peritoneale  Exsudate  bei  Puerperalfieber  (6  Patienten). 


Mittel 

Maxlmnm 

Xlalmiim 

Annhl 
d«r  nu« 

Fixa 

Organische  Stoffe 
Albomin      .    .    . 
£xtractiY8toffe 
Salze      .... 

88,19 
79,68 
48,72 
36,01 
9,02 

97,30 
89,56 
50,63 

75,89 
66,01 
47,14 

6 
6 

4 
4 

6 

Auch  hier  zeigt  sich  also  eine  Bestätigung  der  Tbatsache,  dass 
mit  der  Intensität  einer  Entzündung  die  Menge  der 
organischen  Stoffe  in  dem  Exsudat  steigt,  wie  wir  sie  oben 
bei  den  purulenten  pleuritischen  Exsudaten  zuerst  aufgestellt  haben. 
Hier  ist  aber  die  Stärke  des  Entzündungsreizes  so  bedeutend,  dass 
das  Eiweiss  sogleich  zerfällt,  d.  h.  indirect,  indem  die  Eiterzellen 
zerstört  werden,  und  daher  kommt  dann  die  grosse  Masse  und  ab* 
norme  Qualität  der  Extractivstoffe. 

Umgekehrt  finden  wir,  wie  schon  bemerkt,  in  der  Bauchhöhle 
auch  jene  leichtesten  Grade  der  Entzündung,  die  anatomisch  kaum 
nachweisbar  sind,  ihre  Gegenwart  aber  in  der  chemischen  Zusammen- 
setzung der  Flüssigkeit,  nämlich  durch  Steigen  des  Eiweissgehalts  in 
dem  früheren  reinen  Transsudate  beweisen. 

2.  Transsudate.  Wenden  wir  uns  nun  den  nieht  entzünd- 
lichen Flüssigkeiten  zu,  so  beträgt  die  Zahl  der  Fälle,  inclusive  zwei 
eigene  Analysen,  32.  Es  sind  dies  Flüssigkeiten  von  sehr  verschie- 
denem Gehalt  an  Eiweiss  und  damit  auch  an  festen  Stoffen;  ihr 
Maximum  reicht  ziemlich  an  die  untere  Grenze  der  Exsudate  dieser 
Klasse  heran;  ihr  Mittel  und  Minimum  liegt  viel  tiefer  als  bei  den 
Pleuratranssudaten.  Nur  eine  Flüssigkeit  übertrifft  im  Eiweissge- 
halt  die  unterste  der  vorigen  Klasse,  ohne  dass  sonst  ein  genügen- 
der Anhalt  vorhanden  wäre,  sie  zu  den  entzündlichen  Exsudaten  zu 
rechnen,    (s.  Tabelle  VII  auf  der  folgenden  Seite.) 

Man  könnte  nnn  denken,  dass  vielleicht  die  einzelnen  Krank- 
heiten, die  den  Ascites  hervorgerufen  haben,  eine  Verschiedenheit  in 
dem  Gehalt  der  Flüssigkeiten  bedingen;  aber  schon  beim  Ueber- 
blicken  der  Tabelle  VII  (am  Ende  der  Arbeit),  in  welcher  die  Ana- 

Dratdchet  ArehU  t  klln.  Medldn.    XXIV.  Bd.  38 


594 


XXXII.  Reuss 

Tabelle  VII.    Transsudate  m  der  Bauehhöhle. 
32  Flüssigkeiten  von  26  Patienten. 


Mittel 

Maximnm 

32,32 
22,38 
19,29 

Minimum 

Annhl 
der  FlUe 

Fixa 

Organische  Stoffe 
Albumin     .    .    . 
Extractivstoffe     . 
Salze      .... 

2t,6l 

12,15 

11,14 

3,42 

8,28 

11,70 
3,70 
2,10 

26 
18 
26 
12 

18 

lysen  nach  ihrem  Gehalt  an  Ei  weiss  geordnet  sind,  sieht  man  die 
Diagnosen  bunt  durcheinander  vertheilt  auftreten,  und  auch  die  Durch- 
schnitts-Werthe  der  Albuminmengen  sprechen  nicht  für  eine  solche 
Vermuthung:  der  mittlere  Albumingehalt  beträgt  bei  12  F&Uen  von 
Lebercirrhose  11,86  pro  mille,  bei  8  Fällen  von  Morbus  Brightii  10,36 
pro  mille  —  also  eine  kaum  nennenswerthe  Differenz. 

Dagegen  sehen  wir  je  innerhalb  der  Rahmen  fttr  die  Exsudate 
und  fttr  die  Transsudate  ebenfalls  jene  Momente  in  Wirksamkeit 
treten  I  welche  wir  schon  bei  den  Flttssigkeiten  der  Pleurahöhle  als 
Modificationen  bewirkend  genannt  haben.  Wie  dort,  so  hat  wohl 
auch  hier  den  Haupteinrfluss  auf  den  Gehalt  gewiss  die  Blut- 
beschaffenheit. Die  Tabelle  der  Diagnosen  scheint  dem  zu  wider- 
sprechen, denn  abgesehen  von  dem  Morbus  Brightii,  der  wegen  seiner 
Neigung  zu  leichten  Entzündungen  ganz  eigenartige  Verhältnisse  dar- 
bietet, ist  die  Diagnose  „Hydrämie^  ebensowohl  im  Anfang,  als  am 
Ende  der  Tabelle  zu  treffen.  Aber  nicht  blos  bei  den  Exsudaten 
des  Peritoneums,  sondern  auch  bei  den  Transsudaten  sehen  wir  die 
Regel  zutreffen,  dass  bei  hohem  Eiweissgehalt  die  Prognose  viel 
günstiger  ist,  resp.  es  der'  Heilung  zugeht,  dagegen  ein  Sinken  dieser 
Zahl  gegen  den  Tod  hin  stattfindet.  Besonders  charakteristisch  ist 
fttr  dies  Letztere  der  Fall  (eig.  Unters.  Nr.  5—7,  Tab.  V,  Nr.  5,  6  und 
13)  Ol  bei  welchem  3  Punktionen  gemacht  wurden  und  unter  den 
Transsudaten  der  Fall  von  Hoppe  (1)  (Tab.  VII,  Nr.  1,  6,  8  und  13), 
den  dieser  freilich  anders  erklären  will ;  fttr  das  Erste  die  hohe  Ei- 
weissmenge  bei  der  später  geheilten  chronischen  Peritonitis  (Tflb. 
Klinik,  Nr.  1 ;  Tab.  V,  Nr.  2)  u.  a.  mehr.  Auch  hier  scheint  demnach, 
wenn  man  aus  so  wenigen  Analysen  einen  Schluss  ziehen  darf,  die 
kritische  Grenze  um  50  pro  mille  Eiweiss  zu  liegen,  unter  diesem  Mittel 
haben  die  nicht  eitrigen  und  nicht  jauchigen  Exsudate  eine  ziemlieh 
schlechtere  Prognose,  als  darttber,  wo  eher  noch  auf  Heilung  zu 


1)  Siehe  die  Anmerkung  1  auf  S.  588. 


Zar  Ulnischen  Benrtheilang  von  Exsudaten  und  Transsudaten.         595 

hoffen  ist  (rergl.  S.  589).    SeibBtrerständlich  sind  die  jauchigen 
FlQssigkeiten  ganz  auszuschliessen  von  diesen  Vergleichangen. 

Die  obere  Grenze  der  Transsudate  können  wir  in  der 
Peritonealhöhle  ziemlich  bestimmt  auf  15  bis  20  pro  mille  Eiweiss 
s»  30  pro  mille  Fixa  verlegen.  Es  kann  sein,  dass  sie  durch  spätere 
weitere  Untersuchungen  noch  mehr  auf  15  pro  mille  fixirt  wird;  bis 
jetzt  aberschreiten  nur  4  Flttssigkeiten  diesen  Eiweissgehalt  (»»  i/s 
der  Fälle).  Jedenfalls  haben  wir  auch  hier  keinen  Fall  gefunden, 
bei  welchem  der  Eiweissgehalt  höher  als  21  pro  mille  gewesen  wäre, 
und  welcher  trotzdem  für  ein  reines  Transsudat  hätte  erklärt  werden 
müssen« 


IIL  Flüssigkeiten  aus  der  Haut  (und  dem  Unterhautzellgewebe). 

Bei  dieser  Klasse  von  Flüssigkeiten  tritt  der  Fall  ein,  dass  reine 
Oedeme  der  Haut  allein  nicht  vorkommen,  ohne  zugleich  auch  das 
Snbcutanzellgewebe  mit  zu  umfassen,  dass  dagegen  von  entzündlichen 
FlQssigkeits  -  Ansammlungen  in  der  Haut  sammt  dem  Unterhautzell- 
gewebe keine  Punktionen  mit  Analysen  vorliegen.  Aber  auch  von 
echten  Anasarka-Flüssigkeiten  sind  selten  in  der  Literatur  Analysen 
zu  finden,  so  häufig  das  Anasarka  ist.  Bisher  hatte  man  keine  be^ 
quemen  Methoden,  die  Flüssigkeit  vom  Lebenden  rein  aufzufangen 
und  musste  zudem  fürchten,  mit  den  Schnitten  oder  grossen  Stichen 
Gangrän  hervorzurufen.  In  neuerer  Zeit  ist  das  anders  geworden, 
seitdem  Prof.  v.  Z  i  e  m  s  s  e  n  die  neuen  „  Gapillar-Troicarts  ^  von  Southey 
eingeführt  hat. 

Dies  sind  kleine,  2  bis  3  Gm.  lange  Röhrchen,  welche  mit  einem 
Stilet  von  der  Dicke  einer  feinen  Nadel  in  die  Haut  eingeführt  wer- 
den; nachdem  nun  das  Stilet  zurückgezogen  ist,  wird  über  den  am 
hinteren  Ende  der  Röhrchen  befindlichen  Knopf  ein  Eautschuk- 
schlauch  von  der  gleichen  minimalen  Dicke  geschoben,  der  in  das 
Gefäss  zum  Auffangen  der  Flüssigkeit  führt,  und  so  bleiben  diese 
Troicarts  ein  bis  zwei  Tage  liegen,  ohne  dass  die  Patienten  irgend 
Schmerz  davon  empfinden  —  gewöhnlich  schlafen  sie  dabei  ganz 
gut  —  und  werden  erst  entfernt,  wenn  nichts  mehr  abtropft.  Das 
vorher  gespannt  geschwollene  Bein  ist  in  seinen  Dimensionen  ver- 
ringert, die  Haut  darüber  ist  gefaltet  und  die  von  deren  Spannung 
herrührenden  quälenden  Schmerzen  haben  ganz  aufgehört.  Die  klei- 
nen Wunden  schliessen  sich  rasch  —  natürlich  waren  die  Troicarts 
vorher  gut  desinficirt  worden  — ,  wenn  sie  nicht  durch  eine  neue 
rasche  Anschwellung  des  Beines  wieder  aufbrechen,  ehe  eine  feste 

38* 


596 


XXXII.  RBU8B 


Narbenbildung  eintreten  konnte.  Gangrän  wurde  nie  beobachtet, 
ebensowenig  Abscesse  oder  erysipelatöse  Infiltrationen  in  der  Um* 
gebung  der  Stichstellen. 

Vielleicht  kann  man  diese  Methode  auch  zur  Gewinnung  von 
sogenannten  entzündlichen  Oedemen  gebrauchen  ^  nur  müssen  dann 
die  Troicarts  dicker  genommen  werden ,  weil  diese  Exsudate,  ganz 
abgesehen  von  etwaigen  Fibrinflocken,  schon  wegen  ihrer  grösseren 
Dichtigkeit  diese  dflnnen  Böhrchen  nicht  passiren  würden.  Dazu 
fehlt  auch  die  Vis  a  tergo,  die  eminente  Spannung  der  Haut  bei 
hochgradigem  Anasarka. 

1.  Exsudate.  Solange  solche  Analysen  uns  fehlen,  mttssen 
wir,  um  entzündliche  Flüssigkeiten  aus  diesem  System  von  Capillaren 
zu  bekommen,  uns  an  die  Blasenbildungen  der  Haut  halten,  welche 
theils  auf  innere  Beize  als  Pemphigus,  theils  auf  äussere  Beize  hin 
als  Vesicator-  oder  als  Brand-Blasen  entstehen.  Natürlich  darf  man 
nur  den  Inhalt  ganz  frischer  Blasen  verwenden,  weil  sofort  die  Wasser- 
verdunstung durch  die  Epidermisdecke  beginnt :  das  beste  Kriterium 
für  den  Stand  der  Verdunstung  haben  wir  wohl  am  Salzgehalte  der 
Flüssigkeit. 

So  bekam  ich  von  Exsudaten  der  Haut  8  Analysen  zusammen; 
eines  davon  ist  von  G.  Schmidt  als  eingetrocknet  bezeichnet  und 
dies  bewiesen  durch  eine  Analyse  des  Blutserums  des  betreffenden 
Patienten.  Von  den  andern  ist  eine  bedeutende  Eintrocknung  dem 
Salzgehalt  nach  nicht  wahrscheinlich. 


Tabelle  Vni. 
7  Flflsdgkeiien  Ton  verschiedenen  Kranken. 


Mittel 

Maxlmam 

MInimam 

Antahl 
der  FlUe 

Fixa 

Organische  Stoffe 
Albumin      .    .    . 
ExtractivBtoffe    . 
Salze      .... 

72,87 

67,23 

49,89 

6,34 

8,54 

99,16 
91,15 
61,85 

60,00 
51,90 
44,70 

7 
5 
4 

2 
5 

Zwei  F&Ue  (Nr.  5  und  7  der  Tabelle  VIII  am  Ende  der  Arbeit) 
sind  Pemphigusblasen ,  also  serös -eitrigen  Inhalts;  hier  hätte  man 
vielleicht  erwartet,  höhere  Eiweissmengen  zu  erhalten^  als  Analogie 
der  purulenten  Pleuritis  im  Gegensatz  zur  serösen.  Dabei  ist  aber 
zu  bedenken,  dass  diese  Patienten  Kinder  waren,  bei  denen  wohl 
die  Krankheit  selbst  nicht  ohne  Einfluss  auf  den  Emährungszostand 
gewesen  war. 


Zar  klinlBchen  Beurthefliing  Yon  Exsudaten  und  Transsudaten.         597 

2.  Transsudate.  Meine  eigenen  11  Analysen  eingerechnet, 
haben  wir  17  Fälle  von  Transsudaten  aus  dem  Unterhautzellgewebe : 
die  von  Anderen  untersuchten  meistens,  wo  nicht  sämmtlich,  aus  der 
Leiche  entnommen;  die  meinigen  alle  auf  dem  oben  beschriebenen 
Weg.  Ihre  Eiweissmengen  bewegen  sich  zwischen  1 2  pro  mille  und 
0,43  pro  mille  (eigene  Untersuchung  Nr.  12).  Diese  letzte  ist  jeden- 
falls zu  niedrig,  weil  beim  Eindampfen  der  Flflssigkeit  eine  leichte 
Bräunung  eintrat;  die  niedrige  Menge  der  drei  nächsten  (unter  1  pro 
mille,  eigene  Untersuchungen  Nr.  19,  20  und  21)  erklärt  sich  aus 
der  gleichzeitig  bestehenden  hochgradigen  Albuminurie  (Aber  2  Proc.) ; 
doch  ist  auch  bei  so  niedrigem  Eiweissgehalt  die  Schwierigkeit  der 
vollständigen  Ausfällung  relativ  grösser  als  bei  hohem. 

Tabelle  IX. 
17  Flüssigkeiten  von  12  Patienten. 


Mittel 

lff*»lftmiT> 

Hlnlmnm 

ADg«M 
der  FEUe 

Fixa 

OnaniRche  Stoffe 
Albumin      .    .    . 
Extractivstoffe     . 

Salze      .... 

17,99 
8,52 
5,79 
5,05 
8,51 

22,39 
14,90 
12,00 

(11,30) 
3.60 
0,43 

6 
5 
15 
3 
5 

Ich  möchte  auch  hier  noch  auf  das  hinweisen,  wie  der  Eiweiss- 
gehalt ganz  parallel  mit  der  Ernährung  schwankt :  so  finden  wir  bei 
dem  Kranken  Enorr  (eigene  Untersuchungen  No.  14  und  15,  Tab.  IX, 
No.  5  und  10)  kurz  vor  dem  Tode  ein  Sinken  von  7,6  auf  4,9  pro 
millet  umgekehrt  bei  der  Kranken  Sterr  (eigene  Unters.  Nr.  22 — 23, 
Tab.  IX,  Nr.  9  und  3)  ein  Steigen  von  b,2  auf  11,5  pro  mille  und 
bei  Fall  25  —  26  der  eigenen  Untersuchungen  von  6,5  auf  12,0  pro 
mille,  das  letztere  allerdings  nur  optisch  mit  dem  Polarisationsapparat 
bestimmt,  wo  die  Fehler  grösser  sind,  als  bei  anderen  Methoden. 
Beide  sind  noch  die  letzten  Reste  eines  alten  Oedems,  das  theils 
herausgenommen,  theils  resorbirt  worden  war. 


IV,  Flüssigkeiten  aus  dem  Centralnervensystem  und  seinen  Hüllen. 

Von  solchen  Flüssigkeiten  kommen  27  Analysen  in  Betracht; 
C.  Schmidt  hat  ausserdem  eine  Analyse  aus  einer  Choleraleiche 
ausgeftthrt;  eigene  Untersuchungen  habe  ich  darfiber  nicht  gemacht. 

Von  reinen  Exsudaten  in  den  Hirn-  und  RUckenmarkshftuten 
sind  bis  jetzt  keine  Untersuchungen  vorhanden,  und  von  Transsu- 
daten, welche  durch  Entzttndungsprocesse  verändert  wurden,  ist  nur 


598  XXXIL  Rbuss 

ein  unzweifelhafter  Fall  in  der  Literatur  vorhanden:  Hopp e-Sey  1er 
hatte  bei  einem  Hydrocephalus  congenitus  mit  dem  Polarisations- 
apparat einen  Eiweissgehalt  von  ea.  1  pro  mille  gefunden.  Die  zweite 
Punctionsfittssigkeit  desselben  Rindes  ergab  nun  einen  Gehalt  von 
11,79  pro  mille  Albumin  (siehe  Tab.  X  a,  Nr.  1),  und  nach  dem  bald 
darauf  unter  meningitischen  Erscheinungen  erfolgten  Tode  zeigte  die 
Section  eiterartige  Gerinnsel  und  Flocken  in  der  Schädelhöhle. 

Femer  darfen  wir  wohl  die  Mitwirkung  eines  entzttndlichen  Pro- 
cesses  bei  den  Analysen  Tab.  X  a,  Nr.  2  und  3  wegen  ihres  beträcht- 
lichen Gehalts  an  organischen  Stoffen  annehmen:  die  eine  stammt 
von  einem  Hydrocephalus  extemus  congenitusi  der  durch  eine  schwere 
Zangengeburt  entwickelt  und  ihr  erlegen  war ;  die  andere  ist  Gehirn- 
ödem  bei  Nephritis,  ein  Process,  der  nach  Prof.  Liebermeister 
in  manchen  Fällen  nicht  zu  den  mechanischen  oder  kachektischen 
Wassersuchten,  sondern  zu  den  subinflammatorischen  zu  rechnen  ist. 
Die  Flüssigkeit  Tab.  X  b ,  Nr.  1 ,  welche  sich  diesen  im  Gehalt  aH 
organischen  Stoffen  zu  nähern  scheint,  steht  ihnen  im  Gehalt  an  Ei- 
weiss  weit  nach :  denn  nach  C.  Schmidt  „ wird  sie  durch  Salpeter- 
säure und  Siedhitze  nur  schwach  getrübt'',  während  jene  bei  den 
gleichen  Reagentien  ein  deutliches  flockiges  Eiweissgerinnsel  bilden. 
Endlich  darf  uns  auch  das  nicht  irre  machen,  dass  unter  den  Trans- 
sudaten 2  Fälle  (Tab.  Xb,  Nr.  2  und  10)  von  „plötzlicher  Him- 
capillartranssudation ",  wie  G.  Schmidt  sie  nennt,  aufgezählt  sind: 
denn  wie  unklar  der  ganze  Abschnitt  von  den  Ursachen  acuter  Er- 
güsse in  der  Schädelhöhle  gegenwärtig  noch  ist,  das  sieht  man 
am  besten  in  der  Einleitung  zu  der  „ Leptomeningitis  infantum"  in 
Y.  Ziemssen's  Handbuch  XL  Bd.  1.  Hälfte  S.  424,  wo  entzündliche 
und  nicht  entzündliche  Flüssigkeitsergüsse  durch  einander  aufgezählt 
werden.  Möglich,  dass  die  chemische  Analyse  hier  später  auch  mehr 
Klarheit  schafft. 

Aber  selbstverständlich  geben  diese  3  Analysen  absolut  kein  Bild 
von  den  Exsudaten  in  der  Schädelhöhle;  es  sind  ja  nur  Transsu- 
date, die  mit  leichtem  Entzündungsprocess  complicirt  waren.  Um 
irgend  eine  Vergleichung  mit  Flüssigkeiten  aus  anderen  Höhlen  an- 
stellen  zu  können,  müssen  wir  also  erst  Analysen  von  Exsudaten 
bei  echter  Meningitis  machen. 

Nach  Abzug  dieser  bleiben  von  reinen  Transsudaten  24, 
von  denen  die  meisten  von  Hydrocephalus  congenitus  und  von  Spina 
bifida  stammen. 

Ihr  Maximum  im  Eiweissgehalt  liegt  ungefähr  zwischen  5  und 
6  pro  mille  entsprechend  einem  Fixa-Gehalt  von  15  bis  17  pro  millei 


Zar  klinischen  Beurtheilong  von  Exsudaten  und  Transsudaten.         599 

ihr  Minimam  gebt  unter  0,5  pro  miile  beranter,  ja  9  Fälle  baben 
weniger  als  1  pro  mille  Eiweiss. 

Tabelle  X. 
24  Flüssigkeiten  von  18  Patienten. 


Mittal 

MAxlraam 

Mlnloraoi 

Anzahl 
der  FiUla 

Fixa 

Orffanische  Stoffe 
Albumin     .    .    . 
FiXtracUYStoffe    . 
Salze      .... 

11,90 

3,47 
1,44 

1,97 
8,40 

16,46 
7,98 
5,64 

9,80 
1,41 
0,25 

20 
19 
17 
13 
19 

Aas  diesem  ersiebt  mau,  dass  man  bier  ans  den  organiscben 
Stoffen  gar  nicht  auf  die  Eiweissmengen  scbliessen  darf:  die  Menge 
der  Extractivstoffe  ist  1—3  mal  so  gross,  als  die  Eiweissmenge. 

Was  den  Umstand  betrifft,  ob  die  Flüssigkeit  aus  den  Hirn- 
bauten  oder  Himböblen  oder  von  einer  Spina  bifida  stammt,  so  sind 
diese  so  bunt  durcbeinander  gestreut,  dass  man  wohl  siebt,  dass 
dies  keinen  Unterschied  in  dem  Gebalt  der  Flfissigkeit  bewirkt 

Im  Gegensatz  zu  dem,  was  bei  andern  Klassen  der  Transsudate 
gefunden  wurde,  sehen  wir  bier  bei  mehrfachen  Functionen 
meist  ein  geringes  Steigen  des  Eiweissgebaltes.  Dies  bat 
wohl  darin  seinen  Grund,  dass  beim  Hydrocepbalus  eine  Function 
nicht  so  indifferent  ist,  wie  bei  den  andern  serösen  Höblen,  sondern 
eine,  wenn  auch  geringe  Reizung  setzt,  aucb  ohne  eigentliche  Ent- 
zündung hervorzurufen. 

Eine  Beziebung  des  Gebalts  dieser  Flüssigkeit  zu  der  Blut- 
beschaffenbeit  ist  bisher  nicht  zu  constatiren. 

Resultate. 

Fassen  wir  nun  einmal  die  Maxima,  Minima  und  Mittel  der  in  Ab- 
schnitt I — lY  besprochenen  Untersuchungen  in  einer  Tabelle  (Nr.  XI) 
zusammen,  so  seben  wir 

1.  bei  den  Transsudaten  aucb  bei  diesen  grossen  Zablen 
den  Schmidt'scben  Satz  bestätigt,  dass  die  verschiedenen  Capillar- 
gruppen  Flüssigkeiten  von  verschiedener  Zusammensetzung  liefern 
und  dass  sich  im  Eiweissgehalt  Pleura,  Peritoneum,  Un- 
terbautzellgewebe und  Hirncapillaren  in  absteigender 
Ordnung  folgen^). 

1)  Aufgestellt  yon  G.  Schmidt  in  Liebig*s  Annalen.  Band  66.  S.  352,  und 
«Charakt.  der  epidemischen  Cholera''.  S.  146,  hier  mit  der  Modification,  dass  die 
Hirncapillaren  vor  dem  Unterhautzellgewebe  stehen. 


600  XXXTL  REU88 

2.  Ob  aber  dieser  Satz  aueh  für  die  reinen  Exsudate  Gekong 
Labe,  ist  sehr  fraglich;  eine  Entscheidung  können  wir  jetzt  noch 
nicht  darüber  treffeui  weil  unser  Material  noch  zu  ungleichartig  ist 
Ich  vennuthe,  sie  wird  negativ  ausfallen.  Wenigstens  scheint  mir 
bis  jetzt  Alles  dafür  zu  sprechen,  dass  eine  jede  idiopathische 
Entzündung  an  allen  Localitftten  des  Körpers  bei  glei- 
cher Intensität  ein  im  Eiweissgehalt  annähernd  glei- 
ches Exsudat  liefert.    (Siehe  die  Tabelle  bei  Satz  7.) 

3.  Femer  dürfen  wir  für  die  Exsudate  mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit den  Satz  aufbtelleni  dass  der  Eiweissgehalt  mit  dem 
Grad  der  Entzündung  steige:  eitrige  Exsudate  haben  einen 
höheren  Gehalt,  als  seröse,  und  jauchige  einen  höheren,  wenigstens 
an  organischen  Stoffen,  als  eitrige. 

4.  Nun  treffen  wir  aber  am  unteren  Ende  der  fieihen  von  ent- 
zündlichen Flüssigkeiten  solche  mit  weniger  Eiweissgehalt,  als  die  von 
primären  Entzündungen  stammenden  Exsudate:  dies  sind  entweder 
Transsudate,  zu  denen  ein  Entzündungsprocess  hinzu 
kam,  oder  aber  Exsudate  bei  hydrämischen  Individuen. 

5.  Denn  in  zweiter  Linie  hat  auf  die  Zusammensetzung  der  Ex- 
sudate so  gut,  wie  auf  die  der  Transsudate  die  Blutbeschaffen- 
heit Einfluss  (ferner  die  Dauer  der  Transsudation  und  die  Geschwin- 
digkeit des  Blutstroms,  welche  Momente  ich  in  dieser  Arbeit  nicht 
genauer  verfolgt  habe). 

6.  Oft  ist  es  schwer  zu  unterscheiden,  ob  eine  Flüssigkeit  ent- 
zündlicher oder  nichtentzündlicher  Natur  sei,  weil  sie  eben  beides 
zugleich  sein  kann,  und  daher  ist  es  unmöglich,  eine  allgemein  gültige 
Grenze  zwischen  Exsudaten  und  Transsudaten  in  Zahlen  anzugeben. 

7.  Wohl  aber  glaubte  ich  bei  den  einzelnen  Klassen  von  Flüssig- 
keiten aus  meinen  Zusammenstellungen  je  zwei  Zahlen  als  Durch- 
schnittsgrenzen aufstellen  zu  können,  gleichsam  als  ideales  Mini- 
mum für  die  reinen  Exsudate  und  als  ideales  Maximum 
für  die  reinen  Transsudate  der  verschiedenen  Capillarsysteme. 

Gewöhnlich  beträgt  der  Eiweissgehalt: 

bei  Exsudaten  bei  Transradaten 

mehr  als  weniger  als 

in  der  Pleura 40  25 

im  Peritoneum     ....  40  (45)  15  (—20) 

in  der  Haut 40  10  (—15) 

in  den  Hirnhäuten  .    .    .  ?  5( — 10) 

8.  Endlich  ergibt  sich  aus  obigen  Erörterungen,  dass  die  che- 
mische Untersuchung  der  durch  Paracentese  entleerten  Flüssigkeiten 


Zar  klinischen  Beurtheilimg  von  Exsudaten  und  Transsudaten.         601 

nicht  blofl  fttr  die  Diagnose  des  Torhandenen  ErsnkbeitsproeesaeB 
Yon  grosser  Bedeutung  ist,  sondern  unter  Umständen  auch  fdr  die 
Prognose:  Letzteres  ist  namentlich  bei  mehrfachen  Functionen  des- 
selben Kranken  der  Fall  und  es  Iftsst  sich  dabei  die  Regel  aufstellen, 
dass  bei  gleichbleibender  Intensität  des  Erankheitsprocesses  die  Pro- 
gnose sich  dem  Eiweissgebalt  entsprechend  verhält:  sie  wird  gttn- 
stiger,  wenn  dieser  steigt,  schlechter,  wenn  dieser  fällt. 


Literatur. 

Mähu  (1),  Etudes  sur  les  liquides  ^panch^s  dans  la  pl^yre.  Arcb.  g^n^r. 
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18  von  10  Fat;  Transsudate:  17  von  b  Fat.  —  Derselbe  (2i,  Nouvelles  recber- 
ches  sur  les  liquides  pathologiques  de  la  cavit^  pleurale.  Arch.  g^n^r.  de  M^d. 
Februar  IST  5.  Seröse  Exsudate :  63  von  52  Fat:  eitrige  Exsudate:  28  von  8  Fat: 
Transsudate:  22  von  13  Fatienten.  —  K.  Scnmidt,  Charakteristik  der  epi- 
demiscben  Cholera  gegenüber  verwandten  Transsudationsanomalien-  1^50.  Hydro- 
thorax:  2;  Feritonitis:  1;  Ascites:  3:  Infi,  cut:  3;  Anasarka:  1;  Hydrocepbalus : 
7.  —  Scnerer,  Chemische  und  mikroskopische  Untersuchungen  zur  Fathologie. 
1S43.  Seröse  Fleuritis:  3:  jauchige  FJeuntis:  1;  Feritonitis:  3*  jauchige  Peri- 
tonitis: 6;  Ascites:  3.  —  Simon,  Handbuch  der  mediciniscben  Öhemie.  11. TheU. 
8.581.  1842.  Eigene  Untersuchungen  von  Demselben:  Anasarka:  1;  Ascites:  1; 
Femphigusblase :  1.  —  Lehmann,  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie.  IL  Th. 
S. 311.  Hydrothorax:  I;  Fericardialerguss:  3;  Feiitonitis:  1;  Ascites:  2;  Hydro- 
cepbalus: 3.  —  Hoppe-Seyler  (1),  Analysen  von  Feritonealtranssudaten  bei 
Cirrbose.   Deutsche  Klinik.  1853.  S.  405.  Ascites:  4  von  1  Fat  mit  Lebercirrbose. 

—  Derselbe  (2),  Ueber  seröse  Transsudate.  Yirchow*s  Archiv.  Bd.  IX.  S.  245. 
Hydrotborax:  1;  Ascites:  4;  Anasarka:  1  (von  1  Fat.  mit  Lebercirrhose  und  von 
1  rat.  mit  Morbus  Brighti).  —  Derselbe  (3),  Ueber  die  ehem.  Zusammensetzung 
der  Cerebrospinalflüssigkeit  Yirch.  Archiv.  Bd.  XYI.  S.  391.  Spina  bifida:  5  von 
2 Fat;  Hydrocepbalus:  3.  —  Derselbe  (4),  Medicinisch- chemische  Untersuchun- 
gen. S.  291.  Femphigusblase:  l.  —  Bödecker,  Untersuchung  eines  Exsudats 
aus  der  linken  Brusthöhle.  Zeitschrift  für  rat  Med.  Bd.  VU.  S.  142.  Fleuritis 
serosa:  2.  —  Frericbs  (I),  Klinik  der  Leberkrankheiten.  iL  Theil.  S.  45.  Feri- 
tonitis: 3:  Cirrbose:  S.  —  Derselbe  (2),  Die  Brightsche  Nierenkrankheit.  S. 81 
u.  246.  Hydrothorax:  2;  Peritonitis:  1.  —  Schtscherbakoff,  Cerebrospinal- 
flOssigkeit  Dieses  Archiv.  Band  VII.  S.  225.  Spina  bifida:  3.  —  Gorup- 
Besanez,  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie.  S.  409.  Eigene  Untersuchung: 
Fericardialflüsfiigkeit:  1.  —  Bartels,  Klerenkrankheiten.  Ziemssen's  Handbuch. 
Bd.  IX.  1 .  Hälfte.  S.  96.  Pericardialflttssigkeit :  1;  Ascites:  1:  Anasarka:  1.  — 
0.  Weber,  Handbuch  der  Chirurgie:  in  Uhle  und  Wasner's Handbuch  der  allge- 
meinen Pathologie.  S.  298.  (Mit  vielen  Druckfehlem.)  Hydrothorax:  1  (unbrauch- 
bar); Pericardialflüssigkeit:  l;  Ascites:  1;  Infi,  cut:  2:  Anasarka:  1;  Cerebro- 
spinalflüssigkeit: 1.  —  Zimmermann,  In  der  Eiterrrage.  Yirchow  -  Hirsches 
Jahresber.  1856  (Original:  Freussische Yerdnszeitung.  1856.  Nr. 35— 49).  Fericar- 
dialflOssigkeit:  1;  Ascites:  1;  Infi. cut:  2;  Anasarka:  1.—  Breesney,  1  Hydro- 
meningocele  occip.  Yirchow-HirscVs  Jahresber.  1871.  —  Saintpierre,  Bulletin 
de  la  socchim.  ae  Paris.  1863.  Y.  p-34.  In  Schmidts  Jahrbüchern.  1864.  Bd.  123. 
S.  276.  Seröse  Fleuritis:  3  von  2  Fat  —  Buignet,  Eine  Tuberkulose  des  Peri- 
toneums. Mon.  des  Höpitaux.  1857.  In  Canstatt's  Jahresber.  1859.  —  Hilger, 
1  Hydrocepbalus.  Chemisches  Centralblatt  1S68.  Nr.  3.  In  Yirchow-Hirsch's  Jah- 
resberichten. 1868.  —  Yogel,  1  chronische  Feritonitis  bei  Gorup- Besau  ez  I.e. 

—  Berzelius,  1  Hydrocepbalus  bei  Simon  1.  c  —  Tenant,  1  Hydrocepbalus 
bei  Simon  I.e.  —  Marchand,  1  Ascites  bei  Simon  1.  c.  —  Mulder,  1  Hy- 
drocephalus  bei  Simon  1.  c.  —  Laboulböne,  1  Fleuritis.  Gaz  hebdom.  1874. 
No.  41 ;  untersucht  von  M6hu.    Siehe  unter  den  Analysen  vom  Februar  1875. 


602 

XXXI] 

f.  Rbdss 

Eigene  ITntersuchiingeii  mit  den  dain 

gehörigen  Krankengeichiohten. 

SpeclflichM 

1 

i 

B 

SS 

Gewicht 

a 

Eiwtlisgttbslt 

BftmeifcaatM 

1 

CirrhofiU  hepatiB 

1020,0 

Ar. 

? 

53,53 

a)    Tübingen. 

2 

PleuritiB  ser.  dextra 

1024,87 

P. 

15» 

66,28 

1024,0  Ar.  19«. 

3 

PleuritiB  ser.-pur.  sin. 

1027,0 

Ar. 

15» 

76,96 

serte-eitrig. 

4 

Peritonitis  chron.  adhaes. 

1016,98 

Ar. 

15« 

43,83 

1016,  Ar.  20,5. 

5 

Carcinoma  peritonei 

1017,63 

Ar. 

15« 

48,00 

üntexsuch.  tod  Prof. 
Dr.  LeickUnMUm. 

6 

»                » 

1018,58 

P. 

150 

45,20 

7 

if                » 

1016,5 

Ar. 

15« 

37,00 

8 

Ascites  ex  Titio  cordis 

1010,0 

Ar. 

? 

2,1  (?) 

9 

Pleuritis  ser.  sinistra 

1020,49 

P. 

15« 

48,30 

10 

Cirrhosis  hepatis 

1019,74 

P. 

15« 

41,42 

11 

Pleuritis  ser.  dextra 

^_ 

45,40 

b)    Manchen. 

12 

Anasaroa  bei  Amyloidniere 

-^ 

—' 

0,43  ?  ? 

Bei  der  Eindampfang 
theilweise  rerbrannt 

13 

A^^ca  l  Carcinoma  pylori, 
Anasarca  >   ^^^^^  parench. 

1010,376  P. 

15« 

13,66  Mittel 

14 

1010,17 

Ar. 

16« 

7,68  Mittel 

15 

1008,48 

P. 

15« 

4,91  AlkoholftUung 

16 

Pleuritis  haemorrhagica 

1028,6 

P. 

15« 

79,98  AlkoholfiOlung 

Mit  Bodensatz. 

17 

n                         n 

1021,1 

P. 

15« 

48,70  Siedhitse 

Etwas  decantirt. 

18 

(Ascites  0.)  Peritonitis  chron. 

1013,03 

P. 

15« 

20,63  Mittel 

19 

Anasarca  | 

1007,38 

P. 

15« 

0,63  Siedhitze 

20 

„         '  Nephritis  parench. 

1008,00 

P. 

15« 

0,53  Siedhitze 

21 

M                 J 

1007,58 

P. 

15« 

0,69  AlkoholMlung 

22 
23 

Anasarca      Myodegen.  cordis 

n            1 

1008,73 
1011,41 

P. 
P. 

15« 
15« 

6,24  Mittel 
11,50  Siedhitse 

24 

Anasarca  ex  emphys.  pulmon. 

1008,64 

P. 

15» 

5,58  Ifittel 

25 

Anasarca  1   Myodegen.  oder 
»         f        Nephritis 

1009,37 

P. 

15« 

6,49  Mittel 

26 

1012,48 

P. 

15« 

12,0    Nur   mit   dem 

1 

Polar-Apparat 

Weitere  Fälle  aus  der 

Tübingi 

?r  medicinischen  Klinik. 

1 

Peritonitis  chronica 

1022,0 

Ar. 

? 

66,8  pro  mille 

Im  chemischen  La- 

2 

Pleuritis  serosa  dextra 

1017,0 

Ar. 

? 

57,0     „        . 

>  boratorinm   unter 

3 

Pleuritis  serosa  sinistra 

1018,0 

Ar. 

? 

55,0     ,        „ 

sucht 

a)  Erankengeschichten  aus  der  Tübinger  Klinik. 

1.  Cirrhosis  hepatis,  JohanneB  Kern,  22  Jahre  alt.  1874  bemerkte 
Patient  zuerst  ein  Dickerwerden  des  Bauchs  ohne  Schmersen,  ohne  ge- 
schwollene Beine,  ohne  EJrbrechen,  nie  Blut  im  Stuhl.  Raschere  Zunahme 
seit  Frühjahr  1875.     Kein  eigentlicher  Potator. 

Bei  der  Aufnahme  am  11.  Aug.  1876  sehr  abgemagertes  Individaum, 
ohne  Oedem  der  Extremitäten.  Umfang  des  Abdomens  in  der  Nabelhdhe 
112  Cm.,  absolute  Dämpfung  im  Sitzen  von  oben  bis  unten,  nur  links  unter 
der  Mamilla  etwas  tympanitischer  I>armton.  Erste  Punction  am  14.  Aug. 
1876.  12,7  Liter  von  1019,5  spec.  Gew.  gelbgrflne,  helle,  sehr  eiweiss- 
reiche  Flüssigkeit;  jetzt  ist  die  harte  höckerige  Leber  zu  fühlen.    Eot- 


Zur  klinischen  Beurtheilnng  ?on  Exsudaten  und  Transsudaten.         603 

lassen  am  6.  Sept.  1876.  Wiederaufgenommen  am  23.  April  1877.  In 
der  Zwischenzeit  leidliches  Befinden ;  nun  aufgenommen  mit  starkem  Ikterus, 
sonst  Stat.  id.  der  früheren  Anfnahn)e.     Nabel  blasig  vorgetrieben. 

Vierte  Function:  Am  14.  Juni  1877  17250  Com.  von  1020  spec. 
Gew.  Albnmingehalt  5,3  Proc. 

2.  Pleuritis  serosa  dexira,  Adolf  Vogt,  27  Jahre  alt,  erkrankt  im 
Februar  1877  mit  Frösteln,  Schmerzen  auf  der  Brust  etc.  Nach  14  Tagen 
arbeitBunf&hig  wegen  Dyspnoe  und  Fieber,  das  nun  4  Wochen  lang  an- 
hielt. Bei  der  Aufnahme  am  4.  Mai  1877  Dämpfung  rechts  in  der  Ma- 
millarlinie  von  der  5.  Rippe  abwärts,  hinten  von  der  Spin.  scap.  ab.  Nach- 
dem das  Exsudat  noch  bis  zur  3.  Rippe  gestiegen:  Function  am  30.  Mai 
1877  1100  Gem.  dflnnflttssiges,  grflnliches  Serum,  6,6  Froc.  Albumin.  Ex- 
sudatgrenze auf  die  5.  Rippe  herab-  und  der  Leberrand  um  2  Finger  breit 
hinaufgegangen,  überragt  jedoch  den  Rippenbogen  noch  um  Handbreite. 
Dann  continuirliches  und  später  remittirendes  Fieber  bis  zu  seiner  Ent- 
lassung am  7.  Juli  1877. 

3.  Pleuritis  sero-purul.  sin.  Friedrich  Henne,  Tagelöhner,  37  Jahre 
alt,  seit  einer  Lungenentzündung  im  October  1875  nicht  mehr  ganz  gesund; 
steigende  Dyspnoe  seit  Mai  1876;  am  4.  Juli  1876  aufgenommen  mit  links- 
seitigem Erguss,  sodass  nur  im  1.  und  2.  Intercostalraum  eine  Spur  Schall 
vorhanden  ist  und  der  Herzstoss  rechts  von  der  Mittellinie  zwischen  Ster- 
nnm  und  rechter  Mamillarlinie  stattfindet,  ebenso  Dislocation  der  Milz  nach 
unten.  Vom  7. — 10.  und  14.— 17.  Juli  1876  Schroth'sche  Cur  ohne  Er- 
folg. Daher  Function  am  20.  Juli  1876  von  1475  Ccm.  trüber  gelber 
Flüssigkeit  1021  sp.  Gew.  bei  16  ^  Umfang  der  linken  Thoraxhälfte  2  Cm. 
weniger  als  früher,  und  das  Herz  um  2  Finger  breit  nach  links  gerückt. 
Kein  Fieber.  Auf  Wunsch  entlassen  am  24.  Juli  1876.  Wieder  aufge- 
nommen am  14.  Juni  1877  in  dem  Znstand  wie  vor  der  ersten  Function. 
Am  15.  Juni  1877  zweite  Function  (mit  Aspiration)  2450  Ccm.  trübes,  serös 
eitriges  Exsudat  1027  spec.  Gew.  7,5  Froc.  Eiweiss;  geringe  Ausdehnung 
der  Lungen;  Milz  steht  höher.     Verliess  die  Klinik  am  25.  Juni  1877. 

4.  Peritonitis  chron,  adhaesiva.  Katharina  Wenz,  57  Jahre  alt,  seit 
1873  leichte  Beschwerden  in  der  Reg.  iliac.  d. ,  die  sich  allmählich  zu 
krampfartigen  Schmerzen  steigerten.  Seit  1875  vermehrte  Resistenz  der 
Gegend.  In  den  letzten  4  Wochen  rapide  Schwellung  des  Leibes  bis  zu 
einem  Umfang  von  96  Cm.  in  der  Nabelhöhe.  Aufgenommen  am  3.  Juni 
1877.  Abgemagertes,  doch  nicht  kachektisches  Aussehen.  Abdomen  rechts 
resistenter  als  links,  überall  gedämpfter  Schall  bis  auf  die  Reg.  iliac.  sin. 
Function  am  6.  Juni  1877  von  6600  Ccm.  von  1016  spec.  Gew.,  grünlich 
gelb  mit  Fibrin  ohne  geformte  Gebilde.  Eiweissgehalt  4,3  Froc.  Jetzt 
fühlt  man  verschiedene  Tumoren  und  deutliches  peritonitiBches  Reiben.  Von 
Ende  Juni  ab  rasche  Verschlimmerung  unter  Erbrechen,  das  bald  füculent 
wird.  Tod  am  14.  Juli  1877.  Die  Section  bestätigt  die  klinische  Dia- 
gnose auf  chronische  Feritonitis,  indem  sich  eine  totale  Verwachsung  aller 
Därme  zu  einem  2  mannsfaustgrossen  Knäuel  zeigt,  das  Feritoneum  viscer. 
als  centimeterdicke  Flatte  mit  FaserstoflTmembranen  überzogen.  Kolon  und 
Mastdarm  stark  verengt  und  geknickt«  Interstitielle  Fneumonie  und  Schrum- 
pfung des  Unterlappens  der  rechten  Lunge.  Leber  mit  adenoiden  Knoten 
durchsetzt,  sonst  normal. 


604  XXXn.  Rfiuss 

5,  6  und  7.  Carcinoma  peritonei.  Agnes  Holzwarth,  57  Jahre  alt, 
im  Februar  seit  einer  Phlebitis  am  Unterschenkel  ein  langsames  Wachs- 
thum  des  Baachs  mit  Abmagerung  und  Appetitlosigkeit  bemerkt.  Nie  Schmer- 
zen im  Bauch.  Aufgenommen  am  3.  Jnni  t877.  Hemia  labil  maj.  sin. 
Oedem  der  Labien;  Bauchumfang  102  Cm.  in  der  Nabelhöhe.  Frder  Er* 
guss  in  den  Bauch,  nur  ein  kleiner,  kirschgrosser  Tumor  im  Epigaatrinm 
zu  fühlen.  Am  6.  Juni  1877  erste  Function  von  5000  Ccm.  spec.  Gew. 
1016,5  bei  20,5^  trttb  gelblich  mit  zahlreichen  Eiterkörperchen.  Eiweiss- 
gehalt  4,8  Proc.  Fibrinhaltig.  Jetzt  im  Meso-  und  Hypogastrium  Tumoren 
zu  fohlen  von  Kirsch-  bis  Ganseigrösse.  Am  14.  Jnni  1877  zweite  Ponction 
von  6900  Ccm.  spec.  Gew.  1016,5  bei  4,52  Proc.  Eiweiss.  Am  23.  Jnni 
1877  dritte  Function  von  3800  Ccm.  spec.  Gew.,  3,7  Proc.  Albumin.  Der 
Meteorismus  nimmt  immer  zu.  Dazu  Blutbrechen  und  blutige  DiarrhoSi 
Sopor  und  Tod. 

Section  ergibt  eine  diffuse  Garcinose  aller  Beckenorgane  des  Perito- 
neums mit  Leber  und  Milz,  der  linken  Pleura,  aller  Lymphdrüsen  und  der 
Muskeln,  ausgehend  wahrscheinlich  von  einem  cardnomatösen  Ovariam  der 
Hemia  labil  maj. 

8.  Stenosis  vahmlae  mitraiis  et  Ostii  aortae^  Hydrids  universalis. 
Barbara  Majer,  30  Jahre  alt,  schon  früher  Husten  und  Athembeach werden, 
namentlich  inter  graviditatem  im  24.  Jahre.  Im  26.  Gliederweh ;  dieses  Früh- 
jahr sehr  starke  Dyspnoe  und  Schwellung  der  Beine  und  des  Bauchs.  Auf- 
genommen am  17.  Oct.  1877.  Oedem,  Petechien  und  starke  Cyanose  der 
Haut,  quälender  Husten  ohne  Auswurf.  Lnngenemphysem ;  am  Herzen 
systolisches  und  diastolisches  Geräusch  und  Verstärkung  des  zweiten  Pul- 
monaltons.  Puls  klein.  Da  auf  Digitalis  (im  Infus  und  im  Pulver  ge- 
geben) keine  Besserung  erfolgt,  wird  am  13.  Nov.  1877  eine  Function  des 
Abdomens  gemacht,  durch  welche  3450  Ccm.  hellgelbes  Serum  von  1010 
spec.  Gewicht  mit  0,21  Proc  Albumin  entleert  wird.  Eine  grosse  Menge 
sickert  noch  nach.  Darauf  zwar  momentane  Besserung,  aber  bald  wieder 
Verschlimmerung.     Decubitus  und  am  21.  Novbr.  1877  Tod. 

Section  :  Herz  um  die  Hälfte  verbreitert,  besonders  der  rechte  Ven- 
trikel. Das  Ostium  der  Mitralis  stenosirt  zu  einer  balbmondfSrmigen  Oeff- 
nung,  welche  den  kleinen  Finger  nicht  durchlässt.  Ebenso  das  Ostinm  der 
Aorta  verengt.  Degeneration  des  Herzfleisches.  Mnskatnussleber.  Atrophie 
der  Nieren. 

9.  Pleuritis  serosa  sin.,  Pneumonia  croup.  dextra  lob.  sup,  et  med. 
Karl  Riedel,  26  Jahre  alt.  Seit  Neujahr  1878  unwohl  mit  Seitenstechen; 
Verschlimmerung  seit  dem  5.  Januar  1878.  Aufgenommen  am  11.  Januar 
1878.  In  der  linken  Pleurahöhle  ein  Exsudat  vorn  bis  zum  2.  Intercostal- 
raum  reichend,  Herz  bis  in  die  rechte  Parastemallinie  verdrängt,  hinten  von 
der  Spina  scap.  abwärts  Dämpfung.  Am  13.  Jan.  1878  bis  zur  Lungen- 
spitze alles  von  dem  Exsudat  erfüllt,  auch  auf  der  rechten  Seite  treten 
Schmerzen  auf.  Am  14.  Jan.  1878  Function  von  ca.  1000  Gem.,  klar, 
leichtflüssig,  von  1020  spec.  Gew.,  4,8  Proc.  Eiweiss.  Obere  Grenze  des 
Exsudats  bis  zum  3.  Intercostalraum  gesunken.  Nun  bildete  sich  auf  der 
rechten  Seite  eine  Pneumonie  heraus,  eine  zweite  Function  ergab  nur  wenig 
Exsudat.  Wegen  Lungenödems  wurde  eine  Venäsection  nöthig ;  ausserdem 
antipyretische  Behandlung  mit  Salicylsänre  und  Chinin,  bis  am  19.  Januar 


Zar  klinisclien  Beartheünng  von  Exsudaten  und  Transsadaten.         605 

1878  die  Resorption  des  Exsudats  und  die  beginnende  Lösung  der  Pneu- 
monie deutlich  zu  constatiren  war.  Vom  8.  Februar  1878  gans  fieberfrei. 
Eine  Tollst&ndige  Lösung  der  Pneumonie  tritt  nielit  ein,  so  dass  bei  der 
Entlassung  am  5.  Mars  1878  noch  ein  Rest  von  Infiltration  fortbesteht. 

10.  Peritonitis  ehr  an,  cum  Cirrhos.  hepaiis.  Bernhard  Fritz,  45  Jahre 
alt,  seit  zehn  Jahren  kränklich.  Seit  mehr  als  einem  Jahr  Dyspnoe  bei 
allen  Anstrengungen,  Herzklopfen,  Schwellung  des  Bauchs  und  den  Tag 
flber  auch  der  Fösse,  was  sich  bei  Nacht  verliert;  zuweilen  sehr  wenig 
Urin.  Potatorium  nicht  auszuschliessen.  Aufgenommen  am  6.  August  1878. 
Status  praes.:  Abgemagert,  kein  Ikterus.  Bauchumfang  107  Cm.  in  Nabel- 
höbe.  Kein  Emphysem.  An  der  Herzspitze  ein  blasendes  systolisches  Ge- 
räusch, nach  oben  schwächer  gegen  die  Aorta  zu.  Der  zweite  Pulmonal- 
ton  deutlich  accentuirt.  Freier  Erguss  in  die  Bauchhöhle;  Milz  nicht  nach- 
weislich yergrössert.  Leber  nicht  zu  umgrenzen.  Am  15.  August  1878 
Function:  ca.  5  Liter  leicht  trflbe  gelbliche  Flüssigkeit,  1018  spec.  Gew.  bei 
21  ^,  4,1  Proc.  Biweiss.  Die  obere  Grenze  des  Exsudats  geht  bis  zur  Mitte 
zwischen  Nabel  und  Schamfuge  bei  horizontaler  Rückenlage.  Leberdämpfung 
ragt  handbreit  über  den  Rippenbogen  hervor.  Am  17.  August  1878  nur 
noch  spurweises  Oedem  der  Unterschenkel.  Am  28.  August  1878  auf 
Wunsch  entlassen. 

b)   Krankengeschichten  aus  der  Münchener  Klinik. 

11.  Pleuritis  dexira,  Christine  Ellmann,  26  Jahre  alt,  vor  5  Wochen 
erkrankt  an  Seitenstechen,  nach  wenig  Tagen  Schüttelfrost  und  Hitze.  Auf- 
genommen am  2.  Mai  1878  in  die  zweite  medicinische  Klinik  zu  München. 
Das  Exsudat  reicht  hinten  bis  zur  Spina  scapulae,  vorn  bis  zum  untoren 
Rand  der  3.  C.  Am  5.  Mai  starke  Schmerzen,  die  einige  Tage  anhalten. 
Brustumfang  bei  der  Inspiration  rechts  42,5,  links  44  Cm.  Am.  7.  Mai 
1878  Punction  mit  dem  Apparat  von  Potain;  nur  200  Ccm.  entleert; 
serofibrinös,  leicht  blutig.  Albumingehalt  4,5  Proc,  darauf  Besserung.  Ent- 
lassen den  11.  Mai  1878. 

12.  Anasar ca  bei  Scrophulose^  Amyloiddegeneration  der  Nieren. 
Phthisis,  Caries  sterni.  Louise  Losino,  28  Jahre  alt.  Seit  dem  20.  Le- 
bensjahre häufig  Drüsenanschwellung ;  seit  1  Jahr  besteht  Caries  des  Brust- 
beins, bald  darauf  wurde  Oedem  der  Beine  und  Dyspnoe,  auch  häufigeres 
Urinlassen  bemerkt.  Stat.  praes.:  Am  28.  Januar  (Aufnahme  Münchner 
2.  roedicin.  Klinik):  Fistulöse  Geschwüre  auf  dem  Stemum,  Oedem  der  Unter- 
extremitäten bis  zur  Lendengegend.  Hochgradige  Schwellung  aller  Drüsen. 
Am  Herzen  ein  systolisches  Geräusch,  Dämpfung  des  Herzens  nicht  ver- 
grössert.  In  den  Lungenspitzen  rauhes  Athmen  und  einiges  Rasseln.  Leber 
von  der  5.  C.  ab  bis  5  Cm.  über  dem  Nabel  in  der  Papillarlinie  sich  er- 
streckend. Ascites  kaum  nachweisbar.  Harn  eiweisshaltig  ohne  Cylinder, 
zwischen  1  und  1  Vi  Liter  pro  Tag.  Anhaltende  Diarrhöen.  Gebessert 
entlassen  am  14.  April  1878.  Sehr  verwahrlost  wieder  aufgenommen  am 
23.  Juni.  Die  hydropischen  Ergüsse  beträchtlicher.  Leber  und  Milz  noch 
etwas  grösser.  Harn  enthält  jetzt  hyaline  Cylinder.  Am  11.  Mai  1878 
Drainage  der  Beine:  über  1  Liter  Flüssigkeit,  die  so  eiweissarm  ist,  dass 
sie  eingedampft  werden   muss,  um   dasselbe  auszufllllen;   dabei   geht  ein 


606  XXXn.  RBU86 

Theil  Terloren.    Abnahme  des  Hydrops;  keine  entsOndliche  Reisung  oder 
auch  nar  Schmerzen.    Hamverhaltong.    Tod  am  t4.  Mai  1878. 

Seetlon:  Girrhose  der  beiden  Lungenspiteen  und  Peribronchitis  dorch 
alle  Lappen  der  Lunge.  Herz  klein.  Mediastinal-  und  MesentexialdrOsen 
in  kllsige  brüchige  Knollen  umgewandelt.  Milz,  Leber,  Nieren  speckig  de- 
generirt;  in  der  Leber  ausserdem  ein  Käseherd.  Im  S  romanum  ein  grosses 
Geschwür  mit  drohendem  Dnrchbruch. 

13.  14.  n.  15.  Ascites  und  Anasar ca  bei  Carcinoma  pylori  und  all- 
gemeine Carcinose.  Ludwig  Knorr,  49  Jahre  alt.  Nichts  Hereditäres  nach- 
zuweisen. Seit  einem  Jahre  Diarrhoe  mit  Druck  und  Stechen  in  der  Magen- 
gegend. Seit  Januar  eine  Geschwulst  in  der  Magengegend  bemerkt.  Auf- 
genommen am  24.  Januar  1878  in  die  2.  medicin.  Klinik  zu  Mflnchen. 
Stat.  praes.:  Etwas  Kachexie,  Lungen  und  Herz  normal,  bis  auf  eine 
leichte  Abschwächung  des  Percussionsschalls  der  linken  Spitze.  Abdomen 
eingesunken.  Ueber  dem  Nabel  ein  höckeriger,  harter,  faustgrosaer  Tumor, 
schmerzhaft  bei  Druck  und  verschiebbar  mit  dem  Wechsel  der  Körperlage 
und  bei  Aufblähung  des  Magens.  Schwellung  der  InguinaldrOsen.  Kein 
Ascites.  Anfang  Februar  ein  maniakalischer  Anfall.  Mit  der  Pravaz'schen 
Spritze  am  4.  April  diagnostische  Pnnction  eines  inzwischen  entstandenen 
Ascites,  Tumor  schwer  abzugrenzen;  es  gelingt  zwar,  ihn  mit  der  Har- 
pune anzustechen,  doch  bringt  letztere  keine  Gewebsfetzen  mit  heraus; 
Hydrothoraz ;  Oedem  der  üntereztremitäten  und  des  Präputiums.  In  den  fol- 
genden Tagen  rasches  Wachsthum  der  Flüssigkeit  mit  Schmerzen  im  Unter- 
leib. Am  18.  April  erste  Punction  des  Abdomens,  490  Gem.  von  1009  spec 
Gew.  Der  Tumor  deutlich  zu  umgrenzen.  30.  April:  Am  Hals  Knoten 
zu  fühlen ;  Zunahme  des  Oedems.  Dämpfung  beider  Spitzen  ohne  Rasseln. 
Ebenso  leerer  Schall  über  dem  Mediastinalraum  (Sternum) ;  heisere  Sprache. 
8.  Mai:  Drainage  beider  Unterextremitäten:  Flüssigkeit  von  1009  apec. 
Gew.,  Eiweissgehalt  0,7  Proc.  Am  11.  Mai  Punction  des  Abdomens  und 
Drainage  der  Arme  mit  1,3  Proc.  und  0,4  Proc.  Ei  weiss.  (Die  Mengen 
beider  Punctionen  nicht  notirt.)  Am  13.  Mai  Temperatursteigerung,  grosser 
GoUaps,  Erbrechen,  Tod. 

Seetlon:  Doppelseitiger  Hydrothorax  und  Hydropericardium.  Alle  Drfl- 
sen  zu  dicken,  derben  käsigen  Knollen  umgewandelt,  namentlich  Cervical- 
und  Mesenterialdrüsen.  Pylorus  zu  einem  höckerigen  Ringe  umgewandelt; 
die  übrige  Magenwandung  von  braunen  Punkten  durchsät.  Leber  derb, 
knirschend,  Nieren  vergrössert,  Rinde  blass,  Pyramiden  dunkler. 

16.  u.  17.  Pleuritis  haemorrhag.  Stammt  von  einem  Patienten  der 
1.  medicin.  Klinik  in  München  von  Prof.  Oietl,  ohne  Krankengeschichte 
mir  nur  zur  Untersuchung  geschickt. 

18.  Peritonitis  chron,  Frl.  0.  K.,  Privatpatientin  des  Herrn  Prof. 
V«  Ziemssen,  nach  mündlichen  Mittheilungen:  Die  Krankheit  begann  vor 
ca.  5  Jahren  mit  Schmerz  in  der  Göcalgegend,  später  auch  Leberschwel- 
lung; nimmt  aber  einen  so  langsamen  Verlauf,  dass  im  Jahre  kaum  iwei 
Punctionen  nöthig  werden.  Menge  6400  Gem.,  fibrinhaltig,  1013  spee.  Gew. 
2,0  Proc.  Eiweiss. 

Nachträglicher  Mittheilung  des  Herrn  Prof.  v.  Ziemssen  zu  Folge 
ist  Patientin  nach  In  Summa  6  maliger  Punction  des  Abdomens  am  2.  Febr. 


Zar  klinischen  Beurtheilung  von  Exsudaten  und  Transsudaten.         607 

1879  gestorben.  Die  Seetlon  ergab  die  Residuen  chronischer  Peritonitis 
und  frische  Nephritis  parenchymatosa. 

19.  20.  u.  21.  Anasarca  von  Nephritis  parenchym.  Barou  v.  X. 
aus  Stockholm,  36  Jahre  alt,  Privatpatient  der  2.  Mflnchener  medicinischen 
Klinik.  Giebt  an  seit  seiner  Jugend  an  Scrophulose  und  Albuminurie  zu 
leiden,  ohne  dass  er  Scharlach  oder  sonst  eine  Krankheit  durchgemacht 
hfttte.  In  den  letzten  Tagen  starke  Zunahme  des  Hydrops.  Nie  urämi- 
sche ZufUle.  Stat.  praes.:  Blasse  Hautfarbe,  allgemeines  Anasarka  bis 
znm  Kopf,  doppelseitiger  Hydrothorax  bis  zur  Mitte  der  Scapula,  Ascites 
bis  drei  Finger  breit  über  dem  Nabel.  Herz  vollständig  normal;  Verdauung 
in  Ordnung,  nur  etwas  Diarrhoe.  Hammengen  schwanken  zwischen  800 
und  1400  Gem.  pro  Tag,  Albumingehait  desselben  Aber  2  Proc  Appetit 
vortrefflich.  Am  28.  Juni  erste  Drainage  der  Beine  von  1400  Ccm.  und 
0,06  Proc.  Eiweissgehait ;  am  2.  Juli  zweite  Drainage  von  600  Ccm.  und 
0,05  Proc.  Eiweissgehait;  am  5.  Juli  dritte  Drainage  890  Ccm.  und  0,7  Proc. 
Eiweissgehait;  alle  drei  an  den  Untereztremitäten ,  starke  Abnahme  des 
Oedems,  Ascites  bis  auf  Nabelhöhe  gesunken,  das  Gesicht  weniger  ge- 
dunsen. Patient  reist  nach  3  wöchentlicher  Behandlung  fast  frei  von  Hy- 
drops nach  Paris  ab,  woselbst  er  mündlicher  Mittheilung  des  Dr.  Heim  er 
zu  Folge  im  December  verstorben. 

22.  u.  23.  Anasarca  hei  Myodegeneratio  cordis»  Anna  Sterr,  72  Jahre 
alt,  früher  nie  erheblich  krank,  seit  7  Wochen  geschwollene  Füsse  und 
Schwerathmigkeit,  Husten  ohne  Auswurf.  Stat.  praes.:  Herzdämpfung  all- 
seita  vergrössert,  Herzaction  sehr  frequent,  unregelmässig,  aussetzend,  Töne 
rein,  Atherom  der  Arterien.  Hydrothorax  bis  zum  Scapulawinkel.  Massiges 
Anasarka.  Harn  eiweissfrei.  Am  10.  Juli  1.  Drainage  (fliesst  fort  bis 
12.  Juli)  von  1350  Com.,  0,5  Proc.  Albumin;  starke  Verminderung  des 
Oedems.  Am  19.  Juli  schwellen  die  Unterschenkel  wieder  an,  als  Patientin 
einen  Tag  ausser  Bett  war.  Am  22.  Juli  2.  Drainage:  Es  fliesst  nur  sehr 
wenig  ab,  Albumingehalt  1,15  Proc.  Aligemein  befinden  sehr  gebessert. 
Puls  voll,  regelmässig.    Urinmenge  früher  unter  600,  jetzt  über  1000  Ccm. 

24.  Anasarca  bei  Emphysema  pulm.  und  Degeneraiio  cordis,  Pan- 
kratius  Lieb,  70  Jahre  alt,  Trompeter.  Seit  vor  2V2  Jahren  gesund,  seit- 
her oft  Athembeschwerden.  Seit  6  Wochen  Schwellung  der  Beine  und  des 
Unterleibs,  verminderte  Urinsecretion ,  Obstipation,  kein  Husten.  Status 
praes.:  Puls  voll,  unregelmässig.  Orthopnoe.  Emphysem  der  Lungen, 
starkes  Oedem  der  Unterextremitäten  mit  Verdickung  der  Cutis.  Starke 
Cyanose.  Auf  den  Lungen  ausgebreiteter  Katarrh.  Herzdämpfung  nach 
rechts  vergrössert,  Töne  ziemlich  rein,  starker  Venenpuls  und  Puisatio 
hepatica.  Leber  und  Milz  vergrössert.  Harn  spärlich.  Drainage  am  10^  Juli 
530  Ccm.  und  0,5  Proc.  Eiweiss.  Das  Oedem  der  Beine  vergangen,  Fal- 
tung der  Haut.  Die  starke  Dyspnoe  durch  Amylnitrit  momentan  verrin- 
gert. Am  15.  Juli  wiederholte  Orthopnoe,  Schwellung  der  Beine  und  asth- 
matische Anfälle,  Steigen  des  Hydrothorax.     Tod  am  21.  Juli. 

Seetlon :  Excentrische  Hypertrophie  beider  Ventrikel  mit  diffuser  Fettde- 
generation der  Muskelsubstanz,  Lungenemphysem,  Muskatnussleber,  Schrumpf- 
niere, Atherom  der  Arterien,  Aorta  mit  Endarteriitis  deformans. 

25.  u.  26.  Anasarca  von  Myodegeneratio  cordis  oder  Nephritis. 
Wegen  Abreise  fehlen  mir  die  Notizen. 


608 


XXXII.  Reuss 


II.  1.  Peritonitis  chron,  Therese  Bo^nsohfltz,  22  Jahre  alt.  Er- 
krankt im  October  1873  mit  heftigen  Schmerzen  im  Bauch.  Seit  Febniar 
1874  Schwellang  des  Banchs.  März  1875  Umfang  desselben  104  Gm. 
in  der  Nabelhöhe.  Am  12.  März  1875  Panction  von  8500  Gem.,  grfln- 
lichgelb,  hell,  dickflassig  1022  spec.  Gew.,  5,6  Proc.  Eiweissgehalt,  fibrin- 
haltig.  Abnahme  des  Umfangs  auf  90  Gm.  Unter  Einreibung  von  Ungt. 
einer,  erfolgte  nach  manchen  Schwankungen  doch  vollständige  Heilung.  (Ge- 
nauer beschrieben  in  der  Dissertation  von  Dr.  Stein  brück). 

2.  Pleuritis  exsud.  dext.  Johannes  Kogler,  65  Jahre  alt,  erkrankt 
am  7.  März  1876  mit  Frieren  und  Seitenstechen;  seither  immer  kurzathmig 
und  arbeitsunfähig.  Aufgenommen  am  7.  Juli  1876.  Exsudat  rechts  von 
der  4.  C.,  hinten  von  der  Mitte  der  Scapnla.  Am  21.  Juli  1876  Panction 
mit  Aspiration  von  1100  Gem.  grünlicher  seröser  Flttssigkeit,  1017  spec. 
Gew.;  gleich  nach  der  Entleerung  5,7  Proc.  Eiweissgehalt.  Geheilt  ent- 
lassen am  4.  August  1876. 

3.  Pleuritis  serosa  sinistra.  L.  Biesinger,  b^jt  Jahr  alt.  Vor  acht 
Wochen  allmählich  erkrankt  mit  Appetitlosigkeit  und  Fieber,  wenig  Hasten. 
Aufgenommen  am  14.  November  1876.  Status  praes.:  Ziemlich  ma- 
gerer Knabe.  Linker  Intercostalraum  verstrichen,  linke  Thoraxhälfte  4  Cm. 
mehr  Umfang  in  der  Mamillarhöhe  als  die  rechte,  ist  von  oben  bis  unten 
gedämpft  mit  Ausnahme  eines  2 — 3  fingerbreiten  Streifens  von  tympaniti- 
schem  Schall  längs  der  Wirbelsäule.  Am  21.  November  1876  Panction 
von  370  Gem.,  1018  spec.  Gew.  und  5,5  Proc.  Eiweissgehalt,  von  da  an 
langsame  Resorption  bis  zum  19.  December,  wo  er  mit  einer  relativen 
Dämpfung  und  unbestimmtem  Athmen  in  der  rechten  Lungenspitze  ent- 
lassen wird. 


Tabelle  1. 
Pleuritis  sero-flbrlnosa. 

a)    Untersuchungen  mit  Bestimmung  des  Albumins. 


FiXA 

Albnmln 

fixtractlv- 
fltoffe 

Sali« 

Fibrin 

■  ■■    ^— ^— ~ 

B«nMrtnf8B 

1 

Eigene  Unters. 

-- . 

66,28 

_. 

— 

_ 

2 

Tübinger  KUnik 

— 

57,00 

— 



— 

3 

Cam.  Sainipierre 

68,30 

56,93 

(10,57) 

0,79 

4 

Tübinger  Klinik 

— 

55,00 

— 

— 

5 

Scherer 

63,94 

52,78 

2,96 

7,60 

0,60 

2.  Punkt,  zu  Nr.  10. 

6 

Bodecker 

63,20 

52,15 

1,52 

9,00 

0,53 

7 

Scher$r 

72,00 

52,00 

9,80 

10,20 

— 

8 

Bodecker 

61,95 

51,11 

1,50 

8,82 

0,52 

9 

Saintpierre 

60,99 

49,95 

(10, 

81) 

0,25 

1.  Punkt,  zu  Nr.  13. 

10 

Scherer 

64,4S 

49,77 

5,60 

7,93 

0,62 

1.  Punkt,  zu  Kr.  5. 

11 

Eigene  Unters. 

— 

48,30 

— 

— 

— 

12 

if                  n 

— 

45,45 

— 

— 

— 

13 

Saintpierre 

57,12 

39,60 

(17,37) 

0,15 

Exsud.  aus  d.Leichfl  2a  Nr.  9. 

Summe 

511,98 

676,32 

21,98 

43,55 

3,46 

Mittel 

64,00  (8) 

52,02  (13) 

4,27  (5) 

8,71(5) 

0,49  (7) 

Zur  klinischeo  BeartheUung  Ton  Exsudaten  and  Transsudaten.        609 


*; 

Untersuchungen  mit  Bestimmung  der  arg 

manischen  Stoffe. 

Nr. 

Aator 

Flu 

Orraoisoh« 

stoir« 

8«lM 

FfbrlA 

BemerlnatMi 

1 

Meku 

1. 

79,40 

71,33 

8,07 

0,565 

1.  Function  lu  Nr.  1  u.  9. 

2 

2. 

75,60 

66,60 

9,00 

0,370 

3 

2. 

74,30 

66,t0 

8,20 

nicht  bestimmt 

4 

3. 

73,55 

66,10 

7,45 

0,966 

5 

» 

1. 

74,73 

65,43 

9,03 

0,175 

6 

2. 

73,55 

65,15 

8,40 

1,140 

7 

1. 

72,04 

64,70 

7,70 

0,233 

8 

2. 

71,20 

63,20 

8,00 

0,465 

2.  Function  zu  Nr.  66. 

9 

1. 

71,18 

— 

— 

0,846 

2.  Function  zu  Nr.  1. 

10 

2. 

70,40 

62,50 

7,90 

0,866 

11 

1. 

70,07 

61,90 

8,09 

0,102 

12 

Seherer 

61,80 

^"~ 

""• 

Vgl.  Tabelle  a)  Nr.  7  wegen 
übrigen  Zahlen. 

der 

13 

Miku 

2. 

70,40 

61,60 

8,80 

0,172 

2.  Function  zu  Nr.  20. 

14 

1» 

1. 

69,90 

61,35 

8,55 

0,315 

1.  Function  zu  Nr.  14,  67. 

15 

« 

l. 

68,90 

60,26 

8,64 

1,276 

16 

n 

2. 

68,00 

60,20 

7,80 

0,110 

17 

» 

1. 

68,36 

60,13 

8,23 

0,247 

18 

9 

2. 

68,30 

59,70 

8,60 

nicht  vollstän- 
dig bestimmt 

19 

n 

2. 

67,46 

59,26 

8,20 

0,181 

20 

» 

2. 

67,30 

59,10 

8,20 

nicht  bestimmt 

1.  Function  zu  Nr.  20,  13. 

21 

9 

2. 

67,85 

58,85 

9,00 

0,326 

22 

n 

2. 

67,35 

58,75 

8,60 

0,180 

2.  Function  zu  Nr.  62. 

23 

n 

1. 

66,57 

58,55 

8,02 

0,100 

1.  Function  zu  Nr.  23,  83. 

24 

n 

2. 

66,80 

58,50 

8,30 

0,230 

25 

1 

n 

2. 

66,25 

58,15 

8,10 

0,126 

1.  Function  zu  Nr.  25,  46. 

26 

9 

2. 

65,45 

57,75 

7,70 

0,353 

27 

f» 

2. 

66,30 

57,70 

8,60 

0,245 

28 

• 

2. 

65,40 

57,60 

7,80 

nicht  bestimmt 

29 

» 

2. 

65,00 

57,60 

7,50 

0,670 

30 

« 

1. 

65,88 

57,48 

8,10 

0,443 

31 

• 

2. 

65,44 

57,14 

8,30 

0,320 

32 

9 

2. 

65,50 

57,10 

8,40 

0,187 

33 

■w 

2. 

64,73 

56,83 

7,90 

0,282 

34 

« 

2. 

64,70 

56,70 

8,00 

nicht  bestimmt 

35 

» 

2. 

65,40 

56,60 

8,80 

0,324 

■ 

36 

Seherer 

56,55 

— 

— 

Yergl.  Tabelle  a)  Nr.  10. 

37 

M€hu 

1. 

65,25 

56,45 

8,71 

0,107 

3S 

Seherer 

— 

56,34 

— 

— 

Vergl.  Tabelle  a)  Nr.  5. 

39 

Mihu 

2. 

63,50 

56,20 

7,30 

0,262 

2.  Function  zu  Nr.  74. 

40 

9 

2. 

62,40 

56,20 

8,20 

0,225 

1.  Function  zu  Nr.  40, 94, 96, 

72. 

41 

9 

2. 

65,50 

56,10 

8,60 

0,797 

42 

9 

1. 

64,84 

55,83 

9,01 

0,138 

43 

9 

1. 

63,40 

55,40 

8,10 

0,320 

44 

9 

2. 

63,65 

55,25 

8,40 

1,581 

i     •                       A. 

45 

9 

1. 

63,50 

55,02 

8,48 

0,294 

2.  Function  zu  Nr.  73. 

46 

9 

2. 

62,50 

54,80 

7,70 

0,725 

2.  Function  zu  Nr.  25. 

47 

9 

l. 

63,70 

54,79 

8,91 

0,134 

48 

9 

1. 

63,45 

54,75 

8,01 

1,207 

49 

1 

9 

2. 

62,53 

54,73 

7,80 

0,271 

50 

9 

1. 

62,40 

54,40 

8,64 

0,091 

1.  Function  zu  Nr.  50,  85. 

51 

9 

2. 

62,25 

54,35 

7,90 

1,015 

52 

Bödeckm 

i 

— 

54,20 

1 

^■^^ 

Yergl.  TabeUe  a)  Nr.  6. 

Dsntsehes  ArchiT  f.  kUn.  Mediein.  XlIV.  Bd. 


39 


610 


XXXn.  Rbdss 


Nr. 

Autor 

FlZA 

Organliche 
Stoffe 

Salse 

Fibrin 

Bemeiknngea  ]    i 

53 

M€hu       2. 

62,26 

54,26 

8,00 

0,702 

54 

1. 

61,99 

53,84 

8,15 

1,182 

55 

2. 

62,60 

53,80 

8,80 

0,240 

56 

2. 

61,90 

53,80 

8,10 

0,070 

57 

2. 

61,76 

53,76 

8,00 

0,160 

58 

2. 

62,41 

53,71 

8,70 

0,305 

59 

2. 

61,70 

53,60 

8,10 

0,195 

60 

l. 

60,50 

53,48 

7,20 

1,160 

61 

1- 

62,25 

53,40 

8,85 

0,073 

62 

2. 

61,75 

53,35 

8,40 

0,147 

1.  Punctioii  XU  Nr.  62,  22. 

63 

2. 

61,30 

53,20 

8,10 

0,047 

2.  Function  zu  Nr.  63,  99,  ge- 
atorben. 

64 

ßödecker 

— 

53,13 

— 

Vergl.  TabeUe  a)  Nr.  8. 

65 

M€hu      2. 

61,20 

53,00 

8,20 

0,116 

66 

2. 

60,40 

52,90 

7,50 

0,105 

l.  Function  zu  Nr.  66,  8. 

67 

1. 

61,76 

52,87 

8,89 

0,280 

2.  Function  zu  Nr.  U. 

68 

2. 

61,46 

52,76 

8,70 

0,344 

69 

2. 

60,89 

52,59 

8,30 

0,638 

1.  Function  zu  Nr.  69,  87. 

70 

2. 

61,37 

52,51 

8,60 

0,568 

71 

2. 

60,06 

52,44 

7,62 

0,350 

Später  eitrig  geworden.  1 .  Funet 

72 

2. 

60,68 

51,98 

8,70 

0,198 

4.  Function  zu  Nr.  40. 

73 

1. 

60,62 

51,96 

8,66 

0,124 

1.  Function  zu  Nr.  73,  45. 

74 

2. 

59,40 

51,80 

7,60 

0,243 

1.  Function  zu  Nr.  74,  39. 

75 

1. 

60,21 

51,79 

8,42 

0,101 

76 

2. 

56,69 

51,56 

7,40 

0,212 

77 

2. 

59,50 

51,40 

8,10 

0,192 

t  FhthiniA. 

78 

1. 

60,01 

51,16 

8,85 

0,224 

79 

1. 

60,01 

51,16 

8,85 

0,106 

Yergl.  Mihu  2.  unter  den  eitri- 
gen Exsudaten.     1.  Function. 

80 

2. 

59,13 

51,13 

8,00 

0,166 

81 

1. 

59,76 

51,67 

8,69 

0,294 

82 

t- 

59,01 

50,70 

8,40 

0,450 

83 

1. 

58,18 

50,17 

8,01 

0,088 

2.  Function  zu  Nr.  23. 

84 

2. 

57,35 

50,03 

7,32 

0,277 

85 

1. 

58,06 

50,0  t 

8,05 

0,402 

2.  Function  zu  Nr.  50. 

86 

1. 

58,10 

50,00 

8,01 

0,091 

Yergl.  Mihu  2.  unter  den  eitri- 
gen Exsudaten.    1 .  Pusction. 

87 

2. 

57,62 

49,62 

8,00 

1,280 

2.  Function  zu  Nr.  69. 

88 

2. 

57,85 

49,15 

8,70 

0,046 

89 

2. 

56,26 

48,56 

7,70 

0,273 

90 

2. 

56,80 

48,30 

8,50 

0,092 

91 

2. 

55,55 

48,05 

7,62 

0,350 

Später  eitrig  geworden.  2.  Funct. 

92 

2. 

54,62 

47,03 

7,60 

0,224 

93 

2. 

54,84 

46,24 

8,60 

0,105 

94 

2. 

54,09 

45,79 

8,30 

0,638 

2.  Function  zu  Nr.  40. 

95 

2. 

53,75 

45,75 

8,00 

1,315 

96 

2. 

54,07 

45,57 

8,50 

0,095 

3.  Function  zu  Nr.  40. 

97 

2. 

52,44 

45,34 

7,10 

0,262 

98 

n             2. 

50,86 

43,28 

7,58 

0,076 

IJebergang  in  Eiterung.  3.Piuict. 

99 

2. 

51,59 

42,49 

9,10 

0,000 

f  2.  Function  zu  Nr.  63. 

Summe 

5936,74 :  94 

5386,46 ;  98 

764,31 :  93 

32,588 :  88 

4-  Tabelle  a 

511,98:8 

43,55 : 5 

3,460 : 7 

6448,72 :  102 

807,86 :  98 

36,048  :  95 

Mittel 

63,22 

54,93 

8,24 

0,a70 

Zur  klinlacbeD  Beurtheiloag  lon  Euodaten  und  Tmusodateo. 

Tabelle  IL 
PlenrltlB  sappnratira. 

a)    Fälfe  mit  Ausgang  in  Heilung. 


glEigeneUntenj 


75,96*  I    —    I*  Älbnmin, 
6)    Fälle  mit 


95,30 
94,73 
94,41 


66,30 
80,40 
76,10 


6S,40 
69,0S 
66,10 
66,49 
6e,55 
65,80 
65,07 
64,30 
64,90 

6i,eo 

01,90 


87,00 

8,30 

8M3 

8,10 

86,61 

7,80 

84,50 

8,10 

84,30 

8,60 

84,10 

7,50 

78,60 

7,70 

71,00 

8,40 

68,10 

8,10 

67,30 

8,60 

66,70 

8,00 

64,60 

8,60 

63,55 

8,60 

62,60 

8.50 

60,84 

8.70 

60,40 

8,00 

60,04 

9,04 

58,-JO 

8,Ü0 

57,70 

8,79 

57,19 

8,36 

66,90 

8,90 

56,54 

8,83 

66,40 

7,90 

56,06 

8,85 

54,70 

7,90 

63.40 

9,50 

53,38 

8.58 

51,20 

8,50 

50,60 

7,40 

45,01 

10,00 

43,40 

8,70 

27,60 

7,10 

26,95_ 

9,90 

1044,20 

177,85 

;     81.94 

8,41 

tödllickem  Ausgang. 

Idiopathigche  eitrige  Flenritü,  gestorben. 

4.  Function  la  Nr.  9. 
FTopncumotliom,  Tuberonlou.    8  FnDot.  (Nr.  3,  6, 

8,  12.  14,  II,  10,  11). 

5.  Function  in  Nr.  6. 

1.  FuDotion  tu  Nr.  3. 
Uämotharai  mit  Pleniitii  loppunitira.    6  Panotionen 

(die  3  enUn  deeaDtirt:  Nr.  6,  4,  33). 
3.  Fanction  id  Nr.  13. 

3.  Function  zn  Nr.  3. 

Idiopathisohe  icrO«,  ipeter  eitrige  PUniitu.  8  Func- 
tionen (Nr.  86,  79,  9,  2,  20,  28,  16,  15). 

7.  Fanction  lu  Nr.  3- 
Fnnction  in  Nr.  3. 
Fanction  id  Nr.  3- 
laritia  bei  PneamoDie:  Nr.  13,  39,  7,  33. 

5.  Fanction  la  Nr.  3. 

SerüBc,  apäter  eitrige  Fl.  4P.;  Nr. 71,  91,98,  16.  Tod. 
7.  Function  iq  Nr.  9. 
Pncumothonii  bei  Pbthiiie:  Nr.  17,  IT. 

2.  Fanction  za  Nr.  3t.  Owtorben  an  D;«pnoe. 
Blutige,  zpUter  eitrige  Plenntia:  Nr.  19,  12,  34. 
'    Function  za  Nr.  9. 

Function  zu  Nr.  3.     Gestorben. 

1.  Function  in  Nr.  19. 
Bei  Tuberculosc.     Gestorben. 

Puacdon  zu  Nr.   19,  gebewert  (T)  aui^treten. 
Function  zu  Nr.  9.     Geitorbcn. 
Pncumotborax  bei  Pbthiaii.     Geitorben. 

2.  Function  zu  Nr.  17.     Gestorben. 
e.  Function  zu  Nr.  9. 
2.  Function  zu  Nr.  13. 
LungengangrHn,  geatorbeD. 
IdiopsthiMhe  Plearitia:  Nr.  31,   IB. 

4.  Function  zu  Nr.  13.     Gestorben. 

6.  Function  zu  Nr.  6.     Gestorben. 


612 


XXXIL  Beuss 


Nachtrag. 


a)   Pleuritis  septica. 


Nr. 

Aator 

Flxa 

Albnmln 

ExtractiT- 
■toffe 

Balse 

Bcmdxlnuigwi. 

Seherer 

63,282 

3t,746 

27,113 

7,110 

Puerperalfieber. 

1 

2 


Eigene  Unters. 


b)   Pleuritis  kaemarrkagica. 


79,985 
48,702 


Rohe  Flüangkeit. 
Etwas  deoantirt. 


Tabelle  III. 
Hydrothorax. 

a)    Reine  Transsudate. 


Nr. 

Autor 

Flu 

Orfsnlache 
Stoffe 

ExtnctlT- 
stoffe 

SftlM 

BemorkoBgen 

1 

M€hu 

1. 

41,30 

32,3a 

9,00 

0,190 

Herzfehler.  2.  Function  su  Nr.  24. 

2 

tf 

2. 

40,80 

32,18 

7,90 

0,401 

Doppelseit  Hydrothorax  durch  «Bauch- 
tumor". 

3 

» 

2. 

39,11 

31,51 

7,60 

0,032 

Herzfehler.    3.  Function  zu  Kr.  9. 

4 

n 

2. 

36,60 

29,40 

7,20 

0,092 

Herzfehler. 

5 

Sehmidi 

36,05 

28,50 

7,56 

?    2.  Function  zu  Nr.  11. 

6 

Mihu 

2. 

36,S0 

28,20 

8,60 

0,210 

Herzfehler.    2.  Function  zu  Nr.  9. 

7 

n 

2. 

36,40 

27,90 

8,50 

0,345 

Herzfehler;  6.  F.  zu  Nr.  1 5.  Incuff.  mitr. 

8 

yt 

2. 

36,38 

27,58 

8,80 

0,374 

Herzfehler.     6.  Function  zu  Nr.  15. 

9 

n 

2. 

35,85 

27,40 

8,46 

0,190 

Herzfehler;  Nr.  9,  6,  3. 

10 

n 

1. 

34,80 

26,40 

8,40 

0,014 

Herzfehler.    3.  Function  zu  Nr.  24. 

11 

Schmidt 

-33,76 

26,12 

7,64 

— 

?    Nr.  11,6. 

12 

M€hu 

2. 

34,50 

26,00 

8,50 

0,146 

Herzfehler.    Insufficienz  der  Aorta  n 
TabeUe  IHb,  Nr.  1. 

13 

Ererißh» 

2. 

33,94 

25,64 

8,30 

— 

Morbus  Brighti. 

14 

n 

2. 

32,72 

24,90 

7,82 

— 

Morbus  Brighti.    * 

16 

MShu 

2. 

33,80 

24,90 

8,90 

0,469 

Herzfehler:  Nr.  16,  18,  19,  21,  8,  7. 

16 

n 

1. 

31,327 

23,24 

7,90 

0,187 

Herzfehler  und  Emphyaem:  Nr.  16.  30. 

17 

n 

1. 

30,61 

21,51 

9,10 

0,236 

Herzfehler.    Tod  in  tiefster  Schwiehe. 

18 

n 

2. 

29,20 

20,60 

8,60 

0,320 

Herzfehler.    2.  Function  zu  Nr.  15. 

19 

1» 

2. 

28,45 

20,09 

8,36 

0,163 

Herzfehler.    3.  Function  zu  Nr.  15. 

20 

n 

1. 

26,837 

18,00 

8,60 

0,237 

Herzfehler.    2.  Function  zu  Nr.  16. 

21 

n 

2. 

25,970 

17,27 

8,70 

0,087 

Herzfehler.    4.  Function  zu  Nr.  15. 

22 

n 

2. 

25,70 

17,00 

8,70 

0,017 

Herzfehler. 

23 

*f 

2. 

24,40 

15,80 

8,60 

— 

Herzafehler,  bald  darauf  Tod. 

24 

f» 

1. 

24,46 

15,56 

8,90 

0,107 

Herzfehler:  Nr.  24,  1,  10. 

25 

n 

1. 

23,86 

15,00 

8,86 

0,027 

Herzfehler;  doppebeitigerHydrothoiix. 

26 

n 

1. 

18,02 

9,61 

8,41 

nicht  best. 

?     1  neben  Ascites.     1.  Fnnctioa. 
?     1  neben  Ascites.     2.  Function. 

27 

n 

1. 

17,36 

8,91 

8,45 

nicht  best. 

28 

» 

2. 

15,40 

6,80 

8,60 

0,00 

Herzfehler  mit  Albuminurie.    Tod. 

Summe 
Mittel 


864,404 
30,87 


628,32 
22,51 


234,96 
8,39 


3,834 :  20 
0,191 


29 


Lehmann 


18,62* 


*  Albumin.   Aus  einer  L«ehe  bei  Cir- 
rhose  der  Leber. 


Zur  klinischen  Beurtheflong  von  Exsudaten  and  Transsudaten.         613 


Tabell 

6  III  b.    Mit 

zweifelhaßer  Diagnose. 

Nr. 

Antor 

Flu 

OrgaoUche  Stoffe 

ExtnetiT- 
■toffe 

Salze 

Bemerkungen 

1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 

Mihu        2. 
•             l 

1. 
1. 

Hopp€       2. 
0.    Weher 

49,54 

47,76 

46,96 

45,60 

43,60 

41,867 

42,410 

41,44  org.  Stoffe 
39,08     ,        , 
38,11     ,        „ 
37,00     .        , 
34,208 
33,38 
27,82  Alb. 
26,74     „ 

8,10 
8,68 
8,85 
7,80 
8,60 
8,50 

8,17 

0,081 
0,131 
0,000 
0,084 
0,008 
0,017 

0,60 

Bei  Insuff.  der  Aorta. 

Bei  Tubercnlose. 

Bei  Pneumonie. 

Bei  OTarieneyste. 
)  Reofataseitiger    Ergaas    bei 
1             Lebercirrhose. 

Morbnii  Brighti. 

Tabelle  IV.    Hydroperlcardiitia. 


Nr.             Autor 

Pfau 

AlbvmlD 

ExtnietlT- 
■toffe 

Salze 

Bemerkongen 

1 
2 
3 
4 
5 
6 

Gorup-Beeanez 

BarUU 

0.   Weher 

Lehmann 

jutmmevmann 

Lehmann 

44,87 
36,96 
34,89 

23,457 

24,68 
21,38 
20,15 
15,43 

14,( 
10,03 

12,69 
(15 

(94 

6,69 
58) 

8,763 

0,81  Fibrin. 
Morbus  Brighti. 

Bei  Tubercolose. 

? 
(Leiche.)  Bei  Leberoirrhose* 

Summe 
Mittel 

140,177  : 4 
35,04 

91,67 :  b 
18,33 

15,45:2 
7,72 

« 

Lehmann 


18,62 


8,79 


0,93        8,90        Normales  Secret. 


Tabe 

lle  V. 

Peritonitis. 

Nr. 

Autor 

FIxa 

Organitche 
Stoffe 

Albumin 

EztraotlT- 
•toffe 

Balze 

Bemerkongen 

1 

Schmidt 

68,20 

60,30 

.^ 

«■M. 

7,90 

Chron.Perit.  m.  LeberschwelL 

2 

Tub.  Elinik 

_ 

— 

55,80 

-—- 

Ghron.  Ferit,  idiopathische. 

3 

Eigene  Unters. 

-. 

_ 

53,53 

— 

Perit  neben  Lebercirrhose. 

4 

Buignet 

77,50 

71,50 

53,30 

— 

— 

Perit  neben  Tuberculose. 

5 

Eig.  Unters. 

^ 

— 

48,00 

— 

Perit  bei  Carcinom. 

6 

»           » 

— 

— 

45,20 

— > 

— 

Perit  bei  Carcinom. 

7 

»               n 

— 

— 

43,83 

— 

— 

Perit.  adhaesLTa. 

8 

Lehmann 

58,39 

49,49 

43,51 

5,98 

8,90 

Perit.  bei  Leberkrebs. 

9 

J.  Vogel 

54,00 

46,40 

42,80 

3,00 

7,40 

Fibrin  0,60,  idiopathische. 

10 

Preriehs    1. 

55,00 

— 

42,00 

— 

— 

Tuberculose  Peritonitis. 

11 

Big.  Unters. 

— 

41,42 

— 

— 

Bei  Lebercirrhose. 

12 

firerichs    1. 

52,00 

— 

38,60 

— 

— 

Idiopathische  Peritonitis. 

13 

£ig.  Unters. 

— 

— 

37,00 

— 

— 

Carcinom  des  Peritoneum. 

14 

Seherer 

47,01 

39,18 

34,58 

4,28 

7,22 

Fibrin  0,32.   Bei  Magen carcin. 

15 

Freriehs    2. 

49,20 

39,70 

32,50 

7,20 

9,20 

Neben  Morbus  Brighti. 

16 

Scherer 

39,51 

33,48 

29,73 

3,75 

5,94 

Bei  Magencarcinora. 

17 

Freriehs    1 . 

35,90 

— 

26,00 

— 

Bei  Lebercirrhose. 

18 

Marchand 

47,80 

36,90 

23,80 

13,10 

10,80 

? 

19 

Eig.  Unters. 

— 

— 

20,63 

— 

Bei  Lebercirrhose. 

20 

Scherer 

36,61 

27,99 

19,95 

8,04 

8,58 

Bei  Magenkrebs. 

21 

n 

33,90 

26,19 

18,72 

7,47 

7,83 

Puerperale  Perit.  nicht  jauchig. 

Summe 

655,02 :  13 

431,33:10 

750,90 :  20 

53,74 :  8 

73,77:9 

Mittel 

50,38 

43,13 

37,95 

6,72 

8,19 

614 


XXXII.  Reuss 


Tabelle  VI. 
Peritonitis  pnerperalis  epidem. 


Nr. 

Autor 

Flu 

Orvaalsohe 
Stoffe 

Albumin 

ExtrsetlT- 
»toffe 

Salxe 

Bamarkvacea 

1 
2 
3 
4 
5 
6 

Seherer 

» 

n 

97,30 

90,17 

90,209 

94,26 

81,34 

75,89 

89,56 
82,36 
81,00 
86,02 
73,17 
66,01 

50,63 
48,95 
48,17 
47,14 

38,93 
33,41 
32,83 
38,88 

8,83 
8,88 
9,00 
9,38 
8,17 
9,88 

Alle   ans  der  Leiche 
entnommeiL 

Samme 
Mittel 

529,169 : 6 
88,19 

478,12:6 
79,68 

194,89:4 
48,72 

144,05 : 4 
36,01 

54,14 : 6 
9,02 

' 
1 

Tabelle  VIT. 
Aseltes. 


Nr. 

Aator 

Fixa 

OrganlBohe 
Stoffe 

Albnmln 

ExtTMtlT- 

Btoffe 

BaIz« 

BenarkuBCCB 

1 

Hoppe        1 . 

30,36 

22,38 

19,29 

3,09 

7,98 

Leberoirrboee. 

2 

Weber 

27,33 

19,22 

17,91 

1,31 

8,11 

? 

3 

Hoppe        2. 

32,32 

— 

16,11 

— 

— . 

Morbus  Brigbti. 

4 

Frerichs      1. 

— 

— 

17,60 

— 

— 

Herxfehler. 

5 

Bartels 

27,17 

15,69 

— 

— 

Morbus  BrigbtL 

6 

Hoppe        1. 

27,01 

18,67 

14,33 

4,43 

8,34 

Lebercirrhoae. 

7 

Eig.  Unters. 

^^^ 

- 

13,766 

~~ 

Morbus  Bnghti.  Ms- 
gencareinom. 

8    Hoppe        1. 

25,03 

17,66 

13,52 

4,14 

7,37 

Lebercirrhose. 

9 

Frerichs      1. 

28,00 

— 

12,00 

— 

Morbus  BrightL 

10 

Zimmermann 

22,565 

14,52 

— 



8,045 

? 

11 

FVeriche      1. 

21,60 

— 

11,80 

-. 

— 

Lebercirrhoee. 

12 

1. 

— 

— 

11,80 



— 

Hersfebler. 

13 

Hoppe        1. 

23,89 

15,68 

11,54 

4,14 

8,20 

Lebercirrboee. 

14 

Lehmann 

25,89 

15,75 

11,27 

4,48 

10,14 

Hydrfimie  (Amjloid- 
degenerstion  (?). 

15  .  Mihu          1. 

21,43 

13,02 

— 

— 

8,41 

Leberoirrbose. 

16  '  Schmidt 

21,09 

11,32 

— 

9,77 

? 

17    Frerichs      1. 

22,60 

— 

10,60 

— 

— - 

Lebercirrboee. 

18 

1. 

20,30 

— 

10,50 

— 

Lebercirrhoee. 

19 

Scherer 

— 

10,50 

— 

— 

Morbus  Brigbti. 

20 

Lehmann 

— 

10,44 

— 

— 

Lebercirrboee. 

21 

Frerichs      1 . 

24,80 

10,40 

— 

— 

Leberoirrbose. 

22 !       ,           1. 

20,40 

— 

10,10 

— 

— 

Morbus  Bnghti. 

23 

Simon 

20,00 

12,60 

8,40 

4,20 

8,00 

Nephr.  tubmulost. 

24 

Hoppe        2. 

17,47 

9,57 

7,73 

1,84 

8,13 

Leberoirrbose. 

25 

Scherer 

20,00 

14,68 

6,49 

7,19 

6,32 

T 

26 

Hoppe        2. 

15,50 

7,42 

6,17 

1,25 

8,46 

Lebercirrhose. 

27 

2. 

16,67 

9,36 

6,11 

3,25 

8,24 

Lebercirrhose. 

28  ,  Scherer 

13,29 

5,41 

3,61 

1,S0 

7,90 

Amyloidd^ener.  Ct. 

29 

Schmidt 

13,05 

3,95 

9,10 

Morbus  Brighti. 

30 

Scherer 

11,70 

3,90 

— 

— 

7,80 

Morbus  Brighti. 

31 

Schmidt 

12,40 

3,70 

-^ 

8,70 

Morbus  Brighti. 

32 

Eig.  Unten. 

""^ 

2,10? 

— 

Henfehler. 

Summe 

561,865 :  26 

218,81 :  18 

289,776 :  26 

41,03:12 

149,015:18 

Mittel 

21,61 

12,15 

11,14 

3,42 

8,28 

Zar  klioischen  Beartheilang  yon  Ezsadatea  and  Tranasadaten.         615 


Tabelle  VIIL 
Entzflndnng  der  Hant. 


2 

Autor 

Fix« 

Orgaalfeha 
Stoffe 

Albomln 

B&tractlT- 
•tollb 

Salse 

8,01 
8,01 
8,39 
9,396 

8,90 

Bemerkangen 

l 

2 

3 

i 

7 

Zimmermann 

Schmidt 

Weber 

Zimmermann 

Simon 

Weber 

Hoppe        4. 

99,164 

73,90 

76,02 

70,00 

60,00 

60,80 

70,20 

91,154 
65,890 
66,63 
60,604 

51,90 

61,85 

48,00 
45,00 
44,70 

5,78 
6,90 

Brandblase. 

Vesicatorblase. 

Vesicatorblase. 

Vesicatorblase. 

Pempbigusblase. 

Wundsecret 

Pempbigusblase. 

'         Samme 
Mittel 

510,084:7 
72,87 

336,179 : 5 
67,23 

199,55 : 4 
49,89 

12,68:2  42,706:5 
6,34        8,54 

Schmidt 

109,70 

99,50 

— 

10,20 

Vesicatorblase  eingetrocknet. 

Tabelle  IX. 
Anasarea. 


Antor 


Flxm 


Ornniiche 
Stoffe 


Albamfn 


ExtractlT- 
•toffa 


Salze 


Bemerkongen 


1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 

9 
10 
11 
12 
13 
14 
15 

16 

n 


Eig.  Unters. 
Bartels 
Eig.  Unters. 
Weber 
Eig.  Unters. 
Simon 
Eig.  Unters. 


Zimmermann 
Hoppe         2. 
Schmidt 
Eig.  Unters. 


1» 

n 


22,39 
19,03 
24,90 


12,50 
17,S3 
11,30 


10,81 
14,90 


4,335 

8,95 

3,60 


12,00 
11,70 
11,50 

8,37 

7,677 

7,50 

6,495 

5,577 

5,24 

4,91 

3,640 

0,695 
0,628 

0,530 
0,430  (?) 


2,^4 
7,40 


5,31 


8,22 
9,10 


8,165 

9,00 

7,70 


?    2.  Pnnot.  von  Nr.  7. 
Morbus  Brighti. 
Herzdegenerat.  2.  P.  r.  Nr.  9. 

? 
Nepbr.  par.    Caroin.  pylori. 
Morbus  Brigbti. 

?  1.  Punct.  zu  Nr.  7  u.  1. 
EmpbTsem  n.  Herzdegenerat. 
Herzdegener.  1 .  P.  ▼.  Nr.  9, 3 . 
Nephr.  par.    Carcin.  pylori. 

? 
Morbus  Brighti. 

? 
Morb.  Brighti.  3.  P.  t.  Nr.  1 5. 
Morb.  BrightL  1.  Punct.  Ton 

Nr.  15,  16,  14. 
Morb.  Brighti.  2.  P.  t.  Nr.  1 5. 
Amyloiddegenerat  d.  Nieren. 


Summe 
Mittel 


107,95 : 6 
17,99 


42,595 :  5 
8,52 


86,892 : 1 5 
5,79 


15,15:3 
5,05 


42,545:5 
8,51 


Tabelle  X. 
Liquor  cerebrospinalis. 

a)  Durch  leichte  Entzündung  verändert  (s.  S.  598). 


Antor; 

FiZA 

OrganlBche 
Stoffe 

Albamln 

EztractlT- 
atoffe 

Salze 

Bemerkangen 

7 

2 
3 

Hoppe        3. 
Schmidt 

« 

20,99 
19,23 
19,72 

16,50 

13,11 
11,35 
10,03 

9,40 

11,79 

1,32 

7,89 
7,58 
9,69 

7,10 

Hydrocephalus. 
Hydrocephalus  congen. 
Hydrocephalus  bei  Amyloid- 
degeneration  der  Nieren. 
Liq.cerebrospin.  bei  Cholera. 

616 

XXXIl.  RbüSB 

b)   Reine  Transsudate  im  ( 

Üentralnervensystem. 

£ 

Autor 

FIXA 

Orgoniiehe 
Stoffe 

Albamtn 

KztnoÜT- 
■toffe 

SalM 

1 

Schmidt 

16,46 

7,98 

^^ 

1 

8,48 

Liquor  cerebroqpio. 

2 

» 

15,41 

6,49 

^- 

— 

8,92 

Hydiooephalus  acnt 

3 

Lehmtmn 

— "• 

~~ 

5,64 

-^^ 

^^ 

Liquor  Tentrieul.  bei 
LeberoirrhoBe. 

4 

Weber 

13,64 

5,29 

3,16 

2,13 

8,35 

Liquor  rentric.    ? 

5 

Hoppe          3. 

13,12 

5,47 

2,64 

2,83 

7,67 

Spina  bifida. 

6 

;        3. 

13,2S 

5,11 

2,46 

2,65 

8,49 

Spina  bifida. 

7 

3. 

12,51 

— 

— 

— 

Hydrocephalos. 

8 

BUger 

12,25 

4,63 

2,46 

2," 

7,62 

HydrocephaluB. 

9 

Benelius 

11,70 

4,24 

1,66 

2,58 

7,44 

Hydrooephalus. 

10 

Schmidt 

13,22 

3,74 

— 

9,48 

Hjdrocepbalus  acut 

11 

Lehmann 

""" 

1,44 

^^^ 

^ 

Hydrooepbalui  b.  G«- 
bimatropbie. 

12 

» 

^^ 

^^ 

1,02 

^""" 

•^^ 

Hydrooepbalns  eon- 
genitua 

13 

Hoppe          3. 

10,47 

2,27 

0,70 

1,57 

8,20 

genitna 

14 

3. 

10,20 

2,55 

0,55 

2,00 

7,65 

Spina  bifida. 

15 

3. 

10,67 

2,55 

0,25 

2,30 

8,12 

Spina  bifida. 
Hjdroeqpbalua 

16 

MuUier 

12,003 

3,157 

0,549 

2,608 

8,846 

17 

Schmidt 

11,80 

2,40 

^"" 

■  ■ 

9,40 

Liquor  oerebroquaal. 
beim  Hund. 

18 

Schtecherbakoff 

10,10 

1,85 

0,40 

1,54 

8,14 

19 

Schmidt 

10,82 

1,84 

^^mm 

""" 

8,98 

Hydrooepbalus  ebio- 
nioua 

20 

9 

10,17 

1,79 

-— 

— ■ 

8,38 

Hydroo^bilos  chro- 
nicus. 

21 

SehUeherbakoff 

9,80 

1,61 

0,50 

1,10 

8,10 

Hydrooephalna. 

22 

9 

10,25 

1,41 

0,42 

0,99 

8,83 

HydrooephaluB. 

23 

Tenant 

10,079 

1,518 

0,303 

1,215 

8,561 

Hydrocephalua 

24  Breetnejf 

— 

0,382 

— — 

HTdroamiBfoede  oec 

Summe 

237,952 :  20 

65,895 :  19 

24,534 :  17 

25,683 :  13 

159,657:19 

Mittel 

11,89 

3,46 

1,44 

1,97 

8,40 

Nr. 


I. 

n. 
m. 

IV. 

V. 

VI. 

vn. 
vm. 

IX. 
X. 


Fix« 


Tabelle  XI. 
Zusammenstellung  der  Mittel, 


OrganiMhe 
Stoffe 


63,223 :  102 
70,698:  41 
30,871:  28 
35,044 :  4 
50,386:  13 
88,195 :  6 
21,610:  26 
72,869 :  7 
17,991 :  6 
11,897:   20 


54,933 :  98 
62,331 :  41 
22,512:28 
26,032:  2 
43,133 :  10 
79,686:  6 
12,156:18 
67,235:  5 
8,519:  5 
3,468 :  19 


AlbmniD 


EatnctlT- 
stoffe 


Belse 


52,025  :  13 


18,334:  5 
37,950 :  20 
48,722:  4 
11,145:26 
49,887:  4 
5,793:15 
1,443 :  17 


4,276:  5 


6,717:  8 
36,012:  4 
3,419:12 
6,340:  2 
5,050:  3 
1,975:13 


8,243 :  98 
8,350 :  41 
8,391 :  28 
7,726:  2 
8,196:  9 
9,023:  6 
8,278 :  18 
8,541:  5 
8,509:  5 
8,403 :  19 


Zar  klinischen  Beurtheilnng  Yon  Exsudaten  and  Transsudaten.         617 


Maxima  und  Minima. 


Nr. 


I. 
IL 

ni. 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 

VIII. 

IX. 

X. 


Fixa 


Maxlnui 


79,40 

98,63 

41,30 

44,87 

68,20 

97,30 

32,32 

99,164 

22,39 

16,46 


MinliDft 


50,86 
34,80 
15,40 
18,62 
33,90 
75,89 
11,70 
60,00 
(11,30) 
9,80 


OxganiMhe  Stoffe 


MAziina 


71,33 
90,43 
32,30 
37,37 
60,30 
89,56 
22,38 
91,154 
(14,90) 
7,98 


Mtnlnft 


42,49 
26,95 

6,80 

9,72 
26,19 
66,01 

3,70 
51,90 
(3,60) 

1,41 


Albumin 


Maxim« 


Bain«rknog«n 


66,28 


24,68 
55,S0 
50,63 
19,29 

12,00 
5,64 


8,79 
18,72 
47,14 

2,10 
44,70 

0,43 

0,25 


xxxni. 

Chronische  Kehikopfaffeclionen  der  Kinder  im  Gefolge  acuter 

Infectionskrankheiten« 

Von 

Dr.  J.  Michael 

In  Hamburg. 

Bei  der  grössern  Anzahl  acuter  Infectionskrankbeiten  der  Kinder 
ist  der  Kehlkopf  mehr  oder  weniger  in  Hitleidenschaft  gezogen.  Bei 
einigen  derselben  ist  er  fQr  gewöhnlich  der  einzige  Sitz  der  Locali- 
sation  (Diphtheritis ,  Croup ^)  und  Keuchhusten),  bei  anderen  ist  er 
andern  Organen  coordinirt  (Masern,  Scharlach,  Variola);  bei  einer 
dritten. Reihe,  den  Typhen  gibt  er  nur  in  Ausnahmefällen  zu  Com- 
plicationen  Veranlassung.  Dass  zuweilen  die  Localerkrankung,  wenn 
sie,  wie  dies  besonders  beim  Abdominaltyphus  vorkommt,  einen  de- 
structiven  Charakter  hatte,  irreparable  organische  Veränderungen, 
als  Verluste  functionell  wichtiger  Theile,  Ankylosen  und  Strictoren 
im  Gefolge  hat,  das  war  schon  seit  langer  Zeit  bekannt  Weniger 
bekannt  oder  doch  wenigstens  literarisch  kaum  berücksichtigt  ist  es, 
dass  sich  die  Localerkrankung  des  Larynx  nach  dem  Ablauf  oft  noch 
unendlich  lange  Zeit  hinzieht,  und  dass  chronische  Affectionen,  die 
nicht  nur  die  Stimmfunction ,  sondern  auch  das  Allgemeinbefinden 
der  Patienten  in  höherem  und  geringerem  Grade  beeinträchtigen  und 
die  restitutio  in  integrum  auf  Jahre  hinausschieben,  oder  gänzlich 
yerhindem  können,  die  Grundkrankheit  oft  lange  überdauern. 

Seitdem  ich  auf  diesen  Gegenstand  aufmerksam  geworden,  habe 
ich  Gelegenheit  gehabt,  eine  so  grosse  Anzahl  uncomplicirter  aber 


1)  Ueber  die  so  vielfach  ventilirte  Frage,  ob  Group  und  Diphtheritis  verschie- 
dene Krankheiten,  oder  nur  verschiedene  Localisationen  einer  und  derselben  Affec- 
tion  seien,  sehe  ich  mich  nicht  veranlasst,  eine  Stimme  abzugeben.  Es  werden 
daher  gelegentlich  der  weiter  unten  mitzutheilenden  F&lle  in  den  Anamnesen  stets 
diejenigen  Ausdrücke  angewendet,  welche  mir  von  dem  Patienten,  resp.  dem  der- 
zeit behandelnden  Arzte  mitgetheilt  sind. 


Chronische  Eehlkopfaffectionen  der  Kinder.  619 

äusserst  hartnäckiger  chronischer  Laryngeal-  und  Trachealkatarrhe 
als  Reste  von  Keuchhusten,  Pneumonieen,  Variola,  Diphtheritis,  Group, 
Typhus  etc.  zu  sehen  und  zahlreiche  gleiche  Erfahrungen  hiesiger 
Collegen  zu  hören,  dass  es  mir  sehr  auffallend  erscheint,  dass  in 
keinem  der  gebräuchlichen  Handbflcher  der  speciellen  Pathologie  bei 
Besprechung  der  erwähnten  Krankheiten  dieser  Afifection  gedacht 
wird,  noch  dass  in  den  laryngologischen  Werken  bei  der  Aetiologie 
der  Katarrhe  diese  Krankheiten  erwähnt  werden. ^  Muthmaasslich 
sind  diese  Secundärerkrankungen,  ebenso  wie  die  jetzt  so  viel  be- 
sprochenen adenoiden  Vegetationen  des  Nasenrachenraums  eine  Eigen- 
thfimlichkeit  unseres  nordischen  Seeklimas,  denn  ich  erinnere  mich 
allerdings  nicht,  unter  der  grossen  Anzahl  von  Halskranken,  die  ich 
im  Laufe  eines  Jahres  an  den  Wiener  Specialkliniken  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  auch  nur  eines  entsprechenden  Falles. 

Diese  einfachen  Katarrhe  unterscheiden  sich  oft  durch  nichts 
von  anderen  chronischen  Katarrhen.  Neben  stärkerer  Röthung  und 
Schwellung  der  Laryngeal-  und  Tracheaischleimhaut  sind  die  Stimm« 
bänder  gewöhnlich  frei,  aber  leicht  geröthet.  Die  Symptome  sind 
Husten,  der  besonders  in  den  Abendstunden  auftritt,  häufig  den  Croup- 
ton  annimmt  und  geringe  Heiserkeit.  Pinselungen  mit  Jodglycerin 
oder  Tannin  bringen  die  Symptome  meist  in  kurzer  Zeit  zum  Schwin- 
den. Exacerbationen  und  Recidive  sind  sehr  häufig  und  meist  Folge 
von  Erkältungen.  Neben  diesen  Katarrhen  kommen  jedoch  in  einer 
Anzahl  von  Fällen  verschiedenartige  Complicationen  zur  Beobachtung, 
welche,  wenn  sie  milde  auftreten,  die  Heilung  immerhin  verzögern, 
in  manchen  Fällen  aber  ein  mehr  oder  weniger  schweres  hartnäckiges 
Leiden  darstellen.  Bei  der  immerhin  beschränkten  Anzahl  der  von 
mir  beobachteten  Fälle  ziehe  ich  für  unseren  Zweck  es  vor,  dieselben 
einstweilen  nicht  systematisch  geordnet,  sondern  in  einer  Reihenfolge 
von  den  leichteren  zu  den  schwereren  ttbergehend  vorzuführen  und 
zu  besprechen. 

Fall  1.  Franziska  S.,  9  Jahre  alt,  hatte  vor  6  Jahren  heftigen  Keuch- 
husten überstanden  und  ist  seit  dieser  Zeit  heiser  und  bei  angestrengten 
Bewegungen  leicht  kurzathmig.  Im  August  1877  wurde  sie  mir  vorgestellt. 
Die  Untersuchung  der  Brust  ergab  eine  leichte  Dämpfung  über  der  rechten 

1)  In  dem  neaerdings  erschienenen  3.  Bande  des  Handbuchs  der  Kinderkrank- 
heiten von  Gerhardt  ist  von  Rauchfuss  S.  125  erwähnt,  dass  „nach  schwerer 
katarrhalischer  Laryngitis,  sowie  nach  morbillöser  Laryngitis,  Keuchhusten  und 
fibrinösem  Croup  langwierige  Heiserkeit  oft  zurückbleibt*.  Über  deren  Qrund  die 
laryngoskopische  Untersuchung  zu  entscheiden  hat,  und  8.  320  sagt  Gerhardt: 
Eine  im  Kindesalter  reichlich  yertretene  Gruppe  von  Stimmbandl&hmnngen  ist  die- 
jenige nach  acuten  Krankheiten;  obenan  steht  die 'Diphtheritis  etc. 


620  XXXIII.  MiCHABL 

Clavicnla,  sonst  normalen  Percnssionsschall  nnd  flberall  vesicnläres  Athmen. 
Die  Schleimhaat  des  Nasenrachenraums  hellroth,  ebenso  die  des  Pharynx 
nnd  Larynx.  An  der  hinteren  Larynxwand  eine  leichte  Schwellung  nnd 
daselbst  ist  eine  ca.  1  Millimeter  dicke,  hellgraue  Zone  sichtbar,  welche  den 
Eindruck  macht,  als  bestehe  sie  aus  einer  verdickten  Epithelschicht.  Stimm- 
bänder normal  weiss  und  glänzend.  Bei  der  Phonation  bleibt  ein  leicht 
elliptischer  Spalt.  Im  October  desselben  Jahres  machte  das  Kind  eine 
katarrhalische  Pneumonie  des  rechten  Oberlappens  von  vierwöchentlicher 
Dauer  und  Ausgang  in  vollständige  Genesung  durch.  Die  Ende  November 
vorgenommene  laryngoskopische  Untersuchung  ergab  dasselbe  Resultat  wie 
die  erste. 

Fall  IL  Willy  G.,  10  Jahre  alt,  hat  vor  2  Jahren  die  Pocken  ge- 
habt. Seit  dieser  Zeit  ist  der  Knabe  beim  Laufen  kurzathmig  nnd  stets 
heiser.  Rachen  nnd  Nasenrachenschleimhaut  hellroth,  mit  schaumigem  Secret 
bedeckt  Kehlkopfschleimhaut  hellroth,  überall  geschwollen,  besonders  an 
der  hinteren  Wand,  woselbst  sich  eine  graue,  circa  1  Millimeter  dicke  Zone 
zeigt.  Bei  der  Phonation  bleibt  zwischen  den  flbrigens  gesunden  Stimm- 
bändern ein  leicht  elliptischer  Spalt.     Brustorgane  normal. 

Fall  III.  Cathinka  M.,  11  Jahre  alt,  hat  vor  6  Jahren  die  Pocken 
überstanden  nnd  ist  seit  dieser  Zeit  heiser.  Die  objective  Untersuchung 
zeigt  wieder  Anschwellung  der  hinteren  Kehlkopfwand  mit  der  grauen  Zone, 
dadurch  bedingte  Schliessinsufficienz  der  Glottis  cartilaginosa,  Röthung  der 
Larynx-  nnd  Pharynxschleimhauf. 

Fall  IV.  Hermann  R.,  5  Jahre  alt,  hat  vor  3  Jahren  Diphtheritis 
gehabt  und  ist  seit  dieser  Zeit  bei  anstrengender  Bewegung  knrsatfamig; 
die  Stimme  klingt  heiser  und  nasal.  Im  Retropharyngealranm  adenoide 
Vegetationen.  Pharynx  geröthet,  geschwollen  und  mit  schaumigem  Secret 
bedeckt.  Eine  ausreichende  laryngoskopische  Untersuchung  scheiterte  an 
der  Ungeberdigkeit  des  Knaben.  Röthung  der  Kehlkopfschleimhant  konnte 
ich  jedoch  bei  dem  allerdings  nur  für  einen  Moment  erhaschten  Bilde  con- 
statiren. 

In  diesen  vier  Fällen,  die  die  leichteste  Form  dieser  AflTection 
darstellen,  war  also  die  Athmung  wenig  genirt,  die  Stimme  nur  in 
geringem  Maass  beeinflusst.  Speciell  fehlten  stenotische  Erscheinan* 
gen.  Da  sich  im  Laufe  der  Jahre  keine  Verschlimmerung  bisher 
eingestellt  hatte,  so  sah  ich  mich  zu  den  in  diesem  Alter  immerhin 
unbequemen  localtherapeutischen  Eingriffen  nicht  veranlasst  und  wur- 
den die  Fälle  bis  auf  Weiteres  sich  selbst  überlassen. 

Einer  Mittheilung  aber  hielt  ich  dieselben  deshalb  werth,  weil 
dieselben  andeutungsweise  alle  jene  Symptome  darboteui  die  in  den 
schwereren  Fällen  zu  ernsteren  Störungen  Veranlassung  gaben. 

Fall  V.  Albert  W.,  5  Jahre  alt,  bat  vor  drei  Jahren  die  Pocken  Ober- 
standen. Seit  dieser  Zeit  ist  er  heiser  und  knrzathmig  beim  Laufen.  Nach 
schnellen  Bewegungen  ist  ein  leichter  inspiratorischer  Stridor  bemerkbar. 
Pharynx-  und  Larynxschleimhaut  sind  intensiv  geröthet  und  mit  Schleim 
bedeckt.     Hintere  Larynxwand  geschwollen  nnd  an  der  Umachlagsstelle  mit 


Chronische  Kehlkopfaffectionen  der  Kinder.  62t 

spitzen  weisBen  stecknadelkopfgrossen  Hervorragangen  bedeckt.  Der  Schlags 
der  Glottis  cartilaginea  ist  insnf&cient  bei  der  Phonation.  Nach  dreiwöchent- 
lichem Gebrauch  von  Tannininhalationen  waren  Kurzathmigkeit  und  Heiser- 
keit nach  Angabe  der  Matter  vollständig  verschwanden.  Leider  hatte  ich 
zn  einer  zweiten  laryngoskopischen  (Jntersnchang  keine  Gelegenheit. 

Fall  VI.  Johann  H.,  12  Jahre  alt,  warde  am  9.  Januar  1877  frennd- 
lichst  von  Herrn  Collegen  Dr.  Koopmann  zur  Specialbehandlung  an  mich 
gewiesen.  Patient  hat  vor  3  Jahren  die  Pocken  gehabt.  Im  Verlauf  der 
Krankheit  entwickelte  sich  eine  heftige  Dyspnoe,  die  ihn  zeitweise  in  Lebens- 
gefahr brachte.  Nach  mehreren  Wochen  haben  dann  die  Beschwerden 
etwas  abgenommen  und  blieben  in  dem  Zustand,  in  welchem  er  sich  jetzt 
noch  befindet.  Patient  ist  sehr  heiser,  zuweilen  fast  aphonisch,  er  athmet 
mit  lantem  Stridor,  welcher  nach  schnellen  Bewegungen  noch  an  Inten- 
sität zunimmt.  Er  sieht  sehr  kachektisch  aus.  Die  Brustorgane  sind  nor- 
mal. Rachen-  und  Nasenschleimbaut  stark  geschwollen  und  geröthet,  mit 
reichlichem  Schleim  bedeckt,  die  Tonsillen  ziemlich  hochgradig  vergrössert. 
Die  laryngoskopische  Untersuchung  ist  durch  die  Tonsillen,  deren  Exstir- 
pation  von  der  Mutter  verweigert  wird,  sehr  erschwert  und  gelingt  erst 
nach  vieler  Mtlhe  und  auf  kurze  Zeit.  Das  Ergebniss  derselben  ist  fol- 
gendes: Die  Schleimhaut,  besonders  die  der  falschen  Stimmbänder  ist  massig 
geröthet  und  geschwollen.  An  Stelle  der  Interarytänoid-Schleimhaut  findet 
man  eine  weisse  hOckrige  Fläche,  die  den  Eindruck  der  Trockenheit  macht. 
Die  Stimmbänder,  deren  Aussehen  übrigens  normal,  besitzen  nur  eine  sehr 
geringe  Beweglichkeit.  Weder  bei  der  Inspiration,  noch  bei  der  Exspira- 
tion entfernen  sie  sich  viel  aus  der  Cadaverstellung.  Ihr  freier  Rand  ist 
leicht  concav.  Bei  tiefer  Inspiration  nähern  sie  sich  einander  noch  mehr 
als  in  der  Respirationspause.  Bei  leichtem  Druck  auf  die  oberen  Tracheal- 
knorpel  nimmt  die  Dyspnoe  noch  bedeutend  zu  (Phänomen  von  Penzoldt). 
Da  ich  der  Zeit  von  der  Idee  ausging,  es  handle  sich  um  eine  respirato- 
rische Paralyse,  so  bestand  die  Behandlung  in  der  Anwendung  der  In- 
dnctionselektricität  und  subcutanen  Strychnininjectionen.  Letztere  schienen 
einigen  Erfolg  zn  haben,  wurden  aber  ausgesetzt,  da  nach  der  zweiten  In- 
jection  von  0,005  Strychnin.  nitr.,  die  nach  einem  zweitägigen  Zwischen- 
raum gemacht  worden  war,  ein  mehrsttlndiger  Tetanus  auftrat.  Die  von 
Riegel  in  seinem  Aufsatze  über  respiratorische  Paralyse  (Volkmann's  Vor- 
träge Nro.  95)  nach  Acker  citirte  Angabe,  dass  man  ohne  Schaden  längere 
Zeit  täglich  0,02  injidren  könne,  scheint  mir  demnach  bedeutend  zu  hoch 
gegriffen.  Jeder  Versuch  einer  localen  Behandlung  scheiterte  an  der  ünge- 
berdigkeit  des  Knaben  und  der  Indolenz  der  Verwandten  und  wurde  der- 
selbe nach  vier  Wochen  ungeheilt  aus  der  Behandlung  entlassen. 

Fall  VII.  Hugo  M.,  12  Jahre  alt,  hat  vor  6  Jahren  Diphtheritis  ge- 
habt und  wurde  derzeit  tracheotomirt.  Die  Canüle  wurde  am  10.  Tage 
entfernt.  Seit  dieser  Zeit  ist  Patient  heiser  und  leidet  an  massiger  Athem- 
noth  beim  Laufen  und  Treppensteigen.  Pat.  ist  im  Laufe  der  letzten  vier 
Jahre  von  mehreren  Autoritäten  untersucht  worden,  ohne  dass  eine  be- 
stimmte Diagnose  gestellt  wurde.  Am  2.  August  1877  kam  der  Knabe 
in  meine  Behandlung.  Derselbe  sieht  gesund  und  blühend  aus,  die  Unter- 
suchung der  Brust  ergibt  keine  Anomalien.  Pharynxschleimhaut  hellroth, 
geschwollen,  mit  Schleim  bedeckt;  ebenso  die  Larynxschleimhaut,   speciell 


622  XXXIU.  Michael 

die  der  falschen  Stimmbänder.  Die  wahren  Stimmbänder  sind  rein  nnd 
weiss  und  lassen  bei  der  Phonation  einen  elliptischen  Spalt.  Die  hintere 
Larynxwand  zeigt  an  der  Umschlagssteile  eine  millimeterdicke  weisse  Zone. 
Die  Inspection  der  Trachea  gelingt  nach  einiger  Mtlhe.  Ansser  einer  ge- 
ringen Röthung  ist  daselbst  nichts  Pathologisches  za  entdecken,  speciell 
ist  die  vordere  Trachealwand  frei  von  jeder  Neubildung.  Bei  der  Inspi- 
ration entfernen  sich  die  Stimmbänder  nur  wenig  Ober  die  Cadaverstelloog 
hinaus.  Der  leiseste  Druck  auf  die  Trachea  vermehrte  die  Dyspnoe  be- 
deutend. Im  Verlaufe  der  Behandlung  verschwand  diese  Erscheinung,  dag 
bereits  oben  erwähnte  Phänomen  von  Penzoldt  fast  vollständig.  Der 
mehrwöchentliche  Gebrauch  von  Tannininhalationen  hatte  keinen  Einflass 
auf  den  Zustand.  Dagegen  wurde  durch  percutane  Anwendung  des  Id- 
ductionsstromes  und  durch  Pinselungen  mit  Jodglycerin  die  Kurzaihmigkeit 
förmlich  gehoben,  so  dass  Pat.  ungenirt  laufen  und  andere  schnelle  Bewe- 
gungen ausführen  konnte;  auch  wurde  die  Stimme  etwas  klarer.  Der  er- 
reichte Effect  hat  sich  seit  einem  Jahre  jetzt  erhalten. 

Kurz  erwähnt  seien  noch  drei  Fälle  von  Verlust  des  Gesangs- 
vermögens für  das  Mittelregister  nach  Diphtheritis.  Bei  allen  drei 
Patientinnen  war  eine  Parese  des  Thyreo-arytaenoideus  internus  zu 
constatiren  und  waren  seit  der  Krankheit  bereits  mehrere  Jahre  ver- 
strichen. 

Es  erscheint  mir  unzweifelhaft,  dass  es  sich  in  sämmtlichen  be- 
richteten Fällen  nur  um  einen  und  denselben  Process  handelt  und 
dass  die  grossen  Unterschiede  in  der  Schwere  der  Symptome  keine 
qualitativen,  sondern  nur  graduelle  sind.  In  jedem  derselben  kehren 
gewisse  charakteristische  Eigenthümlichkeiten  wieder,  die  es  verbie- 
ten, sie  einfach  in  die  grosse  Rubrik  der  chronischen  Katarrhe  zu 
verweisen.  In  erster  Linie  war  die  Farbe  auffallend.  Man  musste 
beim  ersten  Anblick  einen  acuten  Katarrh  diagnosticiren ,  bei  dem 
wir  das  reine  helle  Roth  zu  finden  gewohnt  sind.  Auch  bei  Kindern, 
bei  denen  man  übrigens  chronische  Katarrhe  ohne  Vegetationen  und 
ohne  Muschelanschwellungen  nicht  gar  häufig  sieht,  pflegt  die  Farbe 
mehr  einen  graurothen  Ton  zu  haben,  wenn  die  Affection  längere 
Zeit  gedauert  hat  Man  könnte  diesen  Zustand  als  (sit  venia  verbo) 
chronischen  acuten  Katarrh  bezeichnen.  Uebrigens  möchte  ich  auf 
diese  Farbennuance  kein  allzugrosses  Gewicht  gelegt  haben.  Da- 
gegen halte  ich  das  folgende  Symptom  ftlr  das  bedeutsamste.  Eine 
bestimmte  Stelle  der  Schleimhaut  der  hinteren  Kehlkopfwand,  die- 
jenige Partie,  welche  sich  zwischen  den  Aryknorpeln  befindet,  zeigte 
eine  in  jedem  Falle  mehr  oder  weniger  deutlich  wiederkehrende 
Eigenthttmlichkeit.  Auf  derselben  befand  sich  an  ihrer  Umschlags- 
stelle eine  weisse  oder  grauweisse,  aus  mehreren  kleinen  Höckereben 
von  ca.  1 — 2  Mm.  Höhe  bestehende  Zone.    Diese  kleinen  Exeres- 


Chronifiche  Eehlkopfaffectioneii  der  Kinder.  623 

cenzen  erinnern  in  der  Form  an  spitze  Condylome.  Sie  machten  den 
Eindruck  einer  durch  Narbenbildung  entstandenen  Schleimbautver- 
ftnderung.  In  den  leichtesten  Fällen  1 — 4  war  die  Zone  mehr  gleich- 
mftssig  erhaben  und  sah  aus  wie  ein  durch  Argentum  nitricum  pro- 
ducirtes  Artefact.  In  den  Fällen  4  und  7  drängte  sich  die  Masse 
zwischen  die  Stimmbänder  und  yereitelte  den  completen  Schluss  der 
Glottis  cartilaginosa. 

Die  Stimmbänder  selbst  hatten  im  Gegensatz  zu  andern  jahre- 
lang dauernden  Katarrhen  YoUständig  ihre  Weisse,  ihren  Glanz  und 
ihre  Zartheit  auch  in  den  schwersten  Fällen  bewahrt. 

Die  beobachteten  functionellen  Anomalien  bestanden  zuerst  in 
einer  mangelhaften  Arbeit  des  Musculus  thyreoarytaenoideus  internus, 
der,  wie  der  elliptische  Spalt  der  Glottis  beweist,  in  allen  Fällen 
paretisch  war.  Allerdings  war  diese  Parese  in  einzelnen  Fällen  nur 
so  gering,  dass  nur  das  Gesangsvermögen ,  nicht  aber  die  Sprache 
beeinträchtigt  war.  Im  Gegensatz  zu  sonstigen  Muskelparesen  erwies 
sich  diese  Form  der  Elektricität  gegenüber  ziemlich  unzugänglich 
und  glaube  ich  daher,  dass  wir  es  nicht  mit  Lähmung  im  engeren 
Sinne,  sondern  mit  einem  leicht  atrophischen  Zustand  des  Muskels 
zu  thun  haben. 

Das  wichtigste  der  Symptome»  dasjenige,  durch  welches  der  All- 
gemeinzustand des  Individuums  in  mehr  oder  weniger  hochgradiger 
Weise  beeinträchtigt  wurde  und  dasjenige,  welches  diesen  ganz  lo- 
calen  Zustand  zu  einer  wirklichen  Krankheit  gestaltet,  ist  die  Er- 
weiterungsinsufficienz  der  Stimmritze  und  die  dadurch  bedingte  Athem- 
noth.  Der  Ausdruck:  nErweiterungsinsufficienz"  ist  absichtlich  ge- 
wählt, weil  ich  nicht  glaube,  dass  man  bei  mangelnder  Fähigkeit 
der  Stimmritze,  sich  zu  erweitem,  das  Recht  hat,  ohne  besondere 
Begründung  von  Posticuslähmung  zu  reden.  In  erster  Linie  hat  man 
auch  an  Perichondritiden  des  Crico-ary-Gelenks  zu  denken.  Diese 
Processe  sind  meist  Theilerscheinungen  der  Syphilis  und  acuter  In- 
fectionskrankheiten,  besonders  des  Typhus.  In  jüngster  Zeit  ist  diese 
Form  der  Glottisstenose  von  B.  FränkeP)  und  von  Paul  Koch^) 
eingehender  erörtert  worden.  Dass,  wie  Fränkel  richtig  bemerkt, 
die  phthisischen  Perichondritiden  nur  selten  derartige  Zustände  her- 
beiführen, hat  wohl  darin  seinen  Grund,  dass  es  bei  diesen  fast  nie 
zu  einer  ordentlichen  Narbenbildung  kommt.    So  lange  die  entzünd- 

1)  Kehlkopfstenose  in  Folge  fehlender  Glottiserweiterung  bei  der  Inspiration. 
Zeitschrift  für  prakt.  Medicin.  1878.  Nr.  6,  7. 

2)  Retr^cissement  laryngien  apr^s  la  fiövre  typhoide.    Annales  de  maladies 
de  Toreille  et  du  larynx.  1878.  No.  2,  3. 


624  XXXUl.  Michael 

liehen  Processe  noch  bestehen,  pflegt  das  Bild  ein  so  yerftndertes  za 
sein,  dass  die  Verwechselang  mit  einer  einfachen  L&hmung  nicht 
leicht  vorkommen  wird. 

Aber  auch  bei  abgelaufenem  Process,  der  zur  Ankylose  gefflhrt  hat, 
wird  meistens  die  Differentialdiagnose  wenigstens  von  der  Posticus- 
lähmung  keine  Schwierigkeiten  machen,  weil  bei  letzterer  die  Be- 
wegung von  der  Gadaverstellung  nach  innen  zu  noch  lange  Zeit  er- 
halten bleibt,  während  bei  ersterer  vollständige  Unbeweglichkeit 
häufiger  ist.  Auch  sind  bei  der  Ankylose  Phonationsstömngen  wohl 
stets  vorhanden,  während  das  Fehlen  derselben  bei  reiner  Posticos- 
lähmung  geradezu  pathognostisch  ist  In  unseren  Fällen  hat  indess 
die  Erweiterungsinsufficienz  weder  die  eine  noch  die  andere  Ursache. 
Wir  haben  es  allerdings  auch  mit  einem  mechanischen  Hindemiss 
zu  thun.  Dies  hat  jedoch  seinen  Sitz  nicht  in  den  Knorpeln,  son- 
dem  vielmehr  in  der  Schleimhaut.  Durch  den  narbigen  Process  an 
der  hinteren  Wand  (dass  es  ein  solcher  ist,  will  ich  unten  zu  be- 
weisen versuchen)  wird  die  Oberfläche  der  Schleimhaut  verkleinert 
und  ausserdem  rigide.  Dadurch  wird  den  Aryknorpeln,  insbesondere 
den  Processus  vocales  der  Spielraum  fttr  ihre  Drehungen  fortgenom- 
men und  dadurch  die  vollständige  Eröffnung  unmöglich  gemacht 
Auffallend  erscheint  es  auf  den  ersten  Anblick,  dass  bei  einer  ver- 
hältnissmässig  hochgradigen  Störung  der  Respiration  eine  nur  geringe 
oder  gar  keine  Phonationsstörung  vorhanden  war.  Durch  ein  Ex- 
periment am  Präparat  lässt  sich  die  Erklärung  finden.  Zerrt  man 
die  Schleimhaut  der  Vorderfläche  der  hinteren  Larynxwand,  so  be- 
wegen sich  die  Stimmbänder  gegen  einander.  Die  Ursache  ist  fol- 
gende: Bei  geschlossener  Glottis  läuft  der  grösste  Durchmesser  der 
Unterfläche  jedes  Aryknorpels  mit  der  oberen  B^grenzungslinie  des 
Ringknorpels  parallel.  Je  weiter  sich  die  Bänder  von  einander  ent- 
fernen, um  so  grösser  wird  der  Winkel  sein,  den  der  grösste  Aiy- 
Durchmesser  zum  Ringknorpel  bildet  Dabei  drängt  der  ProcessoB 
veealis  die  Schleimhaut  vor  sich  her.  Gibt  eine  pathologisch  ver- 
änderte Schleimhaut  diesem  Drängen  nicht  nach,  so  wird  die  intea- 
dirte  Bewegung  erschwert  oder  unmöglich.  Auch  die  zweite  Bewegung, 
die  bei  der  Inspiration  zu  Stande  kommen  soll,  das  durch  das  Zussm- 
menwirken  des  Crico-arytaenoideus  posticus  mit  dem  lateralis  aiuge- 
fahrte  Auseinander-  und  Nachhintenabwärts-Weichen  der  Aryknorpel  ^) 
wird  durch  ein  derartiges  Hindemiss  illusorisch  gemacht    Dagegen 


1)  Rahlmann,  CnterBachnogen.  Sitzongsberichte  der  Wiener  Akademie  der 
Wissenschaften.  Mai  1874.  S.  26. 


Chronische  Eehlkopfaffectionen  der  Kinder.  625 

wird,  wie  nun  leicht  ersichtlich,  die  Phonation  nur  dann  gestört  wer- 
den, wenn  eine  derartige  Schleimhautnarhe  so  ungünstig  liegt,  dass 
sie  sich  beim  Verschluss  der  Glottis  cartilaginea  dazwischen  drängt, 
oder  sich  nicht  zusammenfaltet. 

Selbst  ein  rein  negativer  Spiegelbefund  schliesst  eine  solche 
Möglichkeit  nicht  ganz  aus,  da  bei  den  Eigenthttmlichkeiten  des 
laryngoskopischen  Bildes,  welches  uns  die  hintere  Wand  nur  sehr 
verkürzt  zeigt,  sehr  wohl  dort  vorkommende  Veränderungen  dem 
Beobachter  unzugänglich  sein  können.  Andererseits  aber  wird,  selbst 
wenn  sich  post  mortem  neben  einem  positiven  Befunde  Atrophie  oder 
fettige  Degeneration  des  Stimmbandöffners  findet,  dies  die  Diagnose 
nicht  Lttgen  strafen,  da  die  Entartung  eines  ausser  Function  gesetz- 
ten Muskels  ja  ein  häufiges  Vorkommen  ist. 

In  der  grösseren  Anzahl  meiner  Fälle  war  auch  jenes  Phänomen 
vorhanden,  welches  Penzoldt  als  für  die  Paresen  der  Stimmband- 
schliesser  pathognostisch  zuerst  beschrieben  hat^):  durch  Druck  auf 
die  Höhe  des  4.  Trachealknorpels  soll  eine  vorhandene  Posticusläh- 
mung  dadurch  vermehrt  werden,  dass  bei  diesem  Druck  der  Laryn- 
geus  inferior  mit  gedrückt  und  dadurch  die  schon  vorhandene  Parese 
des  Nerven  zur  Paralyse  erhöht  wird.  So  sehr  mich  das  Experiment 
interessirt  hat,  so  wenig  kann  ich  mich  mit  der  Erklärung  desselben 
befreunden.  Da  das  Phänomen  schon  bei  leichtestem  Druck  und 
zwar  nicht  nur  auf  die  angegebene  Stelle,  sondern  auf  die  oberen 
Partieen  der  Luftröhre  überhaupt  und  auf  den  Ringknorpel  eintritt, 
so  kann  von  einer  lähmenden  Pression  auf  den  Nerven ,  der  über- 
dies noch  die  biegsame  Trachea  zur  Unterlage  hat,  nicht  die  Bede 
sein.  Die  Sache  erklärt  sich  vielmehr  auf  rein  mechanische  Weise. 
Durch  jeden  Druck  auf  den  Ringknorpel  oder  die  oberen  Partieen 
der  Luftröhre  wird,  wie  ich  an  anderer  Stelle  zu  beweisen  versucht 
habe,  die  Wirkung  des  Crico-thyreoideus  experimentell  hervorgebracht 
oder  verstärkt.^)  An  selber  Stelle  zeigte  ich  auch,  dass  der  Grico- 
thyreoideus  unter  gewissen  Umständen  die  Glottis  verengere.  Das- 
selbe wird  auch  an  der  von  Penzoldt  citirten  Stelle  von  Mackenzie 
ausgesprochen.  Dass  eine  solche  Annäherung  bei  pathologisch  enger 
Glottis  die  Athemnoth  vermehren  muss,  ist  sicher.  Die  Verschieden- 
heit unserer  Anschauungen  in  Bezug  auf  das  Zustandekommen  dieses 


1)  Durch  das  Experiment  verst&rkbare  Parese  der  Glottiserweiterer.    Dieses 
Archiv.  Bd.  XY.  S.  604  ff. 

2)  Zur  Physiologie  und  Pathologie  des  Gesanges.  Berliner  klin.  Wochenschr. 
1876.  Nr.  36. 

DentscbM  Arohly  f.  klln.  Medicin.    XXIV.  Bd.  40 


626  XXXm.  Michael 

,  Experiments  ist  insofern  von  einiger  praktischen  Wichtigkeiti  als  es 
nach  der  meinigen  bei  jeder  pathologisch  verengten  Glottis  zu  Stande 
kommen  kann  und  daher  seine  vom  Autor  beanspruchte  diagnostische 
Bedeutung  für  Posticuslähmung  yerliert. 

Ist  nun  die  Voraussetzung,  dass  es  sich  in  den  besprochenen 
FäUeui  wie  oben  angedeutet,  um  eine  Narbe  handelt,  richtig?  Ich 
glaube,  diese  Diagnose  darf  per  exclusionem  gestellt  werden;  denn 
irgend  eine  andere  Bedeutung,  als  die  eines  Narbenrandes;  weiss 
ich  der  grauweissen  zackigen  Zone  nicht  beizulegen.«  Zwar  habe  ich 
unter  meinen  Fällen  keinen  Obductionsbefund  zum  Beweis  beizu* 
bringen;  indessen  ist  von  Sidlo^)  ein  Fall  veröffentlicht,  der  mit 
den  meinigen  in  jeder  Beziehung  analog  ist  und  der  intra  vitam  fflr 
eine  Posticuslähmung  gehalten  worden  ist  Die  laryngoskopische 
Untersuchung  zeigte  unmittelbare  Bertthrung  der  Stimmbänder,  hin* 
tere  Larynxwand  im  Niveau  der  Stimmbänder  stark  eingebaucht, 
hier  seichte  Excoriationen  und  grau  weisse  Schleimhaut- 
zacken, die  Stimmbänder  während  der  Respiration  unbeweglich, 
bei  der  Intonation  gegen  einander  vorrückend,  ohne  sich  in  ihrem 
hinteren  Abschnitt  zu  erreichen,  woselbst  die  Olottis  deshalb  leicht 
klafft. 

Die  Section  ergibt:  Dislocation  der  beiden  Aryknorpel  auf  die 
Yorderfläche  der  Ringknorpelplatte,  eine  straffe  Verbindung  der  ein- 
ander zugekehrten  Flächen  der  Aryknorpel  durch  Narbengewebe, 
eine  strahlige  Narbe  in  der  Schleimhaut  der  hinteren 
Eehlkopfwand.  Atrophie  der  beiden  Mm.  cricoary taenoidei  postici 
und  des  transversus. 

Eine  solche  strahlige  Narbe  setze  ich  auch  in  meinen  Fällen 
voraus,  die  ja  in  Bezug  auf  die  hintere  Wand  genau  dasselbe  Bild 
zeigten.  Dagegen  fehlt  in  denselben  die  hier  angegebene  vollstän- 
dige Verwachsung  der  Aryknorpel;  dass  die  Atrophie  der  Muskeln 
eine  secundäre  sei,  ist  wohl  mit  Sicherheit  anzunehmen.  Der  Fall 
unterscheidet  sich  von  dem  meinigen  durch  die  Aetiologie.  Die  Affec- 
tion  ist  nicht  im  Veriaufe  einer  acuten  Infectionskrankheit,  sondern 
allmählich  entstanden.  Der  Tod  war  durch  eine  Pneumonie  verur- 
sacht. Drei  Tage  vor  dem  tödtlichen  Ausgang  hatte  die  Stenose 
sich  rasch  so  gesteigert,  dass  die  Tracheotomie  ausgeführt  werden 
musste. 

Der  von  Sanuö  0  ^^s*'  RetrecissemenU  trachio-laryngis  beobach- 


1)  Wiener  med.  Wochenschrift.  1875.  Nr.  26,  27,  29. 

2)  Le  Croup  apr^s  la  tracheotomie.  1677.  p.  154. 


Chronische  Kehlkopfaffectionen  der  Kinder.  627 

tete  Fall  eines  6jährigen  Knaben  beruht  sehr  wahrscheinlicher  Weise 
seinen  Symptomen  nach  zu  urtheilen  auf  derselben  Grundlage.  Sicher  * 
ist  es  nicht,  da  der  laryngoskopische  Befund  fehlt. 

Dass  Variolanarben  an  der  hinteren  Larynxwand  bisweilen  ge- 
funden werden,  wird  von  Rokitansky  in  seinem  Lehrbuch  der 
pathologischen  Anatomie  erwähnt  und  dass  auch  diphtheritische  Pro- 
cesse  zu  narbigen  Veränderungen  Veranlassung  geben  können,  ist 
bekannt. 

In  Bezug  auf  die  Diagnose  derartiger  Zustände  wäre  noch  Fol- 
gendes zu  bemerken.  Eine  Erweiterungsinsufficienz  der  Stimmbänder 
kann  sehr  wohl  bestehen  und  den  Patienten  bei  schnellen  Bewe- 
gungen dyspnoisch  machen,  ohne  dass  wir  an  dem  laryngoskopischen 
Bild  der  einfachen  Respiration  etwas  Auffallendes  bemerken.  In 
solchen  Fällen  ist  die  Cadaverstellung  und  noch  etwas  darüber  nicht 
behindert.  Die  Glottis  wird  aber  bei  den  tiefen  sogenannten  seufzen- 
den Inspirationen,  wie  sie  der  Gesunde  in  der  Ruhe  nach  jeder 
zwanzigsten  Inspiration  und  nach  einer  schnellen  Bewegung  häufiger 
hintereinander  vornimmt,  um  den  Mehrverbrauch  von  Sauerstoff  zu 
ersetzen,  noch  um  einige  Millimeter  weiter.  Fehlt  diese  supplemen- 
täre Erweiterung,  so  wird  jener  geringe  Grad  von  Dyspnoe  eintreten 
mtlssen,  den  wir  in  unseren  leichteren  Fällen  constatiren  konnten. 
Deshalb  ist  es  nothwendig,  den  Patienten  während  der  Untersuchung 
tief  inspiriren  zu  lassen.  Ist  die  besprochene  mangelhafte  Functions- 
fähigkeit  vorhanden,  so  wird  sich  die  Glottis  nicht  mehr  erweitern, 
es  werden  vielmehr  bei  der  seufzenden  Inspiration  die  vorher  normal 
entfernten  Stimmbänder  sich  etwas  nähern.  Bei  Berücksichtigung 
dieser  Möglichkeit  wird  sich  gewiss  noch  manche  räthselhafte  Dyspnoe 
auf  ihre  wahre  Ursache  zurückführen  lassen.  Für  nicht  unmöglich 
halte  ich  es,  dass  der  geschilderte  eigenthümliche  Reizzustand  der 
Schleimhaut  mit  der  frischen  Röthe  die  Folge  einer  fortgesetzten 
Muskelanstrengung  ist,  die  der  sonst  gesunde  Organismus  macht,  um 
das  mechanische  Hinderniss  zu  überwinden.  Eine  Analogie  fände 
diese  Annahme  in  den  Gonjunctivitiden,  die  manche  Refractionsano- 
malien  des  Auges  so  lange  begleiten,  bis  dieselben  durch  eine  pas- 
sende Brille  corrigirt  sind. 

Kurz  zusammengefasst  wird  sich  das  Ergebniss  dieser  Unter- 
suchungen folgendermaassen  stellen:  Im  Gefolge  derjenigen  Infec- 
tionskrankheiten,  die  zum  Kehlkopf  in  besonderer  Beziehung  stehen, 
bildet  sich  zuweilen  ein  Symptomencomplex  aus,  der  aus  einem  chro» 
nischen  Reizzustande  der  Schleimhaut  und  mehr  oder  weniger  mangel- 
hafter Functionsfähigkeit  einzelner  Larynxmuskeln  zusammengesetzt 

40* 


628  XXXIII.  Michael 

ist.  Die  Folgen  sind  je  nach  der  Schwere  des  Falles  localfonctionelle 
oder  Störungen  des  Allgemeinbefindens.  Das  Gesammtbild  der  Affee- 
tion  ist  bisweilen  ein  so  charakteristisches,  dass  man  ans  demselben, 
wie  es  mir  in  zwei  Fällen  geglückt,  eine  vorausgegangene  Infections- 
krankheit  ex  post  diagnosticiren  kann.  Der  Verlauf  derselben  ist 
nach  einem  acuten  Beginn  ein  durchaus  chronischer.  In  keinem  der 
beobachteten  Fälle  trat  im  Verlauf  der  Jahre  spontan  eine  wesent- 
liche Verbesserung  oder  Verschlechterung  auf,  wie  sich  dies  auch  in 
Betracht  der  zu  Grunde  liegenden  anatomischen  Veränderungen  nicht 
anders  erwarten  liess.  Die  Prognose  der  unbehandelten  Fälle  stellte 
sich  daher  quoad  valetudinem  completam  absolut  mala,  quoad  yitam 
absolut  bona. 

Der  Erfolg  einer  Behandlung  kann  nicht  sicher  vorausgesagt 
werden,  was  leicht  begreiflich  ist,  da  durch  die  Untersuohungsmetho- 
den  wohl  das  Vorhandensein  der  Affection,  nicht  aber  der  Grad  der- 
selben genau  festgestellt  werden  kann.  Die  leichtesten  Fälle  kann 
man  bis  auf  Weiteres  unbehandelt  lassen,  oder  sich  auf  adstringirende 
Inhalationen  beschränken.  In  den  schwereren  versuche  man  Pinse- 
lungen mit  Jodglycerin,  um  wenn  möglich  Resorption  des  Narben- 
gewebes zu  erzielen,  den  Inductionsstrom  percutan,  um  die  Muskulatur 
zu  kräftigen  und  der  secundären  Atrophie  vorzubeugen.  Am  meisten 
Erfolg  würde  ich  mir  jedenfalls  von  der  mechanischen  Behandlung 
mittelst  S chrötter 'scher  Bougies  versprechen.  In  den  mitgetheilten 
Fällen  hatte  ich  indessen   zu  deren  Anwendung  keine  Gelegenheit 


Während  die  mitgetheilten  Fälle  Beispiele  des  milderen  oder 
schwereren  Auftretens  einer  und  derselben  Affection  waren,  möge 
jetzt  an  der  Hand  eines  instructiven  Falles  eine  Beihe  von  Affectionen 
besprochen  werden,  welche  bereits  in  der  vorlaryngoskopischen  Zeit 
von  den  Franzosen  nach  ihrem  hervortretendsten  gemeinsamen  Sym- 
ptom als  „Impossibilüi  tPenlever  la  canule^  berücksichtigt  worden 
sind.  Abgesehen  davon,  dass  die  Zahl  der  bisher  publicirten  Fälle 
eine  noch  ziemlich  geringe  ist,  findet  die  Mittheilung  desselben  auch 
darin  eine  Rechtfertigung,  dass  er  der  erste  ist,  welcher  von  Anfang 
an  regelmässig  laryngoskopisch  beobachtet  ist. 

m 

Fall  VIII.  Sophie  V.,  5  Jahre  alt,  erkrankte  im  Februar  1877  mit 
Croup.  Am  vierten  Krankheitstage  wurde  die  Tracheotomie  von  dem  Hans- 
arzte der  Familie,  Herrn  Dr,  Eduard  Cohen  ausgeftlhrt  und  zwar  wurde 
die  Cricotracheotomie  als  Operationsmethode  gewählt    Die  Operation  ver» 


Chronische  KehlkopfaffectioDen  der  Kinder.  629 

lief  normal,  ebensowenig  boten  die  ersten  Tage  nach  derselben  etwas  Un- 
gewöhnliches dar.  Am  achten  Tage  wurde  die  Canüle  entfernt;  zuerst 
war  die  Athmnng  frei,  allmählich  trat  Dyspnoe  ein,  welche  mehr  und  mehr 
zunahm,  so  dass  die  Canüle  nach  mehreren  Stunden  wieder  eingeführt  wer- 
den musste.  Mehrere  Tage  später  wurde  abermals  ein  Versuch  gemacht, 
die  Canttle  fortzulassen  mit  derselben  Erfolglosigkeit.  Da  die  nun  vorge- 
nommene laryngoskopische  Untersuchung  mangelhafte  Beweglichkeit  der 
Stimmbänder  bei  der  Inspiration  und  Röthnng  der  Schleimhaut  ergab,  wur- 
den Inductionselektroden  und  Einblasungen  von  Tannin  in  Anwendung  ge- 
zogen. 

Seit  dem  22.  Mai,  also  ungefähr  zwölf  Wochen  nach  Beginn  der 
Krankheit  habe  ich.  Dank  der  Freundlichkeit  des  Herrn  Dr.  Cohen,  den 
Fall  mit  ihm  gemeinschaftlich  beobachtet  und  behandelt: 

Das  Kind  ist  etwas  blass,  sieht  aber  im  Uebrigeq  wohlgenährt  aus 
und  ist  ganz  munter  trotz  seiner  Trachealcanüle,  welche  es,  um  zu  sprechen, 
stets  mit  dem  Finger  verschliesst.  Die  Sprache  ist  normal  laut,  klingt  nur 
leicht  heiser  und  bat  den  den  Trägem  von  Canttlen  eigenthümlicheu  metalli- 
schen Beiklang.  Nase,  Rachen  und  Nasenrachenraum  bieten  nichts  Patho- 
logisches. Die  Laryngoskopie  lässt  sich  bei  der  liebenswürdigen  und  ge- 
duldigen kleinen  Patientin  ausserordentlich  leicht  und  ruhig  vornehmen. 
Sie  ergibt  folgendes  Resultat:  Bei  der  Phonation  erscheint  der  Larynz  bis 
auf  eine  massige  Röthung  der  Schleimhaut  normal.  Beim  Versuch  der 
Inspiration  entfernen  sich  die  Stimmbänder  nicht  ganz  bis  zur  Cadaverstel- 
lung, bei  tiefen  Inspirationen  nähern  sie  sich.  Den  Raum  zwischen  den 
halb  geöffneten  Stimmbändern  sieht  man  von  drei  rothen  Wülsten  erfüllt, 
die  augenscheinlich  eine  Schleimhautanschwellnng  darstellen.  Einer  derselben, 
von  der  vorderen  Larynxwand  ausgehend,  ist  unbeweglich,  zwei  andere, 
je  unter  einem  Stimmband  hervortretend,  nehmen  an  den  Bewegungen  der- 
selben TheiK  Die  äusseren  Umgebungen  der  Tracbealwunde  zeigen  einen 
nach  allen  Seiten  ungefähr  fingerbreiten  Substanzverlust  der  Haut  mit  rothem 
Grunde  und  sondern  eine  seröse  Flüssigkeit  ab.  Es  wurden  Pinselungen 
mit  Arg.  nitr.  1  :  10  und  statt  des  Inductionsstromes  versuchsweise  der 
Gonstante  Strom  percutan  angewendet.  Am  26.  Mai  öffneten  sich  die 
Stimmbänder  normal  weit;  die  Wülste  entfernen  sich  ebenfalls  von  einander, 
so  dass  die  Canttle  von  oben  aus  sichtbar  ist.  Die  Wunde  um  die  Canüle 
hat  ebenfalls  ein  besseres  Aussehen.  Jetzt  wird  nur  mit  dem  Pinseln  fort- 
gefahren und  der  constante  Strom  ausgesetzt.  Am  30.  Mai  ist  der  zuerst 
beschriebene  Zustand  wieder  vorhanden,  doch  bessert  sich  derselbe  in  einigen 
Tagen  bis  zu  dem  zuerst  erreichten  Resultat.  Im  Laufe  des  Monats  Juni, 
den  Patientin  auf  dem  Lande  zubringt,  bessert  sich  der  Zustand  insoweit, 
dass  die  Stimme  vollständig  klangvoll  wird,  so  dass  sie  selbst  bei  offener 
Canüle  singen  kann.  Das  Athmen  bei  verschlossener  Canüle  ist  Indess  nur 
auf  ganz  kurze  Zeit  möglich.  Die  Untersuchung  der  Trachealöffnung  mit 
concentrirtem  Sonnenlicht  ergibt  am  20.  Juni,  dass  das  Lumen  der  Luft- 
röhre nach  oben  zu  von  der  sich  hereinwulstenden  Schleimhaut  fast  voll- 
ständig ausgefüllt  ist,  während  sie  nach  unten  zu  vollkommen  frei  ist.  Da 
nun  im  Laufe  des  Monats  Juli  eine  weitere  Besserung  nicht  eintrat  —  der 
Höllenstein  war  inzwischen  mit  Jodglycerin  vertauscht  worden  — ,  wir  uns 
aber  bei  dem  relativ  guten  Befinden  und  besonders,  weil  eine  gestielte  leicht 


630  XXXin.  Michael 

entfernbare  Neubildung  vergeblich  gesucht  worden  war,  zu  eiuem  operativen 
Eingriff  irgend  welcher  Art  nicht  entschliessen  konnten,  dagegen  bei  der  ent- 
schieden scrophulösen  Anlage  der  kleinen  Patientin  vom  Aufenthalt  in  gnter 
Luft  uns  Erfolg  versprachen,  so  wurde  das  Kind  nach  Raichenhali  geschickt. 
Auf  der  Reise  dorthin  wurde  sie  in  München  den  Herren  Professoren 
V.  Ziemssen  und  Oertel  vorgestellt,  welche  das  Bongiren  des  Larynx 
init  Metallsonden  voi  schlugen.  Während  des  Aufenthalts  in  Reichenhall 
wurde  die  Bougirung  durch  mehrere  Monate  von  Herrn  GoUegen  Schmid 
Ausgeführt.  Im  October  kehrte  das  Kind  hierher  zurück.  Es  siebt  recht 
gesund  aus  und  hat  an  Körperfülle  wesentlich  zugenommen.  Das  laryngo- 
skopische Bild  hat  sich  aber  wesentlich  nicht  verändert.  Die  Wülste  sind 
noch  vorhanden,  das  Lumen  zwischen  denselben  hat  sich  ein  klein  wenig 
vergrössert.  Die  Athmung  bei  verschlossener  Canüle  ist  auch  jetzt  nur 
auf  kurze  Zeit  möglich,  die  Sprache  bei  offener  Canüle  ist  gut  Im  Laufe 
der  Monate  November  und  December  hat  sich  der  Zustand  im  Ganzen  so 
erhalten;  zeitweilig  hat  sich  derselbe  durch  intercurrirende  Bronchitiden 
und  eine  Parotitis  epidemica  verschlechtert,  so  dass  dann  die  Schleimhaut 
wieder  dunkel  geröthet,  die  Wülste  vergrössert  und  wenn  der  Zustand  eine 
gewisse  Höhe  erreichte  auch,  was  ich  besonders  hervorheben  möchte,  die 
frühere  Erweiterungsinsufficienz  der  Stimmbänder  wieder  hergestellt.  Nach 
zwei-  bis  dreimaligem  Pinseln  waren  diese  Exacerbationen  wieder  verschwun- 
den. Inzwischen  war  therapeutisch  die  Bougirung  weiter  fortgesetzt,  mit 
Tannin  gepinselt,  die  Wülste  mit  der  mit  Arg.  nitr.  armirten  Sonde  geätzt 
und  innerlich  Syr.  ferri  jodati  gegeben  worden.  Alle  diese  Vornahmen 
waren  aber  bald  wieder  ausgesetzt  worden,  weil  sich  irgend  ein  Erfolg 
nicht  constatiren  Hess.  Am  15.  Januar  zeigte  das  laryngoskopische  Bild 
plötzlich  eine  Veränderung,  nachdem  seit  einigen  Tagen  ziemlich  hochgra- 
dige Heiserkeit  eingetreten  war.  Zwischen  den  halbgeöfibeten  Stimmbän- 
dern ist  ein  Tumor  von  Kirschkerngrösse  sichtbar.  Derselbe  ragt  nur  zum 
Tlieil  zwischen  den  Stimmbändern  hervor,  doch  ist  seine  Kugelgestalt  deut- 
lich erkennbar.  Er  hat  eine  glatte  glänzende  Oberfläche  und  eine  gelblich- 
rothe  Farbe.  Seine  Insertion  scheint  unterhalb  des  linken  Stimmbandes  zu 
sein.  Wo  dieser  Tumor  bisher  sich  aufgehalten  —  in  vier  Tagen  kann 
er  ja  nicht  entstanden  sein  — ,  ist  nicht  ganz  sicher  zu  sagen.  Ich  ver- 
muthe,  dass  er  von  der  Canüle  gegen  die  hintere  Wand  gedrängt  war. 
Von  den  rothen  Wülsten  war  jetzt  natürlich  nichts  zu  sehen,  aber  in  den 
nächsten  Tagen,  in  denen  der  Tumor  wieder  herabgetreten  war,  zeigten 
sich  dieselben  wieder  unverändert  und  Hess  es  sich  constatiren,  dass  sie 
mit  dem  Tumor,  von  dem  nur  ein  kleines  Bruchstück  unter  dem  linken 
3timmbande  in  der  Tiefe  sichtbar  war,  in  keinem  Zusammenhang  standen. 
In  den  nächsten  Monaten  trat  dann  keine  weitere  Veränderung  ein.  Der 
Tumor  war  bald  zwischen  den  Stimmbändern  sichtbar,  bald  verschwand  er 
zum  grossen  Theil.  Seine  Bewegungen  gingen  um  eine  Axe,  die  dem  Ver- 
lauf des  linken  Stimmbandrandes  entsprach,  aber  wohl  einen  Centimeter 
tiefer  lag.  Durch  Hustenstösse  konnte  er  in  die  Höhe  geschlendert  wer- 
den. Bei  jeder  tiefen  Inspiration  und  bei  jeder  Berührung  mit  der  Sonde, 
welche  häufig  vorgenommen  wurden,  um  seine  Beweglichkeit  zu  vergrössem 
und  zur  Vorübung  für  operative  Eingriffe,  ging  er  wieder  hinunter.  Mo- 
biler war  er  entschieden  geworden,  doch  war  auch  im  April  sein  grösster 


Chronische  Kehlkopfaflfectionen  der  Kinder.  631 

-Durchmesser  noch  nicht  Aber  das  Niveau  der  Stimmbänder  getreten.  Ende 
April  ging  die  kleine  Patientin ,  deren  Allgemeinbefinden  in  der  rauhen 
Jahreszeit  entschieden  etwas  herabgekommen  war,  wieder  nach  Reichenhall. 
Daselbst  wurde  am  18.  März  1879  die  Canüle  definitiv  entfernt. i) 

Um  die  Krankengeschichte  nicht  zu  zerreissen,  habe  ich  unsere 
diagnostischen  Betrachtungen  und  deren  Begründung  bis  zum  Schlüsse 
verschoben.  Verständlich  wird  meiner  Ansicht  nach  der  beschrie- 
bene Symptomencomplex  nur  dann,  wenn  man  annimmt,  dass  der- 
selbe die  Combination  zweier  verschiedener  Affectionen  ist,  von  denen 
allerdings  die  zweite  eine  indirekte  Folge  der  ersten  darstellt  Das 
Bild,  welches  der  Spiegel  bei  den  Untersuchungen  in  den  ersten 
Monaten  zeigte,  entspricht  ziemlich  genau  den  Beschreibungen  und 
Abbildungen  der  von  Türck,  Gerhardt  und  Burow  beschriebenen 
Chorditis  inferior  hypertrophica.  Auch  hier  werden  besonders  zwei 
WQlste  beobachtet y  welche  unterhalb  der  Stimmbänder  liegend,  die 
Bewegungen  derselben  mitmachen,  ebenso  pflegt  auch  der  dritte  von 
der  vorderen  Wand  ausgehende  vorhanden  zu  sein.  Diese  Diagnose 
ist  übrigens  derzeit  auch  von  v.  Ziemssen  und  0  e r t e  1  uns  brieflich 
bestätigt  worden.  Die  Insufficienz  der  Stimmbanderweiterer  kann 
meiner  Ansicht  nach  weder  als  Lähmungserscheinung  noch  als  Krampf 
aufgefasst  werden.  Vielmehr  wurde  in  der  oben  angegebenen  Weise, 
sobald  die  Infiltration  der  Schleimhaut  eine  gewisse  Höhe  erreicht 
hatte,  der  Spielraum  für  die  Aryknorpelfortsätze  weggenommen.  Der 
Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  wurde  in  diesem  Fall 
ex  juvantibus  gewissermaassen  experimentell  geliefert.  Während  die 
Elektricität  auf  den  Zustand  vollständig  ohne  Einfluss  blieb,  wurde 
die  Bewegungsstörung,  die  stets  von  einer  hochgradigen  Schleim- 
hautröthung  begleitet  auftrat,  durch  einige  Pinselungen  von  starker 
Höllensteinlösung  wieder  aufgehoben. 

Die  schlechte  Beschaffenheit  der  Haut  in  der  Umgebung  der 
Canüle  erklärt  sich  am  besten  aus  dem  scrophulösen  Ebbitus  der 
Patientin. 

Die  Schleimhauttumoren  in  der  Umgebung  der  Canüle,  die  tra- 
eheoskopisch  beobachtet  sind,  ebenso  wie  der  Tumor,  welcher  im 
Laufe  des  Winters  plötzlich  auf  der  Bildfläche  erschien,  passen  nicht 
in  den  Rahmen  der  besprochenen  Affection.  Sie  scheinen  vielmehr 
Granulationen  zu  sein,  die  sich  vielleicht  als  Reaction  eines  durch 
die  Canüle  ausgeübten  Reizes  entwickelt  haben. 


1)  Eine  nähere  Beschreibung  der  dortigen  Behandlung  und  des  Heilverlaufa 
behält  sich  Herr  Dr.  Schmid  für  eine  demnächst  erscheinende  Arbeit  vor. 


632  XXXin.  Michael 

• 

Obgleich  die  Literatur  an  ausftlhrlicben  Erankengescliicbten  Aber 
das  Yorkommniss  der  niebt  entfembaren  Ganttle  ziemlich  arm  isti  so 
Bcbeint  das  Ereigniss  doch  kein  so  ausserordentlich  seltenes  zu  sein. 
Die  ersten  derartigen  Fälle  sind  von  Trousseau^)  erwähnt,  in  denen 
die  Canüle  je  14,  20  und  44  Tage  liegen  bleiben  musste.  In  einem 
vierten  konnte  sie  erst  nach  5  Jahren  entfernt  werden.  Trousseau 
hält  den  durch  die  Canflle  hervorgebrachten  Beiz  fttr  die  Ursache 
und  räth  deshalb,  dieselbe  baldmöglichst  zu  entfernen.  Ein  Yollstftn- 
diges  Verzeichniss  der  diesen  Gegenstand  betreffenden  Publikationen 
findet  sich  in  der  Arbeit  von  Koch  über  Granulationsgeschwttlste  der 
Luftröhre^).  Nicht  erwähnt  ist  daselbst  nur  eine  These  von  Gentit: 
Sur  les  causes  emp§chantes  Tablation  de  la  canule.  Strassbourg  1868. 
Leider  war  auch  mir  dieselbe  nicht  zugänglich.  Koch  hat  in  allen 
denjenigen  Fällen,  wo  keine  Ursache  für  die  Stenose  klar  angegeben 
war,  die  Granulationen  supponirt ;  ich  glaube  jedoch  nach  Dorchsicht 
der  Fälle,  dass  es  sich  in  einigen  derselben  um  andere  Affectionen 
gehandelt  habe  und  in  einigen  andern  die  Granulationen  nur  eine 
durch  die  permanente  Canüle  bedingte  Gomplikation  darstellten. 
Das  schmälert  natürlich  das  Verdienst  des  genannten  Autors  durch- 
aus nicht,  auf  die  häufigste  und  —  weil  der  Therapie  zugänglichste 
—  auch  praktisch  wichtigste  Ursache  der  fatalen  Impossibüüi  dTen- 
lever  la  canule  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  zu  haben.  Es  bleibt 
übrigens  nach  Abzug  der  betreffenden  Fälle  noch  der  grössere  Theil 
für  die  Granulationen  übrig.  Als  besonders  lehrreich  hebe  ich  her- 
vor den  Fall  von  Rouzier-Joly^),  in  dem  nach  27  Monaten  durch 
die  Canüle  von  Laborde  Heilung  erzielt  wurde,  nachdem  die  tra- 
cheale  Aetzung  der  „bourgeons  chamues*^  erfolglos  geblieben  war, 
den  von  Gigen^),  in  welchem  sich  an  der  Narbe  der  ersten  Tra* 
cheotomie  Granulationen  bildeten  und  so  voluminös  wurden,  dass 
nach  drei  Monaten  der  Luftröhrenschnitt  wiederholt  werden  musste 
und  besonders  der  von  Koch  selbst  beobachtete  Fall.  In  einem 
Falle  von  Billroth^)  konnte  erst  nach  20  Tagen  die  Canüle  ent- 
fernt werden,  weil  die  die  Halswunde  umgebenden  Granulationen 
bei  jeder  Inspiration  in  die  Trachea  hineingezogen  wurden  und  diese 
verlegten. 

Seit  dem  Erscheinen  der  Eoch'schen  Zusammenstellung  hat 
sich  die  Casuistik  der  Granulome  durch  folgende  Pnblicationen  ver- 

1)  Clinique  m^dicale,  übersetzt  von  Culman.  Bd.  I.  S.  480. 

2)  Langenbeck*s  Archiv.  Bd.  XX.  Heft  3. 

3)  Gaz.  des  hdp.  27.  Juni  1867.  4)  Union  mädicale.  1862.  p.  277. 
5)  Archiv  für  klin.  Chirorgie.  Bd.  X.  S.  192.  1869. 


Chronische  Eehlkopüaffectionen  der  Kinder.  633 

mehrt  y  welche  zum  Theil  auf  die  Häufigkeit  des  Vorkommens  der- 
selben einiges  Licht  werfen:  Pauli i)  beobachtete  unter  24  wegen 
diphtheritischen  Croups  ausgeführten  Tracheotomien  drei  Fälle  von 
Granulationsbildung  und  einen  yierten  an  einem  Patienten,  der  wegen 
respiratorischer  Paralyse  eine  permanente  Canttle  tragen  musste.  Von 
Interesse  ist  es  auch,  dass  zwei  der  beobachteten  Fälle  Geschwister 
betrafen.  Eines  derselben,  ein  3 V2 jähriger  Knabe,  starb  plötzlich 
eines  Abends  an  Erstickung,  nachdem  am  Morgen  die  Canttle  ent* 
femt  worden  war.  Bei  der  Section  fand  sich  eine  Schwellung  und 
fast  lappenartige  Vergrösserung  der  Schleimhaut  in  der  Umgebung 
der  Tmcheal wunde.  Pauli  hat  zugleich  das  Verdienst,  den  fttr  in 
ihrer  Ursache  noch  unaufge^ärte  Fälle  zweckmässigen  Ausdruck: 
Impossibilili  cTenlever  la  canule,  der  den  Vorzug  hat,  keine  Diagnose 
zu  anticipiren,  wieder  aufgefrischt  zu  haben.  Einen  klappenartigen 
Verschluss  durch  vorgewölbte  Schleimhautlappen  hat  Völker 2)  an 
der  Leiche  eines  Kindes,  das  ein  Vierteljahr  lang  nach  Diphtheritis 
eine  Canflle  getragen,  beobachtet  und  einen  anderen  Fall  derselben 
Art  hat  Dupuis^)  mit  einer  von  ihm  construirten  Canttle  erfolgreich 
behandelt  Krönlein ^)  konnte  unter  65  geheilten  Tracheotomien 
in  einem  Falle  wegen  Granulationen  erst  nach  einem  halben  Jahre 
die  Canttle  entfernen.  Wauscher^)  bespricht  in  einer  Inaugural- 
dissertation 400  Fälle  von  Tracheotomie.  In  sechs  derselben  konnte 
wegen  Granulation  in  der  Wunde  die  Canttle  erst  nach  längerer  Zeit 
entfernt  werden.  In  diesen  Fällen  war  die  hohe  Tracheotomie  ge- 
macht worden,  welche  Verfasser  als  die  Ursache  beschuldigt.  Wenn 
man  auch  die  citirten  Fälle  von  Schleimhautklappen  zu  den  Granu- 
lationsstenosen rechnen  will,  so  bleibt  doch  immer  noch  eine  Anzahl 
von  Fällen  ttbrig,  in  denen  man  mit  der  Diagnose  „Granulationen^ 
nicht  auskommt.  In  folgendem  Fall  z.  B.  handelt  es  sich  genau  wie 
in  dem  von  uns  mitgetheilten  um  eine  Combination  von  Chorditis 
inferior  hypertrophica  mit  Granulationen.  Selbst  die  durch  die  Schleim- 
hautschwellung bedingte  Erweiterungsinsufficienz  fehlte  nicht  und  ge* 
rade  diese  liefert  mir  den  Beweis  fttr  die  Richtigkeit  der  Annahme. 
Durch  Wucherungen,  die  der  Schleimhaut  rund  aufsitzen,  wttrde  der 


1)  Zur  Lehre  von  der  Grannlationsstenose  nach  Tracheotomie.    Centralblatt 
für  Chirurgie.  1877.  Nr.  45. 

2)  Stenose  des  Kehlkopfs  nach  Tracheotomie.   Zeitschr.  f.  Chirurgie.  Bd.  IX. 
S.  448  £F. 

3)  Ebenda.  Bd.  Y.  S.  307. 

4)  Langenbeck's  Archiv.  1877.  Heft  2. 

5)  On  diphtheritis  og  croup.    Kopenhagen  1878. 


634  XXXm.  Michael 

Raum  im  submucosen  Gewebe  nicht  beschränkt  worden  sein.  Da 
dec  Obductionsbefund  für  das  Verständniss  unseres  Falles  ausser- 
ordentlich  wichtig  ist,  möge  er  hier  eine  Stelle  finden  0 :  » ^«  larynx 
detacke  en  masse  avec  la  base  de  la  langue  et  de  la  trachee  fat 
dahord  examini  intact,  M.  Gosselin  qui  asristait  ä  Pautopsie  nous 
fit  remarquer  au  premier  ahord  un  retrecissement  notable  de  la  glotte. 
Une  pince  ä  dissequer  introduite  fermie  entre  les  cordes  poutaü  ä 
peine  les  icarter.  En  examinant  plus  atlentivement  la  glotte  on  re- 
connut,  que  le  ritrecissement  tenaü  au  rapprockement  forci  de  la  base 
des  cartilages  aryt.  En  ouvrant  le  larynx  par  sa  partie  posterieure 
il  fut  facüe  de  constater  ä  ce  niveau  un  epaississement  de  la  muqueuse 
fortement  adhSrente  et  sa  transformatioi^  en  une  sorte  de  tissu  ßbreux 
et  rigide  qui  devait  ividement  g^ner  le  jeu  des  cartilages.  Cette  mu^ 
queuse  presentait  en  un  mot  toute  Capparence  du  tissu  cicatricieL  Les 
petites  articulations  cricoarytaenoidiens  paraissaient  manifestement  gon- 
flies.  II  est  probable  qu'elles  avaient  participi  ä  Pinflammation  gene- 
rede  du  larynx.  Nulle  trace  de  fausses  membranes  d  la  surface  du 
larynx  ou  des  bronches." 

Hinzuzufügen  w&re  noch,  dass  auch  in  diesem  Falle  n^ourgeons 
chamues "  in  der  Trachealöffnung  intra  yitam  beobachtet  sind.  Auch 
einer  der  von  Sann 6^)  berichteten  Fälle  (p.  153  tumifactian  de  la 
muqueuse  laryngie)  scheint  mir  hierher  zu  gehören.  Zwei  andere 
sind  entschieden  Granulationsstenosen.  Auch  der  Fall  von  Calyet')| 
der  von  dem  Beobachter  für  Granulationsstenose  angesehen  wurde, 
ist  meiner  Ansicht  nach  aus  dieser  Rubrik  zu  eliminiren :  Bei  einem 
achtjährigen  wegen  Group  tracheotomirten  Kind  wird  am  achten  Tage 
nach  der  Operation  die  Canüle  entfernt.  Einen  Monat  nach  der  voll- 
ständigen Heilung  tritt  plötzlich  Stertor  und  Dyspnoe  auf.  Die 
Tracheotomie  wird  vorgeschlagen,  aber  verweigert.  Der  Zustand 
verschlimmert  sich.  Exitus  letalis  in  der  darauffolgenden  Nacht.  Die 
Obduction  vrird  nicht  ausgeftihrt  Dass  Granulationen  einen  Monat 
lang  vollständig  symptomlos  bestehen  können  und  dann  in  einem 
halben  Tage  tödten,  erscheint  sehr  unwahrscheinlich,  ebenso  dass 
ein  Glottiskrampf  stundenlang  ununterbrochen  dauert  Ich  glaube 
vielmehr,  dass  der  Patient  an  einer  diphtheritischen  Vaguslähmung 
zu  Grunde  gegangen  ist.^) 

1)  Blanchez,   Observation  de  croup  mort  six  semaines  aprte  Top^ration 
cons^cuüvement  ii  Textraction  de  la  canole.    Gaz.  des  Mpitaox.  1858.  p.  54. 

2)  Etüde  BOT  le  croup  apr^s  la  tracheotomie.    Paris  1877. 

3)  Gazette  des  höpitaux.  1874.  p.  49. 

4)  Da  derartige  F&Ue  nicht  gerade  zu  den  häufigen  YorkomnuüBsen  gehören. 


Chronische  Kehlkopfaffectionen  der  Kinder.  635 

Auch  die  bereits  oben  mehrfach  erwähnte  Posticnslähmung  darf 
in  zweifelhaften  Fällen  als  mögliche  Ursache  der  „ImpossibilüS^ 
darchauB  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden.  Ein  geheilter  Fall 
dieser  Art,  in  dem  die  Lähmung  neun  Monate  nach  einer  Scharlach- 
diphtheritis  auftrat,  die  Tracheotomie  und  zehntägiges  Liegen  der 
Canflle  noth wendig  machte,  ist  von  Blake  0  laryngoskopisch  con* 
trolirt  und  behandelt  worden  und  eine  gleiche  Beobachtung  ist  von 
Behn^)  gemacht  worden.  Endlich  wurde  in  einem  Falle  auf  der 
Klinik  von  Bartels^)  die  Herausnahme  der  Canüle  aus  demselben 
Grrnnde  um  vier  Monate  Tcrzögert.  Fettige  Entartungen  der  Mus* 
culatur,  besonders  des  Gricoarytaenoideus  posticus  sind  von  Arn- 
heim^)  bei  den  Obductionen  von  an  Diphtheritis  verstorbenen  Kin- 

so  erlaube  ich  mir,  einen  derartigen  Fall  aus  meiner  Praxis  hier  anmerkungsweise 
mitzutheilen: 

Oustav  S.,  12  Jahre  alt,  ein  schwächliches  Kind,  das  stets  viel  gehustet  hat» 
erkrankt  am  17.  Juli  1878  mit  Halsschmerzen.  Der  ganze  Rachen,  die  Tonsillen 
and  der  weiche  Gaumen  sind  mit  grauweissem  Belag  bedeckt.  Fieber  gering. 
Keine  Dyspnoe,  kein  Stridor.  Aeusserlich  am  Halse  mehrere  über  wallnussgrosse 
geschwollene  Lymphdrüsen.  Auf  den  Lungen  ausser  massig  reichlichem  mittel- 
grossblasigem  Rasseln  keine  Anomalien.  Diagnose:  Diphtheritis  des  Rachens. 
Therapie:  Eisumschläge ,  Eisschlucken.  Kali  chlor.  1 0,0 :  200,0 :  2 stOndlich 
1  Theelöffel.    Vin.  Xerense. 

Unter  dieser  Behandlung  ist  am  28.  Juli  der  Belag  allmählich  verschwunden, 
die  Drüsenschwellungen  vollkommen  zurückgegangen.  Ausser  ziemlich  hochgra- 
diger Schwäche  bietet  Patient  nichts  Besonderes.  Am  29.  Morgens  werde  ich 
schleunigst  zu  dem  Knaben  gerufen.  Seit  gestern  Abend  soll  derselbe  auffallend 
oberflächlich  geathmet  haben.  Besonders  seit  einer  Stunde  ist  der  Athem  immer 
oberflächlicher  geworden  und  hat  zuweilen  ganz  ausgesetzt.  Hände  und  Füsse 
sind  seit  dieser  Zeit  kalt  geworden.  Eigentliche  Athemnoth  oder  Stridor  soll  nicht 
vorhanden  gewesen  sein.  Als  ich  hinkam,  war  Fat.  vor  wenigen  Minuten  gestorben. 

Die  am  folgenden  Tage  von  Herrn  Dr.  Dehn  freundlichst  ausgeführte  Ob- 
duction  ergab  ausser  massigem  Lungenödem,  chronisch -bronchitischen  Verände- 
rungen und  einer  Eiteransammlung  im  rechten  Harnleiter  keine  Anomalien.  Schleim- 
haut des  Pharynx  und  Larynx  leicht  geröthet  und  geschwollen.  Niigends  eine 
Spur  von  irgend  welcher  Auflagerung.  —  Es  kann  wohl  in  .diesem  Fall  ebenso 
wie  in  dem  von  Calvet  per  exclusionem  und  nach  den  Erscheinungen  in  den 
letzten  Lebensstunden  die  Diagnose  „VaguslähmuDg**  gestellt  werden.  Zu  bedauern 
ist  es  jedenfalls,  dass  zur  Anwendung  der  Elektricität,  die  in  solchen  Fällen  bis- 
weilen lebensrettend  sein  soll,  keine  Möglichkeit  war. 

1)  Paralysis  of  both  posterior  cricoarytaenoid  muscles  in  a  case  of  diphtheritis 
tracheotomia,  recovery.  Boston  med.  and  surgicaljoum.  Vol.  XGVU.  23.  Aug.  1877. 

2)  Dieses  Archiv.  1876.  S.  136. 

3)  Müller-Warneck,  Zur  Behandlung  der  DiphtheritiB  vor  und  nach  der 
Tracheotomie.    Berliner  klin.  Wochenschrift  1878.  Nr.  44. 

4)  lieber  croupöse  Entzündung  der  Luftröhre.  Jahrb.  für  Kinderheilkunde. 
December  1877.  S.  46. 


636  XXXm.  Michael 

dem  gefunden  worden.  Auch  hat  derselbe  bestätigende  Beobachtun- 
gen von  Schlautmann,  Niemeyer,  Tobold  und  Gerhardt 
citirt.    Dieselbe  Ursache  wird  auch  von  Steiner^)  angenommen. 

Durch  Glottiskrampf  bedingt  war  die  nlmpossibiläi*^  in  folgen- 
dem Falle  von  R  h  y  n  2).  Als  einem  vierjährigen,  wegen  Diphtheritis 
tracheotomirten  Knaben  am  siebenten  Tage  nach  der  Operation  die 
Canttle,  weil  die  Athmung  völlig  frei  war,  entfernt  wurde,  entstand 
ein  sehr  bedrohlicher  Glottiskrampf,  der  die  sofortige  Wiederein- 
führung des  Instrumentes  nothwendig  machte.  Während  der  näch- 
sten Wochen  geschah  bei  gleichen  Versuchen  das  Gleiche,  indem 
das  Kind  mit  verstopfter  Ganüle  stundenlang  frei  athmete.  Am 
19.  Tage  endlich  wurde  der  Krampf  durch  die  ledige  Angst  vor  der 
Herausnahme  hervorgerufen.  Jetzt  wurde  das  Kind  chloroformirt  mit 
sofortiger  Beendigung  des  Anfalls.  Während  der  Narkose  wurde  die 
Canüle  entfernt,  die  Wunde  verklebt  und  verbunden.  Später  stellten 
sich  nur  noch  zwei  Anfälle  ein,  die  dem  Chloroform  schnell  wichen. 

Simon 3)  thyreo tomirte  einen  6  Jahre  alten  Knaben,  nachdem 
derselbe  ^4  Jfthr  nach  Diphtheritis  eine  Canüle  getragen  hatte  und 
entfernte  eine  dicke,  im  Kehlkopf  flottirende  Schleimhautzunge.  Dann 
aber  zeigte  es  sich,  dass  der  Kehlkopf  in  der  Höhe  des  Ringknorpels 
zu  einem  schmalen  Spalt  stenosirt  war.  Durch  eine  plastische  Ope- 
ration an  der  stark  zusammengefalteten  Schleimhaut  versuchte  Simon 
den  Zustand  zu  bessern,  jedoch  ohne  den  gewünschten  Erfolg.  Ma- 
li nowski^)  theilt  die  Krankengeschichte  eines  Erwachsenen  mit, 
der  2  Jahre  nach  überstandener  Diphtheritis  die  Canüle  noch  tragen 
muBste.  Durch  die  Thyreotomie  wurden  zahlreiche  papillomatöse 
Wucherungen  entfernt,  aber  eine  Hypertrophie  der  Kehlkopfschleim- 
haut und  Verdickung  der  Stimmbänder  machen  das  weitere  Tragen 
der  Canüle  erforderlich. 

Der  folgende  Fall  wurde  von  Herrn  Dr.  Wie  sing  er  beobachtet 
und  mir  die  Veröffentlichung  desselben  freundlichst  gestattet  Einem 
6  jährigen  Kinde  wurde  wegen  Diphtheritis  die  Tracheotomie  ge- 
macht. Die  Entfernung  der  Canüle  zur  gewöhnlichen  Zeit  war  nicht 
möglich,  weil  sogleich  Erstickungsanfälle  eintraten.  Weder  von  der 
Trachealöffnung  aus,  noch  laryngoskopisch  Hess  sich  eine  Ursache 
dieses  eigenthümlichen  Verhaltens  finden,  speciell  konnte  das  Vor- 

1)  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  Bd.I.  S.71,  und  Prag.  Yierte^jahrschr.  1875.  S.406. 

2)  Een  gefal  Tan  tracheotomie  by  croup.    Weekblad  Tan  hed  nederlandsch 
Tigdschrift  Tan  geneeskunde  no.  t5  nach  Virchow-Hinch's  Jahresber. 

3)  Mittheilnng  aus  der  chirurgischen  Klinik.  1861—1865.  S.  146. 

4)  Inaugnral-Dissertation:  Ueber  Thyreotomie.  1878. 


Chronische  Kehlkop&ffectionen  der  Kinder.  637 

handensein  von  Orannlationen  ausgeschloBsen  werden.  Der  Fall  blieb 
unaufgeklärt y  bis  der  eigentbflmUcbe  Umstand,  dass  das  Rind  bei 
verseblossener  Cantlle  ebenso  gut  atbmete,  wie  bei  geöffneter,  auf 
die  Deutung  binleitete.  Es  zeigte  sich  nftmlich,  dass  eine  krankhafte 
Nachgiebigkeit  der  Trachealknorpel  bestand,  so  dass  bei  jeder  Ath- 
mung  die  vordere  Luftröhren  wand  angesogen  wurde  und  indem  sie 
sich  der  hinteren  Wand  anlegte,  das  Lumen  verschloss.  An  Stelle 
der  Canflle,  die  möglicherweise  durch  Schwere  und  Druck  die  Sache 
verursacht  haben  konnte,  wurden  jetzt  Wachsbougies  von  der  Form 
derselben  eingelegt  und  in  dieser  Weise  der  Fall  nach  mehreren 
Monaten  zur  Heilung  gebracht. 

Der  Fall  von  Parise^)  beruht  ursprünglich  möglicherweise  auf 
derselben  Ursache.  Auch  dieser  5  V2  jährige  Patient  konnte  sehr 
wohl  mit  verschlossener  Canüle  athmen,  während  nach  Herausnahme 
derselben  Erstickungsanfälle  eintraten.  Freilich  wurden  hier  im  Laufe 
der  Behandlung  „bourgeons  chamues^  constatirt.  Dieselben  konnten 
jedoch  secundär  entstanden  sein.  Andererseits  darf  die  Möglichkeit 
nicht  ausgeschlossen  werden,  dass  durch  die  Canttle  eine  ganstigere 
Lagerung  der  Neugebilde  bedingt  und  in  Folge  dessen  die  Luft- 
passage neben  der  Canttle  ermöglicht  ist.  In  solchen  Fällen  ist  der 
Mechanismus  derselbe,  wie  ihn  Rose  als  Ursache  des  Kropftodes 
beschrieben  hat  Bei  diesem  ist  die  Trachea  durch  den  Druck  der 
Struma  usurirt 

Aus  den  mitgetheilten  fremden  und  eigenen  Beobachtungen  lässt 
sich  folgendes  Erankheitsbild  zusammenstellen.  Durch  verschiedene 
Gomplicationen,  die  im  Verlauf  eines  tracheotomirten  Falles  auftreten, 
kann  die  Herausnahme  der  Canttle  wegen  Undurchgängigkeit  der 
oberen  Luftwege  fttr  kttrzere  oder  längere  Zeit  unthunlich  werden. 
Die  Ursachen  dieser*  „  ImposgibilitS  cTenlever  la  canule*  können  man- 
nigfacher Art  sein: 

1.  Granulationswucherung,  welche  entweder  von  der  Umgebung 
der  Canfllenöffnung ,  oder  von  einem  durch  das  Ende  derselben  ge- 
setzten Decubitalgeschwttr  an  der  hinteren  Wand  ausgeht. 

2.  Chorditis  inferior  hypertrophica  oder  eine  dieser  Krankheit 
ähnliche  Affection. 

3.  Posticuslähmung. 

4.  Glottiskrampf. 

5.  Narbenverengerung  von  Larynx  oder  Trachea. 


1)  Croup  laryngobronchique,  Tracheotomie,  Imposaibilit^  d'enlever  la  canule 
apr^B  seize  mois.    Gaz.  des  höpit  lb67.  p.  173. 


638  XXXIII.  Michael 

6.  Pathologische  Nachgiebigkeit  der  vorderen  Trachealwand. 

7.  Gomplicationen  mehrerer  der  genannten  Ursachen. 

Ich  hoffe  bewiesen  zu  haben,  dass  es  nicht  richtig  ist,  diese 
Fälle  alle  unter  der  Diagnose  Oranulationsstenose  zu  subsumiren  und 
habe  einstweilen  die  rein  symptomatische  Bezeichnung  empfohlen, 
weil  ich  fiberzeugt  bin,  dass  weitere  Beobachtungen  zeigen  werden, 
dass  mit  den  genannten  die  Ursachen,  die  eine  Entfernung  der  Ca* 
nflle  verbieten,  noch  nicht  erschöpft  sind.  Die  Aetiologie  und  daher 
auch  die  Prophylaxe  dieser  Fälle  liegen  noch  recht  im  Dunkeln, 
selbst  fttr  die  Granulationen,  über  deren  Ursachen  Manches  ge- 
schrieben ist.  In  erster  Linie  hat  man  die  hohe  Operationsmethode 
beschuldigt,  die  sog.  Oricotracheotomie.  Nun  ist  es  allerdings  sehr 
auffallend,  dass  in  fast  allen  beobachteten  Fällen  diese  Methode  ge- 
wählt worden  war.  Aber  sie  ist  bekanntlich  die  leichter  ausführbare 
und  hat  viele  Vorzttge  und  halte  ich  es  daher  ffir  sehr  wahrschein- 
lich, dass  sie  ungleich  öfter  ausgeführt  wird  als  die  untere  und 
dürfte  dieses  Zusammentreffen  darin  seinen  Grund  haben.  Auch  das 
zu  lange  Liegenbleiben  der  Canüle  wird  beschuldigt.  Es  ist  gewiss, 
dass  dieselbe  als  fremder  Körper  reizend  wirkt  und  nach  dem  be- 
kannten Rathe  Trousseau's  so  bald  als  möglich  entfernt  werden 
muss.  Diesen  Rath  zu  befolgen  war  aber  in  den  betreffenden  Fällen 
stets  versucht  worden.  Es  musste  Abstand  genommen  werden,  sie 
zur  rechten  Zeit  zu  entfernen,  weil  eben  die  Gomplication  ihr  Liegen- 
bleiben erforderlich  machte.  Dass  sie  bei  monatelangem  Liegen  Ur- 
sache sein  kann,  dass  andere  Affectionen  sich  mit  Granulationen 
compliciren,  habe  ich  oben  hervorgehoben  und  will  auch  zugeben, 
dass  in  einzelnen  Fällen,  wie  die  von  Pauli,  in  denen  wegen  hinzu- 
getretenen Scharlachs  die  Wegnahme  aufgeschoben  werden  musste, 
die  Canüle  als  einzige  Ursache  der  Granulationen  angesehen  werden 
kann.  Ebenso  können  zuweilen  diphtheritische  Trachealgeschwfire 
und  die  durch  Canülendruck  producirten  Decubitalgeschwüre  an  der 
hinteren  Wand  beschuldigt  werden ;  für  die  meisten  Fälle  aber  trifil 
dies,  wie  gesagt,  nicht  zu. 

Dass  dagegen  die  Form  und  die  örtliche  Vertheilung  der  Granu- 
lationen, wenn  diese  einmal  vorhanden  sind,  durch  die  Form  der 
Canüle  beeinflusst  wird,  ist  natürlich;  ebenso  ist  die  Bildung  des 
klappenartigen  Schleimhautwulstes,  der  in  mehreren  Fällen  als  im 
oberen  Wundwinkel  sitzend  notirt  ist,  nach  Völker  (l>e.)  durch  die 
Gestalt  der  Trousseau' sehen  Canüle  ermöglicht  und  wird  dann, 
wie  Koch  nachweist,  durch  den  Inspirationszug  vergrössert  Ffir 
den  Werth  der  therapeutischen  Maassnahmen  im  concreten  Fall  sind 


Chronische  Kehlkopfaffectionen  der  Kinder.  639 

diese  Betrachtungen  von  einiger  Bedeutung.  Als  ursächliches  Mo- 
ment kann  die  Trousseau'sche  Ganüle  nicht  aufgefasst  werden, 
da  sie  ja  in  mindestens  95  Proc.  derjenigen  Fälle ,  die  die  Grund- 
krankheit überstanden  haben,  solche  Veränderungen  nicht  hervorruft. 
Wie  die  Casuistik  zeigt,  können  weder  bestimmte  Dyskrasien,  noch 
ungünstige  hygienische  Verhältnisse  (die  mitgetheilten  Fälle  stammen 
theils  aus  Spitälern,  theils  aus  der  Privatpraxis  in  den  höchsten  und 
niedersten  Ständen),  auch  nicht  klimatische  Ursachen  dieselben  er- 
klären. Dass  gerade  in  Frankreich  die  ersten  und  meisten  Fälle 
publicirt  sind,  hat  wohl  seinen  Grund  in  der  Aufmerksamkeit,  die 
gerade  dort  durch  Trousseau's  Einfluss  allem  die  Tracheotomie  Be- 
treffenden «seit  langer  Zeit  zugewendet  worden  ist.  Es  bleibt  uns 
als  Ultimum  refugium  nur  die  Annahme  einer  individuellen  Idio- 
synkrasie übrig.  Die  Prophylaxe  kann  sich  daher  nur  auf  möglichst 
frühzeitige  Entfernung  der  Canüle  und  Pflege  der  Trachealwunde 
beschränken.  Ob  die  Vortheile,  die  die  hohe  Tracheotomie  bietet, 
gegenüber  der  tiefen  nicht  zu  sehr  überwiegen,  um  sie  eines  immer- 
hin seltenen  Vorkommens  wegen,  dessen  Abhängigkeit  noch  nicht 
einmal  sichergestellt  ist,  aufzugeben,  ist  mindestens  noch  zu  erwägen, 
besonders  da,  wie  der  Fall  von  Parise  (siehe  oben),  in  dem  unter- 
halb des  3.  Knorpels  operirt  ist,  lehrt,  die  tiefe  Methode  keinen 
sicheren  Schutz  bietet. 

Die  symptomatische  Diagnose  ist  natürlich  sehr  leicht  zu  stellen. 
Sobald  nach  der  Entfernung  der  Ganüle  Erstickungsanfälle  auftreten, 
ist  die  nimpossibüüi  eTenlever  la  canule^  vorhanden.  Da  aber  ge- 
zeigt ist,  dass  die  Ursachen  dieses  Zustandes  sehr  mannigfache  sein 
können,  so  hat  diese  Diagnose  für  die  Instituirung  einer  rationellen 
Beurtheilung  und  Behandlung  des  Falles  keinen  grossen  Werth.  Viel- 
mehr ist  es  unsere  Aufgabe,  jene  Ursache  aufzufinden,  die  im  con- 
creten  Falle  vorhanden  ist.  Zu  diesem  Zwecke  ist  die  laryngosko- 
pische Untersuchung  und  ebenso  die  Besichtigung  von  der  Tracheal- 
wunde aus  absolut  erforderlich.  Die  laryngoskopische  Untersuchung 
ist  mit  vielleicht  wenigen  Ausnahmen,  wo  sie  an  einer  unbezwing- 
baren Ungeberdigkeit  der  kleinen  Patienten  scheitert  —  Ausnahmen, 
welche  nur  die  Regel  bestätigen  —  in  jedem  Lebensalter  ausführbar; 
freilich  gelingt  es  nicht  immer  in  der  ersten  Sitzung  und  ist  zuweilen 
recht  viel  Geduld  und  Ausdauer  von  Seiten  des  Arztes  erforderlich, 
um  das  Misstrauen  der  kleinen  Patienten  zu  überwinden.  Hat  man 
das  erreicht,  oder  hat  man  überhaupt  wohlerzogene  geduldige  Kinder 
vor  sich,  so  ist  nach  dem  vierten  Lebensjahre  die  Untersuchung  ent- 
schieden leichter  und  wird  besser  und  länger  ertragen,  als  bei  Er- 


640  XXXm.  Michael 

wachsenen,  deren  Pharynx  durch  chronischen  Tabaks-  und  Alkohol- 
genuss  gegen  die  Berührung  des  Spiegels  empfindlich  geworden  ist  ^) 

Die  Prognose  dieser  Fälle,  möge  die  Ursache  sein,  welche  sie 
wolle,  scheint  in  Bezug  auf  die  Entfernbarkeit  der  CanQle  eine  relativ 
günstige  zu  sein;  nur  lässt  sich  bei  exspectativer  Behandlung  die 
Zeit,  in  der  sie  getragen  werden  muss,  daraus  nicht  bestimmen. 
Trousseau  hat  diese  günstige  Prognose  gelegentlich  von  Consul- 
tationen  (Steiner  1.  c,  Parisei.  c.)  ausgesprochen,  allerdings  auch 
bei  dieser  Gelegenheit  mitgetheilt,  dass  das  Kind  eines  französiseben 
Generals  seine  Ganüle  erst  nach  5  Jahren  entbehren  konnte,  aber 
auch  dieser  Fall  war  dann  vollständig  geheilt.  Die  A£fection  an  sich 
scheint  für  das  Leben  durchaus  gefahrlos  zu  sein,  wenn  nur  die  Ver- 
suche, die  Ganüle  zu  entfernen,  mit  grosser  Vorsicht  vorgenommen 
werden.  Unter  den  mitgetheilten  Fällen  befinden  sich  fünf  Todes- 
fälle, davon  kommen  zwei  auf  intercurrente  Krankheiten  (Sann 6), 
zwei  auf  zu  frühzeitige  Entfernung  der  Ganüle  (Blanchez,  Pauli). 
In  dem  Fall  von  Völker  ist  keine  Todesursache  angegeben,  doch 
findet  sich  in  dem  Befunde  am  Larynx  nichts,  was  denselben  direct 
verursachen  konnte.  Der  Fall  von  Galvet  gehört,  wie  oben  ange- 
geben, nicht  hierher.  Ungeheilt  blieb  ein  Fall  von  Narbenstenose 
(Simon)  und  eine  Ghorditis  hypertrophica  nach  Diphtheritis  bei 
einem  Erwachsenen  (Malmowski). 

Beziehentlich  der  Behandlung  dieser  Fälle  kommt  natürlich 
die  Entfernung  der  Ganüle  in  erster  Linie  in  Frage.  Dass  dieselbe, 
wenn  auch  nicht  als  Ursache  dieser  Klasse  von  Affectionen  zu  be- 
trachten, jedenfalls  geeignet  ist,  einen  Reiz  auszuüben,  dadurch  chro- 
nisch entzündliche  Zustände  der  Luftröhre  zu  unterhalten,  Decubital- 
geschwüre  an  der  hinteren  Wand  und  Granulationen  um  die  Fistel 
zu  begünstigen,  ist  sicher.  Dass  nach  forcirter  Entfernung  eventuell 
schnelle  Heilung  eintreten  kann,  ist  durch  einzelne  Fälle  bewiesen. 
Der  Bath  Trousseau's  und  Rilliet  und  Barthez',  sie  sobald 


1)  Ich  glaube  auch  nicht,  dass  das  Alter  unter  2.  Jahren  die  Laryngoskopie 
absolut  unmöglich  macht.  In  einem  Falle  habe  ich  versucht,  em  mit  angeborenem 
Stridor  und  Dyspnoe  behaftetes  Kind  am  achten  Tage  nach  der  Gebort  zu  laryngo- 
skopiren.  Nach  mehrtägigen  Versuchen,  die  hauptsächlich  durch  eine  sehr  reich- 
liche Schleimansammlung  im  Pharynx  erschwert  waren,  war  es  mir  gelungen,  die 
Mundseite  der  Epiglottis  und  einen  Theil  der  Aryknorpel  zu  sehen  und  hier  die 
Abwesenheit  pathologischer  Veränderungen  zu  constatiren.  Ich  würde  gewiss 
ganz  zum  Ziele  gekommen  sein,  wenn  nicht  höchst  bedrohliche  Suffocationsanfäile, 
die  fast  stündlich  eintraten,  mehrere  Male  gerade  bei  der  Untersuchung  aufge- 
treten wären  und  mich  veranlasst  hätten,  von  weiteren  Versuchen  abzustehen. 


Chronische  Eehlkopfaffectionen  der  Kinder.  641 

als  möglich  fortzulassen,  verdient  daher  alle  Berflcksichtigung,  sobald 
dies  ohne  Gefahr  geschehen  kann  und  wenn  eine  ergiebige  Laryn- 
goskopie und  Tracheoskopie  die  Abwesenheit  jedes  mechanischen 
Hindernisses  constatirt  hat  Andererseits  aber  lehren  uns  die  mit- 
getheilten  Unglücksfälle,  welche  furchtbare  Gefahr  in  der  vorzeitigen 
Entfernung  liegt.  Sie  zeigen,  dass  auch  noch  nach  Stunden  plötz- 
liche SuffocationsanfftUe  das  Leben  beenden  können.  Es  wird  sich 
daher  in  solchen  Fällen,  in  denen  die  Herausnahme  zur  gewöhnlichen 
Zeit  nicht  ausführbar  war,  empfehlen,  die  Kinder  erst  mehrere  Tage 
mit  verschlossener  Ganüle  zu  lassen  und  erst  wenn  während  dieser 
Zeit  keinerlei  Beschwerden  aufgetreten  sind,  sie  definitiv  zu  ent- 
fernen. In  den  nächsten  Tagen  nach  der  Entfernung  ist  es  absolut 
nothwendig,  die  Kinder  keinen  Augenblick  unbeaufsichtigt  zu  lassen 
und  zwar  von  Personen,  die  eventuell  die  Wiedereinführung  über- 
nehmen können.  Das  Tragen  der  verschlossenen  Canüle  ist  auch 
schon  deswegen  zweckmässig,  weil  die  Kinder  zuweilen  den  normalen 
Athemmechanismus  verlernt  haben,  so  dass  selbst  in  Fällen  vollstän- 
diger Heilung  noch  stundenlang  nach  der  Herausnahme  Dyspnoe  be- 
stehen kann. 

Hat  sich  die  Entfernung  der  Canüle  als  unthunlich  erwiesen  und 
müssen  wir  uns  mit  dem  Gedanken  vertraut  machen,  dass  noch  lange 
Zeit  vergehen  wird,  bevor  sie  entbehrt  werden  kann,  so  müssen  wir 
derselben,  die  ja  nun  die  stete  treue  Begleiterin  unseres  Patienten 
sein  soll,  unsere  volle  Aufmerksamkeit  widmen.  Modificationen  des 
Materials  und  der  Form,  die  bei  kürzerem  Gebrauch  gegenstandslos 
sind,  gewinnen  durch  die  längere  Dauer  ihrer  Einwirkung  an  Be- 
deutung, entweder  dadurch  ungünstig,  dass  sie  der  Bildung  krank- 
hafter Schleimhautwucherungen  Vorschub  leisten,  oder  vortheilhaft, 
indem  sie  dieselben  durch  Baumbeschränkung  unterdrücken  und  in 
diesem  Sinne  selbst  therapeutisch  werthvoU  sein  können.  Die  ge- 
bräuchlichste und  auch  für  die  meisten  Fälle  geeignetste  Form  ist 
die  gewöhnliche  Trousseau'sche  Canüle.  Zweckmässig  wird  es 
sein,  kürzere  und  längere  mit  einander  abwechselnd  tragen  zu  lassen, 
damit  das  Canülenende  nicht  stets  dieselbe  Stelle  der  hinteren  Wand 
berührt.  Die  Canüle  soll  oben  geschlossen  sein.  Die  mit  dorsaler 
Oeffnung  bezeichnet  Trousse au  in  einem  Briefe  an  Steiner  (1*  c.) 
als  instrument  mutile  et  souvent  dangeretuc.  In  unserem  Fall  konnten 
wir  die  Richtigkeit  dieses  Ausspruchs  bestätigen.  Bei^  verschlossener 
Ganüle  ging  auch  neben  derselben  genug  Luft  für  die  Sprache  vorbei. 
Dagegen  drängte  sich  in  die  versuchsweise  angelegte  offene  die  hyper- 
trophische Schleimhaut  hinein,  erschwerte  die  Respiration  und  machte 

DaaUcbta  ArchiT  f.  klin.  MedUin«   ZXIV.  Bd.  41 


642  XXXin.  Michael 

die  Entfernang  schmerzhaft.  Sehr  wohl  könnte  auch  ein  hineinge- 
drängter grösserer  Wulst  Erstickung  herbeifdhren.  Bei  der  opera* 
tiven  Behandlung  findet  die  dorsale  Oeffnung  ihre  Verwendung.  Bei 
ausschliesslich  inspiratorischer  Dyspnoe  kann  man  auch  an  der  vor^ 
deren  Oeffnung  Kugel-  oder  Elappenventile  anbringen,  um  den  Pa- 
tienten das  Verschliessen  mit  dem  Finger  beim  Sprechen,  das  sie 
übrigens  schnell  genug  lernen,  zu  ersparen.  Von  Pauli  wurde  eine 
Ganttle  mit  beweglichem  Schilde  und  Lissard'schem  Korbansatz, 
wie  sie  auch  von  Böser  zur  Nachbehandlung  empfohlen  werden, 
in  seinem  Falle  für  zweckmässig  befunden.  Hartgummicanfilen  haben 
vor  den  metallenen  den  Vorzug  der  Leichtigkeit,  aber  den  nicht  zu 
unterschätzenden  Nachtheil  der  Zerbrechlichkeit  und  grösseren  Volu- 
mens. Die  in  jüngster  Zeit  zuweilen  verordneten  Kautschukoanttlen 
können  durch  ihre  Compressibilität  gefährlich  werden.  Die  innere 
Canüle  wird  entfernt  und  gereinigt,  so  oft  sie  durch  Schleim  verstopft 
ist,  die  äussere  mindestens  alle  24  Stunden.  Bei  längerem  Liegen 
wird  die  Wunde  Übelriechend.  Die  Einführung  derselben  wird  durch 
Einölen  ganz  wesentlich  erleichtert.  Wenn,  wie  auch  in  unserem 
Falle,  eine  Zeit  lang  auch  in  der  kurzen  Zeit  der  Bdnigung  der- 
selben nicht  ohne  sie  geathmet  werden  kann,  oder  wenn  sich  die 
Trachealwunde  so  schnell  verkleinert,  dass  sehr  bald  die  Einführung 
erschwert  ist,  so  muss  eine  zweite  Canüle  bereit  gehalten  werden, 
um  sie  zu  ersetzen.  Auch  ist  es  wünschenswerth ,  für  den  Nothfall 
stets  einen  Trousseau' sehen  Dilatator  bei  der  Hand  zu  haben.  Die 
Einführung  selbst  kann  sehr  bald  einer  intelligenten  Umgebung  des 
Patienten  überlassen  werden.  Nach  längerem  Gebrauch  nutzt  sich 
die  Canüle  ab.  Sie  wird  an  den  Rändern  scharf  und  rauh  und  gibt 
dann, zu  Schleimhautblutungen  Veranlassung.  Sie  muss  dann  unten 
abgeschnitten  oder  durch  eine  neue  ersetzt  werden.  Man  beachte 
auch  stets,  ob  sie  nicht  durch  Oxydation  brüchig  geworden  oder  an 
den  Verbindungen  gelockert  ist.  Das  Herabfallen  einzelner  Stücke 
derselben  in  die  Bronchien  ist  kein  so  seltenes  Ereigniss.  Vier  glück- 
liche Extractionen  solcher  Fragmente  sind  allein  im  letzten  Jahre 
mitgetheilt  worden.  Im  Winter  empfiehlt  es  sich,  im  Freien  die  Ca- 
nüle mit  Gaze  oder  mit  einem  Respirator  zu  bedecken,  weil  die  un- 
erwärmte  und  ungereinigte  Luft  leicht  Bronchitiden  veranlasst.  Wenn 
diese  trotzdem  zu  häufig  kommen  oder  zu  hartnäckig  sind,  bleibt 
nichts  übrig  als  die  Uebersiedelung  in  ein  warmes  Klima. 

Um  die  Trachealschleimhaut  vor  dem  durch  die  Canüle  gesetzten 
Reiz  möglichst  zu  bewahren,  hat  Labor  de  vorgeschlagen,  statt  ihrer 
einen  nur  wenige  Millimeter  langen  Tubus  in  die  Trachea  zu  scbie- 


Chronische  Eehlkopfaffectionen  der  Kinder.  643 

ben,  der  die  Wunde  nach  Innen  nur  wenig  fibeiTagt  Angewendet 
wurde  dies  Instrument  bisher  nur  in  dem  von  Rouzier-Joly  (1.  c.) 
beobachteten  Fall,  welcher  demselben  die  Heilung  zu  verdanken 
glaubt. 

Durch  die  Form  der  Trousseau' sehen  Canttle  kann  in  FftUen 
von  Granulationen  die  Entwicklung  derselben  an  bestimmten  Stel- 
len, besonders  die  Bildung  eines  lappenartigen  Wulstes  im  oberen 
Wund  Winkel  begOnstigt  werden,  und  zwar  in  der  von  Völker 
fl.  c.)  nachgewiesenen  Weise.  Für  einen  derartigen  Fall  ist  von 
Dupnis^)  eine  CanQle  construirt  worden,  welche  ein  T-Rohr  dar- 
stellt, dessen  beide  Schenkel  je  nach  oben  und  unten  geben  und 
dessen  Stiel  nach  aussen  liegt.  Die  Einführung  des  ans  Hörn  gefer- 
tigten Instruments  geschieht  in  zwei  H&lften.  Es  genttgt  seinen  Indica* 
tionen  vollkommen  und  muss  als  sehr  sinnreich  und  zweckmässig 
erkl&rt  werden.  Dies  Instrument  vereinigt  die  symptomatische  mit 
der  causalen  Behandlung  und  mag  auch  jetzt  den  Uebergang  zur 
letztern  ftlr  uns  bilden.  Ein  abgeschlossenes  Urtheil  Aber  den  Werth 
einer  localen  Behandlung  und  über  die  Wirksamkeit  einzelner  Me- 
thoden derselben  lässt  sich  zur  Zeit  noch  nicht  abgeben,  weil  erstens 
die  Zahl  der  local  behandelten  Fälle  noch  eine  sehr  geringe  ist, 
weil  zweitens  die  Zahl  derjenigen  Fälle,  in  denen  eine  präcise  Dia- 
gnose gestellt  und  die  Richtigkeit  derselben  objectiv  bewiesen  wurde, 
eine  noch  kleinere  ist  und  weil  drittens  die  Erfahrung  gelehrt  hat, 
dass  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  wenigstens  in  der  bei  weitem 
grössten  Anzahl  der  Fälle  eine  Spontanheilung  eintritt,  so  dass  bei 
einer  längw  dauernden  Behandlung  oft  die  Frage  offen  bleibt,  ob 
der  schliessliche  Erfolg  der  Therapie  in  Rechnung  zu  setzen  ist. 
Diese  Erwägung  soll  uns  natürlich  durchaus  von  therapeutischen  Ein- 
griffen nicht  abhalten,  denn  die  Zeit,  die  bis  zur  Naturheilung  ver- 
geht, kann  eine  unendlich  lange  sein  und  es  darf  keine  Mühe  ge- 
scheut werden,  um  den  traurigen  Zustand  der  permanenten  Canfile 
mit  all  seinen  Unzuträglichkeiten  möglichst  abzukürzen.  Die  be- 
treffenden Maassregeln  sind  natürlich  je  nach  der  spedellen  Diagnose 
einzurichten.  Um  aber  Wiederholungen  möglichst  zu  vermeiden,  soll 
hier  nicht  die  Behandlung  der  einzelnen  Formen  gesondert,  sondern 
nach  der  Reihe  all  jene  localtherapeutischen  Eingriffe  besprochen 
werden,  die  bei  dem  Symptomencomplex  der  „  Impossibüüi  denlever 
la  canule**  bisher  angewendet  worden  sind: 


t)  Zeüschrift  fl^  Chirurgie.  t875.  8. 30d.  Eehlkopfstenose  etc.  Daselbst  auch 
eine  Abbildung. 

4^* 


644  XXXm.  Michael 

Die  Behandlung  mit  Adstringentien  vom  Hunde  aus  ist  meines 
Wissenfl  bisher  nur  in  unserem  Falle  ausgeführt  worden.  Sie  bestand 
in  Pinselungen  mit  Argentum  nitricum,  Tannin  und  Jodglyeerin  und 
Einblasungen  von  Tannin  in  Pulyerform.  Wie  oben  mitgetheilt,  be- 
schränkte sich  der  Erfolg  auf  die  schnelle  Beseitigung  der  acuten 
Exacerbationen  und  auf  die  Herabsetzung  der  Schwellung.  Ich  wOrde 
diese  Methode  überall  da,  wo  es  sich  um  chronische  Schleimhaut- 
erkrankungen, nicht  um  leicht  entfernbare  Neubildungen  handelt, 
stets  zuerst  versuchen,  weil  sie  jedenfalls  die  schmerzloseste,  gefahr- 
loseste und  wenigst  angreifende  ist  Dasselbe  Iflsst  sich  von  der  mit 
Höllenstein  in  Substanz  armirten  Sonde  behaupten.  Auch  können 
schon  deswegen  stärkere  Aetzungen  hier  anstandslos  angewendet 
werden,  weil  wir  gegen  etwaige  Laryngospasmen  in  der  Canüle  ein 
Sicherheitsventil  besitzen.  Für  minder  zweckmässig  erachte  ich  hier 
die  sonst  so  vortrefflichen  Instillationen.  Um  wenige  Tropfen  einzu- 
führen genügt  der  Pinsel,  grössere  Mengen  könnten  in  die  Bronchien 
laufen  und,  da  durch  die  doppelte  Oeffnung  des  Athemrohrs  die  Kraft 
des  Hustenstosses  bedeutend  abgeschwächt  sein  muss,  Dyspnoe  ver- 
ursachen. In  der  Absicht,  die  retrahirten  Oewebe  auseinanderzu- 
drängen  oder  durch  Druck  Atrophie  von  Neubildungen  herbeizuführen, 
endlich  um  immobil  gewordene  Arytaenoidgelenke  wieder  beweglieh 
zu  machen,  ist  von  Schrötterbei  Stenosen  die  Bougirung  des  Larynx 
empfohlen  und  mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  theils  mit  vom  Munde 
aus  eingeführtem  Metall  in  Hartgummiröhren,  theils  mit  den  von  ihm 
construirten  Zinnbolzen  ausgeführt  worden.  ^)  Zu  Versuchen  mit  dieser 
Methode  eignen  sich  von  den  uns  interessirenden  Fällen  diejenigen 
mit  Chorditis  inferior  hypertrophica  und  die  mit  Granulationen.  In 
unserem  Falle  sind  monatelang  Bougies  von  dem  Caliber  dicker 
Metallkatheter  eingeführt  worden.  Die  Stenose  war  für  dieselben 
gut  passirbar,  so  dass  das  Aufschlagen  der  Bougie  auf  die  Canüle 
oft  gefühlt  und  gehört  werden  konnte.  Ein  wesentlicher  Erfolg  ist 
in  dem  allerdings  besonders  hartnäckigen  Fall  nicht  erreicht  worden. 
Glücklichere  Resultate  mit  der  Sondenbehandlung  hat  Catti')  in 
Wien  bei  der  Chorditis  inferior  hypertrophica  der  Erwachsenen,  deren 
Prognose  ja  sonst  recht  übel  lautete,  erreicht.  Zwei  seiner  Fälle 
gelangten  zur  Heilung  und  rechtfertigen  weitere  Versuche.  Hierher 
gehört  auch  die  Canüle  von  Dupuis  (siehe  oben).   Von  Pauli  wurde 


1)  Beitrag  zur  Behandlung  der  Laryngostenosen.    -Wien  1876. 

2)  Zur  Casuistik  und  Therapie  der  Chorditis  inferior  hypertrophica.   AUgem. 
Wiener  med.  Zeitung.  1878. 


Chronische  Kehlkopfaffectioneii  der  Kinder.  645 

auch  (!•  c.)  Stearns'  Urethraldilatator  brauchbar  befanden.  Die  ope- 
rative endolaryngeale  Entfernung  subchordaler  Neabildungeui  die  ja 
bei  Erwachsenen  recht  schwierig  sein  kann,  wird  bei  Kindern  wohl 
nur  ausnahmsweise  technisch  möglich  sein. 

Mehr  zugänglich  fflr  operative  Eingriffe  sind  die  Neubildungen 
von  der  Trachealöffnung  aus,  entweder  mit  oder  ohne  blutige  Er- 
weiterung derselben.  Aetzungen  von  hier  ans  mit  der  mit  Höllen- 
stein armirten  Sonde  sind  von  Dolore  empfohlen  worden.  Die  Be- 
richte darüber  lauten  verschieden.  Während  zuweilen  rasche  Ver- 
kleinerungen beobachtet  sind,  hatten  die  Aetzungen  in  anderen  Fällen 
jedesmal  Bronchitiden  im  Gefolge,  so  dass^  davon  Abstand  genommen 
werden  musste.  Man  kann  diese  Aetzungen  auch  von  der  dorsalen 
Oeffnung  einer  Canttle  aus  vornehmen.  Unter  günstigen  Umständen 
gelingt  es  auch,  von  der  Trachealöffnung  aus  gestielte  Neubildungen 
zu  entfernen.  So  hat  Koch  mit  dem  Davierschen  Löffel,  Pauli 
und  in  jüngster  Zeit  B.  Fränkel  mit  der  Wilde'schen  Schlinge 
operirt  Welches  Instrument  hier  das  passendste  ist,  hängt  natürlich 
ganz  vom  speciellen  Fall  ab.  Auch  die  galvanocaustische  Entfernung 
könnte  bei  breiter  Basis  der  Neubildung  verwendbar  sein. 

Ist  das  Vorhandensein  von  Neubildungen  constatirt  und  ist  diesen 
weder  von  oben,  noch  von  der  Canülenöffnung  beizukommen,  so  tritt 
die  Erweiterung  der  Wunde  nach  oben  oder  unten  behufs  leichterer 
Zugänglichkeit  in  Frage.  Die  Erweiterung  nach  unten  ist  nach 
Pauli  (1.  c.)  wegen  der  Gefahr  starker  Blutungen,  und  wohl  mit 
Recht,  zu  verwerfen.  Aber  ich  glaube,  dass  auch  die  Spaltung  des 
Kehlkopfes  immerhin  keine  ganz  gleichgültige  Operation  ist  und  dass 
die  Indicationen  für  dieselbe  sehr  bestimmte  sein  müssen.  Wie  wir 
gesehen,  sind  die  Chancen  der  exspectativen  Behandlung  durchaus 
nicht  schlecht  und  rechtfertigt  sich  eine  eingreifende  blutige  Operation 
nur  dann,  wenn  selbst  momentane  Entfernung  der  Canüle  gefährliche 
Zufälle  macht,  oder  wenn  man  wegen  zu  häufiger  Bronchitiden  für 
die  Lungen  fürchtet  Auch  äussere  Umstände,  wie  eine  unzuver- 
lässige indolente  Umgebung  des  Patienten,  dürften  den  Eingriff  recht- 
fertigen. Bei  Reinlichkeit  und  guter  Pflege  fühlen  sich  die  kleinen 
Patienten,  so  lange  sie  von  ihrer  exceptionellen  Stellung  noch  kein 
Bevnisstsein  haben,  mit  ihrer  Canüle  sehr  behaglich;  unsere  Kleine 
fürchtete  stets,  dass  man  sie  ihr  fortnehmen  würde  und  verfolgte 
beim  Reinigen  jede  Bewegung  der  Wärterin  ängstlich  mit  den  Augen. 
Man  kann  sich  diese  Operation  als  Ultimum  refugium  reserviren, 
wenn  auch  nach  Jahren  der  Zustand  sich  nicht  bessert.  Um  sich 
vor  den  Gefahren  der  Blutungen  bei  dieser  Operation  zu  schützen, 


646  XXXin.  Michael 

kann  man  sie  in  der  Rose' sehen  Lage  mit  herabhängendem  Kopfe 
machen  oder  die  Trachea  tamponiren  (Pauli).  Die  Trendelen- 
burg'sche  Ganttle  ist  für  diesen  Zweck  von  Besehorner  modificirt 
worden.  Wenn  irgend  möglich,  ist  die  partielle  Laryngotomie  der 
Thyreotomie  vorzuziehen.  Die  Vortheile  der  ersteren  yor  der  letz- 
teren sind  Ton  Paul  Br uns  ^  ausführlich  erörtert.  Ich  glaube  durch- 
aus nicht,  dass,  wie  es  in  einer  Besprechung  des  erwähnten  Buches 
heissty  die  Befflrchtungen  des  Verfassers  für  die  Stimmfunction  bei 
der  Thyreotomie  übertriebene  seien,  oder  dass  sich  durch  eine  exacte 
Nath  dieselben  vermeiden  lassen  werden.  Die  Beeinträchtigung  der 
Stimme  wird  nach  dieser  Operation  auch  dann  eintreten,  wenn  die 
Insertionen  der  Stimmbänder  nicht  verletzt  sind  und  zwar  deswegen, 
weil  nothwendig  durch  den  Druck  der  seitlichen  Halsmusculatur  die 
beiden  Schildknorpelhälften  in  einem  spitzeren  Winkel  zusammen- 
heilen werden,  als  der  war,  in  dem  sie  vorher  zu  einander  gestan- 
den und  weil  durch  die  Narbe  das  Halbertsma'sche  Zwischen- 
stück seine  Elasticität  verlieren  muss.  Es  müssen  durch  diese  beiden 
Ursachen  die  Stimmbänder  in  dem  Sinne  llberzerrt  sein,  dass  die 
Partie  des  M.  cricothyreoideus,  welche  die  Spannung  der  Stimm- 
bänder durch  seitliche  Compression  des  Schildknorpels  vermittelt, 
ausser  Function  gesetzt  ist.  Die  Stimme  muss  also  nach  der  best- 
ausgeführten  Thyreotomie  an  Umfang  nach  der  Höhe  und  an  Modu- 
lation, wie  dies  auch  Jelenffy  in  einem  von  Erish aber  Operirten 
bei  im  Uebrigen  besten  Resultat  beobachtet  hat  2),  verlieren.  Schon 
aus  diesem  Grunde  ist  es  wichtig,  wenigstens  einen  Theil  des  Schild- 
knorpels undurchschnitten  zu  lassen,  damit  dieser  dem  durchschnitte- 
nen Theil  beim  Heilen  als  Schieue  dienen  kann. 

Kürzer  als  bei  der  Behandlung  der  Neubildungen  und  chroni- 
schen Entzündungen  können  wir  uns  in  Bezug  auf  die  Fälle  fassen, 
deren  Ursache  Neurosen  sind.  Bei  der  Posticuslähmung  lieschränkt 
sich  unsere  Therapie  auf  percutane  und  intralaryngeale  Anwendung 
des  galvanischen  oder  faradischen  Stroms,  dessen  Wirkung  allenfalls 
noch  durch  Strychnininjectionen  unterstützt  werden  kann.  Nach  der 
im  letzten  Jahre  mitgetheilten  Anzahl  von  geheilten  Fällen  sind  auch 
hier  die  Aussichten  keine  besonders  ungünstigen.  In  den  Fällen  von 
Glottiskrämpfen  hätte  man  wohl  von  Bromkali  und  Valeriana  noch 
am  meisten  zu  erwarten. 

Dass  in  allen  Fällen  auch  das  Allgemeinbefinden  der  Patienten 


1)  Laryngotomie.    Berlin  187S. 

2}  M.  cricothyreoideus.    FflOger's  Archiv.  Bd.  VII.  S.  77—90. 


XXXIY.  Besprecbongen.  647 

aufmerksam  beobachtet  and  etwa  concmrirende  Anftmie,  Scröphalose, 
besonders  aber  Bronchitiden  sorgfältig  zu  behandeln  sind,  braucht  als 
selbstverständlich  kaum  hervorgehoben  zu  werden. 

Der  Zweck  dieser  Mittheilungen  wäre  erreicht,  wenn  es  mir  ge- 
lungen sein  sollte,  auch  in  weiteren  ärztlichen  Kreisen  die  Aufmerk- 
samkeit auf  diese  wichtigen  und  gewiss  nicht  so  seltenen  Affectionen 
gelenkt  zu  haben  und  wenn  das,  was  ich  besonders  in  Bezug  auf 
die  Therapie  vorbringen  konnte,  noch  llickenhaft  und  zum  Theil  nur 
theoretisch  begrQndet  sein  konnte ,  so  hoffe  ich  gerade  dadurch  be- 
wiesen zu  haben,  dass  die  Veröffentlichung  weiterer  Erfahrungen  Aber 
diesen  Gegenstand  dringend  wünschenswerth  ist,  um  ttber  den  Wertb 
der  einzelnen  therapeutischen  Maassnahmen  ein  sichereres  Urtheil 
zu  gewinnen. 

Nachtrag:  Die  ioteressaote  und  wichtige  Arbeit  von  Körte:  Ueber 
einige  seltenere  Nachkrankheiteo  nach  der  Tracbeotomie  wegen  Diphtheritis 
(Langenbeck's  Archiv.  XXIV.  S.  238  ff.)  ist  erst  während  des  Druckes 
dieses  Aufsatzes  erschienen  und  konnte  daher  nicht  mehr  berOcksichtigt 
werden. 


XXXIV. 

Besprecliangen. 
1. 

Die  Hautkrankheiten  fflr  Aerzte  und  Studirende  dargestellt  von  Dr. 
Gustav  Behrend,  prakt.  Arzt  in  Berlin.  Mit  28  Holzschn. 
Braunachweig.    Wreden.    1879.    Kl.  8<>.    569  Stn. 

Sehen  lernen  und  durch  das  Sehen  lernen,  das  ist  bekanntlich  die 
Methode,  welche  wie  bei  den  klinischen  Disciplinen  überhaupt,  so  ganz  be- 
sonders in  dem  Specialfach  der  Dermatopathologie  fOr  den  Lernenden  die 
hauptsachlich  maassgebende  sein  muss.  Dies  schliesst  natürlich  nicht  aus, 
dass  sowohl  dem  angehenden,  als  anch  dem  ausübenden  Arzte  ein  kurz 
und  fasslich  geschriebenes  Lehrbuch  als  Rathgeber  zur  Seite  stehen  darf. 
Vorliegendes  Compendium  —  so  dürfen  wir  es  wohl  bezeichnen  —  wird 
Denjenigen,  für  die  es  bestimmt  ist,  insbesondere  aber  den  Praktikern,  recht 
willkommen  sein.    Es  ist  ein  praktisches  Bach  in  mehr  als  einer  Hinsicht. 


648  XXXiy.  BespiechungeiL 

Bei  übersichtlicher  Anordnung  des  Stoffs  ist  die  Darstellnng  im  Allgemeinen 
fasslich  nnd  hält  jene  richtige  Mitte  zwischen  Kflrse  and  Breite,  fOr  welche 
der  Leser  eines  Gompendinms  meist  dankbarer  ist,  als  für  allznknappen 
Stil;  die  Schildemng  der  klinischen  Bilder  im  Einzelnen  —  bei  den  Haut- 
krankheiten gewiss  keine  leichte  Aufgabe  —  ist  gewöhnlich  recht  anschau- 
lich und  treffend.  Dass  sich  der  Autor  im  Wesentlichen  an  Meister  Bebra 
anlehnt,  gereicht  seinem  Buche  ebensowenig  zum  Nachtheil,  wie  der  Um- 
stand, dass  er  in  einzelnen  Punkten  von  seinem  hohen  Vorbild  abweicht 
Eine  weitere  Abweichung  wäre  übrigens,  wenn  sich  Rec.  zum  Schluss  einen 
Vorschlag  erlauben  darf,  gewiss  durchaus  nicht  unzweckmässig  gewesen. 
In  den  Lehrbüchern  der  Hautkrankheiten,  speciell  in  dem  von  Hebra, 
trifift  man  nämlich  auch  die  Pathologie  der  acuten  Exantheme  abgehandelt. 
Aber  gehört  sie  denn  dahin  ?  Gewiss  ebensowenig,  wie  z.  B.  die  des  ezan- 
thematischen  Typhus.  Jene  Gruppe  der  acuten  Infectionskrankheiten  mit 
einer  Localisation  auf  der  Haut  kann  wohl  kurz  Erwähnung  finden,  sofern 
es  sich  eben  um  die  Haut  Symptome  handelt,  eine  ausführliche  Schilde- 
rung scheint  jedoch  überflüssig.  Und  gerade  ein  handliches  Buch  wie  das 
in  Rede  stehende  würde  durch  Wegfall  dieses  Capitels  (an  dessen  Stelle 
vielleicht  noch  ein  paar  gute  Abbildungen  bei  den  Pilzerkrankungen  ein- 
gefügt werden  könnten)  entschieden  nur  gewinnen.  peuoidt  (ErUuigtD). 


2. 

Beiträgezur  praktischen  Heilkunde.  Mittheilungen  aus  dem  Land- 
krankenhause bei  Cassel  für  praktische  Aerzte  von  Dr.  Hertel, 
L  Assistenzarzt  am  Krankenhause.  Mit  11  Holzschn.  Cassel  1878. 
Kay.    80.    228  Stn. 

Vorliegender  Bericht  aus  dem  Landkrankenhanse  bei  Cassel  bringt 
eine  grössere  Zahl  beachtenswerther  und  für  den  Praktiker  insbesondere 
interessanter  Casuistik.  Man  findet  darin:  Fälle  von  Cysticerken  um  Ge- 
hirn (4),  Milzruptur  (1),  Osteomyelitis  spont.  ac.  (5),  Gastritis  phlegmonosa 
(1)  u.  A.,  sowie  einige  nicht  unwichtige  therapeutische  Notizen.  Indem 
wir  uns  mit  diesen  Andeutungen  begnügen,  müssen  wur  anerkennend  her- 
vorheben, dass  das  Material  der  erwtiinten  Krankenanstalt  in  gewissenhafter 
Weise  beobachtet  und  von  dem  Vf.,  einem  Schüler  Traube 's,  in  guter 
Darstellung  zweckmässig  verwerthet  worden  ist.  Peuoidt  (EriMgea). 


Druck  Ton  J.  B.  Hirichfeld  in  Leipzig. 


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