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DEUTSCHES ARCHIV
FÜR
KLINISCHE MEDICIN
HERAUSGEGEBEN VON
Pbof. ACKERMANN im Hallb, Prof. BÄUMLER in Frbiburo, Prof. BIERMER
IN Breslau. Dr. BIRCH-HIRSCUFELD in Dresden, Prof. v. BÜHL in München,
Prof. DUCHEK in Wien, Prof. EBSTEIN in Göttingen, Prof. ERB in Heidbl-
BERG, Dr. FIEDLER in Drbsdbn, Prof. FRIEDREICH in Heidelberg, Prof.
GERHARDT in Wörzbübo. Prof. HELLER in Kiel, Prof. HERTZ in Amster-
dam, Prof. F. HOFFMANN in Dorfat, Prof. IMMERMANN in Basel, Prof.
JÜRGENSEN in Tübingen, Prof. KUSSMAUL in Strassbürg, Prof. LEUBE in
Erlangen, Prof. LICHTHEIM in Bern, Prof. v. LIEBERMEISTER in Tübingen,
Prof. MANNKOPFF in Marburg, Dr. G.MERKEL in Nürnberg, Prof. MOSLER
IN Grbifswald, Prof. NAUNYN in Königsberg, Prof. NOTHNAGEL in Jena,
Prof. QUINCKE in Kiel, Prof. RIEGEL in Giessen, Prof. ROSENSTEIN in
Lbtdbn, Prof. RÜHLE in Bonn, Prof. v. SCHÜPPEL in Tübingen, Prof. TH.
THIERFELDER in Rostock, Prof. THOMAS in Freibürg, Prof. A. VOGEL
IN Dorpat , Prof. E. WAGNER in Leipzig, Dr. H. WEBER in London, Prof.
TH. WEBER IN Halle, Prof. ZENKER in Erlangen und Prof. v. ZIEMSSEN
IN München.
BEDIGIKT VON
Db. H. V. ZIEMSSEN, und Dr. F. A. ZENKER,
PKOr. out MBOICINISCHBK KlINIK PrOF. DBB PATHOLOOUCBBff AmATOMIB
IN MÜNCHEN. IN ERLANGEN.
VIEBUNDZWANZIOSTEB BAND.
MIT 12S HOLZSCHNITTEN UND 7 TAFELN.
I— I fi
LEIPZIG ,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1879.
i
Inhalt des vierundzwanzigsten Bandes.
Erstes Heft
(ausgegeben am 1. Jali 1S79).
8«lt«
I. Zur Pathologie der Tabes dorsalis. Von Prof. Dr. W. £ r b in Heidelberg 1
n. üeber den Einflnss antipyretischer Mittel auf die Eiweisuersetenng
bei Fiebernden. Aus dem med. - klinischen Institute zu München.
Von Jos. Bauer und Guido Künstle 53
ni. Ulcus oesophagi ex digestione. Von Prof. Dr. H. Quincke in Kiel.
(Tafd I) 72
lY. Materialien zur Pathologie und Therapie des Rückfallstyphus. Yoii
Dr.J.Moczutkowsky, Arzt am Stadthospital zu Odessa (Tafel II) 80
Y. üeber subfebrile Zust&nde von erheblicher Dauer. Von Dr. W. Ker-
nig, Ordinator am Obuchoff-Hospital in St. Petersburg (Tafel III— Y) 98
Zweites Heft
(ausgegeben am 30. Juli 1879).
YI. Zur localen und resorptiven Wirkungsweise einiger Mercurialien bei
Syphilis, insbesondere des subcutan injicirten metallischen Queck-
silbers. Yon Prof. Paul Fürbringer in Jena 129
YII. Drei F&lle von Pneumopericardie. Yon Dr. Hermann Müller, Pri?at-
docent und Secnndararzt der med. Klinik in Zürich 158
YIII . Zur Kenntniss der Sehnenrefieze. Yon Dr. Adolf Strümpell« Privat-
docent und I. Assistent an der medicinischen Klinik in Leipzig . 175
IX. Materialien zur Pathologie und Therapie des Rückfallstyphus. Yon
Dr.J. Moczutkowsky, Arzt am Stadthospital zu Odessa (Schluss)
(Tafel YI) 192
X. üeber subfebrile Zustftnde yon erheblicher Dauer. YonDr.W. Ker-
nig, Ordinator am Obuchoff-Hospital in St. Petersburg (Schluss) 222
lY Inhalt des vierundzwanzigsten Bandes.
Seite
XI. Kleinere Mittheilungen.
1. Ein Fall von Lyssa homana mit ungewöhnlich langer Latenz.
Von Prof. Dr. N. Friedreich • . . 242
2. Bromkalium gegen Hyperemesis gravidarum. Von Demselben 245
3. Zur localen Behandlung der Bimhautaffectionen. Von Professor
Fr. Mosler • . 246
4. Ueber die Entstehung den^buminurie. Von Dr. Moritz Nuss-
baum, Privatdocent und Assistent am anatomischen Institute
zu Bonn 248
5. Ein Fall von luetischer Erkrankung der Lungen. Von Dr. W.
H e n 0 p , Assistenzarzt am städtischen Erankenhause zu Altena 250
XII. Besprechungen.
1. On asthma: its pathology and treatment. By J. B. Berkart,
M. D. (Penzoldt, Erlangen) - . 254
2. Zur Kenntniss- der Gesundheitsverh<nisse des Marschlandes.
I. Wechselfieber. Von Dr. A. P. J. Dose, prakt. Arzte in
Marne (Penzoldt, Erlangen) 255
3. Der Erfolg mit der animalen Vaccine in der Hamburger Impfan-
stalt VonDr.med.Leonhard Voigt, Oberimpfarzt (Stumpf,.
München) . 255
Drittes Heft
(ausgegeben am 23. September 1879).
XIII. Zur PercuBsion des Kehlkopfs und der Trachea. Von Professor Dr.
N. Friedreich in Heidelberg 257
XIV. Die allgemeine Bindegewebshyperplasie (Fibromatosis). Von Prof.
F. W. Beneke in Marburg 271
XV. Ueber postmortale Temperaturen von H. Quincke und L. Brieger 282
XVL Ueber Herzstosscurven und Pulscurven. Von Dr. F. Maurer, Assi-
stent am pathologisch-anatomischen Institut zu Heidelberg ... 291
XVII. Kleinere Mittheilungen.
1. Zur Symptomatologie der medullären Leukämie. Von Professor
Fr. Mosler 342
2. Ein nachsechstägigerKrankheitsdauer tödtlich verlaufender Fall
von Diabetes mellitus. Entstehung durch eine Gallenstein-
kolik. Mitgethdlt von Dr. med. M. Loeb in Worms a. Bh. 343
3. Morphiumvergiftung eines 14 Tage alten Kindes mit günstigem
Ausgange. Von Dr. Adolf Wert heim ber in München . . 350
Inhalt des vierundzwanzigsten Bandes. Y
Viertes und fOnftes (Doppel-) Heft
(ausgegeben am 23. October 1879).
Seit«
XVni. Girrhotische Yerkleinerong des Magens und Schwund der LabdrOsen
unter dem klinischen Bilde der perniciösen Anämie. Von Prof.
H. Nothnagel in Jena 353
XIX. Zur Kenntniss des Malleus acutus beim Menschen. Von Professor
Fr. M Osler 367
XX. Beitrag zur Symptomatologie der Lähmungen der Schultergflrtel-
musculatur. Von Dr. M. Bernhardt, Docent zu Berlin . . 380
XXI. Bemerkungen betreffend den Pulsus bigeminus. Von Professor Dr.
Knoll in Prag 387
XXn. Ueber Icterusepidemien. Von Dr. Carl Fröhlich, Assistenzarzt
des Corpsgeneralarztes 14. Armeecorps in Karlsruhe i. B. . . 394
XXIIL Multiple Herdsklerose des Hirns und Rückenmarks im Säuglings-
alter. Von Dr. Ladislaus P o 1 1 ä k , Honorär-Physicus des Biharer
Comitates in Gross- Wardein (Ungarn) 407
XXIY» Ueber die therapeutische Verwendung der Sclerotinsäure. Aus dem
med.-k]ini8chen Institute zu München. Von Dr. Max Stumpf 416
XXV. Ueber einen Fall von Stenosirung der Pulmonalarterie in Folge von
acuter £ndocarditis der Semilunarklappen. Aus der med. Klinik
zu Freiburg i. B. Von Dr. Moritz Mayer aus Darmstadt . . 435
XXVT. Ein Fall von Paracentesis Pericardii. Aus der med. Klinik zu
Freiburg i. B. Von Dr. C. Hindenlang, I. Assistenzarzt der
Klinik 452
XXVII. Beitrag zur Kenntniss der „psychomotorischen Centren" im Gehirn
des Menschen. Von Dr. F. Ne eisen, Assistent am pathol. In-
stitut der Universität Rostock (Tafel VII) 483
XXVUI. Kleinere Mittheilungen.
1. Dunkler Fall von erworbener Muskelatrophie der rechten Hälfte
des Rumpfes und der rechtsseitigen Extremitäten bei einem
Erwachsenen. Von Dr. £. Hüter, früherem Assistenten
der med. Klinik zu Strassburg 501
2. Zur Pilocarpin- Wirkung bei Bleikoiik. Von Dr. W. Wein-
berg in Berlin 504
3. Zur intrauterinen Vaccination. Von Dr. Albrecht Burck-
hardt, Assistent der med. Klinik zu Basel 506
4. Brand des rechten Beines mit tödtlichem Verlauf innerhalb
23 Stunden bei Morbus Brightii chronicus. Von Dr. £.
Marcus in Frankfurt a. M 509
XXIX. Besprechungen.
Dr. A. Erlenmeyer, Die Schrift. Grundzüge ihrer Physiologie
und Pathologie (P. J. Möbius) 511
yi Inhilt des Tiemndswanogstea Bandet.
Sechstes Heft
(aiugegeben am 20. Korember 1S79).
8«lto
XXX. Untenuchiiogeii fiber mehrere Encheümiigen am Circolatioiu- and
ReBpirationsapparate (Herzbevegung, Blatbewegung in der Aorta
und Radialis, Stimmfrendtos, Yedciüarathmen etc.), angestellt an
einer Fissora stemi congenita. Von Dr. Franz Penzoldt, Ober-
arzte der medidnischen Poliklinik nnd Priratdocenten in Erlangen 513
XXXI. Beiträge zur therapentischen Yenrendung der BanchspeicheldrOse
Ton Schlachtthieren nnd deren Präparate. Ton Dr. H. Engesser,
Pritatdocent an der UniTersit&t Freibarg i. B 539
TXYTT Beiträge zar klinischen BeortheUang von Ezsadatea aad Trans-
sadaten. Von Dr. Adolf R e a s s , Assistenzarzt der medicinischen
Klinik in Tabingen 583
XXXin. Chronische Kehlkopiaffectionen der Kinder im Gefolge acater In-
fectionskrankheiten. Von Dr. J. Michael in Hambniig ... 618
XXXIY. Besprechungen.
1. Die Haatkrankheiten fOr Aerzte and Studirende daigestellt
von Dr. Gostay Bohrend, prakt. Arzte in Berlin (Pen-
zoldt, Erlangen) 647
2. 3eitr&ge zar praktischen HelJkande. Mittheilangen aas dem
Landkrankenhaase bei Cassel für praktische Aerzte von
Dr. Hertel. I. Assistenzarzt am Krankenhause (Penzoldt,
Erlangen) 648
Zur Pathologie der Tabes dorsalis.
Von
Prof. Dt, W. Erb
In Heidelberg.
EKe spinale Erankheitsform, welche man jetzt — in Deutschland
wenigstens wohl unbestritten — als Tabes dorsalis bezeichnet und
mit dem identificirt, was man anatomisch als n Hinterstrangsklerose "
oder „ graue Degeneration der Hinterstränge "^ kennt, {die nAtaane lo-
comotrice progressive^ von DuehennCi „labes dorsal tUaxique'^ ^
von Charcot) gehört wohl zu den am schärfsten charakterisirten
und am leichtesten diagnosticirbaren Rttckenmarkskrankheiten. Das
Krankheitsbild ist ein so scharf präcisirtes, die Uebereinstimmung
der einzelnen Fälle untereinander eine so grosse, die Sicherheit der
differential - diagnostischen Merkmale eine so erhebliche, dass man
nicht wohl denken sollte, es könne noch viel zur genaueren Sympto-
matologie der Tabes beigetragen werden. In der That dürfte auch
dem Symptomenbilde der Tabes, wie ich dasselbe in meinem „ Hand-
buch der Rückenmarkskrankheiten '^ auf 6rund aller neueren Arbei-
ten und zahlreicher eigner Beobachtungen zu zeichnen versucht habe,
kaum etwas Wesentliches hinzuzufügen sein, und Jeder, der sich
dasselbe einprägt und einmal ein paar Fälle von Tabes gesehen hat,
wird die Krankheit in jedem Falle mit Leichtigkeit wieder erkennen.
Wenn ich es dennoch nicht für überflüssig halte, noch einmal
auf die Symptomatologie der Tabes zurückzukommen und eine
grössere Reihe von Erfahrungen, die ich zu sammeln Gelegenheit
hatte, für die weitere Ausbildung derselben zu verwerthen, so be-
stimmen mich dazu verschiedene Gründe.
Zunächst kann ich mir, auf Grund einer nicht geringen Zahl
einschlägiger Erfahrungen, die Thatsache nicht verhehlen, dass trotz
aller Arbeiten der letzten Jahre die Sicherheit in der Diagnose und
DentMhei ArehlT f. klln. Medleln. XXIV. Bd. 1
2 I. Erb
Differentialdiagnose der Tabes noch lange nicht in dem Maasse Ge-
meingut der Aerzte geworden ist, wie das wohl wtlnschenswerth wäre;
es erscheint deshalb geboten , immer und immer wieder auf die be-
treffenden Thatsachen hinzuweisen, die Diagnose der Tabes nach
Möglichkeit zu erleichtem.
Fernerhin erscheint es als ein dringendes Postulat, die aller-
frtlhesten Stadien der Tabes, die allerersten und leichtesten
Initialsymptome derselben rechtzeitig zu erkennen und der Diagnose
zugänglich zu machen, um damit* manchen Kranken vor verkehrten
therapeutischen Maassnahmen zu bewahren oder ihn durch frühzeitiges
therapeutisches Eingreifen vor dem Weiterschreiten der furchtbaren
Krankheit zu behüten und diese in ihrer Entwicklung aufzuhalten.
Und das ist nur möglich durch zahlreiche klinische Beobachtungen
von Seiten solcher Specialisten, welche durch reiche Erfahrung einen
für die Erkennung der Krankheit geschärften Blick haben.
Weiterhinist in den letzten Jahren eine Anzahl neuerSym-
ptome in das Krankheitsbild der Tabes eingeführt worden, welche
zum Theil von der allergrössten diagnostischen Wichtigkeit sind, deren
Bedeutung und Tragweite aber erst durch zahlreiche erneute Unter-
^Buchungen festgestellt werden kann.
So ist das von WestphaP) zuerst angegebene Symptom des
Fehlens der Sehnenreflexe schnell zu einer i^ehr hervorragen-
den Wichtigkeit gelangt und stellt sich immer mehr als eine der
constantesten und frühesten Erscheinungen der Krankheit heraus.
Durch Berg er ^) ist in einer frühzeitig — oft schon lange vor
den Störungen der Tastempfindung — nachweisbaren Analgesie
der Haut ein^ wie es scheint, nicht unwichtiges Symptom der Tabes
nachgewiesen worden, welches allerdings gewiss nicht mit der Con-
stanz, wie das Fehlen der Sehnenreflexe auftritt, auch bei weitem
nicht so leicht und schnell zu constatiren ist, welches aber gleich-
wohl nicht geringe Beachtung, auch für die Theorie der Krankheit,
verdient.
Mit diesem Symptom wohl nahe verwandt, oder selbst identisch
ist die von Drosdoff^) auf meiner Station gefundene Abnahme
der faradocutanen Sensibilität bei Tabischen, aufweiche bis-
1) Archiv f. Psych, u. Nervenkrankh. V. S. 819. 1875. — üeher ein frühes
Symptom der Tahes dorsalis. Berliner klin. Wochenschrift. 1878. Nr. I.
2) Berliner klinische Wochenschrift. 1878. Nr. 4. — Eine ausfOhrlichere Mit-
thdlong des Autors dber die fragliche Analgesie ist mir bisher nicht zu Gesicht
gekommen.
3) Archiv f. Psych, u. Nervenkrankh. IX. S.203. 1879.
Tabes dor8a]i8. 3
her allerdings erst in wenigen Fällen untersucht werden konnte;
doch kann immerhin schon jetzt eine weitergehende Bedeutung des
Symptoms vorausgesagt werden.
Endlich möchte ich auch hierher das Auftreten von spinaler
MyosisO (oder vielleicht richtiger gesagt von spinaler Partial*
unerregbarkeit der Pupillen gegen Licht) rechnen, auf
welche ich in neuerer Zeit mehr geachtet ihabe und welche in der
Abhandlung von Vincent^) eine sehr sorgfältige und dankenswerthe
Bearbeitung gefunden hat. Auch dies Symptom scheint in einem
erheblichen Procentsatz aller TabesfäUe, und zwar nicht selten schon
ziemlieh frtthzeitig vorzukommen. Man versteht darunter jenen Zu-
stand der Pupillen, bei welchem dieselben auf Lichteindrficke gar
nicht oder nur in sehr unvoUkommner Weise, dagegen auf accommo*
dative Impulse noch ganz gut reagiren und welcher in der Regel
mit Myosis verbunden ist.
Alle diese neuen Symptome verlangen eingehende Prflfung an
mchem Material und zwar womöglich nur von typischen, un-
eomplicirten Fällen. Es muss festgestellt werden, wie gross
ihre Gonstanz ist, in welchem Procentsatz aller Fälle sie vorkommen,
mit welchen anderen Symptomen sie etwa regelmässig verbunden
sind und ganz besonders, in welchem Zeitabschnitt der Erkrankung
sie auftreten können oder aufzutreten pflegen, ob man sie also fflr
die Diagnose der frühesten Stadien der Tabes verwerthen kann
oder nicht.
In diesem Sinne stelle ich die folgenden, in den letzten 2 — 3 Jahren
gemachten eigenen Beobachtungen zusammen. Dieselben enthalten
in ganz kurzem Auszug nur die wesentlichsten, auf die uns hier zu-
nächst beschäftigenden — und einige weiter unten noch zu erörternde
~ Fragen bezüglichen Angaben« Der Leser möge die Lückenhaftig-
keit vieler dieser Beobachtungen entschuldigen: nur ein Theil der-
selben ist ein Excerpt aus ausführlichen Krankheitsgeschichten;
andere dagegen stellen nur die kurzen Notizen dar, wie sie nach
einer einmaligen genauen Untersuchung niedergeschrieben würden.
Jeder, der die Schwierigkeit des Fixirens solcher Krankheitsbilder
im Drange einer vielbewegten Praxis kennt, wird Nachsicht mit den
fielen Lücken dieser Notizen haben, die vielfach schon zu einer Zeit
erhoben wurden, wo ein Theil der uns hier beschäftigenden Gesichts-
1) 8. Erb, Handb. der Krankheiten des RückenmarkB. 1. Aufl. 1S76. I. S. 141
und IL S. 179; 2. Aufl. S. 155 u. 585. 1878.
2) Des pb^nomönes ocalo-pupiUaires dans Tataxie locom. progress. et la para-
lys. g^a^. des ali^nös. Th^se. Paris 1877.
1*
4 L Erb
punkte noch nieht in genOgender Weise berfieksichtigt worde. Immer-
hin dfirften diese Fälle, als ein von Einem Beobachter gesammeltes
Material, nicht ohne Werth sein.
Ich lasse zunächst 44 Beobachtungen folgen, in welchen die
Krankheit bereits zu voller und unzweifelhafter Ausbildung gelangt
war, in welchen also Ataxie bestand; lauter Fälle, die ich als typi-
sche Beispiele von Tabes bezeichnen darf. Sie sind nach der
Krankheitsdauer geordnet; und zwar ist die Dauer des Leidens
gerechnet von dem ersten und frühesten Auftreten irgend eines hier-
hergehörigen Symptoms, also meistens der lancinirenden Schmerzen.
— Bei den, meist etwas Iflckenhaften Angaben Aber die Aetiolo-
gie habe ich nur kurz angeführt, was yorausging, ohne natürlich
behaupten zu wollen, dass dies auch immer die ¥rirkliche Ursache
gewesen sei; in der letzten Zeit habe ich dabei besonders auf die
Syphilis geachtet — Unter den Initialerscheinungen habe ich
Alles angeführt, was vor meiner Beobachtung Yorhanden war. —
Bei dem Status wurden besonders die Ataxie, die Haut- und Mns-
kelsensibilität , die Haut- und Sehnenreflexe, die Blasen- und Ge-
schlechtsschwäche und das Verhalten der Augen berücksichtigt
Man wird über die grosse, fast ermüdende Gleichmässigkeit des
Krankheitsbildes in den einzelnen Fällen, bei welchen eigentlich nur
die Zeitpunkte des Auftretens der einzelnen Krankheitssymptome
variiren, erstaunen; ich habe desshalb die Notizen möglichst kurz
gefasst
Beobachtungen.
1. 30. März 1878. ZimmermanD, 35 Jahre alt
Dauer der Krankheit: Vi Jahr.
Aeiiologie: Unbekannt; keine hereditäre Belastung.
InUiaJerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. — Parästhesien und
Geffihlsabnahme in den Fttssen. — Schwäche und Unsicherheit der Beine,
besonders im Donkeln. — Geringe Blasenschwäcbe.
Status: Ausgesprochene Ataxie; grobe Kraft gnt — Hantsensi-
bilität etwas herabgesetzt; deutliche Analgesie der Beine. — Muskel-
Sensibilität etwas unsicher; Schwanken beim Schliessen der Angen. — Plan-
tar- und Cremasterreflex 1) fehlen; Abdominalreflex lebhaft. — Sehnen-
reflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Qnadriceps erhalten. —
Blase ziemlich gnt; verfrühte Ejacnlation. — Angen normal. — Gehirn und
Himnerven, Arme, Wirbelsäule normal.
2. 23. October 1878. Bankier, 34 Jahre alt.
Dauer: Circa 1 Jahr.
Aetiologie: Nervöse Anlage. — Frfiher viel Pollutionen. Aufreibende
Geschäftstfaätigkeit — Nie Syphilis.
1) Vergl. Erb, Handbuch der Rücketimarkskrankheiten. 2. Aufl. S. 583.
Tabes dorealis. 5
Initialerscheintmgen: Oefters leichte lancinireode Scbmerzen in den
Beinen, Schwanken beim Gehen, besonders im Dunkeln. — Schwäche und
Schmen im Rücken. — Hier und da etwas Schwindel. — Keine Blasen-
oder Geschlechtsschwäche.
Status: Leichte Ataxie der Beine; motorische Kraft derselben
sehr gut; keine Muskelspannungen. — Sensibilität ganz normal; keine
deutliche Analgesie. — Mnskelsensibilität etwas unsicher; kein Schwanken
beim Schliessen der Augen. — Plantar-, Gremaster- und Abdominalrefiex
sehr lebhaft; Sehnenreflexe fehlen völlig; mechanische Erregbar-
keit des Quadriceps erhalten. — Keine Blasen- und Geschlechtsschwäche.
>- Augenbewegungen gut, kein Doppelsehen ; ausgesprochene spinale
Myosis. Sehschärfe normal. — Arme, Hirnnerven, Wirbelsäule normal.
Psyche nicht ganz frei.
S. 24. Febr. 1878. Bahnaufseher, 35 Jahre alt.
Dauer: 1 Jahr.
Aetiologie: Viel Strapazen im Freien und Feuchten. Keine hereditäre
Belastung.
Imtialerschemungen: Zuerst Schwäche und Müdigkeit der Beine, dann
erst lancinirende Schmerzen ; Druck im Kücken, Gürtelgefühl, Parästhesien
der Zehen; Blasenschwäche.
Status: Ausgesprochene Ataxie; grobe Kraft sehr gut; keine
Muskelspannungen. — Tastempfindung völlig erhalten; ausgesprochene
Analgesie; geringe Vorlangsamung der Schmerzleitung; Ranm-
und Temperatursinn normal. — MuskelgefOhl in geringem Grade herabge-
setzt ; starkes Schwanken beim Schliessen der Augen. — Plantarreflex
gering; Cremasterreflex deutlich; Abdominalreflex lebhaft. — Sehnen-
reflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. —
Leichte Blasenschwäche ; Obstipation ; Geschlechtsschwäche. Ausgespro-
chene spinale Myosis; Augen sonst normal; hie und da leichte Ptosis.
— Gehirn, Arme, Wirbelsäule ganz normal.
4. 3. Januar 1878. Assessor, 36 Jahre alt.
Dauer: 174 Jahr.
Aetiologie \ Hereditäre Disposition. — Grosse Bergtouren. Nie Sy-
philis.
Initialerscheinungen: Parästhesien, Gürtelgefühl; grosse Schwäche
Blasenschwäche; dann ziemlich plötzlich hochgradige Coordinationsstörung
— Manchmal lancinirende Schmerzen.
Status: Sehr hochgradige Ataxie; grobe Kraft etwas vermindert
keine Muskelspannungen. — Beträchtliche Herabsetzung der Sensi
bilität an den Beinen; Verlangsamung der Schmerzleitung; Anästhesie
des Anus. — Verlust des Muskelgefflhls. — Hautreflexe erhalten
Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps er
halten. Schwäche der Blase. — Augen normal. — Kopf frei; manchmal
Schwindelanfälle. — Arme leicht gestört ; Pelzigsein der Finger.
6 L Erb
6. 10. Novfor. 1875. Glaser; 43 Jahre alt.
Dauer: IV2 Jahre.
Aetioloffie: ÄDstreiigiiDg nnd Erk<img beim Holztrageo Im Winter.
Keine Excesae; keine Syphilis; keine hereditire Bdastnng.
InitiaJerschemungen: Laneinirende Schmersen. — Später Amblyopie
nnd Amaurose. — Schwiehe nnd ünächeriieit der Beine. — Pariatheslen
der Fflsse; GflrtelgefUil; keine Blasensch wiche.
Status: Beginnende Ataxie; grobe Kraft gnt — Hantsensibilitat
in geringem Grade herabgesetzt; leichte Analgesie; Mnskelsensibilität
yermindert. — Haatreflexe erhidten, nicht sehr lebhaft. Sehn €nrefl exe
fehlen; mechanische Erregbarkdt des Qnadriceps erhalten. — Blase nor-
maL — Atrophia nervornm opticornm. — Fast vöDige Amaurose.
Leichte PnpiUendifferenz ; Pupillen eng, ohne Reaction. — Gehirn
und Hinmerven normal.
t. 17. Juli 1875. Buchbinder, 34 Jahre alt
Dauer: 2 Jahre.
Aetiologie: Starke Onanie und geschleditliche Excesse. — Feuchte
Wohnung. — Keine Heredität. Keine Syphilis.
Initialerschemungen: Landnirende Sehmerzen. — Schwäche und Un-
sicherheit der Beine Parästhesie und Anästhesie derselben. — Blasen- und
Geschlechtsschwäche. Abmagerung.
Status: Deutliche Ataxie; grobe Kraft gut — Hautsensibilität
etwas herabgesetzt; leichte Analgesie; keine Verlangsamung der Lei*
tung. — Muskelsensibilität vermindert ; Schwanken bei geschlossenen Augen.
Plantarreflex schwach; Abdominahreflex lebhaft. — Sehnenreflexe feh-
len. — Blasenschwäche. — Abnahme der Libido sexualis. — Gehirn und
Gehimnerven, Arme, Wirbelsäule normal.
7. 14. Decbr. 1877. Kaufmann, 30 Jahre alt
Dauer: 2 Jahre.
Aetiologie: Vor 8 Jahren harter Schanker, ohne secnndäre Sym-
ptome. — Ueberanstrengung im Geschäft.
Initialerscheinungen: Laneinirende Schmerzen. Gärtelgeftthl. Taub-
heit der Hände und Fflsse. Blasenschwäche.
Status: Deutliche Ataxie; grobe Kraft gut; keine Muskelspan-
nungen. — Hautsensibilität ziemlich gut; theilw eise Analgesie, hu
anderen Stellen Hyperästhesie; etwas Verlangsamung der Schmerzleitung.
Mnskelgefflhl etwas unsicher; Schwanken bei geschlossenen Augen. Haut-
reflexe sehr lebhaft Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbar-
keit des Qnadriceps erhalten. Blase nahezu normal; Pollutionen, keine
Impotenz. — Pupillen mittelweit, different, reagiren nicht
auf Licht — Arme, Kopf, Wirbelsäule frei. — Allgemeine Abmagerung.
8. 22. Mai 1877. General, 47 Jahre alt
Dauer: 2—3 Jahre.
Aetiologie: Ueberanstrengung im Beruf. — Keine hereditäre Belastung.
Vor 16 Jahren Syphilis , ohne spätere Recidive; gesunde Kinder.
Tabes donaÜB. 7
Initiaiersclieinungenz Lancinirende Schmerzen; vorübergehendes Dop-
pelsehen; Gflrtelgefflbl; Blasenschwäche; zuletzt grosse Schwäche der Beine,
Unsicherheit im Dunkeln.
Status: M&ssige Ataxie; grobe Kraft sehr beträchtlich. Sensi-
bilität der Fflsse etwas abgestumpft; Schmerzempfindnng verlangsamt (Dop-
pelempfindung). Starkes Schwanken bei geschlossenen Augen. Plantar- und
Oremasterreflex schwach; Abdominalreflez sehr lebhaft. Sehnenreflexe
fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. — Geringe
Blasensch wache; sexuelle Function eher gesteigert; häufig starke Erectionen.
— Augen jetzt normal. — Gehirn, Gehirnnerven, Arme, Wirbelsäule normal.
— Insuffic. valvulär, aortae.
9. 30. April 1878. Major a. D., 57 Jahre alt.
Dauer: 3 Jahre.
Aetiologie: 1866 Syphilis. Von 1870 an Magenkatarrh.
Iniliaierscheinungen: Beginn mit lancinirenden Schmerzen von grosser
Heftigkeit. — Leichte Anästhesie der Beine. 1877: Unsicherheit der Beine.
StcUus: Leichte Ataxie; rasches Ermüden; grobe Kraft gut. Ge-
rioge Anästhesie der Beine; deutliches Schwanken bei geschlossenen Augen.
— Hautreflexe sehr lebhaft. Sehnenreflexe fehlen. — Etwas Blasen-
scfawäche. Hochgradige spinale Myosis. — Himnerven, Arme, Wir-
belsäule normal — Gedächtnissabnahme, Schwäche der Intelligenz, Schlaf-
8Dcht An Haut und Zunge noch Spuren von Syphilis.
10. 3. Juli 1876. Eisenbahnbeamter, 37 Jahre alt.
Dauer: Circa 3 Jahre.
Aetiologie: Unbekannt; keine sexuellen Excesse; war 12 Jahre Soldat
Iniiialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Dann plötzlich aus-
gesprochene Ataxie; Gürtelgefühl; Blasenschwäche. Vertaubung der Fflsse;
Druck im Kreuz.
Status: Leichte Ataxie; grobe Kraft wohlerhalten. Sensibilität an
den Füssen deutlich abgestumpft; ausgesprochene Verlangsamung der
Schmerzleitung. — Muskelsensibilität etwas herabgesetzt; starkes
Schwanken bei geschlossenen Augen. — Hautreflexe ganz normal; Seh-
nenreflexe fehlen. — Mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhal-
ten. — Blasen- und Geschlechtsschwäche. Ausgesprochene spinale
Myosis; Augen im Uebrigen normal; ebenso Kopf und Hirnnerven. In
den Armen etwas Zittern und manchmal lancinirende Schmerzen.
U. 4. Octbr. 1878. Apotheker, 50 Jahre alt.
Dauer: 3 Jahre.
Aetiologie: Keine Excesse; viel Aufenthalt im ungeheizten Raum auf
Steinplatten; viel kalte Füsse; nie Syphilis.
IniticLlerscheinungen: Vor 3 Jahren Doppelsehen, einige Monate lang.
Seit 1 Jahr Ulnarissensation, Parästhesien der Füsse, Kältegefühl, Spannung
ums Kniegelenk. Seit ^Ji Jahr Schwäche und Unsicherheit der Beine. —
Niemals lancinirende Schmerzen.
Status: Deutliche Ataxie der Beine; motorische Kraft gut; keine
Httskelspannungen. Hautsensibilität normal ; keineAnalgesie. Muskel*
8 L Erb
Sensibilität leicht herabgesetzt; deutliches Schwanken bei geschlossenen
Augen. Hautrefiexe sehr schwach. Sehnenreflexe fehlen: mecha-
nische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. — Andeutung von Blasen-
schwäche, deutliche Geschlechtsschwäche. Augen normal; nur ausge-
sprochene spinale Myosis. Himnerven, Arme, Wirbelsäule normal.
12. 21. Mai 1878. Kaufmann, 34 Jahre alt.
Dauer: 3 Jahre.
Aetiologie: Viel in venere excedirt; viel Strapazen und Erkältungen;
nie Syphilis.
Initialerschemungen: Lancinirende Schmerzen; seit IV2 Jahren Di-
plopie, Ptosis. Parästhesien des rechten Fusses, geringe Blasenschwäcbe ;
Abnahme der Potenz.
Status: Spuren von Ataxie; grobe Kraft sehr gut Deutliche
Analgesie. Geringes Schwanken bei geschlossenen Augen. — Hautreflexe
sehr lebhaft, besonders der Plantarreflex. Sehnenreflexe fehlen; me-
chanische Erregbarkeit des Quadriceps gut. — Leichte Blasenschwäcbe.
Rechtsseitige Trochlearislähmung ; Andeutung von Ptosis ; spinale Myosis,
besonders links. Arme und Wirbelsäule normal.
la. 18. Februar 1878. Kaufmann, 42 Jahre alt.
Dauer i 3 Jahre.
Aetiologie i Vor 12 Jahren Syphilis; seitdem gesund, gesunde Kin-
der. Vor 3 Jahren heftige Erkältung.
Initialerscheinungen: Seit der Erkältung lancinirende Schmerzen;
Schwäche und Formication der Beine, besonders des linken. Kreuzschmerz.
Blasen- und Geschlechtsschwäche.
Status: Leichte Ataxie, besonders links. Sehr geringe Sensibili-
tätsstörung ; Hautreflexe erhalten. Sehnenreflexe fehlen; mechanische
Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Blasen- und Geschlechtsschwäche.
Kopfnerven, Arme, Wirbelsäule normal.
14. 19. Juli 187ä. Bäcker, 53 Jahre alt.
Dauer: 3 Jahre.
Aetiologie: Arbeit und Ueberanstrengung.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Schwäche und Un-
sicherheit der Beine; Parästhesien derselben. Blasen- und Geschlechts-
schwäche. Schwindel.
Status: Deutliche Ataxie; grobe Kraft erhalten. Hautsensibilität
leicht abgestumpft. Muskelsensibilität besonders links sehr herabgesetzt.
Hautreflexe nicht nachweisbar , Sehnenreflexe fehlen. Leichte Blasen-
und Geschlechtsschwäche. Augen bis auf leichte Pupillendifferenz normal.
Gehirn, Arme, Wirbelsäule normal.
15. 1. Juni 1876. Rittmeister, 37 Jahre alt.
Dauer: 3 — 4 Jahre.
Aetiologie: Früher Syphilis; feuchte, kalte Wohnung.
Initialerscheinungen : Lancinirende Schmerzen ; Erschwerung des
Gehens; Arthropathie im rechten Fuss.
Tabes donalis. 9
Status: Hochgradige Ataxie; grobe Kraft erhalten. Haut- und
MaskelseDsibilität der Beine hochgradig vermindert; starkes Schwanken bei
geschlossenen Augen. Plantarreflex gering; Cremasterreflex fehlt; Abdo-
mlDslreflex lebhaft. Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit
des Quadriceps erhalten. — Blasen- und Geschlechtsschwäche. — Augen
Dornuü. Arme, Kopf und Wirbelsäule normal. — £inmal vorübergehende
Parese im rechten Peronensgebiet.
1«. 28. Mai 1875. Beamter, 40 Jahre alt
Dauer: 4 Jahre.
Aetiologie: Erkältung an einem zugigen Bureaufenster; Ueberarbei-
tung; niemals E^cesse.
IniHalerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Parästhesie der Soh-
len; Erschwerung des Gehens, seit 1^2 Jahren hochgradig.
Status: Hochgradige Ataxie; grobe Kraft noch sehr gross. Hant-
sensibilität nur wenig vermindert. Muskelsensibilität hochgradig herabgesetzt.
HinstOrzen beim Schliessen der Augen. — Hautreflexe etwas vermindert.
Sehnenreflexe fehlen. Blasen- und Geschlechtsschwäche. Pupillen-
differenz. Arme und Kopf frei.
17« 6. Mai 1878. Beamter^ 41 Jahre alt.
Dauer: 5 — 6 Jahre.
Aetiologie: In der Jugend Excesse in venere; unregelmässiges, an-
strengendes Leben. Vor vielen Jahren einmal dubiöser Schanker;
später einmal Roseola (?).
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Einmal Oculomotorius-,
einmal Abducenslähmung. Blasenschwäche , Impotenz. Gttrtelgefttbl und
Parästhesien der Beine.
Status: Ataxie kaum angedeutet; grobe Kraft sehr gut. Tast-
empfindung ganz normal bei ausgesprochener Analgesie. Muskel-
sensibilität etwas vermindert; Schwanken bei geschlossenen Augen, beson-
ders auch im Gehen. — Hautreflexe sehr lebhaft (besonders auch von der
Planta zum Quadriceps). Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erreg-
barkeit des Quadriceps erhalten. — Blasenschwäche. Augeur und Augen-
muskeln jetzt ganz gut; keine spinale Myosis. Uebrige Gehirnnerven,
Arme, Wirbelsäule normal. Hochgradige Abmagerung.
18. 26. Juni 1878. Schuldirector, 46 Jahre alt.
Dauer: 5 — 6 Jahre.
Aetiologie: Sexuelle Ueberanstrengung.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Unsicherheit der Beine.
Status: Hochgradige Ataxie. Hautsensibilität fast normal ; Schmerz-
leitang etwas verlangsamt. Hautreflexe vorhanden. Sehnenreflexe f eh -
len; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Blasenschwäche.
Angen normal. Hocl%radige Abmagerung und Decrepidität ; chronischer
Morphinismus.
19. 18. Juli 1878. Arbeiter, 52 Jahre alt.
Dauer: 6 — 7 Jahre.
Aetiologie: Unbekannt.
10 I. £rb
I
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Seit 1877 Schwäche
in den Beinen, Blasenschwäche; ParästheBien der Beine.
Statusi Hochgradige Ataxie, kann nicht ohne Hülfe stehen ; grobe
Kraft gehr gross ; mächtig entwickelte Muskeln. — Hautsensibilität normal
oder kaum abgestumpft bis auf ausgesprochene Analgesie. — Mus-
kelgefühl etwas vermindert; geringes Schwanken bei geschlossenen Augen.
Plantarreflex fehlt; Cremaster- und Abdominalreflex schwach. Sehnen-
reflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Bla-
senschwäche (Retention). Augen normal. — Hirnnerven, Arme, Wirbelsäule
normal. — Anhaltende massige Pulsbeschleunigung (90—^100).
20. 6. August 1878. Eisenbahndirector, 55 Jahre alt.
Bauer \ Circa 6 — 8 Jahre.
Aetioiogie : ?
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen; vor 1 Jahr vorüber-
gehendes Doppelsehen ; jetzt seit 3 Monaten linksseitige Trochlearislähmung.
Ermüdung und Unsicherheit beim Gehen. Krampfhafte Stuhlentleerung.
Status: Leichte Ataxie; grobe Kraft gut. Tastempfindung ganz
normal; deutliche Analgesie; kein Gürtelgefühl. Muskelsensibilität
gut; etwas Schwanken beim Schliessen der Augen. — Hautreflexe sehr leb-
haft; Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps
gut. — Trochlearislähmung links; Optici normal. Rechte Pupille etwas
enger als linke ; beide reagiren nicht auf Licht. Blase frei. Grosse
Abmagerung. Schwindel.
21. 8. Juni 1875. Oekonom, 35 Jahre alt.
Dauer: 7 Jahre.
Aetioiogie: Erkältung und Ueberanstrengung; keine sexuellen Excesse.
Vor 13 Jahren harter Schanker, keine secundären Erscheinungen.
Initialerscheinungen : Lancinirende Schmerzen. Dyspepsie. Seit 4 Jah-
ren Schwäche und Ermüdung, seit 1 V2 Jaliren grosse Unsicherheit, beson-
ders im Dunkeln.
Status: Leichte Ataxie; grobe Kraft gut. Etwas Taubsein der
Sohlen und Zehen; Gürtelgefühl. Schwanken beim Schliessen der Augen.
Sehnenreflexe fehlen. — Leichte Pupillendifferenz.
22. 29. Mai 1876. Kaufmann, 41 Jahre alt.
Dauer: 7 Jahre.
Aetioiogie : Häufige Erkältung ; viel im Freien bei jedem Wetter (Peters-
burg). Als Knabe onanirt; später keine sexuellen Excesse.
Initialerscheinungen : Lancinirende Schmerzen ; seit 1 Jahr zunehmende
Sehschwäche; Unsicherheit der Beine, Gürtelgefühl; Schmerz und Parästhe-
sien im Ulnarisgebiet.
Status: Leichte Ataxie; grobe Kraft erhalten. Sensibilität der
untern Extremitäten kaum gestört. Sehr geringes Schwanken beim Schliessen
der Augen. Alle Hautreflexe sehr lebhaft. Sehnenreflexe fehlen;
mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Leichte Blasenschwäche ;
verminderte Potenz. Amaurose durch Atrophie derSehnerven. Keine
Augenmuskellähmung. Obere Extremitäten, Kopf, Wirbelsäule normal.
Tabes doisalis. 11
28. 6. Mai 1878. Schauspieler, 46 Jahre alt.
Dauer i 7 Jahre.
Aetioiogie: 1867 Syphilis.
Initialerschemungenx Beginn mit lancinirenden Schmerzen. Vor drei
Jahren Doppelsehen. Seit zwei Jahren zunehmende Schwäche und Unsicher-
heit der Beine. Blasen- und Geschlechtsschwäche. Parästhesien.
Status: Leichte Ataxie im Gehen und Liegen; grobe Kraft gut;
Moskehi sehr gut entwickelt. — Hautsensibilität nur wenig herabgesetzt;
leichte Analgesie. Deutliches Schwanken beim Schliessen der Augen.
Plantarreflex schwach; Cremaster- und Abdominalreflex lebhaft. Sehnen-
reflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. —
Leichte Blasenschwäche. — Augen jetzt gut; Pupillen eng, reagiren
aber deutlich. Kopf und HimnerTen, Arme und Wirbelsäule normal.
2i« 7. Januar 1878. Fabrikant, 36 Jahre alt.
Dauer: 7 Jahre.
Aetioiogie: Nie Syphilis.
Initiaierscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Schwere und Müdig-
keit der Beine ; seit V2 Jahre grosse Unsicherheit. Blasen- und Geschlechts-
flchwäche.
Status: Hochgradige Ataxie. Bedeutende Anästhesie und
Verlangsamnng der Schmerzleitnng. — Plantar- und Cremasterreflex fehlen ;
^bdominalreflex sehr lebhaft. Sehnenreflexe fehlen. Blasenscbwäche ;
verminderte Potenz. Deutliche spinale Myosis.
25. 10. Juli 1875. Schlossermeister, 43 Jahre alt«
Dauer: 7 — 8 Jahre.
Aetioiogie: Feuchte und kalte Werkstatt; keine sexuellen Excesse;
keine hereditäre Belastung.
Initiaierscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Seit 3 — 4 Jahren
Madigkeit und Schwäche der Beine, Unsicherheit im Dunkeln ; Parästhesien,
Gürtelgefdhl; Blasenschwäche, Impotenz.
Status: Deutliche Ataxie; grobe Kraft gut; keine Muskelspan-
Dangen. — Hautsensibilität hochgradig herabgesetzt; deutliche Analgesie
and ausgesprochene Verl an gs am ung der Schmerzleitung. Muskel-
sensibilität herabgesetzt; starkes Schwanken bei geschlossenen Augen. —
Hantreflexe vorhanden, schwach. Sehnenreflexe fehlen; mechanische
Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. — Deutliche Blasenschwäche; Im-
potenz. — Augen normal; keine spinale Myosis. Gehirn ^ Arme, Wirbel-
säule normal.
26. 27. Februar 1878. Gutsbesitzer, 39 Jahre alt.
Dauer: 8 Jahre.
Aetioiogie: (Keine Notizen.)
Initialerscheinungen: Vor 8 Jahren Abducenslähmung. Oefters An-
fälle von Schwindel, Cardialgie und Erbrechen (Crises gastriques). Seit
4 Jahren Sehnervenatrophie; seit 2 Jahren Schwäche und Unsicherheit der
Beine. Seit lange Ischias ; aber nie typische lancinirende Schmerzen,
12 I. Ebb
Siatus: Leichte Ataxie; grobe Kraft gut. — Keine Sensibilitäts-
Störung an den Beinen ; dagegen an der linken Rumpfhälfte und im linken
UlnariBgebiet starke Abstumpfung. — Hautreflexe erhalten; Sehnenre-
fiexe fehlen. Blase normal. Potenz vermindert. Amblyopie durch Seh*
uervenatrophie, besonders links.
27. lt. Juni 1878. Kassirer, 42 Jahre alt.
Dauer: Circa 8 Jahre.
Aetiologie: Keine sexuellen Excesse; nie Syphilis.
Initialerscheinungeni Seit 1870 lancinirende Schmerzen. 1876 Par-
ästhesien und Unsicherheit im Dunkeln. 1877 grosse Schwierigkeit beim
Gehen, die rasch zunimmt. Blasenschwäche, Impotenz, Obstipation.
Status: Hochgradige Ataxie; grobe Kraft gut. Analgesie mit
Verlangsamung der Schmerzleitung. Hautreflexe erhalten ; Sehnenreflexe
fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps gut. — Blasenschwäche.
Spinale Myosis. Sehschärfe gut. Farbensinn etwas unsicher. Hirn
und Hirnnerven, Arme, Wirbelsäule normal. — Arthropathie im lin-
ken Knie.
28. 6. Mai 1876. Fabrikant, 43 Jahre alt.
Bauer: Circa 8 Jahre.
Aetiologie: Viel strapaziöse Reisen. In der Jugend etwas in venere
excedirt
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Seit 3 Jahren zu-
nehmende Schwäche und Unsicherheit der Beine. — Parästhesien. Unsicher-
heit im Dunkeln.
Status: Hochgradige Ataxie; grobe Kraft sehr gut. Sensibilität
kaum vermindert. — Starkes Schwanken beim Schliessen der Augen. —
Hautreflexe vorhanden, aber schwach. — Sehnenreflexe fehlen;
mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Geringe Blasenschwäche ;
Geschlechtsfunction herabgesetzt. Augen, Kopf, Himnerven, Arme, Wirbel-
säule normal.
29. 11. Juli 1878. Schneider, 56 Jahre alt.
Bauer: 8 Jahre.
Aetiologie: Nie Syphilis.
Initialerscheinungen: 1870 Doppelsehen, einige Monate lang. 1875
lancinirende Schmerzen; Parästhesien der Beine; Blasenschwäche; 1877
Schwäche und Unsicherheit der Beine.
Status: Hochgradige Ataxie, kann nicht mehr gut allein stehen ;
grobe Kraft verhäitnissmässig gut ; sehr grosse Abmagerung. — Hautsen-
sibilität hochgradig herabgesetzt; ausgesprochene Analgesie. —
Muskelsensibilität erheblich vermindert; Hinstürzen beim Schliessen der
Augen. — Plantarreflex fehlt; Cremasterreflex schwach; Abdominalreflex
deutlich. Sehnenreflexe fehlen. Mechanische Erregbarkeit des Quadri-
ceps erhalten. — Blasenschwäche; Impotenz. Kopf und Himnerven frei;
kein Doppelsehen mehr. Obere Extremitäten, Wirbelsäule normal. Keine
Pulsbeschlennigung (66 — 80).
Tabes donalis. 13
80. 13. Jani 1878. Metsger, 46 Jahre alt
Dauer: 10 Jahre.
Aeiioiogiei Nie Syphilis. Keine Excesse. Ein Bruder paralytiach.
Initialerscheinungen: Lancinirende 8chinerzeD. Schwäche der Beine.
Parästhesien der Fttsse und Finger. Blasen* und Geschlechtsschwfiche.
Siatus: Hochgradigste Ataxie; kann nicht allein stehen; grobe
Kraft dabei gut ; keine Spur von Muskelspannungen. — Hautsensibilität hoch-
gradig herabgesetzt; ausgesprochene Analgesie. Mnskelsensibilität
ebenso; bedeutende Störung durch Schliessen der Augen. Hautreflexe fehlen
fast Töllig. Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des
Quadriceps erhalten. — Blasenschwäche ; Impotenz. Ein Auge durch Trauma
verloren. Hirn und Himnerven frei. — Obere Extremitäten: leichte Par-
ästhesien oder Analgesie ; keine motorische Störung. Hochgradige Magerkeit.
Andauernde Pulsbeschleunigung (96 — HO).
81. 28. October 1878. Raufmann, 49 Jahre alt.
Dauer: 10 Jahre.
Aetiologie: Ein Bruder tabiscb. Bewegtes Leben; etwas Excesse.
Vor 20 Jahren Schanker (hart?); nie secundäre Symptome.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Seit 2 Jahren Blasen-
Bod Geschlechtsschwäche; vor 1/2 Jahr Diplopie. Gflrtelgeftthl. Ulnaris-
sensation.
Status: Leichte Ataxie; grobe Kraft gut. — Hautsensibilität gut;
Maskelsensibilität etwas vermindert. Schwanken bei geschlossenen Augen.
— Plantarreflexe sehr lebhaft; Cremaster- und Abdominalreflex schwach.
Sehnenreflexe fehlen. — Arme, Kopf, Wirbelsäule normal. Grosse
Magerkeit.
82. 3. Februar 1877. Baumeister, 35 Jahre alt.
Dauer: 10 — 11 Jahre.
Aetiologie: ?
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen; Blasen- und Ge-
scblechtssch wache; MüdigkeitsgefQhl ; keine cephalischen Symptome; seit
3 Jahren Besserung.
Status: Deutliche Ataxie; grobe Kraft sehr gut; wenig Müdig-
keit. Sensibilität der Beine objectiv kaum abgestumpft. Muskelsinn etwas
herabgesetzt; deutliches Schwanken bei geschlossenen Augen. — Plantarre-
flex achwach; Cremasterrefiex deutlich; Abdominalreflex lebhaft. Sehnen-
reflexe fehlen. — Keine Blasenschwäche mehr; etwas Geschlechts-
schwäche. Augen, Kopf, Hirnnerven frei.
38. 7. Juni 1878. Architect, 37 Jahre alt.
Dauer: Circa 10 Jahre.
Aetiologie. 1861 Syphilis.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. — Parästhesien der
Fttsse. Ermüdung und Unsicherheit der Beine, ßlasenschwäche. Geschlechts -
schwäche.
Status: Deutliche Ataxie, grobe Kraft sehr gut Hautsensi-
bilität etwas herabgesetzt; leichte Analgesie und Verminderung
14 I. Erb
der farado-cutanen Sensibilität MagkelseDsibilität kaum vermindert:
etwas Schwanken bei geschlossenen Angen. Plantar- and Abdominalreflexe
sehr deutlich; Cremasterreflex fehlt. — Sehnenreflexe fehlen; me-
chanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Leichte Blasenschwäche;
Geschlechtsschwäche. Augen normal; keine spinale Myosis. Hirn
und Himnerven, Wirbelsäule normal. In den Händen manchmal etwas
taubes Gefühl, sonst Arme normal.
34. 19. März 1878. Frau, 46 Jahre alt.
Bauer: 10 — 12 Jahre.
Aetioiogie: Unbekannt.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Seit 4 Jahren zu-
nehmende Schwäche, Parästhesien etc.
Status: Deutliche Ataxie; grobe Kraft gut. Abstumpfung der
Sensibilität der Beine; Verlangsamung der Schmerzleitung; keine
Analgesie. — Schwanken beim Schliessen der Augen. Plantarreflex fehlt;
Abdominalreflex erhalten. Sehnenreflexe fehlen. — Blasenschwäche.
Augen normal; keine spinale Myosis. Arme und Kopf ganz frei.
35. 2. October 1877. Oberst, 49 Jahre alt.
Dauer: 10 — 12 Jahre.
Aetioiogie: ?
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen.
Status: Hochgradige Ataxie. — Tastgefühl an Beinen und Bauch
herabgesetzt; Schmerzempfindung gesteigert, aber dabei ver-
langsamt. — MuskelgefUhl herabgesetzt. Plantar- und Cremasterreflex
fehlen; Abdominalreflex lebhaft; Sehnenreflexe fehlen; mechanische
Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Blasenschwäche. Impotenz. Arme
und Kopf frei.
36. 11. Mai 1878. Controleur, 45 Jahre alt.
Dauer: 12 (19?) Jahre.
Aetioiogie: Syphilis zweifelhaft.
Initialerscheinungen: 1859 Blasenschwäche; 1865 Blasenkatarrh.
1866 Lancinirende Schmerzen. — 1868 Schwäche und Unsicherheit der
Beine, Zittern der Handschrift. — 1870 Verschlimmerung; Schwächeanfall;
Unsicherheit im Dunkeln. 1872 zunehmende Unsicherheit; Geschlechts-
schwäche ; Harnverhaltung.
Status: Ausgesprochene Ataxie; grobe Kraft gut. Sensibilität
der Beine hochgradig herabgesetzt; Verlangsamung der Tast- und
Schmerzleitung; Ulnarissensation. Muskelsensibilität sehr schlecht:
Schwanken bei geschlossenen Augen. Hautreflexe fehlen. — Sehnen-
reflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps lebhaft; keine
Muskelspannungen. Blasenlähmung; Impotenz. — Leichte Ptosis rechts;
rechte Pupille weiter als die linke; bei,de reagiren nicht auf Licht.
Arme und Kopf frei; Sprache etwas behindert.
37. 24. Juni 1878. Notar, 60 Jahre alt.
Datier: €irca 12 Jahre.
Aetioiogie: —
Tabes donalis. 15
Initialerschemungen: Seit 1866 heftige Intercostalnearalgie. 1873
BlasenschwAche. 1877 Amaurose darch Atrophia nerv, optic. (bloss rechts).
Formication. Gttrtelgeffihl. Mfldigkeit der Beine.
Status: Leichte Ataxie; grobe Kraft gut. Tastempfindung gut;
deutliche Analgesie und Verlangsamnng der Schmerzleitnng.
— Kein Schwanken beim Schliessen der Augen. Hautreflexe sehr lebhaft.
— Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Qaadriceps
erhalten. Blasenschwäche besonders des Abends. — Atrophia nerv, optic.
— Keine Myosis.
88. 12. April 1877. Gutsbesitzer, 57 Jahre alt
Dauer: 12 Jahre.
Aetiologie: ? — Neuropathische Famlliendisposition.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. — Unsicherheit des
Ganges. — Sehschwäche.
StcUus: Deutliche Ataxie. — Hautsensibilität leicht herabgesetzt.
— Muskelgeftthl etwas gestört; Schwanken bei geschlossenen Augen.
Plantarreflex fehlt; die anderen Hautreflexe erhalten. Sehnenreflexe
fehlen. — Blase normal. — Atrophia nerv, optic. — Arme und Wirbel-
^le normal.
39. 30. April. 1878. Professor, 37 Jahre alt.
Dauer: 12 — 14 Jahre.
Aetiologie: —
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. — Seit 1876 Blasen-
schwäche und Impotenz; leichtes Ermflden.
Status: Geringe Ataxie; grobe Kraft gut. Hautsensibilität an den
Fflssen etwas herabgesetzt ; leichte Analgesie. — Deutliches Schwan-
ken beim Schliessen der Augen. Hautreflexe normal. — Sehnenreflexe
fehlen. Augen ganz normal. Blasenschwäche, Impotenz. Hirn und
Himnerven, Wirbelsäule, Arme normal. Etwas Abmagerung.
40. 1. August 1878. Domänenverwalter, 58 Jahre alt.
Dauer: Circa 15 Jahre.
Aetiologie: Hereditär nichts. Ursache angeblich Erkältung. Vor
18 Jahren Syphilis (Schanker und Haarverlnst, sonst angeblich keine
(?) secundären Symptome).
Initialerscheinungen: Seit 1863 lancinirende Schmerzen. 1877 vor-
fibergehendes Doppelsehen; Blasenschwäche (nächtliche Incontinenz) ; Par-
ästheslen in Händen und Fflssen. Später beginnende Ataxie, Ermfidung, Ab-
nahme der Potenz.
Status: LeichteAtaxie; grobe Kraft gut. — Tastempfindung ganz
normal; Andeutung von Analgesie. Muskelgefühl vermindert; Schwan-
ken beim Schliessen der Augen. Hautreflexe sehr lebhaft. Sehnenreflexe
fehlen; mechanische Erregbarkeit des Qaadriceps erhalten. Hochgradige
Blasenschwäche. Augen normal ; Pupillen reagiren schlecht. — Himnerven
nnd Wirbelsäule normal. Arme und Hände etwas unsicher.
16 L Ebb
41. 10. Februar 1878. Advokat, 49 Jahre alt.
Dauer i 15 Jahre.
Aetiologie: Grosse Reisestrapazen. Nie Syphilis.
Iniiialerscheinungeni Niemals lancinirende Schmerzen. Etwas
Unsicherheit nnd leichte Parftsthesien der Beine; Andeutung von Gttrtel-
gefühl; zunehmende OehstOrung. Blase immer gut; etwas Geschlechts-
schwäche.
Status: Hochgradige Ataxie; grobe Kraft ausgezeichnet bei
colossal entwickelten Muskeln ; keine Muskelspannungen. — Hautsensibilität
hochgradig herabgesetzt; leichte Analgesie und deutliche Ver-
langsamung der Schmerzleitung. Muskelsensibilitftt hochgradig herab-
gesetzt. — Plantarreflex fehlt; Cremasterreflex schwach; Abdominalreflex
lebhaft. Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadri-
ceps erhalten. — Blase normal. Augen ganz normal, ebenso Kopf
und Himnerven. — Arme normal ; Spur von Ataxie in den Händen ; keine
Störung des Muskelsinns; Tricepssehnenreflex fehlt.
42. 4. April 1877. Bankier, 63 Jahre alt.
Dauer: 16 Jahre.
Aetiologie: —
Initialerscheinungen: Lebhafte lancinirende Schmerzen. Seit 3 Jahren
Ataxie, Formication, Blasenschwäche.
Status: Massige Ataxie. Sensibilität massig herabgesetzt Ge-
ringes Schwanken beim Schliessen der Augen. Hautreflexe lebhaft. Sehnen-
reflexe fehlen. Blasenschwäche.
4S. 28. October 1878. Advokat, 47 Jahre alt.
Dauer: 18—20 Jahre.
Aetiologie: Keine Excesse; nie Ueberanstrengung ; keine hereditäre
Belastung; nie Syphilis.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen; später Parästhesien
und Anästhesien; zunehmende Unsicherheit und Schwäche; keine Augen-
erscheinungen.
Status: Hochgradige Ataxie; kann nicht mehr allein stehen und
gehen. Leichte Ataxie der Arme. Keine Mu^kelspannungen. Grobe Kraft
ziemlich gut. Gttrtelgeftthl ; Brustbeklemmung. Sensibilität an den Fttssen
abgestumpft; leichte Analgesie; Muskelsensibilität herabgesetzt. —
Plantarreflex fehlt; Abdominalreflex sehr deutlich. Sehnenreflexe
fehlen. — Geringe Blasenschwäche. Hochgradigste Abmagerung. Parese
des Rect. super, oc. sin. Sehschärfe gut. Pupillen massig eng, reagiren
nicht auf Licht. Schwindel. Hochgradigste Nervosität.
44. 13. April 1877. Ingenieur, 52 Jahre alt.
Dauer: 30 Jahre.
Aetiologie: —
Initiaierscheinungen: Seit 30 Jahren lancinirende Schmerzen. Seit
26 Jahren Lähmung des rechten Abducens. Seit mehreren Jahren Geh-
störung.
Tabes donalis. 17
Status: Dentliche Ataxie; grobe Kraft gut. — Geringe Sensibi-
litätsstöruDg. Schwanken beim Schliessen der Angen. Hantreflexe erhalten
Qod lebhaft. Sehnenreflexe fehlen. — Blasensch wache; keine Ge-
schlechtsschwäche. Linksseitige Abdncenslähmung. Arme, Kopf, Wirbel-
säale normal.
Versuchen wir nun, auf Grund der vorstehenden Beobachtungen
Zunächst einiges auf die Symptomatologie Bezügliche hervor-
zuheben, so wird unsere Aufmerksamkeit in erster Linie durch die
im Initialstadium auftretenden subjectiven Symptome
gefesselt, welche zuerst den Verdacht auf die Krankheit lenken
and in vielen Fällen auch schon in ganz charakteristischer Weise
vorhanden sind. Wir werden dabei die weiter unten noch mitzu-
theilenden Fälle, so weit es möglich ist, bei unserer Untersuchung
mitberttcksich tigen .
Zunächst die lancinirenden Schmerzen! Unter allen 56
Fällen, die ich in dieser Arbeit mittheile, haben sie entschieden ge-
fehlt nur 5mal (Nr. 11. 26. 41. 50 und 55.) und nur in 3 Fällen
(Nr. 2. 52. und 53.) waren sie wenig ausgesprochen, so dass sie nur
auf genaueres Befragen angegeben wurden , und sich als nicht be-
sonders charakteristisch erwiesen. In allen ttbrigen Fällfin wurden
sie gewöhnlich in sehr charakteristischer Weise beschrieben, mit
ihrem lancinirenden Charakter, blitzähnlichen Auftreten in mehr
oder weniger langen Anfällen, mit der begleitenden Hauthyperästhe-
sie, mit ihrer Abhängigkeit von der Witterung und anderen Schäd-
lichkeiten u. s. w. Ich habe nach meinen eignen Beobachtungen ent-
schieden den Eindruck empfangeui dass man aus dem Charakter und
der Art der lancinirenden Schmerzen ihre Natur in der Kegel sehr leicht
und mit grosser Sicherheit erkennen kann, und ich kann der Angabe
Westphal's, dass dies nur s e 1 1 e n möglich sei, darnach nicht bei-
stimmen. Ebenso ist es mir zweifelhaft, ob — wie W e s t p h a 1 meint
— ähnliche neuralgische Schmerzen ohne tabischen Ursprung
relativ recht häufig vorkommen; i6h Irabe in meiner eignen,
doch ziemlich reichen Erfahrung davon fast niemals etwas gesehen;
den einzigen, mir vorgekommnen , derartigen Fall, in welchem die
Schmerzen ganz ausgesprochen den Charakter der tabischen hatten,
ohne dass eine Spur von weiteren Symptomen der Tabes vorhanden
gewesen wäre, habe ich bereits in meinen „ Krankheiten des Rücken-
marks*' (2. Aufl. S. 558 Anm.) kurz mitgetheilt. Ich glaube also,
dass ausgvosprochene lancinirende Schmerzen von dem
Charakter der tabischen in der Regel schon einen recht
dringenden Verdacht auf Tabes begründen.
DentMlies AreluT f. klin. Medicin. XXIV. Bd. 2
18 I. Erb
Die Constanz dieges Symptoms ist nun eine sehr erhebliche und
seine Häufigkeit ist, wie ich in meinem Handbuche (2. Aufl. S. 557)
schon richtig Yermuthete, noch etwas grösser als dort angegeben.
Die lancinirenden Schmerzen gehören zu den allerfrtthe-
sten Symptomen, sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
wohl auch unbestritten das erste Symptom der Krankheit, haben
also unter allen Umständen einen sehr erheblichen diagnostischen
Werth und es verlohnt sich sehr, genau nach ihnen zu forschen.
Ein nicht minder constantes, wenn auch nicht so prägnantes und
charakteristisches Symptom ist die Ermtldung und Unsicher-
heit der Beine. Unter 48 Fällen von ausgesprochner Tabes (mit
Ataxie) ist diese Erscheinung bloss 1 mal unter den Initialsymptomen
nicht angegeben. — Sie ist also noch constanter, wie die lanciniren-
den Schmerzen; sie gehört zu den regelmässigsten Symptomen, geht
gewöhnlich den weiteren Störungen der Motilität lange Zeit voraus
und würde einen noch höheren diagnostischen Werth haben, wenn
nicht besonders das Ermüdungsgefühl und die geringere Ausdauer
beim Gehen auch noch bei zahlreichen anderen Krankheitsformen,
bei functionellen sowohl, wie anatomischen Störungen des Rücken-
marks vorkämen. — Die Erscheinung tritt nicht immer früh auf,
vielmehr häufig erst lange nach den Schmerzen, kann also nicht
wohl zu den frühesten Symptomen gerechnet werden.
In Bezug auf die Häufigkeit des Vorkommens reiht sich nun
zunächst ein weiteres Symptom an, das, wie mir scheint, nicht ge-
ringe Beachtung verdient: nämlich die Blasenschwäche. Unter
45 Fällen, welche darüber Notizen enthalten, war dies Symptom
35 mal vorhanden (in 2 von diesen Fällen war es sehr wenig aus-
gesprochen); es fehlte nur in 10 Fällen vollkommen.
Gewöhnlich handelt es sich nur um eine geringe Störung, manch-
mal aber auch um recht erhebliche ; Retention sowohl, wie Incontinenz
kommen vor; nach meiner Erfahrung ist es in den ersten Stadien
etwas häufiger eine leichte Retention, über welche die Kranken klagen ;
sie müssen länger drücken, auf die Entleerung warten, haben Nach-
träufeln etc. Vulpian gibt dagegen an^), dass die Incontinenz viel
häufiger sei als die Retention..
Sei dem, wie ihm wolle, ich glaube dem Symptom der Blasen-
schwäche eine nicht geringe Wichtigkeit beilegen zu dürfen, gerade
in Bezug auf die Unterscheiduug von functionellen Störungen (Neur-
asthenia spinalis, Hypochondrie), die manchmal mit den frühen
1) Le^ns sur les malad, da syst, nerreux. 1878. p. 260.
Tabes donalis. 19
Stadien der Tabes Aehnlichkeit haben ; bei jenen wird man nicht leicht
wirkliche Störungen in der Harnentleerung finden. Dagegen ist das
Symptom allerdings nicht gerade charakteristisch für Tabes, da es
ja auch bei andern anatomischen Läsionen des Rückenmarks (be-
sonders bei transversaler Myelitis, Compressionsmyelitis , multipler
Sklerose etc.) zu den sehr regelmässigen Vorkommnissen gehört.
Einigermaassen überraschend war mir das Verhältniss der Stö-
rungen von Seiten der Augen zur Gesammtzahl meiner Fälle;
ich fand dieselben viel weniger häufig, als gewöhnlich angegeben wird.
— Unter 56 Fällen waren nur 7; welche Sehstörung durch Seh-
nervenatrophie darboten (wenigstens in dem Stadium, in welchem
sie mir zur Untersuchung kamen). Da dies Symptom nicht leicht
übersehen wird, kann diese Zahl als ganz genau gelten; sie ent-
spricht also ziemlich genau meiner Angabe in meinem Handbuch
(2. Aufl. S. 588) und erreicht bei weitem nicht die Frequenz, wie
sie von andern Autoren angegeben wird; ich glaube demnach, dass
die Sehnervenatrophie ein in seiner Wichtigkeit für die frühzeitige
Diagnose der Tabes etwas überschätztes Symptom ist
Geringere Zuverlässigkeit besitzen natürlich die Angaben über
vorhanden gewesene Augenmuskellähmungen, da vorüber-
gehende Störungen derselben von den Kranken, wenn auch nicht
übersehen, so doch nach Jahren vergessen werden. Ich habe unter
44 Pällen nur 17 notirt, in welchen sich vorübergehende oder dauernde
Diplopie zu irgend einer Zeit des Verlaufs (allerdings gewöhnlich im
Initialstadium) eingestellt hatte; also ungefähr in ^5 aller Fälle.
Wenn auch häufiger als die Sehnervenatrophie, sind diese Störungen
also doch bei weitem nicht constant und haben für die Diagnose der
frühen Stadien der Tabes nur eine beschränkte Bedeutung. Ich
kann deshalb Vulpian's Ausspruch (1. c. p. 253) nicht beipflichten,
dass diese Augenstörungen genau ebenso charakteristisch für das
Initialstadium der Tabes seien, wie die lancinirenden Schmerzen.
Gehen wir nun zu den Erscheinungen der ausgebildeten
Krankheit über, so fällt hier zunächst die Ataxie in die Augen.
Da wir dieselbe als einigermaassen entscheidendes Symptom bei der
Auswahl der Fälle angenommen haben — indem wir nur solche Fälle
als ausgesprochene und vollentwickelte Tabes hier zusammenstellen
wollten, welche neben den übrigen charakteristischen Symptomen
auch das der Ataxie darboten, um jeden Zweifel an der. Berechtigung
der Diagnose zu zerstreuen — , ist dieselbe natürlich in allen 44 Fällen
und ebenso in den unten nachfolgenden Fällen 52—56 vorhanden;
allerdings in mehr oder weniger ausgesprochenem Grade; nur in
2*
20 I. Erb
2 F&Uen (12. und 17.) war sie erst andeutangsweise vorhanden, diese
sind aber in ihrer Diagnose an sich doch unzweifelhaft. •
Es braucht nicht besonders geschildert zu werden, wie die Ataxie
in den Fällen, wo sie erst in der Entwicklung begriffen war, durch
genauere Untersuchung im Stehen und Liegen, durch die charakte-
ristische Art des Ganges, des Stehens auf Einem Fuss, durch die
Art einen Kreis mit dem Fuss zu beschreiben etc. constatirt wurde ;
ich habe dafflr im Laufe der Jahre ein ziemlich geschärftes Auge
bekommen. Die Fälle mit ausgesprochner Ataxie sind ja immer
sehr leicht zu erkennen.
Interessant ist es, in den Erankheitsgeschichten die Zeit des
Auftretens der Ataxie zu verfolgen: manchmal gehört sie zu
den frühesten Symptomen, kann schon nach V2 — 1 V2 jähriger Dauer
der Krankheit vollkommen deutlich sein (Fall 1 — 5.), in andern
Fällen tritt sie erst nach mehr als 20 jährigem Bestehen der lanci-
nirenden Schmerzen auf (Fall 44.) und weiter unten werde ich noch
eine Reihe von Fällen anf&hren, in welchen bis zu 14 jähriger Dauer
des Bestehens der initialen Symptome noch keine Ataxie nachweis-
bar war (Fall 46 — 51), obgleich auch diese Fälle wohl sicher zur
Tabes gerechnet werden dürfen.
Auch auf den Grad der Ataxie ist die Dauer der Krankheit
ohne erheblichen Einfluss. Die höchsten Grade derselben, bei wel-
chen den Kranken ununtersttttztes Stehen und Gehen bereits unmög-
lich geworden, kommen schon nach 1 jährigem Bestehen der Krank-
heit (Fall 4.), nach 3—4 Jahren (Nr. 15. 16.), nach 5—6 Jahren
(Nr. 18. 19.) vor. Es wird das eben nur davon abhängen, ob die
Bahnen, deren Störung das Symptom der Ataxie bedingt, früher oder
später in das Bereich der degenerativen Atrophie gezogen werden.
Doch das sind alles längst bekannte, wenn auch nicht überall
anerkannte Dinge. Ebenso ist es mit der genügend oft gemachten
Erfahrung, dass hohe Grade Von Sensibilitätsstörung bei geringer Ata-
xie^ und hochgradige Ataxie bei geringer Sensibilitätsstörung vor-
kommen können, und dass es Fälle mit deutlicher Sensibilitätsstö-
rung ohne alle Ataxie gibt; alles dies habe ich in meinen Fällen
wiederholt mit Sicherheit constatiren können.
Von besonderem Interesse ist nun das Verhalten der Seh-
nenreflexe. Sie fehlen in den ausgesprochenen Fällen 1 — 44
vollständig; sie fehlen femer auch in den weiter unten noch zu er-
wähnenden Fällen 53 — 56. Auf ihr Fehlen oder ihre hochgradige
Verminderung in den Fällen 46 — 52 (mit Initialsymptomen) 'können
Tabes donalis. 21
wir natftrlich hier noch kein Gewicht legen, da ja erst bewiesen
werden soll, dass diese Fälle Initialstadien der Tabes darstellen.
Besonders wichtig ist es festzustellen, in welchem 2^itpunkt der
Krankheit das ,, Fehlen der Sehnenreflexe ^ schon vorhanden ist, resp.
Yorhanden sein kann, und ob es immer schon zu einer gewissen
Periode vorhanden ist. Da ist es nun sehr bemerkenswerth , dass
es schon in allen Fällen mit ganz kurzer Krankheits-
dauer (Va— IV2 Jahre, Fall 1 — 5) in vollständiger Weise vor-
handen ist. Ja, in einem unten mitzutheilenden Fall (Nr. 55) fand
sich schon nach r;2— 2 Monaten des Bestehens der Krankheit kein
Patellarsehnenreflex mehr: doch ist dieser Fall etwas zweifelhaft in
seiner Berechtigung, fttr typische Tabes zu gelten. Jedenfalls ge-
nügen die andern Fälle schon, um darzuthun, dass das Fehlen
der Sehnenreflexe zu den ersten und frühesten Sym-
ptomen derTabes gehören kann, und wahrscheinlichauch
in der Regel gebort. Dabei verkenne ich natürlich nicht, dass
alle diese Fälle an sich ja solche von ungewöhnlich rascher Entwick-
Inng sind, bei welchen ja auch das Symptom der Ataxie bereits vor-
handen ist; deswegen musste die obige Schlussfolgerung die etwas
unbestimmte Fassung erhalten.
In den zu der Patellarsehne gehörigen Muskeln können sich
dabei sehr verschiedene und wechselnde Zustände finden: dieselben
können gute oder schlechte Entwicklung, Abmagerung oder pralle
Ffllle, colossale oder etwas verminderte Kraft zeigen ; niemals aber
zeigen sie (in allen typischen Fällen wenigstens) degenerative Atro-
phie mit Entartungsreaction, und ebensowenig — oder nur ganz aus-
nahmsweise und nur in complicirten Fällen s. u. Nr 53 — ausge-
sprochene Parese oder gar völlige Paralyse.
Wie sich aber auch die Muskeln verhalten, in der Regel ist durch
kein Mittel , durch keinen Kunstgriff von der Patellarsehne der ge-
ringste Reflex auszulösen ; und ebenso constatirte ich an allen übrigen
(wenn auch nicht regelmässig darauf untersuchten) Sehnen das völlige
Fehlen der sonst von ihnen auszulösenden Reflexe.
In frappantem Gegensatze dazu bleibt die mechanische Er-
regbarkeit des Quadriceps immer vollkommen erhalten,
ist sogar oft sehr ausgesprochen und lebhaft. Dies ist nicht, wie
Westphal in einer Anmerkung zu seiner oben citirten neuesten
Arbeit angibt , nur zuweilen zu constatiren, sondern meiner Er-
fahrung nach immer und ausnahmslos (wenigstens in den un-
complicirten Fällen). Ich habe darüber Notizen in 32 Fällen gemacht :
in allen ohne Ausnahme war die mechanische Erregbarkeit des Qua-
22 I. £JIB
drieeps erhalten. — Dieselbe ist besonders leicht am Vastos intemas
zu constatiren ; sehen massig starkes Aufklopfen mit dem Percussions-
hammer genügt in der Regel, um demselben eine energische Con-
traetion zu entlocken ; nicht minder auch im Vastus eztemns oder
im Bectus femoris, besonders leicht dann, wenn man an allen diesen
Muskeln die EintrittBtellen ihrer motorischen Nerren percntirt Das
ist jedenfalls ein ganz constantes Ph&nomen und zdgt höchstens
gewisse gradweise Abstufungen je nach dem Ernfthrungszustand der
Muskeln.
Es dflrfle kaum nötiiig san, noch einmal darauf hinzuweiaen, dass
wir es bei den sogenannten Sehnenreflexen mit wirklichen reflectori-
sehen Erscheinungen zu thun haben; diese von mir von Anfang an ver-
theidigte und aus zahlreichen klinischen Thatsachen sowohl, wie aus bisher
unangefochtenen physiologischen Versuchen längst mit absoluter Nothwen-
digkeit sich ergebende Auffassung (vgl. mein Handbuch der Rückenmarks-
krankheiten. l.Aufl. L S. 48ff.; 2. Aufl. S. 57ff.) ist neuerdings wohl auch
für die hartnäckigsten* Gegner durch erneute physiologische V^suche er-
wiesen. Als einen nicht unwichtigen und uninteressanten klinischen Beweis-
grund mnsste man bei Tabes neben dem Fehlen des Patellarsehnenreflexes
das Erhaltenbleiben der mechanischen Erregbarkeit des Quadriceps
betrachten, wie es oben geschildert ist.
Das 9 Fehlen der Sehnenreflexe" gewinnt aber ftlr die Sympto-
matologie der Tabes noch mehr an Bedeutung dadurch, dass es bei
Gesunden — von jugendlichem und mittlerem Lebensalter wenig-
stens — , wie es scheint, niemals vorkommt. Auch ich habe es, wie
Andere, bisher bei Gesunden noch nicht beobachtet 0; es gelang mir
bisher noch immer, den Patellarsehnenreflex, wenn auch manchmal
nicht ohne Mtthe und mit BerOcksichtigung aller Cautelen, auszulösen.
Bei nicht Tabischen (und bei Solchen, die nicht an progressiver Gere-
bralparalyse leiden, die hier wohl ausser Betracht* bleiben darf) da-
gegen habe ick das Fehlen des Patellarsehnenreflexes immer nur in
Verbindung mit Parese oder Paralyse des Quadriceps,
mit Atrophie und Entartungsreaction beobachtet (bei Polio-
myelitis anterior acuta und chronica, bei Gompressionsmyelitis, peri-
pherer Cmralislähmung etc.).
Aber es ist gerade fttr die Tabes charakteristisch, dass hier
der Patellarsehnenreflex völlig fehlt bei normaler oder
nur wenig herabgesetzter Muskelkraft, bei normalem
oder nur wenig vermindertem Muskelvolumen, b^i nor-
1) Vergl. auch die Discassion über die Sehneoreflexe in der Berliner Med.-
Psychol. Gesellschaft. Arch. f. Psych, u. Nerrenkrankh. YIU. S. 771.
Tabes donalis. 23
maier elektriBcher und mechanischer Erregbarkeit des
Qaadriceps.
Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich nun aus meinen , mit
jenen WestphaPs in vollkommener Uebereinstimmung stehenden
Beobachtungen y dass das Fehlen der Sehnenreflexe ein
flberaus häufiges, man kann wohl sagen, ein constantes
Symptom der Tabes ist. Ja, wenn wir — mit aller Reserve —
die Fälle 46 — 52 einstweilen zur Tabes rechnen, müssen wir sagen»
dass dies Zeichen constanter ist als alle übrigen bisher bekannten
Symptome der Tabes, und da dasselbe auch ausserordentlich früh
anfentreten scheint, gewinnt es eine ganz enorme und fast patho-
gnostische Bedeutung für die frühzeitige Diagnose der Tabes.
Und doch ist das Symptom nicht absolut constant;
es ist nicht ausnahmslos in allen Fällen vorhanden, selbst wenn ich
ganz absehe von jenen gemischten Fällen, in welchen sich mit dem
Symptomenbild der Tabes dasjenige der spastischen Spinallähmung
combinirt und welche ich in meiner ausführlichen Arbeit über diese
letztere Krankheit ^) besprochen habe, nachdem sie vorher von 0. Ber-
ger schon constatirt waren; ich habe jetzt schon seit längerer Zeit
einen Fall von typischer, unzweifelhafter Tabes unter Augen, in wel-
chem trotz sehr vorgeschrittener Erkrankung die Sehnenreflexe voll-
kommen erhalten sind, ohne dass irgend ein Grund vorhanden wäre,
eine Complication anzunehmen. Bei der grossen semiotischen Be-
deutung dieser Thatsache erlaube ich mir, den Fall kurz mitzutheilen.
46. 9. April 1878. I^ehrer, 43 Jahre alt
Dauer X 5 Jahre.
Aetiologiei Masturbation, später viel Pollutionen ; Strapazen im Feld-
zug nnd auf Reisen. Keine hereditäre Belastung.
Iniliaierscheinungcn: Seit 1873 öfter heftige, bohrende und lanci-
nirende Schmerzen von ganz typischer Art in den unteren Extremitäten.
1876 Erschwerung des Harnlassens, Blasenschwäche (leichte, allmäblich
zonebmende Retention). 1877 Parästhesien der Ftlsse, Gtirtelgeftthl,
hie nnd da Ulnarissensation. Zunehmende Schwäche und Unsicher-
heit der Beine, besonders Im Dunkeln. Abnahme der Potenz und der
Libido sexualis.
Status: Ausgesprochene Ataxie, nach allen Richtungen hin genau
dem Bilde der tabischen Ataxie entsprechend; dabei grobe Kraft ganz gut;
keine Spur von Muskelspannungen. Keine Atrophie. Hautsensi-
bilität in deutlichem Grade herabgesetzt; über den ganzen Körper verbrei-
bete Analgesie und Herabsetzung der faradocutanen Sensi-
tilitftt Muskelsensibilität nicht erheblich gestört; es besteht deutliches
i) Yirchow's Archiv. Bd. 70. 1S77.
24 I. Erb
Schwanken beim Scbliessen der Augen. Plantar-, Cremaster- und
Abdominalreflex vorhanden, aber ach wach. — Patellarsehnenreflex
beiderseits ganz lebhaft; Adductorenreflex vorhanden; Dorsalklonns
am Fusse fehlt; Achillessehnenreflex durch directes Beklopfen nicht sicher
auszulösen. — Hochgradige Blasenschwäche; verminderte Potenz.
Strabismus divergens von Jugend auf; an den Augen sonst nichts Abnormes;
keine spinale Myosis. — Obere Extremitäten ebenfalls leicht afficirt:
Analgesie, Spuren von Ataxie, Tricepssehnenreflex erhalten. —
Psychische Functionen, Gedächtnisse Sprache, Functionen der Hirnnerven,
Wirbelsäule vollkommen normal.
Aus dem weiteren Verlauf ist hervorzuheben, dass die Blasenschwäche
sich zeitweilig so steigerte, dass zum Katheter gegriffen werden musste;
dass während eines heftigen Cholerineanfalls sich ein schwerer brandiger
Decubitus entwickelte, der aber bei sorgfältiger Pflege heilte, und dass dabei
die Krankheit, besonders in Bezug auf die Ataxie und Gehstörung, lang-
same Fortschritte machte, ohne dass jemals ein Symptom auftrat, welches
die Diagnose nach einer anderen Richtung hätte lenken können.
Zu oft wiederholten Malen habe ich mich dabei von dem Erhaltensein
und der Lebhaftigkeit des Patellarsehnenreflexes überzeugen können und bei
der letzten genaueren Untersuchung (Anfang November 1878) abermals con-
statirt: Ataxie etwas hochgradiger; Sensibilität noch wie früher; Patellar-
sehnenreflex beiderseits noch sehr deutlich; Adductorei^^flex
nicht nachweisbar ; kein Dorsalklonns. Hautreflexe wie früher. Abmagerung.
Mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten.
Die Diagnose dieses Falles ist wohl über jeden Zwei/el erhaben ;
man kann meines Erachtens keinen typischeren Fall von Tabes finden
und selbst die strengste Epikrise wird nur constatiren können, dass
fast alle charakteristischen Symptome der Tabes und donst gar keine
weiteren Symptome vorhanden sind. Wenn man dagegen einwenden
wollte, dass erst die Section bis zur definitiven Entscheidung abge-
wartet werden mttsste, so kann dem entgegengehalten werden, dass
unsere ganze Discussion sich ja nur auf klinischem Boden bewegt,
und dass ja auch in fast allen übrigen Fällen, in welchen das „Fehlen
der Sehnenreflexe ^ als Zeichen der typischen Tabes erkannt wurde,
die nekroskopische Bestätigung nooh aussteht. Es handelt sich hier
vorwiegend darum, zu entscheiden, ob und wie oft bei dem charak-
teristischen klinischen Symptomenbild,, das wir Tabes nennen,
das Fehlen der Sehnenreflexe nicht vorhanden sein kann. Und
dass der vorstehende Fall zu diesem typischen klinischen Sympto-
menbild gehört, scheint mir ganz unzweifelhaft.
Wenn wir also sehen, dass dies Symptom unter 56 Fällen ^) nur
1) Ich habe, seitdem ich dies schrieb, weitere 14 Fälle von. typischer Tabes
antersucht; in 13 von diesen FäUen fehlten die Sehn^nreflexe; in 1 aber waren
sie erhalten. Nachtrag! Anmerkung.
Tabes dorsalis. 25
ein einziges Mal nicht Yorhanden ist, so geht daraus doch schon
die fast ahsolute Constanz des Phänomens und die grosse diagno-
stische Wichtigkeit desselben hervor , besonders da wir gleichzeitig
sehen ) dass es ein in den frühesten Stadien der Tabes gewöhnlich
schon vorhandenes Zeichen ist.
Andererseits geht aber aus der oben mitgetheilten einen Beob-
achtung schon hervor, dass die Anwesenheit der Patellarsehnenreflexe
an sich noch nicht genügt, Tabes auszuschliessen. Das „Fehlen
der Sehnenreflexe*' ist also nicht absolut pathognostisch.
Diesem Symptom gegenüber ist nun das Verhalten der Haut-
reflexe bei der Tabes von ganz untergeordneter Wichtigkeit. Fast
immer sind dieselben vorhanden: nämlich unter 47 Fällen mit den
betreffenden Notizen 41 mal. Nur 6 mal fehlten sie, wie dies ja auch
bei Gesunden hie und da vorkommt. Unter jenen 41 Fällen waren
in 7 Fällen einige von den Hautreflexen, besonders der Plantarreflex,
sehr schwach ; doch traf das durchaus nicht immer mit hochgradiger
Sensibilitätsstörung zusammen. Im Ganzen war die Intensität der
Hautreflexe sehr verschieden und liess keinerlei Gesetzmässigkeit und
keinerlei bestimmte Beziehung zu der Sensibilitätsstörung oder der
Ataxie erkennen, wiewohl als Gesammteindruck sich ergibt, dass
mit zunehmender Intensität dieser Störungen die Lebhaftigkeit wenig-
stens des Plantarreflexes abnimmt. Es ergibt sich somit auch aus
dieser grösseren Zahl von Fällen so ziemlich dasselbe, was ich schon
in meinem Handbuch (1. c. 2. Aufl. S. 583) über die Hautreflexe ge-
sagt habe.
Es ist nicht meine Absicht, hier genauere Angaben über das
Verhalten der Sensibilität bei Tabes zu machen; dasselbe ist
in meinen Fällen nicht Gegenstand besonderer Beachtung gewesen;
wenn auch allerdings niemals die Untersuchung der Sensibilität ver-
absäumt wurde, so konnte sie doch durchaus nicht immer mit der-
jenigen Ausführlichkeit und Exactheit gemacht werden, wie es für
die Ermittelung feinerer Verhältnisse nöthig ist. Solche Prüfungen
gehören auch bei Tabischen zu den zeitraubendsten und ermüdendsten
Beschäftigungen und — geben auch dann oft keine zuverlässigen
Resultate, wenn es sich nicht um gröbere Veränderungen handelt.
Eine solche gröbere und relativ leicht zu constatirende Verände-
rung ist nun die Analgesie, die relative oder complete Unempfind-
lichkeit gegen Schmerzreize, wobei die Tastempfindung leidlich er-
halten sein kann. In den ausgebildeten Fällen der Tabes ist dies
Symptom ' überaus häufig zu constatiren : in 42 Fällen fand ich 29 mal
mehr oder weniger ausgesprochene Analgesie (in 2 Fällen nur sehr
26 I. Erb
geringgradig) y und in 13 Fällen fehlte sie; sie war also in mehr
als ^3 aller Fälle vorhanden.
Von 0. Berger ist dies Symptom neuerdings (1. c.) als ein
frühes Symptom der Tabes bezeichnet worden. Er gibt an, dass,
während noch alle anderen Empfindungsqualitäten erhalten sind,
starke Schmerzreize, wie das Durchstechen einer Hautfalte, tiefes
Einstechen in die Haut, Herausreissen der Haare, starkes Kneifen etc.,
von einer Schmerzreaction nicht gefolgt sind, während leichte
Schmerzreize, z. B. oberflächliche Nadelstiche, dabei noch richtig,
auch als schmerzerregend, empfunden werden können. Das Phäno-
men erstreckte sich zuweilen auch auf den Rumpf und die oberen
Extremitäten. Ich habe, seit mir diese Angabe zu Gesicht kam, ge-
nauer auf diese Erscheinung geachtet. In 7 Fällen, die ich — mit
grösster Wahrscheinlichkeit — dem Initialstadium der Tabes zurechne
(Nr. 46 — 52), fand sie sich in der That 6 mal vor; allerdings dar*
unter 2 mal nur in sehr geringem Grade ausgesprochen.
Ich will aber dabei nicht unterlassen, zu bemerken, dass auch
dieses Symptom gelegentlich ein trügerisches sein kann, da auch bei
gesunden Personen die Schmerzempfindlichkeit sehr verschieden gross
ist; bei Hanchen werden Hautfalten am Fuss und Unterschenkel ohne
besondere Schmerzhaftigkeit durchstochen und ich habe wiederholt
beobachtet, dass auch bei Gesunden rasche oberflächliche Nadelstiche
entschieden schmerzhafter waren , als das Durchstechen einer erho-
benen Hautfalte mit der Nadel. Dagegen wird kräftiges Kneifen
einer Hautfalte von Gesunden meist sehr schmerzhaft empfunden.
Das jedenfalls sehr werthvolle Symptom dieser frühzeitigen Analgesie
bedarf also wohl noch genauerer Prüfung und Würdigung.
Ich vermuthe, dass in nächster Beziehung dazu ein Symptom
steht, welches sich bei der Untersuchung mittels des faradischen
Stroms herausstellt: die Verminderung der faradocutanen
Sensibilität, welche Drosdoff 0 bei der Untersuchung von Tabi-
schen mittels einer von mir angegebenen Methode gefunden hat. Er
kommt, nachdem er die faradocutane Sensibilität an einer Reihe von
Gesunden und danach an 7 Tabischen am ganzen Körper genau
untersucht hat, zu dem Schlüsse, „ dass die faradische Hauterregbar-
keit bei Tabischen verglichen mit der normalen bedeutend herab-
gesetzt sei und zwar am ganzen Körper.^ Das fand sich bei allen
7 Kranken, die sehr verschiedene Stadien der Erkrankung darboten,
in mehr oder weniger deutlicher Weise vor.
1) Untersuch, über die elektrische Reizbarkeit der Haut bei Gesunden and
Kranken. Archiv für Psych, u. Nervenkrankh. IX. S. 203. 1879.
Tabes donalis. 27
Es war mir nicht möglich, alle Einzelbeobachtungen DroBdoff 's
selbst za controliren, und ich halte die Sache selbst noch keineswegs
ffir ganz sprachreif. Ich bin augenblicklich noch selbst mit weiterer
Verbesserung der Methode und mit Controluntersuchungen beschäftigt,
nach welchen ich allerdings die Angaben Drosdoff's an 4 weiteren,
neuen Fällen von Tabes der Hauptsache nach bestätigen kann. Diese
Untersuchungen sind ebenfalls sehr zeitraubend und in ihren Ergeb-
nissen, da es rein auf subjective Wahrnehmungen ankommt, vielfach
unsicher; nicht jeder Tabische kann denselben unterworfen werden.
Uebrigens scheint mir auch dieses Symptom ein sehr frühes zu sein
nnd gewinnt dadurch vielleicht bei genauerer Verfolgung noch eine
gewisse diagnostische Bedeutung.
Die üotersuchoogsmethode besteht vorläufig darin, dass ein breiter,
weicher — nicht stechender — Metallpinsel an verschiedenen symmetrischen
Steilen der Haut aufgesetzt wird (Wangen, Hals, Abdomen, Oberarm, Vor-
derarm, Handrücken, Fingerspitzen, Oberschenkel, Unterschenkel, Fuss-
rficken nnd Fnsssohle wähle ich gewöhnlich) ; dann wird bestimmt, bei wel-
chem Rolienabstand eine minimale Empfindung des faradischen Stroms, und
hierauf, bei welchem Rollenabstand deutliche Schmerzempfindung eintritt.
Die dafür zu gewinnenden Zahlen zeigen bei Gesunden im Ganzen eine
äberraschende Uebereinstimmung — aber auch nicht wenige Ausnahmen.
Zar Controle wird noch der galvanische Leitungswiderstand der betreffenden
Haatstellen bestimmt.
In Bezug auf die Verlangsamung der Schmerzleitung,
welche an dieser Stelle erwähnt zu werden verdient, sind meine
Angaben ebenfalls nur sehr unvollkommen. In 19 Fällen ist die-
selbe erwähnt und war 17 mal vorhanden ; offenbar aber ist in sehr
vielen Fällen ihr Fehlen nicht ausdrücklich notirt, so dass diese Zahl
absolut keinen statistischen Werth besitzt. Jedenfalls aber geht doch
so viel aus der Angabe hervor, dass das Symptom unter allen Um-
ständen ein relativ häufiges genannt werden muss.
Eine sehr häufige Erscheinung ist das schon lange als wichtig
betrachtete Schwanken beim Schliessen der Augen. Unter
44 Fällen ausgebildeter Tabes, bei welchen es erwähnt ist, fehlte es
nur 3 mal; in allen übrigen 40 Fällen war es mehr oder weniger
deutlich, wenn auch in einigen allerdings nur sehr schwach vorhan-
den. Es scheint dadurch dieses Zeichen seinen oft hervorgehobenen
diagnostischen Werth, welchen man ihm öfter absprechen wollte, be-
haupten zu wollen. Ob dasselbe schon sehr früh eintritt, ist fraglich ;
es war allerdings in den meisten Fällen von erst kurzer Dauer vor-
handen (nur in Nr. 2 nicht). Aber in den 7 Fällen initialer Tabes
(46—52), die ich unten anführe, war es nur 1 mal deutlich ausge-
r
28 I. Erb
sprocben, 2 mal nur sehr schwach und kaum angedeutet, fehlte da-
gegen 4 mal gänzlich.
Um endlich die Häufigkeit der Blasen- und Geschlechts-
schwäche bei ausgebildeter Tabes einigermaassen zu charakteri-
siren und den diagnostischen Wertb dieser Symptome annähernd zu
ermittelui führe ich die aus meinen Beobachtungen sich ergebenden
Zahlen kurz an:
Blasenschwäche (in ihren verschiedenen Formen) war unter
48 Fällen 39 mal vorhanden, 9 mal fehlend.
Geschlechtsschwäche (in allen Graden) unter 37 Fällen
29 mal vorhanden (2 mal nur sehr wenig ausgesprochen), und 8 mal
fehlend. — Also gehören auch diese Erscheinungen zu den sehr ge-
wöhnlichen des voll entwickelten Erankheitsbildes, kommen aber,
wie bekannt, auch bei anderen spinalen Affectionen nicht selten vor.
Endlich erwähne ich noch ein Symptom, welches mit sowohl
nach meinen eignen Beobachtungen, als nach den neuerdings in der
Literatur auftauchenden Angaben von grösserer Bedeutung zu sein
scheint, als man bisher wusste: ich meine die sogenannte spinale
Myosis, d. h. jenen Zustand der Pupillen, in welchem sich dieselben
in einer mehr oder weniger (nicht immer jedoch sehr) hochgradigen
Verengerung befinden, dabei auf Lichteindrücke gar nicht, dagegen
auf accommodative Impulse (starke Gonvergenz) wohl noch reagiren.
Erst in neuester Zeit ist man darauf mehr aufmerksam geworden.
Das Wesentliche dabei scheint die fehlende Reaction auf Licht
bei erhaltener Reaction auf accommodative Impulse zu
sein, welche sich mit normaler, oder abnorm grosser (Mydriasis), oder
abnorm geringer (Myosis) Weite der Pupillen verbinden kann. Aller-
dings ist weitaus am häufigsten eine abnorme und manchmal sehr
hochgradige Verengerung der Pupillen bei Tabes vorhanden, so
dass wir das Symptom der Etlrze halber, wenn auch nicht streng
richtig, vorläufig als spinale Myosis bezeichnen können. Dabei bleibt
die Beweglichkeit der Pupillen bei der Accommodation erhalten, kann
selbst bei vollkommener Amaurose noch in manchen Fällen nachge-
wiesen werden.
Ich habe darauf erst in 28 Fällen von Tabes geachtet und genau
in der Hälfte derselben (14) i) diese Erscheinung gefunden. Wahr-
1) Nachdem dies geschriebeD, habe ich noch weitere 12 Fälle von Tabes ge-
sehen, unter welchen 9 dies Symptom darboten. Es würdei^ sich somit unter
40 Fällen 93 mit Myosis spinalis herausstellen.
Tabes* donaÜB. 29
sebeinlich aber wird sie sich bei genauerer Beacbtung noch viel
häufiger finden 0-
Dies Symptom ist in neuerer Zeit fast ausschliesslich von Augen-
iizten constatirt und besprochen worden. Allerdings war schon längst
den Nervenpathologen (seit Romberg) bekannt, dass bei Tabes dor-
salis sich gelegentlich die Pupillen hochgradig verengt finden und
dabei auch unbeweglich sein können, eine Angabe, die in den älteren
Lehrbflchem der Augenheilkunde reproducirt ist. Aber erst Ar gy 11
Robertson machte im Jahre 1869 darauf aufmerksam, dass gerade die
Partialnnerregbarkeit der Pupillen gegen Licht bei erhaltener Reaction
auf Accommodation das Charakteristische für die tabiscbe und andere
spinale Myosen sei. Diese Beobachtung wurde weiterhin von Knapp
und Leber bestätigt, von Wer nicke auch bei Geisteskranken ge-
macht und H e m p e 1 -) hat dann diese Beobachtungen erheblich ver-
mehrt, besonders an Fällen von Tabes und progressiver Paralyse,
nnd hat das Symptom einer genaueren theoretischen Erörterung unter-
worfen. Da den Ophthalmologen gewöhnlich nur die Fälle mit Seh-
störung (Diplopie, Amblyopie etc.) zu Gesicht kommen, und da die
spinale Myosis sehr häufig ohne alle Sehstörung bei Tabes vorban-
den ist, so waren von dieser Seite erschöpfende Angaben über die
Häufigkeit des Symptoms bei Tabes nicht zu erwarten ; das geht auch
ans den neuesten Arbeiten von Hutchinson^) und von v. Wecker^)
hervor.
In sehr erwünschter Weise ist nun durch die oben citirte fleissige
Arbeit von Vincent für diese nicht unwichtige Frage ein reiches
Material zusammengebracht worden. Derselbe hat eine grosse An-
zahl von Kranken auf die Pupillenphänomene untersucht und zwar
51 Fälle von Tabes, 9 Fälle von anderen Rückenmarks- und Ge-
himleiden und 22 Fälle von progressiver Paralyse. Die Ergebnisse
dieser Untersuchung sind in hohem Grade bemerkenswerth ; wir
fflhren jedoch nur das an , was für unseren gegenwärtigen Zweck
wichtig erscheint
Von den 51 Tabischen zeigten nur 4 eine normale Reaction
t) Ich habe immer nur die vollständige Unerregbarkeit gegen Lichtreiz
Qotirt; offenbar gehören aber auch schon die Fälle hierher, in welchen die Re-
action nur sehr träge und in ganz unbedeutendem Grade erfolgt; dadurch
würde sich meine Zahl gewiss noch sehr erhöhen.
2) Ueber Spinalmyosis. Archiv f. Ophthalmol. XXII. 1. S. 1. 1876.
3) Notes on the symptom-significance of different states of the pupil. Brain,
a Joum. of Nenrologj, Part. I n. II. 1878.
4) Gräfe-Saemisch, Handb. d. Angenheilk. Bd. IV. Theil 2. S. 563. 1876.
30 I. Ebb
der Papillen , 40 dagegen reagirten nicbt auf Licht , wohl aber auf
Accommodation; und bei 7 bestand absolute Immobilität der Papillen,
(meist mit Amaurose).
Unter den 40 Fällen mit fehlender oder mangelhafter Reaetion
auf Licht waren 23 mit gleichzeitiger Myosis, 1 1 mit normaler
Weite der ^Pupillen und nur 6 mit Mydriasis.
Vincent hat die Sache dann noch für die einzelnen Stadien
der Tabes zu ermitteln gesucht und fand unter 9 Eranken, die er
zur ersten Periode der Tabes rechnet, das Phänomen der Uner-
regbarkeit gegen Licht 6 mal, normale Reaetion 3 mal, normale ae-
commodative Reaetion in allen 9 Fällen.
Zu der zweiten Periode der Tabes rechnet er 31 Fälle, unter
welchen 26 mal keine Reaetion auf Licht bestand (21 mal mitMyosis),
4mal nur sehr schwache Reaetion und nur efnmal normale; da-
gegen bestand normale accommodative Reaetion in allen 31 Fällen.
Darnach erscheint das Phänomen in der 2. Periode der Tabes so
constant, dass es fast niemals fehlt.
Unter 11 Fällen aus der dritten Periode wurden die Pupillen
7 mal ganz immobil gefunden, 3 mal ohne jede Reaetion auf Licht,
Imal mit nur schwacher Reaetion. Unter diesen 11 Fällen waren
nur 5 Myosen, darunter aber 3 bei doppelseitiger Amaurose.
Als Resultat seiner Beobachtungen spricht Vincent Folgendes
aus: In der ersten Periode der Tabes sind die Pupillen häufig er-
weitert, sie reagiren meist nicht auf Licht, dagegen constant auf
accommodative Impulse; in der zweiten Periode sind die Pupillen
mehr oder weniger verengt, das Licht hat keinen Einfluss auf sie,
wohl aber verengem sie sich beim Nahesehen und erweitem sich
beim Fernsehen; in der letzten Periode endlich sind die Pupillen
seltener verengt, meist normal oder erweitert und dabei in der Regel
absolut immobil.
Es geht aus diesen Angaben mit noch viel grösserer Evidenz
als aus meinen Beobachtungen hervor, dass die „spinale Myosis*
eines der constantesten Zeichen der Tabes ist, sich in
den ausgesprochenen Fällen (zweite Periode) fast constant, in den
Initialstadien wenigstens häufig findet. Ob dieselbe zu den frühesten
Symptomen gehört, resp. regelmässig schon f rflh auftritt, muss
erst durch weitere Beobachtungen festgestellt werden ; bis jetzt seheint
mir dies noch nicht der Fall zu sein, da unter den 6 Fällen, die
ich zum Initialstadium der Tabes rechne und die Angaben darüber
enthalten (Nr. 46. — 48. und 50. — 52.), nur 1 mal dies Symptom vor*
banden war.
Tabes donalis. 31
Um jedoch seinen wirklichen Werth fQr die Diagnose der Tabes
festzustellen, ist es vor allen Dingen erforderlich zu untersuchen, ob
und wie h&ufig es bei andern Krankheiten und bei welchen es vor-
kommt. Auch dafür liegt einiges Material vor.
Ich selbst habe in den letzten Wochen bei einer grösseren An-
zahl (es mögen jetzt 70 — 80 sein) theils gesunder, tbeils nerven-
kranker, nichttabischer Personen die Pupillen auf ihre Lichtempfind-
lichkeit geprüft und dabei (zuf&llig?) nicht ein einziges Mal die Be-
aetion auf Licht vermisst. Daraus geht schon hervor, dass das
Phänomen bei Nichttabischen sehr selten ist. — Es ist den Ophthal-
mologen Ungst bekannt, dass bei alten Leuten häufig eine sehr hoch-
gradige Myosis beobachtet wird; nach Hempel soll aber bei diesen
die Reaction auf Liebt immer prompt erhalten sein ; (ftberdiess haben
wir es ja bei der Tabes beinahe nie mit alten Leuten zu thun). —
Dasselbe dürfte wohl auch der Fall sein bei jener Myosis, die bei
Gesunden hier und da vorkommt, besonders bei Leuten, die sich viel
Hiit kleinen glänzenden Objecten beschäftigen. Auch Vincent fand
anter 9 Fällen von spinaler und cerebraler Erkrankung 8 mal die
Keaction auf Licht erhalten (darunter ein Fall von progressiver Mus*
kelatrophie mit Myosis) und in dem einen Fall mit der charakteristi-
schen Unerregbarkeit handelte es sich wahrscheinlich um eine progres-
sive Paralyse. — Dagegen hat man wiederholt bei Verletzungen und
anderen Läsionen des Halsmarks, bei Erkrankungen des Halssympa-
thicoB, bei Augenmuskellähmungen u. dgl. Myosis, zum Theil auch
mit der charakteristischen Unerregbarkeit der Pupillen gefunden. Das
sind jedoch an und fttr sich seltene und in ihrer Wesenheit meist
leicht zu erkennende Krankheitsformen , so dass von einer diagno-
stischen Schwierigkeit gegenüber der Tabes in der Regel keine Rede
sein kann.
Dagegen ist die progressive Paralyse der Irren die ein-
zige bis jetzt bekannte Krankheit, bei welcher das Phänomen mit
annähernd ähnlicher Häufigkeit vorkommt, wie bei Tabes. Meine
eignen Erfahrungen darüber sind allerdings nicht zahlreich genug,
aber Vincent hat 21 Fälle davon — meist relativ frische Erkran-
kungen — untersucht und er fand in nicht weniger als 19 Fällen
die typische Unerregbarkeit der Pupillen gegen Licht bei erhaltener
Erregbarkeit für accommodative Impulse (die 2 übrigen Fälle waren
ganz frischen Datums). Von diesen 21 Fällen zeigten 8 Myosis,
^ eine schwache Mydriasis; dagegen war in 17 Fällen Un-
gleichheit der Pupillen vorhanden. Diese letztere ist also bei
weitem häufiger und charakteristischer für die progressive Paralyse
32 I. Erb
als die Myosis oder MydriasiB and Ungleichheit der Pupillen
mit Unerregbarkeit für Licht (bei erhaltener Reaction f&r
Accommodation) mag als fa&ufigste Veränderung bei der progressiven
Paralyse; dagegen Verengerung der Pupillen mit Unerreg-
barkeit fttr Licht als die häufigste Veränderung bei Tabes be-
zeichnet werden.
Es ist in hohem Grade bezeichnend, dass dies Symptom bei Tabes
und progressiver Paralyse mit nahezu der gleichen Häufigkeit auf-
tritt; aber Niemand wird sich darttber wundem^ der die häufigen und
innigen Beziehungen der beiden Krankheitsformen zu einander kennt,
der weiss, wie gewöhnlich tabische Symptome bei der progressiven
Paralyse sind und wie regelmässig das Rückenmark bei dieser Affec-
tion mit betheiligt ist. v
Es wird also dies Zeichen zur bestimmten Unterscheidung von
Tabes und progressiver Paralyse nur sehr wenig beitragen können ;
das muss, wie seither, auf Grundlage anderer diagnostischer Merk-
male geschehen. Ganz anders dagegen ist es gegenüber anderen
Krankheiten in Bezug auf ihre Unterscheidung von Tabes und pro-
gressiver Paralyse, also von miteinander verwandten schweren, orga-
nischen und progressiven Läsionen des Gentralnervensystems.
Es gehört ja offenbar dies Symptom zu den sehr häufigen
— und wenn wir die Angaben von Vincent berücksichtigen — zu
den fast constanten Symptomen der Tabes und es gewinnt
dasselbe, da es bei andern Krankheiten (mit Ausnahme der progres-
siven Paralyse) nicht, oder gewöhnlich nur unter sonst durchsichtigen
und leicht unterscheidbaren Verhältnissen vorkommt, eine sehr be-
deutende diagnostische Wichtigkeit. Wie früh dasselbe in dem Krank-
heitsbild der Tabes aufzutreten pflegt, i^st nach den bisherigen Er-
fahrungen allerdings noch nicht zu entscheiden; doch scheint es zu
den constanten Symptomen des Initialstadiums nicht zu gehören ; dar-
über müssen erst weitere Beobachtungen entscheiden.
Die Constatirung des Phänomens ist sehr leicht; jede sorgfältige
Untersuchung genügt dazu; nur muss man dabei besonders darauf
achten, alle Accommodationsimpulse während der Belichtung auszu-
schliessen, weil sonst leicht Reaction auf Licht vorgetäuscht wird.
Man muss also die Kranken während der Beschattung und Belichtung
den Blick auf den gleichen Gegenstand richten lassen und thut deshalb
gut, zur Beschattung nicht die Augenlider zu verschliessen, weil sonst
beim plötzlichen Oeffnen derselben fast regelmässig Bewegungen der
Bulbi und gewöhnlich auch eine Fixation für die Nähe (auf das Ge-
sicht des Beobachters) eintritt. Alle übrigen Kunstgriffe zur Erkennung
Tabes donalis. 33
der Liehtreactioii können natürlich Anwendung finden. — Ebenso ist
es gat, zar Prflfang der Accommodation das Auge immer unter glei-
cher Belichtung zu halten. Zu genaueren Messungen und zur Fixa-
tion der gefundenen Pupillengrössen in Zahlen kann man sich der
Ton Vincent oder Hutchinson angewendeten und beschriebenen
Methoden bedienen, deren Anwendung eine äusserst einfache ist
Auf die Theorie des Symptoms hier näher einzugehen, halte ich
ffir etwas gewagt; die Frage von der Irisinnervation ist eine so ver-
wickelte und es änd in dieselbe gerade neuerdings wieder einige
neue Gesichtspunkte hineingetragen worden, so dass es schwer sein
dürfte, sich jetzt schon eine sichere und gültige Vorstellung von den
hier stattfindenden Störungen zu machen ; es müssen wohl auch noch
mehr und eingehendere Beobachtungen über das Phänomen abge-
wartet werden.
Hempel nimmt für die Myosis an, dass sie durch Lähmung des
CeDtrams für die Pupillenerweiterung (in der MeduUa oblongata) be-
dingt sei, was wohl übrigens auch durch Lähmung der von diesem
Centram in dem Cervicalmark herabsteigenden centrifugalen Bahnen
geschehen könnte. Für die mangelhafte Reaction auf Licht nimmt
er an, dass die reflectorische Nervenbahn zwischen Opticus und Ocu-
lomotorius irgendwo gestört sei, während das Gentrum des Oculomo-
torins intact geblieben.
Vincent erklärt die letztere Erscheinung in ähnlicher Weise,
macht aber die etwas gekünstelte Hypothese, dass die vom Centrum
des Opticus ausgehenden Refiexbahnen zunächst in das Cervicalmark
hinabsteigen, um sich mit hier liegenden motorischen Centren zu ver-
binden, von welchen die Erregungsbahnen für den Sphincter iridis
ausgehen, um sich weiterhin mit dem Stamm des Oculomotorius zu
vereinigen und in diesem zur Iris zu gelangen. Die Läsion dieser
im Halsmark liegenden Bahnen und Centren bei Tabes würde seiner
Ansicht nach jene Störung der Lichtreaction erklären. Die Myose
bei der Tabes soll nach ihm von einer Paralyse der sensiblen Ele-
mente des Rückenmarks herrühren , durch welche Atonie der Iris-
geßUse und dadurch Contraction der Pupille bedingt werde. Vincent
nimmt also nicht eine Lähmung eines besondem Diktator pupillae an.
Auch Rählmann und Witkowski^), welche die physiologi-
l) Ueber das Verhalten der Pupillen w&hrend des Schlafs nebst Bemerkungen
zur Innervation der Iris. Archiv für Anatomie und Physiologie. Physiol. Abth.
1S78. S. 109. — Vergl. dazu auch Sander, Ueber die Beziehung der Augen zum
waschen und schlafenden Zustand des Gehirns etc. Archiv für Psychiatrie und
Nemnkrankheiten. IX. S. 129. 1878.
Deotwhw ArchiT f. klin. Hftdloin. XXIY. Bd. 3
34 I. Erb
sehe Myose im Schlaf untersuchten^) und dieselbe durch den Weg-
fall aller das Centrum fttr die Pupillenerweiterung im wachen Zustande
treffenden centripetalen Erregungen (sensible und sensorische Beize,
psychische Erregungen etc.) zu erklären suchen, deuten an, dass das
Wegfallen dieser centripetalen, sensiblen Erregungen bei Tabes (wegen
Degeneration der hintern Wurzeln und Hinterstränge) vielleicht die
Myose bedinge.
Jedenfalls ist die Complicirtheit der hier vorliegenden Verhält-
nisse eine so grosse, dass meines Erachtens eine definitive Erklärung
noch nicht gegeben werden kann. Ja, ich glaube, dass man noch
nicht einmal mit voller Sicherheit behaupten kann, dass es sich bei
dem uns hier beschäftigenden Symptom um eine wirklich spinale
Läsion handelt, oder ob nicht dieselbe vielleicht in das verlängerte
Mark zu verlegen ist. Allerdings ist es auch mir am wahrschein-
lichsten, dass die Erkrankung des Halsmarks das wirksame bei dem
Zustandekommen desselben ist. Diese Unsicherheit wird erst durch
weitere Untersuchungen gehoben werden, kann aber die diagnostiache
Bedeutung des Symptoms bei Tabes nicht beeinträchtigen.
Eß wäre wünschenswerth, dasselbe mit einer kurzen Bezeichnung
zu versehen; der bereits eingeführte Name „spina;le Myosis'' wQrde
ungemein bequem sein, wenn nicht — wie es scheint — die Uner-
regbarkeit gegen Licht bei erhaltenen accommodativen Bewegungen
die Hauptsache wäre und wohl auch ohne Myosis vorkäme. Aber
es ist sehr schwer eine passende, kurze Bezeichnung zu finden. Ich
schlage — Besseres vorbehalten — vor, dies Phänomen mit dem
Namen „reflectorische Pupillenstarre" zu belegen, dem man
durch das Beiwort „spinale*' noch ein Zeichen seines speciellen Ur-
sprungs beifügen könnte. Dieser „ reflectorischen "^ würde die „accom-
modative Pupillenstarre" gegenüberstehen, beide vereinigt würden die
„complete Pupillenstarre ** darstellen.
Ich habe damit die Besprechung derjenigen Symptome, welche
ich zum Gegenstand genauerer Prüfung machen wollte und deren
Häufigkeit bei der Tabes zu constatiren mir wünschenswerth erschien,
beendigt; es sind ohne Zweifel die wichtigsten und constantesten
Symptome der Krankheit izu welchen eigentlich ausserdem nur noch
die Störungen der Haut- und Muskelsensibilität gehören, die hier nur
theilweise besprochen wurden).
Stellen wir dieselben nach der Häufigkeit ihres Vorkommens in
wohl entwickelten Fällen von Tabes zusammen, so erhalten wir nach-
1) Uebrigens reagiren die im Schlafe verengten Papillen in normaler Weise
auf Lichteinfall.
Tabes donatis.
35
stehende Reihenfolge: (die jedem Symptom vorgesetzten Zahlen be-
deuten in der ersten Columne die Anzahl der Fälle, in welchen das
Symptom Forgekommen, in der zweiten Columne die Zahl derer, in
welchen es vermisst wurde und in der dritten Columne den daraus
sich ergebenden Procentsatz; es ist klar, dass diese Zahlen keine
streng mathematische Gültigkeit haben können, da sie sich ja mit
jedem neu hinzukommenden Fall todem müssen; wohl aber geben
sie einen sehr klaren Ueberblick über das, um was es sich hier
handelt)
Vor- Hiebt vor- Procent-
gakomman ^kommen satx
49 0 = lOÖO/o
49
48
43
49
39
29
29
16
1 = 980/0
97,9%
3 =93,5«/o
4 =92,5«/o
810/0
8
78,40/o
13 == 69«/o
14
540/0
Ataxie — in allen Fälleo, wenn auch häufig
erst spftt auftretend und jedenfalls nicht zu den
frühesten Symptomen gehörend ; kommt nur sel-
ten bei anderen Krankheiten vor.
Fehlen der Sehnenreflexe; fast io allen
Fällen, jedenfalls schon sehr früh vorhanden ; nur
bei ganz bestimmten anderen Krankheiten.
Ermüdung und Unsicherheit der Beine;
sehr constant ; gewöhnlich auch schon früh ; aber
sehr häufig bei einer grossen Zahl von anderen
Erkrankungen.
Sehwanken beim Schliessen der Augen:
sehr constant, auch meist schon ziemlich früh;
bei anderen Krankheiten relativ selten.
Lancinirende Schmerzen fast immer vor->
banden und meist das erste und früheste Sym-
ptom ; nur sehr selten bei anderen Krankheiten.
Blasensch wache, sehr häufig und auch sehr
früh auftretend, bei anderen spinalen Erkran-
kungen nicht gerade selten.
Geschlechtsschwäche — fast ebenso häufig,
meist auch schon früh vorhanden, aber bei an-
deren Krankheiten ebenfalls nicht selten.
Analgesie, schon viel weniger häufig, aber,
wie es scheint, oft auffallend früh vorhanden;
bei anderen Krankheiten in dieser Form jeden-
falls selten. (Sensibilitätsstörungen im Allge-
meinen würden wohl mit einem erheblich höheren
Procentsatz figuriren.)
Spinale Myosis; nach meinen Beobachtungen
ziemlich häufig, nach Vincent fast constant
(920/0); wahrscheinlich nicht sehr ftrüh auftretend,
aber nur bei einer anderen Krankheit in ähn-
licher Häu^keit.
3*
36 I. Erb
Vor- Nicht« vor- Proeent-
gekommen gekommen aats ,
17 27 •» 38,7<^/o AugenmuskellähmuDgeDy nicht sehr häufig,
aber oft schon früh; bei anderen Krankheiten
ebenfalls häufig.
6 43«» 12,30/0 Sehnervenatrophie, relativ selten, dann aber
meist schon frtth; seltener bei anderen Krank-
heiten oder ganz selbständig.
' Es ergibt sich aus dieser Zusammenstellung leicht^ welclje Sym-
ptome von ganz besonderer Wichtigkeit und Bedeutung ftlr die Dia-
gnose der Tabes sind und welche weniger wichtig. Und wenn es
sich um die. Diagnose der frühesten Stadien der Tabes
handelt, werden die einzelnen Symptome von sehr verschiedenem
(rewichte sein. Man wird da solche Symptome zu unterscheiden
haben, die man als klassische, constante, nicht leicht bei anderen,
oder nur bei ganz bestimmten anderen Krankheiten vorkommende
Symptome der Tabes bezeichnen kann, und solche, welche bei dieser
allerdings auch häufig, häufig aber auch bei anderen Krankheiten
vorkommen, deren Anwesenheit also nur einen mehr oder weniger
relativen diagnostischen Werth hat.
Zu den ersteren rechne ich die lancinirenden Schmerzen,
das Fehlen der Sehnenreflexe bei erhaltener Motilität und
Ernährung der Muskeln, die Ataxie, das Schwanken beim
Schliessen der Augen, objectiv nachweisbare Sensibili-
tätsstörungen, besonders die Analgesie und Verlangsamung
der Schmerzleitung, und die spinale Myosis mit reflec-
torischer Pupillenstarre; zu den letzteren die Ermüdung
und Unsicherheit der Beine, die Blasen- und Geschlechts-
Bchwäche, die Augenmuskellähmungen und die Sehner-
venatrophie.
Findet man alle oder viele von diesen Symptomen beidammen,
so wird die Diagnose keinem Zweifel unterliegen ; je mehr von diesen
Symptomen vorhanden sind, um so sicherer wird die Diagnose ; und
wiederum werden die Symptome der ersten Gruppe eine viel grös-
sere Sicherheit bieten, als die der zweiten. Man braucht den Aus-
spruch wohl nicht für zu gewagt zu halten, dass, wenn auch nur
zwei von den Symptomen der ersten Gruppe vereinigt vorkommen,
die Diagnose der Tabes eine grosse Wahrscheinlichkeit hat. Ich
würde wenigstens, wenn typische lancinirende Schmerzen mit Fehlen
der Sehnenreflexe, oder dieses letztere mit ausgesprochener Analgesie
oder mit spinaler Myosis vorhanden wären, jedenfalls sehr emstiich
an Tabes denken; gesellt sich noch ein 3. und 4. Symptom der
Tabes donalis. 37
ersten oder selbst der zweiten Gruppe hinzu, so wird die Diagnose
natllrlieb zunehmend sicherer und beim Vorhandensein eines oder
einiger Symptome der ersten Gruppe müssen natttrlich diejenigen
der zweiten Gruppe, wenn auch an sich noch so irrelevant, eine sehr
erhöhte Bedeutung gewinnen. Bestehen einmal lancinirende Schmer- .
zen und Fehlen der Sehnenreflexe oder dergleichen, so wird eine
leichte Blasenschwäche oder Augenmuskellähmnng, oder auffallendes
Ermttdungsgefflbl natürlich gleich von grösserer Bedeutung sein. Man
hat ja auch neuerdings wiederholt schon aus dem Vorhandensein
Yon Sehnervenatrophie mit Fehlen der Sehnenreflexe und lanciniren-
den Schmerzen die Diagnose auf beginnende Tabes mit Wahrschein-
lichkeit gestellt, und, wie ich glaube, mit Recht (s. die betreffenden
Fälle in der Arbeit von Westphal, den Fall von Schmidt-Bimp-
1er 1) und den Fall von Buzzard^j.
Auf Grund dieser Erwägungen halte ich die im Folgenden kurz
mitzutheilenden 7 Fälle für solche von beginnender Tabes ; ich werde
sie mit kurzen epikritischen Bemerkungen begleiten.
46. 22. Mai 1878. Eanfnuum, 45 Jahre alt.
Dauer \ 14 Jahre.
Aeiioiogie: 1862 Syphilis. Mehrere Jahre später eine etwas verdäch-
tige Leberaffection, die anter Jodkaligebrauch verschwand.
Initialer scheinungen \ Seit 1864 deutliche, lancinirendeSohmer-
zen, in ganz typischen, zeitweise sehr heftigen Anfällen; neuerdings An-
deutung von Blasenschwäche; sonst keine subjectiven Beschwerden,
ausser etwas Abgeschlagenheit der Glieder.
Status: Reine Spur von Ataxie oder sonstiger Motilitätsstörung ; keine
Atrophie ; grobe Kraft vorzüglich. Tastempfindung normal ; keine Parästhe-
sien; dabei aber ausgesprochene Analgesie an den Beinen. Kein
Schwanken beim Schliessen der Augen. — Hautreflexe erhalten; Patellar-
sehnenreflex rechts erloschen, links erhalten, aber schwach.
Andeutung von Blasenschwäche; Geschlechtsschwäche. Augen
normal; keine spinale Myosis, Lichtreaction gut.
Patient wird zur Kur nach Aachen geschickt. Gebraucht dort 50 Ein-
reibungen k 5,0 Grm. Ungt. cinereum. Am 22. November 1878 Befund:
Erhebliche Besserung; Patient fflhlt sich viel kräftiger und leichter; die
Schmerzanfälle sind viel seltener und schwächer geworden. Objectiv hat
sich nichts geändert; vielleicht der Patellarsehnenreflex links etwas lebhafter
wie frflher; rechts fehlt er noch immer.
In diesem Falle sprechen die vorhandenen Symptome: lancini-
rende Schmerzen, ausgesprochene Analgesie, Fehlen resp. Vermin-
1) Progressive Sehnervenatrophie und Fehlen des Knieph&nomens. Klinische
Monatsbl&tter fttr Angenh. Juni 1878. S. 265.
2) On a prolonged first stage of tabes dorsalis. Brain. Part. II. p. 168. 1878.
38 I- £rb.
derang der Sehnenreflexei Andeutung von Blasen- und Geschlechts-
schwäcbe wohl sehr eindringlich fttr beginnende Tabes. Bemerkens-
werth ist das einseitige Fehlen des Patellarsehnenreflexes, das
auch von Westphal und Senator schon erwähnt ist. Beachtens-
werth ist auch der Erfolg der Aachener Kur. Der weitere Verlauf
bleibt abzuwarten.
47. 1. Jnni 1878. Weinhändler, 30 Jahre alt.
Dauer \ 7 Jahre.
Aetiologie: 1866 Syphilis. Seitdem ganz gesund, hat gesunde Kinder.
Initiaierscheinungen: Seit 1871 heftige lancinirende Schmer-
zen. 1873 etwas Schwäche und Unsicherheit der Beine. Keine Blasen-
oder Geschlechtsschwäche.
Status: Keine Spur von Ataxie; ungewöhnliche Muskelkraft. Sensi-
bilität der Füsse etwas abgestumpft (?) ; geringgradige Analgesie.
Kein Schwanken bei geschlossenen Augen. — Plantarreflex sehr lebhaft;
Cremasterreflex deutlich; Abdominalreflex fehlt. Sehnenreflexe feh-
len; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Blase normal.
Augen gaoz normal. Ebenso Hirnnerven, Arme, Wirbelsäule.
In diesem Falle bilden lancinirende Schmerzen, leichte Analgesie
und Fehlen der Sehnenreflexe die verdächtige Symptomentrias. Eine
Kur in Wildbad bekam schlecht ; die verordnete antiluetische Behand-
lung wurde nicht ausgeführt.
48. 30. Juli 1878. Eisenbahninspector, 48 Jahre alt.
Dauer: 4 Jahre.
Aetiologie'- 1863 harter Schanker; angeblich keine weiteren Symptome ;
wurde mit Jod und Quecksilber damals behandelt.
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Seit einiger
Zeit etwas Ermüdung. Keine Angenstörangen, keine Parästhesien.
Status : Keine Ataxie ; grobe Kraft sehr gut. Tastempfindung normal ;
^ber deutliche Analgesie. Leichtes Schwanken beimSchlies-
sender Augen. — Plantar-, Cremaster- und Abdominalreflex sehr lebhaft.
Patellarsehnenreflex rechts fehlend, links sehr schwach.
Andeutung von Blasenschwäche. — Augen normal; ebenso Kopf, Arme,
Wirbelsäule.
Auch hier haben wir wieder das einseitige Fehlen der Sehnen-
reflexe; daneben lancinirende Schmerzen, Analgesie, Schwanken beim
Schliessen der Augen, Ermüdung der Beine und etwas Blasenschwäche ;
es scheint mir danach kaum zweifelhaft, dass ein Fall von beginnen-
der Tabes vorliegt
49. 30. März 1878. Officier a. D., 46 Jahre alt.
Dauer: 12 Jahre.
Aetiologie: Nichts notirt
Tabes donalia. 39
Ifutiaierscheinungm: Lancinirende Schmerzen. Seit 2V2 J^h-
ren Atrophie derSehnerven, mit Gesichtsfeldbeachr&ikung, ohne Far-
benstöriing.
Status: Keine Spur von Ataxie, Ermfldnog oder Schwäche. Taat«
empOndong ganz normal; ganz leichte Analgesie an den Füssen. Kein
Schwanken beim Schliessen der Augen. Hautreflexe erhalten. Sehnen-
reflexe erloschen. Augen wie oben. Sonst Alles normal.
Drei wichtige Symptome: lancinirende Schmerzen 1 Sehnerven-
atrophie und Fehlen der Sehnenreflexe sind hier vereinigt, um die
Diagnose beginnender Tabes wahrscheinlich zu machen ; die — aller-
dings unbedeutende — Analgesie dient zur Bestätigung.
Der Fall ist ausserdem dadurch interessant, dass die Augen
durch galvanische Behandlung entschieden und auffal-
lend gebessert wurden (Zunahme der Sehschärfe und Ausdeh-
nung des Gesichtsfeldes).
&0. 29. Juli 1878. Ingenieur, 34 Jahre alt.
Bauer: 1 — 2 Jahre.
Aetiologie: 1873 Syphilis. 1874 Recidiv derselben. Kur in Aachen.
Initialerscheinungen: Nie lancinirende Schmerzen. — Müdigkeit
und etwas Schlafsucht; leichte Blasenseh wache und Verminde-
rung der Potenz. Seit 2 — 3 Monaten Augenmuskelparesen (der
iDtemi und der Recti superiores, von den Ophthalmologen verschieden ge-
deutet). — Unsicherheit beim Treppensteigen; Andeutung von Oürtel-
gefQhl.
Status : Keine deutliche Ataxie ; grobe Kraft gut. Hautsensibiiität voli-
kommen normal; keine Spur von Analgesie. Leichtes Schwanken
beim Angenschluss. Hantreflexe sehr lebhaft. Sehnenreflexe feh-
leo; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. Leichte Bla-
senscbwäche. Augenmuskelparesen links. Optici und Pupillen
noraial. — Arme, Kopf, Wirbelsäule normal.
In diesem Falle mag die Diagnose schon eher etwas unsicher
sein; von den gewichtigen Symptomen der ersten Gruppe sind nur
zwei : das Fehlen der Sehnenreflexe und das Schwanken beim Schlies^
sen der Augen vorhanden ; dieselben erhalten aber durch die grosse
Anzahl der Symptome der zweiten Gruppe: Augenmuskelparesen,
Müdigkeit und Unsicherheit der Beine, Blasen- und Geschlechts-
8chw&ehe immerhin eine solche Stütze, dass ich auch in diesem Falle
die Diagnose: »beginnende Tabes" für gerechtfertigt halte. — Der
weitere Verlauf wird darüber Aufschluss und Entscheidung brin-
gen. Die Beziehungen zur Syphilis drängen sich natürlich auf. Der
Kranke befindet sich gegenwärtig (November — Deoember) zur Kur
in Aachen.
40 I. Erb
&1. 4. JaU 1877. Fabrikant, 41 Jahre alt.
Dauer \ 5 — 6 Jahre.
Aetiologie: Vor 20 Jahren Syphilis. Reine hereditäre Belastung.
Angestrengtes Velocipedereiten als Ursache beschnldigt.
IniticUerschemungeni Lancinirende Schmerzen in der unteren
Körperhälfte. Seit V^ Jahr Blasen seh wache. Beiderseitig leichte
Ptosis, manchmal Diplopie. Kein Gflrtelgeftthl, keine Unsicherheit im
Dankein.
Status: Keine Ataxie. Kraft und Behendigkeit der Beine ganz normal.
Schmerzempfindung etwas abgestumpft und verlangsamt an
den Beinen. Kein Schwanken beim Augenschluss. Plantar- und Cremaster-
reflex erhalten; Abdominalreflex fehlt. Patellarsehnenreflex sehr
schwach. — Geringe Blasenschwäche. Leichte Ptosis, be-
sonders rechts; Augenbewegungen sonst normal; Sehschärfe gut. Arme,
Kopf und Wirbelsäule normal.
Ob hier die Diagnose wohl erlaubt ist? Lancinirende Schmerzen,
Augenmuskelparesen, Analgesie und leichte Blasenschwäche sind vor-
handen, die Sehnenreflexe sind nur herabgesetzt. Auch hier kann
wohl nur der weitere Verlauf definitive Entscheidung bringen.
52. 19. Juni 1878. Buchhändler, 32 Jahre alt
Dauer i 7 Jahre.
Aetiologie: 1865 Syphilis; später keine Spur mehr davon; hat gesunde
Kinder.
Tnitialerscheinungen: Parästhesien, Kitzel etc. der Beine; sehr
geringe faradocutane Sensibilität (schon 1875 von mir constatlrt). Später
etwas Unsicherheit beim Besteigen von Leitern und Treppen; rascheres
Ermüden beim Stehen. Selten lancinirende Schmerzen geringen
Grades. Keine Blasen- oder Geschlechtsschwäche. Kein Doppelsehen.
Status: Andeutung von Ataxie; grobe Kraft vorzüglich, kann
grosse Bergtouren machen. Hautsensibilität normal bis auf ausgespro-
chene Analgesie und Herabsetzung der faradocutanen Sen-
sibilität. Muskelgeftthl normal ; leichtes Schwanken beim Augen-
schluss. Hautreflexe sehr lebhaft. Sehnenreflexe fehlen; mechanische
Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. — Blasen- und Geschlechtsfunction
normal. Ausgesprochene spinale Myosis; Augen sonst normal. —
Hirn und Himnerven, Arme, Wirbelsäule normal.
Dieser Fall ist gewiss in hohem Grade interessant; während der
Kranke nur unbedeutende subjective Beschwerden hat, da die lanci-
nirenden Schmerzen nur sehr unbedeutend sind, und während er eine
bedeutende motorische Leistungsfähigkeit entwickelt und durchaus
den Eindruck eines robusten, kerngesunden Menschen macht, ent-
hüllt die genaue objective Untersuchung als Supplement zu den un-
bedeutenden subjectiven Symptomen (die sich eigentlich auf leichte
Parästhesien und etwas Unsicherheit der Beine reduciren) eine ganze
Reihe bedeutungsvoller und schwerer Symptome, die mir wenigstens
Tabes donalis. 41
die Diagnose einer beginnenden Tabes kaum mehr zweifelhaft er-
seheinen lassen : Fehlen der Sehnenreflexe, ausgesprochene
Analgesie, beginnende Ataxie, leichtes Schwanken beim
Ängenschlass und spinale Myosis, Welcher Gegensatz z. B.
zu der Nearasthenia spinalis, bei welcher die subjectiven Beschwer-
den oft viel erheblichere sind! Der Werth der genauen objectiven
Untersuchung tritt an solchen Fällen besonders prägnant hervor. —
Aach hier mag auf die Beziehungen zur Syphilis hingewiesen werden.
Die Berechtigung, alle diese Fälle vorläufig einmal zur Tabes zu
stellen, kann wohl nicht geläugnet werden. Aber so absolut sicher
ist denn die Sache doch noch nicht; und erst wenn sich im weiteren
Verlauf die Richtigkeit der Diagnose bestätigen wird, kann man in
Zukunft solche frühe Diagnosen mit grösserer Sicherheit stellen. Bis
jetzt kann man nur sagen, dass dies Fälle sind, welche einige —
allerdings besonders wichtige und bezeichnende — Symptome der
Tabes darbieten, aber bei dem jetzigen Stand unserer Erfahrungen
noch nicht mit voller Sicherheit dazu gerechnet werden dürfen. Es
könnte sich ja auch herausstellen , dass diese Fälle ganz stationär
bleiben, oder wieder heilen, oder dass sie eine ungewöhnliche Form
der Syphilislocalisation sind (und die Thatsache, dass bei allen diesen
Fallen — mit nur einer zweifelhaften Ausnahme — Syphilis voraus-
ging, gibt gewiss zu denken) u. dgl. mehr.
Allerdings halte ich es kaum für zweifelhaft, dass alle die vor-
stehend mitgetheilten Fälle wirklich zur Tabes gehören und ich
glaube, dass es mit Hülfen der kritischen Beurtheilung der einzelnen
Symptome, für welche ich oben einige Grundlagen zu liefern ver-
sacht habe, in zahlreichen Fällen möglich sein wird, die Tabes schon
in ihren ersten Anfängen zu erkennen und dadurch einer etwas er-
folgreicheren Therapie, als der bisherigen, die Wege zu bahnen.
In Bezug auf die Aetiologie der Tabes ergeben sich aus
meinen Beobachtungen nur wenig Anhaltspunkte, und ich hebe dess-
halb nur einen Punkt hervor, auf welchen ich in der neueren Zeit
mehr geachtet habe, da er mir von ausserordentlicher Wichtigkeit zu
sein scheint und bei uns in Deutschland — wie ich glaube — zu
wenig berücksichtigt wird.
Es ist dies die Syphilis in der Vorgeschichte der Tabes-
kranken. Dieselbe wird fast ausschliesslich von französischen
Autoren hervorgehoben und in ihrer Wichtigkeit betont. Besonders
ist es Fournier^, der mit grosser Entschiedenheit und mit Grün-
1) De Fataxie locomotrice d^origine syphilitiqae. Paris 1876.
42 L £rb
den, deren grosse Bedeutung durchaus nicht zu verkennen ist, dafür
plaidirt; dasses eine wirkliehe syphilitische Tabes gebe,
dass die Hinterstrangsklerose eine der möglichen Localisationen der
Syphilis sei, und dass ein solcher Zusammenhang sehr häufig vor-
komme. Er stfltzt diesen Satz hauptsächlich auf das statistisch nach-
weisbar häufige Vorkommen von Tabes bei frtther Syphilitischen;
er selbst fand unter 30 Tabischen nicht weniger als 24 mit voraus-
gegangener Syphilis. Es wäre wttnschenswerth gewesen, nachzu-
weisen, dass im Uebrigen die Syphilis unter der männlichen Pariser
Bevölkerung nicht annähernd in dieser Häufigkeit vorkomme; ein
Nachweis y der wohl nicht allzu schwierig gewesen wäre.
Nach Fournier hat die syphilitische Tabes allerdings weder
in ihren Symptomen, noch in ihrer anatomischen Beschaffenheit etwas
Specifischesi wenigstens ist dasselbe bis jetzt nicht bekannt; das ist
aber auch gar nicht nöthig. — Auch sei von der antisyphilitischen
Behandlung nicht immer Erfolg zu erwarten; in einzelnen Fällen
aber sei sie von entschiedenem Nutzen. Daher sei es eine dringende
Indication, in allen Fällen, in welchen ein solcher Zusammenhang
nachweisbar ist, eine specifische Behandlung einzuleiten. —
Orasset^) schliesst sich der Meinung Fournier's durchaus an.
— Vulpian^) hält ebenfalls die Syphilis für eins der Gausalmo-
mente ersten Ranges bei der Tabes; mindestens 15 unter 20 Kran-
ken seien frtther syphilitisch und die meisten davon ungenügend
behandelt gewesen.
Zu diesen Aussprüchen stehen die Kundgebungen der neuesten
deutschen Autoren über diesen Punkt in einem bemerkenswerthen
Gegensatz; während Eisenmann 3) „keinen exact beobachteten Fall
von Bewegungsataxie kennt, wo die Syphilis als Ursache nachge-
wiesen wäre**; während dagegen E. Schulze^) auf Grund seiner,
unter Griesinger gesammelten Erfahrungen „die Syphilis in eine
gewisse ätiologische Verbindung mit Tabes bringen möchte % finden
wir bei Gy on ^} die Angabe, es sei möglich, dass Syphilis die Tabes
verursache ; er hält es aber für praktischer und bequemer, die nach
Syphilis auftretende Tabes einfach als durch Excesse in venere ent-
standen anzusehen; eine eigenthfimliche Logik! — Bei Leyden^)
1) Malad, du syst nerv. I. t878.
2) LeQODB BOT les malad, du syst nerv. 1878.
3) Die Bewegungsataxie. 1863.
4) Ueber die Aetiologie der Tabes dorsalis. Dissert. Berlin 1867.
5) Zur Lehre von der Tabes dorsalis. 1867.
6) Klinik der Bückenmarkskrankheiten. IL
Tabes donalis. 43
iBt die ganze Frage mit der Bemerkung abgethan : „ Syphilis ist wohl
angegeben, aber nicht genOgend begründet ^ und Eul en bürg ^) gibt
in seinem jflngst erschienenen Lehrbuch an, dass unter 149 Fällen
eigner Beobachtung ein einziger ( ! ) gewesen sei, in welchem die con-
stitutionelle Syphilis als Ursache wahrscheinlich gewesen sei;
sonst erwähnt er die Syphilis gar nicht. Auch in der Klinik der
Nervenkrankheiten von M. Rosenthal (2. Aufl. 1875) und in dem
Aufsätze von Wunderlich »Ober die Syphilis des centralen Nerven-
systems * (in V ol k m an n 's Sammlung klinischer Vorträge) ist von einer
.syphilitischen'' Tabes keine Rede. In seiner Arbeit über die Syphi-
lis des Nervensystems beschränkt sich Heu bn er 2) einerseits auf die
Bemerkung, dass beweisende Fälle von syphilitischer Degeneration der
Hinterstränge nicht bekannt seien, andererseits gibt er an, dass im Ge-
folge von primär syphilitischen Herden im Rückenmark durch secun-
dftre Degeneration der Hinterstränge verschiedene Erscheinungen der
Tabes zurückbleiben könnten. Ich selbst habe in meinem Hand-
buch 3) unter Referirung der oben mitgetheilten Angaben die grosse
Wichtigkeit der Frage ausdrücklich betont.
lieber die Ansichten der englischen Autoren habe ich mich im
Augenblick nicht genügend informiren können. Hammond^) er-
wähnt die Syphilis unter den Ursachen der Tabes als ^ wahrschein-
lich in V^o der Fälle", Althaus ^) in seiner neuesten Publication
gar nicht. Hutchinson (1. c.) dagegen spricht wiederholt von
9 syphilitischer Ataxie*.
Niemand wird leugnen wollen, dass die Frage von dem ätiolo-
gischen Zusammenhang der Tabes mit voraufgegangener Syphilis von
einschneidender Bedeutung ist und dass es bei der vorhandenen
Divergenz der Meinungen dringend geboten erscheint, die Frage zur
Discttssion zu stellen und einer ernsthaften Untersuchung zu unter-
ziehen. Nur als eine Anregung dazu möchten die nachfolgtoden
Bemerkungen betrachtet sein!
Meine eignen Beobachtungen enthalten 33 mal ®) Angaben über
1) Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 2. Aufl. 1878.
2) V. Ziemsaen's Handbuch. Bd. XI. 1. 2. Aufl. 1878.
ä) Ebenda. Bd. XI. 2. 2. Aufl. 1878.
4) Diseases of the nervous System. 6. Aufl. 1876. p. 595.
5) Diseases of the neryons System. 1877.
6) Dazu kamen neuerdings noch 13 weitere Fälle; nur bei zweien derselben
war keine Syphilis vorhanden; bei 9 Fällen war dieselbe vorausgosangen und in
2 Fällen (Frauen) war eine Infection wahrscheinlich, da die Ehemänner syphilitisch
waren. Nach Ausschluss dieser beiden würden unter 44 Fällen 27 mit voraus-
gegangener Syphilis sein.
44 I. Erb
früher Vorhandene Syphilis, darunter wird 15 mal das Vorhandensein
derselben verneint, dagegen 18 mal zugegeben; darunter sind aller-
dings 4 Fälle, in welchen die Kranken angaben, vor vielen Jahren
einen Schanker (ob wirklich einen „ harten^ Schanker, war nicht
immer sicher zu ermitteln) gehabt zu haben, dass sie aber später
von secundären Symptomen verschont geblieben seien.
Es wäre das also mehr als die Hälfte aller Tabeskranken : eine
Zahl, die — wenn sie auch immerhin noch hinter den Angaben
anderer Beobachter zurückbleibt — doch im höchsten Grade zu be-
achten ist. Es ist wohl nicht anzunehmen, dass unter den Männern
mehr als die Hälfte überhaupt syphilitisch ist, es muss also wohl
eine gewisse causale Beziehung zwischen der Syphilis und der nach-
folgenden Tabes angenommen werden. Es ist bisher noch Niemand
eingefallen, diesem Zusammenhange auf anatomischem Wege nachzu-
gehen und wir sind auf blosse Vermuthungen über die Art und Weise
dieses Zusammenhangs beschränkt. Ob die Syphilis nur zur Tabes
prädisponirt, oder ob die Hinterstrangsklerose wirklich eine Loeali-
sation der Syphilis, ob sie in gewissen Fällen eine spedfisch luetische
Erkrankung ist, wer vermag das jetzt mit Bestimmtheit zu sagen?
Für jetzt halte ich es für eine sehr dringende Aufgabe, diesem
Zusammenhang zunächst auf klinischem Wege etwas sorgfältiger nach-
zugehen, alle möglichen Details zu erforschen, um etwas mehr Klar-
heit in diese überaus wichtige Sache zu bringen. Denn, wenn auch
auf der einen Seite sich ein ganz erschreckender Einblick in die
destruirende Thätigkeit dieser Seuche eröffnet, gegen deren weitere
Ausbreitung noch immer unverantwortlich wenig geschieht, so würde
doch auf der andern Seite der bestimmte Nachweis des syphilitischen
Ursprungs der Tabes einer grossen Zahl von Kranken — vielleicht
mehr als der Hälfte der Tabeskranken! — eine neue und grosse
Chance der Bettung vor dieser trübseligen Krankheit bieten. Denn
man dürfte doch wohl hoffen, durch eine energische antisyphilitische
Behandlung der früheren Stadien — und diese sind ja jetzt, wie wir
oben gesehen haben, der Diagnose recht wohl zugänglich — das
Weiterschreiten der Krankheit zu verhüten und dieselbe vielleicht
in einzelnen Fällen ganz zur Heilung zu bringen. Und das wäre
angesichts der sehr spärlichen Erfolge unserer jetzigen Tabesbehand-
lung doch schon ein recht erheblicher Gewinn.
Leider muss ich gestehen, dass ieh erst bei der Bearbeitung des
Gegenstandes sehe, wie dürftig die Ergebnisse meiner eignen Beob-
achtungen bis jetzt sind; was ich aus denselben entnehmen kann,
ist etwa Folgendes:
Tabes dorsalis. 45
lieber die Zeit des Auftretens der ersten tabischen Symptome
nach stattgehabter Infection habe ich Notizen in 17 Fällen, in wel-
chen sich die betreffenden Angaben zwischen 2 und 14 Jahren be-
wegen: 5 mal innerhalb 2—5 Jahren, 8 mal zwischen 6 — 10 Jahren
und 4mal von 11 — 14 Jahren. Jedenfalls Tergeht also in weitaus
den meisten Fällen eine längere Reihe von Jahren, ehe die ersten
Erscheinungen der Tabes auf die Syphilis folgen; und nicht selten
dauert es dann noch eine weitere Reihe von Jahren, bis sich die
Krankheit in deutlicherer Weise manifestirt
lieber die Intensität, Dauer, Recidive der vorausgegangenen syphi-
litischen Affectionen ist meist sehr wenig zu ermitteln; in der Mehr-
zahl meiner Fälle waren nur spärliche, nicht selten angeblich gar
keine secundären Symptome vorhanden gewesen ; bei den Kindern
meiner Kranken (es sind 7 Fälle notirt) scheint hereditäre Lues nicht
vorgekommen zu sein; nur in ganz einzelnen Fällen waren Recidive
der Syphilis vorgekommen. Im Ganzen also scheint es sich eher um
leichte Infectionen gehandelt zu haben, resp. um eine mehr oder
weniger gründliche Beseitigung derselben durch die Therapie.
Von noch bestehenden Zeichen der Syphilis war in der Regel
gar nichts zu entdecken. In einzelnen Fällen waren wohl Schanker-
narben, mehrmals pigmentirte Hautnarben an den Unterschenkeln,
kldne Drüsenschwellungen, in zwei Fällen verdächtige Rhagaden an
der Zunge nachzuweisen, sonst aber war das Suchen nach decidirten
secundären oder tertiären Symptomen der Syphilis immer erfolglos.
Von besonderem Interesse wäre es natürlich gewesen zu ermitteln,
ob die Tabes bei Syphilitischen sich durch besondere Symptome, oder
eine besondere Oruppirung oder Aufeinanderfolge der Symptome,
durch überwiegende Häufigkeit einzelner Erscheinungen u. dgl. aus-
zeichne. Das scheint entschieden nicht der Fall zu sein. Ich habe
ein Dutzend „ syphilitischer " Fälle und ein Dutzend nichtsyphilitischer
Fälle von Tabes tabellarisch zusammengestellt und in der procenti-
Bchen Häufigkeit der einzelnen Symptome beider Reihen keinen be-
merkenswerthen Unterschied finden können. Doch ist allerdings die
Zahl dieser Beobachtungen für diesen Zweck noch viel zu klein.
Jedenfalls aber gibt es kein der „syphilitischen" Tabes ausschliesslich
eigenthfimliches Symptom, so wenig wie es ein solches für die ander-
weitig verursachte Tabes gibt.
Auch von therapeutischen Erfolgen habe ich bis jetzt wenig zu
berichten, da meine Versuche mit antiluetischer Behandlung erst
neueren Datums sind. Aus früherer Zeit ist mir ein ziemlich schwerer
Fall bekannt, der allen gewöhnlichen Hülfsmitteln (Galvanisiren,
46 L £rb
EjdtwasBerkuTy Nauheim, Arg. nitr.) trotzte und durch eine Schmier-
kur zum Stillatand gebracht wurde, so dass der Mann jetzt seit Jahren
wieder seinem Geschäft nachgeht. In Fall 46. ist die Schmierkur
in Aachen von bestem Erfolg gewesen ; Aehnliches habe ich in Fall 9
erlebt In den Fällen 7 und 23 scheint eine früher gebrauchte Bg*
Kur ohne Erfolg gewesen zu sein, lieber weitere, jetzt noch in Be-
handlung stehende Fälle kann ich erst später berichten.
Wie man sieht, sind die Ergebnisse dieser , EnquSte " bis jetzt noch
sehr dürftig ; aber auch bei dem heutigen mangelhaften Stand unserer
Kenntnisse ergibt sich wohl schon die Nothwendigkeit, aufs Ernsteste
zu erwägen, welche Maassregeln zu ergreifen seien, wenn sich her-
ausstellt, dass bei einem Tabischen Syphilis vorausgegangen ist, auch
wenn ein directer Zusammenhang sich nicht positiv nachwräien lässt
Diese Erwägungen sind angesichts der eingreifenden antiluetischen
Kuren, welche erforderlich, angesichts der Rücksichten die zu nehmen,
der äusseren Verhältnisse, die häufig zu überwinden sind, ausser-
ordentlich schwierig.
Folgende Sätze dürften dabei Berücksichtigung finden:
Die Tabes ist eine in den meisten Fällen unheilbare Krankheit ;
selbst ihr Fortschreiten können wir mit unseren gewöhnlichen Hülfs-
mitteln nicht mit Sicherheit aufhalten ; ihre Prognose ist also in der
Begel eine sehr traurige.
Die Syphilis ist einer energischen Behandlung sehr wohl zugäng-
lich und selbst ihre späteren und schwereren Localisationen, besonders
auch im centralen Nervensystem können in vielen Fällen geheilt
werden.
Eine vorsichtig und sorgfältig geleitete, wenn auch energische
antiluetische Behandlung pflegt im Organismus keinen bleibenden
Schaden zu hinterlassen.
Ob eine solche Behandlung, bei der nöthigen Vorsicht, eine
Verschlimmerung einer nicht syphilitischen oder syphilitischen
Tabes herbeiführen kann, wäre erst noch nachzuweisen.
Sollte die Tabes auch nicht direct specifischer Natur sein, so
würde doch unzweifelhaft die Syphilis als prädisponirendes Moment
in vielen Fällen anzuerkennen sein; und es ist gewiss anzunehmen
dass mit der Beseitigung dieses prädisponirenden Momentes sich
wenigstens die Bedingungen für das Fortschreiten der Krankheit,
für die Entstehuug von Nachschüben, entfernen liessen.
Aus diesen Erwägungen scheint mir doch unzweifelhaft der all-
gemeine, von Fournier ausgesprochene Satz hervorzugehen, dass
überall da, wo sich in der Vorgeschichte der Tabes Sy-
Tabes donalis. 47
philis. nachweisen lässt, eine energische antisyphili-
tische Behandlung zu versuchen ist, und zwar je früher
desto besser. Freilich ist dabei auf die Individualität des Kranken,
auf die flbrigen ätiologischen Momente, auf Dauer und Verlauf der
Krankheit, auf vorausgegangene Euren, auf die äussern Verhältnisse
XL s. w. gebührende Bficksicht zu nehmen.
Besonders dringend indicirt erscheint mir ein solches Vorgehen
in den Fällen, wo ein rascher, pemiciöser Verlauf der Krankheit zu
erkennen ist, besonders da, wo die Weiterentwicklung einzelner Er-
scheinungen eine schwere Schädigung des Kranken herbeizuführen
droht, so z. B. bei beginnender und fortschreitender Sehnerven-
atrophie. Ich denke, dass man — um der sonst fast unvermeidlichen
Gefahr des völligen Erblindens vorzubeugen — noch weit energischere
Mittel, als eine Schmier- oder Jodkaliumkur anwenden durfte und
daas man zu dieser jedenfalls die Zustimmung der Kranken leicht
erh&ngen wird.
üeber die Methoden der antiluetischen Behandlung in solchen
F&Uen mich weiter auszulassen, kann nicht meine Absieht sein.
Am meisten dürfte sich eine energische und con^equente Schmierkur
empfehlen (4—5 Gramm täglich, Bäder, Aachen etc.); daneben oder
darnach ein Versuch mit Jodkalium, aber in hinreichend grossen
Gaben, so weit, sie ertragen werden. — Besondere Umstände werden
wohl auch gelegentlich die innere Anwendung des Quecksilbers for-
dern können.
Unter allen Umständen aber scheint es mir dringend geboten,
dieser Frage allseitig eine grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden
und sie durch sorgfältige klinische Beobachtungen und ausgedehnte
therapeutische Versuche ihrer baldigen Lösung entgegenzuftthren.
Zum Schluss will ich noch einige Fälle kurz mittheilen, welche
die im Ganzen sehr seltenen Gomplicationen mit Lähmung
oder Atrophie darbieten.
Der eilte von diesen Fällen (Nr. 55) bietet mehrseitiges Interesse,
einmal durch das ätiologische Moment, indem wahrscheinlich Diph-
theritis vorausging, dann durch die ausserordentliche Raschheit der
Entwicklung des vollen Krankheitsbildes, und noch mehr durch die
rasche Heilung^ so dass wir diesem Fall eine ganz exceptionelle
Stellung anweisen mttssra.
58. 4. Juli 1878. Lehrer, 45 Jahr alt.
Dauer: Mehrere Jahre.
Äetiologie : Unbekannt. — Nie Syphilis. — Am linken Unterschenkel
48 I. Ebb
hochgradige Atrophie und Verkürzung, mit Klumpfuss, auB der frflhesten
Kindheit stammend (spinale Kinderlähmung?).
Initialerscheinungen: Blasen- und Mastdarmschwäche. — Selten lan-
cinirende Schmerzen. — Schwäche und Unsicherheit der Beine. — Par-
ästhesien, Gttrtelgeftthl. — Flüchtiges Doppelsehen.
Status: Deutliche Ataxicim Gehen und Liegen; dabei hochgra-
dige Parese der Beine, besonders des rechten (seither ganz gesunden),
des linken in geringerem Grade. Hautsensibilität abgestumpft;
deutliche Analgesie und Verlangsamung der Schmerzleitung.
— Abnahme des Muskelgefühls; Schwanken beim Augenschlnss.
— Hautreflexe sehr lebhaft, besonders die Plantarreflexe. Sehnenre-
flexe fehlen; mechanische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. —
Blasenschwäche. — Ausgesprochne spinale Myosis; sonst keine
Augenmuskelstörung. Keine Sehnerv^natrophie. — Psyche, Hirnnerven,
Arme, Wirbelsäule ganz normal. — Im weiteren Verlauf anfangs deutliche
Besserung, später wieder Verschlimmerung, so dass Mitte November v o 1 1-
ständige Paralyse beider Beine constatirt wurde^ mit hochgradiger
Abmagerung derselben (aber keine degenerative Atrophie). Im Uebrigen
Alles unverändert.
Es wäre gewiss im höchsten Grade interessant, das Rückenmark
in diesem Falle zu untersuchen, wo sich zu dem von Jugend auf
bestehenden Spinalleiden später der Tabesprocess hinzugesellt und
sich überdies mit der ganz ungewöhnlichen Erscheinung motorischer
Paralyse complicirt Dass es sich hier nicht um die locale Ausbrei-
tung eines Erkrankungsherds im Lendentheil handelt, geht wohl
daraus hervor, dass die Augenmuskeln (Doppelsehen, spinale Myosis)
an der Affection Theil nehmen; es handelt sich gewiss um den ge-
wöhnlichen Tabesprocess, aber complicirt mit motorischen Störungen.
Das Gleiche ist wohl im folgenden Fall anzunehmen.
54. 31. October 1877. Frau von 38 Jahren.
Dauer: 3 — 4 Jahre.
Aetiologie: Unbekannt
Initialerscheinungen: Lancinirende Schmerzen. Seit IV2 Jahr:
Müdigkeit und Schwere der Beine; später rasch zunehmende
Schwäche und Parese derselben. Anästhesie der Beine, ohne
Blasenschwäche. — Vor 2 Monaten durch Ueberanstrengung bedeutende
Verschlimmerung: hochgradige Schwäche, Pelzigsein, Gttrtelgeftthl, Blasen-
schwäche; Anfälle von Dyspnoe, Kopfschmerz und Schwindel,
vorflbergehende Erschwerung der Sprache.
Status: Hochgradige Ataxie der Beine, so dass selbst Stehen
nur mit Unterstützung möglich ist. — Dazu ausgesprochene Parese
der Beine, die nur mit Anstrengung von der Unterlage erhoben werden.
Ausgesprochene Anästhesie fttr Tasteindrttcke; dagegen Hyper-
ästhesie und Verlangsamung der Leitung fttr Schmerzein-
drttcke (um 2—3 Secunden! sehr lange Nachdauer der Empfindung). —
Muskelsensibilität hochgradig herabgesetzt. Sehnenreflexe
Tabes doraalia. 49
fehleo; keine Spur von MoakelBiMuinniigeD. — Btwas Biaseiischwäche.
-> Anne frei; Fingerspiteen maDchmal etwas pelzig. Kopf und Hirn-
oer?en und Wirbelsäule normal.
Alle wesentlichen Symptome der Tabes sind hier Torhanden;
aber die weiterhin nachweisbaren Störungen (Parese, Kopfschmerz
und Schwindel, Sprachstörung) lassen es doch zweifelhaft erscheineui
ob es sich hier nur um eine gewöhnliche Tabes mit Complicationen,
oder nicht vielmehr um eine beginnende multiple Sklerose handelt;
das letztere ist mir fast wahrscheinlicher. Es ist gut, in solchen
Fällen mit der Diagnose etwas vorsichtig zu sein.
&&• 4. MSrz 1878. Bauer, 22 Jahre alt.
* Dauer', V4 Jshr.
Aetiologie: Patient machte Mitte Dezember 1877 eine acute An-
gina durch, von der leider nicht festgestellt werden konnte, ob sie eine
diphtheritiache war. — Ende Dezember will er sich bei anstrengender Eis*
arbeit stark erkältet haben.
Iniiiaierscheimmgen: Mitte Januar 1878 alimAhllch zunehmende
Schwache und Müdigkeit der Beine, Parästhesien in Beinen
üod Händen. — Keine Schmerzen. — Keine cephaliscben Symptome.
Status: Deutliche Ataxie der Beine; grobe Kraft gut; keine
Atrophie, keine Mnskelspannungen. Dagegen besteht deutlicheParese
beider Arme; Händedruck und alle Armbewegungen sehr schwach. —
Schwanken beim Augenschluss. — Sensibilität fast normal; leichte
Analgesie. Hautrefleze erhalten; Sefanenrefleze fehlen; mecha-
nische Erregbarkeit des Quadriceps erhalten. — Keine Biasenstörung. —
Keine Ganmensegellähmung. Augen? Wirbelsäule normal. Der behandelnde
Arzt^ Herr Dr. Hilden st ab, hatte die Güte, mir am 5. November 1878
folgende weitere Notizen über den Fall zukommen zu lassen: Nach 12 gal-
Tanischen Sitzungen trat ziemlich rasch eine entschiedene Wendung zum
Bessern ein: Patient konnte mit grosserer Sicherheit gehen und mit ge-
schlossenen Augen stehen. Der weitere Verlauf war so gttnstig, dass Pa-
tient gegen Mitte Juni als geheilt aus der Behandlung entlassen werden
konnte. Seitdem geht er*ungestört seinen Geschäften nach.
Dass e& sieh hier nicht um eine gewöhnliche Tabes von chronischem
Verlauf handelt, ist klar; immerhin aber enthält das rasch zur rollen
Entwicklung gelangte Krankheitsbild einen g^rossen Theil der wesent-
lichsten tabischen Symptome (Ataxie, Parästhesien, Fehlen der Sehnen-
reflexe, leichte Analgesie), so dass meines Eraehtens an einer ganz
analogen Looalisation der im Uebrigen gewiss anders gearteten
anatomiachen Läsion nicht gezweifelt werden kann. Die grosse Ana.
logie mit dem von Rumpf ^J beschriebenen Falle von Ataxie nach
Diphtheritis in Bezug auf Symptome und Verlauf lässt es mir in
1) Ataxie nach Diphtheritis. Dieses Archiv. Bd. XX. S. 120« 1S77.
DmtachM ArehXw t }flin. Medlein. XXIV. Bd. 4
60 I« Erb
bohem Grade wahracfaeinlioh encbeineDy daas es sich anch hier am
*— Tielleicht richtiger gesagt: — Tabes nach Diphtheritis handelt;
leider ist der diphtheritisehe Charakter der vorausgegangenen Angina
nicht festgestellt worden. — Den Fall za der von Leyden aufge-
stellten i), an sich sehr unklaren Gruppe der „acuten Ataxie" zu
stelleui kann ich mich auch nicht entschliessen. Ich nehme an, dass
es sich hier um eine geringfügige , baldiger Ausgleichung fähige
Störung in jenen Abschnitten des Bflckenmarks handelti welche bei
der typischen Tabes in mehr chronischer und viel schwererer Weise
erkranken: also, wenn man will, um eine Tabes von subaouteiOy
gttnstigem Verlauf. Jedenfalls schien mir der Fall — so fragmen-
tarisch er auch ist — werth, registrirt zu werden.
66. 26. April 1878. Kaufmann^ 44 Jahre alt.
Dauer: 6 Jahre.
Aeiioiogie: Nie Syphilis. — Oefteres Wechselfieber. Schwache Con-
stitution.
Initialerscheinunffen: Seit 6 Jahren reissende, lancinirende
Schmerzen am Rnmpf, besonders in der linken Brostgegend; seit 4 Jahren
ähnliche Schmerzen in den Beinen. — (1866 Lähmnng des rechten Abda-
eens, die nicht geheilt wurde). Seit 1872 Abnahme der Sehkraft.
1876 zunehmende Unsicherheit und Schwäche der Beine. Keine
Parästhesien darin. 1877 Schwäche und Abmagerung der Arme
und Hände. Blasenschwäche und Impotenz seit t Jahr. — Stnhl-
verstopfnng. — Oflrtelgeffihlin der Höhe des Epigastrioms. — An-
geblich auch Abnahme des Gedächtnisses und der Intelligenz.
Status: Deutliche nnd ausgesprochene Ataxie; Gang sehr mflh-
sam und erschwert, aber ansgesprochen atactisch; auch im Liegen hoch-
gradige Ataxie; etwas motorische Schwäche der Beine. — Stehen
unsicher nnd nur mit Unterstfltznng; beim Schliessen der Angen nur ge-
ringe Znnahme des Schwankens. — Hautsensibilität normal; keine
Analgesie und keine Verlangsamnng der Schmerzleitnng. — Auch das Mns-
kelgefShl normal. — Plantarreflex sehr lebhaft; Cremaster- und Abdominal-
reflex schwach. — Sehnenreflexe fehlen; mechanische Erregbarkeit
des Qoadriceps erhalten. — Keine Atrophie an den Beinen. — Beide
Hände sehr ungeschickt nnd schwach, bieten ganz das BiU
wie bei der progressiven Muskelatrophie. Alle Interossei, Thenar
nnd Hypothenar paretisch nnd atrophisch; ansgesprochne Krallenstellang.
Parese und massige Atrophie der Beuger am Vorderarm und Oberarm,
weniger der Strecker; alles auf der linken Seite stärker ausgesprochen,
als rechts. Schulter- und Rttckenmnskeln normal. — Keine fibrillären
Zuckungen. — Elektrische Erregbarkeit dabei ganz normal, wenigstens
qualitativ; in den Interosseis, im Thenar und Hypothenar keine Entar-
tungsreaction. — In beiden Augen Atrophia nervi optici; linkes Auge
nahezu amaurotisch ; rechts Herabsetzung der SehschärfCi Störung des Far-
]) Leyden, Klinik der Rackenmarkskrankheiten. U. 8.203. 1675.
Tabes donalis. Sl
beDsinns, fiioengODg det Oesiehtsfelds. — - Zunge, Spraehe, Kanen, Schlacken
Qod Wirbelalnie normal. — Die Krankheit seigte langsam progressiven
Verlauf.
Aaeh in diesem Fall hat die Stellung einer genauen anatomi-
schen Diagnose ihre^ Schwierigkeiten. Zu dem typischen Krankheits-
bilde der Tabes gesellt sich hier eine progressive Atrophie an den
Muskeln der obem Extremitäten, an welchen sich aber elektrisch
keine Zeiehen von Degeneration nachweisen Hessen (bei wiederholter
genauer Untersuchung). Sollen wir hier eine einfache Complication
der Hinterstrangsklerose mit Degeneration der grauen Vordersäulen
annehmeni wie sie mehrfach anatomisch constatirt wurde, oder han-
delt es sich hier Tielleicht auch um multiple Sklerose? Wir mflssen.
es unentschieden lassen.
Jedenfalls sind aber so hochgradige paretische und atrophische
Störungen y wie sie in den 4 letzten Beobachtungen vorliegen, sei*
tene Ausnahmen bei der Tabes; und wenn diese 4 Fälle Aber-
haupt zur typischen Tabes gerechnet werden dürfen, so mflssen die
dabei vorhandenen Paralysen und Atrophien auf alle Fälle als Com-
plieationen betrachtet werden, die nur hier und da einmal zur Beob*
aehtung kommen. So weit meine Erfahrung reicht, gehören Para*
lysen und Atrophien nicht zum dassischen, typischen Krankheits-
bitd der Tabes, wenigstens in ihren Anfangsstadien ; das geht, denke
ieh, zur'Gentlge aus den oben mitgetheilten Beobachtungen 1 — 44
hervor.
Heidelberg, Ende Dezember 1878.
Nachtrag: Nachdem vorstehende Arbeit bereits einige Wochen
zam Druck eingesendet war, sind noch einige den hier behandel-
ten Gegenstand betreffende Arbeiten erschienen, resp. zu meiner
Kenntniss gekommen, auf die nachträglich hinzuweisen ich nicht
unterlassen will. Ich habe die Genugthuung, zu constatiren, dass die
in diesen Arbeiten niedergelegten Erfahrungen und Ansichten in fast
allen wesentlichen Punkten mit den Ergebnissen meiner eignen Beob-
achtangen sich im Einklang befinden, so dass diese dadurch einen
erhöhten Grad von Sicherheit und praktischer Verwerthbarkeit er-
langen.
Jene Arbeiten sind:
E. C. Seguin, The diagnosis of progressive locomotor ataxia. Ame-
ric. clioical lectures Vol. III. No. XII. New-Tork 1878. — A. Erlen-
4*
52 I. Erb, Tabes dorsalia.
meyer, lieber Tabes dorsalis iDcipiens. Corresp.-Bl. f. schweizer. Aente.
Jahrg. IX. 1879. — Berger, Ueber Sehnenreflexe. Gentralbl. f. Nerreo-
heiik., Psychiatr. etc. 1879. No. 4 (15. Febr.) nnd endlich M. Busch,
Ein Fall von Tabes dorsalis; Schwinden der Sehnenreflexe nach mehrjäh-
riger Dauer der Krankheit. Petersb. med. Wochenschr. 1878. No. 46.
In der Arbeit von Seguin hat das Fehlen der Sehnenreflexe,
dieses gerade im Initialstadium constanteste aller Symptome, noch
nicht die gebührende Würdigung und Verwerthang gefunden. Segain
führt dasselbe unter den nach ihrer H&ufigkeit und Wichtigkeit ge-
ordneten Symptomen des ersten Stadiums erst an elfter Stelle an!
Erlenmeyer bat eine sehr gute Darstellung der Erscheinongen
.des Initialstadiums der Tabes gegeben; doch haben darin die objec-
tiv nachweisbaren Störungen der Sensibilität, speciell die frühzeitig
auftretende Analgesie keine Berücksichtigung gefunden; auch die
spinale Myosis und noch mehr die reflectorische Pupillenstarre sind
in ihrer doch unzweifelhaft erheblichen Bedeutung nicht genügend
hervorgehoben; und endlich dürfte es dem Verf. schwer werden zu
beweisen, dass das Erlöschen der Patellarsehnenreflexe wahrschein-
lich schon vor dem Eintritt der blitzartigen Schmerzen vorhanden seL
Als Regel kann dies jedenfalls nicht gelten und wird wohl nur für
jene Fülle zutreffen, in welchen die lancinirenden Schmerzen im Ini-
tialstadium gftnzlich fehlen oder doch sehr in den Hintergrund treten.
Aus der Arbeit von Berger hebe ich hervor, dass nach dessen
Beobachtungen auch in vorgeschrittenen Füllen von Tabes das
Fehlen der Sehnenreflexe kein absolut constantes Symptom ist; er
fand unter 82 Fällen von typischer Tabes zwei, bei welchen die Pa-
tellar- und Achillessehnenreflexe vorhanden waren, und weitere vier
Fälle, in welchen dieselben nur einseitig fehlten. Sehr beachtens-
werth ist femer, dass bei der Untersuchung einer grossen Anzahl
(1409) gesunder Individuen sich ergab, dass bei 1,56 Proc. derselben
die Patellarsehnenreflexe völlig fehlten. Es wird dies also bei der
Beurtheilung des Symptoms für die frühzeitige Diagnose der Tabes
inunerhin zu berücksichtigen sein.
Der Fall von Busch lehrt nur, dass die Sehnenreflexe nicht
immer schon sehr früh im Verlauf der Tabes verschwinden.
Heidelberg, Ende März 1879.
n.
Ueber den Einfluss antipyretischer Mittel aof die Eiweisszersetzung
bei Fiebernden.
Ans dein med.-kliniBchen Inatitate zu MfincheD.
Von
Job. Bauer und Gluido Künstle.
In der Entwicklung der Fieberlehre bezeichnet das Stadium der
Zersetzongsvorgänge einen neuen Abschnitt Zunächst wurde die
Grösse der Hamstoflfausscheidung bei verschiedenen fieberhaften Pro-
cessen Oegenstand zahlreicher Untersuchungen, insbesondere seit
Liebig durch sein Titrirverfahren eine sehr einfache und bequeme
Methode der Bestimmung an die Hand gegeben hatte. Obschon yon
manchen Beobachtern wichtige Gautelen ausser Acht gelassen waren,
welche erst später für nothwendig erkannt wurden, so lauteten die
Resultate doch einstimmig dahin, dass im Fieber die Harnstoff-
ausscheidung vermehrt seL Es war somit der Beweis gelie-
fert, dass während der Dauer fieberhafter Processe mehr eiweissartige
Substanz im Körper zerlegt wird, als unter normalen Verhältnissen.
Indessen erfuhr die Tragweite dieser Thatsache alsbald eine Ein-
schränkung, indem man sich gestehen musste, dass fttr die Erklä-
rung der febrilen Temperaturerhöhung wenig damit ge-
wonnen sei, da ja der Gesunde bei einer noch grösseren Eiweiss-
zersetzung seine Temperatur normal zu erhalten vermag.
Bei dem gegenwärtigen Stande der Fieberfrage kommt die
febrile Steigerung der Eiweisszersetzung als Ursache der Tem-
peraturerhöhung kaum mehr in Betracht, die Bedeutung derselben
liegt vielmehr in dem Zusammenhange, welcher zwischen dem gestei-
gerten Zerfall der eiweissartigen Organbestandtheile und den paren-
chymatös-en Degenerationen angenommen werden darf 0. Nun
zeigte sich aber bei den Versuchen von Litten, dass bei Thieren
1) YergL Liebermeister, Pathologie und Therapie des Fiebers. S. 319.
54 n. Bauer und Künstle
in Folge von Temperatarsteigerang, welche durch Behinderung der
Wärmeabgabe hervorgebracht wurde, hochgradige Verfettung der
Organe eintrat^). Anderseits wurde von Bartels, Naunyn und
Schleich dargethan, dass die auf solche Weise hervorgebrachte Tem-
peraturerhöhung des Körpers eine Vermehrung der Hamstoffausschei-
dung bedingt, welche sogar noch einige Zeit andauern kann, nach-
dem die Temperatur schon wieder zur Norm zurückgekehrt ist').
Aus diesen Beobachtungen geht unzweifelhaft hervor, dass die
vermehrte Eiweisszersetzung im Fieber ebenfalls von
der Erhöhung der Eigenwärme des Körpers abhängig sein
muss, wobei jedoch keineswegs ausgeschlossen ist, dass
im Verlaufe verschiedener fieberhafter Krankheitspro-
cesseauch noch anderweitige Momente zur Geltung kom-
men. Als solche sind nach Fränkel Störungen der Respiration und
Girculation zu nennen, femer kann man sich vorstellen, dass bei den
Infectionskrankheiten das inficirende Agens einen ähnlichen Einfluss
auf den Eiweissbestand der Organe auszuttben vermag, wie gewisse
Gifte, so dass die gesteigerte Eiweisszersetzung, wenn auch in ver-
ringertem Maassstabe, auch dann noch andauern wflrde, wenn die
febrile Temperatur inmitten des Krankheitsverlaufes auf normale Grade
gebracht würde. Zu Gunsten einer derartigen Möglichkeit lässt sieh
anführen, dass bei Febris intermittens zuweilen eine typische Ver-
mehrung der Harnstoffausscheidung beobachtet wurde, wenn auch die
Fieberanfälle selbst schon cessirten. Gegen die Beweiskraft der Unter-
suchungen von Redtenbacher und Sydney Ringer*), aus wel-
chen dieser Satz entnommen ist, wurden zwar von Huppert mit
Recht gewisse Bedenken geäussert^), indessen konnte Senator in
der That in einem Falle einen derartigen Gang der Hamstoffausschei-
dung constatiren ^).
Unseren bisherigen Betrachtungen zufolge steht zwar fest, dass
jede Steigerung der Körpertemperatur eine Vermehrung der Eiweiss-
zersetzung bedingt, das vorliegende Beobachtungpmaterial lässt aber
1) üeber dieEinwirkong erhöhter Temperatur auf den Oig&nlsmas. Yirchow^s
Archiv. Bd. 70.
2) Bartels, Path. UntersuchuDgen. 1864. — Naunyn, Berliner klinische
Wochenschrift. Nr. 4. 1869 and Arch. f. Anat. u. Physiol. 1870. — 6. Schleich,
Archiv fbr experiment Pathologie. Bd. IV.
3) Redtenbacher, Zeitschr. fbr rat. Medicin. 3.B. II. 185S. — Sydney
Ringer, Tranaact of the med.-chirurg. Soc. XLII. 1859.
4) Archiv der Heilkunde. YU. 1866.
5) Untersuchungen über den fieberhaften Process. Berlin 1873. S. 134.
£iiifla88 aniipyret Bfittel auf die Eiweiaiienetiuiig bei Fiebernden. 55
nieht mit Sieherheit entnehmeii , ob die gesteigerte Stickatoffaus-
seheidiuig im Harn bei fieberhaften Proeeaaen auaachliesalich die
Folge der erhöhten Temperator, oder vieUeieht die Reaultirende aus
einer Beihe von abnormen Bedingungen sei. Dabei haben wir einen
scheinbar wichtigen Punkt bis jetzt nnerörtert gelassen, nftmlieh die
Frage, ob zwischen Temperatnrhöhe und (Grösse der Eiweisszer-
Setzung ein nachweisbarer Parallelismus bestehe oder nicht. Man
sollte nttmlich erwarten, dass die Steigerung des Eiweisszerfalls mit
der Temperaturhöhe gleichen Schritt halten mflsste, wenn letztere
ausschliesslich den Anstoss hierfür geben würde.
Huppert, welcher sich mit dieser^rage eingehend beschäftigte,
kam zu dem Schlüsse, dass fttr grössere Zeitabschnitte allerdings eine
Beziehung zwischen Temperaturhöhe und Harnstoffausscheidung un<
Tcrkennbar sei, dass aber keineswegs ein durchgehender und regel-
mässiger Parallelismus bestehe. Noch deutlicher geht aus den Unter-
suchungen von Unruh hervor, dass im Verlaufe fieberhafter Processe
die Menge der ausgeschiedenen, stickstoffhaltigen Zersetzungspro-
ducte durchaus nicht immer der jeweiligen Temperaturhöhe propor-
tional ist^).
Obgleich diese Beobachtungen durch die Annahme, dass die Ver-
mehrung der Eiweisszersetzung nicht nur von der Temperaturhöhe,
sondern auch von anderweitigen functionellen Störungen und von der
Natur der Erankheitsprocesse selbst abhängig sei, leicht verständlich
würden, so stehen einer derartigen Schlussfolgerung doch gewichtige
Bedenken entgegen. Vor Allem muss man sich daran erinnern, dass
Verschiedenheiten in der Zersetzungsgrösse auch durch wechselnden
Bestand eines Körpers an Fett und Eiweiss bedingt sein können, so
dass z. B. ein Individuum bei gleicher Nabrungszufuhr bei 40<^ Kör-
pertemperatur in der 1. Krankheitswoche ganz andere Eiweissmengen
zersetzen könnte als in der 3. Woche.
Die eben besprochene Erscheinung, dass die Steigerung der Ei-
weisszersetzung keineswegs regelmässig mit der Temperaturerhöhung
gleichen Sehritt halte, wurde kürzlich von Fränkel bei Oelegenheit
von epikritischen Bemerkungen über postfebrile Hamstoffvermehrung
ebenfalls erörtert; derselbe ist genagt, eine mangelhafte Ausscheidung
der stickstoffhaltigen Zersetzungsproducte in Folge gestörter secreto-
rischer Nierenthätigkeit anzunehmen*).
Wenn die Vermehrung der Eiweisszersetzung bei fieberhaften
1) Virchow*8 Archiv. Bd. XLVIII.
2) Neue Charit6-Annalen. Bd. II. Berlin 1977.
56
IL Baüb md KOasTUB
KiankheitsproeeMen anasehlieBsUdi die Folge der erhöliteii Körper-
temperatur ist, 80 ist a priori in erwarten, daas mit jeder Temperatur*
emiedrigimg, auch wenn dieselbe mitten im Krankhdtsyerianfe auf
kflnsflichem W^e hervoigebnieht wird, dne Vermindenmg der Bam-
stoffiMueeheidang Hand in Hand geht Li der That fand L. Sehröder
in Uebereinstimmang mit dieser Voraossetzongy dass bei Anwendung
kalter Bäder die Hamstoffimsseheidong bei fiebernden Typhnskranken
sehr bedentend herabgesetzt werde i).
Sehröder hat bei seiner Unter suehung folgrade Resultate er-
halten:
L
AozAhl der'
Hanimeiige
KSrpertempcntiir
Datom
Harnstoff
BIdcr <
1
Im 24 8t.
MoTj^mfl
AbMMll
3.-4. Aprü
0
970
42,8
40,0
39,9
4.-5. .
2
1060
31,8 '
40,0
40,6
5« — 6. jt
2
1400
1 31,6
40,1
40,0
7.-8. ,
0
1370
52,0
40,0
40,0
o. — ". »
1
730
27,5
39,9
404
9.-10. „
2
1500
45,0
39,8
40,0
10.— 11. ,
0
1070
39,1
39,6
39,0
11.-12. „
0
?
33,0
38,4
37,9
Mittel der 248tündigeii Harnstoffmeoge ohne Bäder: 41,7 Grm.
„ „ „ „mit Bftdem: 33,9 ,
IL
Anzahl dar
Hammenge
KOrpertamperatiir
Patnm
Hanutoff
Bider
in 24 St
Morgena
Abends
15.— 16. Mai
0
1400
36,4
40,0
40,4
16.— 17. ,
2
1060
21,6
39,2
40,1
17.— 18. ,
0
1180
33,5
39,2
40,3
19.— 20. ,
2
1200
21,3
39,8
40,1
20.— 21. ,
1
680
17,9
39,2
40,1
21.-22. .
0
560
19,0
38,9
39,5
23.-24. ,
0
650
16,6
37,2
38,2
24.-25. „
0
1030
19,5
37,2
37,0
Mittel der 248tfindigen Hamstoffinenge ohne B&der: 29,6 Grm.
„ , „ »mit B&dera: 19,9 ,
Da Schröder bei Anwendung weniger B&der einen so erheb-
liehen Einfluss auf die Eiweisszersetzong fand, obgleich die Mor-
gen- und Abendtemperataren an den Badetagen ebenso hoch waren
ato an den ttbrigen Tagen, so stand za erwarten , dass der Einfluss
der febrilen Temperatursteigerung auf die Eiweisszersetzung nahezu
1) Dieses Archiv. Bd. VI. S. 395 ff.
Einfloss antipyret Mittel auf die EiwdsszerBetznng bei Fiebernden. 57
ToIIstbidi{^ an^eschloBBen werden kann, sobald durch anlipyretisclie
Mittel wie Ohinin und salicylsaureB Natron die Körpertemperatur bis
ram Normalen herabgesetzt wird. Wenn es gelingt, bei einem Fie-
beroden durch antipyretische Mittel die Körpertemperatur längere
Zeit hindurch nahezu normal zu erhalten^ so würde folglich die Stick-
stoffftDSSoheidnng im Harn einen Rttckschluss gestatten, ob die febrile
Steigerung der Eiweisszersetzung ausschliesslich die Folge der er-
höhten Körpertemperatur sei oder nicht
Wir suchten diese Frage zu beantworten und zwar fahrten wir
die Untersuchung an Typhuskranken aus, welche wegen der hingen
Fieberdauer hierzu sehr geeignet erscheinen.
Hamstoffbestimmungen bei Typhuskranken liegen in grosser An-
zahl Yor; ans denselben Iftsst sich entnehmen, dass in der 1. Krank-
heitswoche die grössten Mengen stickstoffhaltiger Zersetzungsproducte
anagesehieden werden, wfthrend dieselben im weiteren KrankheitsYcr-
laofe an Menge abnehmen. So fand Moos als Durchschnittswerth
ftar jeden Tag der 1. Krankheitswoche : 37 Grm. Harnstoff
ii»»»2« „ 33 „ 9
»HU» 3. j, 26 „ „
Brattier, welcher durchschnittlich etwas höhere HamstofiEsahlen
erhielt, berechnete auch das Yerhältniss, welches sich im Mittel zwi-
schen Hamstoffausscheidung und Temperaturhöhe ergab« Es wurden
n&mlich ausgeschieden:
bei einer Temperatur von 40<^: 40,7 Grm. Harustoff
n n n n 390: 36,6 ,
» » II » 38®: 32,3 ^ jf
n n n n 370: 26,5 „
n n n n 360; 17,5 ,
»
Die von uns beabsichtigte Untersuchung konnte nur dann zu einem
ZBYerlfissigen Resultate führen, wenn die Stickstoffausscheidung im
Harn bei Typhuskranken innerhalb einer gewissen Zeit eine gleich-
m&sBige ist, so lange der Fieberverlauf in keinerlei Weise beeinflusst
wird. Dass dies bei gleichmilssiger Nahrungszufuhr und bei strenger
Beobachtung der nothwendigen Gautelen hinsichtlich regelmässiger
Harnentleerung wirklich der Fall ist^, geht schon aus den von
Huppe rt mitgetheilten Beobachtungen hervor. Zum weiteren Be-
1) Wir haben am Schlosse jeder 24 standigen Periode unsere Kranken auf-
gefordert, die Blase Tollständig zu entleeren, und wenn dies nicht erreicht wurde,
den Katheter eingeführt.
5.8
II. Bauek und EOkstlb
lege tbeilen wir zwei UQtersiicbungweiheii an Typhuskrauken mit,
bei welchen der Fieberverlaaf auf keinerlei Weise beein-
fluBSt wurde.
I. Fkll.
Ein 20jfthriger Mann wurde am 15. Jnli taf die 2. mediciDische Klinik
aufgenommen, nachdem er 1 1 Tage vorher mit Allgemeinerachanniigai er-
krankt war. Bei dieaem Patienten wurde vom 17. — 24. Juli die Stiokatoff-
BnBscheidung in Harn nnd Roth bestimmt. Vom 16. — 20. erhielt derselbe
tftglich 140 Grm. KaffeeaufgnsB mit 10 Qrm. Zocker, 350 Orm. Hilcb
«od 200 Orm. sogenannter Eiersnppe, was ca. 17 Orm. Eiweiss entspricht ij
Vom 20. — 24. wurden aar dringenden Wonsch des Kranken noch 250 Grm.
mich hinzagefOgt, so dass an diesen Tagen circa 27 Orm. Eiweiss als
Nahrnng gereicht wurden.
Nur in den ersten Tagen der Beobachtung bestanden diarrboische Ent-
leerungen, spster ronsaten sogar Klysmata in Anwendung kommen. Es wur-
den vom IT. — 24. Juli im Ganzen 101 Orm. trockenen Kothes entleert
Den Gang der Temperatur, inoerhalb 24 Stunden 10 mal in der
Achsel gemessen, zdgt Garve 1. Die Stiokstoffausscheidung daroh
den Harn verhielt sieb dabei folgendermaasseo :
Ditgin
ii'
i
1
Hl
Sikkitcff
ll
mHun
16.— 17.
1300
1,010
6,5
23,40
10,69
10,9
n.-i8.
eoo
1,021
3,3
22.SO
9.84
10,5
18.— 13.
580
1,022
3,0
22,62
9,9«»
10,6
19.-20.
48S
1.021
2,Ö
20,13
9,21
9,4
ao.— 21.
1120
1.012
6,0
22,40
10,10
10,5
21.-I2.
1890
1,005
3,7
22,Ǥ
B,9S
10,3
22.-23.
1360
1,006
4,1
33,02
10,02
10,8
23.-24.
14^0
1,006
4,4
19,21
8,63
9,0
1) Vergl, Renk bei Voit: Unteraucbung der Kost.
Eiaßnn &atip)Tet. Mittel uf die EiTeiuzerMtEong bei Fieberadeo.
2. Fall.
£iD 39jihriger Mann warde am 12. AngDst ^
laf die 2. mödicinische Klinik sofgenommeQ, Dxch-
dem einige Tage bobes Fieber, groBBe Prostra-
tion, DlarrhOeD, aacb Delirien nlcbtÜcber Weile *^
beBtudeu hatten. Bei dieseoi Kranken wurde die
31ickitoffaasscheidang darch Harn und Koth vom fi
13. — 29. August l>eatiiniDt. Aneb in diesem Falle
eistirten die Diarrhöen nxch dnigen Tagen, wes- ^
halb wir die Mittheilnng der mit dem Kotbe ent-
leerten Stickstoff mengen fDr QberflflBBig erschien. j
Wlbrend der ganzen ÜntersncfanngBreihe erhielt
Patient tflglich 1 40 Kaffeeaufguu mit 20 Zacker,
350 Milch and 200 Sappe ^= circa 17 Gramm '
Eiweiss.
Die StickstoffatiBscheidnng darch den Harn
iat aas folgeoder Tabelle zu entnebmen : ^
g
^
£ B •
BUcUtoS Im B*n>
D.»»
1
1
ü E
i
ll"
n
1
^
1 =
3
lll
ii
1
11-13.
635
1.021
6,9
28.81
13,12
13,6
IS^H.
770
1,012
4,6
29,49
13,13
13,3
H.— 15.«)
1.02 t
1S.-16.
1035
1,014
2,6
25.23
11,20
11,8
16.— n.
Slä
1,016
2.9
25,26
11,39
11,8
n.-i8.
lllü
1,010
3,1
25,01
11.24
11,1
IS.-19.
8S0
1,013
2.2
20.24
9,29
9,5
19.-10.
1155
1,010
2,5
19,64
9,07
8.2
W— 11.
8fö
1.0M
3.1
20,80
9,46
9,7
1I.-12.
970
1,014
3.4
24.25
11.1
«.-».
1110
1,010
3.4
22,40
10,22
10.5
23.-M.
1590
1,006
3,2
22,26
10.15
10.4
M.-25.
1640
1,008
2,5
22,96
10,49
10.7
1S.-M.
1280
1.009
1,9
21,76
10,11
10,2
i6.-17.
1000
1,010
2,0
20,0
9.21
9,3
n.-w.
1110
1,009
2.8
20,54
9,24
9,6
11-29.
720
1,012
1,8
17,29
1,89
8,1
Der Gang der Temperatur ist aus Gurre 2
IQ erseben.
Hit der folgenden Beihe beabsichtigen wir darzntbnn, daas bei
Terachiedener Eiweisazufubr mit der Nahrang die Stickstoffans-
Scheidung im Harn entsprechende SchwaDkaogen darbietet.
60
II. Bauer and Künstle
Diese Versuchsreihe wurde bei einem 16jährigen Knaben ange-
stellt, der bei Beginn derselben im Anfang der 2. Typhnswoche sich
befand und eine ziemlich hohe Febris continua darbot 0*
Datnm
Menge des In
24 Standen ent-
leerten Hans
Spec. Gewicht
desselben
1'
1
a
Harnstoff titr.
ohneAnsflUlang
der Chloride
Stickstoff Im
Harn direct be-
stimmt
Menge des entleerton Kothe«
o CS
1 1 iSI 1
1.— 2.
1175
1,021
3,9
33,85
15,02
1281
34,8
2,7
2.-3.
920
1,017
2,0
32,29
14,71
1313
33,8
2,6
3.-4.
700
1,017
1,5
25,84
11,71
1187
34,0
2,8
4.-5.
682
1,017
1.7
26.97
11,41
330
8,0
2,4
5.-6.
920
1,016
2,9
32,04
13,43
683
24,9
3,6
6.-7.
1880
1,006
3,8
31,43
12,93
193
12,6
6,5
7.-8.
2406
1,006
4,5
29,83
10,79
217
19,5
9,0
8.-9.
2800
1,005
5,2
30,0
11,02
183
19,8
10,8
IV.
Emfluss des salicylsauren Natrons in antipyretischen Dosen
auf die Eiweisszersetzung,
Ein 22jähriger Mann wurde am 7. Juli auf die 2. medicinische Klinik
aufgenommen; derselbe gab an, schon seit einigen Wochen sich unwohl
gefühlt zu habeu; es bestand Appetitmangel und Abgeschlagenheit. 6 Tage
vor der Aufnahme steigerten sich diese Erscheinungen,* auch Diarrhöen
stellten sich ein und Patient war nun nicht mehr im Stande sich aufrecht za
halten. Bei diesem Kranken wurde vom 7. bis 27. Juli die Stickstoffausschei-
dung durch Harn und Koth controlirt. Derselbe erhielt täglich 140 Kaffee*
absud 10 Grm. Zucker, 350 Milch und 200 Suppe =» circa 17 6rm. Ei-
weiss. In gewissen Zwischenräumen wurde sallcylsanres Natron gereicht.
Die Stickstoffausscheidung durch Harn und Koth ist aus der
Tabelle S. 61 zu entnehmen.
Der Gang der Temperatur ist aus Gurve 3 ersichtlich; auf die-
selbe sind auch die täglich mit dem Harn ausgeschiedenen Stick-
stoffmengen aufgetragen. Sa. N. = salicylsaures Natron.
1) Vor längerer Zeit habe ich in Verbindung mit Prof. H. v. Boeck versucht,
festzuBteUen, ob die Zufuhr von Nahrung und die dadurch gesteigerte Zersetzung
von EiweisB auf die Höhe der Temperatur einen Einfluss auszuüben im Stande
sei. Trotz mancher Versuche an Menschen und Thieren konnten wir bis jetzt
die Frage noch zu keinem definitiven Abschluss bringen ; wir halten jedoch nach
unseren bisherigen Erfahrungen eine Beeinflussung der Temperatur durch die
Nahrungszufuhr für unwahrscheinlich, vorausgesetzt, dass die Form der Nahrung
keine Störungen hervorruft. Die gleichlautende Ansicht vertrat E. Buss (Wesen
u. 8. w. des Fiebers. 1 878). — Eine der zu diesem Zwecke angestellten Versuchs-
reihen ist die hier mitgetheilte Beobachtung Nr. 3. J. Bauer.
Einfluu utipyret Mittel «of die Eiwusuenetiung bei Fieberoden.
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£inflii88 antipyret Mittel auf die EiweisizersetzoDg bei FieberDden. 69
V.
Einfluss von Chmin in antipyretischen Gaben auf die Eiweisszersetzung.
Ein 18 jähriger Mann wurde am 18. Juni auf die medicinische Klinik
aofgeoommen. Derselbe fohlte sich seit sechs Tagen sehr matt nnd ab-
geschlagen, litt dabei an Kopfschmerzen und am Tage vor seiner Aufnahme
hatte sich heftiges Nasenbluten eingestellt. Bei diesem Kranken wurde
Tom 20. Jani bis 11. Juli die Stickstoffausscheidung durch Harn und Koth
bestimmt. Wegen wiederholten Erbrechens traten mehrmals Störungen in
der gleichmftssigen Nahrnngszufuhr ein und mussten wiederholt Abände-
nmgen in der Zusammensetzung der Nahrung vorgenommen werden. Jeden
dritten Tag wurde eine Dosis Chinin dargereicht.
Die täglichen Ausgaben durch Harn und Koth sind in der Ta-
belle auf S. 64 zusammengestellt.
In der Curve 4 (S. 65) ist der Gang der Temperatur und der
Stickstoffausscbeidung durch den Harn graphisch aufgetragen.
Aus den Tabellen und Curven ist ersichtlich, dass bei Herab-
setzung der Fiebertemperatur, welche durch Darreichung von
salicyUanrem Natron und Chinin bewirkt wurde, keine Ver-
minderung, sondern fast regelmässig eine geringe Ver-
mehrung der Stickstoffausscheidung im Harn eintrat.
Diese Versüchsresultate entsprechen unseren Voraussetzungen
nicht, auch Iftsst sich aus denselben auf die von uns gestellte Frage
keine Antwort entnehmen. Das Ergebniss, dass mit jeder Temperatur-
emiedrigung eine geringe Steigerung der gleichmässigen, im weiteren
Erankheitaverlaufe langsam absinkenden Stickstoffausscheidung ein-
trat, wiederholte sich so regelmässig, dass ein Zufall bestimmt ausge-
schlossen werden kann. Dass es sich aber nicht um eine directe, be-
schleunig^ade Wirkung der antipyretischen Mittel auf den Eiweiss-
nmsatz handeln kann, geht aus den Untersuchungen von Kern er
and H. v. Boeck^) hervor, durch welche festgestellt ist, dass das
Chinin beim normalen Organismus die Eiweisszersetzung in gerin-
gem Grade herabsetze. Wenn vnr daher beim fiebernden Körper
eine entgegmgesetzte Wirkung beobachten, so ist es sehr wahr-
scheinlich, dass es sich hierbei um den Einfluss der durch das Chinin
1 ) Untersuchungen aber die Zersetzung des EiwdBses etc. München 1871.
— Dass auch an nicht fiebernden Menschen durch grosse Chinindosen die Ei-
weisszersetzung etwas Ycrlangsamt werde» können wir durch einige Erfahrungen
bestätigen.
64
IL Baübs und KOmstlb
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KintinBH «ntipynt Hittal auf die EiwdMiaraetsiuig bei Fiebernden. 65
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u HadlelD. XXIV. Bd.
66
ü. Bavbr und KfiiffiTLB
hervorgebrachten Erniedrigung der febrilen Temperatur
handle^).
Einer derartigen SchluBsfolgerung stehen jedoch die erwfthnten
Versuchsresultate von Schröder entgegen^ denen zufolge die Harn-
Stoffansscheidung bei Fiebernden durch kalte Bäder bedeutend herab-
gesetzt wird. Unter diesen Umständen erschien es uns gerechtfertigt,
den Einfluss kühler Bftder auf den Eiweissumsatz bei Fiebernden noch-
mals zu controliren.
VI.
Einfltiss kühler Bäder auf den EiweissuTnsatz bei Fiebernden.
Schmidt, W., 19 Jahre alt, gab bd seiner Aufnahme am 22. an,
seit acht Tagen an Schwindel, grosser Abgeschlagenbeit, Appetitmangel
und etwas Hosten zu leiden. Objectiv die Erscheinungen des Typhus:
Roseola, Milz palpabel. Dieser Kranke erhielt vom 24. — 31. IV. täglich
370 Orm. Milch, 210 6rm. Kaffeaufgnss, 22 Grm. Zucker, 400 Flanmsuppe.
Während dieser Zeit wurden die Ausscheidungen durch Harn und Koth
bestimmt, während einen Tag Aber den anderen kflhle Bäder in Anwendung
kamen. Am Tage vor Beginn der Versuchsreihe hatte Patient 2 Grm. Con-
chinin erhalten, worauf ein vollständiger Temperaturabfall eingetreten war.
Den Gang der Temperatur und der Stickstoffausscheidung im
Harn ergibt Curve 5.
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Specifisobes
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0,8676
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1,017
3,0
31,9
14,93
0,6050
146
9,0
5,6
27.-28. n
8
1320
1,017
3,4
34,9
16,28
0,9814
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3,0
6,0
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0
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1,020
2,7
30,2
14,29
0,7771
24
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34,0
15,88
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30.— 31. „
0
750
1,022
2,8
26,8
12,5
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30
—
—
*) Stahl verloren.
1) Der EinflasB von SalicylBäure und salicylsaarem Natron auf die Eiweiss-
zersetzong ist Ton S. Wolf söhn unter Jaff^*s Leitung untersucht worden, wobei
sich eine Steigerung derselben ergab (Diss. Königsberg 1876. cit. nach Virchow-
Hirsch's Jahresber. 1876. Bd. I). Da wir jedoch bei Darreichung von Chinin das
nämliche Resultat erhielten wie bei salicylsaurem Natron, so kann dasselbe durch
die von Wolf söhn constatirte physiologische Wirkung der Salicyls&ure auf den
Eiweissumsatz seine endgiltige Erkl&rung nicht finden.
2) Die Harnsäure wurde in der Weise bestimmt, dass 200 Ccm. Harn mit Salz-
säure versetzt wurden; die so' ausgefällte U wurde abfiltrirt und in dem Ffltrat
die noch gelöste Harnsäure nach Salkowski*s Methode abermals bestimmt.
Einfluss utif^ret Mittel Mut die Eiweiuienetzung bei FieberDden. 67
AuB der Tabelle and Gurre 5 ist ersichtlich, dass in UDserem
Falle die StickstoffansacbeidDHg im Harn durch die AnwenduDg
kühler Bäder io ganz Übereinstimmender Weise beeinflnsst wurde,
wie bei Darreichung von Chinin und ulicyUaurem Natron, es zeigte
lieh regelmftssig eine geringe Steigerung derselben. Dieses
Besultat befindet sich im Widerspruche mit den Ei^ebnissen Ton
Schroeder. Wir sind nicht In der Lage, fUr diese Differenz be-
Bümmte Grande aufzufinden, es ist jedoch natDrlich, dass wir unseren
SchluAfolgeruDgen unsere eigenen Versuohsresultate za Grunde legen.
Die Schwierigkeit, die ron uns mitgetheilten Beobachtungen
m erklären, wird keineswegs Tollständig beseitigt, wenn wir die-
selben einer anderen, schon vielfach besprochenen Erscheinung an
die Seite setzen.
Es ist nämlicfa seit längerer Zeit bekannt, dasa bei dnigen fieber-
''^ten Krankbeitsprocessen , welche mit einem raschen Temperatur-
Abfall einhergehen, die vermehrte Hamstoffausscheidnng nach dem
absinken der Körperwärme nicht nur andauert, sondern sogar
D[>ch beträchtlich ansteigt Auch pflegt die HarnatoffvermebruDg,
Welche durch kflnstliche Temperatursteigerung eingeleitet wird, diesen
Eingriff um längere Zeit zu Qberdauern.
Diese Facta können auf zweierlei Weise ihre Erklärung finden,
indem es sich sowohl um eine mangelhafte Ausscheidung und
Anstauung von Zersetzungsprodukten während der Fieber-
periode, als auch um eine epikritischc Mehrzersetzung von
^iweiss handelu kann; beide Ansichten haben ihre Vertreter gefun-
68 n. Bauer and KOhstub
den. So bat Sohultzen die Hypothese aufgeetellt, dass wfthrend
des Fiebers darch den Zerfall der (Gewebe die Menge des oirculirenr
den Eiweisses yermehrt werde, welches aber zunächst nur zum TheU
den normalen Spaltongsprocess erfahre. Ein anderer Theil sollte von
den Zellen festgehalten werden und erst nach dem Fieberabfall der
Zersetzung anheimfallen^}. In ähnlicher Weise nimmt Litten an,
dass durch die hohen Temperaturen rothe Blutkörperchen theils zu
Grunde geheui theils in ihrer Function geschädigt werden, wodurch
es den Zellen der Organe ebenso unmöglich wird, ihren ursprüng-
lichen Eiweissbestand zu erhalten, wie diess nach Blutverlusten der
Fall ist. Selbstverständlich wird einige Zeit in Anspruch genommen,
bis nach solchen Störungen der Gleichgewichtszustand zwischen cir-
culirendem und Organeiweiss wieder hergestellt ist.
Hingegen hatFraenkel vor Kurzem seine Meinung dahin for-
mulirt, däss die Ausscheidung der natürlichen, N-haltigen
Zersetzungsprodukte während des Fiebers eine be-
schränkte sei, weil die Nieren unter dem Einflüsse des-
selben gewisse Veränderungen erleiden und dadurch
in ihrer secretorischen Thätigkeit beeinträchtigt werden ^).
Endlich ist noch zu erwähnen, dass die epikritische Hamstoff-
vermehrung u. A. auch bei croupöser Pneumonie in exquisiter Weise
vielfach beobachtet worden ist 3), und dass von Einigen, insbesondere
von Hup per t auf einen Zusammenhang zwischen der Resolution
des Croupezsudates und der genannten Erscheinung geschlossen wor-
den ist^). Fraenkel bemerkt mit Recht, dass diese Erklärung nicht
für alle Fälle zureichend erscheint, bei welchen eine postfebrile Ham-
stoffvermehrung vorkommt, ohne dass der Einfluss zur Resorption
gelangender Exsudate auf den N-Umsatz von ihm geleugnet wird.
In der That ist sehr leicht einzusehen, dass die rasch erfolgende
Lösung einer ausgedehnten Hepatisation sich in der StickstofEausschei-
dung im Harn kund geben kasm. Die ergriffene Lunge erscheint im
1) Ueber den Stoffonuats bei Febris recurrens. Gharit^-Annalen 1869.
2) Drd F&lle ton Pneomonie mit epikritbcher HamstoffiMuacheidang. Nene
Charitö-Annalen. n. Berlin 1877.
3) Vergl. Moos, Zeitschrift f&r ration. Med. N.F. YII. 1855. — Wachs-
mnth, De ureae excret etc. Dissert. Berol. 1855. ^ Metzger, Zeitschrift ftkr
ration. Med. 3.R. IV. 1858. — Brattier, Ein Beitrag zur Urologie. Manchen
1858. — Redtenbacher, Jahrbuch f&r Einderhellk. IV. 1861. — Winger,
8chmidt*8 Jahrb. GXX. 26. — Annalen derKrankenh&uaer ni Manchen. I. 8.214.
4) Huppert, Archiv der Heilkunde. 1866 und Huppert und Biesell,
Ebenda. 1869.
Einfloss antipyret. Mittel auf die Eiweisssenetsung bei Fiebernden. 69
LösQiigistadiam anftmigch, und die Anftmie mag den AnstoBS geben,
daas sieh eine Spaltung der exsudirten Eiweuwkörper in reaorbir-
bares Fett und in einen stickstoffhaltigen Antheil vollzieht, wie es
Voit für die Fettbildung ans Eiweiss dargethan hat^). Wahrschein*
lieh Terschwindet auf diese Weise das Exsudat aus den Alveolen der
Longe, wfthrend die abgespaltenen, stickstoffhaltigen Zersetzungspro-
dacte mit dem Harn ausgeschieden werden.
Wenn die Erklftrung, welche Fraenkel von der postfebrilen
Harnstoffe ermehrung gegeben hat, zutreffend ist, dann könnte es sich
bei der von uns beobachteten Wirkung der Antipyretica auf die
Stiokstoffausscheidung um eine vorflbergehende Verbesserung der se-
eretorischen Nierenthätigkeit handeln. Wir wollen auch eine derar-
tige Möglichkeit nicht unbedingt in Abrede stellen, wir mflssen aber
doch einige Bedenken geltend machen, insbesondere erscheint es uns
anwahrscheinlich, dass geringfügige Nierenveränderungen schon zu
einer Hamstoffretention im Körper fahren sollten 2). Otegen diese An-
nahme spricht ausser anderen Gründen auch die Gleichmftssigkeit der
Stickstoffausscheidung, wie wir sie bei unseren Typhuskranken beob-
achtet haben. Wenn aber thatsftchlich eine derartige Betention von
Zersetzungsprodukten bei Fiebernden häufig zu Stande kommen sollte,
so wäre damit den Untersuchungen über pathologische Eiweisszer-
setzung eine höchst fatale Schranke gesetzt.
Wahrscheinlicher als die Erklärung von Fraenkel erscheint
ans eine andere, welche auf dem bis jetzt bekannten Verhalten der
Eiweisszersetzung beim fiebernden Organismus basirt. Aus der That-
sache, dass der Fiebernde im Hungerzustande mehr Eiweiss zersetzt
als ein fieberfreier Organismus, ist der Schluss zu ziehen, dass die
Organe bei Erhöhung der Körpertemperatur einen grösseren Bruch-
theil ihrer organisirten Eiweisssubstanzen der Circulation anheim-
geben müssen und dass ein reichlicherer Strom von circulirendem
Eiweiss die Zellen umspült, als diess bei normaler Körpertemperatur
der Fall ist. Da aber die Masse der Zellen bei mangelndem Ersatz
beständig abnehmen muss, so bedingt das Fieber einen Zustand, bei
welchem die Masse der thätigen Zellen verringert, die
Menge des circulirenden Eiweisses abnorm gross er-
scheint.
Der Fiebernde ist also einem normalen Organismus vergleichbar.
1) Zeitschrift für Biologie. Bd. V.
2) Dies ist wohl nur dann der Fall, wenn bei insofficienter Herzarbeit der
Blutdruck im Aortensystem sehr bedeutend absinkt.
70
IL Baueb und KOkstlb
der naeh längerem HuDger einen betrftehtlichen Theil seiner Oif:ane
anfgebraneht hat, and welcher in diesem Zustande mit einem Male
durch rdehliche Eiweissnahrung eine grosse Menge drculirenden Ei-
weisses erhalten hat. Allein im normalen Körper würde alsbald
durch Stoffiinsatz und durch gesteigerte Stoffzerlegung wieder ein
Gleichgewicht zwischen Zellenmasse und eirculirendem Eiweissstrom
hergestellt, während im Fieberzustande dieses Gleichge-
wicht für längere Zeit gestört bleibt und von den abnorm
erwärmten Zellen nicht hergestellt werden kann; denn
offenbar ist den letzteren in den allermeisten Fällen während der
Fieberhitze die Fähigkeit, Stoffe in sich aufzunehmen
und anzusetzen, abhanden gekommen. Dass aber auch die
Fähigkeit der Zellen, Stoffe zu zerlegen, mit der Fieber-
hitze geringer wird, scheint aus dem Einfluss von Eiweisszufuhr
auf den Eiweisszerfall bei Fiebernden heryorzugeben.
Wenn man nämlich einem Fiebernden Eiweiss in der Nahrung
zuführt, so wird dadurch zunächst die Menge des circulirenden Ei-
weisses entsprechend vermehrt; da aber ein Ansatz nicht stattfindet
und vielleicht sogar die Zerstörung der Gewebe in Folge der hohen
Temperatur den gleichen Fortgang nimmt, so könnte man erwarten,
dass die Eiweisszersetzung um so viel gesteigert wird, als Eiweiss
in der Nahrung enthalten ist. Diese Annahme fanden wir jedoch
nicht bestätigt, wie u. A. die folgende Beobachtung bei einem Typhus-
kranken ergibt.
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39,5
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4,51
3,15
0,8
3,4
5.
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1,012
17.63
3,58
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39,5
5,6
Spnr von Eiweiss
im Harn.
6.
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6,05
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39,5
5,6
7.
2890
1,006
14,98
3,47
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51,7
10,3
8.
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14,32
4,37
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51,7
10,3
9.
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51,7
10,3
10.
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1,010
14,97
4,46
—
—
51,7
10,3
Einflnss antipyret Mittel auf die Eiweisszenetziuig bei Fiet)emden. 7 t
Bei diesem Kranken, bei welchem wir einen fast Yollständigen
Hnngerzustand mit der Darreichnng grösserer Eiweissmengen in der
Nahrung abwechseln Hessen, wurde zwar durch die letztere regel-
mässig eine Vermehrung der Stickstoffansscheidnng im Harn bewirkt,
die Zunahme entsprach jedoch keineswegs der gesammten, in der
Nahrung enthaltenen Eiweissmenge, es wurde vielmehr dem Körper
Eiweiss erspart Man darf also annehmen, dass durch Eiweisszufuhr
bei Fiebernden die Menge des circulirenden Eiweisses noch vermehrt
werde, ohne dass die Zersetzung entsprechend zunimmt
Alle diejenigen Momente nun, welche darauf hinweisen, dass im
Fieberzustande ein Missverhältniss zwischen cireulirendem und Organ-
dweiss fflr die Dauer der Temperatursteigerung bestehe , bedeuten
aber nichts Anderes, als dass das Vermögen der thierischen
Zelle, Eiweissstoffe zu zerlegen, herabgesetzt sei^ und
wfflin der Fiebernde trotzdem mehr stickstoffhaltige Substanz zerlegt
als der Nichtfiebemde, so ist diess nur die Folge des grossen Ueber-
schusses an cireulirendem Eiweiss, welches die heissen Zellen umspült
Wenn die febrile Temperatur rasch absinkt, oder durch anti-
pyretische Mittel herabgesetzt wird, so kommen augenblicklich jene
Bediugungen zur Geltung, welche in der normal warmen Zelle herr-
schen, es werden Eiweissstoffe angesetzt, und der Ueberschuss fällt
der Zersetzung anheim, und nun verhält sich der Körper ganz so,
wie wenn nach längerem Hungerzustande eine grosse Eiweissmenge
zugeführt wird: circulirendes und Organeiweiss setzen sich in ein
bestimmtes Verhältniss zueinander.
In der von uns angedeuteten Weise erklärt sich die epikritische
Hamstoffvermehrung ebenso, wie die Wirkung der antipyretischen
Mittel auf die Eiweisszersetzung auf einfache Art; wir glauben femer
aussprechen zu dürfen, dass die Wiederkehr der normalen Zellen-
thätigkeit, wie wir sie als die Wirkung jeder Herabsetzung der fe-
brilen Temperatur betrachten, fttr die Bedeutung der antipyretischen
Behandlung mehr BQrgschaft leistet als die Annahme, dass durch
die Fieberverminderung dem Körper einige Gramm Eiweiss erspart
werden.
m.
Uicas oesophagi ex digestione.
Von
Prof. Br. H* Quincke
in Ki«I.
(Hierzu Tafel L)
Dass, ebenso wie im Magen, auch im Oesophagus Oeschwflre durch
die Einwirkung des Magensaftes entstehen könnten, ist frflher mehr-
fach angegeben worden; doch haben Zenker und y. Ziemssen^
neuerdings bei kritischer Prüfung die einschlägigen Mittheilongen
nicht ' einwurfsfrei befunden. Ich war in der Lage in Bern einige
Beobachtungen zu machen, welche mir das Vorkommen solcher 6e-
schwtlre zu beweisen scheinen.
L Frau £. B. 41 Jahre alt, Matter von 7 Kindern, verlor die Menses
von Neuem Ende Jali 1876. Seit Angnst wurde der Leib merklich dicker
und seit October auch schmerzhaft. Wegen schmerzhafter Spannung in
dem immer stärker anschwellenden Bauche und wegen hinzutretender Attem-
noth suchte Patientin am 21. December das Inselspital zu Bern anf; etwa
14 Tage vorher hatte sie die ersten Kindesbewegungen gefflhlt.
Patientin ist mager und bleich, der Bauch kugelförmig durch freien
Flflssigkeitsefguss aufgetrieben. Im Eplgastrium ist ein querverlaufender,
drei Finger breiter höckriger Tumor fflhlbar; über der Symphyse etwa
handbreit hinaufreichend ein kugliger Körper, anscheinend der gravide
Uterus. Das Zwerchfell steht um eine Rippe höher als normal, sonst ist
an den einzelnen Organen objectiv nichts Abnormes nachzuweisen. Der
Stuhl ist angehalten.
Man diagnosticirte Carcinom des Bauchfells — ohne zunächst einen
primären Ausgangspunkt feststellen zu können — und gab Rheum mit Na-
tron sulfuricum.
Am 24. December trat zum ersten Mal Erbrechen auf, das sehr
hartnäckig andauerte und durch welches ziemlich viel rothbraune Flti s-
sigkeit entleert wurde, die massenhaft rothe Blutkörperchen erkennen
Hess; man glaubte nun den Magen als den Sitz des primären Garcinoms
ansehen zu dürfen. — Medic: Eis, Plumb. acetic.
1) V. Ziemssen's Handbuch der spec. Pathologie. Bd. VII. Krankheiten der
Speiseröhre. S. 158.
UlcoB oesophagi ex digestione. 73
W^en andauernden ErbreehenB, Kleinheit und Unregelmissigkeit des
Pulses und steigender Athemnoth wnrde am 26. Deoember pnnktirt und
3700 Ccm. gelber Flflssigkeit (1018 sp. G.) entleert Das höckrige Omen-
tam trat nun dentlioher henror nnd anch am ütenisgnind worden jetit
mehrere grosse Knoten flDhlban Bei fortbeatehendem Breehreis erbrach
Patientin von nnn an nnr wenig, nnd swar nnr von der genossenen Speise,
kdn Blnt mehr. Seit dem 29. December hörte das Erbrechen (anf Mor*
phinminjection, Tinct nnc. vomio. etc.) gänzlich anf; der ascitiscbe Ergnsa
aber niJim sehr schnell wieder an. Am 30. December leitete sich spontan
der Abortna ein, der wegen eintretender Blntnng durch Eztraction kflnst-
lich beendet werden musste. Der Fötus war abgestorben, seit dem Spital-
eintritt hatte Patientm Kindabewegungen nicht mehr geftlhlt Die Schwäche
wnrde Ton jetst ab immer grösser; ohne dass weitere bemerkenswerthe
Symptome aufgetreten wären, atarb Patientin am 4. Januar 1877.
Die Seetloa (Prof. Langhans) ergab als primären Sitz des Garci-
noms die Ovarien, deren jedes in einen grossen mit der Umgebung Tiel«
fich adhärenten Tumor verwandelt war, welcher neben weicher, graurother
Masse einige cystenartige Hohlräume enthielt; von normalem Ovarialstroma
war nichts mehr vorbanden. Secundäres Carcinom fand sich im
Rectum, auf dem gesammten Peritoneum, in der Leber, der Pleura
diaphragmatica, der Milz und den Retroperitonealdrflsen; der
ütems war frei. Das Herz klein, seine Muskulatur etwas fettig degenerirt
Der Magen enthält zwar in seinem serösen Ueberzug kleine Krebsknoten
wie das flbrige Peritoneum, seine Schleimhaut aber war bis auf einzehie
leicht geröthete und geschwellte Stellen in nächster Nähe der Gardia voll-
kommen normal, nnr stark In Falten gelegt, nirgends ein Substanz Verlust;
der Inhalt war etwas bräunlicher Schleim. Dagegen findet sich im un-
teren Theil des Oesophagus bis zur Höhe der Biftirkation der Luft-
röhre die Schleimhaut bis anf einige schmale fetzig begrenzte Längawfilste
zerstört. Den Omnd des Substanzverlustes bildet die stark geröthete, an
der Oberfläche etwas fetzige Muscnlaris; der obere Rand des Geschwürs
ist ziemlich scharf, durch mehrere convex nach oben vorspringende Linien
gebildet, die Schleimhaut hier etwas unterminirt, bis anf 3 Gm. weit
eDtflb*bt und mit oberflächlichen Defekten versehen; nach unten schneidet
das Qeschwflr an der Gardia in scharfer Qnerlinie ab. Von fremdartigen
Einlagerungen ist nichts zu bemerken. In aeinem untern Theil ist der
Oesophagus (ungefilhr so weit wie das Geschwür reicht) etwas erweitert
(s. Taf. IL Fig. 1).
Die mikroskopische Untersuchung ergab, wie mir Prof. Langhans
mittheilte, zwar über die letzte Ursache der GeschwürsbildoDg keine Aas-
kanfl; wohl aber stellt sie die Abwesenheit von krebsigen oder krebsähn-
lichen Elementen in Rand und Basis des Geschwüres mit voller Sicherheit
fest. Denn die Geschwürsbasis, welche verschieden tief, fast bis zur Ring-
moaknlatur eingreift, wird von dem Bindegewebe und den muskulösen Ele-
menten der Mucosa und Submucosa gebildet, welche etwas körnig aussehen
nnd fehlste spärliche Fetttröpfchen an ihrer Oberfläche tragen. Zwischen
diesen finden sich Zellen : gross, reich an körnigem Protoplasma, mit gros-
sem Kern von runder oder ovaler Gestalt, ohne jeden specifisch epithelialen
74 in. Quincke
Obarakter, sie sind mebt relativ spärlich nnd selbst wo sie zahlreich sind,
liegen sie gleicbmttssig im Gewebe serstrent, ohne jede Anordnung in Gmp-
pen oder Alveolen, sondern höchstens in sehr vielfach nnterbrochnen Lftngs-
reihen, die sich s wischen den Bindegewebsbtindeln hioaiehen.
Femer finden sich in der ganzen Ausdehnang des Geschwttres, nicht
direkt an seiner Basis, sondern mehr in der Tiefe elgenthttmlich ondnrch-
sichtige trttbe Massen, die in Streifen der GeschwOrsbasis parallel laufen,
untereinander unter spitzen Winkeln sich vereinigen und so spindelförmige
oder mehr ovale Maschen mit unverändertem Gewebe freilassen. An sehr
km zerzupften Stttckehen sieht man, dass diese Masse ans einem homo-
genen Gewebe besteht, das in dicken und feinen Balken reticulAr ange-
ordnet ist und ganz Fibrin gleicht. Auch gegen die gewöhnlichen Rea-
gentien, sowie gegen Färbemittel verhält sie sich in gleicher Weise. Hie
und da glaubt man sogar noch die Conturen von rothen Blutkörpem zu
sehen; es würde sich dann also um Residuen von Hämorrhagien handeln.
Epikrise. Neben der eigentlichen todtliehen Krankheit — dem
Gareinom beider Ovarien, das sich sehr schnell entwickelt haben
mnsste, denn 5 Monate vor dem Tode hatte noch Oonceptiony also
Ovulation stattgefunden — ist das Oeschwttr im untern Theile der
Speiseröhre von besonderem Interesse.
Dass dasselbe mit Carcinom in gar keinem Zusammenhange stand,
ergab schon die blosse Betrachtung, dann die mikroskopische Unter-
suchung. Das Verschlucken einer ätzenden Substanz, oder eine ein-
fache Entzündung Hessen sich ausschliessen wegen der geringen
Tiefe des Geschwürs, der normalen Beschaffenheit der Nachbarschaft
und der Beschränkung auf den untersten Theil der Speiseröhre. (Ge-
rade wegen dieses Sitzes dürfte es am nächsten liegen, die verdauende
Wirkung des Magensaftes als Ursache des Oeschwürs anzosprechen.
Dass man es nicht mit einer der so häufigen postmortalen Er-
weichungen der Speiseröhre durch den Magensaft zu thun hatte, zeigte
dip scharfe Abgrenzung des Substanzverlustes zur Genüge; die an-
grenzenden Theile, namentlich die Muscularis waren von normaler Co-
häsion, die Farbe nicht, wie bei Säurewirkung, bräunlich durch ver-
ändertes Blut, sondern die blossgelegte Muscularis im Gegentheil
schön roth injicirt und (mikroskopisch) zellig infiltrirt — also Zeichen
stattgehabter vitaler Reaction. Die klinische Beobachtung lässt sogar
das Bestehen des Geschwürs der Zeit nach feststellen, und zwar auf
mindestens 1 1 Tage ; denn das am 24. December beobachtete ziemlich
reichliche Bluterbrechen, das man damals aus einem Magencareinom
erklärte, kann nach dem anatomischen Befunde nicht auf eine Magen-
blutnng, sehr wohl aber auf dieses Oesophagusgeschwür zurückge-
führt werden, das auch in den folgenden Tagen noch den Brechreiz
unterhielt
Ulcus oesophagi ex digestione. 75
Durch welche BediDgungen speciell in diesem Falle die Selbst-
yerdanang der Oesophagusschleimhaut (dieses Ulcas ex digestione,
wie man es wohl zur Unterscheidung von anderen nennen darf) zu
Stande kommen konnte, ist freilich nicht sicher zu sagen; möglich,
dass mit der bedeutenden und ziemlich schnell entwickelten Hinauf«
dr&Dgung des Zwerchfells eine Knickung, Zerrung des Oesophagus
and damit eine Circulationsstörung verbunden war (hierfflr könnten
die durch die mikroskopische Untersuchung wahrscheinlich gemach-
ten Reste von Hämorrhagien im Geschwttrsgrunde sprechen); mög-
lieh auch, dass die Dislocation zu Zerrung der motorischen Vagusäste,
zu Parese der Muskulatur und unvollkommenem Verschluss der
Cardia geführt hatte* Die in der Abbildung deutliche Erweiterung
des unteren Theils des Oesophagus könnte darauf hindeuten, könnte
aber freilich auch auf secund&rer Parese beruhen oder vorgebildet
sein (Antrum cardiacum) ^j.
Jedenfalls wird man eine längere Berührung des Magensaftes
mit der Oesophagusschleimhaut und eine verminderte Resistenz-
filhigkeit derselben anzunehmen haben ; sonst müssten derartige Ge-
schwüre bei hartnäckigem Erbrechen wohl öfter zur Beobachtung
kommen. Durch die im Oesophagus für gewöhnlich stattfindende
Längsfaltenbildung waren streifenförmige Partieen der lösenden Ein-
wirkung des Magensaftes entzogen und dadurch als Schleimhautinseln
stehen geblieben. Die scharfe Abgrenzung der Geschwüre an der
Cardia dürfte sich aus der Verschiedenheit des Baues, namentlich des
Blutreiehthums der Magen- und Oesophagusschleimhaut erklären.
Das Aussehen des Geschwürs zeigte, dass die Zerstörung zum
Stillstand gekommen war. Wenn trotz des 4tägigen Bestehens des
doch nur flachen Geschwürs die Reparation nicht weiter vorge-
sehritten war, so erklärt sich dies ans der bestehenden Kachexie
und Anämie, deren Heilung-verlangsamenden Einfluss auch Daett-
wyler^) bei seinen Experimenten über das Magengeschwür consta-
tiren konnte.
II. Frau M. M. St. 3), 66 Jahr alt, trat am 14. Februar 1878 in die gynä-
kologische Klinik zu Bern ein, wegen einer Eierstocksgescbwulst , die seit
6 Jahren bestand und in den letzten 2 Jahren mehrfach pnnktirt worden war;
der Leibesumfang betrag 101 Cm. Am 26. Februar wurde Patientin punktirt,
1) Vergl. Luschka, Lage der Baacheiiigeweide. S. 16.
2) Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1875. S. 101.
3) Die Gelegenheit zur Mittheilung dieses Falles, den ich nur bei der Section
sah, verdanke ich der Gef&lHgkeit meiner Collegen Proff. P. Müller und Langhans.
76 m. Quincke
da seit mehreren Tageo Erbrechen aufgetreten war, das hie und da ans
Bchwftrslichen Hassen bestand; ancb der Stnhl war schwarz geftrbt
Nach der Punktion (4000 Ccm. dicklicher, klebriger Fltlssigkeit) Wohl-
befinden. 4 Standen spftter plötzlich Dyspnoe nnd rascher Tod.
Die Section ergab ein Cystoid des rechten Ovarinms. Die
rechte Plenrahöhle enthielt eine grosse Menge schwarzbrauner Flflssigkeit,
die sich als Mageninhalt erweist, der dorch'eine PerforationsOffionng im un-
tersten Theil des Oesophagus hineingelangt ist; diese Oeffhung liegt in der
vorderen und seitlichen Wand der Speiseröhre, ist 4,5 Cm. lang, 2,5 Cm.
breit, die Lunge ist am Rande des Defektes leicht verklebt, die Pleura co-
stalis daselbst mit leichten fibrinösen Exsudationen bedeckt.
Beim Aufschneiden erweist sich der Oesophagus im oberen Theil
normal, wird nach unten zu etwas erweitert. Unterhalb der Mitte beginnen
Defekte des Epithels, zuerst Iftngsstreifenfßrmig, dann zusammenfliessend;
die dadurch blossgelegte Fläche ist leicht injicirt, mit ^hwarzbraunem
flockigem Belag, der nach unten hin zunimmt. Im untersten Theil ist die
Ringmuskulatur blossgelegt; übrigens die Oberfläche glatt. Der Defekt
reicht bis an die Cardia und links noch etwas über dieselbe hinaus, setzt
sich gegen die gewulstete, leicht geröthete Magenschleimhaut scharf ab.
Die Wand des Oesophagus oben unverändert, nimmt nach unten an
Dicke zu bis auf 5 Mm., ist starr, steif und weisslich, mit deutlicher Zeich-
nung der verdickten Muskulatur, welche allein die Verdickung veranlasst
und deren Innenfläche oben an der Stelle des Defekts freiliegt. In den
inneren Schichten der Speiseröhre ist der Defekt von grösserer Ausdehnnng,
wie in den äusseren. Durch mikroskopische Untersuchung konnte sich
Prof. Langhans mit Bestimmtheit von der Abwesenheit krebsiger Eie-
mente überzeugen. Leider ging das Präparat verloren, ehe die Unter-
suchung auch in jeder andern Richtung vollendet war.
Der Magen war unverändert ; von dem sonstigen Befund ist noch die
— wohl als Ursache des plötzlichen Todes anzusehende — Ausfällung des
rechten und linken Astes der Lungenarterie mit Thromben zu erwähnen,
die aus den erweiterten Venen der Unterextremitäten stammten.
Auch hier haben wir es mit einem ausgedehnten Geschwür im
unteren Theile der Speiseröhre zu thun, dessen Zusammenhang mit
dem einige Tage vor dem Tode wiederholt beobachteten Erbrechen
schwarzer (also wohl bluthaltiger Massen) sehr wahrscheinlich iat.
Die gleichen, z. Th. freilich negativen Gründe, wie im ersten Fall,
sprechen für die Entstehung durch Einwirkung des Magensaftes;
unterstützt wird diese Annahme noch durch die Perforation nach der
Pleurahöhle, die wahrscheinlich erst unmittelbar vor oder nach dem
Tode stattgefunden hat, die aber, wie die frische umschriebene Ent-
zündung an der Pleura zeigt, jedenfalls schon während des Lebens
vorbereitet war. Sowohl hierdurch, wie durch den Mangel jeglicher
Erweichung an der blossgelegten Muscularis wird die Vermuthang
eines postmortalen Vorganges widerlegt.
Unerklärt bleibt die Muskelhypertrophie im untern Theil der
UlcaB oeioplmgi ex digestione. 77
Spetfleröhre^ die man bei der aoflcheineiiden Frisehe des Geschwürs
nieht wohl aus diesem ableiten kann. Unerklärt bleibt auch der
erste Angriflspnnkt fttr den verdauenden Einfluss des Magensaftes;
doch ist es wohl nicht ohne Bedeutung, dass, wie im ersten Fall
dnreh den Ascites, im zweiten durch die Ovariengeschwulst und zwar
Jahre hindurch das Zwerchfell in die Höhe gedrftngt war. (s. o.)
IIL Johann St., circa 50 Jahr alt, wurde im Herbst 1878 etwa einen
Monat lang wegen Oesophagusstrictur auf der mediclnischen Klinik zu Bern
veipflegt. Die Klagen sowie die eioigemal Torgeoommene Sondirung des
Kranken ergaben eine sehr beträchtliche Verengerung in der Höhe der
Cardia, fUr welche die in diesem Alter so gewöhnliche Veranlassung, ein
Carcinom des Oesophagus angenommen wurde. Unter den gewöhnlichen Er-
scheinungen immer mehr erschwerter Deglutition und vorschreitender Kache>
xie ging der Kranke am 2. November 1878 zu Grunde.
Bei der Seetion (Prof. Langhans) zeigten ausser Oesophagus und
Magen die Organe nur atrophische Zustande, die Lungen auch einige broncho*
pDemnonische Herde.
Im Magen fand sich an der hintern Wand etwa 8 Cm. unter der
Cudia eine linienförmige Narbe, 3 — 4 Gm. lang, gegen welche die Schleim-
baat in starken Falten hingezogen war. Ferner fand sich eine zweite Narbe,
die den untern Theil des Oesophagus, etwa Vs C^q. lang, einnahm,
sodi in den Magen mit einigen strahligen Fortsätzen hineinragte und gegen
die Schleimhaut desselben sich sehr scharf durch weissliche Farbe und
glatte Oberfläche absetzte. Nach oben zu geht sie allmählich in die Oeso-
pbagusBchleimhaut Aber. Die etwas dfinne Wand wird an dieser stark
verengten Stelle (1 Cm. Umfang) auch auf dem Durchschnitt nur aus weiss«
fiebern, sehnigem Gewebe gebildet. Von der Mnscularis sieht man mit
blossem Auge keine Spur. An diese enge Stelle schliesst sich nach oben
an eine 2 Cm. lange leichte spindelförmige Erweiterung von grauer weicher
SeUeimhaut ausgekleidet ; durch Verdickung der Submuoosa und besonders
Huscnlaris wird hier die Wand allmählich dicker und erreicht ihre grösste
Dicke Yon 6 Mm. gerade am oberen Ende der Erweiterung, so dass hier das
Lumen fast ebenso eng ist, als an der Cardia. Diese zweite Stenose, fast rein
muaknldser Natur, hat dne Länge von 2 Cm. und geht nach oben unter all-
mibUchem Dflnnerwerden der Muscnlaris in den normal weiten Oesophagus
ftber, etwa in der Höhe der Theilungsstelle der Trachea (s. Taf. U. Fig. 2).
Die mikroskopische Untersuchung bestätigt 1) das Fehlen der Muscn-
laris an der Stelle der narbigen Strictur, und 2) das Fehlen von krebsigen
Elementen flberhaupt. Die Mucosa ist fiberall, namentlich Aber der ver-
^ekten Muscularis im Zustand eines chronischen Katarrhs: gleichmässige
hifiltrafion mit Rundzellen und femer Erweiterung der Blutcapillaren mit
bedeutender Verdickung ihrer Endothelien, ap dass das Lumen dadurch
wieder eine nicht unerhebliche Verengerung erleidet.
Statt des erwarteten Oarcinoms fand sich also im untersten Theil
der Speiseröhre eine narbige Verengerung, offenbar von einem frü-
her bestandenen Oeschwfire der Schleimhaut ausgehend, das auch
78 UL QuiNOKB
die benachbarte Magenschleimhaut mit betroffen hatte. Dieae^ jeden-
falls allmählich entstandene Verengerang hatte za Muskelhypertro-
phie im unteren Theil der Speiseröhre geftthrt, die Maskelhjrpertro-
phie hatte, zusammen mit chronisch katarrhalischer Schwellung der
Schleimhauti eine zweite Verengung bedingt; schliesslich hatten beide
Stricturen zusammen den Eintritt der Speisen in den Magen fast
ganz unmöglich gemacht Nachträglich stellte sich flbrigens noch
heraus, dass Patient in früheren Jahren längere Zeit magenleidend
gewesen war.
Es ist wohl kaum zu bezweifeln^ dass die Narbe an der Cardia
mit der entfernt gelegenen zweiten kleinen Narbe in der Magen-
schleimhaut gleichen Ursprung hat^ d. h. aus einem sogenannten
Ulcus Simplex hervorgegangen ist.
Hätte die Natur der Verengerung im Leben vermuthet werden
können^ so würde eine methodische Sondirung und Dilatation vor-
genommen worden und Yoraussichtlich erfolgreich gewesen sein.
Die beschriebenen drei Fälle zeigen wie mir scheint evident,
dass im unteren Theil der Speiseröhre Cresehwttre vorkommen, für
welche nach dem anatomischen Befund und Aussehen eine andere
Entstehung als durch die verdauende Einwirkung des Magensaftes
nicht angenommen werden kann, und die daher ihrer Entstehungs-
weise nach mit dem sogenannten einfachen Magengeschwür auf eine
Linie gestellt werden müssen. Charakteristisch ist ja für letzteres
auch nicht der ursprüngliche Ausgangspunkt (ob Trauma, umschrie-
bene Anämie, Hämorrhagie, oder entzündliche Infiltration) ^), sondern
die Entstehung und Unterhaltung des Geschwürs durch die bestän-
dige Bespülung mit verdauendem Magensecret; es dürfte sich wohl
empfehlen, anstatt der niemals für alle Fälle zutreffenden Benennun-
gen: Ulcus rotundum, U. simplex, U. perforans als am meisten be-
zeichnend den Namen Ulcus ex digestione für dieses Magen-
geschwür zu wählen. Solche Ulcera ex digestione finden wir aber
bekanntlich nicht nur im Magen, sondern oft auch im oberen Theil
des Dünndarmes und, wie die beschriebenen Fälle zeigen, auch im
unteren Theil des Oesophagus; — an letzterem Orte so sehr viel
seltener, weil derselbe mit dem verdauenden Magensafte nur aus-
nahmsweise und auch dann gewöhnlich nur ganz vorübergehend be-
spült wird. Blutiges Erbrechen und blutige Stühle, Perforation der
1) vgl. D&ttwyler, Correspondenzblätt für Schweizer Aerzte. 1875. 8. 101.
Ulcus öeaophagi ex digestione.* 79
Wand, stenoBirende Narbenbildung kommen bei dieeem Oescbwflr
der Spdserdhre, ebenso wie beim Magengeachwflr zu Stande.
Als Anhaltsponkt f&r die Diagnose konnte vielleicht die gleich-
zeitige beträchtliche Ausdehnung des Bauchraums durch Ascites
u. dgl. y vielleicht auch die Hartnäckigkeit des Erbrechens dienen ;
für die narbigen Stenosen die früheren Symptome eines Geschwttrs.
Aach war in dem dritten meiner Fälle die Huskelhypertrophie im
unteren Theil der Speiseröhre bemerkenswerth, während die Cardia-
carcinome fast ausnahmslos zu Dilatation führen; möglichi dass auch
dieser, wohl in dem zeitlichen Verlauf und in der Constitution be*
grflndete Unterschied diagnostisch verwerthet werden kann.
Erklärung der Abbildungen.
(Tafel L)
■
Die Figuren auf Tafel I stellen beide den unteren Theil der Speise-
r&hre mit dem angrenzenden Theil des Magens im aufgeschnittenen Zustande
dar (^2 der natttrlicben Grösse).
Figur 1 (zu Fall I): c Grenze zwischen Oesophagus- und Magen-
sebleimhaut Die weissen Längsstreifen sind stehen gebliebene Schleimhaut;
an den dunklen Stellen dnnkelrothe Injection, Freiliegen der Muscularis
mit Andeutung der Querfaserung.
Figur 2 (zu Fall III) eine weisse strahlige Narbe, zum Theil im Be-
reich der Oesophagus-, zum Theil im Bereich der Magenschleimhaut. Weiter
oben die hypertrophische Muskelhaut der Speiseröhre im Querschnitt sichtbar
IV.
Materialien zur Pathologie und Therapie des Rflckfallstyphus. 0
Von
Dr. J. MooBUtkowBky,
Arat am Stadtboipltal in OdesM.
(Hierzu Tafel II.)
Vorliegende Untersachimgeii sind sozasagen als Nebenproducte
bei der Erforschang einiger sich aof die Aetiologie des Beearrens be-
ziehender Fragen gewonnen worden. In Folge dessen geht diesen
Untersuchungen eine systematisohe Bearbeitung ab und haben die-
selben, da sie nichts Vollendetes bieten, nur als Material zu gelten,
welches sich w&hrend der Becurrensepidemie in Odessa von 1873
bis 1876 nach und nach ansammelte und mir die Möglichkeit gibt,
in vorliegender Arbeit Mittheilungen ttber folgende Punkte zu machen :
I) Daten fflr die Pathologie des Blutes Becurrenskranker.
n) Grundzfige zur Therapie des Typhus recurrens.
III) Facta zur Entscheidung der Frage über das Verhältniss des
biliösen Typhoids zur Febris recurrens.
I.
Seit Ober meiert) im Blute Beourrenskranker mikroskopische
Organismen, nach ihm Spirillen, nach Oohn Spirochaeten ') genannt,
nachwies, sind dieselben schon zum (Gegenstände äusserst interessan-
ter Untersuchungen geworden. In den Augen des Mikrologen muss-
ten die Spirochaeten ein Contagium vivum vorstellen, und somit zur
1) RuBiiiach erschienen 1878 in den Arbeiten der Aerzte des Odessaer Stedt-
hospitals. Lief. IH — Dorchgesehen und conigirt Tom Verfasser.
2) Sich bewegende F&den im Blute Becurrenskranker. Gentralbl&tt für die
med. Wissenschaften. 1873. Nr. 10.
3) Mich auf die Autorit&t Cohn's stQtEend behalte ich femer diese Beseich-
nung bei.
RückMstyphos. 81
Erkenntnisa der Pathologie des Recurrenzprocesses wesentlich bei-
tragen. Es bedurfte nur des Beweises , dass die Spirochaeten aus-
schliesslich dem recunirenden Typhus eigen seien, dass sie hier keine
zafällige Erscheinung bilden, und dass endlich die Ansteckung mit
dem Typhusgift nicht anders, als mit ihrer Betheiligung vor sich
geben kann.
Schon Obermeier fand die Spirochaeten nur im Blute der im
Hitzestadium befindlichen Becurrenskranken und legte ihnen daher
die Bedeutung eines untrflglichen Merkmales dieser Erkrankung bei ^).
£8 gelang wenigstens Obermeier weder im Blute Gesunder, noch
im Blute irgend anderer infectiös Erkrankter Spirochaeten nachzu-
weisen. Spätere Beobachter Litten^), Mttnch^), Heidenreich^),
Engel ^) bestätigten die Angaben Obermeier 's und gegenwärtig
hat sich das Verhältniss der Spirochaeten zum Typhus recurrens so
weit geklärt, dass man den Satz aufstellen kann: kein Typhus re-
currens ohne Spirochaeten und keine Spirochaeten ohne Recurrens
(Unterberger)*).
Wenn somit auch der Zusammenhang der Spirochaeten mit Re-
currens als bewiesen angesehen werden muss, so ist doch die Frage
Aber den Zeitpunkt des Auftretens und Verschwindens der Spiro-
chaeten in den yerschiedenen Perioden der Erkrankung noch nicht
entschieden. Die Forscher, welche in den letzten 3 Jahren über
Typhus recurrens geschrieben und Spirochaeten beobachtet haben, fan-
den die letzteren ausschliesslich im Blute und zwar nur zur Zeit des
Paroxysmus ; sobald der Paroxy smus vorüber ist, die Krisis begonnen
bat und der Kranke in Schweiss gerieth, so verschwanden auch die
Spirocliaeten. Es finden sich aber auch Beobachtungen von Spiro-
chaeten im Blute während der Apyrexie. Bliesener^) sah Spiro-
chaeten in geringer Zahl einige Stunden nach Beginn der Krisis, als
die Temperatur von 40,0 schon auf36,l<^C. gefallen war. — Birch-
Hirschfeld^) beobachtete Spirochaeten im Laufe der ersten zwei
1) Berliner klin. Wochenschrift 1873. Nr. 33.
2) Die Recorrensepidemie in Breslau im Jahre 1S72— 1873. Dieses Archiv.
Bd. XIIL Heft 1, 2, 3.
3) Moskauer med. Zeitschrift. 1874. Nr. 1 (russisch).
4) lieber den Parasiten im Recurrenstyphus. Dissert. inaug. St. Petersburg
1^76 (nssiseh).
5) Berliner klin. Wochenschrift. 1873. Nr. 35.
6) Febris recurrens im Kindesalter. Jahrbuch für Kinderheilkunde., Bd. X.
Heft 1 u. 2.
1) Ueber Febris recurrens. Diss. Berlin 1873.
S) Dieses Aichiy. Bd. Xm. Heft 3.
Deatachei ArcUr f. klin. Medlcin. XXIY. Bd. 6
82 IV. MOGZUTKOWSKY
Tage der ersten Apyrexie. Er tbeilt in Sehmidt's Jahrbttchern ^) mit,
dass man in Breslau häufig während der Apyrexie Spirochaeten gefun-
den habe. In der fieberfreien Zeit des Recurrens wurden femer
Spirochaeten nachgewiesen von Litten, Unterberger und von
Heidenreich während einer Pseudokrisis. . Heidenreich fand
sie auch fast volle 24 Stunden vor Beginn des Anfalles. Hieraus
ergibt sich, dass die Spirochaeten während des Anfalles eine bestän*
dige Erscheinung im Blute sind, während der Apyrexie aber nicht
sicher, ja sozusagen nur ausnahmsweise angetroffen werden und dass
daher darüber weitere genauere Beobachtungen sehr wünschenswerth
erscheinen. Die bisher veröffentlichten Beobachtungen über Spiro-
chaeten haben den späteren Forschern noch eine Menge der für die
Mikrologie wichtigsten Fragen offen gelassen. Auf jedem Schritte
trifft man auf neue Erscheinungen, welche sowohl genauere Beob-
achtungen, als auch die Bestätigung derselben durch andere Forscher
verlangen, und somit veröffentlicht werden müssen.
Zum besseren Yerständniss meiner Untersuchungen halte ich es
für nothwendig, die von mir zur Gewinnung und Aufbewahrung des
zu untersuchenden Blutes benutzte Methode etwas ausführlicher mit*
zutheilen. Als Gefäss zum Sammeln des Blutes dienten Glasröhr-
chen (Taf. III, Fig. 5 in halber natürlicher Grösse), welche an einem
Ende kolbenartig aufgetrieben und verschlossen, am anderen jedoch
offen und haarfein ausgezogen waren. Die Länge des sich verjün-
genden Theiles betrug 15—20 Gm. Nachdem an einer beliebigen
Stelle der Haut mit der Spitze einer Lanzette ein Einstich gemacht
wurde und aus demselben ein Tropfen Blut ausgetreten war, tauchte
ich, nachdem zuvor das aufgetriebene Ende des Röhrchens über einer
Spiritusflamme erwärmt worden war, die haarfeine offene Spitze des-
selben in den Tropfen ein, worauf nach physikalischen Gesetzen das
I Blut sich im Röhrchen bis gegen das kolbige Ende erhob. Hierauf
wurde sogleich das offene Ende zugesshmolzen und das Blut bis zur
mikroskopischen Untersuchung in der nöthigen Temperatur aufbe-
wahrt. Um das Blut aus dem Röhrchen auf den Objectträger zu
Übertragen, bricht man das zugeschmolzene Ende ab und erwärmt
wiederum den anderen kolbenartigen Theil, worauf das Blut selbst-
verständlich aus der Oefihung des Capillarröhrchens heraustritt. Diese
Art und Weise ist sehr bequem und bei einiger Vorsicht und Fer-
tigkeit lässt sich leicht der Einfluss der hohen Temperatur, sowohl
auf die*^ Spirochaeten, als auch auf die Blutkörperchen vermeiden.
1) Band 106. Heft 2.
RackfiülstyphiiB. 88
Wenn zur Beobaehtnng eine grögsere Menge Blutes nötbig ist, so
l&Bst sieh solches — selbstverständlich mit Bewilligung des Kranken
(wie solche auch in der früher beschriebenen Methode immer ein-
geholt worden) — vermittelst Schröpfköpfen gewinnen, wenn keine
Contraindication vorliegt oder wenn Blutentziehung sogar durch an-
derweitige Erscheinungen geboten erscheint. Bei der Gewinnung
des Blutes wurde immer die grösste Aufmerksamkeit auf die Rein«*
liehkeit der Haut, der Apparate und Instrumente verwandt Beim
Uebertragen des Blutes auf das Objectglas bemflhte ich mich, um
grössere Feinheit des Präparates zu erzielen, einen möglichst kleinen
Tropfen ausfiiessen zu lassen.
Ich gehe jetzt über zur Beschreibung der Spirochaeten und der
Bedingungen ihrer Existenz, sowohl innerhalb, als ausserhalb des
menschlichen Organismus. In dem von einem Recurrenskranken
während des Anfalles frisch entnommenen und sofort unter das Mi-
kroskop gebrachten Blute bemerkt man zuweilen eine besondere
Bewegung der rothen Blutkörperchen. Dieselben bewegen sich, üb-
rigens ohne ihre Form zu verändern , stossweise nach allen Seiten.
Bei aufmerksamer Beobachtung und starker Vergrösserung (von 650
und weiter) lässt sich deutlich wahrnehmen, dass diese Stösse auf
die Blutkörperchen von mikroskopischen Gebilden — Spirochaeten,
nach Obermeier Spirillen — übertragen werden. Jedes einzelne
Individuum der Spirochaeten präsentirt sich als ein wellenförmiges
Fädchen, welches aus einer Reihe von regelmässig zusammengestell-
ten gleichen Windungen besteht. Die von einigen Autoren (Litten,
Unterb erger, Engel) beschriebene spiralige Form dieser Gebilde
konnte ich unter dem Mikroskop — selbst mit Hartnack Immers.
System 15 nicht sehen. Die Zahl der Windungen beläuft sich auf
6—16, je nach der Länge der Spirochaeten. Der Durchmesser ihres
Körpers kommt annähernd dem Durchmesser des feinsten Fädchens
geronnenen Fibrins gleich. Der Radius der Windungen verändert
sieh und ist von den Bewegungen der Spirochaeten abhängig; ihre
Grosse variirt zwischen der Hälfte und einem Viertel des Radius
eines rothen Blutkörperchen (Taf. II, Fig. 1, 2, 3, 4). Die Länge
der Spirochaeten wechselt ebenfalls, nicht nur bei verschiedenen Sub-
jecten, sondern auch bei ein und demselben in den verschiedenen
Momenten der Bewegung. Die einzelnen Spirochaeten haben eine
Länge von 2 — 5 Durchmessern der rothen Blutkörperchen; nach
Obermeier von IV2— 6. Nach Engel erreichen sie selbst eine
Länge von 30 Durchmessern der rothen Blutkörperchen. Heiden-
reich bestimmt ihre Länge auf 0,012 — 0,043 Mm. Eine sich
84 IV- MOCZUTKOWSKT
bewegende Spirochaete kann sieh mit der Vergrösserong des Badius
der Windung noch um das Vierfache ihrer Länge yergrossem. Ich
konnte nicht bemerken, dass die Länge der Spirochaete aof ihr Älter
schliessen liesse. Mir sind ebenso oft im Anfange des Anfalles lange
Spirochaeten zu Qesicht gekommen, als kurze am Ende desselben und
umgekehrt. Engel spricht sich im entgegengesetzten Sinne aus;
er sagt, dass, aus einer je späteren Periode des Anfalles das Blut
genommen sei, man um so häufiger auf längere Spirochaeten stosse.
Dieses spricht, dem Anschein nach, für das Wachsthum der Spiro-
chaeten. Ich werde weiter unten eine andere Erklärung dieser Er-
scheinung geben.
Die Spirochaeten erscheinen farblos, haben dabei aber deutliche
Conturen. Die Dicke des Körpers ist überall gleichmässig. Wenn
die Spirochaeten unbeweglich werden, nehmen die Oonturen an Schärfe
zu (Engel) und der Durchmesser des Körpers verdoppelt sich fast.
Die Enden der Spirochaeten erscheinen leicht zugespitzt und bei ein-
zelnen Individuen auf der Höhe der Windungen abgestumpft, bei
anderen an verschiedenen Stellen der letzteren. Mir ist es nie ge-
lungen Köpfe zu beobachten, wie solche votr Erichsen^) an den
Enden der Spirochaeten bemerkt worden sind. Auch Obermeier
hat dem Körper entlang Verdickungen bemerkt, die Heidenreich
(l. c.) ganz richtig für angeklebte, im Blute schwimmende Detritus-
körnchen hält Bei der aufmerksamsten Beobachtung vermittelst des
Hartnack'schen Immersionssystems Nr. 15 ist es mir, ebenso wenig
wie Litten vermittelst Immersionssystem Nr. 10 gelungen, bei den
Spirochaeten auch nur eine Spur von Structur wahrzunehmen, wie
C 0 h n 2) sie in Form von Gliedern bei Spirochaete plic. beobachtet hat
Die Bewegungen der Spirochaeten haben Obermeier, Engel,
Bliesener, Heidenreich und Litten beschrieben. Nach meinen
Beobachtungen bestehen diese Bewegungen in Folgendem: a) man
nimmt der Längsaxe des Körpers nach wellenförmige Bewegungen
wahr, bald in einer, bald in entgegengesetzter Richtung; b) der
ganze Körper oder ein Theil biegen sich entweder im Winkel oder
Bogen (Pendelbewegungen) ; c) die Spirochaeten erhalten sich im Seh-
felde des Präparates, trotz der Strömung des Plasma; d) die Spiro-
chaeten verkürzen oder verlängern sich. Endlich gewahrt man e)
tetanische Bewegungen, welche von Münch (1. c.) beschrieben wor*
1) Vierteljahrschrift für prakt. Heilkunde. 1876. Bd. 130.
2) Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der mikroskop. Algen
und Pilze. Verhandlungen der kaiserl. Leop.-Garolin. Akademie der Naturforscher.
Bd. XVI. Abth. 1.
Kackfallstyphas. 8&
den Bind und darin bestehen, dass das Individuum mehr oder weni-
ger anhaltende Pausen in seinen Bewegungen maeht, wfthrend wel-
eher einige Windungen sich gerade stellen , strecken. Ich werde
weiter noch Gelegenheit haben, Aber die Beweglichkeit der Spiro-
chaeten zu sprechen.
Am leichtesten fand ich Spirochaeten in dünnen Präparaten und
an Stellen, wo sich im Sehfelde wenig Blutkörperchen befanden.
Am gtlnstigsten ist es, das Blut Vorher zu defibriniren, da im frischen
Blnte, an denjenigen Stellen, wo Fibringerinnungen stattgefunden
haben, Spirochaeten sich nicht wahrnehmen lassen. Die Spirochaeten
balanciren oft ziemlich lange an einer Stelle im Blutplasma, so dass
es durchaus nicht schwer wird, sie zu fixiren. Zuweilen finden sie
sich in geringer Anzahl — kaum eine in mehreren Präparaten — ,
ein anderes Mal in solchen Massen, dass man sie in jedem Sehfelde
zn Dntzenden finden kann. Am häufigsten stösst man auf einzelne
Spirochaeten ; zuweilen verwickeln sich eine Menge von einzelnen In-
diridaen derartig unter einander, dass sie ganze Knäuel bilden
(Taf.II, Fig. 2, 3, 4b). Die Spirochaeten sind nicht gleichmässig im
Blate vertheilt; mir ist es wiederholt begegnet, in verschiedenen
Bhtproben desselben Kranken die verschiedensten Mengen zu beob-
achten. In einem Sehfelde gab es ihrer eine Menge, im anderen
desselben Präparates kaum einzelne Individuen. Ebenso bot das
Blut, zu gleicher Zeit aus verschiedenen Stellen (der Haut des Rttckens
und der Schleimhaut der Nase) entnommen, mitunter die grössten
Unterschiede in Bezug auf die Anzahl der Spirochaeten. Möglicher-
weise beruht zum Theil auf letzterem Umstände das von einigen
Autoren (Hei den reich) beobachtete auffallende Schwanken in der
Zahl der Spirochaeten in verschiedenen Tageszeiten eines Anfalles.
Ich kann mit vollster Ueberzeugung sagen , dass mir kein einziges
Mal in den ersten Tagen der Krankheit mehr (durchschnittlich) Spi-
rochaeten begegnet wären, als in den folgenden Tagen. Mir ist es
ebensowenig, wie auch anderen Beobachtern (Litten, Unterber-
ger, Engel) gelungen, Spirochaeten im Schweisse oder im Uriui
oder im Speichel, oder in der Milch, oder in den Faeces, oder im
Eiter Recurrenskranker zu beobachten. Meine Bemtlhungen, sie in
den Schweissbläschen (Sudamina) und in den Blasen bei Erysipelas
bullös, nachzuweisen, waren ebenso erfolglos, wie auch die Bemühun-
gen EngeTs, sie in der Flüssigkeit der Blasen nach einem Vesica-
tor oder im Auswurfe zu finden. Das einzige Mittel, in welchem die
Spirochaeten gefunden werden, ist das Blut, und zwar das Menstrual-
blot nicht ausgenommen, in welchem Litten sie nicht finden konnte.
86 IV. MOOZÜTKOWSKY
Im Blute Lebender ist die Anwesenheit von Spirochaeten so constant,
dass ich mich keines Anfalles von Recurrens oder biliösen Typho-
ids erinnere« in welchem ich sie nioht gefunden hätte. In diesem
Sinne hat sich auch Heidenreich ausgesprochen. Dagegen wer-
den im Leichenblut Spirochaeten gewöhnlich nicht angetroffen (Orth %
Ponfick^)). — Heidenreich allein ist es gelungen, unbewegliche
Spirochaeten im Blute eines ai^ Recurrens Verstorbenen nachzuweisen.
Ausser im Blute Recurrenskranker und mit biliösem Typhoid Behaf-
teter sind ganz den Spirochaeten ähnliche Gebilde beobachtet worden
von Billroth in der Flüssigkeit bei Noma, von Manassein^) im
Inhalte einer Cyste der Highmorshöhle , von Steinberg ^) und
Gohn^) im Schleime des Mundes und noch früher von Ehrenberg
im Wasser. Cohn hält alle die im Wasser, Schleim und Blut ge-
fundenen Bildungen für gleichartig, nur verschiedene Uebergangs-
stufen darstellend. Dies ist aber noch nicht bewiesen und wir dürfen
es nicht unberücksichtigt lassen, dass die Lebensbedingungen und
das Medium jeder einzelnen dieser Formen durchaus verschiedene sind.
Was die Menge der Spirochaeten während der verschiedenen
Tage und Tageszeiten des Anfalles betrifft , so haben mich meine
Beobachtungen zu folgenden Resultaten geführt. In den ersten 24
Stunden des ersten Anfalles fand ich 8 — 14 Stunden nach dem Be-
ginne desselben bei sorgfältiger Beobachtung stets Spirochaeten; in
10 — 20 Sehfeldern Hess sich immer eine Spirochaete auffinden. Am
zweiten Tage kommen sie schon in grösserer Anzahl vor, — eine
Spirochaete auf 3—4 Sehfelder. In den folgenden Tagen nimmt die
Zahl der Spirochaeten immer zu und erreicht etwa 20 Stunden vor
Eintritt des Schweisses das Maximum. Darauf verringert sich die
Zahl und eine halbe Stunde nach Beginn des Schweisses verschwin-
den die Spirochaeten vollständig. Nachfolgend die Durchschnittszah-
len, gewonnen aus der Zählung der Spirochaeten in verschiedenen
Tagen des Anfalles in 8 Fällen.
10 Standen nachdem die Temperatur höher als 38^ C. gestiegen war,
fanden sich in 1 Sehfelde V^^ Spirochaete
24 1 i/i
72 „ „. „ „ 1 „ 4i;2
1) C!omp. der pathologisch-anatomischen Diagnostik. IST 6.
2) Anatomische Studien über Typhus recurrens. Virchow^s Archiv. Bd. 60.
3) St. Petersburger med. Wochenschrift. 1876. Nr. IS.
4) Unters, der weissen, weichen Masse, die sich zwischen den Zähnen ansam-
melt. Kiew 1662.
«
5) Beiträge zur Biologie der Pflanzen. IST 5. Heft 3.
n n n
n n n
RackfallBtyphiu. 87
Im Laafe des 4, 5, 6. Tages nud weiter bis zum Tage der Krise
rariirte die Zahl der Spirochaeten io einem Sehfelde zwischen 3^/4 and 21 ^/2.
Am Tage der Krisis
16 Stunden vor Beginn des Seh weisses kamen 12 anf 1 Sehfeld
^n » n n it n ^ 1^ n n rt
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^ n n »n » i» *^ 1^ n n n
^ n tt n n n »u/x
1 9 9 » » It n 3V2
Eine halbe Stunde nach Beginn des Schweisses wurden gar keine Spiro-
chaeten mehr gefunden.
Litten bemerktei dasa die Spirochaeten vor der Krise vollstän-
dig verschwinden, sich an Zahl gegen Ende des Anfalles verringernd ;
Lapt8chin8k7^)sah auffallend viele Spirochaeten am Tage vor der
Krise. Heidenreich fand nicht, dass die Anzahl der Spirochaeten
mit jedem folgenden Tage zunimmt (1. c. pag. 98, 99), wogegen flb-
rigens seine Beobachtungen am Kranken Nr. 63 auf Seite 102 und
103 sprechen.
In der Incubationszeit, wie auch während der Apyrexie habe
ieh kein einziges Mal Spirochaeten gesehen. Die verschiedenen Mei-
Bungen der Autoren in Beziehung auf die Anwesenheit der Spiro-
chaeten im Blute während der Apyrexie habe ich schon oben an-
gefahrt
Im zweiten und den folgenden Anfällen wiederholen sich ganz
dieselben Befunde, wie im ersten; hier finden sich, ebenso wie im
ersten Anfalle in den ersten Stunden nach Erhöhung der Körper-
temperatur des Kranken keine Spirochaeten. Darauf folgen die täg-
liche Steigerung der Anzahl und die übrigen Veränderungen der
Spirochaeten ganz gleich, wie in dem schon angegebenen ersten An-
falle. In der Zeit der Reconvalescenz wurden keine Spirochaeten
beobachtet.
In der Grösse der Spirochaeten an den correspondirenden Tagen
der verschiedenen Anfälle habe ich keinen Unterschied beobachtet.
Was die Anzahl der Spirochaeten in den verschiedenen Anfällen
betrifft, so kann ich sagen, dass ich die meisten im 3. Anfalle beob-
achtet habe. Ich führe hier einen der von mir notirten Fälle an:
Bei Wassilissa Knischukowa fand ich am Tage vor der Krise des
ersten Anfalles am 6. Mai 1875 in einem Sehfelde 4 — 9 Spirochaeten
am 19. Mai am Tage vor der IL Krise 5 — 12 „
«__2. Jnoi n n n n M- n 20—30
1) Histologische Studien über das menschliche Blut bei verschiedenen Erank-
beiten. St Petersburg 1875 (russisch).
88 IV. MOCZITTKOWSKY
Die Bewegung der Spirochaeten betreffend Hessen sich je nach
den Tagen des Anfalles einige Versebiedenheiten bemerken. Am
ersten Tage bewegen sieb die Spirocbaeten langsamer; in den fol-
genden Tagen nimmt die Beweglicbkeit mebr und mebr zu, um dann
am letzten Tage des Anfalles wieder langsamer zu werden. In den
ersten zwei oder drei Tagen berrscht die Bewegung in der Ricbtung
der Längsaxe des Körpers vor; in dem Maasse als der Anfall vor-
scbreitet, erscbeinen dann bftufiger die Pendelbewegungen.
Bei Annäberung des kritiscben Sebweisses trifft man unter den
gewöbnlicben Spirocbaeten aucb solcbe, bei welcben die Bewegungen
der Längsaxe nocb langsamer werden und die tetaniscben Bewegun-
gen Yorberrscben. Zuweilen werden Bewegungen in einem gewissen
Tbeile der Eörperlänge nocb vollzogen, wäbrend der andere Tbeil
unbeweglicb bleibt. Ausser den Spirocbaeten mit verlangsamten Be-
wegungen stösst man dann aucb auf solcbe, wo die Bewegung scbon
ganz aufgebort bat. In dem Maasse als bei langsam sieb bewegen-
den Spirocbaeten die Beweglicbkeit abnimmt, beginnen die unbeweg-
licben ganz zu verscbwinden, so dass sie in der Zeit des Sebweisses
gar nicbt mebr vorkommen. Unbeweglicbe Spirocbaeten beobachtete
Engel im Blute Lebender aucb 6, mitunter 12 Stunden vor dem
Ende des Anfalles.
Wie icb scbon oben bemerkt, begegnet man den Spirochaeten
gewöhnlich vereinzelt — selbst wenn ihrer mehrere in einem Seh-
felde vorhanden sind. Dies gilt aber nur für die ersten Tage ^es
Anfalles. Während der letzten Tage einiger Anfälle gelang es mir
die von Obermeier ^) beschriebenen in Knäueln angehäuften Spi-
rocbaeten zu beobachten. Genauer beschreibt dieselben Engel, noch
ausführlicher Heidenreich. In meinen Fällen erschienen die Spi-
rocbaeten derartig unter einander verwickelt, dass sie sternförmige
Figuren — Knäuel, welche an ausgezupfte Filzstttckchen erinnerten,
bildeten (Taf. II, Fig. 2, 3, 4 b). In jedem solchen Knoten liess sich
ein centraler Tbeil, welcher aus entweder gerade ausgezogenen oder
wellenförmig gebogenen Spirochaeten bestand, wahrnehmen und 3 bis
40 vom Centrum radienförmig auslaufende Enden; letztere stellten
Tbeile von Spirochaeten dar^ deren gewöhnliche Beweglichkeit voll-
ständig erhalten war. Einige Tbeile von Spirochaeten, welche durch
das Centrum des Knotens hindurch gingen , hatten jede Beweglich-
keit eingebflsst; andere äusserten von Zeit zu Zeit Beweglichkeit
nur in einzelnen Windungen. Ausser den Bewegungen in den peri-
1) Berliner klinische Wochenschrift. 1873. Nr. 33.
RflckfallstyphQs. 89
pberen radiftren Enden der Spirochaeten bemerkt man in jedem Kno-
ten noeh Bewegungen nach den verschiedensten Richtungen, augen-
scheinlich unabhängig Yon der in Folge des Verdunstens des Prä-
parates hervorgerufenen Ortsveränderung. Diese Bewegungen sind
entweder fortschreitende nach einer oder der anderen Richtung, oder
Rotationsbewegungen, aber nur in sehr beschränkten Grenzen. Die
Bewegung eines ganzen Knäuels nach einer oder der anderen Seite
scheint abhängig zu sein von dem Uebergewicht der Kraft der Be-
wegungen der freien Enden der einzelnen Spirochaete-Individuen, bei
welchen sich die tetanischen Zuckungen ziemlich häufig wiederholen.
In einigen Fällen stiess ich in einem Sehfelde auf 3—8 solcher
Knäuel« Ich beobachtete sie am häufigsten im zweiten und dritten
Anfalle und immer nur bei Complicationen mit Pneumonie oder le-
teros. Ich kann die Beobachtungen Heidenreich 's hinsichtlich
des Auftretens solcher Knäuel im stagnirenden Blute bestätigen und
kann nicht umhin zu erwähnen, dass fast alle meine Fälle sich durch
bedeutende Kreislaufstörungen (Schwäche des Pulses, Cyanose) aus-
zeichneten. Letzteres bestätigt auch die Existenz des von Heiden-
reich angegebenen Zusammenhangs der Verlangsamung der Circu-
lation mit dem Auftreten der Knäuel im Blute. Der Grund dieser
Abhängigkeit wird um so verständlicher, wenn man sich des von
Ludwig und Httter bewiesenen Factums erinnert, dass bei fiebern-
den Thieren nur ein Theil ihres Blutes im Organismus circulirt, —
der andere befindet sich im Zustande der Stauung; oder auch der
Beobachtungen Haro'sO» welcher bewies, dass die Blutgeschwin-
digkeit sich verringerte nach Zusatz verschiedener Quantitäten von
Gallensalzen, im Mischverhältnisse, wie solche in der Galle enthal-
ten sind.
Zugleich mit den beschriebenen Knäueln begegnete man recht
häufig auch einzelnen Spirochaete-Individuen von verschiedener Grösse
(Taf. II, Fig. 3 u. 4). Es kamen Spirochaeten vor, bei welchen die
Enden verbunden waren und die in Folge dessen die Ringform an-
genommen hatten; an diesen Ring hängten sich zuweilen an den
Seiten noch zwei oder drei Spirochaeten an (Taf. II, Fig. 2 b). Man
erblickte auch äusserst lange Fäden, welche fast die Hälfte des Seh-
felddurchmessers einnahmen, scheinbar einem Individuum zukommend
(Taf. II, Fig. 3 u. 4 c.). Solch ein Faden, welcher mitunter in seiner
ganzen Ausdehnung nirgends deutliche Verdickungen wahrnehmen
liees, ^rriss plötzlich unter den Augen des Beobachters und dann
1) Gazette hebdomad. 1876 Ko. 37.
90 lY. MOCZUTKOWSKY
konnte man sich leicht ttberzengen, dass der Faden aus zwei Indi-
viduen bestand, die sich mit ihren Enden verwickelt hatten. Die
Leichtigkeit, mit der der Faden unter spitzem oder rechtem Winkel
abbrach, lieferte mitunter nur den Beweis, dass man zwei in ihrer
Lftngsaxe verkettete Individuen vor sich hatte. Diese zusammenge-
setzten Gebilde eben sind es wahrscheinlich, welche von Engel fflr
einzelne Indivi^en von der Länge bis zum Durchmesser von 30
rothen Blutkörperchen gehalten worden. Da am Ende des Anfalles
die Zahl der Spirochaeten zunimmt, sie aber auch in dieser Zeit unter
gewissen Bedingungen die Neigung haben, sich zu Knäueln zu ver-
flechten, so konnten sie; oft der Länge nach verbunden, Engel Ver-
anlassung gegeben haben, ihre Länge mit ihrem Alter in Zusammen-
hang zu bringen.
Die Verwickelung der Spirochaeten in Knäuel ist meiner Ansicht
nach bedingt durch die Spiralform derselben, für welche, wenn sie
auch unter dem Mikroskope nicht erkennbar, einige Umstände spre-
chen. Heidenreich erschien die Form der Spirochaeten 'unter dem
Mikroskope beim ersten Blicke auch nicht spiralig. Die von ihm an-
geführten Merkmale, welche für die spiralige Form der Spirochaeten
sprechen sollten, habe ich nicht ein einziges Mal bemerken können.
Eine derartig enge und feste Verflechtung, wie sie in den Knäueln
vorkommt, ist kaum bei irgend einer anderen Körperform der Spi-
rochaeten möglich. Wäre die Form eine zickzackähnliche, so müsste
jede Bewegung einer Spirochaete sie von der anderen frei machen ;
wogegen bei der Spiralform in Folge der wellenförmigen (vielleicht
auch schraubenförmigen) Bewegung ein Sichhineinwinden einer Spi-
rochaete in die andere, oder in einen ganzen Knäuel, oder eine noch
innigere Verflechtung unter einander stattfindet
Heidenreich sieht den Grund der Knäuelbildung in der der
Spirochaete eigenthümlichen Klebrigkeit und bezieht sich dabei auf
das Factum, dass man häufig unter dem Mikroskope den Spirochaeten
rothe Blutkörperchen ankleben sieht, von welchen sie sich zu be-
freien streben. Es ist vollkommen richtig — dieser Erscheinung be-
gegnet man oft; aber wenn sich die Spirochaeten durch besondere
Klebrigkeit auszeichneten, so müsste man um so häufiger auf ange-
klebte Partikelchen von zerfallenen rothen Blutkörperchen stossen,
oder auf die im Blute fortwährend vorkommenden und sich bewe-
genden kleinsten Körperchen, Endothelien, welche in Folge ihres
geringen Umfanges noch leichter von den Spirochaeten festgehalten
werden müssten. Statt dessen begegnen wir letzterer Erscheinung viel
ßeltener, als den angeklebten Blutkörperchen. Den Grund für die
RackÜAUBtyphiis. 91
eben beschriebene Erscheinung sehe ich im Gegentheil in der Kleb-
rigkeit der rothen Blutkörperchen, von welcher Eigenschaft sich Jeder
nicht schwer überzeugen kann, der Präparate aus dem Blute Typhöser
angefertigt hat; und ist diese Eigenschaft noch besonders von Coze
und FeltZy sowie von Laptschinsky(Lc) nachgewiesen worden.
Abgesehen von der Eigenschaft der rothen Blutkörpercheni sich bei
Typhösen in Haufen zusammenzudrängen, sich auszudehnen und die
Tcrschiedensten Gestalten (Taf. 11, Fig. 3 u. 4 k. p.) anzunehmen, muss
ich bemerken, dass gerade in ihrer Nähe sich jene kleinsten Par-
tikelchen concentriren, welche im Blute vorkommen und welche, wie
ich schon sagte, nur selten den Spirochaeten ankleben.
Den zweiten Beweis für die Spiralform der Spirochaeten sehe
ich in einer Erscheinung, welche mir nur ein einziges Mal zu beob-
achten gelungen ist, und welche man zu den allerseltensten Fällen
zählen muss.
Der Sachverhalt ist folgender: Am 17. Juni 1874, beschäftigt
mit der Untersuchung des Blutes einer Recurrens-Eranken , Ustinja
Flora, beobachtete ich einige Spirochaeten, welche in Folge des Zu-
satzes von zwei Volumen destillirten Wassers zum Blute der Be-
wegung beraubt waren. Zu der Zeit, als eine dieser unbeweglichen
Spirochaeten fast im Centrum des Sehfeldes gut fixirt war, kreuzte
bei einer benachbarten Gruppe rother Blutkörperchen eine runde
Bacterie, deren Durchmesser annähernd dem Radius der Spirochaete-
Windang gleichkam (Taf. II, Fig. 3 u. 4 f. f.). Diese Bacterie , der
Mitte der von mir fixirten unbeweglichen Spirochaete sich nähernd,
bewegte sich plötzlich entlang derselben in der Richtung (in Bezug
auf das Sehfeld) von rechts nach links und indem sie auf diese Weise
den Weg entlang 3 Windungen der Spirale zurückgelegt, gelangte
sie an das Ende derselben, machte noch eine Rflckwärtsbewegung
einer Windung entlang und verschwand aus dem Sehfelde. Ich habe
dieses Präparat noch lange beobachtet, allein die oben beschriebene
Erscheinung ist mir weder in diesem, noch in den nachher (im Laufe
von 2 Jahren) von mir angefertigten Präparaten (an 2000) vorge-
kommen. Indem die Bacterie der Spirochaete entlang fortschritt,
bewegte sie sich längs der Peripherie der Windungen derselben. Der
Durchmesser des Spirochaete-Eörpers wurde um ein Bedeutendes vom
Durchmesser der Bacterie übertroffen und es zeichnete sich letztere
daher scharf ab. Indem die Bacterie sich mit äusserster Geschwin-
digkeit längs der äusseren Windungen der Spirale bewegte, mussten
diese Bewegungen in einer tiefer gelegenen Ebene vollzogen werden,
als die von der Spirochaete eingenommenen. Da nun die von mir
92 IV. MOCZUTKOWSKY
beobachtete Spirochaete gerade im Focus (Hartnack Immers.-System
11, Ocul. 3) fixirt wurde, bo inusste die Bacterie, entweder weiter
oder näher als der Focus gelegen, in der verticalen Axe des Seh-
feldes weniger deutlich erscheinen, dagegen ganz deutlich zu sehen
sein an den Stellen der Spirochaete , welche genau in der horizon-
talen Ebene des Focus lagen. Es ist selbstverständlich, dass, wenn
die Spirochaete die Wellenform besässe, auch der von der Bacterie
zurückgelegte Weg sich als Wellenlinie darstellen mttsste.
Ich erwähnte schon den Zustand, in welchem sich die Spiro-
chaete am Ende des Recurrens- Anfalles befindet. Welches ist nun
ihr weiteres Schicksal? Das war die Frage, welche ich, gleich vielen
anderen Forschem, sofort aufwarf, als ich Gelegenheit hatte das Blut
eines Recurrens-Eranken nach dem Schweissstadium zu untersuchen.
Diese Frage ist jedoch bis dahin noch nicht aufgeklärt. Engel
wagt es nicht, sich über die Art der Entstehung der Spirochaeten
auszusprechen und weiss nicht anzugeben, ob sie sich aus anderen
Formen entwickeln, oder auf dem Wege einfacher Vermehrung (Thei-
lung, wie auch andere derselben Gattung). Was aus ihnen wird,
nachdem die Bewegung aufgehört hat, weiss er nicht zu sagen, zieht
aber den Schluss, dass sie unter normalen Verhältnissen, da sie weder
im Urin, noch im Schweisse, noch in anderen Secreten oder Excre-
menten beobachtet worden, nicht in unveränderter Form aus dem
Organismus ausgeschieden werden . G o h n und Heidenreich beob-
achteten, dass die Spirochaeten bald nach Aufhebung der Bewegung
ein körniges Aussehen erhielten. Beide Autoren kommen zu dem
Schluss, dass dieses Aussehen durch die fettige Entartung der Spi-
rochaete bedingt sei.
Mir ist es nur zweimal gelungen, unter dem Mikroskope im
Blute, welches einmal 4 Stunden, das andere Mal 17 Stunden in der
feuchten Kammer gestanden hatte, den Frocess des Zerfalls der Spi-
rochaeten zu beobachten. Der Vorgang besteht in Folgendem: die
unbewegliche Spirochaete beginnt zwei Stunden nach dem Aufhören
der Bewegungen sich ein wenig aufzublähen und zwar der Art gleich-
massig, dass sich an derselben weder Erhebungen noch Vertiefungen
wahrnehmen lassen. Anfangs scheint sie sich zu trüben, doch sehr
bald bemerkt man einen feinkörnigen Zerfall, wobei es die Anord-
nung der Detritustheilchen fast unmöglich macht, das ursprüngliche
Aeussere der Spirochaete zu erkennen (Taf. II, Fig. 3 d). Im frischen,
dem Kranken während oder gleich nach dem Schweisse entnommenen
Blute ist es mir nie gelungen, das beschriebene Bild schon vollendet
zu beobachten.
RQckfallstyphas. 93
Ich gehe jetzt fiber zu der Untersuchung der Bewegungsfähigkeit
der Spirochaeten unter verschiedenen Bedingungen inner- und ausser-
halb des menschlichen Organismus — wenn man sich so ausdrücken
kann, zur Frage der Lebensfähigkeit der Spirochaete. Ich ffige letz-
teres in Bezug auf den Umstand hinzu, dass die Aufbebung der Be-
weglichkeit der Spirochaete noch keineswegs als Beweis ihres Todes
dienen darf , ebenso wenig wie bei den Honaden der getrocknete
Backstand nicht für die Leichen derselben angesehen werden darf
(Hat er).
Es ei^b sich, dass bei Recurrens die Spirochaete aus dem Blute,
welches sich innerhalb des Organismus befindet, früher Terschwindet,
als aus demselben Blute ausserhalb des Organismus. Zum Beispiel
fand ich in dem Blute, welches der Tatjana Wassiljewa am 5. März
1875 am 5. Tage des 2. Anfalles, 4 Stunden vor Eintritt der Krise
entnommen war, unter dem Mikroskope in der feuchten Kammer, bei
einer Zimmertemperatur von 15 — 17 ^R., nach Verlauf von 20 Stun-
den sich bewegende Spirochaeten, während in dem derselben Kranken
8 Stunden nach der obigen Blutentziehung entnommenen und sofort
unter dem Mikroskop untersuchten Blute keine einzige gefunden
wurde. Dieser Erscheinung weiter aufmerksam nachgehend, machte
ich folgende Beobachtungen: W&hrend in dem Blute der Palageja
Ewdokimowa am Tage der Krise des 1. Anfalles am 11. April 1875
die Spirochaeten vollständig verschwunden waren und das täglich
im Verlaufe der ganzen ersten Apyrexie frisch untersuchte Blut durch-
aus keine Formelemente ergab, welche es wesentlich von gesundem
Blute unterschieden hätten, so enthielt das derselben Kranken am
10. April, also am Tage vor der Krise, entnommene und in herme-
tisch verschlossenen (zugeschmolzenen) Röhrchen bei einer Tempera-
tur von 14 — n^ B. aufbewahrte Blut am 15. April, d. h. am 5. Tage
der Apyrexie untersucht, in Beziehung auf Anzahl (bis 30 im Seh-
felde) und Beweglichkeit gut erhaltene Spirochaeten. Das Röhrchen
mit dem Spirochaeten enthaltenden Blute wurde zur weiteren Unter-
suchung von Neuem verlöthet. In der Paralleluntersuchung enthielt
das der Ewdokimowa am 15. April frisch entnommene Blut keine
Spirochaeten. Am 19. April, als in dem der Ewdokimowa am 3. Tage
des 2. Anfalles frisch entnommenen Blute sich eine Menge von Spi-
rochaeten fand, erschienen in dem schon einmal untersuchten Blute
des ersten Anfalles hie und da unbewegliche Spirochaeten; bei an-
deren wurden die Bewegungen langsamer und zeichneten sich durch
häufige Pausen aus ; die Anzahl der Spirochaeten hatte im Vergleich
zur erstangegebenen nicht zugenommen. Am 3. Mai wurde wiederum
94 IV. MOCZUTKOWSKT
dasselbe Blat aas dem Söhrchen untersucht, welches zugelöthet zur
weiteren Untersuchung aufbewahrt worden war. Dieses Mal gab es
nur sehr wenige bewegliche Spirochaeten — etwa 2 oder 3 im Seh-
felde ; unbewegliche fanden sich in gleicher Anzahl ; Detritustheilchen
gab es bedeutend mehr. An diesem Tage enthielt frisch im Laufe
des zweiten Tages des 3. Anfalles entnommenes Blut in jedem Seh-
felde 4 — 6 Spirochaeten. Am 18. Mai wurde das Blut aus obigem
Böhrchen abermals untersucht und fand sich in mehr als 20 Präpa-
raten nur eine sich kaum noch bewegende Spirochaete.
2. Beobachtung: Der Tatjana Wassiljewa wurde am 4. Tage des
ersten Anfalles am 18. Februar 1875 Blut entzogen und in vier so-
fort zugeschmolzenen Böhrchen aufbewahrt. Dasselbe zeigte in jedem
Sehfelde 8 — 14 Spirochaeten. Am 3. Tage des 2. Anfalles, am 3. März
wurde eins der Böhrchen eröffnet und fand sich im Blute nur die
Hälfte der Anzahl der Spirochaeten in Bewegung. In dem am glei-
chen Tage frisch entnommenen Blute kamen auf ein Sehfeld 3 bis
4 Spirochaeten. Am 4. Tage der 2. Apyrexie (am 9. März) enthielt
das frisch entnommene Blut gar keine Spirochaeten; in dem Blute
aus dem an demselben Tage eröffneten zweiten Böhrchen fand man
sie in sehr geringer Zahl, nicht einmal in jedem Sehfelde. Am
13. März, am 2. Tage des 3. Anfalles wird das Blut aus dem 3. Böhr-
chen und wiederum frisch entnommenes untersucht; im ersten keine
Spirochaeten, im zweiten trifft man nur hie und da auf vereinzelte
Spirochaeten. Am 30. März in der Periode der Beconvalescenz der
Kranken werden in dem im vierten Böhrchen enthaltenen ebenso-
wenig wie in dem frisch entnommenen Blute Spirochaeten wahrge-
nommen.
Die eben angeführten zwei Beobachtungen bestätigen die frAher
oben ausgesprochene Meinung und beweisen, dass die Spirochaeten
ziemlich lange ausserhalb des Organismus leben können. Im ersten
Versuch behielten sie die Beweglichkeit in hermetisch verschlossenen
Gefässen im Laufe von 37 Tagen. Dieses ist die längste Dauer der
Erhaltung der Bewegungsfähigkeit der Spirochaete, welcher ich in
allen meinen Beobachtungen begegnet bin. Meine Untersuchungen
bestätigen aber nicht die Ansicht Engel's, dass, in je früherer Zeit
des Anfalles das Blut entnommen wurde, um so länger auch die
Lebenstähigkeit der Spirochaete ausserhalb des Organismus sei und
umgekehrt. Ich habe hier durchaus keine Gesetzmässigkeit finden
können. Jedenfalls bleibt den Spirochaeten ihre Beweglichkeit be-
deutend länger erhalten, als es Litten (24 Stunden) und Mttnch
(über 24 Stunden) beobachteten. Heidenreich sah die Spirochaete
Rück&llBtyphQB. 95
ausserhalb des Organismas (in mit Siegellack verklebten Röhrchen)
sogar nach 130 Tagen sich bewegen. Diese Beobachtung ist sehr
wichtig ; denn berücksiehtigen wir dabei noch das bekannte Factam»
dass niedrige Temperaturgrade dem Leben der Bacterien günstig
(Bucholtz)O sind und dass nach Heidenreich der Spiroohaete
ihre Beweglichkeit am besten bei einer Temperatur von 12,8 — 17,60R.
erbalten bleibt, — so wird der Zusammenhang zweier , selbst weit
getrennter Epidemien des Recurrens um so begreiflicher. Die spon-
tane Entstehung Murchison's verliert selbstverständlich ganz ihre
Bedeutung.
Was den Unterschied betrifft in der Bewegungsfähigkeit der
Spirochaeten in defibrinirtem Blute, welches in hermetisch verschlosse-
nen Gefässen aufbewahrt, oder dem Einflüsse der atmosphärischen
Luft (in der feuchten Kammer) ausgesetzt gewesen, so bewegten sich
die Spirochaeten im ersteren Falle zehnmal länger, als im zweiten.
Die Trockenheit wirkte auch äusserst rapid auf die Beweglich-
keit der Spirochaeten; je schneller sie einwirkte, um so schneller
hörte die Beweglichkeit auf.
Das Aufhören der Bewegungen erfolgt ziemlich rasch; nach
einigen tetanischen Bewegungen treten zuerat Pausen in den mitt-
leren Windungen auf und dann im ganzen Individuum.
Die Cultur der Spirochaete führte mich, wie auch Weigert,
Lebert^) und Heidenreich zu negativen Resultaten. Ein Tro-
pfen Blut, welcher eine Menge von sich bewegenden Spirochaeten
enthielt, wurde in ein 1 Ccm. Cohn*scher oder Pasteur'scher Flüssig-
keit enthaltendes Gefäss hineingegeben. Die Spirochaeten gingen
nach 5 — 10 Minuten zu Grunde. In einer Zuckerlösung von mehr
als b^io und einer Eiweisslösung von 10 ^/o gingen sie augenblicklich
zu Grunde; in schwächeren Lösungen erhielten sie ihre Beweglich-
keit 1/2 — IV2 Stunden.
Die Cultur der Spirochaeten im Blute', we^hes gesunden Men-
schen, Thieren, mit anderen Infectionskrankheiten (Abdominaltyphus,
Diphtherie) behafteten Kranken entnommen war, gelang ebenso-
wenig; die Spirochaeten gingen am 2. und nicht später als am 5.
Tage' zu Grunde.
Das gleiche Resultat wurde erhalten bei den Versuchen mit
1) Archiv ft&r experim. Pathologie und Pharmakologie. Bd.iy. Heft 9. 1S75.
2) Ziemssen^s Handb. der spec. Pathol. u. Therapie. Bd. II. t.
96 IV. MOCZDTCOWSKT
Blut- oder MilchBerum. Niemals bemerkte man eine Zunahme der
Anzahl der Spiroehaeten im neuen- Medium ; im Gegentheil, die An-
zahl yerringerte sich fortwährend bis zum gänzlichen Verschwinden.
Ausser den Versuchen mit Spiroehaeten enthaltendem Blut wur-
den auch Versuche gemacht mit Blut, welches Kranken während
der Apyrexie entnommen. Es ergab sich, dass die Spiroehaeten nicht
nur nicht am bezQglichen Tage^ entsprechend dem Erscheinen der-
selben im Organismus (Rückfall) sich zeigten, sondern auch nicht in
der folgenden Zeit Die Beobachtungen wurden 3—6 Wochen fort-
gesetzt.
(SchlusB folgt.)
Erklärung der Abbilduogen.
(Tafel U.)
Die ersten 4 Figuren stellen Bilder nach der Natur dar. 11. Immers.-
Syst. (Hartnack) Ocalar No. IV.
Fig. 1. Blut vom zweiten Tage des ersten Anfalles des Recuroena.
Die rothen Blutkörperchen geldrollenartig (g. g.) aneinander gelagert; zwi-
schen ihnen vereinzelte Spiroehaeten (a. a.) verschiedener Grösse.
Fig. 2. Blut vom fünften Tage des zweiten Anfalles. Rothe Blut-
körperchen reihen sich in kleinere Geldrollen aneinander (g. g.), man sieht
stellenweise rothe Blutkörperchen vereinzelt (b. b.) und in unregelmässigen
Häufchen (k. k.). Hier und dort geschrumpfte rothe (m. m.) und farblose
Blutkörperchen (x.). Im unteren Segment des Gesichtsfeldes ein Stttck
Endothel (n.). Spiroehaeten vereinzelt (a. a.) und in Knäueln (b. b.).
Fig. 3. Blut vom 6. Tage des biliösen Typhoids, zwei Tage vor
dem Tode. Rothe Blutkörperchen nur noch an wenigen Stellen (g. g.) geld-
rollenartig geordnet, .bänfiger in Häufeben anzutreffen (k. k.); an einzelnen
Stellen sind sie gequollen (q.), ausgezogen (p. p.) und im Zerfall (t. t) be-
griffen. Im oberen und unteren Theil des Präparates liegen stechapfel-
förmige rothe Blutkörperchen (v. v.). Rechts von dem unten gelegenen
stechapfelförmigen Körperchen liegt der Obermeier'sche Protoplasma-
Körper (s.). Spirochaete finden sich bald einzelne (a. a.), bald in Knäueln
(b. b.) vor. Links über dem unteren stechapfelfOrmigen Blutkörperchen
liegt eine lange Spirochaete (c), die zwei in der Länge aneinander ge-
heftete Individuen darstellt. Im linken oberen Abschnitt des Gesichtsfeldes
eine in Zerfall begriffene Spirochaete (d.). Mit e sind Detrituspartikelchen
von rothen Blutkörperchen un4 Endotheiien, mit f. f. sich lebhaft bewegende
runde und ovale Körpereben (Bacterien?) bezeichnet.
RückfaUstyphus. 97
Flg. 4. Blatpräparat, 6 Stauden vor der KriBls des zweiten Anfalls.
Rotlie Blutkörperchen sind in Hänfehen (k. k.) groppirt; häufig werden
farblose Blutkörperchen angetrofi^en (x. x.). Spirochaeten bald gesondert
(a. a.) bald in Knäueln (b. b.). Zwei in der Länge verbundene Spirochaeten (c).
Oben im Präparat das Obermeier'sche Körperchen (s.) und ein stech-
apfelfdrmiges rothes Blutkörperchen (v.); unten haftet an zwei farblosen
Blatkdrperchen (x. x.) ein Stückchen Endothel (n.). Detrituspartikelchen
nod sich lebhaft bewegende Körperchen (Bacterien) f. f.
Fig. 5. Stellt ein gläsernes Capillarrohr in halber natttrlicher Grösse
dar, das in dem Theile a. b. Blut Enthält und luftdicht zugelöthet ist.
Derisehe» Archiv f. Win. Medicin. XXIV. Prt.
V.
Deber subfebrile Zustände von erheblicher Dauer«
Von
Dr. W. Kernig,
Ordinator am ObuchofT-Hospltal in 8t. Petenbnrg .
(Hierzu Tafel III-V.)
Bei einer genauen, eingehenden und namentlich verhältniss-
massig lange fortgesetzten thennometrischen Beobachtung sehr Ter-
Bchiedener Krankheiten trifft man nicht selten auf Zustände, die sich,
abgesehen von allen flbrigen etwaigen Symptomen, vorzugsweise
durch anhaltende, während längerer Zeiträume vorhandene subfeb-
rile Temperaturen charakterisiren. Es ist dieses Thema imn den
subfebrilen Temperaturen, die während längerer Zeit, im Verlauf von
Wochen, Monaten, selbst Jahren — wie ich einen Fall vorlegen kann
— an einzelnen Kranken meist Tag für Tag beobachtet werden,
wohl werth einmal einer gesonderten Besprechung unterzogen zu
werden, zumal da derartige Temperaturverhältnisse unter Umständen
von hohem diagnostischen und prognostischen Interesse sein können.
Das Material zu den vorliegenden Mittheilungen habe ich zum
Theil einzelnen in der Privatpraxis durch längere Zeit beobachteten
Fällen, zum grösseren und hauptsächlichen Theil aber den Kranken-
Journalen entnommen, welche ich als Arzt der hiesigen Taubstum-
menschule fflhre; ausserdem habe ich einzelne in der Literatur vor-
findliche Beobachtungen benutzt, doch will ich in Bezug auf letztere
nicht den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit machen. Selbst-
verständlich habe ich in der Privatpraxis sehr viel mehr solcher Fälle
beobachtet, wie ich sie später anfahren werde, doch besitze ich keine
genaueren Notizen über dieselben. — Die Taubstummenschule bietet
für Beobachtungen, wie die folgenden, ein sehr günstiges Terrain.
Die Kinder werden bei dem leichtesten Unwohlsein sofort in das
Lazareth gebracht, können hier lange zurückgehalten werden, oder
Sabfebrile Zast&nde. 99
erentaell auch dann, wenn sie aus dem Lazareth entlassen sind,
oder Yon hier aus die Lehrstunden besuchen, thermometrisch weiter
beobachtet werden. Ausserdem bleiben sie ja später noch zum Theil
Jabre hindurch unter unseren Augen. — Ich habe sowohl auf der
männlichen, wie auf der weiblichen Abtheilung des Lazareths aus-
gezeichnete HeilgehAlfen , die die Messungen mit vollkommenster
Sicherheit besorgen. Auf diese Weise ist es möglich, über Monate
hindurch gleichmftssig Tag fttr Tag fortgehende thermometrische
Beobachtungen zu erlangen. — Im Hospital ist Gelegenheit zu der-
artigen Beobachtungen, wie leicht ersichtlich, nur höchst selten ge-
boten, wenn wir von den Phthisikem absehen, die aber auch meist
in vorgeschrittenen Stadien sich befinden ; ich fahre daher nur einige
Fälle aus demselben an. — Die Bemerkung nehme ich vorweg, dass
die Mehrzahl der Kinder in der Taubstummenschule mehr oder we*
niger scrophulös ist.
Selbstverständlich schliesse ich von dieser Arbeit alle diejenigen,
mdst nur über wenige Tage sich erstreckenden subfebrilen Zust&nde
aas, welche als Einleitungs- oder Schlussstadium, oder im Verlauf
sonst exquisit febriler, acuter Krankheiten vorkommen, oder welche
fQr sich bei kurz dauerndem, leichtem Unwohlsein beobachtet werden.
Als subfebril bezeichne ich Temperaturen, welche in der Achsel*
höhle ^) gemessen, zwischen 37,5 und höchstens 38,5 liegen. — Doch
ist eine Temperatur von über 37,0 und unter 37,5 in der Nacht oder
am frühen Morgen, oder späten Abend gemessen, unter Umständen
schon nicht mehr als normal zu betrachten. Es ist nämlich wohl zu
beachten, dass die normale Tagescurve^j der Achselhöhlentempera-
tor sich in der Weise zwischen dem Minimum 36,2 und dem Maxi-
mum 37,5 bewegt, dass nur in den Stunden von etwa 8 oder 9 Uhr
Morgens, bis etwa 10 Ühr Abends 37,0 überschritten wird. — Lie-
her meist er hat als treffende Definition (a. a. 0. p. 287) für die
niedrigsten febrilen Zustände folgende angegeben: die Temperatur
eines Menschen ist als febril anzusehen, wenn sie ohne augenfällige
andere Ursache um mehr als ^2 Grad höher ist als die gewöhnliche
mittlere Temperatur der betreffenden Tageszeit. Er betrachtet
daher die Temperatur als leicht febril, wenn sie am frühen Morgen
1) SammUiche Temperatnrangaben in dieser Arbeit beziehen sich anf die
Achselhöhle. — Dass die Thermometer in den folgenden Fällen immer wieder con«
trolirt worden sind, versteht sich von selbst.
2) Vergl. Liebermeister, Handb. der Pathologie und Therapie des Fiebers.
Leipzig 1875. S. 79.
7*
100 V. Kbrniö
vor dem Aufstehen 37,5 im Bectum überschreitet, am Nachmittag
dagegen, wenn sie gegen 38,5 beträgt. Da er selbst die ongefthre
mittlere Differenz zwischen Rectum und Achselhöhle aof 0,3 ansetzt
(S. 78), so würden für die Achselhöhle die beiden Ziffern 37,2 and
38,2 lauten. — Wunderlich 0 bezeichnet als subfebril Tempera-
turen in der Achsel zwischen 37,5 und 38,0, als leicht febril solebe
von 38,0 bis 38,4. An einer späteren Stelle (S. 92) nimmt er ab
Grenzen der normalen Achselhöhlentemperatur 36,25 und 37,5, ab
Mittelnormaltemperatur in der Achselhöhle 37,0 an; Liebermei-
st er für letztere beim ruhenden Menschen nur 36,9 (S. 79). Nack
Wunderlich „sind alle über jene Grenzen hinausgehenden oder
tiefere Temperaturen mindestens verdächtig, oder dürfen nur bei
besondem Umständen und Einwirkungen noch für normal erachtet
werden."
Auch ich habe vollen Grund nach den überaus zahlreichen Beob-
achtungen, die ich selbst gelegentlich über diesen Punkt gemaebt
habe, Temperaturen, die in den Nachmittagsstunden in der Buhe
37,5 überschreiten, als abnorm, oder wenigstens nicht mehr als gan^
normal zu betrachten. Aus den Messungen Jürgensen's^), wobl
den ausführlichsten und am meisten systematisch durchgeführten, di^
wir besitzen, geht dasselbe hervor. Ebenso aus den 2173 Einzel'
meesungen Wey rieh's an sich selbst.^)
Die mehr oder weniger lange andauernden subfebrilen Zustände
die ich im Auge habe, gestalten sich also im Allgemeinen so, da^^
die tägliche Temperaturcurve im Durchschnitt um einen halben bi^
einen ganzen Grad Celsius höher liegt als die normale. — Gewöhfa-^
lieh folgt diese Tagescurve^ wie überhaupt in der grossen Mehnal^^
aller Fieber, dem Typus der normalen Gurve, d. h. die Temperati^
ist am Tage, speciell am späteren Nachmittag höher als in der Naeh'i^^
und als in den Morgen- und Abendstunden. Die normale Tage^^
curve der Achselhöhlentemperatur (Liebermeister S. 75 und ff«^J
hat bekanntlich ihr Minimum, gegen 36,2, in den ganz frühen Mo^"*
genstunden zwischen 2 und 6 Uhr, steigt dann ziemlich rasch bi^
gegen 1 1 Uhr, erleidet nun eine Verzögerung, oder selbst einen ge^^
ringen Rückgang, um von 4 Uhr Nachmittag wieder zn steigen un^
zwischen 5 und 8 Uhr das Maximum, gegen 37,5 zu erreichen. Vo^^
8 oder 9 Uhr Abends bis 2 oder 3 Uhr Nachts fällt die Tempeiato^^
1) Das Verhalten der Eigenw&rme in Krankheiten. Leipzig 1S68. 8. 12.
2) Die Körperw&nne des gesunden Menschen. Leipzig 1S73.
3) Die unmerkliche Wassenrerdunstong der menschlichen Haut Leipzig 1S6:
Snbfebrile Zustände. 101
am schnellsten and erreicht g^en den frtthen Morgen ihr Minimum.
— Der Typus dieser normalen Curve wird, wie gesagt, im Allge-
meinen Ton der grossen Mehrzahl aller febrilen und subfebrilen Pro-
eesse eingehalten, aber gerade bei den subfebrilen Zuständen wird
Terb<nissmfissig nicht selten die Ausnahme des Typus inversus be-
obachtet Der Typus der Tagescurve erscheint alsdann nahezu um-
gekehrt, es fällt (wenigstens bei etwa 3—6 mal täglicher Messung)
das Maximum auf die Morgen- oder Vormittags- oder Mittagsstunden.
Dieser abnorme Typus der subfebrilen Tagescurve, bei welchem im
Allgemeinen gesprochen die Temperatur Morgens höher ist als am
Abend, scheint prognostisch einen ominösen Charakter zu haben,
wenigstens habe ich ihn einige Male in den Anfangsstadien chronisch-
pfteumonischer Infiltrationen, oder selbst noch vor dem physikalisch
sachweisbaren Eintreten derselben beobachtet, freilich auch bei ein-
fachen Anginen. Der Typus inversus kann ttbrigens auch im Verlauf
sabfebriler Temperaturen nur zwischendurch, an einzelnen Tagen
erscheinen. Als seltene Ausnahme habe ich bei subfebrilen Zustän-
den auch eine im Ganzen fast gleicbmässig hoch bleibende Curve
beobachtet; die Tagesschwankung flberschreitet 0,5 kaum, oder bleibt
noch darunter. Später theile ich in Curve 2 (Tafel IV) und in dem
Fall 5 noch eine ähnliche Curve (8) mit. Als Beispiele für die ver-
schiedenen Typen des täglichen Temperaturverlaufes verweise ich
zuerst auf Curve 1, die einem chronischen Lungenkranken entnommen
ist (Fall 8), nachdem er vier Monate lang fieberfrei gewesen war und
den Tag als Gesunder, freilich mit nur massiger Bewegung und sehr
gleichförmig lebend, verbrachte. Sie kann als Typus einer normalen
und sehr regelmässigen Curve aufgefasst werden und zum Vergleich
mit den abnormen Curven dienen. — Die Curven 5, 1, 13, 16, 17,
18, 19 und 20 (Taf. IV. V) zeigen ganz oder zum Theil den gewöhn-
iiehen, Morgens remittirenden Typus. Die Curven 3, 4, 8,
10, Ha und b, 14 und 15 zeigen ganz oder zum Theil den Abends
remittirenden Typus (Typus inversus), 14 und 15 in ganz ex-
quisiter Weise. Die Curven 2 und 8 zeigen den auffallend gleich-
massigen Verlauf der subfebrilen Temperaturen, den ich oben
erwähnt habe, Curve 8 ausserdem zum Theil mit abendlichen Re*
missionen.
Es ist selbstverständlich, dass im Verlaufe subfebriler Zustände
zwischendurch die Temperaturen für einzelne Tage auf entschieden
febrile Höhen hinaufgehen, oder auf normaler Höhe bleiben können ;
solange dies^ als Ausnahme geschieht, ändert es kaum die Beur-
theilung des ganzen Zustandes; es ist ausserdem auffallend, wie
102 Y- Kbbnio
selten yerhältniBsmässig dieses in den in Bede stehenden Zuständen
geschiebt.
Ueber die Dauer derselben Iftsst sich im Allgemeinen nichts
Bestimmtes sagen ; sie richtet sich offenbar nach den zu Grunde lie-
genden Processen. Die subfebrilen Temperaturen kftnnen Wochen,
MonatCi selbst Jahre hindurch an den betreffenden Individuen beob-
achtet werden; auch können sie nach mehr oder weniger langen
afebrilen Zwischenräumen an ein und demselben Individuum wieder
erscheinen, zuweilen aus verschiedenen Anlässen. Sie verschwinden
gewöhnlich nicht plötzlich, sondern ganz allmählich; zu einzelnen
Tageszeiteui z. B. am Morgeoi wo bisher die Temperaturen abnorm
waren, werden diese nun normal, am Nachmittag oder Abend dauern
die erhöhten Temperaturen noch fort; dann fallen auch diese aus,
erscheinen auch vorübergehend wieder, bis endlich der Patient ganz
afebril ist (Curve 6, 18)0.
Die häufigste Gelegenheit zur Beobachtung andauernder sub-
febriler Zustände bieten die subacuten oder mehr chronischen,
zur Phthisis führenden Lungenaffectionen — nach v. Buhl also
in der Mehrzahl die reine desquamative oder deren höherer Grad,
die käsige oder tuberkulöse Lungenentzündung — vorzugsweise in
ihrem allerersten Beginn, oft noch ehe das Infiltrat selbst nachweis-
bar ist, aber auch in den späteren Stadien ihres Verlaufes, bei fort-
schreitender Infiltration und endlich beim Uebergang zum Stillstand
oder zur bleibenden Heilung. — Sodann sind es scrophulöse
Individuen, an denen verhältnissmässig oft andauernde subfebrile Zu-
stände beobachtet werden im Anschluss an relativ leichte und gut-
artige Affectionen, wie katarrhalische Anginen, infectiösen Magen-
katarrh, katarrhalischen Icterus, oder in Folge von äusserlich nach-
weisbaren Lymphadeniten. Ausserdem kommen bei scrophulösen
Individuen subfebrile Zustände von längerer Dauer vor, die sich
kaum anders auffassen lassen, als bewirkt durch Affectionen innerer
Lymphdrüsen, der Bronchial- und Mesenterialdrüsen.
Neben diesen beiden Hauptkategorien von Kranken, welche ver-
hältnissmä^ig oft andauernde subfebrile Zustände darbieten, sind
dieselben, wie ich später im Einzelnen ausführen werde, mehr aus-
nahmsweise von mir oder von Anderen beobachtet worden: bei in-
1) Regelmässige Pulsz&hlungen in allen beobachteten F&Uen besitze ich nicht«
aber aus einigen Fällen, in denen sie gemacht worden sind (Fall 6, 25, 34), und
aus mehr yereinzelten Zahlungen in den anderen F&llen geht so viel herror, dass
im Allgemeinen auch die Pulsfrequenz in den subfebrüen Zustanden in m&ssigem
Grade gesteigert ist, auf SO bis 90 hinaufgeht.
Subfebrüe Zustände. 103
teoBiyer diffuser Bronchitis mit vollständiger Heilung, bei Pleuritis,
bei AbdominaltyphuSi nach Masern, bei Milzinfaroten nach exauthe-
matischem Typhus, bei Magencarcinom, bei Nephritis parenchymatosa,
bei Parametritis in späteren Stadien^ bei rheumatischen Affectionen,
bei pemiciöser Anämie und bei Leukämie, bei Scorbut, bei Syphilis,
bei einem gastrotomirten Knaben in Zusammenhang mit der Speise-
aofnahme (Uffelmann), bei chronischer Arsenikrergiftung (Oregory).
Selbstverständlich erschöpft diese Zusammenstellung sicher nicht
alle Affectionen, bei denen gelegentlich die in Rede stehenden Zu-
stände vorkommen. Ich zähle nur das mir eben jetzt Bekannte auf.
Nehmen wir nun zunächst die grosse Gruppe der subacuten
and chronischen Lungeninfiltrate, so besitze ich 6 Fälle,
in welchen der allererste Beginn der Erkrankung durch
anhaltende subfebrile Temperaturen charakterisirt war.
1. Alexandra Piliptscbak, trat — 12 Jahre alt — Ende Anguat 1876
in die Taubst ammenschule, fiel bei der ersten Untersuchung, welcher jedes
Kind beim Eintritt unterzogen wird, durch ihr zartes und anämisches Aus*
sehen auf, bot aber sonst keine objective Störung, auch keine Drflsen-
schwellungeD. Am 7. December 1876 wurde sie ins Lazareth gebracht
wegen geringfügiger katarrhalischer Angina und wies nun bei der Beob-
achtang bis zum 25. Dec. fast täglich subfebrüe Temperatnrsteigernngen
aaf, die an einzelnen Tagen bis 38,2 hinaufgingen (Curve 3). Diese Tem-
peratorsteigernngen fielen dabei auf die Morgen- und Mittagsstunden, so
das8 die Temperatur um 9 Uhr Morgens und 2 Uhr Mittags höher war
als am 7 Uhr Abends. Aus der Curve ist dieser Typus inversus ohne
Weiteres ersichtlich. — Es Hess sich an dem Kinde ausser der gering-
fOgigen Angina, die aber auch bald geschwunden war und keineswegs diese
Zeit aber fortdauerte, sonst nichts Abnormes, namentlich auch kein
Husten entdecken.
Schon am 3. Januar 1877 wurde das Kind wieder ins Lazareth ge-
bracht Es erwies sich genau derselbe subfebrile Znstand, Husten war
nicht eingetreten; eine sehr genaue Untersuchung ergab nur in der linken
Fosaa snpraclayicalaris Spuren von Crepitiren, und auch das konnte nur
mit einem Fragezeichen notirt werden. Erst am 13. Januar änderte sich
das Bild, es trat fttr mehrere Tage höheres Fieber (Maximum 39,3) ein,
aber immer noch unterbrochen durch einzehie subfebrile Tage (Curve 4);
es erschien etwas Husten und am 14. Januar gelang es zum ersten Mal, in
beiden Lungenspitzen sichere Infiltratzeichen nachzuweisen (massige Dämpf-
nng in beiden Supraclaviculargruben und in der rechten Fossa supraspinata,
Crepitiren in der linken Fossa supraclavicularis und leicht bronchiales Ex-
apiriam in der rechten Fossa supraspinata) ; in dem spärlichen schleimigen
Sputum fanden sich vereinzelte Alveolarepithelien. Als diese höher-febrile
Periode vorüber war, war das Kind bei fortschreitender Infiltration, vom
23. Januar bis 5. März, also durch nahezu 6 Wochen, fast immer nur
104 V. Kernig
Bubfebril; die Temperataren lagen zwischen 37,0 und 38,3; nur an 8 ver-
einzelten Tagen kamen Abendsteigerangen zwischen 38,4 nnd 38,9 vor.
Der Typus ioversus kam in dieser Zeit nur ganz ausnahmsweise vor. Vom
5. März ab wurde das Fieber intensiver, nahm einen entschieden hektischen
Charakter an, es bildeten sich Gavemen und der Tod trat am 18. April
ein, nachdem noch in den letzten zwei Lebenstagen Zeichen von Lungen-
gangrän aufgetreten waren.
2. Nicolai Massloff, bei der ersten Untersuchung im Juni 1873 von
durchaus kräftigem Habitus. Im Februar und März 1874 bei Gelegenheit
eines leichten Unwohlseins hie und da etwas erhöhte Abendtemperaturen.
Am 25. Januar 1875 kommt Patient in das Lazareth wegen leichter In-
teslinalstörungen. Es werden subfebrile Temperaturen constatirt, welche
nun immerfort andauern, wenn auch an einigen Tagen durch vollkommene
Fieberlosigkeit unterbrochen. Um 1 Uhr Mittags und 7 Uhr Abends sind
die Temperaturen immer höher als am Morgen und gehen meist bis 38,0
heran, ausnahmsweise werden 38,6, 38,8 und 38,5 gemessen. Die Tem-
peraturen von 9 Uhr Morgens liegen zwischen 36,9 und 37,7. Patient
hustet nicht, die Milz ist massig vergrössert (8 und 15 Cm.). Erst am
16. Februar, von wo ab höheres Fieber eintritt, wird Husten notirt und
whtl bei fortbestehender Milzschwellung ein Infiltrat in der rechten Lungen-
spitze gefunden. (Die rechte Fossa supra- et infraclavicularis geben leichte
Dämpfung und unbestimmtes Athmen mit Spuren von Crepitiren, ebenso
die rechte Fossa supraspinata und eine Stelle RHM.) Das Fieber wird
nun durchschnittlich höher, es zeigt sich Blut im Auswurf, am 5. und 6.
März erhebliche Haemoptysis, das Fieber bleibt erheblich, wird hoch, am
16. März erste Anzeichen von Cavemenbildung RO, die rasch fortschreitet.
Tod am 9. April.
3. Michael Kowaleff, 12 Jahre alt. Bei der ersten Untersnchnng Ende
Juni 1873 kräftig, von gesunder Gesichtsfarbe, an den inneren Organen
nichts Besonderes. Am 4. Januar 1874 im Lazareth wegen leichter katar-
rhalischer Angina, die mit subfebrilen Temperaturen einhergeht. Am ersten
Tag fleberlos, Maximum am zweiten Tag 38,4. Die subfebrilen Tempera-
turen zeigen sich im Verhältniss zu der leichten localen Erkrankung auf-
fallend lange; nachdem einzelne fast ganz fieberlose Tage dazwischen ge-
fallen sind, hat Patient am 9. Tag seit Beginn der Angina Morgens 37,6,
Mittags 38,0, Abends 38,9 ohne besondere Veranlassung, und am 11., 12.
und 13. Tage Abends 7 Uhr resp. 37,8, 37,8 und 38,2. — Erst ein Jahr
später, am 26. Januar 1875, kommt Patient wegen Gontusion des linken
Unterschenkels wieder in Behandlung, ist jetzt fieberlos. Am 13. Februar
musste ein Kleisterverband an den linken Fuss angelegt werden. Am 17.
tritt mit einer leichten Angina Fieber bis 38,6 ein, am folgenden Tage die
Angina besser, die Temperaturen bis 37,6. Fflr die nächsten Tage fehlen
die Messungen, aber vom 25. Februar an hat Patient constant, freilich mit
einzelnen Ausnahmen, subfebrile Temperaturen, von denen ein Theil in
Cnrve 5 wiedergegeben ist. Es lässt sich, auch nachdem am 6. März der
Kleisterverband entfernt worden ist, nnd trotzdem, dass am 9. März etwas
Husten bemerkt und die Brust wieder untersucht wird, absolut keine Fieber-
ursache finden. Erst am 23. März, also einen Monat nach Beginn
der subfebrilen Temperaturen findet sich Aber und unter der linken
SabfeMle Zustande. 105
Claviciila eine leichte Dämpfung mit massigem dnmpfem Crepitiren nnd
ebenso in der linken Fossa supraspinata. Der Knabe hnstet dabei sehr
wenig. Der snbfebrile Zustand hält unterdessen an; erst vom 6. bis 11.
April wird er geringer, fehlt für eine Woche ganz, beginnt in derselben
Weise am 18. April, geht am 22. April in höheres Fieber Aber (bis 39,5
' BDd 39,9), das eine Woche andauert. Im Laufe dieser Woche breiten sich
die Infiltratzeichen im linken Oberlappen weiter ans, werden deutlicher, es
tritt eine geringe Haemoptysis ein und die Milz schwillt ziemlich an (8 nnd
171/3 Cm.). Nach Ablauf dieser einen höher-febrilen Woche wieder der-
selbe subfebrile Zustand mit einzelnen Ausnahmen bis zum 19. Mai. Es
folgt eine fieberlose Woche, dann eine Reihe snbfebriler Tage, und nachdem
Patient aufs Land (Forstcorps) gebracht worden ist, wird er Yom 8. Juni
an absolut fieberlos« Vergl. Curve 6, die das allmähliche Schwinden der
subfebrilen Temperaturen zeigt. Das Infiltrat zeigte eine entschiedene theil-
weise Lösung, die Milz war abgeschwollen. Patient ^lieb absolut fieberlos
den Juni und Juli hindurch und erholte sich sichtlich. Am 29. Juli bei
fieberlosem Zustande geringe, am 30. bei hohem Fieber starke Haemoptysis.
Von da meist hohes Fieber, das bald einen hektischen Charakter annimmt ;
am 18. August die ersten Cavernenzeichen LVO. Tod am 21. September^
nachdem ausgedehnter Zerfall in der linken Lunge stattgefunden hatte.
4. Wassilij Chrapal, 20 Jahr alt, bei der ersten Untersuchung am
18. Juni 1873 kräftig, von gesundem Aussehen, ohne irgend welche Abnor-
mität. In den letzten Augusttagen 1873 trat er* absolut fieberlos in das La-
zareth wegen Verdauungsstörungen, hatte aber vordem Brustschmerzen links
gehabt. Es wurde ein geringes linksseitiges Pleuraexsudat gefunden, etwa
4 Querfittger hoch. Am 11. September Zeichen eines leichten Scorbut:
entsprechende Gesichtsfarbe, leichte Lockerung des Zahnfleisches mit Blu-
tungen aus demselben, Auftreibung an den Verbindungen einiger Rippen
mit ihren Knorpeln. Im Lauf des September hie und da eine etwas hohe
Temperatur (37,7 bis 37,9) am Morgen oder am Abend. Das geringe
Pleuraexsudat ging zurück. Erste Hälfte October absolut fieberlos, Patient
wurde entlassen und präsentirte sich am 13. November sehr erholt. Am
27. December wieder Riagen über die linke Brustseite, auch wollte Patient
vor einigen Tagen etwas Blut ausgehustet haben. Ausser den geringen
Residuen LU war nichts zu finden, auch kein Husten ; Patient wurde nach
einigen Tagen entlassen. Am 18. Januar 1874 kam er subfebril ins Laza-
retb, klagte wieder über Schmerzen links, doch Hess sich ausser der ge-
rJDgen Dämpfung mit etwas Betrecissement LU nichts Neues nachweisen.
Das Zahnfleisch etwas locker, geringer Husten. Erst am 1. Februar fand
Bich in der linken Fossa supraspinata eine deutliche Dämpfung mit feinem
Crepitiren und LVO unter der Clavicula unbestimmtes Athmeh. Patient
. war inzwischen immerfort im Januar, Februar und März subfebril mit nur
wenigen Ausnahmen, wo die Temperaturen bis auf 38,5 bis 38,8 hinauf-
gingen (vgl. Curve 7), erst im April lagen die Temperaturen durchschnitt-
lich höher und vom 17. April ab trat fortdauernd erhebliches Fieber ein.
Die physikalischen Zeichen machten nur langsame Fortschritte, erst Ende
März Hess sich auch über der linken Clavicula eine deutliche Dämpfung
constatiren. Am 20. Februar etwas Bluthusten; vom 18. bis 23. April
stärkeres Bluthusten und nachweisbare Erkrankung auch der rechten Lun-
106 Y. Kermio
geospitze. Am 20. Mai wurde Patient vom Vater za sich nach Poltawa
genommen, bei beginnender Gavemenbildang LO. Später ist über den Pa-
tienten nichts weiter bekannt geworden. Der snbfebrile Zustand zog sich
in diesem Falle fast volle 3 Monate hin.
5. Olga Tschigajewa, 11 Jahr, ist bei der ersten Untersuchung am
15. Juni 1877 etwas mager, hat fühlbare axillare und submaxillare Drü-
sen. — Am 13. Jan. 1878 kommt sie etwas fieberhaft (38,6) ins Laza-
reth, eine Localaffection ist nicht zu finden ; in den nächsten Tagen geben
die Temperaturen herab, doch werden 37,7 — 37,8 einige Mal in den Mit-
tags- und Abendstunden gemessen; am 20. und 21. Jan. stärkeres Fieber
bis 39,7, wieder ohne Localaffection. Für die nächsten Tage ist Pat. fie-
berlos, aber vom 30. Jan. ab sind die Temperaturen erhöht, oft 37,5 bis
38,0 und im Laufe des Februar stellt sich heraus, dass namentlich die
Temperaturen von 9 Uhr Morgens relativ hoch sind. Vgl. Gurve 8 a,
welche gleichzeitig den Typus inversns und die erhebliche Gleichmässig-
Iceit des täglichen Temperaturverlaufes zeigt. ^) Am 13. Febr., nachdem
der subfebrile Znstand continuirlich 14 Tage angehalten hatte, constatirte
Dr. Assmuth, der mich bei der Anstalt vertrat, schwächeres Attunnngs-
geräusch und hie und da einzelne kleinblasige Rasselgeräusche in der lin-
ken Lungenspitze, der Ernährungszustand war ungenügend, sehr geringer
Husten. — Der subfebrile Zustand dauerte in gleicher Weise den Februar
und März durch bis in den April hinein (die Messungen brechen hier ab),
im März kam noch eine geringe Milzschwellung, die sich aber bald verlor.
— Am 2. Sept. sah ich das Kind wieder, es hatte sich gegen den Winter
sehr erholt, ist wohl noch mager, doch ist die Gesichtsfarbe gut, es hustet
nicht, die Drüsen in der linken Achsel und am Halse sind eben fühlbar,
die linke vordere obere Brustpartie hebt sich beim Inspirium etwas weni-
ger, als diejrechte, und gibt eine ganz leichte Dämpfung, die am deut-
lichsten an der 3. — 4. Rippe ist und sich bis in die linke Achsel erstreckt;
auch LHO leichte Dämpfung. Das Vesiculärathmen ist an diesen Stellen
etwas leiser und unbestimmter gegen rechts. Wie Messungen vom 2. bis
19. Sept. ergeben, existirt dieselbe snbfebrile Gurve wie im Frühling, 38,0,
wird häufiger als damals , einmal selbst 38,2 erreicht Vgl. Gurve 8 b.
Ghinin ist in 3j Dosen (1,2) auf die Temperaturen ohne Einfluss, wenig-
stens bei bloss 3 mal täglicher Messung.
Einer der interessantesten Fälle nicht allein aus dieser Eategoriei
sondern überhaupt von andauernden subfebrilen Temperaturen, ist
der folgende privatim beobachtete.
6. Fcl. N. N. war als Kind leicht scrophulös und hat in ihren Jugend-
jahren einen schweren Typhus, Masern und Scharlach durchgemacht. Spä-
ter war sie gesund, aber immer schlank und von erethischem Habitus. Am
25. Oct. 1874, damals 24 Jahr alt, erkrankte sie an einer Pneumonie des
rechten mittleren und der unteren vorderen Partie des rechten Unterlap-
pens. Es trat vollkommene Dämpfung mit trockenem lauten Bronchial-
athmen ein. Die Pneumonie verlief protrahirt, das hohe Fieberstadium
1) Die Tagesschwankung überschreitet nur ausnahmsweise 0,5.
Sabfebrile Zust&nde. 107
dauerte 11 Tage, doch waren während diesea Stadinma die Temperataren
Die adir hoch, schwankten um 39,5 und machten vom 3. Tage ab schon
BpoDtane Morgenremissionen auf ca. 38,0. Der Abfall des Fiebers erfolgte
mehr lytisch , ging aber doch in absolute Fieberlosigkeit über. Die Lö-
Boog des Infiltrats ging sehr langsam vor sich, erst am 31. Dec. waren
die letzten Sparen desselben geschwunden. Während der aweiten Hälfte
November und im December, während dieser langsamen Lösung kamen
hin und wieder Abendsteigerungen auf ca. 38,0 vor. Doch war Fat.
in den ersten zwei Wochen nach der Pneumonie (Mitte Novem-
ber) absolut fieberlos, vgl. Cnrve 9. Nie waren während der Pneu-
monie Sputa crocea vorhanden ; die Sputa waren nicht reichlich, schleimig,
uigefärbt, wurden leider nicht mikroskopirt (v. BuhTs reine genuine De-
sqaamativpneamonie?). — Zum Frtthjahr und Sommer 1875 erholte sich
Pat. sichtlich, nahm an Körperfülle erbeblich und entschieden zu; Husten
war nur zeitweilig vorhanden, ein erheblicher Katarrh trat im Laufe des
Jahres 1875 nicht ein. — Im Herbst 1875 häufige Kopfschmerzen, leich-
ter Magenkatarrh und Anämie, im Januar 1876 Klagen über lebhaftere
s rheumatische^ Schmerzen längs des Rückens , am Hinterkopf, zwischen-
durch auch in den Gliedern. Im Februar entschiedene Besserung. Ende
Februar und Anfang März 1876 wieder Klagen über Kopfschmerzen und
rheumatische Beschwerden; am 7. März wurde zum ersten Mal constatirt,
dass Pat. subfebril sei. Vom 8. März an fortlaufende Temperaturmessun-
gen, und es stellte sich nun heraus, dass Patientin andauernd in einem
subfebrilen Zustand sich befand, der Morgens 9 Uhr mit 37,4 bis 37,6
einsetzte (selten niedriger, zuweilen auch höher). Mittags gegen 1 oder 2 Uhr
sein Maximum um 38,0 hatte (das Aeusserste war ausnahmsweise 38,4)
and zum Abend gegen 10 Uhr auf ca. 37,0 remittirte. Vgl. Curve 10,
Messungen 5 mal täglich. Mit grosser Constanz hielt sich diese Curve
zonächst bis zum 19. April, wo Pat. Petersburg verliess. Während der
ersten vier Wochen seines Bestehens bot dieser subfebrile Zustand grosse
diagnostische Schwierigkeiten, da durchaus keine objectiven Anhaltspunkte
f&r seine Begründung gefunden werden konnten. Es war während dieser
ersten 4 Wochen auch absolut kein Husten vorhanden. Erst am
6. April stellte sich Schnupfen und nach diesem ein massiger Husten ein,
der fortdauerte. Die wiederholt vorgenommene Untersuchung der Brust
ergab ganz negative Resultate bis zum 10. April, wo zum ersten Mai eine
leichte Dämpfung unter der rechten Clavicula, mehr nach aussen, und an
den zur Achselhöhle reichenden Partien, sowie am obersten Theil der rech-
ten Axillarlinie und in der rechten Fossa supraspinata constatirt wurde.
Auscultatorisch liess sich daselbst keine Abweichung constatiren, doch war
Pat. an ein irgend methodisches Athmen nicht zu gewöhnen. Etwa eine
Woche später war auch in der rechten Fossa supraclavicularis eine leichte
Dämpfung eingetreten. — Beiläufig wurde constatirt, dass Pat. beiderseits
bewegliche Nieren habe, der Harn zeigte (auch mikroskopisch) keine Ab-
weichung. — Da Pat. in den ersten Wochen dieses subfebrilen Zustandes
in der Idee, dass möglicherweise eine (in Petersburg nicht seltene) leich-
teste abdominaltyphöse Infection vorliege, im Bett gehalten wurde, so liess
sich in diesem Falle constatiren, dass Bettruhe einen derartigen subfebrilen
Zustand nicht verschwinden lässt. —
108 Y. Kernig
Pat. ging ins Ausland, hat im Laufe von fast 2V3 Jahren eine ganze
Reihe bekannter klimatischer Curorte besucht, das Lungenleiden kann als
wesentlich zum Stillstand gekommen zu betrachten sein, und dennoch ist
die eigenthümliche Temperaturcurve, wenn auch zeitweise in
ihrer Höhenlage wechselnd, immer vorhanden gewesen, ist freilich
nie in irgend erhebliches Fieber übergegangen, ist aber auch jetzt noch
nicht völlig geschwunden. — Was den Verlauf des Lungenleidens
anbetrifift, so geht aus den verschiedenen Krankenattesten, welche Patien-
tin aufzuweisen hat, mit Sicherheit hervor, dass nie Cavemenbildung ein-
getreten ist, dass nie die linke Lunge in Mitleidenschaft gezogen worden
ist, dass die Infiltratzeichen RO die Grenzen des Oberlappeus nie über-
schritten haben. Die letzten Atteste lauten alle dahin, dass Stillstand,
resp. Heilung eingetreten sei. Gegenwärtig, Sept. 1878, lässt sich nur
eine massige Abflachung RO mit mangelhaftem inspiratorischen Heben, und
ein» leichte Dämpfung RVO undRHO mit mehr oder weniger unbestimm-
tem Athmen nachweisen. Nur an einer Stelle RH zwischen Scapula und
Wirbelsäule ist der Schall stark gedämpft. Trockener Husten, wenn auch
selten, und oft tagelang nicht vorkommend, ist immer noch vorbanden.
Ueber den Temperaturverlauf besitze ich von da ab, wo Pat. Peters-
burg verliess, 20. April 1876, zunächst eine continuirliche Reihe von Mes-
sungen bis zum 27. Jan. 1877. Pat. war in dieser Zeit in Baden-Baden,
Soden, in der Schweiz, endlich in Meran (Herbst 1876 und Winter 1876/77),
— immerfort bleibt der Temperatarverlauf wesentlich derselbe, wenn man
von einzelnen kürzeren, nur über Wochen sich erstreckenden Perioden ab-
sieht, in welchen die Temperaturen niedriger, nahezu oder ganz innerhalb
der Norm liegen. Doch auch in diesen Perioden ist die Neigung zu rela-
tiv erhöhten Morgen- oder Mittagstemperaturen immer nachweisbar, 37,5
bis 37,7 werden immer zwischendurch gemessen, und treten dieselben zeit-
lich entschieden zurück gegen die Zeiträume, in welchen die Temperaturen
in der obigen Weise sich bewegen. — Am günstigsten machte sich noch
Ende September, der October und die erste Hälfte November in Meran,
hier wird 37,5 in der That nur ausnahmsweise überschritten. Während
des Winters bewegen sich dann aber die Temperaturen wieder über 37,5,
oft um 38,0, ohne jedoch 38,3 zu überschreiten. — Die Messungen wur-
den endlich aufgegeben. Pat ging aus Meran nach Oberitalien, im Som-
mer nach Soden und Badenweiler. Hier wurden im Juli 1877 durch
13 Tage wieder Messungen gemacht, wieder fanden sich während der er-
sten 9 Tage für den Mittag und Abend (7 Uhr) 37,7 bis 38,0, dann kamen
4 Tage, wo 37,5 nicht Oberschritten wurde. — Den Herbst 1877 ver-
brachte Pat. in Montreux und den Winter 1877/78 in Sanremo. — Im
März 1878, also zwei Jahr nach Beginn der Erkrankung hatte
ich Gelegenheit Pat. in Sanremo zu sehen: das Allgemeinbefinden war sehr
befriedigend, Pat. hatte zugenommen, kaum welcher Husten, der Lungen-
beftand wesentlich wie jetzt. Die Temperaturen, durch 10 Tage gemessos,
ergaben für 7 Uhr Morgens, also eine sehr frühe Stande constant 37,4
bis 37,6, Mittags 37,3 bis 37,8 und Abends 10 Uhr 37,0 bis 37,3. Man
siebt, eine entschieden nicht normale Curve, im Wesentlichen ähnlich der
Curve zu Beginn der Erkrankung. — Im Mai wurden dann (am Comeraee)
wieder 9 Tage hindurch die Temperaturen gemessen, welche in Curve Ha
Subfebrile Zustände. 109
verzeichnet sind. — Endlich worden vom 16. Juni bis 20. Jnü 1878 in
Beicheohall Messungen gemacht, auch sie ergaben kein normales Resultat,
wie Cur?e IIb zeigt. — An dieser letzteren Cnrve lässt sich ebenfalls
eine zwischenhineinfallende zweiwöchentliche Periode nnterscheiden, in wel-
cher die Temperaturen durchschnittlich niedriger lagen und nur ausnahms-
weise 37,5 überschritten ; diese Periode begann mit dem Eintritt der Menses
aod flberdaaerte dieselben, eine Beobachtung, die wiederholt an der Pat.
gemacht worden ist ^) — In Reichenhall wnrde auch viermal der etwaige
EioflnsB grösserer Ghinindosen auf diese abnormen Temperaturen geprüft.
Dosen von 1,0, sowie 1,5 Chinin, muriat. blieben am Abend um 10 Uhr,
oder um 5 Uhr Nachmittags gereicht ganz ohne erkennbaren Einfluss. —
Das gute Allgemeinbefinden wird wesentlich nur gestört durch die häufi-
gen „rhenmatoiden" Schmerzen im Kopf, Rücken und Gliedern. Dieselben
sind ebenso hartnäckig wie die abnormen Temperaturen. Erheblich und
dauernd abgemagert ist Patientin während dieser langen Zeit nicht. Offen-
bar wurde die geringe febrile Consumption durch die günstigen klimatischen
and diätetischen Verhältnisse compensirt. Ob Patientin als vollständig ge-
heilt gegenwärtig zu betrachten ist, scheint mir trotz des günstigen Befun-
des an den Lungen in Hinsicht auf die doch immer noch abnormen Tem-
peraturen sehr fraglich. 2)
Ich habe mir erlaubt, diesen Fall so ausführlich mitzutheilen,
weil mir das Factum einer jahrelangen Dauer derartiger Temperatur-
Terhältniase sehr bemerkenswerth schien. Es ist anlAsslich dieses
Falles die Frage aufgeworfen worden, ob denn die betreffenden Tem-
peraturen überhaupt als abnorme zu betrachten seien, ob es sich
nicht um ein Individuum mit höheren Temperaturen als bei anderen
Menschen handele? Allein abgesehen von der ganz allgemeinön,
aber an sich schon genügenden Antwort, dass die Wissenschaft bis-
her Individuen mit höherer Temperatur als der gewöhnlichen nicht
• kennt '), kommt in Betracht, dass es sich um ein notorisch krankes
Individuum handelt , dass die betreffende Krankheit eine derartige
1) Auch zum Schluss der Curre Hb beginnt eine solche Periode.
2) Messungen jetzt OeCober 1878 in Petersburg ergeben ganz dasselbe wie
Corre IIb.
3) Die genauesten Untersuchungen von Jürgensen und Liebermeister
haben bekanntlich für verschiedene, allerdings nicht zahlreiche Individuen eine
auffallende üebereinstimmung der mittleren Temperatur der 24 stündigen Periode
eügeben. Diese liegt gegen 36,9 in der Achsel und zwischen 37,1 und 37,2 im
Bectom. Liebermeister 8. 73if. — Jürgensen's Mittheüung (a.a.O. S. 59),
dass bei dner nervösen, sonst gesunden Dame elf Mal in einer Beobacbtungs-
periode, welche sich vom 11. Juli bis 24. August erstreckte, bei 4 mal t&^^cher
Messung, das Thermometor hypernormale Temperaturen bis zu 38,8 in der Achsel
zeigte, steht vereinzelt da und bedarf wohl einer Aufklftruitg. Uebrigens steht
dieses Factum auch kaum auf einer Linie mit den abnormen Temperaturcurven,
die ich in der vorliegenden Arbeit bespreche.
110 Y. Eebnig
ist, welche in einer grossen Zahl von Fällen einen durchaus gleichen
subfebrilen Temperatnrgang erzengt und dass in einer früheren Periode
die betreffende Patientin normale Temperaturen aufwies (Tgl. Curve 9,
November 1874).
Fassen wir die Torstehenden 6 F&IIe zusammen, so ergibt sich :
Dass in Fall 1 mehr als einen Monat lang vor dem sicher nach-
weisbaren Infiltrat ein subfebriler Zustand mit Typus inversus vor-
banden gewesen ist, dass aber auch während der fortschreitenden
Infiltration noch 6 Wochen hindurch die Temperaturen nur subfebril
waren.
Dass in Fall 2 vor nachweisbarer Infiltration 22 Tage lang sub-
febrile Temperaturen beobachtet wurden.
Dass in Fall 3 die subfebrile Curve 1 Monat lang anhielt, ehe
die Lungenaffection nachweisbar wurde, dann noch 2^2 Monat fort-
dauerte, wenn auch mit einzelnen fieberlosen oder höher -febrilen
Zwischenräumen, ehe Patient absolut fieberlos wurde. (Wenige Wo-
chen vor Eintritt der subfebrilen Curve waren noch normale Tem-
peraturen vorhanden gewesen, ein Jahr vordem waren bei einer Angina
auffallend lange erhöhte Abendtemperaturen bemerkt worden.)
Dass in Fall 4 Patient 4 Monate vor nachweisbarer Lungen-
affection absolut fieberlos war, dass die subfebrile Curve 14 Tage
vor derselben eintrat und dann noch 2V2 Monate bei langsam fort-
schreitender Infiltration anhielt
Dass in Fall 5 der subfebrile Zustand mit Typus inversus 14 Tage
lang vor nachweisbarer Lungenerkrankung anhielt, nachdem schon
einige Wochen vordem leicht febrile Episoden dagewesen waren.
Die abnormen Temperaturen dauerten noch 2 Monate fort und sind
auch jetzt vorhanden.
Dass in Fall 6, nachdem 1 V2 Jahr vordem eine Pneumonie voran-
gegangen war, der subfebrile Zustand 4V2 Wochen andauerte, ehe
irgend ein auf die Lungen bezügliches Symptom gefunden werden
konnte, und dass er später 2 V2 Jahre lang mit auffallender Gonstanz
angehalten hat.
Im Ganzen sind es 2 bis 5 Wochen, während welcher vor dem
Eintreten physikalisch nachweisbarer Symptome continuirlich sub-
febrile Temperaturen beobachtet wurden, zuweilen (Nr. 1, 2 und 6)
zu einer Zeit, wo selbst noch keine Spur von Husten vorhanden ist.
Ftlr das Vorkommen länger dauernder subfebriler Perioden im
Verlaufe chronischer Lungeninfiltrate oder beim Uebergang
derselben in Stillstand oder Heilung liefern die obigen sechs
Fälle schon mehrere sehr klare Beispiele. Ich besitze noch sechs
Subfebrile ZuBtände. 111
F&lle» in denen sabfebrile Perioden unter diesen Umständen sich
finden.
7. M. B. , ein schwächliches, scrophnlöses Kind von 4 Jahren (im
2. Lebensjahr lange dauernder , schwerer Intestinalkatarrh) , erkrankt am
2. März 1870 unter lebhaftem Fieber an einem Spitzeninfiltrat links. Die
Gurre hat von vomherein einen zum Morgen stark remittirenden Charakter
und zeigt schon bald einzelne subfebrile Tage; vom 18. März ab bleiben
die Temperaturen subfebril, 39,0 wird ausnahmsweise erreicht, Ende März
einige fieberlose Tage, dann einige höher-febrile Tage und wieder bis Ende
April sobfebrile Temperaturen. Ende April und Anfang Mai eine massig
febrile Periode mit Morgenremissionen auf die Norm. Vom 9. Mai ab, wo
dz8 Kind aufs Land gebracht worden war, immer Nachmittags und Abends
subfebrile Temperaturen, die sich endlich Mitte Jani vollständig verlieren.
Das Kind wurde ganz gesund, hat sich gut entwickelt, ist freilich immer
anämisch geblieben ; an dem linken Oberlappen ist schon seit Jahren nichts
Abnormes zu entdecken.
8. R. F., schlank gracil, etwas anämisch und scrophnlOs, erkrankte,
17 Jahre alt, am 23. Februar 1877 an einer Pneumonie des rechten Ober-
Itppens, deren massig hohes Fiebes 9 Tage anhielt und von vomherein
Morgenremissionen bis nahe an die Norm machte. Sputa crocea wur-
den nie producirt. Der Auswurf blieb gering, schleimig, enthielt sehr
reichliche Alveolarepithelien (B u h T s genuine Desquamativpneumonie ?). Un-
mittelbar nach dieser höher*febrilen Periode und während sich die Lösung
dnsteilte, gingen die Temperaturen wohl fast bis zur Norm hinab, doch
traten die nach croupöser Pneumonie gewöhnlichen, auffallend niedrigen
Temperaturen nicht ein, am Nachmittag und Abend wurden wiederholt sub-
febrile, Aber 37,5 liegende Temperataren gemessen, Maximum 38,2 bis 38,4.
Einmal hatte Pat. nm 6 Uhr Abends 39,3. Als Beispiel für die Cnrve
ans dieser Zeit führe ich ein paar Tage an:
15. März 16. M&rz 17. M&rz
9 Vi Uhr Morg. 36,8^ 9V2 Uhr Morg. 36,9« 9 Va Uhr Morg. 36,70
12 , , 37,20 51/2 ^ Abds. 38,2» 12 „ „ 37,2«
3 n n 37,50 9 „ , 38,20 3 ^ ^ 37,00
6 , Abds. 38,10 n ^ ^ 38^00 6 „ Abds. »37,90
9 „ „ 37,80 9 , „ 37,90
HVi n n 37,70 11 Vi „ „ 37,50
Mit erheblich fortgeschrittener, aber nicht vollständiger Lösung und mit einer
noch nicht absolut normalen Temperaturcurve verliess Patient Ende März
Petersburg. Er ging nach Montreux, wo ziemlich bald auch für den Abend
die subfebrilen Temperaturen sich verloren. — In Ems erkrankte Patient am
11. Jani aufs Neue mit anfangs massigem, dann erheblichem, immer Morgens
remittirendem Fieber, während dessen sich ausgedehnte Infiltrate im rechten
ÜDterlappen bildeten. Anfang Jnli kam er fiebernd nach Reichenhall, das
Fieber dauerte auch hier mehr oder weniger stark fort, erst von der Mitte
AagQst wurde die Curve dauernd subfebril; vom 10. bis 14. September
noch eine etwas höher-febrile Periode, dann wurde Patient ftlr den Rest
des September absolut fieberlos. In Meran, wohin Patient Ende September
112 V. Kerkig
*
ging, hatte er bis zum 19. October sehr häufig Mittags oder Nachmittags
sabfebriie Temperataren, einmal 38,6, dann wnrde er fieberlos. In Mentone
von Anfang November an, blieb er den Winter über fieberlos, die Mes-
sungen wurden Tag für Tag gemacht. Anfangs im November kamen noch
Mittags oder Nachmittags Temperaturen von 37,6 bis 37,7 zwischendurch
vor, hatten aber dann gewöhnlich ihre deutliche Veranlassung in irgend
einem relativ zu grossen Spaziergang, einer Fahrt etc. Der December,
Januar, Februar und März waren absolut fieberlos bis auf 2 Tage im
Januar. Der Temperaturverlanf ist ans dieser Zeit so normal gestaltet,
dass ich in Gurve 1 ein Bruchstück desselben zum Vergleich mit den
anderen Gurven habe zeichnen lassen. Die grosse Gleichmässigkeit der-
selben und die Morgens 9 Uhr noch tiefen Temperaturen erklären sich
vielleicht durch das relativ unthätige, dabei äusserst geregelte Leben, das
Patient zu der Zeit fflhrte. — Im April 1878 kamen auf besondere Ver-
anlassung hin kurzdauernde febrile Störungen vor, ebenso an einzelnen
Tagen im Mai, sonst ist Patient bis jetzt (September 1878) fieberlos ge-
blieben. Ich habe ihn im März in Mentone und im Sommer in Reichenhall
gesehen; das Allgemeinbefinden ist befriedigend, ein massiger Hnsten, nament-
lich Morgens, mit schleimig-eitrigem Auswurf besteht fort, die Rurzathmig-
keit schwindet mehr und mehr, Patient kann recht gut gehen und leichte
Steigungen (des Weges) machen. Es sind nur die hinteren Partien des
rechten Unterlappens, die noch fast vollständige Dämpfung bei nnbestimm-
teii) Athmen geben, der rechte obere und mittlere Lappen geben wieder
recht vollen Schall und vesiculäres Athmen, wenn auch die RespirationB-
bewegungen nicht so ausgiebig sind wie links. Wir sehen in diesem FaU
2 mal eine andauernde subfebrile Gurve beim Uebergang zur BesseniDg.
Das erste Mal unmittelbar nach der Pneumonie in Petersburg, das zweite
Mal nach der schweren Erkrankung im Sommer 1877, jetzt, wenn auch
mit Unterbrechung, sich tiber 2 Monate hinziehend (Mitte August bis Mitte
October).
9. Wladimir Starzeff, 16 Jahr alt, bei der ersten Untersuchung am
23. Juni 1873 gross, robust, straffe Muskeln, zwar nicht viel Fett, doch
gute Gesichtsfarbe. Der ganze Habitus steht in auffallendem Gegensatz
zu dem Umstand, dass Patient schon seit dem April wiederholt geringen
Blutauswnrf gehabt hat und die linke Spitze infiltrirt ist Patient war den
Juli und August Aber fieberlos, hustete immer etwas Blut aus; erat im
October unter Ausbreitung der localen Zeichen für einige Wochen snbfebril ;
ebenso im November. Ende November für 6 Tage höheres Fieber in Folge
eines massigen Pleuraexsudates links. Jetzt hatte Patient sein gutes Aus-
sehen mehr und mehr verloren. Der ganze December verläuft snbfebril
zwischen 37,2 und 38,2. Der Januar und Februar 1874 sind absolut
afebril bei deutlicher Besserung der localen Zeichen. Erst im März wieder
fast täglich Mittags und Abends subfebrile Temperaturen bis 38,3. Von
Ende März ab ist Patient absolut fieberlos bis zum Juli, wo die Messungen
ausgesetzt werden. Ende September ergibt die Untersuchung eine entschie-
dene Besserung; im Laufe des geschilderten Jahres hatte sich eine links-
seitige Herzhypertrophie ohne Klappenaffection ausgebildet. Patient blieb
den Winter Aber fieberlos, so oft er auch bei Gelegenheit geringer Hä-
moptysen gemessen wurde. Vom 19. März 1875 ab massig schwerer vier-
Subfebrile Zustände. 113
wöchentlicher Abdomioaltyphas , während desselben m&fisige Hämoptyse,
Dach demselben bis Anfang Mai snbfebril, dann afebril mit seltenen Aus-
Dahmen. Patient verliess die Anstalt, starb 2 Jahre später bei mir im
ObnchofiTschen Hospital, hochgradig phthisisch.
Also auch in diesem Falle eine lange ttber Monate sich erstreckende
subfebrile Periode (October bis December 1873)| welche zu vollkom-
mener Fieberlofiigkeit führt Diese dauert, wenn man vom März ab-
sieht, Aber ein Jahr bis zum Beginn des Abdominaltyphus und cha«
rakterisirt einen wirklichen Stillstand des Lungenleidens.
10. Eugenie Browtschinskaja, 12 Jahre alt, ist bei der ersten Unter-
sQcbuig, 9. Juni 1873, schlank, mager, bleich, von floridem Habitus, leidet
jetzt eben an Conjunctivitis und Keratitis phlyctaenulosa, hat oft Husten
und leichtes Fieber. Gegenwärtig geringer, trockener Husten und ein zwei-
felloses Infiltrat im rechten Oberlappen. Die Messungen ergeben eine sub-
febrile Curve, Nachmittags, aber nicht täglich, bis 38,1, ausnahmsweise bis
38,5. Dieses dauert den Juni, Juli und Anfang August fort, wo die Hes-
smigen ausgesetzt werden. Im Juli einige aufeinanderfolgende Tage mit
Abeodtemperatnren Aber 39,0. Der Husten verliert sich im Sommer und
Herbst mehr und mehr, am 20. Sept. wird ein entschieden besseres Aus-
sehen und eine erhebliche Besserung der physikalischen Zeichen constatirt,
jedes Rassehi ist geschwunden und der Schall RHO weniger gedämpft.
Die Besserung hält an, im Sommer tS75 ist an der rechten Spitze nichts
Aboormea zu entdecken und bis zu ihrem Austritt (Mai 1S77), sowie ttber-
hanpt in den letzten Jahren erfreut sich Pat. einer blühenden Gesundheit.
Aber auch im letzten Stadium der Phthisiker, ehe der tddtliche
Ausgang eintritt, gewissermaassen als Uebergang zu den GoUapstem-
peraturen, die nicht selten bei ihnen dem Tode vorangehen, kann
eine wochenlang sieh hinziehende subfebrile Curve vorkommen.
11. Valentin Mischtoft, taubstumm, hochgradig scrophulds, tritt am
12. Juni 1873 schon mit ausgedehnten Cavemen und massig fiebernd in
meine Behandlung. Während der Verfall weiter fortschreitet, Oedeme an
den Füssen und im Gesicht auftreten, werden vom 22. Juni bis 20. Juli,
also einen Monat lang, fast nur subfebrile Temperaturen gemessen. Die-
selben gehen in Gollapstemperatnren (35,2 bis 35,5 zu verschiedenen Tages-
Btondeo) über, und Patient stirbt am 31. Juli.
Endlich gehört hierher ein Fall, der unter dem Bilde eines
chronischen, vorzugsweise den rechten Oberlappen betreffenden Ka*
tarrhs verlief.
12. Michael Lebedeff, 10 Jahre alt, bei der ersten Untersuchung am
24. August 1876 gesund, doch nicht kräftig entwickelt, etwas anämisch,
axilläre und submaxillare Drüsen etwas fühlbar. Im November 1876 fieber-
loBer Bronchialkatarrh (rechter Ober- nnd ünterlappen). Im März und
April 1877, wegen leichter AugenaffectioneB beobachtet, ist er absolut
fieberlos. Im Mai 1877 entwickelt sich der chronische Katarrh, massiges
feuchtes dumpfes Rasseln hie nnd da in beiden Lungen, vorzugsweise aber
Deatiches ArcblT f. klln. Mtdicin. XXIV. Bd. S
114 V. Kernig
RVO, ohne jede Dämpfnng nnd ohne eine Spar von Fieber, wie fortlaufende
Messungen im Juni und Juli ergeben. Das Allgemeinbefinden bleibt gut.
Erst Ende Juli werden die Temperaturen 9 Uhr Morgens etwas zu hoch,
37,4 bis 37,6, ebenso im August und September, wo wiederholt am Morgen
37,7 bis 37,9 gemessen werden, so dass zeitweise ein Typus inversus vor-
handen ist. Erst Ende September tritt eine leichte Dämpfung unter der
rechten Clavicula auf und wird das Rasseln daselbst feinblasiger. Im
October ist der Knabe ganz fieberlos, ebenso im December und Januar,
obgleich die localen Erscheinungen wesentlich dieselben sind. Jetzt, Sep-
tember 1878, sieht der Knabe nicht anämisch aus, hustet sehr wenig, die
Drtlsen in den Achseln und am Halse nur eben fflhlbar, aber die vordere
obere Brustpartie rechts hebt sich beim Inspirium nicht so vollständig wie
links, über und unter der Clavicula rechts bis zur 3. Rippe hinab leichte
Dämpfung mit spärlichem, feinem, etwas hellem Rasseln, das auch noch
weiter hinab gehört wird. In der rechten Fossa supraspinata Spuren von
Dämpfung mit etwas feinem Rasseln. Dabei kein Fieber. Während fflnf
Tagen dreimal täglich gemessen, keine Temperatur Aber 37,1.
Wenn wir die vorstehenden sechs Fälle flberblicken, so finden
wir in Fall 7 und 10 eine 3- resp. 2 monatliche subfebrile Curve
beim Uebergang in definitive Heilung, in Fall 8 und 9 subfebrile
Curven-von 4 Wochen bis fast 3 Monaten Dauer beim Uebergang
in Stillstand, in Fall 11 aubfebrile Temperaturen 4 Wochen lang
kurz vor dem Tode, in Fall 12 endlich subfebrile Temperaturen im
Verlauf eines chronischen Bronchialkatarrhs, der aber mit Verdich-
tung des Lungengewebes (Girrhose) sich verbindet.
Im Anschluss an die Gruppe der zur Phthisis führenden Lungen-
infiltrate theile ich die folgenden beiden FftUe mit, in deren einem
es sich wesentlich um eine Pleuritis, später um eine Pneumonie
und eine Spitzenaffection handelt, während der andere einer schweren
Bronchitis angehört
13. Peter Romin, 15 Jahr alt, ist bei der erstea Untersuchung am
23. August 1873 recht kräftig, bietet nichts Abnormes. Im October 1874
bei Gelegenheit eines leichten Unwohlseins ganz fieberlos. Im December
wegen einer Angina an 2 Tagen leicht febril, in den folgenden afebril.
Am 25. März 1875 kommt Patient subfebril ins Lazareth und bleibt es
nun ffir langie Zeit. Die Temperaturen schwanken zwischen 37,0 und 38,3,
haben ihren Höhepunkt am Nachmittag, gehen nur je einmal auf 40,2 (am
4. April) und 39,1 (am 13. April) ohne deutliche Veranlassung. Die ob-
jective Untersuchung ergibt als einzige Abnormität das Bestehen emer mas-
sigen Milzschwellung und in den ersten Tagen sowie später hin und wieder
1 — 2 dflnne Stühle. Ein geringer Husten, mit dem Pat. eintritt, schwindet
alsbald (infectiöser Magenkatarrh? leichteste abdominaltyphöse Infection?).
Die Milz schwillt gegen Mitte April ab und die Temperaturen bleiben jetzt
fttr 3 Tage fast ganz normal. Da tritt vom 22. April ab fast täglich
Subfebrile Zustände. 115
höheres Fieber auf 39,0, gelbst 39,8 ein, und es bildet sich ein massiges
rechtsseitiges Pleuraexsudat. Erst vom 15. Mai ab ist Pat. wieder sub-
febril, was nur einige Mal durch einzelne höher-febrile Tage unterbrochen
wird. Das Pleuraexsudat resorbirt sich Ende Mai und im Juni, wahrend
die snbfebrilen Temperaturen bis in den Anfang Juli sich zeigen. Einige
Mal wird im Juni über Schmerzen in der linken Brustseite geklagt, doch
ist daselbst nichts zu finden. Juli und Anfang August verlaufen mit ein-
zelnen Ausnahmen fieberlos, und Patient erholt sich sichtlich bei guter Er-
nährung. Am 12. August beginnt mit lebhaftem Fieber eine Pneumonie
im linken Unterlappen. Das hohe Fieber dauert eine Woche an und geht
in einen snbfebrilen Zustand über, der indessen mit Ende August schwindet.
Mittlerweilen geht eine langsame Lösung des gesetzten Infiltrats vor sich.
Erst in der zweiten Hälfte des September kommen wieder subfebrile Tage
vor und im October ist Patient andauernd subfebril. Mit Schluss des
October wird die linke Spitze verdächtig, der Schall gegen rechts etwas
gedämpft, das Athmen theils unbestimmt, theils mit leicht bronchialem
Hauch. Im November dauern die subfebrilen Temperaturen noch an, ver-
lieren sich erst vollständig im December, die Erscheinungen an der linken
Spitze werden nicht deutlicher, gehen vielmehr erheblich zurück, wie eine
Untersuchung am 10. Januar 1876 ergibt. HU beiderseits ist zu diesem
Termin das Vesicnlärathmen ganz rein , der. Schall noch ganz leicht ge-
dämpft. Patient hat im Mai 1876 die Anstalt verlassen und soll angeb-
lich später an Phthisis gestorben sein.
Es scheint, dass der lange dauernde, wenn auch mit Unter-
brechungen tlber 3/4 Jahr sich erstreckende subfebrile Zustand in
diesem Falle successive verschiedene Begrflndung gehabt hat. Die
Periode vom 23. März bis Mitte April ist vielleicht als ein infectiöser
Process aufzufassen, dann kam die Pleuritis ; der subfebrile Zustand,
der sich an diese schloss, verlor sich erst Anfang Juli ; es folgte die
Pneumonie mit kurzem subfebrilem Stadium , endlich im September,
October und November die leichte Spitzenaffection links. Die Deu-
tung des Ganzen ist wohl nur durch die (scrophulöse?) Constitution
des Kranken möglich, die allerdings im Erankenjournal nicht aus^
drlicklich erwähnt ist. Wir werden nämlich bald sehen, wie häufig
und leicht scrophulöse Individuen derartige Temperaturverhältnisse
produciren.
14. Iwan Mikeladse, 12 Jahre alt, taubstummer Sohn eines kaukasi-
schen Fftrsten, hat seine Knabenjahre also im Süden verbracht, ist bei der
ersten Untersuchung am 29. Juni 1873 gross, schlank, kräftig, bietet nichts
Aoffallendes. Im November 1874 bei Gelegenheit einer leichten Angina
ikormale Temperaturen, km 17. April 1876 stellt sich Patient mit Husten
ein; es wird eine subfebrile Curve couBtatirt, die hie und da Typus in-
veraus aufweist, nur mehr ausnahmsweise in höheres Fieber flbergeht und
sich erst Anfang Juni verliert, also gut 6 Wochen dauert. Vergl. Curve 12.
Der Husten wurde gleich von Anfang sehr intensiv, in der 2. Woche von
einer seltenen Heftigkeit und förderte nun ein reichliches, serös-Bohleimiges,
8*
116 Y. Kebnio
leicht blatig geftrbtes Spatam heraos. Es ist dabei zu bemerken, dass
Patient ein etwas aufgelockertes Zahnfleisch hatte. Intensive an Anfang
mehr trockene, später mehr feuchte und ziemlich fdnbiasige Rasselgeränsche
verbreiteten sich ttber sftmmtliche Lnngenlappen. Zu keiner Zeit des Ver-
laufes liess sich trotz eifrigen Suchens irgendwo ein Infiltrat finden. Zu
Ende der 3. Woche war das Blut aus dem Auswurf geschwunden und
hatte die grosse Heftigkeit der Hustenanfälle nachgelassen, auch wurde die
Menge der Rasselgeräusche geringer. Zum Schluss der 2. Woche vergrös-
serte sich auffallender Weise die Milz und überdauerte diese Milzschwellung
die Bronchitis bis in den Juli hinein. In die 2. und 4. Woche fallen ohne
deutliche Veranlassung die einzelnen höhei^febrilen Tage und ein paar Mal
stärkeres Nasenbluten. Erst Ende Mai und im Juni auf dem Lande wurde
der Husten sehr viel leichter und verloren sich die Rasselgeräusche voll-
ständig. Patient erholte sich während des Sommers vollkommen und erfreut
sich bis jetzt einer vorzflglichen Gesundheit. Jetzt, September 1878, sind
die Achseldrttsen wohl etwas fühlbar, doch ist der Habitus kein scrophulOser.
Wir kommen nun zu der zweiten grossen Gruppe von Indivi-
duen, die verhältnissmässig oft andanemde subfebrile Temperaturen
aufweisen, meist veranlasst durch verschiedene leichtere oder schwerere
(acute) Erkrankungen. Es sind das die Scrophulösen. — unter
den taubstummen Kindern findet sich eine grosse Zahl von solchen,
nur ein guter Theil von diesen tritt als solche schon ein; ich habe
daher oft Gelegenheit, den Verlauf verschiedener Erkrankungen an
Scrophulösen zu beobachten. Am auffallendsten sind mir hier immer
die leichtesten Erkrankungen, wie katarrhalische Anginen, leichteste
und leichte Abdominaltyphen u. dgl. gewesen, welche zwar durchaus
nicht immer, doch oft genug an scrophulösen Individuen eine sub-
febrile Curve veranlassen, resp. zur Folge haben, wie sie gewiss in
keinem Verhältniss zu der betreffenden Krankheit steht und an sonst
nicht Disponirten wohl gewöhnlich nicht vorkommt.
15. Eugenius Balatschinsky^ 14 Jahre alt, bei der ersten Untersuchung
am 26. Juni 1873 kräfüg und robust, doch die Azillardrflsen fühlbar. Im
October und November 1874 wird gelegentlich leichter Erkrankungen eine
ganz normale Temperaturcurve constatirt, ebenso im Januar 1875. April
1875 bei einem leichten Katarrh hin und wieder geringe Erhöhungen der
Abend* oder Morgentemperaturen. Am 13. November 1875 katarrhalische
Angina und Husten, dabei an den ersten zwei Tagen leicht febril, 38,3
bis 38,6, an den folgenden fünf Tagen aber subfebril zwischen 37,1 und
38,0. Am 27. Novbr. wieder frische Angina und Husten, dieses Mal von
vomhertin mit nur subfebrilen Temperaturen, die, zwischen 37,0 und 38,2
liegend, sich bis zur Mitte December, also über 18 Tage fortsetzen. Vgl.
Curve 13. Im Januar 1876 bei einem Katarrh an mehreren Tagen wieder
einzelne, subfebrile Temperaturen. Im Januar 1877, also ein Jahr später,
Sabfebrile ZoBtftnde. 117
abensalB eise siemlich lebhafte katarrhalische Angina nnd Hasten dabei.
£9 seigt sich eine snbfebrile Gnrve, die derjenigen vom November 1875
ganz gleich ist nnd vom 10. Jannar bie Mitte März, also über 2 Monate
dauert. Hie nnd da ist die Cnrve durch einielne fieberlose Tage nnter-
broeben. Der Hasten schwindet schon im Janaar, and es ist bei wieder-
holter genaaer Bmstantersachang absolut nichts Abnormes zu entdecken.
Die Angina wird indess chronisch. Ende April tritt Patient wieder mit
Hosten ein, hat 6 Tage lang wieder dieselben subfebrilen Temperaturen,
ist tber im Mai fieberlos. Er verlässt die Anstalt Ende Mai mit
einer chronischen Angina, die mir die Veranlassung au dem Husten zu sein
scbiai. Eine genaue Untersuchung vor dem Austritt liess die rechte Spitze
Terdichtig erscheinen, doch war nichts mit Sicherheit zu diagnosticiren. —
Wir haben hier also dreimal katarrhalische Angina als Ausgangspunkt sub-
febriler Zustände, das erste Mal allerdings nur für wenige Tage, das zweite
Mal ftlr 18 Tage, das dritte Mal für volle 2 Monate.
16. Alexander Solowjeff, 13 Jahr alt, bei der ersten Untersuchung am
25. Juni 1873 klein fflr sein Alter, nicht kräftig, etwas mager, geringe
DrflsenBch wellungen am Halse und in den Achseln. Am 15. Novbr. 1873
tritt er mit subfebrilen Temperaturen ein, doch erst 2 Tage später, nach-
dem die Temperatur einmal 39,0 erreicht hat, ist eine katarrhalische Angina
nachzuweisen. Der snbfebrile Znstand dauert 23 Tage, nur ausnahmsweise
gebt die Temperatur unter 37,2 und die Gurve zeigt in exquisiter Weise
Typns inversus. Vgl. Curve 14. Die Angina verbindet sich mit massiger
MaDdelsch wellung, ist aber vor der Entlassung und bei Fortdauer der
abnormen Temperaturen abgeheilt Im April 1874 bei Gelegenheit eines
leichten Unwohlseins eine ganz normale Gurve, ebenso October 1874. Erst
am 17. März 1876, also fast 2V2 Jahr nach der ersten Angina, kommt Fat
wieder fiebernd bis 39,5 mit einer katarrhalischen Angina ins Lazareth.
Die Angina schwindet vollständig nach einer Woche etwa, doch vom zweiten
Lazarethtage ab sind die Temperaturen subfebril zwischen 37,2 und 38,3,
jetzt ohne Typus inversus und bleiben so bis Mitte April, wo sie sich
laogsam verlieren. Nur an zwei vereinzelten Tagen in dieser Zeit geht
die Temperatur auf 39,0 und 39,2. Von Ende März bis Mitte April be-
steht etwas Husten und etwas Milzschwellung, sonst ist objectiv an dem
Knaben nichts zu finden. — Der Knabe blieb gesund und verliess im Mai
1S76 die Anstalt
17. Nicolai Jablokoff, 12 Jahr alt, bei der ersten Untersuchung am
6. Sqitbr. 1873 blass, mager, Schwellung der submaxillaren Drflsen. Am
12. Novbr. 1873 stellt er sich mit subfebrilen Temperaturen ein, die von
vornherein doen entschiedenen Typus inversus einhalten, später an mehreren
Tagen auffallende Abendremissionen, einmal bis 36,0, zeigen. Vgl. Gurve 15.
£s hält diese subfebrile Gurve bis zum i. December an. Am 14. Novbr.
liess sich inzwischen eine katarrhalische Angina constatiren, die etwa nach
einer Woche geschwunden war, während die eigenthtlmlichen Temperaturen
noch fortdauerten. Gegen Ende November Hess sich eine Zu-
nahme der Drflseuschwellungen constatiren, sie wurden
such in den Achselhöhlen nachweisbar. Am 10. März 1875 trat
Pstient wegen einer massig ausgedehnten Phlegmone an der inneren Fläche
des rechten Oberarms ins Lazareth, war dabei subfebril (nur einmal am
118 .V. Kernig
zweiten Tag 38,8), ohne Typus inversuB. Eine flactuirende Stelle masste
am 13. März geöffbet werden, wonach bei fortdauernder Eiterung die übrige
Geschwulst langsam schwand. Am 29. März, nachdem am Tage vorher
eine Steigerung auf 38,9 vorangegangen war, fand sich eine acute Drttsen-
Schwellung in der linken Achsel, also entgegengesetzt der Phlegmone,
die am 4. April zur Onkotomie führte. Der subfebrile Zustand hielt unter-
dessen mehr oder weniger deutlich bis zum 11. April an, wo Patient ent-
lassen wurde. Er erholte sich bis zum Juni bedeutend, ist aber jetzt, Sep-
tember 1878, immer noch blass und mager, wenn auch grösser; in der
linken Achsel sind die Drüsen als grobe Knoten fühlbar.
18. Jegor Alexandroff, 10 Jahr alt, am 16. Juni 1875 bei der ersten
Untersuchung etwas mager, axillare und subm axillare Drüsen etwas ge-
schwellt, eitriger Ohrenfluss beiderseits. Am 26. Octbr. 1875 Fieber bis
39,8 und katarrhalische Angina, am 28. Oct. ist das Fieber geschwunden
(Maximum 37,6), doch zeigt sich Herpes an Nase und Unterlippe. In den
folgenden 2 Tagen absolute Fieberlosigkeit, dann subfebril durch 15 Tage,
während welcher Zeit ein Mal am 2. Nov. die Temperatur auf 39,4 geht.
Am 23. Januar 1876 beginnt ein massiges Fieber (Maximum 39,4) mit
Milzschwellung; es dauert 5 Tage und geht nun in einen subfebrilen Zu-
stand über, der sich erst am 23. Februar verliert. Die Temperataren
liegen zwischen 37,0 und 38,5. Nur einmal, am 12. Tage vom Anfang
der Erkrankung, kam mit einem Schüttelfrost eine ganz vorübergehende
Temperaturerhöhung auf 40,4 vor. Die Milz war schon am 11. Februar,
also vor Nachlass der abnormen Temperaturen abgeschwellt. Im Laufe
der letzten zwei Jahre ist Patient noch wiederholt im Lazareth gewesen,
doch hat sich eine andauernde subfebrile Curve nicht wieder eingestellt
, Patient ist jetzt, September 1878, etwas mager, nicht anämisch, die Drüsen
in der linken Achsel sind erheblich geschwellt, rechts und am Halse nur
wenig. Neben der Angina finden wir also in diesem Falle einen infectiOsen
Magenkatarrh (leichtesten Abdominalt3rphus) als Veranlassung zu einem
subfebrilen Zustand von ca. 3 Wochen^ Dauer.
In den folgenden zwei Fällen haben wir ebenfalls den Anschluss
einer längeren subfebrilen Curve an leichteste Abdominaltyphen.
19. Iwan Schaposchnikoff, 12 Jahre alt, bei der ersten Untersuchung
am 30. August 1873 recht kräftig, doch geringe Drüsensohwellungen am
Halse und unter den Achseln. Er tritt fiebernd am 30. Octbr. 1873 ins
Lazareth; das Fieber dauert in massiger Weise (Maximum 39,7) 10 Tage
an, verbindet sich mit Milzschwellung, belegter Zunge und leichtem Durch-
fall und geht vom 11. Tage ab in einen subfebrilen Zustand über, der bis
zum 11. Decbr., also gegen 5 Wochen anhält. Die Temperaturen zeichnen
sich in diesem Falle durch ihre grosse Gleichförmigkeit ans; sie Hegen
z. B. für die 11 Tage vom 17. bis 27. Novbr. in den engen Grenzen von
37,6 bis 38,2. Die Milz begann um die Zeit abzuschwellen , wo das höhere
Fieber nachliess. Bei Gelegenheit späterer leichter Erkrankungen wurde
eine derartige subfebrile Curve nicht gefanden. Jetzt, September 1878, ist
der Knabe gross, robust, sehr gut ernährt, doch sind die Achseldrüsen
beiderseits geschwellt.
Subfebrile Zustände. 119
20. Anna Rettel, 11 Jahr alt, bei der ersten Untersachang am 14. Juni
1873 recht kr&ftig, voll, von gesunder Gesichtsfarbe, doch mit geringen
Schwellungen der Nacken- und Submaxillardrflsen. Bei wiederholten leich-
ten Erkrankungen im Laufe des Jahres 1874, darunter auch eine Angina,
wird euie normale Curve Consta tirt. Am 11. Decbr. 1874 tritt sie mit
erheblichem Fieber in das Lasareth, das sich als leichter Abdominaltyphus
charakterisirt: Milzschwellung, vereinzelte Roseolae, leichte gastrische Sym-
ptome. Am 13. Tage, nachdem inzwischen schon einige subfebrile Tage
dagewesen, Iflsst sich der Process als abgelaufen betrachten, unter Anderem
war auch die Milz fast ganz abgeschwellt. Es folgen vom 24. bis 27. Dec.
4 absolut fieberfreie Tage, dann beginnt eine subfebrile Curve, die bis
Mitte M&rz, also 2V2 Monat lang andauert. Anfangs im Januar
liegen die Temperaturen zwischen 37,4 und 38,1, nur einmal kommt eine
Ansoahme auf 38,5 vor, als die linke Submaxillardrttse anschwillt und
empfindlich wird. Es geht dieses indess rasch vorflber und ea kommt nicht
zur Eiterung. Im Februar liegen die Temperaturen im Ganzen etwas höher,
zwischen 37,5 und 38,3, einmal wird ohne sichtliche Veranlassung 39,0
gemessen. In der ersten Hälfte März werden die Temperaturen endlich
darchBchnittlich geringer und das Kind kann, nachdem tagelang 37,5 nicht
flberschritten worden ist, entlassen werden. Das Einzige, was in dieser
langen Zeit objectiv nachweisbar war, war eine geringe Milzschwellung, die
seit dem leichten Typhus persistirte. Husten kam gar nicht vor, hin und
wieder einige dflnne Stähle. Trotz der subfebrilen Temperaturen hatte
sich das Kind bis Mitte März sichtlich erholt und schritt diese Erholung
bis zum Sommer noch weiter. Im December 1875 war sie wieder im
Lazareth wegen etwas Brustschmerzen, aber ohne Husten. Vom 3. bis
17. December wurden wieder subfebrile Temperaturen constatirt, zum Theil
mit Typus inversus, verloren sich aber dann. — Später sah ich das Kind
mehrmals wohl und gesund; es verliess die Anstalt im Mai 1878.
Ein ähnlicher Fall ist neuerdings während meiner Abwesenheit
ron Dr. Assmuth in der Anstalt beobachtet worden. Bei einem
serophulösen Mädchen von 14 Jahren wurden 2 Monate lang (15. Febr.
bis 14. April) subfebrile Temperaturen bis 38,0 fast täglich beobachtet
im AnschloBS an ein leichtes fieberhaftes Unwohlsein, das mit Milz-
Schwellung verbunden war. Letztere verlor sich Mitte März, während
die abnormen Temperaturen fortdauerten. Jetzt, September 1878,
zeigen sich wiederholt Morgens und Mittags Temperaturen von 37,7
bis 37,9, ohne dass an dem Kinde ausser leichten Zeichen von Sero-
pheln etwas zu finden wäre. (Torpider Habitus, geringe DrQsen-
Bchwellungen, Coryza, excoriirte Nares.)^)
Auch mit katarrhalischem Icterus kommen bei Scrophu-
lugeu andauernde subfebrile Temperaturen vor, wie der folgende
Fall lehrt.
1) Im Laufe des October haben sich die abnormen Temperaturen verloren.
120 V- Kebnig
21. Timofei Kondakoff, 14 Jahr alt, bd der ersten Untersachimg am
23. Juni 1873 nicht krftftig, mager, exquisit scrophulöBer Habitus. Beider-
seits unter der Mandibnla und am Halse ausgedehnte serophulöse Drflsen*
gescbwflre. In beiden Achseln geschwellte Drflsen, rechts vereitemd. Am
linken Ober- und Unterarm auf den Knochen fahrende Narben. An der
linken ersten Danmenpbalanx und an dem |fetacaipalknochen Cariea. Am
21. Decbr. 1873 stellt sich Pat. mit starkem Icterus, aber fieberios vor,
4 Tage lang will er vordem Frösteln gehabt haben. Die Zunge ist ziem-
lich belegt, Leber und Milz massig vergrOssert. Die nächsten 2 Tage
bleibt Fat. fieberlos, es tritt wiederholt Erbrechen ein, Leber und Milz ver-
grOssem sich noch weiter , erstere bis auf 15 Cm. in der Mamillarlinie,
letztere bis auf 8 und 16 Cm.; dabei wird die Milz fohlbar. Am 24. Dec
zeigt sich bei 38,0 an der Stirn und an dem rechten oberen Lide ein
exquisites Erysipel, das indess schon zum nächsten Tage, der fieberlos ist^
geschwunden ist. Vom 26. Dec. ab, während der Icterus, die Leber- und
Milzschwellung stetig abnehmen und in der zweiten Hälfte des Januar ganz
schwinden, ist Pat. subfebril — Temperaturen zwischen 37,0 und 38,4 —
bis zum 2h. Januar 1874, also einen Monat lang. Einzebe fieberlose Tage
kommen in dieser Zeit vor. Vom 4. bis 17. März 1874 werden ohne
deutliche Veranlassung noch mehrere subfebrile Tage constatirt, in der
zweiten Hälfte April und im Mai, wo Patient stetig gemessen wird, aber
nicht mehr. Im November nach einer leichten Pleuritis auch nicht. Patient
hat die Anstalt April 1875 verbissen und ist später in einem Armenhause
gestorben.
In einem anderen Fall von katarrhalischem Icterus bei einem
njibrigen, nicht scrophulösen Taubstummen, der in drei Wochen
ablief, zeigten sich nur an 5 einzelnen, nicht aufeinander folgenden
Tagen subfebrile Temperaturen von 37,3 bis 37,8.
Folgender Fall zeigt eine subfebrile Curve im Anschluss an eine
Pneumonie.
22 a. Valentin Zwetajeff, 13 Jahr alt, am 26. Jani 1873 mager, scro-
phulös, hochgradige Verbildung der rechten Ohrmuschel, rechter Bulbus
kleiner als der linke; auch der linke GehOrgang verbildet. Am 3. Novem-
ber 1873 tritt er massig fiebernd in das Lazareth, hat eine katarrhalische
Angina. Vom 5. bis 9. Nov. die Temperaturen subfebril. Am 10. Nov.
mit einem lieber auf 40,6 ein pneumonisches Infiltrat LHU, am 11. Nov.
Bubfebril, am 12. Nov; mit einer nenen Steigerung auf 40,0 ein Fortschreiten
des Infiltrats auf die linke untere Scapulargegend nachweisbar; das Fieber
sinkt rasch, vom 15. bis 17. Novbr. afebril, während die Lösung rasch
fortschreitet. Am 18. Nov. beginnt ein subfebriler Zustand, der mit Tem-
peraturen zwischen 37,5 ufld 38,2 bis zum 27. November, also 10 Tage
lang fortdauert. Die Lösung inzwischen vollständig. Patient wird ent-
lassen, kommt aber schon am 10. December mit einem leichten Katarrh
des Rachens und etwas Rasselgeräuschen LHU wieder und zeigt nun im
Laufe des December einzebe febrile Abendsteigerungen auf 39,0 und meh-
rere subfebrile Tage, die sich gegen Schluss December mit den katarrhali-
schen Erscheinungen verlieren. — Hat die Anstalt Juni 1874 verlassen.
Snbfebrile Zustände. 121
Der Temperatnrverlauf nach der Pneumonie gleicht vollkommen dem nach
der ersten Pneumonie im Falle 8.
Endlich ist hier ein Fall zu erwähnen, wo im Verlaufe einer
Sjnovitis catarrhalis im Zusammenhang vielleicht mit epiphy-
sftren Waebsthumsvoi^ängen subfebrile Temperaturen beobachtet
wurden.
22 b. Wjätscheslaff ürussoff, 12 Jahr alt, am 23. August 1873 gross,
recht kräftig, beiderseits am Halse Narben, in der linken Achselhöhle meh-
rere Drüsen leicht geschwellt. Nach wiederholten leichten Erkrankungen
1873, 1874, 1875 wurden normale 'temperatnren constatirt. Bei einer
katarrhalischen Angina im Januar 1876 bis an den 7. Tag etwas erhöhte
Temperaturen. Am 13. Octbr. 1876 meldet er sich wegen Schmensen im
linken Knie, an dem objectiv nichts nachweisbar ist. Die Schmerzen waren
recht hartnäckig, dauerten im November fort, es trat im Laufe desselben
em geringer flüssiger Erguss in das Gelenk ein ; dasselbe geschah auch auf
der anderen Seite. Erst vom 15. Nov. ab wurden Temperaturmessungen
angestellt; dieselben ergaben gegen Ende November fast täglich subfebrile
Abendsteigemngen , im December waren dieselben ebenfalls recht häufig,
aber nicht täglich, im Januar ganz vereinzelt, im Februar war Pat. absolut
fieberlos. Im Laufe des December und Januar hatten sich die Schmerzen
und der Erguss allmählich ganz verloren. Jetzt, September 1878, ist der
Knabe viel grösser, kräftig, nicht anämisch, die Drüsen nirgends deutlich
fKhlbar, hat keine Spur von Beschwerden in den Kniegelenken.
Nachdem wir in den letzten nenn Krankengeschichten (Nr. 15
bis 22 b) das Vorkommen andauernder subfebriler Temperaturen bei
Scrophnlösen in Veranlassung und im Gefolge anderweitiger Krank-
heiten constatirt haben, gehen wir nun zu denjenigen Fällen von
Serophulose über, bei welchen es mehr oder weniger klar nachweis-
bare Affectionen der Lymphdrüsen selbst sind, welche die
Bubfebrilen Zustände erzeugen und unterhalten.
23. Arcadius Scumarokoff, 12 Jahre alt, am 3. Septbr. 1874 recht
kriftig und gut ernährt, die Untersuchung auch in Bezug auf Drüsen-
idiwellnngen negativ. Im December 1874, in den Jahren 1875 und 1876
wird mehrmals bei Gelegenheit leichten Unwohlseins eine durchaus normale
Temperaturcurve gefunden. Erst am 28. Novbr. 1876 stellt er sich mit
Drüsenschwellnngen vor; namentlich sind es die Drüsen vor und hinter
dem rechten Ohr, die angeschwellt sind. In den nächsten Tagen ist er
labfebril (bis 38,4), dann aber den December durch fast ohne Ausnahme
afebril, während die Drüsen noch an Grösse zunehmen. Im Januar 1877
wird er nicht gemessen, ebenso in der ersten Hälfte Februar, bis wohin
die Drüsen trotz eines conseqnenten , wenn auch massigen Jodgebranebs
(iimeriich, und auf die Ohrdrüsen auch äusserlich) noch weiter sich ver-
grössert haben. Vom 12. Februar ab gemessen, erweist sich vom 14. Febr.
tb dae subfebrile Curve — zwischen 37,5 und 38,4, freilich mit Ausnah-
men — , die bis zum 25. Febr. anhält, wo unter einem plötzlichen Fieber-
122 V. Kernig
anfall bis auf 40,3 die Perforation der einen Drüse in den äusseren Gehör-
gang eintritt . (eitriger, rasch schwindender Ohrenfluss). ünnaittelbar danach
vom 26. Febr. ab, absolute Fieberlosigkeit für 9 Tage, worauf erst snb-
febrile, dann einige febrile Tage folgen, während welcher die meisten Drü-
sen, welche vor, unter und hinter dem rechten Ohr ein grosses Paqoet
bilden, welch und fluctuirend werden. Vergl. Curve 16 a. Am 15. Min
beginnt ein massig schwerer, vollkommen ausgebildeter Abdominaltyphns
von genau 3 Wochen Dauer. Danach 10 ganz fieberlose Tage. Erst am
16. April wird wieder 37,9 gemessen und Patient bleibt nun subfebril den
April durch bis Mitte Mai; einzelne afebrile oder febrile Tage fallen da-
zwischen. Vergl. Curve 16 b. Am 2S. April wird eine flnctuirende Stelle
an dem Ohrdrüsentumor incidirt und entleert flüssigen Eiter und reichliehe
käsige Massen. Vom 31. Mai bis 2. Juni und ebenso vom 7. bis 13. Juni
subfebrile Tage mit einzelnen höheren Temperatursteigerungen. Es mm
noch eine Oefiiiung an dem Drüsentumor gemacht werden, und nachdem
viel Eiter und käsige Massen ausgeflossen sind, ist Patient vom 14. Juni
an vollkommen fieberlos. Jetzt, September 187S, ist der Knabe gross,
robust, gut genährt, zeigt zwei Narben unter und hinter dem rechten Ohr.
Der grosse Drüsentumor von früher hat sich wieder in einzelne, noch be-
deutend geschwellte, vor dem Ohr und unterhalb der Narben gelegene
Drüsen aufgelöst. Auch über der rechten Clavicula eine grosse Drflse;
ebenso vergrösserte Drüsen iu der rechten Achsel und unter der Mandibol*
beiderseits.
24. Catherina Barutina, 15 Jahre alt, am S.August 1873 ausser«^
blass und mager, erhebliche Drüsenschwellungen beiderseits am Halse nf^^
in der rechten Achsel, Narben rechts am Halse. Im Laufe des Somme'J*
hat sich mehrmals Blut im Auswurf gezeigt, doch ist auf der Brust k^*^
Infiltrat zu finden. Gegenwärtig kein Husten. Es wird vom 8. August ^
ein subfebriler Zustand constatirt, der sich in den letzten Augusttagen v^^
liert. Die Temperaturen von 8 Uhr Morgens schwankten zwischen 3/^ ^
und 37,9, die von 8 Uhr Abends zwischen 37,9 and 38,2, vereinzelt 38^
Es war weiter keine specielle Veranlassung zu Fieber zu finden als eb
die schwere Scrophulose, resp. die Drüsenschwellungen. Husten trat d
August über nicht ein. Vom 12. October 1873 ab machte Patientin ein
leichten Abdominaltyphus von 12 Tagen Fieberdauer durch und wurC^
danach absolut fieberfrei. Unter hohem Fieber erkrankte Patientin seh
am 23. December aufs Neue mit frischer, starker Milzschwellung, Gesich
erysipel und Pneumonie und ging nach einem sehr schweren Krankenlager
am 15. Januar 1874 zu Grunde.
25. Nicolai Nicolajeff, 10 Jahr alt, am 29. Juni 1875 ziemlich kräftig
doch die linken Achseldrüsen etwas fühlbar. Im August 1875 nach eine^
fieberhaften Angina ganz normale Temperaturen. Im December wurdet
ebenfalls normale Temperaturen constatirt. Am 11. Mai 1876 tritt Patien ^
subfebril und mit leichten Intestinalstörungen ein. Die Temperaturen lieget^
zwischen 37,2 und 38,4, eine massige Milzschwellung wird alsbald nach^
weisbar, und rasch entwickelt sich eine erhebliche Anämie. Vom 20. bii^
28. Mai tritt eine höher-febrile Periode ein, die Temperaturen gehen tägliol^
auf 39,0 und darüber, einmal 40,2. Während dieser febriiei^
Periode tritt zu der Milzschwellung und der leichten Diar-^
Subfebrile Zust&nde. 123
rhoe eiD rnftssiger Ascites; die Zange bleibt ganz rein. Vom 29. Mai
ab dauert der snbfebrile Znstand den ganzen Juni fort und verliert sich
erst Mitte Juli. Vergl. Cnrve 17. Während des Juni besteht auch der
Ascites immerfort und schwindet ebenfalls Mitte Juli. Die Milzschwellong
sowie die Diarrhoe hören schon in der ersten Hftlfte des Juni auf und von
hier ab bessert sich auch trotz der noch bestehenden subfebrilen Tempera-
tureft das Aussehen und der allgemeine Ernährungszustand des Patienten;
er setzt Fett an und ist weniger anämisch. In der zweiten Hälfte Juli,
im August und September, wo Patient immerfort gemessen wird, ist er
absolut fieberlos. Erst in der ersten Hälfte October, wo wieder etwas
Ascites nachweisbar wird, treten etwas höhere Temperaturen auf, 37,5 bis
37,S, werden wiederholt, namentlich Morgens, gemessen. Patient bleibt
nun aus der Beobachtung. Ein Jahr später, October 1877, macht er ein
leichtes infectiöses Fieber mit Milzschwellung durch; nach demselben sind
die Temperaturen vollkommen normal. Im Mai 1878 endlich ein ausge-
sprochener Abdominaltyphus. Gegenwärtig, September 1878, ist der Knabe
recht gut ernährt, nicht deutlich anämisch, nirgends sind die Drüsen fühl-
bar. Die Milz ist noch vom Typhus her massig vergrössert. Er ist klein
geblieben.
Dieser interessante Fall — zweimonatliche Dauer einer sub-
febrilen Curve mit intörcarrenter höher-febriler Periode, gleichzeitig
Ascites und Milzschwellung und schliesslich Ausgang in Heilung —
lässt sich wohl kanm anders als eine Affection der Unterleibsdrttsen,
als eine Lymphadenitis meseraica auffassen.
26. L. T., der 12jährige Sohn eines CoUegen, von jeher scropbulös,
hatte im November und December 1876 zuerst Masern, dann einen leichten
elftägigen Abdominaltyphns durchgemacht. Da seine Erholung keine Fort-
schritte machte, er offenbar kränkelte, wurden vom 18. Januar 1877 ab 3 bis
4 mal täglich thermometrische Messungen vorgenommen und eine andauernde
subfebrile Curve constatirt. Dieselbe dauerte bis zum 25. März, wenn
auch wiederholt durch grössere Chinindosen unterbrochen (vgl. Curve 18),
zeigte sich dann wieder vom 19. bis 25. April und vom 28. April bis 4. Mai.
Wenn man von einigen ganz vereinzelten afebrilen Tagen und von den
Chinintagen absieht, so lag im Allgemeinen die Temperatur zwischen 37,5
und 38,2, vereinzelt und selten bis 38,4 (in der Curve 18 ist der Abschnitt
vom 18. Januar bis 16. Februar nicht enthalten) und hatte ihren täglichen
Höhepunkt meist in den späteren Nachmittagsstunden. Die übrigen Er-
scheinungen während der Monate Januar, Februar und März waren alle
nur auf das scrophulöse Allgemeinleiden zu bezieben, eine speclelle Fieber-
Ursache war nicht zu finden. Nirgends waren die äusserlich fühlbaren,
zam Theil geschwellten Lymphdrüsen in einem acut-entzündlichen Zustande,
anch die Lungen wiederholt und genau untersucht ergaben keine Abweichung.
Eine massige Leberschwellung, die schon während des Typhus sich ent-
wickelt hatte, dauerte auch in dieser Zeit fort, zwischendurch wurde sie
etwas erheblicher — die Leber wurde dann selbst etwas empfindlich —
ging aber wieder zurück. Die Milz war nicht vergrössert. Unter dem
Gebrauch von Chinin ging der subfebrile Zustand, wie oben erwähnt, in
124 V. Kernig
der zweiten Hälfte des März in vollkommene Fieberlosigkeit über; mit einem
leichten Katarrh kam er im April und dann Anfang Mai noch einmal wieder,
dies Mal mit starker Lebervergrössemng verbanden; beide Male nur für
kurze Zeit Gegen den 8. Mai war der Knabe ganz afebril, ging nun auf
das Land, wo warme Seebäder gemacht wurden, und kehrte erheblich eriiolt
Ende August zurück. Im folgenden Winter wiederholt scrophulöse Kera-
titis und Conjunctivitis, sonst hat er sich gut entwickelt. Einige Tage
lang wurde in diesem Fall Jodkali versucht; es war auf den subfebrilen
Zustand ohne Wirkung. Entschieden wirksam aber war das Chinin, wie
die Curve 18 zeigt, selbst wenn der im Laufe des Tages verabreiclite
Scrupel in zwei Dosen ä gr. X (0,6 6rm.) mit einem grossen Zwischenraum
gegeben wurde. Wenn man die Curve im Ganzen überblickt, so erscheint
es doch sicher, dass die wiederholten Chinindosen zum Eintritt der Fieber-
losigkeit, abgesehen von ihrer unmittelbaren Wirkung, beigetragen haben.
Durchschnittlich erreichen die Temperaturen, nachdem eine gehörige Cbinin-
remission erzeugt worden ist, nicht wieder die frühere Höhe. (Die Spontan-
remission am 2. März auf 36,0 ist wahrscheinlich ein Messungsfehler.)
Dieser letzte Fall, in welchem bei einem exquisit scrophulösen
Knaben, nachdem Masern und Abdominaltyphus vorausgegangen
waren, ein subfebriler Zustand eintrat, der sich, wenn auch mit Un-
tei11)rechungen , über 3 Vs Monate hinzog , und für den weiter keine
greifbare Fieberursache zu finden war, lässt sich kaum anders deu-
ten als eine Affection innerer Lymphdrüsen. Es hat sich mit Wahr*
scheinlichkeit wohl um einen entzündlichen Zustand der Bronchial-
und Mesenterialdrüsen gehandelt — Uebrigens muss ich gestehen,
dass diese Deutung auch auf die übrigen vorhin angeführten Fülle
15 bis 22b angewandt werden kann, und dass daher dieser Fall
kaum die etwas gesonderte Stellung, welche ich ihm hier gegeben
habe, verdient.
Ehe ich diese für das Auftreten subfebriler Zustände, wie man
sieht, sehr fruchtbare Gruppe der Scrophulösen abschliesse, führe ich
hier noch eine Reihe von Krankengeschichten an, welche einen durch-
aus ähnlichen Verlauf zeigen, in denen aber Scrophulöse im Kran-
kenjoumal nicht erwähnt ist.
27. Michael Wodaenoff, 13 Jahre alt, bei der ersten Untersuchung
am 26. Juni 1873 gesund und kräftig. Am 26. Novbr. 1873 begann eine
katarrhalische Angina mit geringer Mandelschwellung, während welcher die
Temperaturen von Anfang an subfebril waren und es durch 19 Tage blie-
ben, ohne dass irgend welche sonstige krankhaften Erscheinungen einge-
treten wären. Die Angina besserte sich fast vollständig noch vor Ablauf
der abnormen Temperaturen. Letztere lagen zwischen 37,5 und 38,2. —
Später blieb der Knabe gesund und verliess April 1876 die Anstalt.
28. Alexis Tichwinsky, 13 Jahr alt, am 25. Juni 1873 ganz gesund.
Am 29. Sept. begann ein Abdominaltyphus von im Ganzen 3 wöchentlicher
Subfebrüe ZuBt&nde. 125
Daaer, doch nicht Bcbwerem Verlauf. Daran schloBsen sich noch 2 Wo-
cbeo, innerhalb deren die Temperaturen Bubfebril waren, nnr einmal 38,2
erreichten, meist zwischen 37,5 nnd 37,9 lagen und gewöhnlich znm Abend
auf 37,0 nnd darunter remittirten, so dass sich oft ein Typus inversns
findet Während der subfebrilen Periode ging die Milzschwellung langsam
auf die Norm zurttck. Später bis 1877 bei wiederholten leichten Erkran-
knngen keine snbfebrilen Temperaturen. Verliess die Anstalt liu 1877.
29. Nicolai WasslUeff, 12 Jahre alt, am 15. Sept 1873 kräftig und
geannd, keine Drüsenschwellungen. Bis October 1875 nach wiederholten
leichten Erkrankungen, darunter auch leichter Scorbut, keine subfebrilen
Temperaturen. Im October und November 1875 Anginen mit nur wenigen
Babfebrilen Tagen. Zweite Hälfte April 1876 leichter Abdominaltyphus,
wonach absolute Fieberlosigkeit, auch subnormale Temperaturen. Am 21. Oc-
tober 1876 Magenkatarrh, der nun von subfebrilen Temperaturen begleitet
ist Letztere, im Allgemeinen zwischen 37,4 und 38,2 liegend und einige
Mal den Typus in versus aufweisend, dauern bis in die zweite Hälfte des
November, zeigen sich ganz vereinzelt auch im December. Ausser den
Zeichen eines massigen Magenkatarrhs Hess sich im Laufe dieses einmonat-
lichen subfebrüen Zustandes nichts Abnormes auffinden. Bei späteren leich-
ten Erkrankungen im Jahre 1877 stellten sich die abnormen Temperaturen
nicht wieder ein. Jetzt, September 1878, ist der Knabe gross, robust,
hat keinen scrophulösen Habitus, doch ist in der rechten Achsel
ein erhebliches Drflsenpaquet fühlbar.
30. Dmitri Stradomsky, 13 Jahre alt, bei der ersten Untersuchung
am 30. Juni 1873 klein für sein Alter, mager, elend aussehend, doch keine
specielle Ursache hierfür nachweisbar.. Vom 20. bis 27. November 1873
geringfügige Angina mit subfebrilen Temperaturen luid Typus inversus.
September 1874 ebensolche Angina ohne abnorme Temperaturen. 1875 und
1876 immer dasselbe ganz auffallend magere und elende Aussehen ohne
besondere Ursache. Vom 18. Oet. 1876 ab subfebrile Temperaturen bis
zom 16. Nov.; kein Husten und trotz genauer Untersuchung eine Fieber-
arsacbe nicht zu finden. Die Temperaturen übersteigen 38,1 nur aus-
nahmsweise und sinken unter 37^3 auch nur ausnahmsweise; wiederholt
zeigt sich in dieser Zeit Typus inversus. £nde November und 2^1% Wochen
lang im December treten dieselben abnormen Temperaturen wieder auf,
jetzt ohne Typus inversus. Im Januar und Februar 1877 wird hin und
wieder eine abnorme Temperatur bemerkt, sonst ist Pat. afebril. Auch bei
guter Pflege verliert der Knabe sein elendes, mageres Aussehen nicht bis
Herbst 1877. Hat die Anstalt im Mai 1878 verlassen.
31. Ssemen Bersing, 19 Jahr alt, am 18. Juni 1873 kräftig, von ge-
Bondem Aussehen. Nach wiederholten Erkrankungen 1873 und 1874,
wonmter auch Scharlach, ist Pat. immer wieder absolut fieberlos. Vom
2. bis 17. August 1874 subfebril zwischen 37,5 und 38,5 mit vereinzelten
Steigerungen auf 39,0, dabei Magen- und Darmstümngen , wahrscheinlich
ein infectiOser Magenkatarrh. Von Ende August bis Ende September kom-
men nun wiederholt subfebrile Tage vor, mehrmals durch fieberlose Tage
getrennt, für welche eine bestimmte Ursache nicht zu finden ist. Eine
massige Milzschwellung besteht noch aus dem August, geht aber in dieser
Zeit mehr und mehr zurück. Im October nnd November ist Pat. ganz
126 V. Kernig
fieberlos mit ÄUBnahme eines 3 tägigen höheren Fiebers (bis 39,5), während
dessen Leber und Milz wieder anschwellen. Ende Januar 1875 Pnenmonie
rechts (alle drei Lappen) ; es treten ein Pericardialezsndat nnd rechtsseitige
Parotitis hinzn, und nach einem schweren 13 tägigen Krankenlager stirbt
Patient. Es scheint in diesem Fall, ähnlich wie in den Fällen 18, 19, 20
und 28, der aabfebrile Zustand im September durch den vorausgegangenen
infectiösen Magenkatarrh veranlasst worden zu sein.
Vereinigen wir die bisher mitgetheilten 32 Fälle zu einem Ueber-
blick, so haben wir subfebrile Zustände:
6 mal als Einleitung zu chronischen Lungeninfiltraten, noch vor
allen anderen Zeichen; sie hatten alsdann eine Dauer von 2 bis 5
Wochen (Fall 1 bis 6 incl.).
9 mal 0 im Verlaufe von chronischen Lungeninfiltraten ; bei fort-
schreitender Infiltration (Fall 1, 4, 6), beim Uebergang in Stillstand
(Fall 3, 8, 9); beim Uebergang in Heilung (Fall 7, 10) oder einige
Zeit vor dem Tode (Fall 1 1). Die Dauer ist hier von 4 Wochen bis
zu mehreren, selbst vielen Monaten (Fall 6).
1 mal im Verlauf eines chronischen Katarrhs des rechten Ober-
lappens (Fall 12), 2 Monate lang.
Unter den 12 Individuen mit chronischen Lungeninfiltraten fin-
den sich 7, bei denen die scrophulöse Constitution ausdrücklich er-
wähnt ist (Fall 5, 6, 7, 8, 10, 11, 12).
1 mal bei einer Pleuritis (Fall 13),
1 mal bei einer schweren, acuten Bronchitis (Fall 14),
12 mal nach katarrhalischen Anginen, davon 7 mal bei scropha-
lösen Individuen (Fall 15, 16, 17, 18, in 15 drei, in 16 zwei Angi-
nen), 2 mal bei später Phthisischen (Fall 1 und 3) und 3 mal bei
Nicht-Scrophulösen (Fall 27, 29, 30). Nur in 3 von diesen 12 An-
ginen war die Dauer 5 bis 7 Tage, sonst lag sie zwischen 13 Tagen
und 2 Monaten.
6 mal nach leichtem und leichtestem Abdominaltyphus, davon
3 mal bei scrophuldsen Individuen (Fall 18, 19, 20) und 3 mal bei
nicht scrophulösen (Fall 13?, 28, 31). Die Dauer hier zwischen
2 Wochen und 2V2 Monaten.
1 mal bei nicht infectiösem Magenkatarrh, bei einem später doch
Scrophulösen (Fall 29), Dauer 1 Monat.
1 mal bei katarrhalischem Icterus (Fall 21) bei einem scrophu-
lösen Individuum, 1 Monat lang;
3 mal nach acuten (Desquamativ-?) Pneumonien, davon zwei bei
1) 10 mal, wenn Fall 13 mitgerechnet wird.
/
Subfebrüe Zust&ade. 127
scrophulösen Individuen (Nr. 8 und 22), eine bei einem Nichtscrophu-
lösen (Nr. 13). Dauer 10 Tage bis 3 Wochen;
3 mal bei fiusserlich nachweisbaren Lymphadeniten , bei Scro-
phulösen, Dauer 11 Tage bis zu einem Monat und darüber (Fall 17,
23, 24).
2 mal bei vorauszusetzenden inneren Lymphadeniten (Bronchial-
and Mesenterial drttsen) bei Scrophulösen in der Dauer von 2 Monaten
and darüber (Fall 25 und 26);
1 mal aus unklarer Veranlassung bei einem nichtscrophulösen,
doch elenden Individuum (Nr. 30) etwa 2 Monat lang;
1 mal bei Scorbut (Fdl 4);
1 mal bei einer Phlegmone des Oberarms , bei einem Scrophu-
lösen (Nr. 17) in der Dauer von ca. 2 Wochen.
1 mal bei einer Synovitis catarrhalis bei einem Scrophulösen
(Nr. 22 b).
Unter den bisher besprochenen 32 Individuen finden sich nicht
weniger als 20 Scrophulöse (21, wenn Fall 29 mitgerechnet wird), wohl
ein genügend starker Beweis, dass die Scrophulöse eine ganz beson-
dere Disposition zu anhaltenden subfebrilen Temperaturen erzeugt.
Von den 32 Individuen besitze ich im Ganzen 47 subfebrile Cur-
ven; unter diesen sind 8 mit Typus inversus des täglichen Tempe-
ratnrverlaufes.
Die 8 Fälle von subfebrilen Curven mit Typus inversus ver-
theilen sich:
4 auf chronisch Pneumoniscbe (Nr. 1, 5, 6 und 12, wenn man
letzteren Fall hier mitrechnen will); von diesen sind Nr. 5, 6 und 12
2 auf katarrhalische Anginen bei scrophulösen Individuen (Nr. 16
and 17);
1 auf einen Abdominaltyphus im späteren Verlauf (Fall 28) ;
1 auf einen Fall subfebriler Temperaturen aus unklarer Veran-
lassung bei einem äusserst elenden Individuum (Nr. 30).
Drei von den subfebrilen Curven mit Typus inversus kamen als
Einleitung bei chronischen Lungeninfiltraten vor, noch vor allen
anderen Symptomen (Nr. 1, 5, 6).
Der oft ominöse Charakter des Typus inversus der Tagescurve
bei subfebrilen Zuständen geht aus dieser kleinen Zusammenstellung
wohl hervor, zumal wenn man bedenkt, dass nur in 6 Fällen der
allererste Beginn phthisischer Affectionen beobaehtet wurde.
(Schluss folgt)
128 V. Kernig, Subfebrile Zustände.
YerzeichnisB der Gurven.
(Tafel m-V.)
Die dunklen senkrechten Linien bezeichnen 12 Uhr Nachts, die erste
hellere zwischen zwei dunkleren 8 Uhr Morgens, die zweite hellere 4 Uhr
Nachmittags.
Curve 1. Ausgedehnte Lnngeninfiltrate, fieberlos seit 4 Monaten (Fall 8j.
Cnrve 2. Snbfebriler Zustand nach exanthematischem Typhns (Milz-
infarcte?).
Curve 3. Minime Angina, Brustbefund noch ganz negativ (Fall 1).
Curve 4. Am 14. Januar erste nachweisbare Infiltration (Fall l).
Curve 5. Am 23. Mftrz zum ersten Mal Infiltrationszeichen nachweis-
bar (Fall 3).
Curve 6. üebergang subfebriler Temperaturen in absolute Fieberlosig-
keit (Fall 3).
Curve 7. Am 1. Februar erste nachweisbare Infiltration (Fall 4).
Curve 8 a. Am 13. Februar erste nachweisbare Infiltration (Fall 5).
Curve 8 b. Fall 5, sieben Monate später von derselben Patientin wie
Curve 8 a.
Curve 9. Unmittelbar nach der Pneumonie, November 1874, in Fall 6.
Curve 10. Vor nachweisbarer Infiltration, Mftrz 1876; in Fall 6.
Curve IIa. Fall 6 im Mai 1878.
Curve IIb. Fall 6 im Juni und Juli 1878.
Curve 12. Schwere Bronchitis (Fall 14).
Curve 13. Katarrhalische Angina (Fall 15).
Curve 14. Katarrhalische Apgina (Fall 16).
Curve 15. Katarrhalische Angina (Fall 17).
Curve 16 a. Lymphadenitis externa (Fall 23).
Curve 16 b. Derselbe Fall 23, zwei Monate später.
Curve 17. Lymphadenitis meseraica (Fall 25).
Curve 18. Scrophulosis (Fall 26).
Curve 19. Typhus abdominalis levis (Fall 32).
Curve 20. Syphilitisches Eruptionsfieber (Fall 35).
VI. X^^.FO^?,>
Zur localen uod resorptiven Wirkungsweise einiger Mercurialien
bei Syphilis 9 insbesondere des subcutan iiyicirten metallischen
Ctuecksilbers.
Von
Prof. Faul Fürbringer
In Jena.
So beträchtlich auch der Verfasser die praktische Bedeutung der
unter Folgendem mitgetheilten Beobachtungen zur Zeit hat einengen
mfiflsen, hält er sie gleichwohl in theoretischem Interesse und casu-
istUeher Hinsicht der Veröffentlichung für werth, weil die Experimente
mm Theil neu sind , und bei diesen sowohl als jenen zur Gontrole
früherer Beobachtungen unternommenen neben der Wirkung auf den
syphilitischen Process auch das Schicksal des Medicaments im Orga-
aifimos einige Berücksichtigung gefunden.
Die Beobachtungen selbst stammen aus den letzten zwei Jahren.
Ich habe sie angestellt an Kranken der eigenen Praxis und an Patien-
ten der Abtheilung fQr Syphilitische des Heidelberger akademischen
Krankenhauses. Die Gewährung der letztereui sowie die Möglichkeit
der Ausführung der „Vorversuche'' im chemischen Laboratorium der
medieinischen Klinik danke ich der Oüte des Herrn Geheimrath
Friedreich, den ich an dieser Stelle gern meiner dankbaren
Schätzung seiner Liberalität rersichere.
In der Herstellung und Analysirung der Mercurialpräparate bin
ich Seitens des Verwalters der Apotheke des akademischen Kran-
kenhauses > des Herrn Dr. Vulpius, sowie seines Assistenten , des
Herrn Dr. Holdermann, auf das Entgegenkommendste und Dan-
kenswertheste unterstützt worden.
1. Subcutane Ii^eeüonen Ton metallisohem Qneeksilber.
So mannigfache Besorptionswege man dem metallischen Queck-
silber erschlossen hat durch die alt und viel geübte Inunctionskur,
durch die innere Darreichung in Form der Blue ptllSf durch die
Devtwh« ArthlT f. klln. Hedleln. XXIV. Bd. 9
130 VI. FÜRBRINOER
Application der grauen Salbe auf die Hastdarmschleimhauty die sub-
cutane Einverleibung des Metalls hat man nicht versucht, trotzdem
die Effecte der hypodermatischen Application eines anderen, dem
Metall bezüglich der Unlöslichkeit nahestehenden Präparates, des
Ealomels, den sichern Beweis einer Resorption und Allgemeinwirkung
dargethan. Es scheint in Sonderheit das Bedenken vorgeschwebt zu
haben,, es möchte bei der Injection durch Oefässverletzung das flüs-
sige Quecksilber direct in den Blutkreislauf eintreten und zu Embo-
lien der Lungencapillaren und Infarctbildung Anlass geben. Aller-
dings wird man diese Gefahr a priori nicht von der Hand weisen
dtlrfen, um so weniger, als wir in der Literatur den bestimmt formu-
lirten Angaben begegnen, dass das direct in den Kreislauf der Thiere
eingebrachte Metall Pneumonie durch Verstopfung der Lungengef&sse
erzeuge (B. Gohn u. A.}- Nun lässt sich, wie bekannt, bei der
Vornahme der hypodermatischen Injectionen ein gelegentlicher An-
stich von Venen trotz sorgfältigster Wahl des Orts nicht vermeiden»
und wenn es auch nicht geleugnet werden darf, dass die Lungen-
capillaren des Kaninchens gerade hinsichtlich des Zustandekommens
des genannten Resultats durchaus andere Bedingungen, namentlich
bezüglich des Kalibers der Geffisse und des Blutdrucks, als jene des
ausgewachsenen Menschen darbieten, so lag doch immer die Mög-
lichkeit jenes gefährlichen Eingriffes auch für den Menschen vor
und musste zur höchsten Vorsicht mahnen. Ich habe es deshalb an
eigenen Vorversuchen an Kaninchen nicht fehlen lassen. Indessen
habe ich nicht willkürliche Mengen Quecksilbers eingeführt, son-
dern in der Erwägunge dass auch das Verhältniss des Körpervolu-
mens zu dem des Metalls hier in Betracht kam, das letztere auf die
grösste Menge beschränkt, die später dem menschlichen Organismus
einverleibt wurde, und das ist ungefähr eine Quote des Metalls von
dem Volumen von höchstens sechs Normal -Wassertropfen. Wurde
diese Menge vom Kaninchen ohne Störung vertragen, so war gewiss
auszuschliessen , dass sie im menschlichen Körper eine ungünstige
Wirkung durch mechanische Gefässalteration äusserte.
Das Resultat einiger in dieser Richtung angestellten Experimente,
bei welchen ich in die freigelegte Femoralvene* des Thieres 0,25 bis
0,3 Ccm. reinen Quecksilbers eingebracht, lautet nun dq.hin, dass in
keinem Falle eine irgendwie bemerkenswerthe Störung der Euphorie
der zum Theil jungen Versuchsobjecte für die nächsten Stunden oder
Tage sichtbar wurde, noch es mir möglich geworden, bei der Sec-
tion Obturation der Pulmonalgefässe oder pneumonische Zustände
nachzuweisen.
Mercnrialien bei Syphilis. 131
Der Frage nach dem Verbleib des in die Vene injicirten Metalls,
ob fiberhanpt eine Locomotion desselben durch den Venenstrom statt-
findet, ob nicht yielmehr eine retrograde Wanderung (Senkung) in
die abhängigen Oefässverzweigungen eintritt, oder endlich, ob nicht
im Fall der Fortschwemmung minimaler Partikel dieses ungemein
beweglichen und geschmeidigen Metalls, das nach eigenen Versuchen
bei äusserst geringem Druck das Lumen engster Glasfadencapillaren
sofort passirt, die Lungencapillaren einfach durchwandert werden,
trete ich zur Zeit durch Aufnahme methodischer Thierexperimente
näher. Sicher kommt es bei der genannten Menge des Injectums
im Bereich der etwa terminal betroffenen Eörpercapillarenbezirke
nirgends zu ausgesprochener Nekrosenbildung >). Jene fulminanten
Lungenerscheinungen scheinen nur einzutreten, wenn man das Metall
durch die Halsvenen in das Herz „fallen'' lässt.
Endlich habe ich es auch nicht an Vorversuchen fehlen lassen,
die in Erwägung einer möglicherweise in Folge rapider Umwandlung
des im Unterhautbindegewebe deponirten Metalls in lösliches Salz
oder flbermässiger mechanischer Irritation eintretenden fulminanten
Phlegmone oder Gangrän über die örtliche Gefährdung der Wände
des Unterhautraumes und seiner Umgebung entscheiden sollten. Die
sabcutane Injection von selbst 0,5 Ccm. Quecksilbers hat in ihrem
Effect auch dies Bedenken beseitigt, indem ausser der trägen Um-
wandlung der Injectionsstellen in mit käsigen Depots durchsetzte
Infiltrate, wie sie beim Kaninchen selbst fQr das m^enschliche Unter-
hautbindegewebe kaum irritirende Injectionsflttssigkeiten bekannt
sind, keine Reactionserscheinungen auftraten.
Was die Versuche selbst anlangt, so will ich der Kttrze und
Uebersicht halber nicht krankengeschichtlich, sondern innerhalb ge-
wisser durch die Form der Application des Medicamentes bestimmter
Gruppen zusammenfassend über die locale Wirkung des Prä-
parats als solchen, seine Elimination, seine Nebenwirkungen
(Verträglichkeit) und endlich seinen Einfluss auf die Aeusse-
rungen des syphilitischen Processes berichten.
Die Zahl der einzelnen Injectionen belief sich auf ca. 200, von
welchen der weitaus grösste Theil der 3. Gruppe (s. u.) zufällt. Ob-
jecte waren Syphilitische fast ausschliesslich in den ersten Secundär-
1) Vgl. Koch, Ueber embolische Nekrose der Knochen (Verband], d. d. Qes.
t Chir. 1878). Hier bedingte selbst directe Verstopfung der Knochencapillaren
mit Hg einfach irritatiye Processe mit dem Charakter der Anbildung, indem durch
die Leistung des Collateralkreislaufs Gangrän verhindert wurde.
9*
132 yi. FÜHBRINOEB
Stadien mit ausgeprägter universeller Roseola^). In einzelnen
Fällen waren die ersten Seeundär-Manifestationen nach Gebrauch der
Inunctionscur während des sogenannten zweiten Latenzstadiums und
Recidive der papulösen Phase Gegenstand der Behandlung. Alle übri-
gen Kranken waren unbehandelte und erfuhren auch während der
Kur, abgesehen von indifferenten Reinigungsbädern und eventuell
Verbänden, keine anderweitige Behandlung. Die Nahrung bestand
theils in der Spitalskost, theils in der gewohnten Diät. Die Zahl
der Patienten belief sich auf 20.
Die Vorstellungen endlich, die mich in letzter Instanz bei der
Vornahme der Metallinjectionen leiteten, waren : Einverleibung eines
beträchtlichen Quecksilbergehaltes in äusserst kleinem Volumen, das
zudem jede Irritation der Gewebe, also auch den Schmerz bei der
Irritation selbst ausschliessen musste, Vortheile, die gewiss Angesichts
der gegentheiligen Mängel der Injectionen diluirter wie concentrirter
Lösungen von Quecksilbersalzen plausibel und nicht zu vernachläs-
sigen waren.
Vor diesen Erwägungen jedoch, die mehr den praktischen End-
zweck betrafen, war es die Frage nach der Theorie der Resorption
des regulinischen reinen Quecksilbers, die mich beschäftigte, und die
einer Lösung entgegenzufttbren solche Versuche mir ganz besonders
geeignet erschienen. Ich meine hierbei den Abschluss derAtmo-
Sphäre von dem metallischen Quecksilber, der bei Benutzung des
geschlossenen Unterhautraums ermöglicht wurde, also die Elimi-
nation einer Oxydation des Metalls durch Bestreichung
der Luft. War das Quecksilber wirklich als solches, d. h. frei von
jeder Spur von Oxydul oder anderen difect resorbirbaren Salzen
unter die Haut gebracht, dann erstand in dem Nachweis jener letz-
teren am Ort der Application oder im Harn eine directe Antwort auf
die so vielfach ventilirte Frage nach der Möglichkeit einer nach-
träglichen Oxydation des regulinischen Quecksilbers
I) Auf die Gegenwart dieses Exanthems in uniYerseller und namentlich maculo-
papulöser Ausbildung habe ich besonderen Werth für die Beurtheilung der Wir-
kung des Medicaments gelegt, weil bei der ungemein schwankenden Dauer des
Bestandes anderer früherer Manifestationen (wie der feuchten Haut- und Schleim-
hautpapeln, der umfänglicheren pustalösen Formen, die zudem so sehr durch ein-
fache locale Behandlung beeinflusst werden, ganz abgesehen von der Prim&r-Iodara-
Uon und den indolenten Bubonen) gerade die universelle Roseola bezüglich ihrer
Dauer und ihrer Reaction gegen die mercurielle Allgemeinbehandlung immer noch
die constanteste Rolle zu spielen scheint trotz freilich bisweilen prägnanter Aus-
nahmefälle (Roseola evanida).
Mercarialien bei Syphilis. 133
innerhalb des Stoffwechsels unter dem Einfluss der chemi*
sehen Constitution der Organsäfte (Contact mit Kochsalz, Blut- und
Organeiweiss) und der oxydirenden Einwirkung des Organismus
(Sauerstoff der Blutkörperchen etc.). Der Frage nach dem speciellen
Charakter der endlichen löslichen resorbirten Verbindung habe ich
keine Aufmerksamkeit zugewendet Ich sehe jedoch nicht ein, was
veranlassen könnte, eine von dem zur Zeit fttr den inneren Gebrauch
der Mercurialien geltenden (Voit) Resorptionsmodus (Endproduct im
Blut: Quecksilberoxydalbuminat) wesentlich abweichende Theorie zu
rermuthen. Nur den Harn und nicht auch das Blut habe ich ferner
der Prüfung auf Hg unterworfen, weil es mir lediglich galt, festzu-
stellen, ob das Quecksilber im Blute gekreist hat oder nicht.
Inwieweit sich die Erwartungen erfflllt und die Beeinflussung der
bekämpften Krankheit sich gestaltete, mögen die folgenden Gruppen
zeigen.
1. Gruppe.
Hier wurde die Spritze ^j direct mit reinstem Quecksilber ge-
laden und letzteres in einer Menge von 0,1 bis 0,3 Gem., d. i. circa
1 72 bis 4 Grm. (also dem Quecksilbergehalt von beispielsweise -1 83
bis 549 Grm. einer Iprocentigen Sublimatlösung entsprechend) in
Form eines continuirlichen Tropfens subcutan injicirt^) und die In-
jection alle 5 bis 8 Tage wiederholt.
Hierbei erwies sich zunächst die Injection, abgesehen natürlich
Tom Einstich der Nadel, als völlig schmerzlos, und es folgte
in der Mehrzahl der Fälle überhaupt nicht die mindeste Local-Irri-
tation. Das Quecksilber blieb bei dauernder Bettlage und Ausschluss
heftiger Bewegungen an Ort und Stelle liegen, derart dass es am
nächsten Tage, sofern der Stichkanal nicht zugeheilt, bei Druck
aus letzterem hervorquoll. Dasselbe fand in einem Falle statt, in
welchem ein Gefäss verletzt worden war, so dass nur eine äusserst
1) £s bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass hier nur Fassungen und Canü-
len von nicht amalgamirendem Material (Stahl, Hartgummi etc.) gestattet sind.
Ich hahe eine einfache Pravaz'sche Kautschukspritze angewandt. £in ganz be-
sonderes Augenmerk wurde auf die nicht genug zu betonende Reinhaltung des
Instruments gerichtet. Man sollte bei Mercurialinjectionen nie eine Spritze ver-
wenden, die nicht unmittelbar vor dem Gebrauch einem stundenlangen Bade ent-
nommen (hier lag sie in verdünntem carbolhaltigem Spiritus, der durch reines
Wasser kurz vor der Iigection entfernt wurde).
2) Wobei die in zahllosen Wiederholungen gegebenen Vorschriften bezüglich
der Wahl des Ortes, des Aufhebens der Falte etc. im Wesentlichen nach dem
Vorgange von Lewin und v. Sigmund befolgt wurden.
134 VI.
geringe Qaote in den Ereislaof fibergetreten sein konnte. Am 3.,
5.| 7., in einem Fall am 11. nnd selbst am 27. Tage nach der In-
jection gelang ein Gleiches, wenn man einen neuen, in das Metall-
depot mfindenden Kanal anlegte and darch Bingdmck das Aasweichen
des Qaeeksilbers nach anderer Richtung Tcrhinderte.
In vereinzelten Fällen begann 12 bis 24 Standen nach der In-
jection eine entzflndliche Beaction, die entweder nach einigen Tagen
sparlos zarfickging, oder aber einen pulpösen Herd, ganz ähnlich
der Localaffection bei Calomelinjectionen , mit träger Umbildung in
derbe knotenartige Infiltrate (s. Nachtrag I), in einem Falle sogar
einen regelrechten Abscess lieferte. Beim Spalten dieses Abscesses
am 5. Tage nach der Injection zeigte sich nun Folgendes : Anschei-
nend die ganze Qaecksilbermasse war an Ort und Stelle liegen ge-
blieben in Gestalt mehrerer spiegelnder Kugeln , umspQlt von blu-
tigem Eiter und nekrotischen Gewebsfetzen. Nach Entleerung des
Abscessinhaltes und Bedeckung der Incision mit grauem Pflaster trat
rapide Heilung ein. Leider ist die Isolirung des Eiters vom Metall
und seine Prttfung auf Qaecksilbergehalt verabsäumt worden. In
2 Fällen ist auch der weiche pulpose Herd gespalten worden, der,
abgesehen von dem hämorrhagischen Charakter seines Inhalts i im
Wesentlichen die gleichen Verhältnisse darbot.
Der Harn wurde zu verschiedenen Zeiten der Prüfung auf Queck-
silber sowohl nach der Ludwig'schen Methode 0 ftls nach dem
kdrzlich von mir in extenso publicirten Verfahren 2) [„Quecksilber-
nachweis im Harn mittelst Messing wolle ''^j] unterworfen, stets mit
völlig negativem Resultat.
Salivation oder sonstige auf Mercurgebrauch zu beziehende Neben-
erscheinungen traten zu keiner Zeit auf.
Ebensowenig war selbst nach 3 maliger Injection (innerhalb 14
Tagen) irgend eine Wirkung auf die Roseola oder sonstige syphi-
litische Aeusserangen deutlich , so dass mit diesen Experimenten
dauernd abgebrochen wurde.
Trotzdem verliess mich nicht der Gedanke, dass eine, wenn auch
minimale Resorption stattgefunden haben müsse, und in Erwägung,
dass das Missverhältniss der Oberfläche des injicirten Metalls zu
1) Wiener med. Jahrb. 1877.
2) Berliner klin. Wochonschrift. 1878.
3) Hierbei sei bemerkt, dass spätere Erfahrungen mich gelehrt haben, dass
eine vorsichtige Chlorbehandlung (mit KCIOj und HCl) des Harns vor dem
Eintragen des zu amalgamirenden Metalls dann entschieden indicirt ist, wenn ein
auch nur spurenhafter Albumingehalt nachzuweisen ist.
Mercnrialien bei Syphilis. 135
seinem Kubikinhalt in letzter Instanz der Ueberftthrung in lösliches
Salz 80 enge Grenzen gezogen^ modificirte ich das Verfahren in der
2. Gruppe
dahin, dass ich das unter die Haut deponirte Metall durch Druck
and radi&res Streichen in zahlreiche Fragmente zerstieben machte.
Die Localirritation gestaltete sich hier weder grösser noch geringer als
zQTor, wohl aber bestand eine wesentliche Differenz im Verhalten
des Quecksilbers. So zeigte sich die Höhle eines Abscesses nach
Abspttlung des flüssigen Inhalts Ton den Wänden, der, seinerseits
allenthalben von kleineren und grösseren spiegelnden Metallkflgel-
chen durchsetzt, stellenweise geradezu eine schwarzgraue Metallemul-
sion darstellte, bis in die tiefsten Lücken (und höchst wahrscheinlich
noch über diese hinaus in die normalen Gewebsspalten) besetzt mit
ziemlich fest haftenden, zum Theil glitzernden, zum Theil glanzlosen
Pankten un^d Flecken ; diese letzteren Hessen sich sämmtlich unter der
Lupe als Conglomerat kleinster Metallkttgelchen erkennen. Der mit
dem Spülwasser vereinigte hämorrhagische Eiter wurde in diesem Falle
mit viel stark verdünnter Salzsäure versetzt und unter Luftabschluss
fQr 24 Stunden der Ruhe überlassen. Die abgehobene und filtrirte
Flüssigkeit, die keine Spur des Metalls enthielt, wurde nunmehr der
Analyse unterworfen und erwies sich als quecksilberhaltig. Somit
war in der That der Beweis einer Ueberführung des Metalls im
Unterhautraum durch die umgebenden vitalen Organsäfte in eine lös-
liche Oxydationsstufe geliefert ^). Allein auch hier zeigte der Harn
in keinem Falle trotz der peinlichsten Sorgfalt, mit welcher er auf
Qaeeksilbergehalt geprüft wurde, auch nur eine Spur des letzteren.
Nichtsdestoweniger habe ich an einer Elimination des Quecksilbers
nicht gezweifelt, zumal da eine wenn auch träge und wenig präg-
nante constitutionelle Wirkung in einigen Fällen zu bestehen schien.
1) Diese UeberfOhrung ist schon a priori durch das chemische Experiment
sehr plausibel: Reinstes Qaecksilber mit Kochsalzlösung an der Luft geschattelt
geht nach der Formel Hg + 2NaCl + HiO + 0=^ HgCh + 2NaH0 in Lösung
(Mialhe, Voit, Overbeck, Blomberg, Maly). Im Unterhaatraum verfügen
wir ebenfalls über NaCl, HsO u. 0 (Oxydationskraft des Organismus). — Dem-
selben Gesetz unterliegt auch das subcutan deponirte Galomel. Auch diese Yer-
bindung liefert beim Schütteln mit Kochsalzlösungen, besonders bei Zusatz von
Blat, selbst bei gewöhnlicher Temperatur Sublimat (Ff äff, Liebig, Volt). Sogar
einfaches Verweilen Ton Galomel neben Natr. bicarbon. und Rohrzucker (in zu-
sammengeriebenen Pulvern) kann mit der Zeit in Folge Feuchtwerdens erhebliche
Mengen yon Sublimat abspalten (Yulpius). Doch wird auch eine Umwandlung
des (}hlorürs zu Chlorid im Magen bezweifelt (Buchheim, Oettingen).
136 VI. FüBBBIMGER
Besonders galt dies vom Schwunde frischer Flecken and trockener
Hautpapeln. Doch darf ich nicht rersch weigen , dass andere Mani-
festationen durch die Injectionen unbeirrt fortbestanden, oder sich
weiter entwickelten, und dass eine Patientin, nachdem unter einer
2- bis 3 wöchentlichen Behandlung (4 Injectionen) ein frisches locales
papulöses Recidiv geschwunden war, wenige Wochen nach ihrer Ent-
lassung mit einem (vorwiegend lichenartigen) Exanthem in die Anstalt
zurflckkehrte, das deutlich den progressiven Charakter ihrer Lues be-
kundete.
Derartige Erfahrungen, die auf eine weitaus insufficiente Auf-
nahme des Quecksilbermolecttls ins Blut deuteten, mussten mich des
Femeren veranlassen, für eine ungleich gesteigerte OberflAchenver-
grösserung des Präparates zu sorgen. Ich glaube nach zahlreichen
Versuchen endlich die geeignetste Form in einer Emulsion gefun-
den zu haben. Dieselbe bildete das arzneiliche Object der
3. Gruppe.
Von fettigen und pulverförmigen Substanzen als Vehikel der
Extinction des Quecksilbers wurde hier aus guten OrOnden abge-
sehen 1) und eine Emulsion in möglichst indifferenten Flüssigkeiten
angestrebt. Eine Mischung von Olycerin ipit Gummischleim zu glei-
chen Theilen wurde endlich als das zweckmässigste Menstruum für die
Suspension des Metalles befunden und zwar nach folgendem Recept:
Rp. Hydrarg. dep. 2,0,
Extingue ope
Mncil. Gl. arab. pnriss. 10,0,
Adde seDBim terendo
GljceriD. pariss. 10,0.
Man erhält auf diese Weise eine schwarzgraue, homogene, etwas
schwer bewegliche Flüssigkeit, von welcher der Cubikcentimeter Ober
0,1 metallischen Quecksilbers enthält. Die Oberflächenvergrösserung
des letzteren schätze ich, wofern bei der Bereitung 1. a. verfahren
wurde, auf das 2 — 3 hundertfache, entfernt sich jedenfalls nicht wesent-
lich von jener, die das Metall im Ung. einer, erfahren hat, wie ein Ver-
gleich unter dem Mikroskop lehrt. Bei sorgfältigem Verschluss und
1) Man hat bereits vor Jahren Injectionen einer Mischung von grauer Salbe
und Mandelöl versucht und empfohlen (Lebert). Es ist mir zweifelhaft, ob hier
wirklich im Wesentlichen das Quecksilber als Metall zur Resorption gelangt ist,
oder ob dieselbe sich nicht ausschliesslich auf die bereits ausserhalb des Oiganis-
mus vorhandenen Umwandlungsproducte (fettsanres Oxydul etc.) bezieht. Ich
nehme daher Anstand, solche Injectionen als Metalleinspritzungen zu bezeichnen.
"VI
MercuriaUeD bei Syphilis. 137
Bewahrung vor jeder Verunreinigung stellte das Präparat nicht nur,
wie die graue Salbe, auf Tage (Ov erb eck), sondern auf Wochen
nach seiner Bereitung, jedenfalls fttr die ganze Zeit seiner Benutzung
ein einfaches Gemenge von reinem Quecksilber mit den
Vehikeln ohne Spur eines Oxyd- oder Ozydulsalzes dar:
leh habe die Emulsion mit Wasser und Essigsäure in den verschie-
densten Proportionen energisch geschüttelt,* ohne dass es mir gelun-
gen, in der vom Metallsediment am nächsten Tage vorsichtig abge-
hobenen Flttsaigkeit irgend eine Quecksilberreaction zu erhalten.
Selbst die Elektrolyse der mit chlorsaurem Kali und Salzsäure vor-
sichtigst behandelten FIflssigkeit fiel völlig negativ aus. Ich schreibe
gleich Overbeck dem Gummischleim einen entschieden hemmenden
Einfluss auf die Oxydation des Metalls zu. Das Präparat trocknet
niemals aus, das Vehikel ist dickflüssig genug, um ein schnelles
Sedimentiren des Metalls zu verhüten, andererseits hinreichend dünn-
flüssig, um der Manipulation des Einspritzens keine Hindernisse zu
bereiten. Eine bisweilen selbst bei recht vollständiger Extinction
hervortretende Neigung des Metallstaubes, die obersten Schichten zu
fliehen, wird gleich der Sedimentirung in späterer Zeit durch ener-
gisches Schütteln des mit einigen soliden Glasperlen versetzten Prä-
parates ausgeglichen. Nur bei Fehlern der Herstellung bildet sich
in kurzer Zeit ein relativ voluminöser Bodensatz, in welchem selbst
das unbewaffnete Auge spiegelnde Metallkörnchen entdecken kann,
die beim Schütteln nur mangelhaft in der Flüssigkeit wieder aufgenom-
men werden, derart, dass eine Verarmung derselben an Quecksilber
bis zu 0,03 pro Gubikcentimeter resultiren kann (s. Nachtrag II).
Die Entleerung der Spritze gelingt niemals ganz vollständig,
doch lässt die Summe der anhaftenden Reste nicht die injicirte
Menge unter 0,1 Hg pro Gubikcentimeter sinken. Die Einzeldosen
betiefen sich auf V« bis ^m Spritzen, d. i. circa 0,025 bis 0,075 metal-
hflchen Quecksilbers und wurden in den genannten Zwischenräumen
unter Beobachtung der erwähnten Cautelen injicirt. Die Manipula-
tion selbst war in der weitaus vorherrschenden Mehrzahl völlig
schmerzlos, abgesehen natürlich vom Nadelstich selbst. Nur in
ganz vereinzelten Fällen resultirten richtige Abscesse im Verlauf der
nächsten 5 — 10 Tage und zwar meinem Urtheil nach nur in solchen,
fQr welche nicht die völlige Garantie für Schonung der Injections-
stelle gegeben war. Einer dieser Abscesse wurde nach 1 wöchent-
lichem Bestehen gespalten, worauf die Höhle unter einfachem Deck-
verband ungesäumt sich schloss. In dem Inhalt derselben konnte
mit bewaffnetem Auge auch nicht ein Metalltröpfchen erkannt wer-
138 VI. FüBBRINOEB
den, während ein anderer früher geöffneter AbBcess Eiter lieferte,
der noch mit Resten der Metallemulsion versetzt war. Etwa in der
Hälfte der Fälle entwickelten sich unter massigen Beizerscheinungen
hämorrhagisch-pulpöse Localaffecte, die ganz allmählich sich zu durch-
aus indolenten knotigen Infiltraten umwandelten , welche ihrerseits
unter höchst träger Involution Monate lang, ja selbst durch Jahres-
frist persistirten, also im Grossen und Ganzen in ihrem Verlauf den
bekannten Gonsequenzen der Injectionen anderer unlöslicher wie lös-
licher Quecksilberpräparate ähnelten. Bezüglich des Nachweises lös-
lichen Quecksilbersalzes im Inhalt dieser Localaffecte in ihren frischen
Stadien gilt das Nämliche wie von jenem im Abscesseiter. Nur schien
hier die Besorption langsamer als im entzündlichen Abscess von Stat-
ten gegangen zu sein, womit denn auch das Auffinden von Besten ex-
tinguirten Metalls in den hämorrhagischen Knoten selbst nach 2- und
3 wöchentlichem Bestehen derselben übereinstimmt. In den übrigen
Fällen endlich (ca. 40 Proc.) gelangte überhaupt keine entzündliche
Beaction zur Entwicklung : die Injectionsstelle blieb fast völlig schmerz-
los oder ganz unempfindlich und schwand nach 3 — 6 Tagen selbst
für den zufühlenden Finger spurlos, ohne dass eine schnellere Be-
sorption als wahrscheinlich nachgewiesen werden konnte (s. u.).
Ueber die Effecte der Prüfung des Harns 0 auf Quecksilbergehalt
kann ich mich kurz dahin fassen, dass frühestens am 4., spätestens
am 7. Tage nach der Injection in einem Theil der Fälle 2) Spuren
von Quecksilber mit aller Deutlichkeit nachgewiesen
werden konnten, in einem andern dieser Nachweis zweifelhaft
war, im Uebrigen endlich völlig misslang. Es unterliegt für mich
keiner Frage, dass im Grossen und Ganzen selbst bei einem wöchent-
lichen Injectionstypus eine Gumulation der Ausscheidung mit dem
Harn bestand, trotzdem in einzelnen Fällen die Schwankungen im
Lauf mehrerer Monate recht erheblich sich gestalteten, derart, dass
unter Umständen trotz Fortsetzung der Injectionen in der
angegebenen Weise plötzlich der Harn als quecksilberfrei befunden
wurde. Auf diese Intermittenz der Quecksilberausscheidung, die ich,
nebenbei bemerkt, an zahlreichen mercurialisirten Syphilitischen,
gleichviel welches Quecksilberpräparat und auf welchem Wege es
1) Derselbe war bei Aufbewahrung der Tagesmengen in Krankenzimmern, in
denen Patienten der Inunctionscur unterworfen waren, durch dauernde Bedeckung
der Harngläser einem etwaigen Contact mit Hg-Dftmpfen uDzug&nglich gemacht
Niemals ist der Nachweis von regulinischem Metall in den Harnportionen gelungen.
2) Darunter Harne von Privatpatienten, die niemals in Hg-haltiger Atmosph&re
sich aufgehalten, noch je zuvor mercurialislrt worden waren.
Mercorialien bei Syphilis. 139
ihnen zugefahrt worden war, beobachtet habe, und welche seit mehr
als 10 Jahren von verschiedenen Autoren, namentlich von Overbeck,
mehr oder weniger deutlich hervorgehoben worden ist, werde ich bei
besonderer Gelegenheit noch zurtlckkommen. Die Ausscheidung des
Hedicamentes im Harn sistirte in einigen Fällen in der 3., einmal
in der 5. Woche ; f flr die Mehrzahl habe ich leider in dieser Hinsicht
auf ein sicheres Resultat verzichten müssen, da die Objecto entweder
mit quecksilberhaltigem Harn aus meiner Behandlung schieden, oder
aber zur Zeit sich noch unter der Wirkung fortlaufender Injectionen
befinden.
Ich glaube mich nicht wesentlich von der Wahrheit zu entfernen,
wenn ich behaupte, dass bei den meisten Kranken je eine Einspritz-
ung sich bezüglich der resorptiven Wirkung im Wesentlichen binnen
2 bis 4 Wochen erschöpft, so dass also mit jeder Injection ein Unter-
haatdepot von Quecksilber dem Organismus zu eigen gegeben wird,
ton dem er gegenüber den subcutanen Einspritzungen loslicher Mer-
carialien äusserst langsam und stetig zehrt und dass er bei
Vornahme der Injectionen alle halbe oder ganze Wochen in der Zeit-
einheit unter der cumulativen Wirkung der Resorption aus durch-
schnittlich 6 resp. 3 Depots steht. Hiemach müssten bei wöchentlichen
Injectionen von 0,05 Hg (gewöhnliches Verfahren für die Zeit der
Einspritzungen) je 5—10 Milligrm. Hg im Blute kreisen (abgesehen
natürlich von den genannten Resorptionsschwankungen), welche Gon-
sequenz ich jedoch Angesichts der antisyphilitischen Wirkungen (s. u.)
entschieden negiren muss, und auf welche ich bei der Charakterisirung
der letzteren zurückkommen werde.
Was die Verträglichkeit des Oesammtorganismus für die genannte
Art der subcutanen Injectionen anlangt, so habe ich bei keinem Pa-
tienten, zu keiner Zeit irgend eine specifische Nebenerscheinung be-
obachten können, weder je Salivation auch nur in dem geringsten
Maasse, noch Symptome, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit auf
den chronischen Mercurialismus, wie er bereits vor nahezu 20 Jahren
dorch die fundamentalen Erörterungen EussmauTs^) und Ov er-
beck's 2) als geklärter und wohl charakterisirter Begriff in allen
seinen Erscheinungen endgiltig fixirt worden ist, zu beziehen sind.
Freilich hat es nicht an Aeusserungen gefehlt, die recht lebhaft an
die Erscheinungen erinnern, welche man der neuerdings wieder recht
geliebkosten „ Quecksilberkrankheit " zuzuschreiben nicht gezögert,
1) Untersnch. über den constitut Mercurialismus. 1861.
2j Mercnr und Sjphilis. 1861.
140 VI. FOSBRINGER
Aensserungen , die fttr die Gesammtheit der von mir beobachteten
Fälle sich durchans zwanglos von der syphilitischen Erkrankung
ableiteten und bei fortgesetztem und gesteigertem Quecksilberconsum
nicht zu- sondern abgenommen haben, resp. ganz geschwunden sind.
In Sonderheit ist es mir zu keiner Zeit geglückt, die meist sichtlich
hervorgetretene Zunahme des Körpergewichts und der Kräfte der
Patienten als „scheinbare" irgendwie in Zusammenhang mit einem
durch Quecksilbervergiftung erzeugten „ specifischen Eiweisszerfall"
zu bringen.
Die Wirkung der Metallinjectionen auf den syphilitischen Process
war .in den meisten leichten und recenten Formen fraglos zu beob-
achten. Hingegen wurde sie bei den resistenten Formen der papu-
lösen Phase und im gummösen Stadium ganz vermisst Ueberall,
wo sie sich geltend gemacht, trag sie den Charakter des Lang-
samen und Allmählichen (Tilgung der momentanen Erscheinun-
gen in durchschnittlich 8 Wochen 'durch 10 Injectionen im Mittel)
und liess sich mit den rapiden EflPecten der Inunctionscur, der Be-
handlung mit starken Sublimatdosen (innerlich oder subcutan), oder
des Decoct. Zittm. cum Hydrarg. nicht entfernt vergleichen, was den
momentanen Schwund der secundären Erscheinungen anlangt; selbst
hinter der Wirkung der Ricord'schen und Calomelpillen in klein-
sten Dosen blieb sie entschieden zurück. So schwand die Roseola
frühestens am 12., spätestens am 22. Tage, durchschnittlich in 2V2
Wochen, die trockne squamirende Hautpapel der ersten secundären
Attaque erst nach 4 — 8 Wochen spurlos, während das Schleimhautcon-
dylom und die pustulösen Exantheme bei mangelnder Localbehand-
lung in ihrem schleppenden Verlaufe beharrten, bisweilen progressiv
sich gestalteten.
Diese so langsame Tilgung der luetischen Manifestationen lässt,
wie schon oben erwähnt, eine Resorption der ganzen unter die Haut
gebrachten Menge des metallischen Quecksilbers in der Form von
löslicher (nachträglich oxydirter) Verbindung als geradezu unmöglich
erscheinen und zwingt nothwendig zur Annahme, dass unter allen
Umständen eine beträchtliche Quote, höchst wahr-
scheinlich der Löwenantheil der im Unterhautraum
deponirten Metallemulsion als solche eine Propagation
in die benachbarten Gewebsspalten erfährt, um in in-
differentem Zustande dauernd in mehr oder weniger
entfernten Bezirken zu verweilen. Begegnen wir solchen
Wanderungen der Hg-Kügelchen schon bei geringfügigen Läsionen
der Haut während der Inunctionscur, ist der Eintritt des regulinisehen
Mercurialien bei Syphilis. 141
Metalles allenthalben in das klaffende Parencbym des Körpers, ins-
besondere in offene Lymphgefässe festgestellt (Rindfleisch^)), so
wird sie uns um so plausibler im Unterbaatbindegewebe ersobeinen.
Aber noch eine Frage scheint mir der auffallend träge Effect
der Injectionen auf die bekämpfte Krankheit zu beantworten: er
bestätigt die Richtigkeit der Annahme ^^ dass fein vertbeiltes in das
Gewebe eingedrungenes, dem Unterhautraume entzogenes metallisches
Quecksilber keine oder doch nur äusserst langsame resorptire All-
gemein Wirkungen entfaltet, dass es sich hierbei vielmehr im Wesent-
lichen um einfach mechanische Anhäufungen handelt, die mit einer
(mrksamen) Resorption nichts zu thun haben.
Gegen aber dem tarden Effect der Injectionen auf die beim Be-
ginn der Behandlung bestehenden syphilitischen Affecte trat jedoch
mehrfach und zwar mit besonderer Prägnanz bei leichten Formen
eine Gestaltung der Krankheit auf, deren Abhängigkeit von den
fortlaufenden Injectionen meiner Meinung nicht geleugnet werden
darf. Ich meine die Beeinflussung der Recidive. Es hat an diesen
nicht mehr und nicht weniger als nach oder bei jeder anderen
antisyphilitischen correcten Cur gefehlt, so vollständig auch die
ersten Secundärerscheinungen , sei es durch unsere Injectionen, sei
es (in schwereren Fällen) durch spätere energischere Behandlung,
getilgt waren. Jener Einfluss aber bestand in der Milde der rück-
fälligen Erscheinungen, welche sich unter Formen äusserten, welche
an die recentesten Phasen des Secundärstadiums erinnerten und zu-
dem auffällig abortiv und passager verliefen, abgesehen allein von
den Schleimhaut- , insbesondere Rachenpapeln , welche bei Mangel
topischer Behandlung trotz geringer Neigung zur Ulceration, hart-
näckig Form und Sitz behaupteten. In einigen Fällen habe ich in-
mitten dieser Recidive die Injectionen abgebrochen, resp. abbrechen
müssen, um mit seltener Consequenz die Entwicklung schwerer Er-
scheinungen aus ihnen bei entschiedenem Herabgehen des Allgemein-
befindens und der Ernährung wenige Wochen nach der Sistirung der
Einspritzungen zu beobachten. Somit möchte ich selbst gegenüber
der Thatsache, dass leichte Syphilisformen auch ohne jede Behand-
lung in einer der geschilderten entsprechenden Art verlaufen, und
dass es nicht an Fällen gefehlt hat, die nicht bezüglich der Recidive
jenes Bild während der Behandlung ergaben, so viel als gesichert
nrgiren, dass durch die ganze Zeit der Behandlung mit
den Metallinjectionen eine entschieden mercurielle
1) Archiv für Dermatologie und Syphilis. 1870.
142 VI. FÜRBRINGER
resp. antisyphilitiflcbe Wirkung stattfindet, und zwar eine
Wirkung, die mit der Zeit sich progressi? günstig zu gestalten neigt.
In dieser Wirkung erblicke ich aber nichts ffir meine Injectionen
Specifisches, sondern nur einen Eflfect; der durch eine Fiele Monate
lang und selbst durch Jahresfrist ununterbrochen durch-
geführte, in recenter Phase der Krankheit begonnene,
unschädliche Mercurialisation des syphilitischen Organismus
überhaupt bedingt ist.
Dass endlich gewisse ungünstige Luesformen trotz recenten Cha-
rakters und ausgesprochener Milde der ersten Erscheinungen auch
hier Misserfolge aus noch unbekannten Gründen geben werden, be-
darf wohl kaum der Erwähnung, ebensowenig, dass ich weit ent-
fernt bin, aus der spärlichen und zeitlich so eng begrenzten Summe
meiner Beobachtungen eine günstige Beeinflussung der späten Phase
(gummösen Periode) der Krankheit folgern zu wollen. Genügt ja
nach den bisherigen Erfahrungen zu einem solchen Wagniss kaum
die Frist eines Menschenalters.
Ob bis zur Zeit bei irgend einem der durch Metallinjectionen
Mercurialisirten , der nach monatelanger Behandlung und Tilgung
der ersten Secundärerscheinungen sich einer weiteren Medication ent-
zogen, Recidive gänzlich ausgeblieben sind, vermag ich leider nicht
anzugeben, da die Mehrzahl sich nicht herbeigelassen hat, lange Zeit
nach ihrer „Heilung^ ihren Körper mit unter Umständen sehr lästigen
Localaffecten versehen zu lassen. Diejenigen aber, welche ich nach
monatelanger bis halbjähriger Sistirung der specifischen Behandlung
wieder zu Gesicht bekam, litten ausnahmslos an zweifellos syphiliti-
schen, theils leichten, theils schwereren Erscheinungen. Ihr Harn
erwies sich, so oft ich denselben der Prüfung auf Quecksilber unter-
zog, als durchaus frei von diesem Metall.
Vergleiche ich somit die Summe meiner jetzigen Erfahrungen
mit den Effecten der bisher gangbaren mercuriellen Syphilisbehand-
lung, so stehe ich nicht an, gegenüber den letzteren den prakti-
schen Werth der Metallinjectionen so weit einzuschränken, dass
ich sie als eine exceptionelle Methode anspreche, auf welche
ich selbst gegenwärtig nur in den seltenen Fällen recurrire, in denen
die üblichen Mercurialisationen schlecht vertragen werden und zu-
gleich eine schnelle Tilgung der momentanen Erscheinungen nicht
Noth thut»).
1) Es scheint mir, als sollten gerade die unbefangenen Beobachtnngen aas
neuester Zeit das Bedenken mehr und mehr anregen, ob Oberhaupt ein Parallelis-
mus zwischen der Schnelligkeit, mit welcher die manifesten Symptome der Syphilis
Mercorialien bei Syphilis. 143
Eine bestimmtere Motivirung der Indicationen zu gewinnen, be-
darf es zunäcbat eines kurzen Vergleichs der Wirkung und Verträg-
lichkeit der Metallinjectionen mit den Aeusserungsweisen der sub-
cutanen Einverleibung anderer Mercurialien. Hier wird
es sich im Wesen um 2 Gruppen bandeln , die löslichen Präparate
(Sablimat, Kochsalzsnblimat, Albuminat und Peptonat des Bicblorids
etc.) und die unlöslicheni 7on denen man nur das Calomel versucht
zu haben scheint. Die ersteren gelangen augenblicklich zur Resorp-
tion, wirken deshalb schnell, aber bei seltener Vornahme wenig
nachhaltig , während die Calomelinjectionen eine weniger schnelle,
aber nachhaltigere Wirkung entfalten und die subcutane Einverlei-
buDg des Metalls durch sehr träge, aber zeitlich um so ausgedehntere
Beeinflussung ausgezeichnet ist. Während diese letztere (unmittelbar
nach der Injection) völlig schmerzlos sich erweist, pflegen die Schmer-
zen bei keinem der löslichen Präparate zu fehlen, selbst das salpeter-
saure Oxydul (s. unten Nr. 4) und Bicyanuret nicht ausgenommen.
Dagegen fällt bezüglich der späteren Reaction am Orte der Injec-
tion die grossere Geneigtheit unserer Einspritzungen fdr entzündliche
Schwellung und Abscessbildung ins Gewicht, wenn sie auch niemals
die Calomelwirkung aufs Unterhautbindegewebe und seine Nachbar-
schaft erreichen.
Anders die Inunctionscur und innerliche Einverleibung
von (löslichen und unlöslichen) Mercurialien. Werden diese beiden Me-
thoden, was in der Regel der Fall, gut vertragen, so kenne ich kei-
nerlei Vortheile, welche den Metallinjectionen vor ihnen eigen sein
könnten, und somit bleiben nur jene sehr seltenen Bedingungen für die
Aufnahme der letzteren übrig, dass der Digestion stractus gegen eine
längere Darreichung löslicher oder unlöslicher Quecksilberpräparate
sich sträubt, das Integument auf keine Weise die Inunctionscur (resp.
Fumigationen) verträgt und eine häufige subcutane Einverleibung
löslicher Präparate der schmerzhaften Injectionen wegen unzulässig
erscheint. Vereinigen sich diese drei Bedingungen mit einer recen-
ten, leichten Form der Syphilis, dann halte ich die Wahl unserer
Metallinjectionen in einer Woche für Woche applicirten Einzeldose
von 0,05 bis 0,1 Hg in der geschilderten Weise als einer höchst
getilgt werden, und einer Heilung der Krankheit als solcher in der Weise be-
stehe, wie sie von einer Zahl von Autoren Yertreten wird. Solange es nicht er-
iriesen, dass schneller Schwund der Aeusserungen der Krankheit mit einer Heilung
gleichbedeutend, solange wird ftkr Formen, die ein schnelles Eingreifen nicht noth-
weodig erheischen, eine Mercurialisation in genanntem Sinne gewiss nicht als
iirationell verworfen werden dürfen.
144 VI. FORBBINGEB
bequemen und milden mercuriellen Behandlung der Syphilis am
Platze.
Wie hoch sich aber die geeignete Durchschnittsdaner einer sol-
chen Cur stellen wird, die natürlich weder einer correcten topischen
Behandlung, noch sorgfältigsten Beobachtung der für die Syphilis-
therapie hochwichtigen allgemein -sanitären Maassnahmen entbehren
darf, ob eine einjährige ununterbrochene Zufuhr des Medicamentes ^),
oder eine mehrjährige mit Unterbrechungen nach dem Vorgange
Fournier's^) die besten Chancen gewähren wird, diese Fragen
können selbstverständlich nur an der Hand zahlreicher gewissenhaft
durchgeführter Experimente und langjähriger Nachbeobachtung einer
motivirten Beantwortung entgegengeführt werden.
Mir galt es vorwiegend, zu eruiren, dass reines Quecksilber unter
Umständen vom Unterhautraum aus in wirksamer Form resorbirt und
als lösliche Verbindung mit dem Harn eliminirt werden kann und
somit den Beweis zu liefern, dass das regulinische Metall nach seiner
Einführung in abgeschlossene Hohlräume des Organismus einer nach-
träglichen Oxydation innerhalb des Stoffwechsels unter-
liegt.
2. Subcutane Ii^eetionen von Slsaurem Queoksilberoxyd.
Die günstigen Resultate, welche in den letzten 6 Jahren bezüg-
lich der Resorbirbarkeit und Wirksamkeit des Ölsäuren Quecksilbers
bei epidermatischer Application in die Oeffentlichkeit gelangt sind
(MarshalP), Berkeley-HilH), Vayda^), Martini«), Cane'j,
Ringer u. A.), die fast allgemeine Betonung einer leichteren Vertrug
lichkeit Quecksilberolelinat- haltiger Salben Seitens der Haut gegen-
1) In neuester Zeit hat der internationale medicinische Congress zu Phila-
delphia für eine ununterbrochene Meditation von den frühesten Eruptionen
an, solange es angeht, pl&dirt und benrtheilt diese Methode der Syphifisbe-
handlung als die beste.
2) Fournier (Le^. sur la Syphilis. 1873) verlangt für seine Tagesdosen Ton
0,05—0,1 (seltener 0,15, ausnahmsweise 0,2) Hg-Jodürs per os nach seiner Methode
des traitemen ts successifs eine zweij&hrigeMedication mit Unterbrechungen :
ftCe sont deux annees re'parties en dix mois environ de traiiement contre qua-
torze mois de repos, deux annees divisees en Stades altemants de therapeu-
tique active et de desaccoutumance."
3) The Lancet. 1872.
4) Practitioner. 1873 (Ref. i. d Jahresber. 1873. I).
6) Wiener med. Presse. 1874 (Ref. in Schmidt*s Jahrb. Bd. 163).
6) Schmidt*8 Jahrb. Bd. 160.
7) The Lancet. 1872 (Ref. in Schmidt's Jahrb. Bd. 160).
Mercunalien bei Syphilis. 145
Aber den nieht seltenen Reizeraclieinungen beim Gebrauch der grauen
Salbe, endlich der von subcutanen Injectionen einer Mischung yon
graner Salbe und Mandelöl gertthmte Vorzug der Schmerzlosigkeit
(Lebert) Hessen trotz so mancher abweichenden Erfahrung den
Versuch gewiss gerechtfertigt erscheinen , die Verträglichkeit und
antisjrphilitische Wirkung einer hypodermatischen Einverleibung von
ölsaurem Quecksilberoxyd zu studiren.
Ich habe ein reines Pr¶t aus der Merck'schen Fabrik mit
einem Oxydgehalt von 15 Proc. (also Hg -Gehalt circa V^) benutzt,
das anfangs in der fünffachen Menge süssen Mandelöls zertheilt in
äner Dose von 1 Ccm. injicirt wurde. 0er Erfolg einiger weniger
Injectionen bestand in lebhafter localer Entzündung wenige Stunden
nach der Manipulation und späterer Abscessbildung. Erst bei einer
zehnfachen Verdünnung des Präparates ^) und der Wahl einer Einzel-
dose von 0,5 Ccm. konnte der Eingriff als einigermaassen verträglich
bezeichnet werden*
Vier Patienten mit recenten Secundärerscheinungen habe ich je
3-^5 Wochen lang mit solchen Injectionen in 2 — Stägigen Inter-
Tallen behandelt
Hierbei gestaltete sich die locale Wirkung des Präparates folgen-
dermaassen: Etwa in der Hälfte der Fälle (i. G. über 50 Injectionen)
anmittelbar nach der Injection geringer Schmerz, der in der anderen
Hälfte ganz fehlte.. Ein völliges Ausbleiben der späteren reactiven
Entzfindungserscheinungen war geradezu eine Ausnahme. In circa
25 Procent verwandelte sich die entzündliche Infiltration binnen 2
big 4 Tagen in einen regelrechten Abscess, dessen Inhalt entweder
von anscheinend reinem Eiter hergestellt war, oder hämorrhagisch-
eitrig sich zeigte mit spärlichen Beimischungen von Resten des Prä-
parates in Form von Fettaugen und -Kflgelchen. Schnelle Heilung
der gespaltenen Abscesse.
So oft ich den Harn während dieser Behandlung auf Hg-6ehalt
prüfte, habe ich niemals auch nur eine Spur des Metalles nachweisen
können.
Mercurielle Nebenerscheinungen fehlten völlig.
Ob ein Einfluss auf den Syphilisprocess stattgefunden, ist mir
sehr zweifelhaft Bei dem ersten Patienten war in 3 Wochen die
1) Rp.: Hydrarg. oleinic. (15 Proc.) 2,0,
Ol. amygd. dulc 20,0,
M. leni calore.
Ea resultirt eine fast völlig klare Lösung, die sich indess meist nach 12— 24 stan-
digem Stehen stark trübt (HgO-Abscheidung?).
OtotaebM Archiv f. klln. Madicin. XXIV. Bd. 10
146 VI. FORBBDiaBR
Koseola geschwunden, in den übrigen Fällen war selbBt am Ende
der 4. und 5. Woche keine wesentliche Aenderung eingetreten, aller-
dings auch keine progressive Gestaltung der Exantheme ersichtlich.
Letztere wurden durch eine Inunctionscur mit grauer Salbe in weniger
als einer Woche beseitigt.
Berechne ich die Menge des injicirten Quecksilbers, die sich für
den Tag auf kaum 3 Milligrm. durchschnittlich stellt (Vs Spritze
etwa 0,007 Hg entsprechend), bedenke ich die Schwerlöslichkeit
des Präparates und vor Allem seine Geneigtheit zur Reduction, so
kann ich nur annehmen, dass hier eine zum Nachweis im Harn und
zur Entfaltung deutlicher antisyphilitischer Wirkung durchaus insof-
ficiente Quote resorbirt worden ist, und stehe trotz der spärlichen
Versuche im Hinblick auf die Unmöglichkeit einer wesentlichen Er-
höhung der Dose ohne Schaden fttr den Patienten nicht an, vor
einer Behandlung der Syphilis mit subcutanen Injectiouen von queck-
silberoleünathaltigen Präparaten zu warnen.
3. Sttheatane Ii^eetionen tou Qaecksilberjodld-Jodkallum.
Die Eigenschaft des rothen Jodquecksilbers, mit Jodkalium direet
ein leicht lösliches Doppelsalz zu bilden, hat so manchen Arzt ver-
anlasst, eine dergestalt gewonnene Lösung zur subcutanen Einver-
leibung zu benutzen.
Was nun zunächst die locale Einwirkung und Verträglichkeit
überhaupt dieses Präparates anlangt, so gehen die Ansichten anschei-
nend unerklärlich .auseinander. So berichtet man von dem Ausblei-
ben eines jeden ttblen Zufalls bei Injectionen von 0,02 Jodidgehalt
(Aimä Martin 1)), von völliger Reizlosigkeit einer Iprocentigeo
Lösung von Na2HgJ4 ^), des Bouilhou'schen Präparats, zu 1 Ccm.
injicirt (Felix Bricheteau^)), während von anderer Seite den-
selben Lösungen „Schmerzhaftigkeit^ und » Beizzustände ^ zugeschrie-
ben werden (L6on Labbö^)) und von noch anderen Autoren betont
werden intensive Schmerzen, stundenlange entzündliche Schwel-
lung bei Application einer 3procentigen Lösung (F. v. Wil le-
hr and ^)), tagelange heftige Schmerzen, Abscessbildung , Verschor-
1) Gftz. des Höp. 112 (1869).
2) Die Alkalibase (K, Na) ist hier ziemlich irrelevant Vielleicht kommt der
Natronverbindung eine etwas geringere Irritation zu.
3) Bullet, de Th^r. 76 (1869).
4) Gaz. des Hdp. 124 (1869).
5) Finska l&kar. Handling. XII (1870). Bef. in Schmidt's Jahrb. 150.
Mercmialien bei Syptulis. 147
fang der Haut bei lojeetion von 0,5 einer l,2prooentigen Solution
(K. R. Paqyalin^)), endlich ekchymosenartige Scborfbildung, Ulce*
rationen und constante Entwicklung von Indurationen von Wochen-
daaer bei Anwendung einer Iprocentigen Lösung (S. EngeUted^)).
BeeQglich der Wirkung auf den syphilitischen Process melden
die ersteren Autoren im Allgemeinen günstige Erfolge, ja selbst Hei-
lung der Syphilis bei Verbrauch von wenigen Gentigrammen des
Jodids, während Paqyalinin mehreren F&llen keine Wirkung, aber
zahlreiche Recidive beobachtete, endlich Engelsted dem unsuver-
Itoigen Mittel geradezu Nachtheiie vindicirt. Der Letztere hat in
SO Proc. seiner Fülle (durchschnittlich 14 Injectionen) eine andere
Behandlung einschlagen müssen.
Ein Rückblick auf diese Angaben lässt nun trotz manchen Wider-
spraehs die Thatsache nicht verkennen, dass Verträglichkeit und
Wirkung des Präparates im Allgemeinen Yon der Concentration der
Lösung abhängen, derart, dass die erstere mit dem Gehalte der Solu-
tion an Jodid ab-, die letztere zunimmt.
Es galt also vor Allem, diesem Dilemma wirksam zu begegnen ;
hierfür glaubte ich zunächst die Betheiligung des die Lösung ver-
mittelnden Jodkaliums an der örtlichen Reizwirkung prüfen zu
mfissen, um so mehr, als die genannten Autoren sich schwankender
Mengen dieses Salzes zur Lösung des Quecksilberjodids bedient 3)
and demgemäss verschieden concentrirte Salzlösungen angewendet
haben.
Bezüglich dieses letzteren Punktes war zu erwägen einerseits
die (additive) reizende Wirkung des Jodkaliums bei der Wahl eines
beträchtlichen Ueberschusses desselben, andererseits bei Benutz-
uog einer der chemischen Formel HgJ2, 2 KJ entsprechenden Quote
die Möglichkeit einer durch schnellere Resorption ^) des Jodkalium-
1) Ak. afhandl 1871 (Ref. in Schmidfs Jahrb. 153).
2) Nord. med. ark. III (1871). .Ref. in Schniidt*8 Jahrb. 153.
3) Während Engelsted die Gewichtsmengen des Hg- Jodids und Jodkaliums
gleieh w&hlt, benatzt Paqvalin einen 10 fachen Ueberschuss des letzteren ; auch die
übrigen Autoren haben sich des eigentlichen Quecksilber- Jodid- Jodkaliums von der
Zagammensetzung KsUgJjnHgJt, 2KJ (oder des entsprechenden Natronsalzes)
bedient, ich sage des eigentlichen, weil es in der That diese Verbindung ist,
welche bei wechselnden Ueberscbassen von ^odkalium in gleicher Weise aus-
IcrystaUisirt, and nicht das Doppelsalz 2KHgJ3 -hH30^2HgJt, 2KJ + HsO.
4) Die Neigung des Salzes zur Zersetzung in seine Componenten ist eine ganz
frappante. So genügte ein directer Zusatz von einem Tropfen frischen Harns zu
ca. 20 Ccm. der Lösung des krystallisirten Salzes, am bei Erw&rmung die gesammte
Meoge des Hg-Jodids ausfallen zu machen. Ja, als ich wenige Monate nach dem
10*
148 VI. FfiRBBlHQBR
gehaltes der Doppelverbindung bedingten Abscheidong des sebwer
löslicben QnecksilberjodidB, mit dessen ätzender Wirkung das Unter-
hantbindegewebe sich gewiss nicht friedlich stellen konnte.
Nur das Experiment konnte hierüber Auskunft geben.
Ich habe, um zugleich die Maximalgrenze der Conoentration für
die Verträglichkeit des Präparates zu bestimmen, sowohl fttr die
reinen Doppelsalzlösungen, wie für jene mit einem Ueberschuss von
Jodkalium 3 verschiedene Goncentrationen (Vs, 1, 2 Proc. Hg- Jodid)
benutzt
Im Ganzen wurden 8, durchweg an frischen Secundärsymptomen
(Flecken und Papeln) leidende Patienten mit Ober 160 Einzelinjec-
tionen (0,5 bis 1 Ccm. der (jösung) in 1— 2tägigen Intervallen 3 bis
5 Wochen lang behandelt.
Es zeigte sich nun bezüglich der localen Wirkung, um zu-
sammenfassend zu berichten, Folgendes:
a) Beine K2HgJ4-Lösungen^).
Solutionen von 2 Proc. HgJi-Gebalt (Hydrarg. bijodat 0,2, Ealii
jodat. 0,146, Aq. dest. 10,0 oder Hydrarg. bijod. cum Kai. jod. 0,346,
Aq. dest. 1 0,0 ^)) riefen ausnahmslos heftige Schmerzen und entzünd-
liche Reaction hervor, so dass nach einigen wenigen Versuchen von
dieser Losung Abstand genommen werden musste. In einem Falle
entstand ein Abscess, in einem anderen ausgedehnte Hautverschorfung
mit nekrotischer Exfoliation und wochenlanger Granulation.
Lösungen von 1 Procent Hg Js -Gehalt (0,1 : 0,073 : 10,0, resp.
0,173:10,0) wurden ebenfalls in der Mehrzahl der Fälle schlecht
vertragen, so dass trotz Befolgung aller Gautelen Infiltration und
selbst Abscessbildung nicht verhütet werden konnte.
Dagegen erwiesen sich Solutionen von V2 Proc. Hg Js- Gehalt
(0,05 : 0,037 : 10,0, resp. 0,087 : 10,0) insofern verträglich, als in der
Auskrystallisiren des Präparates, während ▼elcher dasselbe verschlossen aufbe-
wahrt worden war, Lösungen in destillirtem Wasser anfertigen wollte, gelang dies
überhaupt gar nicht mehr, da bei einfacher Benetxung der gelben Krystalle die-
selben in rothes Hg-Jodid zerfielen, während der gesammte Jodkaliumgehalt vom
Wasser aufgenommen wurde. Um wie viel mehr dürften die complicirten Ldsungea
der warmen ^örperflüssigkeiten diese Zersetzung begünstigen I
1) Es war völlig gleichgültig, 9b dieselben aus Hg-Jodid und Jodkalium a
tempore bereitet wurden, oder ob das fertige Präparat (aus der Merc kuschen
Fabrik) benutzt wurde. Letzteres bildete schön gelbe hygroskopische Krystalle
von intensiv ätzendem Geschmack, ähnlich jenem des Sublimats.
2) Nach der Formel entspricht 1,0 HgJs ziemlich genau 1,73 des Doppel-
salzes bezüglich des HgJs- resp. Hg-Gehaltes.
Mercorialien bei Syphilis. 149
Hälfte der Fälle die Schmerzen unmittelbar nach der Injection gering,
in der anderen Hälfte massig waren, jene entzündlichen Infiltrationen
etwa in 20 Proc. auftraten und nur einmal sieh ein regelrechter
Äbscess entwickelte. Fast constant dagegen resultirten, auch bei
geringer Schmerzhaftigkeit, mehr oder minder umfängliche, durch
Wochen und Monate dauernde knotige Hautinfiltrationen , wie sie
Eiigelsted ausnahmslos beobachtete.
b) Lösungen von HgJs mit bedeutendem (5 — lOfachem)
Ueberschuss von JE.
Dieselben wurden durchweg noch schlechter vertragen als die
der Formel entsprechenden Lösungen mit gleichem Hg-Gehalt, derart,
dass selbst bei einem Hg J2- Gehalt von nur ^'2 Proc. fast constant
über lebhafte Schmerzen nach der Injection geklagt wurde und die
fibrigen genannten Consequenzen entschieden häufiger sich ent-
wickelten. —
Den Harn habe ich nur einige wenige Male auf Hg-6ehalt ge-
prüft, der sich auch während der Behandlung unzweifelhaft docu-
mentirte, und, wenn grössere Mengen (2 — 3 Liter) der Analyse unter-
worfen wurden, ziemlich reichlich ausfiel.
Auffällige Nebenerscheinungen habe ich nicht mit Sicherheit
coDstatiten können. Vielleicht bestand in einem oder dem anderen
Falle eine leichte mercurielle Salivation. Was endlich die Wir-
kung auf die syphilitischen Manifestationen anlangt, so war sie auf
das Sichtlichste vorhanden bei täglichen Injectionen von je 1 Ccm.
der 2procentigen Lösung, und zwar erfolgte sie in prompter Weise,
ganz ähnlich wie bei Injectionen von Sublimat und Sublimatverbin-
dangen von entsprechendem Hg-6ehalte. Entschieden träger gestal-
tete sich die Wirkung bei Anwendung der schwächeren Solutionen,
ja bei 2 tägigen Einzelinjectionen von 0,5 Gem. der V^procentigen
Lösung verharrten selbst Roseola und Hautpapeln während einer
3 wöchentlichen Behandlung im Wesentlichen in ihrer Form und Aus-
dehnung, so dass zu anderen Curen geschritten werden musste. Vier
Patienten, die sich mir nach Wochen oder Monaten nach ihrem Aus-
tritte ans meiner Behandlung wieder vorgestellt, litten an zwar leich-
ten, aber unzweideutigen Recidiven.
Berechnen wir den Hg-Gehalt der V2 procentigen Lösung, so stellt
er sich für die Einzeldose (0,5 Ccm.) und den Zeitraum von durchschnitt-
lich 48 Stunden noch nicht auf V» Centigrm. (genau ^^^/4&4 Milligrm.j,
welche ]|{inimaimenge höchst wahrscheinlich nicht einmal in toto sAh
losliches Präparat zur Resorption gelangt (b. n.).
150 VI- FOBBRIMGEB
Resumä: Die Behandlung selbst frischer und leichter Syphilis-
formen mit subcutanen Injectionen von Kalium - Hydrargyri - Jodid
bietet keinerlei Vortheile vor der Behandlung mit hypodermatischen
Einspritzungen von Quecksilberohlorid| Kochsalz-Sublimat, Hg-Albu-
minat oder -Peptonat. Im Gegentheil werden Lösungen des Doppel-
salzes mit einem Hg-Jodidgehalt von 1 Proc schlechter vertragen, als
Iprocentige Lösungen von Sublimat oder den genannten Sublimat-
Verbindungen. Diese aber wirken durch ihren höheren Hg-Gehalt
(1 Gem. »= ca. 7,5 Milligrm. Hg) im Allgemeinen kräftiger, als jene
(1 Ccm. — ca. 4,5 Milligrm. Hg). Lösungen von 2 Proc. Hg-Jodid-
gehalt, die ihrem Hg -Gehalt nach (1 Ccm. = 8--9 Milligrm.) Ipro-
centige Sublimatlösungen übertreffen, scheinen zwar mindestens gleich
intensiv zu wirken wie die letzteren, sind aber als fast durchweg un-
verträglich zu verwerfen. Ein Ueberscbuss von Jodkalium befördert
nicht nur nicht die Verträglichkeit des Präparates, sondern erhöht die
localreizende Wirkung desselben durch Goncentration der Lösung.
Es ist mir wahrscheinlich, dass ohne Rücksicht auf die Menge
des mit dem Hg-Jodid vergesellschafteten Jodkaliums das Doppelsalz
im Unterhautraum unter dem Einfluss der complicirten Organsäfte
und der Körpertemperatur sehr bald zerlegt wird, und dass durch
Ausfällung des Hg -Jodids einmal der Localreiz beträchtlich erhöht
wird (ähnlich wie durch Calomel) und des Ferneren die Resorption
verzögert wird, mithin die Wirkung sich etwas langsamer, aber nach-
haltiger (allmähliche Ueberföhrung dei^ Jodids in lösliches Chlorid)
als bei Sublimatinjectionen gestaltet
4. Subcutane Injeetlonen Ton salpeter-, essig- und milebBaurem
QueeksilberoxyduL
Bei Gelegenheit der Mittheilungen von Behandlungsmethoden
fttr phagedänische Geschwüre vindicirt G. E. Weisflog 0 dem sal-
petersauren Quecksilberoxydul in der Form der subcutanen Injection
ausgezeichnete Eigenschaften : „ Man hat hier nicht zu besorgen, neue
gangränöse Geschwüre zu pflanzen, wie dies bei Sublimatinjectionen
der Fall ist; ausserdem ist die Injection viel schmerzloser, führt
an nicht schon entzündeten Stellen nie zu Abscessen und incor-
porirt dem Organismus eine viel grössere Quantität ge-
lösten Quecksilbers, als dies bei Benutzung anderer
Präparate dieses Metalls der Fall ist, ohne zu Salivation
zu führen.^ Sehen wir nun nach der Art der subcutanen Einver-
1) Virchow*s ArchiY. Bd. 66.
Mercorialien bei Syphilis. 151
leiboog;, wie sie der Autor übt, so finden wir, dass er sich, „ obgleich
die ftosseren Dosen dieses Präparates so tolerant sind, dass selbst
sehr eonoentrirte Lösungen zu subcutanen Injectionen ver-
wandt werden können ', far gewöhnlich eines nach der Formel :
Rp.: Hydrarg. nitric. oxydnl. cryst. 0,5.
Solve in
Aq. deatill. 50,0. D. solatio limpida
angefertigten Pr¶tes bedient Dasselbe wird alle 14 Tage wegen
befürchteter Salivation nur e i n Mal injicirt (in welcher Menge wird
nicht genannt). Weiterhin wird noch einmal die „ grosse Toleranz"
gegen solche Injectionen betont, und nach Jahresfrist, d. i. im Jahre
1877 ^)y spricht der Verfasser noch einmal wörtlich aus: »Die wäss-
rige Lösung des salpetersauren Quecksilberoxyduls , subcutan in-
jicirt, besitzt die Eigenthttmlichkeit, an nicht bereits entzündeten
Körperstellen niemals Abscesse heryorzurufen, an bereits entzün-
deten oder entzündlich gereizten hingegen ausnahmslos Abscesse zu
eraengen.*' Der Inhalt dieser Abscesse soll sich durch „eigenthttm-
liehe Chokoladefarbe" von dem anderer unterscheiden.
Ich habe nun nicht gewagt, solche Injectionen zu wiederholen,
am auch meinerseits zur Lösung der wichtigen Frage der » Abortiv-
behandlnng der Syphilis*' mit beizutragen, aber ich leugne nicht,
dass die vom Autor gepriesene überaus glückliche Gombination
zweier für die Injection von Quecksilberlösungen höchst werthvollen
Eigenschaften : Goncentration der Lösung, d. i. beträchtlicher Hg-6e-
halt und grosse Toleranz derselben bei sicherer Vermeidung von
Abscessen, mich lebhaft gelockt hat zur Aufnahme der Weisf logi-
schen Injectionen zur Behandlung von Secundärsyphilis, um so mehr,
als alle übrigen von mir in dieser Hinsicht versuchten Präparate an
dem bedanerlichen Dilemma laborirten, bei stärkerer Goncentration
zwar in prägnanter Weise auf syphilitische Erscheinungen zu wirken,
aber kaum vertragen zu werden, bei zunehmender Verdünnung zwar
als nach und nach verträglich, aber wegen des wachsenden Wir-
kungsmangels als nicht praktisch verwerthbar bezeichnet werden zu
müssen.
Meine Versuche haben folgende Resultate geliefert:
Zunächst beobachtete ic(h, dass beim Versuch, 1 procentige Lösun-
gen des Präparates 2) in der Wärme herzustellen, entweder sofort
oder nach wenigen Minuten eine Quote des Salzes schmutzig grün-
' 1) Yirchow'B Archiv, fid. 69.
2) Reinates HgNOs-f HiO, in schwarzem Glase wohl yerschlossen von der
Merck *schen Fabrik abgegeben. Farblose monokliue Krystalle.
152 VI. FüBBRIKGER
gelb sich verfärbte, ohne überhaupt in Lösung zu gehen. Es wurde
deshalb kaltes destillirtes Wasser angewandt, das indess beim Con-
tact mit dem fein zerriebenen Präparat nur einen Theil desselben
aufnahm, einen anderen ganz allmählich in gelbgrünes unlösliehes
Pulver verwandelte. Ein Blick in die chemischen Handbücher sagte
mir denn auch, dass unser Präparat „in grösseren Mengen kalten
Wassers nicht ohne Zersetzung löslich" ist^) und dass jenes
gelbgrQne basische Salz als Halbnitrat („Turpethum nitrosum'') auf-
zufassen sei.
G. E. Weisflog verlangt aber eine klare Lösung, d. h. die
Filtration der Mischung Seitens des dispensirenden Apothekers. Wel-
ches ist aber, frage ich, der Hg-Oehalt eines solchen Filtrats, dem
eine Hg -haltige Verbindung entzogen? Enthält es wirklich noch
immer eine „viel grössere Quantität'' gelösten Quecksilbers als z. B.
eine Iprocentige Sublimatlösung? Ich glaube, der Autor wird ab-
lassen, an dieser Behauptung festzuhalten, wenn ich ihm sage, dass,
gesetzt selbst, es löste sich das gesammte Oxydul un-
zersetzt (was bei Iprocentigem Gehalt niemals der Fall), in je
1 Gem. einer Iprocentigen Lösung von salpetersaurem Quecksilber-
oxydul unter 7,3 Milligrm. (genau ^V) Hg enthalten sein virürde,
dass aber 1 Ccm. einer Iprocentigen Sublimatlösung über 7,3 Milli-
gramm (genau ^^0^/211) Hg enthält.
Ich habe nun aber auch jene in der Kälte gesättigte filtrirte
Lösung, die also unter 1 Proc. des Oxyduls enthalten, auf ihre Wir-
kung auf das normale, ungereizte Unterhautgewebe geprüft und bin
nach einigen wenigen Injectionen zu dem Resultat gelangt, dass zwar
der Schmerz unmittelbar nach der Injection (l Ccm.) allerdings gering-
fQgig, ja kaum vorhanden ist, dass aber regelmässig nach wenigen
Stunden recht lebhafte Schmerzen eintreten und am anderen Tage die
deutlichsten reactiven Entzündungserscheinungen entwickelt sind, die
entweder zu hämorrhagischen Infiltraten mit nachträglicher wochen-
und monatelanger Knotenbildung, oder aber zu regelrechter Abscess-
entwicklung führen. Nur eine einzige Injection konnte als tolerant
bezeichnet werden.
Ich suche den Grund für diese Erscheinung in der Thatsache,
dass bei Contact der Lösung des Oxyduls mit albuminhaltigen Kör-
perflttssigkeiten ein voluminöser Niederschlag entsteht, anfangs weiss,
sehr bald durch Reduction grau, der sich kaum mit den Wänden
1 ) Was bereits die Pbarmacopoea German. (»non sine decompositione in aqua
Bolveos** ) anfuhrt, welche eben deshalb xur Herstellung des Liquor Hydrarg. nitr.
exydulat. deu Zusatz voo freier Salpetersäure vorschreibt
Mercorialien bei Syphilis. 153
des yitalen Uoterhaatraams vertraglich stellen dürfte , wenn man
bedenkti dafls es sich hier um die Bildung von corrosiyem salpeter-
saurem Quecksilber oxyd handelt
Ich habe aus den genannten Gründen die Versuche sehr bald
als unzweckmfissig aufgeben müssen und kann deshalb auch weder
über Elimination noch resorptive Allgemeinwirkung berichten.
liit der Wahl des essigsauren und milchsauren Queck-
silberoxyduls bin ich nicht wesentlich glücklicher gewesen, so
plaasibel die milden Eigenschaften dieser Salze auch die Verträg-
lichkeit gemacht.
Misslich ist bei diesen Salzen (schneeweisse Merck 'sehe Prä-
parate) zunächst ihre schwer zu überwältigende Neigung, sich unter
Lichteinfluss zu reduciren und ihre Löslichkeit herabzustimmen. Diese
letztere anlangend habe ich für das Acetat als stärkste ConcentratioD,
die wenigstens für einige Tage dem Licht widersteht, das Verhältniss
ron 1 : ca. 300, für das Lactat 0 dasjenige Yon 1 : ca. 250 erhalten.
Aber selbst diese Hg-armen Solutionen wurden nicht durchweg ver-
tragen, so schmerzlos auch die Injection für die ersten Stunden sich
erwies. Auch hier traten zuweilen spätere entzündliche Infiltrationen
auf, so dass ich auch für diese Verbindungen von einer Oxydbil-
duDg ^) in loco applicationis überzeugt bin. Dies und die Erwägung,
daas die dem Organismus durch eine Injection von 1 Com. der be-
treffenden Lösung zugeführte Menge Hg (für das Acetat ^^^259 =" ca.
2>;2 Milligrm., für das Lactat ^<^<^/289 = ca. 3 Milligrm.) für prägnante
antisyphilitische Wirkungen als entschieden zu gering veranschlagt
werden musste, bestimmte mich sehr bald, von weiteren Injectionen
and somit vom Studium ihrer resorptiven Wirkungen abzustehen.
Hit Befriedigung lese ich, dass auch andererseits die Versuche der
sabeatanen Einverleibung dieser beiden Salze des Schmerzes und
Widerwillens der Kranken halber als unzweckmässig aufgegeben
worden sind (v. Sigmund^), ZeissH)). —
Blicke ich zurück auf die vorstehenden Beobachtungsresultate
und vergleiche ich mit ihnen die Wirkungsweise und Verträglichkeit
1) IMeses Salz geht ähnlich dem Oxydulnitrat schon beim Gontact mit kaltem
Wasser mne aUm&hliche Zersetzang in eine unlösliche 0-&rmcre Verbindung ein.
Durch Digestion bei Tageslicht wird eine rapide Reduction unter Bildung von
Uxyds&b eingeleitet.
2) Eine solche ist bereits nachweisbar beim Gontact der OxyduUdsungen mit
einfachen Albuminsolutionen.
3) Wiener med. Klinik. 1876.
4) Grandriss der Syphilis. IST 6.
154 VI. FOBBRINOER
der SablimatiBJectioneni in Sonderheit jener des AlbaminatB« Pepto-
nats and der Chlornatriamyerbindang , 80 will es mir aeheinen, als
ob für die subcutane Behandlnngamethode der Syphilis
(ganz abgesehen von ihren Vorzttgen und Nachtheilen gegenüber den
anderen Mercurialisationsmethoden) die Wahl anderer und anderer
Präparate aus dem reichen Vorrath der Quecksilberverbindungen
wenig Chancen für eine günstigere Lösung des Hauptproblems bieten
sollten. Ich meine unter letzterem die Aufgabe, mittelst spärlicher
(etwa allwöchentlicher) Injectionen prompt, ergiebig und
nachhaltig zugleich zu wirken bei sicherer Vermeidung
von Schmerzen und entzündlicher Infiltration. Dieses
Problem ist noch nicht gelöst: Gehen wir aus von dem Dreh- und
Schwerpunkt der mercuriellen AUgemeinwirkungi» d. i. der Lieferuiig
einer gewissen Menge von im Blute kreisender löslicher (in wirk-
samer Form resorbirter) Verbindung in der Zeiteinheit, so wächst
ceteris paribus mit der Schnelligkeit der Resorption die Erschöpfung
des medicamentösen subcutanen Depots und somit die Noth wendig-
keit, dasselbe durch häufige Injectionen zu ersetzen (leicht lös-
liche, beständige Oxydverbindungen), während andererseits
eine langsamere Resorption zwar die Frequenz der (immer lästigen)
Manipulationen vermeidet, aber nicht die Einverleibung grosser Dosen,
die zudem eine momentane Wirkung versagen (das Metall selbst,
schwer lösliche und zur Zersetzung geneigte [namentiicb
Oxydul-] Verbindungen) 1).
5. QueeksilberoleYnatlialtige Suppositorien.
Ueber die Behandlung der Syphilis durch Einwirkung queck-
silberhaltiger Präparate auf die Mastdarmschleimhaut, speciell von
graue Salbe enthaltenden Suppositorien finde ich von zwei Autoren
wenig übereinstimmende Berichte: Während nämlich ZeissP)-bei
Application von 0,75 Ung. ein. auf 1,5 und 3,0 Ung. ceti pro dosi
1) Man sieht, dass im Wesentlichen hier die Voit*8chen Gruppen wieder-
kehren. Es unterscheidet bekanntlich der Autor nach der Lieferung wirksamer
Substanz in das Blut 3 Reihen: t) Die Gruppe des Metalls (langsamste Lie-
ferung, langsamste Wirkung, sicherste constitutionelle Wirkung). 2) Die Gruppe
des Galomels nebst Oxydul, Oxyduisalzen, BromOr, JodOr und Snlfnret 3) Die
Gruppe des Sublimats nebst Oxyd, löslichen Oxydsahsen, Bromid und Jodid.
Hier erzielen kleinste Gaben dieselben constitutionellen Erfolge, wie die Reprisen-
tauten der beiden ersten Reihen, welche viel weniger Chlorid in der 2Mtetnb«t
liefern.
2) Grundriss der Syphilis. 1876.
Mercaruüien bei Syphilis. 155
et die die Sehleimbaut des Reetums durch die Zäpfchen direct nicht
afficirt sah, als raereurielle Nebenencheinangen höchstens Sym-
ptome der „ beginnenden Mundaffection ^ beobachtete and recente oder
recidive papulöse Eruptionen zum Schwinden brachte, theilt v. Sig-
mund Oi der als Vehikel Cacaobntter und eine wesentlich höhere
Dose der grauen Salbe (4,5: 1,5) wählte, Folgendes mit:
1. Die Mehrzahl der Behandelten, und zwar ttber Vsy wurde bei
täglicher Einfflhrung der Suppositorien von Tenesmus und Darm-
katarrh befallen in einer Weise, dass eine planmftssige Behandlung
fQr mehrere Wochen nicht durchgeführt werden konnte. Einzelne
Patienten ertrugen das Mittel kaum 2—4 Stunden.
2. Stomatitis nnd Salivation traten fast constant auf.
3. Der Verlauf der syphilitischen Exantheme (frische Papeln,
grodsmaculöse, pustulöse und psoriatische Formen) wurde durch die
BebandluDg nicht wesentlich alterirt^).
Soviel geht aus diesen Beobachtungen hervor, dass eine Besorih
tion des Präparates von der Mastdarmscbleimhaut unmittelbar bestand
nnd diese Thatsache, die ihrerseits die Möglichkeit einer gttnstigen
antisyphilitischen Wirkung involvirt, vereint mit der Vorstellung der
denkbar bequemsten magenschonenden Behandlung der Syphilis, falls
es gelänge, sie zu einer schmerzlosen zu gestalten, genttgte mir zur
Wiederaufnahme der Versuche in veränderter Form : Ich wählte näm-
lich mit Bticksicht auf die bereits genannten Erwägungen (s. Nr. 2)
statt der grauen Salbe das Ölsäure Quecksilberoxyd. Als Vehikel
fQr die Suppositorienform habe ich nach Ausprobung verschiedener
Fette mit niedrigem Coagulationspunkt das Ol. Gaoao am besten be-
funden und zwar in folgei\der Composition:
Rp.: Hydrarg. oleYnic. (15 Proc),
Ol. Cacao ana 10,0.
M. f. Supposit. Nr. X.
Mit solchen Suppositorien habe ich 5 Syphiliskranke (darunter
2 Weiber) mit recenten maculösen und papulösen Secundärerschei-
naogen bebandelt.
Sämmtliche vertrugen die tägliche Einführung unmittelbar nach
der Defäcation, abgesehen von ganz vereinzelten leichten Attaquen
von Mastdarmkolik bei einer Frau, vortrefflich, und zwar behiel-
ten sie fast constant das Mittel 12—24 Stunden bei sich. Im (meist
1) Wiener med. Klinik. 1876.
2) Dieses Resultat ist mir schwer erklärlich bei den prägnanten mercuriellen
Nebenerscheinungen. Sollten die gewählten Formen nicht zufällig schwereren
F&Uen progressiven Charakters angehört haben?
156 YL FöRBiUNaut
gefonnten)' Stahle fanden rieh fast regelmSssig mehr oder weniger
deutliche Reste des Präparates, die ich leider auf Hg-Gehalt, speciell
auf ihre Verarmung an Hg durch Resorption zu prüfen Terabsäumt
Keinerlei mercurielle Nebenerscheinungen.
Einige Male habe ich den Harn auf eliminirtes Quecksilber unter-
sucht, aber nur ein Mal ein unzweifelhaft positives Resultat erhalten.
Bezüglich der Einmrkung auf die Aeusserungen des syphiliti-
schen Processes durch diese Medication muss ich auf das ftbr die
subcutanen Injectionen des Ölsäuren Quecksilbers Beobachtete (siehe
Nr. 2) verweisen: Es ist möglich, dass eine Beeinflussung stattgehabt;
sicher war sie aber dann sehr geringfügig, schleppend, praktisch
nicht verwerthbar.
Es ist mir zweifelhaft, dass der gesammte Hg-Gehalt der Sup-
positorien während des durchschnittlich 20 ständigen Verweilens in
der Mastdarmhöhle zur Resorption gelangt ist, einmal wegen der
grossen Neigung des Ole'lnats zur Reduction, femer deshalb, weil
eine Totalresorption von 0,15 HgO, d. i. nahezu 14 Centigrm. Hg
pro die 'sicher der Entdeckung des im Harn eliminirten Mercan
günstigere Chancen geboten.
Der Versuch einer Steigerung des relativen Olelnatgehaltes der
Suppositorien , sowie eine wesentlichere Vergrössernng der letzteren
musste als unzweckmftssig wieder aufgegeben werden. In beiden
Fällen begannen sich die von v. Sigmund gemeldeten Mastdarin-
erscheinungen zu entwickeln.
Ich vermag somit auch nicht der Behandlung der Syphilis durch
quecksilberhaltige Suppositorien das Wort zu reden.
NACHTRAGE.
I (zu S. 134).
Mehrere Wochen nach Absendung des Manuscripts erhalte ich
von Herrn Medicinalrath Stephani aus Mannheim eine freund-
liche Zuschrift, nach welcher er aus umschriebenen Hautulcerationen
am Arme einer angeblich früher von mir behandelten Patientin Kugel-
eben regulinischen Quecksilbers durch Druck entleert habe. Einer
gefälligen Einladung zur Patientin selbst in das dortige Krankenhaas
folgend constatire ich die Identität derselben mit einem meinerseits
1) Eine regelrechte, seit t Woche bestehende Roseola schwand u. A. erst im
Laufe der 4. Woche.
Mercuriafien bei Syphilis. 157
vor nahezu IVsJabren wegen frischer Secandftrsyphilis mit sub-
eatanen QaeekBilbermetallinjectionen behandelten Mftdchen. Es zei-
gen sich im Bereich der frtlheren Injectionen indurative umschriebene
Verlöthnngen der Haut mit der unterliegenden Fascie« An 2 Stellen
ist es zur Entwicklung braunrother^ mit seichten Fisteln durchsetzter
Qnd schlaffen Granulationen bedeckter, indolenter Knoten gekommen.
Es gelingt mir, aus einem derselben bei starkem Druck einige steck-
nadelkopfgrosse spiegelnde Quecksilberkügelchen mit
spärlichem Wundsecret durch die Fisteln zu entleeren. Die Unter-
Buchong der Yorzflglich genährten, blflhenden Patientin (Aufnahme
wegen frischer Vaginalblenorrhoe) ergibt keine Spur von Syphilis
oder Mercurialismus. Ihr Harn erweist sich als vollkommen queck-
nlberfrd. — Offenbar war es hier im Bereich zweier Injectionen zu
einer entzündlichen Infiltration der W&nde des Unterhautraumes mit
narbigem Abschluss gekommen, der seinerseits eine Locomotion sowie
einen resorptiven Schwund des Metalls verhindert, das als mechanisch
nnd chemisch reizender Fremdkörper lediglich locale Läsionen be-
dingt hatte.
II (zu S. 137).
Die kürzlich vorgenommene Analyse einer Partie dieser Queck-
silberemulsion, welche ich bei mangelhaftem Luftabschluss nahezu
I.Jahr sich selbst überlassen hatte, ergab eigenthümliche Verände-
rungen : Die Flüssigkeit hatte sich in den obersten Schichten aufge-
hellt, und reagirte intensiv sauer. Der Boden des Gefässes war be-
deckt mit einem dichten mattschwarzen Metallpulver, das unter dem
Mikroskop die von Voit und Ov erb eck für die Metallkttgelchen
in alter grauer Salbe beschriebenen Veränderungen aufwies: Die
meisten Kügelchen eckig, sternförmig, mit zum Theil langen aus-
strahlenden Stäbchen versehen. Letztere auch isolirt vorhanden, an
den Kanten leicht durchscheinend, stellenweise ein eng verschränk-
tes Gitter darstellend, in welchem das Auge hie und da rundliche
Knotenpunkte (ursprüngliche Metalltröpfchen) unterscheidet Das
Filtrat des mit Wasser verdünnten Präparates, sowie jenes des mit
stark verdünnter Essigsäure behandelten Sedimentes ergibt die ver-
schiedenen Quecksilber o x y d u 1 - Beactionen. Ich beurtheile somit bei
Berücksichtigung der Art der Gährung des Gummischleimes jene
Produete als schleimsaures Quecksilberoxydul, das in ähn-
licher Weise, nur ungleich langsamer, wie das fettsaure Oxydul in
der grauen Salbe, zur Entwicklung gelangt ist.
VII.
Drei Fälle von Poeumopericardie.
Ton
Dr. Hermaxm Müller,
Privatdoecnt vnd Secandararzt der med. Klinik In Zürich.
Luftansammlung im Herzbeutel ist ein so seltenes EreignisSi dass
schön durch die grosse Seltenheit die Veröffentlichung jeder neuen
Beobachtung gerechtfertigt erscheint. Viele erfahrene Kliniker haben
während langjähriger Thätigkeit nie einen Fall zu Gesichte bekom-
men. Ein besonderes Glück vei-schaffte mir die Gelegenheit, drei
solcher Fälle genauer zu beobachten, zu deren Mittheilung ich mich
um so mehr entschlossen habe, als in einem Fall der Entstehungs-
modus des Pneumopericards ein bisher unbekannter ist. Ich habe
in der ganzen Literatur über Fneumoperiqardie keinen Fall entdecken
können, welcher dem Ourchbruoh eines eitrigen Fericardialexsudates
in die Lungen seine Entstehung verdankte. Diese Beobachtung habe
ich auf der Huguen in 'sehen Klinik bis zum Schlüsse verfolgt und
die beiden anderen Fälle, welche traumatischen Ursprungs sind, habe
ich auf der Abtheilung von Prof. Rose gesehen und wiederholt selbst
untersucht. Den beiden Herren bin ich für die gütige Ueberlassung
der schönen Beobachtungen zu bestem Danke verpflichtet
L Beobachtung. Hilzioger, Johannes, 34 Jahre, Maler von See-
bach (bei Zürich), wurde am 19. Mai 1876 in die med. Klinik aafgenom-
meo. — Patient will bisher immer vollständig gesnnd gewesen sein. Vor
4 Wochen erkrankte er mitten im vollen Wohlbefinden während der Arbeit
mit heftigem Uebeli^eitsgefühl und Erbrechen. Er legte sich sofort zu Bette
und konnte darauf einige Stunden schlafen. Beim Erwachen verspürte H.
starke Beengung und stechende Schmerzen auf der linken Seite. Es trat
heftiges Fieber auf und der gerufene Arzt erklärte, dass eine Lungeneat-
Zündung im Anzüge sei. Dazu kamen bald heftiger Husten und ziegel-
rother zäher Auswurf. — Hnsten, Beengung und schwere Fiebersjmptome
hielten ungefähr 10 Tage an, dann trat eine wesentliche Besserung ein,
so dass Patient nach Ablauf von 14 Tagen ohne grosse Beschwerde mit
Pneumopericardie. 159
seiner Familie naeh HirslaDdeo ttbersiedeln konnte. Trotz guter Pflege
ging die BeeonvaleBcenz sehr langsam vor sich ; immer noch bestand Husten
und Beengung. Zeitweise hatte Patient über heftige Schmerzen auf der
Brost zu klagen und seit einiger Zeit fast beständig ttber Herzklopfen, so
dass von Arbeiten keine Rede sein konnte. Der Zustand verschlimmerte sich
mehr und mehr, weshalb Patient ins Spital geschickt wurde. Hier bietet
er bei seiner Aufnahme folgenden Befund:
Sehr kräftiger, gut genährter Mann. — Massiges Fieber bis 38,7 <^.
108—132 kleine Pulse. Livides Gesicht, keine subjective, aber deutliche
objeetive Dyspnoe. Respiration 28. Herzbewegung in ziemlicher Ausdeh-
QUDg fahlbar; kein distincter Herzchoc, kein pericardiales Reiben.
Der rechte Lungenrand verläuft etwas ausserhalb vom Sternum nach
unten und steht in der Mammillarlinie an der 7. Rippe. Die untere Leber-
grenze ist 3 Cm. oberhalb der horizontalen Nabellinie. Der linke Lungen-
rand ist stärker abgeschoben als der rechte. Die relative Herzdämpfung
geht bis an den oberen Rand der 2. Rippe, nach links 4 Cm. tiber die
Papillarlinie und ebenso weit nach rechts über das Sternum. Links unten
und seitlich stösst die Herzdämpfung zusammen mit einem linksseitigen
Pleuraexsudate, welches hinten bis ttber die Mitte der Scapula hinaufgeht.
Bd der Anscnltation hört man am Herzen wie aus der Tiefe zwei leise,
dampfe Tdne, während der 2. Pulmonalton verstärkt und accentuirt er-
scheint. Pericarditisches Reiben oder endocardiale Geräusche werden nicht
gehört. — Hinten links unten bronchiales Compressionsatbmen, in der lin**
ken Seite im Bereich der Dämpfung aufgehobenes Athemgeräusch. — Im
Weiteren nichts Besonderes; Urin ohne Eiweiss; kein Auswurf. -
Am 22. Mai vom Mittag an sehr hohes Fieber, sehr frequente Pulse
bis 156 und starke Dyspnoe. Gegen 4 Uhr Abends fängt Pat. an heftig
zu husten und expectorirt binnen kurzer Zeit maulvoll eine ziemlich be-
deutende Quantität (ca. 300 Ccm.) eitriger Massen. Natürlich denkt man
sofort an eitrige Beschaffenheit des pleuritischen Ergusses und Durchbruch
in die Lungen. Mit dieser Diagnose wird auch Patient Tags darauf (am
23. Mai) von Prof. Huguenin in der Klinik vorgestellt.
Ans der sehr ausführlichen klinischen Besprechung hebe ich nur die-
joiigen Momente heraus, welche fflr den Gang der Krankheit von Interesse
äind. Die Temperatur stieg gestern auf 40,8<^ und hält sich seither immer
am 40. Die Dyspnoe ist noch stärker als gestern. Die Herzdämpfung
beginnt am oberen Rand der 2. Rippe und geht nach rechts bis zur Para-
steraallinie, beide Lungenränder sind bei Seite geschoben. An der Herz-
spitze hört man das gestern Abend zum ersten Mal beobachtete pericar-
ditische Reiben heute noch deutlicher. Das Pleuraexsudat hat nach der
Percussion das Niveau nur wenig verändert.
Die Diagnose lautet Pericarditis, linksseitiges Empyem mit Durch-
brach in die Lunge. Zeichen von Pneumothorax fehlen gänzlich. (Ordin. :
Ruhe, Eisblase, Chinin.)
25. Mai. Bedeutende subjective Besserung, Temperatur gestern noch
bis 38,8 0, heute normal. Puls 116, klein. .Die relative Herzdämpfung
beginnt am oberen Rand der 2. Rippe, geht nach links auf der Höhe der
Papille 1 Gm. über die Mammillarlinie und nach rechts daumenbreit über
dis Sternum. Die Herztöne sind dumpf. Das pericardiale Geräusch ist
160 VU. MOlleb
weniger hörbar als gestern, der 2. Pulmonalton erheblich verstflrkt. Die
untere Grenze des Pleuraergusses ist in der Azillarlinie an der 9. Rippe,
Dämpfung nach oben 7 Cm. breit. Bei der Auscultation abgeschwächtes
Athmen, durchaus nichts Metallisches. Im linken Infraclavicularraum hört
man eine Anzahl feuchter, nicht klingender Rhonchi ; hinten Dämpfung von
der Mitte der Scapnla und unten Compressionsathmen. Der eitrige Aus-
wurf hält in geringer Menge noch an.
Am 29. Mai wird Fat. zum zweiten Mal der Klinik Vorgestellt Das
Befinden des Kranken ist sehr gut, der Verlauf der Krankheit ein ganz
günstiger. Der Livor ist geringer, der Ausdruck ruhiger. Die Athmung
geschieht langsam und ruhig, das Fieber ist zurücisgetreten , erreichte in
den letzten Tagen höchstens noch 38, 2^. Der Auswurf dauert in geringer
Quantität fort, er enthält nichts Besonderes, sieht aus wie gewöhnlicher
Bronchialeiter. — Die Herzdämpfung ist* kleiner geworden, das Pericardial-
exsudat hat abgenommen ; die linke Grenze der relativen Herzdämpfung ist
in der Mammiilarlinie, die rechte geht nur noch 1 7^ Qnerfingerbreite Ober
den rechten Stemalrand. Das pericarditische Reibegeräusch Ist nicht mehr
zu hören. Der linke Lungenrand ist noch etwas abgeschoben. Es ist
jedenfalls noch Exsudat im Herzbeutel, die Beschaffenheit desselben ist nicht
ganz sicher zu bestimmen, die früher angenommene eitrige ist wegen der
raschen Abnahme zweifelhaft. Oberhalb der Milzgegend ist ein Dämpfongs-
gflrtel, an dessen oberer Grenze der Schall etwas tympanitisch ist; über
dieser Dämpfung abgeschwächtes Athmen. Hinten von der Mitte der Sca-
pnla an Dämpfung, leerer Schall vom unteren Winkel, abgeschwächtes
Vesiculär- Athmen und am Angulus . scapulae Bronchial -Athmen; absolat
nichts Metallisches, kein Succussionsgeräusch. Therapeutisch wird der Ge-
danke an eine Operation des Empyems wegen der möglicherweise noch
offenen Lungenfistel und wegen der Complication mit Pericarditis vorläufig
zurückgewiesen.
In der nächsten Zeit änderte sich nichts im Verlaufe, das subjective Be-
finden des Patienten blieb gut, die Temperatur normal, der Puls aber immer
noch klein und frequent. Das Pleuraexsudat stand still ; eitriger Auswurf
hielt in spärlicher Menge an, eine grössere Masse wurde seit dem 22. Mai
nie mehr entleert. Am Herzen waren keine Geräusche zu hören. Es wurde
täglich wiederholt und von verschiedenen Untersuchem anscnitirt, aber nie
mehr etwas Abnormes wahrgenommen, abgesehen von der Abschwächung
der Töne bis am 8. Juni.
An diesem Tage fand ich bei meiner Morgenvisite am Herzen eine so
überraschende, auffallende Veränderung des Auscultationsbefnndes, so sinn-
fällige und unzweifelhafte Phänomene, dass ich meinem Vorgesetzten, Prof.
Huguenin, bei seiner Visite referirte, Pat. habe über Nacht ein Pneumo-
pericard bekommen. Prof. Huguenin bestätigte diese Diagnose und stellte
den Kranken am gleichen Morgen der Klinik vor:
Gestern bei der Abendvisite wurde noch nichts Besonderes beim Ptt
wahrgenommen. Später verspürte er Kopfweh und klagte über BeengoDg,
woran er in den letzten Tagen nie zu leiden hatte. Die Nacht war ud-
ruhig, der Schlaf sehr gestört. Heute Morgen ist das Aussehen des Fat.
merkUch livider als bisher, Respiration und Herzbewegung sind aufgef^er,
der Puls aber ist trotz der gereizten Herzthätigkeit schwächer als gestern.
Pneoniopericardie. 161
Patient sieht luinüiig und ängstlich aus; wer den Kranken gestern noch
gesehen hat, erkennt auf den ersten Blick eine Verschlimmerung des Zu-
Standes. Patient negirt Schmerzen auf der Brust, klagt aber über ein be-
ängstigendes Gefühl und über Beengung, worüber er bei der gestrigen
Abendvisite noch nicht zu klagen hatte. Die Untersuchung ergibt:
Rechter unterer Lungenrand am unteren Band der 6. Rippe, neben
dem Sternum etwas abgeschoben, der linke verläuft oben ziemUch normal.
Dach der linken Seite geht er in die Dämpfung über. Die relative Herz-
üämpfung ist kiemer als früher, sie durchschneidet die linke Papille und
gebt nach rechts daumenbreit über das Sternum ; unterer Herzrand an der
7. Rippe stehend. — Hinten unter der Spina scapulae leichte Differenz zu
Uogunsten der linken Seite, nach unten zunehmend; leerer Schall am An*
gulas inf. scap., zuunterst immer noch Compressionsathmen.
Höchst bemerkenswerth sind die Schaliphänomene am Herzen. Die
Töne sind auffallend klingend, daneben hört man ein Plätschern von be-
wegter Flüssigkeit, ein Geräusch, wie wenn Luftblasen in einer Flüssigkeit
aufsteigen und an der Oberfläche platzen. Zwischenhindurch hört man
ausserdem manchmal ein Geräusch, wie wenn Luft durch eine kleine Oeff-
auog getrieben wird. Alle Praktikanten der Klinik werden zur Nachunter*
sochnng eingeladen, alle sind überrascht von dem höchst auflailenden Aus-
cuitationsbefund. Diese Phänomene sind so sinnHUlig und leicht verständ-
lich in ihrer Entstehung, dass man keinen Augenblick daran zweifeln kann,
dass diese Erscheinungen von einem Hohlräume geliefert werden, in welchem
Loft mit Flüssigkeit durch die Herzbewegungen durcheinander geschüttelt
wird. Ea könnte sich handeln um einen Luftaustritt in den Pleurasack, oder
in das Cavum des Herzbeutels, oder allenfalls noch um eine grosse Gayerne
io der Nähe des Herzens, welch letzteres allerdings unter vorliegenden
Umständen nicht denkbar ist. Luftansammlung in der Pleurahöhle ist wohi
auazuschliessen, da wir von der Lunge aus gar keine entsprechenden Phä-
nomene wahmelimen und die metallischen Geräusche ganz ^unabhängig von
der Athmung sind.
Für das Pneumopericard fehlt der charakteristische Percussionsbefund,
es fehlt die Tympanie im Bereich der absoluten Ilerzdämpfung. Diese ist
aber kein absolutes Erfordemiss; Verwachsungen des Herzbeutels an der
vorderen Wand können das Aufsteigen der Luftblasen verhindert haben.
Die Luftansammlung ist wohl nicht gross^ denn die Grösse der Herzdämpfung
hst gegenüber gestern jedenfalls nur wenig abgenommen und die subjectiven
Erscheinungen sind nicht hochgradig.
Bei der Behandlung ist unsere Aufgabe, die Luftansammlung nicht zu-
nehmen zu lassen — grosse Ruhe, Abstumpfung des Hustenreizes durch
narkotische Mittel, Eisapplication in die Herzgegend erzielen dieses Postulat
am einfachsten.
Im Laufe des Tages habe ich den Kranken noch wiederholt unter-
sucht und namentlich das Herz sorgfältig auscultirt. Die Schallphänomene
blieben die gleichen, es traten keine neuen Erscheinungen hinzu. Tempe-
ratur am Abend 37,5®, Puls 104, klein und schwach; subjectiv keine Ver-
schlimmerung. Von Seiten der Lungen Hess sich nichts Abnormes nach-
weisen, namentlich keinerlei Zeichen von Pneumothorax.
Am 9. Juni Morgens ist von den metallischen Phänomenen am Herzen
DontacliM ArchlY L kUa. Medicin. XXIV. Bd. 1 1
162 Vn. MüLiiSR
nichts mehr zn hören. Patient ist fieberfrei und befindet sich snbjectiv
wieder recht ordentlich, als ob gar nichts Besonderes passirt wäre.
Am 13. und 14. Juni waren während 24 Standen die nämlichen Phä-
nomene noch einmal in voller Dentlichkeit zu hören, nur das plätschernde,
gurgelnde Geräusch nicht mehr so reichlich, der metallische Klang der Herz-
töne vorwiegend. Die Herzbeutel-Lungenfistel hat sich demnach noch enmial
geöffnet und Luft in den Pericardialsack eintreten lassen. Das Ereigniss
ging aber auch diesmal* ohne weitere Folgen vorüber und die Reconvales-
cenz machte von da an ungestörte Fortschritte. Das Pleuraexsudat fing
nun endlich auch an, sich zu resorbiren.
Am 24. Juni wurde nachträglich zum Zwecke der Controle eine Probe-
punction des pleuritischen Ergusses gemacht und zwar absichtlich an der
tiefsten Stelle und eine ganz klare seröse Flflssigkeit entleert, so dass also
der Beweis geliefert war, dass nicht ein eitriges Pleuraexsudat, sondern ein
eitriger Pericardialergnss nach den Lungen durchgebrochen war und dass
demnach eine Herzbeutel-Lungenfistel vorhanden sein musste.
Wegen des Resultates der Probepunction , welche an anderer Stelle
nochmals wiederholt wurde, wurde Patient am 3. Juli noch einmal der
Klinik vorgestellt.
Die Herzdämpfung ist nunmehr normal, die Töne sind rein ; die Fistel
ist jedenfalls ganz geschlossen. Das Pleuraexsudat geht noch bis zum
unteren Winkel der Scapula und ist seitlich noch 1 Zoll hoch.
Von da an ging es stetig besser, die Resorption des Pleuraexsudats
machte ungestörte Fortschritte, so dass Pat. am 25. Juli geheilt entlassen
werden konnte. — Beim Austritt war vom pleuritischen Ergüsse nichts mehr
nachzuweisen. Die Untersuchung des Herzens ergab nichts Besonderes; die
Obliteration des Herzbeutels, welche mit Sicherheit angenommen werden
konnte, machte keine objectiven Phänomene. Subjectiv klagte Patient noch
Ober Herzklopfen und Beengung, wenn er sich körperlich anstrenge. Pat.
wird deshalb mit der Weisung thunlichster Schonung nach Hause entlassen.
Ein Jahr später stellt sich mir der blühend aussehende, sehr gut ge-
nährte Mann zur Untersuchung, da er immer noch zeitweise Herzklopfen
und Beengung verspüre. Ausser einer massigen allseitigen Vergrösserung
der Herzdämpfung fand ich absolut keine Abnormität, keine weiteren Zeichen
von Obliteratio pericardii.
Epikrise. Dass es sich bei der vorstehenden Beobachtung
wirklich um Luftansammlung im Herzbeutel, um einen Fall von Pyo-
pneumopericardie gehandelt hat, darüber kann nach meiner Ansicht
kein Zweifel herrschen, obwohl der Diagnose diesmal ganz ungewöhn-
liche Schwierigkeiten sich entgegenstellten. Recapituliren wir noch-
mals die Reihenfolge der Erscheinungen. — Am 19« Mai 1876 wird
ein Kranker mit der Diagnose „linksseitiges pleuritisches Exsudat
nach Pneumonie" vom Lande ins Spital gebracht. Die Untersuchung
ergibt zur Evidenz, dass gleichzeitig noch eine Pericarditia mit Ex-
sudat vorhanden ist; die Form und Grösse der Herzdämpfung und
namentlich auch der Auscultationsbefund am Herzen verlangen mit
Pneumopericardie. 1 63
BefltiiDmtheit di68e Diagnose, obwohl periearditiBches Reiben nicht
gehört wird. Am 4. Tage des Spitalaufenthifltes expectorirt Patient
nach Yorangegangenem Fiebersprung, nach Steigerung des Pulses
und der Dyspnoe binnen kurzer Zeit eine grössere Quantität Eiters,
80 dass man unwillkSrlich an Durchbruch des pleuritischen Exsu-
dates, dessen eitrige Beschaffenheit allerdings bis jetzt noch nicht
bekannt war, dachte. Eine andere Möglichkeit wird gar nicht ventilirt
and w&re wohl auch Ton keinem anderen Beobachter aufgestellt wor-
den. Eine sehr deutliche Abnahme des pleuritischen Ergusses ist zwar
nicht nachzuweisen, aber auch nicht zu erwarten, da die Menge des
ausgeworfenen Eiters auch keine beträchtliche war. Dagegen findet
man, dass die Herzdämpfung entschieden abgenommen hat. Man
findet daran nichts sehr Auffallendes. Im weiteren Verlaufe passirt
nichts Neues; Yon einer operativen Behandlung des Empyems wird vor-
läufig Abstand genommen, besonders da wahrscheinlich die Lungen-
Gstel noch nicht geschlossen und Entleerung des Empyems nach innen
möglich und nicht unerwünscht ist. — Da kommen am 8. Juni plötz-
lieb ganz neue, überraschende Phänomene am Herzen zum Vorschein,
welche zur Diagnose „Pneumopericard " führen. Das plätschernde mit
den Gontractionen des Herzens zusammenfallende Geräusch und der
metallische Klang der Töne machen ernstliche Zweifel an der Dia-
g:nose unmöglich. Nach dem bisherigen Verlaufe der Krankheit und
der früheren Annahme eines linksseitigen Empyems könnte es sich
allenfalls noch um die Möglichkeit eines Pneumothorax in der Nähe
des Herzens handeln; denn es ist der Fall 0 bekannt, dass bei Pneu-
mothorax durch die Herzbewegung ein lautes, ä distance hörbares
plätscherndes Klingen, ganz ähnlich wie bei Pneumopericardium, an-
geregt wurde. Hier zwar könnte es sich höchstens um einen ganz
kleinen, abgesackten Pneumothorax hinter dem Herzen handeln, was
bei dem gänzlichen Mangel von Veränderungen der Athmungsge-
rausche sehr unwahrscheinlich und gesucht erscheint. 5 Tage später
kamen die nämlichen Phänomene nur etwas weniger stark nochmals
zur Beobachtung. Zur Erklärung des Lufteintrittes in den Herzbeutel
nahm man Durchbruch eines eitrigen Pericardialexsudates in die
Lungen an, nicht, wie anfangs fälschlich diagnosticirt wurde. Durch-
brach eines eitrigen Pleuraexsudates. Diese Ansicht gewann eine
wesentliche Stütze durch das Resultat einer Probepunction des pleu-
ritischen Ergusses, welche anfangs, verleitet durch die auffallenden
Gehörswahmehmungen am Herzen, versäumt worden ist Um jedem
I) Biermer, Schweiz. Zeitschrift für Heilkunde. II. Bern 1863.
II*
164 yu. Müller
Einwand zu begegneni wuFde die Probepunction absichtlich an einer
möglichst tiefen Stelle yorgenommen. Zuerst hinten unten und dann
noch einmal wiederholt mehr in der Nähe des Herzens, mit dem
gleichen Resultate. Der Kritiker könnte auch gegen dieses schein-
bar unfehlbare Resultat den Einwand machen, dass vielleicht gerade
hinter dem Herzen ein abgesacktes, kleines eitriges Exsudat neben
dem serösen vorhanden gewesen sei und dass dessen Durchbrach
nach den Lungen zu einem kleinen Pneumothorax gefahrt habe.
Abgesehen von der grossen Unwahrscheinlichkeit einer solchen An-
nahme sprechen gegen dieselbe ganz besonders noch eine Reihe von
Erscheinungen, welche wir wohl berücksichtigen müssen. Die Bil-
dung der Lufthöhle war beide Male, wenn auch nicht mit hochgra-
digen Reizerscheinungen des Herzens — Beklemmung auf der Brust,
Angstgefühl, Steigerung des Pulses, grosser Athemnoth und Blauer-
werden des Gesichtes — verbunden, was wohl beim Auftreten eines
kleinen Pneumothorax hinter dem Herzen nicht der Fall gewesen
wäre. Am gleichen Abend, als der Durchbruch des eitrigen Exsu-
dates in die Lungen erfolgte, kam zum ersten Mal ein Beibegeräusch
am Herzen zum Vorschein. Das plötzliche Erscheinen des pericar-
ditischen Geräusches und die sicher nachgewiesene Abnahme der
Herzdämpfung finden nachträglich die beste und einfachste Erklärung
in der Entleerung des eitrigen Pericardialergusses. Beim Vorhanden-
sein eines Pneumothorax hätten wir wohl EÜangphänomene wahr-
nehmen müssen, welche die Respirationsgeräusche begleitet hätten.
Nach alledem sind wir gewiss berechtigt, diese interessante Beobach-
tung ohne Bedenken als einen Fall von Durchbruch eines eitrigen
PericardialexBudates in die Lungen und vorübergehendem Austritt
von Luft in den Herzbeutel zu taxiren, obwohl ein wichtiges Krite-
rium, das charakteristische Percussionsresultat nicht vorhanden war.
Das Fehlen dieses physikalischen Zeichens erklärt sich zur Genüge
durch die naheliegende und sehr plausible Annahme, dass Verwach-
sungen, resp. Verklebungen der Pericardialblätter an der vorderen
Wand das Aufsteigen der Luftblasen verhinderten« Die Luft sammelte
sich an der hinteren und linken seitlichen Wand des Herzens an,
wo auch offenbar die Lungenfistel ihren Sitz hatte. Dass die Per-
foration wirklich in die linke Lunge und nicht etwa in die rechte
stattgefunden hat, können wir daraus entnehmen, dass unmittelbar
nach vollendeter Perforation im linken Infraclavicularraum reichliche,
feuchte Rhonchi zum Vorschein kamen, welche vorher sicher nicht
gehört wurden.
Pneomopericardie. 165
II. Beobachtung. Aagnst Jlgolf, 28 Jahre, Steinhauer, wurde am
7. Noybr. 1875 Nachmittags auf die Abtheilung von Prof. Rose aufge-
nommen. — Als Anamnese wird, um den Fat. nicht unnöthig mit Fragen
ZQ belästigen, das ärztliche Zeugniss benutzt, welches von einem unserer
besten Zflricher Aerzte geschrieben ist. Dasselbe lautet wörtlich: A. E.
wurde am 5. Novbr. Abends zwischen zwei schweren Steinplatten gequetscht,
in der Art, dass Schulter gegen Schulter gepresst, der Mann also seitlich
znsammengedrflckt wurde. Die Folge war ein Bruch der linken, wahr-
scheinlich auch rechten Clavicula, Zerreissung der linken Lunge und Ver-
letzung des Herzens oder Herzbeutels. Es besteht noch Hautemphysem
am linken Thorax, Cyanose, Reibegeräusch am Herzen und der linken
Pleura, Bronchialathmen links hinten unten. Blutige Sputa waren nie da,
hlogegen dflrfte die innere Blutung eine beträchtliche gewesen sein.''
Status praesens: Kräftiger, wohl gebauter, musculöser Körper.
Schmerzhafter djspnoötischer Gesichtsausdruck, starker Li vor. Respiration
sehr angestrengt, 36. Puls 120, Temperatur 38,4®. — Die linke Thorax-
b&lfto etwas mehr aufgetrieben. Hautemphysem in der linken Seite bis
zur Herzgegend und bis in die Achselgrube, aber nicht im Bereich des
Herzens selbst. Die 5. und 6. linke Rippe ist in der Nähe des Herzens
fractorirt; die genaue Fracturstelle wird in Anbetracht der sicher vorhan-
denen Herzbeutelverletzung nicht ausfindig gemacht ; die Untersuchung flber-
baopt mit allergrösster Schonung vorgenommen. — Fractur an den Akro-
mialenden beider Claviculae.
Am Herzen werden bei der Auscultation sehr auffällige Phänomene
constatirt; ich wurde deshalb unmittelbar nach Aufnahme des Pat. von
meinem chirurgischen CoUegen Dr. Schläpfer hinzugerufen und wir con-
statiren physikalische Zeichen*, nach denen die Diagnose Verletzung des
Herzbeutels (eventuell auch des Herzens) und Luftansammlung im Herz-
beutel unabwendbar ist. An Stelle der absoluten Herzdämpfung und in der
ganzen Ausdehnung derselben ist der Schall sehr hell, exquisit tympanitisch
und bei der Auscultation hört man ein lautes metallisch klingendes, bro-
delndes Greräusch synchron mit der Herzbewegung. Zeichen von einem
Pneumothorax fehlen. In der linken Seite ist eine Anzahl feuchter Rassel-
geräusche zu hören. Die Untersuchung am Rücken wird absichtlich unter-
lassen.
(Behandlung: Absolute Ruhe, Schreibtafel, Eisblase, strenge Diät.
Morphium.)
Der Allgemeineindruck ist ein so schwerer, dass wir eine ganz schlimme
Propose stellen; beim Weggehen machen wir gegenseitig die Bemerkung,
dass der Exitus wohl in der Nacht erfolgen werde.
8. Novbr. Patient war in der Nacht sehr unruhig; grosse Athemnoth,
Klagen Aber starken Durst. Zu unserer grossen Ueberraschung sind heute
Morgen die Luft-Flüssigkeit-Geräusche am Herzen nicht mehr hörbar.
10. Novbr. Die Dyspnoe und der frequente Puls dauern fort. Das
»elgenthflmliche Geräusch'' am Herzen ist verschwunden; dagegen hört man
in den unteren Lungenpartien links pleuritisches Reiben. Die dem Pneumo-
thorax zukommenden Phänomene fehlen gänzlich. Rechte Herzgrenze an
der rechten Parastemallinie. Herztöne abgeschwächt. Ordination — wegen
grosser Unruhe — Ostündl. 0,03 Morph.
166 yn. MüLLBR
12. Novbr. Pat. ist bedeutend ruhiger, athmet nicht mehr so ange-
strengt. Keine abnormen Geräusche am Herzen, in den unteren Partien
links abgeschwächtes Athmen. Herztöne schwach. Temp. 3S,4^ Puls 102.
15. Novbr. Temperatur 37,20. Puls 84.
23. Novbr. Patient wird heute zum ersten Mal aufgesetzt. Links
unten Dämpfung vom Winkel der Scapula an, in der Seite bis zur Höhe
der Papille. Herztöne immer noch sehr abgeschwächt. Rechte Grenze der
Herzdämpfnng am rechten Stemalrand, linke in der Mammillarlinie. Immer
noch starke Schmerzen bei Bewegung des linken Armes. Allgemeinbefinden
gut. Temperatur 37,6^.
29. Novbr. In der letzten Zeit in der Mitte des Stemoms leichtes
systolisches Geräusch von schabendem Charakter. In der linken Achsel-
grube noch etwas Hautemphysem.
7. Decbr. Das systolische Geräusch über dem Sternum ist verschwun-
den. — Befinden gut.
14. Decbr. Immer noch Schmerzen bei Bewegung des linken Armes.
Hautemphysem ganz verschwunden.
12. Januar 1876. Patient hält den linken Arm nicht mehr in der
Schlinge, Arm doch noch nicht frei beweglich.
19. Januar. Patient wird heute geheilt entlassen.
in. Beobachtung. Kormann, Friedrich, 21 Jahre, Schlosser von
Oetlikon, wird am 20. Mai 1878 Nachmittags 1 Uhr auf die chirurgische
Abtheilung des Spitals gebracht. — Patient erhielt letzte Nacht (Sonntag
Abends spät) in Schwerzenbach beim Raufhandel einen Messerstich in die
linke Brust. Sofort nach der Verwundung eilte Patient in die nächste etwa
200 Schritte entfernte Wirthschaft und kleidete sich daselbst aus. Die
Wunde blutete stark ; bis ärztliche Hülfe kam , wurden kalte tJmschläge
auf die beständig blutende Stelle aufgelegt. Während der halben Stunde,
die inzwischen verstrich, soll Patient recht viel Blut verloren haben. Der
gerufene Arzt nähte die Wunde sofort zu, worauf die Blutung stille stand.
Patient wurde darauf zu Bette gebracht, die kalten Umschläge wur-
den fortgesetzt bis am Morgen, wo Patient nach dem Spital transportirt
wurde.
Noch auf der Tragbahre wird Pat. untersucht und durch die Güte
meines chirurgischen CoUegen Dr. Fritzsche, der mich rufen liess, hatte
ich Gelegenheit, den Kranken unmittelbar nach der Aufnahme zu unter-
suchen und die Diagnose der Lungen- und Herz-, resp. Herzbeutel- Ver-
letzung mit Pneumopericardium zu bestätigen. Die Untersuchung ergab:
Pat. ist ein sehr kräftig gebauter, gut genährter junger Mann. Lippen und
Wangen bläulich verftrbt; an der Blässe erkennt man den vorausgegan-
genen starken Blutverlust. Der Ausdruck des Gesichtes ist etwas ängst-
lich und dyspnoätisch. Ungefähr 5 Cm. oberhalb der linken Mammilla,
etwas nach innen von der Mammillarlinie sitzt eine Stichwunde, über deren
Grösse und genauen Verlauf sich vorläufig noch nichts Bestimmtes aus-
sagen lässt, da sie genäht und mit Ausnahme des oberen Randes mit einer
bereits eingetrockneten Kruste von blutgetränktem Spinngewebe bedeckt ist.
In der Umgebung der Wunde ist in der Ausdehnung eines Kinderhand-
tellers Gmphysemknistern zu fühlen. Am oberen Ende der Wunde sieht
Pneumopericardie. 167
man dn wenig von der Nadel, welche ▼om Arzte zur umachloDgenen Naht
verwendet wiu^de.
Die ReBpiration ist mhig, 24. Pnis 84. Temperatur 37,4^.
Die üntersnchnog der Lungen ergibt rechts ttberall Vesicnlärathmen,
links vom und seitlich unten sehr abgeschwächtes Athmen und hie und da
einige fnne Rasselgeräusche. Die Untersuchung der Rttckenfläohe, welche
bei dtf Umlagemng des Pat ins Bett ohne Schäden rasch vorgenommen
verdoi konnte; ergibt keine Abnormität ; Pneumothorax kann mit aller Be-
stimmtheit ausgeschlossen werden. Bei der Untersuchung des Herzens findet
man an der Stelle der absoluten Herzdämpfung in der Ausdehnung von
einem kleinen Handteller sehr schönen, vollen tympanitischen Schall und zwar
nach innen von der Manunilla bis zum linken Sternakand. Die Stelle dieser
Tympanie deckt sich durchaus nicht mit der emphysematösen Hautpartie,
welche weiter oberhalb liegt. Die Herzbewegung ist schwach fühlbar und
sichtbar, der Spitzenstoss direct unterhalb der Mammilla. — Bei der Aus-
enltation hört man am ganzen Herzen, am lautesten gegen die Herzspitze
hin lautkiingende brodelnde Geräusche, ein Succussionsgeräusch, welches
Btraig mit der Hersbew^ung zusammenfällt und ganz unabhängig von der
Athmung ist. Die Herztöne, metallisch klingend, sind durch das laute
gurgelnde Geräusch beinahe verdeckt. — Blutiger Auswurf fehlt, keine
Schmerzen in der Herzgegend.
(Ordin.: Absolute Ruhe, Schreibtafel, Glocke, Eisblase in die Herz-
gegend, flflssige Nahrung. Morph, mur. 0,10, Aq. Lanrocer. 20,0, stflndlich
15 Tropfen.)
5 Uhr Abends. Das Hautemphysem ist nur noch spnrweise vorhanden.
Die metallisch klingenden Geräusche am Herzen sind nicht mehr so laut
und weniger reichlich.
71/2 Uhr Abends. An der Herzspitze werden nur noch vereinzelte klin-
gende Geräusche gehört. Dagegen hört man bereits daselbst ein feines,
schabendes Geräusch, ebenso an der Herzbasis 3 Cm. innerhalb von der
Wnnde. Die Tympanie im Bereich der absoluten Herzdämpfung ist bei-
nahe verschwunden.
21. Hai. Vergangene Nacht war ruhig; nur gegen 9 Uhr Abends
einmal leichte Erhöhung der Athemfrequenz und subjective Beengung, bald
darauf ruhiger Schlaf. Die Untersuchung des Herzens ergibt heute ein
deutliches, schabendes Geräusch an der Herzspitze, weniger exquisit an der
Basig. — Nachmittags klagt Pat. über Beengung und stechende Schmerzen
in der linken Seite. Man hört nunmehr nach unten und aussen von der
Herzspitze in der Ausdehnung einer Kinderhand deutliches in- und exspira-
torisches Reiben.
23. Mai. Pat. hustet öfter. Das Seitenstechen hat bedeutend abge-
nommen. Es ist auch bereits in den seitlichen Partien ein Pleuraexsudat
nachzuweisen.
24. Mai. Das Geräusch an der Herzbasis ist viel weniger rauh, hat
einen mehr blasenden Charakter angenommen. Die Schmerzen in der linken
Seite haben vollständig aufgehört. Fieber hat immer gefehlt, bei 2 täg-
lichen Messungen Temperatur normal.
27. Mai. Befinden gut. Respiration noch etwas beschleunigt.
31. Mai. Die umschlungene Naht wird heute weggenommen, die noch
Iö8 Vn. MOllbb
nicht ganz geschlossene Wunde mit CarholOl bepinselt und mit Bleipflaster
bedeckt. Die Wunde sitzt direct oberhalb der 31 Rippe etwas nach innen
von der Mammillarlinie, verläuft etwas schräg und hat eine Breite von 2 Cm.
11. Juni. Die Wunde ist geheilt. Patient tHlgt immer noch die Eis-
blase auf dem Herzen.
15. Juni. Herzdämpfnng ziemlich stark vergrOssert, hauptsächlich in
die Quere. An der Basis das alte Geräusch. Pat. wird heute — also fast
4 Wochen nach der Verletzung — zum ersten Mal im Bett aufgerichtet
und am Rücken untersucht Das Exsudat erreicht die Mitte der Scapula,
unten ist Oompressionsathmen zu hören.
2. Juli. Pat. steht zum ersten Male auf und geht herum, muss sich
aber wegen starker Beengung und Herzklopfen wieder legen. Das Exsudat
ist immer noch vorhanden. Herzdämpfung ziemlich beträchtlich vergrössert;
an der Basis ein rauhes systolisches Geräusch, das nicht mehr pericarditi-
sehen Charakter hat
Durch den ganzen Monat Juli musste Pat. beständig das Bett hflten.
Die Resorption des pleuritischen Exsudates ging sehr langsam vor sich.
Patient klagte trotz Bettruhe immer noch von Zeit zu Zeit fiber Herz-
klopfen, die Herzdämpfung wurde sehr langsam etwas kleiner, das plenri-
tische Exsudat resorbirte sich.
Am 15. Aug. spät am Abend verliess Pat vor völliger Genesung und
ohne Wissen und gegen den Willen der behandelnden Aerzte das Spital,
weil er in der Nacht auf einer Bahre schlafen sollte.
Epikrise. loh habe nicht nötbig, ttber diese beiden Fälle noch
eine ansftthrliche Begründung der Diagnose beizufügen. Beide Male
waren die physikalischen Phänomene so prägnant, dass die Diagnose
nicht die geringste Schwierigkeit machen konnte und eine andere
Möglichkeit geradezu undenkbar war. Bei beiden war der charak-
teristische Befund der Percussion und Auscultation in schönster Weise
vorhanden. Das metallisch klingende Plätschern und die Tympanie
in der Herzgegend verschwanden bei beiden innerhalb der 12 ersten
Stunden des Spitalaufenthaltes. Bei Egolf konnten die metallischen
Phänomene vor Eintritt 2 mal 24 Standen, bei Eormann nur 12 Stun-
den bestanden haben, wenn — was natürlich nicht unbedingt be-
wiesen — das Pneumopericardium unmittelbar nach der Verletzung
erfolgte. Bei beiden trat im Verlaufe eine Entzündung der Pleura
und des Herzbeutels hinzu, was seinerseits ein Beweis für die gleich-
zeitige Verletzung der Lunge und des Herzbeutels ist Ob auch das
Herz selbst verletzt war, konnte weder in Abrede gestellt, noch be-
wiesen werden. Bekanntlich ist diese Diagnose oft ganz unmöglich.
Andererseits gehören isolirte Herzbeutelverletzungen nicht zu den
Seltenheiten. Natürlich wurden gleichwohl beide Fälle wie* Herzver-
letzungen behandelt Absolute Ruhe, die gewissenhafteste Strenge
bei der Behandlung sind selbstverständliche Forderungen, gegen die
Pneomopericardie. " 169
Kwar immer wieder grobe Verstösse gemacht werden. Auf Aende-
rangen der Perenssions- und Aascultationsverbältnisse beim Sitzen
Bnd Liegen wurde deshalb in den beiden Fällen nicht untersucht.
Za solchen diagnostischen Spielereien, welche nichts ntltzen und dem
Kranken das Leben kosten können, sollte sich — bei traumatischem
Pneamopericard — Niemand verleiten lassen.
Fragen wir nach dem Verhalten unserer 3 Fälle in pathogeneti-
seher Beziehung, so ergibt sich, wie bereits angedeutet, dass unser
erster Fall einen Entstehungsmodus repräsentirt , welcher in dieser
Art bis jetzt noch nie beobachtet worden ist oder wenigstens noch
nie mit Bestimmtheit diagnosticirt werden konnte. Ftlr die beiden
anderen Fälle finden wir in der Literatur vollständig zutreffende
Analoga. -^ Wir kennen nämlich bis jetzt nur 3 ganz zweifellose
Möglichkeiten, welche die Entstehung einer Luftansammlung im Peri-
Card veranlassen können. Unter diesen nimmt nach unserer eigenen
Zasammenstellung, welche zwar nicht den Werth absoluter Vollstän*
digkeit in Anspruch nehmen will, aber doch eine relativ sehr grosse
Zsüil von Fällen umfasst, die traumatische Eröffnung des Herzbeutels
die erste Stelle ein. In den bis jetzt bekannt gewordenen Fällen
geschah die Eröffnung des Herzbeutels auf verschiedene Arten. Es
gehören hieher die Fälle von penetrirenden Messerstichwunden von
Baam(Erause% Feine^), Grüttner»;, Riebet«), Dolbeau^)
and unser 3. Fall. An diese schliesst sich die Beobachtung von
Aran^) an, nach welcher bei Gelegenheit der Paracentese des Herz-
bentels Luft eintrat, welche aber schon nach wenigen Stunden wieder
verschwand. Bodenheimer^) hat einen Fall beschrieben, wo circa
14 Tage nach einer perforirenden Schusswunde des Herzbeutels offen-
bar in Folge von Anstrengung durch wiederholtes Aufstehen (wegen
Diarrhoe) durch den beinahe verschlossenen Schusskanal Luft ein-
drang. In dem Falle von Thompson und Wals he ^) geschah die
Durchbohrung des Herzbeutels vom Oesophagus aus durch ein ver-
schlacktes Messer. Diesem Falle ganz analog ist der von Buist^),
wo ein verschlucktes künstliches Gebiss vom Oesophagus aus die
1) Das Empyem und seine Heilang. Danzig t843. S. t90.
2) Dissert inaag. pericardii laesi etc. Leipzig 1854.
3) Deutsche Klinik. 7. Octbr. 1865.
4) n. 5) BeiJamain, dt nach Fischer (Fall 175 u. 216), , Wunden des Her-
zens und des Henbeatels^ Langenbeck's Archiv f. klin. Ghir. IX. Bd. I.Heft. 1867
6) Friedreich, Krankheiten des Herzens. S. 258.
7) Berl. kl. Wochenschr. 1865. Nr. 35 (ans der Klinik von Prof. M unk in Bern).
8) A pract. treatise on the diseases of the lungs, heart and Aorta. London
t$54. p.201 and 627.
9) Charleston Joorn. Jan. 1858. Citirt nach Fischer (Fall 257),
170 * TU. MftLLBR
Pericardialhöhle eröffnete. In Folge von gleichzeitiger Bnptar des
Herzbcatels (in einem Fall auch partielle Ruptur des Herzens) und
Einriss der Lunge durch heftige Erscbtitterung (ohne Fracturen am
Brustkorbe) sah Horel-Lavallöe^) 2 mal Pneumothorax und Pnen-
mopericard entstehen. Der nämliche Autor hat binnen kurzer Zeit
auch noch einen 3. Fall von Pneumopericard in Behandlung bekom-
men, bei welchem das Anspiessen von Lunge und Herzbeutel durch
fracturirte Rippen die Quelle des Lufteintrittes in die Pericardialhöhle
war. Unser Fall Egolf ist das zweite bekannte Beispiel von dieser
Entstebungsart. Die beiden FAlle gingen in Heilung Aber, was bei
der enormen Seltenheit nicht tödtlicher Herzverletzungen, hervoif;e-
bracht durch Rippenfragmente, eine besondere Erwähnung verdient.
In zweiter Linie kommen diejenigen Fälle^ wo durch Schmelziing
des Herzbeutels, durch ulcerative Perforation von innen oder von
aussen — in Folge von Erkrankung nahegelegener Tfaeile — der
Herzbeutel mit einem luftftthrenden Organ in Verbindung gebracht
wird. In der Mehrzahl bandelte es sich bis jetzt um Perforationen
von aussen. Chambers^ und TüteP) [die von Beckers^) be-
schriebene Beobachtung betrifft den gleichen Kranken] haben nach
Perforation eines Oesophaguscarcinoms Pneumopericard auftreten
sehen. Im Falle von Eisenlohr^} war Durchbruch eines Pyo-
pneumothorax und bei Saexinger^) Perforation eines Magenge-
schwürs und des Diaphragmas die Veranlassung zur Luftansammlung
im Cavum pericardii. Graves^) theilt den interessanten Fall mit,
datis ein Leijorabscess zu gleicher Zeit mit dem Herzbeutel und mit
dem Magen communicirte und so zu Pyopneumopericard führte.
B. Mac DoweP) beschreibt einen Fall, bei dem nach Durchbrach
einer Lungencaverne Pneumo-Pericarditis entstand. Uebrigens scheint
mir, dass weder durch die Krankengeschichte, noch durch den ana-
tomischen Befund die Annahme widerlegt ist, dass ein der Diagnose
entgangenes pericarditisches Exsudat in die Gaverae durchgebrochen
ist und so zu einer Herzbeutel-Lungenfistel geführt hat
1) Rapture du p^ricarde; broit de roue hydraulique; bruit de moulin. Gaz.
m^d. de Paris. 1864. No.46, 4h, 51 et 53.
2) London Journ. Juli 1852.
3) Ein Fall von Pneumopericard aus der Klinik von Prof. Nie m e y er. Deutsche
Klinik. 1860. ^>.37.
4) De pneumopericardio addita morbi historia. Diss. inaug. Greifswald 1860.
5) Ein Fall von Pneumopericardie. Aus der Klinik von Gen.Hofrath Fried-
reich. Berliner klin. Wochenschrift. 1S73. Nr. 40.
6) Pneumopericard durch Perforation eines runden Magengeschwürs. Prager
med. Wochenschrift. 1865.
7) Clinical mcdic. 1843. bei Stokes, llerzkiankheiten. S.20.
b) Bei S tokos.
PDeaxDopeiicardie. 171
DasB in der That Perforationen des Herzbentels durch eitrige
Sehmelzang in der Richtung von innen nach aussen vorkommen und
zu Luftansammlung im Herzbeutel führen könneui beweisen der Fall
Ton 0. Wys8^)| wo die Perforatioü des pericarditischen Exsudates
durch die Brust wand, und unser 1. Fall| wo der Durchbruch nach
den Lungen stattfand. Uebrigens gehören Zerstörungen des Herz-
beutels durch eitrige Pericardialexsudate jedenfalls zu den seltensten
Ereignissen. In den meisten Specialwerken über Herzkrankheiten
ist ihr Vorkommen nicht einmal erwähnt, oder es wird als zweifei*
haft hingestellt, ob Überhaupt auf diesem Wege Fisteln im Herzbeutel
entstehen können. Indess führt 0. Wyss in seiner Arbeit ausser
dem eigenen Fall zwei andere Fälle vonSabatier und Fabricius
an, wo die Perforation durch die Brustwand erfolgte. Perforationen
nach innen scheinen noch seltener zu sein ; ich habe keinen Tall
finden können. Um so mehr halte ich es der Mühe werth, bei der
Gelegenheit eine Beobachtung zu erwähnen, welche ich auf der
Hag uen in 'sehen Klinik gemacht habe. Im Februar 1876 kam ein
59jähriger Mann mit Pericarditis und linksseitigem Empyem zur
Section, bei dem zuunterst links die Pericardialhöhle durch eine
tbalergrosse Oeffnung mit der Pleurahöhle communicirte. Während
der kurzen klinischen Beobachtung wurde nichts beobachtet, was
für einen solchen Durchbruch sprechen konnte, aus der ganz be-
deutenden Erweiterung des Herzbeutels Hess sich aber vermuthen,
dass der Herzbeutel von innen und nicht etwa vom Pleurasäcke aus
perforirt wurde.
Die dritte Art der. Entstehung eines Pneumoperioards ist die
Folge von spontaner Gasentwicklung aus einem jauchig gewordenen
Exsudate. Wir lassen uns hier nicht auf die Gontroverse ein, ob
fiberhaupt Gasentwicklung auf diesem Wege möglich sei. Verschie*
denes wird dagegen angeführt, eine andere Entstehungsart konnte
in ganz exact anatomisch untersuchten Fällen (Duchek, Fried-
reich) nicht constatirt werden. Vorzugsweise die älteren Autoren
— Morgagni, Laennec, Senac, Houlier u. A. — haben diese
Entatehungsweise ins Auge gefasst; diese Fälle halten aber wegen
un?ollständiger Beobachtung vor einer strengen Kritik nicht Stand.
Auch von den Fällen jüngerer Autoren — Bricheteau-), Stokes^),
1) De fistula pericardii commentatio. Habilitationsschrift. Breslau 1866.
2) Observation d'bydropneumop^ricardet accompiffinee d*an bruit de fluctuation
perceptible a roreillc. Archiv, gen^r. de Möd^cine. Tome 4. 1844. p. 334.
<i) Krankheiten des Herzens und der Aorta. 1855. Uebersctzt von Lind-
vttrm.
172 yn. MüLiiBR
Sorauer^); Friedreich^), Duchek') haben Beispiele dieser Ent-
stehungsart veröffentlicht — sind nicht alle ganz zweifellos. Jeden-
falls ist es ein Grund gegen die unbedingte Beweiskraft der ange-
nommenen Entstehungsart, dass in den beiden Fällen von Stokes
und Sorauer Heilung erfolgte, welche man bei Jauchigwerden des
Exsudates nicht erwarten sollte. Wir haben deshalb gewiss einige
Berechtigung, zu vermuthen, dass in den beiden genannten F&llen
die Luft durch eine kleine in ein luftftlhrendes Organ (die Lungen)
gehende Fistel eingetreten ist, um so mehr, als bei beiden ein Per-
cussionsresultat (bruit du pot f%li) gewonnen wurde, welches ohne
diese Voraussetzung ganz unerklärt wäre. Es ist ja nicht unbedingt
nothwendig, dass dem Eindringen von Luft eine theilweise Entleerung
des eitrigen Exsudates vorausgehen musste.
Stabsarzt Dr. Fetz er ^) in Stuttgart veröffentlichte im Jahre 1874
einen Fall von Pneumopericardie, dessen Entstehung unter keine der
eben erwähnten drei Gruppen fällt. Der Fall ist so eigenartig, aber
auch so unklar, dass ich ihn etwas näher erwähnen nmss. Bei einem
septikämischen Schwerverwundeten traten 4 Stunden vor dem Tode
plötzlich ohne besondere Veranlassung heftige Sticknoth, Schmerzen
in der Herzgegend und ein kleiner frequenter Puls auf. Der Kranke
sass laut stöhnend im Bett; schon h dütance hörte man ein lautes,
plätscherndes Geräusch mit der Herzbewegung und an Stelle der
Herzdämpfung fand sich ein hell-tympanitischer Schall, so dass von
allen Beobachtern die Diagnose Luftansammlung im Herzbeutel ge-
macht wurde. — Bei der schon 12 Stunden nach dem Tode gemach-
ten Section wurde zunächst die Punction des Herzbeutels vorgenom-
men; es entwichen „nur einige wenige Luftblasen ** und bei der
nachherigen Eröffnung des Herzbeutels fand man gar keine Luft
mehr und nur eine geringe Menge seröser Flttssigkeit Fetz er hebt
hervor, dass die Section keine unzweifelhafte, positive Bestätigung
gebracht hat, hält aber gleichwohl »wegen der zwingenden Klarheit
der Symptome ** an der Diagnose fest. Indessen sind der (fast) nega-
tive Obductionsbefund, die ganz ungewöhnliche Acuität des Verlaufs,
die mangelnde oder wenigstens bis jetzt ganz unbekannte Aetiologie
(Exhalation von Gas aus dem septikämischen Blute Fetzer) und
die Thatsache, dass hier Täuschung so leicht möglich und vom Magen
aus ganz identische Phänomene geliefert werden können, gewiss
1) De hydro-pneumopericardio. Dissert. Berlin 1858.
2) Heizkrankheiten. S. 266 (Decbr. t859).
3) Krankheiten des Herzens, Herzbeutels und der Arterien. Bd. I. S. 56.
4) Ein Fall von Pneumopericard. WQrtembeiv. medicinisches Correspondenz*
blatt. 1824.
Pneamopericaidie. 1 73
schwerwiegende Orflnde gegen die unümstössliche Beweiskraft der
Beobachtong.
In physikaliBcher Besdehung bieten unsere 3 Fälle kein beson-
deres Interesse. Ein genaues Eingeben auf die Symptomatologie
Bämmtlicher in der Literatur bekannten Fälle liegt nicht in unserer
Absicht und wir können auch eine ausführliche Schilderung der
Symptome um so eher unterlassen, als in allen Lehrbüchern über
Herakrankheiten die Hauptsache erwähnt ist Alle acustischen Phä-
DomenCi welche gefunden wurden, sind in ihrer Entstehung sehr
leicht yerstttndlich , wenn man sich vergegenwärtigt, dass es sich
beim Pneumopericard um einen Schallraum handelt, welcher beinahe
aosBahmslos neben Luft noch Flüssigkeit (Blut oder Eiter) in gerin-
ger oder grösserer Menge enthält und dass die Luft dem Gesetz der
Schwere folgend die obersten Stellen im Schallraume einnimmt. —
Bei zweien unserer Fälle war das charakteristische Percussionsresultat
— beller tympanitiscber Schall an Stelle der absoluten Herzdämpfnng
— in voller Ausbildung vorhanden. Auf allfällige Aenderungen des
Schalls bei Lagewechsel, wie sie z. B. im Eisenlohr'schen Falle
eonstatirt wurden, wurde aus therapeutischem Interesse nicht geprüft
Bei unserem ersten Falle erklärten wir das Fehlen der Tympanie
in der Herzgegend durch Verwachsungen des Herzbeutels an der vor-
deren Wand. Bei allen 3 Beobachtungen wurden bei der Auscultation
die nämlichen höchst auffallenden Phänomene gehört, wie sie in
flbereinstimmender Weise von der Mehrzahl der Beobachter beschrie-
ben werden. Man hörte sehr laute rhythmisch plätschernde Geräusche,
welche mit der Herzbewegung isochron sind und unzweifelhaft durch
die Schüttelbewegungen der iin Herzbeutel eingeschlossenen Luft und
Fittssigkeit entstehen. Die Einen nennen die Geräusche plätschernde
oder gurgelnde, brodelnde; Andere reden von Fluctuations- oder
Saccussionsgeräusch. Bricheteau und Morel-Lavallöe brauch-
ten den allerdings etwas drastischen, aber doch nicht unpassenden
Vergleich des Mühlradgeräusches {bruit de maulm, kruit de roue
lydrauUque). Man kann das Geräusch sehr einfach nachahmen, wenn
man Flüssigkeit in einer halbgefüllten Flasche schüttelt Nicht ganz
selten hört man vom Magen aus durch die Herzbewegung angeregt
das nämliche Succussionsgeräusch ; vor Verwechslung mit deinselben
mu88 man sich hauptsächlich in Acht nehmen. Bei einigen Kranken
war das Geräusch so auffallend laut, dass es auf Entfernung sogar
im ganzen Krankenzimmer gehört wurde (Tutel, Morel-LavalUe)|
md in dem S tokos 'sehen Falle wurde Patient selbst und seine Frau
durch das laute Geräusch im Schlafe gestört. Die Herztöne sind
174 yil- Moller, Pnenmopciicardie.
durch das plätochernde Geräasch verdeekt oder haben einen ange-
wöhnlich lauten metallischen Klang und werden mitunter auch auf
Entfernung gehört (Baum, Fried reich). Bei zwei Fällen von
Morel-Lavallöe, welche er darauf untersuchte, und in dem Falle
von Bodenheimer (Munk) verschwand das plätschernde Geräusch
beim Aufrichten der Kranken — eine auffallende Erscheinung, welche
schwer zu erklären ist. — Bei unserem ersten Kranken wurde neben
dem metallisch klingenden Plätschern ein eigenthtlmliches blasendes
Geräusch gehört, das allen Untersuchen! den Eindruck von Durch-
pressen der Luft durch die Herzbeutelfistel machte. Dasselbe war
mit dem Aufhören der Erscheinungen der Luftansammlung spurlos
verschwunden.
Die nämliche Beobachtung ist der erste constatirte Fall von
Recidiviren der Luftansammlung. Das zweite Mal war das blasende
Nebengeräusch nicht zu hören.
Der gttnstige Ausgang von allen unseren 3 Fällen veranlasst
mich, zum Schlüsse noch ein Wort über die Prognose beizufügen.
Dieselbe ist vielfach zu ungünstig hingestellt worden. Bricheteaa
ging seiner Zeit so weit, als ein Kriterium der Diagnose den todt-
lichen Ausgang zu verlangen, und bestritt aus diesem Grunde die
Beweiskraft älterer Beobachtungen (Baillou, Haulier, Morgagni,
Laennec). Er ging jedenfalls damit viel zu weit. Ich halte dafflr,
dass Luftansammlung im Herzbeutel an und für sich kein bedenk-
licher Zufall ist. Die Prognose ist bei den traumatischen Fällen
hauptsächlich von der Verletzung selbst abhängig und bei den übri-
gen Fällen richtet sie sich nach dem Grundleiden. Von den 28 Fällen
der eigenen Zusammenstellung gingen 9 in Heilung über. Die g&n-
stigste Prognose bieten die traumatischen Fälle, von 14 heilten 6
(Feine, Aran, Morel-LavalHe, Baum, Rose 2 Fälle). Von
den Fällen der 2. Reihe (8), bei denen das Pneumopericard auf
ulcerativer Durchbohrung des Herzbeutels beruhte, liefen alle mit
Ausnahme unserer Beobachtung (Fall I) mit dem Tode ab. Beinabe
bei allen handelte es sich um ein Grundleiden, welches an und für
sich schon eine schlechte Prognose abgibt. — Es liegt in der Nator
des Processes, dass auch Pneumopericardie in Folge Zersetzung eitri-
ger Pericardialexsudate eine schlechte Prognose bietet. Wie wir
schon an einer früheren Stelle bemerkt, sollte man glauben, dass
jeder Fall der Art letal verlaufe, und deshalb halten wir auch die
beiden geheilten Fälle von Stokes und Sorauer (Traube) in
ätiologischer Beziehung nicht für ganz zweifellos.
vin.
'Zor KenDtniss der Sehnenreflexe.
Von
Br. Adolf Strümpell,
Prlrttdoeent nnd I. Atilstent an der med. Klinik sa Leipzig.
Die auffallende Prägnanz der Erscheinungen, welche wir unter
dem Namen der Sehnenreflexe zusammenf^bssen, und die interessanten
theoretischen Fragen, welche sich an das Studium derselben an«
knttpfen lassen, haben in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit zahl-
reicher Beobachter auf diese bei vielen Erkrankungen des Nerven-
systems so ausserordentlich mannigfaltigen Phänomene hingelenkt. Je
mehr man sich wundem muss, dass die Sehnenreflexe trotz der
grossen Häufigkeit ihres Vorkommens so lange Zeit von den guten
älteren Beobachtern ganz übersehen oder nur wenig beachtet und
nnriehtig gedeutet worden, um so höher müssen wir das Verdienst
Derjenigen anschlagen, welche zuerst die Wichtigkeit des Gegen-
standes erkannten und dem Studium desselben in kürzester Zeit all-
gemeine Verbreitung verschafften. Denn wenn auch die bekannten
grundlegenden Arbeiten von Erb und Westphal uns bereits mit
einer Menge thatsächlicher Verhältnisse bekannt machten, so blieben
doch noch zahlreiche Fragen offen und noch jetzt müssen wir ge-
stehen, dass wir weder über di^ Theorie der Erscheinungen schon
yöllig im Klaren sind, noch auch ein erschöpfendes klinisches Be-
obachtungsmaterial über Vorkommen, Fehlen, diagnostische, pro-
gnostische und semiotische Bedeutung derselben besitzen.
Dass wir in der That berechtigt sind, die in Bede stehenden
Erscheinungen als reflectorische aufzufassen und so den von
Erb eingeführten Namen „Sehnenreflexe^ beibehalten können,
scheint nach den vorliegenden experimentellen Untersuchungen sicher
za sein und wird auch durch zahlreiche klinische Erfahrungen in
unzweideutiger Weise bestätigt. Nur ist der Name, streng genom-
men, zu eng gewählt, d. h. umfasst nicht die ganze Reihe der zwei-
fellos zusammengehörigen Erscheinungen. Denn die in Bede stehen-
den Reflexe lassen sich in fast allen Fällen durchaus nicht von den
eigentlichen Huskelsehnen allein auslösen, sondern in engster Be-
176 ym StrOmpbll
Ziehung zu ihnen stehen ausserdem noch zahlreiche Reflexe, welche
im Periost, den Fascien» Bändern u. s. w. ihren Ausgangspunkt haben.
Immerhin erscheint es aber zweckmässig, die Bezeichnung «Seh-
nenreflexe'' als Gollectivnamen fttr alle von den »seh-
nigen Theilen*' des Körpers aus durch mechanische
Reize hervorzurufenden reflectorischen Muskelzuck-
ungen beizubehalten. Von diesen sind bis jetzt freilich die
von den eigentlichen Sehnen selbst ausgehenden Reflexe am meisten
beobachtet worden, obgleich die Fascien- und Periostreflexe denselbeu
an Häufigkeit des Vorkommens keineswegs nachstehen, an Mannig-
faltigkeit vielleicht sogar überlegen sind.
Ohne hier eine vollständige Uebersicht aller bis jetzt von mir
und Anderen überhaupt beobachteten Sehnenreflexe geben zu wollen,
beschränke ich mich darauf, nur einige häufiger zu machende Beob-
achtungen anzuführen, welche besonders geeignet sind, die reflec-
torische Natur der erhaltenen Zuckungen darzuthun. Hierher gehören
zunächst alle Periostreflexe. Schon frühere Beobachter haben
angegeben, dass man in Fällen mit stark erhöhten Patellarreflexen
dieselbe Zuckung im Extensor cruris auch von der inneren llbia-
fläohe aus erhalten kann. Ich selbst habe zu wiederholten Malen
Fälle beobachtet, wo von der ganzen Tibiafläohe aus schon durch
einen leichten Percussionsschlag eine starke Zuckung im Quadriceps
hervorgerufen werden konnte. An eine fortgepflanzte mechanische
Erschütterung des Muskels kann nicht * gedacht werden. Denn zu-
weilen reicht zur Auslösung der Zuckung schon ein so leichter Schlag;
auf das unterste Ende der Tibia aus, dass durch denselben kaum
eine irgend erhebliche Erschütterung des Oberschenkels hervorgerofen
werden kann, während starke Schläge auf andere Theile des Unter-
schenkels keine Quadriceps-Zuckung zur Folge haben.
Bekannt und mehrfach beschrieben sind die von den Vorderarm-
knochen, besonders von deren unteren Enden aus hervorzurufenden
Reflexe im Supinator longus, Biceps, Deltoideus u. a., von denen
namentlich die zuweilen vorkommende Zuckung des Deltoideus bei
Beklopfen des unteren Ulna- oder Radiusendes interessant ist ^) Zu
diesen „entfernten Reflexen** gehören . ferner der Bicepsreflex
von der Glavicula aus, die von den Dornfortsätzen der Halswirbel
aus zu erhaltenden Zuckungen in den Oberarmmuskeln und von den
Domfortsätzen der Lendenwirbel aus in den Olutaeis und den Muskeln
1) Nachträgliche Anmerkung. Vor Kurzem sah ich auch eineäusserst
pilLgnante Zuckung im M. cncullaris nach jedem Beklopfen des Capitolam
ulnae derselben Seite auftreten.
Zur Kenntnifls der Sehnenreflexe. 177
an der inneren Flftche der ObersehenkeL Alle diese Zuckungen
können nur als refleetorisehe ao^efasst werden, und da sie stets im
Verein mit den yon den Sehnen selbst auszulösenden Zuckungen
yorkommeui so liegt hierin ein Grund, auch die letzteren in gleichem
Sinne zu draten.
Weniger gekannt scheint bis jetzt das Vorkommen gekreuzter
Periostreflexe zu sein, welche ich wiederholt beobachtet habe.
Schon Westphal erwähnt die gekreuzte Bicepszuckung beim Klopfen
anf die davicula der entgegengesetzten Seite. Dieser Reflex ist
durchaus kein seltener. Bei Hemiplegien habe ich ihn mehrmals
constatirt, ferner in einem Fall von BleiUhmung, auf den ich unten
noch ausführlicher zurückkomme. In allen diesen Fällen folgte jedem
Schlag auf die Glaricula gleichzeitig sowohl eine Zuckung in dem
Bieeps derselben Seite, wie eine geringere, aber doch ganz ausge-
sprochene Zuckung im Bieeps der entgegengesetzten Seite. Ein wei-
tere häufig gekreuzt zu beobachtender Reflex ist die Zuckung in
den Adductoren am Oberschenkel durch Beklopfen des inneren Con-
dflus der Tibia. Auch hier sieht man dann neben der Zuckung in
dem gleichseitigen Oberschenkel eine deutliche Zuckung derselben
Hoskeln auf der andern Seite. Endlich kommt häufig ein Reflex
im Pectoralis major gekreuzt Tor, herrorgerufen durch Beklopfen
der Stemalenden der oberen Rippen auf der entgegengesetzten Seite,
wie ich das am deutlichsten bei Fhthisikern (s. u.) beobachtet habe.
Eigentliche Sehnenreflexe scheinen gekreuzt nur. selten vorzukommen.
KelatiT am häufigsten sieht man in geeigneten Fällen bei mechani-
scher Beizung des Ligamentum patellae ausser der starken gleich-
Bcitigen Quadriceps-Zuckung am andern Bein eine geringe Zuckung
in den Adductoren am Oberschenkel. Von der Tibiafläche aus habe
ich einmal aueh ausser dem gleichseitigen Quadricepsreflex eine
schwache Zuckung desselben Muskels auf der anderen Seite neben
stärkerer gekreuzter Adductorenzuckung erhalten.
Besondere Aufmerksamkeit habe ich in allen Fällen mit erhöhten
Sehnenreflexen dem Verhalten der Muskeln bei directer mechanischer
Beizung geschenkt. Nach sehr zahlreichen Beobachtungen glaube
ich wohl behaupten zu können, dass gewiss mit nur seltenen Aus-
nahmen jeder Muskel, in welchem von seiner Sehne aus eine reflee-
torisehe Zuckung hervorgerufen werden kann, auch durch directes
Beklopfen seines Muskelbauchs mehr oder weniger stark in Zuckung
versetzt werden kann. Fasst man diese Zuckung als Folge einer
directen mechanischen Reizung des Muskels (resp. der Kervenenden
in demselben) auf, so würde also die beaclitenswertbe Thatsache
DratMbM ArehlT f. klin. Medicln.. XXIV. Bd. 12
178 Yin. Stromfsll
bestehen, dasB eine Erhöhung der Sehnenreflexe fast immer gleich-
zeitig mit einer gesteigerten mechanischen Erregbarkeit derjenigen
Muskeln, welche die erhöhte Reflexerregbarkeit seigen, rerbunden
ist. Dies scheint in manchen Fftl|en auch das thatsfichliehe Ver-
halten zu sein. In manchen anderen Fällen aber habe ieh mich
der Ueberzeugung nicht verschliessen können, dass die betreffende
Zuckung nicht als Folge directer mechanischer Reizung des Muskels
selbst, sondern als Reflex, aller Wahrscheinlichkeit nach von der
Muskelfascie ausgehend, zu betrachten ist In solchen Fällen unter-
scheidet sich die Zuckung, welche man durch leises Beklopfen einer
Stelle des Muskelbauchs in dem ganzen Muskel erhält, durch nichts
von der Zuckung, welche man beim Beklopfen der zugehörigen
Sehne erhält. Am Oastrocnemius, Extensor cruris, besonders schön
am Semimembranosus und Semitendinosus, am Biceps und an zahl-
reichen anderen Muskeln habe ich dieses Verhalten beobachtet. Indem
man z. B. nach und nach jeden Punkt der Bicepssehne in der Ellen-
beuge und Ton da nach oben fortschreitend den Muskelbauch des
Biceps selbst mechanisch reizt, erhält man jedes Mal durchaus gleich-
artige Zuckungen dieses Muskels. Man wird vielleicht yermuthen
können, dass bei dem directen Beklopfen des Muskels die Sehnen-
enden im Muskel miterschdttert werden und somit der Ort der Rei-
zung doch in beiden Fällen derselbe sei. Allein dagegen spricht
der Umstand, dass diese, wie ich glaube, fasciale Reflexreizung der
Muskeln in vielen Fällen von den obern Partien des Muskelbauchs
aus viel intensiver erfolgt, wie von dem unteren, dem Sehnenansatz
näher gelegenen Theile. Dieses Verhalten ist namentlich an man-
chen Vorderarmmuskeln (Supinator longus, Flexores und Extensorei
carpi) die Regel. Beweisend fflr das Vorhandensein von Fascien-
reflexen überhaupt sind wieder die Beobachtungen ttber entfernte
Reflexe, d.h. Zuckungen in entfernten Muskeln bei direc*
tem Beklopfen eines Muskels. Ein derartiger Reflex findet
sich z. B. nicht selten im Biceps beim Klopfen auf den Muskelbaacb
des Supinator longus oder auf andere Muskeln an der Volarseite des
Vorderarms. Ferner habe ich oft bei „directer Reizung^ des Gastro-
cnemius ausser der Zuckung dieses Muskels gleichzeitig einen Reflex
im Semimembranosus und Semitendinosus erhalten, weloher meist
mit derselben Deutlichkeit auch von der Achillessehne selbst aus-
gelöst werden konnte. In einem Fall von Myelitis sah ieh nach
jedem Percussionsschlag auf den Tibialis anticus eine sehr detiKche
Zuckung im Extensor cruris eintreten, während Beklopfen der be-
nachbarten Tibiafläche keine Spur von Reflexzuckung zur Folge hatte.
Zur Keoainiss der Siihneiireflexe. 179
glaube ich annehmen m dürfen , daas manche älteren
Angaben ttber Erhöhung der »directen mechanischen Erregbarkeit*
geltimiter Mnskeln sieh auf die oben beschriebeneni wie ich glaube,
refiectorischen Zocknngen beziehen. Es gibt sogar Fälle, wo
sieh diese Zocknngen von der Fascie des Muskels selbst noch leichter
und aosgiebiger erhalten lassen, wie von den zugehörigen Sehnen«
Vor Kurzem habe ich in einem Fall Yon ausgebreiteter Blutung an der
Gehirabasis sehr lebhafte Gattrocnemiusreflexe bei directem Beklopfen
des Muskels beiderseits erbalten, während von der Achillessehne selbst
EOS trotz sorgsamer Untersnehong kein Reflex ausgelöst werden konnte.
Bei jedem leisen Pereussionsschlag aber auf eine beschränkte Stelle
der Wade sah man sofort eine ausgiebige Zuckung im gesammten
Trieeps surae eintreten. Immerhin ist aber die Deutung der bei
meehanischer Reizung des Muskels selbst erhaltenen Zuckungen zur
weilen schwierig. In vielen Fällen sieht man, wie blos die direct
betroffenen Muskelbündel sich contrahiren, und wird dann in erster
Linie an eine directe Reizung des Muskels denken müssen. Auch
in Fällen mit aufgehoben«i Sehnenreflexen erhält man, besonders
oft im Gastrocnemins, deutliche Zuckungen beim Beklopfen desselben,
wie Erb fflr die Tabes dorsalis angegeben hat und ich bei dieser
und yerwandten Krankheiten gleichfalls gefunden habe. In andern
Fällen aber, welche Oberhaupt lebhafte Reflexe zeigen, sind neben
den Sehnen- und Periostreflexen auch wirkliche Fascienreflexe vor-
handen. Sie bieten in jeder Beziehung mit den ersteren so unter
rinander analoge Erscheinungen dar, dass sie gewiss in übereinstim-
mender Weise erklärt werden müssen und ihre gemeinsame Erhöhung
anf dieselbe Ursache zu beziehen ist.
Die Zuekung im Muskel bei mechanischer Reizung desselben
stellt sich nicht selten auch in der Weise dar, dass neben der Zuck-
ung des ganzen (reflectorisch) erregten Muskels die direct unter der
gereizten Stelle gelegenen Bändel sieh ihrer ganzen Länge nach noch
stärker, wie die ttbrigen Bändel, contrahiren. Ein derartiges Ver-
halten findet sich nicht selten am Oastrocnemius und besonders
sebön am Pectoralis mi^or. In Fällen mit erhöhten Sehuenreflexen,
namenüieh häufig bei Phthisikem, ist der Pectoralis major sehr leicht
doreh mechanische Reizung des Sternums erregbar. Man erhält nach
jedem Schlag anf die entsprechende Hälfte des Sternums eine rasche,
oft uemlich starke Zuckung des genannten Mnskels. Hierbei b^
merkt man nun sehr gewöhnlich, wie sich in der Zuckung des ganzen
Mnskels diejenigen Bändel, deren Ansatzpunkte am Stemum gerade
der gerdzten Stelle desselben entsprechen, sich besonders stark con-
12*
180 VHL &FaßuPBLL
trahiren und sich so deatlich von den Übrigen Bündeln unterscheiden
lassen.
Besonders hervorgehoben mnss f«mer werden, dass sieh häufig
neben der gesteigerten Reflexerregbarkeit auffallend starke wirk-
lich idiomuBculäre Contraetionen hervorrufen lassen. Ich
meine die umschriebenen, sich relativ langsam bildenden und erst
allmählich sich wieder ausgleichenden Wfllste, die man bei stärkerer
mechanischer Reizung des Muskels erhält. Am besten lässt sich
diese allgemein bekannte und als idiomusculäre Zuckung Bxdgeiassbt
Erscheinung am Biceps beobachten, wenn man mit der Ulnarkante
der Hand auf denselben einen kurzen, kräftigen Schlag ausübt. Mir
ist wiederholt aufgefallen, besonders bei Phthisikem, jedoch auch
in anderen Fällen mit erhöhten Sehnenreflexen, wie stark gleich-
zeitig die idiomusculären Zuckungen bei relativ geringer Reizung des
Muskels auftraten.
Als Folge directer mechanischer Muskelreizung werden femer
die in peripherisch gelähmten Muskeln, welche elektrische Entartnngs-
reaction zeigen, durch Beklopfen erhaltenen Zuckungen aufgefasst
Hier sind allerdings a priori reflectorische Vorgänge sehr unwahr-
scheinlich. Jedenfalls sind aber die in Rede stehenden Zuckungen
schon in ihrer Erscheinung und in ihrem Ablauf von den oben er-
wähnten idiomusculären Contraetionen ganz verschieden, und was
ihre Deutung besonders erschwert, ist der Umstand, dass in den be-
treffenden Fällen oft in der Tbat gleichzeitig sicher reflectorische
Vorgänge zur Beobachtung kommen, welche von den eventuell durch '
directe Reizung hervorgerufenen Zuckungen mindestens sehr schwer
sich trennen lassen. Ich denke hier besonders an die zuerst von
Hitzig bei peripherischen Facialislähmungen näher studirte erhöhte
Reflexerregbarkeit. Zu einer Zeit, wo die willkflrliehe Beweglich-
keit in der gelähmten Gesichtshälfte noch vollständig aufgehoben
ist, die gelähmten Muskeln ausgesprochene Entartungsreaction und
die bekannte erhöhte ^ mochanische Erregbarkeit" besitzen, erhält
man in denselben Muskeln zuweilen auch genau dieselben Zuck-
ungen von der anderen Gesichtshälfte aus. Die z. B. im LevatcM*
alae nasi durch directes Beklopfen erhaltene Zuckung unterscheidet
sich dem Anschein nach nicht im Geringsten von der im gldchen
Muskel erhaltenen Zuckung, wenn man einen leichten Schlag mit
dem PercuBsionshammer auf den Nasenrücken oder auf das Nasen-
bein der anderen gesunden Seite führt. Auch in den Muskeln des
Mundwinkels auf der gelähmten Seite (M. risorius, zygomaticus) sab
ich Zuckungen beim Beklopfen des Nasenbeins und sogar der Stin
Zur Kenntniss der Sehnenreflexe. 181
laf der gesnnden Seite. Bis jetzt aber laesen sieh diese Reflexe
durchaus nicht sioher als Periost- oder Fasdenrefleze auffassen, wie
es dem ersten Anschein nach zu sein scheint. Wenigstens ist es mir
noch nicht gelangen ^ die Möglichkeit, dass es sich um Hautreflexe
handelt, hierbei anssuschliessen. Gerade ttber diese interessanten
Reflexe, welche auch bei anderen peripheren LAhmungen Yorkom-
men, hoffe ich noch genauere Beobachtungen anstellen zu können,
besooders Ober die Zeit ihres Auftretens, sowie Aber ihr Verhftltniss
ZQ den jetzt allgemein als Folge directer mechanischer Muskelreizung
anfgefassten Zuckungen und zu den Mitbewegungen.
In den Fftllen, wo an den Extremitäten eine hochgradige Stei-
gerung der Sehnenreflexe vorkommt, gibt diese häufig Anlass zu einer
Rdhe weiterer Erscheinungen, deren Znsammenhang mit der erhöhten
Beflexerregbarkeit nicht immer ohne Weiteres klar ist Bekannt ist,
da« das schon von früheren Beobachtern beschriebene „Fussphä-
nomen'* in der Erhöhung des Achillessehnenreflexes seine durchaus
zureichende Erklärung gefunden hat. Auch andere Reflexe kann
mau zuweilen in ähnlicher klonischer Form erhalten. Erb beschrieb
zaerst den Clonus im Extensor cruris bei plötzlichem Abwärtsziehen
der Patella. Ich habe ausser diesen beiden häufigen Erscheinungen
in einem Fall von Qehimsklerose auch in der Hand, bei passiver
Dorsalflexion derselben, einen andauernden Clonus gesehen und in
einem Fall von Gliom an der (Jehimbasis in dem gelähmten und in
Pronationscontractur befindlichen Vordenurm bei jedem etwas plötz-
licheren Supinationsversuch einen sofort eintretenden Clonus in den
Pronatoren, wodurch der Vorderarm in eine beständige Drehbewegung
mit abwechselnder Pronation und Supination versetzt wurde. Beide
Encheinungen beruhten in ganz analoger Weise auf den erhöhten
Sehnenreflexen in den betreffenden, bei der passiven Bewegung ge-
zerrten Muskeln. Die Angabe von Brown-S6quard, dass man
das Fuasphänomen durch eine passive Plantarflexion der grossen
Zehe sofort zum Stillstand bringen kann, ist in dieser Fassung ge-
wiss nicht richtig. Beugt man während eines andauernden Fussclonus
die grosse Zehe noch so stark, vermeidet aber dabei eine gleichzeitige
Plantarflexion des ganzen Fusses, so bleibt das Fussphänomen da-
von vollständig nnbeeinflusst. (Jeschieht aber dabei gleichzeitig eine
Plantarflexion des Fusses, so hört damit selbstverständlich die me-
ehanisehe Heizung der Achillessehne und mithin auch der Clonus in
dem Fusse auf. In anderen, ziemlich häufigen Fällen, wo die passive
Plantarflexion der grossen (ttlMrigens ebenso jeder andern) Zehe das
183 Vin. StrCbcpisll
FuBsphänomen zu sistiren scheint , beruht diesoB darauf, dass durch
die Bewegung der grossen Zehe jedesmal eine reflectorische , auch
durch einfaches Kneifen der Zehe hervorzurufende Beugung des ganzen
Beins im Hüft- und Kniegelenk mit starker Dorsalflexion des Fusses
erfolgt, wobei ebenfalls das Fnssphftnomen gleichzeitig nicht weiter
bestehen kann. Bekanntlich existiren auch Beobachtungen Aber wirk-
liche Reflexhemmnng in Bezug auf das Fussphänomen , worüber ieh
indessen bis jetzt keine eigenen Erfahrungen * besitze.
Die wichtigste klinische Bedeutung hat die Erhöhung der Seh-
nenreflexe bei derjenigen Form spinaler LlUimnng, fflr welche neuer-
dings von Erb der sehr bezeichnende Name der spastischen
Spinalparalyse eingefflhrt worden ist. Der Ausdruck kann, wie
ich glaube, nur gebraucht werden für einen allerdings sehr prftg-
nanten und wohl charakterisirten Symptomencomplex, aber nicht für
eine anatomisch einheitliehe, besondere Krankheitsspecies. Zunftehst
gibt es Fälle, wo bei einer echten motorischen Lähmung der unteren
Extremitäten in diesen gleichzeitig eine excessive Steigerung der
Sehnenreflexe besteht, welche das gewöhnliche Bild der spinalen
Paraplegie wesentlich ändert. In solchen Fällen bedarf es nicht erst
besonderer passiver Bewegungen oder anderer mechanischer Reise,
um die Reflexe auszulösen. Schon die eigene Schwere der Beine,
jede, auch die kleinste active oder passive Bewegung in denselben
genügt, um eine grosse Anzahl von Muskeln in reflectorische Span-
nung zu versetzen. Hierdurch erscheinen die gelähmten Beine in
eine fast beständige tetanische Starre versetzt. Diese Starre ist in
allen Fällen, welche ich bis jetzt zu untersuchen Gelegenheit hatte,
ausschliesslich reflectorischen Ursprungs. Ist das Bein
vollständig unterstützt, so fühlen sich die einzelnen Muskeln zeitweise
ganz weich und schlaff an, aber schon der erste Versuch passiver
Bewegung, jede bei einem geringen Lagewechsel des Kranken durch
die Schwere der Beine erfolgende Zerrung der Sehnen ruft sofort
reflectorisch die Starre wieder hervor. Das sind die Fälle, von denen
man in den Krankengeschichten liest: „untere Extremitäten in den
Knieen trotz grösster Anstrengung nicht zu beugend Der Ansdrock
ist ganz unrichtig. In der That, versucht man mit Gewalt das Knie
zu beugen, so ist der reflectorisch sofort eintretende Muskelwiderstand
oft kaum zu überwinden. Fasst man aber Ober- und Dntertchenkd
vorsichtig an, vermeidet jede plötzlichere schnelle Bewegung, h^
ganz behutsam und langsam den Obersehenkel und versucht den
Unterschenkel zu beugen, so geht es mit einem Male oft ganz leicht,
die Muskeln bleiben weich und was durch Gewalt nicht erzwungen
Zar Keontniaa der Behnearefieze. 183
w^en konnte, weicht von selbst der richtigen Einsicht. Nur in
wenigen FftUen kann man trotz grosser Vorsicht und Lang-
samkeit der passiven Bewegungen die unteren Extremitäten in den
Esiegelenken nicht YoHstftndig beugen.
Ein weiteres Mittel, die refleetorisehe Natur der Starre der Ex-
tremitäten bei der spastischen Paraplegie besonders dentlich darsu-
than, ist der Einfluss des Bades. Wird der Körper ins Wasser ge-
bracht, so verlieren damit die Beine an Schwere, sie werden wenig-
ste!» sum Theil vom Wasser getragen und alle durch die Schwere
der Extremitäten selbst hervorgerufenen Zerrungen und Dehnungen
der Sehnen mttssen dadurch selbstverständlich viel geringer werden.
Die Folge davon ist in der That auch stets die, dass im Bade die
Starre nachlässt, die Beine nicht mehr in vollständiger Streck-
contraetur verharren und dass die passiven Bewegungen bis su ge*
winem Grade leichter werden. Damit hört die Reflexerregbarkeit
natSrlich nicht auf, wie jeder Percussionsschlag auf das Ligamentum
patellae beweist, aber die gewöhnlichen Anlässe und Beize können
unter den veränderten Umständen weniger aur Geltung kommen. In
manchen Fällen aber scheint wirklich ausser dieser rein physika-
lischen Wirkung des Bades auch eine physiologische Wirkung
desselben einzutreten. Man beobachtet dann, dass auch noch einige
Zeit nach dem Bade die refleetorisehe Starre geringer bleibt, was
nur auf einer vorübergehenden Uerabsetsung der Beflexerregbarkeit
beruhen kann. Hierauf beruht wahrscheinlich zum Theil auch der
gerade bei spastischer Paraplegie bereits mehrfach erprobte tbera-
peutisehe Erfolg regelmässig angewendeter, protrahirter warmer Bäder.
Noch andere Erscheinungen treten bei der spastischen Paralyse
BcheiDbar spontan ein, für welche in gleicher Weise immer der reflee-
torisehe Ursprung nachgewiesen werden kann. Ich meine die »Schat-
telkrämpfe'' der Beine, das Zittern der Fttsse u. dgl. Alle diese
Erscheinungen können in solchen Fällen auch jeder Zeit künstlich
hervorgerufen werden durch einen plötzlichen Versuch das Knie zu
beugen, oder durch eine plötzliche passive Dorsalflexion des Fusses.
Sobald durch irgend einen äusseren Anlass, z. B. sehr häufig bei
gewollten Bewegungen des Oberkörpers, die betreffenden Sehnen in
den unteren Extremitäten leicht gezerrt werden, tritt unter geeigneten
Bedingnageii sofort derselbe l'remor in den Muskeln ein und kann
ebenso, wie der absichtlich hervorgerufene Clonus, durch zweckmäs-
sige Haltung und Lagerung des Beins sofort sisirt werden.
Während in den bis jetzt besprochenen Fällen die Steigerung
der Sehnenreflexe in den gelähmten Gliedern das gewöhnliche
184 VIII. Strümpell
Bild der Paraplegie modifioirt, so gibt es aber ferner aueh ein Sym-
ptomenbild, welches durch den Binfloss einer hochgradigen Steigeroog
der Sehnenreflexe auf die Bewegungsfähigkeit nicht gelähmter Glie-
der entsteht. Es kommen zweifellos Fälle vor, in denen bei voll-
kommen intacter Motilität der unteren Extremitäten, bei durch-
aus normaler Muskelkraft derselben, bei gleichfalls intacter Sensibilität
ein eigenthümliches Erankheitsbild besteht, welches ausschliesslich
auf die vorhandene hochgradige Steigerung der Sehnenreflexe zurflck-
zufOhren ist. Wie bei der oben besprochenen Form der spaatisehen
Paralyse die Ausfahrung der passiven Bewegungen durch den
reflectorisch entstehenden Muskelwiderstand erschwert ist, so stellt
sich in diesen Fällen letzterer jeder intendirten activen Bewegung
hemmend entgegen. Das sind die Fälle, wo der spastische Gang
in seiner exquisitesten Form zur Beobachtung kommt, wo die Kran-
ken mit grossen raschen, fast hastigen Schritten gehen, dabei aber
die Beine beständig völlig gestreckt bleiben, die Hacken bei jedem
Schritt schnellend gehoben werden , die Zehenballen scharrend 41m
Boden kleben, der ganze Körper bei jedem Schritt nach vorne Ober
zu fallen scheint. In dieser Weise aber können die Kranken meh-
rere Stunden lang gehen. Selbstverständlich ermüden sie trotz
ihrer normalen Kraft eher wie ein Gesunder. Denn ihr Gehen er-
fordert viel mehr Anstrengung, es ist ein beständiges Ankämpfen
gegen die hemmenden Muskelwiderstände, zu vergleichen mit drai
erschwerten Gange eines Gesunden im tiefen Sande. Prüft man bei
diesen Kranken die Ausführung einzelner Bewegungen während der
Bettlage, so findet man keine Spur von Lähmung, die rohe Kraft
in manchen Muskeln sogar auffallend gut, gestählt durch den be-
ständigen Kampf gegen die widersetzlichen Antagonisten. Durch
Untersuchung mit dem Percussionshammer überzeugt man sich von
der beträchtlichen Erhöhung der Sehnenreflexe und es bedarf keiner
ausführlicheren Auseinandersetzung mehr, wie diese allein alle Er-
scheinungen ausreichend erklärt.
Nun gibt es ferner Fälle, wo eine hochgradige Steigerung der
Sehnenreflexe gleichzeitig mit einer mehr oder weniger grossen Ab-
schwächung der Motilität, oder auch mit wirklichen partiellen Läh-
mungen besteht. In diesen Fällen kann sich die hemmende Wirkung
der bei activen Bewegungsversuchen sofort eintretenden Muskelwider-
stände so sehr geltend machen, dass eine vollständige Lähmang
vorgetäuscht wird, welche in Wirklichkeit nicht besteht« In sol-
chen Fällen ist es oft ungemein schwierig zu entscheiden, wie weit
die vorhandene Motilitätsstörung auf wirklicher Muskelparese beruht,
Zur Kenntnita der Sehnenreflexe. 185
oder blos aaf der Unmöglichkeit , den antagoniBtifichen Widerstand
m überwinden. Auch hier kann die Untersuchung der Kranken im
Bsde Aufsohluss geben. Zuweilen sieht man dann im Bade die
Kranken ihre Beine leidlich bewegen y welche sie vorher nur mit
gröflster Anstrengung etwas beugen konnten. Der Widerstand, weU
eher sieh der Bewegung entgegrasetste , ist geringer geworden , die
nicht gelähmten Mmkeln können ihre Wirksamkeit entfalten und
man sieht, dass es sich um keine wirkliche Lfthmung, sondern um
eine «spastische Pseudoparalyse' handelt.
So erklärt es sich auch, warum bei manchen Kranken die Be-
wegangsfähigkeit der Beine so ausserordentlich weehselnd gefunden
wird. Ich beobachtete lange Zeit einen Fall von multipler Sklerose
mit starken spastischen Symptomen der unteren Extremitäten. Zu
manchen Zeiten war der Kranke nur im Stande kleine Bewegungen
der FOsse und Zehen activ auszuführen, im Uebrigen erschienen die
Beine vollständig gelähmt Und zu anderen Zeiten, zuweilen nur
einen halben Tag später, konnte der Kranke die Beine vollständig
an den Rumpf heranziehen , die Kniee beugen u. s. w. Dieser be-
stftndige scheinbare Wechsel der Lähmungserscheinungen beruhte
einaig auf der bald stärker, bald geringer ausgesprochenen Reflex-
erregbarkeit, ein Wechsel, welcher auch sonst nicht selten beobachtet
wird. Es wird allen genaueren Beobachtern aufgefallen sein, wie
ach z. B. bei Kranken, welche das Fussphänomen zeigen, dieses an
manchen Tagen viel intensiver und anhaltender hervorrufen lässt,
als an anderen Tagen, ohne dass wir bis jetzt im Stande wären, den
Grand fär diese wechselnde Reflexerregbarkeit anzugeben.
Allein die wirkliche Hemmung der Bewegung, die spastische
Paeadoparalyse, ist nicht der einzige Einfluss, welchen die Steigerung
der Sehnenreflexe auf die Bewegungen nicht gelähmter Muskeln aus-
&bt. Tritt der reflectorische Widerstand nicht derartig ein, dass die
Anaftthrung der gewollten Bewegung unmöglich wird, so machen sich
doch auch \)ei den sonst gut ausgeführten Bewegungen die Sehnen-
reflexe oft genug bemerkbar und fahren in dem regelmässigen Ab-
lauf der gewollten Bewegung zu einer Störung, welche ohne Kennt-
nias ihrer Ursache leicht falsch gedeutet werden kann. Während
die Erscheinungen der spastischen Paralyse und Pseudoparalyse be-
sonders an den unteren Extremitäten beobachtet werden, tritt diese
jetzt zu erwähnende Bewegungsstörung vorzugsweise an den oberen
Extremitäten bei ihren mannigfaltigeren Bewegungen hervor. Bei
jeder etwas eneif^iseheren , plötzlicheren Bewegung ti^ten derartige
Z^n^Dgen gewisser Sehnen ein, dass in den zugehörigen Muskeln
186 VUI. Strümpbll
Yorlibergehende reflectorisobe Zuckungen eintreten, welche sieh ato-
rend in dag Gleichmaass der gewollten Bewegung einmischen. So
sind es namentlich Zuckungen im Triceps bei rascher Beugung des
Vorderarms» welche diese letztere vorttbergehend durch eine kuree
Streckung des Vorderarms unterbrechen. .Doch treten gewiss auch
in anderen Muskeln unter geeigneten Bedingungen derartige reflec-
torische Zuckungen ein und geben so den Anlass, dass die gewollte
Bewegung unregelmässig, zitternd erscheint. Da dieses Zit-
tern nur bei Bewegungen des Arms auftritt, so kann es leieht fttr
wirkliches Intentionszittern gehalten werden, und ich ^ube
mich mit Bestimmtheit überzeugt zu haben, dass das ckaraktmstiBche
Zittern bei multipler Sklerose zuweilen (durchaus nicht immer) auf
die vorhandenen stark erhöhten Sehnenreflexe zurftekgefllhrt werden
konnte. Auch bei Hemiplegischen, welche ihren Vorderarm beugen
können und dabei erhöhte Reflexerregbarkeit im Tricepe haben, sieht
man diese reflectoriscbe Unterbrechung der Beugung durch Streck-
bewegungen, wodurch die ganze Bewegung zitternd erseheint, nieht
selten. Ich vermutbe auch, dass gewisse Angaben in der Literatur
Ober „Mitbewegungen'' in den zu den willkürlich inner?irten
Muskeln sich antagonistisch verhaltenden Muskeln auf Sehnen-
refiexe zurUckgefttbrt werden können.
An den Nachweis des Vorkommens stark erhöhter Sehnenreflexe
in Muskeln, deren Motilität sonst in jeder Beziehung eine vöUig nn*
gestörte ist, knüpft sich eine Folgerung an, welche fOr die Frage
nach der anatomischen Ursache der erhöhten Reflexerregbarkeit
nicht ganz unwichtig zu sein scheint Es hat sieh nämlich, ohne
hinreichend beweisende experimentelle oder pathologiseh^anatomische
Erfahrungen, ziemlich allgemein die Meinung festgesetzt, dass die
Erhöhung der Sehnenreflexe bei centralen Erkrankungen ihren ana-
tomischen Orund in einer Affection der Seitenstränge des Rücken*
mark 8 habe. Man spricht in derartigen Fällen jetzt vielfach ohne
alles Bedenken von Lateralsklerose, von Sklerose der Seitenstränge,
welche entweder für sich allein oder neben anderen Abschnitlen des
Rückenmarks erkrankt sein sollen. Hiermit in Verbindung steht die
gleichfalls ziemlich verbreitete Annahme, dass auch die bei Hemi*
Plegien eintretende Erhöhung der Sehnenreflexe von der absteigenden
seoundären Seitenstrangdegeneration abhängig sei.
So verlockend auch in der Tbat diese Meinungen sind und so
viel Annehmbares dieselben auch zu enthalten scheinen, so können
wir doch bis jetzt ihre Allgemeingültigkeit noch nieht als bewiesen
Zar KenntnisB der Sehneoreflexe. 187
aniehen. Znniebst kann offenbar die Erhöhung der Sebnenreflexe
nicht auf eine Erkrankung der »Seitenstrftnge'* in ihrer Totalität
bexogen werden, da diese ja swetfellos Fasern von der yersehieden-
gten Dignität enthalten. Fragt man aber, welche dieser Fasern es
sind, deren Erkrankung die spasti sehen Symptome bewirken soll,
80 hat man bis jetzt immer vorzugsweise an die Pyramidenbah-
nen gedacht Dies geht dentlich sowohl aus den directea Angaben
der Autoren, wie aus der Heranziehung der absteigenden secundftren
Degeneration henror, welche bekanntlich ausschliesslich die Pyra-
mideabahnen betrifft Nun enthalten aber nach unseren jetzigen
Anschaunngen die Pyramidenbahnen diejenigen Fasern, welche der
willkllrlichen motorischen Innervation dienen. Ihre Functionsstörung
mnss zunächst zur Aufhebung der willkllrlichen Bewegung, also zu
achter Lähmnng ftthren. Dem entsprechend hat man ja anfangs auch
Ton den Sehnenreflexen als einer besonderen „ Bewegungsstörung in
gelähmten Oliedem* gesprochen. Wenn nun auch bei der später
Eiemlieh allgemein anerkannten reflectorischen Natur der betreffenden
Erscheinungen ihre Steigerung auf einer Functionsstörung gewisser
reflexhemmender Fasern beruhen sollte , so fehlt doch überall der
prScise Ausdruck, wo diese Fasern liegen sollen, und immer sind es
wieder die »hinteren Abschnitte der Seitenstränge ^, d. h. die Pyrami-
denbahnen, deren Erkrankung die erhöhten Sehnenreflexe zur Folge
haben soll.
Die klinischen Erfahrungen stimmen aber mit dieser Annahme
keineswegs ohne Weiteres ttberein. Das zeigen unzweideutig die
Fälle, wo bei vollständig erhaltener willktlrlicher Motilität ohne jede
Parese der Muskeln , wo also wenigstens nach unseren jetzigen An-
Behauungen die Pyramidenbahnen normal sein mttssen, hochgradige
Steigerung der Sehnenreflexe besteht ^). Solche Beobachtungen macht
man theils an Fällen, welche als typische Fälle der Erhaschen spa-
stischen Spinalparalyse („primäre Seitenstrangsklerose '^ ?) betrachtet
werden mflssen, oder an Kranken mit multipler Cerebrospinalsklerose,
welche mcht selten an den unteren Extremitäten eine reine spastische
Paralyse oder richtiger gesagt Pseudoparalyse zeigen, wobei die
scheinbare mehr oder weniger starke Beeinträchtigung der willkilr-
liehen Bewegungsfähigkeit ausschliesslich auf der excessiven Steige-
rung der Sehnenreflexe beruht Aus solchen Beobachtungen mttssen
wir, wie ich glaube, den Schluss ziehen, dass eine höehstgradige
1) Die von mir gesammelte, hierher gehörige Casnistik werde ich ausführlich
in tiner gp&teren Arbeit mittheilen.
188 VUI. Stbümpbll
SteigeniDg der Sehnenreflexe ohne wesentliche Erkrankung der Pyra-
midenbahnen Torkommen kann, dasB letztere also nicht als veran-
lassende anatomische Ursache der erhöhten Sehnenreflexe angesehen
werden kann. Dass die Seitenstrftnge, speciell die Pyramidenbahnen
derselben miterkrankt sind, wo es sich neben wirklicher Lfth>
mung um Erhöhung der Sehnenreflexe handelt, ist sehr wahrsehein-
lieh, dann ist aber fflr die letztere immer noch eine besondere Er-
klärung nothwendig.
Hiermit hängt auch die von mir gemachte Erfahrung zusammen,
dass in einem Fall von spinaler Paraplegie mit äusserst hochgradigen
spastischen Symptomen, welcher nach ttber 3 jähriger Erankheitsdaner
zur Heilung gelangte, die erhöhte Reflexerregbarkeit lange Zeit die
eigentlichen Lähmungserscheinungen überdauerte. Beide Erscheinun-
gen müssen also von einander unabhängige Ursachen gehabt haben.
Als dieser Kranke in den Füssen bereits wieder normale Beweglich-
keit zeigte, konnte er selbst jederzeit durch eine plötzliche active
Dorsalflexion seines Fusses diesen in den lebhaftesten Clonus ver-
setzen, welcher sofort vom Kranken wieder sistirt werden konnte,
wenn derselbe eine active Plantarflexion seines Fusses ausführte and
damit die Achillessehnen wieder erschlaffen machte. Hier bestand
also gleichzeitig ein »passives*' und ein „actives" Fussphänomen.
Mit der Annahme, dass eine hochgradige Steigerung der Sehnen-
reflexe unabhängig von einer Erkrankung der Pyramiden - Seiten-
strangbahnen bestehen kann, stimmen auch weitere klinische Erfah-
rungen überein.
Man hat bisher eine Steigerung der Sehnenreflexe, welche weit
über die mögliche Norm hinausgeht, fast ausschliesslich bei Krank-
heiten des Gehirns und Rückenmarks gefunden. Bei sonstigen Er-
krankungen hat man bisher wohl überhaupt dem Verhalten der Re-
flexe keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Meines Wissens
erwähnt nur Westphal, dass Remak bei Kranken mit Gelenk-
rheumatismus .das Fussphänomen wiederholt constatirt habe. Mir ist
bis jetzt gerade bei dieser Krankheit kdne besondere Erhöhung der
Sehnenreflexe aufgefallen. Dagegen glaube ich zuerst nachgewiesen
zu haben, dass sich sehr häufig bei abgemagerten, schwächlichen
Kranken, und zwar ganz besonders bei Phthisikem und schweren
Typhnskranken eine so erhebliche Steigerung der Sehnenreflexe findet,
wie man sie sonst nur bei Rttokenmarkskranken zu finden gewohnt
ist. Die Thatsache ist so häufig, dass ich specielle Beispiele anzu-
führen unterlasse, da solche in jedem grössern Krankenhause zu
jeder Zeit gefunden werden können. Bei Phthisikem, Typhnskian-
Zur KenntoiiB der Seh&enieflexe. 189
kea oder Eeeonvalesceiiten in der ersten Zeit naeh dem Typhas, wo
soeh eine hochgradige Abmagerung der geeammten Husculatur be-
steht, kann man sehr hftnfig; durch passiTC Dorsalflexion eines Fusses
einen lebhaften, Minuten lang anhaltenden Clonus in demselben her-
Torrofen. Gleichzeitig findet man fast stets sehr starke Patellar-
reflexe. Zuweilen ist das Fussphftnomen beiderseits gleich stark und
anhaltend, zuweilen auf der einen Seite ausgeprägter wie auf der
andern. Nicht selten wechselt seine Intensität, es ist an einem Tage
stärker wie an dem andern, oft indessen auch wochenlang constant
demonstrirbar. Andere nervöse Erscheinungen fehlen gewöhnlich
ganz, nur besteht häufig gleichzeitig ausgesprochene Hyperästhesie
der Haut und besonders der Muskeln, welche bei Druck stark
onpfindlich sind. Die Hautreflexe erscheinen gleichzeitig erhöht, in
anderen Fällen aber verhalten sie sich normal. Manche der bei
schweren Typhösen zu beobachtenden motorischen Beizerseheinungen,
wie besonders das oft so heftige Zittern der Fttsse, beruhen augen-
scheinlich auf nichts Anderem, als den erhöhten Sehnenreflexen. Ich
beobachte gerade jetzt einen Typhuskranken, welcher schon viele
Tage hindurch häufig einen Clonus beider Fttsse, genau wie beim
Fassphänomen,, zeigt. Sowie man den Fuss passiv plantarflectirt, die
Aehillessehnen erschlaffen lässt, hört sofort das Zittern auf. Macht
man nun eine passive Dorsalflexion des Fusses, so tritt dasselbe sofort
wied^ in heftigster Weise ein. Ebenso kann man jederzeit schon
durch einen leichten Schlag mit dem Percussionshammer auf die
Achillessehne den Oastrocnemius in lebhafte Zuckung versetzen. Doch
auch an den oberen Extremitäten, am Biceps, Supinator longus u. a.
zeigen solche Kranke die erhöhten Sebnenreflexe. Dabei ist immer
auch die »directe mechanische Erregbarkeit '^ der Bluskeln gesteigert,
welche Erscheinung ich, wie oben gezeigt, in manchen Fällen auch
für eine reflectorische halte. Treten Typhuskranke, welche erhöhte
Sehnenreflexe darboten, in die volle fieconvalescenz ein, so kehrt
auch die Refiexerregbarkeit langsam wieder zur Norm zurück. Bei
den Phthisikem dauert dieselbe oft bis kurz vor dem Tode an,
erliseht aber gewöhnlich in den letzten Tagen bei beginnender
Agonie')- Bei einem Phthisiker, welcher während des Lebens na-
mentlich an den unteren Extremitäten sehr lebhafte Sehnenreflexe
(beiderseits starkes Fussphänomen) gezeigt hatte» wurde das Rttcken-
mark genau makroskopisch und mikroskopisch untersucht. Es fand
1) Auch bei Rückenmarkskranken mit erli(^hten Sehnenreflexen hOren diese
f&st constant in den letzten Tagen vor dem Tode völlig .auf.
190 VIII. 8TBÜMFBLL
sich nichts Abnormes an demselben. Die Ursache der erhöhten Seh-
nenreflexe in allen diesen Füllen kennen wir noch nicht» aber es
liegt doch nicht der geringste Anhaltspunkt vor, auch hier an eine
Alteration der Seitenstrftnge zu denken. Ich glaubte frfther die er-
höhten Reflexe bei den betreffenden Kranken anf die Anämie des
Rdckenmarks beziehen zu können, allein diese Annahme wird da-
durch widerlegt, dass ich wiederholt in Fftllen hochgradiger pemi-
cidser Anftmie keine irgendwie auffiallende Steigerung der Sehnen-
reflexe bemerken konnte. Wo diese yorhanden ist, zeigen die be-
treffenden Muskeln bemerkenswerther Weise oft auch eine sehr
gesteigerte echt idiomusculäre Erregbarkeit. Bei Phthisikem ist
es eine bekannte Thatsache, wie leicht man beim Pereutiren der
vorderen Brustwand die idiomuseulftren Zuckungen im Pectoralis
major erhalten kann. Fahrt man z. B. mehrere kurze SchlSge neben
einander auf die ttber einer Rippe gelegenen MuskelbUndel , wobd
der Knochen als feste Unterlage dient, so sieht man entsprechend
viele kleine umschriebene Wfllste in auf den Faserverlauf senkreebter
Richtung entstehen und sich erst nach einer kurzen Zeitdauer wieder
ausgleichen.
Gegen die Zulässigkeit der Ansicht, die Erhöhung der Sehnen-
reflexe bei Nervenkranken ohne Weiteres auf eine Affection der
Seitenstränge beziehen zu können, sprechen auch die klinischen Er-
fahrungen über die Verbreitung der Sehnenreflexe bei Affectionen
des Gehirns und Rückenmarks. Bei Westphal findet sich bereits
die Angabe, dass er bei Hemiplegischen das Kniephftnomen auf der
nicht gelähmten Seite ebenso^ stark, wie auf der gelähmten Seite
gefunden habe. DöjörineO gibt an, auch das Fussphänomen bei
Hemiplegikem auf der gesunden Seite gefunden zu haben. Diesen
Beobachtungen kann ich ferner die Thatsache hinzufügen, ^as» man
bei Rückenmarkskranken mit spastischen Symptomen der unteren
Extremitäten, während die Arme vollständig gesund erscheinen and
es nach der Angabe der Patienten selbst auch sind, in den oberen
Extremitäten zuweilen eine Steigerung der Sehnen- und Periostreflexe
beobachtet, wie sie bei völlig Gesunden nicht vorkommt Nament-
lich bei Kranken mit „spastischer Spinalparalyse ^, jedoch auch bei
anderen Formen der Paraplegie, findet man an den Armen, über
welche die Kranken nicht die geringste Klage führen, erhöhte Seh-
nenreflexe im Biceps, Trieeps, Supinator longus u. a. Zuweilen
machen sich diese Reflexe auch durch ein leichtes, von den Kranken
1) Progr^ m^ 1678. No. 23.
Zur KenntnisB der Sehnenrefleze. 191
gur nicht beachtetes Zittern 1)ei raschen willkflrlichen Bewegungen
der Arme bemerkbar.
Eine weitere hierher gehörige Beobachtung machte ich in einem
Fall Yon BleiUhmung. Bei dem Kranken, einem 26jährigen
Maler y der schon frflher wiederholt Zeichen chronischer Bleiintoxi-
cation dargeboten hatte, bestand seit einigen Wochen eine typische
Bleil&hmung im rechten M. extensor digitorum communis. Im linken
Extensor digitorum Tremor, aber keine Lfthmung. Obgleich alle
anderen Muskeln normal beweglich waren, zeigte der Kranke an
beiden Armen ungemein lebhafte Sehnenreflexe. Vom Capitulum
radii aus erhielt man Zuckungen im Supinator longus, Biceps und
Pronator teres, von der Clavicula aus einen gleichseitigen und ge-
krenzten Bicepsreflex. Im Triceps beiderseits starke Reflexe. Auch
an den unteren Extremitäten beiderseits starke Patellarreflexe , Ad-
dnetorenreflexe, links schwaches Fussphänomen. Also auch hier die
starke Reflexerregbarkeit weit tlber den scheinbar allein befallenen
rechten Vorderarm hinaus yerbreitet. Nach allen diesea Beobach-
tungen bedarf also die Frage nach der anatomischen Ursache, welche
die flo oft zu beobachtende Steigerung der Sehnenreflexe hervorruft und
welehe wahrscheinlich gar keine einheitliche ist, son-
dern in mehreren Verhältnissen liegen kann, noch weiterer
Untersuchung, ehe die jetzt so verbreitete Ansicht von der hierbei
allein in Betracht kommenden Affection der Seitenstränge und speciell
der Pyramidenbahnen derselben als wohl begründet gelten kann.
Schliesslich noch die Bemerkung, dass ich in einem Fall von
leichterer Strychninvergiftung die Erhöhung der Sehnenreflexe,
ebenso wie Borger^), gefunden habe. In fttnf Fällen von leichter
Atropinvergiftung fand ich bei zweien entschieden stark erhöhte
Sehnenreflexe, bei einem eine geringe Erhöhung, während bei den
zwei letzten die Sebnenreflexe sich etwa normal zu verhalten schie-
nen. Das vollständige Fehlen der Sehnenreflexe bei typischer Tabes
dorsalis ist auch nach meinen Erfahrungen constant. Auffallend und
Tielleicht fernerer Beachtung werth ist es, dass auch in einigen Fällen
Ton progressiver Muskelatrophie keine Sehnenreflexe hervorgerufen
werden konnten.
1) Centraiblatt für Nerrenheilkunde. 1879. Nr. 4.
IX.
Materialien zur Pathologie und Therapie des Rflckfallstyphas.
Von
Dr. J. MooBUtkowBky,
Ant am BtadttaoipiUl xa Odeisi.
(SchloSB.) ^)
Hierzu Tafel VI (Curventafel).
IL
Ich gehe jetzt Über zu dem Verhalten der Spirochaeten zu eini-
gen Substanzen I welche vermittelst endosmotiscber Apparate des
Organismus ins Blut eintreten, oder welche unmittelbar dem ausser-
halb des Organismus befindlichen Blute hinzugesetzt werden.
Den letzteren Fall betreffend muss ich vorausschicken, dass die
Betmltate meiner Beobachtungen in vielen Stdcken mit den Besul-
taten EngeTs undLitten's Übereinstimmen. Meine Versuche wur-
den detaillirter ausgeführt, da die möglichst genaue Bestimmung der
Quantität der Beimischung erzielt werden sollte, bd welcher den
Spirochaeten ihre Bewegungsfähigkeit erhalten bleibt, oder aber die-
selbe eingebüsst wird.
Um einen richtigen Begriff von der Menge einer Losung zu er-
halten, welche nöthig ist, um die Beweglichkeit der Spirochaete auf-
zuheben, ist es noth wendig, zuerst genau den Einfluss der gewöhn-
lichen Lösungsmittel (Wasser, Spiritus, Glycerin) auf die Spirochaeten
kennen zu lernen, d. h. die Grenze zu bestimmen, über welche hinaus
die Beimischung eines Lösungsmittels das Aufhören der Bewegung
der Spirochaeten nach sich zieht.
Ich beginne mit dem Wasser. Nach Engel, Heidenreicb
und Ob er m ei er 2) bleibt den Spirochaeten ihre Beweglichkeit, nach-
dem dem Blute Wasser beigemischt worden, erhalten. Nach Wei-
gert, Litten und Anderen raubt das Wasser den Spirochaeten fast
1) s. dieses Archiv. Bd. XXIV. S.96.
2) Berliner klinische Wochenschrift. 1S73. Nr. 33.
BackfkllstyphQB. 193
aogenblioklioh ihre Beweglichkeit. Dessen ungeachtet lesen wir bei
einigen Autoren, dass schwache wftssrige Lösungen einiger Chemi-
kalien durchaus keinen Einfluss oder einen schwächeren , als das
Wasser allein , auf die Spirochaeten ausüben. Hieraus folgt, dass
einmal das Wasser für sich allein schon sehr empfindlich auf die
Spiroehaete wirkt, ein anderes Mal dagegen selbst in Verbindung
mit chemischen Reagentien keine Wirkung hat. Mich der Quantit&t
nach Terschiedener Mischungen von Blut und Wasser bedienend, kam
ich zu dem Besultate, dass bei Hinzuthun von 1:4 Volumtheilen
destillirten Wassers die Spirochaeten die Beweglichkeit einzubttssen
binnen. Dabei yerloren sie ihre Beweglichkeit 5 Stunden nach
dem Hinzuthun nur in einem Falle; in vielen anderen Fällen ver-
loren sie ihre Bewegung kaum in 10 mal kürzerer Zeit als in reinem
Biate. Folglich ist somit das Yerhältniss von 4 Theilen Blut zu
1 Theil Wasser eben die Grenze, bei welcher schon ein Einfluss auf
die Beweglichkeit der Spirochaeten bemerkt wird. In einer Mischung
von gleichen Theilen Blut und Wasser gehen die Spirochaeten fac-
tisch oft augenblicklich zu Grunde. Die Beimischung von Vs— Vu
Volnmtheil Wasser verkürzt nicht die Dauer der Beweglichkeit der
Spiroehaete.
Was den Alkohol betrifft, so beginnt br beim Vermischen von
nicht weniger als Vs Volumtheil eines 12procentigen Alkohols mit
Blat deutlich (nach Verlauf von 2 Stunden) auf die Beweglichkeit
der Spirochaeten zu wirken. Eine Beimischung von Vi 2 Volumtheil
eines 12procentigen Alkohols verkürzte kaum bemerkbar die Dauer
der Beweglichkeit der Spiroehaete. Fast augenblicklich tddtlich
wirkt eine Beimischung von Vs Volumtheil eines 20procentigen Alko-
hols. Denselben Effect erhält man durch Hinzuthun von Vi« Volum-
theil eines 60 procentigen Alkohols.
Chemisch reines Glycerin im Verhältniss von Vi 2 Theil tödtet
auch ziemlich rasch (nach 2 — 3 Stunden) die Spirochaeten. Vs Theil
nift bei ihnen augenblickliche Aufhebung der Bewegung hervor.
Besser wird das zur Hälfte mit Wasser verdünnte Glycerin von den
Spirochaeten vertragen. Im Blut mit einer Beimischung letzterer
Verdünnung im Verhältniss von ^'s Theil erhielt die Spiroehaete ihre
Beweglichkeit durch 8 Stunden; im Parallelversuche mit reinem
Blute unter sonst gleichen Bedingungen erhielt sich die Beweglich-
keit 26 Stunden. Längere Dauer der Beweglichkeit der Spiroehaete
beim HinzufQgen einer Mischung von Glycerin mit Wasser zum Blute,
als beim Hinzuthun von reinem Glycerin beobachtete auch Engel.
D«nteeliM ArehiT f. klia. Medleia. XII V. Bd. 13
194 IX. MOOZUTKOWSKY
Die BeimisehuDg von Vio Theil Glyoerin hatte auf die Beweglichkeit
der Spirochaete einen fast unmerklichen EinfloM*
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass man Aber die chemische
Wirkung rersehiedener Bestandtheile auf die Beweglichkeit der Spiro-
chaete nur in dem Falle urtheilen darf, wenn diese Bestandtheile,
in Wasser, Glyoerin oder Spiritus gelöst, dem Blute in gewissen
Verhältnissen beigemischt werden und zwar nicht mehr als 1:4 Thei-
len der wässrigen Lösung, 1 : 12 Theilen der 12procentigen Alkohol-
lösung, fflr das reine Glyoerin aber nicht mehr als 1 : 20 TheilcD.
Die Versuche wurden in Parallel -Reihen ansgefDhrt, so dass,
wenn z. B. der Einfluss des Hinzuthuns einer bestimmten Ldsnng
eines gewissen Körpers in gegebenen Verhältnissen zum Blute unter-
sucht wurde, man zu gleicher Zeit über den Einfluss Yon destillirtem
Wasser in demselben Verhältnisse auf die Spirochaete desselben
Blutes Beobachtungen machte. Ausserdem beobachtete man die Dauer
der Beweglichkeit der Spirochaete in reinem, mit Hülfe von niederen
Temperaturgraden seiner Gerinnungsfähigkeit beraubtem Blute. Im
Uebrigen blieben bei den Untersuchungen dieser drei Blutproben alle
anderen Bedingungen sich gleich.
Auf diese Weise wurden mit dem Chinin folgende Untersuchun-
gen angestellt. Man nahm drei Reihen von Röhrchen, von welchen:
in die Röhrchen a) zu 4 Volumtheilen Blut, welches einem Re-
currenskranken am 3. Tage des 3. Anfalles entnommen und durch-
schnittlich im Sehfelde 20 — 3& Spirochaeten enthielt, t Volumtheil
einer wässrigen l,Oprocentigen salzsauren Ghininlösung hinzngefflgt
wurde *),
in die Röhrchen b) zu 4 Volumtheilen desselben Blutes 1 Volum-
theil destillirten Wassers,
die Röhrchen c) enthielten dasselbe Blut, nur unvermischt, aber
unter sonst gleichen Bedingungen, wie in den vorher angeführten
Röhrchen (a und b).
Die Spirochaeten verloren ihre Beweglichkeit
in den ersten Röhrchen nach 1 Stunde,
n n zweiten „ »24 Stunden,
n n dritten „ »82 Stunden.
Die weiteren Beobachtungen in dieser Richtung zeigten, dass die
Beweglichkeit der Spirochaete bei Anwendung von 2 procentigen wftss-
1) Das MiBchen von bestimmten Mengen von Blut und Lösungen wuxde ver-
mittelst eines Glasst&bchens auf einem Uhrglase Yorgenommen. Bei ParaUelver-
suchen wurde dasselbe Verfahren und in derselben Zeit mit reinem Blute Torge*
nommen«
RackfftUttyphttB. 195
rigen und st&rkeren Salzsäuren ChminltoaDgen augenblicklich aufhört.
Eine O^Sprocentige Ldsnng zeiehnete sich in ihrer Wirkung auf die
Beweglichkeit der Spirochaete, in Bezug auf die Zeit, in gar nichts
?on der Einwirkung destillirten Wassers in entsprechender Proportion
ans. Diese Resultate stimmen nicht mit denen Engel's Uberein,
welcher behauptet, dass schon 0,5 procentige Ghininlösungen einen
Einfluss auf die Spirochaete hAtten. Ganz entgegengesetzt den Re*
siiltaten Engel's sind die Beobaohtungen von Binz^), welcher
Spirillom und andere niedere Organismen ihre Beweglichkeit augen-
blicklich nach Beimischung von Vsoo procentiger OhininUsung ver-
lieren sah.
Die in gleicher Weise mit Strychnin ausgefQhrten Untersuchun-
gen zeigten, dass die Gegenwart von 0,00015 Proc. schwefelsauren
Strychnins im Blute die Dauer der Beweglichkeit der Spirochaeten
ebenso wenig verkflrzte, wie die zur Lösung des Strychnins ange-
wandte Menge destillirten Wassers. Nur 0,003 Proc. verkürzten die
Dauer der Bewegung der Spirochaeten um die Hälfte der Zeit gegen-
Aber einer gleichen Portion von destillirtem Wasser, wogegen 0,008
Proeent sofort tödteten. Schwache Strychninlösungen konnten die
erlöschenden Bewegungen nicht verstärken oder unterhalten, noch
die in Folge von anderen Reagentien verloren gegangene Beweglich-
keit der Spirochaeten wieder herstellen.
Das Kochsalz wurde chemisch rein zu den Versuchen ver-
wandt Ich vermochte nie zu beobachten, dass die Salzlösungen
gleich dem Blutserum (Engel) befähigt gewesen wären, den Spiro-
ehaeten ihre Beweglichkeit zu erhalten. In 0,5* bis Iproc. Koch-
salzlösungen verkflrzte sich die Dauer ihrer Beweglichkeit um den
vierten Theil der Zeit, als in reinem Blute; schwächere Lösungen
näherten sich in ihrer Wirkung dem Wasser. Eine Sättigung des
Blutes mit IVs Proc. Gl Na (in wässriger Lösung) hatte zur Folge^
dasB die Dauer der Beweglichkeit der Spirochaeten gegenttber der
Beweglichkeit derselben in mit der entsprechenden Menge Wasser
Termischtem Blute um die Hälfte der Zeit abnahm; 2procentige und
stärkere Lösungen wirkten fast augenblicklich. Somit stimmen die
Resultate meiner Untersuchungen nicht mit denen Heidenreich 's
flberein, welcher beobachtete, dass die Spirochaeten sich in schwachen
Salzlösungen besser erhielten, als im Blutserum, dass in 4 procentigen
die Beweglichkeit tagelang erhalten bleibt und dass nur 8 procentige
Lösungen augenblicklich von Wirkung waren.
1) M. Schnitze's Archiv, fid 111. Ueber die Einwirkung des Chinins auf Proto-
plasma-Bewegungen.
13*
196 IX. MOGZÜTKOWSKY
Ebenso habe ich nicht bemerkt, dass Salzlösungen die von Lit-
ten erwähnten varieösen Anschwellungen bei den Spirochaeten her.
vorriefen.
Das kohlensaure Natron hat sich sowohl in meinen Yer-
sucheui ebenso wie in denen Engers und Obermeier's, als ein
nur äusserst schwach auf die Beweglichkeit der Spirochaeten ein-
wirkender Körper bewiesen, was von Gohn schon lange in Bezie-
hung auf Monaden angegeben ist Selbst 2 procentige Losungen von
CONaO hoben die Bewegungen der Spirochaeten nicht vor 4 Stan-
den auf; stärkere Lösungen wirkten ziemlich energisch.
Die Lösimgen von Kalium hypermanganicum äusserten
eine sofortige Wirkung auf die Spirochaeten erst bei 0,5procentiger
Concentration.
Das Kalium jodatum erwies sich in Beziehung auf die Auf-
hebung der Bewegung der Spirochaeten als ein äusserst starkes Agens.
Schon 0,01 Proc. hob die Beweglichkeit nach 2 oder 3 Minuten auf,
0,05 Proc. tödteten augenblicklich.
Dem Acidumsalicylicum gegenüber verhielten sich die Spiro-
chaeten weniger empfindlich ; sie erhielten ihre Beweglichkeit selbst
bei 0,1 Proc. Stärkerer 0,2 procentiger Qehalt rief schon fast augen-
blicklich eine Einwirkung hervor.
Noch schwächer zeigte sich die Wirkung von Acid. muriati-
cum. Erst 1 procentige Lösung wirkte tödtlich auf die Spirochaeten.
Greosot hob beim Hinzuthun einer 0,6 procentigen wässrigen
Lösung die Beweglichkeit der Spirochaeten auf.
Die Zucker- und Hühnereiweiss-Lösungen wirkten auf
die Spirochaeten um so stärker, je mehr diese Körper in denselben
vertreten waren ; so ertödtete eine 5 procentige Lösung des ersten
und eine 12 procentige Lösung des zweiten Körpers die Beweglich-
keit augenblicklich. 2 procentige Zuckerlösung und 5 procentige Ei-
weisslösung blieben ohne Wirkung auf die Spirochaeten.
Jetzt folgt eine Reihe von Untersuchungen, welche das Verhalten
der Spirochaeten zu den flüssigen Secreten und Excrementen
des menschlichen Organismus zeigen.
Das Hinzuthun von flOssiger, 18 bis 26 Stunden nach dem Tode
den Leichen entnommener Galle tödtete nur in dem Falle die Spiro-
chaeten, wenn die Galle den zehnten Theil des zur Mischung be-
nutzten Blutes übertraf. Hierbei ist noch zu bemerken, dass, je
consistenter die Galle war, man eine um so geringere Menge dersel-
ben zur Aufhebung der Beweglichkeit der Spirochaeten bedurfte.
Rftckfalktyplitts. 197
Ganz ebenso wirkte die Gonsistenz des Speichels auf ihre
Beweglichkeit: in einer Mischung von 4 Theilen Blut zu 1 Theil
mnen und äusserst flüssigen Speichels Yom Menschen konnte sich
die Beweglichkeit der Spirochaeten 1 Stunde, ja mitunter 4 Stunden
erhalten. Bei Zusatz Ton consistenterem Speichel gingen sie sofort
onter.
In der Mischung Yon Milch einer yor 8 Monaten Entbundenen
(1 Theil zu 4 Theilen Blut) bewegten sich die Spirochaeten 8 Stün-
den. Litten beobachtete dieselbe Dauer der Beweglichkeit in Frauen-
milch. In einer Mischung von 1 Theil Frauenmilch einer 7 Monate
Schwangeren, welche zur selben Zeit am Typhus recurrens erkrankt
war, mit 4 Theilen ihres eigenen Blutes hörten die Bewegungen der
Spirochaeten nach 5 Stunden auf; dagegen behielten sie ihre Beweg-
lichkeit in reinem Blute im Oi^anismus (bis zum Ende des Anfalles)
4^2 Tage, ausserhalb des Organismus in zugesohmolzenen Röhrchen
12 Tage-
in Kuhmilch (Zeit des Kalbens unbekannt) gingen die Spiro-
chaeten nach 1 Stunde zu Grunde. Sahne von derselben Milch wirkte
nach 10—30 Minuten (in beiden Fällen war das Verhftltniss der
Mischung 1 Theil zu 4 Theilen Blut).
Nach dem Hinzuthun von V^ Theil Seh weiss blieb den Spiro-
chaeten ihre Beweglichkeit nicht länger als 2 Stunden erhalten.
Eine augenblickliche Wirkung ergab das Hinzuthun Ton V« Vo-
lamtheil normalen Urins. Ganz frischer Urin eines Recurrenskran-
ken hinzugethan zum eben entnommenen Blute desselben Kranken
wirkte noch energischer als normaler Urin.
Ausser obigen Körpern beobachteten wir noch die Wirkung eini-
ger Gase, der Temperatur und der Elektricität.
Das Hindurohstreiohen eines schwachen Stromes von Kohlen*
säure, wie auch von Sauerstoff in der Stricker'schen Kammer
rief nach V^ Stunde, mitunter nach Vk Stunden Unbeweglichkeit
der Spirochaeten hervor. Dieselbe energische Wirkung des Sauer-
8to&, wie auch der verdichteten Luft bemerkte auch Bert auf Bac-
terien. Nach Feltz verloren die Bacterien des faulenden Blutes
ebenso schnell auf Einwirkung von Sauerstoff ihre Beweglichkeit.
Kaum sich bewegende und gänzlioh der Bewegung beraubte Spiro-
chaeten erhielten unter dem Einfluss eines Sauerstoffstromes ihre Be-
weglichkeit nieht wieder. Es ist sogar beobachtet, dass die Spiro-
chaeten im Blute, welches dem freien Zutritt der atmosphärischen
Luft ausgesetzt war, ktbrzere Zeit (nicht länger als 1 — 3 Tage) leben,
ab in hermetisch zugeschmolzenen Röhrchen (37 Tage).
198 IX. MbOZUTKOWSKY
Die Schläge eines Bobwaehen elektrischen Stromes hoben
äusserst rasch die Beweglichkeit der Spirochaeten auf. Unbewegliche
Spirochaeten erhielten anter dem Einfloss elektrischer Ströme ihre
Beweglichkeit nicht wieder.
Ausser dem Einflüsse von Gasen war ich noch bemtlht, den
Einfluss der Dämpfe von Alkohol und Chloroform zu beobachten.
Es zeigte sich, dass die Spirochaeten ein und desselben Blutes ihre
Beweglichkeit unter dem Einfluss von 60 gradigen Alkoholdämpfen
ebenso schnell (nach Vs Stunde) verloren, als unter dem Einflasse
von Chloroformdämpfen.
Bezüglich der nur wenigen Beobachtungen von Temperatur-
Einflüssen kann ich nur sagen, dass die Spirochaeten bei mehr
als 48^ C. äusserst rasch zu Grunde gingen. Nach Verlauf einer
halbstündigen Einwirkung dieser Temperatur (im Luftbade) war bei
sämmtlichen Spirochaeten die Beweglichkeit aufgehoben. In dieser
Beziehung stimmen meine Beobachtungen nicht mit denen Heiden-
reich 's überein (die Spirochaeten gingen nach ihm sehr rasch zu
Grunde bei einer Temperatur, die 43^ C. überstieg). Dagegen ist es
mir nicht so wie Litten gelungen, lebende Spirochaeten bei so
hohen Temperaturen (60 <^ R.) zu beobachten. Niedrige Temperatur
wird dafür von den Spirochaeten ausserordentlich gut vertragen. Bei
+ 20 R. beginnen sie schon fast immer ihre Beweglichkeit einzu-
büssen, zuweilen selbst schon bei -|- 4<^ B. Bd 0 und niedriger hören
alle Spirochaeten sich zu bewegen auf. Wird Blut selbst bis auf
— 8^ R. abgekühlt, in Zimmertemperatur erwärmt, so erhalten die
Spirochaeten ihre Beweglichkeit nach 5, zuweilen 20 Minuten aufs
Neue wieder und behielten sie wochenlang. Ja ich bemerkte sogar,
dass die Beweglichkeit derselben sich unvergleichlich länger erhielt
im Blute, welches durch Gefrieren seiner Gerinnungsfähigkeit beraubt
war, als in dem durch Schütteln defibrinirten. Hei den reich be-
obachtete auch, dass die unter dem Einflüsse niederer Temperaturen
erstarrten Spirochaeten aufs Neue ihre frühere BewegUehkeit erhiel-
ten; auch in dieser Beziehung unterwerfen sich die Spirochaeten
demselben Gesetze, welches Cohn für Monaden gefunden.
Ich habe bisher nur von dem Einflüsse verschiedener Reagentien
auf die Spirochaeten gesprochen und dabei alle anderen Einwirkun-
gen derselben auf die rothen und farblosen Blutkörperchen, auf das
Serum u. s. w. unberücksichtigt gelassen. Die Yeräuderungen schienen
sich in Nichts von denen zu unterscheiden, welche unter denselben
Bedingungen im gesunden Blute erhalten werden.
ROcküidlstyphiis. 199
Aber nicht nur fremde Körper haben einen solch starken Ein-
floM auf die Beweglichkeit der Spirochaeten. Selbst das Blut ver-
gehiedener Snbjecte verhält sich nicht gleichartig sa den Spirochaeten.
Im BlutCi welchem ein gleiches Volumen frischen defibrinirten Men-
sehenbltttes (das meinige) hinzugemischt worden war, verloren die
Spirochaeten ihre Beweglichkeit um einige Tage früher, als im un-
Termisehten ursprünglichen Blute.
Im Gemisch von gleichen Theilen Becurrensblut mit dem Blute
Ton Thieren — Affen, Hunden, Katzen — verloren die Spirochaeten
die Beweglichkeit nach 5—14 Stunden, während sie in den Parallel-
versachen im ursprOnglichen reinen Blute bis 4 Tage und länger
beweglich blieben.
Das Hinzumischen von durch verschiedene pathologische Processe
verändertem Blute ttbt auch einen grossen Einfluss auf die Beweg-
üehkeit der Spirochaeten aus. Die Beimischung von gleichen Theilen
septiehämischen Blutes, gleich wie von Blut eines an chronischer
Dysenterie Leidenden hob die Beweglichkeit nach einigen (2 — 4)
Standen auf. Das Blut von Leichen im Paroxysmus verstorbener
Becurrenskranker vernichtete die Beweglichkeit ebenso rasch. Das
Blut eines in Folge von Insufficienz der Bicuspidalis an starkem
Oedem Leidenden in gleichen Theilen dem Spirochaeten enthaltenden
Blute beigemischt, verkfirzte die Beweglichkeit um einige Tage. Die
Beimischung einer gleichen Menge von durch Punction einem an
Lebereirrhose Leidenden entzogener Ascites-FlQssigkeit zu Spirochaete
enthaltendem Blute hob die Beweglichkeit in der Hälfte der Zeit
auf, als solches in demselben reinen Blute der Fall war.
Den Einfluss der hier aufgeftthrten Körper auf die Beweglich-
keit der im Blute ausserhalb des menschlichen Organismus befind-
lichen Spirochaeteü berflcksichtigend erhalten wir folgende Daten:
a) Dass die Spirochaeten ihrer Beweglichkeit beraubt werden
durch Hinzufügen gewisser Quantitäten von Laugen, Säuren und
Salzen zum Blute, durch Einwirkung einiger Gktse und der Elektri-
cit&t, wie auch endlich durch hohe und niedrige Temperaturen.
b) Dass einige Excremente und Secrete des menschlichen Oi^a-
nismos einen grösseren Einfluss auf die Beweglichkeitsdauer der Spi-
roehaeten ausüben als eine entsprechende Menge von destillirtem
Wasser.
c) Auch das Blut von Thieren, von gesunden und kranken Men-
sehen (in einzelnen Fällen), sowie Leichenblut verkürzen die Dauer
der Beweglichkeit.
d) Die Verdünnung des Blutes in bestimmten Verhältnissen mit
200 IX. MOCZUTEOWSKY
sogenannten indifferenten Substanzen verkflrzt die Dauer der Bew^-
lichkeit der Spirochaeten.
e) Die Verdickung des Blutes, sei es durch Beimischung Yon
die Consistenz des Medium beeinflussenden Substanzen, sei es einfach
durch Verdunsten , hebt äusserst rapid die Beweglichkeit der Spiro-
chaeten auf.
Sehen wir jetzt zu, wohin die Anwendung obiger Facta im mensch-
lichen Organismus, dessen Blut (im Anfalle des Securrens) Spiro-
chaeten enthält, führt. Oder stellen wir die Frage anders: Ist es
nicht möglich, vermittelst gewisser Mittel die Beweglichkeit der Spiro-
chaeten aufzuheben, und könnte nicht diese Aufhebung zum Goupiren
des recurrenten Typhus führen? Die Beantwortung dieser Fragen
im positiven oder negativen Sinne ist fttr die praktische Medidn von
grösster Wichtigkeit. Sie bestimmt das Verhalten des Arztes am
Bette des Recurrenskranken, d. h. sie begründet entweder seine ener-
gische Thätigkeit, um die Krankheit zu coupiren, oder aber verur-
theilt ihn, ein passiver Zuschauer des Erankheitsverlaufes zu sein.
Diese Aufgabe hat die volle Berechtigung der Berücksichtigung, da
es entschiedene Fälle von coupirtem Typhus recurrens gibt.
Abgesehen von vielen Angaben in der Literatur kann ich nicht
umhin, darauf zu verweisen, dass es schon im menschlichen Körper
selbst den Krankheitsprocess coupirende Bedingungen geben muss,
d. h. es werden oft Fälle von sehr kurzer Dauer oder von äusserster
Oeringfügigkeit beobachtet; endlich kommt es oft vor, dass ohne
jegliche Behandlung der Process mit einem Paroxysmus endigt, d. h.
es kommt zu keinem Rückfalle.
Zugleich mit dieser Frage eröffnet sich eine andere: Warum
wendet man bei dem Verlangen, den recurrenten Process zu coupiren,
seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Beweglichkeit (das Leben)
der Spirochaeten? Es ist noch nicht entschieden, welche Rolle die
Spirochaeten in diesem Processe spielen — sind sie selbst der An-
steckungsstoff oder erscheinen sie nur als die Träger desselben — ,
in welchem Verhältniss endlich stehen der Ansteckungsstoff und die
Spirochaeten zu anderen im Blute Recurrenter gefundenen Bildungen
(Obermeier'sche Körper, Taf. VL Fig. 3 u. 4«) u. s. w. Dagegen
darf nicht übersehen werden, dass die Erscheinung der Spirochaeten
im Blute Recurrenter mit dem Eintritt des Paroxysmus zusammenfällt,
dass die Fähigkeit, als Impfstoff^) des Typhus recurrens zu dienen,
1) Gentralblatt für die med. Wissenschaften. 1876. Nr» 11.
Rückfallstyphas. 201
nur dem Blute anhängt, d. h. dem Medium, in welchem, wenn auch
in demBelben in einzelnen Fällen die Spirochaeten in den ersten
Tagen der Krankheit nicht beobachtet worden sind, solche aber doch
enthalten sein mttssen, da ihr Erscheinen sogar dem Beginne des
Anfalles (Heidenreich) vorausgeht, femer dass das Impfen mit
apyretisehem Blut nicht gelingt, und endlich dass der Moment des
Yerschwindens der Spirochaeten aus dem Blut mit dem Ende des
Anfalles zusammenfällt* Alles dieses in Betracht ziehend ist es nicht
möglich, die Abhängigkeit des Recurrensprocesses von [den Spiro-
ehaeten zu leugnen.
Ermuthigt durch die kühnen Gaben von Chinin, welche in
letzter Zeit im Typhus (Liebermeister, Jttrgensohn, Binz) an-
gewandt worden, verordnete ich dem Kranken Mitrofan Stepanoffsky,
26 Jahre alt, von kräftigem Körperbau und 64,2 Kilogrm. Gewicht,
am 27. Febr. 1874, am zweiten Tage des vierten Anfalles 4 Grm.
salzsauren Chinins innerlich in zwei Dosen zu je 2 Grm. in einer
Zwischenzeit von V« Stunde. Das Chinin wurde nüchtern und in
200 Grm. Wasser gelöst genommen.
Vor der Chiniugabe bot Stepanoffsky folgendes Bild: Der Allgemein-
lastand sehr gut, der Kranke ist munter und guter Dinge, sogar nicht
bettUgerig, sondern geht im Krankenzimmer umher; der Puls 130, ziem-
lich ?oll, die Zunge stark belegt 18 Athemzüge in der Minute. Die Haut
trocken. Die Temperatur 40,3^ C.
1 V2 Stunden nach der zweiten Gabe begann der Kranke über Schwin-
del, Schwäche in den Fassen und Abnahme der Sehschärfe zu klagen. Der
Pols fiel auf 100, das Athmen wurde oberflächlich — 29 in der Minute.
Die Temperatur fiel um 0,6 0.
Noch eine Stande später trat Klingen und Sausen in den Ohren auf.
Der Kranke verfiel in einen apathischen Zustand, die Reflexthätigkeit war
herabgesetzt. Der Puls fiel bis auf 54 Schläge in der Minute und war
dabei äusserst weich und klein. Die Herzschläge äusserst schwach, die
Lippen cyanotlsch. Oberflächliches Athmen, 28 in der Minute. Tempe-
ratur 38,40 C.
Auf häufige Gaben von Wein hob sich 8 Stunden nach der zweiten
Chiningabe der Puls auf 74 Schläge, die Temperatur auf 39,0 0 C. Der
Rräfleverfall, die Taubheit und der Schwindel hielten aber noch 5 Tage an.
Die Beobachtung der Spirochaete in dem diesem Kranken alle
2 Stunden entnommenen Blute ftthrte mich zu der Ueberzeugungi
dass die Beweglichkeit der Spirochaete während der Chininvergiftung
des Organismus sich in keiner Weise ron der Beweglichkeit der-
selben vor den Ghiningaben unterschied. Den folgenden Tag ver-
doppelte sich die Anzahl der Spirochaeten im Blute und erst am
5. Tage erreichte der Anfall sein Ende.
202 IX. MoozmxowBCT
Die Versuche der Einwirkung dee Chinins auf die Spiroefaaete
ausserhalb des Organismus lieferten das Resultat, dass die niedrigste
Goncentration von Chinin, welche Äusserst schnell die Bewegoug der
Spirochaete aufzuheben im Stande ist, die Iproeentige ist Berech-
nen wir nun, welchen Procentsatz im Verhftltniss zur Blntmasse die
von Stepanoffsky eingenommenen 4 6rm. ausmachen. Die Blntmasse
eines Erwachsenen bildet nach Bisch off den 13. Theil des 6e-
sammtgewichtes desselben. Demnach kommen 4 6rm. Chinin auf
5000 Grm. Blut Es ist aber nicht anzunehmen, dass sämmtliches
Chinin ins Blut übergegangen sei. Welitchkoffsky 0 hat gezeigt,
dass durchschnittlich 17,5 Proc. des eingeführten Chinins mit den
Entleerungen (folglich im therapeutischen Sinne nicht zu yerwerthen)
ausgeschieden werden; somit mussten von 4 Grm. Chinin nur 3,3
ins Blut übergehen, was im Verhältniss zu 5000 Grm. Blut im Ganzen
0,06 Proc. ausmacht. Das heisst, es konnte nur eine solche Quantität
Chinin ins Blut übergehen, welche als mikrochemisches Reagens auf
die Bewegung der Spirochaete ohne Wirkung bleiben musste.
Selbstverständlich wird sich in Anbetracht der ernsten Erschei-
nungen, welche 4 Grm. Chinin auf den Organismus des Kranken
hervorriefen, kaum Jemand entschliessen, die Gabe zu verdreifachen,
nur um sich zu überzeugen, ob eine Quantität, welche auf dem Ob-
jectgläschen ziemlich rasch die Spirochaeten tödtet, die Beweglich-
keit derselben im menschlichen Organismus vernichtet Nimmt man
nach Engel an, dass erst eine 0,5procentige Chininlösung auf die
Spirochaeten einwirkt, so müsste man zum Zwecke des Coupirens
eines Recurrensanfalles noch mehr geben, d. h. über 30 Grm. ; nach
Berechnungen von Bochefontaine ^) aber müssten zur Vemichtang
der Malaria -Vibrionen im menschlichen Organismus etwa 80 Orm.
eingeführt werden.
Folglich ist die auf praktische Beobachtungen sich stützende
Meinung (Binz, Lebert, Unt erb erger), dass der Recurrenspro-
cess durch Chinin nicht zu coupiren sei, vollständig richtig.
Dasselbe wiederholt sich bei Stry chnin. Um die Spirochaeten
ihrer Beweglichkeit durch mikrochemische Reaction zu beraaben,
bedarf man 0,008 Proc. Strychnin. Demnach bedarf man auf 5000
Gramm Blut 0,4 Grm.
Das Jodkalium, welchem Willebrandt und Sauer^) auch
t ) Materialien zur Pharmakologie des Salzsäuren Chinins. Diss. inaug. (mss.).
St. Petersbuig 1876.
2) Arch. de Physiolog. norm, et pathol. Jnület 1873.
3) Ungar. Zeitschrift. 1860. XL 6.
RackfiülBtyphiu. 203
eine antimiasinatiBebe Wirkung zuBchrieben und welchem Lieber-
meiflter in der neuesten Zeit eine speeifisohe Wirkung auf den Ab-
dominaltyphua zuerkennt, erwiee sieh bei den mikrochemisehen Ver-
8Qehen als eines der empfindliehsten Beagentien; denn sehen 0,05
Prooent desselben genügen, um die Spiroohaete augenblicklich zu
tödtOD. Bei aller Schnelligkeit der Ausscheidung des Jods ails dem
Organismus [nach HeubeP) wurden im Verlauf von 2 Stunden ^/s
der in den Magen eingeführten Quantit&t durch. den Harn ausge-
schieden] ist es doch im Stande, sich im Blute in bedeutenden Quan-
titäten anzusammeln. Die auf Qrund der yon Heu bei angegebenen
ZaUen gemachten Berechnungen beweisen, dass das Jodkalium im
Blate im Verhältniss von 0,02—0,2 Proc. zurflckgehalten wird, somit
in Tollständig genügender Menge, um die Bewegung der Spiroohaeten
in Temiehten. Zur Erhaltung aber eines solchen Procentverhältnisses
des Jodkalioms im Blute müsste man (nach Heu bei) dieses Prä-
parat dem thierischen Organismus etnftthren in dem Verhältniss zum
Körpergewicht wie 1 : 1700 bis 1 : 300. Daraus ergibt sich, dass zur
Erreichung obigen Zweckes ein menschlicher Organismus von 65 Kilo-
gramm eine Gabe von 38 — 217 Grm. Jodkalium nehmen mttsste.
In meinen Fällen habe ich in einer Gabe nicht mehr als eine
halbe Drachme eingeführt; die Spirochaeten zeigten im Verlauf der
ersten 4 Stunden durchaus keine anormalen Erscheinungen« Die
Jodieaction im Urin zeigte sich in einem Falle erst nach 40 Minuten,
in den flbrigen Fällen nach 10 — 25 Minuten und verschwand erst
nach 3 Tagen.
* Die Salicylsäure. Zu den Versuchen wurde das Präparat
der Ton Heyden'schen Fabrik (in Dresden) benutzt. Man gab die
Salicylsäure in steigender Dosis an verschiedenen Tagen des Anfalles.
leh bin bis zu Gaben von 3 — 4 Grm. gestiegen, welche stttndlich
wiederholt wurden. Zweimal nach Einffihrung von 15 und 18 Grm.
trat«! 3>^~5 Stunden nach der ersten Gabe Intoxicationsersehei-
nungen auf, welche sich in folgenden Symptomen äusserten : bis zur
Taubheit führendes Ohrensausen, Unruhe, tiefe und frequente Athem-
zQge, weicher langsamer Puls und Abfall der Temperatur um 1^.
Vor Allem muss ich vorausschicken, dass die von mir benutzte
Salicylsäure sich nicht, wie Hey den behauptet, in 300 Theilen
Wasser bei Zimmertemperatur von 14<^ B. ISste, sondern erst in
500 Theilen. Die Salicylsäure gehört zu den Körpern, welche sehr
1) Ueber das Verhalten verschiedener Körperorgane zor Jodkalium-Besorption.
I>i88eit. Dorpat 1865.
204 IX. MOCZUTKOWSKT
leicht ch^misoh nachgewiesen werden können und ftuBserst rapid
vom Magen aufgesogen werden. Ich überzeugte mich an mir selbst,
dass man sie nach einer bei nüchternem Magen genommenen Dosis
von Vs Gtrm. nach 10 Minuten im Harne nachweisen kann. Sie bleibt
proportional der eiageftthrten Menge im Organismus nachweisbar:
8 Grao sind schon nach 4 Stunden nicht mehr nachweisbar,
20|,„|, „36 „ n n n
«'^ » » » » ^ö nun n
60 „ ^ n n 90 „ „ „
Bei fiebernden Kranken wird die Salicylsfture um Vs der Zeit
schneller aus dem Organismus ausgeschieden.
Aus den Versuchen auf S. 196 ist zu ersehen, dass erst 0,2 Proc.
Salicylsäure im «Blute zur Aufhebung der Beweglichkeit der Spiro*
chaeten führen. Demnach muss ein menschlicher Organismus von
63 Kilogrm. Gewicht im bestimmten Moment 9^5 Grm. Salicylsäure
enthalten. Um mich davon zu überzeugen, ob wirklich eine solche
Quantit&t dieses Körpers ins Blut übergehen kann, machte ich Paral-
lelversuche, indem ich zum Harn Gesunder und Fiebernder, wie auch
zu destillirtem Wasser verschiedene Quantitäten Salicylsäure hinzu-
setzte und nach der Färbung der erhaltenen Beaction auf die an-
nähernde vom Blute aufgenommene Salicylsäuremenge schloss.
Es zeigte sich, dass der 0,2procentige Gehalt derselben in destil-
lirtem Wasser sehr leicht nachweisbar und durch Hinzusetzen von
Liquor ferri sesquichlorati eine ziemlich intensive violette Färbung
der Flüssigkeit entsteht 0«
Ein 0,2procentiger Salicylsäure-Gehalt im Harn gibt eine deut-
liehe violette Färbung ; der V2 Stunde nach der Aufnahme von 12 Grm.
Salicylsäure (im Verlauf von 4 Stunden) gelassene Urin zeigt aber
eine bedeutend dunklere Färbung. Folglich kann man, nach der
Reaction des Harns urtheilend, wenn die Salicylsäure nur unverän-
dert durch den Harn ausgeschieden wird (Tb i er seh 2), Bus 8^),
Binz^), Keller^)), annehmen, dass mehr als 9,5 Grm. ins Blut
1) Um die Intensität der F&rbung zu prüfen, nahm ich im Probiiglftschen
immer eine bestimmte Qa&ntit&t (3 Gem.) der zu untersuchenden Flüssigkeit (Htm,
Wasser) und fügte einen Tropfen Liquor ferri sesquichlorati hinzu.
2) Sammlung klin. Yortrftge von Volkmani^ ]Nr. 84, 85.
3) Zur antipyret Bedeutung der Salicylsäure und des salicylsauren Natrons.
Stuttgart 1876.
4) Berliner klin. Wochenschrift XUI. 27. 1876.
5) Med. Centralblatt XIY. 32. 1876.
RackfaUstyphoB. 205
flbergüstwsoi^ i ^- ^- ^^^^ gröasere Quantität , als zur Aufhebung der
Beweglichkeit der Spirochaeten ausserhalb des menschlichen Organis-
mus nöthig ist; dem entgegen hat die Einführung noch grösserer
Qttantitiiten dieses Körpers durchaus keine Wirkung auf die sich im
kranken Menschen bewegenden Spirochaeten. Die Einführung von
grossen Quantitäten Salicylsfture kürzen nach Fttrbringer und
Schnitze Oy Fischer und RiegeP) den Verlauf des Typhuspro-
cesses nicht ab, auch nach Unterberger blieben grosse Dosen des-
selben, welche Kindern im Recurrens gegeben wurden^ ohne Wirkung.
Abgesehen Yon der geringen Anzahl der angewandten Mittel ist
die Reihe dieser Versuche doch von grösster Wichtigkeit Sie setzt
ans in den Stand, den Schluss zu ziehen» dass einige von den Mit-
teln, welche gewöhnlich bei der Behandlung Typhöser zum Zwecke
des Coupirens des Processes angewandt werden, nicht in der Pro-
portion verwendet werden können , in welcher sie die Spirochaeten
tödten, weil eine solche Quantität dieses Mittels schädlich einwirken
mfisste auf einen menschlichen Organismus, welcher ein gflnstiger
Boden ffir die Entwicklung des recurrenten Typhus geworden. Andere
Mittel (die Salicy Isäure) , in den Organismus sogar in einer solchen
Menge eingeführt, dass sie in grösserem Procentverhältniss ins Blut
flbergehen, als solches zur Aufhebung der Beweglichkeit der Spiro-
chaeten ausserhalb des menschlichen Organismus nöthig ist, äussern
keine bemerkbare Wirkung auf die Spirochaeten und coupiren den
Feenrrenten Typhusprocess nicht.
Wir müssen daher den Gedanken aufgeben, den Recurrenstyphus
ZQ coupiren, und zwar nicht nur mit den erwähnten Mitteln, sondern
auch mit einigen anderen, wie Creosot, Chlorwasser, Kali hyper-
manganicnm, Natrum chloratum, bezQglich welcher die Versuche
weniger umständlich vorgenommen, welche aber in Dosen gegeben
wurden, die den heftig wirkenden nahe kamen.
Obgleich die letzteren Versuche wegen Mangel an Zahlen die
Anforderungen der Experimental- Pharmakologie nicht vollkommen
befriedigen, so haben sie fttr den praktischen Arzt immerhin einige
Bedeutung und in Anbetracht des beschränkten Feldes des Experi-
mentes am Krankenbett fuhren sie zu der Ueberzeugung , dass das
Conpiren eines Recurrensanfalles vermittelst gewisser in den Grenzen
erlaubter Dosen angewandter Mittel nicht möglich ist. Zu diesem
Schlosse sind übrigens einige praktische Aerzte schon lange gekom-
1) Dieses Archiv. Bd. XVIII. Heft 2 a. 3.
2) Deutsche Zeitschrift für prakt Med. 1875. 50.
206 IX. MOGKOTKOWSKT
men. Das ist wieder eines von den vielen Beispieleni wo die Em-
pirie der Praxis die Fortsehritte der Untersnchnngen im Laboratorium
ttberholt hat.(Haeter).
Ueberzengt von der chemiseben Wirkungslosigkeit der Mittel aof
die Spirochaeten im Innern des kranken Menschen mttssen wir die
Mögliohkeit des Coapirens des Typhus wo anders Sachen nnd zwar
in den Bedingungen, welche den Process im Organismus selbst coa-
piren. Vor Allem kommt uns der Gedanke: spielen in diesem Falle
nicht diejenigen Veränderungen des Blutes eine grosse Rolle, welche
in demselben unter dem Einfluss der Krankheit selbst vollxogen
werden? oder anders gesagt: wird das durch den Einfluss des recur-
reuten Typhusprocesses veränderte Blut nicht selbst ein ungünstiger
Boden nicht nur für die Entwicklung, sondern auch für die weitere
Existenz der Spirochaeten?
Vorerst muss ich bei der in der letzten Zeit in die Wissenschaft
eingeführten Hypothese stehen bleiben; ob nicht die hohe Temperatur
während des Anfalles des Recurrenstyphus die nächste Ursache des
Verschwindens der Spirochaeten aus dem Blute sei? Gegen die Ent-
scheidung dieser Frage im positiven Sinne, wie Heidenreich es
gethan, kann ich folgende Thatsachen anführen:
1. Es kommen Paroxysmen mit sehr hoher Durchschnitts-Tem-
peratur, z.B. 40,6<^C. (Taf. VI. Anfall 2) vor, wo man im Blate
sehr viele Spirochaeten fand, und umgekehrt, wo bei massiger mitt*
lerer Temperatur ihrer nur wenige zu finden waren. Ich sehe mich
genöthigt, auf die letztere Art der Anfälle etwas näher einzugehen,
da dieselben nicht genau genug beschrieben worden und nur von
einigen Autoren ihrer nebenbei Erwähnung gethan wird (Bern-
stein 0» Pastau^)).
In der Reihe der verschiedenartigen Anfälle von Typhus recarrenfl
begegnen uns sogenannte „no vollständige '^ Anf&Ue. Sie charakteriuren rieh
meistens durch ein rapides Steigen der Temperatur, bis 39<^, zuweilen 4PC.,
durch eine sehr kurze Dauer des Verlaufes, von einigen Stunden bis za
einem Tage, und durch rapides Abfallen der Temperatur bis zur Norm
oder unter dieselbe (Litten« Wyss nnd Bock 3) U.A.); dabei worden
nicht immer Spirochaeten gefunden. Man beobachtet aber auch derartige
Anfälle, welche sich von den gewöhnlichen durch eine sehr geringe HGbe
der Temperatur auszeichnen. Ich hatte zwei derartige Fälle:
1. Fall. Awdotja Emeljanowna trat am 25. Januar 1875 in das
Odessaer städtische Krankenhaus (Abtheilnng fflr typhöse Kranke). PatieatiD
1) Medizinsky Wjestnik. 1864. 28, 29.
2) yirchow*8 Archiv. XLYII. 2, 3, 4.
3) Studien Aber Febris recurrens. Berlin 1869.
Rflck&Ustyphas. 207
Ist etwa 30 Jahre alt, im höchsten Grade blatarm, schwach und abgezehrt
3ie flberstand ohne jegliche Complicationen die gewöhnlichen AnflUlle des
Typhi» recnrrena (Taf. VL Gurre 1), so dass ich es fflr (Iberflttssig halte,
sie genauer zu beschreiben. Nach dem dritten Anfalle verblieb die Eme-
Ijuowna in Folge der sich im höchsten Grade entwickelt habenden Schwäche
im Krankenhause. Da am 1. Mftrz die Temperatur bis. zu 37,9<^ C. stieg,
10 erweckte sie in mir den Verdacht der Annäherung eines vierten Anfalles.
In Folge dessen und in Anbetracht der mich damals interessirenden Frage,
io welchem Moment des Anfalles die Spirochaeten auftreten, unterwarf ich
du Blut der mikroskopischen Untersuchung ^).
Trotz der aufmerksamsten Untersuchung des am 2. März entnommenen
BIntes fand ich keine Spirochaeten^ aber im am 3. März entnommenen Blute
kamen 2 oder 3 auf jedes Sehfeld. Im Verlauf der folgenden Tage wurden
wieder keine Spirochaeten gefunden. Der ganze Anfall zeichnete sich durch
eJDe massig feuchte Haut, leicht belegte Zunge und Abwesenheit der Muskel-
sehmerzen aus, an Stelle der letzteren gab sich nur grosse Schwäche der
Extremitäten zu erkennen. Patientin hatte keinen Durst und verlor auch
nicht den Appetit Der Puls war klein und frequent (von 104 — 120 in
der Minute). Die Milz erschien fast von derselben Grösse, wie sie sich
am 4. Tage der 3. Apyrezle bei der Untersuchung dargeboten, aber merk-
lich kleiner wie zur Zeit des dritten Anfalles.
Vom 4. bis zum 14. März nahmen die Kräfte der Kranken erfreulich
zn und bereitete sie sich schon vor, das Krankenhaus zu verlassen, als
eine neue abendliche Temperatursteigerung mich veranlasste, aufs Neue das
Blot zu untersuchen. In dem am 15. entnommenen Blute sah ich im Ver-
lauf einiger Minuten ganz deutlich zwei sich sehr rasch bewegende Spiro-
chaeten. Im Verlauf der folgenden 4 Tage fand ich keine. Die Kranke
verliess das Krankenhaus und ihr weiteres Schicksal ist mir unbekannt.
2. Fall. Matrena Zubova, 56 Jahre alt, trat am 12. Mai 1875 in
dieselbe Abfheilung des Odessaer städtischen Krankenhauses. Die beiden
ersten Anfälle zeichneten sich aus durch eine besonders hohe Temperatur,
durch einen vollen zwischen 94 — 116 in der Minute zählenden Puls, trockene
Haut, trockene Zunge, heftigen Durst, Phantasiren in der Nacht und durch
massenhafte Spirochaeten im Blute. Am ersten Tage z. B. des zweiten
Anfalls konnte man in jedem Sehfelde 3 — 4 Spirochaeten wahrnehmen. Am
letzten Tage desselben Anfalles waren ihrer 60 und mehr ; hin und wieder
begegnete man sie zu Knoten verflochten. Am Vorabende der Krisis des
2. Anfalles trat trockener Husten auf. Am ersten Tage der 2. Apyrexie
wurde im hinteren Theile des unteren Lappens der rechten Lunge Dämpfung
nachgewiesen. Daselbst auch geschwächtes Athemgeräusch. Am folgenden
Tage leichter Auswurf und an Stelle der Dämpfung Subcrepitation. In
der linken Lunge normales Athemgeräusch. Die Kranke ist fortwährend
im Schweiss. Der Puls schwankt zwischen 108 und 120 Schlägen in der
Minute. Die am 31. Mai (Taf. VII. Curve 2) Abends erfolgte Steigerung
der Temperatur bis zu 38^ C. veranlasste mich, die täglichen Untersuchungen
1) Die Tage, an welchen auf Sphrochaeten untersucht wurde, sind auf der
Tafel angegeben: X bezeichnet, dass Spirochaeten gefunden wurden, — dass sich
keine fanden.
208 IX. MOGZCTFKOWSKT
des Blutes der Kranken vorzonehmen. Am 1., 2. und 4. Juni wurden
nur in geringer Zahl (1 oder 2 im Sehfelde) Spirochaeten beobachtet, nur
am 5. waren ihrer 10 und mehr. Bis zum 12. Juni wurden wieder keine
Spirochaeten wahrgenommen. Im Verlaufe der letzten Tage machte sich
häufigeres Husten und deutliches Geringerwerden des Auswurfs bemerkbar.
In der Snbscapnlargegend der linken Thoraxhälfte wies man am 12. Juni
Dämpfung, bronchiales Athmen und daselbst verstärkten Fremitus Yoealis
nach. Die Kranke fuhr fort, mehrere Mal am Tage zu schwitzen. Am
14. und 15. Juni stieg die Temperatur ziemlich hoch^). Das am 16. and
17. gesammelte Blut iiess nur mit Mtthe Spirochaeten (kaum eine auf 5
bis 6 Sehfelder) auffinden. Darauf folgte bei freiem Auswurfe sehr schnell
Genesung.
Im Grunde sind somit die Zeiträume vom 1. bis 4. und vom 14. bis
16. März im ersten Fall, sowie die vom 31. Mai bis zum 6. Juni und vom
14. bis zum 18. Juni im zweiten Falle Paroxysmen des Typhus recurrens,
welche sich von den gewöhnlichen Anfiälien nnr durch geringere Intensität
auszeichnen. Diese Art der Anfälle zieht nicht die Aufmerksamkeit der
Beobachter auf sich, wahrscheinlich theils weil die Patienten sich beeilen,
das Krankenhaus zu verlassen, theils weil die nicht sehr hohen Temperatar-
grade dnrch die von den Complicationen abhängenden Temperaturen maskirt
werden (mein 2. Fall).
Es ist sehr möglich, dass die von einigen Autoren während der Apyrexie
beobachteten Spirochaeten sich auf derartige Anfillle beziehen.
2. Als zweite Widerlegung der Heidenreich'sohen Theorie
dient die Thatsache, dass die Spirochaeten ausserhalb des mensch-
lichen Organismus bei einer höheren (48<^ C.) Temperatur leben, wie
solche der Organismus in der Zeit des Recurrensanfalles (42|5^ nach
Obermeier*)) erreicht.
3. Wenn der Schluss Hei d eure ich's richtig wäre, so mOssten
im Recurrens intermittens unter dem Einfiuss der hohen Temperatur
der Paroxysmen des letzteren die Spirochaeten untergehen, was nicht
der Fall ist.
4. Ebenso mttssten auch die abendlichen Temperatursteigeran-
gen, welche zuweilen gegen die Morgentemperatur einen Unterschied
von 3<^C. (Pribram und Bobitsohek^)) erreichen, zerstörend auf
die Spirochaeten einwirken und es mttsste sich zu der Zeit oder
wenigstens am Morgen die Zahl der Spirochaeten vermindern, was
nicht immer stattfindet, wie solches aus der 65. Beobachtung Hei-
denreich's (S. 102, 103 seiner Dissertation) zu ersehen ist
1) Das an diesen Tagen entnommene* Blut wurde nicht untersucht, da die
RChrchen, in welchen dieses Blut aufbewahrt worden war, verloren gingen.
2) Virchow'8 Archiv. XLVII. 2, 3, 4.
3) Studien über Febris recurrens. Prag 1869.
RackfallBtyphiiB. 209
5. Die Theorie Heidenreich's erklftrt nicht die Ursache des
Versehwindens der Spirochaeten am Ende des Anfalles in {solchen
Fällen, die ohne eine Krisis mit vorhergehender starker Steigerung
und darauf folgendem rapiden Abfall der Temperatur ablaufen, son-
dern wo der Anfall in Form eines allmählichen Abfallens der Tem-
peraturlysis (Taf. VI, Curve 1, Anfall 1) in die Apyrexie übergeht
6. Unerklärt bleibt desgleichen die Ursache des Versehwindens
der sehr grossen Anzahl von Spirochaeten in Anfällen, welche sich
dareh keine hohe Temperatur auszeichnen.
Nachdem ich also darauf hingewiesen, dass die hohe Temperatur
nieht den Hauptfactor beim Zugrundegehen der Spirochaeten spielt,
bleiben nur noch die chemischen Veränderungen des Blutes zu be-
rfleksichtigen ttbrig. Dank der Sparsamkeit, welche der heutige Arzt
anf das Blut des Kranken verwendet, sind bis jetzt weder chemische
Analysen, noch Spectralanalysen des Blutes Recurrenter in den ver-
schiedenen Stadien des Krankheitsveriaufee gemacht worden. Wir
mflasen uns auf die kärglichen Thatsachen, welche uns noch aus der
Hamoralperiode geblieben, beschränken, nach welchen das Blut in
entzündlichen Krankheiten reicher an Fibrin und weissen Blutkör*
perehen, dicker und klebriger wird. Ueber die Veränderungen des
Bluteb im Typhus recurrens haben wir noch weniger Facta. Man
nimmt eben hier dieselben Veränderungen, wie in anderen fieber-
haften Krankheiten, an: Vermehrung des Fibrins, Anhäufung von
Sahen und Verringerung des Wassergehalts (Obermeier).
Die einzelnen Veränderungen bei Seite lassend, constatire ich
das von Allen anerkannte Factum der Verdickung des Blutes Recur-
renter. In der That — die reichlichen Verluste des Organismus an
Flüssigkeit in Form von Schweiss, wie auch in Folge des fieber-
haften Processes selbst, in dessen Verlauf der Organismus zuweilen
gegen V& seines Gewichtes (Ob er m ei er ^)) verliert, mttssen haupt-
sächlich auf den Wassergehalt des Blutes fallen. Selbstverständlich
mufls sich das letztere verdichten, das Procentverhältniss der anderen
Beatandtheile aber deutlich verändern.
Die Verdichtung des Blutes zur Zeit des Schweisses und das
Verschwinden der Spirochaeten aus dem Organismus in derselben
Periode als Facta hinstellend, mttssen wir den Gedanken des Ein-
flusses der Conststenz der Lösungen auf die Dauer der Beweglichkeit
der Spirochaeten festhalten. Versuche, dem Blute Korper hiniuzn-
mischen, welche dasselbe verdicken, rechtfertigen vollständig diese
1) Virchow'B Archiv. XLVII. 2, 3, i.
Deauehw AfchlT f. kUn. Medlctn. XXIV. Bd. U
210 TL M0GZOTKOW8KT
YoraaBsetzung : Olycerin, Zucker, Ei weiss, Speichel hoben um so
schneller die Beweglichkeit der Spirochaeten auf, je mehr von ihnen
eine Verstärkung der Verdichtung abhing. Die Grenze der Verdich-
tung zu bestimmen, bei welcher durchschnittlich das Blut ungflnstig
für die Beweglichkeit der Spirochaeten wird, ist mir bis jetzt nicht
gelungen, aber ich bin gegenwärtig mit der Erforschung dieser Frage
vermittelst des Haro'schen Apparates beschäftigt
Um auf experimentellem Wege die Richtigkeit der Voraussetzung
des Einflusses der Blutverdickung auf die Beweglichkeit (die Lebens-
fähigkeit) der Spirochaeten zu verificiren, unternahm ich eine Reibe
von Versuchen, welche darin bestanden, dass man künstlich einen
Theil der Flüssigkeit aus dem Organismus ausschied und dabei nach
Möglichkeit die Aufnahme von Flttssigkeit verringerte. Erreicht wurde
es durch das Schwitzen in nassen Laken und durch innere Gaben
von Jaborandi,
Zur Bestimmung dessen," coupirt ein gewisses Mittel den Anfall
oder nicht, ist es vor Allem nothwendig, die mittlere normale Dauer
jedes keiner Behandlung unterworfen gewesenen Anfalles zu be-
stimmen.'
Aus meinem Material habe ich folgende Daten erhalten:
Von 26 ersten Anfällen kamen durchschnittlich auf jeden 6^/4 TageM.
„ 33 zweiten « . „ » » » öVt »
n 38 dritten « „ „ « » 3V4 .
Die erhaltenen Ziffern kommen den von Litten angeführten sehr
nahe; er fand als mittlere Dauer:
fdr den ersten Anfall 7 Tage,
, „ zweiten » 5 „
n » dritten „ 3 ,
unterscheiden sich aber von denen Wyss und Bock's, welcbe
fflr den ersten Anfall als mittlere Dauer 5,8 Tage,
n n zweiten « « n I, 3,5 „
fanden.
Diese Unterschiede sind möglicherweise Folgen der Eigenthfim-
lichkeit, durch welche sich jede Epidemie auszeichnet
Ich habe 9 Beobachtungen von Einwicklungen in nasse LakeUi
von welchen sich 1 auf einen ersten Anfall, 5 auf zweite und 3 auf
dritte Anfälle beziehen. Der Gewichtsverlust in Folge des Schwitzens
in nassen Laken überstieg niemals 2000 Grm. und erreichte mit
1) Als ftussente Grenzen eines Anfalles wurden angenommen: als Anfang dts
Gefühl des ersten Frostes oder der allgemeinen Schwäche (Abgeschlagenheit) und
als Ende des Anfalles der Moment des Auftretens des kritischen Schweisses.
Rttckiallstjpbiis. 211
dem durch den Anfall gelbst hervorgerufenen Verlast gegen 3000 Qrm.
Die Einwicklangen dauerten gewöhnlich nicht weniger als 2 und
niebt mehr als 4 Stunden. In 4 Fällen nahm die Zahl 'der Spiro-
ehaeten merklich (fast um die Hälfte, in einem Falle von 20 auf 6)
ab, in 2 Fällen verschwanden sie ganz, in 3 erschienen sie am fol-
genden Tage aufs Neue.
Unter dem Einflüsse der Einwicklungen war die mittlere Dauer
des zweiten Anfalles 4 Tage,
« dritten , 23/4 „
Jaborandi würde in der Gabe von 1 Drachme 10 Kranken ge-
geben: 2 im ersten Anfalle, 5 im zweiten und 3 im dritten. Der
Gewichtsverlust in Folge des Schweisses und Speichelflusses schwankte
Kwischen 900 und 1700 Grm. und erreichte mit dem Verluste in Folge
des Anfalles 2500—3200 Grm. Die Spirochaeten gingeif in 3 Fällen
während des Schweisses zu Grunde, in einem dieser Fälle erschienen
sie am folgenden Tage aufs Neue, in 7 Fällen verschwanden sie erst
am folgenden Tage bei erneutem Schweisse ganz aus dem Blute.
Unter dem Einflüsse von Jaborandi ist die mittlere Dauer
des zweiten Anfalles 3^/4 Tage,
„ dritten , 2Vi »
Ich bin der Meinung, dass man die gleichen Resultate auch bei
fortdauerndem Gebrauch von Abführmitteln erhalten könnte. Ich hatte
keine Gelegenheit diese Methode zu beobachten, aber es wird in der
Literatur angeführt, dass sehr oft dem Ende des Anfalles Durchfall
Toraosgeht; zuweilen vertritt er die Stelle des Schweisses (Dja-
tscbemko ^)). Tritt der Durchfall nicht als Ursache der Abkürzung
des Erankheitsverlanfes des Recurrens auf? Es Hesse sich dann der
TonGriesinger angeführte Nutzen der Abführmittel beim Recurrens
erklären.
Die angeführten Beobachtungen zeigen, dass man zu einer be-
liebigen Zeit den Process des Typhus recurrens nicht coupiren kann.
Alles was gelingen kann, ist den Anfall abzukürzen und auch dies
in keinem bedeutenden Maasse. Diese Abkürzung erreicht man durch
Bolebe Mittel, welche das Blut derart verändern (verdichten), wie
solches systematisch durch Krankheitsprocesse selbst geschieht.
Auf Kosten welcher Bestandtheile des Blutes diese Verdichtung
za Stande kommt, werde ich nach Beendigung dieser Untersuchun-
gen mittheilen.
t) Medizinsky Wjestnik. 1875. No.45.
14*
212 IX. MOCZUTKOWSKT
III.
Die Ansicht Griesinger's über das biliöse Typhoid, welche
derselbe auf Grund seiner Beobachtungen in Gairo im Jahre 1851
aufgestellt hatte ^), hat sich ziemlich lange in der Literatur erhalten.
Griesinger verstand unter biliösem Typhoid die schwere oder
länger dauernde Form desselben Processes, welcher der Febris recur-
rens zu Grunde liegt. Indem er dieser letzteren eine noch grössere
Ansteckungsfähigkeit beilegt, als dem exanthematischen Typhus, be-
hauptet Griesinger vom biliösen Typhoid , dass dessen Ansteck-
ungsfähigkeit nicht über jeden Zweifel erhaben sei. Er hatte zwar
selbst keine Gelegenheit, sich dayon zu ttberzeugen, aber anderea
Beobachtern waren Facta begegnet, welche zu Gunsten seiner Be-
hauptung siftrechen. Dies veranlasste Griesinger, das biliöse Ty-
phoid als eine Krankheit sui generis aufzufassen. Derartige Anschau-
ungen über das biliöse Typhoid erhielten sich bis in die neueste Zeit
Schon im Jahre 1865 hat sich Erichsen^) fttr die Selbständig-
keit beider Krankheitsformen, sowohl des biliösen Typhoids, als des
Typhus recurrens ausgesprochen, und in dem besten Werke der Neu-
zeit, in Ziemssen's Handbuch der Pathologie^) sagt Lebert in
seiner Arbeit über das biliöse Typhoid, es sei für ihn bis jetzt noch
keineswegs entschieden, ob diese Krankheit und die Febris recurrens
nur besondere Formen eines und desselben Processes seien, oder ob
dieselben nicht vielmehr, wenn auch einander ähnlich, im Grunde
ganz verschiedene typhöse Processe darstellen, und dass er, solange
nicht gewichtigere Beweise vorgebracht werden, sich auf Seite der
Gegner der Identitätslehre stellen muss. Als Grund fttr diese An-
schauungen dienen Lebert folgende Betrachtungen:
1. Es kommen Epidemien vor (in Irland), wo das biliöse Typhoid
nicht gleichzeitig mit dem Typhus recurrens, folglich absolut selb-
ständig auftritt (Goodsirj.
2. Die Mortalität ist beim biliösen Typhoid bedeutend grösser
als bei der Recurrens.
3. Während die Febris recurrens niemals den Charakter einor
„ Recurrens " verliert, zeichnet sich das biliöse Typhoid durch seinen
continuirlichen Verlauf aus und nimmt nur bisweilen den Charakter
einer Recurrens an.
4. Die geographische Verbreitung des biliösen Typhoids ent-
1) Archiy fttr physioL Heilkunde. 1853. XII.
2) Deutsche Klinik. 1865. Nr. 49, 50.
3) Bd. U. 1. TheU und Dieses Archiv. Bd. VI.
Rackfallstyphas. iVi
spricht nicht der Verbreitung der Reearrens, denn es wird das biliöse
Typhoid an Orten getroffen, wo niemals Secarrens vorkommt.
5. Leber t nimmt an, dass das Wesen der Vorgänge beim
biliösen Typhoid in der Wirkung eines besonderen infectiösen Agens
besteht, welches sich nicht durch unmittelbare Ansteckung weiter
Terbreitet
Hieraus scbliesst Lebert, dass die leicht ansteckende Febris
recurrens und das biliöse Typhoid, dessen Ansteckungsfähigkeit noch
iweifelhaft, nichts Gemeinsames haben.
Ich werde mich bemühen, die Ansichten Lebert's zu wider-
legen, indem ich die Beweise fttr meine vollständig entgegengesetz-
ten Anschauungen liefere.
Erst in der letzten Zeit hat man in der in> und ausländischen
Literatur (Heidenreicb [I.e.], Affanasjeff ^)) die Ansicht ausge-
sprochen, die sich hauptsächlich auf klinische und pathologischana-
tomische Beobachtungen gründete, dass nämlich der Typhus recurrens
und das biliöse Typhoid nicht von einander getrennt werden dürfen.
Bei der Darstellung des klinischen Bildes finden wir ausserordent-
lich viel gemeinschaftliehe Züge bei beiden Erankheitsformen.
Ich beschränke mich darauf, den Verlauf der einen und der
andern Form in allgemeinen Umrissen zu zeichnen. Fehlen der Pro-
dromalerschetnungen, rasches Auftreten des eigentlichen Krankheits-
anfalles : Frost, Kopfschmerz, Ohrensausen, apathischer Zustand, Auf-
treten von Hitze mit hohen abendlichen Exacerbationen, ein häufiger,
voller und gespannter Puls, feuchte, bisweilen trockene Haut, Fehlen
einer Roseola, Durst, belegte feuchte Zunge und heftige gastrische
Erscheinungen (Uebelkeit, Erbrechen), rapide Vergrösserung der Milz
bis zu bedeutendem Umfaag, Vergrösserung der Leber und überaus
heftige Huskelschmerzen — das sind die Anfangssymptome, die beiden
Krankheiten gemeinsam sind. Erst nach 4—6 Tagen, in dem Falle
nämlich , wenn Icterus hinzutritt , ändert sich das Bild vollständig :
die Gewebe sind icterisch verfärbt; — im Urin erscheinen Gallen-
bestandtheile , die Zunge wird trocken, der Puls wird weicher und
Tcrlangsamt sich, oder aber er wird beschleunigt und dabei sehr
klein, das Bewusstsein geht verloren, es beginnen Delirien, Koma,
Krämpfe, blutige Ausleerungen. In diesem Stadium kommt es zu
folgenden Ausgängen: entweder tritt rasch der Tod ein, oder aber
es folgt nun mit einem Male, unerwartet« eine Besserung, unmittel-
bar nach einem Schweisse, oder auch ohne solchen, wobei die Tem-
\} Eine Recurrensepidemie in Kiew. 1868.
214 IX. MOCZUTKOWSKY
peratur plötzlich abfällt, die Milz rasch zum normalen Umfang zurflck-
kehrt (bisweilen innerhalb eines einzigen Tages): Nach 2 Tagen
vergehen die Kopfschmerzen nnd der Kranke ist Reconvaleseent
Nach einigen Tagen kann sich derselbe Vorgang wiederholen, wobei,
wenn der Icterus bis dahin nicht völlig geschwunden ist, von nenem
eine Exacerbation eintritt Den zweiten Anfall überleben nach
Griesinger die Kranken sehr hänfig nicht
Anstatt dieser raschen Wendung nimmt die Krankheit zuweilen
einen schleppenden Verlauf und diese F^lle sind es, bei denen am
häufigsten Complicationen (Pneumonie , Urämie, Pericarditis, Leber-
und Milzabscesse , Diphtherie des Tract intest.) beobachtet werden,
von denen dann in erster Linie der Ausgang abhängt Tritt Wie-
dergenesung ein, so erfolgt sie nur ganz langsam. Das sind die
Bilder des biliösen Typhoids, wie sie Griesinger gezeichnet und
Lebert copirt hat
Was nun die Febris recurrens betriflft, so kehre ich zu dem Mo-
ment zurück, in dem ich sie verlassen habe, d. h. zum 4. — 6. Tsge;
in dieser Zeit, oder vielleicht noch 2—3 Tage später macht er seine
gewöhnliche Krisis durch ; hierauf tritt die Apyrezie ein, nach dieser
der 2. Anfall mit derselben Reihenfolge der Erschrinungen, wie bdm
ersten, hierauf der 3., 4., ja bisweilen 5. Anfall.
Es kommt vor, dass das biliöse Typhoid unter dem Bild einer
leichteren Form verläuft, oder in seinem Verlauf unterbrochen wird
(Griesinger). In diesen Fällen gleicht es sehr jenem Krankheits-
bilde ^ das man Recurrens biliosa genannt hat, d. h. einer Febris
recurrens complicirt mit Icterus«
Hieraus ist ersichtlich, dass bezüglich des klinischen Bildes, wie
dies auch Kernig^) bemerkt, beide Krankheiten einen gemein-
samen Typus haben, der sich nur beim biliösen Typhoid in Fol^
besonderer Umstände ändert (Anhäufung von Gallenbestandtheilen
im Blute). Die sonstigen Complicationen kann man jedoch bei bei-
den Processen beobachten.
Was die Prognose und die Mortalität anbelangt, so unterscbei'
den sich in dieser Beziehung beide Processe weit von einander.
Während bei Febris recurrens die Mortalität 2— 5o/o beträgt (Bran*
ner^)) und nach Hermann^) sogar 14,95%, steigt sie beim biliösen
1) Ueber Milzabscesse nach Recurrens. Militftr-medicin. Jonmal (rassisch).
Februar 1S69.
2) Die Infectionskrankheiten vom fttiologischen und prophylaktischen Stand-
punkte. 1876.
3) St. Petersburger med. Zeitschrift XU. 1.
Rackiallstyphiu. 215
Typhoid bis 66^/0 (Langet); die Prognose ergibt sich aus diesen
Ziffern sehr einfach.
Hinsichtlich der Dauer der einzelnen AnfftHe kann man sagen,
daas sie zwar beim biliösen Typhoid grösser ist, dass aber streng
genommen bei der Febris recurrens die volle Beconvalescenz im
Darchsehnitte später eintritt
Feuchtigkeit und Unreinlichkeit mflssen bei beiden, gewöhnlich
zu gleicher Zeit herrschenden Formen ^) als die besten Verbreitungs-
mittel der Ansteckung angesehen werden (Brunner). Dasselbe gilt
Ton der Anhäufung von Menschen an einem Orte und von Miss*
jähren, welche auch als prftdisponirende Momente für das Auftreten
der Febris recurrens gelten (Wyss und Bock).
Auch auf Seite der pathologisch -anatomischen Veränderungen
eiistiren viele Momente , die fQr die Gemeinsamkeit des Processes
beider Krankheiten sprechen. Ich beginne mit dem Organ, das die
am meisten charakteristischen Veränderungen darbietet — der Milz.
Die Milz ist im einen wie im andern Fall ausserordentlich ver-
grössert, bisweilen um das Sechsfache ihres normalen Umfanges,
weich, von dunkel zimmtbrauner Farbe 4ind hin und wieder mit
Einrissen versehen. In beiden Fällen ist dieselbe, nach Qriesin-
ger und Erichsen '), besät mit kleinen graugelben Punkten, welche
nur die verschiedenen Perioden der Eiterung in den Malpigbi'schen
Korperchen darstellen.
Die Leber erscheint ebenfalls in beiden Fällen vergrössert,
die Läppchen trQbe, das ganze Organ blutreich. Bei dem biliösen
Typhoid zeigt die Leber die charakteristische fettige Degeneration
(Brunn er) 9 welche übrigens, wenn auch in geringerem Grade von
Wyss und Bock, sowie von Prölfs ^) auch bei der einfachen Form
von Recurrens beobachtet worden ist. Die von Eüttner^) beschrie-
bene albiiminöse Infilti-ation der Leber kann nicht als charakteri*
Btisch fttr das biliöse Typhoid angesehen werden, weil sie derselbe
Autor in geringerem Grade auch bei den einfachen Fomren der Re-
currens gefunden hat und weil das Infiltrat hier, wie Kttttner zu-
gibt, früher wieder resorbirt werden kann, bevor es zu einem aus-
gebreiteten Zerfall des Organes kommt.
1; Griesinger, Infectionskrankheiten. Yirchow's Hsndb. II. Abth. II. 1864.
2) Beitlinger in „untersuch, über Qeschichte, Geographie a. Statistik des
Recorrensfiebers. St. Petersburg. 1874" bat mehrere solche Epidemien beschrieben.
3) St. Petersburger med. Zeitschrift. 1865. Bd. YIII. Heft 5.
4) Beiträge zur pathol. Anatomie des Typhus recurrens. Diss. Berlin 1872.
5) 8t. Petersburger med. Zeitschrift. Bd. YIII. Heft 2.
216 IX. MOCEOTKOWSKY
Der Gallenausführangflgang wird bowoU bei Recurreng,
als beim biliösen Typhoid oft unverändert gefunden. Bei letzterem
jedoch ist er etwas häufiger verstopft oder verengt infolge einer
katarrhalischen Schwellung seiner Schleimhaut (Pastau, Küttner).
Hermann, sowie Wyss und Bock beobachteten constant eine In-
jection und einen Katarrh der Schleimhaut des Ductus choledochus
und der Gallenblase. Von dem Aussehen der feinsten Verzweigan-
gen der Oallengänge ist nirgends die Rede.
Die Lungen sind entweder normal oder es findet sich eine
katarrhalische, zuweilen auch eine hypostatische* Pneumonie vor. —
Im Darmkanal findet sich constant Katarrh, 'zuweilen mit Exco-
riationen und Drüsenschwellung. Beim biliösen Typhoid hat man
häufig hier, sowie auch auf der Schleimhaut des Kehlkopfs kleine
Ekchymosen beobachtet ; doch kommen diese auch bei der Recurrens
vor (Küttner, Prölfs). Diphtheritische Veränderungen, wie man
sie bisweilen beim biliösen Typhoid findet, bilden keine constante
Erscheinung und treten wie bei andern typhösen Formen nur als
Complicationen auf.
Das Blut ist dünn- oder dickflüssig und enthält sowohl bei Re-
currens als beim biliösen Typhoid Fibrincoagula.
Im Urin haben Wyss und Bock bei Recurrens, complicirt mit
Icterus, Gallenpigment und Gallensäuren beobachtet. Nach Prib-
ram und Robitschek fanden sich die Gallenfarbstoffe im Urin pro*
portional der Verfärbung der Haut vor; die Gallensäuren waren nur
bei sehr intensivem Icterus nachzuweisen.
Die Verfärbung der Faeces kommt in verschiedenen Nuancen
vor und hängt von der Ausdehnung der Leberaffection (Küttner)
und dem Grad der Durchgängigkeit der Gallenwege ab.
Am stärksten sprechen jedoch für die Identität des biliösen Ty-
phoids und der Recurrens die pathologisch - anatomischen Verän-
derungen im Blute zu Lebzeiten der Kranken — und zwar
die Anwesenheit von mikroskopischen Organismen in demselben,
der Spirochaeten, wie sie im Blute Recurrenskranker gefunden
wurden und welche nach Obermeier und allen andern Forschem,
die in dieser Richtung nach ihm gearbeitet haben, eine nur der Be-
currens ausschliesslich eigene Erscheinung bilden. Bei dem biliösen
Typhoid hat sie ausser mir (Taf. II, Fig. 3) auch Heidenreich
beobachtet (Diss. S. 106).
Unter 11 Fällen von biliösem Typhoid, die mir zu Gesicht kamen,
habe ich sie, nachdem ich zuerst im 4. Fall darauf aufmerksam ge-
worden war, in allen übrigen constatiren können. Alles, was ich
RQck&U8<7pha8. 217
oben hinfiichüieh der bei Febris recurrens vorkommenden Spirochae-
ten gesagt babe, gilt aueb von den Spiroebaeten beim biliösen Tj-
phoid.
Zwar ist dieses Factum in die Augen fallend; docb bedarf es
zur YoUständigen Ueberzeugung noch des Nachweises, dass diejenigen
FÜle Yon biliösem Typhoid, die ich in Odessa beobachtete, wirklich
diejenigen krankhaften Formen darstellten, welche Oriesinger in
Kairo gesehen und unter dem Namen des biliösen Typhoids be-
schrieben bat. Ich lasse deshalb eine Krankengeschichte folgen, um
za zeigen, womit ich es zu thun hatte«
Atbaoaslus Pavlov, trat am 16. August 1874 in das Odesaaer Stadt-
hoapital ein. Patient ist 40 Jahre alt, Arbeiter. Am Tage des Eintritts
ioB Hospital hatte er Morgens (noch zu Hause) einen leichten Frostschaner
verepflrt, der bald in Hitze überging. Der Kranke kam ins Spital; hier
brach gegen Abend ein Seh weiss hervor, und Pavlov fQblte sich ganz
wohl. Am folgenden Tage klagte er nur Aber faden Geschmack, Appetit-
maogel und Abgeschlagenheit in den Gliedern. Der Puls war voll^ 80
Schläge in der Minute, Temperatur 37,6 (cfr. Taf. VI Cnrve 4). Die
Haut fencht. Weder die Leber noch die Milz waren vergrössert. Doch
erschien die erstere bei Drnck etwas empfindlich. Die Zunge war weiss
belegt, feucht. Am Abend trat Hitze auf, begleitet von starkem Durste
während der Nacht.
18. August. Uebligkeiten und bitterer Geschmack im Munde beun-
ruhigten den Kranken schon seit dem frflhen Morgen. Der Druck auf das
rechte Hypochondrinm ist etwas schmer2haft, in der Magengegend ist eine
leichte Dämpfung bemerkbar. Die Zunge vollkommen weiss belegt. Der
Durst hält an. Kein Stuhlgang; (der Kranke leidet schon einige Jahre an
hartnäckiger Verstopfung); gegen Abend Erbrechen. lo dem Blute, das
am 1 Mittags entnommen war, war nichts Abnormes nachzuweisen.
19. August. Die Uebligkeiten haben abgenommen. Nach einem Kly-
stier war Stuhlgang erfolgt >). Der Patient hat mit Lust etwas Bouillon
getrunken. Es zeigt sich eine leicht gelbliche (icterische) Verfärbung der
Baut auf der Brust und am Bauch. Am Abende starker Frost, hierauf
Hitze und Delirien. Puls 120, voll und rasch. Respiration 26.
20. August. Die icterischen Erscheinungen sind sehr deutlich aus-
geeproehen an der Sclera und der Haut des ganzen Körpers. Die Leber ist
empfindlich bei Druck auf den unteren Rand, welcher etwas unter dem Rip-
p^bogen hervorragt. Die Maasse im Bereich der absoluten Dämpfung:
in der Axillarlinie .... 18 Cm.
in der Mammillarlinie ... 19 „
in der Sternallinie .... 15 „
Die Milz ist ebenfalls vergrössert ; sie flberragt den Rippenbogen um 6 Cm.
Die obere Grenze der Milzdämpfting Mit mit einer Dämpfung zusammen,
die Bieh vom untern Winkel des linken Schulterblattes nach abwärts er-
1) Ich werde auf die Therapie als einen zu der von mir angeregten Frage
nicht gehörigen Gegenstand weiterhin nicht eingehen.
21 S IX. MooziTTKOWSKr
streckt, (wahrBcheinlicb ein altes plenritisches Ezandat). Im Blate werden
Spirocbaeten aDgetroffeo, jedoch in geringer Menge; man kann sie nicht
einmal in jedem Sehfelde finden. Der Kranke isst nichts, trinkt jedoch
gierig das ihm dargereichte Wasser. Die Zunge ist stark belegt, yoU-
stftndig trocken. Bei Druck. auf die Extremitäten fflhlt der Kranke befdge
Muskelschmerzen.
21. August. Der Kranke bat die ganze Nacht delirirt Die ioterische
Verfärbung ist sehr intensiv. Die Zunge trocken, an einigen Steilen rissig.
Das Bewusstsein kehrt immer nur für kurze Zeit zurück. Urin wird wenig
ausgeschieden ; in demselben findet man eine grosse Menge von Gallenpig-
ment. Die Haut ist trocken; der Puls weicher, 104. Ein trockener Husten
ist hinzugetreten. Im Blute viele Spirocbaeten, lO-r-20 in jedem Sehfelde;
stellenweise bemerkt man Knäuel von unter einander verschlungenen Spiro-
cbaeten. Gegen Abend wird der Husten stärker, die Respiration freqnenter
(von 20 auf 34), im unteren rechten Lnngenlappen kleinblasige Rassel-
geräusche.
22. August. Der Kranke bat die ganze Nacht phantasirt und ge-
stöhnt. Nach einem Klystier war Stuhlgang erfolgt; die Faeces zur Ge-
nüge gefärbt. Im Blute noch mehr Spirocbaeten als gestern; in jedem
Sehfelde kann man 30 — 40 Exemplare zählen. Die Knäuel erscheinen
ebenfalls zahlreicher. Am Morgen kam Patient etwas zum Bewusstsein;
mehrere Male leichtes Frösteln. Er stöhnt fortwährend und wirft sich im
Bette umher. Um 10 Ubr Morgens begann er stark zu schwitzen; der
Schweiss hielt bis 4 Uhr Nachmittags an. Die Temperatur fiel auf 37,2,
der Puls auf 88. Im Blute, das um V22 Uhr Mittags abgenommen war,
wurden noch mehr unter einander zu Knäueln verschlungener Spirocbaeten
gefunden ; auch vereinzelte unbewegliche Exemplare sichtbar. Um 9 Abends
wieder starker Frost; in der Nacht wiederholte sich die Hitze, die Be-
wusstlosigkeit und die Delirien. Der Husten wurde seltener und schwächer.
Der Puls äusserst klein, weich, stieg auf 136 Schläge in der Minute.
Respiration 34. Gegen Morgen 2 mal unwillkQrlicber Abgang von schwar-
zen, festen, blutigen Faeces.
23. August. Im Blute weniger Spirocbaeten, 8 — 12 im Sehfelde;
darunter bin und wieder unbewegliche Exemplare. Der Patient befindet
sich in soporösem Znstande. Respiration oberflächlich, 46. Am Thorax ist
hinten rechts eine geringe Dämpfung und eine Abschwächung des Fremitns
vocalis zu bemerken. Bei der Auscultation erscheint hier das Atbmungsge-
räusch sehr schwach. In den oberen Partieen beider Lungen, vom und
hinten, sind grossblasige Rasselgeräusche wahrzunehmen. Der Puls inter-
mittirend, kaum zählbar (140). Die icterischen Erscheinungen ohne Ver-
änderung. Es zeigt sich Nasenbluten. Die Vergrösserung der Leber und
Milz besteht unverändert fort. Die Lippen sind cyanotisch geworden,
Hände und Fttsse sind kalt. Die Temperatur in der Achselhöhle Morgens
38,2 hob sich gegen Abend auf 39,6. Nachts, nachdem einige Krampf-
anf^lle vorangegangen waren, starb der Kranke.
Bei der Section ergab sich : acutes Oedem der Hirnhäute, mit kleinen
Eccbymosen auf der Dura mater. In beiden Lungen hypoatatische Pnen-
monie; die linke an den unteren Partieen verwachsen. Das Herz schlaff,
enthielt flttssiges klebriges Blut, ohne Gerinnsel. Die Leber veigrössert,
RückfidUtyphna. 219
blntreicb. Die feiiwteD OallengADge waren angefüllt mit einer schleimigen
Flflssigkeit. Der ganse Darmeanal seigt einen katarrhalischen Znstand.
Im M sgen finden sich Ecchymosen, im DiciEdarm oberflächliche Abschflrfongen,
die mit Icleinen BlntklUmpchen bedeckt sind. Die Milz, am das 4 fache
Tergrössert, enthält eine Menge graulicher, stellenweise confloirender Punkte.
M Druck tritt aus diesen Punkten ein trflber Inhalt hervor.
Der geachilderte Fall unterscheidet sich in keinem wesentlichen
Punkte Yon den Griesinger'schen Fällen. Ich will an diesem
Orte nicht meine Beobachtungen anfuhren, bei denen man denselben
Complieationen und Abweichungen begegnet wie bei Oriesinger;
ich beschränke mich nur auf diesen einen Fall.
Fflgt man noch hinzu, dass es Oriesinger recht wohl bekannt
war, dass das biliöse Typhoid in der Umgegend von Odessa, in der
Krim, vorkommt, so wird es wohl keines weitern Beweises mehr
bedfirfen, dass meine und Griesinger's Fälle vollständig identische
Krankheitsformen sind.
Ich habe hier die Krankengeschichte des Pavlov deshalb so aus-
führlich mitgetheilt, weil das Blut (Taf. II, Fig. 3), das ihm am
21. August entnommen war und viel Spirochaeten enthielt, mir als
Material zur Impfung auf einen gesunden Menschen diente. Das
Resultat dieser Impfung war das Auftreten einer einfachen Form
von Recurrens nach 7 Tagen (ohne complicirenden Icterus) ^).
Zum vollen Beweis dafür, dass auch in genetischer Beziehung
vollständige Identität des biliösen Typhoids mit der Febris recurrens
herrscht, gehörte noch der Nachweis der Entstehung der ersteren
Krankheitsform aus der letzten. Es stehen mir zwar keine Experi-
mentalbeobachtungen Aber diese Frage zu Gebote, doch besitze ich
einen Fall von, sozusagen, natürlicher Ueberimpfung, welcher das
Hervorgehen eines biliösen Typhoids aus der gewöhnlichen Form-
der Febris recurrens beweist.
Am 9. April 1874 trat die Kranke Olga Mudrjakowa in das Odessaer
Stadthospital mit allen charakteristischen Symptomen eines exantbematischen
Typhus am 12. Tage der Krankheit bei normalem Verlauf. Am 18. April
war die Patientin schon reconvalescent, (Taf. VI, Cnrve 3) als plötzlich am
19. Mittags sich ein heftiger Schüttelfrost bei ihr einstellte. Am Abende
lag dieM. schon in der Hitze und am 21. wurden in dem vom Prosector
des Odessaer Stadthospitals, Prof. Mttncb, untersuchten Blut Spirochaeten
gefuDden. Die Leber schien empfindlich, die Milz stark vergrössert. Am
22. April stellte sich am Morgen zuerst bitterer Geschmack im Munde,
später Erbrechen ein; in der Nacht Bewusstlosigkeit und starke Delirien.
Die Zonge war feucht, Puls 100, Respiration 18. Auf ein.Klystier er-
folgte nach 2 tägiger Verstopfung Stuhlgang. Die Kranke schwitzte häufig.
1) Gentralblatt für die med. Wissenschaften. 1876. N. 11.
220 IX. MO0ZDTKOW8K7
Am 23. April MorgeDS kam die Kranke sam BewnBsteeiD, verlor aW das-
selbe nach einigen Stunden wieder. Die icteriscbe Verfärbung der Haut
war sebr stark. Die Zunge trocken, die Haut ebenfalls, dabei brennend
hdss; heftige Muskelscbmerzen. Urin wurde wenig ausgeschieden und
enthielt derselbe Oalienbestandtheile. Gegen Abend erfolgte ein halbflo«-
siger Stuhl von natürlicher Färbung. In der Nacht wahrend sehr grosser
Unruhe und unter heftigen Delirien begann die Kranke zu schwitzen. Den
folgenden Tag war sie äusserst schwach, apathisch, aber bei vollem Be-
wusstsein. An demselben Tage hatte sie einige Ausleerungen. Die fol-
genden Tage nahmen die Kräfte wieder ganz allmählich zu, der Icterus
verschwand. Vom 1. — 6. Mai dauerte ein Rückfall, während dessen die
Leber zwar nicht vergrössert war, aber die icterischen Erscheinungen ein
wenig zunahmen. Gegen Ende des Anfalls begann die icteriscbe Färbaog
abzunehmen und nach einer Woche war keine Spur mehr davon zu sehen.
Im ersten wie im zweiten Anfalle hatte das Blut Spirochaeten enthaltai.
Die von mir nur mit den nothwendigsten Details versehene
Krankengeschichte ist in der Beziehung wichtig, dass sie einen Fall
darstellt, in welchem die Ansteckung mit dem biliösen Typhoid im
Hospital erfolgte. Ich muss bemerken, dass die Abtheilung (Nr. 20),
in welcher die M. lag, während dieser Zeit mit Fällen von reiner
Febris recurrens angefüllt war. Von biliösem Typhoid war, soviel
ich nach den von mir angestellten Nachforschungen annehmen darf,
kein Fall während zweier Monate vor Aufnahme der H. vorgekom-
men und zwar nicht bloss in der betreffenden Abtheilung, sondern
auch in dem ganzen Flügel, in welchem letztere untergebracht ist.
Hiernach lässt sich mit grösster Wahrscheinlichkeit aussagen, dass
die M.
1. inficirt wurde, während sie an einem exan thematischen Ty-
phus darnieder lag,
2. dass die Infection im Hospital stattgefunden hatte. Dieser
Schluss findet darin seine Begründung, dass, wie dies auch aus
meinen experimentellen Beobachtungen ^) und den klinischen Studien
vieler anderer Autoren hervorgeht (Zorn, Hermann, Lebert,
Wyss und Bock), die Incubationsperiode der Febris recurrens sich
auf 5—8 Tage erstreckt. Nimmt man sogar mit Litten eine In-
cubationsdauer von 14 Tagen an, so muss dennoch die Infection
während des Aufenthaltes der M. im Hospitale erfolgt sein.
3. Dass die zweite Krankheit der M. hervorging aus der In-
fection mit einer reinen Form von Recurrens. Und endlich
4. dass die Dauer der Incubationsperiode für die Recurrens und
das biliöse Typhoid annähernd gleich sind.
1) Centralblatt für die med. Wissenschaften. 1876. Nr. 11.
BackfallstyphiiB. 221
Hiermit ist auch die Möglichkeit zu dem Schlüsse gegeben, dass
das biliöse Typhoid Griesinger's aus einer einfachen Form von
Becarrens herrorgehen kann und umgekehrt Es ist klar, dass der
letems in diesen Fällen nur das Zeichen einer bekannten Gompli-
cation der Krankheit ist. Diese Complication besteht in einer ka-
tarrhalischen Affection der Gallen wege, welche auch Griesinger
beobachtet hat, die er aber nicht für hinreichend hielt, um ein Hin-
demiss für den Ausfluss der Galle zu bilden. Aber die Sections-
befunde anderer Anatomen haben zu entgegengesetzten Resultaten
geführt. Münch fand constant eine katarrhalische Affection der
feinsten Gallen wege bei den biliösen Formen von Recurrens. Litten
sah bei Recurrens biliosa ebenfalls eine Verstopfung der feinsten
Gallengänge mit gallig gefärbten Schleimpfröpfen.
Bis jetzt ist es allerdings noch nicht gelungen, nachzuweisen,
weshalb die Recurrens das eine Mal in reiner Form, das andere Mal
als biliöses Typhoid auftritt. Aber auch in diesen Beziehungen finden
sich schon einige Angaben in der Literatur vor. Ziemssen hat
die Vermuthung ausgesprochen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach
als Boden für die Entwicklung der biliösen Form ein Katarrh des
Darmkanals dient.
Litten sagt, dass in seinen Fällen der Katarrh des Magens
and der Gallenwege gleichsam den Grund der Empfänglichkeit für
das Recurrensgift abgibt. Münch 0 machte bei der Section von
Leichen solcher Kranker^ die an der biliösen Form gestorben waren,
darauf aufmerksam, dass mit Vorliebe solche Individuen daran er-
kranken, bei denen die Leber die Spuren mehr oder weniger alter
Krankheitsprocesse zeigt (Cirrhose, Syphilis).
Wenn also der Icterus nur als Symptom einer CSomplication bei
der Recurrens erscheint, so haben die icterischen Formen dieser
Krankheit, die sonst analog dem Typus derselben, sich nur dem
klinischen Bilde nach etwas verschieden präsentiren (wahrscheinlich
in Folge der Aufnahme der Gallensäuren in das Blut, FrerichSi
Coze und Feltz), gerade soviel Recht, als selbständige Krankheits-
formen angesehen zu werden, wie die Gyanose, die zuweilen andere
Complicationen der Recurrens begleitet (Pneumonie). Es ist somit
klar, dass das biliöse Typhoid Griesinger's als selbständige In-
fectionskrankbeit aus der medicinischen Nosologie gestrichen wer-
den muss.
1) Protokolle der Sitzungen der Gesellschaft Odessaer Aerzte. 1874. YII.
X.
Deber subfebrile Zustände von erheblicher Dauer.
Von
Dr. W. Kernig,
Ordinator am Obuchoff-Hoipltal in St. Pttenbnrg.
(Schloss.)
In dem nun folgenden Theile dieser Arbeit will ich versacheni
Aber subfebrile Zustände im Verlaufe einzelner anderer Krankheiten
zu beriehteni welche nicht zu den beiden Kategorien der Phthisischen
und der. Scrophulösen gehören.
Es ist jetzt allgemein anerkannt, dass der Abdominaltyphus,
oder vielleicht präciser gesagt, die abdominaltyphöse Infection aach
in der Form von sehr leichten, oft nur wenige Tage dauernden febrilen
Erkrankungen verlaufen kann. Selbst afebril kann der Verlauf ge-
wisser Erkrankungen sein, die ätiologisch zum Abdominaltyphus ge-
rechnet werden müssen ^). Die Ausdrücke Febricula, Abortivtyphos,
infectiöser Magenkatarrh, febriler und afebriler Abdominalkatarrh
(Liebermeister), wohl auch Febris gastrica werden zur Bezeich-
nung derartiger Fälle benutzt
Auch ich habe eine grosse Zahl von solchen leichten und ab-
ortiven Fällen beobachtet, bin aber nur ein Mal auf einen Verlauf
des Abdominaltyphus gestossen, wo die Dauer desselben der eines
recht schweren gleichkam, nämlich ca. 6 Wochen, und wo dennoch
die ganze Erkrankung nur unter dem Bilde eines leichten subfebrilen
Unwohlseins verlief. Der folgende in dieser Art abgelaufene Fall
ist um so sicherer constatirt, als er einen CoUegen betraf, der selbst
grosse Erfahrung Ober typhöse EJ^krankungen besitzt, und ich wieder-
holt Oelegenheit hatte, auch anderen CoUegen die Richtigkeit der
Diagnose zu demonstriren.
1) Liebermeister in Ziemssen's Handbuch. Bd. IL 1. S. 133.
Subfebrile Zustände. 223
32. Dr. N. N., ein kräftiger Mann von 40 Jahren, erkrankte am
Abend dea 26. Febmar 1877 mit Frösteln. Am 27. Februar, also am
ersten Krankheitstage lagen die Temperaturen zwischen 38,6 und 39,8,
am zweiten Tage zwischen 38,4 und 39,2, am dritten zwischen 38,3 und
3S,5, am vierten schon zwischen 37,8 und 38,1, und von nun ab war
Pat. dnrch 5 Wochen subfebril in den engen Grenzen von 37,0 und 38,0.
Y^. Curve 19. Einzelne afebrile Tage kamen mehr als Ausnahme vor.
Die Bemissionen fallen auf die Morgen- und Vormittagsstunden, die ge-
ringen Steigerungen auf den Nachmittag oder Abend. Chinin zu gr. X
(0,6j war ganz ohne Wirkung; ^j (1,2) am 18. März Nachmittags dar-
gereicht hatte nur einen unbedeutend niedrigeren Stand der Temperatur
am nächsten Tage zur Folge. Der am 21. März dargereichte Scrupel
hatte gar keinen Einflnss. — Das Interessante war nun, dass in den
ersten Tagen der Erkrankung die Milz sich erheblich vergrösserte, und
bis zum Schlnss der 6. Woche so vergrössert blieb, dass um die gewöhn-
liche Zeit gegen den 7. bis 9. Krankheitstag vereinzelte Roseolae an der
Vorderfläche des Rumpfes erschienen, und wiederholt Nachschübe bis in die
4. Woche hinein machten, dass immerfort ein geringer, aber deutlicher Me-
teorismua bis gegen Schlnss der Erkrankung vorhanden war, dass mit
Sehluss der ersten Woche und im Laufe der zweiten eine leichte Diarrhoe
auftrat, die später einer Verstopfung oder normalem Stuhl Platz machte,
dass die Zunge von Anfang bis zum Schlnss belegt blieb. Anfangs war
selbstverständlich auch der Appetit schlecht, in den letzten drei Wochen
aber wurde er gross, zumal Pat. immerfort einer strengen Diät unterzogen
blieb. — Im Grossen und Ganzen hielten sich die Kräfte gut, und es trat
im Laufe dieser sechs Wochen nur eine massige Abmagerung ein. Selbst-
verständlich gelang es nur in den ersten Tagen, den Pat. ganz im Bett zu
halten, später verbrachte er den grösseren Theil des Tages ausser Bett,
machte selbst Atisfahrten, in den ersten 3 Wochen nur ganz vereinzelt, von
der Mitte der 4. Wochen ab täglich. Bei diesen Ausfahrten überkamen
ihn einige Mal Ohnmachtanwandlungen, doch war ein ßchädlicher Einfluss
in Bezug auf die abnormen Temperaturen nicht zu bemerken. Später er-
holte sich Pat. rasch und vollständig.
Ein derartiger Verlauf des Abdomii^ltyphus gehört hier in Peters-
burg doch wohl zu den Seltenheiten, entspricht tlbrigens gerade dem
febrilen resp. afebrilen Abdominalkatarrh Liebermeister 's, oder
dem, was man Typhus ambulatorius nennt.
Der Unterschied dieses Falles von den früher unter Nr. 18, 19,
20, 28 und 31 mitgetheilten Fällen ist der, dass bei letzteren der
genauere Vergleich der Temperaturcurven mit den übrigen Notizen
den Eindruck macht, als seien die dem infectiösen Process zukom-
menden Erscheinungen, namentlich die Milzschwellung, zurückge-
gangen um eine Zeit, wo die subfebrilen Temperaturen einsetzten,
oder noch fortdauerten, so dass letztere gewissermaassen nur als ver-
anlasst durch die vorausgegangene Erkrankung zu betrachten
sind. Am deutlichsten ist dieses in Fall 20. In dem vorliegenden
224 X. Kernig
Fall 32 aber handelt es sich offenbar um einen infectiösen ProceBS,
der die ganzen 6 Wochen über, wo die abnormen Temperataren vor-
handen sind, selbst andauert. Am beweisendsten sind in dieser Be-
ziehung die Nachschübe der Roseolae und die fortdauernde Milz-
schwellung. Fall 13 würde für die Zeit vom 25. H&rz bis 15. April
noch am ehesten mit diesem Fall 32 übereinstimmen , wenn nicht
tlie Diagnose desselben als leichtester Abdominaltyphus immerhin
zweifelhaft wäre (wie das Krankenjournal ergibt, wurde z. B. trotz
Suchens keine Roseola an dem Patienten entdeckt). Auch in Fall 31
ist die Diagnose nicht ganz sicher.
Ich erinnere mich noch eines Falles in der Privatpraxisi wo ein
Abdominaltyphus von 3 Wochen Dauer, abgesehen von dem aller-
ersten Anfang, nur mit subfebrilen Temperaturen verlief. Leider be-
sitze ich keine Notizen über ihn, kann aber so viel als authentisch
mittheilen, dass der etwa 50jährige gesunde Mann, der mit einem
Schüttelfrost und einer sofortigen Temperatursteigerung auf 40,0 er-
krankt war, schon am nächsten Tage Temperaturen unter 38,0 hatte,
nun genau 3 Wochen mit nur subfebrilen Temperaturen verbrachte.
In dieser Zeit liefen die übrigen charakteristischen Erscheinungen
eines Abdominaltyphus, Milzschwellung, Roseolae, Meteorismus, Diar-
rhoe, vollkommen legaliter ab, waren freilich ebenfalls nur in sehr
massiger Intensität vorhanden.
Bei rheumatischen Affectionen, speoiell beim acuten Ge-
lenkrheumatismus, kommen ebenfalls länger dauernde subfebrile Zu-
stände vor. Senator^) gibt ausdrücklich an, „dass die allerleich-
testen Formen, in denen nur wenige Gelenke und in geringem Grade
entzündlich ergriffen sind, mit äusserst geringen subfebrilen Tempe-
raturerhöhungen einhergehen und zeitweise normale Temperataren
zeigen können, so dass hei seltener wiederholten Messungen die
Temperaturerhöhung leicht übersehen werden kann*'. — Ich behan-
delte im Sommer 1877 einen kräftigen, Übrigens wiederholt an Rheu-
matismen erkrankt gewesenen Mann von 40 Jahren an massig star-
ken, den Ort wechselnden rheumatischen Gelenkschmerzen. Einige
Wochen lang fand ich ihn bei den Besuchen, die ich etwa alle 4
bis 5 Tage machte, bei einer Temperatur von ca. 38,0 Nachmittags.
Es wurden keine regelmässigen Messungen gemacht, doch ergaben
die sonstigen Angaben und das Befinden des Patienten, dass wohl
kaum erheblichere febrile Zustände dazwischen vorgekommen waren.
Patient wurde ganz gesund. Ein Gleiches meine ich wiederholt in
1) V. Ziemssen's Handbach. Bd.Xm. 1. S.44.
Sttbfebrüe Zustände. 225
der Privatpraxis beobachte zu haben. — In den folgenden Fällen
wurde der blos snbfebrile Charakter des Fiebers sicherer eonstatirt
33. Niklfor Wassiljeff, 21 jähriger kräftiger Bauer wurde am 16. Nov.
1S71 in das Obachow'sche Hospital mit acutem Gelenkrheumatismud am
3. Krankheitstage aufgenommen; befallen waren beide Hand- und Knie-
gelenke, beide Fussgelenke hatten bis zur Aufnahme schon mehr geschmerzt
als zur Zeit des Status pr. Die Temperatur war 39,0 und flberschritt bei
2 mal täglicher Messung diese Höhe in den nächsten Tagen nicht, wo
mehrere Fingergelenke recht stark, beide Schulter- und Ellenbogengelenke
leicht befallen wurden. Vom S. Rrankbeitstage an, während die Schmerzen
Oberall nachliessen^ gingen dPe Temperaturen nicht Aber 38,0 und schwank-
ten bis zum 27. Krankheitstüge zwischen 37,4 und 38,0 (einmal 38,2), wäh-
rend sich noch immer hie und da Schmerzen zeigten. Am 14. December
wurde Pat. gesund entlassen.
34. Wassily Wassntowitsch, 18 Jahr, taubstumm, war, als ich ihn am
31. Hai 1873 zum ersten Mal sah, als Rheumatiker^ verrufen. Gegen-
wärtig bot er nur eine gewisse Steifigkeit des linken Kniegelenks, und
Schmerzen an der Rückseite desselben in den ßeugesehnen; dieselben
sollten seit Ende April bestehen. Er war dabei subfebril (37,8) und blieb
es während der nächsten 8 Tage. Erst vom 26. Juni ab, während in
dieser Zeit das Gelenk unter dem Gebrauche von Bädern und Jodkalium
entschieden freier beweglich geworden war, und die Schmerzen nachge-
lassen hatten, war Pat. wieder snbfebril bis Mitte Juli. In der 2. Hälfte
Juli und im August nur hin und wieder etwas erhöhte Temperaturen,
während das Kniegelenk allmählich normal brauchbar wurde. September
afebril, doch von Mitte October an wieder erhöhte Temperaturen. Vom
2S. bis 31. October leichtes Fieber bis 38,7, und nun entwickelte sich
ein Katarrh des rechten Oberlappens, der bis zum 16. November, wo Pat.
die Anstalt verliess, sich wohl besserte, jedoch noch andauerte. Bis hier-
her blieb Pat. auch subfebril. Gegenwärtig, nach 5 Jahren, lebt Pat. ge-
sund in Witebsk. — So wahrscheinlich es ist, dass die subfebrilen Tem-
peraturen von Mitte October an zu dem Katarrh des rechten Oberlappens
in Beziehung stehen, ebenso wahrscheinlich scheinen die subfebrilen Perioden
im Juni und Juli von der rheumatischen Knleaffection bedingt worden
tu sein.
Ich habe schon oben in dem Fall 4 erwähnt, dass im Verlauf
eines leichten S cor bat hie und da subfebrile Temperaturen ge-
messen wurden. Ich erinnere mich im Hospital mehrere Scorbut-
kranke gehabt zu haben, bei welchen andauernde subfebrile Tem-
peraturen Yorkamen. Die betreffenden Journale sind mir nicht zur
Hand. Ob immer schwerere Störungen (hämorrhagische Pleura- und
Perieardialexsudate etc.), welche fQr das Auftreten der abnormen
Temperaturen verantwortlich gemacht werden konnten, gleichzeitig
vorhanden waren, ist mir nicht erinnerlich, doch ist das Factum,
dass auch bei Scorbutiscfaen subfebriie Zustände vorkommen, immer-
DntMbM ArehlT f. klln. Mediein. ZXIV. Bd. 15
226 X. Kebnig
hin bemerkenswerth. — lieber einen Fall von Purpura rheuma-
tica (Immermann) kann ich bestimmter berichten.
Der betreffende Kranke, WasBÜi Timofejeff, wurde am 15. December
1875 in das Obuchow'sche Hospital aufgenommen am 9. Krankbeitstage.
Beide Knie und beide Ellenbogengelenke waren schmerzhaft, am linken
Ellenbogengelenk ein auffallend starkes Oedem, das sich auf den halben
unter- und Oberarm fortsetzte. Die Temperaturen waren subfebril (nur
2 mal wurde 38,6 gemessen) und blieben es 11 Tage lang; bis sie in völlige
Fieberlosigkeit übergingen. Am 2. Hospitalstage traten sehr verschieden
grosse blassrothe Hautecchymoseb, zum Theil sehr grosse, am linken Arm,
an beiden Beinen und am Rücken auf; an der Vorderfläche der Beine wa-
ren die Flecken kleiner als an der Rückseite. Das Zahnfleisch ganz ge-
sund, am Herzen nichts nachzuweisen. Während der späteren fieberfreien,
aber noch nicht schmerzlosen Periode traten noch einmal frische, blasse
Hantecchymosen an der Volarfläche des linken Unterarms und an den
Beinen auf. Der Mann verliess das Hospital ganz geheilt am 19. Januar
1876. — Der Fall gehört off'enbar zur Purpura mit Oelenkaffectionen, wie
sie Scheby-Buch besprochen hat. i)
Das Fieber, welches bei progressiver, perniciöser Anä-
mie und bei Leukämie beobachtet wird, zeigt ebenfalls subfebrile
Perioden. — Die beiden von Immermann '^j mitgetheilten Fälle
von perniciöser progressiver Anämie weisen mehrere Reihen von
Tagen auf, an welchen die Fat. nur subfebril waren; es wechseln
diese Tage mit höher febrilen Perioden. — In einem Fall von pro-
gressiver perniciöser Anämie, der hier in Petersburg beobachtet wor-
den ist, und in dessen, über die letzten anderthalb Monate vor dem
Tode sich erstreckende Temperaturcurve mir Einsicht gestattet worden
ist, finden sich ebenfalls einige subfebrile Perioden bis zu 10 Tagen
Dauer. — In dem Buche von Mosler (Pathologie und Therapie der
Leukämie, 1872) sind S. 169 allerdings nicht lange fortgesetzte Mes-
sungen an zwei Patienten mitgetheilt, aus denen ein subfebriler Zu-
stand hervorgeht, ebenso aus dem Fall, welcher S. 264 und 265 be-
sprochen ist. — In dem von Thierfelder und Uhle mitgetheilten
Fall von Leukämie ^) scheint ebenfalls das Fieber vorzugsweise einen
subfebrilen Charakter gehabt zu haben. Wenngleich nur Mittelzahlen
für je 10 Tage aus der ganzen, langen ^lijüingen Beobachtung mit-
getheilt werden, so wird doch hinzugesetzt, dass diese von den Ein-
zelbeobachtungen nur ganz unwesentlich abweichen.
1) Dieses Archiv. Bd. XIY. Heft 5 u. 6. Gelenkaffectionen hei den hämor-
rhagischen Erkrankungen.
2) Dieses Archiv. Bd. XIII. Heft 3.
3) Archiv für physiologische Heilkunde. Jahrgang 1856.
Sttbfebrile Zustände. 227
Für die Syphilis sind mehr oder weniger leichte Fieberer-
flcheinangen fdr die Zeit' des Eintritts der Allgemeinerscheinungen
bekannt, auch in späteren Stadien vorhanden. — Dass das syphili-
tiflehe Eruptionsfieber zeitweilig nur subfebrile Temperaturen machen
kann, geht aus der Angabe von E. Gflntz hervor, dass bei dem-
selben nach der ersten höheren Temperatursteigerung noch längere
Zeit eine massige Temperaturerhöhung zwischen 37,5 und 38,0 fort-
dauern kann. 1) — Der in Bau ml er 's unten citirter Arbeit: ttber
das Verhalten der Körperwärme etc. mitgetheilte Fall 4, der ein
spätes Stadium der Syphilis betrifft, verläuft mit exquisit subfebrilen
Temperaturen. — In einem Fall von syphilitischem Eruptionsfieber,
den ich zu beobachten Gelegenheit hatte, zeigt das Fieber nur zeit-
weise den subfehrilen Charakter, zu Anfang und zum Schluss der
Beobachtung gehen die einzelnen pseudo-intermittirenden Anfälle zu
erheblicheren Höhen hinauf. Das Fieber hatte den stark remittiren-
den Typus, wie er überhaupt für das syphilitische Fieber charakte-
ristisch ist.
35. Herr R. D., einige 20 Jahr alt, war seit mehreren Tagen unwohl,
scheinbar ohne bestimmte Ursache. Die Messungen ergaben täglich einen
febrilen resp. Bubfebrilen Zustand, der eigenthflmlicher Weise seinen Höhe-
punkt regelmässig gegen Mitternacht hatte, vg]. Curve 20; den Tag ttber
fühlte sich Fat. noch recht gut, erst in den späten Abendstunden über-
kamen ihn Frösteln und Unbehagen. Die syphilitische InitialscleroBe be-
stand noch (der Termin des Beginns der letzteren ist nicht notirt), sonst
aber war an dem Fat. zu Anfang der Beobachtung ausser einer geringen
Hilzschwellung und einem ziemlich erheblichen Magenkatarrh Nichts nach-
weisbar. Erst gegen den 20. Mai nach mehr als zweiwOchentlichem Be-
stand des Fiebers, trat eine Roseola syphilitica auf, und wurde damit die
Diagnose zweifellos. Bereits nach den ersten Inunctionen schwand das
Fieber.
In zwei früheren Arbeiten^) habe ich mehrere Fälle von Milz-
abscessen resp. Milzinfarkten mitgetheilt, in welchen es sich
auch zum Theil um länger dauernde leicht febrile Zustände handelt.
Eine genauere Durchsicht der Fälle von zweifellosen Milzabscessen
(1. Arbeit) zeigt indess, dass so gering auch das Fieber bei densel-
ben oft war, es sich doch durch die Höhe der Abendexacerbationen
1) Yergl. Bäum 1er y lieber das Verhalten der Körperwärme als Hülfsmittel
zur Diagnose einiger Formen syphilitischer Erkrankung. Dieses Archiv. Bd. IX.
S.40i; ausserdem Bau ml er in v. Ziemssen's Handbuch. Bd. III. S. 120.
2) lieber Milzabscesse nach Febris recurrens. St. Petersburger med. Zeit-
schrift Bd. Xn. 1867 und Ein Fall von Milzruptur mit glücklichem Ausgang.
Dieselbe Zeitschrift. N.F. Bd.y. Heft 4. 1875.
15*
228 ^* EERHia
von den hier geschilderten Zuständen unterscheidet. Eigentlich sab-
febrile Tage kommen doch nur vereinzelt zwischen den andern mehr
febrilen Tagen vor. Die beiden Fälle der 2. Arbeit zeigen aber in
der That längere Perioden subfebriler Temperaturen. Im ersten
Fall, wo es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Hilzinfarkt
nach exanthematischem Typhus handelt, war Pat. vom 18. März bis
8. April 1875, also durch 22 Tage am Nachmittag oder Abend sab*
febril, an vier einzelneu Tagen in dieser Periode erfolgten jedoch
wirkliche Fieberanfälle. (Es trat am 9. April Milzruptur ein, wie
a. a. 0. ausfflhrlich geschildert; Pat. blieb am Leben.) Im zweiten
Fall, dort mehr anhangsweise mitgetheilt, handelt es sich um einen
15 bis 18 tägigen auffallend gleichmässigen, nicht remittirenden Zu-
stand, ebenfalls im unmittelbaren Anschluss an exanthematiseben
Typhus. Während dieses Zeitraumes blieb die Milz ebenso gross,
wie sie während des Typhus gewesen war, während sie normaliter
nach Ablauf des exanthematiseben Typhus rasch abschwillt; sie ver-
kleinerte sich erst, als vollkommene Fieberlosigkeit eintrat Die
Curve 2 dieser Arbeit gibt den subfebrilen Temperaturverlauf dieses
letzteren Falles wieder. • — Auis beiden Fällen geht mit Sicherheit
hervor, dass bei gewissen Milzerkrankungen (Infarkten ? nach exan-
thematischem Typhus) andauernde subfebrile Zustände vorkommen.
Lebert spricht in seinem Buche: Die Krankheiten des Magens
(Tübingen 1878, S.394), von dem anhaltenden Fieber, das den Ha-
genkrebs unter Umständen auch ohne alle weitere Complicationen
begleiten kann, und nennt es geradezu eine Febris carcinomatosa,
da es ähnlich auch bei anderen Garcinomen vorkommen soll. Da
es sich zwischen 37,5 und 38,0 in den leichteren Formen hält, so
dürften subfebrile Zustände auch bei (Magen-) Krebskranken be-
obachtet werden.
Im Gefolge von Masern, nach Ablauf des Exanthems habe ich
ebenfalls längere Zeit andauernde subfebrile Temperaturen gesehen,
wohl im Zusammenhang mit mehr oder weniger leichten Broncbial-
oder Lungenaffectionen. Doch besitze ich keine Notizen hierüber,
ausser der nicht reinen Beobachtung 36, welche alsbald mitgetheilt
wird. — Uebrigens waren in dem Fall 26 auch ursprünglich Masern
dem subfebrilen Zustand vorangegangen.
Dass die parenchymatöse Nephritis ebenfalls subfebrile
Zustände erzeugen kann, lehrt der folgende Fall. Er zeigt sowohl
nach Ablauf von Masern, als nach mehreren hochfebrilen Perioden
Sabfebrile Zusende. 229
einer an dieselben sich scbliessenden parenchymatösen Nephritis län-
gere Zeit hindurch snbfebrile Temperaturen.
36. Marie Majnsewitsch , taubBtnmm, war am 11. Juni 1873, als sie
nach Ablanf eines Masemexaothems in meine Beobachtung trat, noch febril
(39,1), und hatte eine ziänlicfae Milzvergrösserung. Die Masern hatten am
30. Mai begonnen. Bald, vom 13. Juni ab, war sie subfebril bis zum
23. Jnni , die Milzschwellung verschwand in dieser Zeit. — Am 25. Juni
trat starkes Fieber auf (in den nächsten Tagen bis 40,8) und es erschien
fiiweiss im Urin, (derselbe schwarzbraun von aberreichlicher Blutbeimengung),
die Milz vergrOsserte sich wiederum und wegen eines auf beginnende Pocken
verdächtigen Exanthems wurde sie in ein Hospital geschickt Am 11. Juli
kehrte sie noch fiebernd und leicht hydropisch aus demselben zurtlck, das
Exanthem hatte sich nicht zu Pocken entwickelt. In den nächsten Tagen
blieb sie fieberhaft, der Urin enthielt viel £iweiss, reichliche Blutkörperchen,
und viel Fibrin- und Epithelcylinder; die Milz war vergrössert, und es er-
Bcliien aufs Neue ein juckendes Knötchenezanthem , jetzt nur an beiden
Unterarmen. Vom 15. Juli an indess war sie nur subfebril bis zum 30.
(mit einer Ausnahme am 18. Juli) bei fortdauernden Zeichen der Nephritis ;
der leichte Hydrops hatte sich Inzwischen verloren. — Vom 8. August bis
10. August wieder starkes Fieber mit starkem Blutgehalt des Urins und
leichtem Oedem im Gesicht. Von da ab fieberlos bis Ende August. In
den letzten Angusttagen ,, im September und October finden sich wieder-
holt Tage, oft aufeinander folgend, an weichen die Temperatur sei es am
Morgen oder am Abend subfebril ist. Der Eiweissgehalt und das Sediment
blieb bei sich besserndem Allgemeinbefinden andauernd, wenn auch in wech-
lelnder Menge. — Ende Januar 1874 eine Pneumonie des rechten Unter-
lappen mit abermals bedeutendem Blutgehalt des Urins; danach absolut
fieberlos. — Im September 1874, nachdem das Allgemeinbefinden mittler-
weile bei fortdauerndem Einweissgehalt des Urines sich bedeutend gehoben
hatte, noch eine hochfebrile viertägige Periode mit Blut im Urin, viel Ei-
weiss und Cylinder. — Im Laufe der Jahre 1875 — 1877 ist bei stets
gutem, durchaus nicht anämischem Aussehen immer ab und zu ein mehr
oder weniger starker Eiweissgehalt des Urines constatirt worden. Ver-
liess die Anstalt Mai 1878.
In einem Fall von puerperaler Parametritis, der zu Abs-
cedirung in die Scheide und vorübergehend zu allgemein-peritoni-
tischen Erscheinungen geführt hatte, sah ich noch 3 Monate nach
Ablauf der schweren Symptome wiederholt Mittags oder Abends
subfebrile Temperaturen, wenn auch mehr vereinzelt. Reste des para-
metritischen Exsudates waren noch nachweisbar.
Jul. Uf feimann hat in diesem Arehiv (Band XX, Heft 5 u. 6)
einen höchst interessanten Fall yon drei Monate anhaltendem, leich-
tem Fieber bei einem gastrotomirten Knaben mitgetheilt, den
er zu Versuchen bezüglich der Physiologie und Pathologie der Ver-
dauung benutzte« Es handelte sich um einen 7^/4 jährigen Knaben
230 ^ Kernig
mit fast completer Oesophagusstenose in Folge einer Schwefelsäure-
Tergiftung. Prof. Trendelenburg hatte an dem Knaben am 28. Mftrz
die Gastrotomie ausgeftthrt, und unmittelbar an diese schloss sich ein
febriler Zustand, der circa drei Monate andauerte. Da das tftgliche
Maximum durchschnittlich um 38,3 bis 38,4 lag, so kann ich diesen
Fall lang andauernden leichten Fiebers meinen subfebrilen Fällen
sehr wohl anreihen. Bezüglich der Details des Fieberverlaufs ver-
weise ich auf den Aufsatz selbst, bemerke nur, dass vom 13. Juni
ab sich die Fieberlosigkeit anzubahnen begann.
Uffelmann bringt das tägliche leichte Fieber, für das eine
sonstige Ursache nicht zu findeti war, bei dem äusserst elenden stark
abgemagerten Knaben, der vom 20. April ab lediglich nur von der
Fistel. aus ernährt werden konnte — vordem hatte er noch kleine
Mengen Milch, Bouillon und Suppen schlucken können, war aber
schon zum bei Weitem grösseren Theil von der Fistel aus ernährt
worden — mit der Nahrungsaufnahme in Verbindung. Zwar wfirde
die von Uffelmann zum Nachweise dieses Zusammenhanges heran-
gezogene Form der Tagescurve nach meiner Meinung nicht viel ins
Gewicht fallen, wichtiger ist aber der Umstand, dass wie Uffel-
mann hervorhebt, zu der Zeit, wo nur flüssige Nahrung gereicht
wurde, die Temperaturen durchschnittlich geringer waren, und noch
wichtiger, dass mit einer Aenderung in dem Modus der Nah-
rungszufuhr das Fieber aufzuhören begann. Der Knabe wurde
nämlich nach der Operation bis zum 1 2. Juni in der Weise ernährt,
dass er die flüssigen und festen Speisen in den Mund nahm, hier,
wie in der Norm mit einander verarbeitete, und dass dann die von
ihm in ein reines Glasgefäss im Laufe von 20 — 25 Minuten entleer-
ten, 'mit Speichel vermischten Massen mittelst einer Spritze in den
Gummischlauch eingeführt wurden , der in der Fistel lag. Als nun
seit dem 12. Juni durch Prof. Trendelenburg dieses Verfahren
in der Weise geändert wurde, dass die zum Genuss bestimmten
Massen zwar auch erst im Munde verarbeitet wurden, dann aber
direct in einen mit einem Mundstück verbundenen Gummischlanch
gespuckt wurden, der in den Gummischlauch der Fistel eingesetzt
war, — begann das Fieber zu schwinden. Uffelmann 's Voraus-
setzung, dass die bei der ersten Ernährungsweise nach Einführung der
Nahrung beobachtete Bildung von Gährungs- und Fäulnissprodueten
das Fieber unterhalten habci wurde hierdurch bestätigt; ausserdem
wurde noch constatirt, dass nach Einführung der zweiten Ernäh-
rungsweise die vordem reichlich beobachteten Zersetzungsprodncte
schwanden. Uffelmann spricht daher die Meinung aus, „dass
Subfebrile Zast&ade. 231
G&hruDg und Zersetzung hier die Fortdauer des Fiebers zum Mm-
desten in hohem und hervorragendem Maasse ' begünstigt habe , sei
es dass durch die abnormen Produete direct ein zu starker örtlicher
Reiz auf die Verdauungsschleimbaut ausgeübt wurde, oder dass der
Uebergang irgend eines bei jenen Processen auftretenden Agens in
die Säftemasse einen pyrogenen Effect hatte. ** — Der Knabe nahm
während des Fiebers an Gewicht und Kräften erheblich zu. — Ueber
sein endliches Schicksal ist in dem Aufsatz Nichts erwähnt.
Endlich hat Dr. C. Gregory in üttolje (Gouvernement Ssim-
birsk) in der St. Petersburger medic. Wochenschrift 1878, Nr. 5,
einen Fall von chronischer Arsenikvergiftung mitgetheilt,
bei welchem ebenfalls ein lange dauernder subfebriler Zustand be-
obachtet wurde.
Mit Beginn des Winters 1S76 erkrankte der bis dabin kräftige Mann
aD HaUbeschwerden (Geftthl von Trockenheit im Halse, leichtes Verschlucken),
an Sebnupfen und Mattigkeit, und dauerten diese abnormen Erscheinungen in
Bcheiobar unmotivirter Weise den Winter über fort. Mit Beginn des Februar
1S77 kamen dazu Athembeklemmung, ein Geftthl von Druck auf der Brust,
nnd zeitweilig Herzklopfen. Mattigkeit nnd Abgeschlagenheit nahmen mehr
und mehr zu, der Appetit wurde schlecht, der Stuhl träge, der Sebnupfen
andauernd, dazu quälende Schlaflosigkeit, trflbe reizbare Stimmung. Tem-
peratarmessangen , die regelmässig nnd täglich vorgenommen wurden, er-
gaben mit einer erstaanlichen Regelmässigkeit Morgens 37,4, Mittags 1 Uhr
39,0, Nachmittags 6 Uhr 38,2, seltener 38,4, Abends 9 Uhr 38,0, Abends
11 Uhr 37,6. Nacht fieberfrei. Puls zwischen 80 nnd 96. Chinin auch
in grossen Dosen hatte keinen Einflnss auf das Fieber. — Es kam zu
den Qbrigen Symptomen noch das Auftreten zahlreicher kleiner Pusteln
und Furunkeln am Oberkörper. Dieselben waren auf den subfebrilen Zu-
stand ohne Einfluss. — Die Ursache der Erkrankung wurde nun gegen
£nde Februar in den Arsengehalt der .Tapete (grüne Blätter auf mehr
braunem Grunde) gefunden. — Bis in den Mai blieb Pat. an das Haus
gefesselt, und obgleich er das ominöse Zimmer selbstverständlich verlassen
hatte, dauerten die Vergiftungserscheinuugen zunächst noch an. Das Erste,
das sich besserte, war der Appetit , auch die Athembeklemmung und das
Halsweh schwanden, doch war Ende Mai der subfebrile Zustand verbunden
mit einem starken GefOhl von Abgeschlagenheit und Mattigkeit noch vor-
handen. Gegen Ende Mai der letzte Abscess. Im Juni und Juli eine
KnoiTsskur, während welcher die abnormen Temperaturen schwanden und
die Kräfte sich hoben, doch war die volle frühere Gesundheit bis Beginn
des Winters 1877 noch nicht da.
. Nachdem ich somit das Vorkommen subfebriler Zustände von
erheblicher Dauer in den eingangs aufgezählten Krankheiten und
Krankheitscategorien dargelegt habe, gehe ich nun zu den allge-
232 X. KsBNia
meinen Sätzen überi welche sich etwa aus den Yorliegenden Be-
obachtungen ziehen lassen.
Es ist selbstverständlich nicht möglich und ganz ungerechtfer-
tigt, das Vorkommen lange andauernder subfebriler Temperaturen in
all den aufgezählten Fällen auf eine und dieselbe Ursache zurück-
führen zu wollen«
In dem Fall 32 (Abdominaltyphns) und in dem bei demselben
erwähnten Fall von 3 wöchentlichem Abdominaltyphus (ebenso viel-
leicht in Fall 28), ist der subfebrile Temperaturverlauf bei den sonst
gesunden Individuen wohl ziemlich sicher auf die Art und aut die
Intensität der Infection zurückzuführen. Ob eine geringe indivi-
duelle Disposition für das specifische Gift mit im Spiele ist, mag
dahingestellt bleiben. — Dass das Fieber bei Eintritt der syphiliti-
schen Allgemeinerscheinungen ebenfalls als infectiöses aufzufassen
ist, ist selbstverständlich.
Bei einer langen Reihe von Fällen, so bei den rheumatiscben
Affectionen, bei der parenchymatösen Nephritis, bei, oder vielmehr
pach Parametritis, bei Milzinfarkten, bei Pleuritis, bei dem Fall von
schwerer Bronchitis handelt es sich offenbar um locale, mehr oder
weniger protrahirt verlaufende entzündlicheVorgänge, welche
den subfebrilen Zustand unterhalten. Ebenso wohl auch bei dem
subfebrilen Zustande nach Masern (Lungen, Bronchialdrüsen).
Als wesentlich ebenfalls auf entzündlichen Vorgängen beruhend
ist das Fieber bei den zur Pbthisis führenden Lungeninfiltraten auf-
zufassen. Wenn auch ein constitutionelles Moment hier mitwirken
mag (siehe unten), so ist doch der Zusammenhang zwischen den ent-
zündlichen Processen im Lungenparenchym und dem subfebrilen resp.
febrilen Zustande ein zweifelloser. DieserZusammenhang ist so evi-
dent, dass er mich zwingt, auch für unsere sechs ersten Fälle, in
denen die subfebrilen Zustände allen überhaupt wahrnehmbaren
Zeichen einer Lungenaffection, zum Theil selbst dem Husten, voran-
gingen, anzunehmen, dass die localen Processe in den Lungen doch
gleichzeitig mit dem Fieber begonnen, dieses bewirkt haben, freilich
eben noch nicht nachweisbare Localsymptome machten. Als ein
Grund mehr hierfür kann angeführt werden, dass in mehreren von
den sechs Fällen (in Nr. 3, 4, 5, 6) zu der Zeit, wo es zum ersten
Mal gelang ein Lungeninfiltrat zu finden, sich zunächst Nichts an
dem (subfebrilen) Charakter des Fiebers änderte. Erst mit fort-
schreitender Infiltration wurde das Fieber erheblicher und auch nicht
immer.
In der Mehrzahl der anderen oben angeführten Fälle haben aber
Sabfebrile Zust&nde. 233
die andauernden aabfebrilen Zustände mehr oder weniger klar, ausser
etwaigen localen, chronisch entzündlichen Vorgingen (Lymphdrüsen),
soch eine anomale Constitution sur Begründung.
Am klarsten und am meisten in die Augen springend ist dieses
hinsichtlich der Serophnlösen der Fall. Wir haben gesehen, dass
selten einfache katarrhalische Anginen, leichteste Fälle Ton abdomi-
saltyphöser Infection, katarrhalischer Icterus, Phlegmone subfebrile
Zostände bei ihnen hervorrufen, welche mehr oder weniger lange
fortdauern können, auch wenn die veranlassende Krankheit als ab-
gelaufen zu betrachten ist. Ob dieses auf dem Wege geschieht, dass
eine mehr chronische Entzündung d^ entsprechenden Lymphdrü-
sen durch die Angina, den leichten Abdominaltyphus etc. veranlasst
wird, und dass diese supponirte Lymphadenitis (interna) dann die
eigentliche Ursache des subfebrilen Zustandes darstellt, ist fraglich,
jedoch nicht ganz unwahrscheinlich; wenigstens zeigen die Fälle
mit äusseren Lymphadeniten und diejenigen, bei welchen aus anderen
Gründen eine Affection innerer Lymphdrüsen sehr wahrscheinlich ist
(Fall 25 und 26), dass eine derartige Begründung der häufigen sub-
febrilen Zustände bei Scrophulösen sehr wohl möglich ist — Aber
wie man sich auch die Entstehung denken mag, das Factum,
dasB Scrophulöse verhAltnissmässig oft und leicht an-
dauernde BubfebrilelZustände aufweisen, bleibt in die
Augen fallend und kann unter Umständen ebenso gut
aUCharakteristicum der scrophulösen Constitution be-
nutzt werden, wie der Habitus, wie die bekannten Entzündungen
der Haut, der Schleimhäute, der Augen und Ohren, der Gelenke und
Knochen.
Ich habe schon oben erwähnt, dass auch bei dem Fieber, wel-
ches mit den zur Lungenphthisis führenden Processen verbunden ist,
ebenfalls ein constitutionelles Moment zur Begründung desselben,
aoaser den loealen Processen selbst, herangezogen werden kann.
Wenigstens ist bekannt, dass die mehr oder weniger chronischen
Langenkranken verhältnissmässig leicht auf geringfügige Ursachen
hin, ebenso wie die Scrophulösen fiebern, und dass andererseits für
die grosse Mehrzahl der zur Phthisis führenden Proce&se eine ano-
male Constitution als zu Grunde liegend angenommen werden muss ^).
1) V. Bnhl macht in seinem Bache: LungenentzQndung, Tuberkulose und
Schwindsucht. München 1873, eine anomale Constitution für die reine desquama-
tive und die k&aige resp. tuberculose Pneumonie geradezu zur Yoraussetzung und
definirt dieselbe iS. 139) als „die Neigung der organisatorischen Th&tigkeiten eines
Individuums, auf geringe Reize durch ungewöhnlich zellenreiche Exsudate zu ant-
234 X. Kernig
Ausserdem ist unter Umst&nden bei den Phthisischen ein gewisses
Missverhältniss zwischen dem Fieber und den localen Erscheinungen
nicht zu verkennen; ich yerweise hier auf unsem Fall 6, der den
übrigen Symptomen nach als abgelaufen betrachtet werden kann und
dennoch bis jetzt abnorme Temperaturen aufweist
Hinsichtlich der Constitution der Patienten in unseren oben an-
geführten 12 Fällen Yon Lungeninfiltraten, die den in Rede stehen-
den Verlauf nahmen, bemerke ich, dass sich 7 Fälle bei schon
anderweitig als scrophulös gekennzeichneten Individuen (Fall 5, 6,
7, 8, 10, 11, 12) finden. Unter den 5 anderen finden sich bei 2
(Fall 1 und 3) noch vor der Lungenerkrankung jene (ominösen) bei
den Scrophulösen hinreichend geschilderten Anginen mit verhältniss-
massig lange andauernden subfebrilen Temperaturen — nach meinen
hier dargelegten Erfahrungen fast schon ein genügendes Zeugnias,
dass auch bei ihnen die Constitution keine gesunde (auch Scrophu-
lose?) war. Fall 1 betraf ausserdem ein von vornherein sehr schwäch-
liches, anämisches zartes Kind. Nur bei 3 (Fall 2, 4, 9) ist ein
constitutionelles Leiden von der uns hier interessirenden Art im Eran-
kenjoumal nicht nachzuweisen (bei 4 leichter Scorbut vor der Lnn-
generkrankung).
Wenn ich nun auch, wie oben ausgeführt, annehmen muss, dass
bei den zur Phthisis führenden Lungenproc€M9sen die subfebrilen (resp.
febrilen) Zustände durch die localen Processe hervorgerufen und unter-
halten werden, so ist doch die Mitwirkung des constitutionellen Mo-
mentes insofern nicht ausgeschlossen, als in Folge desselben die be-
treffenden Patienten eben schon leichter , andauernder und auf ge-
ringere Ursachen hin fiebern als Gesunde. Ein Katarrh, eine leichte
Angina, die beim Gesunden noch fieberlos verläuft, wird beim Phtbi-
siker, resp. zur Phthisis Disponirten sich mit Fieber verbinden.
Für die Fälle von andauernden subfebrilen Temperaturen bei
Scorbut, perniciöser Anämie, Leukämie ist die constitutionelle Be-
gründung wohl ebenfalls anzunehmen, wenn auch mit dem Zwischen-
gliede chronisch- entzündlicher Localaffectionen (Scorbut), oder inso-
fern infectiöse Processe als Zerfallsproducte im Körper entstehen,
die normaler Weise in ihm nicht gebildet werden (pemiciöse Anämie,
Leukämie) 0-
Worten''. — Rindfleisch identificirt die in Frage stehende Constitution mit der
scrophulösen.
1 ) Man vergleiche die interessanten Auseinandersetzungen Immermann *8 über
Entstehung des Fiebers bei progressiver perniciöser An&mie, bei Leuk&mie und
Fseudoleuk&mie in v. Ziemssen's Handbuch. Bd.XIIL l. S. 639 ff.
Sabfebrile Zost&nde. 235
Nicht zu bezweifeln soheint . mir femer die constitationelle Be-
grflndang der subfebrilen Znatände in einigen der obigen Fälle (IS,
30, 31), welche ich zwar nicht unter die bekannten Kategorien ein-
reihen konnte, aber doch den Scrophulösen und Phthisischen zunächst
stellen musste. lieber den Fall 13 habe ich mich schon in der da-
selbst beigefügten epikritischen Bemerkung ausgesprochen und kann
hier nur wiederholen, dass das auffallende Factum eines ^A jährigen
Bestehens von subfebrilen Temperaturen, wenn auch mit Unter-
brechungen, und wenn auch successiye aus yerschiedenen Veranlas-
sungen, wohl nur durch constitutionelle Disposition erklärt werden
kann. — Fall 30 betrifft ein äusserst elendes, mageres, anämisches
Individuum, welches auch bei guter Pflege alle die Jahre hindurch,
wo ich es sah, kein besseres Aussehen gewann; dasselbe war, wenn
auch nicht deutlich scrophulös, so doch offenbar nicht von normaler
Constitution. Der lange andauernde subfebrile Zustand trat ganz
ohne sichtbare Veranlassung ein. — Fall 31 endlich liess bei der
ersten Untersuchung zwar keine constitutionelle Anomalie bemerken,
aber ein Jahr später hat der Patient nach Ablauf eines infectiösen
Hagenkatarrhs wiederholt subfebrile Temperaturen ohne sonstige
Ursache, und die Pneumonie, die ein halb Jahr später eintritt, nimmt
einen auffallend schlimmen Verlauf (complicirt sich mit einem Peri-
cardialexsudat und einer Parotitis).
Es bleiben somit von den bei den Scrophulösen anhangsweise
mitgetheilten Krankengeschichten nur die Fälle 27, 28 und 29, fttr
welche ich ein Merkmal constitutioneller Disposition nicht anführen
kann, wenn eben die subfebrilen Zustände selbst nicht als ein sol-
ches genommen werden sollen. Die Fälle betrafen resp. eine Angina,
einen Abdominaltyphus und einen simpeln Magenkatarrh; in diesem
letzten Falle (29) constatirte ich Übrigens doch nachträglich ein Drfl-
senpaquet in der rechten Achselhöhle. Das Auftreten und der Ver-
lauf der subfebrilen Temperaturen zeigte in diesen Fällen eine ent-
schiedene Analogie mit demjenigen bei Scrophulösen; auch ist sehr
wohl möglich, dass die Scrophulose bei ihnen ttbersehen, nicht notirt
worden ist.
Ganz eigenartig ist die ätiologische Begründung, welche Uf fei-
mann seinem Fall von anhaltendem, leichtem Fieber bei dem gastro-
tomirten Knaben gegeben hat. Obgleich ich dieselbe durchaus nicht
znrflckweisen will, so lässt sich doch die Frage aufwerfen, ob nicht
immerhin eine hier sehr wohl begreifliche „ constitutionelle Schwäche ^
begründet in der vorangegangenen Inanition, bei dem Zustandekom-
men der ganzen Erscheinung mitgewirkt hat Auch die subfebrilen
236 X. KsBNia
Temperaturen bei Magencarcinom und bei dem Fall von chronischer
Aroenikvergiftung mögen zum Tbeil ihre Ursache in der Zerrflttung
oder Schwächung der Constitution^ welcher die betreffenden Patienten
unterliegen, ihre Ursache haben, zum andern Theil mögen auch hier
abnorme ins Blut aufgenommene Zorsetzungsprodncte mitwirken.
Nach diesen Erörterungen über die ätiologische Begründung der
in Bede stehenden Zustände und nach der ausführlichen Darlegung
der oben mitgetheilten Beobachtungen glaube ich den Satz aufstellen
zu dürfen, dass das Auftreten subfebriler Temperaturen
für längere Zeit in der Mehrzahl der Fälle als mitbe-
gründet in der Constitution des betreffenden Indivi-
duums anzusehen ist, dass ausdemselben invieleuFäl-
len ein Bttckschluss auf eine nicht normale Constitution
gestattet ist. Diese Constitution ist vorzugsweise die scrophulose
und die phthisische.
Wer den obigen Krankengeschichten einige Aufmerksamkeit ge-
schenkt hat, wird es begreiflich finden, dass derartige Fälle recht
häufig dem Arzte bedeutende diagnostische Schwierigkeiten
machen können. Man sieht sich wochenlang dem Patienten gegen-
über in der Lage, nicht zu wissen, worauf die offenbar vorliegenden
krankhaften Erscheinungen, das leichte Febricitiren, das Gefühl des
Unwohlseins, die Schwäche oder leichte Abmagerung zu beziehen
sind, ob nicM gai* jene fatalen Lungenerkrankungen im Anzüge sind.
Diesen Schwierigkeiten gegenüber habe ich selbstverständlich nnr
den einen Bath, immer und immer wieder möglichst allseitig den
Kranken zu untersuchen und die ätiologischen Beziehungen zu er-
wägen.
Mit am wenigsten Schwierigkeiten machen noch die infeetiösen
Fälle (leichteste Abdominaltyphen), da bei diesen im Laufe von Tagen
die gastrischen Erscheinungen und die Milzschwellung sich unTer-
kennbar manifestiren, auch in vielen Fällen die vereinzelten Boseolae
nicht ausbleiben.
Leicht auch ist die Diagnose, wo der entzündliche Herd schon
manifest ist, so bei Lungenerkrankungen, die physikalisch nachweis-
bar sind, bei rheumatischen Affectionen, bei Parametritis in späteren
Stadien, bei Entzündung äusserlich fühlbarer Lymphdrüsen. Beim
Suchen nach entzündlichen Herden sind auch Milz und Nieren zn
berücksichtigen. Hinsichtlich der Milz haben wir in der Anamnese,
in dem Factum, dass eine schwere acute Krankheit (Typhus, Febris
recurrens) vorangegangen ist, eine diagnostische Handhabe, hinsiebt-
Sabfebrile Zust&nde. 237
lieb der Nieren in dev HamanterBachung« Uebrigens ist hinsichtlich
interner EiterungsprocesBe 2U bemerken, dass sie daroheehnittlich
höhere Temperaturen als blos subfebrile, namentlich erheblichere
Exacerbationen machen.
Die Diagnose der aufgezählten Constitutionsanomalien, der Sero-
phalose, der Syphilis, des Scorbut, der pernieidsen Anämie, der Leuk-
ämie, ist im Allgemeinen keine schwierige und geschieht nach den
bekannten Regeln. Nur fflr die phthisische Constitution, wenn man
diese von der scrophulosen trennt, ist sie schwieriger, hier fällt unter
Umständen die Heredität schwer ins Gewicht.
Aber wenn bei einem andauernd subfebrilen Individuum die
Diagnose der Constitutionsanomalie gestellt ist, dann bleibt die eigent-
lich schwierige Frage : warum fiebert dasselbe? welche specielle Ur-
sache ffir das Fieber liegt bei demselben vor? noch zu beantworten.
Der Scrophulöse, der zur Phthisis Disponirte, der Scorbutische oder
Syphilitische fiebert an sich ja nicht, das Fieber hat immer noch
eine besondere Veranlassung. Wenn wir hier zunächst nur die Scro-
phulosen und die einer Disposition zu Lungenerkrankungen irgendwie
Verdächtigen ins Auge fassen, so ist klar, dass hier für die Diagnose
and Prognose subfebriler Zustände der Kernpunkt liegt. Denn in
der Praxis bilden diese Fälle das häufige und fast alltägliche Vor-
kommniss, während alle ttbrigen Fälle subfebriler Zustände doch
rarae ares sind.
Können wir bei Scrophulosen, oder bei einer phthisischen Con-
stitution Verdächtigen eine vorausgegangene veranlassende an sich
leiehte Krankheit fttr die subfebrilen Temperaturen nachweisen, wie
etwa eine Angina, Binen leichten Abdominaltyphus, Masern, oder
können wir bei ihnen Grund haben, eine Entzündung äusserer oder
innerer Lymphdrflsen anzunehmen, so mag sich die Diagnose nach
BerQcksichtigung der Lungen damit begnügen. Fehlt aber bd der*
artig disponirten Individuen eine veranlassende anderweitige Krank-
heit, so ist beim Eintritt subfebriler Zustände mit um so grösserer
Aufmerksamkeit der Zustand der Lungen ins Auge zu fassen. Frei-
lich können hier Wochen vergehen, ehe man zu einer sichern Dia-
gnose kommt
Dass man im Allgemeinen bei der diagnostischen Beurtheilung
sobfebriler Zustände ein ausschliessendes Verfahren wird einzuhalten
haben, d. h. Organ fbr Oigan und eine Möglichkeit nach der andern
^rd durchgehen mfissen, ehe man zu einer bestimmten Diagnose
gelangt, versteht sich nach dem Obigen leicht. (Geduld freilich ist
nöthig — erst die Zeit bringt unter Umständen Aufklärung. — Wie
238 X. Kbrnio
eindringlich auch unsere Fälle einem systematischen Gebrauch des
Thermometers zu diagnostischen Zwecken das Wort reden i scheint
. fast überflüssig zu bemerken. Fttr alle die Fälle namentlich, welche
Verdacht hinsichtlich der Lungen erwecken, ist ein regelmässiges
Thermometriren unbedingt nöthig; es gehört mit zu den ersten Er-
kennungsmitteln beginnender Phthisis und ist reichlich ebenbürtig
allen den anderen bekannten physikalisch-diagnostischen Methoden.
Au(jh in prognostischer Beziehung sind die Fälle von
andauernden subfebrilei^ Temperaturen nicht gleichwerthig. Wenn
ihnen, ganz im Allgemeinen gesprochen, immer etwas Ominöses, Un-
behagliches für den Praktiker anhaftetf so beruht dieses wohl haupt-
sächlich darauf, dass er dieselben am häufigsten an Lungenkranken
und an Solchen beobachtet, welche es später leicht werden (Sero-
phulöse), er auch häufig wegen derselben diagnostische Scrupel dareb-
zukämpfen hat. Uebrigens ist eine derartige Auffassung subfebriler
Zustände im Allgemeinen nicht unberechtigt.
Verlaufen anderweitig wohl charakterisirte Fälle von Infections-
krankheiten (Abdominaltyphus) unter dem Bilde eines nur subfebrilen
Unwohlseins, so wird man offenbar die Prognose gut stellen dürfen;
wenn man sich auch nicht verleiten lassen wird, die sonst Ablieben
Vorsichtsmaassregeln (Diät etc.) ausser Acht zu lassen. Auch bei
rheumatischen Affectionen ist, wenn sonst keine Gomplication yor-
handen ist, die Prognose gut zu stellen. Sehr bedenklich ist sie
aber offenbar bei parenchymatöser Nephritis und bei Milzinfarcten;
hinsichtlich der letzteren ist es ja sogar der subfebrile Zustand allein,
welcher der fortbestehenden Milzschwellung den ominösen Charakter
gibt. Bei pemiciöser Anämie und bei Leukämie sind die febrilen
resp. subfebrilen Zustände von schlimmer Bedeutung und können
Ankündiger des nicht sehr fernen Todes sein. Bei Scorbut werden
sie immerhin eine unliebsame Beigabe bilden. Welche Prognose ibnen
bei Syphilis zukommt, geht aus ihrem Eintritt zur Zeit des begin-
nenden Allgemeinleidens oder in sehr späten (tertiären, Bäum 1er)
Perioden hervor.
Wenn bei nachweisbar Scrophulösen subfebrile Zustände im An-
schluss an anderweitige leichtere Krankheiten eintreten , so deuten
sie prognostisch schon auf eine erheblichere Schädigung der Consti-
tution , sind also recht ernst aufzufassen , und ist die Zukunft des
Individuums im Auge zu behalten. Ist man bei Scrophulösen gd-
nöthigt, die subfebrilen ZustäQ.de auf Erkrankung innerer Lymph-
drüsen, der Bronchial- und Mesenterialdrttsen zu beziehen, so ist die
Prognose noch vorsichtiger zu stellen.
Sabfebrile Zustände. 239
Handelt es sieh um Individuen, die einer Disposition zu Phtkisis
verdäehtig sind, seien sie nun dabei deutlich scrophulds oder nicht,
erscheinen die subfebrilen Temperaturen ohne deutliche Veranlassungi
Qüd etwa noch in der Form des Typus inversus der Tagescurve, so
bat man dringend den Beginn von zur Phthisis führenden Processen
io den Lungen zu befttrchten. Sind letztere endlich nachweisbar, so
ist ihre Prognose die leider nur zu bekannte. Handelt es sich um
phthisische Individuen, die schon seit längerer oder kürzerer Zeit
LoDgeninfiltrate etc. haben, und bei denen sich Zeichen von Besserung
and eben darum nur subfebrile Zustände einstellen, so rede man
doch so lange nicht von Stillstand oder halbwegs sicherer Besserung,
als nicht die subfebrilen Temperaturen andauernd geschwunden sind
and Monate lang nicht vorkommen. — Das Vorkommen von sub-
febrilen Zuständen nach acuten Pneumonien, zumal wenn diese nicht
ganz entschieden die Merkmale der croupösen an sich tragen, ist
immer sehr vorsichtig aufzufassen und muss ernste Maassregeln (event
klimatische Curen) fttr die Zukunft indiciren.
In dem Fall von schwerer acuter Bronchitis (Nr. 14) hat sich
nachträglich der subfebrile Zustand als irrelevant erwiesen, aber
während des Bestehens desselben war es unmöglich, die Prognose
mit einiger Sicherheit zu stellen. Dagegen habe ich in einigen Fällen
Yon ebenfalls sehr schwerer diffuser Bronchitis, die durch den fiber-
aas heftigen Husten und die begleitenden Schweisse und Verdauungs-
at^QDgen die Patienten ernst afficirten, die aber unter meinen Augen
absolut fieberlos begannen und verliefen, die Prognose mit grosser
Sicherheit gut gestellt und bin nicht getäuscht worden. Wie pro-
gnostisch vorsichtig, man bei einer Pleuritis sein muss , wenn sich
ihr lange anhaltende subfebrile Temperaturen anschliessen , lehrt
Fall 13 und ist ja auch sonst selbstverständlich.
Die wenigen Fälle (eigentlich nur 27 und 28), in denen sub-
febrile Temperaturen bei Individuen beobachtet wurden, fttr welche
keine Constitutionsanomalie notirt ist, werden uns somit nach all
Diesem unsere Meinung kaum ändern lassen, dass allerdings in der
grossen Mehrzahl der Fälle ihnen etwas Ominöses, Zweideutiges an-
haftet, dass sie meist sehr ernst zu beurtheilen sind. — Auch der
Umstand, dass es in einzelnen Fällen (6, 25, Uffelmann's Fall)
gelangen ist, durch eine äusserst sorgfältige Pflege den Einfluss der
subfebrilen Temperaturen in der Weise zu compensiren, dass die
Patienten an Eörperfttlle zunehmen, kann uns an dieser Meinung
Bicht irre machen«
240 X. Ekrnig
<
Therapeutische Bemerkungen zu machen, kann ich mich woU
enthalten. Die therapeutischen Maassnahmen werden sich ja ganz
nach den individuellen Verhältnissen richten und sehr häufig darauf
ausgehen, die Constitution zu bessern; gute Luft und gute Nahrung
werden alsdann obenan stehen. — Ich möchte hier nur auf die Wir-
kung des Chinin in so grossen Dosen (^j, oder 1,2 bis 1,5 6rm.),
wie ¥rir sie häufig bei schwer Fiebernden anwenden, aufmerksam
machen. Im Fall 26 (Tafel IV. Curve 18) sind sie von dem Vater
des Patienten doch wohl mit Nutzen bezttglich des definitiven Schwin-
dens der abnormen Temperaturen gebraucht worden. Ich selbst habe
in unseren Fällen 5, 6 und 32 Versuche mit Chinin gemacht, doch,
wie man sieht (Curve 8 b, Curve 1 1 b und Curve 19), blieb es ohne
Wirkung. In Oregory's Fall von chronischer Arsenikvergiftung
war dasselbe der Fall. Auch in zwei anderen Fällen von subfebrilen
Temperaturen, die mir jetzt zur Beobachtung stehen, ist das Chinin
in den obigen Dosen ohne Wirkung; der eine dieser Fälle moss zn
unserm Fall 20 in Analogie gestellt werden (ist dort auch erwähnt),
der andere betrifft eine ausgesprochene Affection beider Lungenspitzen.
In dem letztem Fall schafft, wie gesagt, das Chinin die subfebrilen
Temperaturen nicht weg, scheint aber höhere Fieberexacerbationen
zu verhindern. Es erinnert dieses an das Verhalten der Chininwir-
kung bei Gesunden, wie sie von JttrgensenO festgestellt worden
ist. Bei Gesunden setzt das Chinin in den bekannten Dosen die
Temperatur nicht herab, bewirkt aber, dass dieselbe das Bestreben
zeigt, nach dem Typus der geraden Linie zu verlaufen. Vielleicht
liegt in diesem Satze die Erklärung, warum in der Mehrzahl unserer
Chininversuche eine deutliche Wirkung nicht eintrat; die subfebrilen
Temperaturen liegen eben sehr nahe der Norm. Ausserdem mag
der Umstand, dass in den Fällen 5 und 6 die abnormen Tempera-
turen schon sehr lange andauerten, ehe die Chininversuohe gemacht
wurden, nicht ohne Bedeutung sein.
Jodkalium ist in der Idee, auf entzündliche Proeesse in den
Lymphdrüsen einzuwirken, in vier Fällen (1, 15, 23, 26, wo das
Chinin wirksam war) ohne jeden Erfolg auf die subfebrilen Tempe-
raturen genommen worden, vielleicht nicht mit genflgender Ausdauer.
In den Fällen von syphilitischem Fiebw, zumal wenn dieses in den
späteren (tertiären) Perioden auftritt, ist es entschieden wirksam
(Bäumler).
1) Die Körperwärme des gesunden Menschen. S. 40.
Sttbfebrile Zustände. 241
Ich schliesse diese Arbeit mit der Aufstellung einiger SAtze, die
sich unmittelbar aus den Beobachtungen ergeben:
£8 kommen subfebrilei über Wochen und Monate, ausnahmsweise
noch länger sich erstreckende Zustände vor, die nur durch lange
fortgesetzte thermometrische Messungen nachzuweisen sind.
Sie deuten in der Mehrzahl der Fälle auf eine anomale Con-
stitution, auf eine gewisse constitutionelle Schwäche.
Sie werden am häufigsten an Scrophulösen, an zur Phthisis Dis-
ponirten und an schon Phthisischen beobachtet, kommen aber auch
bei mannigfachen anderen Krankheiten vor.
Bei Scrophulösen und Phthisischen ist ihr Auftreten auch in Folge
anderweitiger Krankheiten ein so häufiges, dass sie mit als Charak-
teristicom der scrophulösen und phthisischen Constitution benutzt
werden können.
Sie können bei später Pbthisischen um (2 — 5) Wochen jedem
andern auf die Lungen bezüglichen Symptom Yorausgehen, auch dem
Hasten.
Sie sind häufig in prognostischer Beziehung als ominös zu be-
trachten, zumal wenn die Tagescurve den Typus inveraus einhält.
Ausnahmsweise kann ihr consumirender Einflus» durch gute
Pflöge compensirt werden.
DeutMhM ArctalT f. kUn. Mddioln. XXIV. Bd lÖ
XL
Kleinere Mittheilungen.
1.
£in Fall von Lyssa humana mit ungewöhnlich langer
Latenz. 0
Von
Prof. Dr. N. Friedreich.
Der 14 jährige W. L. in Weinheim, ein geistig nnd körperlich völlig
gesunder Knabe, wurde am 14. Juli 1867 von dem eigenen Hunde, einem
kleinen Pinscher, in den Mittelfinger der linken Hand gebissen. Das schon
seit mehreren Tagen wuthverdächtige Thier, welches dem Thierarzte zur
Beobachtung übergeben wurde, krepirte am 21. Juli. Die Section ergab
starke Hyperämie der Gehirnhäute, missfarbigen Schleim, sowie allerlei an-
verdanlicbe Dinge (Stroh, Holzstflckchen etc.) im Magen, dessen Schleimbact.
namentlich im Cardiatheil, fleckig geröthet erschien. Die Diagnose des
Thierarztes lautete nach dem Resultate der Section, sowie der Beobach-
tung des noch lebenden Thieres entschieden auf Wuthkrankheit. Die in
einer kaum blutenden Excoriation an der Dorsalseite des Nagelgliedes des
genannten Fingers bestehende Verletzung wurde von dem Hausarzte nach-
drücklich, jedoch erst nach mehreren Stunden mit Höllenstein geätzt und
Kupferoxydsalbe zur Einreibung in deren Umgebung ordinirt. Die kleine
Wunde war nach wenigen Tagen geheilt; der Knabe blieb frisch nnd ge-
sund.
Man hatte längst das frühere Ereigniss vergessen, als am 4. Mai
1868 Gefühle von Pelzigsein nnd „ zuckende '^ Schmerzen im linken Anne
sich einstellten, welche von dem früher verletzten Finger ausgehend nach
oben bis zur Schulterhöhe sich erstreckten. Der im üebrigen sich wohl-
fühlende Knabe beachtete diese Symptome Dicht, besuchte noch täglich die
Schule und unternahm noch am 7. Mai mit seinen Commilitonen einen
weiteren Spaziergang. Aber schon am folgenden Tage, nach einer nn-
ruhigen, durch gesteigerte Schmerzen im Arm gestörten Nacht, kamen
schlimmere Symptome zum Ausbruch: belegte Zunge, gallig -schleimiges
Erbrechen, bis zu den höchsten Graden rasch sich steigernde Angstgefühle,
Beklemmungen, Unruhe, Aufregung und Unfthigkeit zu schlucken. Die
n Mitgeiheilt in der Versammlung süddeutscher Neurologen und Irrenftnte
in Heidelberg am 17. Mai tS79.
XI. Kleinere MittheDungen. 243
folgende Nacht wiedernm sehr nnrnhig und schlaflos; doch waren die
Schmerzen im Arne seit dem Eintritt der Wuthsymptome verschwanden.
im 9. Mai traf der behandelnde Arzt bei der Morgenvisite den Kranken
mit scheuen, verstörten Gesichtszflgen , höchster Präcordialangst, heftigen
Scblnndkr&mpfen und grösstem Abscheu vor Getränken. Eine subcutane
Morpbinminjection brachte nur vorübergehende Erleichterung, so dass die-
gelbe gegen Mittag wiederholt wurde. Als ich am Nachmittage desselben
Tages zur ConsuUation beigezogen wurde, fand ich den Knaben in der
grössten Aufregung und Unruhe; sehr freqnente Respiration mit Gefühlen
der qualvollsten präcordialen Angst und Beklemmung, momentan nachlas-
BCDd, dann wieder mit erneuter Heftigkeit exacerbirend. Jeder Schluck-
TersDch ist begleitet von der heftigsten Erregung; der Knabe stösst das
Dargebotene mit hastigen Bewegungen von sich, bittet, man möge sich ihm
nicht nähern und durch Zureden ihn nicht quälen, da dies seine Aufregung
und Angst vermehre, lieber Schmerz beim Schlucken klagt Pat. nicht;
er sagt, dass er selbst den Grund nicht wisse, wesshalb er nicht schlucken
könne, er bringe eben Nichts herunter, am Wenigsten etwas Flüssiges.
Der Speichel, dessen Secretlon nicht wesentlich vermehrt zu sein scheint,
wird mit einem Tuche von dem Kranken beständig mit grösster Hast aus
dem Munde gewischt aus Angst, ihn schlucken zu müssen. Dazwischen
hänfiges Würgen und Erbrechen einer geringen Menge schleimig-galliger
Flüssigkeit. In den Remissionen gelingt es mitunter, dem Knaben halb-
feste, schleimige Nahrungsmittel, allerdings nur in geringen Quantitäten
beizubringen, während ganz flüssige Dinge, namentlich Wasser, auch dann
hastig zurückgewiesen werden. Den quälenden Durst sucht Patient durch
Ablecken des in Wasser getauchten Fingers zu mindern. Häufig steigert
sieh die Unrphe zu Anfällen wirklicher Raserei, in denen der Kranke tobt,
schreit , um sich schlägt, aus dem Bette springt und den Kopf gegen die
Wand stösst, „um dem Leiden ein Ende zu machen **; er verlangt unge-
stüm, in eine Zwangsjacke gesteckt oder in eine Irrenanstalt gebracht zu
werden; er will, dass alle Menschen aus dem Zimmer sich entfernen, da
deren Nähe, selbst schon deren Anblick die fürchterliche Angst nur ver-
mehre. In den Remissionen gelang es mir, allerdings erst nach wieder-
holten Versuchen, durch Einführen eines Spatels einen Einblick in die
Mnndrachenböhle und die Ueberzeugung zu gewinnen, dass alle Theile
normal sich verhalten. Störungen des Bewusstseins , eigentliche Delirien,
Kopfschmerzen fehlten während des ganzen Krankheitsverlaufes, ebenso
tetanische Krämpfe. Pupillen normal. Keine Temperaturerhöhung, dagegen
sehr beschleunigter Puls. Die Organe der Brust- und Unterleibshöhle durch-
aus normal. Am Finger ist nur noch eine undeutliche, schmerzlose ober-
fiächliche Narbe an Stelle der früheren Verletzung zu erkennen.
Nachdem die Anfälle der heftigsten Wuth und Erregung bis 10 Uhr
Nachta angedauert hatten, trat Erschöpfung und längere Ruhe ein. Unter
Ausbruch reichlichen Schweisses wurde der Puls kleiner und noch freqnen-
ter, und nach einem nochmaligen heftigen Anfall von Würgen und Erbrechen
erfolgte bereits um 1 Uhr Nachts die Letalität. Die Narbe hatte nach dem
Tode eine etwas livide Farbe angenommen. Die Section der Leiche, welche
auffallend rasche Fäulnisserscheinungen zeigte, konnte nicht vorgenommen
werden.
16*
244 XI. {[leittere MittheUungen.
In diesem ätiologisch und diagnostisch durchaus sichergestellten Falle
von Lyssa humana ist zunächst die lange, auf fast zehn Monate sich er-
streckende Dauer der Latenzperiode bemerkenswerth. Da in dem Knaben
die Erinnerung an den früheren Biss längst geschwunden war, und man
Alles vermied, was dieselbe hätte zurückrufen und somit den Gedanken an
die wahre Ursache der Erkrankung hätte wecken könneui so durfte wohl
jeder psychische Einfluss auf die Entstehung der Krankheitserscheinungen
mit aller Bestimmtheit ausgeschlossen werden, und es widerlegt somit unser
Fall die von manchen Autoren ausgesprochene Meinung, wenn solche Über-
haupt heut zu Tage noch einer Widerlegung bedttrfte, dass es sich bei
der Wuthkrankheit des Menschen nicht um die Wirkung eines specifischen
Giftes handle , sondern lediglich um eine durch Angst und Aufregung in
der Erwartung des furchtbaren Uebels hervorgerufene Neurose.
Allerdings liegt etwas Widerstrebendes in der Annahme, dass ein Gift
während der langen Dauer von 10 Monaten durchaus unschädlich mit dem
Blute circulirt haben sollte, um erst nach dieser Zeit mit einem Schlage
die acutesten und rasch zum Tode führenden Krankheitssymptome her-
vorzurufen. Aber die Sache wird dem Verständnisse näher gebracht,
wenn wir an der von verschiedenen Autoren vertheidigten Ansicht fest-
halten, nach welcher das Wuthgift, dessen Träger wir uns doch nur als
ein Gontagium vivum in Form niederster, lange Zeit hindurch dnes latenten
Lebens, einer Vita minima fähiger Organismen denken können, in dem Ge-
webe der Narbe und deren Umgebung oder in den nächsten Lymphdrüsen
deponirt bleiben kann, um erst nach unbestimmter Zeit unter dem Einfluss
begünstigender Momente flott zu werden und in den Kreislauf zu gelangen,
oder auch um vielleicht für das ganze Leben des Verletzten in jener un-
schädlichen Ruhe zu verharren. Von diesem Gesichtspunkte aus and An-
gesichts der in dem mitgetheiiten Falle sicher gestellten Latenzperiode von
10 Monaten scheint es mir ungerechtfertigt und willkürlich, wenn einige
Schriftsteller über Lyssa Fälle, in denen die Latenzperiode über die Dauer
eines oder mehrerer Jahre hinaus sich erstreckt haben sollte, bezweifeln
and in das Bereich der Fabeln zu verweisen geneigt sind. ^) I>eDn wean
ein Gift nachweislich 10 Monate hindurch unschädlich irgendwo in den
Geweben zu lagern im Stande ist, so ist nicht einzusehen, wamm dies
nicht auch während eines oder mehrerer Jahre und während dner noch
längeren, lieliebigen Zeitdauer möglich sein sollte. Bezüglich meines Falles
dürfte der Umstand besonders hervorgehoben zu werden verdieoeo, dass
der Knabe das Violinspielen, welches seit dem Bisse nnterlasaen worden
war, erst wenige Tage vor dem Aaftreten der ersten Knnkhätssymptoine
wieder b^onnen hatte, und es drängt sieh die Annahme aof, daas durch
die damit verbundenen Bewegungen der Finger der verletzten Hnnd eise
lebhaftere Saftströmung im Arme angeregt, und dadurch das in der Narbe
oder deren Umgebung, oder in den nächsten Lymphdrflseo deponirte Gift
fortbewegt and dem allgemeinen Krdslanfe zngefUhrt wurde.
Letsteror Vorstellung gemäss ?rird man bei der Lyssa homana des
\) Yen^. Tire ho w, Zoonosen. Dessen Handbach der spec.PathoL o-Ther.
Bd.IL LAbCh. Erlai^en 1S55. S.366.~ Bollinger mZiemsseB^IiamflNicb da
spec Path. u. Ther. Bd.IIL 2.AnfL tS76. S.601.
XI. Kleinere Mitthdlongen. 245^
iirigcheo dem Bisse and dem Eintritt der Krankheitserscheinungen gelege*
neo Zeitraum aus swei Perioden zusammengesetzt sich zu denken haben,
Dlffllich ans einem ersten Zeitabschnitt, innerhalb dessen das Gift local in
den Geweben deponirt bleibt, und aus einem zweiten, welcher zwischen dem
Eintreten des Giftes in die Girculation und dem Erscheuien der ersten
Kraokbeitssymptome gelegen ist. Immerhin aber möchte es in den meisten
Fällen unmöglich oder mindestens höchst unsicher sein, eine derartige Un-
terscheidung vorzunehmen, und eine solche wtirde nur dann mit einem grös-
seren oder geringeren Grade von Wahrscheinlichkeit gelingen, wenn bei
eioem vor kürzerer oder längerer Zeit Gebissenen irgend eine auffUlige
Ursache (Gemfithsaffecte, gewisse Körperbewegungen u. dgl.)» unter deren
Einfloss ein Flottwerden des Giftes angenommen werden dQrfte, dem Aus*
bmeh der Krankheit vorausgehend nachgewiesen werden könnte. Wenn
in dem von mir mitgetheilten Falle wirklich die Wiederaufnahme des Vio-
Uospielens als eine solche Ursache bezeichnet werden darf, so würde jener
zweite Zeitabschnitt nur die kurze Dauer von wenigen Tagen betragen
haben, was unseren Vorstellungen von der enormen Virulenz des Wuth-
giftes entsprechend sein würde. Vielleicht dürfte es sich der Mühe lohnen,
die in der Literatur zerstreuten, zahlreichen Fälle von menschlicher Lyssa
TOD dem angedeuteten Gesichtspunkte aus einer Revision zu unterziehen.
Terminologisch würde man die beiden Zeitabschnitte in passender Weise
Qoterscheiden können, wenn man für den ersten der Benennung „Latenz-
8tadiam% und nur für den zweiten der Bezeichnung „Incubationsstadium*'
sich bedienen würde. Nur letzteres Stadium würde analog sein dem Incu-
batioDsstadium der meisten acuten Infectionskrankheiten , bei welchen das
Eiotreten des Giftes ohne vorherigen Aufenthalt in den Geweben direct und
QDmittelbar von den Respirations« oder Digestionswegen ans in die Cir-
calation erfolgt.
2.
Bromkalinm gegen Hyperemesis gravidarum.^)
Von
Prof. Br. K. Friedreioh.
Die Hartnäckigkeit, mit welcher oftmals das in den ersten Anflbigen
der Gravidität sich einstellende Erbrechen andauert, sowie die Gefahren,
welche dadurch ebenso der Mutter, wie der Frucht mitunter erwachsen,
sind Thatsachen, welche jedem Praktiker zur Genfige bekannt sind. Bei
der UnZuverlässigkeit der gegen das genannte Leiden bisher uns zu Ge-
bote stehenden Mittel glaube ich die Veröffentlichung einiger Erfahrungen
sieht unterlassen zu sollen, welche ich bezüglich der Wirksamkeit des
Bromkaliums zu machen Gelegenheit hatte. Es handelte sich um vier
Erstgeschwängerte, bei denen das Monate hindurch andauernde, nach jeder
Nahrungsaufnahme erfolgende Erbrechen einen hohen Grad von Erschöpfong
1) Mitgetheilt in der Versammlung aüddeutscher Neurologen und Irrenärzte
in Heidelberg am 17. Mai 1879.
246 XL Kleinere Mittheiltmgea.
der Kräfte und damit einen bedrohlichen Znstand herbeigeführt hatte. Drei
Fälle beziehen sich anf meine eigene consaltative Praxis; der vierte Fall
gehört der Erfahrung eines mir befreundeten CoUegen, welcher, in dnem
sehr schweren Falle znr Consoltation beigezogen, die Anwendung des ge-
nannten Mittels, nachdem ich ihm die Resultate meiner eigenen Erfahrung
mitgetheilt hatte, veranlasste. Schon nach den ersten Oaben der Brom-
kaliumlösung (10 Grm. auf 150 Orm. Wasser, 3 mal täglich 1 Esslöffel)
cessirte dauernd das Erbrechen, nachdem die verschiedensten Mittel ohne
jeden Erfolg vorher angewendet worden waren, und die Schwangeren er-
holten sich von diesem Momente an rasch und vollständig. Bei dieser
frappanten, in allen Fällen sofort erfolgenden günstigen Wirksamkeit des
Mittels dürfte selbst die äusserste therapeutische Skepsis kaum einen Zu-
fall beschuldigen können, und ich möchte behaupten, dass wir im Brom-
kalium geradezu ein specifisches Mittel gegen das in Rede stehende Uebel
besitzen, soweit wir überhaupt in der Medicin von Specificis zu sprechen
berechtigt sind. Ich hoffe, dass weitere Erfahrungen die Wirksamkeit des
Mittels bestätigen werden.
3.
Zur localen Behandlung der Rirnhautaffectionen.
Von
Professor Fr. Mosler.
Aus älterer und jüngerer Zeit haben Aerzte das ableitende Verfahren
bei Himhauterkrankungen empfohlen. So sagt Peter Frank: „Auch kön-
nen wir die Blasenpflaster (bei Himentzündung), wenn die erhöhte Empfind-
lichkeit des Kranken nicht im Wege steht und auch das Fieber bereits
gebrochen ist, ohne Furcht selbst an den Kopf appliciren. **
Von Schülern des Geh.-Rath Bern dt, der bekanntlich früher in
Greifswald Kliniker war und den Ruf eines ausgezeichneten Praktikers sieb
erworben hat, wurde mir mitgetheilt, dass derselbe bei Hirnhautent-
zündungen mit Vorliebe Ableitungen auf die äussere Haut des Kopfes
angeordnet und gute Erfolge dabei erzielt habe.
Dadurch angeregt habe ich seit einer Reihe von Jahren das ablei-
tende Verfahren bei Erkrankungen der Gehirnhäute in Anwendung
gezogen und auch in schwereren Fällen davon Erfolg beobachtet. Einen
der eklatantesten Erfolge, bei meningitischen Symptomen im Ver-
laufe des acuten Gelenkrheumatismus erzielt, habe ich in Nr. 23
und 24. 1878 der „Deutschen MMicinischen Wochenschrift*' mitgetheilt.
Er verdient um so mehr Beachtung, weil eine ausgedehnte Anwendung
der Ableitungsmittel in Form eines grossen über die abgeschorene Kopfhaut
applicirten Blasenpflasters nebst zwei zur gleichen Zeit hinter beiden Ohren
zur Anwendung gekommenen Vesicantien einen auffallend raschen Erfolg
erzielt hat, nachdem viele andere Mittel vergebens versucht worden waren.
Inzwischen habe ich dieselbe Methode bei verschiedenen Fällen von
Hirnhautaffectionen acuter und chronischer Art mit dem gleichen Erfolge
erprobt. Um die Aufmerksamkeit von Neuem auf diesen Gegenstand su
XL Kleinere Mittheilongen. 247
lenken, will ich in Kürze über einen derartig behimdelten Kranken hier
berichten.
Johann Klenz, ein 54 Jahre alter Arbeiter aas Alt-Ungnade, wurde
am 5. Februar 1879 in meine Klinik aufgenommen. £r stammt aus ge-
sander Familie, hat die gewöhnlichen Kinderkrankheiten, im späteren Alter
2veimal die Lungenentzündung überstanden, Nachkrankheiten wurden da-
nach nicht beobachtet. Ohne besondere Ursache, vielleicht nach intensiver
Erkaltung, begann sein jetziges Leiden zu Weihnachten 1878 mit heftigen
Stimschmerzen und SchwindelanfWen, so dass er vielfach wie ein Betrun-
kener taumelte. Der Kopfschmerz wurde constant, so dass er unfiihig zu
arbeiten war. Verschiedene Mittel blieben erfolglos, weswegen er Hülfe
in der hiesigen Klinik suchte. Patient von kraftiger Statur, gut entwickelter
MuBCulatur, zeigt bei der physikalischen Untersuchung keine aijffallende
Anonudie, insbesondere sind Herz und Lungen normal, Leber und Milz '
Dicht vergrössert; der Urin, von normaler Menge und Schwere, zeigt keine
abnormen Bestandtheile. Die Hanptklage des Patienten bezieht sich auf
sehr starke Kopfschmerzen, die sich von der Stimg^end nach dem Scheitel
erstrecken. Beim Bücken nehmen dieselben erheblich zu, ebenso beim
Gehen, weshalb der Kranke am liebsten still liegt. Die Kopfhaut zeigt
massige Erhöhung der Temperatur, Fieber ist nicht vorhanden. Patient
hat ständiges Flimmem vor den Augen, das auch nicht schwindet, wenn
er die Angen schliesst Die Pupillen sind beiderseits gleich weit, doch
etwas enger als normal. Die übrigen Sinne zeigen keine Anomalie. Die
Motilität und Sensibilität ist überall normal mit Ausnahme einer Stelle von
der Grösse eines Zweimarkstücks in der linken oberen Glutealfläche. Wäh-
rend die Haut rings um diese Stelle auf Nadelstiche und Kälteeindrücke in
promptester Weise reagirt, erfolgt, sobald man diese Stelle triflft, kaum ein
Zacken und ist auch der Drucksinn daselbst bedeutend herabgesetzt. Dieser
Befand gewinnt dadurch noch an Interesse, dass Patient behauptet, niemals
an dieser Stelle sich gestossen oder geschlagen zu haben oder darauf ge-
fallen zu sein. Der Schlaf des Patienten war in Folge der Kopfschmerzen
öfters unterbrochen, der Appetit verringert, der Durst in massigem Grade
gesteigert y die Defäcation etwas angehalten. Dem Patienten wurden ein
Laxans salinum und 12 blutige Schröpf köpfe in den Nacken verordnet|
ausserdem kalte Fomente auf die Stirn.
Als nach 8 Tagen durch diese Therapie kein erheblicher Erfolg erzielt
worden war, vielmehr Patient während des Gehens und Stehens noch starkes
Schwindelgefflhl und sehr intensive Kopfschmerzen hatte, wurde von mir
die bereits früher erprobte Ableitung auf die äussere Kopfhaut angeordnet.
Es wurde dem Krankenwärter aufgegeben, an einer handtellergrossen Stelle
des Scheitels die Haare abzurasiren. Er gab indess dem besonderen Wunsche
des Patienten, der gerne recht bald seine Schmerzen los sem wollte, nach
und rasirte fast die ganze behaarte Fläche des Kopfes, so dass nur ein
sehr schmaler Kranz von Haaren übrig blieb. In der ganzen Ausdehnung
wurde nunmehr täglich zweimal Brechweinstein salbe eingerieben. Schon
nach 3 Tagen war beginnende Pustelbildung sichtbar. Da Patient gegen
die dadurch verursachten Schmerzen wenig empfindlich war, wurden die
Eioreibongen noch 5 Tage lang in der gleichen Weise fortgesetzt und be-
deckte sich der grösste Theil der von Haaren entblössten Kopfhaut mit
248 XI. Kleinere Mittheilimgen.
einem dicken Schorfe. Schon am 23. Februar bemerkte Patient eine auf-
fallende Erleichterung, er konnte gehen und stehen, ohne dasa er von
Schwindel befallen wurde. Die Kopfschmerzen waren nur noch in geringem
Orade vorhanden, das Flimmern vor den Augen war gänzlich Terschwundeo.
Mit den Einreibungen wurde nunmehr gänzlich aistirt und die Heilung des
Schorfes begünstigt. Patient fühlte sich von Tage zu Tage wohler. Da
auch nach Abheilung des Schorfes die frflheren Erscheinungen nicht wieder
auftraten, wurde Patient auf seinen Wunsch in der ersten Hälfte des MoDats
März aus der Klinik entlassen. Sobald Beschwerden eintreten würden,
wollte er in der Klinik wieder sich melden. Bis jetzt ist dies noch Dicht'
geschehen, weshalb eine gänzliche Heilung wohl angenommen werden darf.
Es hat diese Beobachtung die Bestätigung gelirfert, dasa die Hantreice
in mögJichat grosser Ausdehnung und in nächster Nähe des
leidenden Organes, also direct auf die Kopfhaut appUdrt, auch bei
chronischen Himhautaffectiotten Erfolg haben. Negative Resultate der änt-
lichen Praxis mögen theilweise daraus zu erklären sein, dass die ausge-
dehnte und längere Application dieser Mittel nicht zur Anwendmig
gekommen ist Es haben ja auch die Versuche von Max Schfllier<)
mit in die abgeschorene Nackenhaut von Kaninchen applicirten Senftdgeo,
sowie diejenigen, welche von uns beiden 2) mit Kantharidenpräparaten in
derselben Weise angeleitet worden waren, an den blossgelegten Piageftssen
dargethan, dass erst nach längerer und ausgedehnter Anwendung
derselben vermindernd auf den Blntgehalt der Hirnhänte eingewii^t wer-
den kann.
4.
Ueber die Entstehung der Albuminurie.
Von
Dr. HoritB Kossbaiun,
Privatdoceat und AMlst«nt am anatomlfchen loititut ra Bonn.
Herr Professor Runeberg zu Helsingfors veröffentlicht hn 23. Bde.
dieses Archivs (S. 41. 225) eine Abhandlung ttber die pathogenetiscben
Bedingungen der Albuminurie. Derselbe Gegenstand war m einer Habilitt-
tionsschrift vom Jahre 1876 in schwedischer Sprache behandelt worden.
Herr Runeberg macht in einer zur Einleitung gegebenen Anmerkung
darauf anfmeii^sam, dass von ihm die Beobaditnngen des letzten Jahres
unberflcksichtigt geblieben sind. Da jedoch meine Abhandlungen ') Aber
die Secretion der Niere den Beweis für die von Runeberg am Kranken-
bett gewonnenen Anschauungsformen enthalten, so darf ich wohl die Anf-
merkaamkeit auf diese Abhandinngen lenken ; zumal es vorläufig mmdglich
erscheinen muss, am Warmblüter Aber die beregte Frage exacte Unte^
snchnngen anzustellen und in Folge dessen, wie auch deutlich ans der
1) Berliner' klin. Wochenschrift. 1874. Nr. 25.
2) Deutsche med. WochenBchrift. 1878. Nr. 24.
3) Pflüger'8 Archiv. Bd. XVI und XVII.
XI. Kleinere Idittheflungea. 249
Darstelloog Raneberg's hervorgeht, die Meinungen der Aerzte ttber die
Entstehung der Albaminarie getheilt sind.
Meine Versache sind am Frosch angestellt, wo eine eigenthflmliche
Geflssanordnung in der Niere die Ausschaltang der Glomerali erlaubt, ohne
dass die Circulation im Bereich der Harnkanäle aufgehoben würde. Die
Glomerali der Amphibienniere beziehen nämlich aus den Nierenarterien ihr
Blut; an den Harnkanälen verzweigt sich ein System weitmaschiger Capii-
liren, gespeist aus einer Nierenpfortader und den Vasa efferentia der Olo-
meroli. Unterbindet man demgemäss die Nierenarterien, so hört der Blut-
liaf in den Oefässen des Glomerulns auf, was sich nicht allein an lebenden
Amphibien (Tritonen), sondern auch durch die vom Herzen aus bewirkte
Injection eines so vorbereiteten Frosches nachweisen lässt. Es bleiben in
diesem Falle die Glomeruli nngefttllt; während die übrigen Blutgefässe der
Niere prachtvoll injicirt sind. Hierhin ist die Injectionsmasse dnrdb die
Cspillaren der Hintereztremitäten und der Rumpfwand vermittelst der Nieren-
pfortader vorgedrungen. Die Nierenpfortader sammelt nämlich das venöse
Blut dieser Gegenden und leitet es, unter normalen Verhältnissen mit dem
Blute der Vasa efferentia der Malpighi'schen Knäuel gemischt, an die Harn-
kanäle und von dort zur Vena cava inferior.
Spritzt man nun Fröschen verschiedene Sto^c ins Blut und untersucht das
Secret der Nieren einmal bei wegsamen, das andere Mal bei verschlossenen
Nierenarterieu, so wird man bestimmt ermitteln können, auf welchem Wege
die Ausscheidung jedes einzelnen Stoffes erfolgt. Der Einwand, es hätten
bei Verschluss der Nierenarterien die Zellen der Hamkanäle ihre Function
eiogestellt, ist dadurch zu widerlegen, dass man gleichzeitig mit einem bei
Versehlass der Nierenarterien nicht im Harne wiedererscheinenden Stoffe
einen zweiten injicirt, der trotz der Unwegsamkeit der Glomeruli — also
durch die Epithelien der Hamkanäle — ausgeschieden wird.
Wie ich gefunden (Pilttger's Archiv, Bd. XVII. S. 584), seeemirt ein
Frosch mit unterbundenen Nierenarterien nach Injection von 1 Gem. eines
Gemisches von gleichen Theilen flüssigen Hflhnereiweisses, oder 10 pCt.
Peptonlösnng und 10 pCt. Harnstoff lösung ins Blut einen eiweissfreien
Harn; bei ungehinderter Circulation in den Glomerulis erzeugt dieselbe
Dosis dieser Eiwdsskörper (0,5 Ccm.) Albuminurie.
Dass für den Durchtritt der Eiweissstoffe des Blutes eine Veränderung
der Gefässwandnngen des Glomerulns erforderlich sei, wurde auf folgende
Weise dargethan.
Unversehrte Frösche mit eiweissfreiem Harn secemirten nach Untere
bindaog der Nierenarterien und Einverleibung von 1 Ccm. 10 pCt. Ham-
stofflösiag ins Blut weiter eiweissfreien Harn. Wurde aber die Ligatur
4er Nierenart^en wieder gelöst, so trat Albuminurie ein, die längere oder
kürzere Zeit andauerte.
Ebenso gelang der Nachweis, dass wie das Eiweiss so auch der Zucker
durch die Glomeruli ausgeschieden werde.
Es erweist sich somit die Theorie Runeberg' s als die richtige,
und ich kann mir wohl denken, dass eine gut begründete Vorstellung ttlüer
das Wesen eines krankhaften Processes der Therapie weiter helfen wird.
250 XI. Kleinere Mittheüangen.
5.
Ein Fall von luetischer Erkrankung der Lungen.
Von
Dr. W. Henop,
Assistenzarzt am städtischen Krankenhause la Alton».
Die SelteDheit der Flüle, in denen die Diagnose anf syphüiüscbe Er-
krankung der Langen mit Wahrscheinlichkeit gestellt, und die noch grös-
sere Seltenheit derer, wo die Diagnose durch die Section bestätigt werden
konnte, veranlasst mich zur Mittheilung der folgenden Krankheitsgeschichte,
deren Veröffentlichung Herr Oberarzt Dr. von T baden mir freundlichst
überliess.
Der Schiffer Theodor Oflbel, 18 Jahre alt, aus Altona, wurde am
8. Februar 1878 der medicinischen Abtheilung des Krankenhauses wegen
gastrischer Beschwerden überwiesen. £r klagte über Schmerzen in der
Brust und Druckempfindlichkeit der Magengegend, zeigte eine belegte Zunge
und eine etwas erhöhte Temperatur, die in den nächsten Wochen Öfters
Abends über 38^ und gana^ vereinzelt auf 39 und 39,2<> sich erhob bei
morgendlichen Remissionen, die häufig einen Grad, bisweilen noch mehr
betrugen. Mitte März Hessen die sonstigen Symptome nach, während das
Fieber zunahm und Abends nicht mehr unter 39 <^ zurttckblieb; hinzu trat
jetzt starke Heiserkeit und Schmerzen beim Schlucken, an welchen letzteren
Patient gelegentlich schon seit ^/4 Jahren zu leiden angibt. Die wieder-
holte Untersuchung der Lungen gab keinen Anhaltspunkt für die Annahme
einer tnberculösen Erkrankung ; auch fehlen hereditäre Momente. Dagegen
wurde zuerst am 18. März eine Psoriasis an Rumpf und Extremitäten con-
statirt, sowie beginnende Ulcerationen am Rachen, und der Patient wurde
am 22. März mit der Diagnose „Lues febriiis" der äusseren Station über-
wiesen. In den nächsten Tagen kamen deutliche Ulcera am rechten hin*
tern Gaumenbogen, an der linken Tonsille, Condylomata ani, sowie das
erwähnte weitverbreitete papulöse Exanthem zur Beobachtung; auch findet
sich eine Induration am Praeputium. Der Kranke räumt ein, vor 2 Jahren
ein Ulcus praeputii gehabt zu haben, welches jedoch nur local behandelt
worden sei. Die eingeleitete Inunctionscur vertrug Patient schlecht, da er
alsbald wieder gänzlicher Appetitlosigkeit verfiel, besser vertrug er Jod*
kalium. Schlingbeschwerden und Heiserkeit wichen bald, sehr langsam
aber das Fieber; seit Anfang April freilich 39P nicht mehr erreichend, hielt
es sich doch noch Abends bis zum 8. Mai über 38 ^ um endlich in den
nächsten Tagen ganz zu verschwinden. Einige Male im April und Mai
traten heftige Diarrhöen auf; in den Lungen war auch jetzt nichts Ab-
normes nachzuweisen. Am 25. Mai wurde Patient entlassen ohne andere
Krankheitssymptome als die einer massigen Adenitis indolens universalis.
Er hatte nur 22 Inunctionen (k 4 Grm.) gemacht, aber HO Orm. Jodkalinio
innerlich genommen.
Am 14. September 1878 trat Patient von Neuem in die Anstalt Er
hatte bis vor 4 Wochen leichte Arbeit versehen, seitdem war er wegen
Husten und Schlingbeschwerden bettlägerig und in ärztlicher Behandlang.
XL Kleinere MittheUungen. 251
Aach leidet er an Bchleimigem AuBwurf, ohne dasB Blnt im Sputam bemerkt
wDrde. Der Kranke zeigte wieder unzweifelhafte Piaqties muqtieuses am
weichen Gaomen, aber die Unteranchnng der Langen ergab nnnmefar diffuse
katarrhaliache OerlUBche, welche am vernehmbarsten unterhalb der rechten
Ctavicnla waren, ohne deutliche Dämpfung. Es wurde daher kein Jod*
k&Iinm gegeben, sondern auf Innnctionen zurückgegriffen, die eine Zeit lang
vertragen, später wegen eingetretener Appetitlosigkeit nur jeden zweiten
Tag vorgenommen wurden. Auch jetzt bestand abendliches Fieber von 39^
bei tforgenremissionen von 8 oder 6 Decigraden. lütte October waren
die Ulcerationen im Rachen beseitigt, das Allgemeinbefinden des Kranken
aber noch wenig befriedigend. Die Geräusche in den Lungen wechselten,
doch wurden kleinblasige Rasselgeräusche besonders in der linken Lunge
unten constant gehört, während in den Spitzen die Athmnng normal war.
Die Sputa waren sehr reichlich, schleimig, ohne Blutbeimengung; Durchfälle
traten mehrfach auf; gelegentlich Schwindelgefflhl und Eingenommenheit des
Kopfes; kein Albumen im Urin. Die Milz schien etwas vergrössert, Chinin
erwies sich jedoch als wirkungslos gegen das Fieber. Immer entschiedener
verschlechterte sich der Zustand; seit dem 21. October wich das Fieber
aach Morgens nicht unter 39<^ und erreichte am 25. und 26. Abends die
Temperatur von 40,6^ bei geringen morgendlichen Remissionen ; wiederholte
Bäder blieben ohne Wirkung. Patient klagt über heftigen Schwindel und
Uebelkeit; er soll am 23. und 24. einen kurzdauernden Schüttelfrost gehabt
haben; die Diarrhöen nehmen überhand. In diesen Tagen sind wieder die
rnndlichen, specifisch luetisch aussehenden Rachen- und Gaumengeschwttre
za constatiren und stören das Bild einer tuberculösen Allgemeinerkrankung.
Am 27. October wurde bei hochgradiger Dyspnoe eine frische linksseitige
Pleuritis gefunden, am 29. Mittags starb Patient nach langer Agone. Das
Sensorinm war in den letzten Tagen bisweilen benommen, in den Zwischen-
zeiten äusserte der Kranke subjective £uphorie.
Aus dem Seetionsbeftuid hebe ich Folgende^ hervor. Die Leiche zeigt
geringes Fettpolster und schwache Mnsculatur. In der linken Pleura-
höhle finden sich ca. 500 Orm. hellgelbe Flüssigkeit; die linke Lungen-
plenra zeigt frische, leicht zerreissliche Niederschläge und ist durch strang-
förmige lockere Verwachsungen mit Rippenpleura und Zwerchfell verbunden.
Beide Lungenspitzen frei von Verwachsungen; die Aussenfläche der Lun-
gen ist dunkelblau marmorirt und zeigt einige buckeiförmige gelblich- weisse
harte Prominenzen, darüber die Pleura getrübt und verdickt. Auf dem
Durchschnitt des obern Lappens der rechten Lunge zeigt sich die Spitze
ohne Verdichtungen ; 1 V2 Cm. tiefer drei erbsengrosse Einlagerungen. Ein
gleich diesen gelblich-weisser, durch einzelne Pigmentstreifen graulich mar-
morirter, derber, gefässioser Knoten von Gänseeigrösse, für den Finger nur
mit Mühe eindrückbar und auf der Schnittfläche über die Umgebung pro-
mineot, nimmt den grössten Theil der Vorderfläche des obern Lappens ein
und ist vom Pieuraüberzug nur durch eine 2 Mm. breite Schiebt lufthaltigen
Oewebes geschieden. Die Basis dieses grossen keilförmigen Knotens ist
der Pleura, die Spitze den Bronchien zugewandt. Ein eitriger oder käsiger
Zerfall ist nicht zu bemerken. Eine hyperämische Zone gesunden Oewebes
umgibt den Knoten, dessen Prominiren über die Schnittfläche im Verein
mit seiner derben Structur den Vergleich mit einer carcinomatösen Neu«
2S2 XI. Kldnere MitUieiltuigen.
(»IdiiDg nahe legt. An den in seinem Bereich belegeoeo Bronchien sind
die Wandungen stark -Bcbwielig verdickt, sowohl peripherisch als auch cod-
centrisch auf Kosten ihres Lumen ; die Dicke der Wandungen betrftgt b«
einigen 3 — 4 Mm. Im mittlem Lappen der rechten Lange sitien nnr iwei
erbsengroBse Knoten gleicher Bescbsffenbeit , im untern Lappen mehr^
bis zn TanbeneigröBse. Aoch die linke Longe beaitit in ihrem Torders
Lappen 6 Cm. unterhalb der dnrchaus intacten Spitze einen hühnerdgroBBen
Knoten von ähnlicher BeachaffeDbeit ; ancb dieser ist keilfftrmig, clie Basis
MlHrllcbfi Gtlim
ist g^en die Pleura gerichtet Ein gleicher Knoten sitzt am Hilos mit
derben peribronchiti sehen Verdickungen; einige kleinere sitzen veiter >b-
wirta. Im hintern Lappen sind zwei grössere Knoten verbanden dnrcb
eine Schicht fQr das Ange fast normalen, fOr das GefOhl schon verdich-
teten Gewebes; in dessen Mitte ein stark verdickter Bronchus, dnrch Usige
XI. Kleinere MittheUangen. 253
Gerinnsel verstopft. Die BronchialdrflseD beider Lungen sind vergrössert,
hart, dunkel pigmentirt.
Zungenwnrzel und Epiglottis zeigen rundliche Geschwttre; die
Epiglottis auch harte, eingezogene Narben. Im Sinus pharyngis, an
den falschen und wahren Stimmbändern rundliche Geschwüre; Schleim-
baat des Kehlkopfs, der Trachea, der Bronchen roth und geschwollen, ohne
Narben.
Id der Bauchhöhle findet sich nichts Abnormes ausser einem erbsen-
grossen derben Knoten auf der Oberfläche des grossen Leber lappens nahe
dem Lig. suspensor., welcher, scharf gegen die Umgebung abgegrenzt, ganz
die Beschaffenheit der in der Lunge gefundenen Knoten besitzt.
In der Kopfhöhle wurde nur die Pia hyperämisch gefunden.
Die mikroskopische Untersuchung der Lungenknoten ergab die Ab-
wesenheit normalen Gewebes in denselben; es fand sich ein Granulations-
gewebe, an einzelnen Stellen von spindelförmigen Zellen durchsetzt. Riesen-
zelleo waren keine vorhanden.
In unserem Falle ist offenbar der makroskopische Lungenbefund ein
sü eigenartiger, dass er an sich schon bei der mangelnden Uebereinstimmung
mit den gewöhnlichen pathologisch - anatomischen Bildern die Vermnthung
einer luetischen Erkrankung erwecken musste. Es beschreibt auch Zeissl
nach Wagner ein knotiges Syphilom der Lunge, das eigross, scharf um-
grenzt, homogen, ohne Spur von Lungentextur in verschiedenen Lungen-
lappen vorkommen soll. Virchow und Di t trieb haben dagegen nur
seüefergrane Narben und callöse Gewebsmassen gefunden. Unser Fall
schliesst sich offenbar der ersteren Form an als knotiges Sjphilom mit
Peribronchitis ; von Bedeutung ist die gleichzeitige Anwesenheit von Rachen-
nnd Kehlkopfgeschwüren und Geschwürsnarben, sowie besonders das isolirte,
aber charakteristische Gumma der Leber.
Nur in Bezug auf den Krankheitsverlauf sei es mir gestattet, noch
einige Worte hinzuzufügen. Während Zeissl gerade das Fehlen einer
vorausgegangenen febrilen Reaction als charakteristisch für syphilitische
Erkrankung der Lungen bezeichnet, äussert sich Bäumler (Syphilis in
Ziemssen's Handbuch der spec. Path. u. Ther. Bd. III.) dahin, dass, vom
syphilitischen Eruptionsfieber ganz abgesehen, längeres hektisches Fieber
^i Lues daa Vorhandensein einer katarrhalischen Pneumonie vortäuschen
kann. Bäumler hat in diesem Archiv (Bd. IX. 1872) mehrere hierher
gehörige Fälle veröffentlicht.
Erwähnt sei noch, dass in unserem Falle der von Grandidier als
fast regelmässiger Sitz der Erkrankung bezeichnete mittlere Lappen der
rechten Lunge die geringste Betheiligung zeigte; dagegen fand sich die
Intactheit der Spitzen auch hier bestätigt. In unserem Falle war die Dia-
gnose auf Syphilis der Lungen während des Lebens nicht mit Bestimmtheit
gestellt, aber die Möglichkeit einer solchen wiederholt erwogen worden.
xn.
Besprechungen.
1.
Od astbma: its pathology and treatment. By J. B. Berkart, M. D. Member
of the Royal Coli, of Physicians. London. Churchill 1878. 264 Sto.
In dem vorliegenden Buche bekämpft der Autor auf das Entschiedenste
die Richtigkeit der verbreiteten Anschauungsweise, welche ein „ Asthma '^
als eine eigene Krankheitsform anerkennt und auf nervösen Ursprung zurflck-
zufahren geneigt ist. Auf eine objectiv gehaltene, von Sorgfalt und Litera-
turkenntniss zeugende historische Einleitung lässt er ein grösseres Kapitel
folgen, welches er ausdrtlcklich als „ Discussion der vorherrschenden Theorie"
bezeichnet. In demselben sucht er Schritt fftr Schritt den Nachweis za
fahren, wie die Sttitzen jener Lehre, mögen sie den Resultaten der klini-
schen Untersuchung und Beobachtung, den negativen Befunden pathologisch-
anatomischer Forschungen, den ätiologischen Momenten etc. entnommen sein,
einer eingehenden Kritik nicht Stand halten können. So kommt er zu dem
Schluss, dass das Asthma nichts als ein Symptom sei und als solches ein
Glied in der Kette eines Krankheitsprocesses, der mit Entzündung des
Lungengewebes beginnt und mit Bronchiektasie und Emphysem endigt.
An diese Ausfflhrungen reiht sich dann eine eingehendere Darstellung der
Ursachen, des klinischen Verlaufs, der Erkennung, Vorhersage und Behand-
lung des Asthmas. Am ausführlichsten bespricht Verf. die Aetiologie and
die Therapie , erstere, indem er die vertretene Ansicht noch fester zn be-
gründen bestrebt ist, letztere, indem er die Behandlungsmethoden nach den
von ihm hervorgehobenen Gesichtspunkten schildert.
Die zusammenhängende Darstellung des Gegenstandes im Verein mit
den kritischen Untersuchungen lassen das vortrefflich ausgestattete Boch
als eine lesens- und schätzenswerthe Bereicherung der einschlägigen Lit^
ratur erscheinen. Wenn auch Rec. die angeführten Beobachtungen noch
nicht für zahlreich genug, die ins Feld geführten Gründe noch nicht fflr
hinreichend zwingend halten kann, die Bezeichnung „Asthma nervoenm'
für eine gewisse, seltene Asthmaform vollständig zu streichen, so ist er
doch der Ansicht, dass es ein Verdienst Berkart's ist, zu eingehenderen)
Studium der Frage angeregt und zu sorgfältiger Sichtung des vorhandenen
und künftigen Materials aufgefordert zu haben. Pe&zoidt (Ertenges).
Xn. Besprechungen. * 255
2.
Zar Kenntniss der GesnndheitaverhAltnisse des Marschlandes.^ I. Wechsel-
■
fieber. Von Dr. A. P. J. Dose, praktischem Arzte in Marne. Mit
7 Figuren in Holzschnjtt nnd 1 lithogr. Tafel. Leipzig. Breitkopf
und Härtel. 4«. 27 Seiten.
Die reichen Erfahrungen gediegener Praktiker werden leider nnr zu
oft mit ihnen in das Grab gesenkt nnd gehen, wenn sie auch der Mitwelt
genfitzt haben, der Nachwelt verloren. Wir mtlssen daher einem ünter-
Dehmen, wie das vorliegende es ist, volle Anerkennung zollen: Verf. will
das reichliche statistische Material einer 22 jährigen Praxis (des verstor-
benen Dr. Michaelsen in Meldorf), 29,629 Kranke umfassend, durch eigne
Beobachtungen ergänzt, für unsere Kenntniss von den Gesundheitsverhält-
nissen eines interessanten Landstriches zur Verwerthung bringen. Er be-
ginnt mit den Malariaerkrankungen, von denen ihm 7000 Beobachtungen
ixa Verffigung stehen. Wir erfahren aus seinen Zusammenstellungen, wie
die Curve der Erkrankungszahlen im Marschland in den Monaten April
und Mai zu steigen pflegt, in den Regenmonaten Juni nnd Juli herabge-
drflckt wird, um sich im August und September zur höchsten Höhe zu
erheben, und wie die Spitzen dieser Curve mit der Acme der Barometer-
stände coincidiren. Wir ersehen aber auch weiter, dass neben den monat-
lichen Schwankungen grössere, gewöhnlich 5 Jahre umfassende Undula-
tionen (grössere Wechselfieberepidemien) stattfinden und dass dieselben nach
der Ansicht des Verf. vorwiegend von den Grundwasserschwankungen (Sin-
ken des Grundwassers fliUt mit Steigen der Krankheitsziffer zusammen)
abhängig gemacht werden müssen. Das trotz der Trockenheit des Inhalts
anregend geschriebene Werkchen verdient auch ausserhalb der Grenzen des
Marschlandes, überall wo Malaria endemisch ist, von den Aerzten gelesen
und auch in weiteren Kreisen als ein Muster ärztlichen Beobachtungs- und
Sammelfleisses geschätzt zu werden. Pcnzoidt (Erlangen).
3.
Der Erfolg mit der animalen Vaccine in der Hamburger Impfanstalt. Von
Dr. med. Leonhard Voigt, Oberimpfarzt. Leipzig. F. C. W.
Vogel. 1879.
Auf Grund umfassender Statistik weist Voigt nach, dass seit dem
Jahre 1874, in welchem in Hamburg mit animaler Lymphe zu impfen
begonnen wurde, sich die Ergebnisse zu Gunsten der animalen Lymphe
wesentlich verbessert haben. Wenn auch die Impfung von Arm zu Arm
noch immer bessere Verhältnisse ergibt als die mit frischer animaler Lymphe,
so ist doch die Wirksamkeit der letzteren erheblich günstiger als die der
conservirten bumanisirten Lymphe. Conservirte animale Lymphe ist viel
minderwerthiger und verliert viel schneller ihre Wirksamkeit als conservirte i
humanisirte Lymphe. Als Gründe der noch immer geringeren Wirksamkeit
äer animalen Lymphe gegenüber der frischen bumanisirten führi Voigt
256 * XII, Bespiechungen.
an , dass wegen der grossen Kosten immer möglichst wenig Kälber ver-
wendet werden und daher auch von Pusteln vom 4. und 6., statt nur vodci
5. Tage, sowie von Abortivpnsteln abgeimpft wird, ferner die all^meio
gebräuchliche Impfung durch Stich, statt welcher die Impfung durch Schnitt
oder Kritzeln, letztere namentlich bei Verwendung von conservirter animaler
Lymphe, vorgeschlagen wird. Von grossem Einflüsse ist endlich der Ge-
sundheitszustand der Kälber, welche oft beim Transport sehr leiden nnd
sehr häufig bei der Ankunft fiebern. Schliesslich hält es Verf. für Erhal-
tung eines guten reichlichen Impfstoffes für unerlässUch, neben humanish-ter
Lymphe animale zu züchten, und weist den der animalen Lymphe gemach-
ten Vorwurf, als schädige sie den Werth der Impfung, zurück.
Stampf (Mttnchen).
xni.
Zar Percossion des Kehlkopfs und der Trachea.')
Von
Prof. Dr. TSr. Friedreich
In Heid«lberg.
Die Mehrzahl der aus der Percossion des Kehlkopfs und der
Trachea sich ergebenden Zeichen hat seit Erfindung und Ausbil-
dung der Laryngoskopie an praktischem Werthe sehr verloren, in-
dem mittels letzterer die Erkennung der meisten anatomischen und
functionellen Störungen der obersten Abschnitte der Athmungswege
durch directe Anschauung mit einer früher ungeahnten Sicherheit
und Präcision möglich geworden ist. Aber doch ist andereraeits der
laryngotrachealen Percussion das wissenschaftliche Interesse auch
heute Doch ungeschmälert verblieben, insofeme durch dieselbe die
Demonstration rein physikalischer Gesetze am menschlichen Körper
in evidenter Weise möglich ist und dadurch verschiedene Vorgänge
an den Innengebilden des Kehlkopfs zum akustischen Ausdruck ge-
bracht werden können. Ueberdies dürfte aus der Berücksichtigung
der laryngotrachealen Percussionsresultate auch die diagnostische Be-
urtheilung krankhafter Zustände des Lungenparenchyms in gewisser
Weise und unter bestimmten Verhältnissen eine Förderung erfahren
können.
Die Percussion des Kehlkopfs wird am besten in der Weise ge-
übt, dass man den leicht rückwärts gebeugten , durch ein in den
Nacken gelegtes Polster gestützten Kopf zugleich in eine etwas seit-
liche Lage bringt und nun auf die vorliegende Platte des Schild-
knorpela die Percussionsschläge ausübt. Was die Trachea anlangt,
so ist die zwischen Ringknorpel und oberem Rande des Manubrium
stemi gelegene kuize Strecke der vorderen Halspartie die einzige
Stelle y an welcher dieselbe der directen Percussion zugänglich ist,
1) Nach einem in der Versammlong mittelrheinischer Aerzte zu Wiesbaden
am 3. Juni 1879 gehaltenen Vortrage.
DeatschM ArehlT f. klln. Medlcln. XXIV. Bd. 17
258 Xin. Friedreich
m
namentlich wenn man diese kürze Zwischenstrecke dadurch verlän-
gert, dass man den Kopf unter Vermeidung seitlicher Drehung etwas
rückwärts beugen lässt. Am zweckmässigsten bedient man sieh als
Plessimeter des eigenen Fingers, der sich leicht und bequem an alle
Punkte anschmiegt und den man mit dem Finger der andern Hand
oder dem Wintrich'schen Hammer mit kurzen und kräftigen Schlägen
beklopft.
Bekanntlich ergibt die Percussion des Larynx und der Trachea
einen hellen, tympanitischen Schall, welcher bei den einzelnen In-
dividuen unter normalen Verhältnissen nicht unerhebliche Verschie-
denheiten bezüglich seiner einzelnen Qualitäten darbietet. Die In-
tensität des Schalles steht im geraden Verhältnisse zur Stärke des
Anschlags und im umgekehrten Verhältnisse zur Dicke der an der
percutirten Stelle den Hals constituirenden Theile; auch wird die-
selbe in besonderem Grade bestimmt durch das Maass der Wider-
stände, welche der Fortleitung der durch die Percussion im Innern
des Kehlkopfs und der Trachea erregten Schallwellen nach aussen
zum Ohre des Beobachters entgegenstehen. So hört man bekanntlich,
wenn man durch Oeffnen des Mundes den Austritt der Schallwellen
erleichtert, bei gleich starker Percussion den Schall viel lauter als
bei geschlossenem Munde, am lautesten, wenn man die Zunge mög-
lichst stark aus dem weit geöfTneten Munde herausstrecken lässt,
indem der dabei sich emporhebende Larynx der Mundöffnung sich
nähert, der Kehldeckel sich aufrichtet und das Gavum pharyngis sich
möglichst erweitert, somit die günstigsten Bedingungen für das freie
Entweichen der Schallwellen nach aussen hergestellt werden. Am
schwächsten hört man aus den entgegengesetzten Gründen den larjn-
gotrachealen Schall, wenn man den Mund schliessen und zugleich
die Nasenlöcher zuhalten lässt. — Für die Höhe des laryngotra-
chealen Percussionsschalles kommt vor Allem in Betracht die Weite
des Lumens des Kehlkopfs und der Trachea, besonders die Länge
der letzteren, und es erklärt sich aus diesen bei den einzelnen In-
dividuen variablen Verhältnissen die beträchtlichere Höhe des Schalles
bei Kindern, sowie bei Leuten mit kurzen Hälsen und untersetzter
Statur gegenüber Erwachsenen und grossen, langhalsigen Individuen.
Auch die im Allgemeinen beträchtlichere Höhe des Schalles bei Wei-
bern im Vergleiche zu Männern lässt sich auf den verschiedenen
Umfang der laryngotrachealen Gavitäten zurückführen.
Indessen wird man nicht übersehen dürfen, dass ein reiner
Larynxschall oder ein reiner Trachealschall eigentlich nicht existirt,
indem der Schall, wie er durch die Percussion des Kehlkopfs oder
Percassion des Kehlkopfs und der Trachea. 259
der Trachea gewonnen wird, nicht den einfachen Ausdrack der
Schwingungen des zunächst und unmittelbar percutirten Tbeiles dar-
stellt. Vielmehr ist, wie dies schon Ton Gerhardt ^ richtig hervor-
g:ehoben wurde, der Schall immer ein zusammengesetzter, indem bei
der percutorischen Erschütterung eines der genannten Gebilde immer
auch das andere in Schwingungen versetzt wird und überdies auch
noch die Lufträume des Rachens, der Mund- und Nasenhöhle in con-
Bonirende Schwingungen gerathen. Es liegt damit auf der Hand,
dass auch die Architektonik und der Umfang der letztgenannten
Lufträume auf die Qualität des durch die Percussion des Larynx oder
der Trachea erzeugten Schalles einen mitbestimmenden Einfluss aus-
fiben müssen. Auch kann kein Zweifel darüber bestehen, dass durch
die laryngotracheale Percussion mehr oder minder weit nach abwärts
die Lufträume der grossen Bronchien, sowie auch etwa innerhalb des
LuDgengewebes gelegener pathologischer Höhlen in consonirende
Schwingungen versetzt werden können.
Gerade dieses Zusammengesetztsein des an der Trachea und
dem Kehlkopf erzeugten Schalles aus Schwingungen nicht allein der
direct und zunächst percutirten Theile, sondern auch aus solchen,
welche zugleich in den Schallräumen des Rachens, Mundes und der
Nase erregt werden, ist die Ursache, wesshalb Aenderungen in der
Stellung und dem Volumen dieser Räume, sowie in der Weite ihrer
Verbindungen unter einander und ihrer äusseren Mündungen Modi-
iicationen des laryngotrachealen Percussionsschalles herbeizuführen im
Stande sind. Wintrich^) hat bekanntlich gezeigt, dass der tym-
panitische Schall des Kehlkopfs und der Luftröhre, abgesehen von
Aenderungen seiner Intensität, an Höhe wechselt, wenn man den
Hund öffnen oder schliessen lässt, dass derselbe am höchsten ist,
wenn Mund- und Nasenlöcher möglichst weit ofifen sind, und an Höhe
abnimmt, wenn man den Mund schliessen lässt, noch mehr, wenn
eine, resp. beide Nasenöffnungen zugebalten werden. Es gelangt
bierbei das allgemeine physikalische Gesetz zur Erscheinung, nach
welchem die Höhe des tympanitischen Schalles offener Schallräume
wesentlich abhängig ist von dem Durchmesser der freien Mündung.
Bekanntlich hat der genannte Forscher die berührten Verhältnisse
fQr die Diagnose von Verstopfung der Nasenkanäle, von Rachen-
geschwülsten n. dgl. zu verwerthen gesucht.
Dass Aenderungen nicht allein in der Weite der äusseren Mund-
1) Ueber Percussion des Kehlkopfs. Virchow's Archiv. 24. Bd. S. 197. 1862.
2) Krankheiten der Respirationsorgane. Yirchow's Handbuch d. spec. Pathol.
Q Ther. 5. Bd. l.Abth. S. 23. Erlangen 1854.
17*
260 XIII. Fbiedbeich
und Nasenöffnungen , sondern auch in dem Umfang der zwischen
diesen und dem Introitus laryngis gelegenen Cavitäten die Höhe des
laryngotrachealen Percussionsschalles beeinflussen, lehrt folgender
Versuch, den man in jedem Augenblicke an sich selbst anstellen
kann. Vergleicht man den Percussionsschall des Larynx oder der
Trachea^ wenn man bei möglichst weit geöffnetem Munde die Zunge
bald hervorstrecken, bald in der Mundhöhle zurückhalten Iftsst, so
ist derselbe in ernterem Falle um ein Bedeutendes höher, als in letz-
terem, obgleich die um die Dicke der herausgestreckten Zunge ver-
minderte Weite der äusseren Mundöffnung an sich den Schall tiefer
machen sollte. Es ist hiebei das bei hervorgestreckter Zunge Freier-
und Weiterwerden der Rachenhöhle, welche die Höhe des laryngo-
trachealen Percussionsschalles bestimmen und die in entgegengesetzter
Richtung wirkenden EinflQsse der enger werdenden Mundöffhung über-
wiegen.
Auch eine andere Erscheinung lässt sich nur durch eine Aende-
rung in der Weite des Pharyngealcavums in befriedigender Weise
erklären, nämlich das Tieferwerden des laryngotrachealen Pereos-
sionsschalles, wenn man den Kopf nach rückwärts beugt. Man könnte
meinen, dass bei dieser Bewegung das Gaumensegel eine die hin-
teren Ghoanenaperturen deckende Stellung einnehme, wodurch die
Gommunicationsöffnung nach aussen verkleinert wttrde. Betrachtet
man aber, während die genannte Bewegung vorgenommen wird, durch
den weit geöffneten Mund das Velum pendulum, so überzeugt man
sich, dass eine solche Stellungsänderung desselben, wie sie für die
Aenderung des Percussionsschalles erforderlich sein würde, nicht
stattfindet; auch vermindert sich die Höhe des bei rückgebeugtem
Kopfe erzeugten laryngotrachealen Percussionsschalles noch mehr,
wenn man eines oder beide Nasenlöcher schliesst, woraus gleichfalls
hervorgeht, dass die hinteren Nasenöffnungen bei der bezeichneten
Eopfstellung durch das Gaumensegel nicht gedeckt werden können^
indem sonst der Nasenschluss einen merklichen Einfluss auszuüben
wohl nicht mehr im Stande sein dürfte^). Auch ein mechanisches
Rücksinken der Zungenwurzel bei der genannten EopfstelluDg und
eine dadurch erzeugte Raumbeschränkung der Pharynxhöhle kann
dem Tieferwerden des Schalles nicht zu Grunde liegen, indem letz-
1) Während ich dieses schreibe, behandle ich in meiner Klinik ein junges
Mädchen, bei welchem in Folge von Syphilis der weiche Gaumen vollständig und
der harte Gaumen partiell zerstört sind. Trotz des completen Defectes des Velum
pendulum ist bei Rückbeugung des Kopfes das Tieferwerden des laryngotrachealen
Percussionsschalles doch deutlich wahrnehmbar.
Percassion des Kehlkopfs and der Trachea. 261
teres auch dann eintritt, wenn man ein Zurttcksinken der Zunge
während der Rttckbeugung des Kopfes dadurch verhütet, dass man
dieselbe entweder zwischen den Zähnen festhalten oder weit aus der
Mundhöhle hervorstrecken lässt. Der eigentliche Grund jener Er-
scheinung kann meiner Meinung nach nur darin gelegen sein, dass
bei Rfickbengung des Kopfes eine Raumbeschrftnkung des Cavum
pharyngis durch die nach vom conyex sich hervorbeugende Hals-
wirbelsäule erfolgt. Man könnte zur Annahme versucht sein, dass
die bei Bttckbeugung des Kopfes sich verlängernde Tracht die Wir*'
kungen der sich verengenden Rachenhöhle auf die Vertiefung des
laryngotrachealen Percussionsschalles unterstütze. Aber der Versuch
an einer herausgenommenen Trachea zeigt, dass deren Schall an
Höbe um so mehr zunimmt, je mehr man sie durch Dehnung ver-
längert, wobei offenbar der Einfluss der zunehmenden Spannung der
Trachealwand für die Höhe des Schalles bestimmend wird und die
den Schall vertiefendea Wirkungen der Verlängerung des Tracheai-
rohres hypercompensirt. Auch bei Bückbeugung des Kopfes würde
in Folge gesteigerter Spannung der Trachealwand der Schall ebenso
höher werden, wie bei dem Experiment an der herausgenommenen
Trachea, wenn nicht das Engerwerden des Pharyngealcavums seine
nach entgegengesetzter Richtung wirkenden Einflüsse in dominiren-
dem Grade geltend machen würde.
Win trieb (a. a. 0. S. 23) hat die Folgen eines momentanen
Verschlusses der Keblkopfapertur auf den laryngotrachealen Percus-
sionsschall in richtiger Weise erkannt, indem er das Tieferwerden
deflselben im Momente eines Scblingactes hervorhob. Es ist indessen
selbstverständlich, dass ein Defect des Kehldeckels an diesem Ver-
halten keine Aenderung wird hervorbringen können, indem der
Sehloss des Introitus laryngis während der Deglutition schon durch
das Aneinandertreten der Taschenbänder, sowie durch die nach
rfickwärts sich bewegende Zungenwurzel, an welche der sich empor-
hebende Kehlkopf innig sich anschmiegt, gesichert wird.
Ebenso hat der genannte Forscher gezeigt, dass der laryngo-
tracheale Percussionsschall unter Verlust seines Tympanismus höher
and kürzer wird, wenn man auf der Höhe einer tiefen Inspiration
durch eine Pressbewegung die Glottis schliessen lässt, also die laryn-
gotraeheale Luftsäule zugleich durch Gompression verdichtet. Aller-
dings, müssen wir hinzufügen, kommt zur Entstehung dieses Resul-
tates auch die beim Pressact gesteigerte Spannung der Wandungen
der Trachea und des Larynx in Betracht. Ist in Folge von Zerstörung
oder gewissen Lähmungszuständen der Stimmbänder ein solcher Ver-
262 XIII. Friedreich
schluss unmöglich, so bleibt die bezeichnete Aenderung des Percus-
sionsschalles aus^). Aber die Höhe des laryngotrachealen Percus-
sionsschalles während eines Pressactes ändert sich auch dann noch,
wenn man den Mund oder die Nasenlöcher öffnen oder schliessen
lässt, obgleich die Gommunication des direct percutirten Luftschall-
raumes mit der äusseren Atmosphäre in Folge des Glottisverschlusses
aufgehoben ist. Auch wechselt beim leisen Intoniren eines Vocales
der Tracheaischali ebenso an Höhe, wenn* man den Mund öffnen
oder schUessen lässt, wie bei offener Glottis, obgleich die hierbei
gegeneinander getretenen Stimmbänder (Area glottidis) die Conti-
nuität des trachealen Luftraumes mit der äusseren Atmosphäre unter-
brechen. Es geht hieraus hervor, dass auch bei geschlossener Glottig
durch Percussion der laryngotrachealen Luftsäule die Lufträume des
Pharynx, des Mundes und der Nase noch in Consonanz versetzt wer-
den, und dass auch dann immer noch der laryngotracheale Percas-
sionsschall, ebenso wie bei offener Glottis, als ein zusammengesetzter
aufgefasst werden muss. Ich kann daher Gerhardt 's Annahme
<a. a. 0. S. 198), dass man bei geschlossener Kehlkopfshöhle durch
di^ laryngeale Percussion nur allein den Schall der im^Eehlkopf
enthaltenen Luft und etwa noch den der Trachea erhalte, als richtig
nicht anerkennen.
Abgesehen von den durch die bisher erwähnten Proceduren er-
zeugbaren Aenderungen lässt sich auch während tieferRespira-
tionsbewegungen ein Wechsel des laryngotrachealen Percussions-
Schalles mehr oder minder deutlich in der Weise erkennen, dass
derselbe am Ende einer tiefen Inspiration höher ist, als
während der Exspiration. Diese mir bereits längst bekannte
Thatsache glaube ich auf Aenderungen in der Weiite der Stimmritze,
wie sie während tiefer Athembewegungen erfolgen, resp. auf die in-
spiratorische Erweiterung derselben, zurQckftthren zu müssen. Ruhige
und oberflächliche Athemzüge äussern keinen merklichen Einflnss.
Gerhardt (a.a. 0. S. 199), welcher die inspiratorische Höhenzunahme
des laryngotrachealen Percussionsschalles gleichfalls erkannte, weiss
keine Erklärung zu geben, indem man, „da bei der Inspiration die
Leitungsröhren der Athmungsluf t sich erweitem und strecken ^ eher
das Umgekehrte erwarten müsste. Am deutlichsten lässt sich der
in Rede stehende Schallwechsel erkennen, wenn man während der
Percussion den Mund offen halten lässt ; doch wird man zur Vermei-
dung irrthttmlicher Resultate selbstverständlich darauf achten mOssen,
dass das Versuchsobject während der tiefen Athembewegungen den
1) Wintrich a. a. 0. S. 31, 54.
Percassion des Kehlkopfs und der Trachea. 263
Mund stets gleich weit geöffnet halte, keinerlei Bewegungen mit der
Zunge Yollfttbre, kurz alle jene so leicht eintretenden Nebenbewegun-
gen Tenneide, welche ihrerseits die Höhe des laryngotracbealen Per-
cussionsschalles influiren könnten. Die Meinung, dass die beim tiefen
Einathmen geschehende Hebung der Epiglottis der inspiratorischen
Höbenzunahme des laryngotracbealen Percussionsschalles zu Grunde
liegen möchte, ist deshalb unstatthaft, weil die genannte Bewegung
des Kehldeckels meist nicht bedeutend genug ist, um den Introitus
laryngis wesentlich zu beeinflussen, und weil die Deutlichkeit des
respiratorischen Schallwechsels nicht im Verhältniss steht zu dem
durch das Laryngoskop leicht constatirbaren , bei den einzelnen In-
dividuen sehr variablen Grade der respiratorischen Beweglichkeit des
Kehldeckels. Auch sprechen gegen den Einfluss der Epiglottis jene
Fälle, in denen bei Defect derselben der respiratorische Wechsel des
laryngotracbealen Percussionsschalles dennoch yorhanden ist. So
fand ich bei einem an Pneumolaryngophthise leidenden jungen Mann
den Kehldeckel zu einem starren, dicken und niedrigen Wulste de-
generirt, der weder beim Intoniren, noch bei tiefer Athmung eine
Bewegung oder Aenderung seiner Stellung erkennen Hess. Die ge-
rutbeten, an den Rändern usurirten Stimmbänder dagegen YollfQhrten
bei tiefen Athemzügen die ausgiebigsten Bewegungen. Demgemäss
war trotz der bezeichneten Degeneration der Epiglottis der respira-
torische Schallwechsel am Kehlkopf und an der Trachea aufs Deut*
liebste ausgeprägt.
Der Einfluss der Stimmritze auf die Höhe des laryngotracbealen
Percussionsschalles ergibt sich auch aus gewissen Veränderungen,
welche letzterer während des Intonirens erleidet. Es empfiehlt
sich dabei, den betreffenden Vocal möglichst leise intoniren zu lasseUi
da starkes Intoniren den Percussionsschall leicht übertönt und da-
durch die Perception der eintretenden Veränderung schwierig oder
selbst unmöglich macht. Indem beim Intoniren die aneinander tre-
tenden Stimmbänder einen nahezu vollständigen Abschluss der Glottis-
spalte bewirken, wird der tracheale Percussionsschall sofort tiefer,
während die dabei zugleich stattfindende Hebung des Kehldeckels,
wenn dieselbe überhaupt einen Einfluss ausüben würde, den ent-
gegengesetzten Effect zur Folge haben mttsste. Dieses Tieferwer-
den des Trachealschalles erfolgt in gleichem Grade beim Intoniren
eines hohen, wie tiefen Tones, indem eben nur der Schluss der
Stimmritze der Schälländerung zu Grunde liegt, dagegen der Span-
nuDgsgrad der Stimmbänder ohne Einfluss ist. Gerhardt^) findet,
l) a.a.O. S. 198. — Lehrbuch d. Auso. u. Perc. 3. Aufl. 1S76. S. 156.
264 Xm. Fbiedreich
dass der laryngotracheale Percussionsschall nur ganz wenig sieh
ändere, wenn man abwechselnd e intoniren und tief athmen lasse,
welchen beiden Acten die grössten Differenzen in der Weite der
Glottisspalte entspräjchen, und kommt zu dem meiner Meinung nach
nur theilweise richtigen Schlüsse 9 dass ein akustisch - percutorischer
Abschluss der Eehlkopfhöhle nach oben durch die ausgespannten
Stimmbänder nicht bewirkt werden könne. Ich meinerseits finde
ganz bedeutende Unterschiede bezüglich der Höhe des laryngotra-
chealen Percussionsschalles während . jener beiden Acte , und wenn
ich auch zugebe , dass ein akustisch - percutorischer Abschluss der
laryngotrachealen Luftsäule nach oben durch die ausgespannten
Stimmbänder insofeme nicht yoUständig bewirkt werden kann, als,
wie ich oben gezeigt habe, Oeffnen und Schliessen des Mundes und
der äusseren Nasenöffnungen auch während des Intonirens noch immer
ihren Einfluss auf die Höhe des laryngotrachealen Percussionsschalles
bewahren, so ist doch andererseits der selbständige und isolirte Ein-
fluss der respiratorischen Differenzen in der Weite der Stimmritze
auf die Höhe desselben keineswegs ausgeschlossen und in der Tbat
mit aller Bestimmtheit constatirbar. — Percutirt man während des
Intonirens eines Vocales die Trachea mit genügend kräftigen Schlägen»
so kann man besonders bei geöffnetem Munde ein sehr laut remehm-
bares Bruit de potf^U erzeugen, welches zweifellos an der verengten
Glottisspalte seine Entstehung hat
Endlich beweisen auch Erfahrungen, welche man bei motori-
schen Eehlkopfneurosen zu machen Gelegenheit hat, den Ein-
fluss der Stimmritzenweite auf die Höhe des laryngo-
trachealen Percussionsschalles. Auf Grund mehrfacher Be-
obachtungen glaube ich behaupten zu können, dass sowohl Krampf
wie Lähmung der Eehlkopfmuskeln, insoweit sie die Bewegungen
der Stimmbänder beeinträchtigen, auch die Verhältnisse des unter
normalen Bedingungen erkennbaren Schallwechsels an Kehlkopf und
Trachea influiren. Ich will in Kürze einige Beispiele beifügen.
Am 20. Juli 1 876 untersuchte ich ein junges Mädchen, welches
wegen ausgesprochener Hysterie mit nervöser Aphonie in der Klinik
sich Torstellte. Die laryngoskopische Untersuchung zeigte eine stark
klaffende, entschieden über das Maass der „ Cadaverstellung ** hinaus
erweiterte Stimmritze, deren Weite auch bei tiefen Athembewegungen
nicht im Geringsten sich veränderte. Beim Versuch zu intoniren be-
wegten sich die Stimmbänder wohl rasch und für einen kurzen Mo-
ment gegen einander, sprangen aber sofort in ihre frühere Stellung
wieder zurück, indem eine Spannung und Fixation derselben nicht
Percassion des Kehlkopfs und der Trachea. 265
erfolgte. Entspreehend der respiratorischen Immobilität der Stimm-
bänder mangelte jede Andeutung eines Höbenwechsels des laryngo-
trachealen Pereossionsschalles bei tiefen Atbembewegungen, w&hrend
Oeffnen nnd Schliessen des Mundes und der Nasenlöcher, ebenso der
Sehliogact den exquisitesten Einfluss in normaler Weise äusserten.
Das laryngoskopische Bild dieses Falles, welches so wenig dem typi-
schen Bilde einer eompleten Recnrrensparalyse entsprach, schien nur durch
eine nngleichmässige, die einzelnen Aeste der Nn. recurrentes in verschie-
denem Grade betreffende Parese gedeutet werden zu können. Das die sog.
Cadaverstellung der Stimmbänder^ wie sie den eompleten Recurrensläh-
mQDgen entspricht. Überschreitende Klaffen der Stimmritze deutete auf einen
geringeren Grad von Parese der Glottiserweiterer (Mm. cricoarytaen. post.)
als der Glottisschliesser (Mm. cricoarytaen. lateral., M. arytaen.); denn
würden lediglich die ersteren gelähmt gewesen sein, so hätte durch die
flberwiegende , antagonistische Thätigkeit der letzteren Verengerung der
Stimmritze vorbanden sein müssen. Würde es sich andererseits um eine
Lähmung der Schliesser bei intacten Erweiterern gehandelt haben, so wäre
die momentane Gegeneinanderbewegung der Stimmbänder bei Intonations-
bestrebnngen unerklärlich gewesen. In unserem Falle hielten sich somit
die paretischen Verengerer und Erweiterer, allerdings unter Vorwiegen des
noch in höherem Grade erhaltenen Innervationsrestes der letzteren, das
antagonistische Gleichgewicht. Auch die Mm. thyreoarytaen. int., sowie
die vom N. laryng. super, versorgten Mm. cricothyreoidei mussten bei der
bestehenden Aphonie und Unfähigkeit einer Spannung und Fixation der
gegeneinander bewegten Stimmbänder als an der Lähmung betheiligt be-
trachtet werden. Durch den bei energischer Aufforderung zur Intonirung
geweckten Willensimpuls wurde allerdings bei unserer Kranken eine die
Thätigkeit der Erweiterer überwiegende Innervation der Verengerer hervor-
gebracht, welche aber sogleich wieder nachliess, und bei dem Mangel einer
die Stimmbänder fixirenden Action das antagonistische Uebergewicbt der
Erweiterer sofort wieder in Wirksamkeit treten Hess. Eine derartige, durch
einen energischen Willensimpuls erzeugte Action paretischer Muskeln wird
bei Hysterischen nichts Auffallendes besitzen können, und es dürften gerade
diese unvollständigen Lähmungen der Kehlkopfmuskeln und deren Varia-
tionen gegenüber den Symptomenbildem completer Paralysen ein eingehen-
deres Studium verdienen. Es begreift sich, dass Abweichungen von dem
typischen Bilde totaler und completer Paralysen der Nn. recurrentes dann
eintreten müssen, wenn die einzelnen Aeste der genannten Nervenstämme
in verschiedenem Grade von der Lähmung betroffen sind.
In einem anderen Falle handelte es sich um einen Mann, der
sich am 16. December 1876 wegen einer angeblieh nach Erkältung
zurückgebliebenen Heiserkeit in der Klinik vorstellte. Das Laryngo-
skop zeigte linkerseits das bekannte Bild einer eompleten Recurrens-
paralyse; doch schien auch der rechtseitige Nerv nicht ganz intact,
iudem auch das rechte Stimmband nur sehr geringe respiratorische
Excursionen vollführte, so dass die Weite der Stimmritze bei tiefen
266 XIII. Fribdreich
AthembeweguDgen nahezu unverändert blieb. Beim Intoniren blieb
das linke Stimmband vollständig ruhig, während das rechte ziemlich
bis zur Medianlinie sich bewegte, auch wenn man den Kranken nur
möglichst schwach zu intoniren aufforderte. Während nun bei letz-
terem Acte, bei welchem schon durch die einseitige Bewegung des
rechten Stimmbandes ein erhebliches Engerwerden der Glottisspalte
erfolgte, der tracheale Percussionsschall sich deutlich vertiefte, waren
Respirationsbewegungen ohne jeden Einfluss. Der Wintrich'sche
Schallwechsel war bei dem Kranken am Kehlkopf und an der Tra-
chea aufs Deutlichste demonstrirbar.
Im Juli 1878 wurde mir durch die Güte meiner Herren CoUegen
Gzerny und Jurasz Gelegenheit geboten, einen 27jährigen Mann
wiederholt zu untersuchen, welcher Ende Mai 1877 in der Becon-
valescenz von einem schweren Abdöminaltyphus von heftiger, im
Verlauf weniger Tage zu solcher Höhe sich steigernder inspiratorisch-
laryngealer Dyspnoe befallen wurde, dass zur Tracheotomie geschrit-
ten werden musste. Als Ursache zeigte das Laryngoskop eine voll-
ständige Paralyse beider Mm. cricoarytaenoidei postici. Zur Zeit
meiner Untersuchung hatte sich der Zustand bereits so weit gebes-
sert, dass Patient den Tag über mit geschlossener Ganüle athmen
konnte, während die des Nachts ziemlich regelmässig um Mittemacht
eintretende Dyspnoe ihn zwang, die Ganttle zu öffnen. Die klaffende,
etwa 4 Mm. mittlere Weite besitzende Stimmritze bot auch bei tiefen
Athemzttgen keine Aenderung ; dagegen erfolgte beim Phoniren nor-
maler Glottisschluss ; die Bänder wurden gut gespannt und Hessen
deutlich vibratorische Bewegungen erkennen. Bei geschlossener Ca-
ntile konnte Patient mit vollkommen guter Stimme sprechen. Ent-
sprechend dem laryngoskopischen Bilde mangelte jede Spur eines
respiratorischen Schallwechsels an Kehlkopf und Luftröhre, während
beim Intoniren der laryngotracheale Percussionsschall sich deutlich
vertiefte ; ebenso äusserten Oeffnen und Schliessen des Mundes, sowie
der Deglutitionsact auf denselben die den normalen Verhältnissen
entsprechenden Wirkungen 0*
In gleicher Weise, wie die phonischen und respiratorischen Stimm-
bandparalysen, vermögen auch Stimmbandkrämpfe, insofeme sie die
Stimmritze schliessen, den laryngotrachealen Percussionsschall zu in-
fluiren, resp. zu vertiefen, und den respiratorischen Schallwechsel auf-
zuheben. Ich hatte Gelegenheit, hiervon mich aufs Bestimmteste bei
1) Yergl. die genauere Veröffentlichung dieses Falles von Jurasz: Beitri^
zur laryngoskopischen Gasuistik. Deutsche med. Wochenschrift. 1879. Nr. U.
Percussion des Kehlkopfs und der Trachea. 267
einem 18jährigen TQnchergesellen zu überzeugen , der an Tetanie
der Extremitäten in meiner Klinik behandelt Tirurde. Auf der Höhe
besonders heftiger Paroxysmen gesellte sich nicht selten Glottiskrampf
hinzu, welcher indessen nicht plötzlich, sondern, analog den langsam
und träge sich einstellenden Extremitätenkrämpfen, in der Weise
erfolgte, dass erst nach 6—8 AthemzUgen, von deneü jeder folgende
immer gezogener, schwieriger und stridulöser wurde, der Verschluss
der Stimmritze ein vollständiger geworden war. Während der 1 bis
selbst IVs Minuten langen Dauer des Glottiskrampfes trat grösste
Dyspnoe mit Cyanose ein, und Patient schien mit dem Ersticken zu
ringen. Der Zufall fQgte, dass ich gerade bei Beginn eines derartigen
Anfalles am Bette des Kranken stand und diese seltene Gelegenheit
benQtzen konnte, um den Einfluss des Glottisverschlusses auf den
tnchealen Percussionsschall zu prüfen. Ich überzeugte mich dabei,
dass jede folgende Inspiration, insofeme sich dabei die Stimmritze
mehr und mehr verengte, den Trachealschall successive vertiefte und
die Höhendifferenzen desselben zwischen In- und Exspiration vermin-
derte. Auf der Höhe des Krampfes, als die Respiration nur unter
äusserster Anstrengung sämmtlicher Inspirationskräfte erfolgte, war
der Trachealschall am tiefsten geworden und ein respiratorischer
Schallwechsel an der Trachea während der Dauer des Paroxysmus
nicht mehr zu erkennen. Nach Lösung des Krampfes kam der normale
Höhenwechsel des laryngotrachealen Percussionsschalles bei tiefen
Athembewegüngen in der deutlichsten Weise wieder zum Vorschein.
Nachdem wir in Vorstehendem den Einfluss der Stimmritzenweite
auf die Höhenverhältnisse des laryngotrachealen Percussionsschalles
kennen gelernt haben, wird schon von vornherein vermuthet werden
dQrfen, dass ein solcher Einfluss auch auf die Höhe des Percussions-
schalles am Thorax unter gewissen pathologischen Bedingungen sich
wird geltend machen können. In der That kann man sich über-
zeugen, dass bei solchen Veränderungen des Lungenparenchyms, wie
sie dem Willi am s'schen Trachealtone zu Grunde liegen, namentlich
in gewissen Fällen ausgebreiteter und gleichmässiger Verdichtungen
der oberen Lungenpartien (chronisch-pneumonische Indurationen), der
an den entsprechenden Thoraxstellen, meist den Infraclaviculargegen-
deu, bestehende gedämpft -tympanitische Percussionsschall alle jene
Aenderungen wiederholt, welche an der Trachea selbst durch directe
Percussion derselben zur Wahrnehmung gebracht werden können.
Der an solchen Stellen vorhandene Williams 'sehe Trachealton zeigt
nicht allein, wie bekannt, den Wintrich^schen Schall Wechsel, son-
dern wird auch tiefer während des Schluckactes und höher bei tiefen
268 Xni. Fribdbbich
InspiratioDsbewegungen. Da hier wegen der gleichmässigen V^dicb-
tung des Lungenparenchyms die Brustwand keine respiratorischen
Excursionen mehr vollführt und somit eine respiratorische Spannungs-
änderung derselben , sowie des erkrankten Lungengewebes nicht in
Betracht kommen kann, so wird man für die Erklärung der Inspira-
torischen Höhenzunahme des Williams'schen Trachealtones eben
nur die inspiratorische Erweiterung der Stimmritze zu Hülfe nehmen
können.
Die gleiche Genese einer inspiratorischen Höhenzunahme des
gedämpft - tympanitischen Schalles am Thorax wird für jene Fälle
Geltung besitzen, in welchen tiefliegendei von verdichteter Umgebung
begrenzte Caverhen vorhanden sind, deren Volumen wegen der Dicke
und Starrheit der sie umgebenden Schichten bei den einzelnen Be-
spirationsphasen immer das gleiche bleibt und über denen die Brust-
wand gleichfalls keine respiratorischen Spannungsänderungen erieidet.
Der in solchen Fällen an den betreffenden Thoraxstellen vorhandene
tympanitische Beiklang des mehr oder minder gedämpften Percussions-
Schalles wird zum Theil gleichfalls nach Art des Williams'schen
Trachealtones, zum Theil als der Ausdruck der aus dem Höhlenraum
längs der in denselben mündenden Bronchienkanäle bis hinauf zur
laryngotrachealen Luftsäule fortgesetzten Schwingungen aufgefasst
werden müssen, und es wird derselbe demgemäss aluch die gleichen
respiratorischen und durch die übrigen Einflüsse erzeugbaren Höhen-
änderungen darbieten können, wie sie der directe Percussionsschall
des Kehlkopfs und der Trachea erleidet. Damit ergibt sieh aber^
dass wir auch den Williams'schen Trachealton, sowie den unter
den angeführten Verhältnissen an Excavationen bestehenden tympa-
nitischen Percussionsschall als eine zusammengesetzte Schallerschei*
nung auffassen müssen, bei deren Entstehung ebenso wie bei der
directen laryngotrachealen Percussion auch Schwingungen der in den
Rachen-, Mund- und Nasenräumen enthaltenen Luft concurriren. Bis
zu welchem Grade solches speciell bei Cavemen der Fall ist, wird
freilich von verschiedenen Momenten abhängig sein, als welche irir,
abgesehen von der Stärke des Percussionsstosses und der variablen
Dicke und Impressionabilität der Cavemen- und Thoraxwand, die
Zahl und Weite der einmündenden Bronchien, die Stellung ihrer Mfln-
düngen zum percutirten Punkte der Thoraxwand, sowie ihre Verlaufs-
richtung als hauptsächlich in Betracht kommend bezeichnen wollen.
Gomplicirter gestalten sich die Verhältnisse bei jenen grossen,
oberflächlich gelegenen Excavationen, welche durch eine nur dünne
und dehnbare Gewebsschichte von der Thoraxwand getrennt sind
Percussion des Kehlkopfs und der Trachea. 269
und demgemitoy den Excursionen der letzteren folgend, respiratorische
Aenderungen ihres Volumens erleiden. Die hier bei tiefer Inspiration
in der Begel mehr oder minder deutlich constatirbare Höhenzunahme
des hell-tympanitischen CSavemenschalles wird allerdings nicht ledig-
lieh auf eine Aenderung in der Weite der Stimmritze bezogen werden
können, indem auch noch andere Factoren in Wirksamkeit treten^
welche theils nach gleicher, theils nach entgegengesetzter Richtung
wirkend einen Einflnss auf die Höhe des Fercussionsschalles äussern.
So mttsste die bei tiefer Inspiration geschehende Dehnung und Er-
weiterung der Caveme, insoferne deren grösster Durchmesser dabei
in der Regel eine Zunahme erfahren dtlrfte, eine inspiratorische Ver-
tiefang des Fercussionsschalles zur Folge haben, wenn nicht die bei
der Inspiration eintretende Spannungszunahm^ der Thoraxwand und
der mit derselben verwachsenen membranösen Höhlenwand, unter-
stötzt durch die inspiratorische Erweiterung der Stimmritze, ersteren
Einflass hypercompensiren und als *Gesammtresultat eine inspirato-
rische Erhöhung des Schalles herbeiführen würde.
In einer vor längeren Jahren publicirten Arbeit ^) hatte ich das
bei tiefer Inspiration erkennbare Höherwerden des tympanitischen
CaTsmenschalles, wenn derselbe ausserdem den Wintrich'schen
Sehallwechsel darbietet, als die Folge der, -wie oben erwähnt, auch
an der Trachea nachweisbaren inspiratorischen Erweiterung der Stimm-
ritze zu deuten Tersucht. Wenn ich allerdings bekenne, dass ich
damals in einer zu exclusiven Weise die wechselnde Weite der Stimm-
ritze als Ursache der genannten Erscheinung in den Vordergrund
stellte und den Einfluss der in gleicher Weise die Höhe des Cavemen-
schalles steigernden inspiratorischen Spannungszunahma der Thorax-
und Höhlenwand ausser Betracht gelassen hatte ^ so kann ich doch
Rosenbach 2) nicht zustimmen, wenn derselbe jeden Einfluss der
Stimmritzenweite auf die Höhe des Cavernenschalles in Abrede stellt,
nnd ich glaube auch gegenüber den Einwendungen des genannten
Forschers an der Annahme der inspiratorischen Erweiterung der
Stimmritze als der theilweisen, unter bestimmten, oben bezeichneten
pathologischen Veränderungen selbst ausschliesslichen Ursache der
inspiratorischen Höhenzunahme des an erkrankten Stellen des Lun-
gengewebes vorhandenen tympanitischen Fercussionsschalles festhal-
ten zu müssen. Die Richtigkeit der Bemerkung Rosenbach 's, dass
1) Ueber die diagnostische Bedeutung der objecti?en Höhiensymptome. Ver-
handlungen der physikal.-med. Gesellschaft zu Würzburg. YII. 1857. S. 105.
2) Die Relaxation des Lungengewebes u. s. w. Dieses Archiv. Bd. XYIII. 1876.
S. 90.
270 XIII. Frusdreich, Percassion des Kehlkopfs und der Trachea.
die Differenz in der Weite der Stimmritze bei In- und Exspiration
eine nur minimale sei und daher nicht von Einfluss auf die Schall-
höhe sein könne, gebe ich fQr ruhige Athembewegungen yoUkommen
zu; für solche aber habe ich einen Einfluss niemals behauptet, son-
dern ausdrücklich nur für tiefe Inspirationsbewegungen, bei welchen
doch, wie das Laryngoskop zeigt, die Excursionen der Stimmbänder
bedeutend genug sind, um einen Einfluss ausüben zu können. Wenn
endlich Rosenbach gegen meine Meinung von der Bedeutung der
Stimmritzen weite für den Percussionsschall noch den Umstand zo
verwerthen sucht, dass „über normalen Lungen Oeffnen und Scblies-
sen des Mundes nur in sehr seltenen Fällen und dann nur einen
minimalen Schallhöhewechsel bedingt ''y so muss ich die thatsäch-
liehe Richtigkeit dieses Satzes in Zweifel ziehen, indem für mein
akustisches Perceptionsvermögen ein Wintrich'scher Schall wechsel
am normalen Thorax nicht existirt.
XIV.
Die allgemeine Bindegewebshyperplasie (Fibromatosis).
Prof. F. W. Beneke
in Marborg.
Es dürfte wenige pathologische Anatomen geben, welche nicht
schon einmal mit Staunen einer Leiche gegenübergetreten wären,
die, ihnen als „ phthisisch ^ gemeldet, in ihrem ganzen äussern Habitus
doch keine Spur einer „Phthisis" .verrieth und bei der Obduction
dennoch grosse Gayemen in den Lungen und auch secundäre Miliar*
tabercnlose in yerschiedenen Organen auffinden Hess. — Es sind mir
derartige Befunde in den letzteren Jahren häufiger entgegengetreten
nnd ich gestehe offen, dass ich dieselben anfangs pathologisch kaum
zu deuten wusste. Erst nach und nach glaube ich ein Verständniss
dieser bemerkenswerthen Fälle gewonnen zu haben und da ich bis
dahin vergeblich in der Literatur nach einer zutreffenden Schilderung
derselben gesucht habe, so möge es mir gestattet sein, die haupt*
sächlichen bezüglichen Beobachtungen, sowie meine Auffassung der
Befunde mitzutheilen. Ich erwähne dabei von vornherein , dass es
sich in den fraglichen Fällen nicht etwa nur um jene Form von
Bindegewebshyperplasieen in den Lungen , Bronchektasieen u. s. w.
handelt, welche als sogenannte Pneumokoniosen bekannt sind; die
wesentlichen ätiologischen Momente dieser letzteren konnten ausge-
schlossen werden. Der Nachdruck liegt in meinen Fällen auf der
weiten, wenn nicht allgemeinen Verbreitung von Bindege-
webshyperplasieen, wie sie sich bei den gewöhnlichen Pneumokonio-
sen seltener vorfinden. Zugleich liegen entscheidende Kriterien in
der gesammten Constitution der Leichen, um welche es sich handelt,
um die Aufstellung einer besonderen Krankheitsform zu rechtfertigen.
Die ersten hierher gehörigen, meine Aufmerksamkeit fesselnden
Fälle waren folgende:
272 XIV. Bbnbke
1. Franz P. (Protok. W. Nr. 28), 42 Jahre alt, Gelbgieasergehilfe.
Klinische Diagnose: „Phthisis pulmonum^.
Der gesammte Körperbau kräftig, schön proportionirt; 165 Cm. lang.
In beiden Lungen finden sich in den oberen Lappen grössere und klei-
nere Cavernen, daneben interstitielle Induration und weitverbreitete käsige
Knoten. Im Darm einzelne tuberculöse Geschwüre. Das Herz von sehr
beträchtlicher Grösse, ziemlich stark mit Fett überwachsen (393 Gem. Volniu).
Leichter Ascites. An der Leber, von ziemlich normaler Grösse, findet
sich eine Verdickung der Kapsel und interstitielle Wucherung. Die Milz
ist sehr gross (375 Ccm. Volum) und enthält miliare Tuberkel. Die Nie-
ren Tmd beide gross (zusammen 348 Ccm. Volum), sehr derb und zeigen
bindegewebige Schwielen. Das arterielleGefäsasytem ist sehr weit;
die Aorta ascendens hat 80 Mm., die Art. pulmonalis 76 Mm. Umfang.
2. Franz W. (Protok. W. Nr. 29), 2lJahre alt, Tischler. Klinische
Diagnose: „Phthisis pulmonum^.
Der Körperbau sehr kräftig, schön proportionirt, 175 Gm. lang. In
der rechten Lunge finden sich alte und ganz frische zahlreiche peribrou-
chitische Herde ; ebenso in der linken Lunge. Die älteren Herde sind von
derbem, schwieligem Gewebe umgeben; in den noch lufthaltigen Partien
befinden sich frische miliare Tuberkel. Schleimhautgeschwüre sind weder
im Larynx, noch im Darm vorhanden. Das Herz hat eine sehr gute
Grösse (295 Ccm. Volum). Die Leber ist ausserordentlich gross, blnt-
reich und zeigt frische interstitielle Wucherungen. Im Protokoll befindet
sich die besondere Bemerkung : „ Lungen nicht so stark infiltrirt, dass sieb
die Grösse der Leber durch Stauung erklären Hesse ^. Ueber Milz und
Nieren fehlen mir genauere Notizen; die arteriellen Gefässe haben
eine gute normale Weite (Aorta asc. 66, Pulmonalis 67 Mm.).
3. Franz Cn. (Protok. W. Nr. 106), 24 Jahre alt, Bäcker. KUnische
Diagnose : „ Phthisis pulmonum ".
Sehr schöner, kräftiger, musculöser Körper; 173 Cm. Körperlänge.
Sämmtliche Organe sehr blutreich. Beide Lungen von starken plenriti-
Bchen Schwarten umgeben und überall adhärent. Rechts frische eitrige
Pleuritis. In beiden Lungen starke interstitielle pigmentirte Induration,
daneben käsige Herde und kleine Cavernen. Die Bronchialdrflsen be-
trächtlich, frisch, grau geschwellt. Das Herz von guter Grösse (257 Ccm.
Volum). Die Leber blutreich, aber makroskopisch ohne wesentliche Ver-
änderung (1575 Ccm. Volum). Die Nieren sehr gross und blutreich, derb
(zusammen 408 Ccm. Volum). Viel Fett in der Umgebung ihres Beckens.
Das arterielle Gefässsystem von guter, normaler Weite (Aorta asc.
68 Mm., Pulmonalis 67 Mm.).
4. Vitalis L. (Protok. W. Nr. 141), 55 Jahre alt, Tagelöhner. Kli-
nische Diagnose: „Pyopneumoihorax^.
Sehr kräftiger musculöser Körper. Die linke Lunge ganz frei, aber
sehr blutreich und von einer stark verdickten Pleura überzogen, die rechte
Lunge ebenfalls von einer dicken pleuritischen Schwarte Aberzogen. In ihrer
Spitze Induration, 3 — 4 alte kleine käsige Herde und 2 kleine broncbi-
ektatische Cavernen. Die eine derselben befand sich unmittelbar anter der
Fibromatosis. 273
Pleura, perforirte und fahrte den Pneomothorax herbei. Der mittlere und
antere* Lappen ganz frei. Daa Herz sehr grosa (388 Ccm. Volnm); die
Pericardialblitter verdickt. Die Leber groBs (1755 Ccm.), stark fettig
and interstitiell hypertrophisch. Die Milz weich nnd klein; die Nieren
gross (336 Gem.) und sehr blnthaltig. Der Darm frei von Oeschwttren.
Das arterielle Gefässsystem sehr weit, ganz vereinzelte atheroma-
tö8e Plaques zeigend (Aorta ascendens 81, Palmonalis 78, Aorta thoracica
69 Mm.). Es handelte sich hier also um einen alten interstitiellen Process
in den Lnngen in einem später voll nnd kräftig entwickelten Rdrper.
Diese ersten 4 Fälle erregten meine Aufmerksamkeit wesentlich
durch den grossen Widerspruch zwischen der Ffille und Schönheit
der Eörperentwicklung und dem verderblichen Process in den Re-
spirationsorganen. Auffallend war mir femer die fast überall be-
trächtliche Grösse des Herzens, die bedeutende oder doch gute Weite
des arteriellen Gefftssi^Btems, sowie die beträchtliche allgemeine Blut-
ffille, Erscheinungen also, wie sie bei der gewöhnliehen Lungenphtbisis
eben nicht gefunden 'werden. Auf eine allgemeinere Verbreitung des
Bindegewebes war meine Aufmerksamkeit noch weniger gerichtet;
dieselbe ist eben nur da notirt, wo sie geradezu hochgradig her-
vortrat
Erst die folgenden Fälle ftihrten zu einer näheren Bekanntschaft
mit dem inneren Wesen dieser Processe, und es wurden von nun an
sämmtliche Organe genauer auf das Verhalten der interstitiellen Ge-
webe untersucht. Als lehrreichste hierher gehörige Beobachtungen
wähle ich die nachstehenden aus:
l. Johann P. (Protok. W. Nr. 251), 40 Jahre alt, Tagelöhner. Kli-
nische Diagnose: „Phthisis pulmonum*'.
Kräftiger musculöser Körper von 173 Gm. Länge; breiter Thorax.
In dem ganzen Körperbau nur ein Gegensatz von Allem, was ,, phthisisch^
genannt wird. Beide Langen von sehr grossem Volumen, namentlich die
rechte. Die linke Lunge ist durch eine dicke Schwarte der Brastwand
äberall fest verlöthet; im oberen Lappen 2 grosse bronchiektatische Ga-
vemen. Das interstitielle Gewebe überall hypertrophisch. In beiden Lappen
fast gleichmässig verbreitet zahlreiche kleinere und grössere peribronchitische
Knoten, zum Theil im verkästen Zustande. Die rechte Lunge nur im
oberen Lappen adhärent und mit verdickter Pleura versehen. Im oberen
Lappen starke interstitielle Verdichtung, daneben zahlreiche peribronchi-
tische Knötchen und ältere ganz trockene verkäste Knoten. Der mittlere
Qnd antere Lappen fast frei von Knoten, aber sehr blutreich und ödematös.
Im Darm tnberculöse GeschwSre. Die ganze Leiche sehr blutreich; das
Herz von ausserordentlicher Grösse (431 Gem. Volnm), ziemlich stark fett-
fiberwachsen. Die Wände der Ventrikel stark entwickelt, aber schlaff,
leicht zerreisslich. Die Leber von sehr grossem Volnm (1974 Gem.). Auf
dem Durchschnitt etwas fettig, mnscatnussfarbig ; am unteren Rande gra-
nnlirt. Die Milz weich, klein (149 Gem. Volum). Die Nieren sehr gross
D«DtoehM ArehlT f. klin. Medlcln. XXIV. Bd. 18
274 XIV. BENiBKE
(zusammen 408 Ccm. Volam), von sehr derber, fast harter Bescbaffenheit,
geben ihre Kapsel sehr schwer her and zeigen eine betrachtliche inter-
stitielle Hyperplasie. Das arterielle Gefässsystem fflr das Alter von
40 Jahren ausserordentlich weit (Aorta asc. 77, Pulmonalis 81, Aorta
thoracica 51, Aorta abdominalis 40 Mm. u. s. w.).
2. Anna W. (Protok. W. Nr. 229), 41 Jahre alt, Magd. KlhuBcbe
Diagnose: ^Morbus Brighiii^. i
Sehr kräftiger, musculöser und mit starkem Fettpolster ausgestatteter
Körper von 167,5 Cm. Körperlänge. Alle Organe sehr blutreich; an der
rechten Lunge eine starke pleuritische Schwarte; in beiden oberen Lud-
genlappen starke schiefrige Induration mit einzelnen miliaren Knötchen
durchsetzt; links auch einige kleine k&sige, zum Theil verkalkte Knoten.
Beide untere Lungenlappen sehr blutreich. Volum beider Lungen annähernd
normal. Das Herz gross (310 Ccm. Volum), ziemlich stark fettflberwachsen,
die Musculatur aber schlaff, die Leber gross (1848 Ccm. Volum), fein
granulirt; zeigt eine bedeutende interstitielle Hyperplasie. Die Milz etwas
vergrössert (220 Ccm. Volum), ziemlich fest und derb und sehr blutreich^
nicht amyloid. Die Nieren gross (zusammen 387 Ccm. Volum). Sehr
derb, blutreich. Die Kapsel haftet fest; an der Oberfläche leicht granulirt.
Das arterielle Gefässsystem von ziemlich normaler Weite (Aorta
asc. 67, Pulmonalis 64, Aorta tbor. 47 Mm. Umfang u. s. w.). Keine Ge-
schwüre im Darm.
3. Josef K. (Protok. W. Nr. 170), 38 Jahre alt, Tagelöhner. Klinische
Diagnose: „Mstuia ani, Dysenterie'*.
Sehr kräftiger musculöser Körper mit gering entwickeltem Pannicnlos.
178 Cm. Länge. Die ganze Leiche sehr blutreich. Beide Langen sehr
stark adhärent, gross und blutreich. Der rechte obere Lappen zeigt in
der Spitze schiefrige Induration und kleine bronchiektatische Cavemen. Die
linke Lunge von einer starken pleuritischen Schwarte fiberzogen. Nach
Abtrennung derselben sieht man die Pleura pulmonalis mit zahllosen, mili-
aren fibrösen Knötchen durchsetzt. In der Spitze dieser Lunge ein frischer
lobulärer, pneumonischer Herd. Keine Miliartuberkel in der Lange. Das
Herz sehr gross (362 Ccm. Volum), stark fettfiberwachsen. Die Musculator
schlaff, etwas entfärbt. Die Leber gross (1966 Ccm. Volum), zeigt mitt-
leren (3rad fettiger Degeneration. Die Milz gross (272 Ccm. Volum). Die
Nieren sehr gross (zusammen 411 Ccm.), äusserst hart, sehr blutreich,
massig granulirt. Im Dickdarm katarrhalische Geschwüre. Das arte-
rielle Gefässsystem von entsprechender Weite (Aorta asc. 66, PdI-
monalis 63, Aorta thorac. 47 Mm. Umfang u. s. w.).
4. Catharina K. (Protok. W. Nr. 169), 42 Jahre alt, Tagelöhoerio.
Klinische Diagnose: „Tuberculosis acuta'*.
Kräftige Musculatnr; massiges Fettpolster. 155 Cm. Körperlfioge.
Durchaus kein tuberculöser Habitus. Beide Lungen vollständig adhärent;
in beiden Lungen oben massige interstitielle Verdichtungen und Bronchi-
ektasien, aber nichts von käsigen oder tuberculösen Bildungen. Uoteo
beiderseits Oedeme. Das Herz nicht gross, fast fettfrei (225 Ccm. Volom).
Die Leber sehr derb, mit starker interstitieller Bindegewebswucheroog
Fibromatosis. 275
(1250 Ccm. Volnm). Die Milz gross, sehr weich (488 Ccm. Volom). Die
Nieren etwas verkleinert (cnsammen 256 Ccm. Volnm); die Kapsel sehr
sehwer zu entfernen; frische interstitielle Wucherungen in beiden Nieren
.verbreitet. Der Uterus total hypertrophisch; zwischen ihm und dem
Rectum Iigamentöse Verwachsungen, links eine Ovarialcyste. Das arte-
rielle Qefiss System fUr die Körperlänge etwas weiter als normal (Aorta
asc. 68, Pulmonalis 67, Aorta thor. 45 Mm. Umfang u. s. w.). (Die Kranke
ging wahrscheinlich urämisch zu Grunde.)
5. Josef 6. (Protok. W. Nr. 202), 67 Jahre alt, Tagelöhner. Klinische
Diagnose: ^Emphysema pulmonum, Marasmus^.
Ziemlich kräftiger, musculöser Körper. 178 Cm. Körperlänge. An den
iooeren Organen viel Fett. Die Rippen und auch der Larynz stark ver-
kilkt. Beide Lungen überall adhärent Die Pleuren schwartenartig ver-
dickt. Die rechte Lunge im ganzen oberen und mittleren Lappen schiefrig
indorirt und mit zahlreichen grauen und käsigen miliaren Tuberkeln be-
setzt; im unteren Lappen ödematös und am Rande wenig emphysematös.
lo der linken Lunge dieselben Erscheinungen, nur weniger weit verbreitet.
Das Herz (260 Ccm. Volum) ziemlich stark ttberfettet, etwas braungrau.
Die Leber von normaler Grösse (1600 Ccm. Volum), ist überall adhärent,
durch eine sehr grosse Gallenblase ausgezeichnet; auf dem Durchschnitt
fettig, muacatfarbig. Die Milz von normaler Grösse, ist ebenfalls überall
adhärent, bat eine stark verdickte Kapsel, aber sonst normale Consistenz.
Die Nieren annähernd normal gross (zusammen 293 Ccm. Volum) , die
linke sehr beträchtlich grösser als die rechte, leicht granulirt, ihre Kapsel
schwer hergebend. Das arterielle Gefässsystem ausserordent-
lich weit, ohne irgend erhebliche atheromatöse Wanddegeneration (Aorta
ucend. 91, Pulmonalis 87, Aorta thorac. 62, Aorta abdom. 45 Mm. Um-
fang n. s. w.).
6. Franz R. (Protok. W. Nr. 266), 64 Jahre alt, PfrUndner. Klinische
Diagnose: „Tumor iienis^. ' •
Kräftig entwickelter Körper, 164 Cm. lang, gut musculös, geringes
Fettpolster, Rippenknorpel stark verkalkt, alle Organe sehr blutreich. Die
rechte Lunge adhärent ; in ihrer Spitze ein altes Kalkknötchen ; die Lun*
gen Qbrigens intact, beiderseits etwas Hypostase und wenig Emphysem;
links ein. massiges pleuritisches Transsudat. Die Bronchialdrttsen gross,
hart und stark pigmentirt. Das Gesammtvolam der Lungen von mittlerer
Grösse (beide Lungen zusammen 1661 Ccm. Volumen). Das Herz gross,
sehr wenig fiberfettet (308 Ccm. Volum), Muscnlatur schlaff; die Leber
sehr gross (2125 Ccm. Volum, 2180 Grm. Gewicht), sehr derb, hart, fein
granollrt; auf dem Durchschnitt «feine Muscatzeichnnng und bedeutende
interstitielle Wucherung. Die Milz hat das colossale Volum von 1532 Ccm.
nnd ein Gewicht von 1640 Grm. Das Gewebe sehr blutreich, von normaler
Consistenz, so dass der Tumor nur als ein durch Stauung entstandener
betrachtet werden kann. Die Nieren etwas klein (zusanimen 232 Ccm.
Volam), sehr derb und hart. Die Kapsel nicht leicht abziehbar, die Ober-
fläche leicht granulirt. Das arterielle Gefässsystem auch hier wieder
sehr weit, aber fast ohne Spuren von Atherom (Aorta ascend. 87, Pulmo-
nalis 79, Aorta thor. 62, Aorta abdom. 53 Mm. Umfang u. s. w.).
18*
276 XIV. Beneke
7. Anna B. (Protok. W. Nr. 276), 52 Jahre alt (hat geboren), Pfrfind-
nerin. Klinische Diagnose: „Carcinoma hepatis*^.
Sehr abgemagerte Leiche. Hochgradiger Icterus. 162 Gm. Körper-
länge. Die linke Lunge von einer starken plenritischen Schwarte fiber-
zogen ; an der rechten findet sich solche Schwarte nnr am unteren Lappeo.
In beiden oberen Lappen hochgradige schiefrige Induration, Aber die ganzen
Lappen verbreitet, aber auch auf diese beschränkt Im linken oberen Lap-
pen eine kleine bron^ektatische Caverne. In beiden Unteren Lappen zahl-
reiche Miliartuberkel ^on zum Theil sehr frischer Beschaffenheit; das Herz
sehr atrophisch, schlaff, mit noch ziemlich viel Fett überwachsen (171 Com.
Volum). Die Leber von zahlreichen Garcinomknoten durchsetzt, sehr gross.
Die Milz sehr gross (mindestens 300 Gem. Volum — genaue Messung
fehlt), von Miliartuberkeln in zahlloser Menge durchsetzt (Miliartubercnlose
zweifellos mikroskopisch constatirt). Die Nieren von guter GrOsse (zu-
sammen 275 Gem. Volumen). Das Gewebe sehr derb; starke interstitielle
Wucherung ; auch hier viele miliare Knötchen , deren genauere mikrosko-
pische Untersuchung aber leider nicht vorgenommen wurde. Das arte-
rielle Gefässsjstem sehr weit, aber auch hier kaum Spuren athero-
matöser Degeneration (Aorta asc. 85, Pulmonalis 88, die Wand derselben
sehr stark entwickelt, fast wie die einer Aorta. Aorta thor. 53, Aorta
abdom. 37 Mm. Umfang u. s. w.).
8. Josef P. (Protok. W. Nr. 190), 61 Jahre alt. Klinische Diagnose:
„ Carcinoma pylori**.
Sehr abgemagerter Körper, 163 Gm. lang. Die rechte Lunge fiberall
adhärent, am oberen Lappen von einer pleuritischen Schwarte überzogen.
In der Spitze starke Pigmentinduration und bronchektatische Gavemen.
Die linke Lunge von einer pleuritischen Schwarte überzogen nnd fiberall
adhärent ; in ihrer Spitze starke schiefrige Induration. Im unteren Lappen
frische Pneumonie und Oedem. Gesaramtvolum beider Lungen 1836 Ccm..
wovon auf die rechte 648, auf die linke 1188 fallen. Die Bronchialdrflsen
beiderseits stark vergrössert, piginentirt und hart. Das Herz hat trotz
der hochgradigen Abmagerung der Leiche noch 202 Gem. Volum und einen
sehr resistenten linken Ventrikel. Die Mnsculatur zeigt jedoch etwas braun-
graue Entfärbung. Die Leber ist klein, braun, wenig blutreich, ohne
carcinomatöse Metastasen (Volumen nicht bestimmt). Die Milz ist klein
und derb (125 Gem. Volumen). Die Nieren sehr klein (zusammen 146 Gen.
Volumen), sehr derb, hart; Kapsel schwer zu entfernen. Am Pylorns
ein grosses carcinomatöses Ulcus. Das arterielle Gefässsystem sehr
weit, aber auch hier kaum Spuren atheromatöser Degeneration (Aorta asc 86,
Pulmonalis 70, Aorta thor. 65, Aorta abd. 50, Iliaca communis dextra 31.
sinistra 32, Subclavia sinistra 32, Garofis sinistra 21, Subclavia dextra 40.
Garotis dextra 20,5 Mm. Umfang).
9. Peter L. (Protok. M. Nr. 84), 37 Jahre alt. Klinische Diagnose:
jf Stenosis ostii venosi sinistri. Alter Gelenkrheumatismus'^.
Mittelkräftiger Körper, 171 Gm. lang. Körpergewicht 123 Pfand,
180 Grm. Die Lungen sind flberall adhärent und von stark verdickter
Pleura überzogen. Links abgesacktes pleuritisches Exsudat. In der linken
Lungenspitze eine narbige Einziehung, im Uebrigen beide Lungen wenig
Fibromatons. 277
veriodert und g^t lufthaltig. Das Herz sehr gross, mit dem Herzbeutel
im ganzen Umfange Yerwachsen (463 Com. Volum); Die Leber verklei-
oert (1238 Com. Volum), stark granulirt, auf dem Durchschnitt muscat-
färben. Die Milz ziemlich gross (202 Ccm. Volum), sehr hart, durch
biodegewebige Stränge mit dem Diaphragma und dem Magen verlöthet;
(ksStroma hypertrophisch. Die Nieren verkleinert (zusammen 267 Ccm.
Volam), derb, interstitiell hypertrophisch, mit kleinen Cysten an der Ober-
fläche versehen. Zwischen Leber, Gallenblase ^ Darm und Pankreas ' viel-
fache abnorme bindegewebige Verwachsungen. Das arterielle Gefäss-
system von normaler Weite, nur die Pulmonalis in Folge der linksseitigen
Stenose beträchtlich dilatirt (Aorta asc. 67, Pulmonalis 82, Aorta thora-
cica 45,5, Aorta abdom. 38 Mm.).
Wenn man diese Fälle tiberblickt, so wird man geneigt sein,
die vielfachen Bindegewebshyperplasieen an den Pleuren, in der
Leber, in den Nieren u. s. w. ffir Folgen venöser Stauungen zu hal-
ten. Man wird meinen, dass die Bindegewebshyperplasieen in den
Lungen durch den Reiz irgendwelcher inhalirter Stoffe hervorgerufen,
und in Folge dieser sogenannten Cirrhosen der Lunge die Stauung
and weiterhin die Bindegewebshyperplasieen in den Unterleibsorganen
entstanden seien. Diese Auffassung liegt sehr nahe. Allein es gibt
eine grosse Reihe Ton sogenannten käsigen Lungenphthisen, in wel-
chen die Stauung des venösen Blutes sehr beträchtlich ist, die Blut-
menge auch nicht gering genannt werden kann, aber dennoch die
fraglichen Bindegewebshyperplasieen gar nicht oder nur in sehr ge-
ringem Grade vorhanden sind. Wir wissen ferner, dass in Folge
der Einathmung unorganischer Staubmassen in einzelnen Individuen
ein käsiger phthisischer Process in den Lungen zur Entwicklung
kommt, in anderen dagegen eine derbe interstitielle Bindegewebs-
wucherung bis zur elephantiastischen Schwartenbildung hin, ohne
jede Spar yon verkäsenden Neubildungen. Was bedingt diese Dif-
ferenz? In dem einen Falle die ganz hinfällige, nekrosirende, in
dem anderen Falle die feste persistirende Neubildung? — Vor Allem
kommen aber an dritter Stelle die gesammten constitutionellen Eigen-
thömlichkeiten in Betracht, Eigenthümlichkeiten, welche den bei der
käsigen Lungenschwindsucht zu constatirenden geradezu entgegen-
gesetzt sind. Fast durchgehends finden wir in unseren Fällen einen
kräftigen Körperbau, einen breiten Thorax, ein grosses Hens, ein
weites und selbst sehr weites arterielles Gefässsystem , ohne dass
letzteres durch atheromatöse Degenerationen der Gefässwände herbei-
geführt wäre. Fast sämmtliche Leichen waren dazu durch eine sehr
reichliche BlutfdUe ausgezeichnet. Allerdings finden sich auch ein-
'^Ine Fälle, in welchen sich in den Lungen neben beträchtlicher
278 XIV. Beneke
interstitieller Indaration käsige Herde fanden und yermathlieh von
diesen aus auch Miliartuberkel in den Lungen, sowie im Darmkanal
derivirten. Solche Fälle können nicht Wunder nehmen. So wenig
wie zwischen anderen Krankheitsformen existiren scharfe Grenzen
zwischen den hinfälligen verkäsenden und den persistirenden binde-
gewebigen Neubildungen in der Lunge. Solchem etwaigen Bedenken
gegenüber ist auf die in den Fällen Nr. 7 und 8 hervortretende Gom-
bination weitgehender Bindegewebshyperplasie mit hochgradigen car-
cinomatösen Erkrankungen hinzuweisen, mit Processen also, welche
den käsigen Lungenphthisen diametral entgegengesetzt sind. Der
Fall Nr. 7 ist dabei noch besonders ausgezeichnet durch die gleich-
zeitige Entwicklung von Miliartuberkeln in Lunge und Milz bei aus-
gesprochenem Lebercarcinom. Ganz frei blieben andrerseits die Lun-
gen in dem Fall Nr. 9. In diesem trat eine weitverbreitete Binde-
gewebshyperplasie mit einem nach Gelenkrheumatismus entstandenen
Hei'zleiden combinirt auf, und zwar in einem so hohen Grade, wie
wir ihn nicht oft zu beobachten Gelegenheit haben.
Nach allem Diesen muss ich zu der Ansicht gelangen , das» es
eine besondere Constitutionsanomalie gibt , welche ausgezeichnet ist
durch die grosse Neigung zu Bindegewebshyperplasieen in den ver-
schiedensten Organen. Diese Constitutionsanomalie schliesst sich
nach den durch die Messungen ermittelten Verhältnissen des Herzens,
der grossen Gefässe, der Lungen, sowie des gesammten Körperbaues
vielmehr den zu hyperplastischen, luxuriirenden Neubildungen hinnei-
genden Constitutionsanomalieeui wie namentlich der carcinomatösen,
an, als den zu phthisischen Processen disponirenden, und wie Rind-
fleisch nicht abgeneigt ist, vom einfachen Fibrom bis zu den weich-
sten Erebsformen hin eine untrennbare Formenreihe von Neubildun-
gen zu staituiren, so könnte ähnlich die allgemeine Bindegewebs-
hyperplasie als ein Anfangsglied in der Reihe weit verbreiteter
hyperplastischer Neubildungen verschiedenen Charakters auf ähn-
licher constitutioneller Basis betrachtet werden.
Diese Anschauung gewinnt noch an Wahrscheinlichkeit, wenn
wir der Fälle weitverbreiteter miliarer Fibromatosis, wie sie mitunter
vorkommen, gedenken. In solchen Fällen findet man, ähnlich wie
in Fall Nr. 3 (IL Reihe) an der Pleura , das ganze Peritoneum von
zahllosen miliaren bis erbsengrossen Bindegewebsknötchen durch-
setzt, Knötchen-, welche beim ersten Anblick wie Miliartuberkel im-
poniren, bei der mikroskopischen Untersuchung sich aber als kleine
und kleinste Fibrome erweisen. Ferner dürften hierher gehören« F&Ile
von Pachymeningitis in robusten Individuen, welche mitunter an
Fibromatoiis. 279
iDteratitieller Nephritis zu Grande gehen und daneben auch Binde-
gewebebyperplasieen in den Lungen, an den serösen H&uten , in der
Leber u. s. w. auffinden lassen. Ja ich glaube, dass die in neuerer
Zeit 80 vielfach besprochene Granularniere in robusten Individuen
hierher zu rechnen sein dürfte. Fflr diese Anschauung, welche in
mir ganz unabhftngig von anderweitigen Mittheilungen während des
Verlaufs meiner Untersuchungen entstand, finde ich neuerer Zeit eine
erfreuliche Uebereinstimmung mit von Buhl in dessen trefflicher
Arbeit Aber. Bright's Oranularschwund der Niere und Herzhyper-
tropbie^). «Geht man die Befunde durch ^ schreibt derselbe auf
Seite 88, «so gewahrt man, dass es zunächst anatomisch und histo-
logisch analoge Gewebe, nämlich seröse Membranen sind, welche
besonders ergriffen werden ; das Pericard, die Pleura, das Endocard,
die Synovialmembranen der Gelenke. Den serösen Häuten schliessen
sich Herz- nnd Körpermuskeln an, von Organen besonders aber das
interstitielle Bindegewebe der Nieren und der Lungen. " „In
allen diesen Geweben gibt es eine bestimmte und analoge Krank-
beitsfi^m, welche ich wegen ihres besonderen Ausgangs als ,fibröse
Entzündung' zusammenfasse. **
Die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens einer derartigen allge-
meinen Hyperplasie einer bestimmten Gewebsgruppe liegt offenbar
nach der Analogie anderer Gewebe sehr nahe. Wir kennen eine
allgemeine Hyperplasie des Fettgewebes, die Polypionie; eine solche
des Enocbengewebes, auch eine solche des Epithelgewebes, wie sie
in verschiedenen Formen an der äusseren Haut und stellenweise auch
an den Schleimhäuten vorkommt, und in einzelnen Fällen einen Vor-
läufer bildet fär Carcinombildung. Es ist a priori sehr einleuchtend,
dass eine ähnliche Hyperplasie auch an dem fibrillären Bindegewebe
des Körpers vorkommt, unter Modificationen der allgemeinen constitu-
tionellen Verhältnisse und des Stoffwechsels, die wir allerdings noch
nicht mit Schärfe zu bezeichnen wissen, die aber jedenfalls von denen,
welche den bekannten und eben genannten Hyperplasieen zu Grunde
liegen, nicht weit verschieden sind.
Was die Vorgänge in den Lungen selbst anbetrifft, von denen
ich hier den Ausgang genommen habe, so wurde bereits erwähnt,
dass sich dieselben gar mannigfaltig gestalten ; in allen Fällen schei-
nen dieselben aber mit der Bindegewebshyperplasie zu beginnen. In
einzelnen Fällen findet man lediglich beträchtliche Verdickung des
interstitiellen Bindegewebes, durch dessen Retraction eine Gompres-
U Mittheilungen aas dem pathologischen Institut zu München. Stuttgart 1878.
280 XIY. BsNBKE
sionsatrophie des Lungengewebes selbst und unregelrnftssige Erwei-
terungen und Verengerungen der grösseren Bronchen berbeigeftthrt
werden. Von käsigem Zerfall der Neubildnagen ist in solchen Fällen
oft keine Spur zu finden. In anderen Fällen zeigt sich die inter-
stitielle Bindegewebshyperplasie weniger mächtig. £s kommt zu be-
trächtlicheren Bronchialerweiterungen und zur Bildung bronchektati-
scher Cavernen, in deren Umgebung bald mehr, bald weniger ver-
fettete oder verkäste Massen nachweisbar sind. In noch anderen
Fällen stösst man auf diese Vorgänge vielleicht in den oberen Lappen
der Lungen, und in den unteren finden sich miliare Tuberkel oder
peribronchitische käsige Knoten. Von diesen Formen bis zu den
echten, käsigen Desquamativpneumonieen ist in Bezug sowohl auf die
klinischen als auf die anatomischen Erscheinungen Seitens der Re»
spirationsorgane kein weiter Schritt mehr. Fdr beide Arten von
Fällen wird die klinische Diagnose auf „Lungenphthisis*' lauten.
Wie soll man diese Fälle unterscheiden and auseinanderhalten?
In den vorgerückteren Stadien der Erankheitsprocesse hat diese Frage
nur eine geringe praktische Bedeutung ; eine um so höhere dagegen
in den Anfangsstadien. Die klinischen Erscheinungen der Lungen-
erkrankung selbst können hier sehr ähnliche sein; das Wesen des
Krankheitsprocesses ist aber sehr weit verschieden und das entschei-
dende Moment sowohl far die pathologische Auffassung, als fflr das
praktische Handeln liegt hier lediglich in den allgemeinen con-
stitutionellen Verhältnissen. Es kann nicht zweifelhaft sein,
dass ein Kranker mit grossem Herzen , weiten Blutgefässen , reich-
licher Blutmenge und mehr oder weniger kräftigem Körperbau bei
den hier in Frage kommenden Bronchialkatarrhen, Hustenreizen, viel-
leicht auch kleinen Hämoptoen, eine ganz andere Behandlung erfor-
dert, als ein Kranker, welcher ähnliche Erscheinungen darbietet, aber
in ausgeprägter Weise den sog. phthisisohen Habitus besitzt. Wäh-
rend im letzteren Falle im Allgemeinen eine tonisirende Behandlungs-
methode eingeschlagen werden wird, wird im ersteren Falle eine
derivirende und oftmals selbst vielleicht eine depotenziirende am
Platze sein. Katarrhe, und zwar häufig recidivirende Katarrhe, in
robust erscheinenden Individuen werden häufig kaum dner Beach-
tung gewürdigt, und in manchen Fällen wird damit vielleicbt auch
nichts versäumt werden. Die genauere Kenntniss von der Entvrick-
lung und den Ausgängen der chronisch intei-stitiellen Bindegewebs*
hyperplasieen in den Lungen machen es jedoch , erforderlich , der
hier in Erwägung gezogenen Fälle eingedenk zu sein, und zeitig
sowohl auf diätetischem als arzneilichem Wege der Entwicklung eines
Fibromatosis. 281
Leidens vorsabeugen, welches, wenn es erst eine bestimmte Höhe
erreicht hat, als ein irreparables erscheinen dürfte. Es erscheint
räthlich« in solchen Fftllen niemals die Untersuchung des Harns auf
etwaigen Eiweissgehalt zu unterlassen, da möglicherweise die Binde-
^ewebshyperplasie in den Nieren mit derjenigen in den Lungen schon
frflhzeitig coincidirt. Nicht . minder ist frühzeitig auf das Verhalten
der Leber in Grösse, Function u. s. w. Acht zu haben. Desgleichen
können die Verhältnisse des Körpergewichts, die Zu- und Abnahme
desselben, voraussichtlich wichtige Anhaltspunkte darbieten. Von
den an der Granulamiere leidenden Individuen wissen M(ir, dass sich
dieselben oft noch eines sehr guten Gesundheitszustandes erfreuen,
wenn das Leiden einen schon relativ hohen Grad der Entwicklung
erreicht hat. Es ist jedem Arzt bekannt, wie sehr occult diese Krank-
heit oft verläuft Ganz ähnlich scheint es sich oftmals mit den ersten
Stadien der interstitiellen Bindegewebshyperplasieen in den Lungen
zu verhalten, abgesehen von dem Bronchialkatarrh und einem geringen
Grade von Dyspnoe, ohne welche dieselben wohl selten verlaufen.
Dm so höherer Werth aber nur ist auf diese Erscheinungen zu legen,
und selbst eine vielleicht unnöthige Vorsicht erscheint hier gerecht-
fertigt
Ueber die Frequenz der besprochenen Bindegewebshyperplasieen
nach Alter und Geschlecht der Betroffenen kann ich bei der verhält-
oissmässig geringen Zahl der gesammelten Beobachtungen noch nichts
Bestimmtes sagen. Dass der Process sich schon in jflngeren Jahren
entwickeln kann, beweisen die Fälle 2 und 3 (L Reihe). Die Mehr-
zahl der von mir beobachteten Fälle betraf jedoch Individuen in dem
Alter von 35 — 55 Jahren, und es will scheinen, als ob die Alters*
disposition zu diesen Erkrankungsformen in eine viel spätere Lebens-
periode fällt, als die zu den echt phthisischen Erkrankungen.
Ich beschränke mich für diesmal auf diese kurzen Mittheilungen.
Fernere Beobachtungen und vielseitige Beachtung der bezeichneten
Krankheitszustände , sowohl Seitens der Kliniker als der pathologi-
schen Anatomen, werden darüber zu entscheiden haben, ob die von
mir als „Fibromatosis"' bezeichnete Krankheitsfprm als solche
Aufnahme finden und Geltung beanspruchen darf.
XV.
Ceber postmortale. Temperataren.
Von
H. Quincke und Ii. Brieger.
Die Absiebt, in welcber die folgende Beobacbtungsreibe vor etwa
10 Jabren von dem einen von uns begonnen wurde, ging dabin, zur
Lösung der damals viel debattirten Frage beizutragen, ob die fieber-
liafte Temperatursteigerung durcb vermebrte Wärmeproduction, oder
durcb verminderte Wärmeabgabe bedingt werde. Hätte man 2 voll-
kommen gleiche thierische Körper, in deren einem das Leben bei
einer Temperatur von 37 ^ in deren zweitem das Leben bei einer
fieberhaften Temperatur von 42^ z. B. erlischt oder vernichtet wird,
und brächte man beide unter relativ gleiche Abkühlungsverhältniase,
also den einen z. B. in einen Luftraum von 15<^, den andern in einen
Luftraum von 20^ (Differenz beidemal »= 22^), so mttsste die zeitliche
Abküblungscurve in beiden Fällen parallel laufen, wenn die post-
mortale Wärmeproduction gleich (oder auch wie bei anorganischen
Körpern = 0) wäre. Findet dagegen in dem einen Falle eine stftr-
kere Wärmeproduction statt, so würde sieb dies in einem langsameren
Absinken der Temperatur kundgeben. Möglichste Gleichheit der Ver-
gleichsobjecte würde sich nun allerdings bei Thieren am ehesten
haben erreichen lassen; dem gegenüber standen äussere Schwierig-
keiten und die Unsicherheit, resp. Einseitigkeit der künstlichen Er-
zeugung fieberhafter Zustände. Es wurden daher, trotz der sogleich
zu besprechenden Einwände und Zweifel, die Beobachtungen an Men-
schen angestellt.
Allerdings ist nyn seit dem Beginne dieser Untersuchung unsere
Kenntniss über die Vorgänge beim Fieber nach den verschiedensten
Richtungen hin erweitert und die Lösung der ursprünglichen Frage
Postmortale Temperaturen. 283
auf anderen Wegen angebahnt worden , aueh liefert das Ergebniss
der Untersucbung keine ganz eindeutige Antwort; nichtsdestoweniger
schien uns dasselbe, weil auf einem bisher nicht betretenen Wege
gewonnen, ein gewisses Interesse zu bieten.
Die Beobachtungen wurden etwa zur Hälfte auf der medieini-
schen Klinik* in Berlin, zur anderen Hälfte auf der in Bern gemacht
unter sonst gleichen äusseren Verhältnissen.
Der Verstorbene wurde, wie üblich, sofort nach dem Tode ent-
kleidet und nur mit einem Leintuch bedeckt in Rflckenlage auf sei-
nem Bett (Strohsack oder Matratze) belassen. Die Temperaturmes-
sung geschah im Rectum, in welches das Thermometer 10 bis 12 Gm.
tief eingeschoben wurde ; strenggenommen hätte stets auch dasselbe
Thermometer angewendet werden müssen; es war dies nicht mög-
lieh, doch sind die Krankenthermometer einer Fabrik bekanntlich
ausserordentlich ähnlich; in der grösseren Hälfte der Fälle wurde
ein speciell zu diesem Zweck verfertigtes Thermometer, das in V&o
getheilt war, angewendet.
Wenn irgend thunlich, war das Thermometer schon vor dem
Tode eingelegt worden, so dass der Temperaturrerlauf von diesem
Augenblick ab verfolgt werden konnte; andernfalls musste als zeit-
licher Ausgangspunkt der Temperaturbeobachtung der Zeitpunkt 10
oder 15 Minuten nach dem Tode gewählt werden. (Es ist diese Ab-
weichung deshalb erlaubt, weil sie, wie sich zeigen wird, eher ge-
eignet wäre, die gefundenen Resultate zu beeinträchtigen, als sie
vorzutäuschen.) Die Temperatur wurde nun (natürlich ohne Ver-
rückung des Thermometers) alle 10 oder 15 Minuten notirt, gewöhn-
lich bis 2 Stunden nach dem Tod», resp. nach Beginn der Beobach-
tung (da die äusseren Umstände ein längeres Liegen der Leichen
nur selten gestatteten) ; die Ablesungen machten wir selbst oder zu-
verlässige Wärter und Wärterinnen.
In der Tabelle A (S. 284—286) sind die Fälle nach der Todes-
temperatur (Colonne a) in absteigender Reihe geordnet; die zweite
Zahlencolonne (b) gibt an, um wie viel die Rectaltemperatur in der
ersten Stunde abnahm (resp. anstieg), die dritte Zahlencolonne (c),
um wie viel sie in der zweiten Stunde absank; Colonne d gibt die
Abweichung von* der Todestemperatur am Ende der zweiten Stunde
(also i/sB &4.e); in der fünften Zahlencolonne (e) ist endlich der
Abstand der Zimmertemperatur (die während der Beobachtungszeit
80 gut wie constant blieb) von der Rectaltemperatur notirt.
XV. Quincke und BBrnoKB
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— 0,48
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Mittel der Temperatwmbaalime
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2. Stande
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0,38
in d. enten
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0,592
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24,4
22,5
21,0
18,5
Wie aoa dem bisher Gesagten hervorgeht und wie sich von
vornherein Toraussehen Hess, sind nun selbst fflr massig exacte An-
forderungen die einzelnen vorliegenden Beobachtungen nicht unter
einander Tergleichbar > Der Hauptfehler liegt in der ungleichen Grösse,
noch mehr aber dem ungleichen Ernährungszustände und der un-
gleichen Zusammensetzung (ob Fett, Muskel, Hydrops etc.) der ver-
schiedenen Körper; auch die Differenz der Körper- und Zimmertem-
peratur ist in den einzelnen Fftllen eine sehr verschiedene. Diese
Ungleiehartigkeit der Bedingungen drttckt sich auch aus in der gros-
sen Verschiedenheit des postmortalen Temperaturverlaufes bei den
einzelnen Fällen der Reihe; es ist deshalb noth wendig, Gruppen zu
bilden und Mittelzahlen zu ziehen. In Tabelle B sind 10 solcher
Gruppen gebildet — nach den verschiedenen Graden abgetheilt;
Tabelle C ist noch mehr zusammengezogen und gibt 5 Gruppen,
deren jede von fast der gleichen Zahl von Fällen gebildet wird.
Vergleichen wir zunächst die Mittelzahlen der Colonne b und c.
288 XV. QomoxB and Bribobr
wie sie sich aus der Gesammtzahl der Beobachtangen berechnen und
am Fu88 der Tabelle A angeführt sind, so ergibt sich, dass die Tem-
peratur während der ersten Stunde nach dem Tode um 0)07®, wäh-
rend der zweiten Stunde um 0,36<> gesunken ist; diese Abkflblaiig
um 0,36 in der zweiten Stunde ist also mehr als 5 mal so gross als
diejenige innerhalb der ersten Stunde — ein Beweis, dass während
der ersten Stunde im Gadaver mehr Wärme producirt worden ist als
während der zweiten. Vergleichen wir mit diesen Gesammtmittel-
werthen die Zahlen der Tabelle C, so sehen wir, da^s die Abkühlung
der ersten Stunde in den verschiedenen Gruppen sehr bedeutend yom
Mittel abweicht und zwar so, dass im Ganzen betrachtet die AbkQb-
lung um so geringer ist^ je höher die Todestemperatur und dass ffir
die Temperaturen Ober 42<^ statt der Abkflhiung sogar eine Tempera-
tursteigerung sich findet Man kann dies nur so erklären, dass bei
den höheren Todestemperaturen die postmortale Wärmeproduction
eine bedeutendere ist als bei den der Norm nahestehenden und es
ist dieser Schluss um so mehr berechtigt, als für die höhten Kör-
pertemperaturen der grössere Abstand von der Zimmertemperator
eher eine beschleunigte Abkühlung bedingen würde. Wenn die Zah-
len der Colonne ß keine ganz continuirliche Reihe bilden, so liegt
dies eben daran, dass die Ungleichartigkeit der einzelnen Fälle durch
ihre Gesammtzahl doch noch nicht genügend ausgeglichen wird; fQr
Gruppe V dürfte die Geringfügigkeit der Abkühlung der ersten Stande
wohl aus der bedeutend geringeren Differenz von der Zimmertem-
peratur zu erklären sein.
Im Gegensatz zu den mittleren Abktthlungswerthen der ersten
Stunde weichen die Abkühlungswerthe der zweiten Stunde y in den
einzelnen Gruppen von dem Gesammtmiitel sehr wenig (stets weniger
als die Hälfte des Werthes) ab] es zeigt also in der zweiten Stande
die postmortale Wärmeproduction nur geringfügige Unterschiede fOr
hohe und niedrige Todestemperaturen. Auffallend ist die Grösse der
Zahl y »= 0,444 für die Gruppe I (42,78); vielleicht ist diese starke
Abkühlung der zweiten Stunde daraus zu erklären, dass bei der
starken Wärmeproduction der ersten Stunde in dieser Omppe alles
Material für die wärmebildenden Processe im Körper verbraucht wurde
und darum die Abkühlung eine um so schnellere ist; doch mag diese
Abweichung auch nur zufällig sein , zumal die Zahl y in Gruppe II
kleiner als das Mittel ist und man bei Zusammenziehung von Gruppe
I und II für y eine dem Mittel sehr nahe stehende Zahl erhält
|-- (0,444 + 0.237) ^g^^
PoBtaMMrtele Tempentluren. 289
PaMt man die ÖeflamiDt-TemperatarabBahine nach Ablauf von
2 Stiuden ins Auge, so baben aioh diese einselnen Ungleichbeiten
idioii etwa« yerwischt and die Oolonne d (Tabelle C) zeigt eine
stetig geringere postmortale Abkflblang, je böber die absolute Todes-
temperatur ist (nur die Zabl der Gruppe V: 0,534 fftUt ein wenig
«u der Reibe — wie sebon erwflbnt, wahrsoheinlicb deshalb, weil
die Differenz von der Aussentemperatur hier eine geringere war). —
Aus dem Mitgetheilten glauben wir schliessen zu dQrfen:
1. Die W&rmebUdung im Kärper ist geringer in der zweiten
Stunde nach dem Tode als in der er$ten^).
2. Je höher die Temperatur im Augenblick des Todes, um so
bedeutender ist die postmortale Wärmebildung; da man nun anzuneh-
men berechtigt ist, dass die wärmeeneugenden Umsetzungsprocesse
nach dem Tode zum Theil eine Fortsetzung der im Leben stattge-
fandenen sind (und zwar zu einem um so grösseren Bruchtheil, je
kttnere Zeit seit dem Tode verfloss), so darf man folgern, dass auch
die mit höheren Temperaturen (d, i. die fieberhaß) verlaufenden Krank-
heitsprocesse mit grösserer Wärmeproduction als normal einhergehen.
Höchst wahrscheinlich wird das Maass dieser Steigerung der Wärme-
prodnction nicht einfach proportional der gesteigerten Körpertempe-
ratur sein, sondern, da auch die Wärmeabgabe variirt, bei gleicher
Bectaltemperatur in verschiedenen Krankheitszuständen verschieden
gross sein. Auch in dieser Beziehung hofften wir ursprünglich aus
Qnserem Beobachtnngsmaterial Schltisse ziehen zu können, mussten
aber davon abstehen, weil die Zahl der Fälle einzelner Krankheiten
nicht ausreicht, um die vielen Ungleichheiten der Einzelfälle zu com-
pensiren.
Die Vertheilnng der Krankheiten auf die verschiedenen Tem-
peraturen . bestätigt nur das darüber schon Bekannte* Dass die post^
mortale Temperatursteigerung bei absolut hohen Temperaturen viel
häufiger vorkommt, ist nur ein specieller Ausdruck des obigen Satzes,
dass bei diesen die Wärmeproduction eine grössere ist. Dass die post-
mortale Temperatursteigerung überhaupt keine Beziehung zu speciel-
len Krankheitsvorgängen habe, sondern auch physiologisch (bei ge-
schlachteten Thieren) beobachtet werden könne, war ja schon von
A. Valentin <) nachgewiesen worden. —
Schliesslich wollen wir nicht unterlassen, auf einige Einwände
1) In den folgenden Standen wahracheinlich immer geringer, wofür aach die
wenigen langer fortgesetzten postmortalen Messungen (Tabelle A) zu sprechen
scheinen»
2) Dieses Archiv. Bd. TL S. 200.
^KhiT f. Utn. M«dtolB. XXIV. Bd. 19
290 XY. Quincke und BaiEaBB, PostnKNrtale TemperatureD.
einzugehen, welche sich — aueser den schon früher hervorgehobeneni
auf die Beschaffenheit der Untersuchungsobjecte bezOglichen — gegen
die Resultate dieser Untersuchung geltend machen lassen. Einer
derselben wäre der, dass wir nur an einem Orte des Körpers ge-
messen und dass das Rectum nicht central genug gelegen sei. Aller
dings ist dasselbe der Abkfihlupg von der Kreuzbeinseite her aus-
gesetzt, wie uns mehrere (nicht mitbenutzte) Beobachtungen lehrten,
die in Seitenlage angestellt wurden und eine erheblich schnellere
Abktthlung ergaben ; doch waren für unsere FällCi in denen die Lei-
chen auf dem im Leben innegehabten Lager unverrftckt liegen blie-
ben, die Abktthlungsverh<nisse wenigstens immer die gleichen«
Mehr Berechtigung hfttte der Einwand, dass, wenn auch das
Rectum die mittlere Bluttemperatur im Augenblick des Todes an-
nähernd genau angebe, doch der periphere Mantel von variabler Tem-
peratur, welcher den gleichmässig temperirten Kern des Körpers am-
httUt, verschieden dick sei, und dass gerade bei den niedrigeren
Körpertemperaturen der Unterschied zwischen Centrum und Peripherie
grösser zu sein pflegen und deshalb aus rein physikalischen Grttnden
die Abkühlung eine schnellere sein mOsse^).
Auch diesem Einwand gegenfiber kommt in Betracht, dass gerade
wegen der Rflckenlage auf der schlecht leitenden Matratze fflr das
Rectum dieser Unterschied zwischen Peripherie und Centrum in den
Einzelfällen vermuthlich kein sehr verschiedener (und ttberhaupt kein
grosser) gewesen sein wird. Wenn aber wirklich die als möglieb
hingestellte Verschiedenheit der Wärmevertheilung bei hohen und
niedrigen Todestemperaturen stattgefunden hätte, so wäre nicht ab-
zusehen, warum diese verschiedenen physikalischen Bedingungen des
Temperaturausgleichs sich nur in der ersten und fast gar nicht in
der 'zweiten Stunde nach dem Tode sollten geltend gemacht haben.
1) Diese Umstände waren realisirt in einem Falle von Typhus, der starb, an
mittelbar nachdem ein kaltes Bad gegeben worden war; hier sank die Rectaltem
peratur (von 43,7) in der ersten Stunde um l,7^ in der zweiten Stande um 0,
?.
XVI.
Ueber Herzstosscurven und Poiscurven.
TOD
Dr. F. Maurer,
AfaUtent «m {Mtholofflsch-Anatomifchen InitUnt za Heidelberg.
Ehe eine Yollständige Einigung in der Deutung des Cardiogramms
erzielt ist, dürfte die Cardiograpbie wohl kaum ein Gemeingut der
Kliniker werden. Es ist deshalb wünschenswerth , dass das Aus-
einandergehen der Meinungen über die Qualität der einzelnen Er-
hebangen in der Herzstosscurve in einer allseitig genügenden Er-
klärung einen Abschluss finden möge. Ich möchte, um etwas dazu
beizutragen, einige Bemerkungen veröffentlichen, die in einer Reihe
eardiograpbischer Untersuchungen, die ich in den Monaten Novem-
ber 1877 bis Juni 1878 angestellt habe, ihre Begründung finden.
Da ich die Absicht hatte, einfach Controlversuche anzustellen,
so möchte ich Einiges, was ich bestätigen konnte, kurz wiederholen ;
daneben dürften sich vielleicht einige neue Gesichtspunkte in vor-
liegender Arbeit vorfinden. .
Ich werde in möglichster Kürze die bisher aufgestellten Deu-
tungen der Herzstosscurve vorführen, daran einige Bemerkungen
knüpfen und eine kleine Anzahl pathologischer Herzstosscurven fol-
gen lassen. Zum Schlüsse möchte ich noch eine kurze Besprechung
der Pulscurven beifügen. Ich habe von sämmtlichen Individuen, die
ich untersucht habe, von Gesunden und Kranken stets neben den
Herzstosscurven noch Pulscurven von der Carotis, Axillaris, Brachialis,
Radialis und Femoralis entnommen.
Ich benutzte anfangs den Marey 'sehen Sphygmographen allein,
später verzeichnete ich Herzstosscurven sowohl mit ihm, als auch
Qiit dem Bourdon-Sanderson'schen Cardiographen ^ , um mich
1) Den Herren 6eb.-R. Friedreich und Prof. v. Dusch, die mir die ge-
Q^onten Instrumente und das Untersttchungsmaterial freundlichst cur Verfolgung
Stttellt, spreche ich hiermit meinen besten Dank aus. — Eine genaue Beschrd*
^iig des Cardlographen yon Bourdon-Sanderson nebst Abbildung geben
Ott und Haas (Prag. Vierte^ahrschrift. 136. Bd. 1877).
19*
292 XYI. ÜAUBER
einerseits möglichst Aber die Formen der Herzstosseurven sa infor-
miren, dann aber auch um die Leistungen der genannten Instrumente
vergleichen zu können.
Ich möchte dem Cardiographen ganz entschieden den Voreng
geben, namentlich, wie es sich später ergeben wird, wegen der grd«
seren Correctheit der Bilder, dann auch wegen der dem Sphyg;mo-
graphen gegenüber bedeutend erleichterten Anwendbarkeit. Er ist
mit verschieden gestalteten Pelotten versehen und lässt sich in jeder
Haltung des zu Untersuchenden bequem anlegen, während man den
Sphygmographen nur in der Rfickenlage einigermaassen gut anwen-
den kann.
Ueber das vielbesprochene Thema der Eigenschwingungen beider
Instrumente werde ich später 'Einiges bemerken.
Bekanntlich deutet Marey seine Herzstosscurve in der Weise,
dass sich an ihr die relative Dauer der Gontractions- und Dilatation»-
Perioden der Ventrikel ausdrücke und die Zacken am absteigenden
Schenkel den Verschluss der Atrioventricularklappen und Semilunar-
klappen darstellen.
Landois^) dagegen sagt: „Unter Herzstoss versteht man unter
normalen Verhältnissen eine an einer umschriebenen Stelle des 5. In-
tercostalraums wahrnehmbare rhythmische Erhebung, welche aus den
in der normalen Herzstosscurve als Elevationen zum Ausdruck ge-
brachten Contractionen der Vorhöfe und der Ventrikel und dem
Schluss der Semilunarklappen sich zusammensetzt.^
Entsprechend den Bewegungsvorgängen am Herzen soll die nor-
male sowohl, wie die pathologische Herzstosscurve in vier Tbeile
zerfallen: Einer bezeichne die Arbeit der Vorhöfe, ein zweiter die
Ventrikelcontraction , ein dritter die Diastole der Ventrikel und der
vierte endlich die Pause zwischen zwei Herzrevolutionen.
Betrachten wir eine an der Stelle des Spitzenstosses bei eineai
gesunden Menschen gezeichnete Gurve (Fig. 1 und 2) ^), so würde sieb
der erste Theil derselben als eine mehr oder weniger stark anstei*
gende, leicht wellige Erhebung ab präsentiren, die bis zum Fussa
des plötzlich steil ansteigenden zweiten Theils b c hinreicht Die ein^
zelnen mehr oder weniger ausgeprägten zackigen Erhebungen dieser
sogenannten Vorhofsthätigkeit hat man noch besonders zu deuten
1) Qraphische UntersuchuDgen Ober den Herzschlag. Berlin 1876. S. 73.
2) I.-R. » Intercostalraum. L. m. -> Linea mammillaris. L. p. » Linea pu*-
ftternalis. A. R. — Angehaltene Respiration. M. R. » Mit Respiration. Die Ab-
kürzung «Card.* bedeutet, dass die Cunre mit dem Cardiographen anfgenomoeB
ist. — Die Cunren Fig. 1 u. 2 stammen Yon demselben Indindaam.
Ueber HenatoM- oad FnUciuren. 293
Rtneht: Die ente soll den entoo Momont der BlntfBUong dM Vm-
trikeli indentfln, bewirkt dnreh die Oontnietion der Hertohren. Dann
(otgea, entaprecfaend dem weiteren Einströmen des Blutes nnd den
didnreh bedingten leichten
EiwbOtteningeii der Ventri-
kelvand, kleine wellige £r-
beboDgen, lui welche nch
eine letzte, meiet rerhAltniis-
mluig grosse anreiht, die
schon den Beginn der Ven>
trikelsystole anzeigen, einer
ibortiven VentrikeloontrsO'
ÜoD eotspreeben soll. Es
uU letztere dadareta ventn-
luBt werden, das« der Ven- "^ ' i^- ''"" *■ ^-'•- -■*■'«■-»•)•
trikel bei seiner stirksten Fttllang, im Moment der Systole ptdtdich
einen Dmek anf die in ihm enthaltene Blutmasse aoatlben soll, ehe
a den Qegendniek der in den gros-
ttc Arterienstfimmen gelegenen Blut-
lialeQbsrwindenkaiin; nachher erst
feiingt es ihm, seine eigentliche 87-
Mole aogzDfDhren.
So die Erklftrnng von Ott und
Baas.
Landoisi) sagt: „An allen
Corren der Reibe ä beobachtet man suerat den Abschnitt ab, wel-
elier als leicht ansteigender Htlgel mit einzelnen kleineren Erbebun-
^ea besetzt sieb zu erkennen gibt Dieser CarTenabscbnitt ent-
iprieht der Contraction der Vorkammern. Da die Vorkammern bei
^hrer Contraction eine Bewegung in der Richtung nach der Herz-
ipitze hin vollfOhren und das Blut in derselben Direction in die
Einern werfen, so ist leicht ersichtlich, dass die Weicbtheile des
intercostalraume, welche die Pelotte des Instrumentes tragen, eine
Erbebaog nach aussen erleiden mflssen. Jene leichten Erbebungen,
■riebe der flach ansteigende HQgel ab tr>, welche an manchen
Smatosscarren nur zwei, an anderen selbst drei und vier an der
iabi sind, leite ich ab von den der eigentlichen Vorbofscontraction
'oranfgebenden Undulationen an den grossen Hohladerstämnien und
'on den Zusammenziehungen der Herzohreo. Man findet mitunter
1) Henichlkg. S. 58.
294 XVI. Maübbb
den ersten Theii von ab mehr oder weniger einer geraden horizon-
talen Linie gleieh gezeichnet, wir haben alsdann in ihr den Äos-
dnick der wirklich vorhandenen Herzpanse zu erkennen. In den
meisten Fällen ist es aber unthnnlich, zwischen der Herzpanse und
den beginnenden Undulationen der Garve mit Sicherheit zu unter-
scheiden. ^
Ich kann mich der ersten dieser beiden Ansichten darin nicht
anschliessen, dass an der ersten Zacke der sogenannten Vorhofsthltig-
keit sich die Herzohren durch Contraction activ betheiligen aollen;
nnd auch der zweiten nicht, dass die Contraction der Hersohren dorcb
eine besondere, vor der Zacke der eigentlichen Vorhofscontraeäon
gelegene Elevation bezeichnet werde.
Es ist ja bekannt, dass die Vorhofscontraction in der Weise vor
sich geht, dass sich eine peristaltische Zusammenziehang, die Ton
der EinmQndungsstelle der Gefässe und der Spitze der Herzohren
ihren Anfang nimmt, nach dem Septum atrioventriculare hinzieht
Doch ist dieser Vorgang von so kurzer Dauer, eigentlich nur ein
kleiner Bruchtheil ^) der Ventrikelcontraction , dass man seinen Be-
ginn, also etwa die Contraction der Herzohren, wenn man die Ver-
gleichungszeit der Linie ab^) zu Rathe zieht, unmöglich mit dem
Auftreten der ersten Zacke coincidiren lassen kann.
Ott und Haas (S. 6) beziehen sich auf Marey, doch kann ich
in dessen Arbeit 3) von einer Contraction speciell der „ Herzohren'
nichts angegeben finden. Es ist hier nur von y^oreUlette*^ dem Vorhof,
die Rede, der sich erst contrahirt, nachdem er bei der diastolischen
Erweiterung des Herzens voUstftndig, der Ventrikel nahezu den höch-
sten Grad der Ausdehnung durch das EinstrSmen des Blutes erlangt
hat. Gleich nach ihm contrahirt sich der Ventrikel«
Aus dem Gesagten wttrde also resultiren, dass der eigentUeheo
activen Vorhofscontraction nur die letzte Zwacke bei b entspricht, wäh-
rend die erste bei a einfach eine stärkere Undulation vorstellt Dass
die erstgenannte Zacke unter normalen Verhältnissen nicht so deutlich
hervortritt, mag wohl seinen Grund darin haben, dass der sehwach
musculöse normale Vorhof den beinahe ad maximum durch Blut aos-
gedehnten Ventrikel nur wenig mehr ausdehnen kann. Ganz anden
muss sich dieses Verhftltniss bei pathologischen Zuständen gestalten.
1) G. Ludwig, Physiologie des Menschen. Bd. II. 1859.
2) Die Yorhofsth&tigkeit nach Landois, also die VorhofBcontraction wflrde
dann im Durchschnitt hei normalem Herzen 0,338 Secunden betragen, also gleich
der H&lfte der ganzen Herzrevolution (« 0,677 Secunde) sein.
3) Physiologie m^dicale. p. 37.
Ueber HenstOM* und Pulseurveo. 295
die das Einfließen des Blntee in den Ventrikel enM^hweren. Hier
wird die ente Zacke deutlieh hervortreten , weil die in den Venen
ond dem Vorhof gestaute Blotmenge mit grösserer Kraft die Anfdl-
long des Ventrikels zn erstreben sucht (Mitralstenosen machen hier
eine Ausnahme), und ebenso deutlich und oft noch deutlicher die
zweite, eigentliche Vorhofscontraetionssacke , entsprechend der ener-
gischen Zusammenziehung dieser alsdann hypertrophirten Herzab-
theilung.
Mit dieser Annahme würde femer die etwas gezwungene Erkift-
roDg der letzten Zacke als nftbortiver Veutrikelsystole^ wegfallen.
Ich werde auf den als Herzpause bezeichneten Theil wieder
zarttekkommen.
Dieser Vorhofscontraction folgt der zweite Theil der Herzaction :
Die steilansteigende Ventrikelsystole b c und bei c beginnt der dritte
Theil der Curve, der diastolische Schenkel e/) der mehr oder weniger
steil abfftUt und in Terschiedener Höhe zwei zackige Erhebungen d
Qod e trflgt
Dem yierten Theile, der HerzpausCi entspricht ein kleines hori-
zontal verlaufendes Stflck am Anfangstheil yoü ab.
So die von Ott und Haas gegebene Erklärung, der ich in ein-
zelnen Punkten nicht völlig beistimmen kann.
Dass bc der Ventrikelsystole entspricht, ist klar. Auscultirt man
gleichzeitig beim Cardiographiren mittelst eines kleinen Olastrichters
mit Gummischlauch, den der zu Untersuchende auf einer angegebenen
Stelle seiner Brustwand fest aufdrflckt, so sieht und hört man ganz
deutlich, dass der erste Herzton mit der Verzeichnung der höchsten
Spitze der Gurve, also dem Ende der Verzeichnung der Ventrikel-
systole, sein Ende erreicht hat.
Bei mittelrascher Herzaction geht, meiner Ansicht nach, die Ven-
trikelsystole nicht plötzlich in die Diastole ttber, sondern allmählich,
wag sich an einer leicht gewölbten Kuppe kundgeben muss. Ich
werde hierauf noch zurflokkommen.
Während des Nachlasses der Ventrikelcontraction erfolgen die
BQekstöBse des Blutes gegen die Semilunarklappen der Aorta und
Arteria pulmonalis, die ihn zweimal, entsprechend den katakroten
Zacken wieder in stärkere Berflhrung mit der Brustwand bringen.
Die diastolische Anfftllung des Ventrikels war bis zum Punkte f nicht
ausreichend, um eine Erhebung der Pelotte zu bewirken, daher der
steile Abfall. Sie vermag es erst von /, resp. a und nimmt nun
stetig zu bis zur eigentlichen Vorhofscontraction bei b, was sich durch
isiA leichte Ansteigen der Linie von a bis zur letzten Zacke b wieder-
296 XYI. Maub»
gibt ' Es beginnt demnaeh die Diastole des Ventrikels bei e and
gebt bis zum Fasspunkt der YorbeiBelevation bd t.
Diese Erklftrang widersprieht allerdings der Ansehauung yon
Landois, der die Diastole nur bis / rdlehen Iftsst und am Anfangs*
theil von ab die Henspause findet, von der er selbst angibt, dass es
bei ihrem seltenen Vorkommen unthunlieh sei| sie von dem übrigen
Theile von ab zu unterscheiden.
Ich kann mir eine solche Herzpause im Sinne von Landois,
sofern ich ihn, nicht missverstehe, in welcher weder ein systoliscber,
noch ein diastolischer Vorgang am Herzen statthaben soll, nicht gut
vorstellen.
Dass am Ende des absteigenden Schenkels bisweilen eine kleine
horizontale Linie auftreten kann, möchte ich auf eine mangelhafte
Beaction vorzüglich des Sphygmographen , auf die kaum merkUohe,
dennoch stetig zunehmende Füllung des Ventrikels zurückführen.
Wir finden sie deshalb von dem empfindlicheren Cardiographen nur
äusserst selten verzeichnet
Wie wir oben sahen, sagt Marey, dass die Zacken am abstei-
genden Curvenschenkel den Verschluss der Atrioventricularklappen
und Semilunarklappen darstellen. Landois dagegen schliesst Au
Sichtbarwerden des Verschlusses des erstgenannten Klappenpaares
vollständig aus.
Fragen wir uns, welcher Ciontractionsphase des Herzens der Atrio-
ventricularklappenton entspricht — wir sehen hier von dem Mnskei-
ton ab, der mit ihm den ersten Herzton zusammensetzt — , so müssen
wir ihn offenbar noch in die Systole des Ventrikels vers^en; denn
die Diastole des Ventrikels beginnt erst einige Zeit nach dem Sehloss
der Atrioventricularklappen. Am absteigenden Schenkel kann sich
also nur ein tonerzeugender Vorgang ausprägen, der in der Diastole
erfolgt, und das ist das Rückströmen des Blutes gegen die Semilanar-
klappen der Aorta und Arteria pulmonalis. Dem entsprechend sehen
wir auch bei gleichzeitiger Auscultation die Schreibhebelspitze im
Moment des zweiten Herztones auf der Höhe der ersten diastolischen
Erhebung. Oleich nach der ersten verzeichnet sich, meist ohne be-
sondere Schallerscheinung, die zweite. Ich sage ,» meiste denn fOr
gewöhnlich macht nur der zweite Herzton den Eindruck dines ein-
fachen, nicht gespaltenen Tones.
Es entspricht die erste Erhebung dem Rückstosse des Blutes
gegen die Semilunarklappen der Aorta, die zweite demjenigen gegen
die Pulmonalklappen.
Die Richtigkeit dieser zuerst von Landois gegebenen Deutong
lieber Hemtou- und Palscurven. 297
könnte deshalb angezweifelt werden * weil man, wie eben bchierkt,
nnr dnen einfachen zweiten Herston hört, also aaeh annehmen könnte»
daas entsprechend dem einen Ton nnr eine Zacke mit dem zwei-
ten Herzton auftreten mttsste. Aach folgender Einwand könnte noch
gemacht werden : Warum sollen die Rflckstösse des Blutes gegen die
beiderseitigen Semilonarklappen nicht ganz ebenso, wie die beiden
Herzhälften arbeiten, synchron erfolgen?
Erwägt man aber, dass die Spannung in der Aorta, die der linke
Ventrikel zu flberwinden hat, viel grösser ist als diejenige in der
Pulmonalarterie , welcher der rechte Ventrikel entgegenarbeitet, so
dflrfte sieh wohl ergeben, dass auch bei gleichzeitiger Systole det
Ventrikel der ROckstoss des Blutes gegen die Aortaklappen zeitlich
etwas frtther eintreten muss als der gegen die Pulmonalklappen.
Nnn beträgt nach Helmholtz die kleinste zwischen zwei Oehörs-
eindrUcken noch eben wahrnehmbare Zeitdifferenz 0,t Seounde; und
da nach mdnen Berechnungen, die mit denjenigen yon Landois
übereinstimmen, die Zeitdifferenz zwischen dem Aortenklappenrttek-
stoss und dem Eintretet des Pulmonalklappenrttckstosses bei nor*
malern Herzen im Mittel 0,092 Secunden beträgt, so finde ich es ganz
erklärlich, dass die zwei Momente, die den zweiten Herzton zusammen-
seteen, eben nur eine Qehörsempfindung veranlassen. Wird dieser
Intervall grösser, so gross, dass er die physiologische Grenze zweier
Gehörseindr&cke überschreitet, so hört man einen gespaltenen zweiten
Herzton.
Ich bin wie Landois in der Lage gewesen, einen Beleg fttr
das Gesagte bei zwei Fällen (Philipp St. und Adam L.) zu finden.
St., der, ohne einen Klappenfehler zu haben, einen sehr deutlichen
doppelten zweiten Herzton hatte, der namentlich im 2. linken Intercostal-
mm mit besonderer Klarheit hervortrat, bot, wie es sich nach Ausmessung
der Cnrven in der von Landois angegebenen Weise (Arterienpnls, S. 78)
ergab, zwischen dem Auftreten der den beiden letzten Herztönen entspre-
chenden Zacken eine Zeitdifferenz von 0,156 Secnnde. Bei Aufnahme der
Herzstosscurven mit gleichzeitiger Anscultation, was ich wiederholt bei dem
Individuum vorgenommen, sah man sehr deutlich^ dass dem Ende des ersten
Berztons die höchste Spitze der Curve c entsprach. Bei der ersten Hälfte
des gespaltenen zweiten Tons bildete sich die Elevation d und bei der
zweiten Hälfte die Elevation e, die bei den mit dem Spbygmographen auf-
genommenen Cnrven ganz am Fusse des absteigenden Schenkels lag (Fig. 8).
Auf diesen Fall, der mir die Richtigkeit der von Landois ge-
gebenen Deutung der Rflckstosszacken hinlänglich zu beweisen scheint,
werde ich noch specieller zurückkommen.
Marey's Ansicht, dass die Elevation d den Schluss der Atrio-
298 XVI. Maübbr
»
ventri&larklappen zur Ansehauaiig bringe, Iftsst sieh wohl, ganz ab-
gesehen davon, dass diese Elevation d zeitlioh gar nieht mit dem
genannten Klappensehlasse zosammenfalien kann, duroh folgende
Erwftgnng widerlegen.
Welcher Vorgang am Herzen kann überhaupt eine Erhebung des
Schreibhebels veranlassen? Doch nur ein solcher, der entweder
durch Gestalt Veränderung , oder Locomotion des Herzens die Hen-
wand der Brustwand dermaassen andrttekt, dass eine direote Ein-
wirkung der Herzwand auf die im Intereostalraum sitzende Pelotte
ausgeflbt wird. Der erste Fall tritt ein bei der allmfthlichen dia-
stolischen FflUung des Ventrikels, der zweite beim Bttckstoss des
Blutes gegen die Semilunarklappen. Eine Combination beider ent-
steht bei der Systole der Ventrikel, bei welcher das Herz einmal
mit bedeutender Kraftentwicklung die mehr einem regelmissigen
Kegel entsprechende Oestalt annimmt, wodurch seine Spitze nach
oben und vom bewegt wird, und weiterhin durch die Streckung der
grossen Gefässe die bekannte Spiraldrehung ausfuhrt, welche beide
Momente das Herz in innigere Bertthrung mit der Brustwand bringen.
Ich glaube hiermit die Gonfiguration der normalen Herzstossemre
aus den einzelnen Bewegungsvorg&ngen am Herzen genflgend erlftn-
tert zu haben. Ich möchte nur, ehe ich einige derselben vorführe
und ihre Veränderungen unter verschiedenen Einflttssen, wie Respi-
ration, Körperbewegung, oder solchen, die ihren Grund im schrei-
benden Instrumente selbst haben, ausführlicher bespreche, zur grös-
seren Uebersichtlichkeit das bis jetzt Gesagte in folgender Weise
zusammenfassen :
A. Ich unterscheide an der Herzstosscurve drei Theile:
1. Die Vorhofsystole, aii^eprägt in einer mehr oder weniger
deutlichen Zacke bei b (S. 294).
2. Die Ventrikelsystole, repräsentirt durch die steil anstei-
gende Linie vom zweiten Fusspunkt der Zacke bei b
bis zu c.
3. Die Ventrikel diastole von c bis zum ersten Fusspunkt
der Vorhofzacke bei b.
B) Die zwei am diastolischen Schenkel sichtbaren Erhebungen i
und e sind der Ausdruck des Rückstosses gegen die Semi-
lunarklappen der Aorta und Arteria pulmonalis.
Wenn ich die von Lande is angegebene Buchstabenbezeiobnong
der einzelnen Curventheile ganz in derselben Weise beibehalten habe,
so geschah es deshalb, weil ich dieselben Abstände wie er gemessen
lieber Hemtosr- uod Palscanren. 299
habe, um meine AosmeMangsresaltate mit den seinigen reigleichen
SU können. Der einzige Mangel, welcher bei der von mir vertretenen
^Anrieht daraus entspringt, ist der, dass ieh keine Ausmessung der
eigentlichen Vorhofscontraction besitze, d. h. der Entfernung vom
ersten Fusspunkte der Zacke bei b bis zu ihrem zweiten, resp. dem-
jenigen der Ventrikelsystole bc. Doch ist diese Zacke meist so klein,
dass es gar nicht mdglieh ist, eine Messung an ihr vorzunehmen.
Bei den normalen Curven habe ich die Ausmessung in der Weise
vorgenommen, dass ich von der Spitze von d nach der Spitze von e
and von hier nach / gemessen habe. Es geschah dies deshalb, weil
es mir bei der Kleinheit und gleichen Grösse der Zacken bequemer
war, ihre Spitze, als ihren ersten Fusspunkt einzustellen, obwohl
Letzteres das allein Richtige und bei pathologischen F&Uen Unum-
gängliche ist.
Die Höhe der Rückstosszacke ist ja der Ausdruck der Kraft,
mit welcher das Herz durch den RQckstoss des Blutes gegen die
Semilunarklappen nach vom gestossen wird. Uebersteigt diese Kraft
an dem einen oder anderen Gefilss die Norm, so wird auch die ent-
sprechende Zacke sehr gross ausfallen und zu ihrer Verzeichnung
eine grössere Zeit in Anspruch nehmen, sie wird ihren Gulminations-
punkt später erreichen. Da es sich aber bei diesen Messungen um
die Zeit des Eintritts des Rttckstosses, nicht um die zeitliche Aus-
messung der Zackenhöhe handelt und mit dem Momente des Semi-
lanarklappenschlusses die Wirkung des Rttckstosses am Fusspunkte
der Erhebung beginnt, so ist es klar, dass wir die Messung von
diesem aus vornehmen mflssen; also immer vom ersten Fusspunkte
einer Zacke zum entsprechenden Fusspunkte der zweiten und nicht
von Zackenspitze zu Zackenspitze rechnen dttrfen.
Um die Beschreibung der Curven zu erleichtem, werde ich die
der Vorhofszacke vorausgehenden Elevationen von a bis b „diasto«
tische ** Zacken nennen. Wir wttrden also zwei Rttckstosszacken, eine
wechselnde Anzahl diastolischer Zacken und eine Vorhofszacke zu
unterscheiden haben.
Bei den normalen Herzstosscurven (Figg. 1 — 7, 11 — 13) prägt
rieh die individuell verschiedene Energie der Herzactionen in den
ungleichen Curvenhöhen aus. An allen sind die bisher genannten
Theile deutlich ausgeprägt: die steil ansteigende Ventrikelsystole,
der brflske diastolische Abfall mit den beiden Rttckstosselevationen,
▼on denen die erste meist mit etwas grösserer Schärfe gezeichnet
ist Bereits an dem unteren Ende des absteigenden Schenkels, zum
grössten Theile aber in der mehr oder weniger stark ansteigenden,
300 XVI. Maureb
die weitere diaatolisebe ADfDllung de« VentrikelB soadrUekeDden Lisie,
finden wir die diastoliacfaen Zacken (Fig. 1). SehHenlichiebeB wir
die der Ventrikelajstole direct vorangehende Vorbofaiacke (Fig. L 11).
Daaa sie niebt immer deutlich ausgeprftgt, manchmal sogar fartpr
nieht nebtbar ist, habe ich oben zu begrandea geaneht (ß. 39^
Die Angaben von Ott und Haas Ober den Einflnae der B^i-
ration auf die Herzstossoarven finde ich bestätigt. Weil iob iker
nieht speeiell bierttber experimentirt habe, so kann ich nur weai^
Belege vorftthren, die flieh im Laufe meiner Untersaebungeu xufllU;
ergaben. Mit Hinweis auf die ausfabrlichen AnseiDandersetsangia
der genannten Autoren werde ich mich wohl mit KaohsteheudeBi
begnügen können.
Die Bespiration beeinflusst die Herzaction in verschiedener Won:
1. Bei angehaltener Respiration werden die HenschlSge aehwftr
cher (Fig. ^a. 4). Sie nehmen anfanga an Frequenz ab, dann wieder
Plfu i (S. I.-R. — L. pinat. — A. B. — 88).
ZU. Diesen Uebergang von dem einen in das andere Extrem erkl-'
Landois durch dne Ueberreiaung der Hednlla oblongata und L*^
mang dea VagasiT^
trumg. Die EVequff*'
abnähme siebt man
Figur 5, wodieSplt^'
der Cnrven ansan^*'
derrUoken. Den Ueb^
gang in die vem^^
Frequena zeigt uns '0^
Fta« . ,». ...R. - L. p™.. - A. fi. - M,. ^^ ^^ .^. ^^^^ ^i
Gurvengipfel nach dem Ende zu immer n&ber aneinanderrOeken (S^
auf der horizontalen Linie gezeichneten Funkte geben die EntfemiUrt
der beiden ersten Currengipfel an).
Ueber Herutoii- und Palscurren,
>er Orad der Deutlichkeit dieser CurreaTer&nderungen antertiegt
Tentindlicb dem Einflnsie der individuellen Reizbarkeit.
Flgar i (&. 1.
2. Bei fortdauernder Respiratioii steigt bekanntlich der Blnt-
i \m der Exspiration, während er bei der Inspiration sinkt.
1 findet dieser Wechsel niebt in der Weise statt, dass mit der
irationsacme das Blutdrucksminimum erreioht wird , sondern es
, wie Einbrodt nachgewiesen bat, beim Beginn der Inspiration
1 erreicht Es steigt der Blutdruck w&brend der Fortdauer der
ration and erreicht im Beginn der Exspiration sein Maximum.
) sinkt er wieder bis in den Beginn der Inspiration, wo er ad
iram abftllt, n. s. f.
Da nun, nach den Versuchen yon Landois, der BOckstoss in
iseben RSbren um so stärker ist, je schwächer der intravaaouUre
k und je leichter der Abflnss geschieht, so werden die Btlck-
zackeo im Beginn der Inspiration am deatliohsten nnd bei be-
Bnder ExspiratioD am wenigsten deutlich ausgeprägt sein.
Wird der Athem angehalten, so entspricht die Ausbildung der
:en der gerade vorhandenen Beepirationsphase.
3ei Figur 6 war der Sphjgmagraph durch Sebntlre in Ähnlicher
Q aufgebunden wie der Cardiograph. Die hdchsten Stellen der
anreibe entsprechen der Inspiration, weil durch die inepiratorische
ebnung des Thorax die Schntlre mehr angespannt wurden, was
302 XVI. Haubbb
d«n Pelottendnick yentirkte. Wir sehen die wAbread der lupin-
tioD TerKeichneten Gurren niedrig, entsprechend dem geHmluBn
Blutdruck (und der swischengeaohobesen Lunge), aber mit jehr dnit-
liehen RackstOBBelevattonen versehen. Duadbe Verfakltni« Higteu
Fig. 7, nur liegen hier, wtil
der Sphygmogimph mit der
Hand anfgeeetst war, di«
inapiratorischen Gurren ii
der Tiefe. Daaselbe ^It für
Fig. 8. Auch bei pathologi-
sehen Fällen sehen wir ditu
Verbältnisee sehr babiek
ausgeprftgt , so bei Fig. 30.
Inspiration nur .eine Hen-
atosscurre geiuchnet, die
ans die RflckstosBsackeD in
ganz eminenter Weise iw-
geprägt zeigt Sie übentei-
gen hier den Gipfel der Ven-
trikelsystole.
Bei den Figuren 9 u. 1*1
ist die Bespiratioa >» 24, die Pulafreqneiu -" &2, also entapricht 3'
einer Inspiration oder Exspiration ein Hetnehlag. Figur 9 entspHc^^
KLg, S {i. I.-R. - L. m. — Nicb ll(w«tiln|. ■■ B. ü.
der Figur 7, die inspiratorischen Curven liegen anten. Bta Fignr i*''
als einer cardiographiscben Aufnahme, der Figur 6 entsprecheixl'
Ueber Uenstou- oad PnlscnrreD. 303
»igen uns nur die inspintorisofaen Cnrren deatitebe Bttekstow-
ucken.
WeitnhiD verlndert sieh die Oestalt der Henotocsonire lutolt
rucber Bewegung.
Nioh Ott und Haee wird, wenn der Henscblag für gewöhnlich
rabig iBt nnd die Fnisfolge nun frequenter wird, desto höher die
durch die VentrikeUyBtole vernrsaehte £rbebting and es Snden sich
ig den diutolisohen Linien die Verwöhnungen der Bttekstosswii^
kQngeo desto weiter vom Gipfel entfernt. Bs soll Ersteres dadurch
reranlaatt werden, dtus die Aorta, die bei raaoher Pnlifolge vor der
Sfgtole um so erscblaffter ist, durch die plötzliche Ftlllung rascher
gestreckt wird. Die Kflckstosazacken sollen deswegen üefer sitzen,
weil nach Uarey Blntdmcfc und Berzaction in Wechselwirkung
stehen, der intravasculäre Druck bei rascher Herzaction geringer wird.
Es moss demnach der Semilnnarklappenscbluss später erfolgen und
dementsprechend seine Verzeichnung an den Curven tiefer unten er-
scheinen.
Als Belege dienen die Curven VI u. VU der genannten Autoren.
Die Figuren 11 und 12 stammen voh demselben Individuum,
and zwar ist die erste nach Körperbewegung, die zweite nach Ruhe
abgenommen.
Plpa IJ (J. I,-R. L. p. — Rnhi. - A. 1. — 81).
Die Hesanng mehrerer Curven jeder Reihe ergab deutlieh fol-
gende Werthe:
Flprr n. Ffgor 12.
'ii-0,196 See. </e — 0,0«S See ; <i6~ 0,333 See. d^ ~ 0,077 See
*e- 0,019 , e/"— 0,040 . 6c — 0,093 . «/"— 0,017 .
304 XTI. Haubeb
Es rerbalten sich in beiden Reihen die Werthe Ton eri mdttn
von af, d. b. die Dauer der Ablaufszeit vom GurreDgipfel bii ud
Eintritt der RflckBtosawirkung sur Dauer einer Jansen HemeTolntioii,
wie 4:6. Hit anderen Worten: Es tritt die RBokitoweleTatioB in
Figur 11 später auf, was die obige Angabe von Ott ond Baai be-
stätigen durfte.
An den Cnrren Figg. 12 a. 13 fftllt uns in der Nfthe dea Gipfali
eine anakrote Zacke auf. Um eine discontinuirliobe, BtOHweiH Coa-
1
Flj« IJ (S. I,.E. b. p. - A. B. - 7«. - »).
traotion des Ventrikels kann es sieb bier nicht bandeln, denn die
Gurvenreihen sind Ton ganz gesunden jungen Individuen (reu 18 nad
20 Jabren) entnommen, von denen ich andere Reiben ohne dlMW
Zacken gewonnen babe.
Das Herz dürfte also nicbt dann aohuld sein; prüfen wir dsd
luBtrumeut
DaBs die Feder des aufgelegten Harey'sohen Spfaygmograpbev
keine Eigenschwingungen macht, ist experimentell dareh Mach ond
LandoiB nachgewiesen worden. Es fragt sich weiter, ob anch dex
Schreibbebel von diesem Fehler frei ist. Landois ') behauptet die«
ganz entschieden, indem er als Grund die von Böhier angegebens»
Modificationen des Instruments anfahrt.
Meine eben genannten Currenreihen sind, wie gesagt, von jiiii^<*
Individuen mit kräftiger Husculatur und starkem Pannicalns ab^^'
nommen. Die Nachgiebigkeit der Intercoatalwdchtbeile war «ta«
geringe, der Herzstoss verbSltnisimSssig schwach dnrchznfllhlen. Uk"
daa Hindemisa zu durchdringen, drückte ich durch Sehraaben dä^
Feder tief herab, so dass sie ad maximum gespannt wnrde. D>^
Folge davon war, dass der von der stark gespannten und dadufo^
harter gewordenen Feder dem Scbreibhebel mitgetheilte Stoss, weia»
ich so sagen darf, etvras Hartes, Schnellendes bekam, Ahnlieh v^*
dies beim Pulsus durus der Fall ist.
I) Puls. 3. 50.
Ueber HerutoM- and Polacorven. 305
Maehte nun der Scbreibhebel an sich keine Eigenschwingnngen,
80 würde er in jedem Moment der Bewegung der Feder genau nach-
folgen, und gans gleich, ob die Feder schwach oder stark gespannt,
eine reine Linie beschreiben. Dass er in jenen Füllen bei stark
gespannter Feder anakrote Zacken beschrieben hat, scheint mir ein
Beweis, dass er nicht frei von Eigenschwingungen ist Ich gebe ja
Landois gern su, dass diese. Dank der Construction des Apparats,
an dem Drehpunkt des Hebels ganz minimal sein mögen, aber ab*
golat gleich Null sind sie keineswegs; denn die Zähne des Rädchens
nnd der Fflhrungsstange passen nicht so genau in einander, dass
nicht ein kleiner Spielraum zwischen ihnen bliebe. Trotzdem dass
der Hebel verhältnissmässig leicht gearbeitet ist, um die Masse so
gering wie möglich zu machen, und er im Verhältniss zu seiner Breite
sehr dünn und überdies noch auf die sehmale Kante gestellt ist, so
vermag das elastische Material, aus dem er besteht, verticale Eigen-
Schwingungen nicht zu unterdrfloken, die in der Nähe seines Dreh-
punktes angeregt, an der Spitze des verhältnissmässig sehr langen
Hebels zu einer ziemlich bedeutenden Höhe anwachsen können.
Bei den vorerwähnten Curven bekommt die Schreibhebelspitze
durch den harten Stoss eine anfangs grössere Beschleunigung als die
Feder, welche die Beschleunigung der Herzcontraction genau wieder-
gibt; sie eilt dieser voraus. NuA überwindet aber der Herzstoss den
Widerstand der stark gespannten Feder nicht in dem Maasse, dass
er der Schreibhebelspitze eine solche Beschleunigung zu geben ver-
möchte, dass dieselbe ihr Minimum erst auf der Höhe des Curven-
gipfels erreichte, sondern es tritt dieses Celeritätsminimum etwas
früher ein. Der Hebel kommt etwas in Stillstand und wird von der
nach ihrem Beschleunigungsminimum hinstrebenden Feder, die immer
noch unter dem Einflnss des sich contrahirenden Herzens steht, fort-
gerissen, bis beide ihr Beschleunigungsminimum auf der Curvenhöhe
erreicht haben.
Es würde, meiner Ansicht nach, wenn ein derartiges Vorauseilen
der Hebelspitze nicht stattgefunden hätte und diese genau der Be-
wegung der Feder gefolgt wäre, die Gurve auf ihrer Höhe keine
Spitze, sondern eine gewölbte Kuppe erhalten haben, der Zeit ent^
sprechend» während welcher der Ventrikel im Zustand der stärksten
Contraction verbleibt Ich möchte aber damit keineswegs gesagt
haben, .dass alle spitzen Curvengipfel dem Bewegungsvorgang am
Herzen nicht entsprechen-, denn bei rascher Herzaction wird dieser
Zustand stärkster Zusammenziehung so kurze Zeit andauern, dass er
in der Verzeichnung verschwindet. Ist dagegen die Herzaction lang-
DmiMkM ArehiT f. Uin. Uedtoin. B4. XXIV. 20
306 XTI. Mauibb
sam, so mu8S| wenn man den Federdnick richtig gewfthlt hat, eine
gewölbte Kuppe entstehen.
Wir können also Folgendes ttber die Gonfiguration der Curven
sagen:
Bei rascher Herzaction entsteht immer eine spitze Curve» die bei
starkem Federdruck eine anakrote Zacke haben kann.
Bei langsamer Herzaction^ angenommen dass das Instrument im-
mer mit gleicher Kraft aufgesetzt ist, können folgende FftUe eintreten :
1. Bei mittlerem Federdruck, d. h. mittelstark gespannter Feder,
wird die Hebelspitze genau der GontractionsschneUigkeit des Herzens
folgen. Ihre Celeritftt nimmt nach dem Currengipfel hin ab und
geht hier allmählich in die Diastole Über, der entsprechend sie nun
den absteigenden Schenkel verzeichnet.
2. Bei zu schwachem Federdruck wird der sich contrahirende
Ventrikel die Kraft besitzen, der Schreibbebelspitze im ersten Moment
der Contraction eine solche Celeritftt zu geben, dass sie ihr Celeri-
tfttsminimum später erreicht als die Herzcontraction. Es entsteht auf
der Gurvenhöhe eine Spitze, die durch eine Eigenschwingung der
Hebelspitze entstanden ist Es fällt diese nach Verzeichnung des
Artefacts wieder herunter und verzeichnet den absteigenden Curven-
Schenkel, da inzwischen das Herz, dessen Contraction während der
Verzeichnung jener Spitze ihr Celcnitätsminimum erreicht hatte, all-
mählich wieder in Erschlaffung ttbergegangen ist
3. Bei zu starkem Federdrucke werden zwei Fälle eintreten
können :
a) einmal entsteht in der oben angedeuteten Weise eine ana-
krote Zacke, die um so tiefer steht, je stärker der Druck ist und ist
b) der Druck schwächer, aber fär die Herzaction immer noch
verhältnissmässig zu stark, so wird durch die schnellende Bewegung,
welche die Feder der Hebelspitze mittheilt, ein ähnliches Verhittniss
entstehen wie bei zu schwachem Druck: die anakrote Zacke fUlt
mit dem Curvengipfel zusammen, dieser wird spitz. Doch wird die
Gurvenhöhe, weil sie der Ausdruck der Kraft der einzelnen Ben-
contraction ist, in diesem Falle geringer sein, als bei schwachem Feder-
druck. Bei gleicher Kraft wird der Ausschlag im umgekehrten Gros-
senverhältnisse zum Widerstand stehen; demnach bei zu stark ge-
spannter Feder eine kleinere Gurve entstehen mOssen.
Ich habe diese verschiedenen Verhältnisse bei einem Indiriduam
mit deutlichem Herzschlag und wenig resistenten Interoostalwdch-
theilen experimentell wiederzugeben versucht (Philipp St). Bei
Figur 14 ist die unterste der drei Gurvenreihen bei einer der Con-
lieber Houtoas- und Pulicurren. 307
tnetionskraft des Ventrikels entsprecheoden FederepaDnuiig verz«ieh<
net; wir finden den leicbt abgenindeteD Curvengipfel und die gröSBta
Habe. Die beiden oberen, bei zu atarkem Druck vera^chneten Reihen
■od bedentend kleiner und zeigen uns die anakrote Zacke (x).
Eiu 10 gHnatiger Fall steht Einem nicht
immer zu Gebote, und bedenkt maa, welche
iDdifiduellen Vencbiedenbeiten an Herzkraft,
Poiiiabl und Tboraxbescbaffeaheit bei ge-
dulden nnd kranken Individuen vorkommen,
*o möchte ich behaupten, daas man selbst
^ einiger Uebung es mehr dem Zufall rer-
'wiken mosB, wenn man am Sphygmographen
"'e der Raschheit und Kiaft der Herzcon-
''seMon entsprechende Federspannnng findet.
"* der Spb^gmograph mit der Hand auf-
^drtickt wird, so wird man, auch bei gleich-
blei b«Dder Federspannung kleine Druck-
•^'"»ankungen der Pelotte bei den einzelnen
(^Qlraetionen kaum venn^den können.
Oorob unwillkBrlicbes Nähern oder Entfer- "" "'
lea «leg Instroments von der Brustwand wird man den Pelottendruck
'8r*tlrken oder verriDgem.
So erkläre ich mir die Verschiedenheit der Gurvengipfel der
^*kien Figg. 12 o. 13 entstanden. Hier waren die Weichtheile rigide.
DuiTehdrang man diesen Widerstand durch festeres Aufdrucken des
^^ruments, so kam man der Herzkraft zu Hülfe; sie konnte jetzt
■^Tker auf die Pelotte einwirken und brachte jetzt, während sie
vor\ier nur eine anakrote Zacke zu erregen im Stande war, einen
■flitzen Gipfel hervor. In diesen beiden Fällen war eine der Herz-
Kraft vollständig proportionale Federspannung gar nicht anzuwenden,
^eil die flache Spbygmograpben pelotte durch die rigiden Weichtheile
hjadurch dem Herzen gar nicht nahe genug gekommen wäre. Gerade
in solchen ^llen tritt der Vorzug des Gardiograpben deutlich hervor.
Seine halbkugelfdrmige Pelotte dringt mit grösserer Leichtigkeit in
die Intercostalrttume ein. Wegen des Widerstandes, den die Pelotte
erleidet, muss der Cardiograpb fester aufgeschnallt werden, dadurch
wird allerdings die Spannung der Luft im Guinmiscfalaueb und in
der aberspannten Trommel vermehrt. Doch verschwindet diese Span-
oongsverraebrung sofort, wenn man ein am Instrumente angebrachtes
SeitenrÖhrchen öffnet Nachdem es wieder verschlossen, wird der
Schreibhebel ganz unabhängig von dem Pelottendruck seine E:^cur-
308 XVI. Mauber
sionen in einer der Kraft der Yentrikeleontraetion entspreehenden
DimeuBion augftthren.
Figur 8 wird uns jetzt erklärlich werden. Dieee Reihe ist bei
leicht zu durchdringenden Wdchtheilen offenbar mit zu starkem
Federdruck abgenommen worden. Es war eine lebhafte Körperbe-
wegung des Patienten vorausgegaAigen. Während die rasche, stos-
sende Herzaction spitze Gipfel zu beschreiben strebtCi sehen wir an
einzelnen Stellen anakrote Zacken (x) auftreten. Es musste hier die
Einwirkung des Herzens in dem Maasse abgeschwächt gewesen sein,
dass sie die Hebelspitze nicht gleich bis zum Curvengipfel schleudern
konnte. Es geschah dies immer auf der Höhe der Exspiration, weil
ich den raschen respiratorischen Thoraxexcursionen nicht schnell
genug mit dem Aufdrücken des Sphygmograpben gefolgt bin.
Eine Andeutung der vorliegenden Verhältnisse, die sie indessen
nicht genügend erklären dürfte, finden wir bei Lande is (Herzschlag.
S. 60) : n Der Gipfel der Gurve c kann unter Umständen eine gewisse
Breite haben, namentlich dann, wenn die Weichtheile des Intercostal-
raums eine über die Norm gesteigerte Unnachgiebigkeit haben. Ein
derartig abgeplatteter Curvengipfel entspricht natürlich noch der Dauer
des Gontractionszustandes der Ventrikel."
Ich habe solche von Landois gewonnene Gurven nicht gesehen,
zweifle aber nicht, dass sie meiner Gurvenreihe Figur 12 analog sind.
Ich halte dieses Verhalten des aufsteigenden Gurvenschenkels
und des Gurvengipfels trotz dieser etwas eingehenden Auseinander-
setzung irrelevant für die Diagnostik pathologischer Fälle. Die hier
wichtigsten Curventheile sind die Linie ab und die beiden Rück*
stosselevationen d und e. Es kam mir hier lediglich darauf an, durch
die Erklärung der anakroten Zacken den Beweis zu liefern, dass der
Marey'sche Sphygmograph nicht frei von Eigenschwingungen ist.
Entgegen der Ansicht von Landois (Herzschlag. S. 52) möchte ich
mich gerade dahin aussprechen, dass der Gardiograph, ceteris paribus,
bei nicht zu rascher und heftiger Herzaction dem jeweiligen Contrac-
tionsgrad des Herzens besser folgt, getreuere Bilder als der Sphygmo-
graph zeichnet, indem er uns unter den genannten Umständen stets
etwas abgerundete Gurvengipfel liefert. Es fällt bei ihm das lang-
wierige Suchen nach dem richtigen Federdruck vollständig weg.
Dass ferner die Applicationsstelle der Pelotte von grösster Wich-
tigkeit für die Gonfiguration der Gurven ist, haben Landois (Herz-
schlag. S. 80) und Ott und Haas (S. 15) eingehender auseinander-
gesetzt; ich verweise hier auf die hierauf bezüglichen Stellen ihrer
Arbeiten.
Ueber Herutou- und FalicarTen. 309
Je nftfaer den SemiluDarklappen wir die Pelotte aufsetzen, desto
deutlicher wird sich ihr Rnckstoss markiren. Weil wir uns we^n
itt von linka her das Hera Qlierlagerudeii LuDge mehr nach rechts,
ittt u das StemDm halten mDssen , um eine deutliche Curve zu
wkonmen, so prSgt sich hier oben der BOckstoss gegen die Pui-
nonalklappen sehr deutlich ans (Figur 15, von demselben Individnam
fie Figur 13), wenigstens im Verbältniss
ar Corvenhöhe, wftbrend wir den Aorten-
^penrttckstoBs beim Aufsetzen aaf die
luupitze deutlicher markirt finden. Je
libar wir dem Vorhof sind, desto deutlicher
'erden sich die diastolischen und die Vor-
ofszRcke ausprägen. Eg igt wichtig, dieses fi««' i» (i.l-b. iiBki^diobtn
erhalten bei der Vergleichung pathologi-
^her und normaler Herzatosscurven im Auge zu behalten , um bei*
'lelsweise beim Cardiographiren auf dem Spitzenstosse eines kran-
>i) Berzens die VerstArkuag einer Erhebung, die uns unter denselben
<dingungen am gesunden Herzen klein erscheint, richtig deuten zu
Qnen,
Die Ausmessung einiger normaler Herzstosscurven ergab im Mittel
Sende Werthe:
ab =- 0,338 de = 0,092
*c— 0,098 ef— 0,069
cd — 0,078 af~ 0,677
Soll die Cardiograpbie für den Kliniker ünigen Werth haben,
tettesen uns die Herzstossourven pathologischer Fälle das bisher
lagte bestätigen. Sie mUssen die einzelnen Theile der Herzstoss-
9*6 insgesammt, aber in der dem vorhandenen Leiden entsprechen-
1 Veränderung, sei es Verstärkung oder AbschwAchung , wieder-
en. Wie weit sie dieser Anforderung entsprechen, werden wir
einzelnen Fällen sehen.
Ich möchte, ehe ich mich zu diesen wende, in KOrze den Fall
lipp St; dessen Herzstosscarven (Figg. 8 u. 14) uns schon an ver-
iedenen Stellen begegnet sind, etwas näher besprechen-
Patieot, ein 43 Jahre alter PhthiBiker, der Bpiterhio eqf Obdnclion
•«mmen ist, leigte bald nach seinem Eintritt ip die Klinik (28. Novbr.
^ 7) mit auffallender Deutlichkeit eine Verdoppelung dea zweiten Herz-
et, die bia zum Tode (am 21. Mai 1S78) anhielt.
Klioiacb konnte kein Herzfehler conBtatirt werden.
Die Obduction ergab-. Chronische PneumoDie mit Cavernenbildnng.
Htmatose und fettige Degeneration des Hercmuskels, vorwiegend des
■hten Venirikela (die Huacnlatiir war hier in der Gegend der Herzspitze
BO betrlehtlioh venehmilert, data ai« nur in Fonn einei sehmilai Budti
keDDilich w«r). Ferner fand sich chronitclie intentitielle Nephrit« nl
Hepititii.
Ea worden zu verschiedenen Zeiten CurreD von dem Patientn
eDtDommeD, die stets folgende Merkmale zeigten : Bei einer mittlmB
HSbe wne sehr schwache, kaum angedeutete Vorhofszacke und dtnl-
lich auBgeaprochenen AortenrUckstoss.
Die Currenaufnahme mit dem Spbygmographen gesehah imLi^
gen, es mag dies wohl der Omnd Bein, dass unter den nngDmäpn
ApplieationsrerfaftltDissen des Spbygmographen überhaupt und bä dn
Bebr Bcbwaehen Action des rechten Ventrikels die PnlmonalrOekitM-
zaoke nur sehr sehwaefa wu-
gebildet ist (Figur 16). Bei
Figur 8 trat sie nnr dann deat-
lich hervor, wenn gleicbuitig
eine starke diaatolieche Welle
in den Ventrikel einfloss. Dareh
o. ■uMrtiiib ii»[ L. M - Öummirung beider Momente ent-
''^- — ">■ stand wie in der zweiten nnä
letzten Curve der Figur 8 eine deutliche grosse Zacke. Hit dieiftoo
Punkte fiel die zweite Hälfte des gespaltenen zweiten Herztones, iric
icb Bcbon oben bemerkt, zusammen. Durcfa gleichzeitige Anscolt^-
tioD, während icb die Curve abnalim, konnte sich Herr Dr. BeneftE-i
Assistenzarzt der medicinischon Klinik, genau davon Ubeizeugov-
Viel deutlicher als bei der sphygmographischen Aufnahme tritt A-ic
Pulmonaliszacke bei der ebenfalls im Liegen aufgenommenen Card
graphcurve hervor (Figur 17). Bei der erwähnten ROcklagemng, it^>
Schrumpfung der linken Lunge lag bei aufrechter Körperbaitang A.**
lier in
L'jt n:
.pont
ffPul
iRiekBi
Für d
Iruehn
[■Kide
[sien
Herz in grosser Ausdehnung der Brustwand an, daher das deutli*^ ^
Hervortreten der Pulmonalzacke in der Cardiograpbcurve (Figur i ^^
die bei aufrechtem Sitzen entnommen ist.
Es wUrde sich nun fragen : Was war die Veranlassung ditf^'
Spaltung des zweiten Pulmonaltones? Das Intervall zwischen beideo
Tönen war so gross, dass man nicht gut an einen ungleichmä<sif>°
SchlusB der einzelnen Klappensegel an der Pulmonalklappe deoken
Ueber HerEBtosS" and Folscanren. 311
kann, auch gibt die Seetion hienu keinen Anbaltspunkt. Die Er-
klftrung dflrfte yielmehr in der flberhandnehmenden fettigen Dege-
neration , in der allmftblieh abnebmenden Energie der Maaeulator
des recbten Ventrikels gegeben sein.
Der im Aortensystem doreb die Nierenaffeetion gesetzte Wider-
stand ist niebt unbedeutend gewesen. Wir finden daber die Action
des dilatirten linken Ventrikels (Sectionsprotokoll : Die Muscalatur
des linken Ventrikels bei sebr weiter Hoble dflnner, bellbraun ge-
fftrbt und sebr brttcbig) trotz der Erkrankung seiner Musculatur rer-
bältnissmässig niebt scbwaeb, was sieb in der den Verbältnissen
naeh grossen Aortenrftckstosszacke ausprägt Der intravasculäre Druck
in der Pulmonalarterie war berabgesetzt, was das späte Eintreffen
des Bfickstosses erklären dürfte«
Fflr die Verlaufszeit der Cunrenreihe Figur 16 ergeben sich im
Darcbscbnitt folgende Wertbe:
ab a» 0,280 de — 0,156 (s. S. 297)
&c = 0,167 e/*™ 0,072
cd =0,145 a/= 0,822
Von den Pulscurven des Patienten fäbre ich absichtlich hier
keine vor, weil sie nichts Nennenswerthes darboten. Auch von den
folgenden Fällen, die nur eine kleine Auswahl der von mir unter-
suchten Kranken darstellen, werde ich nur einige Pulscurven, die
mir gerade nothwendig scheinen, später vorführen.
Aorteninsttfficienz.
1. Valentin K., 36 Jahre alt. Herzstoss^) im 5. Intercostalraum
in der Linea mammillaris am deutlichsten sieht- und fflhlbar, jedoch in
grösserer Ansdehnimg wie gewöhnlich zu fühlen, etwas hebend. Die Herz-
dämpfong b^nnt oben an der 4. Rippe; rechts am linken Sternalrande
links 2 Qoerfinger nacb aussen von der Mammillarlinie ; unten geht sie bis
zum 6. Intercostalraum. Herztöne an der Spitze und am Ostinm pulmonal;
rein. Auf dem Stemum hört man ein nach oben in der Gegend des Aor-
tenostinm am deutlichsten erscheinendes diastolisches, blasendes, nicht sehr
lautes Geräusch neben dem zweiten Ton. Puls voll. Radialarterie ziem*
lieb stark gespannt. — Klinisehe Diagnose: Awteninsufficienz.
Zwei Gurvenreiben dieses Patienten haben wir schon kennen
gelernt (Figg. 9 u. 10). — Figur 19, bei angehaltener Respiration ver-
zeichnet, zeigt massig ausgebildete diastolische Sacken, dagegen eine
recht ausgesprochene Vorhofszacke, die uns noch viel deutlicher in
1) Die angeführten Status und Diagnosen sind aus den Journalen der medi*
cuischra Klinik entnornnsn.
313 ZVI. lUuBu
der Figur 20 entgegeDtritt Die KdehBtonuekeB Btehen in gLiieher
Höbe. Die Pulmonalzacke üt Mhr groM , die Aortenuoke im Vtr '
btitniiB zu ihr klein, aber immerhin noch gerade to aeharf top-
bildet wie beim normalen Herzen.
Die leichte Stuinng im Pulmonaliystem dtlrfte aieb aoi dm
Regurgitiren des Blutes in den linken Ventrikel erklSreD. Wie irir
um abereeogen kfiDoen , hat his
die graphische Untanuefaung d»
abnorme DmekverhiltniM fiflher
zur Anachaunng gebraeht, ab <l
diophfaikaliwhe Untersuehnng to-
mochte. Wir können auf Gnad
dieser Curve mit Bestimmtheit ■■
gen, dasB ein vermehrter Dmek ii
der Palmonalarterie Torhandn ii^
obwohl er sich noch nicht dnnh
eine wahrnehmbare VeistftTknng
des zweiten PulmoDaltons gelos-
sert hat.
Hehr als die Palmonalucke
Fir.,MM.-«.ic-.™.d.u«.-A.i,.,. ""«» •»" "l« Aortenzacke inter-
esairen, weil es sich hier um einaa
Fall von Aorteninsufficienz handelt, welcher von jeher die Dnachtt
eigenthamticber Verfinderungen an der Radialiacurve, wie z. B. n>o
Flfur M (C«rf. - DMfL — ).
Hare; und in neuester Zeit auch von Landois bezüglich d^v
Carotis-, Subclavia- und Berzstosscurve zugeschrieben worden iit
Landois nimmt an, dass eine BücketoBselevation nur dann en''
stehen, wenigstens sich deatlieh aasbilden könne,, wenn intacte Sen^v
lunarhlappen vorhanden seien (s. Herzschlag. S. 85 ff.). Weil » ^
aber in Wirklichkeit in dem von ihm angeführten Falle (Herzschlag'
S. 79) recht deutlich ausgebildet ist, vertheidigt er bei der BeBobre«'
bung der Curve D' seine Ansicht in folgender Weise: «Es darf lu^^
niebt aberraachen, von dem Schluss der Semilunarklappen in i'eia'
Zachen zu finden; denn wenngleich die Klappen insufficient sinil''
Bo ist doch keineswegs ihr Spiel und damit ihr Widerstand in dar
Diastole aufgehoben. Uebrigens erkennt man in Ds und Di, dtf^
tlri>«r Hemtott- und Pulictirta]. 313
die Eleration tob deo Pnlmonalklappen e g:rö8ser ist als die tob
deo Aortenklappen d, wag mit der vorhandeiien VeratArkun^ des
iträteD PalmonaltonB harmonirt. Die Cnrve D* ist einen Intercostal-
nom höher, als der SpitzenstosB fahlbar ist, eDtnommen. "
Die beiden Corren Ds ood D4 stammen von noch hfther nach
oben nnd innen gelegenen Stellen,
Ich kann mich nicht recht daron flbeneugen, dass die Eleva-
don e in Di (1. c.) grOsser ist als in d, weil sie es in Ds und Dt in
Wirklichkeit ist, nnd gar in Di dürfte wohl d ganz bedeutend grösser
«ein als e. Ich möchte vielmehr mit Ott und Haas behaupten, dass
die Insafficienz der Klappen den Aortenrflckatoas \a keiner Weise
uhw&cht, dass dieser, im Gegeatheil, wie es die genannten Autoren
durch einen pr&gnanten, zur Obduction gekommenen Fall nachweisen
koDnten, bei TollsUndig insufScienten Klappen sogar verstärkt sein
kann. Ein RUckstnaB des Blu-
tes, gegen das Herz zu, findet
noter allen Umatfinden statt,
mögen Klappen vorhanden
Bein oder nieht, und in Folge
dessen auch ein Rtlckstoss,
der bei fehlenden, resp. ganz
tDgaf&eienten Klappen ganz
direct auf die Innenfläche
der Ventrikelwand einwirken,
also unmittelbar seine bewe-
gende Kraft zur Erzeugung
der Rückstoflszacke äussern
kann.
Kura gesagt, wDrden also
bei Aorteniosuffieienz die Aor*
lenrQckstoBszacken jedenfalls
nicht verkleinert und die Pul-
monalzacken vergrössert sein
können.
Die Aasmessung der Cur-
ven dieses Patienten ergab
im Durchschnitt folgende
Werth«- »'Ignrli (4.I.-R. ICm. um. iL L. w. - A. R. "»).
ab — 0,804 rfe — 0,077
be — 0,141 £/*— 0,305
crf— 0,072 o/'— 1,402
314 XTI. HAusn
2. William E., 19 Jahre «It. SpitHSito« im 5. IntercoitilniB
etwxs nach aussen vun der Mammillarlitiie am deatlichateD, als bebend
sieht- und ftllilbar. Die Herndftmpfung beginnt oben im 3. iQtercostalrtBm,
gebt nach reelits bis lum linken Stemalrand, nach lioka et«a l'i Qner-
finger Dach ansäen tod der
Linea mammillaria, nntanbii
aar 6. lUppe. Die TOdc u
der Henapitie und mt.
Auf dem Sternnm bOrt bu
ein ziemlich lautet diutolh
iches Blaaen, das am dent>
lichtten ist iwiacbea da
beiden 2. Intercoatalrtnmai
Pulmonal- und Tricmiüdil'
tOne rein. Erster Aortatn
doppelt. An der Craritii iil
double Souffle va. bUna
FK« n (1. 1.-1. - L. ». - A. E. - 7J). Der CarotidenpnlB eriMgl
merlilicb spiter WK KT
Henchoe. Pals regelmMaiR, voll. — Klinische Diagnose: Imufficiaa itr
Aortenklappen {Rheumatitmus artieul, .subacutus levis).
Die HeTzatoBBCurren da
Patienten (Figur 21—23) be-
dürfen kaum einer Erkil-
Hing; sie dflrften nabem
Ebenbilder der Landoii'-
Bcben Curren sein (Hen- '
n„»„.,.*„.^.*»..„s,„...-*.,.,. ««ll««- S. 79) Sie .«8..
uns eine sehr deuthclie Aor-
tenxacke, die nur bei der im 3. linken IntercoBtalraum entnommeaen
Figar 23 von der Pulmonalrflckstosezacke bedeutend flberholl wird-
DaBB letztere an dieaer Stelle deutlicber benrortreteu muss, babe ieb
schon oben (S. 309) beaprocben.
Die Wertbe der Ablaufateiten betrugen durcbBchnittlieh:
ab "i 0,380 de = 0,102
frr — 0,108 ef= 0,193
cd— 0,105 rt/= 0,899
Bei Aorteninaufficienz dürften wir Folgendea an der HenstoB*'
curve finden:
1. Eine bedeutende Currenböbe.
2. Die eigentliche VorLofazacke tritt deutlich hervor.
3. Die AortenrUckstoBSzacke ist mindestens ebeuBo deatli^'^
ausgeprägt wie normal. Die Pulmonalzacke kann grü»^''
werden.
Deber Henitou- und PolBCarren. 315
Mitralinsuffioienz.
dricb H., 25 Jahre alt. Die HerzdAmpfnng beginnt ÜDka im
kam, im 4. wird sie absolut und reicht bis zur 6. Rippe
h rechts reicht die Dtaipfang bis auf die Mitte dea Siemnm,
9r Hammilla noch etwas Ober den rechten Stemalrand hlnaiU'
iht sie bis zur Hammillarlinie, —
stArksten im 4. Intercostalraam In
Unie, etwas weniger stark im 6.
a. Er ist denilicb sichtbar im 3.,
ind 3. und 4. rechten Intercostal-
ht neben dem Sternnm. — An der
lautes systolisches Ger&usch und ^ifv h (4.1.-R. l. mnit. -
Tod. Der sweite Pulmonaiton ist ' ~ '
irkt. — Puls ziemiidi klein. — Kliniache Diagnose: Insu/'-
'itralis. {St/philü.)
ofazacke bei b (Pigg. 24 — 26) ut tebr deatlieb anigepiUgt,
ie Bweite ROckstosseleTation bd e, die sieb in dep beiden
1 sogar noch Ober
er Aortenrückstoss-
ebt.
iwacbsen der Zacke
schon bei der Aor-
'. begegnet. Dass e
aDwacbsen mnss,
von der Herzspitse nia k (i.t.-i. L.m. - a.b.).
cken, ist schon be-
QD aber diese Zacke
ipitze immer noch
dhe bat wie in Fi-
las es sieb entscbie-
) abnorme Druck-
n Palmonalsystem
ben wir den Befand
ichen Untersuchung
bt: Das systolische Fi,« » n. i..b. - l.». - i.e.).
der Herzspitze, den
zweiten Pulmonalton, die nach rechts bin verbreitete
IS Herzens, so können wir mit aller Sicherheit die Dia-
tralinsufficienz stellen. Die Herzstosscurve bestätigt eben
iscben Befund,
messung der Gurren ergab:
— 0,111 - ci/-.0,120 ef^i,\m
— 0,059 rftf = 0,05S <^-. 0,461
316 XTI. Maubeb
2. A n D n W., 6 Jihre alt. Herzchoc im 5. Intercoetalrinm, in dtr
linken Linea mAmmiliaria deutlich fühlbar; als diffase EracbOtternng nci
im 4., sowie weiter nach recbts bis nihe an dae Sternnm nnd llngnbKit
aber die linke Mammilla nach anu« ii
fühlen. Mit der aufgelegten Hand apfltt du
tiber der Heraspitte ein aTaloliiehM Mm-
ren. — Die Hertdtmpfang beginnt obn u
der 2. Rippe nnd geht bis ur 6. abvlrti.
Nach links reicht sie einen Qoerfliwer Ibn
die Mammillarlinie hinaua. — Bdder Au-
cnltation hSrt man Ober dem ünka T»
"wÄ" «■V-'%i"°-m" '"''*' einUnt«, langgnogflBM ■TttoSd»
GerftiiBcli von pfeifendem Chanklar. Utbtr
dem nnleren Stemalabscbnitt bOrt man ebenfalla ein ayatuUMbN Gerlucb
von dumpfem, mehr klapperndem Charakter, daa nach recht« Un tlber dtr
Leber aebr weit fortgeleitet wird. Zweiter Pnimonalton uekr dentiBch Ter-
stirkt. — Pnis regelmlsaig, voll, weich. — KlioiachB Diaignow; hn/f-
valv. milral. ex endocvi. rkit-
malica {Pneumonia cAmucaj.
Die Gurren [Figg. !7 oii
28) zeigen in aosgesproehenei
Wdae die vergröuerte Pnlm>i-
nalzacke.
Die Werthe der AUlib-
Zeiten waren:
ab — 0,l»i
he — u,08«
cä — 0,050
de — o,09K
e/— 0,15B
Flfir 1« (ä.l.-H. - Um. - M.B. - III. - 31|, '^/"^ 0,509
3. Subaatian B., 21 Jahre alt. Die Herzdimpfang nuh tacUi,
oben nnd onten normal, nach linka überragt sie die Hammillarlinfe in ftit
zwei Querfinger. An der Heraapitze hört man ein bis zum zweitti Tm
sich hinziehendes, lantea, blasendes Gerlnach an Stelle des ersten TiK
Die TOne der übrigen Herzostten aind rein. Der aweite PnImonaltM irt
nicht wesentlich verstärkt. — DVr Hericboc ist innen und etwas oMt
aussen von der MammillHrlinie sehr stark fUhl- und sichtbar; auch AUl
man an der Herzepilze ein deutliches syatoliscbes Fr^missement. — Eliaitebe
Diagnose: Iruuff. valmtl. mitralis (Rheumatismus arlicul. acutus).
Die HerzBtoascurvea, und namentlich die cardiographische, leigep
uns wieder ein prägnantes Bild der Mitralinsufficienz , die, bei Ab-
nahme der Curve von dem äpilzenstoBse, vergrößerte Pulmonalrdcfc-
BtosBzacke. Es widerspticbt dies Bild allerdings etwas dem Wortliui
des Status praesens, wo der zweite Pulmonalton als nicht weseDtlieli
Ueb«r HenitoM- und PulKurveD. 317
rentürkt bezeichoet wird ; doch dDrfte nni hier wieder der Umetsnd
entge^eatreten, dass nni das objectiv arbeitende Instrument Über die
jeweiligen DruckrerbfiltniaBe im Herten bAnfig niTerlftwiger nnter-
riefatet ab nnser Gebflr.
INgw 3V (UhcU Cu-d.)' Inipir.
Das bedeutende Anwachsen der RUckstoBseleration im Ingpirium
Ut schon oben besprochen (S. 301). Es erübrigt uns noch, das Ver-
balten der Vorhofsth&tigkeit etwas eingehender zu besprechen.
Statt , inrie wir es erwarten sollten , eine grosse Zacke bei b zu
finden, fällt uns diese durch ihre Kleiuheit, die Zacke bei a durch
ihre Grösse auf- ^b würde dies mit der erwarteten stärkeren Thll-
äekeit des linken Vorhofs im Widerspruche stehen. Doch nur schein-
31 B XTL
bar; denn berDckgiehtigen wir du, was ich (S. 292j Sber die Vor-
bofstbitigkeit gesagt babe, so werden wir es begreiflich finden, iim
ein stark dilatirter Vorhof, ehe er sich ed seiner eigentlichen Con-
traction anschickt, eben wegen der in ihm and den Venenwnnelo
vorhandenen grösseren SpanaoDg, sdnen Inhalt rasoh und in bedea-
tender QoantitAt in den in der Diastole befindlieben Ventrikel entlNrt
— dass also die Aotion des selbst hypertrophischen Vorb^ti lur
dnen geringen Effect erzielen kann and die seiner Gontraction est-
sprechende Zacke klein ausfallen wird.
Vielleioht berechtigt uns dieser erleichterte Einflusa des Vorhofi-
blutes in den Ventrikel, eine Mitralstenose, welche doch so blsli;
die Iniufticienz begleitet, auszuschliessea.
B^ Mitralinsufficienz würde die HenstoBScurve zeigen:
L. Eine stark ausgebildete Vorhofstbätigkeit b (bei Complicstion
mit Stenose).
2. Eine vergrösserte PulmonalrQckstosszacke, auch bei Abnahne
der Gurren an der Herzspitze.
Combiairte Klappenleiden.
1. Adam L-, 23 Jfthre alt. Herzchop im 5. und 6. linken btK-
costalraum bis iwei Qaerfinger Über die Hammillarlinie nach aiuwn hii
«chtr und fühlbar, stark hebend. Die Heridämpftang beginnt oben to da
3. IKppe — rechts am rechten Stemalrand, links swei Queifinger uä
anasen von der Hammillarlinie ; unten awischen 7. und 8. Rippe. Die Fom
der HendlmpRing ist die eines iducf i
von oben innen nach unten anises p-
stelltea Orali. 1
Die Anscnltatit» ergibt an der Hcn* 1
B|ritae, anstatt des ersten Tmis, ein IsitH
blasendes Ger&ttscb, den iweiten Ton igf \
pelt. An der Valvula tricnapidalis bUrt
man, abgeeeben von dem forlgepflaail''
Uitralgertusch, reine TQne. Ueber i»
Aörtenostinm hOrt man anstatt bildet
TOoe dentlicbfi Gerftuscbe, von dena iM
diastolische nicht sehr stark, aber itotä
vollkommen unverkennbar ist. Der imK
Pulmoualton ist versl&rkl. — Puls krtffif.
FifBiai («.i.-R. - L.m. ' A.K. = B4). celcr. Der CarotideDpuls und HerutoH
erfolgen nicht gleichzeitig, sondern es i>t
ersterer merklich apitter wahmetimbnr als lelstgenaniiter. Double teuffi
in der Cruralis dextra wurde melirere Male gehört. — Klinische Dia^ose:
Inmff. et slenoxis valnuL milralis. — Irtsuff. vatmtl, semilun. oortat.
Patient bekum, nachdem er einige Tage auf der Klinik gelegeui
plötzlich sehr starke Palpitationen und einen sehr ausgesprochencQ
Ueber HcmtosB- nod FulscurveD. 319
: icrsgularis (Figg. 32 u. 33). Ehe dieser Zustand eintrat, hatte
fi Cnrre Fig. 31 und eine andere von der Stelle dea stärksten
nstossea 1 6. Intercostal-
.nsaerfaalb der Mammil-
b) entnommeD, welch'
fl deutlich anageprigte
toMsacken , nament-
es AortenrQckstoBseB.
und eine ungewöhn-
3Öhe (11 Cm.) besaSB.
tl — 33 B&mmtlich Tom
ireostalranm, aber auf
tnunillarlinie entnom-
lassen namentlich die
nalzacke vortreten ;
schont mir die Vor-
eke bei b deutlicher fiimm ie.i.-B. - l.«. - ».m.).
i bei d.
ie Ausmessung der Curre Fig. 31 ergab folgende Wertbe:
ab — 0,288 See. de = 0,118 See.
*C — 0.112 „ (>/■= 0,257 „
cd— 0,081 , «/■=- 0,853 „
flfoi n ICtid. — Dufl. wl« Flfor tl).
Irinnem wir nna dessen, dass im Statua gesagt ist : , Der iweile
in der Henspitze ist doppelt", so finden wir hier wieder einen
fOr die Landois'scbe Erklärung der Rflckstoaszacken. Das
^1 Ewiscben dem Rflckstoss der Aorta und Pnlmonalis ist
18 See, also seitlich gross genug, um die beiden Rtickstdase als
inte SchsUerscbeiDungen zur Wabmebmnng zu bringen (S. 297).
. Adam Z., 20 Jahre alt. An der Hcrzspilie starkes diastoliscbes
Ten, im 2. Iluken Intercostalraum ein deutliches Klappen za fohlen,
irxdlmpfung beginnt oben: auf der 3. Rippe — rechts: etwas nach
vom rechten Slernalrsnd — unten: an der 7. Rippe — links: awei
Bger nach aussen vou der Mammillarlinie. Die Herzleerheit beginnt
am Stenialrand und ist nach nnlen und links ebenfalls betrichtlicti
320 XVI. Hadsbb
tlber die Norm vergrOisert. In der Nlhe des nnteren Endu (
beiDB UDleracheidet roan mit der Kargelegten Hand neben dem
diastolischen ein schwächeres aTstoliBcliea Frimistemmt. Die Ai
ergibt ein leises BjstoliMl
neben dem ersten Ton im
tee diastolisches Blasen
Henspitie. Au noterai
Sternum ein schwaches dii
OerftUBch, das sich von d
Hera spitze wahrnehmbai
M. B. - « - M. - c«d.). jgjj,^ geringere SUrke i
dampferen Charakter nDterscheidet. Enteres wird weiter nach di
Ende des Sternum liin at&rker und ist am deDÜichsten in der
2. IntercoatalrtaD
I ren. Im 2. linl
j costalranm hQrt
reine TSne, von
diastoliBche beden
ker ist. — Pols
voll. — Doubl
_, ,,,.,» , w B ,—^ . wurde namentli'
mehnnals gehOrt.
niscbe Diagnose: Stenosis ost. renos. sinislri. Insuff. vahml
et aortne.
Die von verschiedenen Stellen gewonnenen Curven %
Wesentlichen den verstärkten Pulmonal rUcketofl». Ich habe
selben Stelle, von der die oardiograpbiBche Carre Fig. 37 {
Flgar 30 (Deigl. «Ic Flf or U). Flfur 31 (B.1.-R. ICm. hu. d.L.Bi. —
ist (vom 6. Intercostalraum 2 Cm. ausserhalb der Hamm
auch eine sphygmographiBche Herzstosacurve abgenommen,
ebenfallB wegen ihrer bedeutenden Grösee hier nicht rerOfl
üeber Herutoa«- und Pulsciuren. 32 t
mochte; sie zeigt im Wesentlichen dieselben Veränderungen wie die
rerwandfe Curve des vorigen Patienten. Es dürften mir vielleicht
dieie beiden Corven die Bereebtigung geben« in ihrer eminenten Höhe
das Vorhandensein der Aorteninsuffieienz bestätigt zu sehen. So
eolossale Cnrven kann eben nur ein stark hypertrophirter Ventrikel
besehreiben.
Demzufolge dürfte in diesen beiden Fällen die Diagnose auf diie
oben genannten eombinirten Rlappenaffectionen in
1. der stark vergrösserten Pulmonalzacke und
2. der aussergewöhnlichen Höhe des Curvenbildes
ihre Bestätigung gefunden haben.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal in Kürze die Leistungen
der Gardiographie , erinnern wir uns, dass sie uns von der Arbeit
des normalen Herzens ein Bild von ganz bestimmtem Gepräge ent-
wirft, das je nach dem einen oder anderen pathologischen Zustand
wieder einen ganz besonderen Charakter annimmt, so können wir
wohl ganz unparteiisch ein durchaus günstiges Urtheil über den
klinischen Werth der Gardiographie fällen. Ich will nicht sagen,
dass sie uns für jede Herzkrankheit gerade ein ganz specifisches Bild,
Ton stets gleichem Aussehen liefere, hierzu sind die individuellen
Verschiedenheiten an Intensität der Herzaction und Beschaffenheit
der Thoraxwände zu bedeutend. Sie lässt uns aber, wenn wir uns
das Verhältniss der einzelnen Curventheile, wie es uns bei dem nor-
malen Herzen begegnet, wieder vergegenwärtigen, mit Sicherheit die
Terschiedenen Druckveränderungen, die sich im kranken Herzen aus-
gebildet haben, erkennen — und das genügt vollständig, um in der
Carve eventuell eine Bestätigung unserer auf dem Wege der gewöhn-
lichen physikalischen Untersuchung gestellten Diagnose zu finden.
Sollte die Gardiographie auch nur den Werth einer objectiven
Controle in sich bergen und nicht selbständig zur Diagnosenstellung
führen können, so dürfte es sich doch empfehlen, sie bei allen Fällen
von Herzkrankheiten anzuwenden ; denn sie liefert uns ein Bild des
Leidens I das uns den gegenwärtigen Zustand des Patienten nach
langer Zeit wieder viel lebhafter in das Gedächtniss zurückruft, als
es mit Worten die genaueste Krankengeschichte vermag. Schon das
dürfte ein Vorzug der Gardiographie sein, der die übrigens gar nicht
80 bedeutende Umständlichkeit des Verfahrens reichlich aufwiegen
dürfte und ihr einen wohlverdienten Platz unter den Untersuchungs-
niQthoden der Herzkrankheiten einräumen sollte.
DcntBchM Archiv f. k)in. Medldn. XXIV. Bd. 21
922 XVI. Maurer
In neuester Zeit ist Roaenstein') gegen die Landoii'iebe
Erklärung des Cardißgramms aufgetreten, indem er aaf Onind mbs-
Reihe von UnterBucbuDgen, die er an Thieren angeatellt, tine mekl
synchrone Contraction der einzelnen Theile de< Ventrikels naefag»
wiesen hat, mit welcher er in scharfsinniger Weise eine Theorie dn
Spitzenatosses liefert, und deren Ausdruck er im Cardiogramm wieder-
finden lu mSssen glaubt
Ohne die Richtigkeit seiner Beobachtung im Mindesten anim-
feln zu wollen, glaube ich doch eine Deutung seiner CaFdiogrunme
geben zu kennen , die ihre völlige Uebereinstimmnng mit dem za
Anfang entworfenen Schema der HeTZstosscurve dartbnt Ich möchte
hieraus die Annahme folgern, dass diese ungleichxeitige Contractioii
allerdings vorhanden ist, die einzelnen Bewegungsmomente aber der-
art in einander Hbergehen, dass sie an der der Ventrikelaystol«
entsprechenden Linie keine Absätze herrorhringen. Roseniteiii
mflsste, Wenn dies Letztere der Fall wäre, an seinen Fähnchen eine
ruckweise, aber nicht eine gleichmSssige elliptische Bewegung b6
obachtet haben. Einen weiteren Grund gegen seine Deutung finde
ich darin, dass diese zwei oder mehrere, seiner Heinong nach die
Ventrikeleystole znsammensetzenden Zacken zum Theil aaeh am ab-
steigenden Schenkel auftreten. Die Ventrikelaystole ist wq Vorgang,
der unter allen Umständen seinen Ausdruck in einer aufsteigenden
und nicht absteigenden Linie finden muss, in welel
seine Dauer fallenden Bewegungsrorgfinge ausgepr
anderen Worten: die Elevationen, die jenseits des
der Systole fallen, gehören der Diastole an; deo
minatiODBpunkte hat auch die Systole ihr Ende en
Zunächst möchte ich seiner Ourve Figar 15
gegenllberstellen. Ihre Aehnlichkeit dürfte gevriss prägnant Mdn.'
Da Figur 38 von demBclben ludividnum stammt, wie Figur 20,
so glaube ich ancb dieselbe Bezeichnung der einzelnen Theile bei
ihr anbringen zu dtlrfeu. Den Uebergang aus der, Rosenstein'i
Curve mehr ähnlichen Figur in die Figur 2U erkläre ich mir so, da»
icb aus Ungeschicklichkeit (es ist die erste Curve gewesen, die ich
I) Dieses Archiv. Bd XXIII. Heft 1 u. 2. S. 75.
Ueber Herutou- and Fulicnnen. 323
Vax dem Cwdiographen aufgenommeQ habe) die Pelotte etwas za
locker aufgebunden hatte, und diese bei einer ^nz oberQächlioben
Inspiration des Patienten in seinem Qbrigens sehr breiten Intercostal-
Tuni um ein Weniges herabgeglitten ist, wodurch die Vorbofsaacke
gegenttber der Ventrikelele?ation mehr in den Hintergrund getreten
iit Ich glaube als Ursache dieser leichten Verftnderung der Gurre
gerade une OrtSTerftnderung der Pelotte aus folgenden Bildern an-
■ihmeu EU dürfen.
Figar 39 entspricht ungefilhr der Gurre 6 tod Rosenatein,
DU lind an letaterer die Zacken, welche ich als diastolische nnd
FIfBt II, Flr>r 41.
■b Vorhofszacke ansehe, etwas särker ausgebildet, die RüekstoBS-
.MAsa dagegen schwacher. Sfeine Figur 39 stammt aus dem vierten
J^veostalranme eines mit Aorteninsufficienz und Stenose behafteten
"ntieitten, ihre Erklärung dürfte die cardiographische Curve Figur 40
Terrollstftndigen. Die aus dem fünften Intercostalraum desaelben
Patienten stammenden Figuren 41 und 42 (s. Rosenatein's Curve
2 und 20) zeigen uns auf das Deutlichste das oben erwähnte Zurück-
treten der diastolischen und der Vorhofszacke gegendber der systo-
lischen Erhebung.
Seine Carven 8 und 9 kann ich mir ebenfalls ohne Schwierigkeit
erkl&ren, wenn ich, wie ich glaube mit Recht, annehme, dass die
Pelotte vor und nach der am Herzen Torgenommenen Operation nicht
21*
824 XVI. Maurer
genau aaf denselben Platz applioirt worden ist Denn das Hen der
SU den Experimenten benutzten Tbiere ist im Verbiltniss zur Breite
der Pelotte so klein, dass eine yer&nderte Lage derselben dem Auge
vielleicht kaum auffällt, im Gardiogramm dagegen, je näher oder
^veiter jene von der Herzspitze gelegen ist, eine ganz bedeutende
Veränderung hervorbringen kann. Ich sehe in Gurve 8 (Rosen-
stein) bei finden Gipfel der Vorhofszaeke , bei b den Gipfel der
systolischen Erhebung und bei c fällt es mir nicht schwer, wenn ich
die einzelnen Gurven dieser Reihe durchmustere, die beiden Rflek-
stosselevationen herauszulesen. In Gurve 9 sehe ich bei a den Gipfel
der Systole, bei b eine RQckstosselevation. Dass hier die Vorhofs-
zacke fehlt, ist klar, denn es war ja hier die Pulmonalarterie unter-
bunden, und dass bei b eine ganz deutliche RQckstosselevation vor-
handen ist, glaube ich durch einen Einwand gegen die absolute Un-
trtlglichkeit der Methode erklären zu können, dessen Rosenstein
selbst an einer anderen Stelle gedenkt (S. 89), nämlich dass die
Aorta nicht unmittelbar über den Klappen unterbunden war.
Vergleicht man bei den einzelnen Gurven seiner Figur 12 die
Entfernungen der sehr deutlich verzeichneten Vorhofszacken von dem
Fusspunkte der vorhergehenden Gurve, so dürfte sich leicht nach-
weisen lassen, dass bei den als unvollständig bezeichneten Herzcon-
tractionen diese Vorhofszacke bis nahe an den Gurvengipfel hinauf-
reicht. Die Vorhofscontraction wird erst ganz in der Nähe des Gipfels
von einer sehr kleinen Ventrikelcontraction unterbrochen — daher
der stets wiederkehrende kleine Absatz am aufsteigenden Gurven-
schenkel — , diese lässt gleich nach, entleert nicht alles Blut in die
grossen Gefässe und vermag daher kaum einen Rückstoss zu ver-
anlassen.
Man dürfte hieraus vielleicht den Schluss ziehen, dass es sich
bei gewissen Fällen von arbythmischer Herzthätigkeit um eine be-
schränkte Tbätigkeit des Ventrikels allein handelt.
Jenen kleinen Absatz am aufsteigenden Gurvenschenkel scheint
Rosenstein übersehen zu haben, denn er benutzt dieses scheinbar
ununterbrochene Auf- und Wiederabsteigen der Gurven bei unvollstän-
digen Herzcontractionen als Beweis für seine Ansicht, dass unter nor-
malen Umständen die Ventrikelcontraction absatzweise vor sich gebt.
Ferner besitze ich ein Gegenstück zu seiner Gurve 3 in den Herz-
stosscurven eines an starkem Atherom und Lipomatose des Herzens
leidenden Patienten, der in der Minute 32 Pulse zeigte. Die Er-
klärung der weniger deutlichen spbygmographischen Gurve (Figur 43)
dürfte die beigegebene cardiographische Gurve liefern.
Ueber Ilerutou- imd PuUcurTea. 325
M der in der Inspiration yeneichaetea HAlCte der Carve 1&
ich in der Grössenabnahme der Einzelcurven das bekannte Sin-
dea BlutdruekeB, im Steigen der Reihe die Verzerrung, welche
sirdiographischen Reihen dnreh das Aufbinden des Initrumentes
' Fifnr lt. (Cud.)
den Thorax erleidea; wäre der Cardiograpb statt aufgebunden
aufgedruckt worden, so wDrde sich hier die Reihe im Gegentheil
' daa Niveau der vorderen Hälfte gesenkt haben. Im Uebrigen
I ich keine Unterscheidungsmerkmale vom normalen Bilde daran
Indem ich mich jetzt zu einer kurzen Bespreehung der
Pulacarven
.e, verweise ich sunächst auf die äusserst flbersichtliche Dar-
Dg dea gegenwärtigen Standes der Sphygmographie, die Riegel,
lem wir in neuerer Zeit die besten Ourvenbilder verdanken, in
mann's klinischen Vorträgen niedergelegt bat. Ich schlieeae mich
n alten Hauptpunkten vollständig an.
^andnia sagt, indem er die Carotis-') und Subdaviacurve ^l
ndividiiums mit AorteninBufficienz bringt, dessen Herzstosscurven
eben oben gedacht haben : „ Da wegen der Insufficienz der Aor-
appen der Zugang zu diesem Gefäss stets offen ist, so wird die
-action des dilatirten und hypertrophischen Vorbofes das Blut
allein in die Kammer treiben, sondern dieses auch zum Theil
positive Welle im Anfange der Aorta erregen."
Er nimmt also an, dass die erste Zacke seiner Curve (Puls.
1), die er mit .1 bezeichnet, durch eine positive, aus dem Vorhof
nende Welle erzeugt sei, desgleichen auch in seiner Subclavia-
I die gleichnamige Zacke.
< Pull. 3. 263. 2) Herzschlig. S. b
826 XVI. MAtntER
AU ich bei meinem Patienten Valentin K. (s. o.) die Carotiscurve
(Figur 45) aufnahm, fiel mir sogleich ihre grosse Aehnliohkeit mit
der L a D d o i s'sehen Carotit-
curre bei Aorteninsufficienz
' auf, zugleich aber auch, da»
diese Vorhofszacke ^ an deo
ersten Curven die Ventrikel-
zacke V doch gar sehr über-
traf. Ich experimentirte wei-
ter und kam zu dem Re-
sultat, dass , bei starkem
Aufdrucken des Sphjgmo-
graphen und bei stark an-
gespannter Feder, die erste
Zacke kleiner wurde, bei
"*" *■ sobwaohem Druck dagegen
wuchs, und wenn ich die Feder ganz locker spannte und gleichmtig
das Instrument auf eine möglichst unverdeckte Stelle des Gefässea
aufsetzte, diejenige Hßhe erreichte, welche sie in der Figur 47 hat.
FiEV lt.
Vergleichen wir die genannten Curven (Figg. 45 — 47} und Fig. 48
mit der normalen Carotiacurve Fig. 49, so finden wir s&mmtliche
Theile, die Landois (Puls. 5.316) als Kennzeichen der Dormaleo
Carotiacurve bezeichnet, auf das Schönste daran ausgeprägt: die kräf-
tige erste Erbebung 1 — 2, die Elappenschlusszacke 3, endlich die
Rllckgtoaselevation 4 mit den nachfolgenden Elasticititselevationen.
Ich kann wohl dreist behaupten, daaa meine Carven Fig. 45.
46, 48 der LBndois'scben Curve (Puls. S. 324) analog sind; und,
da sie mit der normalen Carotiscnrre, abgesehen von der bedeuten-
den Grösse, roUstfindig übereinstimmen, der Landois'scheo Carve,
Ueber Heruloii- und PnlacurreD. 327
weai^ni mit der von ihm gegebenen Erkl&rang die Specifltftt ttir
AorteDinsuffinienz TollBtAndig
abgeht
Seins Idee ist ja ganz plau-
sibel, nur dOrfte sie eich ge-
rade in seinem Falle, den er
doch für absolut prägnant hält,
m'cfat Terwirkliehen.
Landoia bat einfach wäh-
rend der ganzen Verteichnungs-
dauer seiner Curvenreihe mit
dem Sphygmographen einen zu
starken Druck auf das Gef&ss
ausgeübt, bei den zwei letzten
Curven hat er etwas nachge-
laggen.
Utäne Behauptung durfte rirun
aus der Vergleicbung der ein-
zelnen Curreo erwiesen sein, doch möchte ich zum weiteren Beweis
Pl(iir u.
noch einige Curvenreihen anfahren, die ich absichtlich mit wechseln-
dem Druck ausgeführt habe.
Figg. 49 und 50 stammen von demselben Individuum, dessen
Herzstosscurve wir in Figur 7 finden. Beide sind hei angehaltener
Respiration gezeichnet Bei Figur &0 Hess ich in der Mitte der Platte
das Uhrwerk stehen, schraubte die Feder nieder und druckte gleich-
zeitig das Instrument fester auf das Gef&BS. Nun Hess ich die Platte
wieder rorbeilaufen und es entstand eine niedrigere Curvenreihe mit
aankhernd flacbem Gipfel, dessen linke Ecke t/ der Spitze a in der
328 XTI. Maurek
«raten HSIfle der Reibe, dessen rechte Ecke ^ der Klappensehlon-
contractioD entsprach.
Weit schöner ist dieses Verb<niss in Figur 51 (Carotisaure
eines jungen Mädchens mit
Aorteninsufficienz).
Es beweist uns diese Ver-
ftndemng der CarrengipM,
dass bei starkem Druck, weil
«D meohaniacbee Hindemiw
sich der Erweiterung des Ge-
fasses entgegensetzt, die pri-
märe Expansion der Carotis
geringer ist, ihren H5bepnnkt
fritber erreicht In der Zeit,
die verlauft von dem Eintritt
des Höbepunktee dieser pri-
mären, behinderten Expansion bis zum Sohlnss der Semilunarklappen,
der bei z (Figg- 4S u. 49) liegt, ist dauernd Blut in das Oeftss ein-
Biuku Dnck.
geflossen; die Elappenscblueselevation kommt folglich jener an Habe
gleich, kann sie sogar Ubereteigen. Mithin wird, je stärker der Dmek
ist, desto tiefer die efste Spitze sitzen, sogar eine anakrole Zacke
neber HemtoBs- und PuUcurven. 329
«1 kOnaen, wie sie unB in Wirklichkeit die Figg. 62, 54, bb
leb werde gleich ausführlicher hierauf zu sprecbeo kommen.
Iren, an denen sich diese Veränderung durch starkes Auf-
D des Sphygmographen ao schön präsentirt, wie die Lan-
;he und auch meine Carotiscurve
leninBufGcienz (Figg. 4& — 48), kön-
en, weil nur eine sehr starke Herz-
liese Veränderung so prägnant aus-
kann, nur bei dem genannten Leiden
len werden, das wir stets yon einer
rophie des linken Ventrikels be-
finden. Doch dflrfen dabei die 6e-
)ch nicht sehr rigide geworden sein,
I aus den Figuren 52 — 55 folgern
. Diese stammen von Greisen von
84 Jahren, Pfründnern des Darm-
stfidtiscfaen Hospitals, welche ich
lehreren anderen in Gegenwart des
;en Assistenten Herrn Dr. ßaettig „p„ ^
cht habe.
darf uns nicht wundem, trotz der hrUsken Heixaction die
ieratioQ sich auch bei schwachem Druck nur wenig oder kaum
e KlappeDBchtusBelevation erheben zu sehen (Figg. 52 u. 53).
r verminderten Etasticitftt, geringeren Dehnbarkeit des starren
wird bei der Systole des Ventrikels nahezu seine vollständige
ing mit Blut stattfinden können. Es wird von dem Momente
pansiooshöhe bis zum Semilunarklappenschluss nur eine ganz
330 XVL Haubkk I
geringe Menge Blutes noch eintreten können, alM die HObe der 1
Klapp enschluBBzacke nicht viel höher, aber auch kaum nenneiuweTtb
tiefer liegen können, als die Spitze der ExpansionBeleration.
Die obere Reihe der Figur 52 ist bei schwachem, die mittlere
bei stärkerem und die unterste bei gaas starkem Druck gewonnen-
Die Unregelm&ssigkeit im Höheostaud der anakroten Zacke io der
anteraten Beihe erklArt sich durch die Schwierigkeit, einen ganz
glüchmässigen Dmck anszuUben.
Die Figuren 53 — 55 gehören dem S4jftbngen Grase an. Die
erste ist bei schwachem
Druck gewonnen (in der
rechten Ecke sehen wir «
Über b hinauaragen) die Fi-
gur 54 bei mittlerem ood
endlich Figur 55 b« stax^
kern Druck.
^"""- Der Druck mit dom
Sphygmographen , der j e
nach seiner Stärke die eis'te
Expansion des GeßUses ä-o
verscbiedenem Maasse t»e-
einträchtigt, hindert nieb^
dass Ton dem Eintrete!
der Expansionshöhe bis iim v
Schlüsse der Semilunarklm-P
^^^ ^ pen der Gefftsaabschnitt t*:»«
der AortenwuTzel bis lur X- f
plicationsstelle des Sphygmographen sieh weiter mitBlnt anfOH-^
Es tritt deswegen rom Moment des Elappensoblusaes ^ne positi ~^^'
Welle (hierflber später) in die Carotis ein , welche innerhalb um ^
grösseren Blntmenge angeregt einen stärkeren Druck. aof die PeloC*'
auBllben wird. Es wächst daher proportional dem Sinken der ersl^'
ExpassionBuieke die Höhe der Elappensehlusauoke; allerdings a »■
relativ, denn die Ausbildung der letsteren wird obenfilli von d-^'
Stärke des Drucks abhängig sein.
Wir mflssen hierbei das normale und das rigide itfaeromtt»«^
GefäsBsyetem wohl auseinanderhalten.
Während sich die normale GefäsBwand durch den Vollbeiif
ihrer Elasticität bei ihrer Ausdehnung durch eine Blutwelle dem
Pelottendruck mit einer stärkeren Kraft zu widersetzen vermag, wirii
es uns leichter gelingen, das rigide atheromatöse Gefäss, trotz der .
Ueb«r Heraatou' und Pulicanen. 831
doreh die hypertrophische HenmoBcnlatar mit grösserer Kraft ein-
fCMhleuderten Blutwelle, znsammeiiXQdrllekeii, in seiner an sich sehr
geringen Expansionstendens sehr zu sohw&chen. Die erste Zaeke
kann demnach tief herabsinken, aber desto höher muss im Verhältt
niss zum normalen GefSss die KlappensohlusseleTatioa stehen. Denn
wir haben es hier mit der AoftllluDg eines wenig dehnbaren , wei-
offenen und sein Lumen nur wenig Terkleinemden GeMsBrohres zu
tban, welches nach Eintritt der ersten Expansionseleration noch völlig
mit Blut angefflUt werden muss. _
Einmal mit Blut angefOllt, wird I
et wegen seiner vermindertes I
ElBstieität dem Pelottendruek I
einen kräftigeren Widerstand I
entgegensetzen, wie das nor- I
maleGefiss; denn dieses wird "*""•■ »""'«•"•"«»■
die Blatmeage, die an der Applicationsatelle zur Wirkung gekomnien
wfire, -leichter auf andere Gefbsabsebnitte vertheilen können. Es
wird demnach beim rigiden Gefftss, bei dem «ne solche Blutrerthei-
lang nicht so leicht von ^
Statten geht, durch die 1
Klappenschlusswelle eine I
atSrkere Einwirkung auf I
die Applicationastelle der I
Pelotte ausgeübt werden. |
Kurz gesagt: es wird "*" "- "'^" •*"'*■
beim normalen OefUss und normalen Herzen die erste Elevation nicht
so tief herabgedrSokt werden kfinneo, als beim rigiden; aber die
RlappenschluBselevation auch nicht so hoch stehen können, wie bei
diesem.
Staikir Dnck. Pl(ir M. WtcbMlidar Draek.
Ebenso wenig pathognomonisch fttr Aorteninsaffidenz wie seine
Carotiscurve dürfte auch Landois' SubctaTiaenrve sein. Indem ich
332 XVI. Maurer
auf meine bei verschiedenem Druck verzeichneten Curven Figg. 56
bis 58 von der Azillaris des Patienten Valentin K. und des jungeo
Mädchens mit Aorteninsuffieienz hinweise, möchte ich eben nur die
Behauptung^ wiederholen, dass Landois seine Curven bei zu star*
kem Druck aufgenommen hat. Es bandelt sich bei meinen Curven
Fig. 57 u. 58| ebenso wie bei Landois' Curve, um mich seines Aus-
drucks zu bedienen, um einen „falschen Anakrotismus^ im wahren
Sinn des Worts.
Mit seiner eben angefahrten Carotiscurve will Landois die
Richtigkeit seiner Annahme beweisen, dass die zweite Zacke, die
»Klappenschlusszacke*', wie er sie nennt, durch einen wippenden,
das Blut in der Richtung nach dem Oefftss hinwerfenden Schluss
der Aortenklappen entstehe, indem er aus seiner Curve dedueirt,
dass diese Erhebung bei Aorteninsuffieienz fehle. (Puls p. 325.)
Wie wir uns aber ttberzeugen konnten, existirt die sogenannte
KUppenschlusszacke bei Aorteninsuffieienz und sogar in ganz beson-
derer Grösse an der Landois'schen Curve; es muss also noth wen-
diger Weise ein anderer Beweis dafdr erbracht werden, dass diese
Zacke dennoch zum Klappenschlusse in Beziehung steht.
Landois gibt an, und ich konnte mich wiederholt davon Qber-
zeugen, dass diese Zacke gleich nach dem Eintritt des zweiten Hera-
tones verzeichnet werde.
Ich habe den zeitlichen Verlauf der Carotiscurve Figur 48 be-
rechnet und finde beim Vergleich mit der Herzstosscurve (Figur 19)
ftlr die Entfernung
cd eine Verzeichnungszeit von 0,072 Secunde,
für die von 2— j? „ « n « 0,076 „
d und X entsprechen dem Eintritt des Klappenschlusses. Die kleine
Differenz von 0,004 Secunde dürfte wohl kaum in Betracht zu ziehen
sein, sie zeigt uns einfach an, dass eine kleine Differenz in der Puls-
zahl während der Aufnahme beider Curven bestanden hat; bei Auf-
nahme der Carotiscurve war sie geringer.
Es dtlrfte hierdurch der Beweis geliefert sein, dass die fragliche
Zacke mit dem Klappenschlusse in Zusammenhang steht.
Wäre Landois' Annahme richtig, dass ein Rflckstoss nur bei
sufficienten Klappen stattfinden kann, so mitsste sie eben bei 'Aorten-
insuffieienz fehlen. Nun haben wir aber gesehen, dass diese Vor-
aussetzung nicht richtig ist, dass ein Rttckstoss des Herzens gegen
die Thoraxwand auch bei fehlenden Klappen eintreten kann. Aeus*
sert sich dieser Rtlckstoss nach der einen Seite hin, indem er das
Herz zur Beschreibung einer RQckstosselevation an der Herzstoss-
Ueber Herzstoss- und Pulscurven. 332
enire veranlassty 8o wird er sich auch nach der anderen- Seite hiü,
nach dem Gefftas znrttckpflanzen mllBsen. Die brttake Systole des
hypertrophischen Ventrikels wirft das Blat mit bedeutender Kraft in
die Aorta, weiche dasselbe, vermöge ihrer Elasticitftt, mit ähnlicher
Kraft nach beiden Seiten hin auszutreiben sucht. Die mit beendigter
Systole des Ventrikels zurfickgeschleuderte Portion trifft auf die Klap-
pen, oder — stellen wir uns eine sehr bedeutende Insufficienz mit
geringgradiger Stenose yor — auf die Ventrikelwand, die in diesem
Momente noch nahe der Aortenmttndung gegenQberli^, von der es
in derselben Weise zurQckprallt, wie von den Klappen.
Je nach dem Grade der diastolischen Erweiterung der Ventrikel-
bohle wird bei Insufficienz ein grösserer oder kleinerer Theil des
Blutes im Ventrikel zurfickbleiben; aber eine Portion wird in das
Gefäss zurflckgeschleudert , und sie ist es, die jene Klappenschluss-
elevation hervorbringt.
Bei völlig fehlenden, wenigstens gar nicht functionirenden Klap-
pen dürfte ihr also der Name „Klappenschlusszacke*' unter keinen
Umständen mehr zukommen, und auch bei vorhandenen Klappen
möchte ich ihn fflr nicht ganz passend halten. Ich kann mir nach
dem Bau der Klappen nicht gut vorstellen, wie der Klappenschluss
als solcher eine, wie Landois (Puls S. 316) meint, aktive schleu-
dernde Kraft ausüben soll.
Ich glaube vielmehr, dass sich an der Entstehung dieser Zacke
die Klappen nur in gewissem Sinne, nämlich auf Grund ihrer Elasti-
eität activ betbeiligen; während bei ihrer Insufficienz die Ventrikel-
wand nur passiv daran betheiligt sein kann.
Ich gebe Landois vollständig Recht, dass die Zacke bei in-
tacten Klappen grösser ausfallen wird, als wenn sie nur theil weise
vorbanden sind, oder ganz fehlen; denn von einer elastischen Mem-
bran, wie sie die geschlossenen Klappen darstellen, wird das Blut
mit grösserer Kraft zurflckprallen. Es verstärkt die Elasticität der
Membran diese RQckbewegung des Blutes, während es von der starren
in der Diastole begriffenen Ventrikelwand, die gerade in einer dem
anströmenden Blute gleichgerichteten Rückwärtsbewegung begriffen
ist, in geringerem Grade zurückgeschleudert werden wird. Je hoch-
gradiger die Insufficienz, desto undeutlicher wird sich die Zacke
markiren.
Daraus würde folgen, dass es sich in unseren beiden Fällen, in
dem von Landois und in meinem, um keine besonders hochgradigen
Aorteninsnfficienzen handeln kann.
Ich behalte den von Landois eingeführten Namen „Klappen-
334 XVI. UiuBtR
8t)hlu88elevation " bei, obwohl ich die BeaennuDg , erste BflckiUm-
zacke* zum Unterschiede tos der groBsea, «piter auftretenden Rttk-
stoBszaoke fUr die fragliche Zacke fOr passender halte.
Nach Landois geht die Blutbewegung in den Geäseen folgend«
maasaen vor sich ; der Ventrikel contrahirt sich und schickt die enti
grosse positive Welle in die Aorta. Der klappende Schlnsa dw Soü-
lunarklappen erzeugt eine schwächere positive Welle, die der entet
immer in gleicher Distanz nachfolgt Das in ContractioD begriSeu
elastische GefSssrohr treibt seiaerseita eine Welle ge^en du Hn
zarOck, welche, von den geschlossenen SemiluDarklappen abprallnd,
auf ihrem ROckwege die Rüekstosselevation erzeugt, die am so tielir
unter der Curvenspitze liegt , je entfernter der untersuchte Gefl»
abschoitt vom Herzen entfernt ist Zwischen dem Corvengipfel ud
dem Fnsapunkte des absteigenden Schenkels finden sieh, tma
den genannten Elevatiooen, noch eine oder mehrere ElastieitltKle
vationen.
Heine Vorstellung weicht von dieser Darlegung darin ab, in»
ich die Elappenschlusselevation fQr gar nichts Anderes halte, all da
Ausdruck einer im Anfangstheil der Aorta, unmittelbar vor des
Klappen entstandenen Welle, die ihren Ursprung aus einer Comlii-
nation zweier RQckstöBse herleitet, deren einer bedingt ist durch du
intravasculAren Druck, deren anderer der Elasticit&t der Aorteniru-
düng seine Eotate-
bung verdankt. Di^
ser RBokitou i<t
stark senng, u»
eine klfliae pwtiTB
Welle » flneogto,
die sieh als klein«
Elevationf in imnv
*»"•■""•'■ c™"'- c^lr.ll^ Ptdin«. gleicbbleibendeB
zeitlichen lotemU
von derCorveDspitu
entfernt liegend prt
sentiren wird, mif
das untersuchte G»-
f288 noch so wl
vom Herzen entfenit
sein. Je weiter ein Gefässabschnitt von jenem ersten Querscbnilt w
der Aortenwurzel entfernt liegt, desto spiter wird die negative WellSi
die seine Contraction erzeugt, nach dem Herzen zurfickeilen und desto
Ueber Hemtou- und Palactirfeii. 330
BpUer wird die ihm entaprecfaende RflckBtoaezMke am abateigeiiden
CnrTenscheiiket eraebeinen.
Die Fignr 59 dürfte da« Gesagte erUuteni. Denkt man sieb
die Gipfel sfimmtlicber durch eine Herzcontniotion erzeugten Curven
— an der Aortenwurzel, der CarotiB, CraraliB, Fediaea — durch eine
Linie a Terbonden , lo wflrde diese die Dilatationsamplitade eines
jeden der genannten QentssabBCbnitte durch die erste positive Welle
bezeichnen. In gleicher Entfemnng von ihr Iftnft durch die ganse
Geftssbahn hindurch die EUppttischlusseleTation b, und in wechseln'
der Entfernung vom Cnrrengipfel die RQckstosszacke c, entsprechend
der Entfernung des untersuchten Geßlssabschnittes von den Aorten-
klappen,
Landois sieht die Elappenschlusszacke , als solche, an der
Carotis, Subclavia, Axillaris und Cruralis ; an der Radialis und Fediaea
sieht er au ihrer Stelle eine Zacke, welche er als Elasticitätselera-
tion deutet, and auch an der Brachialis eine, deren Erklärung ihm
schwierig dOnkt, die er aber fOr eine Elasticitätselevation ansprechen
machte.
Da diese Zacke b, wie wir uns Oberzeugen kdnnen (Figur 60),
b« normalem Herzen und GefSserohr an den Pulscurren der sämmt-
licben oben genannten GefAsie an derselben Stelle deutlich herror-
trilt, 80 Sehe ich eigentlich nicht ein, warum man sie hei dem einen
. Oatoili. BncUiJI
QefäsB als Klappenschlusszacke , bei dem anderen als Elaaticitftts-
elevatiou auffasst, und nicht durchweg als Klappenschlasazacke, resp.
erste RQckstosszacke bezeichnet, namentlich wo die Untersobeidnng,
I. B. an der Brachialis, so viel Schwierigkeit macht. Warum soll
die Elevation an der Brachialis und Radialis, die bezHglicb ihrer
Eintrittsieit Tolletfindig der Klappenscblnsszacke an der Axillaris
entspricht, gerade eine ElasticitAtselevation sein, und ihr Entstehen
336
XVI. Mauber
Klgor Hl
einer anderen Ursaclie verdanken, aU eben der, welebe die Klappet-
BchluBSimcke berrorbringt?
lob bebanpte also, daes die Zacke b die Kli
oder erste BtlokstoBszacke darstellt Wir würden
steigenden Carrenschenkel aller normalen Gairen
haben: 1. Die Klappenachlusszacke bei b; 2. di
bei c; 3. die ElasticitAtselevatioaen (kleine an den
ven nioht näher bezeichnete Zäckehen).
tat jene Annahme richtig, so werden wir dii
zacke b in den Fällen schwach entwickelt Dnde
Aortenklappe
safficient ain<
vascnl&re G
Termindml i»
schlecht com
sufficienz, hei Pnlana irregalanir
bei Anämie, nach dem Hnilen.
Sie wird, umgekehrt, nm u
deutlicher herrortreten, je itlr-
ker der intraTaaeatlre Dnek
ist, z. B. bei Atherom, b«i Sit-
rensohn
Fi«,
peratur
Brachial
iaauffioii
Mannet,
venaufni
Henklo]
I achwerdi
eohlnssel
I sichtbar.
Die
von dem Patienten Adam L. In Fig. 62, wc
mftsBig war, ist die Klappenschlusselevation b deutlich, noch sebOner
ist sie an der GarotiecurTe desselben Patienten Fig. 59. Naebdm
Patient einige Zeit auf der Station gelegen, stellte sich am 9. Janur
187S unter äusserst hartnäckigen Herzpalpitationen ein Pulsiu im-
gularis ein. Die Elappenschlusselevation verschwindet zunäebst fut
vollständig (Figg. 64 u. 65) und tritt erst nach einiger Zeit bei m-
nebmender Besserung wieder auf (Figg. 66 und 67 hei 3). flgur 63
Ueber Hctzitou- und PiÜBCurren. 3
stellt die Verftndemng der Carve naob dem Husten dar. Efst i
Ende der Carre sehea wir b etwas deutlicher hervortreten.
pisu es. Fifu u.
Wie ich aus der Figur 68 folgern mficbte, dOrfte man beim
Qreiienalter nur mit Vorsicht einen Palana planus und F. rotundo-
tardna nnterscbeödeD. Diese 3 Curren sind von demselben Indiri-
duum, aber bei Terschiedenem Druck gexeiohnet. Sie zeigen uns,
Fipu «7. FlRur a&.
dass man sieh niobt glttoh mit der ersten Curre, die man von einem
Qrüsen abnimmt, als sei ne richtig, begntlgen darf; ent nach län-
gerem Experimentiren wird man die d«n Individuum latcommende
Paliart angeben k&nnen.
Ich bin ganz der Ansicht Biegel's, dass die Ourre des Pulsos
planus die bei Weitem b&ufigste Oreisenpulsenrre sein dürfte, da
DtDiKb« ArcUT (■ kllB. HtdleJa. XXIV. B«. 31
339
XVI. Maurbb
sie den ContractionBoioditB des atberomatüseii Gefassee am beiten |
wiedergibt. ]
Auch an der G reisen piilecurve ist dag Vorhandensein der Klip-
peDSchluBseleTation nicht schwer nacbiaweisen.
Ich möchte hier einige Worte Über das AortenaneuTviDix
saj^en. Ich bin in der Lage, zwei derartige Fälle vorfahren zn kOnacs.
Der ente betritFt einen 46jfthrigen Mann mit Aortenineufficieni, DiW
tation des anfiteigenden Theils der Aorta und ehroniseher Endar-
- - teritia. Der Aorteoinsiiföneu
entspricht die Herzitoucotn
vollständig (Fig. 69). Die in
2. rechten lotercostalnuinib-
genummene epb^gmognpiii-
Fi«u tu (c>ni-i. sehe Curve {Fig. 70) hatetuti
das Aussehen der cardiogn.-
pbi8cben(Fig.71]. lehmüehte
sie in der Weise deuteo, iu*
die Aorta im Zustande ucts~
rygmatischer DilatatioQ gin^
dieselben Verhältnisse dir-
stellt, wie das rigide, itvfc
mit dem SpbygmognpkaB
^lo'Ti- comprimirte Gefto. B«Me
difTerireD nur darin, Aui b«
dem anearysmatisehen SiA j
die nach Eröffnung der Senii- I
lunarklappen durch den «- 1
sten Moment der Ventrikel- 1
Systole eingeachleaderte Blutmenge nicht zu seiner gänzlichen FDlIiiiif
gentlgt, während daa rigide Gefäss in der schon oben besehriebena
Weise mecbaniseb an der völligen Expansion bebindert wird. Ki
zum Eintritt der Klappenschlusswelle bkt
sich der Sack weiterhin zur Genüge mit Blut
angefüllt, er veranlasst die auf dem Curreo-
gipfel liegende Klappenscblusselevation.
Dass diese Erbebuug wirklich der KUp-
Figar 1% penschlusswelle entspricht, resp. durcb die-
selbe hervorgebracht wird, durfte Figur 72 genügend beweisen; ick
habe hier die Curven des HerzstosseB and der auenrj'sniatischen Er-
weiterung direet (ibereinander gezeichnet.
FlSnr 71 (Deigl. (
Ueber HenatoEB- and Pulicunen. -339
Weiter folgt am absteigenden Schenkel die RUekstoBseleTatioD, .
lun einige kleine Elasticitätaelevationen und Bchlieaslich kommt
loeh dne grosse Zacke, die ich für eine „dritte" Rflckstosselevation
uüten mJJchte, die ja auch Landois bisweilen au der Carotis (als
tweite" RackstoBselevation) gefunden hat.
Wenn ich annehme, dass die KlappenBohluBs- und Bflckstossele-
ation in der Aorta susammeDfallen, so widerspricht dem das eben ge-
ebilderte Weitroneinanderstehen der beiden Glevationen keineswegt.
Wir haben einmal kein normales Gefftss vor uns, sondern eines,
as sich Terh<nisimäsaig langsam contrahirt, und dann sind wir an
6r Untersuchungsstelle schon ziemlich weit von dem Anfangstheil,
Dm ersten Querschnitt der Aorta, entfernt. Dass sich fibrigena an
eser Stelle noch eine nachtr&glicbe kleinere KUckstosselevation
iehler ausbilden kann, als an der Carotis, wo sie ja ebenfalls Lan-
>ia gesehen hat, dQrfte
:h BUS der weit gerin-
reo Entfemang von den
appen ergeben.
Ich mAchte noch auf
i Aehnlichkeit der Ma-
y'Mhen Curve (Fig. 74 j, "■" "'
kenrysma des Truncup brachio-cephalicus (Physiol, m£d, p. 449)
it der Carotiscurve (Fig. 73) unseres Patienten aufmerksam machen.
F\gn 74.
wn diese Aehnlichkeit der Curven von Aneurysmen anderer Arte-
m >) mit denen der Aorta und in zweiter Linie mit der einfachen
.rotiseurre bei Atherom dQrfte wohl die Richtigkeit meiner Behaup-
ig (S. 338) zur Evidenz beweisen.
Mwn zweiter Fall betriflfl eine Frau you 62 Jahren. Figg. 75
d 76 stammen aus dem rechten 3. Intercostalraum ; die nöthige
klArung gibt uns die beigefOgte Fig. 77, die ich von Lorain ent-
mmen habe.
Ott und Haas bringen in ihrer Fig. 33 (1. c-) die Curve eines
I) Solche findfn sich zahlreich nbgebildet bei Marey iPbjBiologie m^dicale)
1 Lorain {Etiidea de mädecine clinique).
S40 XTI. MlUBBK
, AortenaneuoBma , welche den meinigen ganz Ähnlich bcsd dOrl
Hit ihrer Erklärung der dazu gehörigen HerzstosBcurren bin iehü
einrerBtanden. Sie Beben a&mlich am abBteigendea CurrenKtuBl
bei laugBamer Herzaction (Fig. 33 L
im Anschlusfl an die BflohstoBnae)
(I U.2) eine dritte Zacke (3) aoftnl
welche sie mit dem ÄDeniysiu
Verbindung bringen , hei Bchne
Herxaction (Fig. 34 1. c.) soll dieBi
verschwinden. Wie dies zu Sta
kommen sotl, kann ich mir nicht c
^'■""" ken; ich nehme vielmehr an, ■
diese Zacke gar nicht mit dem Aortenaneurysma in Zusammenh
steht, aondem — man braucht nur die L&ngen der einzelnen
hofithitigkeiten der Figg. 32 und 34 mit einander zu Tergleichei
weiter nichts darstellt, als die erste diastolische Zaoke bei a.
Wenn ich kurz das zusammenfasse, was ich besüglich der I
curren gesagt habe, so sehen wir:
1. Die Klappenschlusszacke (Landois) steht im Zusammen)
mit dem Schiusa der Semilnnarklappen der Aorta; doch wird
nicht durch eine active, fortschlendernde Wirkung des ElappenBcl
ses hervorgebracht, sondern durch den RückatosB des Blutes im
fangstheil der Aorta. Sie entsteht hier gleichzeitig durch die El
citflt der Gef&aswand und den iotravasculären Druck, wobei 6
beiden Momente in Wechselwirkung stehen. Ist der intravascn
Druck vermindert, so wird die KlappenBchlusselevation klein
scheinen, die Elastieitfit des OefAases wird mehr in Wirkung tr<
wodurch die BOckstosszacke vergrösatot wird. Ist umgekehrt
iDtravascul&re Druck erhöht, so wird die Elaaticität der Gel
wand , bei ihrem Bestreben eine negative Welle zu erzeugen, je
kaum Überwinden können, es wird daher die Rdckstosszacke,
lediglieb durch die elastiBche Contraction des Gefässrohrs entsl
nur klein ausfallen können.
Ueber Henttoss- und Palscorven. 341
Dies gilt indessen nicht für den Anfangstheil der Aorta; hier
wird nnr eine Zacke entstehen, da sich an dieser Stelle beide Factoren
gleichzeitig ftussem, sondern nur für die Übrigen Gefässabschnitte»
Je weiter wir uns von der Aortenwurzel entfernen, desto weiter rUcken
die Wirkungen des intravasculären Drucks und der Elasticität der
Gefftsswandung, mit andern Worten, die Elappenschluss- und Rttck-
stosszacke auseinander.
2. Die Klappenschlusszacke ist an jeder normalen Pulscurve zu
sehcD, Yon welchem Geffisse sie auch stammen mag, und zwar folgt
sie der Vergrösserung des Guryengipfels in einem gleichbleibenden
zeitlichen Intervall durch die ganze Gefässbahn hindurch nach.
3. Sie fehlt bei Aorteninsufficienz keineswegs. Sie ist hier, im
Gegentheil, weil der ersten brflsken Dilatation des Gefftsses die erste
Contractionsbewegung an Energie nicht nachgibt, deutlicher ausge-
prägt als bei normalem Herzen , und verliert nur dann an Deutlich-
keit, wenn die Aorteninsufficienz so bedeutend ist, dass ein grosser
Theil des Blutstroms in den Ventrikel regurgitirt.
4. Sie hilft bei der Greisenpulscurve den rechten Abschnitt des
Gipfels bilden, indem sie die, bei der geringen Expansionsfähigkeit
des atheromatösen Gefässes niedrig gebliebene Gipfelzacke an Höhe
erreichen und sogar Überholen kann.
5. Die Aneurysmen der Aorta und der Korperarterien zeigen
dasselbe Verhalten, wie atheromatöse , mit dem Sphygmographen
stark comprimirte Gefässe.
XVII.
Kleinere Nittheilungen.
1.
Zur Symptomatologie der medullären Leukämie.
Von
Professor Fr. Moaler.
*
Im XXI. Bande dieses Archives hat Dr. C. Pilz aus Stettin „eineo
eigenthflmlichen Fäll von progressiver perniciöser Anämie*
mitgetheilt. Auf S. 124 findet sich folgende Stelle:
„M Osler machte, auf grosse Erfahrung gesttttst, die Angabe, dass
der Schmerz im Sternum charakteristisch für Leukämie sei ; aber nicht nur
unsere Kranke hatte andauernd diesen durch leichten Druck zu einer nn-
erträglichen Höhe sich steigernden Schmerz, sondern auch MflIIer beob-
achtete denselben in 2 Fällen ; dadurch verliert dieses Symptom seinen ex-
quisit diagnostischen Werth fflr Leukämie. Die Ursache des Schmerzes
vermochte selbst die Section nicht aufzufinden. **
Ich war im höchsten Grade Überrascht, dass eine derartige Aeusserong
von Dr. C. Pilz mir zugeschoben wurde, da in meinen Mittheilungen Aber
Leukämie nichts davon zii finden ist. Aus verschiedenen Orflnden, die ich
hier nicht erörtern will, war ich nicht geneigt, dem Dr. G. Pilz in Stettin
eine öfi^entliche Erwiderung werden zu lassen. Zu meinem Bedauern ist
diese meine Absicht dadurch vereitelt worden, dass von anderer Seite die
Angaben des Dr. C. Pilz weiter verbreitet werden. In einer kürzlich in
Halle erschienenen Dissertation von Dr. Georg Krukenberg 0 scbdnt
derselbe durch die Pnblication des Dr. G. Pilz zu folgender Aenssemng
auf S. 9 veranlasst worden zu sein: „nicht unwichtig ist deshalb die bei
Pilz und Osler sich findende Angabe, dass in zwei Fällen von perniciöser
Anämie Schmerzhaftigkeit des Sternums vorhanden war, wie dies schon
M tili er für zwei Fälle angibt; ein Symptom, welches Mo sie r bekanntlich
als pathognostisch für medulläre Leukämie ansah. '^
In Folge davon habe ich mich am 19. Juni d. J. ah Dr. C. Pili
brieflich gewandt mit dem Ersuchen, mir mittheilen zu wollen, an welcher
Stelle meiner Publicationen über Leukämie er die Behauptung gefunden
1) Beitrag zur Kenntniss der progressiven perniciösen Anämie. Inaogural-
Dissertation von Georg Krukenberg. Halle 1879.
XVII. Kleinere MittheUangen. 343
habe, dass ich dem Schmerze am Stcrnum einen so exquisit diagnostiachen
Wertb ftlr Leok&mie beilege, daaa ich »ein Vorkommen bei anderen Krank-
heiten leugne. Dieser Aufforderung hat Dr. C. Pilz nicht entsprechen
köDuen. Um zu verhüten, dass die falschen Angaben des Dr. C. Pilz
von Anderen, die meine Schriften über Leukämie selbst nicht genauer stu-
dirt haben, weiter verbreitet werden, sehe ich mich veranlasst, meine An-
sicht Aber die Bedeutung des Sternalschmerzes bei Leukämie, wie ich sie
von Anfang an gehabt und zuletzt in der IL Auflage von v. Ziemssen's
Pathologie und Therapie VIll. 2. Abth. S. 179 mitgetheilt habe, hier wieder-
zugeben;
„Die Symptomatologie der medullären Leukämie ist selbstverständlich
noch weniger ausgebildet, als die der übrigen Formen. Mitunter thut sich
dieselbe als einziges und erstes Symptom durch Knochenschmerzen^
die spontan und auf Druck entstehen, kund. Am häufigsten ist von mir
Scbmerzhaftigkeit des Sternums beobachtet worden. Die Knochen-
schmerzen haben in den Fällen von Leukämie, in denen sie beob-
achtet werden, ganz besondere Bedeutung, weil nach meinen bisherigen
Beobachtungen daraus mit Sicherheit auf die medulläre Affectiou geschlossen
werden darf. Verdickungen der Knochen kommen neben der Scbmerzhaftig-
keit vor. Mangel einer Schwellung der Knochen, oder mangelnde Schmerz-
baftigkeit schliessen leukämische Hyperplasie des Knochenmarkes nicht aus.
Dieselbe kann sich vielmehr entwickeln, kann selbst hohe Grade erreichen,
ohne äusserlich an der Oberfläche der Knochen sichtbare Veränderungen
zu veranlassen. An den Knochen wird erst dann eine auch äusserlich
wahrnehmbare Veränderung eintreten, wenn die lymphoide Infiltration sich
bis auf das Periost fortsetzt, wo dann die Verdickung scheinbare Fluctna-
tion zeigen kann.*'
2.
Ein nach secbstägiger Erankbeitsdauer tödtlicb ver-
laufender Fall von Diabetes mellitus. Entstehung durch
eine Gallensteinkolik.
Hltgotbeilt von
Dr. med M. Iioeb
in Worms a. Rh.
C. H.^ ein 5 2 jähriger Bildhauer, welcher, einige Kolikanfälle, auf die
wir gleich zu sprechen kommen, abgerechnet, zuvor vollständig wohl war,
ericrankte den 6. December 1878 Morgens 8 Uhr mit sehr heftigen Schmer-
zen in der Magengegend, welche nach rechts und unten ausstrahlten. Da
Patient schon mehr solcher Anfälle gehabt hatte (den letzten den 24. Juli
desselben Jahres), die nach mehrstündiger Dauer wieder nachgelassen und
da sich regelmässig ein leichter Icterus nachträglich eingestellt hatte, musste
auch diesmal eine Gallensteinkolik angenommen werden. Die heftigen Schmer-
zen bestanden trotz zweier Morphiuminjectionen (je 0,012), einer Morphium-
344 XYII. Kleinere MittheUuogen.
mixtur von 0,03 und späterer Btflndlicber Darreichang von 0,08 Opinm-
pnker bis zum Abend des Dftcbsten Tages. Gleichzeitig stellte sich
bei dem Patienten ein kaum zu stillender Durst ein, der um
so auffallender war, als keine Temperatursteigerung bestand, noch sonst
ein Symptom y welches denselben erklären konnte. (Vor dem 6., es sei
dies hier nochmals ansdrflcklich bemerkt, war Patient vollständig wohl;
er war in der letzten Zeit nicht abgemagert, hatte Aber keinen gesteigertes
Durst zu klagen; er trank sehr wenig Wasser, war ein misaiger Wein-
trinker; sein Appetit war normal, jedoch durchaus kein ungewöhnlicher,
indem er sich z. B. Morgens mit der Hälfte eines Weckes begnttgte). Auf-
fallend war femer die grosse Unruhe des Kranken, der bald aus dem
Bette, bald ins Bett wollte. Diese Unruhe Hess ihn kaum 5 Minuten sof
derselben Stelle verweilen und hielt* bis wenige Stunden vor dem Tode so.
— Der Puls war gleich von Anfang an frequent und hielt sieh während
der ganzen Krankheit auf einer Hohe von 108 — 120 Schlägen. Der Harn
war hlassgelb, geruchlos, von hohem specif. Gewichte (es schwankte zwi-
schen 1,024 und 1,026); derselbe wurde sehr reichlich gelassen ond
enthielt kein Eiweiss, jedoch grosse Quantitäten Zucker (2 von Herrn
Apotheker Ed. M fluch ausgeführte Analysen ergaben das eine Mal 3,4;
das andre Mal 3,04 pCt. Zucker); Oallenfarbstoif konnte nicht nachge-
wiesen werden.
In der Nacht vom 0. auf den 7. stellte sich ein Schüttelfrost ein;
die Morgens 3 Uhr gemessene Temperatur betrug ^S^ 5 C. (in axillt),
fiel jedoch unter massiger Schweissentwicklung bei dem Patienten gegen
9 Uhr auf 36<^ 5 C. — Den 8. Morgens war Patient schmerzfrei; er Uagte
nur ttber ein leichtes Gefühl von Spannung im Leibe; eine Vergrösseruog
der Leber war nicht nachzuweisen, trotzdem ein leichter Icterus bestand,
der sich besonders an der Conjunctiva deutlich manifestirte. Temperatar-
steigerung bestand keine (der erwähnten Unruhe des Patienten wegen konn-
ten die Messungen häufig nur 8 — 10 Minuten andauern, weshalb es mir
nicht möglich ist, bestimmte Zahlen mitzutheilen ; es dürfte indessen bei-
spielshalber eine in 10 Minuten gefundene Temperatur von 36^ C. ge-
nflgen, um Fieber auszuschliessen) ; der Puls jedoch *war noch freqoent
(110); der Durst, trotz Apollinariswasser, Limonade, verschluckten Eisstflck-
chen etc., unstillbar, so dass Patient selbst des ihn verzehrenden Brandes
wegen seinen Körper mit einer glühenden Kohle verglich. Auf Ricinusöl
und Klysma erfolgten 2 malige Stuhlgänge, in welchen indessen keine Gallen-
steine nachweisbar waren. Die Zunge war dick belegt. Auf der Brost
waren hinten unten grossblasige feuchte Rasselgeräusche zu hören ; die Kx-
pectoration war erschwert, so dass man die Rhonchi schon in einiger Ent-
fernung vom Kranken hörte; dabei Klagen ttber Dyspnoe. Diese Rassel-
geräusche nahmen an Extensität immer mehr zu. Am 9. stellten sich
Diarrhöen ein, 10 — 14 pro die; die Stuhlgänge waren ddnnflflssig, hie
und da feste bröcklige Massen enthaltend. Die verschiedensten Styptica
(Bismuth. Hydr. nitr., Tannin, Stärkemehlklystiere, Tinct. thcbaic.) erwiesen
sich unwirksam. Die sonstige Behandlung bestand der drohenden
Lungen- und Herzparalyse wegen in der reichlichen Darreichung von Wein
und in einem Senegainfas mit Liq. Ammon. anis.
Am 11. December Morgens 8 Uhr war der Status praesens fol-
XYII. Kleinere Mitthefinngen. 345
geoder. Keine TemperatureteigeroDg, Pulsfireqaens 112; Hant trocken,
b]<M« die Stime fencht. Patient sehr coUabirt und trots der kräftigen
Nahnmg in den wenigen Tagen etark abgemagert. Dyspnoe; das Gesicl)t
livid; icterische Färbung der ConjonctiTae; die Angen während des (kaum
llnger als V« Stunde dauernden) Schlafes nicht vollständig von den Lidern
bedeckt. Keine Sehmersen; nur Klagen Aber den fortwährenden peinigen*
des Durst Auf der ganzen Brust, vom sowohl als hinten, hOrt man schon
io der Entfernung grossbissiges feuchtes Rasseln. Im Abdomen nichts Ab*
Dormes su fahlen. — Die Stuhlgänge sind immer noch sehr häufig, sehr
dtloD, geftrbt Der Harn, dessen Menge nicht au bestimmen war und der
sich wie oben geschildert verhielt, wurde an diesem Morgen tum ersten
Male auf Aceton resp. Aethyldlacet säure untersucht und letalere
gefanden, indem der Zusata von Eisenchlorid eine tief braunrothe Färbung
berrorbrachte ; der sassliche Acetongeruch war erst wahrsunehmen, als der
Hira einige Tage stand und die Eisenchloridreaction verschwunden war. ^)
Die Ordination bestand, nach dem Vorschlage des zugezogenen Collegen
Dr. Manch in: Aeth. sulf. 5,0 : 200,0, 1— 2stflndl. 1 Esslffl.; femer in
Portwein, schwarzem Theo mit Rum. Den IL Abends: Keine Tempera-
torsteigerung, Pulsfrequenz 112. Immer noch dttnne Stähle. Stockende
Expecloration, Orthopnoe. Am linken Ellbogen vom Aufstätzen beginnen-
der Decubitus. Sonst die Erscheinungen wie heute Morgen.
Den 12. Morgens 8V2 Uhr: Die Nacht Ober 10— 12 malige Diarrhöen
und starke Athemnoth. Von gestern Abend 6 (Ihr bis heute Morgen 8
Uhr wurden 3 Schoppen Urin entleert; derselbe hatte zum ersten Male
wahrend der Krankheit eine röthliche Färbung und Hess ein Sediment
fallen; spec. Gew. 1026; 3,04 pCt. Zucker; Aethyldiaoetsäure gleichfalls
nachweisbar; kein Eiweiss. Temperatur 36^8 (in axilla); Puls 120., sehr
kldn, jedoch regelmässig. — Die Ober die ganze Brust verbreiteten Rassel-
geräusche immer noch auf Distanz hdrbar. — Fat. soll in der Nacht mehr-
mals dellrirt und unfreiwillige Stuhlgänge gehabt haben.
Um 12V2 Uhr: Puls sehr elend, kaum zu ftthlen; Extremitäten kalt;
Patient nicht mehr bei Besinnung. Sehr grosse Beengung; Respirations-
freqnenz 44. Seit heute Morgen hat der Durst nschgelassen. Fat. spricht
mit lallender Stimme. Conjunctivae immer noch gelblich gefUrbt. — Tod
Nachmittags 3 Uhr. — Die Section wurde nieht gestattet.
Fassen wir das Krankheitsbild kurz zusammen, so sehen wir einen
bis dahin anscheinend vollständig gesunden kräftigen Mann von einem Ko-
likanfall ergriffen werden, der, obwohl in den Fäces keine Concremente
nachweisbar waren, früherer ähnlicher AnfUle und des nachträglichen Auf-
tretens von Icterus wegen mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Gallensteine
zurflckgeftthrt werden kann. Gleichzeitig stellte sich bei dem Kranken ein
fast unstillbarer Durst ein ; die Untersuchung des Urins ergab bedeutenden
Zuckergehalt; der frequente Puls und die erschwerte Ezpectoration wiesen
I) Vgl. Neubauer und Yogel (7. Aufl. 1876. 8.122). — Nach Rupstein
(Centralblatt ftLr die med. Wissenschaften. 1874. Nr. 65) spaltet sich die Aethyl-
diacets&ore in Aceton, Alkohol und doppelkohlensaures Natron nach der Formel :
ecHtNaea + 2Hje — €aHo^ 4- 6iH«e -h NaH GOa.
346 XVII. Kleinere MittheUangen.
anf beginnende Herz- und Lungenlähmung bin, welcher der Patient am 6.
Tage der Krankheit erlag, nachdem die Untersnchung des Harns Id den
2 letzten Lebenstagen (frtther wurde nicht darauf untersucht) die Anweseo-
heit von Aethyldiacetsftnre ergeben hatte.
Dass wir es in unserem Falle nicht mit einem symptomatischen Dia-
betes, mit einer s. g. Oiykosurie, zu thnn hatten, dafflr spricht der iiobe
Zuckergehalt des Urins. „ Ein Zuckergehalt von über 2 pCt kommt sicher
nur beim Diabetes vor**. (Senator, v. Ziemssen*s Hdb. XUL Bd. 2. H&lfle
S. 223). Viel ist durch diese Thatsache freilich nicht gewonnen, da die
Pathogenese des Diabetes noch so dunkel ist und wahrscheinlich verschie-
denartige Rrankheitszustände mit dem gemeinschaftlichen Namen des Dia-
betes mellitus bezeichnet werden. Sicherlich hatten wir es bei unserem
Kranken mit einer schweren Affection des Nervensystems zu thun. Wo-
durch war in unserem Falle der rasche tödtliche Ausgang bedingt? Einigen
Aufsohluss gibt uns die Arbeit KussmauTs, der (dieses Archiv Bd. XIV.
1874. S. 2) 3 Fälle mittheilt, wo bei Diabetikern unter dyspaoischen Er-
scheinungen und Koma der Tod rasch erfolgte. Als charakteristisch fflhrt
Kussmaul an: 1) eine Dyspnoe besonderer Art, 2) beschleunigte
Herzth&tigkeit, 3) grosse Aufregung mit Stöhnen etc., Jactation,
heftige Schmerzen, 4) Koma. Die 3 ersten Symptome waren bei unserem
Kranken vorhanden; ein komatöser Zustand war indessen nur am letzten
Krankheitstage bemerkbar. Ein Symptom, welches in unserem Falle vor-
handen war, in den KussmauTschen FftUen fehlte, waren die Diar-
rhöen. Die Dyspnoe welche sich bei unserem Patienten bis zur Ortho-
pnoe steigerte und dadurch zum beginnenden Decubitus des einen Ellbogens
führte, stimmte insofern mit der von Kussmaul beschriebenen tiberein,
als die Respirationsfrequenz beschleunigt und das Athmen regekuAssig war.
Während jedoch in den KussmauTschen Fällen Oberall ganz reines, lautes
und scharfes Vesicnlärathmen zu hören war, ebenso in einem von v. Dusch
(Zeitschr. f. rat. Medic. Neue Folge Bd. 4. 1854 S. 1) beschriebenen Falle,
bestand bei unserem Patienten ein Bronchialkatarrh mit weit verbreiteten
Rasselgeräuschen, der indess die starke Athemnoth nicht erklärte. Ferner
fehlte in unserem Falle die von Kussmaul angegebene Grösse resp. Tiefe
der Athembewegungen ; die Klagen tlber Athemnoth waren trotz der he-
stehenden Orthopnoe bei unserem Patienten keine so lebhaften. — Während
Kussmaul bei seinen Kranken keine ihm zusagende Erklärung fßr die
Dyspnoe und gesteigerte Respirationsfrequenz finden konnte, glaube ich
ftir unseren Fall Folgendes annehmen zu können : Die beginnende Lähmnog
des Vagus bedingte einestheils die vermehrte Schlagfolge des Herzens, tn-
derntheils neuroparalytische Hyperämie (s. Rosenthal, Hdbch. d. Nerven-
krkhten. 1870 S. 508) und Lähmung der Bronchialmuskeln; die dadarcb
hervorgerufene Kohlensäureansammlung im Blute führte in zweiter Linie aar
Reizung des Athmungscentrums und zur vermehrten Respirationsfreqaeni.
— Die von Kussmaul beobachteten Schmerzen in der Regio hypogs-
strica fehlten bei unserem Kranken; dagegen litt derselbe an profusen
Diarrhöen, welche wohl als nervöse aufgefasst werden können. Schwe-
rer ist die Beantwortung der Frage, wodurch diese schweren Nervenstörnngen
bedingt waren; denn die Lehre von der Acetonämie steht meiner An-
sicht nach auf sehr schwachen Füssen. Petters hat nämlich (Prsger
XYIL Kleinere Mittheilungen. 347.
Vierteljsdir. 1857. S. 81), da er im Urine und Blate einer Diabetica Aceton
gefaoden, die Theorie aufgestellt, dass dieaer Stoff eine eigenthflmliche, selbst
tödtliche Intoxication lierrorrofen könne. Obwohl nun Kussmaul bei
Kaoiochen, welche er grosse Mengen Aceton inhaliren liess, hochgradige
Betäubung und Unfähigkeit zu Bewegungen erzielte, so ist doch wie ich
glaube der öfters im Endstadium des Diabetes mellitus auftretende Sym*
ptomencomplez ein ganz verschiedener. Hervorzuheben ist femer, dass
sich in unserem Falle sowie in fthnlichen, nur Aethyldiacetsfture nach-
weisen liess und dass sich erst später durch Zersetzung der genannten
Säure Aceton bildete. Scheube (2 Fälle von diabet. Koma, Archiv der
Heilk. 1876. Hft. 5) hält das diabetische Koma mit Urämie identisch, während
Kernig (8t Petersb. med. Wochenschr. 1876. Mo. 51 u. 52) mit Kuss-
maul diese Ansicht verwirft. Da bei unserem Kranken das Ei weiss im
Harne stets fehlte, fUlt die Annahme einer Urämie von selbst. Es ist
jedoch nicht abzusehen, weshalb es bei Diabetes mellitus, der ja so häufig
zQ tieferen Nierenveränderungen führt, nicht manchmal zur Urämie kommen
soll.ij — Der Lösung erwähnter Frage könnte man vielleicht durch Ex-
perimentiren mit der Aethyldiacetsäure näher kommen.
Die Krankheitsdauer bei unserem Patienten dttrfte wohl eine der kür-
zesten der bei Diabetes mellitus beobachteten sein. Mit voller Bestimmt-
heit ist freilich nicht zu eruiren, ob die Krankheit nicht zuvor bestanden
habe; wir können indessen schon deswegen das Gegentheil annehmen, da
Patient (wie oben bemerkt) sich zuvor vollständig wohl fühlte, durch-
aus keine Kräfteabnahme bemerkte und weder gesteigerter Durst noch ver-
mehrter Appetit vorhanden war. Von grossem Werthe erscheint mir auch
die Angabe der Frau, dass bei ihrem Manne der Urin vor der Krankheit
rötblich gewesen sei und manchmal sedimentirt habe. Selten wird der
Arzt im Stande sein, so genau wie in dem von Wallach (Virch. Arch.
Bd. XXXVI S. 297) mitgetheilten Falle den Anfang der Krankheit bestim-
men zu können. Es handelte sich hier um einen 29jäfarigen Chemiker,
welcher der Vergleichung mit einem diabetischen Harn wegen seinen eigenen
wiederholt mit negativem Erfolge auf Zucker untersucht hatte und der kurz
darauf an einem Bronchialkatarrh und sehr lebhaftem Durste erkrankte;
der nun untersuchte Harn enthielt 8 pCt. Zucker; der Tod trat nach fünf-
wöchentlicher Krankheitsdaner ein. — Unter 100 von Oriesing^r zu-
sammengestellten Fällen dauerte nur einer unter V4 Jähr. — Den rasdiesten
Verlauf sieht man bei Diabetes der Kinder; unter 46 von Kfllz (Gerhardfs
Hdbch. d. Kinderheitk. HI. Bd. 1. Hlft. S. 282) zusammengestellten Fällen
war bei 16 Kindern die Dauer unter f/4 Jahr. In Kfllz's Tabelle findet sich
No. 29 ein von Rösing mitgetheilter Fall von einem 1jährigen an Hydro-
cephalns acutus und Diabetes mellitus erkrankten Knaben, wo der Tod
nach 8 Tagen eintrat, — doch ist hier der Exitus letalis auf die Menin-
gitis zu schieben. — In einem Falle Becquerel's (cit. bei Senator 1. c.
p. 230) soll bei einem 9jährigen Knnben die Krankheit nur 6 Tage ge-
1) Eine Bestätigung meiner Ansicht erhielt ich nachträglich durch die Mit-
theiluDg eines CoUegen, dessen an hochgradigem Diabetes mellitus leidender Bruder
an unzweifelhaft urämischen Erscheinungen zu Grunde ging; die Untersuchung
des Harns ergab bedeutenden Eiweissgehalt.
348 XVII. Kleinere Mittheilungen.
dauert haben. (Bei Lebert, Hdbeb. d. pract. Medic. 3. Aufl. Bd. II. 8. 728)
wird die Dauer auf Iß Tage angegeben; welche Zahl die riehtige, moss
ich bei der Unmöglichkeit das Original zu Tergleichen dahin gestellt sein
lassen). Ein sehr rascher 'Verlauf wurde bei einem 1 1/4 jährigen Kiode
von Busch beobachtet (s. Jahresber. von Virchow und Hirsch. XI. Jahrg.
1877. S. 271). — Seegen (s. dessen Monograph. 2. Aufl. 8. 122) hat bei
400 Diabetikern niemals einen acuten Verlauf beobachtet, was sich wohl
aus dem Umstände erklärt, dass derartige Patienten wohl schwerlich mehr
im Stande sind, Bäder aufzusuchen. — Fälle, wo der Tod in wenigea
Wochen eintrat, sind ausserdem von Dobson (cit. bei Vogel, Virch. Hdbch.
d. spec. Path.u.Ther. VI. 2. Abth. 3. Hft. 8.487), Roberts, Beckler <),
'W. F. Smith 2) und Senator (1. c. 8. 230) mitgetheilt worden.
Die Aetiologie unseres Falles anlangend, ist die Entstehung der
Zuckerhamruhr mit Wahrscheinlichkeit auf die Oallensteinkolik zurtickzn-
fahren. So sehr ich mich bemflht, konnte ich in der mir zugänglichen
Literatur keine ähnliche derartige Entstehungsursache auffinden. Welcher
Art dieser ursächliche Zusammenhang ist, darüber könnte man wohl leicht
eine mehr oder minder plausible Hypothese aufstellen, was wir jedoch un
so mehr vermeiden, als ja die Pathogenese des Diabetes in sehr vieleo
Punkten noch in tiefes Dunkel gehüllt ist; können wir ja höchstens be-
haupten, dass es sich bei demselben um eine AffSection des Nerrensysteois
handle. Vielleicht ist in unserem Falle die Entstehungsursache eine äbo-
liehe wie in den Fällen, wo durch directe Verletzung der Leber Glykosorie
entstand. Bernard und Fischer erzählen je einen Fall, in welchem
Glykosurie durch einen Stoss in die Lebergegend auftrat; Schiff erzeugte
einen vorübergehenden Diabetes durch Einstechen von Nadeln in die Leber;
Pavy dadurch, dass er die Pole einer galvanischen Batterie in das Organ
einsetzte und dann einen Strom hindurchgehen liess (Blau, Schmidfs
Jahrbücher Bd. 165. S. 189). Vielleicht ist für unseren Fall auch die m
Ph. Munk (Innsbruck, Tagebl. d. Naturforschervers. 1869. 8. 113) gefoo-
dene Thatsache nicht ohne Bedeutung, dass nach partieller Exstirpation des
Ganglion solare Diabetes auftritt, da ja der Plexus hepaticus mit dem
Sonnengeflechte im Zusammenhange steht.
Anschliessend an obige Mittheilnng erlaube ich mir in Kürze über die
von mir in Worms und Umgegend beobachteten Fälle von Diabetes zu b^
richten. Es sind dies 11 an der Zahl; davon 4 Männer, 7 Weiber; fflitf
Erkrankungen hiervon kommen auf Juden. Wenn es erlaubt ist, aus einer
so kleinen Zahl Schlüsse zu ziehen, so ist das Verhältniss des mänolicheo
zu dem weiblichen Geschlecht hierin gerade das umgekehrte als sonst (See«
1) Beckler*s Fall betrifft einen 8jährigen Knaben; die Daner der Krankheit
war ungefilhr 4—5 Wochen (Bayr. ärztl. Intelligenzblatt. XV. U. 166S).
2) Es handelte sich um einen 16jährigen Landknecht; die Dauer der Krank-
heit war 4 Wochen; der Tod erfolgte im Koma (Brit. Med. Joum. 1871. 23.Dec.).
- Ein ähnlicher Fall wurde von Prof Bohn (Acuter Diabetes melUtus mit a(V-
diabetischem Coma endend. Centralzeitung fQr Kinderhellk. 1. Jahig. Nr. 6 -
bei einem 13 jährigen Mädchen) mitgetheilt.
XVn. Kleinere MittheUungen. 349
geo dhlt bei 140 Diabet. 100 Mftnser, 40 Weiber; Dickinsoo bekam
bei seiner ZusammensteliaDg 4273 Mftnner, 2223 Weiber). Worms mit
seiner Umgebung scheint sieb Ähnlich wie Thflringen eu verhalten; auf
der Jenaer Klinik kamen in einer Reihe von Jahren auf 13 Diabetiker
onr 3 Minner. Das stärkere Befallenwerden der hiesigen Juden bestätigt
die Behauptung See gen 's von der stärkeren Disposition derselben zu
Diabetes; (Seegen beobachtete unter 140 Diabetikern 36 Juden). Hie-
sige CoUegen, die ich deswegen befragte, wollen eine ähnliche Bemerkung
gemacht haben. Ob Seegen's Annahme einer grösseren Erregbarkeit des
Nerrensystems bei den Juden als Erklärung hierfür richtig ist, muss ich da-
hingestellt sein lassen ; mir scheint das hereditäre Verhältniss bei den Juden
eine grössere Rolle bei der Aetiologie des Diabetes zu spielen als bei
Christen. Soviel mir bekannt, fehlen darüber noch genauere statistische
Angaben.
Unter meinen Fällen befinden sich 2 ältere Frauen (eine von 75, die
andre von 67 Jahren); bei beiden verläuft der Diabetes sehr milde; ein
aufTallender umstand bei beiden ist mir, dass der Harn trotz hohem spec.
Gewicht nicht die gewöhnliche blassgelbe, sondern eine weingelbe Färbung
besitzt. Einen ätiologischen Zusammenhang mit Ischias konnte ich nicht
nachweisen (Braun, System. Lehrb. d. Balneotherapie 1868. S. 343 will
wiederholt bei Ischias einen symptomatischen Diabetes mellitus wahrgenom-
men haben, in 7 Fällen 4 mal; auch Eulenburg und Gutmann, Pathol.
d. Sympathictts, 1873 8. 194 wollen ähnliche Erfahrungen gemacht haben);
ich glaube dass gerade umgekehrt eine symptomatische Ischias bei Dia-
betes nicht selten ist (s. auch Erb, v. ZIemssen's Hdbch. 1. Aufl. Bd. XII. 1.
Hälfte S. 154). So leidet die oben erwähnte 7 5 jähr. Patientin schon seit
Jahren an heftiger doppelseitiger Ischialgie; eine andre 40 Jähr. Diabetica
wird häufig von jedoch rasch wieder schwindenden Schmerzen der Hüft-
nerven heimgesucht; ich kenne ferner eine Beobachtung bei einer 70 jähr,
diabetischen Frau, die heftiger Ischias wegen Jahre lang Wildbad besuchte
nnd später unter apoplektiformen Erscheinungen sp Ornnde ging. — Unter
meinen 7 weibl. Kranken befanden sich 3 mit Affectionen des Uterus (eine
55 jähr. Frau litt an Fibroid; 2 andre an Prolapsns uteri. Ob diese Er-
krankungen der weiblichen Genitalien zuMlig sind, oder ob ein gewisser
causaler Zusammenhang mit Diabetes besteht, ist nur an einer grösseren
Zahlenreihe nachzuweisen. In einem der von Kussmaul mitgetheilten
Falle (l. c. S. 1) litt die 3 5 jähr. Frau gleichfalls an Senkung des Uterus
und Geschwüren des Gerviz. Man muss sieh Indessen um so mehr vor
rasch gezogenen Schlössen hflten, als die erwähnten Qenitalaffectionen bei
Frauen ja so häufig sind. — Aehnliches habe ich bei einem diabetischen
Manne, den ich einige Zelt fflr einen (Tollegen behandelte, beobachtet, in-
dem bei dem Patienten eine hochgradige Strictur der Harnröhre bestand.
— Erblichkeit sah ich zweimal: einmal bei einer 40 jähr. Jüdin, deren
Vater und einer Bruder an Diabetes starben nnd der andre Bruder noch
jetzt an gleicher Krankheit leidet ; dann bei meinem Vater (bei den erwähnten
11 Fällen nicht mitgerechnet), welcher nebst einer 7 3 jähr. Sohwester und
einem Schwestersohne an Zuckerharnruhr starb. Sicher spielt die Here-
dität beim Diabetes eine grössere Rolle, als man nach der Statistik glauben
sollte, da ja in vielen Fällen die Todesursachen der Familienglieder vom
350 XVII. Kleinere MittheUangeD.
Patienten entweder falsch oder gar nicht angegeben werden, von den dia-
gnostischen Schwierigkeiten mancher DiabetesfUlle und der dadurch beding-
ten Vefkennnng der Krankheit gar nicht zu reden. — Ich kann nur den
Satz unterschreiben, dass es Fälle ?on Diabetes gibt, welche sich sonst
durch kein Synoptom verrathen und dass nur eine fleissige Hamuntersachang
bei chronisch Kranken Irrthflmer in dieser Beziehung vermeiden iftsst.
3. .
Morphiumvergiftung eines 14 Tage alten Kindes
mit gttnBtigem Ausgange.
Von
Dr. Adolf Wertheimber
in Mttncban.
Am Abend des 16. Februar 1. J. wurde ich zu einem 14 Tage aiteo,
wohl ausgebildeten Kinde gerufen, weiches an der Brust einer Amme ge-
nährt wurde; wegen einer leichten Darmaffection verordnete ich fUr das-
selbe kleine Gaben von Calcar. carbon. praecip. in abgetheilten Palvero.
Andern Tages gegen 6V2 Uhr Morgens wurde eiligst nach mir geschick:
mit dem Bemerken, dass das Kind sterbend sei.
Bei meinem Eintreffen fand ich folgenden Zustand: Das Kind lag
regungslos auf dem Kissen, im tiefsten Coma; Kopf schlaff nach hinteo
herabhängend, auch die Muskeln der Gliedmaassen völlig erschlafft; Haut
livid, insbesondere starker Livor an den Lippen und Nägeln ; die gesammte
Körperoberfläche sehr kühP), an Stirn und Rumpf feucht; Respiration ver-
langsamt, flach und seicht, von Zeit zu Zeit einige langsam aufeinander
folgende schnappende Athemzflge; Herzschlag schwach, aussetzend, Puls
an der Art. radialis nicht fühlbar; die Buibi nach oben gerollt, Horobaut
matt, glanzlos, Bindehaut von einigen injicirten GeHUsen durchzogen. Con-
vulsionen waren nicht vorhanden und auch nicht vorhergegangen ; aber kurz
vor meiner Ankunft war Erbrechen einer geringen Menge schleimiger FlQsaig-
keit, welche theil weise wieder verschluckt wurde, eingetreten.
Die erste flüchtige Betrachtung des Kindes Hess mich vermuthen, dm
es sich um eine mit Steigerung des intracraniellen Druckes verbundene
Läsion handehi möchte, und ich dachte zunächst an ein spontan oder auf
traumatischem Wege entstandenes Extravasat im Gehirne. Beztlglich einer
traumatischen Einwirkung wurde von den Angehörigen des kleinen Patienten,
welcher iu sorgsamster Pflege stand, auf das Bestimmteste in Abrede g^
stellt, dass derselbe einen Fall, einen Stoss auf den Kopf oder dergK er-
litten hätte. Gegen die Annahme einer Hirnblutung sprach aber noch ein
1) Eine Temperaturmessung vorzunehmen, habe ich in der fiedrSogniss d«
Augenblicks leider vers&umt.
XVIL Kleinere MittheUungen. 351
weiterer gewichtigerer Umstand, nämlich die Beschaffenheit der grossen
FontsDelle, deren Spannnng vielmehr vermindert als erhöbt erschien nnd
welche keine Spur von Pnlsation erkennen Hess.
Bei genauerer Untersuchung des Kindes nun frappirte mich eine Er-
seheinnng, welche meiner Aufmerksamkeit anfinglich entgangen war: die
Pupillen nämlich zeigten sich aufs Aeusserste verengt,
punktförmig.
Mit der Entdeckung dieses Symptoms, welche durch die Stellung der
Balbi einigermaassen erschwert gewesen, war auch die Beurtheilung des
Falles sofort auf eine andere Fährte gelenkt: eine so ungewöhnlich hoch
gesteigerte Myosis musste nothwendiger Weise den Verdacht erregen, dass
eine Vergiftung durch Opium oder Morphin vorläge. Die hierauf
angestellte Nachforschung fflhrte auch zur vollständigen Aufklärung des
Tbatbestandes. Es ergab sich nämlich, dass dem Kinde durch eine Ver-
wechslung des R^eptes statt der verordneten Arznei ein Pulver verabreicht
worden war, welches Morph, muriat. in der Dosis von 0,01 enthielt. Gegen
4^2 Uhr Morgens war ein solches Pulver dem Kinde gegeben worden und
1 \i Stunden später war dasselbe in den oben geschilderten Zustand verfallen.
Nach gesicherter Diagnose schritt ich unverzüglich zur Vornahme der
kflostlichen Athmung durch rhythmische Compression des Brustkorbes —
ein Verfahren, das hier in leichter und ergiebiger Weise ausfahrbar war;
gleichzeitig Hess ich die Zimmerwärme auf il^ R. erhöhen, den Körper des
Kindes andauernd in heisse Tücher einhüllen und flösste ihm löffelweise
schwarzen Kaffee ein. Alsbald wurde der Herzschlag deutlicher, die Athem-
zflge etwas tiefer und die Gyanose wich einer intensiven Blässe. Ich liess
non durch eine geflbte Person die kflnstiiche Athmung zeitweilig fortsetzen,
ebenso die Erwärmung des Körpers und gab die Weisung, das Kind in
der Zwischenzeit in leicht schaukelnder Bewegung umherzutragen ; innerlich
wurde der schwarze Kaffee, abwechselnd mit Liquor ammon. anis. (in einer
Mixtura gummosa) fortgegeben. Diese Verordnungen wurden pünktlich aus»
geführt und schon Mittags hatte sich der Zustand des Kindes merklich
gebessert. Um 5 Uhr Abends — mithin nach einer mehr als 12 ständigen
Pause — erfolgte zum ersten Male wiedei* eine Harnentleerung; Stuhlgang
wurde durch ein Klysma herbeigeführt ; Versuche, das EÜnd nunmehr zum
Saugen zu veranlassen, blieben noch erfolglos; erst um 7 Uhr Abends
machte es einige schwache Züge an der Brust und einige Stunden später
kam das Stillen wieder in besseren Gang.
Die Genesung machte nun rasche Fortschritte; am nächsten Morgen
hatten die Pupillen ihre normale Weite wieder erlangt und in kurzer Zeit
hatte sich der kleine Patient von dem verhängnissvollen Zufalle vollständig
erholt. Das 14 Tage alte Kind hatte vom Morgen bis zum Abend beiläufig
150 Grro. schwarzen Kaffees und 1 Grm. Liquor ammon. anis. verbraucht,
ohne dass hierdurch die geringste gastrische Störung oder irgend eine andere
nachtbeilige Wirkung hervorgerufen worden wäre.
In diesem Falle, in welchem der Verdacht auf Morphin -Vergiftung
ganz und gar ferne lag und keinerlei äussere Umstände auf die Annahme
einer solchen hinlenkten, war es allein die Myosis, die zur richtigen Deu-
tung der fast plötzlichen und schweren Erkrankung führte. Das genannte
Symptom ist für die Erkenntniss derartiger Fälle im Kindesalter um so
352 XVU. Kleinere Mitthdlungen.
werthToller, als ee in gleich hohem Qrade keiner anderen dem betreffenden
Lebensalter eigenthümiichen Krankheitaform zukommt.
Die Diiferentialdiagnose awischen Morphin Vergiftung und der coma-
tösen Form der Meningitis simplex, welche schon im frühesten
Kindesalter beobachtet wird, kann trotz mancher Aehnlichkeit des Krank-
heitsbildes schon deshalb kaum in Betracht kommen, weil letztere stets tod
hohem Fieber begleitet ist. Weit schwieriger hingegen ist die Unterschei-
dung von den intermeningealen Blutungen, von welchen sowohl Neo-
geborene als auch Kinder in den ersten vier Lebenswochen befallen werden.
Bei einigermaassen grösseren Blutergüssen In den Arachnoidealsack könoeo
die Erscheinungen denjenigen der Morphinvergiftung aufs Täuschendste iho-
licii werden ; gleichwie bei letzterer finden sich auch bei der Haemorrhigia
meningum : Sopor, kühle und livide Haut, schlaff (gelähmt) herabhangende
Extremitäten, unregelmässige und verlangsamte Respiration, kleiner, retar-
dirter Puls und verengte Pupillen. Das unterscheidende Merkmal liegt aber
— ausser in dem geringeren Grade der Myosis — vor^BUgsweise in deio
verschiedenen Verhalten der grossen Fontanelle, welche bei der
in Rede stehenden Hirnblutung gespannt, vorgewölbt und — wenigstens in
Anfang — stark pulsirend erscheint, während sich in unserem Falle von
Morphinvergiftung das Verhalten der Fontanelle vielmehr demjenigen näherte,
welches den Gollapszuständen eigen ist. Die Erklärung für die eben er-
wähnte Erscheinung dürfte wohl in der durch Lähmung namentlich des
vasomotorischen Oentrums bedingten Abnahme des arteriellen Blutdrackes
zu suchen sein.
Wie tief die Irritabilität des veriängerten Marks in dem oben geschil-
derten Falle gesunken sein musste, beweist unter Anderem 4er umstand,
dass trotz der bekanntlich sehr hohen Reflezerregbarkeit im frühesten Kio-
desalter das stark venöse, kohlensäurerdche Blut keine Erstickungskrämpfe
zu erzeugen vermochte.
.•-"'-
xvin,
rrbotiscbe Verkleinerung des Magens und Schwund der Labdi*üsen
unter dem klinischen Bilde der perniciOsen Anämie«
Von
Prof. Dr. n. Kothnagel
in Jena.
Vor Jahresfrist beobachtete ich den nachstehenden Erankheitsfally
äsen Mittheilung vielleicht einiges Interesse bietet, weil er einen
der letzten Zeit in der englischen Literatur mehrfach bespreche-
Q, bei uns in Deutschland dagegen wenig erörterten Zustand be-
flt Der in Rede stehende Patient bot das ausgeprägte Bild der
g. progressiven perniciösen Anämie dar. Ich glaubte als dieser
Grunde liegendes ursächliches Moment eine Atrophie der
agendrdsen beziehentlich der Schleimhaut des Magens,
iet wie die englischen Autoren es kurzweg nennen, eine Atrophie
D8 Magens annehmen zu sollen. Die Section erwies diese Dia-
loge als richtig; ergab aber nicht blos die Atrophie der Magensaft-
'flsen, sondern zugleich eine enorme Verdickung der Magenwände
» gleichzeitiger Verkleinerung des Organs im Ganzen — eine hoch-
ftdige Cirrhosis ventriculi.
Die wesentlichen Punkte der Krankengeschichte sind, mit Rttr-
^g beziehentlich Uebergehung alles nicht in Betracht Kommenden,
?6nde :
Friedrich R., 23 jähriger Schubmacher, lieber erbliche Anlagen nichts
ermitteln. In frühester Jugend Masern; im 9. Lebensjahre eine „Darm-
KfinduDg" (ohne weitere Angaben) und bald darauf eine Lungenentzün-
ig. Fat. war stets schwächlich und hinter seinen Altersgenossen in der
"perlichen Entwicklung zurück, will aber sonst bis zu seinem 15. Jahre
Und gewesen sein. Er trinkt gar nicht und stellt Lues entschieden in
t^ede; auch ergibt die Untersuchung weder für die eine noch die andere
Uahme Anhaltspunkte. Er macht einen geistig beschränkten Eindruck.
Ueber den Beginn seines gegenwärtigen Leidens macht er eine sehr
^nthümlicbe Angabe. Vor 9 Jahren verzehrte er einen Hundekopf. Als
^egen dieser Mahlzeit von seinen Genossen verspottet wurde, bekam
DrattcbM ArchlT f. klin. Hedicin. XXIV. Bd. 23 ^
354 XVIII. Nothnagel
er alsbald nach der Mahlzeit Ekel und sehr starke Brechneigung, erbrach
jedoch nichts. In der darauffolgenden Zeit will er öfters erbrochen haben,
namentlich nach festen schweren Speisen (lyKlösse** werden besondere be-
tont), and zwar meist alsbald nach dem Essen. Flttssige Nahrung wurde
vertragen. Er kam allmählich so herunter, dass er seine Arbeit aufgeben
musste. Bei einer strengen Diät, welche sich auf eine überwiegend flüssige
Nahrung beschränkte, war das Erbrechen geringer, hörte aber nie ganz
auf. Mit diesen Klagen stellte er sich im August 1874 in der hiesigen
Poliklinik vor; in dem Journal ist bemerkt: „Aufstossen von bitterem Ge-
schmack, Stuhlgang unregelmässig; Schlundsonde kommt ohne Hindemiss
bis in den Magen. * Nach Entfernung der Sonde soll, wie Pat. angibt —
doch schweigt das Journal hierflber — , durch den Mund eine beträchtliche
Menge Blut und übelriechender Eiter sich entleert haben. Seit jener Zeit
besserte sich der Zustand, so dass er grössere Mengen auch consistenter
Nahrung ohne Gefahr des Erbrechens zu sich nehmen konnte; dabei hoben
sich die Kräfte und er konnte wieder etwas arbeiten. — Im Spätsommer
1877 zog er sich eine Durchnässung und Erkältung zu; auf diese folgte
Frost und danach stellte sich wieder eine Verschlimmerung seines Magen-
leidens ein. Erbrechen allerdings, welches seit 1874 ausgeblieben war,
trat auch jetzt nicht auf, wohl aber Brechneigung, wenn er etwas grössere
Mengen ass ; besonders aber klagte er, dass er nach Genuse weniger Bisseo
sich schon voll ftthle und warten müsse „bis die Speisen sich gesetzt
hätten"; auch will er beim Schlingen grösserer Bissen hinter dem Stemon,
etwa dessen Mitte entsprechend, eine schmerzhafte Empfindung haben. Seit
vorigem Herbst besteht auch wieder starkes Aufstossen nach dem Essen,
der Stuhl ist angehalten und er will seitdem wieder sehr heruntergekom-
men sein. Seit einiger Zeit hat auch das Sehvermögen abgenommen.
Status praesens Anfang Mai 1878 bei seinem Aufenthalt in der
Klinik.
Pat. ist für sein Alter dürftig entwickelt; die Knochen zart, die Mus-
keln besonders am Oberkörper atrophisch, der Panniculus welk; doch ist
zu bemerken, dass der Schwund des Fettpolsters in keinem parallelen Ter-
hältniss zu der excessiven Blässe steht, nicht so bedeutend ist wie man
nach dem Grade der letzteren erwarten sollte. Wachsbleiches Ausseben
des ganzen Gesichts ; der Lippen, der Mundschleimhaut; dabei leicht icte-
rischer Anflug der Conjunctivae. Haut am Rumpf spröde und trocken.
Keine Oedeme. — Ausser den in der Anamnese angegebenen Beschwerden
klagt der Kranke über hochgradige Mattigkeit und über ein beständiges
Kältegefühl ; bei theilweiser Entblössung des Körpers sofort Gänsehaut ood
Zittern.
Puls 80 — 90 ; enge Radialis, niedrige Welle, geringe Spannung. R^p«
12; Temp. 37,3 (Rectum).
Das Blut siebt blass aus. Die rothen Blutkörper sind entschieden
(der Schätzung nach) im Gesichtsfeld an Zahl vermindert, die weissen aber
nicht vermehrt. Die rothen Zellen zeigen neben normalen Formen die ver-
schiedenartigsten Gestaltveränderungen y ganz kleine (Mikrocyten), bimför*
mig ausgezogene, semmelförmige u. s. w. (ausgeprägte Poikilocytoee).
Beständiges Flimmern und Schwarzsehen vor den Augen. Der Augea-
hintergrund ist im Allgemeinen blasser als normal; daneben finden sich
Cirrhotische Yerkleinerang des Magens and Schwand der Labdrüsen. 355
aber beiderseits Himörrhagien von zum Tbeil bedentendem Darchmesser
in sehr grosser Zahl. Sie sind punktförmig, grossfleckig, breitstreifig ; neben
der einen Papille liegt ein halbmondförmiger Fleck. Meist finden sie sich
neben den Oefässen, deren Richtung folgend. An den Papillen selbst nichts
fiemerkenswerthes.
Ab und zu Nasenbluten.
Appetit sehr gering; Pat. geniesst fast nur flttssige Nahrung, und
diese immer nur in kleinen Mengen ; dabei wird jedesmal nur ein kleiner
Bissen hinuntergeschluckt. Der Schlingact selbst scheint flbrigens normal
vor sich zu gehen. Zunge blass, feucht, nicht belegt Bei ruhiger Lage
kein Schmerz.
Abdomen kahnförmig eingesunken; etwas Diastase der Musculi recti.
Im Epigastrium sieht man oberhalb des Nabels das Pnlsiren der Aorta.
Druck im Epigastrium etwas empfindlich ; aber die Palpation lässt nirgends
am Abdomen etwas Besonderes erkennen, insbesondere ist in der Magen-
^end ein Tumor oder eine sonstige Abnormität nicht mit Sicherheit zu
palpiren.* Auch die Percussion ergibt im Wesentlichen anscheinend nor-
male Verhältnisse.
Bei der Untersuchung mit der Schlundsonde gelangt man ohne Schwie-
rigkeit in den Magen.
Am Herzen, ausser einem leichten systolischen Blasen, und in den
Longen nichts Pathologisches nachweislich.
Urinmenge vermindert, c. 500 CC, Sp. Gew. 1,0 15, sauer, klar, gelb,
ohne Eiweiss, aber deutliche Indlcanreaction. —
Verlauf. Der Zustand blieb in allen genannten Erscheinungen durch
die folgenden Wochen der gleiche; dazu kamen folgende Veränderungen:
von Mitte Mai ab stellte sich Temperaturerhöhung ein, aber mit einer voll-
ständig irregulären Curve, das Minimum 37,8^, das Maximum 39,5® (im
Rectum); bald war die Morgen-, bald die Mittags-, bald die Abendtempe-
ratnr die höchste.
Mehrmals traten AnfliUe von Bewusstlosigkeit auf, anscheinend syn-
eopaler Natur. Am 25. Mai unvollkommener Bewusstseinsverlust, Patient
spricht etwa 20 Minuten lang wirr vor sich hin, und man constatirt eine
Parese des rechten Facialis und der rechtsseitigen Extremitäten. Er kam
dann wieder zu sich und eine halbe Stunde später war von den Lähmungs-
eracbeinungen nichts mehr zu bemerken.
Am 30. Mai wurde die arterielle Transfusion gemacht, und zwar wurde
das von einem gesunden Studenten entnommene Blut in das periphere Ende
der rechten Radialis mjicirt. Patient befand sich in den ersten Tagen da-
nach besser (die genauere Schilderung der Einzelheiten übergehe ich). Die
Transfusion wnrde aber nicht wiederholt, weil die erste Wunde, trotz strenger
Antisepsis, nicht die mindeste Neigung zur Verheilung zeigte. Dann ver-
fiel der Kranke immer mehr, an verschiedenen Hautstellen traten Petechien
aaf, und am 8. Juni erfolgte der Tod.
Seetion (Prof. W. M All er) im kurzen Auszüge, mit alleiniger Her-
vorhebung der pathologischen Veränderungen. Hochgradige Blässe aller
Organe; Unterhautbindegewebe nahezu fettlos, Muskeln dttnn und bleich,
b Ferschiedenen Organen finden sich Hämorrhagien , meist punktförmig,
zum Tbeil auch etwas grössere Stellen bildend, so im Pericardium, in beiden
23*
356 XVm. NOUSNAOEL
Pleuren, am Kehldeckel, in der Larynxschleimhaat, im Oesophagus, in der
Blase, im Lig. gastro-colicam. Eine Anzahl theils panktförmiger thetls
mehr fläcbenhafter Sugillationen in der Retina beider Balbi ; ebenso in der
Lamina fasca der vorderen H&lfte des Bnlbns.
Hypostatische Pneumonie beider Unterlappen, besonders links, und
gleichfalls besonders links serofibrinöse Pleuritis. — Einige frische Excres-
cenzen am inneren Mitralsegel.
Ziemlich starke und ausgedehnte Paehymeningitis haemorrhagica. Ge-
hirn im Allgemeinen sehr bleich. Haselnussgrosser rother Erweicbungsherd
in der Pars frontalis media des Gentrum semiovale linkerseits; eine An-
zahl punktförmiger Hämorrhagien zwischen diesem Herd und der grauen
Substanz des Gyrus fornicatus in dessen Stirnabschnitt. Zerstreute punkt-
förmige Hämorrhagien in beiden Inneren Kapseln, in beiden Ammons-
hörnern, in den Basa|theilen von Linse und SehhQgel, in Haube und Basis
des Hirnstiels, in beiden Gerebellarhemisphären.
Im Oesophagus ausser den erwähnten Hämorrhagien nichts wesentlich
Pathologisches.
Der Magen, welcher äusserst wenig gallig gefärbten trüben Inhalt
hat, ist hochgradig verkleinert. Seine Länge beträgt t2 Gentimeter, der
senkrechte Durchmesser von der kleinen zur grossen Gurvatur in maximo
6 Gentimeter. Das Lumen hat einen derartigen Durchmesser, dass es etva
eine grosse Birne aufnehmen könnte. Dabei sind die Wandungen enoro
verdickt, steif und starr, knirschen fast unter dem Messer. Die Verdickung
ist gleichförmig, glatt, am stärksten nach dem Pylorns zu ausgesprochei ;
hier ist die Submucosa beinahe 1 Gentimeter dick, grauweiss; die Mob-
cularis 6 Millimeter dick, graugelb. Die Schleimhaut im Gardiatheil schwie-
lig, intensiv rostgelb gefib'bt; im Pylorustheil theils glatt und grauweiss^
theils schwielig und an der Oberfläche wie rauh, rostgelb. — Im ganzen
übrigen Darm nichts Pathologisches.
Der mikroskopische Befund ist nach einer freundlichen Aufsdeii-
nung meines verehrten Gollegen Prof. W. Müller folgender:
Der Bau des Magens ist an der Gardia, am Pylorus und drei da-
zwischen gelegenen Stellen untersucht .worden.
An der Gardia und den drei zwischen Gardia und Pylorus befindliclien
Stellen ist die Schleimhaut auf senkrechten Schnitten am in Alkohol ge-
härteten Präparat 0,15 bis 0,45 Mm. dick, während ihre Dicke am ent-
sprechend gehärteten normalen . Magen im Mittel 1,1 Mm. beträgt Die
Oberfläche ist theils eben, theils wellig, hie und da mit kurzen, relatir
dicken papillären Vorsprflngen besetzt. Epithel ist an der Oberfläche nicht
nachweisbar. Die Stelle der Schleimhaut wird eingenommen
von welligem fibrillärem Bindegewebe, mit spärlichen 6e-
fässen. Das Bindegewebe ist theils zellenarm, theils reich an Leukocjteo
und ellipsoidischen Zellen. Die Menge der zwischen den Fibrillen befind-
lichen Zellen ist an den Stellen mit stärkerer papillärer Unebenheit so be-
trächtlich, dass der Bau an jenen cytogenen Bindegewebes erinnert. Nach
Aussen hin nimmt auch an diesen Stellen der Zellenreichthum ab. An des
sugilürten Stellen sind die Maschen des Bindegewebes auseinandergedrängt
und von dicht gedrängten Blutkörpern erfüllt. Drüsen sind an allen
diesen Stellen nicht nachweisbar.
Cirrhotische Yerkletnerang des Magens und Schwand der Labdrüsen. 357
Die Moscularis mncosae ist streckenweise verdickt, enthalt aber noch
Moskelzellen ; die Verdickung ist am Cardiatheil beträchtlich.
Das stark verdickte submncöse Bindegewebe verhält sich ungleich, in-
dem dasselbe theils den gewöhnlichen Bau schwieligen Bindegewebes zeigt,
theilfl von mehr lockerer Beschaffenheit ist und zahlreiche z. Th. grosse
Spaltränme enthält, was vermnthen lässt, dass im frischen Zustande schwie-
lige und ödematöse Stellen mit einander abgewechselt haben. An beiderlei
Stellen ist das snbmocöse Bindegewebe zellenarm.
Die stellenweise enorm verdickte Maskelschicht ergibt den Befand ein-
facher Hypertrophie.
Am Pylorus ist der Bau der Magen wand in einer wenig über 10 Mm.
breiten Zone wesentlich anders beschaffen. Die Schleimhaut besitzt hier
ao der Grenze gegen das Duodenum auf senkrechten Schnitten am gehär-
teten Präparat eme Dicke von 1,1 Mm.; in der Richtung gegen die Car-
dia nimmt diese Dicke erst allmählich, dann rascher bis auf 0,55 ab. Die
Drüsen zeigen an der Grenze gegen das Duodenum normalen Bau mit spär-
lichem, Längsmuskeln führendem, interstitiellem Bindegewebe ; in der Rich-
timg gegen die Cardia nehmen die Drüsen an Höhe ab und zugleich ist
ihr Verlauf mehr unregelmässig, das Lumen streckenweise erweitert. Das
ioterstitielle Bindegewebe wird, je mehr gegen die Cardia hin, desto reich-
licher und zeigt grossen Reichthum an spindelförmigen, namentlich aber
an runden Zellen; seine Masse nimmt gegenüber jener der Drüsen rasch
in dem Grade zu, dass an der Grenze der Pyloruszone nur noch verein-
zelte kurze streckenweise erweiterte Drüsen in demselben nachweisbar sind.
Der Bau des Duodenum zeigt keine Abweichung von der Norm.
Dass nnser Kranker die Gesammtheit der Erscheinangen dar-
bot, bei deren Vorliandensein man den klinischen Begriff der seit
Biermer so genannten pernieiösen progressiven Anämie diagnosti-
cirt, bedarf keiner weitern Ausführung. Hochgradigste allgemeine
Blässe, alle Folgesymptome der Anämie, Netzhautblutungen, anämi-
sches Fieber, Mikro- und Poikilocytose , und dazu auf den ersten
Blick anscheinend negatives Ergebniss bei der Untersuchung der ein-
zelnen Organsysteme — diese Momente genügen für die Diagnose.
Auf die Frage, ob die pemiciöse Anämie immer nur der sympto-
matologische Ausdruck bestimmter, verschiedenartigster Organerkran-
kungen sei, oder auch als „selbständige'' Bluterkrankung auftreten
könne, überhaupt einzugehen, liegt hier nicht in meiner Absicht.
Für unseren Fall musste man bei genauerer Ueberlegung auf die
Vermuthung geführt werden, dass dieser hochgradigsten Anämie eine
bestimmte anatomische Lftsion als Ursache zu Grunde liegen möchte
— und zwar wiesen die Erscheinungen auf den Magen, als das primär
erkrankte Organ, hin. Das Leiden begann vor neun Jahren mit Er-
brechen, und während des ganzen Verlaufes berichtet Patient über
ein Steigen und Fallen der Allgemeinsymptome im fortlaufenden
358 XYIIL Nothnagel
Verhältniss mit den oben geschilderten Magensymptomen, bis scbliess»
lieh erstere in den Vordergrund traten und dem Krankheitsbilde den
massgebenden Stempel aufprägten.
Welcher Natur aber konnte dieses Magenleiden sein? Ich glaube
nicht des Weiteren ausführen zu müssen, wie sehr erhebliche Be-
denken gegen die Annahme eines Ulcus simplex oder einer malignen
Neubildung sprachen, wenigstens fehlen verschiedene positive An-
haltspunkte für dieselben. Auch eine blosse chronische Dyspepsie,
oder ein gewöhnlicher chronischer Magenkatarrh (im gebräuchlichen
anatomischen Wortsinn) dürften zur Erzeugung eines derartigen
Erankheitsbildes nicht ausreichen. Dagegen entsprach dasselbe darch-
aus demjenigen, welches am ausführlichsten S. Fenwick als bei
Atrophie der Labdrüsen vorkommend geschildert hat.
Dass bei unserem Falle die Cirrhose des Magens das Primäre,
die Drüsenatrophie das Secundäre gewesen, kann man wohl mit einiger
Wahrscheinlichkeit annehmen. Was aber die Anregung zu der Binde*
gewebswucherung gegeben, ist schwerer zu bestimmen. Die anamne-
stische Angabe des Kranken, dass nach der Einführung der Sonde
Blut und Eiter sich entleert habe, könnte auf die Vermuthung einer
vorhergegangenen Gastritis phlegmonosa führen ; indessen ist es frag-
lich, wie weit man den Mittheilungen des stupiden Patienten trauen
darf, namentlich da in dem poliklinischen Journal gar nichts davon
bemerkt ist. Alkoholmissbrauch, aufweichen namentlieh Brinton^)
Gewicht legte, hat hier entschieden nicht stat^efunden. Dass die
Hypertrophie durch das Erbreehen angeregt sei — Bruch 2) meint,
dass rt neurotische Zust&nde, namentlich krankhaftes und anhaltendes
nervöses Erbrechen zu Hypertrophien führen ' könne — ist eine fOr
diesen Fall (wenn überhaupt) wohl kaum beweisbare Hypothese. Da-
gegen erscheint es als das Nächstliegende, dass hier ein Magen-
katarrh der Ausgangspunkt gewesen sei, welcher dann auch in
den tieferen Gewebsschichten Veränderungen veranlasste. L e u b e ^)
scheint, abweichend von mehreren anderen Beobachtern, diesen Modm
für alle Fälle von Girrhosis ventriculi anzunehmen. Allerdings, wenn
die Sache sich so einfach verhielte, bliebe immer noch zu beant-
worten, warum trotz der grossen Häufigkeit der chronischen Magen-
katarrhe Cirrhose sich so relativ selten entwickle.
Indessen beabsichtige ich in dieser kuven Mittheilung auch niebt,
1) Krankheiten des Magens, übersetzt von Bauer. Wttrzborg 1B62.
2) Ueber Magenkrebs und Hypertrophie der Magenb&ute in anatomischer and
klinischer Hinsicht. Zeitschrift für ration. Med. 1849. YÜI.Bd. 3. Heft
3) V. Ziemssen*s Handbuch d. spec. Path. u. Ther. Bd. VH. 2. H&lfte. 2. Aai
Cirrhotische Verkleinerung des Magens und Schwand der Labdrüsen. 359
auf die Pathologie der Magencirrhose einzugehen und erlaube mir
deswegen auf die ausführliehe soeben erwähnte ältere Arbeit von
Brach zu verweisen; die weitere Literatur bis zum Jahre 1872 findet
sich bei Wilson Fox^, und bis 1876 bei Lesser^) zusammen-
gestellt In allen diesen Arbeiten ist ganz überwiegend oder aus-
schliesslich die bindegewebige Verdickung der Magenwände (Linitis
plastica nach Brinton) besprochen, ihre anatomische beziehentlich
klinische Unterscheidung von malignen Neubildungen, ihre Entstehung
u. 8. w. erörtert.
Ausser der Cirrhose kommt aber in unserem Falle ganz wesent-
lich die Atrophie der Labdrüsen in Betracht, welche in vielen
älteren Arbeiten nur ganz oberflächlich oder wenigstens als neben-
sächlich neben der Cirrhose berührt ist. Ein theilweiser Untergang
der Drüsen des Magens (durch vollständige Atrophie oder cystische
Äbschnürung) wird seit längerer Zeit beim chronischen Katarrh
gekannt; Handfield Jones, Wilson Fox^), Habershon^),
Leube (1. c.) und verschiedene andere Autoren haben diesen Zu-
stand anter den anatomischen Veränderungen des chronischen Magen-
katarrhs aufgeführt. Die meisten Autoren jedoch legen ihm bei der
Symptomatologie des Magenkatarrhs oder überhaupt der Magener-
krankungen keine ausdrückliche Wichtigkeit bei (oder thun es viel-
leicht nur stillschweigend). Meines Wissens ist es zuerst Fenwick ^)
gewesen, welcher bestimmte klinische Symptome direct von der Lab-
drüsenatrophie abgeleitet hat; einschlägige Bemerkungen einiger an-
derer. Schriftsteller sollen weiterhin erwähnt werden.
Hauptzweck dieser Mittheilung ist, in Kürze zu erörtern, welche
klinischen Symptome die Atrophie der Labdrüsen, be-
ziehungsweise welche die mit Verkleinerung der Magen-
lichtung einhergehende Magencirrhose bedingt, und ob
diese Zustände einer sicheren Diagnose zugängig sind.
Vorweg ist die Frage zu beantworten, ob die Atrophie der Drüsen
vorkommt ohne Verdickung der Magenwand und ohne Schrumpfung
des OrganeSi und umgekehrt letztere ohne erstere.
In einer erheblichen Anzahl der Fälle von diffuser ausgespro-
chener Magencirrhose (mit Schrumpfung des Organes — denn nur
diese Fälle sollen hier berücksichtigt werden) ist ein vollständiger
1) In Reynolds' A System of Medicine. London 1872. Vol. IL p. 975.
2) Cirrhosis ventriculi. Inaug.-Diss. Berlin 1876.
3) 1. c. p. 903.
4) DiBeases of the alimentary canal. 1857.
5) Lectore on atrophy of the stomach. The Lancet 1877. Joly 7 sqq.
360 XYIII. Nothnagel
oder bis auf geringe Beste sich erstreckender Untergang der Lab-
drttsen vermerkt; so war es in meinem Falle, so in den Beobach-
tungen Nr. 1, 3, 7 bei Brueh, und in mehreren weiteren, Aber
welche jedoch klinische Mittheilungen mangeln. Andere Male ist
nur ein Theil der Drttsen verschwunden, ein anderer noch vorhan-
den, so in den Fällen Nr. 2 und 6 bei Bruch. Einzelne Autoren
schweigen ganz über das Verhalten der Drttsen, und nicht blos in
der älteren, sondern selbst in der neuesten Literatur kommt dies vor:
so Charles^), welcher eine hochgradige cirrhotische Verkleinerung
des Magens beschreibt. J. Vogel (bei Bruch S. 349) wiederam
theilt einen Fall mit, in welchem es heisst: ^die Schleimhaut war
eine Linie dick und schien normal, enthielt auch deutliche Magen-
drttsen ^ ; allerdings wird dann weiter noch gesagt, dass auf derselben
mehrere Geschwttre sich befunden hätten ; ttbrigens ist von einer Ver-
kleinerung des Magenlumens nicht die Bede.
Wenn also auch in der Mehrzahl der Fälle bei cirrhotischer
Schrumpfung die Labdrttsen untergehen, so kommt es doch vor, dass
gelegentlich ein grösserer oder geringerer Theil derselben wohl er-
halten ist — ob ihre Oesammtheit unversehrt bleiben kann, ist auf
Orund von Beobachtungen nicht zu sagen, ttbrigens wohl unwahr-
scheinlich.
Die Atrophie der Labdrttsen kommt aber auch ohne erhebliche
und selbst ohne jede Verdickung der Magenwand vor, bei ganz nor-
malen Verhältnissen der Lichtung und der Gapacität des Organes.
Dies trifift zu fttr die meisten Fälle, wo sie in beschränkter Ausdeh-
nung Magenkatarrhe begleitet; noch mehr aber fttr die Art von Fällen,
welche Fenwick beschrieben hat Hier scheint die Atrophie der
Labdrttsen die wesentliche und hauptsächliche Alteration zu sein:
die Gapacität des Magens ist gar nicht verringert, seine Wandang
ist eher verdttnnt als verdickt. Ob in derartigen Fällen eine inter-
stitielle Wucherung in der Schleimhaut das Primäre ist und diese
erst die Atrophie der Drttsen im Gefolge hat, oder ob letztere von
vornherein als selbständiger Process sich entwickelt, das wage ich
nicht mit Bestimmtheit auszusprechen. Jedoch möchte ich das wenig-
stens betonen, dass die Annahme, auch hier handele es sich um die
Veränderungen und Folgen eines „ Magenkatarrhs^ im gewöhnlichen
Wortsinn, im Hinblick auf den klinischen Verlauf dieser Fälle
sehr unwahrscheinlich ist.
Es gibt also drei Beihen von Fällen: eine, in welcher die Drflsen
1) On a case of cirrhosis er fibroid Infiltration of the stomach. Dublin Joorn.
of Med. Scienc. 187S. March.
CiirhotiBche Yerkldnernng des Magens und Schwund der Labdrüsen. 361
atrophisch sind ohne Verdickung der Magenwand und ohne Verklei-
nerung seiner Lichtung ; eine zweite, in welcher hochgradige Cirrhose
und Verkleinerung des Magens ohne nennenswerthen Schwund der
DrQsen besteht; eine dritte, wo beide Zustände existiren.
Von Yomherein kann man nun sich sagen, dass der erste dieser
drei Zustände im Wesentlichen Folgen bedingen muss, welche einer.
Störung beziehungsweise einem Ausfall der Magenverdauung entspre-
chen; während der zweite zunächst mechanische, physikalische Sym-
ptome veranlassen wird ; bei dem dritten werden sich beide Sympto-
mengruppen vereinigen.
Fenwick beobachtete bei vier Patienten der ersten Gruppe
(Atrophie der Labdrüsen ohne Verdickung der Wand und ohne Ver-
kleinerung des Magenlumens), deren Autopsie gemacht wurde (einer
davon gehört Ramskill, ein anderer Handfield Jones), eine
hochgradige Anämie: äusserste Blässe, Erschöpfbarkeit und Mattig-
keit, Palpitationen und Eurzathmigkeit bei jeder Bewegungsanstren-
gung; Puls klein, anämische Herz- und Oefässgeräusche. Drei von
diesen Kranken waren fett, nur einer abgemagert. Die Untersuchung
der einzelnen Oi^ane ergab keine Abnormität. In dem einen Fall,
in dem eine mikroskopische Blutuntersuchung vorgenommen wurde,
zeigte sich „eher eine Verminderung in der Zahl der weissen Blut-
zellen " (mehr ist darüber nicht gesagt). — Seitens des Verdauungs-
apparates bestanden folgende Symptome: constant war „ schlechter,
sehr schlechter, äusserst, schlechter Appetit"; die übrigen Erschei-
nungen wechselten in den verschiedenen Fällen. Der Stuhl war ein-
mal regelmässig, einmal bestand Diarrhoe, einmal Neigung dazu,
einmal Verstopfung. Erbrechen fehlte in zwei Fällen, einmal erschien
es in den letzten Lebenstagen, einmal trat im Verlauf der Krankheit
gelegentlich galliges Erbrechen auf. Zwei Kranke litten an Auf-
stossen, einer an Gefühl von Druck und Vollsein nach dem Essen.
Eigentliche Schmerzen, irgendwelche Ergebnisse der objectiven Unter-
snchung des Abdomen fehlten durchaus. — Die Entwickelung der
Anämie war immer langsam, schleichend, die Dauer des Leidens
vom Auftreten der ersten bemerkbaren Symptome betrug der unge-
fähren Berechnung nach ein halbes bis einige Jahre.
Quincke^) beschreibt einen Fall von pemiciöser Anämie, in
welchem der Kranke seit drei Jahren an Magenschmerz und Er-
brechen fast nach jeder Mahlzeit litt. Die Magenschleimhaut war
sehr dünn und blass; die Magensaftdrüsen erschienen sehr sparsam.
1) Ueber perniciöse Anämie. Volkmann's Samm}. klin. Vorträge (Fall Nr. 6).
362 XYUL NOTHNAOEL .
durch weite Zwisehenräame von einander getrennt Verfasser be-
merkt dazu: „vielleicht bildete die Atrophie der Magenschleimhaot
in diesem Falle den Ausgangspunkt des Leidens."
Eine von Brabazon^) mitgetheilte Beobachtung, in welcher bei
einer Patientin Appetitlosigkeit und hochgradige Anämie mit allen
.ihren Symptomen sich entwickelten, ohne dass die mindeste Verän-
derung eines Organes bei der Untersuchung aufzufinden war, ist nicbt
stichhaltig. Verfasser bezeichnet allerdings — die übrigen Organe
erwiesen sich bei der Section als normal — die Magen Wandungen
dem Anschein nach als „ äusserst atrophisch ", aber die entscheidende
mikroskopische Untersuchung fehlt.
Diese Fälle lehren fflr die Symptonratologie der Labdrtl-
senatrophie Folgendes. Regelmässig entwickelt sich, bald rascher,
bald langsamer, eine hochgradige Anämie mit allen dieser zukom-
menden Erscheinungen, welche insoweit dem Begriffe der „ pemiciosen
progressiven " Anämie durchaus entspricht, als sie unaufhaltsam und
sicher zum Tode fflhrt. Es bedarf wohl ebensowenig eines Beweises
wie einer Ausführung, dass der gänzliche Ausfall der Magenverdau-
ung die Veranlassung dieser Anämie ist; während andererseits, wie
bereits Fenwick bemerkt, der zuweilen gut erhaltene Panniculos
adiposus sich ungezwungen damit vereinigen lässt, da ja die Mund-
und Darmverdauting unbeeinträchtigt, ist. — Regelmässig ist femer
eine mehr oder weniger hochgradige anhaltende Appetitlosigkeit —
Nicht regelmässig dagegen gehören zum Bilde andere direct und un-
mittelbar auf den Magen hinweisende Symptome : subjective Empfin-
dungen im Bereich desselben, Aufstossen, Erbrechen. Zuweilen sind
dieselben mehr oder weniger ausgeprägt vorhanden, zuweilen aber
fehlen sie vollständig. Es lässt sich nicht entscheiden, aus welchen
Gründen bald dieses bald jenes Verhalten entspringt
Man sieht, dass es Symptome, welche bestimmt und direct eine
Labdrttsenatrophie erschliessen lassen, nicht gibt Die Diagnose
wird auf dem Wege der Ausschliessung geschehen müssen, nicht
unmittelbar aus den Erscheinungen abgeleitet werden können, und
deshalb immer nur einen gewissen Wahrscheinlichkeits-
grad erreichen können. Ich möchte so formuliren: man wird
das Vorhandensein einer Labdi^senatrophie überhaupt in Erwftgung
ziehen, wenn das Bild einer hochgradigen, sogenannten pemidöeen
progressiven Anämie vorliegt, für welche irgend eins der vielen sie
1) Gase of genend atrophy of stomach, with absence of organic disease. Brit
med. Journ. 1878. July 27.
Cirrhotisclie Yerkleinening des Magens and Schwund der LabdrOsen. 363
reranlaasenden uraAehlichen Momente nioht aufzufinden ist. Besteht
dann ausser den anämischen Symptomen weiter nichts als hochgra*
dige Anorexie, welche ja übrigens von der An&mie selbst abhängen
könnte, so wird, obwohl dann auch LabdrQsenatrophie vorhanden
sein kann, die Diagnose vollständig in der Luft schweben. Treten
aber daneben noch eigentliche weitere Magensymptome hervor, wie
Erbrechen, Magenschmerzen, Anfstossen, so wird man schon mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit an Labdrttsenatrophie denken können.
Allerdings wird man auch dann noch bei weitem keine Sicherheit
haben, weil im Symptomenbilde der perniciösen Anämie nicht zu
selten Erbrechen sich zeigt auch da, wo dieselbe nicht von einer
Labdrttsenatrophie bedingt ist — Im Ansehluss hieran sei bemerkt,
daas es wttnschenswerth ist, bei den Sectionen pemiciöser Anämie,
falls nicht anderweite offenbare Organerkrankungen bestehen, regel-
mässig auf Labdrttsenatrophie zu untersuchen.
Die Symptomatologie der zweiten Gruppe (hochgradige cir-
rhotische Verkleinerung ohne wesentlichen Schwund der Labdrttsen)
ist aus den in der Literatur vorhandenen Krankengeschichten nur
sehr Ittckenhaft abzuleiten. Von dem erwähnten Falle Vogel's
wird nur berichtet, dass der Mann keine bedeutenden Symptome
eines Magenleidens gehabt, kein Erbrechen, keinen Schmerz in der
Magengegend, nur Mangel an Appetit ; indessen ist auch, wie erwähnt,
die Verkleinerung des Magens hier fraglich, der Fall also ttberhaupt
nicht recht verwendbar fttr Schlussfolgerungen. In den meisten Be-
obachtungen werden Symptome beschrieben, welche ganz analog sind
den beim Ulcus oder noch mehr beim Carcinoma ventriculi vorkom-
menden : zuweilen Druck oder Schmerzen in der Magengegend, häu-
figes Erbrechen, Aufstossen, Appetitlosigkeit und Abmagerung. Be-
sonders hervorheben möchte ich, dass schliesslich Abmagerung auch
in allen den Fällen eintrat, wo die Labdrttsen noch zum Theil er-
halten waren. Dies kann nicht ttberraschen, wenn man berttcksich-
tigt, wie viele Umstände hier zusammentreffen, um die allgemeine
Ernährung zu beeinträchtigen: die hochgradige Verkleinerung des
Magenlumens, die vernichtete Peristaltik der Wandungen, der katar-
rhalische Zustand der Schleimhaut, das Erbrechen und die Appetit-
losigkeit, und schliesslich doch meist ein theilweiser Untergang der
Pepsindrftsen.
Abgesehen jedoch von diesen vieldeutigen functionellen* Störun-
gen, welche begreiflicher Weise nicht das mindeste Charakteristische
für die cirrhotische Verkleinerung des Magens besitzen, muss die-
364 XVin. Nothnagel
selbe auch noeh physikalische und mechanische Symptome veran-
lassen.
Die Verdickung der Wandungen wird den tastenden Fingern als
eine gleichmässige, glatte, die Contonren des Magens in yerkleiner-
tem Maassstabe wiedeigebende, ziemlich derbe Resistenz erscheinen.
Leider wird es nicht immer gelingen, eine solche nachzuweisen ; auch
in meinem Falle war es trotz wiederholten Untersuchens nicht mög-
lich. Der Orund ist dann wohl, dass der Magen von der Leber
überdeckt wird. (Ob umgekehrt eine wirkliche diffuse Cirrhose mit
einer „erheblichen kugeligen Hervorwölbung der Magengegend *" ein-
hergehen kann, wie Lesser für den von ihm beschriebenen Fall
annimmt, halte ich nicht fttr bewiesen; in Lesser 's Fall fehlt die
Section, die Diagnose ist demnach anfechtbar, und andere derartige
Beispiele sind mir aus der Literatur nicht bekannt.) Aber selbst
wenn man die geschilderte Art von Resistenz ftthlt, darf man nicht
' vergessen, dass auch diffuse ächte carcinomatöse Infiltrationen der
Magenwände vorkommen, welche sich für die zufühlende Hand ebenso
darstellen können. Immerhin ist deren Vorkommniss so selten, dass
in einem solchen Falle die Annahme einer bindegewebigen Girrhose
mindestens dieselbe Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Das zweite mechanische Symptom wird durch die verringerte
Capacität der Magenlichtung bedingt. In meinem Falle äusserte sich
dieselbe schon in der Art des Essens in ziemlich charakteristischer
Weise : der Kranke konnte immer nur sehr geringe Nahrungsmengen
auf einmal zu sich nehmen, nach wenigen Bissen bereits hatte er die
Empfindung voll zu sein, und jeder einzelne Bissen oder Schlack
war klein ; dabei ging der Schlingact selbst ohne Hindemiss vor sieh.
Wenn dieses Verhalten in den bisherigen Krankengeschichten der
Literatur nicht bemerkt ist, so lässt sich das vielleicht aus der Kürze
ihrer Mittheilung erklären.
Ein weiteres Hilfsmittel für die Diagnose könnte vielleicht die
künstliche Aufblähung des Magens durch Kohlensäure abgeben, welche
eben ein negatives Resultat liefern müsste. — Die Percussion dflrfte
kaum ein irgendwie zuverlässiges Ergebniss ermöglichen.
Am wichtigsten ist anscheinend die Untersuchung mit der Sonde
nach der von Leube angegebenen Methode, wobei es darauf an-
kommt, die untere Sondenspitze zu fühlen. Der Werth dieser Unter-
suchung wird indessen meines Erachtens erheblich durch einen Um-
stand eingeschränkt: ich bezweifle, dass es möglich ist, die Spitze
der Sonde durch eine Magenwand hindurch zu fühlen, welche 1—2 CSm.
dick ist. Es würde dann nur noch übrig bleiben, die Länge des ein-
Ciirhotische Yerkleinenuig des Magens und Schwand der LabdrOsen. 365
gefllhrten Sondenstdckes, von den Zähnen an gemessen und anderer*
seits bestimmt durch den dem weiteren Vordringen entgegengesetzten
Widerstand, bei dem fragliehen Patienten zu yergleichen mit der bei
einem gleich grossen gesunden Menschen gefundenen Länge — ein
Verfahren, dessen Ergebniss auch nur bedingten Werth besitzt
Man sieht, dass es beim gttnstigen Zusammentreffen von Um-
ständen gelingen kann, die Diagnose auf Verkleinerung des
Magens mit einem hohen Grade von Wahrscheinlich-
keit zu stellen; die positive Sicherheit indessen, welche in man-
chen Fällen von Magenerweiterung hinsichtlich der Diagnose besteht,
dürfte hier kaum je zu erreichen sein. Dann aber, wenn man auch
wirklich die vermehrte Resistenz und die diffuse Verdickung der
Hagenwände fühlt, ist man erst noch vor die Entscheidung der Frage
gestellt, ob einfache bindegewebige Verdickung oder ob malignes
Neoplasma. Bruch erörtert (a. a. 0. S. 403) eine ganze Reihe von
Anhaltspunkten für die differentielle Diagnose. Alle von ihm auf-
geführten positiven Symptome beziehen sich auf die Neoplasmen;
es sind die gewöhnlichen diagnostischen Momente, deren Reproduc-
tion ich unterlassen darf. Da es allbekannt ist^ dass auch trotz dem
Mangel aller dieser positiven Momente (umscbriebene Geschwulst,
Bluterbrechen, lebhafte Schmerzen u. s. w.) sehr oft Carcinom besteht,
80 kann dieser Mangel im concreten Fall natürlich nicht gegen die
Diagnose Carcinom und für die einer Cirrhose entscheiden. Am
meisten möchten dann noch für die letztere folgende Punkte ins Ge-
wicht fallen : jugendliches Alter, sehr langsamer Über Jahre sich er-
streckender Verlauf, gänzlicher Mangel von Schmerzen — doch sei
wiederholt, dass dieser bekanntlich auch gelegentlich Carcinomen
zukommt, und umgekehrt können Schmerzen die Cirrhose begleiten —
und endlich vielleicht Alkoholmissbrauch.
Nach dem Vorstehenden ergibt sich von selbst, dass die Com-
bination von cirrhotischer Verkleinerung mit Labdrüsenatrophie nicht
mit grösserer Sicherheit diagnosticirt werden kann , als jeder dieser
Zustände im Einzelnen. Besonders möchte ich betonen, dass auch
die Symptome der hochgradigsten Anämie, dass auch das Vorhanden-
sein von Mikro- und Poikilocytose im concreten Falle, wo es sich
um die Entscheidung handelt, ob Carcinom oder ob Cirrhose mit
Labdffisenatrophie , durchaus nichts für letztere beweisen, wie es
nach meinem Falle, beziehungsweise den Beobachtungen Fen wick's
und Quincke 's scheinen möchte. Denn ich habe selbst bei zwei
— wie die Section ergab — typischen ulcerirenden Magencarcinomen
eine exquisite Mikro- und Poikilocytose während des Aufenthaltes
366 XVUI. Nothnagel, Girrhotische Verkldnernog des Magens o. s. w.
der Kranken in der Klinik sich entwickeln sehen und verfolgen
können.
Wir kommen also zu dem Ergebniss: 1. die Atrc^hie der Lab-
drttsen, 2. die cirrbotische Verkleinerung des Magens, 3. die Ver-
einigung dieser beiden patbologischen Veränderungen sind Zustftnde,
deren Vorbandensein unter bestimmten Verhältnissen vermuthet wer-
den kann und mit in den Bereich der Diagnose gezogen werden
muss, deren sichere Erkenntniss jedoch beim gegenwärtigen Zustande
der diagnostischen Hil&mittel nicht oder nur ganz ausnahmsweiBe
möglich ist.
XIX.
Zur Kenntniss des Malleos acutus beim Menschen,
Von
FrofeBBor Fr. Mosler.
Acuter Rotz kommt beim Menschen so selten vor, dass ein kli-
nisch beobachteter Fall der Veröffentlichung werth erscheinen dürfte,
zumal er in diagnostischer Hinsicht manche Besonderheiten geboten
bat. In hervorragender Weise ist neuerdings durch Bollinger die
Symptomatologie der Botzkrankheit festgestellt worden. Seiner aus-
gezeichneten Schilderung verdanke ich es, dass die Diagnose selbst
unter schwierigeh Umständen, bei mangelnder Anamnese, in
einem Falle ermöglicht wurde, in welchem die Infection auf dem
W^e des flflchtigen Contagiums stattgefunden hat, äusserliche Zeichen
der Ansteckung demnach fehlten ^j.
Johann R., ein 45 Jahre alter Kuhhirt, wurde am 3. November 1878
in die medicinische Klinik aufgenommen. Er stammt aus gesunder Familie,
ist selbst immer gesund gewesen, bis er vor 4 Jahren an Typhus abdo-
minalis erkrankte. Er wurde 6 Wochen in meiner Klinik behandelt und
?ollBtäodig davon geheilt Als Ursache seines jetzigen Leidens gibt er an,
dass er vor 8 Tagen schwere Arbeit verrichtet habe, darnach sei Unwohl-
sein, Mattigkeit, heftiges Glied erreissen, Schmerzhaftigkeit des rechten Ober-
schenkels aufgetreten. Am Donnerstag * den 31. October stellte sich star-
ker Frostanfall bei ihm ein, dem bedeutende Hitze folgte. Er wurde sehr
hiofällig, das Fieber steigerte sich, so dass er sich genöthigt sah, die Auf-
nahme in die hiesige Klinik nachzusuchen.
Status praesens vom 3. November 1878.
Patient ziemlich gross, von starkem Knochenbau, massig entwickelter
Mnscnlatur, geringem Panniculus adiposus, Thorax gut gewölbt, Abdomen
io geringem Maasse aufgetrieben, Leistendrüsen rechts wenig, links nicht
angeschwollen, rechter Oberschenkel in geringem Grade öde-
matös, Berflhrung des Musculus quadriceps äusserst schmerz-
l) Der Fall ist auch beschrieben in der Dissertation: Zur Symptomatologie
des Malleus acutus von Dr. Otto Brihkmann. Greifswald 1879.
368 XIX. MosLER
haft. ZuDge trocken, zittert beim Herausstrecken, Durst gesteigert, Ap-
petit gering, Stahl angehalten. Leber weder vergrössert, noch bei der
Palpation schmerzhaft, Milz normal. Temperatur am Abend, im Rectum
gemessen, « 40,4^0., Pulsfrequenz ss 124, Respirationsfrequenz »36.
In der linken Regio axillaris und subscapnlaris gedämpfter Schall von der
Ausbreitung einer Hohlhand, daselbst Knisterrasseln und bronchiales Ex-
spirium hörbar. Sputum nicht vorhanden. Herz normal. Urin sparsam,
rothgelb, enthält weder Eiweiss, noch Oallenfarbstoff, noch Zucker. Ver-
ordnung : Acidum phosphoricum in Mixtur, Einreibungen des rechten Ober-
schenkels mit Chloroform und Ol. Terebinthinae. Abends 1 Morphiumpolrer.
4. November. Unruhige Nacht, apathisches Aussehen, heftiger Darst,
trockne Zunge, reichliches Schwitzen. Respirationsfrequenz Morgens « 30,
Pulsfrequenz »= 120, Temperatur »s 39,6^ C. Die Erscheinungen auf der
linken Brustseite dieselben, wie gestern, auf der rechten Bronchialkatarrfa;
allgemeine Mattigkeit und Gliederschmerzen. Patient erhält im Laufe des
Tages 3 Bäder von 26 ^ R., die allmählich bis auf 18^ R. abgekühlt wer-
den; Abends l;0 Orm. Ghininum muriaticum. Abendtemperatur = 39^1^ C.
5. November. In der Nacht mehrere Stunden ruhiger Schlaf. Morgen-
temperatur = 37,8<> C, am Nachmittage »= 39,60 C. Die Bäder werden
wiederholt. Das apathische Aussehen hat zugenommen, Durst gesteigert,
Zunge sehr trocken, Bauch etwas schmerzhaft, Stuhl angehalten. Exan-
them nicht vorhanden, Milz wenig vergrössert. Erscheinungen von Seiten
der Respirationsorgane in gleicher Weise vorhanden. Oberschenkel öde-
matös und schmerzhaft, heftiges Ziehen in den Armen. Urin spar-
sam, zeigt eine geringe Menge von Eiweiss und Blutfarbstoff.
Therapia continuatur.
6. November. Ruhiger Schlaf. Morgentemperatur «> 40,7 <^ C. Das
typhöse Aussehen hat zugenommen, weshalb in Darreichung von Chi-
nin und Anwendung kühler Bäder fortgefahren wird. Wegen seit 3 Tagen
bestehender Obstipation werden im Laufe des Tages 2 EsslOffel Ricinnsöl
gereicht, worauf sehr reichliche, dOnnflUssige Stühle erfolgen. Patient wird
dadurch erheblich geschwächt, reichliche Gaben von Wein werden gereicht.
7. November. Patient liegt somnolent da, mit reichlichem Schweisse
bedeckt. Die Zunge vollständig roth, ganz ohne Epithel, sehr trocken.
Fragen beantwortet er unvollkommen, Klagen werden nicht laut Morgen-
temperatur ^= 39,4 <^ C, Nachmittags 5 Uhr, nachdem im Laufe des Tages
3 Bäder gegeben waren, — 39,0<^ C. Abends erhält er 2 6rm. Chininam
muriat. Die linke Hand des Patienten ist, ohne dass eine Ursache da-
für zu finden ist, stark ödematös getf^hwellt. Exanthem nicht nach-
weisbar. Bauch aufgetrieben, zeigt eine starke Pulsatio epigastrica. Leber
etwas vergrössert, schmerzhaft. Die Milz misst von oben nach unten
= 12 Cm. und ragt 5 Cm. vor die Linea axillaris. Die Erscheinungen von
Seiten der Lungen haben nicht zugenommen. Herztöne normal, Herzim-
puls schwach, Pulsfrequenz =» 160, Puls welle kaum fühlbar. Respirations-
frequenz = 38. Temperatur =^ 39,4<> C. Grössere Scliwäche, coUapsns-
äbnlicher Zustand. Patient erhält grosse Dosen Wein, concentrirte Bouillon
und Eier. Ausserdem wird ihm stündlich 1 Esslöffel einer Salzsäuremixtur
gereicht.
8. November. Patient hat in letzter Nacht nach Aussage der Wache
Malleus acutas beim Menschen. 369
haltenden Wärter delirirt. Morgentemperatar «» dSyG^' C, Palsfreqnenz •« 120,
Athemfreqnenz <» 36. Das SenBorium etwas freier. Heftige Schmer-
zen Im rechten Oberschenkel, derselbe ist stark ddematös ge-
schwellt, fohlt sich an einzelnen Stellen weich elastisch, fast flac-
tuirend an; der linke Oberarm wieder völlig abgeschwollen. Es ist
aofTallend, dasa die Odematösen Schwellungen der Haut wechselnder
Natur sind.
Der Urin ist donkelroth, trabe von harnsauren Salzen, 500 Ccm. in
24 Stunden, darin weder Eiweiss, noch Gallenfarbstoff, noch Zucker nach*
weisbar. Vormittags 1 1 Uhr steigt die Temperatur auf »s 39,6 ^ C«, das
Sensorium ist mehr benommen, weshalb Patient im kflblen Bade eine kalte
Uebeigiessung des Kopfes erhält. Während des Bades coUabirt er
vollständig, so dass es nöthig wird, dasselbe zu unterbrechen. Sub-
cutane Injection von Aether camphoratus beseitigt den Collapsus. Am Nach-
mittage zeigen sich zum ersten Male auf der rechten Seite derStirn-
haat, an der Nase und Lippe, sowie auf der rechten Wange und
dem behaarten Theile des Kopfes linsen- bis erbsengrosse Bläs-
chen, die schon nach wenigen Stunden eitrigen Inhalt zeigen.
Dieselben stehen theils einzeln, theils in Gruppen dicht beisammen, im
Ganzen sind es etwa 40. Die Haut in der Umgebung derselben ist schmerz-
haft. An den übrigen Körpertheilen sind solche Pusteln nicht vorhanden,
überhaupt ein Hautausschlag nicht nachweisbar. Abendtemperatur = 39,2 ^^C,
Pulsfrequenz =» 136, Athemfrequenz => 40.
Patient ist am Abend mehr somnolent. Statt einfacher Salzsäuremixtur
wird ein Chinadecoct mit Salzsäure gereicht, Abends noch 1 Orm. Chinin.
Reichliche Gaben Wein,
9. November. Morgentemperatar »» 3S,9<^ C, Pulsfrequenz -» 124,
Athemfrequenz = 44. Im ersten Theile der Nacht hat der Kranke ziem-
lich ruhig geschlafen, gegen Morgen stark delirirt, den Versuch gemacht,
aus dem Bette aufzustehen. Am Morgen liegt er somnolent da, reagirt wenig
auf Fragen; Puls sehr klein, Herzimpnls schwach, Herztöne rein. Vorn
und hinten auf beiden Seiten des Thorax trockne Rasselgeräusche hörbar.
Zange vollständig trocken. Rachenschleimhaut stark geröthet, an einzelnen
Stellen mit trflbem Belage bedeckt. Ein sehr übler Foetor ex ore. Aus
der Nase gar kein Ausfluss, die Nasenschleimhaut stark geröthet,
trocken. Beide Arme stark ödematös geschwellt,, bei Berüh-
rung schmerzhaft. Die Haut derselben an einzelnen Stellen gleich-
falls mit Pusteln bedeckt. An den unteren Extremitäten, von denen
besonders die rechte Odematöse Anschwellungen zeigt und schmerzhaft
ist, sind Pusteln noch nicht wahrnehmbar. Auch die Haut des Thorax
und des Bauches ist frei von Exanthem. Bauch massig aufgetrieben. Fäces
von gelbbrauner Farbe und breiiger Consistenz, innerhalb 24 Stunden er-
folgt 1 mal Def&kation. Leber vergrössert, bei der Palpation schmerzhaft,
Milzvergrössernng besteht in der gleichen Weise wie früher.
Abendtemperatur *« 39,6 0 C. Sie ist den Tag über 2 stündlich ge-
messen worden, nie über die angegebene Höhe hinausgekommen.
Therapia continuatur.
10. November. In der letzten Nacht hat der Kranke beständig delirirt,
sehr viel getrunken; trotz des in grossen Dosen gereichten Weines ist er
DrauohM ArchlT f. klin. M«dloln. XXIV. M. 24
STQi XIX. MosLER
sehr collabirt, entleert Stuhl und 'Urin unwillkflrlich. Morgentemperatur«
39,2 0 C, Mittags 1 Uhr — 39,5 ^ C, Abends 9 Uhr » 40,0 <» C. PuU-
frequenz wie frtther, der Herzimpuls noch schwächer; im Laufe des
Tages mehrere Anfälle von CoUaps, gegen die wiederholte In-
jectionen von Aether camphoratus in Anwendung kommen. Das Bewnsst-
sein kehrt zeitweilig zurück und klagt Patient dann Ober grosse Schwäche.
Die Lymphdrüsen am Halse und in der Achselhöhle nichtge-
schwollen, in der Grösse von Bohnen bis Taubeneiern mar-
kiren sich die Leistendrüsen auf beiden Seiten. Der Pha-
rynx sehr geschwollen, zeigt einen schmutzigen Belag, die
Znnge dauernd trocken, ein sehr übler Geruch aus dem Munde. Der
pustulöse Ausschlag hat sich an der Kopf- und Gesich'tshant
noch vermehrt, ist auf die Haut des Rückens übergegangen,
auch auf der rechten Fnsssohle etwa in 15 Bfflorescenzen
nachweisbar. Die Arme und Beine sind auffallend geschwellt,
bei Druck schmerzhaft, kaum beweglich.
Therapia continuatur.
11. November. Nachdem Patient Nachts wiederum sehr heftig delirirt,
liegt er am Morgen collabirt da. Temperatur um 7 Uhr ■= 39,6^ C,
Puls unzählbar, Athemfrcquenz ss 48. Patient reagirt auf Anrufen nicht
mehr. Es stellt sich sehr reichliche Schweisssecretion ein. Um 10 Uhr
beginnt tracheales Rasseln, und es erfolgt der Exitus letalis Nachmittags
4 Uhr.
Seetionsbefand (nach dem Protokoll des Herrn Prof. Dr. Groh^j:
Mittelgrosse männliche Leiche, kräftig gebaut, von gut entwickelter Mus-
culatur, massigem Panniculus adiposus, grauweisser Hautfarbe. In der
rechten Schläfengegend, sowie auf dem Vorderkopfe rechts an einer von
Haaren ganz entblössten Stelle bis zur Stirn finden sich Stecknadelkopf* bis
halberbsengrosse theils einzelne, theils in Haufen stehende, theils confluireode
Pusteln, welche die Haut überragen und mit gelblichem Eiter gefüllt
sind. Die Haut in der Umgebung derselben ist blass, um einzelne dieser
Pusteln liegt ein lividblauer, um andere mehr ein blanrother Ring.
Aus der eigenthflmlichen Lage der Pusteln lässt sich vermuthen, dass diese
etwa dem Verlauf der Lympbgeflftsse entsprechen. An der linken Schläfen-
seite zeigen sich solche Pusteln nicht. An dem rechten Nasen fldgel
befindet sich ein ungefähr erbsengrosser Substanzverlust, der von
einer geplatzten Pustel herrührt. Eingetrocknete Secrete sind in der Naseo-
öffnung nicht vorhanden. Auf dem Rücken sind ebenfalls zahlreiche
Pusteln sichtbar, die auf der oberen Hälfte dichter liegen und mit livid-
blauen Rändern umgeben sind, während sie auf der unteren Hälfte weniger
dicht zusammen liegen und einen mehr rothen Rand zeigen. Am linken
Arm bis auf die Fingerspitzen herab einige, am rechten, ebenso so
Gesicht wenige Pusteln. Brust, Bauch, Scrotnm, Ober- und Unter-
schenkel rechts und links sind von Pusteln vollständig frei, während sich
an der rechten Plantarseite eine grössere, über dem linken Fnss-
gelenk eine geringere Anzahl derselben befindet.
Bei der Eröffnung des Schädels zeigen sich die Schädelknocheo nor-
mal gebaut, die Diploö reichlich bluthaltig, die Dura mater, so wie die
Malleos acatos beim Menschen. 371
weichen Haute völlig normal. In der Sebädelhöhle findet eich ebenfalls
nichts Abnormes, ein Erguss ist nirgends nachzuweisen. Die Section des
Gehirns ergibt ausser etwa 8 stecknadelkopfgrossen Cysten am Plexus
choroideus keinerlei Anomalien.
Bei der Eröffnung der Nasenhöhle erscheint die Nasenschleimhaut,
besonders der Ueberzug der oberen und mittleren Muschel in ihrem hinte-
ren Theile von blassrother Farbe ^ während der vordere Theil dieser
Partien, die mit kleinen Knötchen und Qeschwtlrchen durch-
setzt sind, eine mehr grau-rothe Färbung hat. Die Schleimhaut der
unteren Muschel ist nach hinten stark ödematös und von durch-
scheinend gelblichem Colorit. Die Schleimhaut der Highmorshöhle ist
von weisser Farbe, die Gefässe derselben sind stärker gefüllt, und zeigen
sich hier weissliche Verdickungen, die Schleimhaut der Keilbein-
höhlen dagegen ist normal, ohne Farben Veränderung. Inder linken Na-
senhöhle findet sich in der Nähe der Choanenöffnung ein längliches,
scharfrandiges, gering vertieftes Oeschwflr von 5 Mm. Länge
und 3 Mm. Breite.
Am meisten verändert sind Schleimhaut und Weichtheile des
Rachens, and zwar diejenigen Theile, welche an der unteren Fläche des
Keilbeins angeheftet sind. Die Schleimhaut ist dort 1 Cm. dick, missfarbig,
grangelb, die Oberfiäche derselben befindet sich im Stadium nekrotischer
AbstoBsnng. Zunge und Epiglottis zeigen keine bemerkenswerthen Abnor-
mitäten.
Der rechte Ober- und Unterarm hat eine grau-gelbliche,
livide Färbung. Namentlich markirt sich über dem Oberarm eine
Stelle^ wo zwar die Epidermis unverletzt ist, jedoch eine Erhebung sichtbar
wird, die im Centrnm ein mehr gelbliches, in der Peripherie ein mehr livid-
blanes Aussehen hat. Vier ähnliche solche , etwa wallnussgrosse Promi-
Densen liegen voneinander abgesondert unterhalb des Ellenbogens, bei der
Palpation zeigen alle mehr oder weniger deutliche Fluctuation. Beim Ein-
schneiden entleert sich aus dieser eine reichliche, dicke, schmutzig
gelb-rothe, theils gallertartige, theils leicht bröckliche,
eitrige Masse, welche zwischen den Muskeln der Rückseite eingelagert
ist. Mehr nach unten zeigt sich nach Ablösung der Haut das submucöse
Gewebe des rechten Vorderarms stark mit Blut gefüllt, und scheint die
Mnscolatnr darunter braun durch. Beim Einschneiden entleert sich auch
hier ein dicker, rahmiger, chocoladenfarbiger Eiter von ungeheuer pene-
trantem Geruch. Diese Eiterherde liegen theilweise direct unter
der Haut, theilweise zwischen Muskelsubstanz und Fascie.
Auch am Oberschenkel befinden sich zahlreiche Eiterherde
von eben beschriebener Beschaffenheit. Ausserdem zeigen sich in einem
excidirten Stück vom M. quadriceps zahlreiche gelbe bis
erbsengrosse Knoten, die zum Theil von festerem Gewebe
umgeben sind. Von gleicher Beschaffenheit ist die Musculatur der
Planta pedis und der Hohlhand.
Musculatur am Abdomen und Thorax ziemlich ausgebildet, von dun-
kelbraunrother Farbe, sehr trocken. Im Abdomen findet sich keine Flüs-
sigkeit vor. Die Leber überragt in der Axillarlinie den Rippenrand um
24*
372 XIX. MosLER
5, den Processns xiphoidens um 2^2 Cm. Der Herzbeutel zeigt keine
Anomalie. Das Herz ist grösser als normal, die Klappen sind sehr fein
und zart. Am Conus des rechten Ventrikels liegen 2 durch das
Endocardium durchscheinende, linsengrosse, gelbe Knoten,
die nach Durchschneidung des Endocardiums weiss und von fester Consistenz
erscheinen. Ein eben solcher Knoten findet sich im rechten Vor-
hof und im linken Ventrikel unter der Aortenklappe.
Die linke Lunge ist mit der Pleura costalis vollständig durch Sltere,
jedoch noch ziemlich leicht trennbare Adhäsionen verwachsen. Der Ober-
lappen, der im oberen Drittel vollständig lufthaltig ist, zeigt nur am vo^
deren Rande oben eine ungefähr kirschgrosse, luftleere Partie. Der Unter-
lappen ist stark ödematös und fflhlt sich teigig an. Beim Durchschnitt
ergibt sich der obere Theil desselben lufthaltig, von geringem Blntgebalt
und mit kleinen luftleeren Herden durchsetzt. Der untere Theil ist fast
völlig luftleer, von theils schmieriger, theils brtlcbiger Consistenz nnd ent-
leert auf Druck missfarbiges Blut. Die Schleimhaut der Bronchien ist
hellrosaroth, mit eitrigen gelbgrttnen Auflagerungen bedeckt Die broochisr
len Drttsen sind schwarz-schiefrig gefUrbt und bis zur Grösse einer Mandel
geschwollen.
Die rechte Lunge ist an der Spitze ziemlich fest mit der Plenn
verwachsen. Im Cavnm Pleurae finden sich etwa 2 Esslöffel gelber, leicht
getrübter flockiger Flflssigkeit. Die Pleura ist mit zahlreichen
Pusteln versehen, deren Centrum von gelber Farbe und der
Qrösse einer Erbse, deren Peripherie theils mit einem grau-rothen Ring,
theils mit einem dunkelblau-rothen Hof und Petechien umgeben ist Unten
befinden sich zahlreiche gelbliche Punkte von der Qrösse eines Steclyiadel-
knopfes, mit Rändern von hochrothen, kleinen Ekchymosen, theils einzeln,
theils confluirend. Von den oben beschriebenen Pusteln befinden sich etva
15 auf der Oberfläche zerstreut, die grössten sind von der Dicke einer
Kirsche« Der Oberlappen ist vorn lufthaltig, hinten derb und luftleer. Die
Pleura desselben ist mit einem grauröthlichen Belage versehen. Auf dem
Durchschnitt findet sich in dem Oberlappen, etwa 2,5 Cm. von
der Spitze ein ungefähr erbsengrosser Knoten, der im Centram
eitrig, an der Peripherie hart ist Weiter nach unten liegen noch
zahlreiche Knoten, zum Theil kleinere, zum Theil grössere,
von derselben Beschaffenheit. Der Unterlappen ist im oberen Drittel
stark ödematös, in den beiden unteren Dritteln luftleer und im Ganzen tob
schmutzig dunkelrother Färbung. Auch in dem Mittel- nnd Unter-
lappen«finden sich zahlreiche Knoten vor. Ans den Bronchien ent-
leert sich gelbgraues eitriges Secret Die Bronchialdrflseo sind stark ge-
schwollen, von der Qrösse eines Hühnereies, schwarzblau gefiirbt und aof
dem Durchschnitt weich.
Die Milz ist 15 Cm. lang, in der Mitte 9,5, oben 7,5 Gm. breit nnd
4 — 4,5 Cm. dick. Der Blutgehalt derselben ist sehr vermehrt, die Mal-
pighischen Bläschen sind sehr zahlreich. Am Hl Ins befindet sich m
erbsengrosser Eiterherd.
Die rechte Niere ist bedeutend vergrössert Auf dem Durchschnitt
sieht man etwa 30 miliare bis hanfkorngrosse Knoten, die mit eitriger
Malleus acutas beim Menschen. 373
Flössigkeit gefüllt und. Aehnliche Abnormitäten finden sich In der
linken Niere.
Magen und Darmkanal zeigen keine bemerkenswerthen Besonderheiten.
In der ziemlich stark vergrOsserten, enorm blnthaltigen Leber findet
sich etwa 5 Cm. vom hinteren stampfen Rande derselben ein grosser rother
Fleck, in dessen Gentram ein etwa tanbeneigrosser Eiterherd gelagert ist.
Derselbe ist mit einem rahmigen, weisslichgelben, übehriechenden Eiter gefüllt.
^ VerBuchen wir ein Resumö zu geben über die Symptome und
den Verlauf dieses höchst merkwürdigen Falles, der mich und die
Zuhörer meiner Klinik, sowie verschiedene CoUegen lebhaft inter*
essirt hat
Ein 45 Jahre alter, völlig gesunder Kuhhirt wurde, wie er
meint, in Folge von intensiver Muskelanstrengung bei der Arbeit von
Schmenhaftigkeit der Muskeln, insbesondere des rechten Oberschen-
kels befallen. Zunächst waren Fiebererseheinungen nicht vorhanden.
Erst am 4. Tage stellte sich ein heftiger Schüttelfrost ein. Das
Fieber war darnach sehr intensiv, mit grosser Hinfälligkeit verbunden.
Es kommen Schmerzen in anderen Muskeln hinzu, die ihm Gehen
and Stehen verbieten, zumal sich Athembeschwerden mit Bruststichen
hinzugesellen.
Am 8. Tage der Krankheit erfolgt die Aufnahme in meine Klinik.
Hohes Fieber, intensive Anschwellung der Extremitäten, Schmerz-
haftigkeit bei Berührung einer grossen Zahl von Muskeln, ins-
besondere des rechten Oberschenkels, an der vorderen Seite
desselben eine Geschwulst nachweisbar. Infiltration des linken
unteren Lungenlappens physikalisch erkennbar. Leber- und Milz-
Bchwellung konnten noch nicht constatirt werden. Diagnosticirt wurde
zunächst eine linksseitige Pneumonie in Verbindung mit einer Muskel-
affection, deren Natur nicht genau festzustellen war. IEa wurde von
uns die rheumatische, trichinöse, pyämische Natur dersel-
ben in Betracht gezogen.
An den beiden nächsten Tagen änderte sich der Zustand nicht
wesentlich. Die Allgemeinerscheinungen, die an Infectionskrank-
heiten denken Hessen, nahmen zu, apathisches Aussehen, heftiger
Durst, trockene Zunge, reichliche Schweisse.
Am 11. Krankheitstage steigerten sich die Erscheinungen
der Muskelaffection , es war ein geringer Milztumor nachweisbar,
Eiweiss und Blutfarbstoff konnten im Harn nachgewiesen werden.
Die Nervenerscheinungen, insbesondere gewisse Störungen des Sen-
Boriums Hessen an Typhus denken, ohne dass man im Stande war,
eine der drei Formen desselben mit Bestimmtheit zu diagnosticiren.
374 XIX. MosLER
Für Abdominaltyphas fehlten die ErBcheinungen des Unterleibes gänz-
lich. Auch war auf dem Gate, von dem der Kranke stammte, nicht
ein einziger derartiger Fall vorgekommen. Typhus exanthematicus
und Typhus recurrens waren im Anfange des Winters hier noch nicht
beobachtet worden. Dass es sich um eine Infectionskrankheit
handle, wurde durch den Nachweis des zunehmenden MiU-
tumors festgestellt. Am 13. Tagader Eranklieit, am 7. November,
hatte derselbe bereits eine Ausdehnung von oben nach unten ^^ 12 Cm.,
ragte 5 Gm. vor die Linea axillaris; auch war die Leber vergrossert
und schmerzhaft. Das Fieber hatte in Form einer Febris remittens
bisher fortgedauert, war durch die Darreichung der Antipyretica nicht
in dem Maasse influirt, wie es bei anderen Infectionskrankheiten,
insbesondere beim Typhus vorzukommen pflegt.
Am 14. Tage der Krankheit wurde am Morgen ein geringer
Nachlass des Fiebers constatirt; doch traten zu wiederholten Malen
Collapsuszustände auf, mit denen wohl theil weise die Tempe-
raturschwankungen in Verbindung zu bringen sind. Gleichzeitig hat
die Muskelaffection an den verschiedensten Stellen zugenom-
men und gibt sich an der vorderen Partie des rechten Obersehen-
kels durch eine teigig-elastische, fast fluctuirende Geschwulst
in grösserer Ausdehnung deutlich kund. An demselben Tage kommt
auf der rechten Seite der Stirnhaut, der Nase und Lippen, sowie der
rechten Wange ein pustulöses Exanthem zum Vorschein, das
fflr mich Veranlassung wird, das Bestehen von Malleus acntos
in diesem Falle anzunehmen.
Gleichzeitig mit der Herzschwäche traten Hirnerscheinan-
gen, Delirien abwechselnd mit soporösen Zuständen in den Vorder-
grund. Ausfluss aus der Nase fehlte, die Nasenschleimhaat
war indess stark geröthet. Dazu kam intensive Rachenent-
z flu düng mit Foetor ex ore, wie bei Diphtheritis.
Am 16. Krankheitstage hatte sich das pustulöse Exan-
them an der Gesichts- und Kopfhaut vermehrt, auf die Haut des
Rückens sich fortgesetzt und war auch auf der rechten Fusssohle nach-
weisbar. Die ödematöse Anschwellung der Arme und Beine hatte
zugenommen, an verschiedenen Stellen derselben waren teigige Oe«.
schwfllste von verschiedener Grösse nachweisbar.
Am 17. Tage der Krankheit erfolgte der Tod unter hochgra-
digen Collapsuserscheinungen.
Vorstehende Beobachtung bietet vielseitiges Interesse. Zunächst
ist hervorzuheben, dass es nicht gelungen ist, Ort und Zeit der In-
MalleuB acutus beim Menschen. 375
fection genau festzustellen. Sofort nach vorgenommener Obduetion
wurde nämlich; da meine im Leben gestellte Diagnose dadurch be-
stätigt war, der hiesigen Behörde die erforderliche Anzeige gemacht.
Die polizeilichen Kachforschungen nach der Entstehung des Uebels
auf dem betreffenden Oute blieben indess ohne Resultat. Von ein-
zelnen Seiten war man daher geneigt, die bei diesem Kranken an*
genommene Rotzkrankheit in Frage zu stellen.
Es mag deshalb daran erinnert werden, dass, wie man allgemein
annimmt, das Incubationsstadium des Rotzes 14 Tage und 3 Wochen
betragen kann. Es ist dies nicht unwichtig für die Möglichkeit der
Entstehung dieses Uebels. Innerhalb der erwähnten Zeit konnte
gewiss unser Kranker durch das Pferd eines der in hiesiger Oegend
die Dörfer und Güter so häufig besuchenden Hausirer infioirt worden
sein, und wäre es in diesem Falle leicht zu erklären, warum die
5—6 Wochen später erfolgte Nachforschung nach dem Ursprung des
Uebels resultatlos geblieben ist. Gelingt es uns denn jedesmal direct
die Stelle der Infection von Typhus recurrens, von Typhus exan*
thematicus, selbst von Variola nachzuweisen? Sind uns überdies
schon alle die Zwischenträger des Contagiums bekannt? In der
Literatur existirt bereits eine Zahl von Rotzfällen mit mangelnder
Anamnese. Ich glaube darum im Rechte zu sein, wenn ich unter
den hier obwaltenden Umständen, zumal Rotzerkrankungen von Pfer-
den im Verlaufe des Herbstes und Winters 1878, wenn auch nicht
auf dem betreffenden Gute und seiner nächsten Umgebung, doch an
Terschiedenen Stellen unserer Provinz nachgewiesen worden sind, an
der Diagnose des Malleus acutus festgehalten habe. Ich hielt mich
um so mehr dazu berechtigt, da ich ein derartiges Erankheitsbild
bisher nicht vor mir gehabt habe. Welche qualvollen Symptome
bat dasselbe dargeboten! Den Eindruck einer Infectionskrankheit
habe ich selten in so crasser Weise vor Augen gehabt. Hilfloser als
bei anderen Infectionskrankheiten stand man diesem schweren Leiden
gegenüber. Die antipyretischen Mittel hatten nur vorübergehende Wir-
kung und waren von so gefährlichen CoUapsuszuständen gefolgt, dass
von einer häufigen Wiederholung grosser Gaben derselben abgestan-
den werden musste.
Aufs Neue bat dieser Fall bestätigt, dass die Eintheilung des
Rotzes nach dem Verlauf und der Dauer, in acuten und chronischen
Rotz^ die einfachste und zweckmässigste ist. Mit Bestimmtheit Hess
sich Anfang und Ende des Leidens ermitteln. Der Tod ist genau
am 17. Tage der Krankheit erfolgt. Es stimmt diese Dauer mit den
Angaben von B o 1 1 i n g e r. Unter 28 acuten Rotzfällen, die derselbe
376 XIX. MosLER
zusammengeBtellt hat, betrag die mittlere Krankheitsdaaer ohne Ein-
rechnung der IncubationBzeit «»16,5 Tage.
Die einzelnen Symptome waren in nnserem Falle so exquigiter
Art, dasB sich die Reihenfolge derselben sehr genau controliren liesa.
Diesem Umstände ist um so mehr Werth beizulegen, weil unser Fall
SU den selteneren gehört, welche durch flüchtiges Contagiam entstan-
den sind, in welchen ftusserliche Zeichen den Ansteckung fehlen. Die
Diagnose des Leidens wird dadurch wesentlich erschwert. Es war
der erste Fall von acutem Rotz, den ich in meiner Klinik Yorgestellt,
überhaupt je gesehen habe. Nur durch BoUinger's^ treffliche
Schilderung dieser Krankheit ist es mir möglich geworden, das Lei-
den zu erkennen. In mehr als einer Hinsicht ist die Symptomato-
logie dieser selteneren Art von Malleus durch unsere Beobachtong
gefördert worden.
Die ersten Erscheinungen waren Mattigkeit, Gliederreissen,
Schmerz im rechten Oberschenkel. Fieber scheint bei diesen rheama-
toiden Schmerzen anfangs nicht bestanden zu haben. Am 4. Krank-
heitstage ist dasselbe, wie es scheint, in Folge einer embolischen
Lungenaffection mit einem Schüttelfroste eingeleitet worden und ist
es von da an so intensiv gewesen, dass es durch Antipyretiea weniger
influirt worden ist, als es bei anderen Infectionskrankheiten der Fall
zu sein pflegt. Der Charakter des Fiebers war der einer Febris con-
tinua remittens.
Mit Recht sagt BoUinger: „Ein Beginn mit Schüttelfrost ist
sehr selten. Oefters fehlt im Anfang jedes Fieber — mit den heftiger
werdenden Schmerzen treten häufig förmliche Fieberanfftlle auf oder
ein continuirliches Fieber. — Bei mangelnder Anamnese und wenn
die Infection auf dem Wege des flüchtigen Gontagiums stattgefunden
hat, wenn also äusserliche Stichen der Ansteckung fehlen, hat das
ganze Bild einige Aehnlichkeit mit einem beginnenden Typhus oder
auch, wenn die Schmerzen vorherrschend sind, mit acutem Oelenk-
rheumatismus. "
Am 7. Krankheitstage diagnosticirte ich linksseitige Pnea-
m 0 n i e in Verbindung mit einer Muskelaffection, von der es zunfichst
zweifelhaft war, ob sie rheumatischer, trichinöser, pyftmi-
scher Natur sei. Die Allgemeinerscheinungen, welche an eine In-
fectionskrankheit denken Hessen : apathisches Aussehen, heftiger Durst,
trockene Zunge, reichliche Seh weisse, nahmen an den folgenden Tagen
noch zu. Besonders auffallend und vielleicht für diese Art von Fällen
1) ▼. Ziemssen^s Handbuch. III. Bd. S. 473.
Mallens acatus beim Menschen. 377
charakteristisch war, dass die dabei vorkommenden ödematösen
Schwelinngen der Hant, die bei der Berührung schmerzhaft
warenjn eigenthUmlicher Weise die Eörperstellen wech-
selten.
Am 11. Erankheitstage nahmen die Symptome der Muskelaffeo-
tion noch zn. Die Neryenerscheinnngeni insbesondere Störungen des
SensoriumSi Hessen an Typhus denken, ohne dass man im Stande
war, eine der drei Formen desselben mit Bestimmtheit zu diagnosti-
dren. Dass es sich wirklich um eine Infectionskrankheit handele,
wurde durch den Nachweis des zunehmenden Milztumors fest-
gestellt. Erst am 14. Tage der Krankheit vermochte ich eine
sichere Diagnose zu formuliren aus den beulenartigen Geschwül-
sten des Oberschenkels in Verbindung mit dem pustulösen Exan-
them, das an diesem Tage zuerst auf der rechten Wange zum Vor-
sehein kam, an der Gesichts- und Kopfhaut sich vermehrte, an den
folgenden Tagen an vereinzelten anderen Körperpartien, z. B. auf
dem Rücken, an der rechten Planta pedis und dem linken Fuss-
rücken noch zum Vorschein kam. Es hatte das Exanthem ganz den
Charakter von Variola. Indem unser Fall überhaupt zu denjenigen
gehört, die einen sehr raschen Verlauf genommen haben , ist es er^
klärlich, dass auch die Pusteln und Abscesse sich sehr rasch ent-
wickelt haben.
Was die Schleimhäute anbelangt, so ist besonders hervor-
zaheben, dass ein Nasenausfluss während des Lebens gänz-
lich gefehlt hat. Die bei der Section am hinteren Theile der
Nasenhöhle aufgefundene Ulceration ist jedenfalls erst am Schluss
der Erkrankung gleichzeitig mit der Pharyngitis hinzugekommen.
Die Diagnose des Leidens ist durch den fehlenden Nasenausfluss
wesentlich erschwert worden. Kelsch vermisste unter 23 von ihm
gesammelten Fällen nur viermal den Nasenausfluss. Jedenfalls ge-
hört das Fehlen des Nasenausflusses bei Rotz zu den selteneren Vor-
kommnissen. Indem wir ihn in einem so genau beobachteten Falle
Termisst haben, wird BoUinger's Behauptung aufs Neue bestätigt,
dass der Nasenausfluss bei Kotz nichts weniger als pa-
thognomisch ist. Gleichzeitig mit der Hauteruption stellte sich in
unserem Falle eine sehr intensive Entzündung der Bachenschleim-
haut mit diphtheritischem Charakter ein. Die Submaxillar- und
Sublingualdrösen waren dabei nicht angeschwollen.
Vonseiten des Gastro- Intestinal -Tractus beobachteten wir hef-
tigen Durst, trockene Zunge, gedngen Appetit, angehaltenen Stuhl.
Defäcation musste erst durch einige Gaben Ricinusöl erzielt werden,
378 XIX. MosLER
wonach der Kranke erheblich geschwächt war, was gewiss als Zeichen
der allgemeinen Schwäche anzusehen ist. Vom 11. Krankheitstage
an wurde der Unterleib massig aufgetrieben, bei Palpation schmen-
haft. Die Leber war vergrössert, empfindlich bei Berdbning,
wahrscheinlich in Folge der durch die Autopsie constatirten Hepa-
titis suppurativa metastatica.
Nach Bollinger wurde nur in ganz vereinzelten Fällen
im Leben Milzvergrösserung nachgewiesen. In unserem Falle
konnte schon am 11. Tage die Percussion eine Milzvergrösserung
auffinden. Dieselbe nahm an dem folgenden Tage nachweisbar to.
Die Section Hess den Milztumor theils als acuten Infectionstumor,
theils als eitrigen Infarkt erkennen.
Auffallend waren die Phänomene im Bereiche der RespirationB-
Organe. Mit am ersten konnte die metastatische Infiltration des unte-
ren Lappens der linken Lunge aufgefunden werden. Die Section
ergab mit die interessantesten Befunde in den Athmungsorganen,
weitverbreitete Pusteln der Pleura, zahlreiche grössere
und kleinere Knoten in den Lungen. Hochgradige Schwäche
des Pulses war in Verbindung mit exquisiter Herzschwäche während
des ganzen Verlaufes erkennbar. Letztere lässt sich theil weise aus
den bei der Section aufgefundenen Knoten der Herz-
muskulatur erklären. Auch die Theilnahme des Centralnerven-
systems war sehr beträchtlich.
Vom 13. Tage an entwickelte sich unter Kleinwerden des Palses
und Auftreten von Delirien soporöser Zustand ; reichliche Schweisse,
unfreiwillige Entleerungen traten hinzu und unter Erscheinungen des
Collapsus erfolgte der Tod. Nach allen Seiten hat die Section unsere
Diagnose bestätigt. ^Zu meinem grossen Bedauern bin ich ausser
Stande, über die genaueren Verhältnisse des pathologisch - anatomi-
schen Befundes zu referiren^ da es mir obwaltender Umstände wegen
nicht möglich gewesen ist, eine genauere Untersuchung der patho-
logisch-anatomischen Präparate vorzunehmen oder Cognition von einer
stattgehabten Untersuchung zu erlangen. Zu erwähnen will ich nicht
unterlassen, dass durch die intra vitam angestellte Untersuchung des
Blutes I selbst mit den schärfsten Vergrösserungen , das Vorhanden-
sein von Bacterien nicht constatirt werden konnte. Auch war es
unmöglich, ein abnormes Verhältniss der weissen zu den rothen Blut-
körperchen nachzuweisen.
Eine Uebertragung des Malleus vom Menschen zum
Menschen hatten wir zu beobachten Gelegenheit. Bei
dem Wärter B., welcher den Kranken täg}ich verschiedene Male mit
lialletts acutus beim Menschen. 379
entblössten Armen ins Bad getragen und umgebettet batte, zeigten
sieh auf beiden Vorderarmen etwa' zwanzig ebensolcher Pusteln, wie
sie auf der Stime und Wange des Patienten zu sehen waren. Die-
selben nahmen ebenfalls schnell einen eitrigen Inhalt an und waren
mit einem dunkelrothen Hof umgeben. Dabei klagte B. über geringen
EopfschmerZ; auch wies das Thermometer geringe Temperatursteige-
rang nach. Durch Application von Umschlägen mit Sprocentiger
Carbolsäure, welche täglich mehrere Male erneuert wurden, gelang es,
die Pustelbildung zu hemmen, und griff die Infection nicht weiter
um sich.
Die Versuche, das Botzgift auf Kaninchen überzuimpfen, ergaben,
trotz der dabei angewandten Vorsicht, keine positiven Resultate.
Beitrag zur Symptomatologie der Lähmungen der SchultergOrtel*
Musculatur.
Von
Dr. M. Bernhardt,
Docent in Berlin«
I. Serratnslähmnng^en.
Im XXIL Bande dieses Archivs habe ich unter den von mir
von Ostern 1874 bis Ende 1876 beobachteten peripheren LAhmangea
auf S. 376 auch drei Serratuslähmungen erwähnt, dieselben indessen
der Bekanntheit des Symptomenbildes halber nur cursorisch mittheilen
zu sollen geglaubt. Seitdem aber neuerdings Lewinski in einer
Arbeit „ lieber die Lähmung des M. serratus anticus major (Virchow's
Archiv. Bd. 74. 1878) die Aufmerksamkeit aufs Neue auf diese L&h-
mungsform gelenkt und sich in einigen Hauptpunkten gegen allg^
mein verbreitete Annahmen und Behauptungen vieler gewichtiger
Autoren ausgesprochen hat, glaube ich durch wörtliche Wiedergabe
des lange Zeit vor dem jetzt entbrannten Streit erhobenen Status
praesens meiner Fälle vielleicht einigen Nutzen bringen zu können.
Es handelt sich bei dieser Controverse zumeist um die Stell an;
des Schulterblattes in der Ruhe; nach Duchenne wäre bei
isolirter Lähmung des M. serratus kefne Abweichung von der nor-
malen Haltung zu bemerken. ^Les signes pathognonäques de ralro-
phte du grand denteU ne se manifesterU que pendnnt Vilevalion volon-
taire du bras. Tai dimontre en effet que tatrophie du grand deiUde
n'occasionne aucune dtfformüS appridable dans Fattitude de Fepaule
pendant le repos musculah^e et lorsque les bras tomberU sur kscdtes
du troncy a moins toutefois que les deux tiers infirieurs du trapisf
ne soient en meme temps entihrement airophiis^ (De l'ölectrisation
localisäe. Paris 1872. p. 942). — Zugleich gesteht derselbe Autor
indessen zu, dass er diese Behauptung eigentlich mehr theoretisch
L&limaiigen der Schttltergttrtelmuscalatiir. 381
coDBtruirt habe; denn an einer anderen Stelle (Physiologie des mou*
rementB. 1867. p. 40) sagt er: „N'ayant pas encore eu Poccasion (Tob-
Server une parcdysie ou nne atrophie parfaitement limitie au grand
ienteli (ce qui proiwe que eette localisation dort ätre rare, putsque
sur tme vingtaine de cos au movns datrophies ou de paralysies du
grand deniele que fai exploris^ je ne taipas rencontre une seule fois),
je ne puis Vappuyer sur V Observation clinique. "
Berger benutzt in seiner Monographie (Die Lähmung des Nervus
thoracicus longus. Lähmung des M. serratus ant. major. Breslau
1S73) auf S. 42 dieses Zugeständniss Duchenne's für die Verthei-
digung seiner Ansicht von der Deviation des Schulterblattes bei
Serratuslähmung auch in der Buhe ^) : es habe eben durch die gleich-
zeitige Parese der Antagonisten (besonders des Cucullaris, Rhomb.
und Levator ang. scap.) die Difformität nur deshalb gefehlt, weil die
antagonistische Verkürzung der genannten Muskeln und damit die
Ursache der Verschiebung nicht habe zu Stande kommen können.
Umgekehrt fand Lewinski bei einer Durchmusterung der dies*
bezQglichen Literatur nur einen reinen Fall isolirter Serratusläh-
muDg (Busch, Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 4. S. 39), bei dem in
der Ruhelage keine Abweichung des Schulterblattes zu bemerken
war; alle anderen fand er mit Lähmungen oder Paresen anderer
Muskeln des Schultergürtels complicirt und verwirft auch er aus die-
sem Grunde die Beweiskraft dieser Fälle. Es liegt uns fern, auf die
theoretischen Auseinandersetzungen Lewinskj's hier einzugehen,
nur das sei noch erwähnt, dass dieser Autor selbst den Fall einer
an progressiver Muskelatrophie leidenden Dame beschreibt, bei wel-
cher trotz des Fehlens der Mm. rhomboidei, der Levatores ang. scap.
und fast der ganzen Mm. cucullares (also gerade der Muskeln, durch
deren antagonistische Verkürzung die Deviation bedingt sein sollte)
die als typisch beschriebene Abweichung der Schulterblätter in der
Rahelage zu beobachten war. Am Schluss seiner inhaltreichen Arbeit
spricht sich Lewinski so aus: bei ruhig herabhängendem Arm und
aufrechter Körperhaltung machen isolirte Lähmungen des M. serratus
keine Erscheinungen, sie werden dagegen deutlich erkennbar bei der
1) „Bei ToUständiger Paralyse des Serratus und bei völliger Integrit&t seiner
Antagonisten zeigt sieb schon in der Ruhestellung bei berabh&ngendem Arm des
Kranken folgende Difformität: Die Scapnla steht schief mit von oben und aussen
nach unten and innen schr&gverlaafendem spinalem Rande; dieser, besonders sein
unterer Winkel, ragt flügelartig nach hinten vor. Das Schulterblatt steht ausser-
dem im Oanzen höher und der Wirbelsäule beträchtlich genähert. Der äussere
Scapnlarrand hat eine mehr horizontale Richtung angenommen" (Berg er, S. 43).
382 XX. Bernhardt
Erhebung des Arms nach seitwärts und vorn: die jetzt entstehende
Deviation ist nur die Folge der isolirten Deltoideus -Wirkung; zu
diesen Anschauungen, sagt Lewin ski (und wir haben oben die
Richtigkeit dieses Ausspruchs nachgewiesen), war bereits Duchenne
durch Analyse seiner klinischen Beobachtungen im Grossen ond
Ganzen gelangt.
Nachfolgende Mittheilungen beanspruchen nur, wie schon zu
Anfang erwähnt, das Interesse vorurtheilsfreier, lange ^or der jetzigen
Controverse gemachter Beobachtungen.
Fall I: Im Begriff einen schwer wiegenden Gegenstand von seinem
hochgelegenen Standort hernnterzunehmen, fühlte die bis dahin gesunde
20jährige Kranke 8. einen heftigen Schmerz im rechten Schalterblatt. Trotz-
dem (oder weil?) sie sich „ ziehen '^ liess, trat eine fortschreitende Behin-
derang in der Armbewegung und eine zeitweilige Verschlimmerong der
Schmerzen ein. Die Lfihmung bestand zar Zeit meiner ersten Untersachnng
(April 1875) schon 2 Jahre und hatte sich trotz stattgefundener, conse-
qnenter und von sachkundiger Hand ausgefflhrter Behandlung nicht gebes-
sert. Beim Aufrechtstehen der Kranken und dem verticalen Herabhängen
beider Arme bemerkt man rechts ein Schrägstehen und deutliches Hervor-
treten des ganzen rechten inneren Schulterblattrandes: die rechte Scapnla
steht tiefer als die linke. Beide unteren Schulterblattwinkel, speciell der
rechte, stehen nach hinten und aussen hervor. Der Abstand des linken
Schulterblattes von der Wirbelsäule beträgt 8 Cm., der des rechten 10 Cm.
Beim Versuch, den rechten Arm in der Sagittalebene zu heben, gelangt
derselbe kaum bis zur Horizontalen ; dabei tritt das Schulterblatt nach hinten
sehr stark hervor, so dass man die ganze Hand zwischen dasselbe und
den hinteren Abschnitt der Rippen hineinlegen kann. Die elektrische Er-
regbarkeit der einzelnen Bündel des M. trapezins und der Zacken des
M. serratus ist eine minimale.
Die hier beobachtete Stellung des Schulterblatts in der Ruhe ist
offenbar zum grossen Theil von der Parese und Atrophie des rechten
Trapezmuskels abhängig.
Fall II: Eine 3 9 jährige Hebamme K« setzte sich während einer
kalten Nacht starkem Luftzug aus und verspürte noch in derselben Nacht
heftige Schmerzen in der rechten Schulter, welche den Arm hinab und nach
dem Nacken heranf zogen. Innerhalb der nächsten 14 Tage machte sich
allmählich eine Besserung der zu Anfang bestehenden Steifigkeit bemerklich;
erst nach Ablauf von etwa 6 — 8 Wochen trat die Beeinträchtigung der
Function des rechten Arms beim Erheben ein.
In der Ruhestellung bei herabhängendem Arm tritt der rechte An-
gnlus scapulae inferior mehr nach hinten hervor wie der linke. Das
ganze rechte Schnlterblatt steht etwas höher als das linke. Der Ab-
stand des rechten inneren Schulterblattrandes von der Wirbelsänle iBt
höchstens gleich dem des linken, jedenfalls nicht geringer. £ioe
anf fallende Schrägstellung des inneren Schulterblattrandes ist nicht
L&hmttDgen der SchultergOrtelmascalatar. 383
za bemerken. Der Ann kann in der Sagittalebene bis zur Horizontalen
erhoben werden, bei weiteren Versuchen treten Schmerzen in der Schulter
ein. Schon bei der Horizontalerhebung tritt das Schulterblatt flUgelförmig
vom Thorax fort, so dass man mit der Hand die Innenseite palpiren kann.
Auf die linke Schulter kann die rechte Hand gelegt werden. Schiebt man
den Angulua scapulae nach vom, so kommt die Erhebung des Arms bis
zur Verticalen gut zu Stande.
Die elektrischen Erregbarkeitsverhältnisse waren normal.
Hier war also bei einer isolirten Serratuslähmung keine wesent-
liche StellungaveränderuDg des Schulterblatts in der Ruhe zu be-
merken gewesen. ^
Etwas anders, mehr der Beschreibung Berger's und Anderer
entsprechend, stellten sich die Verhältnisse in
Fall m dar. Hier hatte ein 22 jähriger Schlächter die Gewohnheit,
die gefönte Mulde stets auf der linken Schulter zu tragen. Ganz allmäh-
lich fühlte Patient eine seit einigen Wochen zunehmende Schwierigkeit bei
der Erhebung des linken Arms, während Schmerzen nie bestanden. Ein
Trauma hatte nicht eingewirkt. In der Ruhelage sieht man den linken
unteren Schnlterblattwinkel etwas höher und mehr vom Brustkasten nach
binten abstehen als den rechten. Der innere Scapularrand steht etwas
weniger vertical als der rechte (mehr nach ausseq gerichtet). Der
QDtere Scapulawinkel steht links der Wirbelsäule um 1" näher als der
rechte. Das Heben der Schultern ist beiderseits vollkommen frei. Beim
Versuch, den linken Arm in der Sagittalebene zu erheben, bildet sich zwi-
schen dem inneren Schulterblattrand und der Wirbelsäule eine tiefe Rinne,
io die man fast die Hand legen kann. Dabei tritt das Schulterblatt sehr
weit von der Thoraxwand ab und der Arm kommt nur bis zur Horizon- |
taleo. Drtlckt man kräftig auf den Angulus scapulae nach auswärts und
zugleich nach dem Brustkasten zu, so geht die Erhebung leicht vor sich.
Aach bei der Elevation des Arms in der Frontalebene gelangt er nur bis
zur Horizontalen : statt nach auswärts zu rücken, bleibt der innere Schulter-
biattrand stehen und hebt sich vom Thorax ab.
Resnmiren wir kurz das Ergebniss der drei hier mitgetheilten
Beobachtungen; so ist die erste bei der offenbaren Mitbetheiligung
des M. trapezius an der Lähmung für die Beurtbeilung der Ruhestel-
lung des Schulterblatts bei Serratuslähmungen im Sinne Lewinski's
nicht zu verwerthen. Im zweiten Fall wie im dritten stand das
Schulterblatt der kranken Seite etwas höher als das gesunde und
der Angulus scapulae infer. trat mehr nach hinten hervor. Warum
im dritten Fall noch eine geringe Schrägstellung des inneren Schul-
terblattrandes und damit ein Nähertreten des Angulus scapulae infer.
an die Wirbelsäule vorhanden war, Erscheinungen, welche im zweiten
Falle entschieden fehlten, vermag ich nicht zu entscheiden ; jedenfalls
war Lähmung des M. cucullaris auszuschliessen.
384 XX. Bbbnhabdt
Serratuslähmungen gehören, soviel ieh weiss, nicht zu den be-
sonders häufig vorkommenden ; daher ist es geboten, gegebenen Falles
noch mehr von jetzt ab als früher auf die erwähnten Punkte zu achten
und neben der Beschaffenheit des gelähmten M. serratus auch dem
Verhalten der übrigen Schultermuskeln, besonders dem Cucullaris,
Levator ang. scapulae, dem Rhomboideus und dem Deltoideus eine
eingehende Aufmerksamkeit zu schenken.
II. Lähmung des M. cucnllaris und sterno-cleidomaatoldoiis dezter,
sowie der rechten Zungenhälfte und des rechten Stimmbandei (Lili-
mung des H. accessorius und hypoglossus dexter).
Es sei mir gestattet, im Anschluss an das eben Ausgesprochene
und in Bezug auf die Schulterblattstellung des Vergleiches wegen
die Krankengeschichte einer 53jährigen Frau Er. hier raitzutheilen,
welche neben anderen interessanten Krankheitserscheinungen auch
eine exquisite Lähmung des rechten M. cucullaris zeigte.
Die früher ioimer gesunde und rflstige Frau (Wäscherin) fing etwa
2 Jahre vor dem jetzt (Januar 1879) niedergeschriebenen Status praesens
an, eine Erschwerung und Veränderung ihrer Sprache zu bemerken. Ein-
zelne Buchstaben konnte sie nur mit Mflhe und ohne Kraft hervorhringeo
(P, B, K); die Sprache erhielt einen nasalen Beiklang, das Athmen wurde
zeitweise beklommen, einige Male wurde das Sprechen für eine bis zwei
Minuten überhaupt unmöglich. Dazu gesellte sich seit einem Jahre eine
stets zunehmende Schwäche des rechten Arms, der ihr das Aufstecken der
Wäsche auf die Waschleine fast unmöglich machte. Speciell der letzteren
sie hauptsächlich in ihrem Berufe schädigenden Beschwerden wegen snchte
sie endlich ärztliche Hilfe auf.
Patientin ist fieberfrei und geht, soweit möglich, ihrem Berufe nach.
Sie klagt zunächst über heftige Kopfschmerzen, die besonders im Hinter-
haupt, aber auch zeitweilig in der Stirn ihren Sitz haben. Manchmal
schwankt sie im Gehen wie eine Betrunkene, fällt auch in der letzten Zeit
oft hin, ohne indess je das Bewusstsein zu verlieren. An den Angen ist
in Bezug auf Bewegung, Pupillenweite und Reaction nichts Abnormes lo
bemerken; das Sehvermögen soll sich gegen früher verschlechtert haben
(ophthalmoskopisch war zur Zeit nichts nachzuweisen), ebenso das Hör-
vermögen des rechten Ohres. Die Sensibilität ist in der rechten Gesichts-,
Mund- und Schiandhälfte in nichts von der der linken Seite verschiedeOi
ebenso ist die Geschmacksempfindlichkeit der rechten Zungenhälfte dnrcbaoB
erhalten. Die Gaumensegelhälften sind ungleich, die linke schmaler als die
rechte und höher stehend. Die Sprache ist näselnd, Flüssigkeiten kommen
beim Schlucken, das oft mit Mühe verbunden ist, zeitweilig aus der Nase
zurück. Die rechte Zungenhälfte ist deutlich schmaler als die linke aod
zeigt lebhafte fibrilläre Zuckungen; beim Herausstrecken weicht die Zooge
nach rechts hin ab; nach den Seiten hin kann sie zwar bewegt werden,
aber entschieden langsamer als normal.
Lfthmungen der Schultet^gOrtelmascalatar. 385
Der Pols ist regelmftSBig, 88 Scblftge in der Minute, die Atlimnng ist
in der Rahe frei ; bei Anstrengungen und schnelleren Bewegungen tritt ein
GefOhl Ton Beklemmung auf. Die Sprache ist eher leise, wenig energisch,
etwas heiser; kräftiges Hasten kommt nicht zu Stande, der Exspirations-
strom ist schwach, so dass trotz intacten N. faciales und gut ausfahrbaren
LippenschiusBes die Explosivlaute nur matt und kraftlos gebildet werden.
Eine laryngoskopische Untersuchung ergibt aufs Deutlichste die Läh*
mang des rechten Stimmbandes: dasselbe bleibt bei der Phonation unbe-
weglich an Ort und Stelle, während das linke Stimmband sich über die
Mittellinie hinaus nach rechts hinüber bewegt. Uebrigens fühlte ich
rechts wie links die Stimmbandvibrationen beim Auflegen der
Finger auf die Selten wände des Kehlkopfs in gleicher Stärke (vergl.
B. Fränkel, Verhandl. der Berl. Med. Oeseiisch. 1875. S. 73).
Betrachtet man die aufrechtstehende Kranke von hinten, so sieht' man
die rechte Schulter bedeutend niedriger stehen als die linke. Der Abstand
des inneren Schulterblattrandes von der Mittellinie ist rechts mehr als hand-
breit, links etwa 2 — 3 Qaerfinger. Der rechte innere Scapularrand geht
von unten und innen schräg nach oben und aussen. Soll der Arm erhoben
werden, so rückt das ganze Schulterblatt deutlich nach aussen und bleibt
dem Thorax anliegend, ein deutlicher Unterschied von dem Verhalten bei
SerratosUhmung. Beim Heben der Schultern bleibt die rechte deutlich
hinter der linken zurück: der M. levator ang. scapulae springt dabei als
starker Wulst energisch hervor. Während Drehungen des Arms nach aussen
und innen gut zu Stande kommen, gelangt der Arm beim Heben nur bis
zur Horisoatalen. Bdm Zusammenbringen der Schultern nach hinten bleibt
der rechte innere Schulterblattrand weit von der Mittellinie ab, tritt aber
doch etwas mehr heran als in der Ruhe: das ganze Schulterblatt steht
dann höher und oben am inneren Winkel zeichnen sich die Contoaren des
M. rhomboid. und levator ang. scap. deutlich ab.
Während die beiden letztgenannten Muskeln, sowie die M. supra- und
infraspinati in prompter Weise auf den elektrischen Reiz reagiren, zeigt
sich die Erregbarkeit des M. trapezius durchaus verschwiln-
den. Das Gleiche gilt für den rechten M. sterno-cleidomasto*
idens; nur ein dünner, zarter, vom rechten Processus mastoideus nach
dem Stemum hinziehender und bei passiven Drehungen nach links hin her-
vortretender Strang erinnert an den geschwundenen Muskel. Der Kopf
(leicht nach rechts gedreht) kann zwar activ nach links hin gedreht werden,
doch ist das in keiner Weise in der Ausdehnung möglich wie bei Rechts-
drehangen desselben. Im Uebrigen ist an der rechten Oberextremität keine
Lähmung oder Atrophie nachweisbar, nar empfindet die Kranke zeitweilig
Schmerzen im rechten Arm sowohl wie im Bein. — Die Behandlung bestand
in der Darreichung von Jodkalium und der zweckentsprechenden Anwendung
des galvanischen Stroms.
Dies das Thatsächliobe der Beobachtung ; es geht daraus hervor,
dass wir es in diesem Falle zu than hatten mit einer Lähmung des
gesammten rechten Accessoriusgebiets, sowie des rechten Hypoglossus.
Gelähmt sind die für den rechten M. cucuUaris, sternocleidomastoi-
deus und die für die Bewegungen des Gaumens and des Schlundes
DtstwhM ArcblT t klln. Medioln. XXIV. Bd. 25
386 XX. Bermhabdt, Lfthmiuigen der Schulteigflrtelmusculatar. .
rechteneiU, sowie die motorischen, dem rechten Vagns beigemiBchten
und fflr den Kehlkopf bestimmten Aeste. Veränderungen des PoIbcs
kamen, abgesehen von einer massigen Vermehrung der Frequenz des-
selben, nicht zur Beobachtung. Die beschriebenen Symptome sind fflr
die Lähmung des N. accessorius von allen Autoren (Erb^, Seelig-
mttller^), Holz^J n. A.) als charakteristisch bezeichnet worden nnd
die Lähmung und Atrophie der rechten Zungenhälfte kann fhglieh
nicht anders als auf eine Lähmung des rechten N. hypoglossus dexter
bezogen werden. Schwieriger zu entscheiden ist die Frage nach der
Natur des zu Grunde liegenden Leidens: ohne uns zu weit auf das
Gebiet der Vermuthungen zu verirren, glaube ich in BerflcksiehtigaDg
der andauernden Hinterhauptsschmerzen, der öfteren Schwindelanf&lle,
der Verminderung des Hörvermögens auf dem rechten Ohre und der
beginnenden Sehschwäche an einen in der hinteren rechten Schftdel-
grube, yielleicht im obersten Theil des Wirbelkanals rechts sich lang-
sam entwickelnden, raumbesehränkenden und die Nachbartheile eom-
primirenden Tumor denken zu dürfen. Was aber auch die Nstar
des krankhaften Processes sein mag, er hat mit Sicherheit die ge-
sammten Ursprungsfäden des rechten N. accessorius und den N.
iiypoglossus dexter hochgradig betheiligt
Die mitgetheilte Lageyeränderung des rechten SchulterblaUs
weicht von den Beschreibungen anderer Autoren, welche sieb mit
dem Studium der Trapeziuslähmungen eingehender beschäftigt haben,
nicht ab.
1) Handbuch der Krankheiten des Nervensystems, n. S. 472.
2) Archiv fttr Psychiatrie etc. HI. S. 433.
3) L&hmung des rechten Beioerven. Dissert inang. Berlin 1877.
XXL
BemerkuDgen betrefl'eod den Pulsus bigeminus.
Von
Prof. Dr. Knoll
In Prag.
In einer jflngBt in diesem Archiv yeröffentlicbten Abhandlang >)
sucht Sommerbrodt die von mir aufgestellte Behauptung, dass
der Pulsus bigeminus den Zeitwerth von zwei vorhergehenden oder
nachfolgenden rhythmischen Herzschiftgen hat, zu widerlegen.
leb habe dieses Verhalten des Pulsus bigeminus seinerzeit >) betont,
weil ich verhttten wollte, dass man in den beim Kaninchen bei
Steigerung des intracardialen Druckes öftßr in ununterbrochener
Folge auftretenden zweigipfeligen Pulswellen eine Beschleunigung
des Herzschlages erblicke, welche bekanntlich von Bezold und
den Brüdern Cyon als Effect von Blutdrucksteigerungen angegeben,
aof Grund eingehender Untersuohung jedoch von mir bestritten wurde.
Die betreffende Behauptung stützte sich auf eine grosse Anzahl
von Beobachtungen, die für diese Frage um so entscheidender waren,
als es sich um Thiere handelte, welche curarisirt waren und kfinst-
lich ventilirt wurden ; als das Herz dabei in vielen Fftllen von aller
Verbindung mit den nervösen Centralorganen losgelöst war, als
lange ununterbochene Seihen einerseits von regelmftssigen und ander-
seits von zweigipfeligen Pulswellen einen genaueren Vergleich dieser
heiden Pulsarten mit Bezug auf ihren Zeitwerth ermöglichten, und
als endlich bei der Bestimmung dieses Zeitwerthes nicht etwa eine
blosse Annahme bezflglich des gleichmftssigen Ganges der rotirenden
Trommel, sondern die verzeichnete Zeit selbst als Grundlage diente.
1) Zur AUorrhythmie des Hersens. Bd. XXIII. Heft 5 n. 6. S. 542 ff.
2) Ueber die YerSadernngen des Herzschlages etc. Sitsangsber. der Wiener
Akademie. Bd. 66. HI. Abth. Juli-Heft.
25*
388 XXI. Enoll
Eine Behauptung, welche auf solcher Basis sich aufbaut, kann
überhaupt nicht durch Beobachtungen widerlegt werden, welche am
Menschen gemacht wurden, wobei es vor allem schon gar nicht mög-
lich ist, die Interferenz der mannigfachsten störenden Einwirkungen
äuszuschliessen , welche gerade bei diesem Gegenstand ins Spiel
kommen können. Dagegen lassen sich allerdings Beobachtungen
am Menschen, welche mit einer so begründeten Behauptung in lieber-
einstimmung stehen, wie z. B. die in deinen „ Beiträgen zur Kennt-
nis s der Pulscurve '^ ^) unter Figur 23 und 24 angeführten, wenn
sie nicht yereinzelt dastehen, als Beleg dafür verwenden, dass beim
Menschen in dieser besonderen Frage nicht etwa Verhältnisse ins
Spiel kommen, welche wesentlich von jenen des gebrauchten Ver-
Buchsthieres differiren.
Von diesem Gesichtspunkte ausgehend habe ich auch die ange-
führten Curven veröffentlicht und darauf hingewiesen^ dass dieselben
einen Beleg vom Menschen für jene Behauptung liefern. Ich wäre
auch damals schon in der Lage gewesen, mehrere vom Menschen
gewonnene Beispiele für die zeitliche Aequivalenz des Bigeminus mit
zwei rhythmischen Herzschlägen zu liefern, Beispiele die um so ge-
wichtiger sind, als es sich um Individuen mit im Ganzen rhythmischem
Herzschlag handelte^ bei denen der Pulsus bigeminus nur intercurrent
auftrat, wodurch eine genügende Basis für den Vergleich gegeben
war. Denn in Fällen, wo die Herzthätigkeit im Allgemeinen arhyth-
misch erfolgt, ist die Bezeichnung dieser oder jener Herzschläge
als rhythmische doch meistens eine willkürliche, wie schon ans
den kleineren oder grösseren Differenzen hervoi^eht, welche sich
dann bei genauer vergleichender Messung der Basen der anscheinend
rhythmisch aufeinanderfolgenden Pulscurven gewöhnlich finden.^)
Es war mir aber anderseits auch nicht entgangen, dass die er-
wähnte zeitliche Gleichwerthigkeit sich auch in solchen Fällen, wo
der Bigeminus bei Individuen mit rhythmischem Herzschlag interear-
rent auftritt, nicht immer herausstellt, und ich habe darum in un-
mittelbarem Anschlüsse an die von Sommerbrodt angeführte Stelle
selbst darauf hingewiesen, dass bei meinen Beobachtungen am Men-
schen nin andern Fällen von Arhythmie der Bigeminus oder Trige-
minus nicht genau zwei oder drei rhythmischen Pulsen entsprach,
1) Archiv für experim. .Path. u. Pharm. Bd. IX. 5. n. 6. Heft.
2) So ergibt beispielsweise ein genaues Ausmessen der Figur 1 bei Sommer-
brodt (I.e. S. 545), dass die drei als rhythmisch bezeichneten Pulse, mit welchen
die darauf folgenden Bigemini vergUchen werden, unter einander recht erhebliche
Differenzen in der oben bezeichneten Richtung bieten.
FuIbos bigeminus. 389
dass aber dann auf gleicher Carvenstrecke die Zahl der arhythmischen
Schläge im Ganzen meistens eben so gross war wie die Zahl der
regelmässigen. *
Dass aber jene Fälle, in denen bei Menschen die Zahl der
rhythmischen und arhythmischen Herzschläge während gleicher Zeit-
abschnitte differirt; als Gegenbeweis gegen meine Behauptung nicht
dienen können, glaubte ich allerdings nicht besonders hervorheben
za müssen , da es ja selbstverständlich ist, dass gleichzeitig mit dem
Factor, welcher den Pulsus bigeminus bedingt, bei spontan athm en-
den, allen psychischen Eindrücken preisgegebenen Menschen mannig-
faltige anderweitige Einflüsse auf die Schlagfolge des von den ner-
vösen Gentralorganen aus innervirten Herzens einwirken können.
Es liegt aber auf der Hand, wie unwahrscheinlich es ist, dass
durch diese Einflüsse eine für den Pulsus bigeminus supponirte Be-
schleunigung gerade ausgelöscht und eine unveränderte Pulszahl
bewirkt werden sollte. Und wenn man auch ein solches Spiel des
Zufalles für einen einzelnen Fall gelten lassen wollte, so erscheint
doch eine solche Supposition ganz unannehmbar, wenn bei einem
Individuum, bei dem längere Zeit hindurch abwechselnd rhythmischer
Puls und Pulsus big. zu beobachten ist, der intercurrent oder in
Reihen auftretende Bigeminus stets den Zeitwerth von zwei rhyth-
mischen Pulsschlägen hat.
Gerade eine derartige Beobachtung konnte ich aber in der letzten
Zeit bei einer Kranken machen, die an einem Aneurysma der auf-
steigenden Aorta und Insufficienz der Aortaklappen leidet. Durch
mehr als zwei Wochen konnte ich bei dieser Kranken, und zwar
unabhängig von der Respiration, einen steten Wechsel zwischen
rhythmischem und arhythmischem Puls constatiren, welch' letzterer
vorzugsweise in der Form des Pulsus bigeminus auftrat.
Ich habe bei dieser Kranken an verachiedenen Tagen eine grosse
Reihe Pulscurven mittelst des von mir beschriebenen Polygraphen 0
aufgenommen und stets constatiren können, dass in diesem Falle der
Pulsus bigeminus den Zeitwerth von zwei, und der zuweilen intercur-
rirende Trigeminus den Zeitwerth von drei rhythmischen Pulsen hatte.
Ich gehe als Belege hiefür drei an verschiedenen Tagen auf-
genommene Curven, die sich schon durch die sehr differente Grösse
der auf den einzelnen Curven verzeichneten Pulse von einander
unterscheiden.
1) üeber einen verbesserten Polygraphen. Prager med. Wochenschrift. 1879.
>«r.2lu. 22.
I I
FiÜBOi bigeminus. 391
IKs gleiehuitig durch eine Secuodenuhr verzeichnete Zeit gestattet
Ig der einzelnen Pulssehläge und lehrt, dast
in, wo die vergleichende Uessung der Ciirven-
srenz zwischen den rhythmischen and ai'jth-
diese Differenz nur durch den ungleichmAsai-
sn Cylindert bedingt i^L
sich ein allmählicher Uebergang des Pulsus
ligeminus und umgekehrt vom Bigeminus zum
n jeder Beziehung regelmässigen Puls rer*
, das ich bei meinen Versuchen am Kaninchen
n der früher citirten Abhandlung beschriehen
ildet habe. ')
der Uebergang des rhythmischen Pulses in
bigeminus und trigeminug in zwei Ober ein-
telbar nach einander aufgenommenen Curren-
Fig. 3 ist bei Benfltzung eines schneller
erzeichaet, dessen Bewegung bei a eine ganz
ohung erfahren hat
oh aber hier noch darauf aufmerksam machen,
>tande, dass hei dem in Fig. 1—3 abgebildeten
ischen Pulses in den Pulsus bigeminos kein
sr Currenreihe zu beobachten ist, nicht etwa
"f, daSB in diesem Falle nne Steigerung des
. bei der auftretenden Arhythmie nicht im
sh milssige allm&hlich sich vollziehende Er-
m Hitteldruckes an der Pulscurve nicht immer
I wenn die Verzeichnung durch einen „Sph^g-
n" erfolgt; femer habe ich auch bei meinen
ichen die Erfahrung gemacht, dass die Arhyth-
aoh l&ngerem Bestehen einer künstlich herbei-
s arteriellen Blutdruckes ohne weiteren Druck-
ne Druckabnahme vorübergehend oder dauernd
denken, daas viel dafür spricht, dasa wir in
;hmie hei Steigerung des intracardialen Druckes
Arkeren Erregung des Herzens zu erblicken
ter Schreiber In einer Äbhuidloiig Ober den Pulsoi
im. Path. a. Phum. Bd. TU. S. 317 ff.) die iiuiere Tar<
adteehsft und den allm&hllchen Uebeig&ng von PnliuB bigeminaa nnd &Ittfnaiis
tftttiriich daqelegt.
392 XXI. Enoll
haben, — was ich in meiner Abhandlung ttber die Verftndeiungen
des Herzschlages etc. S. 33 u. 34 n&her auseinander gesetzt habe.
Zwei Factoren werden also demzufolge bei dem Zustandekommen
der Arhythmie unter den erwähnten Verhältnissen wirksam gedacht
werden müssen, einerseits der Druck im Herzen und anderseits die
Erregbarkeitsverhältnisse des letzteren. Da nun aber mannigfaltige
Umstände die Erregbarkeit des Herzens beeinflussen können, so
erscheint es yoUständig begreiflich, dass das Herz auf Druckstei-
gerungen „scheinbar so capriciös reagirt**, d. h. dass die Arhythmie
bei unverändert hohem Druck zuweilen nur yorübergehend bemerk-
bar wird, und dass ihr Auftreten weder an bestimmte absolute Höhen,
noch an bestimmte Schwankungen des Druckes gebunden erscheint. —
Ich habe auch diesen letzteren Punkt an der vorher angeffihrten
Stelle bereits erörtert, musste es aber unentschieden lassen, ob es
sich bei der Erregung des Herzens durch den intracardialen Drock
und bei dem Wechsel in der Erregbarkeit um die Muskelfasern, oder
die motorischen Nervenapparate handelt. Und bei der engen Ver-
knüpfung des Nervenmuskelapparates sehe ich auch gegenwärtig
noch keine Möglichkeit vor mir, eine Entscheidung hierüber her-
beizuführen.
So wenig ich also im Sinne hatte zu leugnen , dass Nervenein-
fluss betheiligt sein könne bei der Arhythmie, die durch directe
Wirkung auf das Herz herbeigeführt wird, ebensowenig denke ich
daran in Abrede zu stellen, dass durch Einwirkung auf den Vagus
oder den sogenannten Accelerans Störungen im Rhythmus des Herz-
schlages herbeigeführt werden können. Ich habe im Gegentheil in
meinen Beiträgen zur Kenntniss der Pulscurve ganz besonders her-
vorgehoben, welchen wesentlichen Factor in dieser Richtung die an
die Bespiration sich knüpfenden Veränderungen des Vagustonos bil-
den ; allerdings habe ich aber dabei nur den Reflex von den Lungen auf
das Herz im Auge gehabt, da die bei Störungen der Respiration
auftretenden Veränderungen im Gaiigehalt des Blutes, abgesehen von
den Erscheinungen bei dem Absterben des Herzens während der
Erstickung, wohl einen Wechsel der Frequenz, aber keine eigent-
liche Alteration im Rhythmus des Herzschlages veranlassen.
Und wenn Sommerbrodt glaubt, die Arhythmie, welche ich
unter gewissen Vorbedingungen bei forcirter Athmung auftreten sah,
durch eine dabei stattfindende zweifellos intensive Decarbonisirung des
Blutes erklären zu können, so übersieht er, dass ich ausdrücklich
hervorgehoben habe, dass ich diese Erscheinung nicht allein bei
forcirter rascher, sondern auch bei forcirter langsamer Athmung he-
Pulsus bigeminas. 393
obaehtete und in Fig. 24 (Beiträge zur Eenntniss der Pulscarve) einen
sphygmographiflchen Beleg fflr diese Beobachtung beigebracht habe.
Ich halte es flbrigens theoretisch und praktisch fttr wichtig, die
dareh refiectorische oder directe Einwirkung auf den Vagus oder
den Accelerans heryorgebrachten Störungen im Rhythmus des Herz-
sehlages streng zu sondern von der durch directe Wirkung auf das
Herz hervoigebrachten Arhythmie, welche mit abortiven Herzsystolen
and verlfingerten Diastolen verknQpft ist.
Fflr letztere Art der Arhythmie ist aber, abgesehen von der
hier nicht in Frage kommenden directen mechanischen oder elektri-
schen Reizung, neben der Veränderung der Erregbarkeit des 'Herzens
durch Gifte keine andere Grundbedingung mit Sicherheit ermittelt,
als die Steigerung des intracardialen Druckes.
Diese muss aber durchaus nicht immer mit Steigerung des
Druckes in den Arterien verknttpft sein; und gerade bei den soge-
nannten Herzfehlem haben wir allem Anscheine nach in der mit Er-
niedrigung des arteriellen Blutdruckes einhergehenden Stauung im
rechten Herzen die Hauptquelle der bei Wegfall der Compensation
jener Zustände so gewöhnlich auftretenden Arhythmie zu suchen.
XXII.
lieber Icterasepidemien.
Dr. Carl Frohlioh,
AMigtonxant de« CoriMf eneralarstei 14. Armeecorpi In Karlsruhe 1. B.
Unter allen Epidemien nehmen diejenigen des Ictenu die be-
scheidenste und am wenigsten bekannte Stellang ein; so erw&hBt
Hirsch in seiner historisch-geographisehen Pathorogie dieselben nur
an einer Stelle in einer Randbemerkung, obwohl er selbst in einem
Referate ttber eine derartige Epidemie iiL seinem Jahresberichte am
Schlüsse die Notiz anfügt, dass epidemischer Icterus schon wieder-
holt von deutschen und franzosischen Militärärzten beobachtet worden
sei. Ha es er erwähnt dieselben in seiner Oeschichte der epidemi-
schen Krankheiten gar nicht. Beurtheilen wir allerdings die Bedeu-
tung einer Epidemie nach dem Procentsatze ihrer Mortalität, welche
bei Icterus im Allgemeinen sehr gering ist, so nimmt dieselbe eine
der am wenigsten unser Interesse in Anspruch nehmenden Stellen
ein ; immerhin jedoch werden wir im Laufe dieser Abhandlung sehen,
dass ihr Vorkommen keineswegs so selten ist, dass wir nicht unsere
Aufmerksamkeit auf dieselbe richten sollten.
Gerade fflr uns Militärärzte hat besagte Krankheit ein doppeltes
Interesse, indem sich einestheils aus der Zusammenstellung aller bis-
her in der Literatur verzeichneten Epidemien dieser Art ergibt, Ab»
die meisten beim Militär beobachtet worden sind, so dass man mit
einigem Rechte dieselbe unter die Armeekrankheiten rechnen dürfte,
wenn wir sie auch in den betreffenden Sammelwerken unter diesem
Titel nicht verzeichnet finden ; anderntheils zeigen die sorgfältig zu-
sammengestellten Krankheitsberichte der Vereinigten Staaten aus dem
nordamerikanischen Feldzuge, welch grosser momentaner Verlost der
Armee durch die bezeichnete Krankheit erwachsen kann, indem im
ersten Kriegsjahre allein 10,929 Fälle von epidemischer Gelbsocht
mit 40 Todesfällen vorfielen. Ferner waren in dem deutsch-franid-
Ueber IcteroBepidemien. 395
Bischen Feldzage beim 1. bayr. Armeecorps während der Monate
Februar bis Mai im Ganzen 799 Soldaten — 2,4 Proc. des Corps —
von diesem mehr peniblen als gefährlichen Leiden befallen; Aehn-
liebes wird anch von dem sächsischen Armeecorps vor Paris in dem-
selben Feldznge berichtet Obige Zahlen an nnd für sich sprechen
deutlich genug, dass es sich der Mflhe verlohnen dflrfte, den ursäch-
licben Bedingungen, welche diese Krankheit hervorzubringen im
Stande sind, nachzuforschen.
Dass diese Erkrankung übrigens durchaus nicht als zu leichte
anfsufassen ist — wird sie ja sogar von einigen Beobachtern nur als
eine Modification des Gelbfiebers angesehen — , zeigen verschiedene
Fälle von acuter Leberatrophie (Icterus gravis, letalis oder typhoides)
in den einzelnen Epidemien. Schon Hippocrates sagt: Icterus est
morbus maxime periculosus, cum supervenientia dicta symptomata
apparent, femer Graves^) in seinem System of elinieal medicme:
Zeigen sich während des Icterus nervöse Symptome, so ist das
Schlimmste zu befürchten. Aehnlich drückt sich Stokes^) aus; auch
Marsh warnt davor, die Gelbsucht nicht für gefahrlos zu halten
und knüpft daran die Bemerkung, dass namentlich Kranke mit reiz-
barem Nervensystem bei dieser Erkrankung immer mit ängstlichen
Aagen betrachtet werden müssen. Auch Abercrombie^) hält die-
selbe, wenn sie auch von Ursachen entstehe, die dem Anseheine nach
Torflbergehend sind, doch nicht für eine durchaus gefahrlose Krank-
heit Von den neueren Autoren bemerkt Sieb er t^), dass von jeher
die praktischen Aerzte durch Gehimzufälle , welche die Gelbsucht
begleiteten, interessirt wurden; auch nach Lebert zeigt epidemisches
Auftreten des Icterus Fälle mit sehr bösartigem Verlaufe.
Im Allgemeinen können wir unter den Epidemien der Gelbsucht
zwei Hauptformen unterscheiden, die eine, in Europa und vor Allem
in Deutschland vorkommend, unterscheidet sich in Beziehung auf die
einzelnen Symptome der Krankheit in nichts von den sporadischen
Fällen des sogenannten* katarrhalischen Icterus und bietet für uns
zunächst das Hauptinteresse dar; die andere hingegen, vorzugsweise
in der heissen Zone, in einzelnen wenigen auch in Frankreich be-
obaehtet, scheint in ziemlich naher Beziehung zu dem gelben Fieber
zu Btehen und nur eine modificirte Form desselben zu sein; es sind
dies namentlich auch jene Epidemien, welche acute Leberatrophie
1) Uebersetzt Yon Bre ssler 1843.
2) DubUn. faosp. reports. f
3) Pathol. tt. prakt Untersuchungen aber die Krankheiten des Magens. 1843.
4) Diagnostik der Krankheiten des Unterleibes. 1855.
396 * XXII. Fröhlich
in ihrem Verlaufe mit sich bringen, obwohl selbstverständlich diese
auch hie und da bei der ersten Form gefunden wird.
Was nun die ätiologischen Momente dieser Epidemien betrifft,
so müssen wir uns leider gestehen, dass wie bei allen ttbrigen Epi-
demien so auch hier die eigentliche Ursache des Entstehens keines-
wegs mit unumstösslicher Sicherheit und Gewissheit bekannt ist, son-
dern zum grössten Theil ebenfalls nur auf Hypothesen beruht, so
dass hierher des grossen van Swieten^) schon vor hundert Jahren
ausgesprochenen Worte trefflich passen : , Der Fleiss unserer neueren
Gelehrten hat Vieles, was den Bau des Leibes anbetrifft, entdecket,
noch mehr aber ist verborgen und wird auch vielleicht lange ver-
borgen bleiben: die Aerzte, welche sich auf diese neuen Entdeck-
ungen etwas einbildeten und verschiedene noch unerwiesene Sätze
anzunehmen geneigt waren, machten aus wenigen besonderen allge-
meine Regeln in der Arzneykunst und Hessen Dasjenige, so bey
denen Krankheiten mit ihrem angenommenen Satze nicht wol flbe^
einstimmte, entweder gar aus der Acht, oder verdrehten es mit Ge-
walt so lange, bisz es damit flbereinzustimmen schiene. Auf diese
Weise wollten sie die Kunst, welche von unseren weisen Alten lang
genannt worden, abkürzen. ^ Die Behauptung, dass der epidemische
Icterus nur die weitere Folge eines Gastroduodenalkatarrhs, der durch
allerlei einwirkende Schädlichkeiten und Vorkommnisse, sowie anch
namentlich durch eine Störung in der Verdauung hervorgerufen wer-
den kann, und bei gemeinsamer Ifahlzeit auch die betreffenden Leute
gemeinsam befallen wird, ist am wahrscheinlichsten und bei verschie-
denen Epidemien mit ziemlicher Gewissheit nachgewiesen; aus let^
teren Grflnden erklärt sich auch das häufige Vorkonunen der Gelb-
suchtepidemien bei Soldaten , in Seminaren , Gtofängnissen u. s. w.
Für den Truppenarzt, der ohnedies in seiner bescheidenen Friedens-
thätigkeit hauptsächlich auf die Prophylaxis angewiesen ist, entsteht
dadurch die Pflicht, sein Augenmerk auch auf die Kahrung der Sol-
daten zu lenken, und unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass sich
demselben hier noch ein weites Feld zur Entwicklung einer eingrei-
fenden Thätigkeit bietet, welche er nicht nur durch Vortrag bei den
betreffenden Befehlshabern ausüben und verwerthen kann, sondern
auch im Privatverkehr mit den einzelnen Chefs der C!ompagnie, Bat-
terie oder Escadron; letzteren ist meistentheils die Verpflegung des
Soldaten anheimgegeben und sind dieselben ebenso sehr, wie der
1) Des Herrn Gerhard van Swieten Erläuterungen der Boerhaa▼e'8chenLeh^
Bätze. 1778.
Ueber Icterusepidemien. 397
«
Arzt, bemüht, Krankheiten, soweit dies durch entsprechende Maass-
regeln möglich ist, zu verhüten oder wenigstens zii beschränken.
Findet der Militärarzt hier nur die richtige Art und Weise, so darf
er fast stets auf ein williges Entgegenkommen in dieser Hinsicht
rechnen y das allerdings bequemere laisser aller ist hier keineswegs
am Platze.
Dass ausser den Ernährungsstörungen noch eine Menge anderer
ursächlicher Momente im Laufe der Zeiten von den yerschiedenen
Schriftotellem angefahrt worden ist, braucht wohl nicht erst beson-
ders hervorgehoben zu werden; immerhin jedoch dürften dieselben
nicht ausser Acht gelassen werden und verdienen, dass wir sie etwas
näher betrachten. Die zweite Stelle hinsichtlich ihrer Aetiologie
nehmen die atmosphärischen und miasmatischen Einflösse bei dieser
Form von Epidemie ein. Franciscus Rubens, dem wir die erste
Beobachtung Aber die schwere Form des Icterus verdanken, deutet
sehoiv in seinen Noctum. exercit. in medicas historias (1660) in dem
Kapitel de ictero letali darauf hin mit den Worten : „ Apud auctores
icteri causas plures legimus, cum aliquando sanguis a veneno cor-
mmpitur, icteri causa fit, deleteria qualitate inficiente**; des-
gleichen Peter Franko): „heisse Luft schwächt in feuchten und
Bumpfigen Gegenden die Nervenkraft und jene des Magens und er-
zeugt galliges Fieber^; Horaczek^) femer in seiner vortrefflichen
Monographie, dass der Spätsommer und der Herbst der galligen Dys-
krasie günstiger sind als die anderen Jahreszeiten, ferner plötzlicher
Wechsel höherer Temperaturgrade, besonders der feuchten, warmen
Witterung mit kalter, trockener, daher die Angaben Aber epidemi-
sches Vorkommen nicht unrichtig seien; auch Lebert^) hat locale
Einflüsse, die nicht näher bestimmbar sind, aber den Miasmen gleich-
zustellen, beobachtet und führt die Entstehung auf localmiasmatische
Einflttsse in den Pariser Forts (1870/71) durch monatelange Anhäu-
fung von Excrementen zurück. Nach Gerhardt^) liegt gleichfalls
die Frage nahe, ob es bei Icterus epidemicus sich um katarrhalische
Erkrankung des Verdauungskanales handle oder um ein oonstitutio-
neues Leiden, das eine Vorstufe von Malaria oder Gelbfleber dar-
stelle. Diesen schliessen sich die Beobachtungen von Ballot^) an,
der auf der Insel Martinique Gomplicationen von Icterus mit reinit-
1) Orondsätze über die Behandlnng der Krankheiten des Menschen. 1829.
2) Die gallige Dyskrasie (IcteruB). 1844.
3) Ziemssen's Handbuch der spec. Pathol. u. Ther. Bd. II. 1.
4) Sammlang klinischer Vorirftge. 17.
5) Oaz. des höpit. 1859.
398 N XXU. Fröhlich
tirendem Fieber sah, ebenso wie Näret in Nancy Complicationen
mit Intennittens und Remittens; nach Frerichs'^ klasaischer Scliil-
derung können alle Schädlichkeiten, welche den Oastrodaodexud-
katarrh herrorrufen, eine Ueberladung des Magens, schwer yerdaa-
liche Ingesta, Spirituosen, femer Erkältung und andere atmoisphärisehe
Einflüsse, welche im Sommer und Herbst gastrische Affectionen her-
beifflhren, auch katarrhalischen Icterus veranlassen und hat man anf
diese Weise hin und wieder die Krankheit epidemisch beobacbtet;
auch Bamberger ^) zählt ohne allen Zweifel zu den Ursachen des
epidemischen Icterus gehörend fette und schwer verdauliche Fleisch-
speisen, Verkältungen und atmosphärische Einflüsse, daher im Frflb-
jähr am häufigsten. Nach Horaczek (L c) kommen zu den oben
erwähnten Ursachen noch unzweekmässige stickstoffreiche, rohe, Ter-
dorbene Nahrungsmittel bei etwa gänzlicher Enthaltsamkeit aller
vegetabilischen Nahrung. Thierfelder^) sagt bei Besehreibang
der acuten Leberatrophie: »In der Einwirkung eines Miasmas die
Ursache zu vermuthen, wird durch einige Beobachtungen nahegel^gti
nach denen die Krankheit Glieder derselben Familie, Leute von dem-
selben fichiffe u. s. w. gleichzeitig befällt, diesen Fällen reihen sich
hinsichtlich der Aetiologie manche in Icterusepidemien vorgekommene
an.'' Endlich möge hier noch eine Aeusserung von Hirsch^) er-
wähnt werden, dass diese Epidemien mit dem Genüsse verdorbenen
Trinkwassers zusammenhängen dürften, obwohl f&r diese Behauptang
eigentlich keinerlei Anhaltspunkt zu finden ist.
Ich habe mich nun bemüht, sämmtliche^} in der Literatur be-
schriebenen Epidemien von Gelbsucht zusammenzustellen, und hierbtt
gefunden, dass bis jetzt drca 30 derartige Epidemien publicirt wor-
den sind. Die meisten Schriftsteller beschränken sieh allerdings
leider auf die Aufzählung der betreffenden Fälle und die Erwähnung
etwaigen Vorkommens von acuter Leberatrophie, ohne näher auf die
Aetiologie dieser in Bezug auf ihre Entstehung immerhin noch ziem-
lich dunklen Epidemie einzugehen.
Die ersten Icterusepidemien sind gegen Ende des 18. und im
1) Medlcinische Klinik, tsei.
i) Vircbow'B Handb. d. spec. Pathologie u. Therapie. Bd. VI.
3) Ziemsaen's Handb. d. spec. Pathologie u. Therapie. Bd. VIU. 1.
4) Yirchow und Hksch's Jahresbericht ttber die Fortschritte der Medids.
5) Die beiden von Bamberger erw&hnten Epidamen Ton Lentin und
Kerkring habe ich nirgends auffinden können; sollte letzterer meht vielleicbt
Kerksig sein? (in Kerckringius, SpiciL anatom. 1670 ist wenigstens mchti hierauf
Bezug Habendes zu finden).
üeber leteniBqiidemien. 399
Anfange des 19. Jahrhunderts yerzeiohnet und finden wir in dieser
Zeit eine Reihe Ton Epidemien bösartiger Gelbsueht, welche als dem
gelben Fieber sehr fthnelnd beschrieben sind; die erste derartige
kam vor in Bremen 1760, die nfichste in Essen im Jahre 1772 und
wnrde von Brflning in seinem Tractatus de ictero spasmodico in-
hntam yeröffentlicht, sie betraf ausschliesslich nur Kinder und muss
alt verhftltnissmässig. sehr schwere bezeichnet werden. Gleghorn^)
beschreibt eine im Jahre 1775 auf der Insel Minorka in den Monaten
Jnli und August Yorgekommene; dann folgt eine in Genua und Um*
gebung 1792—93 von Batt beschriebene; Eerksig^) beobachtete
1794 eine in Lüdenscheid in der Pfalz vom Ende August bis No*
Tember; es waren im Ganzen circa 70 Personen erkrankt; als ursflch-
licbe Momente fahrt er an ungünstige Lebensbedingungen, schlechte
Wohnung, rohe Kost, strenge Arbeit und flble WitterungseinflOsse.
Dann folgt Mende^) in Greifswald im Winter 1807/8, Garnot auf
der Insel Martinique im Jahre 1832 tlber die ganze Insel verbreitet,
hält dieselbe f&r eine Modification des Gelbfiebers; Ghardon^) in
einigen Distrietan an der Saöne im letzten Trimester des Jahres 1841,
CharpentierB) zu Roubaix im Anfang des Jahres 1854, Harley
auf Martinique 1858, hatf^ächlich Schwangere befallend, desgleichen
Douillö und Saint-VeP; ebendaselbst, sowie Ballot (1. c.) im
Jahre 1859, die letzte mit gutartigem Verlaufe, meist Soldaten be-
fallend, Beginn im März, Zunahme im Mai bis Juli, durchschnittliche
Dauer 3 Wochen; Bergeron ^) beschrieb eine sehr bösartige Epi-
demie im Jahre 1859 nach den Beobachtungen von Garrille im
Gefängnisse von Gaillon (Eure) im Mai ohne nachweisbare Ursache
beginnend, im October endigend; es erkrankten im Ganzen 47 Per-
sonen, von denen 11 starben, die meisten Fälle fielen auf den An-
fang, die intensivsten auf das Ende, die meisten Patienten standen
im Alter von 40 — 50 Jahren und gerade die am schwersten Er- <
krankten waren kräftig ; die Dauer der eigentlichen Erkrankung be^
trog circa 12 Tage, die Reconvalescenz aber Aber einen Monat;
Bar d in et ^) im Winter 1859/60 in Limoges, bei Schwangeren vor-
kommend; Beck (Privatmittheilung) beobachtete in den fünfziger Jah-
ren in Rastatt eine Epidemie beim MHitär, sämmtliche circa 30 hiervon
Befallene waren nachweisbar unmittelbar nach dem Mittagessen zum
1) Bndd, Diseases of liver. Uebersetzt Yon Henoch. 1846.
2) Hofeland's Journal Bd. 7. 3) Ebenda. Bd. 31.
4) Journal de Lyon. 1841. 5) Bevue m^dic-chir. Mai 1854.
6) Gazette des hftpit. 1862. 7) Union mödic. 1862.
8) L'union. 1863.
400 XXn. FbAhlich
Schwimmen geführt worden und hatten sieh die Erkrankung dmch
diese eingreifende Störung in der Verdauung zugezogen. Die Epi-
demie yerschwand, nachdem ohige Haassregel aufgehoben wurde und
die Leute erst in den Abendstunden Schwimmunterricht erhielten. lo
dem TortreflFlichen Buche von Woodward^) finden wir die Epidemien
des Icterus während des amerikanischen Feldzuges verzeichnet; haapt-
sftchlich befallen waren einige grössere Lager der Potomak -Armee
vor Washington 1861—62, dann vor Torktown im April 1862, am
Chickahorming im Juni; nicht nur die ganze Lagerfiäehe, sondern
auch der Baum in den einzelnen Zelten und Baracken wird als m
klein geschildert; als Ursache finden wir die Lagerkost, namentlich
den Mangel an frischen Vegetabilien beschuldigt, sowie 'die fehler-
hafte Anlage der Abtritte und den mangelnden Abfluss der^Viehabfälle
nach dem Schlachten; über die seuchenartigen Krankheiten im All-
gemeinen heisst es dann, dass die Hehrzahl dieser Krankheiten drd
verbreiteten und mächtigen Einflössen , welche ihren Charakter be-
stimmten, ihre Entstehung verdankten, nämlich dem Malariagiite, der
Zusammenhäufung von Menschen und scorbutischem Verderbnüs.
Diese drei zeigen die Einwirkung von dreierlei Verhältnissen auf den
Menschen, das Klima, Lebensweise und Eniikrung, und bedingen in
verschiedener Combination fortwährend auftretend die vorwaltenden
Krankheiten; Ursachen sind zu suchen in der Zusammenhäufang,
schlechter Ventilation und ungenttgender Beinlichkeit, .schlecbter
Polizei'' nach Ausdruck der Armeeärzte. Saint-Vel (1. c.) bescbreibt
eine zweite Epidemie auf Martinique im Jahre 1862; Bizet^; 1867
in Arras, der Festungsgraben von 21 Meter Breite war nach 10 Jahren
wieder gereinigt; 3 Wochen darauf Steigen der Temperatur von —4®
auf -f- &^ in der nächsten Kaserne erster Fall , Icterus wiederholt
nach Beinigung dieses Grabens beobachtet. Hayden') beobachtete
eine Epidemie, welche 1868 nur Studirende im gleichen Institute
befiel, Nachfragen ergaben keine localen Ursachen; Behn^) im Jahre
1869 in Hanau unter den Kindern namentlich vorkommend; Verfasser
glaubt klimatischen Einflüssen die Entstehung zuschreiben zn mflssen,
vorwiegende Nässe während dieser Zeit; Frank ^) im Frflhlinge 1869
in Ingolstadt bei einem Begimente, ätiologisches Moment nicht er-
1) Oatlines of the chief camp diseases of the uoitod States annies etc. Phil«-
delphia 1863.
2) Rec. de mem. de möd. milit. 1867«
3) Med. press. and circul. 1868.
4) Jahrbuch für Kinderheilkunde. 1869.
5) Bayrisches ärztliches Intelligenzbl. 1869.
Ueber Icterasepidemien. 401
mittelt; Ganghey 0 eine Epidemie in Ost-Tenessee 1870; Decaisne^)
eise in der Umgegend von Paris 1871 unter den verschiedensten
bygieinischen Verhältnissen, sowohl bei Civil wie bei Militär, auch
schon frfiher öfter daselbst beobachtet, namentlich im Herbst; Seg-
geP) schreibt die Schuld der Icterusepidemie beim 1. bayr. Armee-
corps während des Feldzuges 1870/71 dem ununterbrochenen Genüsse
von Schaf- oder gesalzenem Rindfleische zu, desgleichen hält Roth^)
die ausgedehnten Icterasepidemien im sächsischen Armeecorps vor
Paris von der Einförmigkeit der Kost herrührend; Köhnhorn^)
beschreibt eine Epidemie in Köln 1872 bei einem Regimente; er-
krankt waren 58 Mann mit einer durchschnittlichen Behandlungs-
daaer von 25 Tagen; als Grund gibt er ebenfalls die Einseitigkeit
der Kost, den häufigen Genuss von Schweinefleisch und HUlsenfrdch*
ten an, die Befallenen waren durchweg Rekraten, welche an die
Einförmigkeit und Eigenthttmlichkeit der Menage nicht gewöhnt
waren, Mangel der nöthigen Resistenz und Gefühl des Ekels; nament-
lich wenn die Speisen schon etwas erkaltet sind, tritt letzteres sehr
hervor; See^) eine Epidemie in Paris 1872 im März, Entstehung
unklar, in einzelnen Fällen Gastroduodenalkatarrh, desgleichen Ha-
genbach ^) im October 1874 in Basel beobachtet; Lindemann ^)
in Soest 1874 Febraar bis Mai, beim Bataillon 27 Mann, nur Rekra-
ten, ursächliches Moment in der Beköstigung gesucht, deutet an, dass
die Abwechslung in der Menage in den Frühjahrsmonaten am schwie-
rigsten sei; Stitzer®) im Juli bis August 1874 in Wetzlar bei einem
Bataillon, eine Compagnie hatte 14 Mann daran erkrankt, Aufenthalt
in den betreffenden Kasernen kein salubrer, schlechte Luft in der
Stube, die hauptsächlich Kranke lieferte; Klingelhöfer^o) eine in
Heusenstamm 1874/75 October bis März ohne weitere Angabe, als
dass die Haupterkrankung das mittlere Alter betraf, endlich Stitzer
(1. c.) noebmals eine Epidemie im März 1 875 in Mainz, der Aetiologie
wegen interessant, es wurden nämlich nur weibliche Mitglieder einer
Familie hiervon befallen; als Ursache fand sich ein verstopftes Ab-
1) Philadelph. med. Times.
2) Compt. rend. LXXIII. 26.
3) Peuteche milit&r&rztliche Zeitschrift. 1872.
4) Jahresber. ttber die Fortschr. auf d. Gebiete d. MUit.-Saiiit.- Wesen. 1873.
5) Berliner klinische Wochenschrift. 1877.
6) Gaz. des höpit. 1872.
7) Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte.
8) Deutsche Zeitschrift für praktische Medicin. 1874.
9) Wiener med. Presse. 1876.
10) Berliner klin. Wochenschrift. 1876.
DestaehM Archiv f. kUa. Mtdtoin. XXIY. Bd. 26
402 XX IT. FRdHLiOB
•
zQgsrohr des Spttlsteines in der EflobOi in welehem sich ein Knochen-
fragment eingekeilt hatte ^ auf dem .ein ganzer Haufe faulenden Ab-
falles aufgespeichert lag.
Aus diesen bis jetzt bekannt gewordenen Epidemien Ifisst sich
kurz folgendes Resumö ziehen.
Was die Entstehungsursacbe besagter Krankheit betrifft,
so können 1. dieselbe alle jene Veranlassungen herbeif Obren, welche
einen Gastroduodenalkatarrh zu erzeugen im Stande sind, als Erkäl-
tungen, Durchnässungen, schwer verdauliche, namentlich stiekstoff-
reiche Nahrungsmittel, grosse Einförmigkeit der Speisen; 2. ist die
Entstehung durch Infection in Folge local-miasmatischer EinflQsse in
einzelnen Epidemien mit Sicherheit nachgewiesen, obwohl dieselbe
von einigen Autoren geleugnet wird.
Hinsichtlich der Jahreszeit ist zu bemerken, dass zwar Ictenu-
epidemien zu jeder Jahreszeit beobachtet worden sind, aber doch
weitaus die häufigsten in den Frflhjahrsmonaten , in welchen einer-
seits an und für sich die meisten sogenannten Erkältungskrankheiten
vorkommen, andererseits die Verpflegung die grössten Schwierigkeiten
darbietet, indem zu dieser Zeit die geringste Abwechslung des Speise-
zettels ausser mit ganz unverhältnissmässig grossen Kosten möglich
ist, was gewiss jede Hausfrau, die einem grösseren Hausstande vor-
steht, bezeugen wird.
Bei den militärischen Epidemien darf dann auch die Thatsaehe
nicht unerwähnt bleiben, dass sehr häufig nur die Leute des jQngsten
Jahrgangs von der Epidemie befallen worden sind, und ist in den
einzelnen Berichten schon darauf hingewiesen worden, dass Rekruten
fiberhaupt eine geringere Widerstandsfähigkeit gegen die verschieden-
artigen auf sie einwirkenden Schädlichkeiten besitzen und dass hierzu
unter Anderem auch die denselben bisher ungewohnte Emähnmgs-
weise ihren Theil beiti-agen möge.
Zu diesen oben erwähnten Epidemien bin ich nun in derLage,
vier neue hinzufttgen zu können, welche im Laufe der letzten Jahre
im Bereiche des 14. Armeecorps zur Beobachtung kamen; auch in
diesen Epidemien wieder finden wir obige Angaben sämmtlich be-
stätigt.
Die 1. Epidemie fiel 1875 in den Frtlhjahrsmonaten in Keu-
breisach vor und wird der Grund ihrer Entstehung auf eine Infection
durch die schädliche Einwirkung eines Wallgrabens zurttckgefflbrt
Nach den Aufzeichnungen des Stabsarztes Dr. Helfer, dessen Freund-
üeber IcteruBepidemien. 403
liebkeit ich nachstehende Bemerkungen zu verdanken habe, ent-
stammte das Miasma ans dem Hauptwallgraben ; dieser erhält sein
Wasser aus dem Vauban- Kanal und ist der Zufluss so construirt,
dass er nach der einen Seite ein, nach der andern zwei Dritttheil
der Festung umfliessen muss ; in Folge dessen ist der Strom in letz-
terem Theile sehr schwach und stagnirt stellenweise, die äusseren
Festungsgraben . sind phne Wasserlauf, in der wärmeren Jahreszeit
nur mit kleinen sumpfartigen Stellen versehen; in den Hauptkanal
mdnden ausserdem Abzugskanäle aus der Stadt, die gerade auch
nicht sehr begflnstigend für die hygieinischen Verhältnisse einwirkten,
und kam dann in Folge der ungünstigen Stromverhältnisse eine fast
Tollständige Stockung und Ablagerung von organischen Substanzen
zu Stande; in der Kaserne, welche an dem längeren Arme gerade
an der Stelle der schwächsten Kanalströmung liegt, kamen die haupt-
sächlichsten Erkrankungen vor, während die in der Nähe der stär-
keren Strömung einkasernirten Mannschaften von der Epidemie ver-
schont blieben. In den meisten Fällen traten keine Prodromal-
erscbeinungen auf und wurden wiederholt Leute erst durch das
Gelbwerden ihrer Haut auf ihre Erkrankung aufmerksam gemacht;
hingegen war die Dauer der Reconvalescenz — bei einzelnen 40 Tage
-- eine sehr lange und namentlich die ersten Fälle am hartnäckig-
sten, der ganze Verlauf glich einer infectiösen Krankheit; öfters
wurden von den gewöhnlichen Erscheinungen des Icterus Herabgehen
des Pulses und der Temperatur beobachtet, hingegen fehlte Haut-
jucken und Oelbsehen, sowie Anschwellung der Leber, alle Fälle
gingen in Genesung über, die Zahl der Erkrankten betrug 19.
Die 2. E p i d« m i e kam vor in dem kleinen elsässischen Städt-
chen Sulz, welches nach dem Kriege bis zum Ausbau der neuen Ka-
Beraen in Mflhlhausen i. E. provisorisch mit Militär belegt war; auch
diese fiel in die Frtthjahrsmonate Februar und März 1877; hauptsäch*
lieh betroffen waren zwei Gompagnien, die aber in zwei verschie-
denen Kasernen lagen, während die beiden anderen Gompagnien in
dem gleichen Gasernement fast völlig verschont blieben; auch noch aus
anderen Grfinden war es nicht möglich, die Ursache der Erkrankung
in den Unterkunftsräumen der Leute zu suchen, desgleichen musste
die Kost ausgeschlossen bleiben, da das ganze Bataillon eine gemein-
same Verpflegung hatte. Hingegen wird berichtet, dass gerade in
dieser Zeit sehr heftige Regengüsse an der Tagesordnung waren,
durch welche die Mannschaften völlig durchnässt wurden und bei
dttn provisorischen Gasernement, das doch immerhin ziemlich mangel-
haft war, keine Gelegenheit hatten, ihre Montur vollständig auszu-
26*
404 XXII. Fröhlich
trocknen. Am meisten betheiligt war das Schuhwerk, da auch der
Exercierplatz ungenügend angelegt war, durchweg völlig aufgeweich-
ten Untergrund darbot und auf solche Weise die Veranlassung za
zahlreichen Magen- und Darmkatarrhen wurde; im Gänsen waren
16 Mann und zwar ausnahmslos nur Rekruten erkrankt; die mittlere
Behandlungsdauer betrug 19,4 Tage, die höchste 41 und die nie-
drigste 11. Leberanschwellung wurde nicht beobachtet, hingegen
Mattigkeit, Appetitmangel, Schwindelgefflhl, weisslich belegte Zunge,
drückende Schmerzen im Unterleibe, Puls schwach, träge; von den
letzten Zugängen waren einige schon lange vorher unwohl ohne be-
sondere hervortretende Erscheinungen, einer wurde durch seine gelbe
Hautfarbe darauf aufmerksam, fühlte sich sonst vollkommen wohl,
alle Fälle verliefen fieberlos, überwiegend waren die hervortretenden
Symptome diejenigen eines Gastroduodenalkatarrhs und es fehlten
durchweg die auf eine infectiöse Erkrankung hinweisenden.
Die 3. Epidemie ereignete sich in den Monaten Februar and
März 1878 in Rastatt und blieb nur auf eine Compagnie beschränkt;
da alle übrigen ursächlichen Momente ausgeschlossen werden konn*
ten , mussten als einzige Veranlassung nur die Verhältnisse der Er-
nährung angesehen werden ; jede Compagnie dieses Regimentes führt
ihre eigene Verpflegung, kauft die Nahrungsmittel selbst ein und
kocht für sich allein, so dajBS Verschiedenheiten bei der Ernähmng
leicht Differenzen im Gesundheitszustande der einzelnen Compagnie
darbieten können; Eücbeneinrichtung und Wasserbezug waren die
gleichen, wie bei den übrigen, so dass die Ursache eigentlich nur in
den Nahrungsmitteln selbst liegen konnte, und wurde denn auch
allerdings eine grosse Einförmigkeit des Speisezettels constatirt, indem
sich derselbe fast ausschliesslich auf Hülsenfrüchte beschränkte, Kar-
toffeln und Gemüse hingegen fast vollständig ausschloss, auch wurde
häufiger als bei den anderen Compagnien Schweinefleisch verabreicht;
die Erkrankten waren auch in dieser Epidemie durchweg Rekruten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Entstehung der Erkrankung von
einer Störung in der Ernährung resp. Verdauung ausgehe, wurde
übrigens noch dadurch erhöht, dass zur nämlichen Zeit ein Rekrut
derselben Compagnie mit Scorbut, eine Krankheitsform, welche na-
mentlich seiner Zeit in der damaligen Bundesfestung Rastatt in enor-
mer Ausdehnung unter den österreichischen Truppen wüthete, seit
langer Zeit jedoch daselbst vollständig verschwunden ist und nur hie
und da noch in ganz sporadischen Fällen in ganz leichter Form bei
heruntergekommenen Festungsgefangenen auftritt, welche als alte
Deserteure vor ihrer Einlieferung in den verschiedensten Ländern,
Ueber Icterusepidemien. 405
•
namentlich auch in Afrika, sich herumgetrieben haben , im Lazarethe
zoging. Die Krankheit selbst war bei den einzelnen Leuten von ver-
hAltnissm&Bsig kurzer Dauer, nur in 4 Fällen blieb der Icterus auf-
lallend lange zurück; Gomplicationen wurden nicht beobachtet, die
hauptsächlichsten Symptome waren leicht belegte Zunge, hie und da
Diarrhöen, Abgeschlagenheit, Pulsverlangsamung und nicht sehr be-
deutende Empfindlichkeit der Leber bei Druck ohne Anschwellung
derselben; erkrankt waren im Ganzen 19 Mann, von denen aber
einige als nicht zu der betreffenden Epidemie gehörend abgerechnet
werden müssen.
Die 4. Epidemie finden wir genau zur selben Zeit wie die
vorige Februar und März 1878 in Constanz und wird die Entstehungs-
ursache dieser Epidemie den atmosphärischen und klimatischen Ein-
wirkungen zugeschrieben, indem während des bezeichneten Frühjahres
sehr häufige Regengüsse vorfielen und zu zahlreichen Durchnässungen
und Verkältungen wiederholt Veranlassung gaben. Abgesehen davon,
dass eine Menge von Gastroduodenalkatarrhen ausserdem noch in dieser
Zeit beobachtet wurden und die hervorstechendsten Erscheinungen
in dieser Epidemie bildeten, waren auch wiederholt Fälle mit Angina,
worunter einige sehr heftig, zu gleicher Zeit complicirt. Auch hier
wieder waren alle Erkrankten Rekruten, die Zahl derselben ist dies-
seits nicht genau bekannt, hat aber die Summe von 20 nicht über-
schritten ; ein Fall verdient noch besonderer Erwähnung, in dem als
Complication des Icterus eine Vereiterung des Fussgelenkes auftrat,
welche zur Amputation des Unterschenkels führte ; nach Ansicht des
behandelnden Stabsarztes Dr. Vi eh off, dessen freundlicher Mitthei-
lung diese Notizen entstammen, ist der mit grosser Vehemenz gestei-
gerte und ausgedehnte Process dieser Erkrankung zum grossen Theil
auch durch die krankhaft veränderte icterische Säftemischung ver-
anlasst worden, was allerdings nicht ohne Weiteres von der Hand
gewiesen werden kann.
An diese Epidemien anschliessend dürfte noch erwähnt werden,
dass auch in Mülhausen i. E. im Jahre 1876 mehrere Fälle von Icterus
in einer Stube sich ereigneten und wurde als ätiologisches Moment
nach Au^hluss aller übrigen ein verfaulter Balken unter der betref-
fenden Stube vorgefunden, nach dessen Entfernung keine weiteren
Fälle von Gelbsucht mehr vorfielen, ein Beitrag zu der miasmati-
schen Entstehung einzelner Icterusepidemien.
Prüfen wir nun diese vier neuen Epidemien hinsichtlich ihrer
Aetiologie, so finden wir bei denselben die verschiedenerlei Ursachen,
406 XXn. Fröhlich, Ueber Icterosepidemien.
welche epidemischen Icterus nach der obigen Auseinandersetzang
hervorzubringen im Stande sind, so ziemlich alle vertreten ; die erste
in Neubreisach verdankte den local - miasmatischen Einflüssen ihren
Ursprung, die 2. und 4. in Sulz und Constanz hatten ihren Grund
in den häufigen Verkftltungen und Durchnässungen (Niemeyer's^)
Genius epidemicus gastricus?), während die 3. in Rastatt aus der
Fürsorge eines Compagniechefs entsprang, welcher seine Soldaten
aus missverstandenem Wohlwollen mit recht vielen stickstoffreieben
Nahrungsmitteln, Hülsenfrüchten und Schweinefleisch, stopfte, ohne
dass es jedoch glücklicher Weise bei denselben bis zur Fettleber ge-
kommen wäre, indem sich der beleidigte Magen schon vorher wei-
gerte, mehr hiervon noch aufzunehmen, und dies nach aussen bin
selbst für ein Laienauge durch die gelbe Hautfarbe deutlich sichtbar
machte, ein Fingerzeig, dass auch die Hassenverpflegung gesunder
Personen nach hygienischen Grundsätzen geleitet werden sollte.
Die gleichfalls schon in früheren Epidemien des Militärs gemachte
Beobachtung, dass hauptsächlich Rekruten von der Krankheit befallen
werden, fand ihre Bestätigung in dreien der unserigen.
Ueber die physiologischen Vorgänge beim Icterus und über die
Therapie dieser Krankheit hier etwas zu äussern, liegt ausserhalb
des Bereichs dieser Arbeit und muss in dieser Hinsicht auf die be-
treffenden Specialwerke eines Frerichs, Bamberger, Lebert,
Budd, Henoch u. A. verwiesen werden.
Der grösste Theil der bezüglichen Literatur ist aus der gross-
herzoglich badischen Hof- und Landesbibliothek geschöpft, wofür der-
selben an dieser Stelle herzlicher Dank gezollt wird.
Karlsruhe i. B., im Februar 1879/
1) Lehrbuch der spec. Patbologie und Therapie.
i
j
xxni
Multiple Herdsklerose des HIros und Rflekenmarks im
Säuglingsalter.
Von
Br. LadiBlans Foll&k,
Honorttr-Physioni des BQuver ComlUtes In OroM-Wardeln (Ungani).
Ein glacklicher Zafall brachte mich in die Lage, auf der Frauen-
Abtbeilung des hiesigen Comitats-Erankenhauses ein 3V2 Jahr altes
Baaemmädchen beobachten zu können,* welches ein so prägnantes,
exquisites und klinisch entwickeltes Krankheitsbild der multiplen
Herdsklerose des centralen Nervensystems und der Neryenstämme
darbot, wie es vollständiger — nicht nur in seinen Cardinal-, son-
dern auch in den Nebensymptomen und Begleiterscheinungen —
kaum sich denken lässt.
Ich war . eben mit der Ausarbeitung des hochinteressanten Falles
für ein ungarisches Fachblatt beschäftigt, als das Märzheft dieses
Archivs mir zukam und in demselben der XXV. Aufsatz von Dr.
ten Gate Hoedemaker meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Da nun dieser eminent klinische Fall nicht nur zur Ergänzung
der berechtigten Annahme des Vorkommens der benannten Krank-
heit einen erwünschteu Beitrag liefern kann, sondern vermöge seines
durch positive Merkmale sichergestellten Auftretens im 5. Lebens-
monate auf eine noch gar nicht beobachtete frtlhzeitige Entwicklung
— vielleicht congenitalen Ursprungs — sich zurückführen lässt und
hierdurch einen literarischen Werth besitzt, entschloss ich mich, den-
selben in der den weitesten Kreisen zugänglichen deutschen Fach*
literatur zu verwerthen.
Zudem hat unser Fall noch eine nicht geringe Bedeutung dadurch,
dass trotz der totalen Buchstaben-,' Wort- und Sprachlosigkeit (An-
arthria literalis, syllabaris et verbalis) auch diese Stummheit als
complicirende abnorme Erscheinung in den Rahmen des ganzen
Krankheitsbildes sich einfügen lässt«
408 XXIU. POLLAK
■
Die kleine Kranke — Rosa Deim, 3 V2 Jahre alt, aus Hosaznpalyi
im Bibarer Comitate — , die von mir in Gemeinschaft mit meinen Spitals-
Collegen, den Doctoren Joseph Fachs nnd Coloman Korda, seit
ihrer Aufnahme am 12. März d. J. bis hente täglich und oft lange an-
haltend geprüft wurde, demonstrirte ich auch am 1. April im „Verein der
Aerzte^ des hiesigen Gomitates, wo der Fall ein allgemeines Aufsehen
erregte.
Das Kind stammt von ganz gesunden, körperlich kräftigen Eltern ab,
in deren Familie nie eine nervöse oder psychische Krankheit vorkam, ja
selbst somatische Erkrankungen höchst selten waren und deren geistige
Entwicklung über ihren Bildungsgrad erhoben ist. Dessen Geburt ging
normal von Statten und in den 5 ersten Lebensmonaten fiel der dasselbe
säugenden Mutter nur der Umstand auf, dass das sonst üppig gedeihende
Mädchen nie mit seinen Händchen die Brüste suchte oder packte, wie dies
ihr erstes Kind that, sondern nur durch eine körperliche Unruhe, Auf-
reissen des Mundes und heftiges Weinen es errathen Hess, dass es trmken
wolle. Auch die Arme liess es immer in der gegebenen Lage hängen nnd
machte nie Hebe-, Greif- oder sonstige Willkür-Bewegungen, ob es in die
Windeln gebunden oder frei z. B. in der Badewanne lag. Mit den Füssen
arbeitete und spielte es dafür mit allen Kräften.
Lächeln und lachen sah man es nie, wenn man sich noch so sehr
mit ihm beschäftigte.
Im 5. Monate merkte dafür die Mutter, dass seine sonst unbeweg-
lichen Arme und Hände öfters zu zittern anfingen, am Leibe herumschlot-
terlen und sonstige Schwingbewegungen machten, welche keinem Zwecice
entsprachen und die bestehende Scblafifheit der Extremitäten, die Actions-
Unfähigkeit gar nicht modificirten.
Zwischen dem 6. und 7. Monate begann das Kind sowohl in der
Wiege wie auch auf dem Arme das Köpfchen rasch hin und her zu werfen,
heftig zu schütteln, was bei der sonstigen Ungeschicklichkeit im Gerade-
halten des Rumpfes und des Kopfes den Eltern auch unerklärlich blieb.
Da nun in den noch späteren Monaten das Kind sich gar nicht auf-
richten konnte, auch gestützt sich nicht zu erhalten im Stande war, trotz-
dem dass es schon 6 Zähne ohne Beschwerden bekam und das Balanciren
des Kopfes, das Schütteln der Arme noch zunahm, führten die beunruhigten
Eltern das Kind zu einem Landarzte, welcher sie mit einer unvermerkt
aufgetretenen, aber sich allmählich bessernden „ Lähmung '^ tröstete, die
um so mehr erhofft werden könne^ weil sie unvollständig und nur „ auf die
Kopf- und Armmusculatur beschränkt isf
Das Kind bekam eine flüssige Medicin in einer schwarzen Flasche
— wahrscheinlich Jod- oder Bromkalium — , welche es längere Zeit ohne
Wirkung gebrauchte, da es auch später die Hände nicht gebrauchen nnd
zu keinem gewohnten Zwecke verwenden konnte und das Kopfschaukeln,
Nicken, das Werfen der Arme nnd Hände ohne Abnahme fortdauerte.
Rosa war schon 1 V2 Jahre alt geworden, bis sie endlich — ohne je
früher gekrochen zu haben — Steh- und Gehversuche unternahm, welche
ihr aber mit grosser Noth und Mühe nur nach Wochen gelangen, haupt-
sächlich deshalb, weil sie mit den aller Wahrscheinlichkeit nach paretiscben
Händen sich nicht helfen, insbesondere sich nirgends anhalten konnte. Sie
Multiple Herdsklerose im Säuglingsalter. 4Q9
gebranchte wohl ihre Handteller als Sttttze, ihre Arme als Hebel, indem
sie selbe an den Boden festdrOckte und sich an ihnen heramrollte, aber
io der ersten Periode hatte sie sich ebenso des Kopfes als Stütze bedient
(so dass die Eltern meinten, sie wollte auf dem Kopfe herumgehen), bis
sie sich von der horizontalen in die verticale Ebene erheben konnte.
Nach vielem Straucheln, Stürzen und Fallen fing sie dann zu gehen^
ja zu laufen an; aber merkwürdiger Weise nahmen auch die Kopf- und
Armbewegungen mit diesen Experimenten und Bestrebungen zu und das
Kiod, welches im Schlafe sich ganz, auch in wacher aber sitzender Lage
siemlich ruhig verhielt, beutelte den Kopf und die Arme, je mehr es seine
Lage verandern oder Ortsbewegungen unternehmen wollte.
In diese Zeitperiode fällt auch ein erster heftiger Schwindelanfall,
zufolge dessen Kosa 2 — 3 Tage lang mit heissen, glührothen Wangen
regungslos ausgestreckt lag, soporös war und dennoch Alles empfand und
die ihr dargereichten Speisen und Getränke nur mechanisch schluckte.
Unter den eben geschilderten und den noch später zu erwähnenden
immer gleichmäasig fortbestandenen auffälligen Erscheinungen entwickelte
sich das Kind bis zum heutigen Tage, wo es sich uns in folgenden Zügen
prtsentirt.
Rosa ist ihrem Alter entsprechend gebaut, gradgliedrig, ohne irgend
welche Deformitäten am Kopfe, Rumpfe oder Extremitäten, an denen weder
rbachitische oder sonstige Verkrümmungen, noch Muskel-, Gelenkcontrac-
taren oder welchen Namen immer habende Defecte zu entdecken sind.
Selbst die Kopfbildung ist fast als absolut normal zu betrachten, da
mehrere vergleichende Messungen, welche ich an Kindern zwischen 3 bis
4 Jahren vornahm, eine genaue Uebereinstimmung mit den Längs-, Breiten-,
Höben- und allen Umfangs-Dlmensionen ergaben, und nebenbei der Anblick
allein schon genügt, um den Schädel nicht als mikro-, makro- oder hydro-
cephalisch aufzufassen.
Die Gesichtszüge des Kindes sind angenehm, der Ausdruck apathisch-
naiv. Es verzerrt nie seine Züge, macht keine Grimasen ; höchstens wird
das milde Antlitz bei manchen . Erregungen verdüstert, ernst, zornig. An
den sanften, blauen Augen, die gewöhnlich, ohne etwas zu fixiren, hernm-
Bchwanken, oder melancholisch vor sich hinstarren, ist ein mit den noch
anderweitig auch auftretenden Motilitäts- und Coordinationsstörungen iso-
chroner Nystagmus, ein leichtes Herumrollen der Bulbi zu sehen, das bei
der Seitwärtsschiebung des Kopfes oder Schief haltung desselben einem Stra-
bismus con- et divergens Platz macht, oder zu einem Zudrücken des einen
Auges führt, woraus ich um so mehr auf die Gegenwart einer sonst in
unserem Falle nicht eruirbaren Diplopie zu schliessen mich berechtigt fühle,
weil bekanntlich von allen an Doppeltsehen Leidenden zur Eliminirung der
Doppelbilder ein Auge geschlossen wird und auch Rosa dieses Manöver
fast immer prakticirte, wenn sie ins Schwanken gerieth, wodurch sie sich
automatisch oft vorm Falle rettete.
An Stumpfsinnigkeit, Idiotie wird man bei ihrem Anblicke gar nicht
erinnert, wiewohl ihre geistigen Fähigkeiten und intellectuellen Kräfte, die
ein vielseitiges Interesse darbieten und darum etwas ausführlicher bespro-
chen werden sollen, jedenfalls auf einer sehr niedrigen Stufe der Entwick-
lung stehen.
410 XXm. POLLAK
Auf diesen psychischen Defect, der stark mit der physischen Evo-
lution contrastirt, hat zweifellos auch die absolute Laut* und Wertlosigkeit
ihren leicht erklärlichen Elnflass gehabt; denn die Kranke hatte w&hrend
ihres ganzen Lebens nie eine Silbe, ein Wort auszusprechen vermocht, ja
nicht einmal die sogenannten Interjections- und Klagelaute, kein ah, oh,
weh, vernehmen lassen, überhaupt nie einen Ton Aber die Lippen ge-
bracht, der irgend eine Aehnlichkeit mit einem Buchstabenlante hktte.
Ihren sieht- und wahrnehmbaren Unlustgefflhlen hat sie immer durch
Winseln, Weinen und Schreien Luft gemacht und damit auch ihre Bedflrf-
nisse und Wflnsche bekannt gegeben; ausserdem äussert sich ihre Stimm-
begabung in einem dem Schütteln und Zittern sich beigesellenden Mäckero
und Blöken, welches diesen Thierlauten so auffallend ähnlich ist, dsss
die das Kind blos hörenden und nicht auch sehenden Personen einigemal
an die Gegenwart eines Lammes oder Schafes im Krankenzimmer dachten.
Wenn man nun die monotone, stereotype, gedehnte und gezogene Ans*
drucksweise dieser Thierlaute, die zumeist synchronisch mit den Tremorefl
auftreten, in Betracht zieht, wenn man das tactmässige Crescendo und De-
crescendo ihrer Mittheilnngs-, Empfiodungs- und Leidenschaftsausdrücke —
welche vom leichten Wimmern bis zum Gebrüll sich steigern — mit einiger
Aufmerksamkeit verfolgt, wird man unwillkürlich zur Annahme gedrängt,
dass selbst in diesen inarticulirten Tönen ein Scandiren vorliegt,
wie ein solches sonst nur bei früher gut entwickelter Sprache zufolge dieser
Erkrankung aufzutreten pflegt.
Deshalb hat das Kind auch kein Wort- und Sprachverständniss, und
trotzdem, dass es auf Stampfen mit den Füssen, Poltern, Klingen and
barsches Anschreien, wie auch Klatschen oder Knalleffecte deutlich anf-
passt, horcht, das Geklirr der Speisegeräthschaften von anderen Tönen
unterscheiden kann, hört es nie auf den Namensruf, oder irgend eine noch
so ins Gesicht gesprochene Anrede. Ich habe unter Anderem auch mit
meiner Taschenuhr Versuche mit ihr angestellt und deutlich bemerkt —
natürlich nach geduldigeooi Warten — , dass sie von dem Tik-tak derselben
zuerst genirt und deshalb unwillig ist, während nach Gewöhnung an diesen
unbekannten Eindruck sie ganz still zuhört und bei der Entfernung der
Uhr sogar spähend herumblickt.
Dem Kinde mangelt auch die Geberdensprache und nicht einmal durch
eine stumm-beredte Mimik kann sie ihren Wünschen Ausdruck verleihen.
Was nun die sehr beschränkten seelischen Functionen anbelangt, ist
besonders hervorzuheben, dass Rosa alle sensu-motorischen Eindrücke per-
cipirt, starke Willenskraft besitzt, aber ihr Denk- und Erinnerungsvermögen^
sowie die Ideen- und Begriffsbildung fast als gar nicht vorhanden zu be-
trachten sind, während instinctive UrtheilsfUbigkeit ihr nicht abgesprochen
werden kann.
Um zu diesen Schlüssen zu gelangen, dienten mir die anamnestiiehen
Daten einerseits und vielfache Experimente andererseits zur Unterlage.
Rosa erkennt nie ihre Umgebung, auch die Eltern — die sich dnrch
3 V2 Jahre mit ihr plagten — kennt sie nicht. Sie erkennt und sieht wohl
Gestalten, kann aber selbe nie unterscheiden, und es ist ihr ganz gleich-
gültig, wer sich mit ihr abgibt, wer ihr die Speisen und das Wasser in
den Mund reicht oder giesst (sie muss nämlich gefüttert und getränkt
Multiple Herdskleroge im S&uglingsalter. 411
werden, da sie sonst wegen der ApplicatioDB-ünfilhigkeit der Hände bei dem
reichlichsten Vorrathe von Nahrung und Getränken unter Tantalns-Qualen
lu Grunde geben mdsste), wer sie wäscht und reinigt, anzieht n. s. w. Sie
dreht sich um die Personen in ihrer Umgebung herum, ohne je eine Nei-
gang fflr eine oder die andere zu markiren, was dooh leicht bemerkt wer-
den könnte. Dieser Indlfferentismns datirt von der frühesten Kindheit, wo
sie sich auch nicht kümmerte, wer sie herumtmg und in wessen Hände
sie gerieth.
Und sonderbarer Weise hat sie ein ziemliches Orientirungstalent ; denn
ihren Aufenthaltsort, sowie die Objecte darin erkennt sie nach einiger Zeit
ganz gut, weicht allen im Wege stehenden Hindernissen aus, sncht selbst
ihren Strobsack, der ihr zum Lager dient, anf (ins Bett konnten wir sie
Dicht legen, theils ^eil sie bei ihren Schflttel- nnd Zitterformen zu Hanse
hemnterfiel, theils weil sie ihre Dejectionen zumeist im Liegen verrichtet,
da sie tlber ihre Bedürfnisse sich in gar keiner Weise verständlich machen
kann) und fürchtet sich förmlich beim Hinausführen aus der Krankenstube,
wo sie sich schon einigermaassen ein Local-Oedächtniss für die darin be-
findlichen Gegenstände erwarb. Sogar in dem anstossenden Nebenzimmer
hält sie sich ungern anf, nnd ihre Marschrouten, die sie in der ganzen
Länge und Breite in ihrem Krankenzimmer durchläuft, beschränkt sie auf
wenige Schritte und kehrt wieder um ; schliesst man aber diese Thür und
lässt sie nicht zurück, so wird sie unwirsch und gibt ihrer verdriesslichen
Stimmung durch heftiges Schreien und Weinen Ausdruck. Die Schwelle
des Krankenzimmers überschritt sie nicht, wiewohl die auf den Gorridor füh-
rende Thür den ganzen Tag bei der jetzigen schönen Witterung oflfen war
und die meisten Patienten^ sich draussen aufhielten.
An die Wand gedrückt oder bei unfreiwilligem Anlehnen an einen
Bettrand machte sie allerhand geschickte Bewegungen mit dem Rumpfe
und den Füssen, um diesen gezwungenen Lagen zu entschlüpfen. Ihre
zwedientsprechenden Actionen bei diesen Anstrengungen, sowie auch die
Bemühungen bei der Erhebung aus der Rückenlage — die mit sehr vielen
Schwierigkeiten verbunden ist — liefern deutliche Beweise dafür, dass
Rosa sich der Lage ihrer Glieder bewusst ist und mit ihnen so experi-
mentirt, dass ihre gewollten Actionen durchgeführt werden.
Ihr Gang ist nicht ataktisch, nicht steif, aber plump und schnellend,
80 dass sie trotz ihres breiten Auftretens mit der ganzen Fussfläche fast
immer eilt und läuft, wenn sie geradlinig. fortschreitet; dann bleibt sie
Minuten lang an einem Fleck stehen und rotirt sich um ihre Körperaze,
beginnt allerlei Spiral- und Cirkel- Bewegungen, mit welchen abwechselnd
dag Kopfschütteln, das Zittern der Arme, ein . Händeklatschen, Nystagmus
and die erwähnten monotonen Thierlaute zum Ausbruch kommen. Dieses
sonderbare Spiel wiederholt sich in einem Tage unzählige Male, auffallender
Weise seltener nach den Mahlzeiten; sehr häufig, wenn man ihrem orga-
nischen Begebren zu den normalen Zeiten nicht gleich Genüge leistet.
Zu aussergewöhnliohen Zeiten äussert sie selten Hunger- und Dnrst-
gef&bl, welche sie bei der Speisenaustheilung durch ein niciit von der Stelle
weichendes Hemmdrehen um die Schüsselplatten nnd Trinkgefässe , ferner
dnrch ein Anfreissen, weites Oeffnen des Mundes kundgibt. Auch wenn
sie im Laufe des Tages trinken will, geht sie zum Kruge, oder wo sie
412 XXin. POLLAK
grade ein Olas erblickt, heftet sie ihre Blicke darauf, winselt, bis man sie
befriedigt
Sowohl zn Hause als hier wurde der Versuch gemacht, sie fasten,
hungern zu lassen, damit sie selbst gezwungen werde, die ihr vorgelegte
Nahrung zu sich zu nehmen ; aber trotzdem sie sich den ganzen Tag nicht
von dem Platze rührte, wo ihr das Essen servirt wurde, ungeberdig, wild
aufschrie und dann auch sitzend das wechselvolle Schaukeln explodirte,
hatte sie nicht einmal probeweise ihre Hände danach ausgestreckt, die
Finger hineingesteckt, oder durch Winken und Zeigen darauf hingedeutet,
dass man ihr davon etwas geben solle.
Das Kauen und Schlingen, Schlucken erfolgen normal, wenn aacb
beim Trinken von Flüssigkeiten zeitweise ein regurgitirendes Glucksen vor-
kommt. In den Speisen ist sie blos insoferne wählerisch, dass sie breiige,
weiche Substanzen lieber hat, als z. B. härtere Bratensorten. Am besten
mundet ihr in Milch gebrocktes Brod.
Ihre Excretionen, Darm- nftd Blasenftinctionen sind ganz normal and
erfolgen zu gewissen Oewohnheitszeiten, aber natürlich immer an dem Ort,
an welchem und in der Lage, in welcher sie sich befindet, da die Aermste
durch kein Zeichen, keinen Laut im Voraus sich melden kann.
Auch das Athmen und alle anderen vegetativen Processe nehmen ihren
ungestörten Fortgang, so dass das materielle Leben mit Ausnahme der Mo-
tilitätsstörungen kaum afficirt erscheint.
Was die Sensibilitätsarten anbelangt, so sind sie ohne Ausnahme der
Norm entsprechend, während sowohl die Kitzel- als Sehnenrefiexe manch-
mal so sehr gesteigert sind, dass durch Beklopfen der Patellarsehne und
Rttckwärtsbeugung des Fusses mit den bekannten Knie- und Fussph&oo-
menen auch das Intentionszittem der oberen Extremitäten und das Kopf-
wackeln ausgelöst werden können. Dies geschieht aber zumeist des Mor-
gens nach dem Erwachen; bei der Abendvisite dauerte es schon immer
länger, bis nach wiederholten Eingrififen selbe hervorgerufen werden konnten.
Im Schlafe des Kindes, welcher auch in der Nacht oft durch Er-
wachen gestört ist, dafür aber am Tage ersetzt wird, ist eine vollkommene
Körperruhe zu beobachten, so dass bei diesem Anblicke der Rosa gewiss
Niemand an irgend eine Krankheit denken könnte.
Trophische und vasomotorische Störungen sind auch nirgends wahr-
nehmbar, und selbst die Arme, die doch mindestens als pareUsch angesehen
werden müssen, haben eben ;so runde, gut entwickelte Muskeln als die
Beine ohne die geringsten Atrophien, mit dem Unterschiede, dass in den
gebrauchten Unterextremitäten auch Rigidität, vorübergehende Contracturen,
Spannungen — insbesondere bei passiven Bewegungen — nachgewies«!
werden konnten, während in den unwillkürlich pendelnden Armen nichts
von Alledem vorkam.
Ich nahm weder Messungep der Muskelkraft vor, noch die galrano-
faradische Prüfungsmethode, da ausser ihrer Umständlichkeit selbe in diesem
Falle nichts zur Deutlichkeit hätten beitragen können.
Nach dieser fast photographischen Darstellung unserer Kranken moss
ich noch erwähnen, dass sie am 28. März einen ähnlichen Insult vor meinen
Augen erlitt, den ich in der Krankengeschichte als Schwindelanfall erElhite
Multiple Herdskieroso im S&ugUngsalter. 413
und der facttscb weder einer Apoplexie, noch einem epileptischen Anfalle ähn-
lich ist, da weder Lähmungen auftraten, noch vollkommener BewusBtseins-
verlost und Unempfindlichkeit oder Convulsionen, dafür aber ein soporöser
Znstand, der 36 Stunden, mit sichtlichen Congestionen des Gehirns, fort-
dauerte, wobei die Körpertemperatur auf 39,8 sich erhob, das ganze Gesicht
heiss, turgescirend wurde, die Carotiden heftig pulsirten, während Hände
nnd Ffisse eiskalt anzufühlen waren und am Radialpulse keine sonderliche
Abweichung im Charakter und Zahl der Schläge auftrat.
Während dieses Anfalles, der mich lebhaft an die Pseudo-Apoplexy
der englischen Autoren erinnerte, lag das Kind wie leblos ausgestreckt
ohne jegliches Zeichen der vielfachen Symptome ; doch empfand sie Alles
und reagirte auf Kneipen, Zwicken, Begiessen wie sonst. Auch begehrte sie
unterdessen in keiner Weise etwas und beschmutzte sich aufTallend selten.
Derartige Attaquen hatte sie ausser den beiden erwähnten in 6 bis
8 monatlichen Intervallen früher noch 2 — 3 mal und ihr Befinden verschlim-
merte sich nach solchen zusehends, wiewohl sie nach 24 — 48 Stunden sich
80 erholte, als wenn ihr nichts passirt wäre.
Ausserdem sah ich einige Male ein momentanes Hinfallen des Kindes
während seiner Drehbewegungen — ohne Stolpern — , welches nur als der
bekannte „ Fertige giratoire*^ (Cbarcot) aufgefasst werden konnte und
sehr schnell vorüberging.
Das Kind wurde abwechselnd von noch 4 Aerzten — in der Um-
gebung — transitorisch als an „allgemeiner Nervenerschütterung*' leidend
behandelt.
Der letzte Arzt, der seine Transferirung in unser Krankenhaus ver-
anlasste: Dr. Ferdinand Z eiszier, Gemeindearzt in Hosszupälyi; stellte
eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose — in dem Geleitschreiben — auf hoch-
gradige Chorea, die seit 3 Jahren ohne Unterbrechung, trotz Kunsthülfe,
andauert und im jähen Zunehmen begriffen ist.
Selbst diese Täuschung meines verehrten Collegen ist aber als triftiger
Beweis unaerer Diagnose zu betrachten, da vor der systematischen Ein-
reihung dieser Erkrankung in die Kette der Nervencentren- Krankheiten
derartige Fälle als f,€horee rhythmique^ und „Paralysie chor^i forme'* be-
schrieben wurden y wenn sie auch nach unseren jetzigen Kenntnissen und
DifPerentialmerkmalen nicht die entferntesten Aehnlichkeiten mit den chorea-
ÜBchen Formen darbietet.
Aus dieser etwas weitläufigen Schilderung erhellt nun zur Ge-
nüge, dass unser Fall sowohl vermöge seines Auftretens in den ersten
Lebensmonaten, als auch der seltenen Complicationen wegen als ein
Unicum in der Geschichte der „ multiplen Hirn-Bflekenmarkssklerose "
dasteht; dass die ganze Gerebrospinal-Axe durchgehends von ver-
schiedenartig vertheilten, in grösseren und kleineren Herden dis-
seminirten, insularen Flecken (Residuen einer lange latent verlau-
fenen chronischen Encephalomyelitis) durchsetzt ist, deren scenische
Reihenfolge — mit vieler Wahrscheinlichkeit — in chronologischer
Ordnung verfplgt werden kann.
414 XXm. POLLAK
Sehr plausibel ist es sogar, den Ursprang der Krankheit in die
intrauterine, embryonale Periode zurückzuyerlegen, da der merk-
wQrdige Ausfall mancher psychischer Thfttigkeiten geradezu auf ein
frühes Regionär-Ergriffensein solcher Zellenzonen der Bindensubstanz
hinweist, welche jenen Verrichtungen vorstehen.
Daraus erklärt sieh auch die eigenthflmliche Geistesspaltung —
die ich in einzelnen Zflgen zu skizziren trachtete — , da die gruppen-
förmige Evolution der stossweise durchgreifenden chronischen Entzfln-
dungsform in den Binden- Zellennetzen manche Einzelarten ihrer spe-
cifischen Energien total aufhebt, andere beeinträchtigt und etwelche
doch — wenn auch gestört in ihrer seelischen Anastomose (?) — fonc-
tionsfähig bleiben.
Auch der Mangel an phonetischen Zeichen steht mit dieser vor-
zeitigen Krankheitsentwicklung im Zusammenhange; da sowohl das
vermeintliche Sprachcentrum (Brooa's) in der linken dritten Fron-
talwindung, als das basale Lautcentrum (KussmauTs) mit dem
dazwischen liegenden Sprach-Bahüencomplexe und den den Articu-
lationsmechanismus vermittelnden nervösen Apparaten so zeitig affi-
cirt war, dass es in denselben nicht einmal zu den vorbereitenden
Stadien der Bede kommen konnte und somit selbst die Urlaute
(Kussmaul), das Lallen des Säuglings ausblieben.
Die ganze Gehirncultur ist durch die histologischen Verände-
rungen zurflckgeblieben , welche in unserem Falle auch viele nicht
näher localisirbare Theile der Grosshimrinde erlitten und welche
sowohl die sinnliche Perceptionsfähigkeit als das Begistriren der
gewonnenen Eindrücke und die daran sich kndpfende Beflexion ver-
nichteten.
Wenn auch die Concentrationsstätte aller Sensibilitäten: das
Sensorium commune der Bindenschichten fast intact blieb, eine Um-
setzung der Eindrücke der Aussenwelt in Begriffe war nur in be-
schränktem Maasse möglich und darum blieb auch die Entwicklong
der automatischen Thätigkeit zurück, die sich bis heute im Mangel
der Mimik und Gesticulation so auffallend äussert.
Dem Kinde fehlten sowohl die begrifflichen Elemente der Sprache
als ihre Lautelemente, daher es kein richtiges Vorstellen, keine
geistige Prüfungskraft besass und nur auf ein instinctives Urtheil
beschränkt war.
Wenn wir nun diese centrale Dysarthrie mit der locomotorischen
Parese der Sprachwerkzeuge — durch den gestörten Mechanismas
der peripheren Nervenapparate — als allererste Phase in dem De-
cursus morbi annehmen; daran das ganz deutliche Scandiren der
Multiple Herdsklerose im SäugliDgsalter. 415
Klagelaate, die Monotonie der Thierlaute anreihen; dann die ange-
borene und fortbestehende Parese der oberen Extremitäten ins Auge
fassen, zu denen sich beim allmählichen Fortschreiten unter apo-
plektiformen Anfällen — in mehrmonatlichen Intervallen die klinisch
wohl bekannten Symptome des Intentionszitterns, Kopfschflttelns,
Nystagmus, Diplopie (?), veränderte psychische Beschaffenheit, Dreh-
und Rollbewegungen, Schwindel gesellten, während weder Sensibili*
täts- noch trophische, vasomotorische, ataktische Störungen, functio-
nelie Beschwerden Seitens der Blase und des Rectums in die Er-
scheinung traten: so haben wir volles Recht, auf Grund dieser
classischen Merkmale unsere Diagnose aufzustellen, wenn auch die
Deutung der Initialstadien Manches zu wünschen übrig lässt
Nach der Dignität der Symptome zu urtheilen, müssen die haupt-
sächlichsten Herde der Reihe nach in verschiedenen Bezirken der
^uen Hirnrinde und Basalganglien, in den weissen MeduUarmassen,
im Pons, in den Pedunculi cerebri, im Kleinhirn, in der Medulla
obloDgata, in den Hirnnervenwurzeln und in den Vorder- und Seiten-
strängen des Rückenmarks zerstreut liegen, während die Hinter-
sträDge fast gänzlich von ihnen verschont blieben.
Jedenfalls sind die psychomotorische Centralstation, sowie deren
ableitende Bahnen hauptsächlich in ihren Transmissionen pathologisch
und functionell verändert, während in den excitomotorischen Geleisen
ziemlich normal die Beförderung der zuleitenden Eindrücke bis zu
gewissen Wechselstellen und Knotenpunkten erfolgt, dort aber in
Folge mangelhaften Dienstes Entgleisungen und Zusammenstösse der
Maschinen stattfinden, aus denen die polymorphen, wechselnden Er-
gebnisse resultiren, die diese Krankheit charakterisiren.
Indem ich mich jeder weiteren psycho-physiologischen und neuro-
pathologischen Auseinandersetzung enthalte, trotzdem dass dieser Fall
vielfach zu solchen auffordert, wünsche ich nur, dass durch die Mit-
theilung desselben sowohl in Bezug auf die congenitale Entwicklung
als auch die Mitbetheiligung der grauen Rindensnbstanz ein neuer
Lichtstrahl in manche noch ziemlich dunkle und verborgene Partien
dieser Lehre eindringe.
Die Verknüpfung der vielen interessanten Daten unseres Falles
mit den heute gangbaren Theorien über Localisation im Gehirn wird
bei den sachverständigen Forschern und Nerven -Klinikern gewiss
dber den Causalitätsnexus ihrer sonderbaren Einzelheiten auch zu
solchen Aufschlüssen führen, die wir uneingeweihten Beobachter
höchstens supponiren können.
Gross- Wardein im April 1879.
XXIV.
lieber die therapeutische Verwendung der Selerotinsäure«
Aus dem klinischen Institute zu München.
Von
Dr. Max Stumpf.
Die Frage über den wirksamen Bestandtheil des Mutterkorns
war lange eine offene und lange war es den angestrengtesten Be-
mühungen der hervorragendsten Forscher nicht gelungen, aus der
genannten Drogue einen Stoff zu isoliren, der nicht nur ein Gemische
verschiedener Körper, sondern wirklich ein chemisches Individaam
ist. Erst in den letzten Jahren fanden Dragendorff und Pod-
wissotzky^), dass neben anderen minderwerthigen Bestandtheilen
die Sclerotinsfture und das Scleromucin die Hauptträger der
Mutterkornwirkung sind und empfahlen vor Allem den ersteren Kör-
per als den weit leichter darstellbaren und löslichen zur . therapeu«
tischen Anwendung.
Versuche über den Werth und die Anwendbarkeit des neuen
Präparates in der Therapie wurden bis jetzt meines Wissens nur von
Holst angestellt, welcher sclerotinsaures Calcium in Dosen von
0,04—0,05 anwendete und wirksam fand. Ueber die therapeutische
Anwendung der reinen Säure fehlen bis jetzt noch Untersuchungen
und ist die Mittheilung einer grösseren Versuchsreihe Zweck gegen-
wärtiger Arbeit, zu welcher ich von meinem hochverehrten Lehrer
und Chef, Herrn Professor v. Ziemssen, Aneiferiing und Material
in der liebenswürdigsten Weise erhalten habe.
Seit länger als einem Jahre wird auf der zweiten medicinischea
Abtheilung des Münchener Krankenhauses die Sclerotinsäure bei allen
Arten von Blutungen angewendet und hat dieselbe das früher aus-
schliesslich in Gebrauch gewesene wässerige Secaleextract der Pbar-
1) Ueber die wirksamen und einige andere Bestandtheile des Mutteri^oms.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. V.
SddrotiiiB&ure. 417
makopoe vollständig verdrängt Das zur Anwendung gekommene
Präparat stammt aus der Fabrik von Witte in Bostoek, wo das^
Bslbe strikte nach den Vorschriften von Dragendorff bereitet wird.
Es ist ein hellbrauneSi amorphes, in hohem Qrade hygroskopisches
Pulver, das sich in Wasser klar und leicht zu einer tief dunkel*
braunen, dem Fleischextract ähnlich riechenden und schmeckenden
Flüssigkeit löst
Die Application des Mittels geschah anfangs ausschliesslich sub«
CQtan, später auch innerlich, namentlich wenn eine sehr rasch ein-
tretende Wirkung nicht beabsichtigt war.
Bei den subcutanen Injectionen wurden alle Cautelen befolgt,
die geeignet sind, eine zu starke locale Beizung zu vermeiden, wie
sie ja gerade bei Injectionen des wässerigen Mutterkomextractes trotz
aller Vorsichtsmaassregeln in so unangenehmer Weise auftreten kann.
Vor allem wurde möglichst tief ins Unterhautbindegewebe eingesto«
eben und nach vollendeter Injection die FlQssigkeit durch Beiben und
Streichen möglichst vertheilt. Als Injectionsstellen wurden meistens
die vordere und die seitlichen Thoraxgegenden und das Abdomen
gewählt, in einzelnen Fällen bei besonders gut entwickeltem Panni-
ealns auch die Extremitäten, besonders die Oberschenkel.
Trotz aller dieser Vorsichtsmaassregeln traten doch in einer
grossen Anzahl von Fällen locale Beizungserscheinungen auf. Un*
mittelbar nach der Injection verspflrten die Kranken ein brennendes
Oefflhl an der Stichstelle, das sich gewöhnlich nach 15 Minuten verlor
und bei Druck auf die Injectionsstelle vielleicht noch nach einigen
Standen empfunden wurde. Von 194 Injectionen verliefen 95, also
49 Proc., auf diese Weise, also ohne eigentliche locale Beaction.
Xänger andauernder Schmerz, meist verbunden mit Böthüng der Stich-
stelle und ihrer Umgebung ohne Infiltration, trat in 73 Fällen, also bei
37,7 Proe. auf. Meist breitete sich die Böthung nicht von der Stich«
atelle aus, sondern von der Stelle, welche der Spitze der Injections-
nadel entsprach, so dass die Stichstelle selbst nahe dem Bande der
geröfheten Partie zu liegen kam. In den übrigen 21 Fällen, also
bei 10,8 Proc«, kam es zur Infiltration und Bildung von Knoten, von
welchen im Ganzen 5 (»» 2,6 Proc.) abscedirten und 6 (»»3,1 Proc.)
zu leichter Fieberbewegung führten; die Temperatur stieg in einem
Falle nur auf 38,1 ^ (Achselhöhle), in einem anderen di^egen mit
Schüttelfrost auf 40,7 <>, jedoch mit raschem Abfall zur Norm inner-
halb 24 Stunden.
Diese ungttnstigen Zahlen finden theilweise ihre Erklärung in
dem schlechten Ernährungszustände eines grossen Theiles der zu den
DratMhM Archiv f. klln. Medleln. XXIV. Bd. 27
418 XXIV. Stdhff
Versuchen verwendeten Kranken. Je echlaffer die Haut, je weniger
entwickelt das Unterhantbindegewebe war, desto eher trat eine locale
Beaction von grösserer oder geringerer Intensität auf* Es ist daher
begreiflich, dass Phthisiker, bei welchen wegen Lungenblntoögen
das Mittel zur Anwendung kam, und Typhnskranke, bei denen ohne-
hin das leichteste Trauma genflgt, um eine locale Entzündung her«
vorzurufen, das grösste Gontingent zu unseren ungttnstigen Zahlen
stellen.
Ein weiteres Momenti das auf die örtliche Beaction von grösstam
Einflüsse ist, ist der Concentrationsgrad der injicirten FIflssigkät
Anfangs wurde zur Injection eine Lösung von 0,3 SclerotinsSnre aaf
5 Wasser benutzt, welche sich jedoch sehr bald wegen der zu ge-
ringen mit einer einzigen Spritze einverleibbaren Dose als unzulfing-
lieh erwies, so dass in der Folge zu immer stärkeren Lösungen, za
0,4 : 5, 0,5 : 5, 1,0 : 5 und schliesslich zu 2,0 : 5 ttbergegangen wurde.
Während bei der Concentration von 0,4 : 5 76,5 Proc. aller Inje^o*
nen reactionslos verliefen, ergab sich, dass bei Einspritzungen der
stärkeren Lösungen — ffir alle drei Concentrationsgrade flbereinstini-
mend — nur 43 Proc. völlig ohne örtliche Erscheinungen einh^-
gingen. Namentlich waren unter den zu Induration und Absoesi-
bildung oder zu febriler Temperatursteigerung ftthrenden Fällen die
Lösungen von 1 : 5 und 2 : 5 am meisten belastet
Immerhin sind jedoch die erhaltenen Besultate bei weitem gfln-
stiger als die von anderen Autoren Aber die bisher gebräuchlieben
Mutterkompräparate mitgetheilten Erfahrungen. Nach Eulenba rg^)
haben alle früher angewendeten Seealepräparate äusserst nngflnstige
Localerscheinungen zur Folge und einige Beobachter sahen dieselben
sogar bei keiner einzigen Injection fehlen, so dass also fBr das neue
Präparat unsere auf den ersten Blick ungünstig scheinenden Resnl-
täte doch einen wesentlichen Fortschritt darstellen. Besonders ist
das seltene Auftreten einer Induration an der Stichstelle bei Anwen-
dung unseres Mittels hervorzuheben, während D rasch e<) bei An-
wendung des Ergotins, besonders bei Injection wässeriger, nicht mit
Glycerin bereiteter Lösungen solche Anschwellungen und Knotenbil-
dungen unendlich viel häufiger auftreten sah.
Versuche, die örtliche Beizung, namentlich die in der Hllfte
aller Fälle eintretende dauernde Schmerzhaftigkeit durch Zusatz ron
Morphium zur InjeetionsflQssigkeit zu verhüten oder wenigstens zn
1) Die hypodermatische Injection der Arzneimittel. Berlin tS75.
2) Ueber die Anwendung and Wirkung subcutaner Ergotin-ligectioDeo bei
Blutungen. Wiener med. Wocbenscbrift 1872. Nr. 38 u. 40.
Sderotms&nre. 419
Termindern, blieben erfolglos, und so mttssen wir ans wohl mit den
Ifewonnenen Zahlen begnügen.
In neneeter Zeit hat Felsenreich 0 an der Braun'sehen Klinik
eine grossere Versuchsreihe von Injectionen mit dialysirtem Ergotin
verdffentlioht> welche zu weitaus gflnstigeren Resultaten, wenigstens
in Besag auf Knoten- und Abscessbildung geführt haben ; Ober Iftnger
andauernde Schmerzhaftigkeit finden sich in der kurzen Mittheilung
allerdings keine näheren Zahlenangaben. Hier ist jedoch zu berflck-
sichtigen, dass in Gebftranstalten , denen ein ungleich besseres Ma-
terial zuströmti stets gflnstigere Verhältnisse erzielt werden können,
und dass auch wir bei gesunden, verhältnissmSssig kräftigen Indi-
viduen, wie sie uns in einer geringen Anzahl von gewerbsmässigen
Spitalbesuchem zur Verfügung standen, viel günstigere Resultate er-
halten haben; weitaus die grösste Zahl yon Injectionen verlief in
solchen Fällen ohne jede örtliche Reaction, besonders können wir
uns nicht erinnern, dass bei nur annähernd kräftigen Individuen eine
Induration oder ein Abscess aufgetreten wäre.
In Anbetracht der im Folgenden zu zeigenden hämostatischen
Wirkung, welche die Sclerotinsäure als reines Präparat in noch höhe*
rem Grade besitzt als das Ergotin, werden die erwähnten Nachtheile,
die Schmerzhaftigkeit der subcutanen Anwendung, und sogar das
Auftreten einer Induration doch sehr wenig ins Gewicht fallen. Hat
man ja auch die älteren Präparate trotz ihrer noch unangenehmeren
Nebenwirkungen bis jetzt überall angewendet und waren die im Ver-
bältniss zu der allgemein beobachteten guten Wirkung weit in den
Hintergrund tretenden Uebelstände nicht im Stande, dieselben aus
dem Araneischatze zu verdrängen.
Misslicher als die geringen Nachtheile bei der Application des
Mittels ist ein anderer Umstand, der vielleicht einer allgemeinen
Verbreitung desselben, wenigstens in der Privatpraxis, im Wege
stehen könnte, nämlich die geringe Haltbarkeit der Substanz. Die
Säure muss nämlich wegen ihrer hochgradig hygroskopischen Eigen-
schaft stets in Substanz und luftdicht verschlossen aufbewahrt wer-
den; wässerige Lösungen werden schon nach zweimal 24 Stunden
unbrauchbar oder wenigstens unzuverlässig. Nicht ganz gut ver-
schlossene Lösungen bedecken sich schon nach wenigei^ Tagen mit
einer dicken Schimmeldeoke. Das von Witte in Rostock bereitete
Präparat wird deshalb als Pulver in Fläschchen zu je einem Gramm
l) Dialystiflches Injections- Ergotin für subcutane Anwendung. Wiener med.
WochcDBchrift. 1879. Nr. 7.
27*
420 XXnr. Stumpf
luftdicht verBchloBsen yeraohickt Während daa ErgotiH in wtae-
riger oder mit Glycerin versetzter Lösung im Voraus bereitet werden
konnte I um im Falle des Bedarfes sofort angewendet zu werden,
muss die Sclerotinsäure jedesmal ad hoc aufgelöst werden. Eine
wässerige Ergotinlösung hält sich wenigstens 10 — 14 Tage, wall^
scheinlich weil im wässerigen Mutterkomextract die ScIerotindUire
an irgend eine Basis gebunden ist und als Salz länger unzaietzt
bleibt. Bei strenger Abwägung der beiderseitigen Vor- und Naeh-
theile wird jedoch auch dieser Umstand, als nur gegen die Bequem-
lichkeit der Applicationsweise verstossend, nicht allzuschwer ins Ge-
wicht fallen und man wird, wenn man zwischen beiden Pri4>araten
die Wahl hat, wohl immer zur Sclerotinsäure greifen.
In der ersten Arbeit flber Sclerotinsäure von Dragendorff 0-c),
welche lediglich die chemischen Eigenschaften des neuen Körpen
behandelt, findet sich am Schlüsse die Bemerkung, dass der subcuta-
nen Anwendung des Mittels beim Menschen in Dosen von 0^03—0,045
nichts im Wege stehe. In einer erst kflrzlich erschienenen Arbdt
hat Nikitin ^) nähere Angaben über die Dosirung gemacht und dar-
auf hingewiesen, dass die von manchen Autoren mitgetheilten Hi»-
erfolge wohl darauf zu beziehen sind, dass die angewendeten Dosen
zu klein waren. Die niedrigste Dosis, welche bei Thieren Uteras-
contractionen hervorrief, ist nach Nikitin0,2; eine Katze warf nach
Iigection von 1,0 vollkommen gesunde Junge. Die tödtliche Gabe
berechnet er nach seinen Thierversuchen für den Menschen auf 10,0.
Bei unseren ersten Versuchen hielten wir uns an die von Dragen-
dorf f angegebene Dosis und gaben 0,02--0,04 als Einzeldosen. Sehr
bald erwiesen sich jedoch diese Mengen als viel zu klein zur Her-
vorbringung eines therapeutischen Effectes und es wurden naeh und
nach immer grössere Dosen angewendet, schliesslich sogar Einzel-
gaben von 0,6 subcutan applicirt, eine Dosis, welche die von D ra-
gender ff empfohlene um das 15 fache flbersteigt und nach dessen
Berechnungen einer Mutterkornmenge von 8,0 und 2,0 des Bon jean-
schen wässerigen Auszuges entspricht. Unangenehme Allgemeiner-
scheinungen oder Intoxicationssymptome vmrden auch bei den gross*
ten Dosen nicht beobachtet. An eine Minderwerthigkeit des Prä-
parates ist jedoch deshalb nicht zu denken , da , wie im Folgenden
gezeigt werden wird, in therapeutischer Beziehung beaehtenswerthe
Erfolge erzielt wurden.
1) Ueber die physiologische Wirkung und therapeutische Yenrendoog der
SclerotiBS&are, des sclerotinsauren Natrioms und des Mutterkorns. Bossbtck's
pharmakologische Untersuchungen. Bd. III. Heft 1 u. 2. 1879.
SderotinB&iire. 421
Die Anwendang der Scleroünsäare geschah bei allen Blatungeni
bei welchen frfther Ergotin angewendet wurde. Wir wollen znni&chflt
die an Zahl obenanstehenden Blutungen aus den weiblichen
Genitalorganen einer nftheren Betrachtung nnterziehen. Es wur-
den deren im Gkuizen 15 Fftlle mit Sclerotinsäure behandelt, davon
3 Meno- nnd 12 Metrorrhagien. Die enteren standen s&mmt-
lieh schon nach dem Gebrauche Ton 0|2, eine davon schon nach
einer einzigen Injection von 0,08. Etwas hartnSckiger verhielten sich
die Metrorrhagien, besonders die im Gefolge der chronischen Metritis
auftretenden y von welchen 6 Fälle zur Beobachtung kamen. Wäh-
rend in den günstigeren Fällen nur wenige , in einem sogar eine
emzige Injection genOgte, um die Blutung dauernd zu beseitigen,
verhielt sich namentlich in einem Falle die Hämorrhagie äusserst
renitent, so dass man sich genöthigt sah, nach 18 Injectionen ' von
im Ganzen 1,3 Sclerotinsäure, und nachdem wiederholt das Mittel
anf die Uterusschleimhaut selbst ohne Erfolg angewendet worden
war, zu anderen styptischen Mitteln zu greifen. In den übrigen
Fällen war der Erfolg ein befriedigender, indem meist 3 — 4 Injec-
tionen von je 0,05 genügten, um die Blutung zum Stehen zu bringen.
Bei Aborten und bei Blutungen im Wochenbett wurde
das Mittel in 5 Fällen angewendet Nur in einem derselben vor*
Bagte es seinen Dienst und waren 6 Injectionen von im Ganzen
0,58 Substanz nicht im Stande, die Blutung dauernd zu beseitigen,
wenn dieselbe auch momentan auf ein paar Tage stand. Nach 5 Be-
eidiven und nachdem die letzte Blutung in ziemlich befriedigender
Weise vermindert war, entzog sich die Kranke durch den Austritt
der weiteren Beobachtung.
Die übrigen hierher gehörigen Blutungen standen fast momentan
aaf eine einzige Injection, nur in einem Fall endigte die Hämorrhagie
erst nach Ausstossung eines ziemlich umfänglichen Eihautrestes, nach-
dem 1,2 Sclerotinsäure in 6 Einzeldosen injicirt worden waren. Die
AuBstossong ging unter ziemlich schmerzhaften Gontractionen des
Uterus vor sich, welche nach den Versuchen von Nikitin (I.e.)
vielleicht der Sclerotinsäure zu gut gerechnet werden können.
Weist schon dieser Fall sehr deutlich auf die ecbolische Wir«
kung des Mittels hin, so ist der folgende noch in erhöhtem Grade
dazu geeignet Am 25. October 1878 stellte sich im Ambulatorium
eine Kranke vor, bei welcher von einem Assistenten die Diagnose
auf Fibromyome des Uterus gestellt und dem entsprechend 0,1 Sclero-
tinsäure injicirt worden war. Schon in der Nacht traten wehenartige
Sehmenen ein und die Kranke, welche selbst nicht an Gravidität
422 XXIV. Stumpf
glaubte, warde am nächsten Tage ins Krankenhaas verbraeht, wo
ungefähr 20 Stunden nach der Injection die Ausstossung eines fflnf-
monatlichen Fötus erfolgte. Die angewendete Dose war zwar an*
zweifelhaft zu klein , als dass ihr allein das Eintreten des Abortos
zur Last zu legen wäre, und es ist wahrscheinlich, dass in Folge der
Anwesenheit ziemlich' grosser Fibromyome, welche post abortum ud-
zweifelhaft zu oonstatiren waren, auch ohne Selerotinsäure frflher
oder später der Abortus erfolgt sein wflrde, jedoch ist es nicht ganz
von der Hand zu weisen, dass die Injection eines Mittels, das noto-
risch ecbolische Wirkung hat % eine Beschleunigung einer schon ror-
bereiteten frühzeitigen Ausstossung veranlasst haben kann.
So wenig beweisend in therapeutischer Beziehung dieser einzelne
Fall fflr die erwähnte Wirksamkeit der Selerotinsäure sein soll and
sein' kann, so sehr ist er doch geeignet, auf diese Seite der thera-
peutischen Anwendbarkeit aufmerksam zu machen und zu weiteren
Versuchen, welche jedoch nur an dem Materiale einer geburtshilf-
lichen Anstalt gemacht werden können, aufzufordern.
Ausser den beschriebenen Uterinblutungen wurde noch eine
Kranke mit Metrorrhagien in Folge eines intraparietal sitzenden Fi-
bromyomes mit Selerotinsäure behandelt. Die Blutungen cesrirten
nach 5 Injectionen von je 0,1 Selerotinsäure und waren nicht wieder
recidivirt, als die Kranke 2 Monate später wegen GesichtserysipeU
aufgenommen wurde. Dagegen konnte eine Verkleinerung des Tu-
mors, wie sie von anderen Autoren unter Anwendung des Eigotins
gesehen wurde, nicht constatirt werden, was in Anbetracht der gt-
ringen Menge, die zugeführt worden war, auch nicht Wunder nehmen
kann. Ein anderer Fall eines ohne Blutung verlaufenden welsch-
nussgrossen, an der hinteren Wand des Uterus nahe dessen recbt«r
Kante sitzenden subserdsen Fibromyomes zeigt dagegen in über-
raschender Weise den günstigen Einfluss unseres Mittels auf Tumoren
dieser Art. Da wegen Abwesenheit von Blutungen die Indication
einer möglichst raschen Einverleibung nicht gegeben war, wurde von
der subcutanen Anwendung abgesehen und per os täglich zweimal
0,2 Selerotinsäure in Tropfenform — es wurde dieselbe Lösung wie
bei der subcutanen Anwendung benützt — gegeben. Das Mittel
wurde 7 Tage hindurch von der Kranken ohne allen Widerwillen
und ohne jegliche subjective Beschwerde genommen. Am 7. Tage
liess sich bereits eine Verkleinerung des Tumors um die Hälfte con-
t) 8. Wernich, Einige Yerfiachsreihen über das Mutterkorn. Beriioer Bei-
trage zur Geburtshalfe und Gynäkologie. Bd. Ili.
SderoCins&ure. 423
statiren. Obwohl jetzt das Mittel aoageaetst warde, machte die Ver-
kleinenmg stetige Fortschrittei so dass die Gesohwalst bei der Ent-
IsflSttiig der Kranken •-«* 3 Wochen nach Einleitang der Sclerotin-
behandlong — nur mehr die Orösse einer kleinen Haselnnss hatte.
Dabei waren alle subjectiven Erscheinungen, Schmerzen, Dmcksym-
ptome auf die Nachbarorganei YoUstftndig yerschwunden.
Von Blutungen aus den Athmungsorganen sind zunichst
11 Fftlle von Hämoptoe zu erwähnen, welche mit Solerotinsfture be-
handelt wurden. Nach den Ausführungen der meisten Autoren über
die Theorie der Mutterkomwirkung Iftsst sich bei Lungenblutnngen
a priori bei Weitem nicht der Effect erwarten, wie bei Blutungen
aoB den Unterleibsorganen. So hat vor Allen Wem ich (I.e.) nach-
gewiesen, dass unter dem Einflüsse des Mutterkornes das Blut aus
dem arteriellen Systeme verdrängt werde und sich in der venösen
Ereislaubhälfte also auch im kldnen Kreislauf anhäufe^ und neuer-
dings hat Nikitin (1« c.) bei seinen Versuchen ttber Sclerotinsäure
wiederholt die Ventrikel blutleer, dagegen die Vorhöfe gefallt und
die Lungen äusserst blutreich gefunden. Wir dürfen uns daher nicht
wundem, wenn wir bei Hämoptoe nicht die bei Metrorrhagien ge-
wonnenen gttnstigen Besultate erzielt haben, ja nach den Unter-
sachungsei^ebnissen der angefahrten Autoren wäre sogar die Anwen-
dung der Mutterkompräparate bei Hämoptoen, die aus den feinsten
Aesten iler Lungenarterie stammen, geradezu contraindicirt.
Dem entsprechend gestalten sich nun auch die von uns gewon-
nenen therapeutischen Erfahrungen. In 5 Fällen, also in nahezu
der Hälfte aller mit Sclerotinsäure behandelten Lungenblutungen,
blieb dieselbe ganz oder nahezu wirkungslos ; die Blutungen standen
nicht, oder wenn sie auch momentan aussetzten, recidivirten sie sehr
bald. Es sind dies lauter vorgeschrittenere Fälle von Lungenphthise,
bei welchen die physikalische Untersuchung mehr oder minder umfang-
reiche Zerstörungen ergab. Dagegen war in Fällen von sogenannten
initialen Blutungen, wo physikalisch auf der Lunge Veränderungen
noeh kaum oder nur in ganz geringem Orade vorhanden waren, ein
günstiger Einfluss auf die Blutung nicht zu verkennen. In 2 solchen
F&llen genügten 2, in 2 anderen 6 Injectionen, um die Blutung rasch
nnd dauernd zum Stehen zu bringen. Diese beeinflussbaren Blutun-
gen stammten vielleicht aus den Bronchialarterien und cessirten dann
ans denselben Orttnden wie die arteriellen Blutungen aus den Ab-
dominaloiganen.
Von Blutungen aus dem Respirationstractus kam ausser den
Hämoptoen noch eine Epistaxis in Behandlung. Da dieselbe sehr
424 XXIY. 8Tu«r
pröfofl war und auf eine eismalige Dotis yon 0,1 SelerotincAare tab-
catan, statt zu ateben, noeh stärker warde, nahm man von einer
weiteren Anwendung des Mittels Abstand and griff sur Tamponade
der Nasenhöhle, welehe sofort die gewflnsohte Wirkung zar Folge
hatte. Da die Nasenblntongen meist yenBsen Ursprungs sind, so
wird wohl . hier die SclerotinsSare gewöhnlieh nieht von Erfolg sem.
Ungleioh sicherer und prompter als bei Lungenblutungen war
die Wirkung der Selerotinsfture bei Blutungen ans dem Ver-
danungstraottts, was auch durch die Versuche von Nikitis,
welcher die D&rme stets blutleer und die Arterien derselben yerengt
fand, seine Erklftrung findet. Es kamen im Ganzen 9 Fftlle von In-
testinalblutungen zur Behandlung, davon 4 Fftlle von Hagenblutong
in Folge von rundem llagengeschwflr und 5 Fftlle von Dannblutoiig
im Verlaufe des Abdominaltyphus. Bei 2 Fftllen von Magenge-
schwür stand die Blutung schon nach Injection von 0,1, ein dritter
Fall erforderte 5 Einspritzungen von je 0,1 Sclerotinsfture. Eine
vierte Kranke ging mit einer enormen Magenblntung zu, welche troti
0,1 Solerotinsfture immer profuser wurde und nach wenig Stunden
zum Tode fahrte. Die Section ergab eine im Grunde eines grossen
Magengeschwftrs liegende arrodirte Arterie von Babenkieldioke.
Nicht minder gttnstig sind die Resultate bei den typhösen
Darmblutungen« Von den 5 Fftllen verliefen 4 vollstftndig be-
friedigend, indem im ungflnstigsten Falle schon nach der 2. Iigeetion
die Blutung vollkommen aufhörte. Bei der 5. Kranken konnte die
sehr abundante Blutung nicht gestillt werden und dieselbe ging rasch
zu Grunde.
Es bliebe nun noch ein Fall zu erwfthnen, in welchem ein
grosser, schwammiger, leicht blutender Krebstumor vom Kehlkopf
ausgehend nach aussen durchgebrochen war. Das Mittel wurde hier
in das blutende Parenchym eingespritzt, ohne irgendwie Ideale Bei-
zungserscheinungen hervorzurufen. Ea wurde nur eine Injection (Ton
0,09) applicirt, welche auch momentan palliativen Erfolg hatte, aber
die Blutung recidivirte sehr bald wieder.
Ueberblicken wir die gewonnenen therapeutischen Resultate, so
sehen wir, dass die Sderotinsfture in keiner Weise hinter den früher
üblichen Mutterkornprftparaten znrttcksteht Die vollkommene Aeqni-
valenz mit diesen in Bezug auf die blutstillende Wirkung geht ans
den mitgetheilten Beobachtungen aufs Deutlichste hervor, ja in einer
Hinsicht übertrifft die Sderotinsfture die ftlteren Prftparate. Sie ist
zwar nur die isolirte Substanz, welche in Verbindung mit anderen
Sderotini&are. 425
im Matterkom enthaltenen, weniger oder gar nicht wirkaamen Stoffen
ohne Zweifel ebensogut wirkt wie in reinem ZuBtande» aber sie kann
eben deshalb, weil sie ein reiner Stoff ist, in grösserer Dosis gegeben
werden, als in Verdflnnung mit werthlosen Substanzen. Die grösste
7on uns gegebene Dosis (0,6) entspricht solchen Mengen Mutterkorns
and Ergotins, wie sie wohl kanm jemals am Krankenbette gegeben
worden und wenigstens hypodermatisch wegen der höchst unangeneh-
men localen Beizung kaum je gegeben werden können. So trefflich
auch die Wirkung des Ergotins bis jetzt gefunden wurde, so werden
doch an der Hand dieser grossen Dosen die therapeutischen Erfolge
unzweifelhaft noch viel prompter und zufriedenstellender ausfallen,
und dieser Umstand, zusammengehalten mit der viel geringeren Wahr-
scheinlichkeit des Auftretens localer Reizerscheinungen, dtlrfte Yollkom-
men genOgen, um den bisher Yon dem wftsserigen Mutterkornextracte
eingenommenen Platz in der Therapie, wenigstens fflr subcutane An-
wendung, der Sclerotins&ure einzuräumen und zu sichern. Fttr den
internen Gebrauch wird sich dieselbe kaum einbürgern, weil bei der
innerlichen Anwendung eine absolute Reinheit des Mittels nicht in
dem Grade geboten erscheint, wie bei der subcutanen Injection, und
weil der Preis des reinen Präparates wegen der sehr complicirten
Darstellungsweise ein unverhältnissmässig hoher ist und wohl auch
bleiben wird. Fflr diesen Zweck haben wir in dem Bonjean'schen
Extraot der Pharmakopoe und in dem Wernich'schen Dialysat aus-
reichend wirksame Mittel.
Wir haben im Vorausgehenden die therapeutische Anwendung und
Wirksamkeit der Sderotinsäure besprochen und möchten nun im Fol-
genden einen Beitrag zur Theorie der Mutterkornwirkung
liefern, obwohl wir damit eigentlich den Rahmen unserer Arbeit ttber-
sehreiten, deren Zweck zunächst nur ist, therapeutische Gesichts-
punkte und Resultate am Krankenbett mitzutheilen. Die nachfolgen-
den Beobachtungen sind weit entfernt, einen entscheidenden Werth
für die Theorie der Mutterkomwirkung zu beanspruchen, sondern es
sollen nur Mittheilungen Aber die Veränderungen der Gefässspan-
nung sein, welche in der charakteristischen Weise, wie sie eingetreten
Bind, doch vielleicht fflr das Verständniss der Sclerotin - Effecte yon
Bedeutung sein dflrften.
Die von der grossen Mehrzahl der Forscher, namentlich von
Holm es 1) und Wem ich (1. c.) auf Grund zahlreicher Versuche
1) Effets de Vergoi da seigle. Arch. de Physiologie. 1870,
426 XXiy. Stumff
constmirte Theorie der Matterkorawirkang gipfelt in Bezug auf das
G^ftsssystem in folgenden Sätzen:
1. Der Tonus der Venen sinkt und das Blut sammelt sich in
den grösseren Oefftssen der venösen Kreislaufshftlfte an;
2. der Blutdruck sinkt, und
3. die Arterien werden leer und yerengem sich.
Dabei nimmt Wem ich das Sinken des Blutdruckes als d»
Primäre, die Verengerung der Arterien als das Seeundäre an«
Nehmen wir nun diese Sätze als wahr an, so stellt das Artmen-
System ein Böhrensystem dar, in welchem die ursprüngliche Flttssig-
keitsmenge, welche hineingetrieben wurde, vermindert und znglei^
der Abfluss verengt ist. Die Untersuchungen von Landois^) geben
uns nun sofort Aufschluss, welche Veränderungen die Pulswelle bti
derartigen Verhältnissen erfahren muss.
Das erste Moment, die Verringerung der Flttssigkeitsmenge, die
in das Arteriensystem geschleudert wird, ist von geringem Einflun
auf die Form der einzelnen Pulscurve ; namentlich wird, wenn andere
Verhältnisse influiren, die Veränderung der Pulscurve, die durch ein
Sinken des Blutdruckes allein bedingt ist und nach den Untersuchun-
gen von Landois und KnolP) in einer Vergrösserung der ROck-
stosserhebung und in einer Abschwächung und einem Hinaufrflcken
der ersten Elasticitätsschwankung gegen den Gurvengipfel (Landois]
besteht, hinter den durch die ttbrigen Momente gesetzten Veränderun-
gen erheblich zurücktreten oder gar verschwinden. Eine nicht za
verkennende Wirkung wird dagegen das zweite Moment, die Ver-
engerung der Ausflussöfihung, oder auf das Circulationssystem Aber-
tragen, die Verengerung def* kleinsten Arterien auf die Gestaltang
der Pulscurve ausüben. Landois hat gezeigt, dass die Büeksto«-
erhebung immer kleiner und die Elasticitätsschwankungen immer
zahlreicher und ausgeprägter werden, je mehr die Gefässspannung
zunimmt, und hat drei Spannungsgrade aufgestellt:
1. Geringe Spannung, bei stark ausgeprägter Rückstosserhebang
und Verschwinden oder nur geringer Andeutung der Elastidt&ts-
^chwankungen,
2. Mittlere Spannung, bei gleichmässiger Ausbildung der Bflek-
stosserhebung und der Elasticitätsschwankungen,
3. Starke Spannung, bei Verschwinden- der Bftckstosserhebiuig
und Zahlreicherwerden der Elasticitätsschwankungen.
1) Lehre vom Arterienpols. Berlin.
2) Beiträge zur Eenntniss der Pulscurve. Archiv für experimentelle Patho-
logie und Pharmakologie. Bd. IX.
ScleroUiuiure. 427
Bei deo hfiehsteti Spumungagraden rnttueo wegen der Vermin-
deniDg der Schwingungumplitude des Rohres anch die Elasticit&ts-
scbwankungen sehr klein werden, bo dass also eine solche Curre
DDT sehr geringe Osdllationen zeigen wird. Auiserdem tritt brä ex-
tremen Spanuungsgraden der AnakrotiBmoB auf, d. h. der aufsteigende
Cnrrenechenkel wird durch eine Elasticit&ta&chwanknng unterbrochen,
dadurch dass bei verminderter Auedehnungsfäbigkeit des Rohres das
Durchströmen der FlQssigkeit I&ngere Zeit in Anspruch nimmt, so
dass schon vor Erreichung dea Curveogipfels Elasticitätsschwankan-
gen auftreten können.
Die Verengemng des AbflosseB eines Röhrensystens, oder auf
das Geftasaystem fibertragen, die Verengerung der kleinsten Arterien
wird nun nacb Landois eine Spannungszunahme , also das Auf-
treten von Gurren 2. und 3. Spannnngsgrades zur Folge haben.
Alle diese Ver&ndemngen treten nun in unseren Sclerotincurren
iD der ausgepritgtesten Weise zu Tage. Die im Folgenden mitzu-
(halenden Gurren sind sämmtlicb mit dem Marey'schen Spbygmo-
graphen gezeichnet Als Maass für die Belastung der Arterie worden
die Umdrehungen der Schraube, welche die Spannung der die Fe-
lotte gegen die Arterie andrückenden Feder regulirt, angenommen,
eise üfethode, welche wenigstens für ein und dasselbe Instrument
die Gri>S8e der Belastung annähernd anszudracken im Stande ist.
Sieben Halbumdrehungen der Schraube waren bei nuBerem Spbygmo-
graphen nfttbig, um die Feder aus dem Zustande der vollständigen
Belasation in das Maximum der Spannung aberzufabren. Als Span-
nungsminimum wurde daher 0 angenommen, als Maximum 7.
Am frappantesten zeigt die durch ScIerotinsSare bewirkten Ver-
änderungen des Pulses ein Fall von HäidoptoS massigen Grades,
welchen ich wegen der verschiedenen Eigenthttmlicbkeiten , die er
bietet, im Folgenden näher anführe.
J. B. 30 Jahr alt, aurgeuommeii dea 31. Jannar 1879, gibt an, vor
1 Tagen Eum ersten Male von einem H am optoSas falle befallen worden zu
^Q. Der BlalverluBt soll nicht bedeutend gewesen sein. Sogldch nach
seioer Aufnahme wnrde folgende Cnrre anfgeaommen (rechte Radialis, gtkrkste
Federspannnng ^7):
Vit Cnrre Irigt die Ctiarsktere sehr geringer Spansnng, die Blicke
Sderotinaiiire. 430
ist ia Pnia stark Terlingumt, die Länge der W«lle betrag im extremateo
FiUe 3,2 Cm., die Pnluahl sank auf 42 in der Umate.
Am 8. Februar batte Patient einen ScbflttelfroBt, der ein Portechreiten
des LnDgeDproc«B8es einleitete, mit darauf Tolgendem hohen Fieber (bia zn
40,8 in der Achselhöhle). Die während der Fieberbewegnng an zwei anf-
dnander folgenden Tagen gezeichneten Cnrven 4 and 5 cdgen wieder die
Charaktere der abnehmenden Spannung, Carve 4 den mittleren, Cnrve 5
den geringsten Spaannngagrad ; dabei wieder Pnlabeechlennignng.
Am II. Februar halte sich das Fieber wieder verloren nnd nun stellte
sich nach dem Absinken der Temperatur wieder der vorher vorhanden ge-
vesene hohe Spannungsgrad ein, wie Cnrve 6 zeigt, in derselben Weise
wie fraber, nar war der Puls HereitB weniger Tetiangsant
Erat am 21. Februar, bia zu welchem Tage die Fortdauer der Span>
uongscnrve beobachtet wurde, begannen sich wieder allmfthlich die nonna-
Im Verhältnisse heranstellen, so dass also die hohe Spannung des Pulses,
ohne dass nochmals Scierotin säure gegeben worden wäre, mit 2 tägiger
OnUrhrechODg durch Fieber 19 Tage gedauert hatte. Curve 7 (22. Febr.j
leigl die allmähliche Abnahme der Spannung, Cnrve 8 (25. Febr.) die
Wiedotehr der normalen Verhältnisse.
ooacDtung, aa aer Kranke das spitai Teriie«.
Eine weniger frappante Verändening des Pulses zeigte der whon
erwähnte Fall von Fibromyom des Uterus, weDiger frappant detbalb,
SelaotinUnTe. 481
weil Hbon von Anhug An eine nicht geringe Spannnng des Pulses
vorbanden war. Die Solerotinstare wurde in diesem Falle von
Anfang an innerlieh in Dosen von 0,2 zweimal tfiglich gegeben.
Corre 13 ist die Noimaloarre der rechten Radialis bei mittlerer
Pederqwnnnng (4 Halbamdrehnngen der Sobnube); die folgenden
Corven sind ebenfalls mit derselben Belastang gexeicbnet
Die Pnlsver&nderaDg trat hier schon am 2. Tage nach der Dar-
reicbnng ein nnd dauerte, obwohl das Mittel schon nach 7 Tagen
ausgesetzt wurde, so lange an, dass die hohe Spannung noch beim
Austritt der Kranken — 3t Tage nach Beginn der Sclerotinbehand-
iQDg — za erkennen war nnd eine Relaxation der Arterie leider
nicht mehr zur Beobachtung kam. Wir sehen auch hier die böchaten
Die Rtickkehr zur Xorm kam auch hier wegen Anstrittes des
Kranken nicht znr Beobachtung.
Sclerotins&ttre. 433
In ebenso schöner Weise zeigte sich die Spannungszunahme des
Pulses bei einem vierten Kranken, jedoch kann von der Mittheilung
der betreffenden Curven abgesehen werden, weil dieselben mit den
obigen ganz flbereinstimmende Formen zeigen.
An die mitgetheilten 4 positiven Fälle reihen sich nun auch
ebenso viele negative, in welchen trotz fortgesetzter Beobachtung
auch nach langem sowohl subcutanem als innerlichem Gebrauche
keine Spur einer Veränderung des Pulses auftrat. Es sind dies durch-
gebends Fälle von sehr weichem, stark dikrotem Pulse bei hochgradig
anämischen Individuen (3 Pbthisiker in sehr vorgeschrittenem Sta-
dium) von welchen 2 kurz vor ihrem Eintritte äusserst abundante
Lungenblutungen überstanden hatten, und ein ebenfalls etwas anämi-
scher an Pollutionen leidender Hypochonder.
Ist nun auch nicht in allen Fällen die Veränderung des Pulses
eingetreten, welche wir nach der von uns als richtig vorausgesetzten
Theorie Wem ich 's erwarten durften, so dürfte es doch nicht un-
gerechtfertigt erscheinen, die Spannungszunahme des Pulses als einen
wirklichen Ausdruck der Sclerotin-Wirkung zu erklären. Die ange-
führten positiven Fälle in das Gebiet des Zufalls verweisen zu wollen,
ist unmöglich, einerseits weil Pulsformen wie die mitgetheilten nicht
leicht spontan auftreten, andererseits weil die Fälle, in welchen die
Spannungszunahme nicht auftrat, durchaus keine normalen Verhält-
nisse darboten. Es scheint also berechtigt, die gesteigerte Span-
nung des Pulses als wesentliches Attribut der Mutterkomwirkung und
als weitere Stütze für die We mich 'sehe Theorie aufzufassen.
Sehr auffallend ist das späte Auftreten der Pulsveränderung nach
Tagen, ja erst nach einer Woche bei einem Mittel, von dem man bis
jetzt momentane Wirkung erwartete; besonders glauben Geburtshelfer
in der Austreibungsperiode momentane Verstärkung der Wehenthätig-
keit, noch dazu auf sehr kleine Dosen zu beobachten. Solche augen-
blickliche Erfolge scheinen nach unseren mitgetheilten Versuchen
höchst zweifelhaft, da nur in einem einzigen Falle schon 7 Minuten
nach der Injection eine Spannungszunahme zu beobachten war, die
aber nach 5 Minuten schon wieder verschwand. Nach unseren Erfah*
rungen können wir nur dann eine prompte und rasche Wirkung erwar-
ten, wenn man grosse Dosen in kurzen Zwischenräumen aufeinander
häuft; auf momentanes Eintreten des Erfolgs müssen wir jedoch ver-
zichten. Gerade dieses späte Auftreten der Wirkung ist vielleicht
der Grund, warum frühere Experimentatoren den Resultaten von
Holmes, Wernich und Andern entgegengesetzte erhalten haben,
indem sie ihre Versuche nicht lange genug fortsetzten.
DentacliM Arehir f. klin. Mediein. XXIV. Bd. 2S
/
434 XXIV. Stumpf, Sderotinsäure.
Sehr auffallend ist endlich die lange Dauer der vermehrten 6e-
f&88spannung, auch wenn die SclerotinBäure-Darreichung ausgeeetzt
worden war. So war in dem zweiten der mitgetheilten Fälle nach
31 Tagen ein Schwinden der vermehrten Spannung noch nicht zu
conBtatiren. Wenn die Spannungsvennehrung wirklich der kliniseh
zu beobachtende Ausdruck der Sderotinsäure-Wirkung ist, so ist das
Eintreten und Andauern der vermehrten Qefftssspannung von hohem
prognostischen Werthe, und in der That war gerade in den Fällen,
wo eine lange Dauer der Spannung zur Beobachtung kam, auch der
therapeutische E£fect ein vollständiger.
XXV,
lieber einen Fall von Stenosirung der Palroonalarterie in Folge
von acuter Endocarditis der Semilunarklappen.^)
Aus der med. Klinik zu Freiburg i. B.
Von
Dr. MoritB Mayer
ans Dannstadt.
Während des Fötallebens entstandene Affectionen der rechten
Herzhälfte, insbesondere der Arteria pulmonalis, an dem Elap-
penapparat derselben sowohl, als auch an dem Tor den Klappen
gelegenen Conus, sind nicht selten Gegenstand der Beobachtung und
Beschreibung geworden. Letztere machen sogar bei Weitem die
Mehrzahl der entzündlichen Erkrankungen des rechten Herzens aus.
So häufig nun diese pathologischen Veränderungen am rechten
Herzen angeboren vorkommen, so selten beobachtet man tiefer
greifende Erkrankungen der Art, welche unzweifelhaft erst während
des Extrauterinlebens entstanden sind. Bei der bis jetzt äusserst
spärlichen Casuistik derartiger Fälle dürfte daher jede neue Beob-
achtung mittbeilenswerth erscheinen.
Der im Folgenden beschriebene Fall von erworbener Pul-
monalstenose in Folge von acuter Endocarditis an den
Palmonalklappen, dessen Geschichte auch nach anderen Rieh-
tangen hin manches Interessante bietet, wurde auf der medicinischen
Klinik des Herrn Prof. Bau ml er während einer Reihe von Monaten
bis zum Exitus letalis genau beobachtet.
Anamnese: Katharina Barbara Danzeisen aas Bähungen in Baden
ist 16 Jahre alt. Der Vater derselben starb durch einen Unglücksfall;
die Matter lebt nnd ist gesund. Eine vierjährige Schwester der Patientin
starb angeblich an Auszehrung ; die sechs noch lebenden Geschwister sind
alle gesund.
Patientin selbst war ein schwächliches Kind, blieb übrigens von jeder
acuten Affection frei und war bis zu ihrem 13. Lebensjahre, mit Ansnahme
bisweilen auftretender Anfälle von Kopfschmerzen, ganz gesund.
Im Frühjahr 1877 bemerkte Patientin besonders bei bastigen Bewe-
1) Freiborger Dissertation.
28*
436 XXV. Mayer
gUDgen heftiges Herzklopfen, dabei hatte sie reissende Schmerzen in Armen
und Beinen.
Nach Angabe ihres Dienstherrn begann sie schon um Weihnachten
1876 über Müdigkeit und Herzklopfen zu klagen. Eine cyanotische Fär-
bung sei jedoch nie an ihr bemerkbar gewesen. Gegen diesen Zastaod,
mit dem eine der Patientin fühlbare Abnahme ihres Kräftezustandes ein-
herging, suchte sie ohne Erfolg ärztliche Hülfe; arbeitete jedoch weiter,
bis sie, 3 Wochen vor ihrem Eintritt in das Krankenhans, durch Steige-
rung ihrer Beschwerden, sowie durch die fortwährende Abnahme ihrer Kräfte
genöthigt wurde, aus dem Dienste auszutreten und in das elterliche Haas
zurückzukehren.
Hier lag sie fast beständig zu Bette, fror öfters, schwitzte dann wie-
der u. s. f. Da trotz ärztlicher Behandlung eine Besserung ihres Znstandes
nicht eintrat, bewirkten die Eltern der Patientin am 4. August 1877 ihre
Aufnahme in das Hospital.
Status praesens vom 6. August 1877. Patientin ist von mittlerer
Grösse, sehr anämisch, stark abgemagert, von kindlichem Habitus. Ihr
Thorax ist schmal und LO etwas abgeflacht; rechts die Rippenknorpel
von der 4 — 6. Rippe stark vorspringend. Die Athmungsbewegungen siod
links etwas weniger ausgiebig, als rechts. Herzstoss diffus, die ganze
Mammargegend vorwölbend, nach aussen im 4. Intercostalraum bis 3 Finger
breit jenseits der Brustwarze zu fühlen.
Percnssionsschall L oberhalb der Clavicula ein wenig höhen
unterhalb auf der I.Rippe deutlich gedämpft; auch auf der 2. Rippe noch
deutlicher Unterschied zu Ungunsten der linken Seite und ebenso gegen
die Axilla hin, wo der Schall einen leicht tympanitischen Beiklang hat
Auch RO der Schall nicht sehr voll.
Absolute Herzdämpfung am 3. Rippenknorpel, nach linicB an
der 4. Rippe bis 3 Finger breit nach aussen von der Papille rächend,
nach rechts vom linken Stemalrand begrenzt. Die relative Herzdämpfnng
geht bis zum rechten Stemalrande.
Absolute Leberdämpfung beginnt in der ParaSternallinie an der 6. Rippe.
In der linken Azillarlinie in der Rückenlage Dämpfung von der 7.
Rippe abwärts, rechts etwas tiefer. Der untere Leberrand fiberschreitet
den Rippenbogen nicht. —
Die Auscültation ergibt rechts rauhe vesiculäre Inspiration in den
oberen Partien, das Exspirium oberhalb der Clavicula stark verlängert,
weich. —
Links oberhalb der Clavicula ist das Inspirationsgeräusch weich, das
Exspirium weniger verlängert, als rechts; unterhalb der Clavicula bis znr
2. Rippe das Athmungsgeräusch rauher als rechts; bei der Inspiration zu-
weilen feinblasige Rasselgeräusche unter der äusseren Hälfte der Clavicola
zu hören.
Die Auscültation des Herzens ergibt: In der Gegend der Spitse
ein sehr weiches, systolisches Geräusch, mit einem Ton begin-
nend und endigend. Die beiden Herztöne sind deutlich von dem Geräusch
getrennt zu hören, wenn das Ohr von der Platte des Stethoskops etwas
entfernt gehalten wird.
Stenosimng der Pulmonalarterie. 437
Das systolische Qerftusch nimmt nach oben an Intensität ^ zu und
ist am lautesten und von singendem Charakter im 2. Intercostal-
raum links, wo es mit der systolischen Erweiterung der Pulmonalis
auch tastbar ist.
Dieses Schwirren ist im 2. Intercostalraum bis jenseits
der Mammillarlinie zu ftlhlen, schwächer im t. und noch schwächer
im 3. Intercostalraum, wo man deutlich den Schlnss der Pulmo-
nal klappen fühlt. Das Geräusch ist auf Entfernung von Stethoskop-
länge auch mit unbewaffnetem Ohre zu hören.
Während es nun mit aufgesetztem Stethoskop links bis in die Äxilla^-
gegend und auch im Supraclavicularraum zu hören ist, hört man es nach
rechts hin schwächer, doch ist es auch in der rechten Axilla noch ver-
nehmbar.
Der 2. Aortenton ist deutlicher, als der 2. Pulmonalton.
Hinten bietet die Inspection keinerlei Asymmetrie.
Der Percussionsschall ist über der rechten Spina scapulae etwas
höher und dumpfer; UL absolute Dämpfung in der Scapularlinie am oberen
Rande der 11. Rippe, rechts desgleichen. Schwache Dämpfung beiderseits
etwas höher hinauf reichend.
Die Auscultation ergibt hinten beiderseits rauhes Athmungsge-
räuscb, links etwas schwächer. Exspirium nicht besonders stark verlängert.
Stimm fr emitus unten etwas abgeschwächt, reicht rechts weiter
nach abwärts, als links.
Das systolische Herzgeräusch istLHO gleichfalls ausserordent-
lich stark hörbar, auch rechts bis zum Angulns scapulae hinab, links bis
zor Dämpfungsgrenze; links ist neben dem Geräusch auch der 2. Ton
zu hören.
In der rechten Seitenlage wird links ein Dämpfungsbezirk constatirt,
der in der Mammillarlinie an der 6. Rippe beginnt und von da horizontal
nach hinten gegen die Wirbelsäule läuft, nach unten nahezu den Rippen-
bogen erreicht. Im linken Hypochondrium ist bei tiefer Inspiration zwar
eine vermehrte Resistenz zu fühlen, der Rand der Milz aber nicht deutlich
abzutasten.
Abdomen etwas aufgetrieben, in den unteren Theilen ziemlich deut-
liche Fluctuation.
Die Haut ist mit Miliaria crystallina bedeckt.
Die Fttsse sind um die Malleolen herum stark ödematös; ebenso die
unteren Augenlider.
Puls voll, aber sehr compressibel , bei der Inspiration nicht kleiner
werdend.
Die Respirationsphasen scheinen auf die Stärke des Ge-
räusches keinen wesentlichen Einfluss zu haben.
Die Ränder der linken Lunge sind durch Percussion bei der Respira-
tion nur ausserordentlich wenig verschieblich nachweisbar.
Die Phalangen der Finger ziemlich stark kolbig angeschwollen. —
Nach mehrfacher genauer Untersachung, welche dieselben Resul-
tate ergab; lautete die Diagnose: Stenosis rami stntstri arteriae pul-
monalis, wabracbeinlich durch Compression Seitens einschnürender
438 XXV. Mater
Bindegewebsstrftnge im Gefolge einer älteren Affeetion der linken
Lunge (Abflachung LO; feinblasige, wenn auch spärliche Rasselge-
räusche daselbst ; Hochstand des Zwerchfells ; geringe Verschieblich-
keit der Lungengrenzen). Die kaum nennenswerthe Verbreitening
der Herzdämpfung nach rechts und der YoUe Puls schienen dafflr zu
sprechen, dass eine bedeutende Anstauung des Blutes vor dem lin-
ken Herzen nicht stattfand. Auch die grosse Seltenheit acquirirter
Pulmonalarterienaffectionen musste der gemachten Annahme vor an-
cderweitigen Erklärungsversuchen die erste Stelle überlassen.
Im weiteren Verlauf der Krankheit, welcher bis zum 4. September
von einem ganz regelmässigen stark remittirenden Fieber — normale oder
nur wenig erhöhte, zuweilen auch subnormale Morgentemperatnren , hohe,
nicht selten 40^ C. erreichende. Abendexacerbationen — begleitet war, wurde
Patientin mehr und mehr anämisch. Das Oedem des Oesichts wurde stär-
ker; die Respirationen wurden auffallend tief und langsam.
An den Halsvenen waren am 15. August Pulsationen sichtbar gewor-
den, welche von da an fortdauerten. Die Pulsfrequenz schwankte ent-
sprechend der Temperatur zwischen 80 und 108. Vom 4. September an
bis zum Tode war das Fieber viel geringer, die Abendtemperatur erreichte
39^ nicht mehr, hielt sich sogar meist unter 38® bei ziemlich gleichblei-
bender Pulsfrequenz.
Eine genauere Untersuchung am 11. October ergab nur unweseDtliche
Veränderungen im Vergleich zu dem am 6. August Aufgenommenen, na-
mentlich keine Zeichen einer fortschreitenden Lungenaf*
fection:
Die Percussion der Lungen ergibt rechts oberhalb der Glavicola einen
nicht sehr vollen Schall, links deutliche Dämpfung. Im inneren Tfaeil des
2. linken Intercostalraumes ist ausgesprochene Dämpfung, die nach abwärts
unmittelbar in die Herzdämpfung übergeht. Letztere reicht nach rechts
bis an den rechten Sternalrand, nach links im 5. Intercostalranm
bis etwa 3 Gm. jenseits der Mammillarlinie.
Auch gegen die Axillarlinie hin ist links der Schall dumpfer und viel
höber, als rechts, und auch LHO ist eine leichte Dämpftong nachweisbar.
An der 7. Rippe beginnt in der linken Axillarlinie starke Dämpfung, die
nach abwärts sich fortsetzt. Die Leberdämpfung beginnt am unteren Rand
der 5. Rippe. —
Die Auscultation der Lungen ergibt Folgendes:
Das Inspirium RO verschärft, das Exspirium oberhalb der Glavicola
verlängert, unterhalb derselben undeutlich. — Nirgends Rasselgeräusche.
Links hat das Inspirium ebenfalls einen scharf ▼esicnlären Gharakter,
ist aber schwächer als rechts und das Exspirium nicht so deutlich. Links
ebenfalls keine Rasselgeräusche.
Hinten die untere Grenze des vollen Schalles rechts an der 10. Rippe,
links an der 11. Rippe. Athmungsgeräusch allenthalben rauh vesicsür.
Exspirium nur wenig verlängert; kein Rasseln.
Stenosirang der Palmonalarterie. 439
D«8 Ergebniss der AaBcnltation des Herzens ist ganz dasselbe wie
im ersten Status; nur ist das Geräusch, sowie das fühlbare Schwirren
schwächer als damals, doch wird auch HLO das systolische Schwirren
noch immer sehr deutUeh gehört. —
Die Milz ist vergrössert, ihr unterer Rand nun deutlich zu ftthlen.
Hie und da hat Patientin Schmerzen in der Milzgegend. —
Abdomen etwas voll; aber nicht besonders aufgetrieben. Percussions-
schall über dem linken Ligamentum Pouparti und in der linken Lumbai-
gegend etwas gedämpft, rechts dagegen tjmpanitisch. Finctuation nicht
deatüch nachzuweisen.
Urin zeigt bei geringer Verminderung der Menge von Bnde August
an immer Eiwe issgeh alt, der bis zum Exitus zunimmt; Farbe röth-
licb bis rothbraun. Unter dem Mikroskop erkennt man rothe Blutkörper-
chen in grosser Anzahl ; viele und sehr dicke Epithelialcylinder. Die Epi-
thelien sind zum grossen Theil verfettet.
Die Schwäche nahm fortdauernd zu und wurde besonders auch durch
Diarrhoe noch gesteigert. Der Stuhl ganz dünnflüssig, mit geringer Bei-
mengung von Schleim, ohne Blut.
Das Oedem verbreitete sich nun auch auf das Gesicht; dabei wurde
die Kranke so kraftlos, dass sie 2 Tage vor dem Tode kaum mehr auf
Anrufen reagirte.
Am 17. October 1877 Mittags erfolgte der Tod, nachdem in den
letzten Tagen vorher die Puls- und Respirationsfrequenz, erstere zuletzt bis
anf 76, letztere bis 18 in der Minute abgenommen hatte. Die höchste
Oberhaupt beobachtete Respirationsfrequenz war 32 gewesen.
Die Therapie war natürlich eine rein symptomatische gewesen. Beim
Eintritt der Patientin wurde ihr Tct. digitalls mit Tct. ferri pomati ana
p. aequ. , 3 mal täglich 10—15 Tropfen gegeben, die späterhin, da ein
Erfolg nicht ersichtlich war, ausgesetzt wurden.
Man beschränkte sich dann auf die Antipyrese durch Darreichung ent-
sprechender Dosen von Natron salicylicum und Chinin, ersteres wurde bei
dem remittirenden Charakter des Fiebers vor der Exacerbation (in den
ersten Stunden des Nachmittags) gegeben.
Die zeitweilig auftretenden Schmerzen wurden theils durch Derivantien,
tbeils durch Narcotica in geringer Dosis bekämpft.
Dabei wurde selbstverständlich auf möglichst kräftige Ernährung Be-
dacht genommen. —
Obduetion am 18. Oct. 10 Uhr Vormittags (Hofrath Maier).
Körper sehr mager, blass, an der Haut mehrfache Abscbilferungen.
Sopra* und Infradaviculargruben eingesunken, überhaupt dw ganze Brust-
korb abgeflacht.
In der Unterleibshöhle etwas klare, helle Flüssigkeit; die Gedärme
bloss, aberall glänzend. Mesenterialdrttsen unbedeutend vergrössert.
Der untere Milzrand reicht bis an die Grenze des Hypochondriums;
der Leberrand ist etwa 2 Finger breit davon entfernt.
Die Vena cava inferior ist wenig gefttlit und ebenso die venöse Ge-
ftssfällung im Darm sehr gering.
Die Rippenkttorpei sind weiss, weich und ziemlich leicht durchachncidbar.
440 XXV. Mayer
Nach EröfifnaDg des Brustkorbes retrahiren sich die Lungen sehr wenig.
Der Herzbeutel liegt zum Tbeil bloss.
Reste der Thymus sind vorhanden.
Die vorderen Lungengrenzen sind scharf, glatt, nirgends dnrcL
Verwachsungen mit der Pleura verbunden.
In beiden Pleurahöhlen etwa 2 Esslöffei voll heller Flflssigkeit.
Im Herzbeutel finden sich etwa 1 — 2 Esslöffel voll heller, seröser
Flüssigkeit.
Die linke Lunge hat oben einige kleine Verwachsungen, die rechte keine.
An der rechten Lunge ist die hintere Partie mit dem Zwerchfell, aber
leicht löslich verwachsen.
Das Zellgewebe an der Aorta ist, namentlich am unteren Theile der
Pars thoracica stark ekchymosirt.
BronchialdrUsen sämmtlich etwas vergrössert und pigmeutirt; Durch-
schnitt derselben derb. —
Der Breitendurchmesser des ungeöffneten, zusammengelegten Geflss-
rohres der Arteria pulmonalis beträgt 3,3 Cm. Der linke Ast 1,9 Cm.
Der rechte Ast 1,8 Cm.
Die Aorta, in derselben Weise gemessen, an der Wurzel unterhalb
des Abgangs der Anonyma 2,8 Cm., nach dem Abgang der grossen 6e-
fässe 2,1 Cm. Pars thoracica der Aorta enge, das comprimirte Geftss-
rohr zeigt am Ende der Pars thoracica eine Breite von 1,5 Cm.
Das Herz ist gross. Der linke Ventrikel ziemlich conisch. Der
rechte Conus arteriosus prall, rigid. Das Epicardinm mehrfach umschrie-
ben verdickt.
Die Breite des Herzens an der Basis beträgt 11 Cm., auf den rechten
Abschnitt fallen davon 9 Cm. Der Conus am Uebergang in den Bulbns
der Art. pulm. misst 4 Cm., die Höhe des Herzens von der Spitze bis
zum Anfang der Aorta 10 Cm.
Das Ostium venosum sinistrnm jässt 2 Finger durchschieben. Die
Mitralis ist etwas verdickt.
Im linken Herzen unbedeutende dunkle Gerinnsel. Die Höhle ist weit;
die Dicke der Ventrikelwand beträgt 1,1 Cm. Das Fleisch ziemlich blas?,
aber derb.
Auch im rechten Vorhof ist nur wenig dunkles Gerinnsel ; das Ostiam
venosum deztrum lässt 2 Fingerspitzen durch. Im rechten Ventrikel ebeu-
falls einige dunkle Gerinnselfetzen.
Die Dicke der rechten Ventrikelwand beträgt 1,2 Cm.
Das Ostium arteriös, dextrum zeigt sich vollständig
verstopft durch massige, weiche Gerinnsel, Vegetationen
und Ezcrescenzen, die einerseits tief unter die Basalpartien der Klap-
pen reichen, andrerseits weit den oberen Rand der Taschen tlberragen und
so an einer Stelle eine Längsausdehnung von 6 Cm. zeigen.
Das Septnm vcntr. oben im Conus der Art. pulm. durchbrochen; der
Defect hat die Grösse eines 20 Pfennigstückes.
An der Tricnspidalis zwei kleine Vegetationen.
Rechter Vorhof klein mit dOnnen Wandungen; auch daa rechte Herz-
ohr ist von sehr geringem Umfange.
Foramen ovale ist vollständig geschlossen. —
Stenosirung der Polmonalarterie. 441
Die rechte LnDge ist an der Spitze und an den Rändern blass,
gedunsen; in der Mitte bläulich, mit einzelnen aufgedunsenen Inseln. Im
mittleren Lappen vorn findet sich eine erbsengrosse fibroide Stelle. Die
linke Lunge zeigt äusserlich ähnliche Veränderungen im unteren Lappen.
Seitlich und hinten ist die Pleura geröthet, ekchymosirt, getrflbt und ver-
dickt. Auf Durchschnitten finden sich mehrere kirsch- bis mandelgrosse
Herde, theils schwielig pigmentirt, hart, fibrös; theils grauschwarz, scharf
umschrieben, feucht; aber schon ziemlich derb, vollkommen luftleer. An
der Peripherie derselben treten in einzelnen Pulmonalästen Thromben auf.
Leber gross, ihre Oberfläche glatt, die Ränder scharf. Schnittfläche
gleichmässig braunroth, glatt und glänzend. Die Gallengänge etwas er-
weitert. Gallenblase voll und mit zäher Galle geftlllt. Blutgehalt massig.
Milz 17 Cm. lang, 8,5 breit und 5,5 dick. Das Gewebe zeigt auf braun-
rothem Grunde reichliche Bindegewebsentwicklung in Form kleiner Sterne.
Follikel treten nicht zu Tage; das Gewebe ist sehr derb. Linke Niere
gross. Oberfläche von zahlreichen rothen, sternförmigen Figuren besetzt.
Das Parencfaym derb. Durchschnitte ergeben stark grauröthiiche Färbung
der Rinde. Glomeruli treten in Form feinster Granulirung über die Schnitt-
fläche hervor. Pyramiden gleichmässig braunroth. Keine Amyloid-Reac-
tioo. — Rechte Niere lässt ebenfalls die Kapsel schwer abziehen, zahl-
reiche Verbindnngsfäden werden dabei zei:rissen. Oberfläche ist ebenfalls
roth punktirt. Die Schnittfläche lässt eine Verbreiterung der Rinde er-
kennen. Färbung grauroth. Beide Nebennieren sind sehr derb. Rinde
und Mark wenig unterschieden, gleichmässig braunroth.
Magen zusammengezogen und klein. Schleimhaut blass, etwas schleim-
belegt; während das Duodenum stark gallig gefärbt sich zeigt. An der
Mflndung des Ductus choledochus eine kleine Papille, aus der sich jedoch
keine Galle auspressen lässt. Die Schleimhaut des Dünndarms ist blass
Qnd wenig geschwellt, grau. Die folliculären Gebilde treten deutlich her-
vor durch stärkere Pigmentirung, ohne aber geschwollen zu sein. —
Die nachträglich vorgenommene
Genauere Untersuchung des Herzens
ergab Folgendes (Prof. Bäum 1er):
Rechter Ventrikel besonders im Gonusantheil erweitert,
seine Wandungen durchweg sehr verdickt, am rechten Rande dicker,
als die des linken Ventrikels am linken Rande des Herzens. Tra-
bekeln stark vorspringend; auch die Papillarmuskeln voluminös.
Im Conus arteriosus trennt eine nach oben in die hintere Wand
der Arteria pulmonalis auslaufende MuskelbrQcke (b) <), welche beim
Aufschneiden der A^t. pulm. etwas mitgetroffen wurde, die durch
eine grosse Oeffnung im Septum (a) vom rechten Ventrikel
aus zugängige Aorta (e) von der Pulmonalarterie.
Diese Muskelbrticke, welche gegen den rechten Ventrikel hin
1) Siehe die Abbildung.
442 XXV. Mater
leiatenartig vorspringt und nichta Anderes ist, als der vorderste obere
Theil des Septum ventriculorum in seinem Uebergang zur vorderen
Ventrikelwand, ist mit schwielig verdicktem Endocard aberzogen und
eine Fortsetzung diesei' Endocardschwiele erstreckt eich bei e eine
Strecke weit auf das Septum und die vordere Wand des Ventrikel!-
Die kleine spitze Prominenz (bei c) ist das Rudiment eines abgeris-
senen Sebnenfadens der Tricuspidalis, dessen anderes Ende in der
kleinen baboenkammförmigen Wucherung (J") untergegangen ist.
Auch an den zunächst angrenzenden, von der vorderen Ven-
trikelwand am Septum ausgebenden Trabekeln findet aieh sebwielip
Verdichtung des EndocardUberzuges.
Oberhalb der genannten MuskelbrUcke finden sieh im Conui
der Arteria pulmonalis und an deren Klappen blaffleo-
kohlartige, feit aufsitzende Wucherangen, die tlieil«
von der Wand des Conus, tbeils von den Klappen ans-
geben.
Stenosirang d^ Fulmonalarterie. 443
Am meisteil verändert ist die rechtsseitige laterale Klappe (i),
die in eine etwa 3 Cm. hohe, gegen den Ventrikel convexe, gegen
die Arteria pulmonalis concave wulstig-höckerige Prominenz mit klei-
nen, an festen Bindegewebsf&den hängenden Anhängseln umgewan-
delt ist. Die daran stossende , ttber jener Moskelbrtteke befindliche
Klappe ig) ist nur an der Ventrikelfläche mit warzigen und zottigen
Eicrescenzen besetzt, gegen den Sinus hin dagegen vollständig glatt.
Stärkere Veränderungen zeigt wiederum die vordere Klappe (A),
die an ihrem medialen Theile abgerissen ist und an der Ventrikel-
fläche eine grosse Excrescenz trägt.
Der Baum im Conus unterhalb der Klappen ist namentlich in
dem nach rechts sehenden Theile (i) etwas aufgewühlt und eben-
falls mit warzigen Excrescenzen ausgekleidet
Oberhalb der Klappen der Fulmonalarterie finden sich in der
Wand der letzteren über dem freien Bande der hinteren Klappe ein-
zelne minimale, bis hirsekomgrosse Excrescenzen. Beichlicher und
grösser werden dieselben nach rechts hin, wo unmittelbar Aber der
sehr stark veränderten Klappe neben kleineren sich eine erbsen-
grosse Excrescenz findet, die sich zurflckschlagen lässt und unter
welcher die Arterienwand usürirt und verdickt ist. *
Die beiden Aeste der Fulmonalarterie sind ziemlich weit (Maasse
B. oben).
Der Ductus arteriosus Botalli ist geschlossen. Da-
gegen zeigt, wie bereits erwähnt, dasSeptum ventriculorum
eine fttr den Zeigefinger bequem durchgängige Oeff-
nung (a) nach dem linken Ventrikel hin; bedeutend weiter ist diese
Oeffnung in der Bichtung gegen das Ostium der Aorta, so dass
letztere weit mehr aus dem. rechten, als aus dem linken
Ventrikel zu entspringen scheint, und die Ventrikelfläche der
Semilunarklappen deutlich vom rechten Ventrikel aus sichtbar wird
id: die hintere Semilunarklappe).
Der aufsteigende Theil der Aorta bis zum Abgang der Subclavia
sinistra ist weit, von da abwärts nimmt ihr Umfang sehr bedeutend
ab (Maasse s. oben).
Der Band der Oeffnung im Septum zeigt im rechten Ven-
trikel leicht schwielige Verdichtungen seines Ueberzuges; aus die-
sem Bande gehen unmittelbar die Sehnenfäden fttr den medialen
Thdl des vorderen und hinteren Segels der Triouspidalis hervor.
Im linken Ventrikel ist die untere Umrandung derSeptum-
öffnung in Form einer scharfen in der Mitte durch Adhäsionen fest-
gehaltenen, niedrigen Falte etwas überhängend, als ob nach ge-
444 XXY. Mater
schehener Perforation der nur aus den beiden Endocardblflttem be-
stehende Rand durch den Blutstrom nach dem linken Ventrikel
hin umgeschlagen worden wäre.
Die Aorta entspringt demnach unmittelbar unter und hinter der
Pulmonalarterie mit einer sehr weiten Oeffnung , die gegen die Tri*
cuspidalklappe hin durch eine scharfe Kante, gegen die vordere
Ventrikelwand durch eine niedrige Falte sich abgrenzt.
Das Ostium aortae ist stark dilatirt; die Semilunarklappen sind
vergrösserti sonst aber normal und hatten während des Lebens offen-
bar geschlossen, lieber der Insertion der beiden hinteren Semilunar-
klappen eine linsengrosse, gelbe Verdickung der Intima, im Uebiigen
ist die Innenwand der Aorta ganz glatt. —
Am hinteren Zipfel der Tricuspidalis findet sich eine knorpelige
Verdickung der mittelsten Partie; am vorderen Zipfel an der ent-
sprechenden Stelle eine hahnenkammförmige Excrescenz (f).
Das Septum ventriculorum ist gegen den rechten Ventrikel bin
vorspringend. Der linke Ventrikel in Folge davon weit. Trabekeln
am Septum gedehnt und verdünnt ; Papillarmuskeln aber kräftig ent-
wickelt.
Mitralklappe in ihrem medialen Segel vergrössert.
Linker Vorhof weiter als der rechte.
Die Arteriae bronchiales an ihrem Ursprung aus der Aorta
nicht dilatirt.
Es erhebt sich nun zunächst die Frage, ob hier die durch warzige
Vegetationen bedingte Verengerung der Pulmonalarterie als das Re-
sultat einer fötalen, oder einer erst in den letzten Monaten entstan-
denen Endocarditis aufzufassen sei. Diese Frage mnss entschieden
zu Gunsten der letztgenannten Annahme beantwortet werden. Die
Gründe dafür liegen auf der Hand : Aus den klinischen Beobachton-
gen über angeborene Pulmonalstenosen ergibt sich, dass sieh in
allen Fällen dieser Erkrankung schon in den ersten Lebensjahren min-
destens Andeutungen von Symptomen gestörter Circulation zeigten.
Ferner hat die congenitale Verengerung der Lungenarterie einen
ganz anderen anatomischen Charakter und ihren Hauptsitz im Conus
arteriosus, der durch schwielige Myooarditis verengt wird.
Endlich wird die beinahe ausnahmslos vorkommende Persistenz
des Foramen ovale von den Autoren als Merkmal der intrauterinen
Entstehung des Krankheitsprocesses betrachtet. In unserem Falle
fehlte dieselbe.
Ohne alle Beschwerden, insbesondere ganz frei von Erseheinnn-
StenoBimog der Piümonalarterie. 445
gen gestörter Circulation (Herzklopfen , Dyspnoe , Cyanose u. s. w.);
Terbracbte Patientin in guter Gesundheit 14 Jahre ihres Lebens, um
dann auf einmal mit Hei*zklopfen , Dyspnoe, kurz der ganzen Sym-
ptomenreihe einer Herzaffection zu erkranken; Erscheinungen, die
schon in den folgenden Wochen in rapider Weise in das Bild eines
exquisiten Herzklappenfehlers übergeführt wurden.
Den Sitz und die Art der Stenosirung anlangend, so genfigt ein
Blick auf die beigefflgte Zeichnung des Präparates, um die acquirirte
Natur des Leidens ausser allen Zweifel zu setzen. Diese polypösen,
warzigen, in das Lumen des Pnlmonalostiums hineinragenden Ex-
crescenzen, die ihren Hauptsitz vorzüglich an den Klappen haben
und den Conus arteriosus fast ganz unbetheiligt gelassen haben, ent-
sprechen vollkommen den Producten einer Endocarditis acuta.
Nun findet sich allerdings in unserem Falle eine Reihe von Ver-
änderungen, welche auch bei den ins Fötalleben zurückreichenden
Palmonalstenosen sehr exquisit ausgesprochen sind, nämlich vor Allem
ein Offensein des Septum ventriculorum und dann schwie-
lige Verdickung *am Conus arteriosus. Ersteres wird von den Autoren
ebenfalls als differentialdiagnostisches Kennzeichen der angebore«
nen Pulmonal Verengerung erwähnt. Allein die genauere Prüfung des
Sectionsbefandes ergibt sofort, dass in unserem Falle dieses Zeichen
nicht nur nicht für die angeborene Natur des Leidens angeführt wer*
den, sondern im Gegentheil als weiteres Moment zur Unterstützung
der Annahme einer postfötalen Erkrankung ins Feld geführt werden
kann, indem eine genauere Betrachtung des Befundes zeigt, dass
diese Oeffhung offenbar erst später entstanden ist und dass nach
Durchlöcherung des Septums der freie Rand des Loches nach dem
linken Ventrikel hin umgeschlagen wurde. Femer findet sich der
Defect im Septum gerade in demjenigen Theile des Septum mem-
branaceum, welcher durch eine bedeutende Blutdrucksteigerung ge-
rade im Conustheil de^s rechten Ventrikels allmählich zur Dehiscenz
wird gebracht werden müssen, Es ist nämlich nur der vorderste
Theil des Septum membranaceum defect, während ja bekanntlich
dieses Septhm zum grössten Theil im rechten Herzen in dem dem
Ostium venosum angehCrigen Abschnitt, ja sogar im rechten Vorhof
an der Basis des medialen Segels der Tricuspidalis , gelegen ist.
Die schwieligen Veränderungen an dem Loche im Septum
sind wohl einfach als Folge fortwährenden Andrängens des Blutes,
welches durch die Pulmonalarterie nicht mehr frei entweichen konnte,
aufzufassen. Diesem Andrängen waren auch die von dem Septum
entspringenden Sehnenfäden des vorderen Tricuspidalsegels ausge-
446 XXV. Mayer
seist und einer derselben (e) ist auch in Folge von endotibrditiBcher
Urweichung abgerissen und seine Insertionsstelle an der Klappe zeigt
eine warzige Wacherung (bei /).
Wäre das Septum schon während des Fötallebens nie yölUg ge-
schlossen worden, so würde die Palmonalarterie anch nicht za nor-
maler Weite sich entvdckelt habeni was doch hier voUkommmi der
Fall ist. Femer würde ein schon aus dem Fötalleben stammendes
Offenbleiben des Septnms wohl ein Offenbleiben des Dactns art.
Botalli nach sich gezogen haben, der hier in yölllg normaler Weise
geschlossen ist. Ich möchte daher meine Meinung über die Ent-
stehung des Leidens dahin präcisiren:
Eine acute Endocarditis an den Klappen der Pulmonalis mit
warzigen Wucherungen führte zu einer Verengerung ihres Ostion».
Die Verlegung des normalen Abflusses führte zu einer Dilatation des
Lungenherzens mit consecutiver Hypertrophie seiner Wände. Allein
selbst die bedeutende Hypertrophie des rechten Ventrikels war nieht
im Stande, das Hindemiss in der Pulmonalarterie zu überwinden;
vielmehr führte der verstärkte Seitendruck des angestauten Blates
allmählich einen Durchbruch des Septum ventriculorum herbei und
zwar gerade an der Stelle, welche selbst am ausgewachsenen Herzen
nur aus einer Aneinanderlagerung der beiden Endocardblätter be-
steht; der Defect betrifft den vordersten Theil des Sept. membra-
naceum, welcher den Locus minoris resistentiae im Gonustheildes
rechten Ventrikels darstellte.
Das ganze Krankheitsbild in unserem Falle hatte in mancher
Beziehung Aehnlichkeit mit dem einer Lungenphthise : stark remit-
tirendes Fieber, Husten, Anämie und Abmagerung, percutorische und
auscultatorische Erscheinungen, die so gedeutet werden konnten.
Wie die Section ergab, fehlten phthisische Veränderungen an den
Lungen. Das Gewebe derselben war etwas hypertrophirt und die
vereinzelten derben Knoten dürften wohl als aus Embolie herror-
gegangene fibrös umgewandelte hämorrhagische Infarkte
anzusehen sein.
Der remittirende Fieberverlauf kommt ganz in der hier
beobachteten Weise auch der ulcerösen Endocarditis am linken
Herzen zu.
Bei der ausserordentlichen Seltenheit der Endocarditis der
Pulmonalarterienklappen war nicht gewagt worden, diese
Diagnose während des Lebens zu stellen, sondern man hatte sich
mit der Diagnose einer Stenose der Pulmonalarterie begnügt und an-
genommen, dass nur der linke Ast derselben, wahrscheinlich darch
Stenosirong der Fulmonalarterie. 447
ohroniflch entzflndliche Vorgänge an der linken Lunge, stenosirt sei.
Dafflr schienen die leichte Abflachung und Dämpfung des Percussions-
Schalles LVO, die daselbst ab und zu hörbaren feinblasigen Rassel-
geräusche, femer die sehr geringe percutorische Verschieblichkeit des
linken vorderen Lungenrandes bei tiefer Respiration und der Hoch-
stand der linken Zwerchfellshälfte zu sprechen.
Wie ich schon oben erwähnt habe, ist die Casuistik der in Rede
stehenden Fälle eine ganz ungemein spärliche, und die einzige Be-
obachtung, die ich in der Literatur verzeichnet finde, welche der
unsrigen ganz gleich kommt, ist ein von WitleyO veröffentlichter
Fall, der in Guy's Hospital in London beobachtet wurde. Ich will
denselben der Hauptsache nach mittheilen:
Fall 1.
36jährige Frau, beim Eintritt ins Hospital 9 Wochen krank, vorher
^te Gesundheit, nie Rheumatismus. Die Erkrankung begann mit Diarrhoe,
darauf Brustschmerzen mit Husten. Abmagerung. — Anämie. Lautes fühl-
bares systolisches Geräusch Im 2. linken Intercostalraum. Die normalen
Herztöne unter der Brustwarze sehr deutlich. — Kein Venenpuls am Hals.
Niemals Oedeme. Der spärliche Harn stark eiweisshaltig.
Seetlon: Vergrösserung des Herzens durch den vermehrten Umfang
des rechten Ventrikels. „Der rechte Ventrikel und die Fulmonalarterie
erschienen aufgetrieben, als ob sie eine feste Gerinnung enthielten, die sich
dann auch nach der Eröffnung fand. Mächtige Vegetationen fanden sich
an den Pulmonalklappen und unterhalb derselben war fast der ganze Ven-
trikel ausgefällt mit antemortalen fibrinösen, im Zerfall begriffenen Gerinn-
seln. Der kleine Raum, der im Ventrikel tlbrig blieb, war mit frischem
weichem Gerinnsel gefüllt, nach dessen Entfernung der grössere Theil der
Höhle sich ausgekleidet fand mit jenen älteren Gerinnungen und Vegeta-
tionen. ** „An der ganzen convezen Oberfläche jeder Semilunarklappe
hing eine grosse Vegetation oder ein warziger Auswuchs von der Grösse
eines Schussers. Dieselben waren fest angewachsen und müssen beim An-
einanderliegen das Pnlmonalostium nahezu verschlossen haben. Die Ful-
monalarterie selbst war normal.
Der rechte Ventrikel erweitert, seine Wandungen ebenso wie die ver-
schiedenen Trabekeln hypertrophirt.
Der linke Ventrikel von normalen Dimensionen. Die convexen Ober-
flächen der Aortenklappen in derselben Weise wie die der Pulmonalis mit
Vegetationen bedeckt, doch waren dieselben viel kleiner, jede Masse rund
und gesondert, nur von der mittleren Partie ausgehend.
Unterhalb der mittleren Semilunarklappe, demmembra-
nösen Theil des Septum ventriculorum entsprechend, be-
1) Gases of disease of tbe pulmonary artery and its yaWea. Guy 's Hospital
Reports. III. Ser. Vol. III. p. 255. 1857.
448 XXY. Matek
fand sich eine runde Oeffnung, durch welche eine gewöhn-
liche Schreibfeder durchgeschoben werden konnte.
Dieselbe führte in den rechten Ventrikel nicht unterhalb des angehef-
teten 8egels der Tricuspidalis, sondern oberhalb der Anheftung des vorderen
Segels. Unmittelbar unterhalb der Oeffnung im linken Ventrikel fand sich
eine Querleiste und um sie herum einige harte Vegetationen, so dass eioe
Art trichterförmiger Kanal gebildet wurde, und wenn Blut von einer Höhle
in die andre drang, so muss es von links nach rechts gewesen sein. Im
rechten Ventrikel war die Oeffnung von Vegetationen bedeckt und mttodete
unterhalb einer ähnlichen Masse unter den Pulmonalklappen ans. Die
Tricuspidalis war an ihrer Ventrikel- wie Vorhofsfläche mit Vegetationen
bekleidet. An der ersteren waren sie, wie oben erwähnt, gemischt mit
antemortalen Gerinnseln. An der Vorhofsfläche waren sie klein, enüug
dem freien Rande der Klappe hingestrent und fest anhaftend.^
Im Uebrigen gehören noch folgende beschriebene Fälle in diese
Kategorie von Erkrankungen der Pulmonalarterien-Klappen. Zunächst
noch einige von Whitley mitgetheilte Beobachtungen:
Fall 2.1)
11 jähriges Mädchen. Schon in früher Kindheit Zeichen von Herz-
affection. Parese der unteren Extremitäten. Doppelgeräusch an der Herz-
basis. Plötzlicher Tod. —
Seetion: Vergrösserung des rechten Ventrikels, der den linken fast
um das Doppelte übertrifft. Bedeutende Verdickung seiner Wandungen.
Die Pulmonalklappen bis auf spärliche Reste einer Klappe ganz verschwan-
den; die Innenwand der Arterie an dieser Stelle excoriirt und em derbes
Gerinnsel haftete ihr fest an. Unterhalb der Insertionsstelle der Klappen
war das Endocardium mit Vegetationen bedeckt; an einer Stelle ist das
Endocardium ulcerirt und auch die Muscularis infiltrirt. Das Gerinnsel in
der Pulmonalarterie , deren Innenfläche rauh war, füllte das Gefäss voll-
kommen aus und erstreckte sich bis in die Aeste zweiter Ordnung m den
Lungen.
Auch die Aortenklappen mit Vegetationen bedeckt ; die übrigen Klap-
pen normal.
Fall 3.
19 jähriges Mädchen, 4 Monate vor Eintritt ins Hospital Dnrchnässung,
bald darauf Oedeme und Albuminurie. Herztöne sollen normal gewesen sein.
Seetion: Die Pulmonalklappen bis auf geringe Reste offenbar durch
frische Endocarditis zerstört. Die vereinigte Ursprungsstelle zweier Klap-
pentaschen bildete eine bohnengrosse, etwas blutig gefärbte und warzige
Vegetation. Keine Dilatation des rechten Herzens.
Fall 4.
38 jähriges Weib, hatte als Packerin in einem Magazin schwere Lasten
Treppe auf und ab zu tragen. 5 Wochen bevor sie in Behandlang kam,
erhielt sie von ihrem Manne in einem Streite mehrfache Stösse anf die
1) 1. c. p. 257.
Stenorirung der Pulmonalarterie. 449
BroBt Von da an Brastbesch werden. Dr. Lloyd, der sie erst knrs vor
ihrem Tode eah, hörte ein beide TOne begleitendes Oertnscb an der
Henbasis.
SeetloB: Die Pnlmonalarterie durch Vegetationen so veratopft, dasa
nar eine Sonde hindnrchgeschoben werden konnte. Von awei der Senüln«-
narUappen entsprangen je zwei wallnnasgrosse AnswAohsOi während die
dritte Klappe mit kldneren Vegetationen bedeckt war.
Fall 5.
45 jähriges Weib, starb schon einige Minuten nach der Aufnahme ins
Hospital. Sie war in der Nähe des Hospitals auf der Strasse plötzlich
hingestürzt
Seetloii : Bedeutende Erweiterung der rechten Herzhälfte mit beträcht-
licher Hypertrophie. Pulmonalarterie ausserordentlich erweitert, die Semi-
Innarklappen durch Vegetationen an ihrem freien Rande bedeutend verdickt.
Linke Herzhälfte und Aorta enge, die Ventrikelwand verdickt.
An diese Fälle schliesst sich an eine Beobachtung von J. Paget^):
Fall 6.
Fall aus clor Abtheilung des Dr. Stanley. 20 jähriges öffentliches
Mädchen ; Anämie, Hydrops der unteren Extremitäten. Häufige Ohnmachts-
annUie. Keine besondere Dyspnoe. Lautes systolisches Geräusch
über der ganzen Brust, hauptsächlich an der Herzbasis und gegen die
linke Schulter, auch hinten zu hören.
Seetlon: Nur zwei Pulmonalklappen , dick und opak. Deren freier
Rand nnd die angrenzenden Partieen mit weichen voluminösen Vegetationen
von gelb -bräunlicher Farbe bedeckt, den Klappen fest anhaftend und in
ihrem Innern kleine kreidige Concremente enthaltend. Auch hinter den
Klappen kleine warzige Vegetationen. Hinter der hinteren Klappe die
Wand der Art. pulmon. usurirt; eine ähnliche UIceration an der Bifurcation
der Arterie. Mitralis und Aortenklappen normal.
Sodann ein Fall von v. Dusch ^):
Fall 7.
Junger Mann. — Rechter Ventrikel doppelt so starke Musculatur als
der linke. Septum unter der hinteren halbmondförmigen
Klappe der Aorta mit 4 — 5'^' im Durchmesser haltender Oeff-
nung durchbohrt. Ränder der letzteren schwielig, zum Their verkalkt.
Spuren von Endocarditis an der Mitralis und den Aortenklappen, am
bedeutendsten jedoch in der Umgebung der Oeffnung, sowie
im Con. art. und um die Klappen der Art pulm., deren Ostium durch be-
deutende Fibrinauflagerung verengt war. Foramen ovale geschlossen. In
der Nähe der anomalen Oeffnung im Septum in der Wand des rechten
Ventrikels ein sogenanntes partielles Herz-Aneurysma. —
1) London med.-chir. Transact. 1844. Git. von J. M. de Buman, De la
Pathol. de TArtöre pulm. Th^se de Paris. 1858. p. 63.
2) Verhandl. des natorhist. medic. Vereins zu Heidelberg. I. S. 3. 1869.
DratMhM ArehlT f. klln. Medldn. XXIV. Bd. 29
450 XXY. Mater
£. V. WaliP) ^^ählt folgenden Fall:
Fall 8.
33 jähriger Patient, will immer gesund gewesen sein bis vor 1 Monat.
Von der Zeit an unregelmässig wiederkehrende' Ffeberannille. — Die Aos-
cultation er^bt aber der Wurzel der grossen Gefässe sägende Oeräusehe
bei der Systole und Diastole, die am lautesten Aber der Arteria pulmoDalis
gehört werden.
Die Klappeutöne an der Herzspitze dumpf, wie aus grösserer Entfer-
nung herfiberklingend. Quälender Husten, Dyspnoe, Herzklopfen ; gestörter
Appetit; unregelmässiger oft flüssiger Stuhlgang. Der Tod erfolgte naeh
etwa 3 wöchentlicher Beobachtung unter ähnlichen Erscheinungen , wie in
unserem Falle.
Seetion: Körper'blass, kräftig gebaut. Die unteren Extremitäten leicht
ödematös. Leib aufgetrieben. — Rechte Lunge stark hyperämisch ; Plenra
gesund. Keine Tuberkeln in der Lunge.
Rechter Ventrikel dilatirt, hypertrophisch, Wandungen verdickt.
Tricuspidalis normal; Endocard intact. Die rechte und mittlere
Semilunark läppe durchfrischenentztlndlichenProcesB der-
artig verändert, dass von der rechten nur nochdie äussere
Hälfte existirty die innere aber in einer dicken, grau-röth-
lichen Wucherung untergegangen ist, die abgelöst frei flot-
tirt. Statt der mittleren Klappe findet sich ein unregei-
mässig gewucherter Wulst. Foramen ovale geschlossen. , Das linke
Herz mit Klappen normal; am Arcus aortae einige kleine atheromatöse
Plaques. —
Leber und Milz vergrössert. —
V. Wahl glaubt, dass in diesem Falle die Endocarditis als eineCom-
plication einer parenchymatösen Nierenentzündung anzusehen sei.
Endlich gehört hierher noch folgender Fall von Fr. Chvostek'):
Fall 9.
Ein Soldat starb 6 Tage nach einem Sturz vom Pferde unter Erschei-
nungen einer Meningitis. Am Herzen während der Krankheit nichts Ab-
normes zu hören. Bei der Seetion fand sich ausser Trübung der weichen
Gehirnhäute, einem Psoasabscess, eitrigem Erguss im linken Handgelenk
und Hypostasen in den Lungen eine Ekidocarditis zweier Klappensegel der
Pulmonalib. „Die mittlere und rechte Pnlmonalklappe sind an ihrem Be-
rühmngswinkel von einer festhaftenden, kömigen, theils grauweissen, theils
grauröthlichen* Gerinnung in einer Dicke von höchstens 1 Mm. bedeckt. Im
Uebrigen sind sowohl diese als auch die übrigen Kuppen des Herzens
dünn und zart.**
Dies sind alle dem unsrigen ähnlichen Fälle, in welchen es sieh
also um Endocarditis mit Vegetationen und Ulceration an
1) St. Petersburger med. Zeitschrift. 1861. S. 359.
2) Wiener med. Presse. XVIU. Nr. 40. 7. Oct 1877.
Stenosining der Pulmoiialarterie. 451
den Pulmonalklappea handelt, die ich in der Literatur auf-
finden konnte. In den ttbrigen F&llen von acquirirter Erkrankung
der Pulmonalarterienklappen handelte es sich entweder um athero-
matöse Verdickung und Schrumpfung der Klappen, welche
neben der Stenosirung Insufficienz zur Folge hatte (Fälle von
WbitleyOi Benedikt^), Dittrioh»)), oder in weitaus der Mehr-
zahl der beobachteten Fälle um Stenose des Pulmonalostiums durch
Verwachsung der Klappen unter einander (Fälle von Cru-
veilhier«), Philouze»), Bt)uillaud»), Graigie?), Fallot?),
CoDst. Paul»), Bond»), Tiedemannio), Chelius^^, Urban>2),
Gintrac^'), de Buman (1. c), Frerichs^^)« Stanhope Tem-
pleman Speer"), Peacock*»}, Mannkopf i^, van Veen*»).
1) 1. c. Pj 252.
2) Wiener med. Wochenschrift 1854. S.548.
3) Prager yierte^ahrschrift Bd. 21. S. 178.
4) Atlas de Tanat. path. Livr. XXVm. 4.
5) Comptes rendos de la Soc. anat. 1826. p. 158. Cit. von Gonst. Paul,
Union m^c. 1871. p. 917.
6) Trait^ des malad, du coenr. p. 721. Cit. von Gonst Paul ]. c
7) Cit von Gonst Paul 1. c. — Edinburgh med. and surg. Journ. 1843.
8) Union medicale. 1871. p. 722.
9) N. Ghevers, Lond. med. 6az. 1846. Cit von de Buman, Th^se de
Paris. 1858. p. 65. Obs. XXYII.
10) Von der Verengerung und Schliessung der Pulsadern in Krankheiten.
Hadelbov ^^^3.
11) Heidelberger klin. Annal. Bd. III. 8. 417. 1827.
12) Jahrb. des ftrztl. Yer. in München 1841. Git von Tiedemann 1. c.
13) Memoire sur la Gyanose. 1824. Git von de Buman, 1. c. p. 46.
14) Wiener med. Wochenschrift 1853. '
15) Med. Times and Gas. 1855. No. 278.
16) On MaHbrmations of the heart 1858. Fall YIII. — YergL Kussmaul,
Ueber angeborene Enge und Schluds der Lungenarterienbahn. Zeitschrift fftr rat.
Med. IIL Reiha Bd. 26. 8. 146. Anm.
17) Gharit^-Aniftlen. 1863. XI. 8. 42.
18) Dissert. Git von Rosenstein, v. Zlemssen's Handbuch. Bd. YI. 8.144
29*
XXVI.
Ejd Fall von Paracentesis Pericardii.')
Aus der medicinischen Klinik zu Freiburg i. B.
Ton
Dr. C. Hindenlang,
I. AMiitenunt der Klintk.
Die Entfernung abnormer Ergüsse in Bauch- und Brusthöhle
wurde schon im Alterthum auf operatiyem Wege bewerkstelligt. Die
dritte grössere seröse Höhle, der Herzbeutel, war bis vor noch nieht
gar langer Zeit Ton operativen Eingriffen unberfihrt geblieben. Die
günstigen Erfolge, die man bei der Thoracocentese und der Function
des Abdomens sah, die Erfahrungen, dass penetrirende Wunden sich
oft, ohne naohtheilige Folgen zu hinterlassen, schliessen, mussten zu
weiteren Versuchen ermuthigen und auch das Augenmerk auf das
Pericard lenken. Es war ja natttrlich, dass man sich bei Pericar-
ditis exsudativa die Frage vorlegte, ob es nicht wohl ebenso von
Nutzen wäre, das Pericard zu eröffnen, in der Hoffnung den Patienten
der peinlichen Lage, dem sicher bevorstehenden Tode zu entreissen,
zumal verschiedene Beobachtungen vorlagen, nach welchen bei voll-
ständiger Freilegung des Herzbeutels und des Herzens (Galen und
Harvenius) die Patienten mit dem Leben davongekommen waren.
Die erste Andeutung einer derartigen Operation ging von Bioland)
aus, entsprungen allerdings der verzweifelten Alternative, den Kranken
entweder dem unvermeidlichen Tode preiszugeben, oder einen Bet-
tungsversuch durch die Paracentese des Herzbeutels zu wagen : ^ Dubia
Salus certa desperatione potior.*'
Biolan begnügte sich übrigens mit diesen Beflezionen. Einen
aufmunternden Vorschlag, zugleich mit Angabe eines Operationsver-
fahrens, gibt erst Senac (1794)3), ohne aber je selbst zur Operation
geschritten zu sein. Angeregt durch die Ideen Senac's, wurde von
1) Freibarger Diasertation.
2) Encheiridion anatom. patbol. Lib. III. p. 213. 1653.
3) Traitä de la stmctore du coeur et de ses maladies. Paris 1794.
Paracentesis PericardiL 453
yerflchiedenen Seiten die Sache aufgegriffen und einer eingehenden
Untersuchung unterzogen. Mfinner wie Benjamin Bell, Camper,
JustuB Arnemann, Conrad!, Desaulti Larrey, Skielde-
roup^), van Swieten^), Corvisart, Kreysig^) hesohftftigten
ffich lebhaft mit der Frage von der Nützlichkeit, Ungefährlichkeit
und den besten Operationsmethoden. So lebhaft nun auch die Frage
discutirt wurde, dauerte es doch sehr lange, bis man die längst
theoretisch erörterte Möglichkeit und Ungefährlichkeit der Operation
praktisch zu verwerthen wagte. Sah man doch schon in der Tho-
racocentese einen bedenklichen gefahrvollen Eingriff, so schien der
Gedanke, das Herz zum Angriffspunkt einer Operation zu machen,
unverantwortlich und verwegen. Hatte man sich auch von diesen
voreingenommenen Ansichten frei gemacht, so waren es wieder andere
V Bedenken, andere Hindemisse, die von der Ausführung der Operation
zorüekhielten« Vor Allem war es die Schwierigkeit der Diagnose,
die Aehnlichkeit der Symptome einer Ansammlung von Flüssigkeit
im Pericard mit denjenigen einer grossen Anzahl von Krankheiten
der Brust, des Herzens, der grossen Gefässe u. s. w., die eine rasche
Entwicklung hintenanhielten. Daher steht auch die Paracentese des
Pericards den analogen Operationen an Brust und Abdomen sowohl
an Alter, wie an Zahl der Ausführungen so bedeutend nach, und erst
dnrch die Beseitigung voreingenommener Anschauungen von der Ge-
fahr eines Eingriffes, vor Allem aber durch eine grössere Sicherheit
in der Diagnose nahm diese Operation in den letzten Jahren einen
grösseren Aufschwung.
Klein ist zwar immer noch die Zahl der ausgeführten Opera-
tionen, und nur sehr zerstreut und meist unvollständig sind dieselben
in der Literatur angegeben. Die meisten genaueren und detaillirten
Veröffentlichungen sind in den letzten 15 Jahren gemacht worden,
während vor dieser Zeit, die von Kybert in Petersburg beobach-
teten und operirten Fälle von Pericarditis scorbutica (Morbus car-
diacus) ausgenommen, nur da und dort eine Beobachtung auftaucht.
Gerade die relativ geringe Zahl von wirklich ausgeführten Pa*
racentesen des Herzbeutels, die grosse Bedeutung und das rege Inter-
esse, das die Operation in der letzten Zeit gewonnen hat, berech-
tigen, hier einen Fall von Pericarditis exsudativa mit zweimaliger
Function zur Sprache zu bringen, der in der Freiburger Klinik be-
1) De trepanatione obbIs Btemi et apertnra Pericardii; acta noya Societat.
Ha&. 1818.
2) Commentar. ad aphorism. BoerhaviL T. IV. p. 139.
3) Krankheiten des Herzens. Berlin 1816.
454 XXYI. HiMDEMiJkHa
obachtet wurde, insbesondere da der Fall auch in mancher anderer
Hinsicht Interesse bot
Fall 1.
Acut eingetretene Pericarditis bei einem vorher gesunden jungen
Mann. Enormes Exsudat, Hydrops^ LeberschweUung. Erstickungtan-
fäiie. Nach 2^tmonaH%chem Bestehen Punction. Darauf grosse Er-
leichterung. Nach 6 Wochen 2. Function mit noch günstigerem Erfolge,
Langsame Besserung des ganzen Zustandes. Rückkehr des Patienten
in seine Heimath 2 1/2 Monate nach der 2. Function ; Tod daselbst 3 Mo-
nate später.
Anamnese: Heinrich Oebhard, 20 Jahr alt, Banemsohn ans H0I2-
hansen.
Die Eltern des Patienten sind ganz gesnnd; von seinen Geschwistern
leidet ein Brnder angeblich an Beinfrass. Patient selbst will bis jetzt, ab«
gesehen von kleinen ünpässlichkeiten, stets gesnnd gewesen sein.
Seine jetzige Erkrankung datirt er von Anfang August und gibt als
wahrscheinliche Ursache derselben an, dass er, stark erhitzt, bei nflchter-
nem Magen mehrere Glaser kalten Bieres getrunken habe. Gleich daraof
verspürte Patient Grimmen im Unterleib, zu dem sich bald Diarrhoe hin-
zngeselUe. Zu gleicher Zeit trat auch Schüttelfrost ein, welchem starke
Hitze und Schweiss nachfolgte. Nachts darauf hatte Patient keine Be-
schwerden , konnte jedoch am nächsten Tage nur mit grösster Noth bis
zum Abend arbeiten. In der folgenden Nacht trat dann grosse Engigkeit
und Athemnoth auf, die sich mehrmals derart steigerten, dass es Patieat.
oft unmöglich war, gehörig Luft zu holen und er sich durch eine mehr
sitzende Stellung Erleichterung zu verschaffen suchte. Etwa 14 Tage spater
trat nun zu diesen Erscheinungen eine Anschwellung der untern Extremi-
täten, die allmählich weiterschreitend auf den Unterleib flberging.
Die Dyspnoe, anfangs nnr massig, nahm an Intensität immer mehr sa,
besonders seit auch das Abdomen mehr angeschwollen war; sie blieb die
ganze Zeit neben Schmerzen im Epigastrinm das hervorragendste Symptooi
im Krankheitsbilde des Patienten.
Von Anbeginn seiner Erkrankung musste Patient das Bett hüten, und
nur hier und da bei recht schönem Wetter konnte er dasselbe auf einige
Stunden verlassen. Er wurde zu Hause verpflegt und von dem Arzt in
B. behandelt.
Unter Anderem wurden dem Patienten in der Gegend des Epigastr.
unter dem Process. xjphoid. 13 Blutegel und 12 blutige Schröpfköpfe
gesetzt, und ausserdem noch mehrmals trockene Schröpf köpfe applicirt.
Auch die übrigen angewandten Mittel waren von nur geringem Einflnss
auf den Zustand des Patienten gewesen. Die Dyspnoe nahm im Gegen-
theil immer mehr zu, heftiger Hustenreiz und profuser Auswurf eiiiöhten
dieselbe noch, so dass Patient an Kräften immer mehr herunterkam. Da
unter solchen Umständen der Zustand des Patienten eine sorgfilltigere Pflege
und beständige ärztliche Aufsicht erforderte, liess sich Patient auf deo
Rath des Herrn Hofrath Schinzinger namentlich behufs der von Letale-
rem bereits vorgeschlagenen Paracentese am 26. Oct. in das Freiboi^ger
klinische Krankenhaus aufnehmen.
PMaeentetis PerictfdiL 455
Status praeBens. 26. Oct. 1877. PatieDt wird in einem sehr
elenden Zustand in das Hospital gebracht. Auch im Bette nodi» wo Pat.
nur aufrecht sitzen kann, besteht starke Dyspnoe, - welche ihm das Sprechen
sehr erschwert.
Patient ist für sein Alter gering entwickelt, auch sein Emährungssu-
Btand ist nur mittelgut. Die Farbe des Gesichts ist leicht cyanotisch, Lip-
pen und N&gel sind stark bläulich verArbt. An der Innenfläche der Ober-
sehenkel, namentlich des linken, und an den Malleolen massig starkes
Oedem. Die Halsvenen sind nicht stark aberfUllt, nur die Jugularis ext.
ist sichtbar I etwas mehr ausgedehnt, bei der Inspiration kleiner werdend.
Der Thorax ist normal gebaut. Kein Herzstoss sichtbar, auch
nicht die leiseste Brschatterung ftthlbar. Die Respiration ist
vorwiegend oostal, ortbopnoiscb, 58 in der Minute,
Puls freqnent 124, unregelmässig und aussetsend und zwar bei
jeder Inspiration fast ganz intermittirend.
Abdomen ziemlich stark gespannt, das Epigastrium etwas druckem-
pfindlich, keine Fluctnation nachweisbar.
Percussion: An den Lungenspitzen heller Schall. Ueber dem gan-
sen jStemum absolute Dämpfung, die nach unten zu breiter werdend sich
nach L bis zur Mamillarlinie, nach R in der Höhe derselben bis zur vor-
deren Axillarltnie erstreckt. RV geht dieselbe in die Leberdämpfung aber,
die im 5. Intercostalraum beginnend sich nach abwärts in der ParasternaU
Uaie bis zur Höhe des Nabels erstreckt. Ueber der Symphyse und in der
Unken Lumbaigegend heller tympanitischer Schall, ziemlich grosser }\|ilb-
iDondförmiger Raum.
Auscultation: HerztOne schwach, kaum hörbar, aber rein; 2.
PulmoDalton etwas lauter, nirgends pericardiales Reiben hörbar.
Respirationsgeräusch RV rauh vesiculär, unten und nach dem
Stemnm zu abgeschwächt, kein Rasseln. L das Athemgeräusch schärfer,
der Gegend des zungenförmigen Lappens entsprechend feinbiasiges Rasseln,
trotz absoluter Dämpfung.
HO kein Unterschied in der Percussion. Die Dämpfung beginnt RH
an der 9. Rippe, LH an der 11. Rippe. Stimmfremitus HR abgeschwächt,
Respirationsgeräusch H vesiculär, ndr RHU an einer kleinen Stelle im
Bereich der Dämpfung schwaches Bronchialathmen. L Athemgeräusch ver-
scbtrffc, LHU feinblasiges Rasseln.
Ordination: 0,006 Morph, subcutan.
27. Oetober. Patient hat nach der Injection einige Stunden geschlafen,
Dyspnoe kaum geringer. Puls noch unregelmässig und aussetzend. Abends
ist die Dyspnoe sehr gross. RHU Bronchialathmen, beiderseits Rasselge-
räusche. Temperatur Abends 37,8.
Ordination: Pulv. Jalap. c. Tartar. depur. —
Infus, digital. 1 : 120. —
Abends: Morphium 0,007 subc.
28. Oetober. Die Cyanose erheblich stärker, Lippen dunkelblau. Puls
andaaernd paradox 184. Respiration 48. Temperatur Morgens 37,5,
Abends 37,8.
Patient klagt über sehr starke Beengung und viel Husten, 'derselbe
456 XXVL HiMszHUKO
iBt uhr ger&uachToU mit elDem bellesden oder brOllenden Tod;
brSnnlicher Ätuwnrf. Am EnDgeofSnuigeD Lappen KniBterruaeln.
RV im 3. iDtercostalranm , io der Nahe der Dlmpfluigsgrcnse Jim-
ritiscbea Reiben beim Eupirinm.
HurgeoB lO'/s Uhr wird ein Versnck gemkcht, dasEiii-
dat im Hertbentel mit dir
^"'i- Hohlnadel de« Dienlafoj'-
'\ ( Beben ApparsteB in eoll««-
; \ ; \ ren; Prof. Binmier itaeh «a
Hohlnadel saent im 5. loUrcMbt-
y . räume 5 Co. nach anaaeD vom Ei-
/ \ ken Stemalrand circa 4 Cm. tirf
/ \ ein; als nur etwaa BInt a^birt
/ \ warde, wiederholte er die Paoitin
I I 1 Cm. Weiler nach ansaan ia d»
selben IntercoBlalranm nnd alawA
dies fmcbtloB blieb, in 4. Um-
coBtalraum, 2 Cm. Tom ttakm Mr
nah-and. entfernt, mit aohiig mi
innen gegen die Hitte dar flnt
gerichteter Spitae. Aneh jkmA
konnte kein Exsndat aapirirt n^
den. Jedesmal fOhlte mti
jedoch die Spitae an einei
ranhen Gegenstand, der lieh
an ihr bewegte, ani(oai«B-
Da die Befürchtung, es mächte durch Verletaung der aa der Bchaifii
NadelBpitLC sich hin and her bewegenden TascnlariBirlen PericardlaluttM
eine stlrkere Blntmig ins Pericard venmlasst werden, sehr nahe lag, di
passender Troicart, der durch das Zurtlckziehen des Stilets dieee Q^iht
vermeiden liees, aber gerade nicht inr Hand war, wurde von weiterea Ver-
suchen vorerst Abstand genommen.
Die PnnclionBBtcllen wurden mit Heftpflaster bedeckt und eine Eii-
blaae aufgelegt. Abends; 0,006 Morph., 2 Senfpapiere auf die Brut
29. Octbr. Patient hat in der Nacht wenig geschlafen, die Dyspno«
ist sehr hochgradig, so dass Patient nur nach der linken Sdte p-
neigt im Bette aufsitzen kann. Oedem der Beine stärker, Sehmeiua
im linken Bein. Die Haut über dem Trochanter etwas gerOtbet Hinfigsr
Husten verbunden mit ifth seh leimigem miasfarbigem Auswurf. Pols iit
nicht anasetzend bei der Inspiration.
Die Pnnctionsstellen verursachen ziemlich heftigen Schmeri; beaoodM
druckempfindlich ist eine daselbst aufgetretene, nicht knisternde, handteUec
Paracentesis Pericardii. 457
flache Geschwulst. Aach das Epigastrinm ist bedeutend druckem-
[idlieh. Um lOVs Chr wird die Function des Pericardiums
ederholt, diesmal jedoch mit einem feinen Troicart von
¥ Mm. Dicke. Während Patient durch Chloroform etwas betäubt ist,
Bittitechen im 5. Intercostalraum 4 Cm. nach Aussen vom linken
ea« 5—6 Cm. tief. Beim Einstechen empfindet man sweimal
iifCMerwindeo euies stärkeren Widerstandes. Es wird nun das Stilet
Mnt «id die CanOle noch etwas vorgeschoben, sodann mit dem Aspi-
tenr verbunden. Mittelst Aspiration werden 300 Grm. einer dunkelrothen
nnen Flflasigkeit entleert, die viel Eiweiss und wenig Fibrinflocken ent-
It. Ganz deutlich fühlt man das kratzende Anstreifen des Herzens an
a Ende der Canflle, besonders stark gegen Ende der Operation.
Die Untersuchung der entleerten Flüssigkeit ergibt folgenden Befund :
I Sediment befinden sich viele noch wohl erhaltene Blutkörperchen ; andere
igen sternförmige Gestalt; ausserdem Fibrin in Form schlauchartiger
"aler Gebilde oder hyaliner Membranen; erstere theils leer und gefaltet,
eila mit einem grobkörnigen fettigen Inhalt prall gefüllt. Ausserdem fein-
(miges Fibrin.
Ordination: Eisblase. Flanelldruckverband. Patient fühlt sich gegen
bend entschieden etwas erleichtert. Die Cyanose ist zwar kaum geringer
»worden, doch hat der Husten nachgelassen. Der Puls wird bei der In-
liration nur um Weniges kleiner.
Poltoonre 2.
31. Oct. 7 p. m. P. 128. B. 40. T. 88,4.
I. Novbr. Der Zustand des Patienten ist entschieden besser. Puls
t kräftig, nicht intermittirend; die Cyanose geringer. Im 2. linken
itercostalraum lautes pleuritisches Reiben, LH Dämpfung etwas höher, am
leren Rand der 10. Rippe. Die teigige Geschwulst vorne links, welche
D 30. noch etwas grösser geworden war, wird flacher und kleiner und
t weniger empfindlich. Husten und Auswurf sind geringer, die. Unter-
lehnng der Brust ergibt eine ziemlich bedeutende Abnahme in
er Grösse der triangelförmigen Dämpfungsfigur über dem
;enium im Verhältniss zu dem vor der Operation constatirten Befunde.
II. Novbr. Der Zustand des Patienten war in den letzten 10 Tagen
I Allgemeinen ein befriedigender, das subjective Befinden im Ganzen besser.
it Unterstützung allabendlicher Gaben von Morphin hatte Patient ziemlich
ite Nächte. Abends wurden mehrmals auch Chinindosen von 0,5 — 1,0
trabreicht wegen stärkeren Fiebers. Die Temperatur war am Abend der
peration auf 38,8 ^ gestiegen, mit einer darauffolgenden Morgenremission auf
J^S^. Den zweiten Abend erreichte dieselbe 40,0<>, um am anderen Morgen
ieder auf 37, 4® zu sinken. Diesen remittirenden Charakter behielt das
leber während der nächsten 10 Tage bei, erreichte jedoch Abends meist
ir 38,0^ oder wenige Zehntel darüber. Zur Beförderung der Resorption
Orden Liq. Kali acet., mit oder ohne Digitalis und Abends kleinere Dosen
45i8 XXVI. Ahdenlamg
Natr. salicjl. verabreicht, welch letztere meist profase Schweisae hervor-
riefen. Daa Oedem der Beine ist fast verschwanden, die Dftmpfting auf
der Brust hat jedenfalls nicht eugenommen« Hosten nnd Auswurf sind ?oo
wechselnder Stärke. Patient klagt hier und da aber Kopfschmerzen. Auch
der Puls war von wechselnder Beschaffenheit, doch im Allgemeinen krifitig
nnd weniger intermittirend, oft Morgens deutlich paradox, Abends
gleichmftssig. Ein diffuses systolisches Heben der Herzgegend
war einige Tage nach der Operation deutlich nachzuweisen. Das plenri-
tische Reiben war die ganze Zeit immer stark vorhanden« RH Ist bis ober-
halb der Mitte der Scapula Dämpfung nachzuweisen, mit vom AnguL scapoL
abwärts aufgehobenem Stimmfremitus und abgeschwächtem Athmmi. LHU
beginnt die Dämpfung an der 10. Rippe. Bemerkenswerth ist die
bedeutende Zunahme der Harnmenge uumittelbar nach der Ope-
ration (s^ Hamcurve), welche Vermehrung der Secretion bis vor 3 Tagea
anhielt.
Bei der allmählichen Zunahme des pleuritbohen Exsudates und der.
wiederum verminderten Hamsecretion wurde — während Patient Aber Breeh-
reiz klagte, weshalb Natr. salicyl. ausgesetzt wurde — ein Versuch mit
Pilocarpin (0,02 subcutan iiyidrt) gemacht Es erfolgte dne reichliche
Salivation und starke Diaphorese, die bis gegen Abend anhielt. Patient
klagte über starke Uebelkeit und Kopfweh, welche Symptome jedoch gegeo
Abend wieder verschwanden. Auffallend war der Einfluss des Pilocarpioe
auf den Puls: dieser war vor der Injection um 10 (Ihr 48 Minuten klein
und deutlich intermittirend, wurde schon um 10 Uhr 52 Miauten viel
kräftiger nnd nur wenig kleiner beim Inspiriumi bei Gleichbleiben der
Frequenz.
Am folgenden Abend erhielt Patient wieder Natr. salicyl. 2,5 Grm.
13. Novbr. Das Befinden des Patienten ist schlechter; Husten and
Auswurf sind zwar gering, doch hat das Oedem der Beine wieder etwu
zugenommen und ist die Cyanose wieder stärker geworden. QrOssere Athem-
noth zwingt den Patienten meist im Bett aufzusitzen.
Es wird bei der klinischen Vorstellung des Kranken folgender Statu
aufgenommen :
Kein Herzstoss sichtbar, noch fahlbar; Herztöne schwach« rdn; kein
pericardiales Reiben; am RU Rand der Dämpfung ein beim Exspuiao
deutliches Reibegeräuscb. Exspiratorisohes Anschwellen der Jugul. exten.;
keine Pulsationen. Abdomen, namentlich die Oberbauchgegend, stark aof-
getrieben. Die Leber ist bis zum Lig. Poapart. herabgedrängt, ihr Rand deat-
lich fühlbar. Keine deutliche Fluetuation im Abdomen, ttber den Darmbeio-
kämmen beiderseits tympanitischer Schall. Geringes Oedem beider Beine.
RH an der Dämpfungsgrenze Bronchialathmen, LH vMiBchärftes Athmen.
Stimmfremitus rechts eher verstärkt, stärker jedenfalls als links.
Urin enthält eine Spur von Eiweiss. Abends starke Cyanose, be>
sonders an den Lippen; Husten unverändert; Dyspnoe vermehrt
Es wird ein Versuch gemacht, die Diurese durch Resina copairae
(Rp. Res. copaiv. 6,0. Natr. carb. q. s. ut f. pil. No. 60 D.8. dreimal tigüch
2 Pillen zu nehmen) anzuregen (14. Novbr.).
Zu gleicher Zeit wird der einige Zeit ausgesetzte Gebrauch des Natr.
^salic^l. wieder aufgenommen. Die Folge waren meist in der Nacht auf-
Paracenteftw Pericardii. 459
tretende mehr oder weoiger profuse Schweisee. Da jedoch die Diurese durch
die Res. copsiv. wenig beeinflosst su werden und dieses Medicaoient Uebel-
keit und epigastrisehe Schmerzen su verursachen schiai, wurde es wieder
aoflgesetst und dafflr Digitalis in Anwendung gebracht (20. Novbr.)«
Die Folge w^ auch ein Ansteigen der Hammenge von 600 — 1500.
Doch war diese Vermehrung der Secretion nur vorttbergehend und machte
einem stetigen Sinken Plats.
Die nächsten vier Wochen war der Zustand ein ziemlich wechselvoUer,
das AUgemeinbefioden weniger gut Die Nachtrulie musste beständig durch
Morphin herbeigeftihrt werden. Der Puls war sehr häufig, ja meist un-
regeifflässig, paradox, die Respiration fast immer beschleunigt, die Dyspnoe
maschmal hochgradig, besonders gegen Abend immer exacerbirend , doch
hatte zuweilen das durch Natr. salicyl. hervorgerufene Schwitzen einen
QDverkennbar gflnstigen Binfluss auf die Dyspnoe. Auch die Anschwellung
der Beine nahm allmählich wieder zu und reichte zeitweilig bis zur In-
giuinalgegend. Ascites bestand nicht. Ebenfalls wechselnd war auch die
Cyanose, meist Abends stärker hervortretend. Husten und Auswurf bald
gerioger, bald stirker, doch beständig vorhanden.
In den ersten Tagen des Decembers nahmen sämndtliche Symptome
Qsd Beschwerden an Intensität su.
Am 9. Decbr. wurde folgender Status aufgenommen : Sehr starke Dys-
pooe, Puls kaum intermittirend. Herztöne schwächer hörbar. Das Oedem
der Beine stark. LH sehr scharfes Athmen, ziemlich viel trockenes Rasseln.
RH an der Dämpfungsgrenze (Mitte der Scapula) Bronchialathmen ; weiter
nach abwärts kein Athemgeräusch zu vernehmen.
10. Decbr. Dyspnoe und Cyanose steigerten sich; der Husten wird
wieder sehr quälend und ebenso geräuschvoll, wie anfangs. Patient hat
auch mehrmals Aber Schlingbeschwerden geklagt. Dabei vermindert sich
die Harnsecretion , der Harn (unter 500 in 24 Stunden) enthält starkes
Uratsediment und ziemlich viel Eiweiss.
Bei diesen gefahrdrohenden Symptomen schritt man abermals zur
Function des Pericardiums.
Unter leichter Cbloroformnarkose wurde dieselbe am 11. Decbr. Mor-
gens 9 Uhr 40 Min. von Herrn Prof. Bäum 1er in der Klinik ausgeführt.
Der Ort des Einstiches war der schon bei der letzten Operation ge-
wählte. Nach Ueberwindung des ersten, offenbar dem Intercostalraum an-
gehörenden Hindernisses drang der Troikart nur äusserst schwer vorwärts,
als ob eine dicke Membran zu durchbohren wäre. Alsbald fühlte man
leichte Herzbewegungen an der Canüle, aus welcher, nachdem sie nach
Entfernung des Stilets noch etwas tiefer eingedrängt war, gelbes Serum
tropfenweise abfloss. Die Canfile wurde mit dem Aspirateur verbunden
und langsam angesogen. Nach Herausnahme von ungefähr 100 Gem. wur-
den die vor der Operation vorhandenen inspiratorischen
Intermissionen des Pulses bedeutend schwächer. Um 10 Uhr
15 Min. Vorm. war der Puls nach Entleerung von etwa 500 Com. noch
von derselben Frequenz, bei der Inspiration nicht mehr vollständig aus-
Betzend, aber ^och kleiner werdend: die niederste Welle immer un-
mittelbar nachdem die Inspiration auf ihrer Höhe ange-
kommen ist, die zunächst auf die Pause folgende Welle be-
\
460 XXTI. HlNDBHLANG
BODdera boch. Die HeritOae auch wlbrend d«r Ii
mlBsig fort zu hfiren. 8ehoD wifareod d«r Panctioo lal
bedeatende Verkleineniiig der Hengrensen nachwebb«
nähme tod 850 Ocm. eDtstehen platstich starke Drac
dem Gummirohr, wobei ein deutlich echabcndes Anatn
an die Caaflie gefühlt wnrde. Dasselbe ist besonden
der Aapiratioa und gibt das OefQbl einer aostreifendcD
glatten Membran, nicht daa GefQhl kleiner Rauhigkmia
ersten Pnnctlon vorhanden war. Die Canttle irird her
die Heasung ergibt, daaa sie 4 Cm. tief angeführt g
VerSoderuDg der DKmpfnng betrifft vorwi^end die Unk<
Der Henst
'''•" ^ der PonetioD nii
\ I auch deatlieher i
dagegen und i
lant Qdd rän,
etwas Terstirkt.
ist nicht hSrbar.
Die Cyanw
Ende der Op«
abgenommen . i
tritt mne Pnlsat
Enittema nebe
Schwellung der
dentlich hervor;
wegnng« der J
dicrot.
Die entleu
fast kUr, gelbU«
ins Grttniiohe.
IHe mikroi
chnng ergibt die
licher kleinerer i „
trOpfchen, KOmcheDcellen, weisser in Verfettung begriffener BlntkOipockN;
die rothen BlntkSrperchen cum Theil mit langen Ansstrahliuigen, lui TM
Morgensternform darbietend. Femer schollige I^gmentmasseD mit uhMtk
eingelagerten FettkOrnchen.
Die Operation brachte dem Patienten entsohleden grow
Erleich ternng; die Dyspnoe and Cyanose, die schon während dar Ope-
ration merklich abgenommen, wurden auch während der nlchatta Zöt b^
deutend geringer. Die Nächte waren mhig und Patient konnte niahr Mhlrfn
and wnrde namentlich nicht ao sehr von dem qn&lenden Huaten and An-
warf geplagt. Daa Oedem der Beine nahm in den folgenden Tagen mäs
und mehr ab; die Lebergrenze rDckte erheblich nach oben.
Auch diesmal nahm die Harnmenge bedeutend in; w
stieg bald nach der Operation auf Ober 2000 Gern, und eine etwu itfr-
kere Secretion hielt auch fßr die nScbale Zeit an (i. die Hameorve).
Der Puls wnrde kräftiger, leigte in der ntcbsteo Zdt weniger blifg
daa inapiratorische Intermitliren ; die Hcrxtöne wurden lauter und denlliebW'
11. DMbr. DinpDu
\
FaracoDteiü Pericirdii. 461
Die Dimpfang Ober dem Steranm nimmt gtelig ab, allmiblich macht
gich »ach ein deutliches Heben der Herzgegend bemerkbar.
Hosten nnd Answnrf sind ge-
rioger, die Dimpfnng RH ist etwas '«" ^'
lorOckgeguigen, die ahsolnte Dim- \ I
pfong reicht bis mm Angnlns sca- J \ ' V
piilae(I4.Decbr.]; LH vid trockene
mittelgrosabladge Rasaelgerftnsche. /
Oieaer immerhin relativ gDs- /
slige Fortgang macht jedoch gegen /
Ende December eidem mehr Wechsel- /
vullen Zustwid Plats, welch letzterer I
illmihlich wieder sich mm Schlim-
meren neigend bis znr Entlasanng
des Patienten ans dem Spital an-
hielt. Doch konnte Patient von
Anfang Januar an ab nnd in einige
Slnndeo anaser Bett sein.
Der Puls war wKhrend der
gtnsen Zeit nnd bis tu seiner EIl^
iMinng zierolicb freqnent, er hielt
sich meistens zwischen 100 bis 120 Am n. Jmur mta
Scillagen in der Minnte, stieg jedoch
mehrmals anch bis so 140. Derselbe war meistens ziemlich voll und
kriftig nnd war vom 22. Decbr. an ein eigentliches inspiratorisches Ans-
setzen nicht mehr beobachtet worden. Vergl. Curve 3.
Höheres Fieber war nie mehr vorbanden, nnd war Patient bis gegen
Ende Februar vollständig fieberfrei. Um diese Zeit begannen wieder leichte
allabendliche TemperatnrerhObungen , die jedoch 38,7" nicht flberachritten
QDd jeden Morgen znr Norm inrückkefarten.
Die Oedeme waren bald wieder st&rker, bald ganz verschwunden;
ebenso nnglcich nnd wenig Stand haltend waren Dyspnoe nnd Cyanose;
binfiger wiederkehrende Kopfschmerzen, besonders ein in letzter Zeit meist
nach dem Essen auftretender Schmerz im Epigastrinm, mit gleichzeitiger
Druckempfindlich keit daselbst, gaben dem Kranken Veraalassung zu hSofigen
Klagen.
Am 19. März 1S78 wurde folgender Status aufgenommen: Patient ist
Hehr mager, cyanotiscb, die Oberbs ach gegen d noch immer stark vorgewOIht
nnd die untere Brnstapertur erweitert. Rechte Seite im Vergleich zur linken
anfallend angezogen, namentlich tritt im Sieben von hinten betrachtet die
Aosweitung der linken ThorazhXlfte gegenüber der rechten stark hervor.
i::
Paraeeotesifl Pericardü. 463
Cmfang in der Hohe der Bmstwane R 41, L 44 Gm. Die Einziehung
und Abflachung ist auch vorn sehr bemerklich , desgleichen an der weit
geringeren Ezcnrsion der untern seitlichen Bmstpartie R bei tiefer In*
spiration. Auch der PerctiBsionssehaH R ist nicht gane so voll wie L.
DlmpfoBg iD der Mamillarlinie L am nntem Rand der 4. Rippe, in der
AxiUarlinie an der 6. Rippe. Athemgerftusch LVO scharf vesienlAr, R ober-
iialb der Clavicnla mehr unbestimmt, viel schwächer, Esspirium verlängert.
RHO der Perenssionsschall etwas höher; von der Spina scapulae ab
aosgeaprochene Dämpfung. L leerer Sehall bis Eum obern Rand der 9.
Rippe in der Axillarlinie.
Atfaemgerftusch LHO scharf vesiculär, im Bereich der Dämpfting zuerst
stark at>ge8chwäoht, unten fehlend. Desgleichen der Stimmfremitns. Keine
Rasseigeräuache.
RHO Inspiration vesiculär, schwächer als L. Exspiration bis zum
Angulns seap. verlängert, unbestimmt. Von der Mitte der Scapula Inspi*
ration sehr schwach, vom Angnlus fehlend, in gleichem Maasse der Stimm-
fremitns abgeschwächt. Unter der Mitte der rechten Scapula verschärftes,
etwas saccadlrtes Athmen. Exspirium bis unten unbestimmt, verlängert
hörbar. An der Grenze des Vesiculärathmens «m Ende des Inspiriums
feinblaaige Rasselgeräusche.
HerzstosB weder zu fahlen, noch zu sehen; dagegen ist eine leichte
Erschfltternng der linken Parastemalgegend zu bemecken. Die Halsvenen
onter dem Stemocleidomastoideus leicht hervorquellend, zeigen schwache
Doppeipnlsationen ; die Venen am obern Theil des Thorax und an den
Armen abnorm erweitert. Abdomen stark aufgetrieben, fluctuirend. Leber
ist nicht tastbar, auch durch die Percussion nicht genau bestimmbar.
Die Wirbelsäule zeigt im obern Brusttheil eine leichte Ausbiegung
oach L, im untern und im Lumbaltheil wieder nach R, die normale Brust*
kyphosd und Lendenlordose sind nahezu verstrichen, der 3. Lendendorn-
fortsatz tritt stärker hervor.
Die Pulszahl schwankte zwischen il4u. 128; Temperatur Abends 38,0 ^
Am 26. März wurde Patient auf seinen und seiner Eltern Wunsch
entlassen.
Spärliche Nachrichten meldeten, dass der Zustand des Kranken sich
alimählich mehr und mehr verschlechterte und derselbe das Bett beständig
baten mOsse.
Mitte Juni erfolgte der Tod. Derselbe wurde leider zu spät bekannt,
um wegen einer Autopsie Schritte thun zu können.
Herr Professor Kussmaul in Straasburg hat Herrn Professor
Bäumler die Notizen über folgenden interessanten, von ihm noch
nicht pablMrten Fall mitgetheilt, in welchem zu zwei verschiedenen
Haien, das eine Mal unabsichtlich, das zweite Mal mit Absicht höchst
wahrscheinlich durch ein rechtsseitiges pleuritisches Ex«
Budat hindurch ein Pericardialergusa punctirt worden
war und hat die VerAfentlichung desselben an dieser Stelle gfitigst
geslattel.
464 XXVI. HlHDBNLANG
Fall 2.
Der 21jährige Tischler W. H., mit hereditärer Anlage snr Phthise,
wurde» nachdem er Anfangs November 1<876 anter grossem Engigkeitsgef&bl
an rechtsseitiger Pleuritis erkrankt, vom 5. December ab im Hospittl
zu Kehl behandelt und am 7. Januar 1877 daselbst punctirt worden war,
am 11. Januar in das Hospital su Strassburg aufgenommen. Der Kranke
hatte starkes Oedem der unteren Kdrperhälfte und Ascites, und ausser eraem
vorne in der Mammarlinie bis zum oberen Rande der 4. Rippe, hinteo bis
zur Mitte der Scapula reichenden rechtsseitigen pleuritischen Exsudat wir
ein grosser Pericardialerguss vorhanden, der eine Dämpf nngsfigur er-
zeugte, die oben zu beiden Seiten des Sternums durch die 2. Rippenknorpel,
nach links hin durch die Axillarlinie begrenzt war. Der untere Leberraod
befand sich dicht oberhalb des Nabels. Es bestand grosse Athemnoth, bis
zur Orthopnoe sich steigernd, und der Puls war klein, unregelmässig, von
einer zwischen 100 und 130 wechselnden Frequenz.
Am 14. Januar wurde von Herrn Professor Kussmaul mittebt des
Dieulafoy 'sehen Apparates der Thorax punctirt. Die Nadel wurde im
rechten 5. Intercostalraum ungefähr 1,5 Cm. nach aussen von der Mammar-
linie eingestochen. Zuerst flössen 20 Ccm. hellen klaren Serums ab. AU
die Nadel etwas tiefer eingestochen wurde, floss mit einem
Male eine trflbe braunrothe Flüssigkeit ab^ von welcher
etwa 750 Ccm. entleert wurden. Dieselbe enthielt eine grosse Menge
veränderter, aber keine normal aussehenden frischen Blutkörperchen.
Der Erfolg der Operation war vortreflTlich. Der^ranke athmete lelch*
ter, der Puls wurde etwas grösser und auch regelmässiger. Die ürinmenge
stieg von 600 Ccm. in den nächsten Tagen auf 3000 Ccm., die Schmerxen
im Unterleib nahmen ab.
Die Percnssion constatirte nur eine geringe Abnahme der HerzdämpAug
im obersten Abschnitt der Dämpfungsfigur.
RV traten pleuritische Reibegeränsche auf. Diese aufTallend grosse
Erleichterung, welche die Pnnction gebracht hatte, bestärkte Herrn Professor
Kussmaul in der Annahme, welche die Entleerung zweier verschieden
geArbter Flflssigkeiten nahe gelegt hatte, dass die Nadel zuerst in deo
Pleurasack, sodann bei tieferem Einschieben in den Herzbeutel eingedrangeD
war, und dass das helle, klare Serum dem Pleurasack, das hämorrhagische
dem Pericardialsacke entstammte.
Am 18. Januar wurde die Function wiederholt und dabei absichtlich
gerade so verfahren, wie bei der ersten, um zu sehen, ob es gelinge, wie-
derum zweierlei Flüssigkeiten- zu entleeren. Die Nadel wurde in derNftbe
der ersten Stichstelle eingestossen und sofort angehalten, sobald Flüssigkeit
abfloss. Auf diese Weise wurden zunächst 550 Ccm. klaren serösen Flai-
dums entleert. Dann wurde die Nadel weiter und mehr gegen die Median-
linie gerichtet vorgeschoben, um das, wie erwartet werden konnte, stark
ausgedehnte Pericardium zu durchbohren. In der That floss jetzt ein hell-
rothes blutiges Serum ab, von welchem 250 Ccm. entleert wurden. Das-
selbe enthielt frische normale Blutkörperchen.
Auch diesmal hatte die Function eine Erleichterung zur Folge. Eine
Abnahme des pericardialen Exsudats liess sich jedoch durch die PereuBsioo
Paracentesis P^lcardü. 465
nicht nachweiseD. Ganz allmählich besserte sich das Befinden des Kranken,
das bisher bestehende remittirende Fieber blieb im Mftrz znerst einzelne
Tage; dann auch länger ganz weg. Oedem and Ascites waren bis znm
März ganz verschwunden. Die Brustschmerzen wurden seltener^ die Athem*
notb geringer, der Puls wurde regelmässig, blieb aber frequent, 90 — 100
Schläge, während in den ersten Wochen öfters Anfälle von Palpitationen
mit 150 — 160 Pulsen und verbanden mit quälender Orthopnoe vorhanden
waren.
Das pleuritische Exsudat reichte Ende März nach hinten bis zum unteren
Schulterblatt Winkel , in der Axilla bis zum 6. Intercostalraum ; auch die
Wölbung der Herzgegend nahm ab, die percutorische Herzfigur war jedoch
nur wenig verkleinert. Am 8. Mai war der Kranke soweit gekräftigt und
erholt, dass man es wagen durfte, seinem drängenden Wunsch nachzugeben
und ihn in seine Heimath nach Schlesien reisen zu lassen.
Anschliessend an die mitgetheilte erste Krankengeschichte wird
es gerechtfertigt erscheinen, auf die in manchen Beziehungen inter-
essanten Details etwas näher einzugehen und dieselben einer noch-
maligen gesonderten Betrachtung zu unterwerfen.
Vor Allem ist es einmal der Erfolg der Operation, der uns zu-
nächst am meisten interessiren dürfte und deshalb etwas näher ins
Äuge gefasst werden muss. Wenn wir später auf mehr statistischem
Boden den Werth und die Nützlichkeit der Operation im Allgemeinen
nachzuweisen versuchen werden, so wollen wir hier blos von dem
Erfolg reden, den die einzelnen Functionen bei unserem Patienten
hervorgebracht haben. Im Allgemeinen darf gesagt werden, dass
derselbe jeweils ein äusserst gttnstiger war, indem nicht nur eine
augenblickliche unmittelbare Erleichterung für den Patienten, son-
dern auch für eine kürzere oder längere Dauer eine Besserung er-
zielt wurde, die eben durch andere Mittel nicht zu erreichen war.
Die Dyspnoe, welche vor der Operation sehr hochgradig war,
wurde viel geringer und machte einer relativen Euphorie Platz; die
Cyanose war ebenfalls fast ganz verschwunden, Husten und Aus-
wurf geringer geworden.
Von ganz besonderem Einfluss war die Paracentese auf den
Puls. Dieser zeigte nämlich vor der Punction eine eigenthümliche
Form der Intermission, die mit der Inspiration zusammenfiel. Der
Puls war klein, frequent (184). Je mehr Flüssigkeit dem Herzbeutel
entnommen wurde, desto mehr verschwand dieses Pulspbänomen und
nach beendigter Punction war der Puls nicht nur viel kräftiger, son-
dern auch nicht mehr aussetzend.
Unregelmässigkeit des Pulses bei grossen Pericardial-
exsudaten ist schon vielfach beobachtet und erwähnt worden. Auch
DeaUchM Arehlr f. klin. Medicin. XXIV. Bd. 30
466 XXYI. HiMDBNLAKa
in zahlreichen Krankengeschichten, namentlich der unten zn nennen-
den russischen Autoren, sowie bei Will. Pepper finden sich mehr-
fach Angaben über Unregelmässigkeiten des Pulses oder Intermittiren
desselben unter ähnlichen Umständen. Dieser Pulsus inspiratione
intermittens oder paradoxus war von Kussmaul ursprünglich alg
ein bei schwieliger Mediastinitis vorkommendes Pulsphänomen be-
schrieben und als für die Diagnose derselben bedeutsames Zeichen
angesehen worden. Dass aber auch andere Zustände, namentlich
grosse Pericardialexsudate einen solchen Pulsus paradoxus hervor-
bringen können, wurde von Traube 0 und Bau ml er 2) nachge-
wiesen.
Vorliegender Fall dürfte als ein weiterer Beleg für dieses Vor-
kommen gelten.
Die Respiration verhielt sich zur Zeit der sphygmographiscben
Aufnahme des Pulses zu diesem wie i : 3,8. Erstere betrug in der
Minute 48, während an der Radialis in derselben Zeit zwischen 180
und 184 schwache Erhebungen zu fühlen waren. Ein Blick auf die
Pulscurve (s. 0.) wird die' Verhältnisse am ehesten klar legen.
Die Veränderung, die durch die Pnnction bewirkt wurde, konnte
nicht nur unmittelbar nachher deutlich gefühlt werden, sondern die
oben mitgetheilte Gurve 2, welche einige Zeit nachher aufgenommen
wurde, bestätigt das Fehlen der Intermissionen auch dem Auge.
Es ist somit unzweifelhaft, dass das grosse Exsudat im Hers-
beutel an dem Znstandekommen des paradoxen Pulses hauptsächlich
schuld war.
Einen weiteren und sehr wichtigen Einfluss hatte in unserem
wie in Professor KussmauVs Fall die Entleerung des Exsudates
durch Steigerung des arteriellen Druckes auf die täg-
liche Harnmenge (vgl. die Harncurve). In dem unsrigen stieg
die vor der ersten Punction sich in der Höhe zwischen 600 und
700 Ccm. haltende Harnmenge im Laufe der nächsten vier Tage um
das Vierfache, auf 2500 Ccm. Die Secretion Hess jedoch allmählich
wieder nach, sie sank wieder unter 1000 Ccm. und wurde nur zwei-
mal durch Digitalis über diese Höhe, und durch andere Mittel, n. A.
das Copaivaharz auf dieselbe gebracht
Eine noch günstigere Einwirkung hatte die zweite Punction.
Die Menge des Harnes stieg einmal viel rascher an, dann war die
Wirkung eine mehr anhaltende und ferner kamen die übrigen die
Secretion befördernden Mittel nachher viel mehr zur Oeltung.
1) Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Therapie. Bd. III.
2) Dieses Archiv. Bd. XIV. S. 455.
Ptfacenteus FencardlL 467
Der wichtigste Erfolg, der durch die Function erzielt wurde, war
die directe Verminderung des gesetiten Exsudates. Wenn
aach einige Zeit nach der ersten Operation die Flüssigkeitsmenge im
Herzbeutel wieder etwas stieg, so war doch durch die zweite Func-
tion eine dauernde Abnahme des Exsudates erreicht worden.
Die Verminderung der Flttssigkeit durch die erste Operation war
leieht percutorisch nachweisbar, wie dies Figur 2 deutlich wieder-
gibt, auf welcher die Tor und nach der Operation gefundenen Dftm-
pfungsgrenzen gezeichnet sind. Das Exsudat war um die Hälfte des
Manubrium sterni zurückgegangen. Schon drei Tage nachher (die
Zeit der rasch ansteigenden Hammenge) hatte die Dämpfungsfigur
mit ihrer obersten Grenze die Verbindungsstelle zwischen Manubrium
und Corpus sterni erreicht, um sich einige Zeit auf dieser Höhe zu
halten. Hierauf stieg das Exsudat wieder, aber erreichte nicht mehr
die frühere Ausdehnung.
Einen noch bedeutenderen Rückgang der triangelförmigen Däm-
pfougsfigur brachte die zweite Function. Acht Tage ror Entlassung
des Kranken befand sich die oberste Dämpfungsgrenze an der 3. Rippe.
Wi^ günstig die zweite Function auf die weitere Resorption der
Fldssigkeit gewirkt, beweist die gegen Ende des Spitalaufenthaltes
des Patienten auftretende diffuse Erschütterung der Herzgegend ; ferner
das deutliche pericardiale Reiben, welches am lautesten in der Gegend
des 4. Rippenknorpels gehört wurde.
Hat nun schliesslich dieser vorliegende Fall doch einen un-
gttnstigen Ausgang genommen, so muss immerhin auf die vorstehende
Erörterung gestützt die Behauptung aufrecht erhalten werden, dass
sowohl durch die erste, als besonders durch die zweite Function eine
wesentliche Besserung im Befinden des Kranken herbeigeführt worden
war. Fatient befand sich entschieden auf dem Wege der Besserung,
woran nach der operativen Verminderung des Exsudates auch nament*
lieh die Verpflegung und Abwartung in einem Hospital ihren grossen
Theil* beitrug. Rasch neigte sich die Sache jedoch zum Schlimmen,
als Fatient das Spital verlassen und somit einer geregelten Fflege
verlustig ging.
Der nach Wochen erfolgte ungünstige Ausgang kann Angesichts
der unmittelbaren und geradezu lebensrettenden Wirkung der Ope-
ration den Werth der letzteren durchaus nicht schmälern. Im Gegen-
tbeil, der Fall muss als eine directe Aufmunterung zu weiteren Ver-
suchen dienen. Mag nun schon die genaue Betrachtung dieses Falles
und seiner einzelnen Fhasen an und für sich den Werth und den
30*
468 XXVL HlNIUBKLANO
unmittelbaren Erfolg der Operation aoBser Zweifel stellen, so wird
vielleicht der Zweck dieser Mittheilung noch unterstfltzt durch den
Vergleich unserer Beobachtung mit bereits bekannt gegebenen Adb-
fahrungen von Paracentesis Pericardii.
Zu diesem Zwecke habe ich in Folgendem die in der Literatur
niedergelegten Mittheilungeu; soweit dieselben mir zug&nglich waren,
gesammelt und kurz zusammengestellt Vielleicht lassen sich in Be-
treff des Erfolges, der Indicationen, der Operationsmethoden, der
Ungefährlichkeit des Eingriffes Resultate erzielen, die fflr die wei-
tere Entwickelung und die richtige Würdigung der Operation ron
Werth sind.
Zusammenstellung der bis jetzt ausgeführten Para-
centesen des Pericardiums.
1. Desault. 1798. Dictioo. des ScIeDces m6A. XL. 1819. p. 370.
Die Diagnose schwankte zwischen Pleuritis und Pericardltis. Die Operation
wurde durch Incision zwischen der 6. und 7. Rippe ausgeführt, mit Er-.
Öffnung der sich vorlagernden Tasche. Entleerung von ca. einem Schoppen
Flüssigkeit. — Tod. Die Autopsie ergab eine Verwachsung d^ Herz-
beutels mit dem Herzen. Die eröffnete Tasche prftsentirte sich als m von
der Lunge und dem Pericard abgekapseltes Pleuraexsudat. Der Fall kann
somit eigentlich nicht als hierher gehörig gerechnet werden.
2. Larrey. Ibid. Ausgang in Tod. Der Fall ist ebenso unsicher
wie der vorige. Die Diagnose war ebenfalls nicht sicher zu stellen, ferner
ergab selbst die Autopsie nicht die volle Gewissheit, ob wirklich das Peri-
card eröffnet oder nur eine abgekapselte Cyste punctirt worden war.
3. Romero. 1819. ibid. 35jahriger Mann, der bereits 5 Monate
vor der Operation erkrankt war. Incision zwischen der 5. und 6. Rippe
am Ursprung der Rippenknorpel, Hervorziehen einer kleinen Falte des Pen-
Cards ; Abtragen derselben mit der Scheere ; durch geeignete Lagerung Ent-
leerung der Flüssigkeit. Genesung.
4. Derselbe. 1. c. 37 Jahre alter Mann, 3 Monate krank vor der
Operation, die auf die in Fall 3 angegebene Weise ausgeführt wird. Ge-
nesung.
5. Derselbe. I.e. 45 Jahre alter Mann, schon 8 Monate krank,
wird auf dieselbe Weise, doch mit ungünstigem Erfolge operirt Als
Ursache des ungünstigen Ausganges gibt Romero ausgedehnte Verwach-
sungen des Pericards mit dem ^erzen an, die eine vollständige Entleerung
der Höhle verhinderten.
6. Jowet. 1827. Froriep's Notizen. Vol. XVIU. No. 86. Bulletin des
Sciences m^dic. t. XIIL Bullet, et M^moires de la Soci^t^ m^d. des Hopi-
taux. 2. Serie 1868/69. Pericardltis in Folge von Rheumatismus, üeber
den Erfolg wie über die Methode der Operation ist nichts zu eruiren. Der
Fall ist überhaupt zweifelhaft und es ist nicht sichergestellt, ob wirklich
das Pericard eröffnet wurde.
Paracentesifl Fericardii. 469
7. Schuh in Wien. 1840. Oesterr. med. JahrbQcher. Neae Serie 1S40.
Troosseau, GÜDiqne mödic. Schmidfs Jahrbflcher Bd. 33. 1842. S. 333.
Dienstmftdcheo, 24 Jahre alt, wurde unmittelbar nacheinander zweimal punc-
tirt. Troicart; linker Stemalrand awischen der 3. und 4. Rippe, das
zweite Mal zwischen der 4. und 5. Bei der ersten Function wurde nur
eine kleine Menge syrupartiger, blutig gefärbter Flflssigkeit, bei der zweiten
etwas mehr blutig gefärbtes Serum entleert. Kein Erfolg.
£8 handelte sich, wie die Autopsie ergab, um einen Mediastinal-
tamor, der, in einer Breite von 6 Zoll das Mediastinum erfüllend, Brust-
bein und Innenfiftche der 4 obersten Rippen und das Schlüsselbein ergriffen
und umgestaltet, an den Wirbelkörpern festhing und mit der Lunge ver-
wachsen war.
8. Kyberi). 1845. Med. Zeitschrift Rnsslands No. 21— 25. 1847.
Scfamidfs Jahrbücher 1848. S. 168. Feter Saknef, Soldat, 28 Jahre alt, lag
ca. 3 Monate an Pericarditis in Folge von Scorbut. Function: Einstich
zwischen der 4. und 5. Rippe am linken Sternalrand; Schuh'scher Trog-
apparat; Entleerung von ca. 5 — 6 Ffund Flüssigkeit. — Unmittelbare
Erleichterung. Nach 10 Wochen vollständige Genesung; lang-
same Reconvalescenz. — Fatient starb 1 ^/'2 Jahr später an Fhthisis tuber-
cDlosa.
9. Derselbe. 1845. I.e.; Seilheim, Diasertat. Dorpat 1848. Ein
Matrose, ca. 4 Monate krank an Pericarditis, wird auf eine ähnliche Weise,
wie in Fall 8 angegeben, pnnctirt und 4V2 Pfand einer blutigen Masse
entleert. — Allmählich unter wechselvollen Zuständen erfolgt Heilung. —
Wie in dem vorigen Fall handelte es sich um die scorbutische Form der
Pericarditis. Patient versah nach seiner Genesung noch lange das Amt
eines Krankenwärters.
10. Derselbe. 1845. I.e. Matrose, 3V2 Monate krank, wurde ebenso
operirt wie in Fall 8 und 9. — 1 V2 Pfund dunklen Blutes wurden entleert.
— Langsame Reconvalescenz unter zeitweiliger Verschlimmerung des Zu-.
Standes. Gleichzeitiges Bestehen von Pleuritis. Heilung.
11. Derselbe. 1847. I.e. Matrose; die Function wurde mit seinem
eigens für diesen Zweck construirten Instrument ausgeführt. S. die Be-
schreibung und Abbildung in Dr. Seil heim 's Dissertation. — Entleerung
TOD 4 Pfund blutiger Flüssigkeit. Langsame Genesung, durch Ka-
tarrh und wiederholte hydropische Erscheinungen verzögert.
1) Die Fälle 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14 shid die mit gOnstigem Erfolg operirten
scorbatischen Pericarditiden, wie de von Dr. S el 1 h e i m in seiner Dissertation (s. 0.)
näher aaseinandergesetzt sind. Derselbe gibt, diese 7 Fälle inbegriffen, die Zahl
der in den Jahren 1839—1847 ausgeführten Functionen hei Pericarditis scorbutica
approximativ auf 46 an. Die Zibl ist insofeme nicht ganz genau, als über die
Jahre 1840, 1841 und 1843 keine sicheren Aufzeichnungen vorhanden waren. Doch
glaabt Seilheim die Zahl der in diesen Jahren gemachten Operationen ziemlich
genau getroffen zu haben. — Die Gesammtsumme der in den Jahren 1842, 1844,
1S45, 1846, 1847 zur Behandlung gekommenen F&lle von Pericarditis scorbutica
wird TOD Seilheim auf 154 angegeben; davon wurden nachweisbar operirt 30;
durch die Operation geheilt 7 (s.o.); ohne diese genasen 6; gestorben sind 141.
470 XXVI. HiMDENLANG
12. Karavajew. 1840. I.e. Dr. 0. v. Bamson, Beobachtangen fiter
den Scorbnt. Berlin 1843. Peter Angns, 23 Jahre alt, wurde wie in Fall 8
operirt. Hei lang. — V2 ^"^^ später Tod durch erneute scorbatiBche Er-
krankungen. Section: Verwachsungen des Herzbeutels mit dem Hersen;
in Pleura und Abdomen geringe Mengen scorbutischen Exsudates.
13. Schönberg. 1842. 1. c. Matrose, 27 Jahre alt. Operations-
methode wie in Fall 8. Heilung nach 8 Tagen. — Patient wurde Kranken-
wärter. Derselbe ging 1846 an Typhus petechialis zu Grunde. Die Sec-
tion ergab vollständige Verwachsung des Herzbeutels mit dem Herzen.
14. Derselbe. 1847. 1. c. Kasmir Aleschkewitz litt schon 1 Jahr
lang an Scorbut. Operation wie in Fall 8. 4 Pfund blutige Flflssigkeit
wurden entleert; unmittelbare Erleichterung. Vollständige Heilang
nach ca. 7 Monaten.
15. Heger. 1842. Oesterr. med. Jahrbücher Bd. XXIX. 1842. Gitirt
in Trousseau, Glinique m^d. Ein 19 jähriger Schuster wurde zweimal pnnc-
tirt, Punctionsstelle im 5. Intercostalraum. Das erste Mal wurden 1500 Gnn.
eines rothbraunen flockigen, das zweite Mal 400 Grm. eines trabröthlicheD
Serums entleert; ohne Erfolg. — Die Section ergab: Tuberculose der
Lungen und des Mediastinums ; gleichzeitige Anwesenheit von Pleuritis fand
Ascites.
16. Dr. Vigla. 1841 oder 1842. Trousseau, Clinique m6d. Junger
Mann; Incision. Tod durch Asphyxie. Die Operation blieb unvollendet,
da unmittelbar unter dem in die Wunde eingeführten Finger das Herz schlag
und am Pericard ein deutliches Reiben erzeugte. Bei der Section fand
sich eine „ phaenomenale " Erweiterung des Herzens mit Verändemngen
seiner Wände.
17. Champouillon. 1849. Gaz. des höpit. 1 865. Bullet, de FAc&d.
de m^d. 2. Nov. 1875. p. 1266 ff. Soldat; 6 Wochen krank^ werde mit
dem Troicart punctirt. Einstichstelle im 5. Intercostalraum einige Centimeter
vom linken Sternalrand entfernt; entleert wurden 615 Grm. einer granlicheD,
nicht ganz transparenten Flüssigkeit. Heilung; nach 16 Wochen wieder
ganz arbeitsfähig.
18. Ar an. 1853. Troussean, Clinique m6d. Incision. Die Operation
blieb unvollendet. Tod darch Asphyxie.
19. Derselbe. 1855. Bullet, de TAcad. 1855. 1856. t. XXI. p. 142.
Gaz. des hdpit. No. 130. 1855. Ein junger Mann von 24 Jahren wird
zweimal punctirt; die zweite Punction 12 Tage nach der ersten. Troicart,
5. Intercostalraum, nachfolgende Jodinjection nach jeder Punction. Ent-
leerung zuerst 350 Grm. eines röthlichen, ziemlich klaren Serums, das
zweite Mal 1350 Grm. eines grQnlichen, stark eiweisshaltigen Flaidno».
Heilung. — Patient wird mit den Zeichen beginnender Tuberculose ent-
lassen.
20. Bdhier M. 1854. Archiv, gän^ral. de m6d. 1864. Bull, de U
Soci^t^ m^d. des höpit. No. 9. 1854. Junge Fran, 22 Jahre alt, wird mit
dem Troicart, nachdem sie 1 — 2 Monate lang krank, punctirt.
Wahrscheinlich wurde bei der Thoracocentese zugleich das Pericard
eröffnet; doch findet sich in den betreffenden Mittheilungen kein sicherer
Anhaltspunkt, ob der Fall wirklich als hierher gehörig zu rechnen ist
21. Trousseau et Lasegue, Operation von Jobert ansgefllhrt
Paracentesis Pericardii. 471
1S54. Archiv, g^o^ral. de m^d. 1854. Nov, Ein junger Mann von 16 Jahren
wurde zweimal operirt, das erate Mal darch Incision im 5. Intercoatalraum
3 Cm. vom linken Stemalrand, and ca. 400 Grm. Fiflasigkeit langaam ent-
leert; daa sweite Mal dorch directe Pauction mit 500 Orm. Heilung.
Langsame Reconvaleacens.
Gleichzeitig mit der Pericarditis bestand noch eine Pleuritis exsudativa
der linken Seite, Thoracocentese. EnÜeerung von 500 Grm. Patient wird
mit den Zeichen beginnender Tubercnlose entlassen.
22. Troussean. 1856. Glinique m^d. L'Union m^d. No. 121. Oct.
1836. Ein 27j&hriger Mann war ca. 3 Monate an Pericarditis erkrankt.
Operirt durch Incision mit dem Bistouri; allmähliche Dnrchtrennung der
Schichten. Ort: die Mitte der Dämpfung, im Intercostalranm unterhalb der
Brustwarze. Die ca. 1000 Grm. betragende röthlioh tingirte Flüssigkeit
coagulirte rasch. Auf die linke Seite gelegt, flössen noch weitere 200 Grm.
einer citronengelben , nur unvollständig coagullrenden Flüssigkeit aus. —
Tod 8 Tage nach der Operation.
Gleichzeitige Anwesenheit von linksseitiger Pleuritis exsudativa. Auf-
treten von Fieber und eclamptischen Anfallen, denen der Patient erlag.
Die Autopsie ergab eine unvollständige Entleerung des pericarditischen
Exsudates durch Verschiebung und Verstopfung der kleinen Wunde des Herz-
beutels. Pericarditische Auflagerungen ; beginnende Tubercnlose der Lungen.
23. Dr. J. C. Warren und Dr. H. H. Smith. 1852. Syst. of Surgery
vol. II. p. 207. Oitirt von Pepper» The Medioal News and Library, Maroh
1S78. Wiederherstellung, so dass Patient das Hospital verlassen
konnte. Weiterer Verlauf blieb unbekannt.
24. Vernay. 1756. Gaz. hebd. IIL p. 793. 1856. Schmidt*s Jahrb.
Bd. 93. S. 299. Arbeiter, 23 Jahre alt; etwa 1 Monat krank, wurde zweimal
panctirt. Explorativtroicart zwischen 5. und 6. Rippe, Entleerung von ca.
500 Grm. einer in schwachem continuirlichen Strahl abgehenden Flüssigkeit.
Wiederholung der Function 3 Tage nach der ersten; keine langanhal-
tende Erleichterung; Tod durch Purpura haemorrhagica, die sich
allmählich über den ganzen Leib ausbreitete.
Der zweiten Function folgte in 14 Tagen die Paracentese des Abdo-
mens, ohne Erleichterung zu schaffen. — Die Section ergab in dem stark
verdickten Pericard die Ansammlung von 5 Weinflaschen voll gelben Serums;
Heiz gross, stellenweise mit Faserstoffgerinnsel bedeckt Das rechte Ost,
ven. verengt durch einen fibrösen Ring, in den man nur die Kleinfinger-
kuppe einfflhren konnte.
25. Wheelhouse. 1866. Medical Times and Gaz. Nov. 3. 1866.
Brit. med. Joum. Oct. 10. 186S. Schmidt's Jahrb. Bd. 134.S. 175. Mann von
26 Jahren, wurde nach 2 monatlicher Krankheit mittelst des Troicart (am
oberen Hand der 5. Rippe, Vs Zoll vom Sternalrand) punctirt; Entleerung
von ca. 3 Unzen blassen, leicht coagullrenden Serums. Heilung. Die Peri-
carditis war im Gefolge eines acuten Gelenkrheumatismus aufgetreten.
26. M. Baizeau. 1868. Gaz. hebd. de m^d. et de Chirurg. 1868.
BalL de TAcad. de m6d. 2. Nov. 1873. Ein Soldat war 17 Tage lang krank
an Pericarditis. Incision mit nachfolgender Function im 6. Intercostalranm,
3 Finger breit vom linken Sternalrand; entleert wurden 400 Grm. einer Flüs-
sigkeit von der Beschaffenheit venösen Blutes. Lufteintritt. Tod 2 Stunden
472 XXVI. HiNDEMLANO
Dach der Operation. Die Pericarditis war entstanden nach der Exstirpation
einiger Lymphdrüsen am Unterkieferwinkel ^ bei der Aatopsie fand man das
Herz und das parietale Blatt des Herzbentels von fibrinösen Massen be-
deckt, die in einer kleinen Menge blutigen Sernms flottirten. In der Pleura
fanden sich 450 Grm. Blut, welches aus dem Herzbeutel zu stammen schien.
Baizeau leitet dieses Blut von einer bei der Operation verursachten Ver-
wundung des Herzens her, konnte jedoch die Wunde am Herzen nicht, wobl
aber die des Pericards finden.
27. Roger. 1868. Bullet, de la Soci^t^ m^d. des hdpit. t. VI. t. VII.
1868. Bull, de FAcad. des m^d. 2. Nov. 1875. L'Union m6d. No. 141. 186S.
Ein Mädchen von 1 1 Jahren litt über ein Jahr an dyspnoischen Beschwer*
den mit den Zeichen eines lange bestehenden Exsudates im Pericard. Zwei-
malige Punction mittelst des Troicart. Einstich das erste Mal
im 5. Intercostalraum, I V2 Cm. vom linken Stemalrand entfernt, das zweite
Mal 1 Cm. nach aussen von der letzten Punctionsstelle, mit von unten nach
innen und oben geführter Spitze.
Bei der ersten Punction wurden 100 Orm. rein venöses Blut, bei der
zweiten 500 Grm. einer bräunlichrothen serösen Flüssigkeit entleert. Tem-
poräre Heilung. Tod 1 Monat nach der zweiten Punction durch hin-
zutretende Pleuritis.
Sectionsbefund: stark ausgedehntes Pericard, von vascularisirten
Neomembranen austapezirt. Im Sack selbst 300 — 400 Grm. einer blotig
gefärbten eitrigen Flüssigkeit. Eine Wunde am rechten Ventrikel war nieht
zu finden.
28. Derselbe. 1872. Bull, de TAcad. 2. Nov. 1875. Knabe von
5 Jahren, seit 5 Monaten krank. Punction mit einem capillaren Troi-
cart, Aspiration. Punctionsstelle im 6. Intercostalraum, 1 Cm. unter-
halb des Spitzenstosses. Anfangs entleerte sich seröse Flüssigkeit, später
rein venöses Blut. Vollständige Heilung der Pericarditis, aber
Tod durch secundäre Organaffection des Herzens. Herzlähmung.
Autopsie: Dilatation des Herzens mit Insufßcienz der Mitralis. Aus-
gedehnte Verwachsungen des Pericards. Verletzung des Herzens. Eine an
der Leiche ausgeführte Operation zeigte, dass die Nadel in das Septnm
ventr. eingedrungen und in den rechten Ventrikel gelangt war.
29. Derselbe. 1869. Bull, et M^moires de la Soci^t^ mM. des Hdpit.
1868/69. 12jähriges Mädchen. Punction mit dem Troicart im 6. In-
tercostalraum und Entleerung von 780 Grm. seröser, dunkelgelb geftrbter,
rasch coagulirender Flüssigkeit. Die Punction brachte grosse Erleichtemog,
doch Tod anderen Tages unter SufTocationserscheinungen.
Sectio n. Wenig Flüssigkeit im Pericard, pseudomembranöse Auf-
lagerungen mit Tuberkelknötchen. In der Gegend der Herzspitze partielle
Verwachsungen der Pericardialblätter. Massenhafte 'Fibringerinnnngen im
rechten Ventrikel. In dem rechten Hauptast der Lungenarterie em Blot-
gerinnsel (Embolus?), myocarditische Veränderungen.
30. Löbel. 1867. Bericht der k. k. Krankenanstalt Rudolfsstiftnog
vom Jahre 1867. Schmidfs Jahrb. Bd. 143. S. 137. Pericarditis als wahr-
scheinliche Folge einer an den rechten Bronchusstamm andringenden ver-
jauchenden Bronchialdrflse. Die Punctio pericardii missglflckte.
31. T. Clifford Allbutt. 1869. The Lancet. 1869. p. 807. -
Paracentesis Fericardii. 473
Mm H.y 27 Jahre alt, wnrde 2 mal puDctirt; feiner Trolcart, 5. Inter-
eostalraam ein Zoll vom linken Stemalrand, mit nach oben und innen ge-
richteter Spitze. Entleerung von 5 Unzen strohgelben Serums; das zweite
Mal eitrige Trübung der entleerten Masse.
Tod durch ausgebreitete complicirende Bronchitis.
Die Pericarditis war wahrscheinlich tuberculöser Natur.
32. Ponroy. 1&70. Oaz. des hop. 1S70. No. 7t. Ein 21 jähriger
Mann litt längere Zeit an Oppression, Cyanose, Fieber, Anasarka. Die
diese Erscheinungen hervorrufende Pericarditis wurde unter Anwendung des
Dien lafoy 'sehen Aspirators punctirt. Einstich 6 Cm. nach links von der
Mittellinie des Stemnm, 1 Gm. oberhalb der unteren Grenze der Dämpfung.
Die entleerte serös-purulente Flüssigkeit betrug 800 Grm. Reconvalescenz
sehr protrahirt, bei der Entlassung noch sehr abgems^gert und cyanotisch.
Neben der Pericarditis bestand noch gleichzeitig linksseitige Pleuritis.
33. Mader. 1870. Wiener med. Wochenschrift. XVIII. 57. 58. 59.
Eine Frau von 68 Jahren leidet seit einigen Wochen an starker Dyspnoe
ohne entzündliche Erscheinungen. Die Ursache ist eine Pericarditis exsu-
dativa, die punctirt wird. 3 maliger Einstich im 3. Intercostalraum i Zoll
vom linken Stemalrand mittelst der Pravaz'schen Spritze mit vergrOsser-
tem Saugcylinder. Die Canüle wird jedesmal mit entfernt. 14 Tage später
zweite Punction auf ebensolche Weise.
Tod nach der zweiten Punction, welche nur wenig Erleichterung ge-
bracht hatte.
Section: Doppelseitige Pleuritis. Im Herzbeutel auffallend wenig
Flüssigkeit. Zwei Gruppen von Stichpunkten, als Residuen der Punctions-
stellen. Kein Blutergnss. Pericard verdickt, Auflagerungen, Tuberkel.
34. Fremy. 1871. Bull. g^n. de th^rap. Feb. 15. 1871. Canstatt's
Jahresber. 1871. II. S. 90. Aspiration mit dem Dieulafoy. Ent«
leernng serös-purulenter Flüssigkeit. Heilung.
35. M. Ghairou. 1872. Bull, de l'Acad. de M6d. 22. Octob. 1872.
Ibid. 19. Oct. 1875. Canstatt's Jahresber. 1875. II. S. 163. Ein 23 Jahre
alter Mann, Soldat, welcher ca. 4 Monate krank lag, wird mittelst des
Dieulafoy 'sehen Apparats operirt. 5. Intercostalraum 2 Gm. einwärts
der Brustwarze; entleert wurden etwas mehr denn 1000 Grm. eines roth-
gefärbten Serums mit reichlichen Fibrinflocken. Tod 7 Wochen nach der
Function; sehr heftige unstillbare Diarrhöen.
Die Diagnose war auf die Anwesenheit von Tuberkeln gestellt. Erguss
in die linke Pleurahöhle; Thoracocentese : 1430 Grm. Flüssigkeit.
Die Nekroskopie ergibt eine ungeheure Ausdehnung des Pericards und
bestätigt das Vorhandensein von Tuberkeln in den Lungen.
36. Maciaren. 1872. Edinb. med. Jonm. Juni 1872. XVII. p. 1091.
Schmidts Jahrb. Bd. 162. Arbeiter, 27 Jahre alt, leidet seit 3 — 4 Wochen
an Kopfschmerzen, Athemnoth, leichtem Fieber. Die bestehende Pericar-
ditis wird operirt, durch einen Schnitt im 5. Intercostalraum, IV2 Zoll
vom linken Sternalrand entfernt. Blosslegung des Pericards, Punction
mit dem Explorativtroicart. 35 Unzen gelbgrflner Flüssigkeit. Tod
6 Tage nach der Punction. Die Erleichterung durch die Punction war wegen
der gleichzeitig bestehenden Pleuritis nicht sehr hervortretend.
Sectionsbefund: Pleuritis exsudativa. Tuberculosis pulmonum.
474 XXVI. HlHDENLANO
Pericarditis exsudativa. 12 Unzen einer grüniichbraanen Flflasigkeit im
Herzbeutel. Pericardium stark verdickt.
37. 8. Gemell. 1872. Glasgow med. Jonrn. Nov. 1872. Ein junger
Matrose wird mittelst desTroicarts und Aspiration operirt; 6. Inter-
costalraum nach innen von der Mamillarlinie eingestochen. — Unvollstftndige
Entleerung, nur tropfenweise, obgleich die Saugspritze angesetzt und die
Canflle freibeweglich war. Tod nach 2 Tagen.
Gleichzeitig bestand Hydrothoraz. Im Herzbeutel fanden sich bei der
Section 630 Grm. trüber seröser Flttssigkeit. Mehr oder weniger dicke
Auflagerungen. TuberkelknOtchen in der Pleura und im Pericard.
38. Jürgensen. 1872. v. Ziemssen's Handb. Bd. V. 8.134. 2. Auf-
lage. Ein 6 Jahre alter Knabe war an cronpöser Pneumonie erkrankt.
Am 15. Krankheitstage Nachweis einer Pericarditis exsudativa, deren be-
denkliche Symptome zu einem operativen Eingriff führten. Punction und
Aspiration von 220 Ccm. dickem Eiter. Zweite Punction ex indica-
tione vitae 3 Tage nachher. Die Canüle bleibt liegen. Ausspülung mit
Iprocentiger Kochsalzlösung. Tod 4 Tage nach der zweiten Punction
unter schweren Gehirnsymptomen.
Sectionsbefund: Eitrige Pericarditis ; theil weise Verwachsungen der
beiden Pericardialblätter. Eitrige Meningitis der Basis und Convexitit.
Thrombose der Vena cava sup. oberhalb des Vorhofs. Dieselbe setzt sich
bis in den Sinus sigmoideus sinister und Sinus transversus derselben Seite
hin fort.
39. Bouchut. 1873. Gaz. des hdp. 142—145. 1875. Bei einem
Mädchen von 1 1 Jahren besteht seit 6 Wochen eine linksseitige Pleuritis,
zu der eine Pericarditis exsudativa hinzutritt. Operation. Im Ganzen
8 Punctionen, jeweils im 5. Intercostalraum, U/a Cm. vom linken Sternal-
rand entfernt. Das erste Mal wurden 320 Ccm. gelblich-trübe Flüssigkeit,
das zweite Mal 400 Grm. röthlicher schlaff gerinnender Flüssigkeit, bei der
fünften 80 Grm. fast reines Blut entleert. Die achte Punction lieferte an-
fangs nur etwas schaumiges Serum , bei tieferem Einstechen jedoch reines
Blut in vollem Strahl. Einmal nach der zweiten Punction trat ein heftiger
Frostanfall auf; die späteren Operationen ohne unmittelbare Erleichterung.
3 Tage nach der achten Punction Tod.
Section: 800 Grm. seröse chocoladefarbene Flüssigkeit im Herz-
beutel. Pericard verdickt; von den Einstichen in das Herz keine Spar
mehr zu finden; starke Auflagerungen auf das Herz.
40. Villeneuve. 1873. Archiv. m6d. beiges. 1875. Marseille med.
Revue de tb^rap. m^d. et chir. 1875. The London medical Record. 1875.
Kind von 5V2 Jahren, wird mit dem Dieulafoy 'sehen Aspirator punctirt
und 2 Spritzen voll klaren gelblichen Serums entleert Heilung langsam;
die Stichöffnung schloss sich nicht und es sickerte beständig Flüssigkeit
nach. Das Serum wurde allmählich trüb eitrig und hielt die Eiterung wäh-
rend 5 Monate an. Ein Abscess, der sich an der Wunde gebildet hattet
wurde incidlrt. 6 Monate nach der Operation war die Wunde definitiv
geschlossen.
41. Dr. Lyon. 1874. New -York med. Record. April 1876. Med.
Comm. of the Connecticut Med. Society 1875. Zweimalige Function bei
Paracentesis Pericardii. 475
einem 31jährigen Mann Id einem Zwischenräume von 7 Tagen; eitriges Ex-
sudat. Tod 16 Tage nach der ersten Pnnetion.
42. Ferrari Bravo und Valtosta. 1874. Giornale Veneto di
Scienze Med. Mars 1875. Tbe London med. Record. 1875. p. 275. Ein
35 jähriger Mann, der lange Zeit an Malaria erkrankt war, an Husten^
copidsem Auswurf, Anschwellung der Glieder, Pleuritis exsudativa (die drei-
mal punctirt wurde) und Ascites (ebenfalls punctirl) litt, wurde femer wegen
des hinzugetretenen Pericardialergusses (Hjdropericard) operirt. Das Ope-
ratioDsverfahren bestand in Incision durch Erheben einer Hautfalte über
dem 5. Intercostalraum und Einschnitt parallel mit der Rippe in der Mitte des
Intercostalraumes, 2/5 Zoll vom Stemum beginnend ; successive Trennung der
Maskellagen. Punction mit dem Troicart. Entleert wurden 10 Unzen
Flassigkeit. Tod. Die Autopsie ergab Tuberculose der Lungen.
43. F. H. Bartleet. 1874. Lancet Dec. 1874. Schmidfs Jahrb.
Bd. 166. In Folge eines acuten Gelenkrheumatismus acquirirte ein dOjäh-
riger Mann eine Pericarditis, die noch durch eine linksseitige Pleuritis com-
pllcirt wurde. Punction im 4. Intercostalraum, 2 Zoll nach aussen von der
SternalmittelliDie ; durch Aspiration wurden 14 Unzen einer hämorrhagi-
schen Flüssigkeit von dem specifischen Gewicht 1024 entleert. Grosse
Erleichterung und Besserung schon in der ersten Nacht. Vollstän-
dige Heilung nach 4 Wochen.
44. Moore. 1875. Brit. med. Journal 19. Juni 1875. Ein 13jähriger
Knabe wird wegen Pericarditis 6 mal punctirt. Erste Punction mit Aspi-
ration im 5. Intercostalraum, dicht nach innen von der Stelle des Spitzen-
Btosses und Entleerung von 21 Unzen eitriger Flüssigkeit. Zweite Punction
35 Unzen. Dritte Punction mit 60 Unzen Eiter und nachfolgender Injection
von Jodtinctur. Lnfteintritt. Den übrigen 3 Functionen folgte ebenfalls je-
weils eine Injection von Jodtinctur. Nach der sechsten Punction Eiterung
oberhalb des rechten Trochanters; schnelle Verschlimmerung, Peritonitis,
Erbrechen, Diarrhöen, Tod.
Die Autopsie ergab: Herzbeutel ausgedehnt, die sehr verdickten
Wandungen sind mit reichlichen eitrigen Massen bedeckt. Hinterer rechter
Lnngenlappen vollständig comprimirt und nach der Wirbelsäule gedrängt,
Herzmusculatur blass, verfettet. Im Abdomen geringe Mengen Flüssigkeit.
Peritoneum stark injicirt, stellenweise mit eitrigen Massen bedeckt.
45. C.J.Nixon. 1876. Doubl. Journ. of med. Sc. Juni 1876. Can-
statfs Jahresb. 1876. II.
46. Burder (operirt von Thomas Elliot). 1876. Lancet Jan. 1870.
p. 50. Ein Mann von 60 Jahren litt wiederholt an Gelenkrheumatismus.
Der Kranke war sehr heruntergekommen, Anasarca, grosse Dyspnoe, schwa-
cher Puls bei ausgedehnter Pericarditis exsudativa. Aspiration mit dem
Dieulafoy zwischen 5. und 6. Rippe, 1 Zoll nach rechts von der linken
Brustwarze. Entleerung von 42 Unzen einer klaren serösen Flüssigkeit.
Erleichterung schon einige Stunden nach der Operation, fortschreitende
BeaseruDg, so dass Patient einige Monate nachher entlassen werden konnte,
um poliklinisch weiter behandelt zu werden.
47. Dr. Welch. 1876. Trans, of Arkansas Stat. Medic. Society.
Americain Joum. of Med. Sciences Jan. 1877. Operation mittelst Aspiration
476 XXYL HiKDENLÄNa
nnd Entleerung von 2S Unzen eines pnrnlenten Exsudates. Tod nach
wenigen Tagen.
48. Hunt. 1876. Lancet 1877. p. 343. EUen B., 1 6 Jahre alt, litt
wiederliolt an Gelenkrheumatismus. Im Gefolge einer neuen Erkranknog
Pericarditis (Salicyibehandlung). Function mit Hohlnadel im 5. Inter-
costalraum und Aspiration ; entleert wurden wenige Drachmen seröser Flfls-
sigkeit, später etwas Blut. Wenig Erleichterung. Tod unter hohem Fieber
und frequentem schwachem Puls.
Section. Starke Ausdehnung des Herzbeutels, Inhalt ca. 14 Uuzes
klaren Serums. Stichpunkte deutlich zu sehen; auf dem Herren fibrinöse
Auflagerungen. Die Pericardialblätter an der hinteren Fläche verklebt aod
schwer zu trennen. Herz vergrössert, dilatirt, der freie Rand der MitraÜB
bedeckt mit feinen Granulationen, an der Unterfläche nehmen die Grana-
lationen das Aussehen beginnender Ulceration an.' Ebenso waren auch Vege-
tationen an der Aortaklappe.
49. Willam Popper. 1878. The medic. News and Library. Phila-
delphia March 1878. No. 423. Sarah C, 17 Jahre alt, wurde mit der
feinsten Hohlnadel des Dieulafoy 'sehen Apparates punctirt im 5. Inter-
costalraum, 1 Zoll einwärts von der Mammillarlinie. Die Nadel wurde nach
aufwärts und einwärts eingestossen, nach dem Eindringen ins PeriCard etwas
nach unten und aussen gerichtet. Entleert wurden über 8 Unzen blutig
tingirte ei weissh altige Fltissigkeit. Heilung 5 Monate nach der Operation,
jedoch gefolgt von Hydrops der unteren Extremitäten. Ascites und doppel-
seitige Pleuritis. (Reibegeräusch.) Zur Zeit der Berichterstattung BesseruBg,
doch Verdacht auf Tuberculose ausgesprochen.
50. Donald Macleo d. 1874. Glasgow Med. Joum. 1877. Juli.
Centralblatt für Chirurgie 1877. Bd. 49. S. 813. Patient, 23 Jahre alt,
wurde dreimal punctirt mittelst des Apparates von Dieulafoy im 5. Inter-
costalranm, 2 Finger breit vom Sternalrand. Nach der ersten Entleerung
von 600 Grm. blutig tingirten Serums augenblicklich vorzüglicher
Erfolg: Puls wurde regelmässiger, die durch das Exsudat comprimirt
gewesene Lunge (welche? wo?) dehnte sich wieder aus, bedeutende Besse-
rung des subjectiven Befindens. Auch nach der zweiten Punction (900 Grm.)
Besserung mit abermaliger Verschlechterung nach einigen Tagen, so dass
1 1 Tage später die dritte Operation nOthig wurde (450 Grm.). Wiedemm
kurzdauernde Erleichterung, doppelseitiges Pleuraexsudat , Tod 3 Tage
nach der dritten Punction.
Ein von Trousseau in seiner Clinique m^d. angeführter Fall von
Paracentesis Pericardii von Bowditch ist nach den Mittheilnngeo too
S. William Pepper (s. No. 49) nie ausgeführt worden.
Die Paracentese des Pericards wurde nach vorstehender Zusam-
menstellung in 6 Fällen nur versucht , in 65 Fällen wirklich ausge*
führt. Dabei ist die nicht ganz sichere Zahl der bei Pericarditis
scorbutica gemachten Operationen mit einbegri£fen.
Um einen Ueberblick zu bekommen über den Erfolg, der bis-
her durch diese Operation erzielt wurde, müssen wir natürlich solcbe
Fälle ausschliessen, über die in der Literatur in diesem Punkte keine
Paracentesis Fericardii. 477
oder nur zweifelhafte Angaben zu finden sind, ferner auch solche,
bei denen die Operation unvollendet blieb.
Zu diesen letzteren gehören die Fälle 1, 2, 6, 16, 18, 20, 30, 45,
BO dass wir hier mit einer Zahl von 65 Fällen zu rechnen haben
werden. Von diesen sind 2r(3, 4, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 17, 19,
21, 23, 25, 28, 32, 34, 40, 43, 46, 49) mit mehr oder weniger
Tollständiger Genesung zu verzeichnen.
Ohne Erfolg wurde in 44 Fällen (5, 1, 15, 22, 24, 26, 27, 29,
31, 33, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 42, 44, 47, 48, 50, dazu noch 23 mal
bei Scorbut) die Operation vollständig ausgeführt.
Hieraus würde sich zu Gunsten der Operation ein Procentsatz
TOD 83,3 Proc. herausstellen.
Getrttbt würde diese immerhin günstige Statistik werden, würden
wir hier die späteren Zustände der einzelnen Patienten, wenn sich
dieselben auch auf die fiberstandene Pericarditis zurückführen lassen,
hier mit in Rechnung bringen. Es ist wohl berechtigt, wenn wir
Ton dem Erfolg der Paracentese des Pericards reden, auch nur die
auf die Pericarditis ausgeübte Wirkung zunächst zu berücksichtigen.
Unvollständig wurde der Erfolg der Operationen oft durch die
Becundär hinzugetretenen Gomplicationen. Unter diesen nimmt, wor-
auf schon Ar an und Trousseau aufmerksam machten, die Tuber-
colose als Folgezustand lange bestehender Exsudate die erste Solle
ein. So finden wir in Fall 8 (Eyber) den von seiner Pericarditis
geheilten Kranken später an Tuberculose zu Grunde gehen; ebenso
wird im Fall 19 (Aran), 21 (Trousseau), 49 (William Pepper)
beginnende Tuberculose vermuthet oder constatirt.
Auch die verschiedenen Autopsien ergaben in der Mehrzahl der
Fälle die gleichzeitige Anwesenheit von Tuberculose. So in den
Fällen 15, 22, 29, 31, 33, 35, 36, 37, 42.
In zweiter Reihe erst bilden secundäre Herzaffectionen,
in einer weiteren intercurrente Krankheiten den Grund eines
schliesslich doch ungünstigen Ausganges.
Ist es erlaubt, aus dieser immerhin noch kleinen Zahl von Be-
obachtungen Schlüsse zu ziehen auf den Werth der Operation, so
müssen wir den Erfolg der Operation einen günstigen nennen und
dürften die Ansichten über die Operation, wie dieselben in manchen
Hand- und Lehrbüchern sich ausgesprochen finden, einigermaassen
modificirt werden. Da und dort findet man die Paracentese des Peri-
cards blos als ein Palliativmittel angegeben. Unsere Zusammenstel-
lang belehrt uns eines Anderen. Ja wäre auch die Zahl der ge-
machten Operationen und unter Riesen die Zahl der günstigen Re-
478 XXYI. HlMDBtlLAMG
sultate nicht so gross, wie sie jetzt schon ist, dürfte doch mit Recht
dieser Operation der Beiname einer lebensrettenden, eines wirklichen
Heilmittels gegeben werden.
Die einzig richtige Würdigung wird der Werth der Operation
erfahren, wenn man ihre Anwendbarkeit auf die einzelnen Formen
der Pericarditis betrachtet.
In acuten Fällen von idiopathischer oder seoundftrer Pericar-
ditis wird, wenn durch schnelles Ansteigen und die Menge des Ex-
sudates äusserste Lebensgefahr vorhanden ist, die Operation unter
derlndicatio vitalis sofort vorgenommen werden müssen. Bei chro-
nischen Formen wird die Function dann mit Erfolg vorgenommen
werden, wenn trotz einer geeigneten medicamentdsen Behandlung
die Resorption des Ergusses zögert Auch in den Fällen von Peri-
carditis haemorrhagica bei Scorbut, Morbus maculosus ist die Opera-
tion sowohl unter der Indicatio vitalis, wie auch als ein die Resorp-
tion beschleunigendes und den Kräfte* und Ernährungszustand in-
direct hebendes Mittel indicirt
Bei Hydropericardium kann die Paracentese ebenfalls er-
forderlich werden ; doch muss zugegeben werden, dass wohl hier die
Operation meist nur ein Palliativmittel sein und bleiben wird. Aber
auch hier darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass durch die
Wegnahme des Exsudats aus dem Herzbeutel möglicherweise der
vorhandene Circulus vitiosus durchbrochen werden könnte, and so-
mit indirect die Operation doch einen mehr oder weniger gtlnstigen
Einfluss auf die Primäraffection ausüben kann. Die Hauptaufgabe,
die die Operation hierbei zu erfüllen hat, ist die, der drohenden Herz-
paralyse vorzubeugen. Denn die Insufficienz in der Arbeit des Her-
zens wird einmal direct herbeigeführt durch die Compression des
Herzens durch das Exsudat; sodann verlangt die gleichzeitig vor-
handene mehr oder weniger starke Compression der Lunge, indem
sie eine Verkleinerung des Stromgebietes setzt, eine Mehrleistung
der Herzkraft. Dazu kommen noch die vermehrte Inanspruchnahme
der Athmungsmusculatur und etwa gleichzeitig bestehendes Fieber
als Umstände hinzu, die noch weiterhin das Herz belasten.
Von diesem Standpunkte aus betrachtet würde auch die Punction
des Pericards bei den mehr secundären, als Theilerscheinung anderer
Erkrankungen auftretenden Ergüssen in den Herzbeutel ihre Berech-
tigung finden. Selbst auch in den Fällen, in denen von vorneherein
ein dauernder Erfolg nicht erwartet werden darf, wird doch der
unmittelbare Werth der Punction nicht unterschätzt werden dQrfen.
Wenn wir einem Kranken, der fortwährend mit der höchsten
Paracentesis Pericardii. 479
Dyspnoe kämpft, nach langer Zeit auch nur eine ruhige Nacht durch
die Operation verschaffen können , so hat dieselbe schon genug ge-
leistet.
Ein weiterer Punkte der auch von wesentlichem Einfluss und
TOD nicht geringer Bedeutung ist, ist die Zeit der Operation.
RomerOy der erste, der durch die Operation günstige Erfolge
erzielte, räth das Exsudat zu entfernen, sobald dasselbe bestimmt
nachgewiesen werden könne. In vielen Fällen, in denen ein wirk-
lich gflnstiger Erfolg erzielt wurde, war auch bald nach festgestellter
Diagnose die Function vorgenommen worden.
Wenn auch hier im Grossen und Ganzen die für die operative
Behandlung der Pleuritis gegebenen Vorschriften (die ja auch noch
immer discutirt werden) anwendbar sind, so wird doch bei Pericar-
ditis exsudativa mehr denn bei Pleuritis der Maassstab für die Zeit
des Eingriffs nach dem subjectiven und objectiven Befinden des ein-
zelnen Patienten angelegt werden müssen.
Die Indicationen für die Operation werden umsomehr denen bei
Pleuritis näher kommen, wenn bewiesen werden kann, dass die Ope-
ration mit derselben Leichtigkeit und vor allem mit der gleichen
Ungefährlichkeit ausgeführt werden kann, wie bei der Pleuritis. Und
dieser Beweis ist schon von verschiedenen Seiten geliefert; beson-
ders aber dürfte unsere Zusammenstellung der ausgeführten Opera-
tionen am meisten für die Unschädlichkeit des Eingriffs und dessen
Ungefährlichkeit sprechen. In keinem der angeführten Fälle ist
darch die Operation ein gefahrdrohender Zustand herbeigeführt
worden, in keinem kann der Tod als durch die Operation herbei-
geführt und beschleunigt angesehen werden. Selbst in den wenigen
Aasnabmen, in denen die Autopsie eine directe Verletzung des Her-
zens nachwies, kann dieselbe nicht als Todesursache betrachtet
werden.
Zum Schluss noch einige Worte über die Operationsmetho-
den, wie solche vorgeschlagen und ausgeführt wurden. Diese lassen
sich — mit Uebergehung einiger, veralteter unbrauchbarer Vorschläge
— in 3 Hauptgruppen eintheilen, nämlich :
1. Die Incision,
2. Incision mit Function,
3. Function.
Bei letzterer, der Function, lassen sich wiederum mehrere For-
DAen unterscheiden, je nachdem verschiedene Instrumente dabei in
Anwendung kamen, nämlich:
480 XXVI. filNDENLANO
1. die Panction mit dem Troikart,
2. die Panction mit der Hohlnadeli
beide mit oder ohne Aspiration.
Auch in den verschiedenen Formen der dabei angewendeten
Instrumente, ihrer Grösse, Dicke, Form finden sich mannigfache Ab-
weichungen.
Die Incision wurde in 7 Fftllen ausgeführt (1, 3, 4, 5, 16, 21,
22), indem successiv sftmmtliche Schichten durchtrennt und der Herz-
beutel dann angestochen wurde, oder indem der letztere etwas her-
vorgezogen und mit der Scheere eröffnet wurde.
Die Incision mit der Function combinirt wurde in 3 Fällen
(26, 36, 42) ausgeftthrt. Zuerst wurde der Herzbeutel freigelegt und
dann die Function mit dem Troikart vorgenommen.
Der Troikart kam 19 mal zur Anwendung. Zum Theil wur-
den dabei noch Apparate verwendet, die den Eintritt der Luft ver-
hindern sollten, wie der Schuh'sche Trogapparat, oder fthnliche
nach dessen Vorbild construirte Instrumente, oder es wurde ohne
solche Vorsichtsmaassregeln dem Exsudat freier Abfluss gestattet.
Zweimal wurde der Troikart auch mit dem Aspiratenr
in Verbindung gebracht Auch in unserem Fall wurde bei der 2. und
3. Function der Troikart an Stelle der zuerst verwendeten Hohlnadel
gesetzt.
Die Hohlnadel wurde nur in Verbindung mit dem Aspiratenr
gebraucht und in 11 Fällen in Anwendung gezogen.
Einmal (Fall 33) wurde die Fravaz'sche Spritze mit vergröa-
sertem Saugcylinder benutzt und bei jeder Füllung wieder aufs Nene
eingestossen.
Um den Nachtheil der scharfen Spitze der Hohlnadel oder des
Troikart und die Gefahr einer Verletzung des Herzens durch die-
selbe zu vermeiden, sind verschiedene Modificationen angegeben und
verwendet worden, von denen hier nur die von Fepper (The me-
dical News 1878. No. 423) Erwähnung finden möge. Derselbe con-
struirte eine Doppelhohlnadel, bei welcher nach dem Einstich
die innere mit der Spitze versehene. GanUle zurtlckgezogen wird, um
jede Möglichkeit einer Verletzung des Herzens auszuschliessen. Popper
wurde dazu wohl durch dieselbe Wahrnehmung veranlasst, weiche
Frof. Bäumler bestimmte, sich nach dem ersten Versuch mit der
spitzen Hohlnadel eines Troikarts mit zurtlckzuziehendem Stilet zu
bedienen, nämlich durch das Anstreifen der rauhen HerzoberflAche
an die Nadelspitze.
Dass die Function bei weitem am häufigsten in Anwendung
Paracentesis Pericardii. 481
gebracht wurde , spricht am meisten fttr die Brauchbarkeit und das
Bationelle der Methode, und wird dieselbe auch in Verbindung mit
der Aspiration , diesem ausgezeichneten unterstützenden Hülfsmittel,
in jedem Falle zu empfehlen sein. Ob nun diese letztere mit dem
Dieulafoy 'sehen Saugapparat, oder irgend einer anderen gut schlies-
senden Saugspritze ausgeführt wird, ist im Princip einerlei. Die gros-
sen Yortheile und Annehmlichkeiten der Aspiration werden wohl
keinem Zweifel unterliegen.
In einzelnen Fällen wurden nach Entleerung des Exsudats Aus-
spülungen oder Injectionen von Flüssigkeiten vorgenommen.
Aran injicirte mit günstigem Erfolge Jodtinctur, ebenso Moore,
Letzterer jedoch, ohne den Patienten retten zu können. Jürgensen
drainirte den Herzbeutel und machte öftere Ausspülungen mit ein-
procentiger Kochsalzlösung bei einer eitrigen Pericarditis.
Wichtig ist Tor Allem auch der Ort der Operation. Die ver-
schiedensten möglichen Gegenden am Thorax sind bereits empfohlen
worden, um den Herzbeutel zugänglich zu machen. In allen Fällen
wurde man von dem Gedanken geleitet, wichtige Gebilde zu schonen
und möglichst vor Verletzung zu schützen. Die meiste Furcht flösste
eine etwaige Verletzung der Art. mammaria interna, des Pleura-
raumes« der grossen Gefässe, der Lunge und namentlich des Herzens
selbst ein. Verschiedene Vorschläge, diese Gefahren zu umgehen,
haben blos historischen Werth, wie z. B. die Trepanation des Ster-
num, die Besection von Rippen, die Punction vom Epigastrium aus«
Die einzige für die Punction des Herzbeutels geeignete
Stelle findet sich in den Intercostalräumen , und ist auch in fast
jedem derselben, und zwar an den verschiedensten Punkten inner-
halb derselben die Punction schon vorgenommen worden.
Senac rietb zwischen 3. und 4. Rippe den Troikart einzusen-
ken; die Führungslinie des Instruments soll dann nach dem Pro-
cessus xyphoideus gerichtet längs den Rippenknorpeln den Herzbeutel
erreichen. Auch diese Methode soll hier blos ihres historischen Werthes
halber Erwähnung finden.
um speciell die Verletzung der Art. mammar. int. zu verhüten,
ist die Wahl der Einstichstelle innerhalb des Intercostalraumes noch
von besonderer Wichtigkeit. Gemäss dem Verlauf der Arterie kann
die Punctionsstelle entweder nach innen von derselben, d. h. median-
wärts, oder nach aussen, lateralwärts genommen werden. Beide Me-
thoden sind ausgeführt und empfohlen worden. Die erstere ist we-
niger oft geübt und auch, um obigen Zweck zu erreichen, die weniger
OenUches ArclüT f. klln. Medicln. XXIV. Bd. 31
482 XXYI. HiNDENLANO, Paracentesis PericardiL
sichere. Noth wendig würde bei der Wahl dieser Stelle sein, die
Nadel unmittelbar am linken Rand des Stemums einzusenken«
Ein weit grösserer Spielraum ist gegeben, wenn man die Ponetioo
nach aussen von der Arterie ausfahrt, nur differiren auch die
bei den verschiedenen Operationen gewählten Punkte um 1 — 3 Cm.
Nach den bisher gemachten Erfahrungen wird sich also von allen
Operationsmethoden die Function mit der Hohlnadel, oder
besser vielleicht mit dem Troikart, verbunden mit der
Aspiration am meisten empfehlen, und hat sich als Einstich-
stelle der 4., 5., 6. Intercostalraum je nach der Ausdehnung und
Gestalt der Herzdämpfung jeweils 3—4 Cm. nach auswärts vom lln-
ken Stemalrand als praktisch erwiesen.
XXVII.
Beitrag zur Keontniss der ^^psychomotorischen Centren^'
im Gehirn des Menschen.
Von
Br. F. Neelsen,
AasUtent un paibol. Institut der Universität Boeiock.
(ffierzu Tafel VII.)
Der Fall, welcher zu der nachstehenden Abhandlung die Veran-
lassung gegeben hat, ist leider nicht klinisch beobachtet worden.
Jedoch bietet der anatomische Befund zusammen mit den anamnesti-
Beben Daten ein in vielen Beziehungen so klares Bild und erlaubt
so manche interessante Schlussfolgerung, dass ich wohl hoffen darf,
die Veröffentlichung desselben werde ihr Scherflein zur Klärung der
Frage nach den Functionen der menschlichen Hirnrinde beitragen.
Am 20. Januar d. J. wurde an das hiesige Institut die Leiche eines
2 7 jährigen Mannes zur Section übergeben, welcher plötzlich im epilepti-
schen Anfall auf der Strasse gestorben war. Der Betreffende war nicht
in ärztlicher Behandlaog gewesen, und man war deshalb betreffs der Ana-
mnese über seinen Znstand in vita und ttber frtthere Krankheiten desselben
auf die Mlttbeilungen seiner Angehörigen angewiesen. Das Wenige, was
sich auf diesem Wege ermitteln Hess, ist Folgendes. Der Verstorbene war
unter ungflnstigen Verhältnissen unehelich (?) geboren und gleich nach der
Gebart als „ Ziehkind ** bei fremden Leuten untergebracht worden, bei wel-
chen er eine sehr mangelhafte Pflege genossen haben soll. Er soll gleich
nach der Geburt keine Krankheitssymptome dargeboten haben, soll vielmehr
gesund gewesen sein bis zum 2. Jahre, wo er anfing das Gehen zu lernen.
Um diese Zeit zeigten sich zuerst Störungen in der Motilität des
rechten Beins. Das Kind konnte auf demselben nicht stehen und bald
das Bein gar nicht mehr bewegen. Der Arm war zuerst intact. Erst
einige Zeit später (wie lange nachher liess sich nicht ermitteln) wurde
ancb die Hand und der Unterarm gelähmt. Es entwickelte sich
schnell eine Contractur der Hand und des Ellenbogens. Der Kranke
trug den Arm rechtwinklig gebengt, die Hand und die Finger in halber
BeugesteUnng und war ausser Stande, mit denselben irgend welche Be-
wegung auszuführen. Bewegungen im Schultergelenk waren möglich, aber
31*
484 XXVn. Neelsen
nur beschränkt. Während also der Arm unbrauchbar blieb, besserte
sich der Zustand des Beins insoweit, dass der Kranke mit Hfllfe
eines Stockes gehen lernte. Er vermochte den Fuss anzusetzen, soll sogar
zeitweilig sein ganzes Körpergewicht auf denselben haben stützen können (?).
Dabei fahrte er aber die Gehbewegungen mit demselben sehr nnvollständig
aus und schleifte ihn meist hinterher. Bei sonst kräftiger Entwicklung des
Körpers blieben der rechte Arm und das rechte Bein im Wachs-
thum zurück. Namentlich das geringe Wachsthum des Arms war den
Angehörigen auffällig, da die Verkürzung des Beines durch Neigang des
Beckens maskirt wurde. Lähmungen des Gesichts oder der Hals- und Rampf-
muskeln sollen nie bestanden haben. Ebensowenig Schielen oder Seb-
störungen. Auch das Auftreten von Krämpfen oder Zuckungen während
der Ausbildung der Lähmung oder in der nächstfolgenden Zeit wird von
den Angehörigen geleugnet
Der Kranke zeigte als Kind gute Begabung, lernte schnell sprecheo
und auch in verhältnissmässig kurzer Zeit fertig lesen und schreiben, letz-
teres natürlich mit der linken Hand. Er lebte während seiner ganzen Kind-
heit und auch als Erwachsener unter ungünstigen Verhältnissen in Kost
bei fremden Leuten. Nach der Pubertätszeit traten zuerst Krampfan*
fälle auf, welche vorher nicht beobachtet wurden. Diese AnfilUe werden
von den Angehörigen so beschrieben, dass der Kranke unter plötzlichem
Aufschreien umgefallen sei und Zuckungen bekommen habe. Dabei habe
sich reichlicher Schaum vor dem Mund gebildet, es sei häufig Erbrechen
eingetreten und nach einigen Minuten sei das Bewnsstsein zurückgekehrt,
ohne jede Erinnerung an das Vorgefallene. Ob die Zuckungen alle Extre-
mitäten oder nur eine Seite betroffen haben, war nicht zu eruiren. — Zum
Theil vielleicht in Folge dieser häufigen epileptischen Anfälle, zum Theil
in Folge unmässigen Alkoholgenusses verminderten sich die geistigen Fähig-
keiten des Kranken immer mehr, so dass er in den letzten Jahren seines
Lebens halb blödsinnig war. — Sein Tod erfolgte, wie schou oben bemerkt,
plötzlich, ohne vorhergegangene neue Krankheitszeichen, im epileptischen
Anfall
Die Sectlon ergab, wie in sehr vielen derartigen Fällen, betreffs der
nächsten Todesursache ein negatives Resultat: Reichliche Gerinnsel im
rechten Herzen, Lungenhyperämie, Hyperämie der Bauchorgane; ausserdem
die Zeichen des Potatorium, reichlichen Panniculus, massige Induration und
Verfettung der Leber und Nieren, starken Magenkatarrh mit oberflächlichen
Ulcerationen.
Dagegen ist das Ergebniss der Section von höchstem Interesse dadurch,
dass es über die anatomische Grundlage und das Wesen der oben nach
den Mittheilungen der Angehörigen geschilderten früheren Krankheit Aaf-
schluss gibt. — Ich theile den hierauf bezüglichen Theil des Sectionsbe-
richts zunächst ausführlich mit.
„ Kräftig gebauter männlicher Leichnam. Haut glatt, straff, am Rücken
und der Hinterfläche der Extremitäten, sowie im Gesicht, am Halse nnd
oberen Thorax mit lividen confluirenden Todtenflecken bedeckt Keine Starre.
Das rechte Bein kürzer als das linke, auch beträchtlich dünner. Das
Becken in einem Winkel von ca. 15^ nach rechts geneigt. Der rechte
Arm im Ellenbogengelenk rechtwinklig gebeugt. Die Beugung lässt sich
Psychomotorische Centren. 485
durch Zug nicht ausgleicheo. Sowohl der Ober- als der Unterarm
viel kürzer und dfinner wie die entsprechenden Theile links ^). Die
rechte Hand hängt in der für Extensorenliüimnng charakteristischen Weise
herab nnd ist beträchtlich kleiner als links.
«Schftd eidecken dick, normal. Das Schädeldach zeigt eine anfällige
Asynmietrie. Die ganze linke Hälfte desselben ist flacher, schmaler und
dem entsprechend von geringerem Rauminhalt als die rechte. Vermehrt
wird der Unterschied in der Capacität beider Hälften noch dadurch, dass,
während rechterseits der Schädel normale Dicke zeigt, links sich eine be-
trächtliche Verdickung der Knochenmasse mit Verschwinden der Diplofi
findet. Am ausgesprochensten ist diese Verdickung an der linken Hälfte
des Stirnbeins und an einer groschengrossen Stelle auf der Höhe des linken
Scheitelbeins dicht neben der Pfeilnaht. — Dura mater mit dem Schädel
etwas fester verwachsen ; in dem Sinus dunkle Gerinnsel und flüssiges Blut;
Pia blutreich, massig ödematös. — Das Gehirn zeigt entsprechend der
Schädelform gleichfalls ausgesprochene Asymmetrie ; die ganze linke Hälfte
des Grosshims ist kleiner, die Gjri flacher, namentlich an den Frontallappen
stark abgeplattet. Im Scheitellappen dicht hinter dem Gyrus postcentralis
eine narbige Einziehung mit stärkerer, weit ausgebreiteter Trübung der
Pia in der Umgebung. Ein Einschnitt zeigt an dieser Partie in der weissen
Substanz und an Stelle der grauen Rinde gelegen einen über kirschengrossen
abgekapselten Herd von weisser Farbe, welcher mit einem trockenen mörtel-
fthnlichen, beim Durchschnitt knirschenden Brei gefüllt ist. Das Gehirn
wird vorläufig nicht weiter zerschnitten. — Rückenmarkshäute unver-
ändert, Rückenmark von mittlerem Blutgehalt, zeigt makroskopisch eine
deutlidie Volumverschiedenheit beider Hälften; die rechte ist bedeutend
kleiner, namentlich die Seitenstränge erscheinen verdünnt; zugleich ist die
Zeichnung der grauen Substanz hier undeutlicher.*'
Gehirn und Rückenmark werden in Ammonium bichrom. und darauf
in Alkohol gehärtet und dann die weitere Untersuchung vorgenommen.
Dieselbe bezog sich zunächst auf die genaue Feststellung des Sitzes jenes
oben beschriebenen Herdes.
Wenn man die beiden durch einen Horizontalschnitt abgetrennten Hemi-
sphären, wie sie unsere genau nach der Photographie gezeichnete Abbildung
Figur 1 darstellt, mit einander vergleicht, so ftlllt sofort eine Asymmetrie
in der Configuration ihrer Windungen auf. Der leichteren Orientirung wegen
sind auf der Abbildung die einzelnen Lappen durch verschiedene Farben
bezeichnet, und zwar der Occipitallappen violett, der Parietallappen roth
und der Frontallappen blau. Man bemerkt ohne Weiteres, dass auf der
linken Seite der Parietallappen bedeutend verkleinert ist, und zwar durch
1) Die genauen Maasse betragen:
Obere Extremität r. 1. Untere ExtremltHt r. 1.
Länge vom Akromion bis Länge* v. d. Spin. ant. sup. bis
zum Epicondylus lateralis 28,0 38,5 zum Malleolus int. . 86,0 88,0
Länge vom Epicond. lat. bis Länge t. d. Gelenkspalte d.
zum Proc. styloid. radii . 23,0 27,0 Kniegelenks b. z. Mall, int 38,0 40,0
Umfang des Hnmerus, Mitte 24,0 29,0 Umfang des Femnr, Mitte 44,0 50,0
Umfang d. Unterarms, Mitte 22,0 27,0 „ der Wade (grösster) 31,5 36,0
486 XXYII. Neelsek
deo Ausfall eines medialen Theiles seiner Windungen. An Stelle dieses
Theiles findet sich eine tiefe Einsenkung, welche am frischen Gehirn, bei
intacter Pia nicht so auffällig war, da sie durch lockeres Bindegewebe tod
der Pia aus zum Theil ausgefüllt war; nach dem Abziehen der Pia tritt
sie deutlich hervor. Am Grunde dieser Vertiefung bemerkt man eine glatte
graue Fläche von derber Beschaffenheit, die Wand des verkalkten Herdes.
Eine Vergleichung der Windungen, welche diese Vertiefung umgeben, mit
denen der anderen Seite beweist, dass derselbe durch narbige Zusammen-
Ziehung eines in früherer Zeit grösseren Defectes entstanden ist. Man findet
nämlich wie von vorne und von den beiden Seiten her die noch erhalteoeo
Gyri nach der Stelle des Defectes hin verzogen sind. Am auffäUigstai ist
diese Verziehung an den Seiten. An der lateralen Seite sehen wir als
höchsten Punkt des linken Scheitellappens den Gyrus angularis (a); ein
Blick auf die rechte Hemisphäre zeigt, dass derselbe bedeutend medianwirts
und nach vom dislocirt ist, denn anstatt hinter dem Gyrus supramargi-
nalis sm und mit ihm in gleicher Höhe, wie auf der gesunden Seite, liegt
er hier medianwärts von demselben, direct an den mittleren Theil der Post-
centralwindung pc angrenzend. Fast ebenso stark ist die Verziehoog an
der medialen Seite. Es springt hier neben der Wand des Herdes eine in
der Abbildung grau gehaltene Windung vor, ein Theil des Praecnoens,
welcher auf der gesunden Seite in der Tiefe der Medianspalte liegt und
deshalb hier auf der Abbildung nicht zu sehen ist. — Aber auch an den
nach vorne gelegenen Theilen ist die Dislocation bemerkbar, und zwar er-
streckt sie sich hier nicht nur auf die zunächst angrenzenden Partien, son-
«lern äussert ihren Einfluss auf der ganzen Hemisphäre. Bei oberflächlicher
Betrachtung könnte man zu der Ansicht kommen, dass der Frontallappen
der linken Seite gegenüber dem der rechten hypertrophisch sei. Die Gea-
tralfurche liegt links weiter nach hinten, als rechts, und die Ausdehnuog
in der Sagittalen ist also in Wahrheit beträchtlicher. Eine genauere Ver-
gleichung lässt jedoch ohne Schwierigkeit erkennen, dass diese grössere
Längenausdehnung aufgewogen wird durch die Verminderung der Breite and
Höhe der Windungen. Wir haben hier denselben Process wie bei einem
in die Länge gezogenen elastischen Bande, welches entsprechend der Ver-
längerung in einer Dimension in den beiden anderen sich verkürzt. — Am
Occipitallappen ist die Verziehung am wenigsten deutlich, wohl aus dem
Grunde, weil der Defect genau mit der tiefen Spalte der Fissnra occipito-
parietalis abschneidet und demnach seine Contraction nur ein Klaffen dieser
Spalte bedingte, ohne sich in dem Maasse wie an anderen Stellen auf die
benachbarten Gyri selbst fortzupflanzen.
Die vorstehende Betrachtung der an den Defect angrenzenden Partien
ermöglicht es nun zugleich, die Ausdehnung der fehlenden Hirnpartien genau
zu bestimmen. Auch hier habe ich versucht, durch eine Farbenabstofong
die Orientirung auf der Abbildung zu erleichtern; es sind nämlich die er-
haltenen Partien auf beiden Scheitellappen roth ansgezeichnety während der
auf der linken Seite fehlende Theil rechts roth schraffirt ist. Wie ersicht-
lich entspricht dieser Theil genau dem Gyrus parietalis superiorpf
(nebst der angrenzenden Partie des Praecuneus). Diese Partie ist vollständig
zerstört, während die angrenzenden Theile abgesehen von ihrer Dislocatioo
verhältnissmässig wenig verändert sind. Nur der Gyrus postcentralis,
Psychomotorische Centren. 487
namentlich der obere Tbeil desselben, ist stärker alterirt, er erscheint ver-
schmälert, verschiedentlich geknickt und in abnorme Längsfalten gelegt.
Ansserdem ist anf der medialen Fläche der Hemisphäre der Lobulus
paracentralis^) bedeutend verkleinert, schmäler und flacher wie rechts.
Nachdem wir so über die Ausdehnung des Defectes an der Oberfläche
des Gehirns uns orientirt haben, ist als zweite Frage die nach der Aus-
breitung desselben in die Tiefe der weissen Substanz zu beantworten. Zur
Erläuterung dieser Verhältnisse soll die Figur 2 (Taf. VII) und die beiden
Schemata Figur 3 und 4 dienen. Die erstere ist genau nach dem Prä-
parat (Frontalschnitt in der auf Figur 1 mit * bezeichneten Linie) in natttr-
licher Grösse gezeichnet und zeigt den Herd, wie er in der Leiche zur Be-
obachtung kam, die beiden anderen in einen Sagittal- und Frontalschnitt
eines normalen Gehirns eingetragenen sollen die vermuthliche Ausdehnung
der frischen Zerstörung darstellen. Ich werde zu der am Schluss dieser
Abhandlung gegebenen detaillirten Erklärung dieser Abbildungen hier kaum
etwas hinzuzufügen brauchen. Das Wichtigste was dieselben zeigen sollen
ist einmal, dass die graue Rinde wirklich in der oben angegebenen Aus-
dehnung zerstört und nicht etwa nur verdrängt ist, wie das z. B. durch
einen von Dura oder Pia ausgehenden Tumor hätte geschehen können;
zweitens, dass der Herd, welcher ja allerdings recht weit in die weisse
Markmasse hineinragt, doch die grossen Ganglien sowie die Capsula interna
nicht erreicht. — £s finden sich in diesen Theilen nur geringe und erst
bei genauerer Aufmerkß&mkeit bemerkbare Veränderungen, und zwar be-
treffen dieselben nur das eigentliche Corpus striatum und die innere Kapsel.
Die letztere ist links deutlich schmäler als rechts, ohne jedoch eine Ver-
änderung ihrer Farbe darzubieten, und ebenso erscheint der linke Nucleus
caudatUB, namentlich an seinem vorderen Ende, etwas verkleinert. Dagegen
sind die Linsenkerne und der Thalamus opticus auf beiden Seiten gleich.
Die mikroskopische Untersuchung zunächst des Herdes selbst
ergibt, dass der mörtelartige Brei im Inneren desselben zum grössten Theil
aas Kalkkörnern und Cholesterinkrystallen besteht, untermengt mit sehr
spärlichen krystallinlschen Hämatoidinmassen. Gewebselemente lassen sich
Dicht nachweisen ausser einzelnen verzweigten Kalkbälkchen, welche nach
Salzsänrebehandlung ein undeutlich faseriges Gerüst organischer Substanz
zurücklassen und die deshalb wohl als obliterirte verkalkte Gefässe zu deuten
sind. — Dieser Brei ist umschlossen von einer festen Kapsel, deren Innen-
fläche durch ein derbfaseriges zellenarmes Bindegewebe mit reichlichen ein-
gelagerten Kalkkörnern gebildet wird. Nach aussen zu wird dieses Ge-
webe zellenreicher und lockerer; es finden sich ziemlich zahlreiche, zum
Theil etwas erweiterte Gapillaren und zwischen ihnen erst spärliche, dann
immer reichlichere Pinselzellen, mit ihren Fortsätzen dicht ineinander gefilzt.
t) Mit diesem in der deutschen Nomenclatur bisher noch nicht völlig einge-
bürgerten Namen bezeichnen die ausländischen Forscher, namentlich die Franzosen
und Italiener diejenige Rindenpartie, welche die Centralfurche medianwärts be-
grenzt, also die obere resp. mediale Commissur der beiden Centralwindungen.
(vergl. Charcot, lieber die Localisationen des Gehirns. Deutsch von B. Fetzer.
Stattgart 1S7S. S. 38.) Ich werde der Kürze halber diese Bezeichnung im Fol-
genden immer anwenden.
488 XXVn. Neelsen
Diese Zellenmasse geht ohne scharfe Grenze in das benachbarte Hinge»
webe über.
Dieses selbst zeigt an den verschiedenen Stellen eine verschiedene Be-
schaffenheit. Während die Strnctur der lateralwärts dem Herde aufgelager-
ten Gyri (Gyr. angularis und supramarginalis) keine bemerkenswerthe Ab-
weichung von der Norm zeigt, sind die noch erhaltenen Reste des Prae-
cuneus, namentlich aber die Postcentralwindung und der Lobus
paracentralis in ihrem histologischen Bau hochgradig verändert. Das
Gewebe derselben erscheint sowohl in der eigentlichen Rindensubstans wie
in der unter ihr liegenden weissen Markmasse derber und viel kemreieher
als auf der gesunden Seite. Weit auffälliger als diese Veränderung ist die
Atrophie der Ganglienzellen. Von den Betz'schen ^) Riesenpyramiden lisst
sich in den beiden genannten Windungen der linken Seite keine einzige mehr
nachweisen, während sie rechts an den entsprechenden Stellen sehr schdii
ausgebildet erscheinen. Es finden sich zwar auch auf der linken Seite noch
Ganglienzellen, namentlich in den oberen Schichten der Rinde; jedoch sind
dies entweder runde Formen, ohne Fortsätze 2), oder kleine Pyramideo,
welche in einer eigenthttmlichen Weise degenerirt erscheinen. Unsere Figur 11
(Taf. VU) gibt ein Beispiel dieser Veränderung. — Dieselbe entspricht ziem-
lich genau dem von Meyer 3) beschriebenen Schrumpfungsprocess bei De-
mentia paralytica. Unter zunehmender Verkleinerung der Zelle, besonders
in ihrem Breitendurchmesser, wird das Protoplasma erst grobkörnig, stark
lichtbrecbend ; der Kern wird durch diese Veränderung des Protoplasma
verdeckt. „Endlich schwindet das Protoplasma ganz und Kern und Zelle
verschmelzen zu einer schmalen sehr resistenten Scholle, welche indess io
ihren Fortsätzen noch ihren Charakter als ehemalige Ganglienzelle bewahrt
hat. ^ Verfettung, Pigmentablagerung oder Verkalkung ist in keiner dieser
Zellen nachzuweisen.
Einen lebhaften Contrast gegen dieses Bild vollständiger Zerstörung
bietet die Betrachtung von Schnitten aus der Präcentralwindung. Ob-
gleich diese makroskopisch auch atrophisch scheint, bedeutend schmäler und
flacher als die entsprechende Windung der rechten Seite, so ergibt doch
die mikroskopische Untersuchung keinerlei Unterschied zwischen beiden. Die
Betz 'sehen Zellen sind vielleicht auf der linken Seite etwas spärlicher vor-
handen, aber die, welche gefunden werden, sind in ganz derselben Weise
entwickelt, sowohl was ihre Grösse, wie was die Zahl und Länge ihrer
Fortsätze anbelangt, wie rechts. S. Figur 12.
Die an den Herd angrenzende weisse Substanz zeigt überall ein mehr
derbfaseriges Aussehen und einen grösseren Reichthum an Zellen. Jedoch
fehlen alle Zeichen, aus denen man auf eine frische Entzündung oder fort-
schreitende Erweichung schliessen könnte.
Hiermit wäre also die Beschreibung des mikroskopischen Befundes sd
dem Herd und in dessen nächster Umgebung beendet; es erübrigt noch
das Ergebniss der Untersuchung an den entfernteren Theilen des Gentral-
1) Betz, Gentralblatt für die med. Wissensch. Jahrg. 1874.
2) Vergl. Meynert, Vom Gehirn der Säugethiere. Stricker's Handb. Bd. n.
3) Die pathologische Anatomie der Dementia paralytica. Virchow*B Archiv.
Bd. 58. B. 300.
Psychomotorische Centren. 489
nervensystems kurz za schildern. In Bezog anf das Rückenmark be-
stätigte die mikroskopische Beobachtung die schon bei der Section gestellte
Diagnose auf secundftre (absteigende) Degeneration der Pyramiden-
bahnen der rechten Seite, d. h. es fand sich in diesen Bahnen eine Wuche-
ruDg des interstitiellen Bindegewebes verbunden mit Schwand der Nerven-
fasern. In den Figuren 6 — 9 sind die so veränderten sklerotiBchen Stellen
durch rothe Farbe angedeutet. 0 Ein Blick auf diese Figuren zeigt jedoch,
dass neben dieser Veränderung noch eine weitere Anomalie vorhanden ist,
nämlich eine Hypoplasie der weissen Seiten stränge rechts, sowie
der weissen Vorderstränge links. Die betreffenden Partien erscheinen
beträchtlich dtinner wie die entsprechenden der anderen Seite, und zwar
auch an den Stellen, wo keine Degeneration sich findet, wo also
keine früher vorhandenen Fasern ausgefallen sein können.^) Besonders auf-
flilig ist dies an den linken Vordersträngen der Figuren 6 und 9 (Taf. VII),
sowie an den rechten Seitensträngen der Figuren 7 und 8. Auffällig ist
es, dass die graue Substanz des Rückenmarks an dieser Hypoplasie resp.
Atrophie nirgends theilnimmt, wenigstens soweit sie aus Ganglienzellen be-
steht. An keinem Querschnitt ist irgend eine Abweichung von der Norm
weder in Bezug auf die Grösse noch auf die Form und Anzahl der Gang-
lienzellen in den Vorder- und Hinterhörnern beider Seiten nachzuweisen.
Es erscheint allerdings auf den Querschnitten in Figur 7 und 8 die graue
Masse des rechten Vorderhorns kleiner als die des linken. Ob dieses
Bild durch Zerrung in Folge der Atrophie der weissen Stränge entstanden
ist, oder durch den Ausfall von Nervenfasern in der grauen Substanz selbst,
lasse ich dahingeatellt. Eine Atrophie oder Degeneration der Ganglienzellen
ist an diesen Stellen ebensowenig nachzuweisen wie eine Verminderung ihrer
Zahl. Was die Degeneration der weissen Stränge betrifft, so wird gleich-
falls ohne Weiteres aus der Betrachtung der Figuren erhellen, dass die-
selbe sich nicht über das gesammte System der Pyramidenbahnen erstreckt,
sondern auf jedem Querschnitt nur einen Theil derselben einnimmt. Dabei
ist noch ein Umstand auffällig^ dass nämlich in der Hals- und Lendenan-
schwellung die degenerirten Fasern nur in den Seitensträngen (den gekreuzten
Pyramidenbahnen nach Flechsig) verlaufen, während im Brustmark ein
Theil derselben auf die entgegengesetzten Vorderstränge (die nngekreuzten
1) Die betreffenden Abbildungen, welche Querschnitten der Halsanschwellung,
des mittleren Brustmarks, des unteren Brustmarks an der Grenze des Lumbal-
marks und der Lendenanschwellung entsprechen, sind mit dem Zeichenprisma bei
3facher Vergrösserung gezeichnet Die Dimensionen der einzelnen Theile, sowie
der degenerirten Partien entsprechen genau denjenigen in den betr. Präparaten.
2) Natürlich wird jedes Fasersystem, von dem ein Theil sklerotisch degenerirt
ist, in toto verdünnt erscheinen. Diese Verdünnung wird aber immer der Menge
der ausgefallenen Fasern entsprechen , oder vielmehr etwas weniger betragen , als
man nach der ausgefallenen Faserzahl erwarten könnte, da das wuchernde Binde-
gewebe den leeren Raum zum Theil ausfüUt Ist die Verdünnung grösser, als man
nach der Ausdehnung der degenerirten Partie erwarten muss, oder findet sich
eine solche, ohne dass eine absolute oder relative Vermehrung des Bindegewebes
nachgewiesen werden kann, so wird man daraus den Schluss ziehen dürfen, dass
an dieser Stelle überhaupt weniger Fasern gebildet worden sind.
490 XXVn. Nbei^en
Pyramidenbahnen) übergeht. Eine BrklärnDg dieses eigeDthümlichen Ver-
haltens vermag ich nicht zu geben.
Nach oben nach der MeduUa oblongata läset sich die Degeneration
ohne Unterbrechung verfolgen. Sie ist hier, wie Figur 5 zeigt, in der Höhe
der Oliven sehr deutlich ausgesprochen und bleibt so deutlich während des
Verlaafes durch die ganze Brücke bis in den linken Orosshirnsclienkel.
Hier nimmt sie die laterale Partie der Basis ein. Im Gehirn selbst, in
der als Capsula interna bezeichneten Ausstrahlung der motorischen Bahnen
ist es mir nicht mit Sicherheit gelungen, eine Degeneration nachzuweiseo,
obwohl diese Partie links dem unbewaffneten Auge atrophisch erschien; nnd
es erscheint mir überhaupt fraglich, ob unsere jetzigen Methoden der Unter-
suchung es ermöglichen, bei dem eigenthümlichen Bau dieses Gebietes <)
degenerirte Faserzüge mit Sicherheit zu unterscheiden. In dem linken
Corpus striatum, sowie in den Linsenkemen und dem Thalamus opticus
der linken Seite ist eine Veränderung der Stmctur nicht vorhanden. —
Dagegen muss ich noch einer anderen Veränderung in der linken Seite des
Gehirns Erwähnung thun. Auf Horizontalschnitten durch das untere Ende
des Herdes in der linken Hemisphäre, welche zugleich einen Theil des
Thalamus opticus und den Eingang in das linke Unterhom treffen (s. Fig. 13),
bemerkt man eine circumscripte etwas über linsengrosse Anhäufung stern-
förmiger Ganglienzellen, welche vollständig verkalkt sind. Figur 14 unserer
Tafel gibt ein Bild dieser Veränderung, wi6 es bei starker Vergrössening
sich darstellt. Der Zellkörper ist nicht verkleinert, die Gestalt noch an-
nähernd erhalten, wenigstens die zahlreichen Fortsätze noch deutlich er-
kennbar. Das Protoplasma der Zelle, sowie die Fortsätze dicht mit groben
Kalkkömern gefüllt, zwischen denen in einigen Zellen der Kern noch zn
erkennen ist; in der Mehrzahl scheint er zu Grunde gegangen zo sein.
Diese verkalkte Ganglienzellmasse ist sowohl von dem Herd in der Hemi-
sphäre, wie von dem eigentlichen Thalamus opticus durch normale weisse
Substanz geschieden. Ob sie zu dem Thalamus opticus hinzuzurechnen ist,
oder ein besonderes Gebilde darstellt, ist mir nicht bekannt; einen eigenen
Namen besitzt sie meines Wissens nicht. Jedenfalls scheint die Degene-
ration und Verkalkung derselben mit der Bildung des grossen Herdes in
keinem causalen Zusammenhang zu stehen, wie man anzunehmen geneigt
sein könnte; sie scheint vielmehr das Resultat eines davon unabhängigen
(vielleicht gleichzeitigen) encephalitischen Processes zu sein, denn bei Schnit-
ten, die in einer etwas tieferen Horizontalebene geführt sind, wie der ab-
gebildete, findet man nicht nur die Ganglienzellen allein verkalkt, sondern
auch das zwischen ihnen und in ihrer nächsten Nähe liegende Gewebe mit
Kalkkömern durchsetzt und in ein lockeres Gerüst umgewandelt, wie es
Huguenin^) als Narbe nach Encephalitis beschreibt. — Da dieser, wie
gesagt, etwa linsengrosse Herd ein Gebiet betrifft, dessen Function bisher
nicht bekannt ist, welches jedoch mit den motorischen Bahnen in keinem
localen und vermuthlich auch in keinem functionellen Zusammenhang steht,
werden wir denselben in der Epikrise unberücksichtigt lassen.
1) Vergl. Henle, Anatomie. 2. Aufl. III. 2. S. 263 ff.
2) Encephahtis. v. Ziemssen's Handbuch. Bd. XI. 2. S. 642.
Psychomotorische Centren. 491
Fassen wir die vorstebende Untersuchung kurz zusammen, so
finden wir als Resultat:
Alter, abgekapselter Herd in der linken Hemisphäre als Rest
einer m früher Jugend aufgetretenen Affection mit Zerstörung des
Gyrus parietalis superior und Atrophie des oberen Theils der Fast-
centralwindung, sowie des Gyrus paracentralis, Lähmung zuerst des
rechten Beines, dann des rechten Arms^ im ersteren sum Theil aus-
geglichen, im letzteren persistirend. — Atrophie der gelähmten Ex-
tremitäten, Atrophie des rechten Seitenstranges und des linken Vor-
derstrangs im Rückenmark. Absteigende Degeneration der Pyramiden-
bahnen,
Epikrise. Die Frage, welche uns bei der Epikrise zunächst
beschäftigen muss, ist die nach dem Wesen der ursprünglichen Krank-
heit Wäre der Kranke in vita zur ärztlichen Beobachtung gekom-
men, 80 hätte man vielleicht die Diagnose auf eine abgelaufene
n acute vordere Spinalparalyse*' stellen können. Das Auftreten der
Krankheit in frtther Jugend (im 2. Jahr), die plötzliche Lähmung,
die Atrophie der gelähmten Glieder hätten ja fflr eine solche Dia-
gnose gewisse Anhaltspunkte gegeben. Nach dem anatomischen Be-
fund kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die primäre Krank-
heit ihren Sitz im Gehirn gehabt hat und dass die Veränderungen
im Rückenmark nur secundäre sind. Welcher Art diese primäre
Gehimaffection gewesen, lässt sich nun freilich aus dem anatomischen
Bilde nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen. Es würden hier
zunächst 2 Fälle in Frage kommen, nämlich langsame Zerstörung
durch einen Tumor oder Zerstörung durch einen acuten Process.
Das erstere dürfte sich mit Bestimmtheit ausschliessen lassen. So--
wohl beim Gumma wie beim Tuberkel würde man auch in anderen
Oiganen Symptome der Krankheit erwarten dürfen; diese fehlten
aber in unserem Fall vollständig. Beim Gumma wäre die Verkal-
kung, beim Tuberkel die Abkapselung auffällig, ausserdem aber die
Bildung von Cholesterin in beiden Fällen dem gewöhnlichen Verlauf
widersprechend. Endlich wäre auch die anamnestische Angabe, dass
die Lähmung des Beins plötzlich aufgetreten sei , mit der Annahme
eines Tumors kaum in Einklang zu bringen.
Bei einer acuten Affection sind dagegen alle diese Erscheinun-
gen ganz gewöhnlich ; der plötzliche Eintritt der motorischen Störung,
die Bildung einer Kapsel um die zerstörte Himpartie, Anhäufung
von Kalk und Cholesterin im Inneren derselben, endlich die Ver-
kleinerung und narbige Contraction des ganzen Herdes mit Disloca-
492 XXVU. Neelsen
tion der umgebenden Partien. Es bat für unseren Fall keine Be-
deutung, ob dieser acute Process eine Hämorrbagie, eine iacbfimische
Erweicbung, oder ein entzttndlicber Vorgang gewesen. Gegen das
erste scbeint die geringe Menge des Pigmentes, gegen das zweite die
Ausbreitung über die Orenze eines einzigen Gefässterritorinm ^) hin-
aus zu sprecben , und wir neigen uns um so mebr der letzten An-
nabme zu, als schon von Simon 2) idiopatbiscbe Encephaliten bei
Kindern beschrieben sind.
Mag man diese letztere Annahme zugeben oder nicht, jedenfalls
wird man zugestehen müssen, dass im vorliegenden Fall eine acute
Zerstörung einer circumscripten Rindenpartie im Gehirn
stattfand, dass also Bedingungen vorlagen, wie sie in ganz ähnlicher
Weise schon so oft durch das Experiment herbeigeführt worden sind.
Jedoch unterscheidet sich dieses Experiment der Natur dadurch in
vortheilhafter Weise von den künstlichen, dass die Zerstörung cir-
cumscript blieb und dass das Lieben nach der Verletzung viele
Jahre lang fortdauerte. Es ist bis jetzt meines Wissens noch Nie-
mandem gelungen, namentlich bei Experimenten an jungen Thieren,
den Effect der Verletzung auf Jahre hinaus zu verfolgen, während
bei unserem Kranken nach dem Eintritt der Zerstörung bis zum Tod
noch nahezu ein Vierteljahrhundert verging. Hätte man während
dieser Zeit eine Kenntniss von den im Gehirn vorliegenden Processen
haben und dementsprechend genaue Beobachtungen machen können,
so würde der Fall dadurch wahrscheinlich einen ungemein hohen
Werth für die Lösung der Frage nach den Functionen des Menschen-
hims gewonnen haben. Leider fehlen derartige Beobachtungen, nnd
die wenigen Angaben der Angehörigen geben uns über eine Beihe
der wichtigsten Fragen, über die sensiblen Functionen an der der
Verletzung entgegengesetzten Körperhälfte, über den Muskelsinn, Aber
die tactische Fähigkeit des Kranken gar keine Auskunft Jedoch
stehen uns immerhin einige positive Angaben zu Gebote, die wir ans
dem Grunde als wissenschaftliche Momente verwerthen können, weil
durch den anatomischen Befund die Richtigkeit derselben bestfttigt
wird.
Betrachten wir zunächst die einzelnen hiemach constatirten
Functionsstörungen im Vergleich mit den Ergebnissen analoger Ex-
perimente.
Das erste Symptom, welches wir hier zu beachten haben, sind
die Lähmungen der Extremitäten an der der Läsion g^nflber
1) YergL die Abhandlung von Dur et. Archives de physiol. 1874.
2) Yirchow's Archiv. Bd. 52. S. 103.
Psychomotorische Centren. 493
liegenden Seite. Diese Erscheinung widerspricht den durch das
Thierexperiment gemachten Erfahrungen. Wir wissen durch die zahl-
reichen Untersuchungen von Fritsch, Hitzig 0» Goltz^); Noth-
nagel'), Albertoni^), Soltmann^), Lussana und Lemoigne^),
Ferrier'^) und vielen anderen ForscherUi dass es nicht möglich ist,
beim Thier durch Verletzung der Hirnrinde Lfthmungen zu erzeugen,
dass sich vielmehr, sobald nicht die grossen Ganglien oder die innere
Kapsel mit afficirt sind, immer nur nebensächliche und weniger auf-
fällige Störungen der Motilität bemerkbar machen, Verlust des Muskel-
sinnes, Ataxie, und dass auch diese Störungen in den meisten Fällen
nach kurzer Zeit sich ausgleichen, so dass das betrefifende Thier von
einem unverletzten nicht mehr zu unterscheiden ist. Nur nach sebr
ausgedehnten Verletzungen hat man ein Fortbestehen der Störung
während längerer Zeit beobachtet. — Gegenüber diesen Resultaten
an Thieren steht nun aber eine sehr grosse Zahl klinischer Beob-
achtungen von den ersten Neuropathologen unserer Zeit, welche mit
der grössten Bestimmtheit den Nachweis liefern, dass beim Menschen
das Verhalten ein anderes ist, dass hier nach Zerstörungen der so-
genannten psychomotorischen Partien der Hirnrinde die Lähmungen
der gegenüberliegenden Extremitäten ein ganz gewöhnliches, nur in
wenigen Fällen fehlendes Symptom darstellen, und dass ferner in
einer grossen Zahl der Fälle diese Lähmungen nicht wieder ausge-
glichen werden, sondern constant bleiben und zu Contracturen führen.
Ich will aus der ungemein grossen Zahl der Arbeiten hierüber nur
die wichtigsten Zusammenstellungen grösserer Beobachtungsreihen,
die Schriften von Charcot®), Pitres^), Bourdon^o) und Mara*
1) Untersuchungen über das Gehirn. Berlin 1874. Berliner klin. Wochen-
schrift. XL Jahrg. Nr. 6. yolkmann*s Klinische Vorträge. Nr. 112.
2) Verrichtungen des Grosshims. PflQger*B Archiv. XIII.
3) ExperimenteUe Untersach. über die Functionen des Gehirns. Yirchow's
Archiv. Bd. 57 u. 58.
4) Rendiconto della ricerche sperimentali eseguite nel gabinetto dl fisiologia
della R. universita di Siena. MilAno 1S76.
5) Exper. Studien über die Functionen des Grosshims der Neugeborenen.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. IX. 1876.
b) Sui centri encefalici di movimento. Lo Sperimentale 1877. 4 u. 5.
7) Functions of the brain. Deutsch von Obersteiner. Braunschweig 1879.
8) Gazette m^dicale de Paris. 1876. No. 32.
9) Ibidem. 1877. No.3 et 5. Femer Gharcot et Pitres, Contribution k
Tetude des localisations dans Töcorce des h^misph^res du cerveau. Revue men-
BueUe 1877. No. 1-6.
10) Bullet, de Tacademie. Oct. 1877.
494 XXVn. Neelshm
gliano^) nennen. — Es feUt uns jedoch trotz der grossen Zahl der
Beobachtungen bis jetzt eine genügende Erklfirung ftlr diesen Wider-
spruch im Verhalten des menschlichen und thierischen Gehimg.
Wenn Broadbent^) in Bezug hierauf auf der internationalen Aente-
Versammlung in Genf seine Meinung dahin aussprach, dass das Thier-
gehirn nur Gentren ftlr das Tastgeftthl, das menschliche dagegen wirk-
lich motorische Gentren in der lUnde besitze und zwar weil der Mensch
so viel höher organisirt sei, so ist damit nur eine Umschreibung dw
Thatsache gegeben, während diese selbst so räthselhaft bleibt wie
sie war. — Am genauesten hat sich G bar cot mit dieser Frage be-
schäftigt und es ist ihm gelungen, auf Grund einer grossen Reihe
klinischer Beobachtungen die Ausdehnung der Verletzung festzustel-
len, welche erforderlich ist, um eine andauernde Lähmung herbeiza-
führen. Als den hierfür wichtigsten Punkt bezeichnet er den Lobulos
paracentralis. Nur wenn ein Zerstörungsherd von den Gentralwin-
dungen auf den Lobulus paracentralis übergreift, ist ein allmähliches
Sichausgleichen der Lähmungen unmöglich, es tritt in diesen Fällen
eonstant Gontractur der gelähmten Extremitäten, absteigende Dege-
neration des Rückenmarks und Atrophie der inneren Kapsel auf. Es
ist mit dieser genaueren Localisation die Frage ihrer Lösung natfir-
lieh um einen Schritt näher gebracht, wenngleich eine definitive
Lösung erst durch Experimente an höheren Thieren und sorgfältigere
Beachtung der auf der medialen Fläche der Hemisphären Hegenden
Gyri erwartet werden darf.
In unserem Falle weichen übrigens die motorischen Symptome in
mehrfacher Beziehung von den gewöhnlich beobachteten ab. — Eine
solche Abweichung könnte man zunächst schon in der Localisation
der Lähmung finden. Es waren hier Bein und Arm gelähmt bei
einer Affection, welche den oberen Scheitellappen zerstörte und den
Gyr. paracentralis sowie den oberen Theil des Gyr. postcentralis zur
Atrophie brachte, während der Gyr. praecentralis frei blieb.
Nach der in Deutschland bisher am meisten in Ansehen stehenden
Auffassung von Hitzig, welcher die motorischen Centren für den
Arm ausschliesslich in die Präcentral windung verlegt, wäre in die-
sem Fall gar keine, oder nur eine Lähmung der unteren Extremität
zu erwarten gewesen. Hitzig hat selbst eine klinische Beobachtung
zur Stütze, seiner Ansicht mitgetheilt ^) und es ist seitdem mehrfach
1) Le Localizzazione motrici neUa corteccia cerebrale, studiate specialmente
dal lato clinico. Rivista sperimentale di freniatria e di med. leg. Anno lY. hac 1.
2) Gazette m^d. de Paris. 1877. No. 39.
3) Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Bd. III. Heft 2.
Psychomotorische Centren. 495
eonstatirt worden; dass bei Läsionen der Fräcentralwindung ausser
Facialisstörangen auch motorische Störungen des Armes und der Hand
eintraten. Ich erwähne hier nur die Beobachtung von Stark 0 und
die erste Beobachtung von Beyer 2). — Trotzdem scheint jedoch
diese von Hitzig und seinen Anhängern vertretene Ansicht eine
irrige zu sein, und dürfte dieselbe wohl bald zu Gunsten der von
Ferrier vertretenen aufgegeben werden. Ferrier ist durch seine
Experimente am A£fen zu dem Resultat gekommen , dass die moto-
rischen Gentren für die Extremitäten beim Menschen weiter nach
hinten gelegen seien. Nach ihm 3) wären die Gentren für die ein-
fachen Bewegungen des Armes und der Hand in der Postcentral-
Windung zu suchen und die für das Bein in der oberen Pa-
rietalwindung. Der Präcentralwindung will er ausser den Gentren
für das Facialisgebiet nur einen Einfluss auf complicirte erlernte
Bewegungen der Extremitäten (Schwimmen, Klettern, Greifen nach
entfernten Gegenständen u. s. w.) zuweisen. Diese Ansicht stimmt
mit der weitaus grösseren Zahl der klinischen Beobachtungen viel
besser überein, als die Hitzig'sche. So findet sich in den oben
citirten Zusammenstellungen von Gharcot und Pitres, Bourdon
undMaragliano eine grosse Zahl von Fällen, fast ein Drittel aller
beobachteten, in welchen die Rindenläsion die Gentralfurche nach
Yorne nicht überschritt und in denen doch Lähmungen des Armes
vorhanden waren.
Von einzelnen Beobachtungen wären hier anzuführen der Fall
von Seeligmüller ^) (Tumor der Postcentral Windung) und der zweite
Fall von Beyer^) (Tumor der vorderen und hinteren Gentral Win-
dung), obwohl Beyer selbst diese beiden Fälle freilich in etwas ge-
künstelter Weise als Beweise für die motorische Function der Prä-
centralwindung allein darzustellen sucht. Ferner eine Beobachtung,
welche Riebet in seinem Werk^) erwähnt (Tuberkel in der Post-
centralwindung , Paralyse des Armes), sowie aus der neuesten Zeit
die beiden von Vetter^) veröffentlichten Fälle (Gliom des Lob. pa-
rietalis superior, Lähmung der Extremitäten, und Erweichung der
Parietal Windungen und der Postcentralwindung mit Bewegungsstörun-
1) Berliner klin. Wochenschrift. 1874. Nr. 33.
2) Beitrag zur Pathologie der Grosshinuinde. Arch. d. Heilk. Bd. 19. S. 97.
3) Yergl. die AbbilduBg Fig. 63. S. 338 in dem oben citirten Werk.
4) Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Bd. VI. Heft 3.
5) 1. c. S. 110.
6) Structure des circonvolutions cerebrales. Paris 1878.
7) Dieses Archiv. Bd. XXU. S. 394.
496 XXYIL Neelsen
gen des Armes und Beines) und die Beobachtung, welche Bern-
hard 0 jtlngst in der Sitzung der Berliner medicinisehen Gtosdlschaft
mittheilte (Abscess des Parietallappens — Lähmung des Armes und
Beines). Unser Fall wQrde sich diesen ohne Weiteres anreihen lassen,
da er, was die Localisation der Lähmung anlangt, vollständig mit
dem Ferrier'schen Schema übereinstimmt.
m
Anders verhält es sich mit dem Verlauf der Lähmung.
Dieser erscheint zunächst im höchsten Grade auffällig und unerklär-
lich. Während das motorische Oentrum für das Bein (der obere Pa-
rietallappen) vollständig zerstört ist, während das Centrum ftlr den
Arm zwar stark atrophisch, aber doch nicht völlig vernichtet ist,
wird die Lähmung des Beines bis zu einem gewissen Grade rftck-
gängig, der Kranke vermag auf demselben, wenn auch unvollkom-
men, zu gehen und es tritt keine Gontractur ein, die Lähmung des
Arms dagegen bleibt bestehen und ftlhrt zu Gontractur und völliger
Unbrauchbarkeit des Gliedes. Vielleicht könnte eine Beobachtang
Soltmann's^) zur Deutung dieser eigenthttmlichen Erscheinung an-
geführt werden. Soltmann fand bei einem jungen Hunde, welchem
er das motorische Centrum der einen Hemisphäre exstirpirt hatte,
dass nach einiger Zeit von dem noch erhaltenen Centrum doppel-
seitige Bewegungen ausgelöst werden konnten. Es war also hier
das noch erhaltene Centrum .der anderen Seite für das zerstörte vica-
riirend eingetreten. Bei etwas älteren Thieren zeigte sich keine Spnr
einer derartigen vicariirenden Function. Aus dieser Beobachtung
scheint hervorzugehen , dass ein Ausgleich in dieser Weise nur zu
Stande kommen kann in frühester Jugendzeit, das heisst in der Zeit,
in welcher die Centren der Binde noch nicht völlig entwickelt und
ihre Verbindungen mit den motorischen Bahnen noch nicht definitiv
geknüpft sind. Dieser Zustand würde beim Menschen nach Solt-
mann den Zeitraum vom Beginn des sechsten Monates bis zum Ende
des zweiten Jahres umfassen. Darnach wäre in unserem Falle die
Läsion der Hirnrinde gegen das Ende jenes Zeitraumes eingetreten,
und wenn wir die Soltmann 'sehen Ausführungen als richtig aner
kennen, so erscheint es leicht erklärlich, ja fast selbstverständlich,
dass bei dem Bein, dessen Centrum plötzlich zerstört wurde, noch
ein theilweiser Ausgleich mit Hilfe des Centrums der anderen Seite
möglich war; während die Zerstörung des Centrums für Arm und
Hand, welche erst später in Folge der narbigen Contraction eintrat,
in eine Zeit fiel, wo die motorischen Centren schon zu fest fixirt
1) Berliner klin. Wochenschrift. 1879. Nr. 9. 2) 1. c. S. 129 ff.
Psychomotorische Centren. 497
waren und einem Ausgleich unüberwindliche Hindernisse entgegen-
standen. Allerdings war auch fttr die Bewegungen des Beines der
Aasgleich kein YoUständiger. Wenn auch die rohe Kraft sich zum
grösseren Theil restituirte, so blieb doch die tacüsche Ffthigkeit (und
der Muskelsinn?) weit hinter der Norm zurflck. Der Kranke war
im Stande den Fuss anzusetzen und sich darauf zu stützen, er führte
aber trot^em die Oehbewegungen mit demselben sehr mangelhaft
ans, schleifte ihn gewöhnlich hinterher, zeigte aber in dieser Be-
ziehung ein ähnliches Verhalten wie der Hund, dem eines der psycho-
motorischen Centren zerstört ist.
Auffällig könnte es erscheinen, dass in der Anamnese das Auf-
treten von Gonvulsionen zu der Zeit als die Krankheit sich
ausbildete, nicht erwähnt wird, und ich möchte in dieser Hinsicht
auf die Angaben der Angehörigen kein grosses Gewicht legen. Das
Kind befand sich zur Zeit seiner Erkrankung bei Fremden, war also
der Beobachtung der Eltern und Angehörigen nur zeitweilig zugäng-
lich, und es scheint mir die Möglichkeit nahe zu liegen, dass die
Pfl^er etwa vorhandene, anfallsweise auftretende Convulsionen den
Angehörigen zu verbergen bestrebt waren und dies auch vermochten,
während sie nicht im Stande waren die fortschreitende Lähmung zu
verheimlichen. Nach der Analogie fast aller ähnlichen Beobachtun-
gen darf mit Bestimmtheit angenommen werden, dass dem Eintritt
der Lähmungen auch in diesem Falle Krämpfe vorhergingen. Jeden-
falls haben sie aber nicht längere Zeit hinduroh bestanden und sind
nicht ohne Weiteres in Epilepsie übergegangen, denn der Eintritt
dieser letzteren wird von Allen mit Bestimmtheit in die Zeit nach
der Pubertät verlegt. Dass trotzdem zwischen dieser Affection und
dem Himleiden eine Beziehung besteht, kann nach den klinischen
Beobachtungen ^) und den Thierexperimenten nicht zweifelhaft sein.
Jedoch können wir, da der Verlauf und die Ausbreitung der epi-
leptischen Krämpfe in unserem Falle nicht mit der nöthigen Genauig-
keit beobachtet ist, auf eine weitere Besprechung dieses Sjmptomes
Terzichten.
Eine eingehendere Würdigung verdient ein anderes Symptom,
welches sich noch an der Leiche mit vollster Sicherheit constatiren
liess, nämlich die Atrophie der gelähmten Theile. Haben
wir dieselbe als eine cerebrale anzusehen?
Es liegen * uns aus neuerer Zeit zwei Beobachtungen vor, welche
einen trophischen Einfluss der psychomotorischen Centren wahrschein-
1) Es sind hier namentlich die oben dtirten Arbeiten von Fi t res and von
Maragliano zu erw&hnen.
DeatKhM Archiv f. klln. Mediein. XXIV. Bd. 32
498 XXVn. Nbelsen
lieh machen. Die eine von Bourneville My weleher bei einem
18jährigen Mftdohen einen alten Herd in beiden Centralwindnngen,
dem Lob. paracentralis und einem Theil der Stimwindnngen beob-
achtete mit Atrophie der Eztremitftten an der entgegengesetzten Seite.
Eine zweite ist neuerdings von Senator^) mitgetheilt worden : Abs-
cess in dem Parietal- und Frontallappen, acute Atrophie der Mas-
culatur des Armes an der entgegengesetzten Seite. Auch bei Bonr-
neville betraf die Atrophie nach den angegebenen Maassen nur die
Weichtheile, während in unserem Fall auch die Knochen der b^
treffenden Glieder bedeutend verkürzt waren. Man könnte diesen
Unterschied darauf zurückfuhren, dass in den beiden erwähnten
Fällen die Affection kürzere Zeit gedauert habe, und man könnte
ferner für die Annahme des centralen Ursprungs der Atrophie in
unserem Fall die Angabe von Onimus') anführen, nach welcher
bei cerebralen und spinalen Lähmungen bei Kindern mit nachfolgen-
der Atrophie der unteren Extremität namentlich der Unterschenkel
verkürzt wird, während der Oberschenkel seine normale Länge bei-
behält, also Verhältnisse sich ausbilden, wie sie auch bei unserem
Kranken gefunden wurden. Trotzdem glauben wir in unserem Fall
jeden directen Einfluss der Hirnverletzung auf die Atrophie leugnen
zu dürfen und fassen dieselbe vielmehr als einfache Inactivitätsatro-
phie, welche von nervösen Einflüssen unabhängig sich entwickelte,
auf. Dass bei Kindern und jungen Thieren Atrophie der Extremi-
täten, oder richtiger Hypoplasie der Extremitäten eintritt, sobald di^
selben längere Zeit immobilisirt werden, ohne Rücksicht darauf, ob
die Unbeweglichkeit auf mechanischem Wege (Ojpsverband etc.), oder
durch Unterbrechung der motorischen Leitung herbeigefftbit wird,
ist eine so bekannte Thatsache^), dass wir nicht nöthig haben zun
Beweise derselben einzelne Beobachtungen anzuführen. — Mit der
Annahme einer solchen Inaetivitätsatrophie stimmt auch der Befosd
des Rückenmarks flberein. Wäre eine trophische St(^img too
dem cerebralen Centrum fiusgehend die Ursache der Atrophie gew^
sen, so hätte dieselbe ihren Einfluss nicht nur auf die peripheren
Theile, sondern auch auf die in ihre Bahn eingeschalteten Ganglies-
massen, die graue Substanz des Rückenmarks äussern mfiMeiL In
dieser findet sich aber keine Atrophie, dagegen besteht eise los-
gesprochene Hypoplasie in den der rechten Seite entsprechenden
weissen Strängen, ein Zustand, wie er bei jungen Thieren zuerst ron
1) Gazette m^dicale de Paris 1876. No. 50 et 51.
2) Herl. klin. Wochenaehr. 187S. Nr. 4 ff. 3) L'Union mUkak, I^:^
4) Veigl. die LehrbQcher der allgemeinen Pathologie yod Wagaer s. A.
Psychomotorische Gentren. 499
Vulpian') und neuerdings von Bufalini^j experimentell durch
Aossclialten eineB Gliedes (Amputation, Nervendurchschneidung) her-
Torgerafen wurde.
Es haben uns diese letzten Betrachtungen wieder auf die ana-
tomischen Veränderungen im Bückenmark zurtickgeftthrt, und da sei
66 mir gestattet, zum Schluss noch eine Veränderung kurz zu er-
wähnen, die in der früheren Beschreibung nicht angeführt ist und
f&r welche mir offen gestanden die Deutung fehlt. In den unteren
Theilen des Markes, auf der Abbildung in Figur 8 und 9 (Taf. VII)
angegeben, findet sich ausser der absteigenden Degeneration der
Pyramidenbahnen eine periphere sklerotische Zone namentlich im Ge-
biet der hinteren V^urzeln. Es scheint hier dieselbe Veränderung in
geringerem Grade yorzuliegen, wie sie Charcot in der zweiten Ab-
theilung seiner Klin. Vorträge über Krankheiten des Nervensystems ^)
auf Taf. III, Fig. 3 abbildet und als ,» ringförmige Sklerose *" bei Pott-
scher Wirbelcaries bezeichnet. Im Text finde ich diese Abbildung
nicht besonders erwähnt, habe auch bisher in der Literatur über
andere analoge Beobachtungen nichts finden können. Ich habe eine
ähnliche Veränderung, und zwar als einzige nachweisbare Anomalie,
schon Tor einiger Zeit einmal gefunden an einem Präparat, welches
von dem Director des Lübecker Krankenhauses, Herrn Dr. Hinkel-
deyn, dem hiesigen Institut übersandt wurde.* Dasselbe stammte
Yon einer 50 jährigen an Mammacarcinom leidenden Frau, bei wel^
eher sich vier Wochen vor dem Tode Lähmung der Blase und der
unteren Extremitäten einstellte. Die .Section ergab keine metasta-
tischen Krebse der Wirbel, keine Veränderung an der Dura und Pia
des Rückenmarks und bei der mikroskopischen Untersuchung keine
andere Anomalie als eine ringförmige Sklerose des Lumbaimarks,
am stärksten ausgeprägt im Bereich der hinteren Wurzeln. — lieber
das Wesen der hier vorliegenden Veränderung vermag ich kein Ur-
theil abzugeben. Unu eine einfache Meningo-Myelitis, an welche zu-
nächst gedacht werden könnte, handelt es sich hier zweifellos nicht,
denn die Pia ist weder abnorm adhärent, noch verdickt, noch in-
filtrirt. Auch ein Härtungsfehler kann ausgeschlossen werden, da
die Betrachtung mit stärkeren Vergrösserungen an den betreffenden
Randpartien eine deutliche Vermehrung der Gliakeme und Vermin-
derung der Nervenfasern erkennen lässt (S. Figur 10.) — Bei zahl-
reichen Querschnitten aus anderen Rückenmarken habe ich vergeblich
1) Pariser Aead. d. Wissensch. 26.Fehr. 1872.
2) In dem oben ciürten Bericht Yon Albertoni.
3) Deutsche Uebersetzung von B. Fetz er. Stuttgart 1878.
' 32*
500 XXVII. Nbslsbn, Psychomotorische Centren.
nach ähnlichen Bildern gesucht. Obgleich ich demnach gezwungen
bin diesen Befund als einen mir unverständlichen zu erklären, habe
ich doch geglaubt, im Interesse der Vollständigkeit der Beobachtung
denselben hier erwähnen zu müssen.
Rostock, den 10. Mai 1879.
Erklärung der Abbildungen.
(Tafel VIL)
Figar 1 zeigt die beiden Hemisphären des Gehirns von oben gesehen (nich
Photographie). Der Frontallappen ist blau, der Parietallappen roth, der Ocdpi-
tallappen violett ffezeichnet. Die auf der linken Seite fehlende obere Parietalwin-
dwagp.s. ist rechts roth schraffirt. Es bedeutet auf beiden Seiten dc: denGyros
postcentralis; smi den Gyrus supramarginalis; a: den Gyrus angularis. Die mit
« bezeichnete Linie gibt die Richtung des Frontalschnittes an, dessen eine Schnitt-
fläche in Figur 2 abgebildet ist.
Figur 2. Frontalschnitt durch den Herd in der linken Hemisphäre, Schnitt-
fläche des vorderen Abschnittes, a und a Gyrus angularis (a hinterer, a vor-
derer Theil desselben); sm: Gyrus supramarginalis; prc: Reste des Praeconeos;
F.S.: Fossa Sylvii; V: Ventrikel (natürliche Grösse).
Figur 3. Schema der frischen Zerstörung. Frontalschnitt eines normslen
Gehirns , Schnittfläche des vorderen Abschnitts. Es bedeutet auf beiden Seiten
sip: Sulcus interparietalis; F.S.i Fossa Sylvii; sca: Sulcus comn ammonis;
parac: Gyrus paracentralis ; ps: Gyrus parietalis superior; prc: Praecuneos;
Sfn: Gyrus supramarffinalis. — Die roth gefärbte Partie entspricht der vermatfa-
lichen Ausdelmung des frischen Herdes.
Figur 4. Schema der frischen Zerstörung. Sagittalschnitt eines normalen
Gehirns ca. 1 Gm. links von der Medianlinie. Die roth gefärbte Partie entspricht
der vermuthlichen Ausdehnung der frischen Zerstörung. Es bedeutet: sc: oolcus
centralis: ^oc: Fissura occipito-parietalis ; ca: das theils auf dem Längs- theüs
auf dem Querschnitt getroffene linke Cornu ammonis. Die mit * bezeichnete Linie
entspricht dem Schnitt f^r Figur 3. — Die Abbildung zeigt die Schnittfläche des
grösseren (rechten) Abschnittes.
Figur 5. Frontalschnitt durch dieMeduUa in der Höhe der Oliven. Schnitt-
fläche des vorderen Abschnitts. ^ Die roth gefärbte Partie entspricht der De-
generation. Ebenso in den 4 folgenden Figuren. 3:1.
Figur 6. Querschnitt des Halsmarks. Schnittfläche des unteren Abschnitts.
Vergr. >/i.
Figur 7. Querschnitt des mittleren Brustmarks. De^l.
Fiffur 8. Querschnitt des unteren Brustmarks. Grenze des Lendenrnsrio.
Dergleichen.
Figur 9. Querschnitt des Lumbaimarks. Desgleichen.
Figur 10. Partie aus der Peripherie des Schnittes in Figur 9. Vergr. Hirt-
nack ^/7. P Pia normal; Sc mit zahlreichen Rundzelien durchsetete BaDi^urtie
des Rackenmaiks, in welcher die Nervenfasern fehlen. (Sklerose.)
Figur 11. Sklerotische Ganglienzellen aus der linken Postcentralwindnog.
Vergr. Hartnack */t.
Figur 12. Normale Bctz^sche Riesenpyramide und gewöhnliche Pyramiden-
zelle aus der linken Praecentralwindung. Hartnack ^^7.
Figur 13. Verkalkte Ganglienzellmasse in der Nähe des Herdes am Ein-
gang des linken Unterhorns./ h Herd; To Thalamus opticus; ci Unterbom
X Verkalkter Ganrijenhaufen. Vei^gr. 'A.
Figur 14. Einzelne Ga^lienzellen aus dem in Figur 13 abgebildeten Herd
Bei den beiden oberen ist der Kern n noch zu erkennen , bei der rechts onteo
li^enden nicht mehr. Vergr. Hartnack *it.
xxvin.
Kleinere MittheilungeD.
1.
Dunkler Fall von erworbener Huskelatrophie der rechten
Hälfte des Rumpfes und der rechtseitigen Extremitäten
bei einem Erwachsenen.
Von
Dr. XS. Hüter,
Arttherem Aaslstenten dar med. Klinik sn StraMbvrg.
Im Sommersemester 1877 wnrde auf der bieBigen medicinischen Klinik
ein Fall von erworbener Huskelatrophie der rechten Hälfte des Rumpfes
Qod der rechtseitigen Extremitäten bei einem Erwachsenen beobachtet, wel-
chen ich, so unaufgeklärt er bisher ist, doch seiner Seltenheit wegen (ein
ähnlicher Fall wnrde von mir in der ganzen Literatur nicht aufgefunden)^
auf Auffordern meines damaligen Chefs, Herrn Geh.-R. Kussmaul, hier-
mit veröffentliche.
Anamnese. Julius AUa, 31 Jahre alt, Glaser, stammt ans gesunder
Familie und ist früher stets gesund gewesen. Lues wird in Abrede gestellt.
Anfangs des Winters 1875/76 empfand Patient in der rechten Sdiulter
einen plötzlichen so heftigen Schmerz, dass er fast ohnmächtig wurde»
Anfangs 1876 fiel Patient auf das Gesäss, verlor aber das Bewusstsein
nicht, sötzte vielmehr seine Arbeit fort trotz heftiger Schmerzen in der
Lendengegend, welche 6 Wochen anhielten. Seitdem traten öfters in beiden
Beinen, besonders im rechten, und in' der rechten Schulter starke Schmerzen
aof, gelegentlich mit Beklemmungsgefühlen auf der Brust verbunden, Schmer-
zen, welche den Pat. stets am Gehen hinderten. November 1876 bemerkte
er die Atrophie der rechten Seite, ebenso wie eine Ulnarflexion der Finger
der rechten Hand und Anschwellung der Volarfiäche über die Handwurzel.
Februar 1877 starke Bronchitis mit einer kleinen Hämoptoe. Danach be-
merkte er eine allgemeine Abmagerung. April 1877 zwei Schwindelanfälle.
Weil Patient der Schmerzen wegen den rechten Arm und das rechte Bein
nicht gebrauchen konnte, so Hess er sich am 22. Mai ins Spital aufnehmen.
Keine Kopfschmerzen, keine Gesichts- und Sprachstörungen seit Beginn
der Krankheit. Functionen der Blase normal. Obstipation seit 14 Tagen.
Status praesens: Patient Ist 176 Gm. gross, von ziemlich kräftigem
Knochenbau; Musculatur massig, Fettpolster gering; deutlicher Schwund
502 XXVin. Kleinere Mittheilungen.
desselben. Farbe des Gesichtes and der Schleimhäute blass. Anadrnck
apathisch, aber frei. Pupillen gleichweit, reagiren gut gegen Liebt Reine
Ungleichmässigkeiten in beiden Gesichtshälften ; keine Lähmungen oder Cod-
tracturen. Zunge nicht verzogen. Stuhlgang retardirt. 100 Pulse. Puls
klein, etwas celer. 25 Respirationen. Temperatur 37,5^. Herz und Lungen
gesund : keine Schalldifferenzen zwischen rechter und linker Seite. Unter-
leibsorgane normal. Keine Oedeme, keine Exantheme. Urin klar, ohne
Sedimente und Eiweiss.
Die Klagen des Patienten bezieben sich auf paroxysmenweise auftretende
Schmerzen an der Hinterfläche des rechten Oberschenkels, besonders ent-
sprechend dem Verlaufe des Ischiadicus. Bei Bewegungen werden die
Schmerzen viel heftiger und strahlen dann bis in die Malleolengegend aus.
Auch in der Schulter treten ab und zu intensive Schmerzen auf.
Die rechte obere und untere Extremität, am stärksten die obere, sind
auffallend atrophisch, und zwar hat sich die Atrophie hauptsächlich anf
Rosten der Muscnlatur entwickelt. Der Umfang der rechten Oberextremitit
ist durchschnittlich, am Oberarm um 2^/4 Cm., am Vorderarm um IVsCm.,
geringer wie links. An der Unterextremität beträgt der Unterschied Vji
bis 2 Cm.
Der Latissimus dorsi dext.' ist schlaffer und weniger voluminös als der
linke;' die untere Partie des Cucullaris fehlt ganz; die Fossa infraspinata
und supraspinata, sowie die Fossa clavicularis dextra sind abnorm vertieft.
Spina scapulae dextrae, sowie Clavicula dextra abnorm prominent. Pectoralis
major atrophisch, die vordere Wand der Achselhöhle als dünner, schlaffer
Strang bildend. Am Ober- und Vorderarm erstreckt sich die Atrophie
gleichmässig auf die verschiedenen Muskeln. Auf der Volarseite der rechten
Hand, entsprechend der Handwurzelgegend, springt ein etwa thalergrosser,
2 Cm. hoher, rundlicher, unempfindlicher Tumor hervor, über welchem die
Haut verschiebbar ist; derselbe steht in Zusammenhang mit den Sehnen-
scheiden. Die rechte Hand steht in leichter UUiarflexion; der Processus
styl, radii springt leicht hervor. Handteller ist auffallend flach; Thenar
und Antithenar schlecht entwickelt; 2. bis 5. Finger leicht volar- und
ulnarwärts flectirt. Spatia interossea vertieft. Die beiden Phalangealge-
lenke des 2. bis 5. Fingers sind stark verdickt, schmeralos. Die Nigel
rechts wie links in Folge der Beschäftigung des Pat. auffallend abgeschabt
Die Stellung des rechten Armes im Ruhezustand bietet nichts Abnormes.
Die active Erhebung des Armes ist mühsam, geschieht aber schon S Tage
nach der Aufnahme ohne Schmerzen. Die Bewegungen des Vorderarms
und der Hand sind ebenso ergiebig wie links. Flexion der Finger activ
leicht möglich ; vollkommene Extension unmöglich. Active Flexion und Ex-
tension des Daumens ungehindert; dem 2. und 3. Finger kann der Daomen
nur mit Mühe, dem 4. und 5. Finger gar nicht gegengestellt werden. Die
passiven Bewegungen sind in allen Gelenken frei, nur ist eine vollständige
Extension in den beiden Phalangealgelenken des 2., 3., 4. Fingers unmög-
lich, während sie am 5. Finger gelingt. Am Daumen normale Beweglichkeit
Die Intercostalräume sind rechts, besonders in der Seitenwasd, etwas
vertieft; sonst, abgesehen von den Difl^erenzen in der Schultergegend, zwi-
schen rechts und links am Rumpfe keine Unterschiede.
An der unteren Extremität ist die Atrophie nicht so ausgesprochen nnd
XXYIIL Kleiiiere Mittheüungen. 503
gldcbmässig auf alle Mnakelo vertheilt wie an der obern Extremität, indem
sie besonders nur die Partie vom Knie aufwärts betrifft. Die rechte Hinter-
backe ist kleiner als die linke ; die Glutäaimnsculatur ist rechts schlaff und
atrophisch; die Glutäalfalte hängt deutlich. Kniegelenk leicht verdickt :
2 Cm. über dem Condylos Int. fem. rundlicher Psoriasis -ähnlicher Fleck.
Rechte Wade schlaffer und weniger umfangreich als die linke; am Fui^se
nichts Besonderes; nur ist die Wölbung des inneren Fussrandes rechts höher
als links ; auch erscheint das Bflndel der Extensorensehnen auf dem rechten
FnsBrflcken dicker als auf dem linken. Spatia interossea vertieft.
Die Bewegungen in den Gelenken der Untereztremität sind frei; nur
ist die Flexion im Hüftgelenk mit den erwähnten Schmerzen verbunden.
Keine Contracturen an der obern und an der untern Extremität. Keine
fibrillären Zuckungen. Patient ist zur Zeit der Schmerzen im Bein wegen
verhindert zu gehen. Er steht mit geschlossenen Augen ohne zu schwanken :
keine Ataxie.
Die Sensibilität ist auf der ganzen rechten Körperseite ebenso gut wie
auf der linken. Patient fühk die leichtesten Berührungen und localisirt
gut; keine Verlangsamung der Nervenleitnng. Keine Hyperästhesie. Tast-
nod Muskelsinn normal. Reflexerregbarkeit nicht erhöht Am Haarwuchs
nichts Besonderes. Die rechte obere Extremität ist dem Gefühl
and der thermometrischen Messung nach wärmer als die
linke Extremität (durchschnittlich um 0,5^ C); die rechte Unter-
eztremität dagegen kälter als die linke (durchschnittlich um
0,30 C).
Die mechanische Muskelerregbarkeit erscheint an der gesammten Köiv
permuskulatur erhöht, rechts aber viel stärker als links ; besonders reagirt
der rechte Deltoideus sehr stark auf mechanische Reize.
Faradisation des Plexus cervicalis löst rechts wie links im ganzen
Arme gleich starke Zuckungen aus. Die Reizung mit dem faradischen
Strom am Deltoideus, Biceps und Opponens pollicis ergibt links etwas er-
giebigere Contractionen als rechts. Reizung des Ulnarisstammes löst rechts
wie links gleich starke Contractionen aus. Bei directer Reizung contrahiren
sich die M. M. interossei rechts ebenso stark wie links. Die Untersuchung
mit dem constanten Strom ergibt keinen Unterschied zwischen rechts
und links.
Der Händedruck ist rechts sehr schwach. Pat. bedient sich zu seinen
alltägliclien Verriebtangen der rechten Hand, obgleich er die Gege^istände
mit derselben ziemlieh angeschickt fasst.
Krankengeschichte. Die Schmerzen nahmen bald an Intensität
ab, so dass Pat. schon Anfangs Juni aufstehen konnte; Mitte Juni ging
er mit einem Stocke im Saale umher, und schonte soviel wie möglich das
rechte Bein. Dabei war das Allgemeinbefinden sehr gut. Bemerkenswerth
ist, dass während seines Aufenthalts aaf der Klinik die Temperatur Abends
fast immer über 38 ^ C. war. Die Pulsfrequenz war dabei etwas hoch,
HO — 120. Einige Male stieg die «Temperatur bis nahe an 40^ C. mit
130 Pulsen. Eine Ursache für diese Temperatursteigerungen liess sich
nicht nachweisen. Gegen dieselben wurden anfangs bin und wieder kleine
Dosen Chinin ohne grossen Erfolg gegeben. Die Temperaturverhältnisse
zwischen links und rechts blieben immer dieselben. Das Körpergewicht
504 XXVUL Kleinere MittheUnngen.
m
nahm zu; reclitB wie links wurde der Umfang der EztremiUten grdsser,
rechts aber mehr wie links; so dass Ende August zwischen der rechten
und linken unteren Extremität fast gar keine Differenz mehr bestand, ood
an den Ober-Extremitäten der Unterschied kaum iVs Gm. betrug. Der
Händedruck wurde auch viel stärker. Sensibiiitätsstörungen wurden me-
mals beobachtet, und niemals ergab die Untersuchung mit dem galvanisdien
oder mit dem faradischen Strom einen Unterschied zwischen rechts nod
links.
Therapie. Vier Monate lang wurde die Wirbelsäule 3 mal wö-
chentlich mit einem absteigenden constanten Strom behandelt.
Ende September wird Pat. in einem ausserordentlich guten Zustand
entlassen. Ende November gibt er brieflich an, dass er sich wohl befinde,
dass das rechte Bein schmerzlos ist, und ebenso stark wie das linke, dus
der rechte Arm noch schwächer als der linke ist, aber dass er mit dem-
selben beinahe wie früher seine Arbeit verrichten kann.
Februar 1878 traten, wie ich später erfuhr, Erscheinungen von Seiten
der Lungen auf. Später bildete sich auf dem rechten Vorderarm eine fanst-
grosse fluctuirende Geschwulst, welche punktirt und mit Tinct. Jodi (?) ans-
gespritzt wurde. Darauf verschlimmerte sich der Zustand; die Dnter-Ex-
tremitäten schwollen an, und Ende Mai 1878 trat der Exitus letalis dn.
Keine Section.
In diesem Falle, dessen Anfang und Ende nicht zu unserer Beobach-
tung gelangten, muss ich Folgendes hervorheben. Die Krankheitsursache
ist wahrscheinlich traumatischer Natur gewesen (Sturz auf das GesäSB);
die Atrophie beschränkte sich auf die rechte Hälfte des Rumpfes und die
rechtseitigen Extremitäten; jede SensibilitätsstOrung oder Differenz in der
electrischen Erregbarkeit zwischen rechts und links fehlten; die Gebin-
nerven blieben frei. Sehr interessant sind noch die beobachteten Tempe-
raturdifferenzen zwischen beiden KOrperhälften (R. 0. Ext. wärmer, R. U.
Ext. kälter als die entsprechende linke) , sowie das intermittirende Fieber,
welches öfters über 39 <^ stieg.
Wenn wir betrachten, dass die Kopfmuskulatur mit Einschluss der
Zunge und des Gaumensegels frei geblieben ist, müssen wir eine Hin-
affection ausschliessen und eine spinale Krankheit annehmen, ohne deren
Charakter näher feststellen zu können.
2.
Zur Pilocarpin-Wirkung bei Bleikolik.
Von
Dr. W. Weinberg
in Berlin.
Nachdem seit Erscheinen der Arbeit von Dr. Badenhewer .Zur
Theorie der Bleiintoxlcation'' aus der medicinischen Abtheilung des Cöber
Bttrgerspitals (März 1877, Beri. klin. Wochenschrift Nr. 10) in der Literatv
meines Wissens auf die Anwendung des Pilocarpinum muriat bei Bleiicolik
XXVm. Klemere Mittheüaiigen. 505
nicht wieder anfmerksam gemacht ist, mGchte ich nicht nnterlassen, folgende
zwei Fälle zur Veröfientlichang za bringen, in denen ich von diesem Me*
dicament einen flberraachend gttnstigen Erfolg gesehen habe.
Beide Fälle betrafen Maler, welche in Folge von Beschäftigung mit
Bleiweissfarben erkrankten, nachdem frflher schon mehrere Anfälle von Blei-
kolik voraufgegangen waren. Bei beiden bestanden sehr dentlich ansge-
sprochener Bleirand am Zahnfleisch, hochgradige Abdominalschmerzen nnd
Obstipation seit mehreren Tagen.
1. Fall: am 18. Juni in Behandlung genommen. Bis 20. früh 6 Uhr
Pulv. Opii 0,24 nnd Ricinnsöl in grossen Dosen, sowohl per os als im
Klysma, ohne jeglichen Erfolg; die Schmerzen hatten sogar an Intensität
zugenommen. Am 20. Mittags Pilocarpini mnriat. 0,02 subcutan injicirt
Nach 10 Minuten Schweissausbmch und Salivation zugleich mit Nach-
lass der Schmerzen. Etwa 15 Minuten später reichliche Stuhlent-
leerung. Am Abend desselben Tages vollständiges Aufhören der Schmer-
len, -welche auch in den folgenden Tagen nicht wiederkehrten, wogegen
die Stuhlentleerung noch retardirt blieb und erst am 23. spontan und spär-
lich erfolgte. Um auf dieselbe einzuwirken, sowie auch zur Prophylaxis
g;egen etwaige Wiederkehr der Schmerzen, wurde am 23. Abends ein Infus.
fol. Jaborandi 5: 100 verabreicht, welches, wie die Pilocarpininjection, wieder
von starkem Schweissausbmch und reichlichem Stuhlgang gefolgt
wurde. Darauf bis zum 1. Juli, seit welcher Zeit ich Patient nicht mehr
beobachten konnte, vollständig normales Befinden.
In dem 2. Fall, in welchem die Abdominalschmerzen äusserst heftig
waren und schon seit drei Tagen den Patienten nicht zum Schlaf hatten
kommen lassen , wurde am 14. Juli als erste Medication Inf. Jaborandi
5:120, in einer Stunde zu verbrauchen, verabreicht. Mit dem darauffol-
genden Schweiss stellte sich geringer Nachlass der Schmerzen ein, welche
aber nach einigen Stunden wieder die vorherige Höhe erreichten, weshalb,
sowie wegen der fortbestehenden Obstipation, am Nachmittag zum Opium
0,02 zweistflndlich und mehrmaligen grossen Dosen Ricinusöl übergegangen
wurde.
Am 15. Juli Vormittags 11 Uhr Status idem; Nachts wegen Heftig-
keit der Schmerzen, welche anfallsweise alle 3 — 4 Minuten wiederkehrten,
nicht geschlafen. Abdomen kahnförmig eingezogen. Radialpuls voll, 70 in
der Minute, Arterie von starker Spannung. 11 Uhr 0,015 Pilocarpin in-
jicirt. Nach 15 Minuten Schweissausbruch und Salivation, beide aber nur
massig, auch Nachlass der Schmerzen, jedoch kein vollständiges Auf-
hören derselben. Auch war bis zum Abend kein Stuhl erfolgt, weshalb
ein Klysma von Infus. Sennae mit Na. sulphur. gegeben wurde.
16. Juli. Gestern Abend nach erfolgtem Stuhlgang Verringerung der
Schmerzen, Nachts Wiederkehr derselben und am Vormittag bis zur früheren
Höhe gesteigert. Mit Opium 0,02 zweistündlich weiter fortgefahren.
Nachmittags 5 Uhr Klysma nnd Ricinusöl verordnet. Hierbei passirte
das Veraehen, dass der Heilgehilfe den Rest des Fläschchens mit Pilocarpin,
welches ich in der Wohnung des Patienten zurückgelassen hatte, im Ganzen
0,085 Pilocarpin, dem Klysma zusetzte, von dem Patienten hierzu aufge-
fordert. Das Klysma blieb drei Stunden zurück , worauf spärlicher Stuhl,
dann aber 1 Stunde später sehr reichlicher Schweissausbruch mit
506 XXYIU. Kleinere MittheUoiigen.
copiÖBcr Speichelabsonderang erfolgte, welobe 2^2 Standen an*
daoerte.
Hierauf sogleich bedeutender Nacblaas der SchmerBen nnd am
17. Juli Nachmittags, ohne dass dne andere Medication angewandt war,
gänzliches Aufhören derselben. Bis heute normales Befinden, nur noch
allgemeine Schwäche geklagt
Wenn es auch nicht gestattet ist, ans zwei Fällen einen allgemeiD
giltigen Schluss auf die constante Wirkung eines Medicamentes zu sieben,
dürfte dennoch wohl anzunehmen sein, dass wir in dem PilocarpiD eio
wirksames Mittel gegen die Beschwerden der Bleikolik besitzen, weil dessen
Effect auf physiologischen Grundlagen beruht. In dem zweiten der
mitgetheilten Fälle war freilich die Wirkung nach der subcutanen Appli-
cation keine so vollständige wie in dem ersten. Vielleicht aber dürfte dieses
auf der Unzulänglichkeit der Dosis beruhen, da nur 0,015 injidrt waren,
«ine Annahme, die um so mehr zu rechtfertigen ist, als später die Wirkosg
der per Klysma eingeführten 0,085 Pilocarpin auf den Sohweissausbradi
und zugleich auch auf die Schmerzen eine viel intensivere war.
Dieser 2. Fall dürfte besonderes Interesse wegen der Klysmawirkoog
bieten, da wohl kaum zu erwarten ist, dass absichtlich die Klystierspritae
zur Application des Pilocarpin wieder gewählt werden wird.
In wie weit in diesen beiden Fällen die anderweitige Medication (Opiate
und Laxantien) den Effect des Pilocarpin unterstützt hat, dürften vielleicht
weitere Beobachtungen entscheiden, in denen Pilocarpin allein zur Ad-
wendung gelangt.
3.
Zur intrauterinen Vaccination.
Vot
Br. Albreoht E. Borekhardt,
AMisUnsant der medlcinlschen KllnUc so Batd.
Im Nachfolgenden theile ich kurz einige Versuche mit, die eine theo-
retisch interessante Frage betreffen ; hätten sie zahlreicher und prloiser voa
mir können angestellt werden, so würde das Resultat auch vo« unmittelbar
praktischem Werthe geworden sein. Es behandeln meine Versuche die so-
genannte intrauterine Vaccination, speciell die Beantwortung der
Frage, ob es möglich sei, durch Impfung der schwangeren Frau ihr Kiod
gegen Vaccine, eventuell also auch gegen Variola immun zu madieo.
Die Anregung zur Prüfung dieser Angelegenheit geht bekanntlich voo
Professor Bollinger in München aus, der in seiner Publication über Men-
schen* und Thierpocken (Volkmann's Samml. klin. Vorträge Kr. 116) lum
Schluss auch noch auf die intrauterine Vaccination zu reden kommt uod
diese schon a priori ungefähr mit folgenden Gründen plausibel zu nacbeo
sucht:
Da es hinlänglich feststeht , dass das Variolagift von der Mutter aof
den Fötus übergehen kann und gewöhplich übergeht, so liegt die Ve^
muthung' nicht ferne, dass bei dem verwandten Vaccinegift ein ähnliches
Verhalten existiren möchte. Man könnte vielleicht eine Anzahl unserer Fehl-
XXVIIL Kleinere Mittheüoiigen. 507
impfangen bei kleinen Rindern auf den Umstand zorflckfflhren , dasB ihre
Mtttter w&hrend der Schwangerschaft erfolgreich geimpft worden wären.
Und zn dieser Annahme wird man noch gedrängt durch sehr sprechende
Erfahrungen bei der Impfung unserer Schafe. Rickert impfte eine Heerde
von ca. 700 trächtigen Mutterschafen während der sechs letzten Wochen
der Trächtigkeit mit Ovine. Die Lämmer dieser Schafe wurden in einem
Alter von vier bis sechs Wochen mit guter Schafpockenlymphe geimpft ; bei
keinem von ihnen wurde auch nur eine einzige Impfpocke hervorge-
bracht, während 36 gleichzeitig geimpfte ControUämmer die schönsten Pusteln
zeigten. In gleicher Weise constatirte Roloff, dass Lämmer, die. einige
Wochen nach der Impfung ihrer Mütter geboren wurden, von den in der
Heeräe herrschenden natürlichen Pocken unberührt blieben. Beim Menschen
existirt nur eine einschlägige Beobachtung von Underhill, welcher eine
im achten Monat schwangere Frau mit gutem Erfolge revaccinirte, deren
Kind aber im dritten und vierten Lebensmonate mit frischer Lymphe völlig
ohne Resultat impfte.
Bei dieser Sachlage erschien eine weitere Verfolgung des Gegenstandes
wfinschenswerth. Ich nahm meine Versuche auf der geburtshilflichen Klinik
des Herrn Professor J. J. Bischoff zn Basel vor, dem ich hiermit für
die freundliche Ueberlassnng seiner Pflegebefohlenen meinen aufrichtigen
Dank sage.
Zuerst einige Worte über das Aeussere der Versuche. — Das Haupt*
angenmerk war wohl auf die Beschaffung zuverlässiger Lymphe su
richten, da ohne gute Qualität derselben von vornherein jedes Resultat
zweifelhaft oder illusorisch war. Dureh die Güte der Herrn Physikus Dr.
de Wette und Schlachthansverwalter Siegmund zu Basel war es mir
möglich, beinahe wöchentlich zur geeigneten Zeit frische unverdünnte Lymphe
direct vom Farren zu erhalten; dies'^lbe kam längstens nach 48 Stunden
zur Verwendung, während welcher Zeit sie luftdicht aufbewahrt war. Ueber
die Verlässlichkeit dieses Materials ist das Urtheil bekanntlich ein absolut
günstiges. Daneben bezog ich noch zu vielen Malen aus dem königl.
bayerischen Centralimpfinstitut in München humanisirte Lymphe,
bei deren Anwendung ich in Uebereinstimmung mit allen Anderen stets sehr
gute Erfolge hatte. Nur ein einziges Mal versagte eine von mir offenbar
zu lange aufbewahrte Sendung den Dienst, was natürlich noch an der be*
treffenden Stelle besonders bemerkt sein wird (s. w. u.).
Ebenso wichtig war die Auswahl der Schwangeren. Ausgeschlossen
wurden alle diejenigen, welche früher Pocken durchgemacht hatten, ferner
solche, die in den letzten Jahren schon revaccinirt worden waren, weil bei
diesen letzteren palpabler Erfolg des Impfens nicht mit grosser Wahrschein-
lichkeit zu erwarten war. (Eine Ausnahme s. u.) Weiter wurde ausnahms-
los der achte oder neunte Monat der Gravidität gewählt, und zwar
&U8 zwei Gründen: erstens wollte ich nicht immer Gefahr laufen, bei zu-
fällig vorzeitiger Unterbrechung der Schwangerschaft meine Mühe verloren
zu haben, zweitens schien es nicht passend, eine zu grosse Zeit zwischen
^er Impfung der Mutter und der des Kindes verstreichen zu lassen, da ja
die Dauer der vaccinatorischeh Schutzkraft noch nicht hinlänglich festge-
stellt ist. — Die Schwangeren wurden gewöhnlich an beiden Oberarmen
°^it je zwei Schnitten revaccinirt ; sie stellten sich nach sechs bis acht Tagen
508 XXVm. Kleinere Mittheüangen.
zur Controle wieder ein, bei welcher dann immer dnrch Anamnese nod
Statna praesens ein positiver oder negativer Erfolg konnte notirt wer-
den. Eine erhebliche Beeinträchtigang des Allgemeinbefindens oder gsr der
Schwangerschaft wnrde nicht beobachtet; denn die in drei Fällen soflUig
bald nach der Revaccination eingetretene Frühgeburt ist mit Sicherheit ande-
ren Ursachen zuzuschreiben.
In dieser Art wurden nun von mir in den Jahren 1877 und 187S
28 Schwangere geimpft — aber leider entsprechen ihnen nicht auch 28 Be-
obachtungen an Rindern: denn dadurch dass 1. manche Schwangere sich
später gar nicht zur Geburt einfanden , dass 2. andere zu frflh oder mit
todten Kindern niederkamen, dadurch ferner, dass 3. die Kioder mehnnsU
kurz nach der Geburt die Anstalt verliessen, und dadurch endlich, dsss
4. ich selbst nicht auf der geburtshilflichen Abtheilung wohnend, oft im
betrefienden Augenblick zuHlllig am Erscheinen verhindert war, — redn-
ciren sich die thatsächlichen Beobachtungen auf die kleine Zahl von acht
Kindern. Diese acht Kinder wurden jeweilen am vierten bis sechsten Tage
nach der Geburt an beiden Armen geimpft und dann zehn Tage lang genau
untersucht. — Und hier liegt nun allerdings die schwache Seite der Ver-
suche; denn es ist ja bekannt, dass nicht selten bei kleinen Kindern in
den ersten Lebensmonaten die Vaccine überhaupt nicht haftet. Ein negatives
Resultat der Impfungen in den vorliegenden Versuchen wäre also durthana
nicht beweisend für das factische Zustandekommen einer intrauterinen Vacci-
nation; man mflsste also eigentlich in späteren Lebensabschnitten, etwa
nach einem halben oder nach einem ganzen Jahre, von Neuem impfen.
Das ging nun (mit Ausnahme eines einzigen Falles, bei dem übrigens anch
eine zweite Impfung nach fünf Monaten erfolglos blieb) einfach darum nicht
an, weil es mir bei aller Mühe nicht gelang, das Schicksal der Kinder
nach ihrem Austritt aus dem Spital weiter zu verfolgen. Meine Resultate
wären also zum mindesten sehr fraglich, wenn ich nicht in vier Fällen
durch gleichzeitige Impfung von Controlkindern, deren Mütter nicht
revaccinirt worden waren, schöne Impfpocken erzielt hätte. Dadurch er-
scheint ein blosser Zufall nicht gerade wahrscheinlich.
Es ergab sich nun, kurz gefasst, Folgendes:
1. Die Kinder von vier Müttern, die mit vollständigem Erfolge
revaccinirt worden waren, wurden alle erfolglos geimpft. (Eines davon
nach einem halben Jahre wieder erfolglos; bei den drei anderen zeigten
Controlkinder guten Erfolg.)
2. Die Kinder von zwei Müttern, die mit unvollständigem (aber
nicht völlig negativem) Erfolge revaccinirt worden waren, wurden beide
erfolglos geimpft. (Das eine Gontrolkind mit gutem Erfolg; das andere
ohne Erfolg; zu dieser letzteren Impfung war indessen vielleicht zu alter
Impfstoff verwendet worden, s. o.)
3. Von den Kindern zweier trotz guter Lymphe ganz ohne Erfolg
revaccinirter Schwangeren wurde das eine erfolglos (Gontrolkind fehtt
leider!), das andere mit schönem Erfolge geimpft; die Mutter dieses letz-
teren war vor fünf Jahren mit sehr gutem Erfolg revaccinirt worden.
Diese letzten beiden Versuche regten nun bei mir den Gedanken an,
einen Vorschlag Bo Hing er 's noch näher zu prüfen (1. c S. 38). Wttrde
man nämlich das Vaccinegift jdirect in den Blutstrom einer Schwangeren
XXYIIL Kldnere MittheUangen. 509 .
briogeo, die fOr sich selbst durch frtthere Variola oder VacdiiatioD gegen
Pockengift und Schatzpockengift immon geworden ist, so könnte man viel-
leicht durch diese Procedur dennoch deiren Kind intrauterin impfen. Ich
konnte leider ans äusseren Gründen diesen Punkt nicht näher verfolgen
und blieb daher bei dem Vorversuche stehen, ob überhaupt subcutane
iDJection der Lymphe den gleichen Dienst in Beziehung auf
den FdtuB thue, wie die gewöhnlich geübte Revaccination.
Zu diesem Behufe wurde eine Portion humanisirter Lymphe, die sonst
für die Revaccination von sechs bis acht Personen reichlich genügt hätte,
mit einem Tröpfchen destillirten Wassers verdünnt und jeweilen einer Schwan-
geren in das Unterhautbindegewebe injicirt. Es erfolgte bei diesem Ver-
fahren in keinem Falle irgendwelche locale Reaction, ebensowenig auch eine
Störung des AllgemeiDbefindens, so dass also der Eingriff für Schwangere
jedenfalls nicht mit Nachtheilen verknüpft ist
Ich unterwarf im Ganzen zehn Schwangere dieser Procedur, konnte
aber nur bei zwei der betreffenden Nengebomen die Vaocination später vor-
nehmen. Bei diesen beiden Kindern blieb nun die vulgäre
Impfung thätsächlich völlig resultatlos, während die zwei Gon-
trolkinder die schönsten Impfpusteln aufzuweisen hatten.
Ich halte es freilich für verfrüht, allzu positive Schlüsse aus dem eben
Mitgetbeilten zu ziehen. Sind wir ja doch gewohnt, in den das Impfwesen
betreffenden Fragen nur mit den allergrössten Zahlen, die überhaupt die
Statistik aufzuweisen hat, zu rechnen, so dass also ein Paar Fälle, auch
wenn sie an sich unanfechtbar wären, doch kaum mehr als eine Andeutung
des Sachverhaltes geben könnten. Bei alledem wird wegen der Umständ-
lichkeit der Versuche nur dadurch ein klares und unzweideutiges Urtheii
in dieser Sache möglich sein, wenn verschiedene Beobachter ihre "verschie-
denen, auch noch so kleinen Versuchsreihen publiciren.^
Und sollte es sich hierbei herausstellen, dass die intrauterine Vaoci-
oation, nach der einen oder anderen Methode ausgeübt, thatsächlich leicht
zu Stande kommt, so wäre der praktische Gewinn gewiss ein nicht ge-
ringer. Es ist ja constatirt, dass die Variolamortalität in den ersten Lebens-
monaten die bedeutendste ist, dass femer die gewöhnliche Impfung bei
kakotrophen Kindern etliche Gefahr bietet. Die intrauterine' Vaccination
würde es möglieh machen, die Kinder von der Stunde ihrer Geburt an
gegen die Pockenseuche zu schützen und ans diesem Grunde empfiehlt sich
die weitere Verfolgung der Frage einem jeden Arzte wohl von selbst
4.
Brand des rechten Beines mit tödtlichem Verlauf inner-
halb 23 Stunden bei Morbus Brightii chronicus.
Von
Dr. S. Marcus
In Frankfurt a. M.
Es ist eine heikle Sache, einen tödtlioh verlaufenen Krankheitsfall zu
veröffentlichen, bei dem es nicht gestattet war, die Section vorzunehmen.
510 XXVni. Kleinere Mittheflongen.
Wenn ich dennoch, angeregt darch einen Vortrag Billroth'a fiber „Gan*
grän*^ und durch Beck's Aufsatz in der Deutschen Zeitschrift für Cfainirgie
(XL Bd., 3. und 4. Heft) „über Brand nach Thrombosimng und nach Br-
friening'^, die nachstehende, bereits in unserem ärztlichen Verein voi^
tragene Krankengeschichte aus meinem Pult hervorhole und diesem ArchiT
einverleibe, so bestimmt mich hierzu der Umstand, dass, wenn auoLFftlle
von Thrombosirung der Gefässe der unteren Extremitäten mit nachfolgen-
der Gangrän bei Typhus, Magenkrebs, Infiltration der Lungenspitzeo, Hen-
erkrankungen , Atherom der Aorta u. s. w. , kurz bei einer Reihe innerer
Erkrankungen mitgetheilt sind, ich einen mit meiner Beobachtung gleich-
artigen Ausgang bei chronischer parenchymatöser Nierenentzündung nirgend«
verzeichnet fand. Mein kleiner Beitrag zur Casuistik dürfte daher immer-
hin nicht ohne Interesse sein.
Am 20. August 1876, Mittags 12 Uhr, wurde ich eiligst zu der gaos
in meiner Nähe wohnenden, am 7. October 1814 geborenen Frau Marga-
retha D.' gerufen. Ich hörte, dass sie noch scheinbar wohl und munter
auf den Abtritt gegangen sei, plötzlich aber laut aufgeschrien habe, weil
sie in Folge eines ganz ausserordentlich heftigen Schmerzes in dem rechten
Beine (von der Hüfte bis zu den Zehen) nicht aufstehen konnte. Sie muBste
in das Zimmer resp. Bett getragen werden. Bei meinem Erscheinen jam-
merte Patientin furchtbar; den Schmerz selbst konnte sie nicht näher be-
schreiben. Objectiv Hess sich am Beine absolut nichts Abnormes nach-
weisen, als dass von lange her geringfügige Varices am Unterschenkel vor-
handen waren. Es war warm und hatte die normale Farbe. Harte Stränge
oder Punkte nicht fühlbar. .Jede Berührung an allen Stellen des Schenkels
war schmerzhaft, besonders aber die der Leistengegend. Drüsen nicht ge-
schwollen. Linkes Bein normal. Puls 90, regelmässig; Herz und Longe
ebenfalls. Stuhl war erfolgt, seit mehreren Tagen aber war nicht viel Urin
abgegangen. Ord. : Chloroform - Liniment, wollene Binde.
Obgleich die Untersuchung des Beines nichts Abnormes ergab, erklärte
ich doch sofort den Anverwandten, dass es sich hier wohl nicht um den
von ihnen angenommenen „Hezenschuss^ handele, sondern um etwas Be-
deutungsvoiles, nicht Vorübergehendes. Ich erinnerte mich, dass ich Patientin
zu Ende September bis Mitte October vorigen Jahres an ausgesprochenem
M. Brightii mit leichten hydropischen Erscheinungen bebandelt hatte, die
allerdings von da ab verschwunden waren, dergestalt, dass Patientin, die
nicht länger ärztlich behandelt sein wollte, sich, wie ich mittlerweile manch-
mal zufällig erfuhr und wie mir heute bestätigt wurde, vollkommen wohl
fühlte und ihren häuslichen Arbeiten nachging. Eine Anschwellung des
Leibes soll niemals mehr eingetreten sein. Nur hie und da hatte die Kranke
noch über Müdigkeit, zuweilen auch über Schmerzen in beiden Beinen ge-
klagt, was sie auf Rechnung ihres Alters setzte, so einmal im April des
laufenden Jahres; auch einmal über eine leichte ROthe mit geringer An-
schwellung am Unterschenkel, die auf Bleiwasserumschläge bald verging.
Die Urinabsonderung soll bis zu den letzten Tagen regelmässig gewesen
sein. Das Aussehen der Patientin war sehr gut.
Um 1 2 Uhr Mittags also hatte ich Patientin zuerst gesehen, im Lanfe
des Nachmittags sah ich sie noch öfters, da die Schmerzen sehr hochgradig
wurden, zuletzt Abends 8 Uhr. Auch da war ausser Schmerzen bei jeder
XXJX. BeBpreehuDgen. 51t
•
Berflbrung and bei dem Versnch zu' Bewegungen des BeineB sowohl hin-
sichtlich der Farbe, wie des Umfanges,' der Temperatur, der Weichheit n. s. w.
nichts Abnormes nachweisbar. Palsation der Art. fem. schwach. Das linke
Bein normal. Herz nicht yerftndert. Pols 100. Temperatur 37,5. Urin,
mit dem Katheter entleert, wenig, stark eiweiss- und cyiinderhaltig. Im
linken Hypochondrium auch Schmerzen, Leib weich, nicht aufgetrieben.
Sensorium normal. Kein Erbrechen. Zunge gut. Ord.: Morph. 0,01 alle
3 — 4 Standen Klysma. Einwicklung.
Die Naeht war zar Hälfte sehr anruhig, dann aber duselte Patientin
fast stftndig. Kein Delirium. Viel Durst.
Als ich am 21. Morgens zwischen 6 und 7 Uhr zu der Kranken kam,
fand ieh ein aberraschen des Bild. Sie lag in Agone. Mehr aber noch er-
schrak ich, sowie ihre Angehörigen, als ich das rechte Bein bioslegte. Es
bot sich das Bild des vollständigen Brandes. Von den Zehen bis
herauf zur Darmbeinschaufel war das Bein total dunkelbraun, an einzelnen
Stellen fast schwarz, dabei kOhl, empfindungslos, nur bei Druck in der
Leistengegend zuckte Patientin leise. Keine nennenswerthe Anschwellung,
keine Härte, keine Knoten im Verlauf der Gefllsse; Pulsation aufgehoben.
Aach der nicht aufgetriebene Leib zeigte rechts bis zur Linea alba und
bis zur Höhe des Nabels stellenweise eine gleiche Färbung, wie das Bein.
Puls klein, kaum fühlbar. Sprache lallend, noch klares Bewusstsein. Viel
Dusel. Wenig mit dem Katheter entleerter Urin, colossal viel Eiweiss.
Vormittags 9 Uhr Bewusstlosigkeit, 11 Uhr Vormittags Tod. Leider
durfte, wie Eingangs bemerkt, die Section nicht ausgeführt werden. Es
iässt sich aber auch ohne solche mit annähernder Gewissheit annehmen,
dass es sich ursprünglich um Embolie und Thrombose der Arieria iliaca
ext. dextra und später auch der Art. iliaca communis dextra gehandelt hat.
XXIX.
Besprechungen.
Dr. A. Erlenmeyer, Die Schrift. Grundzüge ihrer Physiologie und
Pathologie. Stuttgart, A. Benz & Comp., 1879. gr. 8^. 72 Seiten.
Erlenmeyer hat sich das Verdienst erworben, zum ersten Male die
Schrift und ihre Störungen durch Krankheit, Alter u. s. w. in umfassender
Weise und vom ärztlichen Gesichtspunkte aus dargestellt zu haben. Dass
diese erste Bearbeitung der wichtigen und vielseitigen Materie keine durch-
aus erschöpfende ist, wird dem Verfasser Niemand zum Vorwurf machen:
ist einmal der Grund des Gebäudes gelegt, so werden sich auch die finden,
die es ausbauen.
512 XXIX. Besprecluingen.
Die ersten zwei Kapitel sind der Physiologie der Schrift gewidmet
Es wird in ihnen behandelt : die Richtung der Schrift, welche immer eine
Abdnctionsbewegung darstellt, mit der rechten Hand von links nach reohts,
mit der linken von rechts nach links; die Mechanik des Schreibens, der
Charakter der Schrift, welcher die Eigenthflmlichkeit des Schreibenden wie-
dergibt, u. s. w«
Die pathologischen Veränderungen der Schrift werden eingetheilt in
mechanische nnd psychische. Bei jenen erscheint die alterirte Schrift nur
undeutlich eventuell unleserlich, also formfalsch^ nie sinnfalsch. Die psy-
chischen Alterationen der Schrift widersprechen der Orthographie, der For-
menlehre und Syntax, also der Grammatik: Dysgrammatographie. Die
mechanischen Schriftstörungen zerfallen wieder in die ataktische Schrift uod
die Zitterschrift. Jene kommt physiologisch vor beim Kinde, pathologiflch
bei allen Erkrankungen, welche Ataxie der Handbewegungen verursachen:
Cerebrale und spinale Ataxie, Intoxicationen , Ermüdung, Schreibekrampf.
Ihr Wesen besteht in der excessiven Ausführung der einzelnen Buchstaben.
Die Zitterschrift kommt physiologisch vor im Alter, pathologisch durch
Alle Ursachen, die Zittern der Hand veranlassen, z. B. Kälte, Herdsklerose,
Paralysis agitans u. s. w. Wellenlinien statt gerader Linien ist ihr TypoB.
Die Dysgrammatograpbien zerfallen in: 1. die bewusst zwangsartigen, da-
hin gehören die Agraphie und die Paragraphie, und 2. die willkflrlich od-
bewussten, dahin zählt die Schrift der Paralytiker. Alle die verschiedenen
Störungen der Schrift können sich mit einander combiniren nnd thnn dies
besonders bei der progressiven Paralyse der Irren. Gerade bei letzterer
Krankheit ist die Beobachtung der Schrift von besonderer Wichtigkeit, so-
wohl theoretisch als in Bezug auf Diagnose und Prognose. Der praktischen
Verwerthung der Kenntniss abnormer Schrift ist das letzte Kapitel gewidmet
Diese Kenntniss ermöglicht nach Verfasser frühzeitig die Diagnose einer
organischen, diffusen Rindenerkrankung, sie lässt zwischen dieser und con-
sensuellen Erkrankungsformen der Rinde unterscheiden, ebenso zvnsehen
echter Paralyse und Himlues, sie stützt die Prognose nnd sie liefert den
objectiven Nachweis therapeutischer Erfolge.
Das Buch ist mit 12 trefflich ausgeführten, lithographirten Tafehi ans-
gestattet, welche Proben pathologischer Schriftformen enthalten. Wir glauben
dasselbe allen Aerzten angelegentlich empfehlen zu können.
Leipzig, August 1879. f. j.mjbiM.
XXX.
Cotersachungen Ober mehrere ErscheinuDgen am Cireulations- und
RespiratioDsapparate (Herzbewegung, Blutbewegung in der Aorta
QDd Radialis, StimmfremiUis, Vesiculäratbmen etc«), angestellt an
einer Fissura stemi congenita.
Von
Dr. Fnms Penaoldt,
Obennto der medlolalMlMii Poliklinik and Prlratdoconten in Erlanfan.
Angeborene oder erworbene Defecte in den Wandungen der
menschlichen Kdrperh&hlen , Defecte, welche normaler Weise ver-
steckt liegende Theile am Lebenden einer directen üntersnchung zu-
gänglich zu machen im Stande sind, hat man von jeher zur Erfor-
schung der Lebenserscheinungen der inneren Organe mit Vorliebe
und Erfolg verwerthet. Ja, einzelne Träger solcher Abnormitäten
erlangten eine grosse Bertthmtheit und ihre Namen erhielten in der
Geschichte der Wissenschaft einen Platz neben denen, welche sie
zu ihren Forschungen benutzten. Zu diesen gehörte bekanntlich auch
E. Groux, ein Mann mit einer angeborenen Stemalspalte, welcher
in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts seine seltene und inter-
essante Missbildung den Aerzten fast der ganzen gebildeten Welt
demonstrirte und Veranlassung zu einer grossen Zahl theils von kür-
zeren Gutachten, theils von grösseren Arbeiten gegeben hat i). Von
den fibrigen in der Literatur verzeichneten congenitalen Stemalspalten
ist keine in der ausgedehnten Weise wie die von Oroux ausgenutzt
worden; doch hatte z.B. schon früher Scoda^) ein neugeborenes
1) Davon seien erw&hnt: Ernst, Yirchow'B Archiv. Bd. IX. 8.269; Hamer-
nik, Wiener med. Wochensdir. 185a. Nr. 29 ff.; Traube, Deuteche Klinik. 1857.
Nr. 17; Pavy, Med. Times and Gas. 1857. Nov.; Bennet, Edinb. med. Joam«.
1858. March etc. YergL ferner dieAoufige aus dem Album in £. Groux, Fiss.
st oong. New observ. and exp. with iUostr. etc. Hambuiig 1859.
2) AbhaodL aber Percussion und Auscultation. 6. Aufl. S. 147. Die Literatur
Ober die Fissura stemi siehe ftbrigens bei Jahn, Dieses Archiv. Bd. XVI. S. 200.
Dem dortigen Tecsflichniss sei noch hinsugef>: Müller, Fissura stemi con-
DMtaehM AnhlT f. kltn. M«dloln. XXIV Bd. 33
614 XXX. Penzoldt
•
Kind mit fehlendem Brustbein fttr die Theorie des Henstosses Ter-
werthet
DasB es aber möglieh ist, derartige Fälle noeh in mannigfaltigerer
Beziehung, als es bisher geschehen ist^ zumal mit Holfe der neuen
Methoden , zur Beleuchtung und Erforschung einzelner für die kli-
nische Medicin wichtiger Erscheinungen an den Brustorganen heran-
zuziehen, das lehrte mir die längere Beobachtung einer Fissura stemi
congenita, welche ich in der hiesigen Poliklinik zu machen Gelegen-
heit hatte. Das betreffende Individuum wurde schon wiederholt in
wissenschaftlichen Versammlungen demonstrirtO nnd dann in der
Dissertation von M. Jahn^) ausführlicher beschrieben. Letzterer
knüpfte an die Beschreibung des Falls eine kurze Abhandlung Aber
den Herzstoss. Dieselbe steht jedoch mit jenem Gegenstand eigent-
lich in sehr lockerer Beziehung und der Verfasser meint selbst, dass
für die Theorie des Herzstosses der Fall nur geringe Ausbeute liefere.
Ich habe nun an dem Hanne eine Reihe kleiner unter sich meist
nicht zusammenhängender Untersuchungen über verschiedene Gegen-
stände angestellt, welche zu dem Kapitel: physikalische Dia-
gnostik in loserer oder engerer Beziehung stehen. Die Besultate
sollen in dem Folgenden gegeben werden.
Ehe ich jedoch zur Besprechung meiner Untersuchungen über-
gehe, halte ich es für nöthig, den gegenwärtigen Befund etwas aus-
führlicher mitzutheilen. Irgend erheblichere Veränderungen in Form
und Ausdehnung der Spalte scheinen zwar seit der Jahn 'sehen Schil-
defung nicht stattgefunden zu haben, doch muss dieselbe nach den
verschiedensten Richtungen hin ergänzt und erweitert werden. Vor
Allem ist es geboten, alle Einzelheiten des Befundes, welche von
Werth für die Beurtheilung der Natur der in der Spalte zu Tage
tretenden Organe sein können, sorgfältig zu registriren. Denn zo-
nächst gibt uns der Fall selbst Räthsel auf, nach deren möglichst
sicherer Lösung wir erst daran denken dürfen, den Fall zur Lösung
physiologischer Fragen zu benutzen. War doch der vorliegende Hen-
abschnitt im Falle Groux von den verschiedensten Autoritäten in
der verschiedensten Weise, als Vorhof, Aorta etc. gedeutet worden.
genita. Eönigsbeig. med. Jahrbücher. I. Heft 1 u. 2; Ritter, Wrany, Oestr.
Jahrb. f. P&diatr. 1870. I. S.90 a. 110.
1) 8o, wie man mir mittheüt, schon als kleines Kind in der hiesigen Sockttt
von Kussmaul, dann 1873 yon y. Ziemssen auf der Natarforscherrersanimlo]^
in Wiesbaden, sp&ter von B& um 1er im ärztlichen Verein in Nümbeig.
2) lieber Fissura stemi congenita und über die Herzbewegung, insbesondere
den Herzstoss. Inaugaraldissert Erlangen 1875 und Dieses Archiv. XYL S. 300.
Encheinimgen am CircnlmtionB- und Respirationsapparat bei Fissnia stemi. 515
Statas praeseDB des V. Wander im Febrnar 1879.
(Die Anamnese bot bei der Jahn 'sehen Aufnahme mit Ausnahme
der hereditAren Verhältnisse (S. 203) nichts Erwihnenswerthes. Seit 1874
hat sich im subjectiven Befinden des W. nichts geändert. Nur in der letzten
Zeit spürte er, dass ihm die Arbelt in der hiesigen Spinnerei nachtbeilig
schien, er meinte sie nicht mehr leisten zu können und seine Angehörigen
waren der Ansicht, dass sein Aussehen verschlechtert sei.)
Allgemeines: Untersetzter, ziemlich kräftiger Körperbau, gute Hus-
cnlatur, massiges Fettpolster. Ej^rpergewicht 126 Pfd. Körperlänge 164 Cm.
Ziemlich gerade Haltung bei leichter Neigung des Kopfes und Vorstrecken
des Abdomens. Blasse Hantfarbe. Keine besondere Entwicklung der Haut*
YCDcn. Rectaltemperatur 37,5.
KopfundHals. Gesichtsfarbe eher blase. Lippen mittelroth. Auch
sonst im Gesicht nichts Abnormes. Nasenscheidewand vollständig i). Rachen
normal. Ebenso Larynx mit Ausnahme eines chronischen Stimmbandkatarrbs.
Stimme schwach, belegt/ Hals kurz, cylindrisch. Bezüglich der Muskeln
Tergl. Jahn. S. 202.
Thorarx (von der Spalte abgesehen): Gut gewölbt. Umfang in der
Höhe der Brustwarze 84 Gm., wovon auf die linke Hälfte nur 41 fallen.
Entfernung der Papille von der Mittellinie links 12, rechts 13 Cm. Cla-
viculae stark gekrdmmt.
Lunge: Rechte Fossa supraclavicularis eine Spur dumpfer schallend
als die linke. Schall sonst llberall hell, untere Lungengrenze an normaler
Stelle, normal beweglich. Athmungsgeräusch und Pectoralfremitus normal.
Herz: Spitzenstoss fttr gewöhnlich nicht zu fühlen. In linker Seiten-
lage schwach im 4. Intercostalraum etwas nach innen von der Papillarlinie.
Nach Körperanstrengung auch im Stehen im 5. Intercostalraum in der Para-
stemallinie. Absolute Herzdämpfung Mitte der 4. Rippe beginnend, nach
rechts 1 Querfinger rechts von der Mittellinie, nach links von der Para-
stemallinie begrenzt. Herztöne rein. Radialpuls klein, weich, 63 — 66.
Auch alle übrigen tastbaren Arterien schwach pulsirend.
Unterleibsorgane: Keine Abnormität.
Die Sternalspalte: Das Stemum (Manubrium und Corpus) ist zum
grössten Theil in zwei Hälften gespalten. Diese tragen die Clavicula, sowie
die Rippenknorpel in der gewöhnlichen Weise. In der Höhe der Mitte der
4. Rippe vereinigen sie sich zu einer etwa 2 Cm. hohen, wie es scheint,
knöchernen Leiste. Nach oben von dieser liegt also die Hauptspalte, von
der unveränderten Thoraxbaut Aberzogen. Sie ist von einer zwischen den
oberen Rändern der Schlflsselbeine gezogenen Querlinie bis zum oberen
Kande der erwähnten Querleiste 13 Cm. lang, zwischen den Claviculae 4,5,
den ersten Rippen 4,2, den zweiten 4,2, den dritten 2,5 Cm. breit und
ca. 1 Cm. und darüber tief. Beim Zusammenpressen der Handflächen,
sowie beim starken Zurückziehen der Schultern wird die Fissur flacher und
breiter, bis 5,5 und 7,0 Cm. breit, wobei sich die überziehende Membran
1) Dies sei erwähnt, weil Garms (Prager Vierte^ahrschrift. 1855. I. S. 168)
bd Grouz einen Defect der Nasenscheidewand vermuthet und gefunden hatte.
33*
516 XXX. PBNZOtPT
(Gntis und Fascie) sehr straff spannt. - — Nach abwärts von der gedachten
Querleiste findet sich wieder ein spaltförmiger, al>er nur wenige IGiUmeter
breiter Ranm, der sieb bis zu dem von den spitzwinldlg zusammenlaufenden
Rippenbogen begrenzten Epigaetrium fortsetzt. Derselbe erscheint ohne
weiteres Interesse und wir sprechen deshalb ansschliesslich von der oberen
(Hanpt-) Spalte.
Verhalten der Spalte bei der Respiration: Die Breite ändert sich
bei ruhigem *Athmen nicht, bei tieferem eher etwas in dem Sinne, dass sie
bei der Exspiration zunimmt. Bei ruhiger Inspiration vertieft, bei ruhiger
Exspiration verflacht sich die Grube. Tiefe, angehaltene Inspiration macht
eine Vertiefung bis zu 3 Cm., tiefe Exspiration oder Husten eine Vorwöl-
bung bis zu einer Hdhe von Aber 2 Cm. Wie eine längliche Blase inrd
besonders bei forcirten HustenstOssen die Haut der Spalte vorgetrieben.
Dabei reicht die VorwOlbung nach oben hin weit Aber die Spalte hinans
bis zur Gegend des Ringknorpels, von einer nach oben convexen Bogeolinie
begrenzt. Sie gibt bei der Percussion (bei leiser) hellen nicht-tympanitischen
Schall, während der Boden der Vertiefung bei tiefer angehaltener Inspira-
tion in dem oberen Abschnitt tympanitisch, in dem unteren dumpf schallt.
In der oberen Hälfte hört man bei der Inspiration bronchiales Athmungs-
geräusch, bei tiefer Inspiration ein schwächeres, kürzeres, schlurfendes Ge-
räusch : Vesiculärathmen. Der Pectoralfremitns ist auch auf der Vorwölbnng
(bei Anhalten des Athems in Exspirationsstellung und gleichzeitigem Zahlen),
jedoch nur schwach zu fflhlen. Vergleicht man überdies damit die die
Spalte begrenzenden Thoraxpartien in dieser Beziehung, so zeigt sich, da8S
die Abschwächung des Fremitus auf der vorgewölbten Stelle der FisBor
eine sehr deutliche ist
Der in der Spalte pulsirende Körper:
1. Bei au/rechter Haltung: Man sieht in der Spalte einen pnlsiren-
den Körper, welcher von der Querleiste an 7 Cm. weit (zur Höhe dea
unteren Randes der 2. Rippe) hinaufreicht und nach oben hin in Form eines
Bogens, dessen Contouren nach rechts hin übrigens etwas stärker abfallen
als nach links, begrenzt wird. Diese obere Grenze rückt, wie man bei
gleichzeitiger Besichtigung und Auscultation feststellen kann, bei jeder Herz-
Systole um etwas über 1 Cm. nach abwärts. Bei forcirter Inspiration be-
findet sich der obere Rand durchschnitüich 1 Cm. tiefer, bei forcirter Ex-
spiration etwas höher als während des ruhigen Athmens. Am rechten Theil
des Bogens fühlt man den Abgang eines pulsirenden, etwa bleistiftdicl^en
CTefteses^ welches sich längs des rechten Randes der Fissur nach oben hin
weiter verfolgen lässt. Bei der Betastung dieses QefUsses nimmt man ein
systolisches Anschwellen, sowie einen diastolischen, klappenden Stoss wahr.
Dasselbe Gefühl hat man auch bei Berührung des oberen Abschnittes des
pulsirenden Tumors. Was man sonst an dem Organ zu fühlen und zu
sehen glauben könnte, Reihenfolge der Bewegungen u. A., übergehe ich
hier, da die Resultate der blossen Inspection und Palpation in dieser Rich-
tung nicht genau genug sind und exactere Methoden zur Verfügung stehen.
Die Percussion ergibt auf der Pulsation bei ruhigem Athmen oder Einathmen
dumpfen Schall. Man hört auf der pulsirenden Stelle zwei annähernd gleich
starke Töne, der zweite ist eher etwas stärker. Bei (massigem) Droek mit
dem Stethoskop kann man ein lautes Stenosengeräusch erzeugen, und swar
Encheinungen am Circiümtionfl- ud BeipirationBapparat bei FisBnra sternL 517
ein BystoIisclMB. Den diastoliacheD Tod anfcnhebeti, geliogt bei nüttierem
Druck nicht
2. Bei horizontaler Rückenlage: Die obere Grenze der puUirendeD
Gescbwulst liegt beträcbtlicb böber als im Stehen, während der Diastole
9,5 Gm. Aber der Querleiste (entsprechend dem unteren Rande der 1. Rippe)»
bei der Systole 8,5 Gm. (d. i. bis znm oberen Rande der 2. Rippe). Dem»
nach ist das systoliache Abwirtssteigen im Liegeo etwaa stärker ausgei^ftgt
als in aufrechter Stellung. Ferner bemerkt man an dem klopfenden Organ
eine leichte , von der Höhe des oberen Randes der 3« Rippe nach rechts
und etwas abwärts laufende Furche.
3. Bei rechter Seitenlage: Im Ganzen bestehen dieselben Verhältnisse
wie in der Rückenlage, nur erscheint die systolische Vorwölbung geringer
and es wird das links nach oben abgehende Gefäss schlechter gefühlt.
4. Bei linker Seitenlage: Ungefähr dasselbe Verhalten wie in der
Rückenlage. Die obere Grenze der Pnlsation steht noch höher, in der Dia-
stole 10 Cm.y in der Systole 9,5 hoch über der Leiste. Die systolische
Verschiebung ist also in dieser Lage gering. Der Spitzenstoss wird nur
Id dieser Stellung fühlbar (s. oben).
5. Wenn der Mann sich so stark vornüber beugt, daas eine fast ver-
ticale Stellung auf den iTop/ resnltirt: Es schien nicht unwichtig, auch
in dieser Position, welche der Mann leicht ausführt und gut erträgt, die
Fissur und ihren Inhalt zu beobachten. Die obere Grenze des Tumors
rflckt in diesem Falle hinauf bis zu einer zwischen den oberen Rändern
der Schlüsselbeine gezogenen Horizontalen, ja sogar etwas über dieselbe
binans. Es sieht wirklich fast ans, als wolle das Herz herausfallen. In
der Höhe des 1. Intercostalraumes sieht man alsdann eine Querfurche deut-
lich ausgeprägt. Nach abwärts von demselben (d. i. abdominalwärts) liegt
ein mächtiger Körper, der sich systolisch zusammenzieht und verblutet.
Nach oben (dem Kopfe zu) von der Querfnrche fühlt man ziemlich klar
ein systolisch sich, ausdehnendes Gefäss von dem Kaliber der Aorta. Die
systolische Verschiebung der oberen Grenze der Pulsation nach unten (dem
Bauch zu) ist in dieser Stellung eine sehr minimale. Auffallend ist endlich
die sichtliche Verminderung der Frequenz der Herzaction beim Vomüber-
bengen. Während dieselbe im Stehen z. B. bei mehrmaliger Zählung 72
bis 78 betrug, sank sie in der angegebenen Stellung constant auf 60 herab.
Versuchen wir nun auf Orund der vorstehenden Besehreibung
die Organe, resp. Organabschnitte zu bestimmen, welche in der Spalte
zu Tage treten, so erscheint dies leicht bezüglich der Bespirations-
organe. Wie uns der tympanitische Schall lehrt und der Lage genau
entsprechend, finden wir im oberen Abschnitt des Baumes die Trachea.
Von Lunge ist während der Inspiration so gut wie gar nichts in der
Spalte zu bemerken; die beiden vorderen Lungenränder, oder viel-
leicht nur der rechte, füllen dieselbe dagegen, wie der Lungen*
schall etc. beweist, bei der Exspiration in grösserem oder geringerem
Grade aus oder bedingen sogar eine Vorwölbung.
Viel schwieriger ist die Entscheidung, welcher Abschnitt des
518 XXX. Pbmsoldt
Herzens und seiner Adnexa in der Spalte pulsirend gesehen wird.
Und doch müssen wir dieselbe um so mehr mit möglichster Exact-
heit zu treffen versuchen, als sie die Basis ftlr eine ganze Reihe der
mitzutheilenden Untersuchungen bildet — Ehe wir daran gehen, ist
zunftchst die wichtige Vorfrage zu beantworten : Ist der Mann, abge-
sehen von der Spaltbildung im Sternum, bezflglich seiner Brustoigane
und speciell seines Herzens in Bau und Lage als vollkommen normal
zu betrachten und kann man also die normale topographische Ana-
tomie direct auf ihn anwenden? Ein zwingender Grund, diese Frage
zu verneinen, liegt nicht vor, da die Anwendung unserer gewöhn-
lichen Untersuchungsmethoden an dem völlig gesunden Menschen
eine wesentliche pathologische Veränderung nicht erkennen Iftsst
Nur das Eine ist zu berücksichtigen, dass die Herzdfimpfung (Stehen)
etwas weiter nach rechts, weniger weit nach links als in der Noim
reicht und auch der Spitzenstoss, wenn fühlbar, in der Parastemsl*
linie ist, also die Stellung des ganzen Herzens eine etwas mehr ver-
ticale sein dürfte. Aus diesem Umstand ist jedoch nichts weiter zn
schliessen, als dass vielleicht um ein klein wenig die Basis des He^
zens in unserem Falle höher hinauf reicht als sonst Dieser Unter-
schied dürfte aber kaum so gross sein, um in die Wagschale za
fallen und wir können wohl unbedenklich auf der Voraussetzung von
normalen Verhältnissen basiren.
Ueberträgt man nun die topographisch anatomische Beschreibung
und Zeichnung auf den Fall, oder ahmt man, wie wir es gethan
habend), an der Leiche durch Besection des betreffenden Sternum-
Stücks (ohne Pleuraverletzung) die Verhältnisse der Fissur nach, so
findet man, dass in derselben die Strecke von der Höhe des dritten
Rippenknorpelansatzes bis zu der des ersten, also die oberen zwei
Drittel des pulsirenden Körpers, wie er sich in der Bückenlage prft-
sentirt, dem aufsteigenden Theil und dem Beginn des Bogens der
Aorta entsprechen würden. Misst man an der Leiche nach Eröffiiong
der Brusthöhle und des Pericardialraumes in situ die Länge des frei-
liegenden aufsteigenden Aortentheils bis zum Abgang der Anonyma,
so findet man beispielsweise dieselbe 5,5 Cm. Die Länge des gan-
zen pulsirenden Körpers in unserem Falle betrug 8,0 (Systole) bis
9,5 Cm. (Diastole), also im Mittel 8,7 Cm. Zwei Dritttheile dieser
Länge würden aber 5,8 Cm. sein. Man sieht also auch nach dieser
Rechnung , dass ungefähr zwei Drittel des Ganzen auf die Aorta za
rechnen sind.
1) Herr Dr. H. Schmid hatte die Gate die Operation auszufahren.
Encheiniiiigen am GucolatloiiB- und QespIrationBapparat bei Figsura sterni. 519
Za dieser AuffasBung würde ferner die Beobaohtang der leichten
zfemlich qaer yerlaafenden Furche in der Höhe der 3. Bippe paasen
und man könnte yennuthen, daas selbige die Grenzlinie zwischen
Aorta und rechtem Vorho/ andeutet ^). Doch soll hieraufi weil Tftu-
Bchungen nicht ganz sicher auszuschliessen sind, kein besonderes
Gewicht gelegt werden. Dagegen möchte ich den Verlauf der ober-
sten Bogrenzungslinie des pulsirenden Körpers, als ganz entsprechend
dem Beginn des Aortenbogens, sowie den Abgang des längs des
rechten Fissurrandes nach dem Kopf zu yerlaufenden Gefftsses, als
den des Truncus anonymus, ftlr directe Beweise der dargelegten An-
schauung halten. Schliesslich wird auch die weiter unten zu gebende
Beschreibung der yon den yerschiedenen Abschnitten des pulsirenden
Körpers gezeichneten Cunren wenigstens so yiel darthun, dass die
beiden oberen Dritttheile ein und demselbeo, das unterste aber einem
andern Abschnitt des Gefftsssystems angehören.
Das untere Drittel wUrde der anatomischen Liage nach die Stelle
sein, wo rechter Vorhof, rechter Ventrikel und Conus der Pulmonalis
zusammen liegen. Welcher yon den drei Stücken den wesentlichsten
Antheil an der Pulsation hat, dürfte schwer ohne Weiteres zu ent-
scheiden sein. Doch können auch hier die Curyen der pulsatorischen
Bewegung yielleicht etwas näheren Aufschluss geben. Bei der Be-
sprechung der Aortencurye werde ich kurz darauf zurückkommen.
Im Stehen ist der pulsirende Körper yiel kürzer, seine obere
Grenze steht laut Status praesens yiel niedriger. Wir werden des-
halb im Stehen fast nur Aorta yor uns haben; das untere Drittel
(im Liegen) sinkt offenbar in aufrechter Stellung zum grössten Theil
hinter die „Querleiste'' hinab und wird so unsichtbar.
lieber die Bewegungen der Lungen sowie über die
Athmungsgeräusche in der Fissur.
Dass derjenige Körper, welcher bei der Inspiration und beson-
ders bei Hustenstössen in der Spalte yorgewölbt wird und bei der
Einathmung wieder yer8chwindet,'die Lunge ist, bedarf wohl nach
dem im Status praesens Mitgetheilten keines weiteren Beweises und
wir können deshalb schlechthin yon den Bewegungen der Lunge
in der Spalte sprechen. Ob dieselben den Oberlappen beider Lun-
1) Ein paar ganz leichte backeiförmige Erhebungen hielt ich früher (Sitzungs-
berichte der Erlanger phys.-med. Soc S. 2 d. S.-A.) für den Ausdruck der Elap-
pengegend, habe mich aber an der Leiche flberzeugt, dass letztere wohl immer
hinter dem rechten Atrium verborgen ist
536 ' XXX. Pbnzoldt
genflttgel oder nur dem rechten angehfiren, hat wohl kein besonderes
Interesse; flbrigens ist, wenn man nach dem blossen Eindrack bei
der Besiehtignng nrtheilen darf, das Erstere wahrscheinlicher. Inter*
essant ist dagegen die Beobachtang der Formyerftndemngen des Lan*
genstflcks bei In- nnd Exspiration nnd dieselbe verlangt eine knne
Erlftaternng.
B^ der Exspiration befindet sieh ein Theil der Lnngenränder in
der Spalte. Dehnt sich nnn bei der folgenden Inspiration der Thorax
aus, so wird, weil die aus Haut und vermuthlich aus einer dftnoen
Fascie bestehende Bedeckung dem äusseren Luftdrücke keinen Wider-
stand leisten kann, die Lungenpartie sammt der Bedeckung durch
den überwiegenden äusseren Druck in die Spalte hineingedrängt, also
von dem sich expandirenden Brustkorb aspirirt. So weit ist die Er-
klärung eine einfache. Geht man aber einen Schritt weiter und fragt
man : wird bei der Inspiration das vorgewölbte Lungenstflck in toto
hineingedrängt, etwa so wie es mit der aufliegenden Hautpartie ge-
schieht, oder wird vielleicht aus demselben die eingeschlossene Luft
Bum Theil ausgesaugt, so dass dasselbe sich gleichsam im Zustand
einer Exspiration befindet? — so stösst die Deutung auf Schwierig-
keiten, welche wohl auf rein theoretischem Wege ohne eine fjedoeh
nicht ganz leichte) specielle Experimentaluntersuchung nicht zu flber-
winden sein dürften. Wenn es mir erlaubt ist, meine nur auf Ver-
muthung basirte Anschauung hier einzufügen, so dürfte es am unge-
zwungensten sein, anzunehmen, dass wohl beide angeführte Factoren,
der erste aber in hervorragender Weise, bei dem Zustandekommen
der Erscheinung betheiligt sind.
Bei der Exspiration drängt der zusammensinkende Thorax die
betreffenden Lungenpartien nach der Stelle, an der sie keinen Wider-
stand finden, d. i. in die Spalte vor. Auch dies ist leicht zu ver-
stehen. Aber auch hier entsteht wieder die Frage : werden die Lan-
genabschnitte in toto vorgedrängt oder füllen sie sich wieder mit
einem Luftquantum, welches bei der Einatbmung ausgesogen, jetzt
durch die zuführenden Luftwege in centrifugaler Richtung eingepresst
wird, und machen sie so, sit venia verbo, während der Gesammt-
exspiration eine partielle Inspiration? Mit der Beantwortung dieser
Frage steht es genau so, wie mit jener bezüglich der bei der inspira-
torischen Einziehung aufgeworfenen. Auch hier vermuthe ich, da»
beide Modi gleichzeitig, wenn auch nicht als gleichberechtigt, ange-
nommen werden können. Denn man kann sich offenbar leichter
vorstellen, dass der Exspirationsdruck ein Lungenstflck mittlerer Lnft-
füUung als Ganzes an den Ort des geringsten Widerstandes vordrängt,
*
Enchemnngen am CircolationB- und Respvationsapparat bei FisBura stemL 521'
als dasfl er in einen Inftarmen Langenabsebnitt durch die engen
Luftwege so viel Luft hineinpresst , dass eine bo beträchtliche Vor-
Wölbung entstehen kann. Eb sei hier aber auch ansdrflcklich her-^
Torgehoben, dass das eben besagte nicht mehr als Vermuthnng ist
und sein soll.
Die Betrachtung der exspiratorischen Bewegungen lenkt unsere
Aufmerksamkeit auf eine sehr eigenthfimliche und zwar gewiss nur
diesem Fall eigenthflmliche Erscheinung. Bei den Hustenstössen,
welche die stärkste Vorw5lbung in der Spalte erzeugen, siebt man
nämlich die Vorwölbung bis hinauf zur Gegend des Ringknorpels
reichen. Diese Thatsache ist nicht anders zu erklären, als dass sich
die Pleurasäcke abnormer Weise so hoch hinauf und so weit bis zur
Medianlinie yon beiden Seiten her ausgedehnt haben mflssen. Wäh-
rend der Wachsthumsperiode des Indiyiduums mögen die bei Husten-
krankheiten (Keuchhusten hat es notorisch fiberstanden) immer wieder-
und wiederkehrenden heftigen Exspirationsstösse vorfibeigehend die
Lunge und dauernd den Pleuraraum in einer Richtung, in welcher
der Widerstand ofifenbar nur gering war, erweitert haben. Eigen-
thflmlich' sind die oberen Grenzen des Pleuraraumes inclusive der
neugebildeten. Dieselben sind nämlich ffir beide Lungenspitzen selbst-
Terständlich, merkwürdiger Weise aber auch ffir den mittleren Raum
nach oben convexe Bogenlinien. Demnach wfirden sie alle drei zu-
sammen etwa folgende Figur nHO vorstellen, in welcher die bei-
den lateralen Bogen den Lungenspitzen, der mittlere dem neuen „ Com-
plementärraum * entsprechen wfirden. Wodurch aber der letztere
seine eigenthfimliche obere Begrenzung erhält, ist wohl schwer zu
sagen. Ich dachte daran, dass vielleicht die Sterno-thyreoidei sich
an die beiden Sternalhälften inseriren, deshalb auseinanderweichen
und so die nach oben convexe Linie dadurch bedingen wfirden, dass
sie in der Nähe ihrer Kehlkopfansätze das mediane Vordrängen der
Lunge verhindern konnten. Doch scheinen die genannten Muskeln,
wie es sich beim Leer-Schlucken zeigt, sich nach abwärts nicht ans
Stemum, sondern an die Fissurmembran zu begeben. Sollte vielleicht
der Omohyoideus dabei betheiligt sein?
Der Schallwechsel, welcher mit der Percussion bei jeder In- und
Exspiration zu constatiren ist, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung.
Dagegen seien ein paar Worte den Veränderungen bei der Aus-
cultation gewidmet. Das Trachealathmen in der Tiefe des oberen
Abschnitts der Spalte, welches bei der Inspiration exquisit ist, wan-
delt sich bei der Exspiration, sobald Lunge zwischen Stethoskop und
Trachea sich eindrängt, in Vesiculärathipen um. Stellen wir uns auf
522 XXX. P£MZOLDT
den (wahrscheinlicheren) Standpunkt, dass im Wesentlichen die Lon-
genrftnder als Ganzes bei der Exspiration vorgeschoben werden, niebt
quasi eine (passive) Inspiration fttr sich allein machen, so können
wir in dieser Beobachtung eine weitere Bestätigung jener von Baas
und mir vertretenen Anschauung sehen, welche das vesiculftre Ath-
mungsgerftusch als eine Modification des laiyngealen Geräusches dureh
die gesunde Lunge auffasst. Bedingungsweise wfirde die Thatsaehö
also dasselbe beweisen, was das von mir angestellte Experiment mit
der auf den Kehlkopf aufgelegten aufgeblasenen Thierlunge beweisen
sollte und, wie ich glaube, bewiesen hat.
Ueber dieBeweglichkeit des Herzens.
Dass das Herz einen ziemlichen Grad passiver Beweglichkeit
besitzt, ist schon lange bekannt Die Untersuchungen über das Ver-
halten des Spitzenstosses und der Herzdämpfung (Gerhardt) bei der
Bespiration, sowie in den verschiedenen Körperstellungen einerseits,
sowie die Beobachtung des Herzens an Fällen, in denen dieselbe
durch einen günstigen Umstand direct möglich war, haben uns in
dieser Richtung belehrt. Der mitgetheilte Fall ist ganz geeignet, die
herrschenden Anschauungen zu illustriren und vielleicht etwas zu
erweitern, wenn es nämlich erlaubt ist, die an ihm gemachte Beob-
achtung zu generalisiren. Nachdem mir schon vorher die grosse
Yerschiebbarkeit aufgefallen war, hat mein verehrter früherer Lehrer
C. Gerhardt, welcher die Fissur ebenfalls untersucht hat, brieflieb
meine Aufmerksamkeit noch ganz besonders auf diesen Punkt durcb
die Aeusserung hingelenkt, dass er, der wohl schon mehr als Andere
eine grosse Beweglichkeit des Herzens annehme, von einem solchen
Grade Überrascht sei.
Wie aus dem Status hervorgeht, ist der Unterschied bezüglich
des Standes der oberen Grenze des pulsirenden Körpers bei In- und
Exspiration kein gerade sehr bedeutender. Selbst bei forcirtem
Athmen steht der obere Rand inspiratorisch nur einen Centimeter
unter, exspiratorisch nur einen halben über der Mittelstellung. Auch
bei Wechsel zwischen rechter und linker Seitenlage tritt in
unserem Falle die passive Locomotion nicht sehr deutlich herror,
wenn auch ganz offenbar die seitlichen Partien des freiliegenden
Herzabschnittes jedesmal in der gleichnamigen Seitenlage unter den
betreffenden Bändern der Spalte verschwinden.
Auffallend dagegen ist die Differenz zwischen verticaler und
horizontaler Körperhaltung. Der pulsirende Tumor ragt in der
Erscheinimgen am Circnlatioiii- und Respiratioiiaapparat bei Fissnra Bterni. 523
BOckenlage 2Vs Gm. (in linker Seitenlage sogar 3) höher nach oben
(dem Kopfe zu) als im Stehen. Geradezu llberraschend zeigt sieh
aber die passive Bewegliehkeit des Herzens, wenn man die obere
Grenze in verticaler aufrechter Haltung mit der beim Vomttberbeugen
bis wieder zu annähernd verticaler Stellung in Vergleichung bringt
In letzterer Lage rflckt der obere Band des Aorten-
bogens um Aber 6 Gm. kopfwftrts in die Höhe. Ob diese
starke Verschiebung nur eine durch den Defect bedingte Eigenthflm-
lichkeit dieses IndividuumSi oder ob sie ein normales Vorkommniss
ist, darüber konnten ein paar einfache Versuche einige Belehrung
bringen.
An derjenigen Leiche, an welcher die Fissur durch Besection
des Mittelstflcks des oberen Sternalabschnitts und Auseinanderpressen
der restirenden Sternumränder die Missbildung annähernd nachge-
ahmt worden war, wurde auf den Stand des Aortenbogens in Bflcken-
lage und bei Stellung auf den Kopf geachtet In der letztgenannten
Ferschob sich der Aortenbogen bis zur Höhe einer Horizontalen zwi-
schen beiden Glaviculae und zwar benutzte er nicht etwa, wie man
erwarten sollte, den durch Entfernung des Stemums und der Fascie
nach vom zu frei gewordenen Baum, sondern drang hinten längs der
Wirbelsäule hin, also in einer Gegend, wo durch die Operation (bei
Erhaltung der Pleura etc.) nichts vom Normalen Abweichendes ge-
setzt war, bis zu der genannten Höhe vor.
Am gesunden Lebenden scheint dagegen, trotz dieses positiven
Versachsresultats am Gadaver, die Verschiebung nicht ganz so deut-
lich auszufallen. Lege ich bei mir selbst die Zeigefingerspitze leicht
in die Fossa jugularis mit der Bichtung nach unten, so ftthle ich im
aufrechten Stehen nichts, dagegen bei starkem Bücken die Pulsation
eines grossen Gefässes. Dieselbe befindet sich aber immer noch ein
paar Centimeter unter dem oberen Stemalrand, erreicht demnach jene
Horizontale nicht. Immerhin muss die Lageveränderung nach dem
Kopf zu bei Vomüberbeugen als sehr beträchtlich angesehen werden
und es wäre gewiss zu empfehlen, dass man in den Fällen, in denen
es wfinschenswerth sein dürfte, den Aortenbogen zu palpiren: bei
Verdacht auf Atherom, Aortenklappenfehler, beginnendes Aneurysma,
sich dieser Stellung bediene.
In Bezug auf die sogenannte active Locomotion des Herzens
können wir aus unserem Falle leider nicht viel entnehmen, da der
unterste Theil des Organs, insbesondere die Spitze, nicht nur nicht
freiUegen, sondern selbst nicht einmal den normalen Spitzenstoss zur
Erscheinung bringen. Wir können nur die vom Thierexperiment her
524 XXX. Pbnzoldt
seit langer Zeit bekannte systoliBohe Abflachung des Aortenbogens)
aber diese ancb sehr schön an der Spalte demonstriren. Man kaoD
wohl auch unbedenklich sagen, dass der Aortenbogen sich wirklieb
nach abwärts yerschiebe. Der obere Rand des sichtbaren TheilB des
Organs wenigstens rückt deutlich nach unten. Dass die Bew^ng
eine systolische ist, kann man leicht durch gleichzeitige Auscultation
der Spitze und Inspection des pulsirenden Körpers ermitteln. Somit
beobachten wir also eine systolische Abwärtsbewegung des Aorten-
bogens. Dieselbe kommt wohl folgendermaassen zu Stande. Bei der
Zusammenziehung verktlrzt sich der Ventrikeli in Folge dessen muss
sich, falls nicht besondere Momente es hindern, die Herzbasis dem
Punkt, um welchen sich der Ventrikel zusammenzieht, nothwendig
nähern, also nach abwärts rücken. Dass dem so ist, hat man am
blossgelegten Herzen schon oft gesehen; bei der später zu erwäh-
nenden Frau mit linksseitigem Rippendefect ist es deutlich zu demon-
striren. Das Zustandekommen der Abwärtsbewegung wird aber durch
die aus kritischen und experimentellen Forschungen längst bekannte
Streckung der grossen Gefässe ermöglicht Wenn aber die Aorta
sich in die Länge dehnt, sobald sie systolisch mit Blut gefüllt wird,
so muss dasselbe auch von den von ihr abgehenden Gefässen, Carotis
und Truncus aüonymus, gelten. Die Streckung dieser Arterien aber
wird es gestatten, dass auch der, wie wir gesehen haben, einer
grossen Verschieblichkeit fähige Aortenbogen von. der sich ab^rts
bewegenden Hei-zbasis ein wenig mit nach unten genommen wird.
Wie wir also aus unserer Beobachtung entnehmen können, be-
wegen sich offenbar der obere Abschnitt des Herzens, resp. seine
Fortsetzung in die grossen Gefässe bei der Systole in der Ricbtnng
nach abwärts, fttr welche Locomotion ausser der Streckung der Ar-
terien vielleicht auch der „ Rflckstoss^ als Ursache herangezogen wer-
den darf. Das beweist aber noch keineswegs für die systolische
Abwärtsbewegung der Herzspitze. Letztere braucht sich durebaos
nicht bei der Systole nach unten zu verschieben, im Gegentheil scheint
es a priori wahrscheinlicher, dass sie sich bei der Zusammenziehang
und Verkürzung nach demselben Funkt im Innern des Ventrikeb
nach oben zu bewegt, nach welchem sich die Basis nach unten za
bewegen hat. Ueberdies glauben Fi lehne und ich 0 eine systolische
Bewegung der Spitze nach oben, rechts und vom mit Sicherheit
nachgewiesen zu haben.
1) Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften. 1870. Nr. 26, 27.
Enchemmigeii am CircnUtloDS- und BeapIntioDUppftrat bei ÜBBim Btaml. 525
Die FulBGorTe der Aorta (eiuBohlieBslich des nach
sbw&rtB TOD der Aorta gelegeneo Herzabachnitts).
Konnte es nach den oben angefahrten Erwfignngen als ziemlich
Bieber angeseheti werden, dasB der obere Theil des in der Spalte
pulairenden Körpers die aufsteigende Aorta sei, so lag es nahe, die
seltene Gelegenheit zu benutzen und die BewegnngBerscheinungen
an der Aorta mittels der grapbiscbeo Methode zn stadiren. Es ist
mir nicht bekannt geworden , dasa AortenpnlBCDrven vom Menschen
exiatiren. Ohermeier>), welcher die palsatorisobe Bewegung in
seinem Falle von Stemalfisanr mit dem aufgelegten Finger zu zer-
gliedern sachte, konnte z. B. „eiae Zeichnnng der Aortenwelle leider
nicht erreichen". Mir standen ans dem reichen Instrumentarium der
hiesigen Klinik zwei Apparate fttr diesen Zweck zur Verfügung, welche
beide io hinreichend tlbereinstinunender Weise zeichneten. Es waren
dies der Doppelstetbograph Ton RiegePj, sowie der Bronde-
geeet'sche Pansphygmograph 3), dne sehr brauchbare Modification
des Polygraphen von Marey *). Die Curven sind von Terschiedenen
Stellen nach einander oder gleichzeitig aufgenommen. Um dieselben
zu markiren, tbeilte ich die pulairenden Körper durch Querlinien ni
drei Abschnitte und liesa die Gurren von dem Mittelpunkt jedes
dieser drei Abschnitte Terzeichnen. Betrachten wir zun&chst die Be-
weguagserscbeiDungen, wie sie sich an den drei Dritttheilen darstellen,
wenn der Hebel bei langsamem Qang des Uhrwerks sohrübt E^
zeigt nch:
I. Am unteren Drittel [Figur 1 und 2] ä) eine deutlich aus-
gesprochene Zacke am aufsteigenden Ourvenschenkel; i) nahe am
rifBt 1. Cor
1) Virchow'a Ärchir Bd. 46. 8.211.
2) Vergl. Diese« Archi?. Bd. X. 8. 134 and Riegel, Die AUiembewegungeiL
■Wünburg 1873.
3) Tergl. seine Anwendung bei Roienatein. DieBW Archir. Bd. XXIIL S. M.
4) Du Mouvement dtna les fooctjons de la vle. Fuia ISÖS. p. ISO.
S26 XXX. PmrzoLDT
ersten Haaptgipfel nach karzem Abfall ein niedrigerer oder ebeo eo
hoher (zaweilen auch höherer) zweiter Gipfel; c) ein Fehlen jeder
wdteren Elevation am absteigenden Schenkel.
2. Ad mittleren Drittel [Fignr 3] a) eine weniger aosge-
pr>e anakrote Erhebang; b) eine geringere Deutlichkeit des Eweiten
Gipfels (derselbe erscheint in manchen Carrea w&hrend der Exspira-
tion fast so stark wie am untersten Drittel, dagegen bei der Inspin-
tioQ immer niedriger. Dies dflrfte aof die inspiratorische Verschiebang
des ganzen Herzens nach abwärts zu beziehen sein, in Folge dereo
dann bei der Einathmang jedesmal ein etwas höher gelegener Theil
des pnlsirenden EArpers die Zeichnung liefert als vorher bei der Exspi-
ration) ; c) Fehlen jeder weiteren Elevation am absteigenden Schenkel-
3. Am oberen Drittel [Figur 4] a) noch weniger deutliche
Anakrotie, welche üch fiberdies weiter unten am aufsteigenden Thal
befindet ; 6) nur eine Andeutung oder vollständiges Fehlen des zweiten
Gipfele, welcher gewöhnlich sich auch weiter unten am abstdgenden
Schenkel bemerkbar macht; c) Fehlen fernerer katakroter Zacken.
Eine Tergleichnng aller drei Curven unter einander lehrt als-
dann: die anakroten wie die katakroten Erhebungen, welche an un-
tersten Stück sehr deutlich sind, werden am mittleren und noch mehr
am oberen niedriger. Ausserdem sieht mau, dass die Höhe der G^
sammtelevation unten eine geringere ist als in der Mitte und oben.
Endlich fällt dem Leser gewiss auf, dass die Curve des oberen und
mittleren Drittels in der Form einander ziemlich ähnlich , von dem
unteren aber sehr beträchtlich verschieden sind.
Enchdiiniigea tin CircnUtiou- und Bci^ntloasappant bei Fiuan itend. &27
Noch deotlieher wird das letztbeeprochene Verhalten, wenn man
iwei der drei ana^ew&hltflB Funkte gleiefazeitig Carren zeichneo iSsst
and wsnn man, om das seitliche VerhftltniM der einzelnen Erhebnn-
gea zwischen zwei Stellen deutlicher herrortreten za lassen, die
Corren an einer BChneller rotirenden Trommel aufnimmt Zu diesem
Zweck wurden zwei Exemplare des Fansph^gmoprapheo und das
Uhrwerk des Lndwig'schen Kymographions angewendet. Figur'5
»igt das VerbfiltniBB des untern Drittels zum mittleren, Figur 6 das
des unteren zum oberen bei dieser Versachsanordnang. Die Linien,
velehe senkrecht die Gurren schneiden, bedeuten die fflr beide Wel-
lenbewegungen gleichzeitigen Momente. Aas der Betrachtung dieser
Bilder entnehmen wir: der Anstieg der Gurre ist anfangs ein tr&ger
and lasst eine eben angedeutete Weitung des Verlaufs (unten i, oben
meist 3 Wellen) erkennen. Dann folgt eine leichte, aber gut cbarak-
teriürte E^nsenkung nod erst Ton dieser an wird das Ansteigen rasch
Qnd steil. Die Einaenkung oder der Beginn des steilen Anstiegs
coincidirt zeitlich in allen drei Punkten. Dagegen wird der erste
Qipfel an den beiden oberen Dritttbeilen frOber erreicht als am un-
teren. Der zweite Gipfel liegt unten dem Hauptgipfel nfther als an
den beiden oberen Stellen. Weitere Elevationen zeigt der absteigende
Schenkel nicht Endlich lehrt eine Messung, dass die Abscisse einer
AscenBionslioie bis zum Bauptgipfel im Mittel 13 Mm. lang ist, wäh-
528 XXX. PSKZOLDT
rend die gesammte Länge der Curve 23 Mm« beträgt Das sind die
Eigentbümliohkeiten , welche die Curvenreihe , der die Figuren ent-
nommen sind, mit genügender Uebereinstimmnng seigt
Bei einem Versuch die Einzelheiten zu erklären, stossen wir auf
zahlreiche Schwierigkeiten. Nor das Eine können wir ohne Weiteres
mit ziemlicher Sicherheit sagen: Die Curven der beiden oberen Drittel
gehören ein und demselben Absohnitt^des Oefässsystems an und der-
selbe kann nichts Anderes sein als die Aorta; an iet Erzeugung der
Curven des unteren Dritttheils mflssen sich aber noch andere Factoren
betheiligen. Als Ausgangspunkte für die Erklärungsversuche mflssen
wir daher die Bilder der oberen Drittel wählen, indem wir hoffen,
dass hier die Verhältnisse noch am einfachsten sein werden. Es Itot
sich aber bei ihrer Betrachtung nicht leugnen, dass man eine der-
artige Form der Aortenpulscurve von vornherein nicht erwartet Der
Verlauf der Descensionslinie wäre nicht auffallend, aber was soll man
z. B. als Ursache der Elevation mitten an der Ascensionslinie an-
sprechen? Und wie soll man es erklären, dass die in der aufstei-
genden Linie sich ausdrückende Bewegung, also wahrscheinlich die
Systole, länger dauert als die absteigende, die Diastole, während
man doch weiss, dass die Systole des Herzens eher kürzere Zeit
braucht als die Diastole und während man an den Pulsourven peri-
pherer Arterien eine verhältnissmässig sehr kurze Dauer der systoli-
schen Erhebung zu sehen gewohnt ist? Die Antwort wird noch
schwieriger, wenn man sich vergegenwärtigt, dass diejenigen Bewe-
gungen, welche durch das in der Aorta strömende Blut bedingt sind,
nicht die einzigen rhythmischen sind, welche der Apparat anzeigt
Die systolische Abflachung des Aortenbogens kann sich ebenfalls aaf
der berussten Fläche manifestiren und endlich können Bewegungen
der nach abwärts (fusswärts) von der Aorta gelegenen Herzabschnitte
ihren Einfluss geltend machen.
Aus diesen Gründen liegt kein anderer Weg für die Erklärungs-
versuche offen, als dass man eine unzweideutige Aortenpulscurve vom
Thier zu erlangen sucht und die an derselben leichter zu studirenden
Erscheinungen als Ausgangspunkte benutzt. Eine solche Curve finden
wir bei Marey ^). Mit dieser stimmt aber unsere Curve der oberen
Drittel in mehreren wichtigen Punkten sehr genau überein. Vor Allem
finden wir die Zacken, sowohl die am auf- als auch am absteigen-
den Schenkel auch an der Marey 'sehen Curve wieder. Dieselben
werden von Marey in folgender Weise gedeutet: Die anakrote Er-
1 ) Physiologie m^dicale de la circolaüon da sang etc. Fam 1 86d. p. 1S9. Fig. 33.
ErscheinuDgen am CirculAÜons- and RespiratioiiBapparat bei Fissura sterni. 529
bebung^) entspricht, wie Marey durch einen schematiscb Herz und
Aorta nachahmenden Apparat zu begrOnden sucht, dem Schluss der
linken Atrioventricularklappe, die Eatakrotie dagegen dem Schluss
der Semilunarklappen der Aorta. Unser Fall ist natürlich nicht ge-
eignet, dieser Auffassung irgend entgegenzutreten, im Gegentheil steht
wohl nichts im Wege, dass wir dieselbe auf jenen übertragen. Dass
die anakrote Zacke spedell, je höber oben am pulsirenden Körper,
desto weniger deutlich ist, dürfte sich ganz besonders im Einklang
befinden. Auch das Verhalten der Katakrotie spricht nicht gerade
dagegen. Das Fehlen weiterer katakroter Erhebungen (in unseren
Gurven wie in der Marey 'sehen) beweist uns, dass sogenannte
Elasticitätsschwankungen an der Aorta nicht zu beobachten sind.
Dies erscheint auffallend und entspricht nicht der Annahme von Lan-
dois^), dass bei höherer Spannung und bei stärkerer Elasticitftt der
Gefässwandung die sog. Elastidtätselevationen höher ausfallen sollen.
Auch darin stimmen die beiderseitigen Curren (die von Harey
und die meinige) flberein, dass sie eine ausgesprochene Herzpause
ebensowenig erkennen lassen wie die Gurven der Radialis und an«
derer peripherer Arterien. Wunderbar bleibt dabei nur, dass die
Carre des unteren Drittels, welches doch, wie oben ausgesprochen
wurde, der Hauptsache nach dem rechten Herzohr und Ventrikel ent.
spricht, ebenfalls keine Pause aufweist, während z. B. die Gurve des
linken Ventrikels, welche auf der Marey 'sehen Tafel über der Aor-
tencurve steht, dieselbe hinreichend ausgeprägt zeigt Schwierig su
erklären ist aber endlich das eigenthttmliche Verhalten in der Dauer
Ton Systole und Diastole in unseren Gunren. Die Abseissenlime des
ansteigenden Schenkels Terhält sich zu der des absteigenden wie
13:10, während doch sonst die Dauer der Systole geringer, oder
höchstens eben so lang ist wie die der Diastole. Hierbei müssen
wir die Möglichkeit hervorheben, dass Momente, yielleieht die Vor-
bofsbewegungen, mitspielen, welche genan zu analysiren wir gegen-
wärtig ausser Stande sind, welche aber die Gurve in dieser Beziehung
vielleicht fälschen könnten. Den Schluss, dass die Systole länger
daaere als die Diastole, wollen wir für dieses bestimmte Individuum,
geschweige denn generell, ohne Weiteres jedenfalls nicht ziehen.
So glaubte ich die Verhältnisse beurtheilen zu müssen, als sich
mir die Grelegenheit bot, meine Gurven mit denjenigen zu vergleichen,
1) Es sei hier bemerkt, dass, wie aus dem Text anzweifelbaft hervorgeht, die
Buchstaben r, b and b^ sich wirklich auf die Anakrotie beziehen und nicht auf die
Erhebung am Fosspnnkt der Corre, welcher sie allerdings nlher beigesetzt sind.
2) Die Lehre Tom Arterienpolt. Berfin 1972. S. 125, t29, 131.
Demtachcfl ArehtT f. klta. M^dleta. XXIV. Bd. 34
530 XXX. Penzoldt
welche man von den freiliegenden Herzabschnitten eines sehr merk-
würdigen pathologischen Falles gewinnen konnte. Die Frau (Serafim)
mit grossem Rippendefect und offen zu Tage liegendem Herzen, welche
Eolaczek auf dem diesjährigen Chirurgencongresse demonstrirt hat,
war von Filehne und mir (vgl. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1879.
Nr. 26 u. 27) zum Zweck einer andern Untersuchung hierher citirt
worden und sie lieferte Prof. Rosenthal und mir Gurven vom lin-
ken Ventrikel, linken Vorhof und höchst wahrscheinlich der Pulmo-
nalis. Da derartige Untersuchungen vermuthlich schon von anderer
Seite gemacht worden sind und publicirt werden, so erw&hne ich die
unserigen nur beiläufig, soweit sie sich auf die vorliegenden Fragen
beziehen. Der linke Vorhof lieferte eine Zeichnung, welche ohne
Weiteres sehr schwer zu deuten und auch mit der Curve des unteren
Drittels im Fall „Wunder'' nicht in Einklang zu bringen war. An
der Ventrikelcurve findet sich ausser der katakroten Erhebung eb^-
falls die Erscheinung, dass die Herzpause zu fehlen und die Systole
länger als die Diastole zu sein scheint. Da aber auch in diesem
Fall der mit der auf den Ventrikel aufgesetzten Kapsel in Verbindung
gebrachte Hebel nicht nur Contraction und Nachlass derselben, son-
dern auch Locomotion des Ventrikels, sowie die Fällung desselben
verzeichnen muss, so lässt sich das resultirende Bild recht wohl 8o
erklären, dass das Absteigen der Gurve dem Nachlassen der Con-^
traction entspricht, dass aber das folgende, scheinbar zur Systole
gehörige langsame Ansteigen das Einströmen des Bluts in die Ven-
trikelhöhle bedeutet und dass demnach die Systole des Ventrikel»
erst beginnt, wenn der ansteigende Schenkel steil zu werden anfängt
Die Zeichnung, welche (wenigstens vermuthlich) die Pulmonalis ge-
liefert hat, zeigt die Herzpause deutlich und gibt auch sonst keine
durchgehende Aehnlichkeit mit unserer Aortencurve. Doch können
die Verhältnisse einmal an sich schon an der Pulmonalis andere al»
an der Aorta sein und dann kann man aus dem Falle, welcher dnreh
Pneumothorax, Verwachsungen und Gompression der linken Lnnge
complioirt ist, ohne angehendere Kritik gerade für die Pulmonalis
wohl keine sicheren Schlüsse ableiten.
Ueber denEinfluss der Respiration auf diePulsfreqnenx.
Um das Verhalten der Pulszahl zur Athmung genauer zu studiren,
Hess ich nach genauer Einstellung beider Schreibhebel gleichzeitig
die massig verstärkte Athmung mit dem Stethographen auf die eine,
den Puls des mittleren Drittels auf die andere Seite eines beiderseitig
EnchdnuDgen am Circulktions- and Respfrationsappuat bei Fissura sterni. 531
beruBsten Papiers zeichnen (vgl. Figur 7, in welcher die Respirations-
curve durch die Palacarre darchgezeicbnet iat). Alsdann ergibt Bicb
tDDScbst ganz allgemein eine Pulabeschlennigang bei der laspiration
und eine PuIaTertangsamang bei der Exspiration ; und dieser Unter-
schied bei beiden RespirationBpbaBeD ist bo beträohtliob, daea auf
fQnf während der Binathmung erfolgende Pulsscblfige (auf gleiche
Zeiten bezogen) durchschnittlich drei wahrend der Ausathmung kon»-
men. Sieht man aber genauer zu, ao findet man, daas die Pnlsver-
langsamnng Bchon vor Anfang der Exspiration beginnt und den Schluas
derselben ebenfalls um etwas Qberdauert. Diese Beobachtung iat
wohl hinreichend einwurfafrei, ao daas sie fQr das Indiridunm jeden-
falls gaitig ist.
Allgemeine Qtlltigkeit kann sie, mindesteng ohne Weiteres, nicht
beaneprucben, da der Einfluss der Respiration auf die Frequenz des
normalen meuachlichen Pulses in der Literatur widersprechend an-
gegeben wird und da diea natflrlich nicht ao sein wDrde, wenn die
Verhältniase immer ao deutlich wären wie in unaerem Fall. Ea kann
sich demnach nur um zwei Möglichkeiten bandeln: entweder 'zeigt
HOB der Mann mit seinem Defect ein dem normalen entgegengeaetztes
Verhalten und dann fragt ea aich, warum er dae thut, oder aber er
leigt daaaelbe Verhalten wie der ^Normale, nur in viel auegeprflgterem
Maasee und auch dann liegt die Frage nach der Ursache nahe.
Mehrere Foracher sahen beim gesunden Menschen inspiratorische
532 XXX. Pekzoldt
Verlangsamung des Palses, wie z.B. Vierordt^, Marey^) und
Landois^)i welche zahllose Gurven ausgemessen haben. AuchThier-
beobachtongen ergaben das Gleiche. Dagegen sah Einbrodt^)an
Hunden, sobald die Athmungsbewegungen umfangreich und tief sind
und auf jede Phase mehrere Herzcontractionen kommen , eine Ver-
mehrung der Pulsschlftge bei der Inspiration. Und unter denselben
Bedingungen erzielten auch manche Beobachter vom Menschen dar-
ven, welche das Gleiche lehrten. (In der Curve von Kiemensie-
wicz^) glaube ich sogar eine Andeutung you dem^Nachlass der in-
epiratorisphen Beschleunigung am Ende der Inspiration zu erkennen.)
Wir werden demnach wohl nicht fehl gehen, wenn wir annehmen,
dass fflr den angegebenen Respirationstypus die Angaben der letzten
Autoren gelten und dass unser Fall das normale Verhalten in einer
ganz besonders eclatanten, fast übertriebenen Weise darstellt Worauf
a.ber hier dieses offenbare Hinausgehen über die normalen Grenzen
des Näheren zu beziehen ist, fällt schwer zu sagen. Nach der Hering'-
sehen ^) Auffassung von der Ursache der inspiratorischen Pulsver-
mehrung ist vor allen Dingen gar nicht abzusehen, warum die Be-
schleunigung in dem vorliegenden Falle so bedeutend ist; denn wee-
halb sollen die sensiblen Fasern der Lunge in demselben stärker
gereizt und dadurch der Herzvagustonus reflectorisch herabgesettt
werden? Es bleibt daher wohl nichts übrig als vermuthungsweise
anzunehmen, dass der in unserem Falle gegenüber dem normalen
höhere, d. i. weniger verminderte Druck, der auf einem Theil dee
'Herzens während des Einathmens lastet, hier zu der gewöhnliehen
Ursache der inspiratorischen Beschleunigung hinzukommt und so die
Differenz zwischen In- und Exspirium stärker hervortreten lässt
Einfluss der Athmung auf die Form der Aorten- und
Radialiscurve.
Die in diesem Abschnitt mitgetheilten Beobachtungen an dem
Mann mit Fissura stemi zeigen entweder die von Anderen am nor-
malen Menschen gefundenen Erscheinungen mit grösserer Deutlich-
keit oder sie zeigen von den Ergebnissen früherer Beobachter ab-
weichende Befunde. In dem ersteren Falle kann man sie wohl ohne
Weiteres als Bestätigungen des schon Vorhandenen ansehen. In dem
1) Siehe bei Lande is 1. c. S.276. 2) 1. c. p.293. 3) L c. S.276.
4) Sitzungsberichte der Wiener Akademie. XL. t860. S. 407 ff.
5) Ebendaselbst. LXXIV. m.Abth. 1876. S.524.
6) Ebendaselbst. LXIV. 1871. S. 332.
Erachelonngen Bm Circdationa- und Respiratiousapp&rat bei FigBora tteral. 533
zweiten jedoch darf man sie keineswegs gegen die Angaben der
Autoren verwerthen wollen; denn wir müssen im Auge bebalten,
dass ein Fehlen eines Abachnittes der Thoraxwand und ein abnormes
Blossliegen von Theilen des Respiratious- und Circulationsapparats
gerade zu einer voreicbtigen Beurtbeilung des Verhältnisses zwischen
den Tbätigkeiten beider Apparate mahnt und keine directen Scbltlsae
auf das normale Verhalten gestattet. Eine eingehende Untersuchung
jedoch Ober die Art und Weise, wie sich in diesem specielleo Falle
gerade die EinflQsee der Athmuog auf den Puls gestalten, dürfte eine
zu dem Wertbe des Resultats unverbältnissmässig grosse, nicht nur
kritische, sondern auch experimentelle Arbeit erfordern, welche ausser
dem Plan dieser Abhandlung liegt. leb berichte daher einfach Aber
meine Befunde und gebe nicht über die nächstliegenden Erklftrungs-
T Branche hinaus.
Der Verlauf der ganzen Pulsreibe wird deutlich von den Athem-
hewegungen beeinfiuast, wie sowohl an der Aorten- als an der Radial-
eurre zu sehen ist. Betrachtet man die Zeichnung (Fig. 7 auf 8. 531),
anf welcher Respiration (der beschriebene Typus, langsam und ver-
tieft) and Puls gleichzeitig aufgeschrieben sind, so sieht man, daaa
gegen Ende der Inspiration die Gesammtcurve ungefähr gleichzeitig
mit der Frequenzabnabme anzusteigen hcginnt, ihre höchste Höhe
eataprechend dem Frequenzminimum gegen Ende der EzspiratioD
erreicht und am Anfang der Inspiration sinkt, um in der Mitte der
Inspiration am niedrigsten zu stehen. Wenn man aueh bedenken
nauss, dass gerade an der untersuchten Stelle die Hebungen und
Senkungen der Pulsreibe alle möglichen Ursachen haben können
vergl. z. B. die Bemerkung EnoH'ai) bezQglieh der Carotia), so
larf man dieselben doch in diesem Falle wohl unbedenklich auf die
Veränderungen des arteriellen Drucks beziehen, da sie sieh an der
Radialis (Fig. 8) ebenfalls mit einer auffallenden Deutlichkeit zeigen.
)ie Radialiscurre wurde, ebenso wie alle folgenden, mit der Som-
aerbrodt'schen Hodification des Sphygmograpben in der Rttcken-
age des Mannes geschrieben. Zum Studium der Druckschwaukungen
I) Beiträge z. Kenntniss d. Puhc'urve. Ärch . f. exp. Path. n. Phaim. IX. S. 395.
534 XXX. Peszoldt
wollen wir sie nicht verwerthen, da die Respiration nicht gleichzeitig
verzeichnet, Bondern nur der Beginn von In- und Exspiration wih-
rend des Aufschreibene markirt wurde. Wir entnehmen ihr nur die
Thataacbe, dass die Eischeinungen an dem peripheren Gefäss im
WeBentlicheo dieselben sind wie die an der Aorta. Diese aber nnd
von einer Deutlichkeit, die nichts zu wflnschen übrig ISsst. ^e stim-
mea im Altgemeinen mit deu Bildern Uberein, welche fOr nngeßbr
den gleichen Athmungatypus ElemensiewiezO (Carotis] nnd Pb.
Enoll ^) (Radialis) bekommen haben. Eine Differens liegt nur dtrin,
dasa jene Forscher den Höhepunkt des Drucks bei Beginn der Ex-
spiration (und zwar in Uebereinstimmung mit den Einbrodt'sclieD
Thierversuchen) fanden, während mein Fall ihn gegen Ende iei{t.
Die Beobachtungen Über die Verfindemsgen der einzelnen Palsforo
während der Respiration stimmen, soweit sie die Radialis betreffen,
mit den früheren Befunden von Wolff, Landois u. A- ttberein. An
der Radialis (Figur 8) drückt sich nämlich an den inspiratoriscbeo
Pulsen die grossere, sogenannte RuokstosBelevatioa deutlicher au
als au den exspiFatorischen, speciell geht die Descensionslinie, beT«
die zweite Erhebung folgt, tiefer herab, so dass das Bild dem dicroten
Pulse ähnlich wird. Auch dieses Verhalten erscheint an unserem
Individuum deutlicher, als man ea sonst meist zu sehen gewohnt ilt
An der Aorta haben wir scheinbar ein umgekehrtes Verhalten
<Fig. 7. S. 531), indem sich die secundären Erhebungen, sowohl die
V\fBril>t. Radlilpoli wlbRiid dei poiitlnn VdiulTn'Khtn Vtrucha (bat -t- BigliiD)
vom Mun mit dei Flwiir. (SamiiurbtadI, BalMlsog IM.)
am auf- als auch die am absteigenden Schenkel, deutlicher bei der
Exspiration ausprägen. Die starke Verlangsamung der Schlagfolge
und die Verlängerung der Diastole
während der Atbmungsperiode dflrfen
vielleicht als Grand dieser Erschei-
nung angesprochen werden.
Bei dem sogenannten positiven
i.-,g»rMb. wiej'iiut^j.jj^uei - BctüiiH Valsalva'scbeu Versuch (forcirte Ex-
spiration hei geschlossener Glottis)
zeigten sieh ebenfalls an der Pulscurve Veränderungen, welche sieh
ErscheiauiigeD am Circulations- und RespiratioDsapparat bei Fisaura sterni. 535
theitweise mit den am Normalen beobachteten im Einklang befanden,
tbeilweise von denselben unterschieden. Ich gebe auch hier die
Curven (Fig. 9a u. b, Fig. 10) und deren Erläuterung ohne weiteren
Dommentar. Während man am gesunden Menschen gewübulich eine
Fi(ur lu. HudlsIpiLi wBhrtnd du + VhIhIti (bei + Bii|lnn. he\ - Bchlnu)
Verlangsamung und erst nach Scbluss des Veisuchs eine deatliche
Beschleunigung findet, zählt man an unserem Fall während des Ex-
periments eine sehr beträchtliche Beschleunigung: die Frequenzzahl
stieg von 63 — 66 auf 81 in der Minute. Dagegen ist das jedesmalige
sofortige Ansteigen der Gesammtcurve (Drucksteigerung) bei Beginn
und das sofortige Absinken nach Schlnss des Valsalva eine beiden
Carven, der des Gesunden und des Individuums mit der Fissur, ge-
meiuBame EigentbDmlichkeit. Sehr verschieden ist aber wieder die
Grösse des einielnen Pulses: am Normalen nimmt sie beträchtlich
ab, zuweilen fast bis zum Verschwinden, bei dem Fissnrmengchen
bleibt sie fast unverändert. Im ersteren Falle kann man (wie in der
Äbbildang) oft die Rflckatoraelevation während des Versuchs kaum
beobachten (wenn sie zu sehen ist, ist sie im Verbältniss zum Haapt-
gipfel deutlicher als in der Norm), in unserem Falle bemerkt man
einige (etwa 4j Pulsschläge nach Anfang des Valsalva eine allmählich
zunehmende Vergrössemng der RQckstosseleration, welche auch nach
Schloas des Versuchs ebenfalls circa 4 Pulse lang noch fortbesteht
Letztere Erscheinung stimmt tibrigena vollkommen mit dem Normalen.
Einfluss einer Compression der Aorta ascendens auf
den Puls.
0er Umstand, dass den Einäuss einer Compression der aufstei-
genden Aorta auf den Radialpuls beim gesunden Henacben zu beob-
achten sich nur selten Gelegenheit bieten wird, führte mich darauf,
den Fall auch in dieser Beziehung zu einem kleinen Versuch zu be-
nutzen. Uebt man auf das freiliegende Aortenst&ck einen massigen
Druck ans, den der Mann ohne Jede Beschwerde erträgt, so bemerkt
man zunächst eine deutliche Frequenzzunahme der Herzschläge von
63 — 66 auf 69 — 72. Ferner aber erhält man, wenn man gleichzeitig
den Puls der Radialarterie vom Sphygmographen verzeichnen lässt
XXX. Pbkzou-T
(Fig. 1 1 a und b), eine Ver&nderung der noraulen CurreDform mi
zwar der Ginzelcurve. Sofort mit B^Dn dei Drucks nftmUeh wird
die Bog. RtlckstoBselevatioD höher und es bildet sich rasch räne toU-
Druck* twi /.)
kommene Dikrotie auB, während sich beim Nachlaseen des Draeki
wieder rasch die alte Curvenform herstellt
Die Crb&buug der RQckstoBaeleration ist wohl einfach als Folge
der Tenninderteil Spannung in der Radialarterie aufzufassen. Wir
wissen, dass die genannte Erbebung bei niedrigem Druck höher wird,
und dass eine CompresBion der aufsteigenden Aorta den Druck in
der peripheren Arterie herabsetzt, ist wohl selbstverstfindlich. Etwu
schwieriger ist die Erklärung der Pulabescbleunigung bei der Com-
pression. Es könnten hierbei mehrere Momente zusammenwirkeo.
Z. B. kann, wie der Druck auf einen Herzabschnitt direct, to auch
die GompreBsion eines dem Herzen so nahe gelegenen Tfaeils, >1b
directer Reiz wirkend, die Frequenzzunahme bedingen. Bei der meb^
fach erwähnten Frau mit dem freiliegenden Herzen machte ein Dnick
auf rerschiedene Stellen des linken Ventrikels ebenfalls Beschleooi'
gung. Auch die beim Druck unvermeidliche Zerrung der Heranerrea
könnte die Veranlassung der Acceleration sein. Die Bauptursache
glaube ich jedoch in folgender Ueberlegung zu finden: Comprimirt
man' einem Tbier die Aorta nach Abgang der Himarterieu (Baueb-
aorta), so steigt der Druck in demjenigen arteriellen Gebiet, welches
centralwftrts Ton der gedruckten Stelle liegt, also auch in dem Ot
hirn und durch centrale Vaguserregung folgt Seltnerwerden des Ben-
Schlags. Comprimirt man dagegen , wie in unserem Falle , die auf-
steigende Aorta, 80 sinkt der Druck in den Hirnarterien, die normale
Erregung des Vaguscentrums Ifisst nach und die Herzcootractionen
werden beschleunigt.
Ueber den Pectoralfremitus.
Eine kurze Bemerkung ttber die Fortpflanzung der Stimmvibra-
tionen von dem Ort, an dem sie entstehen, bis zu demjenigen, an
welchem sie fühlbar werden, möge ebenfalls hier Platz finden.
Erscheinungen am CircalationB- und Betpirationsapparat bei Fissura sterni. 537
Die allgemeine Auffassung des Vorgangs, wie sie sich in den
neueren Lehrbttchern der physikalischen Diagnostik findet, ist die,
dass sich die Erzitterungen auf die Luftsäule in den Bronchien so-
wie auf die Bronchialwftnde selbst und so weiter durch das Lungen-
gewebe fortpflanzen bis zur Thoraxwandung^ Diese Anschauungsweise
ist jedenfalls richtig und ich bezweifele sie keinen Augenblick. Da«
gegen bezweifele ich auf Grund einer Beobachtung an unserem Falle,
dass sie die allein berechtigte ist und glaube, dass noch eine andere
Art der Fortleitung des Stimmfremitus hervorgehoben werden muss.
Direct auf der exspiratorisch in der Spalte vorgedrängten Lunge
waren bei dem Individuum die Stimmvibrationen sehr deutlich schwä-
cher, als auf den die Spalte begrenzenden Thoraxabschnitten. Daraus
scheint hervorzugehen, dass die Schwingungen der Stimmbänder beim
Intoniren sich nicht nur auf dem Wege der Bronchialverzweigungen,
sondern ganz besonders auch auf dem Wege der Enochenleitung nach
dem Thorax hin verbreiten mfissen. In der That ist die Wirbelsäule
mit den sich an dieselbe ansetzenden Bippen hierzu vortrefflich ge«
eignet und wer weiss, ob sie nicht unter den normalen Verhältnissen
sogar den Hauptantheil an dem Zustandekommen der Erscheinung
haben. Alle physiologischen Variationen des Phänomens (verschie*
dene Stärke bei verschiedener Thoraxdicke, an verschiedenen Stellen
n. s. w.) und ebenso die pathologischen Modificationen passen auch
zu der auseinandergesetzten erweiterten Auffassung des Vorgangs ganz
vortrefflich. Während der Fremitus normal von mittlerer Stärke wahr-
genommen wird, weil zwar die knöcherne Thoraxwand, nicht aber
das Lungengewebe seiner Fortpflanzung gttnstig ist, so muss er eines-
theils verstärkt auftreten, wenn die Bedingungen fUr die Fortleitung
von den Bronchien her besser sind (Infiltration) und also die Erzitte-
rungen gewissermaassen von innen her und längs der Wandung gut
zum palpirenden Finger gelangen können, anderntheils wird der
Fremitus schwächer oder nicht gefühlt, wenn die Fortpflanzung durch
den Bronchialbaum bis zur Peripherie irgend gehindert (Schleimpfropf,
FlQssigkeit oder Luft in der Pleura) und ausserdem noch die Sehwin-
guDgsfähigkeit des Thorax (durch stark gespannte Luftansammlung,
durch FlQssigkeitserguss) beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Manches
erklärt sich sogar nach dieser etwas erweiterten Auffassung besser.
So z. B. das Erhaltensein des Vocalfremitus (wenn auch abgeschwächt)
bei communicirendem Pneumothorax, wenn die Lunge von der Thorax-
wandung abgedrängt ist, sowie das Erhaltensein bei kleineren Exsu-
daten. Ich glaube demnach sogar der Wahrheit nahe zu kommen,
wenn ich annehme, dass man wohl schon vielfach den Factor der
538 XXX. Penzoldt, Erscheinungen am Girculations- u. Respirationsapparat etc.
Enochenleitung stillschweigend oder offen gelten gelassen hat und
dass die gebräuchlichsten Lehrbttcher ^) denselben nur aus Zufall nicht
ausdrücklich erwähnen.
Anhangsweise füge ich hier noch den Befund an, welchen in
dieser Hinsicht die oben erwähnte Frau mit dem Bippendefect ge-
liefert hat. Auch hier war der Stimmfremitus selbst an den Stellen
des Thorax (links vom oben), wo gar keine Lunge mehr vorhandea
ist> deutlich stärker , als auf der in der linken Thoraxhöhle in der
Tiefe direct, d. h. nur von Haut bedeckt, fühlbaren (coUabirten) Lunge.
Zum Schluss bitte ich den Leser, yorstehende Abhandlung lediglich
als den bescheidenen Versuch ansehen zu wollen, einen günstigen Fall
auszunutzen und durch das Fenster, welches hier die Natur bei sonst
normalen Verhältnissen offen gelassen hat, yielleicht ein klein wenig
tiefer einzublicken. Im Anfang, wenn Einem ein solcher Fall ent-
gegentritt, hat man wohl oft das Gefühl — wenigstens haben mir
auch Andere so gesagt — , als ob die Missbildung, der Defect oder
was es gerade ist, an sich recht interessant sei, als ob man aber f&r
die physiologische Erkenntniss nur wenig Gewinn daraus ziehen
könne. Beschäftigt man sich aber, wie ich gethan habe, etwas ge-
nauer mit dem Studium eines derartigen Falles, so kommt man durch
Vergleichung unserer bisherigen Kenntnisse mit den Beobachtungen
an dem Untersuchungsobject, durch Erklärung dieser aus jenen und
durch Erläuterung jener mittelst dieser zu dem Ergebniss, zwar nicht
gerade fundamentale neue Wahrheiten, aber doch einige kleine That-
sachen von Werth und eine nähere Beleuchtung vorhandener An-
schauungen überhaupt zu gewinnen.
1) Yergl. z.B. Wintrich in Yirchow's Handb. der spec. Path. V. 1. S.70;
Gerhardt, Lehrb. d. Ausc. u. Perc. Tübingen 1876. S. 79; Guttmann, Lehrb.
der klin. Untersuchungsmethoden. 1878. S. 74.
xxxr
Beiträge zur therapeutischen VerweoduDg der Bauchspeieheldrflse
von Schlaehtthieren und deren Präparate.
Von
Dr. H. Engesfler,
PriTfttdocent an der ünlvenltät Freiborg I. B.
Das Secret der Bauchspeicheldrüse besitzt bekanntlich in sehr
hohem Grade die Fähigkeit, Amylum in Zucker umzuwandeln, ebenso
coagulirtes Eiweiss in lösliches Eiweiss und Peptone fiberzufahren und
endlich Fette zu emulsioniren.
Durch diese F&higkeit gewinnt der Bauchspeichel eine sehr
grosse Bedeutung fflr die Verdauung und zwar in höherem Maasse,
als sie dem Magensafte zukommt, denn die Speisen verweilen
nur verhältnissmässig kurze Zeit (ca. 2 — 3 Stunden) im Magen in
wirksamer Vermischung mit dem Pepsin des Magensaftes, welches
beim Austritt ins Duodenum durch die alkalische Galle und das
Darmsecret gefällt und dadurch unwirksam wird; dabei ist noch
zu beachten, dass die Verdauungsf&higkeit des Pepsins auch wäh-
rend seines Aufenthalts im Magen keine unbegrenzte ist, da es nach
der Anschauung einiger Autoren durch die gebildeten Peptone
gesättigt wird, unter allen Umständen aber wegen des allmählich
sich einstellenden Mangels an freier Salzsäure, welche zum gros*
seren oder kleineren Theile während der Magenverdaunng vom Ei-
weiss der Ingesta gebunden und. zu Syntoninbildung verwendet
wird, seine Wirksamkeit einbfisst.
Vergleichen wir mit diesem Verhalten des Pepsins das des
Pankreasseeretes, welches bei jeder Reaction verdaut und, ohne
von den gebildeten Verdauungsproducten gesättigt zu werden, auf
dem langen Wege, den die Ingesta durch den Darmtractus zurflck-
legen mttssen, mit diesen in stets wirksamer Vermischung bleibt, so
wird leicht die dem Pankreassecret zuerkannte grössere Wichtigkeit
für die Verdauung gegenüber dem nur kurze Zeit wirkenden Pepsin
des Magensaftes als gerechtfertigt erscheinen.
540 XXXI. Engesseb
Bei dieser Bedeutung, welche dem Bauchspeicbel in dem
Verdauungsprocesse zukommt, lag es nahe, das Pankreas von
Schlachttbieren oder dessen Präparate und die daraus gewonnenen
wirksamen Bestandtheile bei Verdauungsstörungen therapeutisch zu
verwenden.
Ein Versuch damit, meines Wissens der erste der Art, wurde
schon 1864 von Fies in Utrecht^) mit gutem Erfolge gemacht.
Es handelte sich in diesem Falle um einen Diabetiker, der viel
Fett und Fleisch genoss, in dessen Stuhlentleerungen sehr viel Fett
und ganz unveränderte quergestreifte Muskelfasern sich vorfanden.
Diese Bestandtheile verschwanden sofort aus den
Stuhlen, als dem Patienten bei sonst gleichbleibender Nahrung
täglich ein Ealbspankreas gereicht wurde; sobald dieses wie-
der weggelassen wurde, stellten sich auch Fett und quergestreifte
Muskelfasern in den Stflhlen wieder ein.
Der Versuch wurde öfters und stets mit gleichem Erfolg wiederholt.
Hat nun dieser Fall auch den a priori von der Darreichung des
Pankreas erwarteten Erfolg bestätigt, so standen der allgemeineren
Anwendung desselben doch noch grosse Schwierigkeiten im Wege.
Abgesehen davon, dass der Fall Fies ziemlich vereinzelt blieb,
bestand die erste Schwierigkeit in der Wahl einer ge.eigneten Dar-
reichungsmethode.
Fies verfuhr folgendermaässen : Ein frisches Ealbspankreas
wurde fein zerhackt mit 6 Unzen (ca. 190,0) Wasser zerrieben und
filtrirt; das milchig- triibe Filtrat wurde während des Tages jedesnial
nach den Mahlzeitea in einzelnen Portionen von dem Kranken ge-
nommen.
Dieser Darreichungsweise steht nun aber einmal der Umstand
entgegen, und ich habe mich selbst öfters davon überzeugt, dass
viele Personen einen untlberwindlichen Widerwillen gegen diese Art
Emulsion haben, ein Widerwillen , der wohl zum Theil in dem Ge-
danken an rohen Fleischsaft, zum Theil wohl auch in dem nicht
gerade angenehmen Geruch und Geschmack des Präparates begründet
ist ; -r- verabscheuen doch viele Personen die gar nicht unangenehm
schmeckende, nach Liebig's Vorschrift kalt bereitete Fleischbrflbe,
weil ihnen Farbe und Geruch des rohen Fleisches Ekel erregen;
hinlänglich bekannt ist aber auch , welch nachtheiligen Einflnss der
Ekel auf Appetit und Verdaunng ttbt, so dass ans diesem Gnmde
1) Ein Fall von Diabetes mellitus mit Atrophie der Leher und des Pankreas.
Archiv f. d. hoU&nd. Beitr&ge z. Natur- u. Heilkunde. Bd.m. S. 1S7. Utrecht IS64,
und Friedreich, Pankreaakraakheiten. v.Ziemaaen^s Handb.Bd.yiILl8.2il
Therapeatische Yerwendmig der Bauchspeicheldrüse. 541
schon die Darreichung des Pankreas in der von Fies Torgeschla-
genen Form nicht allgemein verwertbbar ist
Dazu kommt noch ein weiterer Missstand in Betracht, dass näm-
liehy besonders in kleineren Orten, nicht immer frische DrQsen täg-
lich ZQ haben sind, alte Drüsen aber wegen des leichten üebergangs
in Fftalniss nicht benatzt werden sollen.
Dieselben Gesichtspunkte durften auch für die von Friedreich 0
angegebene Methode Geltung haben: Die Zubereitung des Pankreas
nach dieser Methode besteht darin, dass man das einem frisch ge-
schlachteten Thiere (Kalb, Schwein) entnommene Pankreas zunftohst
zur oberflächlichen Entfernung des Blutes mit kaltem Wasser abspült,
gröblich zerkleinert, möglichst von Fettgewebe reinigt, mit dem Vier-
fachen seines Gewichtes auf 2b ^ C. erwärmten Wassers übergiesst
und nun 2 Stunden lang digerirt, wobei zu beachten ist, dass wäh-
rend dieser Zeit die Temperatur nicht über 30 <^ C. ansteigt.
Ein weiterer, sehr erheblicher Missstand dieses Präparates be-
steht noch darin, dass beim Digeriren der Drüse mit Wasser die
Fennente aus dem Zymogen abgespalten werden (Heidenbain), die
so isolirten Fermente aber durch das Pepsin des Magens ihre Witk*
samkeit einbüssen (Kühne).
Es wurden nun auch Versuche gemacht, möglichst indifferent
schmeckende Präparate des Pankreas durch isolirte Darstellung der
Fermente zu gewinnen; — ich werde später auf diese Präparate
zurftckkommen.
Stand nun, wie aus dem Gesagten hervorgeht, einerseits der
Mangel einer geeigneten Darreichungsmethode der allgemeinen thera-
peutischen Verwendung des Pankreas hindernd im Wege, so erwuchs
derselben andererseits noch eine viel schwerer ins Gewicht fallende
Schwierigkeit, darin bestehend, dass trotz des guten Erfolges in dem
Falle Fies doch stets wieder der Einwand auftauchte, die Pankreas-
fermente büssten durch das Pepsin des Magensaftes ihre Wirksamkeit
ein; ein Einwurf, der für die isolirten Fermente vollständig richtig
ist, aber von diesen auf die ganze DrUsensubstanz selbst tibertragen,
keineswegs erwiesen war.
In einer grösseren Reihe von Versuchen, deren Resultate ich 1877
in einer Arbeit ^) über die Bedeutung des Pankreas und seine thera-
peutische Verwendung veröffentlichte, bemühte ich mich, über die
1) Krankheiten des Pankreas, v. Ziemssen's Handbuch. Bd. YIII. 2. S. 2S8.
2) Das Pankreas, seine Bedeutung als Verdaüungsorgan und sdne Ter-
verthung als di&tetisches Heihnittel. Stuttgart, Ferd. Enke, 1877.
542 XXXI. Enobsser
beiden genannten Schwierigkeiten hinwegzukommen und habe dabei
auch, sowohl was das Verhalten des Pankreas zum Magensaft, als
auch was die Methode der Darreichung betrifft, gttnstige Resultate
erzielt Trotz dieser befriedigenden Resultate konnte die erwähnte
Arbeit doch nicht ohne Lücken bleiben ; Lücken, die sich theils daraus
ergaben, dass die Versuche alle mit frischen Drüsen angestellt waren
und das erst später gefertigte Präparat der Gebrüder Keller bei
Abschluss der Arbeit noch nicht erprobt war, femer daraus, dass die
auf experimentellem Wege gewonnenen Resultate und die daraus
theoretisch erschlossene günstige Wirkung des beim Menschen per os
dai^ereichten Pankreas sich erst mit der Zeit an der Hand eines
grösseren casuistischen Beobachtungsmaterials, als es mir bis dahin
zur Verfügung stand, praktisch bewähren musstenO-
Diese Lücken auszufüllen, möge daher das Folgende dienen.
Zuvor möge es aber gestattet sein, die in meiner früheren Arbeit
niedergelegten , ans der Literatur entnommenen physiologischen An-
haltspunkte, sowie die aus meinen eigenen Versuchen gewonnenen
Resultate über die Bedingungen der Wirksamkeit des Pankreas und
seiner Verwendbarkeit für die Verdauung kurz zu wiederholen:
1. Die Bauchspeicheldrüse producirt einen Körper, das Zymogen,
welches 14 — 24 Stunden nach der Nahrungsaufnahme am reichlichsten
darin enthalten ist und aus welchem sowohl auf natürlichem Wege
bei jeder Verdauung, als auch künstlich durch Znsatz von Säure sich
die eigentlich verdauenden Stoffe, die Fermente für die Verdauung
abspalten (Heidenhain).
2. Diese Fermente sind bei saurer, neutraler und alkaliseher
Reaetion wirksam.
3. Eine Temperatur von über 50 ^ C. vernichtet die Wirksamkeit
des Pankreas und seiner Fermente, ebenso wird dieselbe erheblieh
beeinträchtigt resp. ganz aufgehoben bei Gegenwart höherprocentigen
Alkohols während der Verdauung.
4. Die zuvor isolirten Fermente werden durch die
Pepsinwirkung bei der Magenverdauung zerstört (Kühne).
Hierin ist zugleich auch das Urtheil enthalten über alle jene
Pankreaspräparate, bei deren Darstellung die Aufgabe gestellt war,
möglichst rein isolirte Fermente zu erhalten.
So wünschenswerth es wäre, derartige Präparate verwenden zn
können, da eine sehr kleine Quantität derselben im Stande ist, grosse
1) Mit Bedauern mnss ich hier bemerken, dass bei Durchgehen der literitor
zu der oben erwähnten Arbeit mir die Yeröffentlichung von Fies entgangen ist
Therapeutische Verwendung der Bauchspeicheldrase. 543
•
Mengen von Amylam, Eiweiss and Fett zu Terdauen (meine Versuche
haben ergeben, dass ihnen diese Eigenschaft in sehr hohem Grade za*
kommt), so muss von ihnen doch bei der Methode der Darreichung
per OS Abstand genommen werden, weil sie ihre Wirksamkeit in der
Magenverdauung vollständig einbüssen.
Eine grössere Reihe von Versuchen, welche ich in dieser Rieh-
tung mit verschiedenen Präparaten: von Savory und Moore in Lon-
don, mit dem französischen Präparate nach Defresne und mit dem
Präparate aus der Fabrik von Witte in Rostock anstellte, bestätigten
diese Behauptung.
Die Versuche waren in genau derselben Anordnung, wie meine
froheren angestellt. Dieselbe war folgende:
Gleichzeitig und unter den gleichen äusseren Bedingungen wur-
den mit dem Hauptversuche zwei Probeversuche angestellt, der eine,
um die Wirksamkeit der verwendeten Magenschleimhaut, der andere,
um die Wirksamkeit des Pankreaspräparates für sich allein zu prflfen.
Die Versuche hatten alle positive Resultate; es erweisen sich die
oben genannten Pankreaspräparate vollständig verdauungsfähig.
Bei dem Hauptversuch wurde das Pankreaspräparat mit ge-
schabter Magenschleimhaut und mit 4<^/oo Salzsäure im Verdauungs-
ofen während 2 — 3 Stunden den den natttrlichen Verdauungsverhält-
Bissen analogen Bedingungen ausgesetzt; — dann neutralisirt, um die
Wirkung des Pepsins auszuschliessen, filtrirt und das Filtrat mit drei
Proben von Fibrin, Amylum und Fett wieder in dem Verdauungsofen
bei 45 0 C« einige Stunden digerirt.
Das Resultat war bei allen Versuchen ein negatives.
Diese Versuche zeigten, dass die genannten Präparate nicht wider-
standsfähig sind gegen die Einwirkung des Pepsins; — sie sind da-
her wohl brauchbar fQr die Application als Klystier mit Fleisch ge-
mischt nach der Le übe' sehen Methode, fQr die Darreichung aber per
08 sind sie ganz werthlos.
5. In dem Parenehym der Bauchspeicheldrüse, sowie
in deren frischem, wässerigem Auszugeistein Stoff ent-
halten, welcher sich als verdauungskräftig erweist und
durch das Pepsin der Magenverdauung in seiner Wirk-
samkeit nicht beeinträchtigt wird. — Dieser Stoff ist wahr-
scheinlich das Zymogen Heidenhai n's, aus dem sich wohl erst
im weiteren Verlaufe der Verdauung die wirksamen Fermente ab-
spalten.
Dieser Satz, das Resultat zahlreicher Versuche, muss als F u n d a -
mentalsatz ffir die Verwendung des Pankreas als diätetisches
544 XXXI. Enoessbr
Beil mittel betrachtet werden, d. h. man muas, nm eine Wirkung
von der Verabreichang des Pankreas per os erwarten zu können, das-
selbe in einer Form geben, dass die Verdanungsfäbigkeit nicht dorch
das Pepsin des Magens beeinträchtigt werde; diese besteht nun nach
dem oben Gesagten darin, dass man die frische zerkleinerte Drflse
odef, nach Fies, ein frischbereitetes wAsseriges Infos derselben ge-
niessen lasse, oder aber ein PHlparat wähle, welches, um den er-
wähnten Anforderungen zu entsprechen, aus dem Parenchym der
Drüse besteht und kein freies Ferment enthält.
Dass diese Darreichungsmethode sich auch unter ^den natflrlichen
Verdauungsverhältnissen , entsprechend dem Experiment, bewähren
werde, ist durch den Fall Fies hinlänglich bewiesen; denn in diesem
Falle verschwanden Fett und Muskelfasern sofort aus den Stuhlent-
leerungen, sobald Pankreasinfus gereicht wurde, und wurden als-
bald wieder vorgefunden, wenn mit der Darreichung des Pankreu
ausgesetzt wurde.
Dessenungeachtet hielt ich es für geboten, die bisher gewonnenen
Resultate und ihre Beziehungen zu der praktischen Verwendung des
Pankreas nach der angegebenen Methode einer Controlprüfung darch
einige Versuche am lebenden Organismus zu unterziehen.
Ich sah mich hierzu umsomehr veranlasst, als Leube 0 in einer
kritischen Besprechung meiner früheren Arbeit einen Widersprach
darin zu findta glaubte, dass ich bei meinen Versuchen dem Gemisch
von Pankreas und Magenschleimhaut eine auf 4<>,oo verdünnte Salz-
säure zusetzte, während doch nach Heidenhain die .Säure das
Pankreasferment aus dem Z;mogen abspalte und dieses isolirte Fer-
ment nun durch das Pepsin zerstört werde.
Ich glaube, dass dieser Einwurf Leube's auf einem Missver-
ständniss beruht.
Ich möchte daher hier wiederholt betonen, dass der Zusatz von
Salzsäure in genannter Verdünnung unbedingt nöthig war, wenn man
dem natürlichen Verhältnisse der Magenverdauung und der Zusammen-
setzung des Magensaftes aus seinen Hauptbestandtheilen, dem Pepsin
und der Salzsäure, gerecht werden wollte; ein so wesentlicher Fehler
hierin, wie das Weglassen d^ Salzsäure, würde alle Versuche werth-
los machen.
Femer möchte ich noch bemerken, dass ich mich weder bei
meinen Versuchen, noch bei der therapeutischen Verwendung des
Pankreas des aus der Drüse ausgezogenen Zymogens bediente, son-
dern die ganze Drüse selbst in feinzertheiltem Zustande verwendete
1) Jenaer Literaturzeitung. 1877. Nr. 49.
Therapeutische Verwendung der Bauchspeicheldrüse. 545
und nur bei dieser Methode das günstige Besultat erhielt, dass die
Einwirkung des Magensaftes mit seinem Pepsin keinen nachtheiligen
Einfluss auf die Pankreasverdauung übte. Worin dabei das schützende
Moment besteht, kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen; ich habe
früher schon die Vermuthung aufgestellt, dass bei Verwendung der
ganzen Drüse zuerst das Drüsengewebe durch den Magensaft verdaut
werde und die Fermente dann erst in einem späteren Stadium der Ver-
dauung abgespalten werden, wenn das Pepsin entweder von Peptonen
gesättigt, oder aus Mangel an der zu seiner Wirkung nöthigen Salzsäure,
welche indessen zu Syntoninbildung verwendet wurde, wirkungslos
geworden ist, so dass die jetzt erst isolirt auftretenden Pankreasfer-
mente in ihrer Wirkung nicht mehr beeinträchtigt werden.
Fttr die natürlichen Verdauungsverhältnisse kommt endlicfi noch
ein drittes Moment in Betracht, dass nämlich bei dem verhältniss-
mässig kurzen Aufenthalt der Ingesta im Magen nur ein kleiner
Bruchtheil der bei einer Mahlzeit eingenommenen Speisen vollständig
verdaut wird; der grössere Theil gelangt mit dem Pankreas innig
gemischt noch unverdaut in das Duodenum, wo das Pepsin, wegen
der durch Galle und Darmsecret bedingten alkalischen Beaction seine
Wirksamkeit einbüsst und die hier erst frei werdenden Pankreas-
fermente ungestört ihre Verdauungsarbeit aufnehmen und zu Ende
führen können.
Soviel über die theoretische, aus den natürlichen Verdauungs-
verhältnissen abgeleitete Bechtfertigung der Anordnung meiner Ver-
suche gegenüber dem gemachten Einwurf.
Um nun auch auf directem experimentellem Wege die Bichtig-
keit dieser theoretischen Anschauung klarzustellen, würde am sicher-
sten die Anlage einer Duodenalfistel beim Hunde zum Ziele führen,
und zwar müsste, um den Einfluss des von dem Versuchsthiere selbst
gelieferten Pankreassecretes auszuschliessen, zugleich auch eine Pan-
kreasfistel angelegt werden, um durch dieselbe das Secret nach Aussen
abzuführen.
Der Hund wird nun wie unter gewöhnlichen Verhältnissen ge-
füttert und der Nahrung stets gleichmäasig eine Portion Pankreas
beigemischt. Sobald die Ingesta den Magen verlassen, werden sie
an der Duodenalfistel aufgefangen; sofern sie durch die Galle noch
nicht alkalisch sind, bis zu schwacher Alkalescenz neutralisirt und
nun im Verdauungsofen bei 40— 45^ C. weiter digerirt.
Werden nun die aus der Fistel gewonnenen, im Magen noch
nicht verdauten Ingesta noch vollständig verdaut, dann wäre der
Beweis für meine Auffassung erbracht.
DeotMhM ArehlT t klln. Madlein. XXIV. Bd. 35
546 XXXI. ENGBB8BR
Leider standen nns die nöthigen Httlfsmittel nicht zu Gebote^
um dieses Experiment ausführen zu können; dagegen hatte ich Ge-
legenheiti durch Auspumpungsversuche an einem Patienten ähnliche
Verhältnisse» wie durch die Anlage einer Duodenalfistel su gewinnen.
Fall I. F. H., 20 Jahre alt, wohlhabender Bauernsohn, etwas blut-
arm, nervös, sonst stets gesond, hatte etwa vor 1 Jahre einen grossen
Schrecken durch die unerwartete Nachricht von dem plötzlichen Tode seines
Vaters. In der darauffolgenden Nacht stellte sich ohne besondere Veras*
lassung Erbrechen ein, das trotz vielfach dagegen gebrauchter Mittel mehrere
Tage anhielt. Nach endlicher Sistirnng des Erbrechens blieb Appetitmangel,
Verdauungsschwache und Trägheit der Stnhlentleerung zurUck. Die Magen-
gegend war aufgetrieben, gegen Druck empfindlich, cardialgische Schmenen
stellten sich ein und insbesondere traten sehr lästige klonische Oesopbagns-
und Zwerchfellkrflmpfe ein, ähnlich denen, wie sie bei Hysterischen beob-
achtet werden.
Als ich Patient sah, war er durch die fortwährende Appetitlosigkeit
und Verdauungsschwache sehr heruntergekommen; — der Stuhl war an-
gehalteUy erfolgte nur auf den Gebrauch künstlicher Mittel (künstliches Carla-
bader Salz), war sehr Übelriechend, von grauer Farbe und enthielt reich-
liche unverdaute Fleischpartikeln, geronnene Milch und Reste von Eiern,
die er in der Fleischbrtlhe genossen.
Die Behandlung bestand in einer sorgiUltig geregelten Diät, vor und
nach dem Essen 5 Tropfen verdünnte Salzsäure, alle Morgen 1 Esslöffel
voll Carlsbader Salz in 1 Glas warmen Wassers; — ferner nassen Com-
pressen täglich 2 — 4 Stunden auf die Magengegend und endlich tftgliebem
Douchen der Magenschleimhaut mit Vichywasser von d5<^ C. mittelst der
Schlundsonde und dem Irrigateur unter 1 Meter Wasserdruck.
Bei dieser Behandlung besserte sich der Zostand des Patienten erheb-
lich innerhalb 14 Tagen. Die Oesophagus- und Zwerchfellkrflmpfe ver-
schwanden vollständig, ebenso die cardialgischen Schmerzen; Patient ass
meistens mit mehr Appetit, verlangte gr(>ssere Fleischration; dabei war die
Magengegend nicht mehr so aufgetrieben und empfindlich gegen Druck; der
Stuhl durch Carlsbader Salz geregelt war aber immer noch sehr ttbel-
riechend, zwar etwas mehr fäcal gefärbt, aber nicht wie normaler Stnbi
und es fanden sich darin immer noch reichliche unverdaute Fleischreste.
Die Behandlung wurde jetzt dahin geändert, dass die Salzsäure weg-
gelassen, und zu jeder Mahlzeit ein Kaffeelöffel voll Pankreaspräparat (aas
der Fabrik der Gebrflder Keller) mit den Speisen vermischt verabreicht
wurde *- dabei wurde die hydropathische Cur fortgesetzt und auch die
innere Magendouche, jedoch nicht mehr mit Vichywasser, sondern mit ge-
wöhnlichem Wasser von 35<^ C. weiter angewendet.
Der Erfolg war ein guter ; nach einigen Tagen verschwanden die dd-
verdauten Fleischreste aus dem Stuhl, obgleich Patient abermals seine
Fleischration steigerte, und nach weiteren 14 Tagen konnte Patient krif«
tiger und besser aussehend aus der Behandlung entlassen werden.
Auf die einzelnen Details des vorliegenden Falles einzugehen,
ist hier nicht der geeignete Ort. Bei diesem Falle, der wohl als eine
Therapeutische Yerwendung der Banchspeicheldrase. 547
Form Yon Dyspepsianeryosa, wenn auch nicht vollstAndig in dem
Sinne Leu be's ^)i aafgefasst werden darf, möchte ich die Gelegenheit
benutzen, nm die Aufmerksamkeit in Kflrze auf die so rasch erfol-
gende Beruhigung der cardialgischen Schmerzen zu lenken, welche
wohl zum grössten Theil dem günstigen Einflüsse der Magendouche
zugeschrieben werden muss, indem hier die vollständige Reinigung
der Magenschleimhaut yon sich zersetzenden Speisebestandtheilen und
Schleim, die beruhigende Wirkung des localen Warm wasser- Bades
und endlich die durch die Gewalt des Wasserstrahles neubelebte
Tfafttigkeit der secretorischen Apparate sowohl als auch der Muscula-
tar wohltb&tig zusammenwirkten; eine Wirkung der Magendouche,
auf die Kussmaul und in letzterer Zeit mit besonderem Nachdruck
sein früherer Assistent Malbranc^) hingewiesen haben.
0er gute Erfolg des Pankreasgenusses auf die Verdauung einer-
seits, andererseits die grosse Toleranz, die Patient gegen die Ein-
führung der Magensonde an den Tag legte, sowie die Bereitwilligkeit
des Patienten veranlassten mich, nachdem die Verdauung wieder voll-
ständig geregelt war, durch einige Auspumpungsversuche mich Über
den Verlauf der Magenverdauung und insbesondere über das Schick-
sal des Pankreaspräparates während derselben zu unterrichten.
Bevor ich aber an die eigentlichen Pankreasversuche ging, war
es nöthig, erst den Magensaft in den verschiedenen Stadien der Ma-
genverdauung auf seine Wirksamkeit zu prüfen, da ja nur bei voll-
ständig verdauungskräftigem Magensafte den Pankreasversuchen posi-
tiver Werth beiglegt werden kann.
Patient erhielt morgens 8 Uhr sein Frühstück, bestehend in 2 Tassen
Kaffee mit Milch, Weissbrod und 2 Eiero.
Dann erst wieder um 12 Uhr eine für den Versach besonders einge-
richtete Mahlzeit, bestehend in V^ ^^^^^ Fleischbrühsuppe mit 1 Ei nnd
1 Esslöffel voll saurem Rahm — ohne Einlage; 100 Grm. feingeschabtes
Beefsteak, einige Esslöffel voll Kartoffelbrei und etwas Sardellensauce.
Brod erhielt er keines, weil die Brodbrückei im Magen aufgehend zu leicht
die Fenster der Sonde verstopfen, aus demselben Grunde liess ich auch
das Fleisch in feingeschabter Form verabreichen.
Am ersten Tage wurde nun 20 Minuten nach der Mahlzeit eine Portion
aus dem Magen heraufgeholt mittelst des Hebers und ca. ^/g Liter (gerade
soviel um den Apparat zu füllen) warmen Wassers von 3S<^ C; hierbei ist
zu bemerken, dass das hiesige Brunnenwasser fast chemisch rein ist.
Es waren die Bestandtbeile der Mahlzeit in dem Ausgepumpten noch
zu erkennen, die Reaction war entschieden sauer.
1) üeber nervöse Dyspepsie. Dieses Archiv. 1878. Bd. XXIII. S.98.
2) Ueber Behandlung der Gastralgie mit der inneren Magendouche etc. Ber-
liner klin. Wochenschrift. 1878. Nr. 4.
36*
548 XXXI. Enoesser
Das ganze wurde nun mit Fibrinflocken in den Verdaanngsofen ge-
bracht; nach 1 Stande waren die Fibrinflocken zum Thdl, nach 2 Stun-
den fast ganz verdaut; dabei kein Fäulnissgeruch wahrnehmbar. Der
Zusatz von Fibrinflocken geschah, um den Gang der Verdauung besser
verfolgen zu können, als dies an den feinzertheilten FleischbestandtheilcD
möglich war.
Am zweiten Tage wurde der Versuch in der gleichen Ordnung ange-
stellt und die Auspumpnng 1 Stunde nach der Mahlzeit vorgenommen.
Von der Fleischbrüh -Rahmsuppe liess sich nichts mehr in dem Aus-
gepumpten erkennen, nur Fleisch, Kartoffel und die braune Sauce waren noch
vorhanden ; Reaction entschieden sauer. Das Ausgepumpte kam jetzt wie-
der mit Fibrin in den Verdauungsofen; das Resultat war das gleiche, wie
beim ersten Versuch, nach 1 Stunde waren die Fibrinflocken zum Theil,
nach 2 Stunden vollständig verdaut.
Am dritten Tage endlich wurde die Auspumpung 2 Stunden nach der
Mahlzeit vorgenommen, es wurde nur wenig trübe, mit SchleimflockeD
untermischte Flüssigkeit und sehr wenig Speisebrei, welcher noch unver-
daute Fleischfasern enthielt, entleert. Das Ausgepumpte hatte schwach
saure Reaction.
Die Probe kam wieder mit Fibrinflocken in den Verdauungsofen ; nach
1 Stunde war das Fibrin gequollen, aber kaum etwas davon gelöst, nach
2 Stunden nur wenig davon gelöst; ich setzte jetzt 4 Tropfen verdünnte
Salzsäure zu der Probe und brachte sie in den Verdauungsofen zurück;
nach einer weiteren Stunde war das meiste Fibrin gelöst.
Diese Vorversuche haben gezeigt, dass die Magenschleimhaut des
Patienten einen vollständig verdauungstüchtigen Magensaft producire,
welcher 20 Minuten und 1 Stunde nach der Mahlzeit noch seine voll-
ständige Wirksamkeit besitzt, 2 Stunden nach der Mahlzeit dagegen
nicht mehr so wirksam war, und zwar offenbar wegen des Mangels
an freier Salzsäure, durch deren Zusatz die Wirksamkeit des Pepsins
wieder hergestellt werden konnte.
Die Versuche zeigten ferner, dass 2 Stunden nach der Mahlzeit
ein grosser Theil des Mageninhaltes in den Darm ausgetreten war
und zwar, wie aus den Resten der noch vorhandenen Fleischbestand-
theile hervorgeht, ohne vollständig verdaut zu sein.
Nachdem ich mich nun von dem nahezu normalen Verdauungs-
vermögen des Magens bei unserem Patienten überzeugt hatte, ging
ich an die Hauptversuche über die Schicksale des Pankreas während
der Magenverdauung.
Die Versuche wurden in ganz der gleichen Ordnung angestellt
wie die Vorversuche, nur dass die Suppe und die Sardellensauce^
welche Patient jeweils vollständig verzehren musste, mit je 1 Kaffee-
löffel voll Pankreas unter den früher erwähnten Gautelen vemdscbt
wurden.
Therapeutische Yerwendung der Bauchspeicheldrüse. 549
Patient erhielt, nachdem er von 8 Uhr an nichts mehr genossen hatte,
um 12 Uhr seine oben beschriebene Mahlzeit. — Am ersten Tage wurde
20 Minuten nachher eine Portion mittelst des Hebers aus dem Magen herauf-
geholt — das Ausgepumpte hatte saure Reaction; es wurde nun mit
kohlensaurem Natron bis zu schwacher Alkalescenz neutralisirt, um die
Pepsin Wirkung auszuschliessen, dann mit Fibrinflocken in den Verdauunga-
ofen gebracht; eine Stunde nachher waren die Fibrinflocken vollständig gelöst.
Am zweiten Tage wurde die Auspumpung eine Stunde nach der
Mahlzeit vorgenommen; Reaction sauer; die Probe bis zu schwacher Alkales-
cenz neutralisirt und mit Fibrin in den Ofen gebracht; eine Stunde
nachher das Fibrin gelöst.
Am dritten Tage: Auspumpung zwei Stunden nach der Mahlzeit; ea
waren, wie bei dem entsprechenden Vorversuch, wieder nur wenige Speise-
reste in dem Ausgepumpten, Reaction schwach sauer. Probe neutralisirt;
nach einer Stunde nur wenige Fibrinflocken in Ertlmel zerfallen, nicht voll-
ständig gelöst.
Da bei diesem Versuche wahrscheinlich der grösste Theil des Pankreas
mit den Ingestis schon den Magen verlassen hatte und daraus sich wohl daa
negative Resultat dieses Versuches erklären lässt, machte ich noch ein^n
weiteren Versuch, wobei die Auspumpung IV2 Stunde nach der Mahlzeit
geschah; es wurden hierbei noch erheblich mehr Speisereste vorgefunden»
als im letzten Versuch; Reaction sauer; ich digerirte nun die Ptobe un-
verändert noch V2 Stunde im Verdauungsofen bei 45^ G. Dann erst neu-
tralisirte ich und brachte die Probe mit Fibrinflocken in den Ofen zurttck.
Nach 1 Stunde war jetzt wieder alles Fibrin gelöst.
Als Resultat dieser Versachsreihe kann nun wohl angenommen
werden, dass bei Verabreichung des Parenchyms der Bauch-
speicheldrüse die verdauende Kraft derselben während
der Magenverdauung durch das Pepsin nicht beein-
trächtigt wird, femer kann mit grosser Wahrscheinlichkeit an-
genommen werden; dass ein Theil des Pankreas in noch
unverdautem Zustande den Magen mit den übrigen In-
gestis verlässt.
Damit hatte sich nun die Beobachtung von Fies, sowie die
Resultate meiner früheren Versuche in ihrer praktischen Anwendung
bewährt und war somit die eine Schwierigkeit, die Frage über den
nachtheiligen Einfluss des Pepsins auf das Pankreas in dieser Form
während der Magenverdauung als beseitigt zu betrachten.
Es blieb nun noch eine zweite Schwierigkeit zu bekämpfen übrig,
nämlich die einer geeigneten Darreichungsmethode und der Darstel-
lung eines für die therapeutische Verwendung zweckmässigen Prä-
parates.
Als oberster Grundsatz muss hier festgehalten werden, dass das
Drüsenparenchym selbst oder ein ganz frisch bereiteter wässriger
Auszug verabreicht werden muss, wenn man einen sicheren Erfolg
550 XXXI. Emgbssbb
erzielen will; alle Präparate, weiche aus freiem durch irgend eine
Methode extrahirtem Ferment bestehen, taugen nichts, wie aus den
oben erwähnten Versuchen hervorging, da sie in der MagenTerdatmng
ihre Wirksamkeit einbüssen; dasselbe gilt von solchen wSssrigen
Auszügen , die längere Zeit stehen , da auch hier die Fermente ab-
gespalten werden.
Fies Hess daher einen vor jedem Gebrauch frisch bereiteten
wässrigen Auszug, der eine Art Emulsion darstellt, bereiten und diesen
während der Mahlzeit gemessen.
Ich Hess die ganze Drüse in feingeschabtem Zustande durch das
Haarsieb treiben und in der Küche schon, ohne dass die Patienten
den Vorgang sahen, unter die Speisen mischen, welch letztere so
gewählt waren, dass sie den vielen Patienten unangenehmen Ge-
schmack und Geruch verbergen; ich habe daher in meiner früheren
Veröffentlichung eine grössere Anzahl von Speisen aufgeführt, welche
sich besonders für die Beimischung des Pankreas eignen, und über-
zeugte mich auch, dass bei Beachtung der nöthigen Cautelen die
Patienten ohne Widerwillen und mit gutem Erfolge das Pankreas in
dieser Form nahmen; eben so oft aber überzeugte ich mich leider
auch davon, dass die ungenaue Befolgung der gegebenen Vorschrif-
ten alle Vortheile dieser Darreichungsmethode illusorisch machte.
Ein weiterer Missstand dieser Darreichungsmethode besteht nun aber
auch darin, dass, abgesehen von der Umständlichkeit der Zubereitung
der Drüse sowohl , als auch der für den Patienten gesondert anzu-
richtenden Speisen, nicht immer frische Drüsen zu haben sind, was
besonders in kleineren Orten, wo alle Wochen nur einmal geschhichtet
wird, sehr störend in die Cur eingreift.
Ich war daher darauf bedacht, die Drüse in eine für die Con-
servirung geeignete Form zu bringen, ohne ihre Widerstandsfähigkeit
gegen das Pepsin zu beeinträchtigen. Ein solches Präparat wurde
nach meiner Angabe in der Fabrik pharmaceutischer Präparate der
Herren Gebrüder Keller dahier hergestellt, und zwar ^dadurch, dass
die fein zerkleinerte Drüse im Vacuum bei AQ^ G. auf Extractcon-
sistenz eingedampft und nachher mit Kochsalz versetzt wurde, um
das Präparat vor Fäulniss zu schützen.
Ich habe verschiedene dieser bis zu einem Jahre alten Präpvate
öfters geprüft, sie waren alle gut conservirt, waren vollständig wirk-
sam und widerstandsfähig gegen die Pepsinverdauung ; dabei konnte
in der Art der Verabreichung der Liebhaberei des Patienten mehr
Bechnung getragen werden, da es nicht mehr, um überhaupt geniess-
bar zu sein, den Speisen beigemischt werden musstCi sondern ancb
Therapeutische Yerwendung der Bauchspeicheldrüse. 551
in Boli Yon ca. 1 —2 Grm. gefonnt und in Oblate eingepaekt , wäh-
rend der Mahlzeit in 3 — 4 Portionen genommen werden konnte; einer
meiner Pattenten zog es z. B. vor, das Präparat mit Sardellenbutter
anf zwei Brodschnitten gestrichen, die ähnlich den belegten Brödchen
zusammengelegt wurden, zur Mahlzeit zu geniessen.
Trotz dieser erheblich verbesserten Beschaffenheit des Präparates
und der leichteren Darreichungsmethode Überzeugte ich mich aber
doch, dass Patienten einen Widerwillen gegen das Präparat empfan-
den, der sie zum Aufgeben der Cur veranlasste, während andrerseits
wieder andere es ohne alle Beschwerden und mit gutem Erfolge
Monate lang fortnahmen.
Ich Hess daher in letzterer Zeit dieses im Vacuum auf Extract-
consistenz eingedampfte Präparat noch ca. 48 Stunden mit absolutem
Alkohol behandeln, nachher den Alkohol abtropfen und den Rest
deeselben im Lufttrockenraum | oder noch einmal im Vacuum ver-
flüchtigen. Das so gewonnene Präparat stellt ein hellbraunes, grobes
Pulver dar, das sich leicht in Oblaten, sowie auch einfach mit Wasser
nehmen lässt ; dasselbe ist in hohem Grade hygroskopisch und muss
daher stets trocken aufbewahrt werden, wenn es sich nicht ballen
und in eine schmierige Masse umwandeln soll ; da es beim Ausfällen
mit Alkohol auf die Hälfte des ursprünglichen Volums eingeengt
wurde, sind auch erheblich kleinere Portionen bei jeder Mahlzeit nö-
thig. — Um irgend auftretenden Missverständnissen vorzubeugen, mag
hier besonders betont sein, dass es sich nicht um die Fällung der
vorher isolirten und extrahirten Fermente handelt, wie bei den an-
deren, bisher mit Alkohol dargestellten Präparaten, sondern dass
dieses Präparat das ganze erst im Vacuum eingeengte und dann durch
Alkohol gehärtete Parenchym des Pankreas enthält. Künstliche Ver-
dauungsversuche haben denn auch seine Wirksamkeit sowohl, wie
seine Widerstandsfähigkeit gegen die Magenverdauung vollständig be-
währt ; die Versuche waren ganz in der Ordnung der früher erwähnten
ausgeführt worden. — Schliesslich muss ich betreffs dieses Präparates
noch darauf aufmerksam machen, dass vielleicht in der Darstellung
desselben mit Alkohol ein Widerspruch gefunden werden könnte mit
früheren unter Alkoholzusatz angestellten Verdauungsversuchen, deren
Resultat war, dass der Alkoholzusatz die Wirksamkeit des Pankreas
beeinträchtige, resp. zerstöre. — Hierbei handelte es sich aber um
die Gegenwart von Alkohol in höheren Procentsätzen wäh-
rend derVerdauung, bei unserem Präparat aber wird der Alko-
hol ja nach der Erhärtung der Drüse wieder entfernt.
Durch das bisher Angeführte glaube ich nun die Schwierigkeiten,
552 XXXI. Engesser
welche der therapeutischen Verwendung des Pankreas einerseits aus
den Zweifeln ttber seine Widerstandsfähigkeit gegen die Pepsinein-
wirkung bei der Magenverdauung, andererseits aus dem Hangel eines
geeigneten Präparates und einer passenden Darreichungsmethode er*
wachsen waren, als beseitigt betrachten zu können.
Hier sei noch erwähnt, dass die künstlichen Verdanungsversucbe
in dem hiesigen physiologischen Institut angestellt wurden. Ich be-
nutze diese Gelegenheit, um Herrn Hofrath Funke für die gütige
Ueberlassung der dafür nöthigen Räumlichkeiten und Apparate meinen
Dank auszusprechen, ebenso Herrn Prof. Latschenberger far
seine freundliche Unterstützung, die er mir in Bath und That an-
gedeihen Hess.
Es erübrigt jetzt noch zu den in meiner früheren Arbeit nieder-
gelegten, aus theoretischen Deductionen gewonnenen Anhaltspunkten
für die Indication des Pankreas einige casuistische Belege beiza-
bringen.
Einige der im Folgenden mitgetheilten Fälle sind meiner eigenen
Praxis entnommen, andere verdanke ich der Güte einiger Herren
GoUegen, die mir ihr Beobachtungsmaterial zur Verfügung gestellt
haben und wofür ich ihnen hier meinen Dank ausspreche.
Als erste Indication für das Pankreas und seine Präparate müssen,
wie ich in meiner früheren Arbeit bereits betont habe, Degenerations-
processe und andere Erkrankungen der Bauchspeieheldrüse betrachtet
werden, welche sie in ihrer Function beeinträchtigen und dadurch
Verdauungs- und Ernährungsstörungen bedingen.
Einen wichtigen Beleg für diese Indication bietet der Fall Fies.
Ich bin in der Lage, einen weiteren Fall mitzutheilen, bei dem
es sich offenbar um eine degeneratire Erkrankung der Bauchspeichel-
drüse handelt. Leider konnte ich den Patienten nicht während der
ganzen Dauer der Behandlung beobachten, da derselbe weit von hier
entfernt seinen Wohnsitz und seine Berufsthätigkeit hat; ich sah und
untereuchte den Patienten nur einige Male, als er sich mir behufs
einiger Consultationen vorstellte. Ich muss mich daher auf seine
mündlichen Berichte, die er mir bei Gelegenheit der Consultationen
machte, berufen, sowie auf die ausführlichen schriftlichen Mitthei-
lungen ttber seine sehr sorgfältig angestellte Selbstbeobachtung, denen
hier um so mehr Werth beizulegen ist, als der Patient selbst Ant
und hervorragender Leiter eines grösseren Hospitals ist.
Fall U. Dr. N. N., 34 Jahre alt, von schwächlicher Constitution, stets
blasser Hautfarbe und spärlich entwickeltem Pannicnlns adiposus, war ausser
TherapeutiBche Verwendung der Bauchspeicheldrüse. 553
den gewOhnlicheD Kinderkrankheiten (Reachhusten, Masern, Psendocronp)
Mher stets gesund.
Im 17. Lebensjahre litt Patient an einem heftigen und sehr hartnäckigen
Hagenkatarrh mit hochgradigen cardialgischen Schmerzen, täglichem Er-
brechen, wobei häufig ziemliche Mengen Blutes ausgeworfen wurden, so
dasB dadurch die Vermuthung auf ein bestehendes Magengeschwür mit sehr
grosser Wahrscheinlichkeit nahe gelegt war.
Nach einigen Wochen Hess das Blutbrechen nach, ebenso hörten die
cardialgischen Schmerzen auf, aber der Magenkatarrh dauerte, wenn auch
unter weniger schweren Erscheinungen noch ziemlich lange fort; dabei blieb
der Emähmngszustand ein leidlicher.
Als fröhlicher Student machte sich Patient, nachdem die gefahrdrohen-
den Erscheinungen vorüber waren, auch nicht mehr so viel daraus und
traute seinem Magen und seinem ganzen Körper grössere Leistungen zu,
als bei der an und für sich nicht kräftigen Constitution zweckmässig war.
Fat. befand sich dabei jedoch, wenn auch dann und wann von Verdaunngs-
beschwerden gequält, ganz gut; sein Ernährnngs- und Kräftezustand ver-
besserte sich im Verlaufe der nächsten Jahre allmählich , so dass er sich,
die zeitweise anftretenden Mahner des Magenkatarrhs ausgenommen, ganz
wohl fühlte.
In den Jahren 1870/71 machte er den Feldzug in den Reihen der
deutschen Armeen als Feldarzt mit, ohne sich dadurch, trotz der zum Theil
grossen Strapazen, eine Verschlimmerung seines Znstandes zuzuziehen.
Pat. besserte sich noch weiter, als er sich 1872 verehelichte und
das Familienleben auch eine grössere Regelmässigkeit in der ganzen Lebens-
weise mit sich brachte.
1873 litt Pat. längere Zeit an rheumatischen Schmerzen in den Mus-
keln und Gelenken, verbunden mit zwar massigem, aber doch hartnäckigem
Fieber (38,0 — 38,5<> C.) und unverhältnissmässiger Hinfälligkeit, so dass
er genOtbigt war, im Winter das mildere Klima des Genfer Sees aufzu-
suchen, wo er sich denn auch im Verlauf einiger Monate ziemlich erholte
and in leidlichem Wohlbefinden im Frühjahr nach Hause zurückkehrte« —
Verdauungsbeschwerden waren während dieser Zeit keine vorhanden, doch
stellten sich dieselben in den folgenden Jahren ab und za in mehr oder
weniger langen Intervallen wieder ein.
Eine Kaltwasserkur im Sommer 1875 besserte Appetit und Verdauung,
allein der allmählich wieder sehr heruntergekommene Ernährungszustand
wollte sich nicht mehr heben.
Im Sommer 1876 stellte sich wieder eine erhebliche Verschlimmerung
in dem Befinden des Pat. ein; jeder geringfügige Diätfehler verursachte
Verdauungsbeschwerden, die sich in Gefühl von Druck und Schwere im
Epigastrinm äusserten und in Erbrechen, verbunden mit heftigem migrans
artigem Kopfweh ; cardialgische Schmerzen waren dagegen keine vorhanden ;
dabei litt Pat. an häufigen Diarrhöen, die Stühle waren sehr reichlich,
bald breiig, bald dünn, von dunkelbrauner Farbe, sehr üblem Geruch und
enthielten reichliche Fett- und unverdaute Speisereste.
Im Frühling 1877 besuchte Pat. Kreuznach und unterzog sich daselbst,
da der Zustand sich stets verschlimmerte, einer Untersuchung Seitens eines
der dortigen Aerzte, welcher zur nicht geringen Ueberraschung des Pat die
&54 XXXI. £KaE88BB
Anwesenbelt eines siemlicb grossen Abdominaltnmors constatirte; Aber die
Zeit und die Verhältnisse der Entstebang der Oescbwulst konnte Pat, der
bisher keine Ahnung von deraelben hatte, keine nähere Anskttoft geben,
glaubte aber die Zeit der Entstehung auf ca. ein Jahr zurOekverlegen n
müssen , da seither die Verdauungsbeschwerden ihn nie mehr verlasseo,
sondern stetig augenommen hatten und sein Allgemeinbefinden ein wesent-
lich schlimmeres geworden war.
Die Herren Professoren Rflhle in Bonn und Kussmaul in Strass-
burg, welche Pat. nachher consultirte, erklärten den Tumor fflr eine Ge-
schwulst der Bauchspeicheldrüse. Herrn Professor Kussmaol
verdanke ich es, dass mir der Fall zur Beobachtung gekommen ist, indem
derselbe den Pat. an mich empfahl.
Ich sah Pat. am 29. Juli 1877. 8eiir Aeusseres trug das Gepräge
einer hochgradigen Ernährungsstörung und entsprach vollständig dem aus
der Anamnese sich aufdrängenden Bilde eines Kranken mit langdauemdem
Leiden und Functionsstörung der Verdauungsorgane.
Pat. ist gracil gebaut, hochgradig abgemagert; Augen tief liegend,
Wangen eingefallen, Haut blass, fahl, ohne Glanz, fühlt sich trocken an,
ohne abzuschuppen; die Bewegungen des Patienten waren ziemlich bebende
und der Kräftezustand schien momentan ein leidlicher.
Erscheinungen von katarrhalischen Zuständen des VerdanungstractoB
waren keine vorhanden, ebenso keine Erscheinungen seitens der Leber.
Schmerzen hatte Pat. keine, auch keine anderen Beschwerden ausser einem
fortwährenden Gefühl von Vollsein und Druck im Unterleib und zeitweiser
Unregelmässigkeit in der Stuhlentleerung, wobei stets die Stühle den obea
angegebenen Charakter hatten. Bei der Untersuchung des Abdomen war
der erwähnte Tumor leicht zu erkennen und durch die Palpation seine
Grenzen auf die Oberfläche der Bauchwand zu projiciren.
Die Oescbwulst fühlte sich ziemlich fest an, zeigte keine Flnctuation,
ihre Oberfläche bot zahlreiche Unebenheiten dar. — Sie ragte unter dem
unteren scharfen Leberrande hervor und erstreckte sich als kugelartiger,
etwa Kindskopf-grosser Körper bis unterhalb einer durch den Nabel ge-
zogenen Horizontallinie; die äusserste rechte Grenze reichte bis in die Linea
paraxillaris; nach innen zu verjüngte sich der Tumor gegen das Epigastriom
und seine untere Grenze schnitt die Linea alba etwa am Uebergang des
mittleren zum unteren Drittel der Distanz zwischen Nabel und Schweitfort-
satz des Brustbems und war nach links bis etwa an die Stelle zu pal-
piren, wo die Linea mammalis den linken Rippenbogen schneidet. Der Tumor
hatte bei Aufzeichnung seiner auf die Bauchwand projicirten Grenzen voll-
ständig die Gestalt der nach allen Richtungen ziemlich gleicbmässig ver-
grösserten Bauchspeicheldrüse; es erscheint somit sowohl der Kopf, als
auch der Schwanz derselben in den krankhaften Prozess hereingezogen.
Unter diesen Verhältnissen hielt ich die Annahme fflr gerechtfertigt,
die so oft sich wiederholenden und in letzter Zeit anhaltenden StöniBgeD
der Verdauung und das dadurch bedingte Damiederiiegen der Gesammt-
ernährung und des allgemeinen Kräftezustandes auf das erwähnte Leides
des Pankreas zurückzuführen, das wohl nicht blos auf ein Jahr, wie Pati^t
glaubte, sondern wohl auf viel längere Zeit zurück zu datiren sein dürfte;
dabei ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Leiden sich in letzterer Zeit
Therapeutische Yerwendung der Bauchspeicheldrüse. 555
erheblich gesteigert, wo nicht zu ▼ollstftodiger Degeneration der Banch-
speicheldrflae mit bedeutender Verminderang oder Aofhebang der Secretion
geführt hat
£8 erschien mir daher angezeigt, den Ausfall des natarilchen Pankreas-
secretes so weit möglich durch das kflnstliche Präparat zu ersetzen; femer
ein geeignetes diätetisches Verhalten dringend zu empfehlen, welches bei
Leicbtverdaulichkeit der Speisen einen möglichst hohen Nährwerth erzielte
und durch eine geeignete Zeiteintheilung den geschwächten Verdaunngs-
Organen auch die nöthige Erholung gewährte ; endlich erschien es mir zweck-
mässig, damit eine Lnftcur zu verbinden, betreffs welcher sich Pat. bereitg
fflr Antogast (im bad. Schwarzwald) entschieden hatte, um daselbst zur
Unterstützung der Cur die dortige Natronquelle zu gebrauchen.
Ich schlug dem Pat. folgendes diätetisches Verhalten vor:
1. Frflhstflck um 7 Uhr: 1 Tasse Theo mit Milch, ein Ei, ge-
bähtes Brod (Rösterbrod) mit frischer Butter, darauf eine Messerspitze voll
Pankreaspräparat in Oblate.
2. Zweites Frflhstttck um V2IO Uhr: Bouillon mit Ei und ge-
bähtem Brod.
3. Mittagessen um 12V2 Uhr: kräftige Fleiachsuppe mit beliebiger
Einlage von Gerealien oder Fleischhäcksel und einem Ei, darauf 1 starke
Messerspitze voll Pankreas; gebratenes Fleisch; als Zugemflse: Kartoffel-
brei, Meerrettig, Wurzelgemüse, leichte Mehlspeisen — gut ausgebackenes
Weissbrod — nachher wieder Pankreas.
4. Als Zwischenmahlzeit um 4 Uhr: 1 Tasse Theo mit Milch,
1—2 Eier, gebähtes Brod (Rösterbrod) mit frischer Butter — 1 Messer-
spitze voll Pankreas.
5. Nachtessen um 8 Uhr: Suppe, kalter oder frischer Braten,
roher Schinken, gebähtes Brod, dazu 1 Olas Bier — nachher Pankreas.
6. In der Nacht, oder vor Schlafengehen um 10 ^'2 Uhr V« — V2 Liter
Milch oder 2 Eier.
Am 16. September d. J. schrieb mir Patient:
„Seit 14 Tagen bin ich wieder zu Hause in Thätigkeit, es geht mir
recht ordentlich, die Verdauung ist nicht schlimm, was ich mit Bestimmt-
heit dem Pankreaspräparat, das ich stets gewissenhaft in Oblaten nehme,
zuschreibe. — Der Aufenthalt auf dem Schwarzwald hat mir gut zugesagt. '^
Pat. verbreitet sich dann des weiteren über die Verpflegung etc. und
beklagt, dass er die vorgeschriebene Diät nicht so ezact habe einhalten
können^ wesshalb er sich dann wieder in den Familienkreis zurückgezogen
and hier das empfohlene diätetische Verhalten mit exemplarischer Gewissen-
haftigkeit beobachtet habe und fährt dann fort:
„Ich habe nun. wenigstens 5 Wochen keine grösseren Verdauungs-
störungen gehabt, was früher wohl alle 8 — 10 Tage vorkam; mein Lebens-
wandel ist allerdings in sanitärer Beziehung auch exemplarisch und bin
ich stets Ihrer freundlichen Vorschriften eingedenk. **
Im Sommer 1878 besuchte mich Patient wieder. Sein Znstand war
befriedigend, die Verdauungsstörungen hatten ganz nachgelassen, die Stuhl-
entleerungen waren seit längerer Zeit vollständig regelmässig, die Stühle
waren nicht mehr so übelriechend und enthielten kein Fett, sowie keine
Bestandtheile unverdauter Speisereste mehr. — Ein Fettpolster hatte sich
556 XXXI. Engesseb
freilich bei ihm nicht entwickelt, doch war der Ernährungsznstand ein
wesentlich besserer — Pat. fühlte sich selbst kräftiger, die Hant war etwas
lebhafter gefärbt, mehr succnlent nnd hatte mehr Glanz als frflher.
Pat. erklärte mir aber, dass er stets noch auf den Pankreasgebranch
angewiesen sei, wenn er nicht ein Wiedererwachen der Verdanungsstdmn-
gen mit allen ihren Folgen, insbesondere mit dem Eintritt von lästigen
Diarrhöen beftlrchten wollte.
Der vorliegende Fall ist insbesondere deshalb von Interesse,
weil es sich dabei ohne Zweifel um ein nicht gerade häufig zu dia-
gnosticirendes Leiden der Bauchspeicheldrüse handelte, welches wohl
zu vollständiger Degeneration und Functionsunfähigkeit dieses Organes
geführt hat — Er bot dementsprechend in erster Linie eine Indica-
tion für die Anwendung des künstlichen Pankreas - Präparates und
war diese Behandlungsmethode auch von dem gewünschten Erfolge
gekrönt. — Freilich war eine vollständige Wiederherstellung der
normalen Yerdauungsvorgänge nicht eingetreten, dieselbe war aber
auch bei der höchst wahrscheinlichen vollständigen Functionslosig-
keit einer der wichtigsten Verdauungsdrüsen nicht zu erwarten; der
Erfolg ist darin zu suchen, dass bei dem Gebrauch des künstlichen
Pankreaspräparates die Verdauungsstörungen nachliessen und die Er-
nährung sowie der Eräftezustand sich hoben; dass somit das künst-
liche Präparat wenigstens als theilweiser Ersatz für das natürliche
Pankreassecret eintrat und sich als wirksames Unterstützungsmittel
der Verdauung bewährte.
Wie hier als directer Ersatz für das fehlende Pankreasseca-et,
erscheint das Pankreaspräparat auch in allen jenen Fällen indicirt,
in denen in Folge einer qualitativ oder quantitativ fehlerhaften Be-
schaffenheit des Magensaftes die Magenverdauung nothleidet, und
durch abnorme Säurebildung im Magen eine Form der Dyspepsie
entsteht, wdche man als Dyspepsia acida (Bamberger) be*
zeichnet.
Bei dieser Form der Dyspepsie besteht in der Regel ein durch
die Zersetzung der im Magen angesammelten, unverdauten Speisen
bedingter Magenkatarrh mit seinen lästigen Erscheinungen : das Epi-
gastrium ist meist aufgetrieben, gegen den leisesten Druck sehr em-
pfindlich, und bei längerer Dauer des Leidens kommt es zu Er-
schlaffung der Magenwandungen und zu Magenerweitemng. — Die
Patienten klagen über ein unangenehmes Brennen und Kratzen im
Halse, über saures Aufstossen und häufig kommt es zum Erbrechen
saurer Massen, welche aus den sauren Producten einer abnormen
Zersetzung der Speisen : Kohlensäure, Buttersäure, Milchsäure, Essig-
säure u. a. m. bestehen, dagegen findet sich in dem Mageninhalte^
Therapeutische Verwendong der Bauchspeicheldrüse. 557
nach den auf der Eussmaurschen Klinik in Strassburg angestell-
ten Untersuchungen von y. d. Velden ^)-, nie oder nur in geringer
Menge die für die Magenverdauung so wichtige freie Salzsäure bei
solchen durch Stagnation der Gontenta erzeugten und unterhaltenen
Magenkatarrhen. Eine weitere Folge dieser Dyspepsie ist, dass da-
durch der allgemeine Ernährungszustand nothleidet und damit auch
die Function der ttbrigen Verdauungsorgane , insbesondere des sehr
empfindliehen Pankreas, beeinträchtigt wird, sodass auch diejenigen
Speisen, welche noch aus dem dilatirten Magen in den Darm aus-
treten, nicht mehr hinlänglich verdaut werden.
Ein hierher passendes Beispiel bietet der folgende Fall, den ich
der Vollständigkeit wegen aus meiner frtlheren Arbeit hier wiederhole«
Fall III. Frau B., Beamtenfrau, 40 Jahre alt. In der Jugend in
hohem Grade bleichsUchtig. Vom 18. — 20. Jahre litt Fat. an Dyspepsie
mit Erbrechen. — Fat. hat drei Kinder, das jttngste 14 Jahre alt. — In
der letzten Schwangerschaft traten wieder dyspeptische Beschwerden auf
mit Erbrechen, welche während des Puerperiums und noch längere Zeit
darüber hinaus fortdauerten und erst allmählich unter dem Gebrauch von
Magnesia und Karlsbader Salz nachliessen. — An Albuminurie will Fat.
zn dieser Zeit nicht gelitten haben.
Im Jahr 1873 sah ich Fat. zum ersten Male; sie litt wieder seit etwa
einem Jahr an gastrischen Beschwerden: Geffihl von Schmerzen und Druck
in der Magengegend, besonders kurze Zeit nach der Nahrungsaufnahme,
ebenso an einem Geftthl von hochgradigem Vollsein, so dass sie ihre Klei-
der öffnen musste; jedesmal drei bis vier Stunden nach dem Essen kam
es zum Erbrechen saurer Flflssigkeit in grosser Menge und unverdauter
Speisereste, Sarcine war bei mehrfacher Untersuchung nicht nachweisbar;
nach dem Erbrechen wieder Wohlbefinden; das Erbrechen erfolgt leicht,
ohne Schmerzen oder Uebelkeit, auch waren sonst nie Schmerzen zugegen ;
dasselbe erfolgte am meisten und waren die Beschwerden am heftigsten
nach dem Genuas von : Gemüsen jeder Art, schwerverdaulichen Mehlspeisen,
Schwarzbrod, Sauerbraten, Fett, warmer Milch. — Am besten wurden er-
tragen: kalter Braten, Fieischgelee, Thee, Kaffee (kühl), kalte Milch, Sauer-
milch, weicher Käse, gebähtes Brod, leichter alter Weisswein. Der Stuhl
war stets angehalten und erfolgte nur alle drei bis vier Tage.
Bei genauerer Untersuchung erwies sich der Magen erheblich erweitert
— die Magengegend war stark aufgetrieben und die grosse Curvatur ragte
his unter den Nabel.
Die Behandlung bestand in Regelung der Diät, des Stuhls durch Karls-
bader Salz, bisweilen mit etwas Rhabarber; femer täglichem Auspumpen
des Magens und nachherigem Ausspülen desselben mit Vicbywasser unter
ziemlich hohem Druck mittelst der Hebervorrichtung.
Unter dieser Behandlung Hessen die Beschwerden nach ; es kam nicht
1) Ueber Vorkommen und Mangel der freien Salzsäure im Magensaft bei
Gastrektasie. Dieses Archiv. Bd. XXni.
558 XXXI. Enobssbb
mehr zu ErbrecheD, aoaser wenn Pat sich einen Difttfehler zu Scholden
kommen liess. — Trotzdem wnrde die Magendoncbe noch längere Zeit fort-
gesetzt, bis sich Pat. meiner Beobachtung entzog.
Am 2. September 1876 stellte sich Pat. wieder vor. — Ihr Zustand
hatte sich ziemlich verschlimmert. — Körpergewicht 9 1 Pfund, der Magen
fast bis zur Symphyse ausgedehnt. — Das Auspumpen war erst in der
letzteren Zeit wieder regelmässig betrieben worden, Pat. hatte sich selbst
darauf eingelernt.
Das saure Aufstossen, das GefQhl von Schwere in der Magengegend
und von Vollsein waren sehr quälend ; auch das Erbrechen hatte sich wieder
eingestellt und zwar regelmässig vier Stunden nach der Mahlzeit, worauf
sich Pat. stets wieder erleichtert fühlte ; das Erbrechen bestand in grosser
Menge saurer Flüssigkeit, ohne Sarcine, und in reichlichen unverdauten
Speiseresten; der Appetit war sehr schlecht; Pat. konnte nur wenig auf
einmal geniessen und fühlte nur selten das Bedürfniss nach Nahrungsauf-
nahme.
Die Behandlung wurde wieder in der gleichen Weise eingeleitet, wie
vor drei Jahren, und zwar wurde jetzt das Auspumpen und Ausspülen des
Magens stets vor Ablauf von vier Stunden nach der Mahlzeit vorgenommen,
um dem Erbrechen dadurch vorzubeugen, was in der That auch gelang.
— Um die Allgemeinernährung zu heben, wurden ausser der regelmässigen
Diät noch täglich zwei nährende Klystiere verordnet aus Fleischbrühe,
Wein und nach Latschenberger's Vorschrift präparirten Eiern.
Beim Auspumpen wurden grosse Mengen saurer Flüssigkeit ohne Sar-
cine und reichliche unverdaute Speisereste, besonders Fleisch, zu Tage
gefördert.
Die Verabreichung von Pepsinpulver vor dem Essen und von acht
Tropfen verdünnter Salzsäure nach demselben änderte an dem ganzen Ver-
halten nichts Wesentliches; unverdaute Speisereste erschienen nach wie vor
in dem Ausgepumpten; eine Verbesserung des Appetits war nicht zu be-
merken — das Körpergewicht ist im Verlauf von vier Wochen von 91 auf
95 Pfund gestiegen, welche Zunahme aber nicht auf den Einfluss des Pep-
sins gebracht werden kann, da mit der Darreichung desselben erst einige
Tage vor dem Wiegen begonnen worden war.
Jetzt wurde statt des Pepsins Pankreas gegeben; die Drüse wurde
zerschabt durch's Haarsieb getrieben und mit Kochsalz für eine Woche
conservlrt: die Conserve hielt sich trotz der milden Temperatur regelmässig
ganz gut; davon nahm Pat. täglich drei Kaffeelöffel voll in Oblaten ein-
gepackt, und zwar anschliessend an die drei Hauptmahlzeiten des Tages.
— Der Erfolg der Darreichung von Pankreas war gleich am ersten Tage
ein überraschender, und erhielt sich auch seither: Pat. isst nicht nur jedes-
mal mit mehr Appetit, sondern sie ist auch genöthigt, zwisdien Hauptmahl-
zeiten eine kleine Zwischenmahlzeit einzuschalten, weil sie zwei Standen
nachher „wieder solchen Hunger verspürt, dass sie es nicht länger aus-
halten kann.** Femer, was als das Wichtigste erscheint, sind in dem
Ausgepumpten vier Stunden nach der Hauptmahlzeit, trots
der eingeschalteten Zwischenmahlzeit am 2 — 2Va Uhr keiner-
lei unverdaute Fleisch- oder sonstige Speisereste vorhan-
Therapeutische VerweDdong der Bauchspeichelärttse. 559
den: es wird vielmebr cor eine leicht milchig getrübte Flttssigkeit durch
die Pampe entleert.
Die Behandlaog wird in derselben Weise fortgesetst.
Bemerken will ich noch, dass Pat. seither, also seit 2. September bis
Aofaog Januar, nm 9 Pfand sngenommen hat.
In dem vorliegenden Falle wurde nun freilich^ wie im Fall II,
wieder keine yollständige Heilung erzielt; sie war aber auch hier
bei der hochgradigen Erweiterung des Magens nicht zu erwarten;
der Erfolg der Behandlung mit Pankreas bestand wesentlich in einer
besseren Ernährung der Patientin, die wohl darauf zurückzuführen
sein dürfte, dass einerseits diejenigen Speisen , welche wegen der
tiefen Lage im Fundus nicht mehr durch den Pylorus in das Duo-
denum austraten I durch das Pankreas soweit verdaut wurden, dass
sie im Magen selbst zur Resorption gelangen konnten (?), andererseits
aber mit der künstlichen Einleitung einer besseren Verdauung auch
die Verdauungsorgane wieder besser functionirten und wirksamere
Secrete zu liefern im Stande waren und dass endlich mit den nor-
maleren Verdauungsvorgängen der Magenkatarrh mit allen seinen
für die Ernährung nachtheiligen Folgezuständen verschwand.
Wie bei der Dyspepsia acida und der Dilatatio ventriculi erscheint
nun der Oebrauch des künstlichen Pankreas auch angezeigt in allen
Fällen der atonischen Dyspepsie, ohne primäre Reizerscheinungen,
in welchen durch mangelhafte Secretion oder Beschaffenheit aller
oder der meisten Verdauungssäfte die Verdauung beeinträchtigt ist
und in Folge dessen die allgemeine Ernährung Noth leidet
Als Beleg dafür mögen die folgenden Fälle gelten:
Fall IV. A. H., 24 Jahre alt, Fabrikantensohn in L., einem Städt-
eben des Schwarzwaldes, hatte bei vorherrschender Comptoirbeschäftigang
meist sitzende Lebensweise, litt viel an Constipation. — Seit Frühjahr 1875
fühlte er sich stets sehr unbehaglich , hatte fortwährendes Drücken und
das Gefühl von Vollsein im Unterleib, zu dem sich zeitweise kolikartige
Schmerzen in der Nabelgegend gesellten; dabei fühlte sich der Leib fest
an, während die Magengegend nicht aufgetrieben war, auch hatte Patient
keine Schmerzen im Magen, kein Drücken nach dem Essen, kein Anfstossen.
— Der Appetit war meist ziemlich gut, der Stuhl wurde zu dieser Zeit,
während er früher stets angehalten war, unregelmässig, bald fest, bald
diarrhoisch, er erfolgte stets mit Kollern im Leib, vermehrten Schmerzen
in der Nabelgegend und unter starker Gasexplosion; die Entleerungen
waren meist dunkel gefärbt, selten grau und sehr übelriechend. Patient
ist besonders gegen Morgen von Blähungen gequält. — Ein stets einge-
nommener Kopf, häufige Schwindelanfälle, Schleier vor den Augen, Ohren«
sausen und eine überaus hypochondrische Stimmung sind die weiteren sub-
jectiven Klagen des Patienten.
560 XXXL ENGB8SER
Dabei wurde PatieDt blasa und magerte ab, so dass er im Verlauf
des Jahres von 115 Pfund auf 96 Pfund an Körpergewicht abgenommen
hatte. — Verschiedene Ouren, die Patient auf eigenes Kisico und die Em-
pfehlung seiner Bekannten unternommen, waren erfulglos. Im Februar 1877
unterzog sich Patient einer diätetischen Cur nach WieTschen Vorschriften
nebst dem Gebrauche des Karlsbader Salzes, welche er fast 3 Monate fort-
setzte und welche ihm insofern Erleichterung verschaflFte, dass der Stuhl*
gang sich regelte, die Blähungen und das lästige Qeftthl von Drücken,
sowie die Kolikschmerzen in der Nabelgegend nachliessen. Die Stuhlent-
leerungen waren nicht mehr schwarz, sondern grau, breiig und nur noch
sehr übelriechend. Patient musste sich immer noch vor Diätfehlem ausser-
ordentlich in Acht nehmen, um das Wiedererwachen der früheren Beschwer-
den zu verhüten. Trotz dieses relativen Wohlbefindens und des ziemlich
guten Appetites fiel es dem Patienten auf, dass er nicht kräftig ward und
dass das Körpergewicht in dieser Zeit nicht zunahm.
Im Mai 1877 kam Patient zu meiner Beobachtung, nachdem er circa
14 Tage mit der diätetischen Cur ausgesetzt und in Folge dessen sich
wieder erheblich schlimmer gefühlt hatte. Derselbe ist blass, mager, friert
leicht und ermüdet sehr rasch, selbst bei ganz kleinen Spaziergängen in
der Ebene. Er klagt über Drücken im Magen während und unmittelbar
nach dem Essen, etwa 3 Stunden lang anhaltend; fortwährendes Geftlhl
von Vollsein im Leibe und zeitweise auftretende Kolikschmerzen in der
Nabelgegend, der Leib sowie auch die Nabelgegend sind ziemlich aufge-
trieben, empfindlich gegen Druck, das Abdomen fühlt sich fest an; saures
Aufstossen ist keines vorhanden ; der Stuhl unregelmässig, 3—4 mal täglich,
meist diarrhoisch, dazwischen kleine dunkle, harte Knollen, diese letzteren
zeigen makroskopisch ziemlich grosse unverdaute Speisereste. Ord. strenges
diätetisches Verhalten : Morgens 5 Uhr Priesnitz'scher Umschlag auf den
Leib und Magen; um ^/27 Uhr Karlsbader Salz, darauf Vs Stunde Bewe-
gung im Garten; ^28 Uhr erstes Frühstück: 1 Tasse Theo, Rösterbrod
und 1 Ei; 10 Uhr zweites Frühstück: roher Schinken, Butterbrod, 1 Glas
leichter Landwein; V2I Uhr Mittagessen: Suppe, geschabtes Beef-Steak,
etwas Kartoffelbrei (keine Sauce) und 1 Glas leichter Weisswein; um 4 Uhr
kalter Braten; um 7 Uhr Abendessen: 1 Tasse Theo, Rösterbrod, 1 bis
2 Eier. Hierbei ist zu bemerken, dass die einzelnen Fieischportioneo
150 Gramm nicht . überschritten und dass Patient besonders zu beachten
angewiesen wurde, die Speisen gründlich erst im Munde zu zerkauen. —
Zur Unterstützung der Cur machte Patient zwischen den einzelnen Mahl-
zeiten kleine Spaziergänge im Freien von circa Vs Stunde und nahm jeden
zweiten Tag ein warmes Bad von 28 ® R. und 5 — 6 Minuten Dauer. Bei
diesem Verhalten besserte sich ziemlich rasch das Befinden des Patienten,
die Beschwerden vom Magen aus Hessen ganz nach, die Blähungen, der
Druck und das Aufgetriebensein des Unterleibes wurden geringer, der Stnbl
war wieder geregelt, es erfolgten täglich 1 — 2 breiige Entleerungen von
hellbrauner Farbe und nicht mehr so üblem Geruch; feste Knollen waren
keine mehr darin, jedoch fanden sich immer noch unverdaute Speisereste
und Hessen sich mikroskopisch noch reichUche Muskelfasern nachweisen.
Dabei fühlte sich Patient subjectiv besser, war heiterer, konnte seine Spa-
ziergänge zum Theil auf eine Stunde ausdehnen, ohne zu ermüden; aber
Therapeutische Verwendung der Bauchspeicheldrüse. 661
die Zunahme des Körpergewichts war noch eine sehr geringe und betrug
in 14 Tagen blos 75 Gramm.
Ich liess nun unter Beibehaltung derselben Diät und des gleichen Re-
gimens zu den einzelnen Mahlzeiten (ausgenommen das erste Frflhstflck)
Pankreas nehmen und zwar nach den kleineren Mahlzeiten jeweils einen
Kaffeelöffel voll in Oblate eingepackt, bei dem Mittagessen jedoch 3 solcher
Portionen, je vor und nach der Suppe und am Schlüsse der Mahlzeit.
Der Erfolg war, dass ausser der Besserung im Allgemeinbefinden, die schon
durch das strenge diätetische Verhalten angebahnt war, in den nächsten
Tagen die unverdauten Speisereste, die Muskelfasern u. dgl. aus den Stflhlen
verschwanden und auch dann nicht mehr auftraten, als später ein grösserer
Wechsel in der Diät gestattet wurde. — Pat. nahm in der Folge ausser
Beef-Steak, das nicht mehr geschabt wurde, auch Roast-Beef, Wildpret,
GeflQgel und leichtes Gemflse: Blumenkohl, Gelbe Rflben, ohne deswegen
weiter belästigt zu werden.
Ab Patient am 22. Juni in seine Heimath zurflckkehrte, wo er in der-
selben Weise die Cur fortsetzte, hatte er um 1 V2 Pfand zugenommen, fflhlte
sich subjectiv wohler, das lästige Drücken im Leibe, die Kolikschmerzeii
hatten ihn verlassen, der Stuhl war vollständig geregelt.
Am 12. Juli schrieb mir Patient. Er war wieder in seiner vollen
Berufsthätigkeit, nur dass er sich in den freien Stunden mehr Bewegung
machte, arbeitet frisch, ohne Eingenommenheit des Kopfes und ohne zu
ermüden ; dabei befolgt er noch immer die vorgeschriebene Diät und kann
anch das Pankreas noch nicht entbehren ; er hatte es nämlich nur kurze
Zeit ausgesetzt, worauf sich alsbald wieder Unregelmässigkeit im Stuhlgang
und zeitweises Drücken im Unterleibe einstellten.
Im Herbste vorigen Jahres traf ich den Patienten zufällig auf einer
Fusstour durch den Schwarzwald; er war eben auch auf einem grösseren
Bergspaziergang begriffen; er erzählte mir mit Freude, dass er jetzt
100 Pfund wieder überschritten habe, sich ganz wohl fühle und sich selbst
etwas grössere Freiheit in der Diät gestatten dürfe, dagegen immer noch
auf den Gebrauch des Pankreas angewiesen sei, wenn er nicht eine Wieder*
kehr der Verdauungsstörungen oder doch wenigstens deren Mahner be-
fürchten wolle. —
In dem folgenden Falle muss ich mich kurz fasaeni da ich bei
Behandlang desselben nur consaltativ betheiligt war ; ich kann mich
dabei auch um so mehr auf die JBauptmomente beschränken, als er
sich im Wesentlichen an den vorhergehenden Fall ziemlich enge
anschliesst.
Fall V. P.M., Thierarzt in L., Hämorrhoidarius, seit längerer Zeit
an hartnäckiger Verstopfung leidend, soll früher gut genährt aber nie eigent-
lich corpulent gewesen sein; Appetit stets gut.
Seit Juni 1877 bemerkte er Störungen in der Verdauung; unmittelbar
nach dem Essen und 2 — 3 Stunden anhaltend Drücken und Druckempfind-
lichkeit in der Magengegend, Aufstossen von Gasen, jedoch ohne Geschmack
und Geruch, worauf stets etwas Erleichterung erfolgte; massige Dilatatio
ventriculi, Gefühl von Vollsein im Unterleibe, Stuhlgang unregelmässig,
OanUohet ktchir f. klln. Medtoln. XXIV. Bd. 36
562 XXXI. Ekobssbb
meist aogehaiten, oft diarrhoisch, mit schwarzen, harten, kaffeebohnen-
grossen Knollen untermischt, von grauer Farbe, sehr ttbehriechend, reichlich
Fleischfasem enthaltend.
Auf Anrathen seines Arztes gebrauchte er eine Cur mit Grenzacher
Wasser, worauf der Stuhl geregelt wurde und er sich betreffs des Magen-
drückens und des Vollseins im Leibe erleichtert fühlte.
Am 3. September consultirte mich Patient: Derselbe gibt an, seit den
letzten 3 Monaten sehr blass, hinfällig und mager geworden zu sein und
um 12 Pfund abgenommen zu haben. Der Stuhl erfolgt jetzt regelmlsaig
2 — 3 mal täglich, ist meist diarrhoisch und enthält noch reichliche unver-
daute Fleischfasem. Ich rieth ihm folgendes diätetisches Verhalten an:
Morgens 6 Uhr Carlsbader Salz, 7 Va Uhr eine Tasse Thee mit Milch und
1—2 Zwieback; um 9^2 Uhr gut verrührte Dickmilch, für welche Patient
besondere Vorliebe hat, und Rösterbrod; Mittags Fleischsnppe, gebratenes
Ochsenfleisch, etwas Kartoffelbrei und 1 Glas leichten Weiss wein; 4 Uhr
wieder Dickmilch mit Rösterbrod; Abends 7 Uhr eine Tasse Milch oder
Suppe und nachher gebratenes Ochsenfleisch. Zu den beiden Mahlzeiteo
Mittags und Abends liesa ich je 2 Portionen Pankreas (ä 1 Kaffeelöffel
voll) in Oblaten eingepackt nehmen.
Am 12. Januar 1878 schrieb mir Patient: Das Drücken in der Magen-
gegend sowie das Vollsein im Unterleib haben vollständig nachgelassen,
der Stuhl sei consistenter, geformter und enthalte keine Fleischfasem mehr;
seit etwa 4 Wochen habe er mit dem Pankreaspräparat ausgesetzt, ohne
Nachtheil für seine Verdauung, das Carlsbader Salz nimmt er nur noch
ab und zu bei etwas hartnäckigerer Stuhlverstopfung; endlich bemerkt er
noch, dass er seit September um 8 Pfund zugenommen habe.
Ich reihte diesen Fall hier und nicht an Fall II an, obgleich hier
eine Dilatatio ventriculi vorliegt, weil das ganze Bild doch mehr dem
einer einfachen atonischen Dyspepsie entspricht; offenbar war die Peri-
staltik des wenn auch dilatirten Magens doch noch kräftig genug, um
die Speisen in einer Zeit von 2—3 Stunden in das Duodenum zu be-
fördern, so dass es nicht zu einer abnormen Zersetzung der Speisen
im Magen kommen konnte. Dass die Dyspepsie übrigens in diesem
Falle nicht lediglich durch eine mangelhafte Secretion von Magen-
saft bedingt war, wie aus dem Magendrücken und dem Gasanfstossen
angenommen werden könnte, dass vielmehr auch die übrigen Ver-
dauungssäfte, besonders die Galle und der Bauchspeichel mangelhaft
secemirt wurden, erhellt aus der Graufärbung der Stühle und dem
so reichlichen Vorhandensein von Fleisohfasern in denselben. Dieser
Fall ist aber auch in der Beziehung lehrreich, dass mit Zunahme der
AUgemeinemährung auch die Seeretion der Verdauungssäfte eine ge-
regeltere und normalere wurde, was daraus herrorgeht, dass Patient
nach etwa 3 monatlicher Cur, die ihn erheblich gekräftigt hatte, auf
die Unterstützung des künstlichen Pankreaspräparates verzichten
konnte, ohne sich neue Verdauungsstörungen zuzuziehen.
Therapeatiscbe Yerwendoiig der Baachspeicheldrase. 563
Eng an diesen Fall sich anschliessend, möge hier noch ein wei*
terer, diesem sehr ähnlicher Fall Erwähnung finden, den ich nur
ganz kurz mitzutheilen im Stande bin, da ich denselben nicht selbst
behandelt und mir darttber nur wenige Notizen zur Verfflgung stehen,
welche ich der Gttte des Patienten selbst verdanke.
Fall VI. Patient, ein mir befreandeter College von grosser Gestalt
nnd sehr kräftigem Körperbau, hatte, als er Süddeutschland verliess, wo
er einen sehr angenehmen Wirkungskreis und eine geregelte Lebensweise
hatte y eine längere wissenschaftliche Reise unternommen und dann in B.
zur Gründung einer Praxis sich niedergelassen. Bei der Unruhe der Reise
sowohl, wie auch bei der Aufregung, die die Einfahrung in eine neue
Lebensstellung mit sich bringt, ermangelte es Patienten an dem nöthigen
Comfort und der gewohnten Regelmässigkeit in der Lebensweise, besonders
bezOglich der Wahl der Nahrung und der Eintheilung der Mahlzeiten ; dazu
kamen noch die veränderten klimatischen und die nachtbeiligen hygieinischen
Verhältnisse einer Grossstadt.
Es stellten sich in der Folge erhebliche Störungen in der Verdauung
ein und damit eine derartige Abmagerung und Verfall der Rrflfte, dass
Patient sich genöthigt sah, seine junge aufblühende Praxis aufzugeben und
in einem Badeort Schlesiens Ruhe und Erholung zu suchen.
Hier trat denn auch alsbald wieder ein relatives Wohlbefinden ein,
aber vollständig verliessen ihn die Verdauungsstörungen und die Unregel-
mässigkeit in den Stuhlentleerungen nicht.
In diese Zeit fiel meine erste Veröffentlichung Aber das Pankreas. —
Patient nahm in der vorgeschriebenen Weise das Pankreaspräparat. Die
Verdauungsstörungen Hessen allmählich nach, Kräfte und Körpergewicht
nahmen wieder zu, so dass Patient im darauffolgenden Winter im Stande
war, seine Praxis in B. wieder aufzunehmen.
Durch einen Wechsel der Familienverhältnisse war es ihm jetzt auch
ermöglicht, mit seiner Mutter eigene Hauswirthschaft einzurichten, so dass
anch in seinem körperlichen Haushalt dadurch viel grössere Regelmässig-
keit eintrat.
Am 21. April 1878 schrieb mir Patient, es gehe ihm ganz gut, sein
Körpergewicht habe im Laufe des letzten Jahres (also seit Beginn der Cur)
um 60 Pfd. zugenommen, was er hauptsächlich der günstigen Wirkung des
Pankreaspräparates zuschreibe.
Anfangs war er auch stets auf den Gebrauch des Präparates ange-
wiesen, kann dasselbe jedoch schon seit längerer Zeit entbehren, ohne ein
Wiedereintreten der Verdauungsstörungen befürchten zu müssen.
Als Missstand rügt er an dem Präparate, dass es meistens ein unan-
genehmes Aufstossen von Gasen bewirke, eine Erscheinung, die ich eben-
falls bei einigen meiner Patienten beobachtet und die wohl darauf zurück-
zuführen sein dürfte, dass bei der Pankreasverdauung, wie sich aus den
früher angeführten Versuchen von künstlicher Verdauung ergab, gleich an-
fangs eine sehr lebhafte Gasentwicklung stattfindet, und zwar war diese
bei der künstlichen Verdauung um so lebhafter, je grösser die zu dem
Versach verwendete Pankreasportion war; es dürfte sich daher empfehlen,
36*
564 XXXI. Engbssbr
bei DarreichuDg des Pankreas sich in etwas engeren Schranken zu halten
und ein gewisses Verhältniss zu der Grösse der Mahlzeit nicht ausser Acht
zu lassen.
Die folgenden Fälle sind ebenfalls nicht aus meiner eigenen
Beobachtung, ich verdanke dieselben der gütigen Mittheilung des
Herrn Dr. S. Weil, hier.
Fall VII. Frau B. V. in F., 68 Jahre alt, früher stets gesund und
kräftig, hatte immer guten Appetit und guten Hamor.
Im Frühjahr 1877 fing sie an zu kränkeln, anfangs ohne bestimmt
ausgesprochene Erscheinungen ; sie litt an Gonstipation, der Appetit wurde
schlecht, die Stimmung gedrückt; in der Folge traten Schmerzen ein in
der Magengegend, im Unterleib, Erbrechen aller genossenen Speisen und
ein erheblicher Verfall der Kräfte, so dass Patientin genöthigt war, das
Bett zu hüten. Eine antiphlogistische Behandlung linderte die Schmerzen
und Patientin konnte auch wieder mit Mühe ihren häuslichen Geschäften
nachgehen ; es waren jedoch immer Verdauungsbeschwerden vorhanden, der
Appetit blieb schlecht und der allgemeine Ernährungszustand wollte sich
nicht heben.
Im November 1877 sah sie College Weil, der sie von früher her
kannte; er fand sie sehr blass, hochgradig abgemagert, hinfällig; sie hatte
gar keinen Appetit und besonders eine unwiderstehliche Abneigung gegen
Fleisch. — Der Stuhl war unregelmässig, meist angehalten, von Zeit zu
Zeit kolikartige Schmerzen im Leib, häufiges Erbrechen, zum Theil der ge-
nossenen Speisen, zum Theil eines faden, speicbelartigen Wassers.
Die palpatorische Untersuchung des Leibes ergab grosse Drnckempfind-
lichkeit der Magengegend ; in der Mitte zwischen Nabel und Symphyse eine
Geschwulst von unebener Oberfläche; diese ist gegen Berührung sehr em-
pfindlich und ruft bei tieferem Druck Ohnmachtgefühl hervor.
Ordination: Electuar. lenitiv. — Morph, muriat 0,05. Aq. Lauro-
cerasi 30,0. — Pankreaspräparat nach bekannter Vorschrift.
Ende December sah Weil die Patientin wieder; sie sah| wenn auch
noch angegriffen, erheblich besser aus, hatte wieder guten Appetit und eine
heitere Stimmung ; die Geschwulst war erheblich kleiner, nicht mehr schmerz-
haft, der Stuhl noch häufig unregelmässig; im Juli 1878 waren alle Be-
schwerden verschwunden, von der Geschwulst nichts mehr nachweisbar,
Stuhl und Verdauung vollständig in Ordnung, der Kräftezustand hatte sich
wieder vollständig gehoben, so dass Patientin sich wieder« wie früher, wohl
und der Hauswirthschaft gewachsen fühlte ; das Pankreas konnte sie jetzt
entbehren, ohne dass eine Wiederkehr der Verdauungsstörung eintrat
Fall VIII. Frau W., 49 J. alt, klein, blass, mager, unr^ehnässig
menstruirt, leidet seit 3 Jahren an Schmerzen im Leibe, besonders in der
Nabelgegend; während oder nach diesen Schmerzanf&Uen häufig Erbrecheo
der genossenen Speisen und einer faden, klaren Flüssigkeit; Druck auf den
Leib schmerzhaft, Stuhl meist angehalten, bisweilen diarrhoisch, flbelrie-
ehend. Der Gebrauch von Pankreas mindert die Verdauungsbeschwerdes,
die Schmerzen lassen nach, ebenso das Erbrechen, Stuhl geregelt, mdzt
fest und muss zuweilen durch Electuar. lenitiv. hervorgerufen werden; all*
Therapeutische Yenrendong der Bauchspeicheldrüse. 565
<
gemeine EmihruDg wird besser; Patientin kann aber nach Iftngerem Fort«
gebrauch des Präparates dasselbe doch nicht entbehren; nach einem yer«
snchsweisen Stftgigen Aussetzen kehrten die Beschwerden wieder zurück.
Fall IX. M., Schuhmacher, 31 Jahre alt, leidet seit mehreren Jahren
an Dyspepsie und Unregelmässigkeit des Stuhlgangs, derselbe ist meist an-
gehalten, fest, seltener dazwischen diarrhoisch. — Häufiges Erbrechen der
Speisen, Öfters aber auch nur eines klaren, faden Wassers, dabei grosse
üebligkeit. Gefühl von Vollsein im ganzen Leib, Schmerzen in der Nabel-
gegend. Der ganze Leib und die Magengegend aufgetrieben, gegen Druck
empfindlich, Zunge belegt, Appetit schlecht.
Patient wird auf Milch- und Fleischdiät gesetzt, dazu Pankreas ver-
ordnet und der Stuhl geregelt durch Pillen aus Extr. Aloäs und Sap. Jalap.
Nach 8 Tagen fühlt sich Pat. wesentlich besser, der Stuhl ist geregelt,
der Leib nicht mehr so sehr aufgetrieben ; dagegen der Appetit noch nicht
befriedigend, auch der Kräftezustand lässt noch zu wünschen übrig. Nach
14 Tagen war der Appetit besser, er verlangt mehr zu essen, fühlt sich
kräftiger und konnte wieder seinem Geschäft nachgehen.
Bei den bisher angeführten Fällen handelte es sich um die pri-
mären Formen der atoniscben Dyspepsie; wir müssen nan aber anoh
eine Form der Dyspepsie berücksichtigen, welche in ihrer äusseren
Erscheinungsweise der ersterwähnten ganz ähnlich ist, welche aber
als Folgezustand und Theilglied einer allgemeinen autogenetischen
Ernährungsstörung aufgefasst werden muss.
Dieser liegt eine Störung des Wechselverhältnisses zwischen der
ernährenden Säftemasse und den zu ernährenden Organen zu Grunde
und besteht in der Kegel in einer qualitativ und quantitativ abnor-
men Beschaffenheit des Blutes. Dadurch wird die Ernährung der
Gewebe, sowie auch die Leistungsfähigkeit der Secretionsorgane be-
einträchtigt und eine qualitative und quantitative Verdickung der
Verdauungssäfte bedingt, so dass diese nicht mehr im Stande sind,
die Ingesta in normaler Weise für die Besorption und den Stoff-
wechsel umzugestalten. Es wird in Folge dessen nicht genügendes
und nicht richtig bereitetes Nahrungsmaterial der Säftemasse zuge-
führt und dadurch wieder die Ausgleichsvorgänge im Haushalte des
Organismus gestört.
Dieser Girculus vitiosus ist bei Behandlung allgemeiner Ernäh-
rungsstörungen sehr zu berücksichtigen ; denn eine gesteigerte, selbst
ganz rationell gewählte Nahrungszafuhr kann hier nichts helfen,
wenn nicht zugleich die Mittel beschafft werden, dass dieselbe auch
in normaler Weise verdaut werde; es ist daher zur Anbahnung ge-
regelter Emährungsvorgänge in erster Linie geboten, für die mangel-
haften Verdauungssäfte künstlichen Ersatz zu schaffen. Dadurch bil-
566 XXXI. Engbsseb
den diese allgetneinen Ernährungsfitörungen ein wichtiges Moment
fttr die Indication des künstlichen Pankreaspräparates.
In den folgenden Fällen handelte es sich nm solche allgemeine
Ernährungsstörungen mit „secundftrer Dyspepsie', diezumTheil
auf von Natur aus schwächlicher Constitution beruhten, zum Theil
durch körperliche und geistige Ueberanstrengung und Aufregung oder
durch directen grösseren Säfteverlust bedingt waren.
Fall X. Frau 8p., 63 Jahre alt, litt als junges Mädchen in hohem
Grade an der Bleichsucht mit Störungen des Appetits und fast habitaeUer
Stuhlverstopfnng. Als junge Frau in ihren dreissiger Jahren litt sie, in
Folge fortwährender Stuhlverhaltnng an einer Perityphlitis und später an
einer diffusen Peritonitis. — Im Beginn ihrer vierziger Jahre litt Patientin
an Icterus. — Seitdem waren ihre Verdauungsorgane nur sehr empfindlich,
so dass bei jeder geringfügigen Gemttthsanfregnng sofort Appetitlosigkeit
und VerdannngsstOrungen auftraten, die sich durch Magendrflcken, Gefühl
von Vollsein im Unterleib, Schmerzanfälle und stets grosses Schwächege-
fühl bemerklich machten. In den fünfziger Jahren trat wieder, und zwar
dieses Mal ein ziemlich hartnäckiger Icterus auf mit heftigen Schmerzen
von der Lebergegend nach dem Rttcken hin ausstrahlend.
Eine Cur mit Garlsbader Salz, die sie fast Vs Jahr fortsetzte, bekam
ihr ganz gut und regelte den bis dahin immer so erschwerten Stuhlgang.
Dabei blieb aber die Verdauung eine sehr schwache, so dass sie die Spei-
sen, die ihr wohl bekamen, sehr sorgfllltig auswählen musste und jeder
Diätfehler ihre Beschwerden vermehrte.
Im Jahre 1875 steigerten sich die Verdauungsbeschwerden, besonders
seitens des Magens ; die Magengegend war aufgetrieben, gegen Druck sehr
empfindlich ; Patientin litt an einem heftigen Brennen den Hals herauf ond
saurem Aufstossen ; besonders fühlte sich Patientin nach jeder Mahlzeit sehr
voll im Leib und sehr hinfällig; häufig traten lancinirende Schmerzen anf,
vom Epigastrium nach dem Rücken ausstrahlend; der Stuhl war wieder
angehalten. Eine Cur in Baden-Baden, wo sie Carlsbader Salz in Ther-
mid Wasser gelöst nahm und die Einhaltung einer sehr strengen Diät bes-
serten ihren Znstand erheblich, so dass der darauf folgende Winter ganz
leidlich verlief. — Im Frühjahr darauf stellten sich jedoch wieder die alten
Magenschmerzen ein, die sich oft zu heftigen cardialgischen Anfällen stei-
gerten. Patientin reducirte ihre Nahrung anf das Aeusserste, zum Theil
wegen der fortwährenden Appetitiosigkeit, zum Theil wegen der Furcht vor
Schmerzen; dabei magerte sie ausserordentiich ab, wurde anämisch und
hinfällig.
Ihr Arzt verordnete ihr wieder eine strenge, aber nahrhafte Diät:
Morgens 1 Tasse Cacao, Mittags Fleischsnppe, gebratenes Fleisch mit etwas
Rartoffelbrei oder weichgekochtem Reis, Nachmittags 1 Tasse Theo und
Abends kalten Braten und etwas Wein. Dabei wurde Condurango verordnet
und zwar eine Maceration von 15 Grm. auf 180 Grm. Oolatur 3 mal tig-
lieh 1 Essl6ffel voll zu nehmen, und endlich zur Regelung des Stuhles Pillen
aus: Extr. Alo^s 1,0. Extr. Beilad. 0,15 f. pil. No. 15 S. Morgens 2 bb
3 Stück zu nehmen.
Therapeutische Yenrendung der Banchspeicheldrase. 567
Anf dieses Verhalten, das sie etwa 3 Monate fortsetzte, besserte sich
der Zustand ; nur litt sie häufig an Ueblichkeit, Brechreiz und musste jede
kleine Ueberschreitnng der Diftt mit Magenschmerzen btlssen, was veran-
lasste, dass Patientin äusserst ängstlich wurde und weniger Nahrung nahm,
als ihr zur Ernährung nothwendig war. Trotzdem trat im Herbst 1876,
anschliessend an eine Reihe unangenehmer Erlebnisse und Gemftthsbewegnn-
gen, wieder eine Verschlimmerung ein, die den ganzen Winter durch anhielt.
Im Frflhjahr 1877 sah ich Patientin zum ersten Male. Sie war blass,
hochgradig abgemagert, sehr hinfällig, so dass sie kaum ausser Bett sein
konnte, fflhlte sich unbehaglich voll im Leib; der Stuhl war angehalten,
fest, braun, kein Blut enthaltend, darin reichliche, ziemlich grosse Bröckel
unverdauter Fleisch- und Brodreste (hierbei ist zu bemerken, dass Patientin
ganz zahnlos ist und sehr rasch isst). Erbrechen war keines vorhanden,
ebenso keine Schmerzen im Magen. — Der Puls war sehr schwach, dflnn,
leicht compressibel; massig frequent. Fieber keines vorhanden. Bei Pal*
pation des Leibes nirgend ein Tumor bemerkbar.
Ich betrachtete den ganzen Zustand als eine hochgradige Inanition und
verordnete zunächst eine milde, kräftigende Diät, ähnlich der oben be-
schriebenen; dabei liess ich fflr ordentlichen Stuhlgang sorgen durch Appli*
cation von reichlichen Klystieren von Seifenwasser mit Ol. Ricini mittelst
des Heberapparates.
Die gesteigerte Nahrungszufubr bekam Patientin sehr schlecht. Sie
fflhlte Drücken im Magen und unangenehmes Aufstossen, die Magengegend
wurde wieder gegen Druck sehr empfindlich und nach 4 Tagen traten die
Schmerzen wieder sehr heftig auf; dazu stellte sich ein fast unstillbares
Erbrechen ein, das nahezu 24 Stunden trotz aller angewendeten Mittel:
Morphinmsaturation, Eis, Acid. mur. dil., später Champagner, anhielt; Blut
war keines in dem Erbrochenen. — Patientin fflhlte sich hierauf noch
aehwächer als zuvor und war in Folge dieser hochgradigen Entkräftung
ernstliche Lebensgefahr eingetreten. — Fflr die nächste Zeit musste man
sich, nach solchen Erfahrungen Aber die geringe Reizwirkung des Magens,
auf den Genuss von Brflhen, rohen Eiern, Fleischgelee, Liebig'sche Fleisch-
brühe u. dgl. beschränken, dabei aber doch auf eine baldige ErmOglichnng
gesteigerter Nahrungsaufnahme bedacht sein. Ich liess daher, nachdem
Patientin Morgens ein Wasserklystier behufs Reinigung und Entieerung des
Darms genommen hatte, ihr täglich drei ernährende Elystiere verabreichen,
welche aus Fleischbrflhe, etwas Wein und je zwei nach Latschenber-
ge r's Vorschrift präparirten Eiern bestanden i). Diese blieben auch und
Patientin fflhlte sich darauf stets etwas mehr belebt. — Nach einigen Ta-
gen wurden wieder Versuche gemacht, etwas consistentere Nahrung durch
den Magen dem Organismus zuzufahren; man begann mit 50 Grm. fein-
geschabtem englischen Beef-Steak (zu rohem Fleische konnte sich Patientin
nicht verstehen) erst zweimal, dann dreimal täglich; dazu liess ich sie
jeweils eine Portion Pankreas nehmen. — Der erste Versuch gelang ganz
gut. Patientin hatte darauf keine weiteren Beschwerden, als 1 Stunde lang
1) Die Eier werden gerOhrt in ein Glas gegeben und mit Wasser bis zum
doppelten Volumen aufgefüllt, 12 Stunden stehen gelassen und filtrirt — dasFil-
trat enthält gelöstes Eiweiss, das direct resorbirt wird.
568 XXXI. ENaBSSSB
nach dem Essen Drücken in der Magengegend, aber keine Schmenen. —
Von Tag zu Tag wurde nnn ein weiteres Glied in der Kette der Mahl-
zeiten eingeschoben, bis bei folgendem difttetischen Verhalten stehen ge-
blieben wnrde: Morgens 7 Uhr 1 Tasse Thee mit Rösterbrod, Vi Stande
nachher ein Reinignngsklystier, darauf ein ernährendes Klystier von Vi Schop-
pen Fleischbrühe, einige LOffel voll alten Weissweins und zwei prAparirteo
Eiern in der Temperatur von d8<> C, um 10 Uhr 1 Tasse (ca. Vi L)
Fleischbrtthe mit Ei, etwas Rösterbrod und 1 Glas Bordeaux — wenn
Schwächeeustftnde auftreten im Laufe des Vormittags noch ein ernährendes
Klystier — Mittags eine kräftige Fleischsnppe, geschabtes, gebratenes Ochsen-
fleisch, 1 Glas Wein, nach der Suppe und nach dem Fleisch 1 schwacher
Kaffeelöffel von Pankreas. — Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr ein e^
nährendes Klystier, um 4 Uhr 1 Tasse Kaffee mit Zwieback, Abends 6 Uhr
kaltes Beef- Steak, 1 Glas Wein, darauf 1 Portion Pankreas. 1 Stunde
nach dem Nachtessen noch ein ernährendes Klystier, um 9 Uhr Abends
1 Tasse Fleischsuppe, in der Nacht noch einmal 1 Tasse Milch mit £i
oder Fleischbrtlhe — bei grosser Schwäche 1 Gläschen Cognac in Milch.
Patientin ertrug jetzt in dieser Weise die gesteigerte Nahrangszufnhr
ganz gut, anfangs klagte sie noch über Druck im Magen nach dem Essen,
der aber bald verschwand und in der Folge ganz ausblieb ; sie erholte sich
langsam; der Stuhl war nur noch sehr fest, enthielt aber weder makro-
skopisch noch mikroskopisch unverdaute Speisereste. Die ernährenden
Klystiere konnten bald auf zwei pro die reducirt und nach 3 Wochen gun
weggelassen werden. Ich liess jetzt, als Patientin sich gekräftigt hatte,
Morgens wieder Garlsbader Salz in warmem Wasser nehmen, wobei der
Stuhl sich regelte und täglich einmal ohne Klystier erfolgte. In der Er-
nährung wurde jetzt eine weitere Veränderung vorgenommen ; ich liess Pa-
tientin zum Frtthstttck um 7 Uhr noch 1 weiches Ei nehmen, um 10 Uhr
zur Fleischbrtthe noch 1 Stflckchen feingewiegten rohen Schinken mit einer
Portion Pankreas und zum Mittagessen etwas Zugemüse (Kartoffelbrei,
Schwarzwurzeln) und noch eine dritte Portion Pankreas. Störungen in der
Verdauung waren jetzt nie mehr zum Vorschein gekommen ; Patientin fohlte
sich erheblich kr&ftiger, konnte das Bett verlassen und machte von Zeit
zu Zeit eine Spazierfahrt ins Freie.
Nach 4 Monaten war Patientin wieder rüstiger wie je, besorgte wieder
ihre Hauswirthschaft mit einer Geschwindigkeit und Ausdauer, als ob sie
nie krank gewesen wäre und pflegte ihre Tochter, die erkrankt und län-
gere Zeit bettlägerig war, ohne weitere Hilfe. Das Pankreas konnte ue
entbehren und traten seither (seit Sommer 1877) nie mehr Verdanungsstö-
rungen auf.
Der folgende Fall ist dem oben angeführten im Wesentlichen
sehr ähnlich:
Fall XI. Frau Kreisgerichtsrath L., 68 Jahre alt, von zartem Körper-
bau, von frühester Jugend an sehr schwächlich und anämisch, leidet seit
einer längeren Reihe von Jahren an einer hochgradigen Dyspepsie nnd will
in der Jugend schon an einem „ schwachen Magen ^ wie sie sich ausdrückt,
gelitten haben« Diese Dyspepsie äusserte sich in vollständigem Appetit-
mangel: Patientin fühlt nie ein Bedürfniss zu essen und findet auch so
Therapeutische Yerwendong der Baachspeicheldrafie. 569
keinerlei Speieen irgend Genäse ; nach jeder Mahlzeit, mögen die Speisen noch
BO Borgfiütig gewählt und zubereitet sein, fflhlt sie ein grosses Unbehagen :
Oeftlhl von Vollsein, Druck in der Magengegend, der sich bisweilen zu
heftigen cardialgischen AnflUlen steigert, mehrere Stunden lang saures Auf-
stossen und ein übler Geruch nach faulen Eiern aus dem Munde. Patientin
fflrchtete sich deshalb vor jeder solideren Nahrungsaufnahme, vermied alles
Fleisch, die meisten Mehlspeisen, beschränkte selbst den Genuss des Brodes
auf ein Minimum, weil sie dadurch eine Vermehrung ihrer Beschwerden zu
gewärtigen hatte. Erbrechen war während der ganzen Dauer dieser Ver-
dauungsstörungen nicht vorhanden; der Stuhl war stets unregelmässig, er«
folgte nur alle 3 — 4 Tage, war bald fest, bald diarrhoisch, mit reichlichem
Schleim vermischt, übelriechend, von graubräunlicher Farbe, nie schwarz,
nie Blut enthaltend.
Patientin hatte eine Zeit lang Pepsin genommen, dadurch wurde das
lästige Aufstossen etwas besser, auch die cardialgischen Schmerzen traten
nicht mehr in demselben Grade auf, wie früher, der Druck und das Ge-
fühl von Vollsein, sowie die Unregelmässigkeit -des Stuhles wurden aber
dadurch nicht geändert. — Patientin schränkte ihre Speisen in der Folge
blos auf 3 Fleischsnppen des Tages ein, deren Einlagen aus fein geschnit-
tenen Pfannenkuchen (!) bestanden. In Folge dieser äusserst reducirten
Nahrungsaufnahme und mangelhaften Verdauung des Genossenen war bei
der an und für sich schwächlichen Patientin eine ganz enorme Abmage-
rung und Entkräftung eingetreten.
Ich sah sie am 20. Januar 1877 und fand eine kleine, zart gebaute
Frau mit reichlichen, tiefen Falten im Gesicht, vollständig zahnlosem Munde;
das Fettpolster war ganz geschwunden, die Augen lagen tief in den ihres
Fettes beraubten Orbitalhöhlen, waren matt, die Musculatur schlaff, Haut-
farbe fahl, Leib eingesunken, man konnte leicht die Aorta abdominalis pal-
piren; ein Tumor nirgends zu finden, ebenso auch war die Palpation des
Leibes nirgends schmerzhaft, Patientin konnte sich nur mit Mühe, wohl
unterstützt in einem bequemen Lehnstuhl, ausser Bett halten; ein Gang
durchs Zimmer, mit hinlänglicher Unterstützung ausgeführt, war von er-
heblicher Erschöpfung und Ohnmachtgefühl gefolgt; der Stuhlgang erfolgte
alle 3 — 4 Tage, ohne Beschwerde und ohne irgend abnorme Erscheinun-
gen darzubieten, er ist dünnbreiig, hellbraun, ohne besonders auffallenden
Geruch.
Bei diesem Zustande hochgradiger Inanition erschien es als erste Auf-
gabe, den Ernährungszustand durch eine langsam steigende Vermehrung
der Nahrungszufnhr aus vorsichtig gewählten, leicht verdaulichen und ratio-
nell zubereiteten Speisen zu heben und in den Verdanungsorganen wieder
eine lebhaftere Thätigkeit anzuregen.
Die verordnete Diät stimmte im Wesentlichen mit der im Fall X ttber-
ein, doch war man hier bei dem gänzlichen Appetitmangel darauf auge-
wiesen, etwas mehr Wechsel in der Wahl der Speisen eintreten zu lassen,
weil der Patientin sehr bald eine Speise entleidete, wenn sie dieselbe einige
Male gehabt hatte; sie bestand aus Folgendem:
1. Um 7 Uhr Frühstück: 1 Tasse Milch oder Kaffee mit Milch,
Chocolade, Thee, bald mit, bald ohne ein Ei, mit Zwieback oder Rösterbrod*
2. Um V2IO Uhr zweites Frühstück: Fleischbrühe mit Ei oder Fleisch-
570 XXXI. ENOB88EB
gel^e, roher Schinken, fein gewiegt; kaltes, halbrohes Beefsteak aus ge«
hacktem Fleisch, Sardellen mit Butter verrieben, dazu Rösterbrod Yuid
1 Glas leichter Rothwein.
3. Mittagessen nm 12Vs Uhr: kräftige Fleischsoppe mit Fleiscbextraet
und verschiedenen Cerealieneinlagen : Gerste, Reis, Hafergrütze, Griesker«
nen u. dgl.; englisches Beefsteak ans geschabtem Fleisch oder Geflflgel,
Wildpret, Kalbskopf en tortue mit Weglassnng der Triffein oder der allza
scharfen GewOrze, Ochsenzunge; als Zngemtlse: Kartoffelbrei oder Meer-
rettig in der Fleischbrühe gekocht, Tomaten, Schwarzwurzel, hierzu 1 Glu
Rothwein und Rösterbrod in demselben aufgeweicht.
4. Um 4 Uhr: Kaffee mit Milch und Rösterbrod.
5. Abendessen um 7 Uhr: Fleischsuppe und kalter Braten wie bdm
2. Frühstück.
6. Vor Schlafengehen um 9 Uhr und ebenso in der Nacht ein- bis
zweimal 1 Tasse Milch oder ein rohes Ei.
Bei grossen Schwächezuständen 1 Glas Champagner mit Rothwein ge-
mischt.
Nur nach eindringlichem Zureden liess sich Patientin zum Einhalten
dieser Diät bewegen.
Das Frühstück wurde ganz gut ertragen, ebenso das zweite Frühstück,
wenn dasselbe blos aus Fleischbrühe mit Ei oder Fleischgei^ bestand; bei
Genuss von Fleisch aber trat Magendrücken ein, das circa 1 Stunde an-
hielt; erheblicher und längerdauemd waren die Beschwerden nach dem
Mittag- und Abendessen, so dass sich Patientin bei letzterem wieder blos
auf eine Suppe beschränkte. Sie bekam dabei Magendrücken, das Gefflbl
von Vollsein im Leib; die Magengegend war aufgetrieben wie eine Blase und
gegen Druck sehr empfindlich, später kam es zum Aufstossen übelriechen-
der Gase, womit nach etwa 4 Stunden die Beschwerden seitens des Ma-
gens nachliessen; dagegen fühlte sich Patientin immer noch voll im Ldb,
war von Blähungen gequält, die ihr von Zeit zu Zeit Schmerzen, besonders
in der Nabelgegend, verursachten. Der Stuhl musste durch Klystiere er-
zielt werden ; er war fest, dunkelbraun, übelriechend, enthielt Fett und an-
dere unverdaute Speisereste in grosser Menge. — Ich liess nun Patientin
Pepsin nehmen und zwar das Pulver, in einem Glas Wasser mit 5 Tropfen
verdünnter Salzsäure verrührt, zum zweiten Frühstück, Mittagesa^ und
Abendessen.
Die Beschwerden seitens des Magens wurden dadurch erbeblich ge-
mindert und verkürzt, insbesondere trat das Aufstossen von übelriecben*
den Gasen gar nicht mehr auf, dagegen bestand noch der aufgetriebene
Leib, das Gefühl von Vollsein, die zeitweise auftretenden Schmerzen in der
Nabelgegend fort und der Stuhl enthielt nur noch reichlich unverdaute
Fleischfasern und Fett. Die Cur wurde in dieser Weise 14 Tage fortge-
setzt, ohne dass eine weitere Veränderung in dem Befinden der Patientio
eintrat.
Jetzt liess ich unter Weglassung des Pepsins mit Salzsäure die Pa-
tientin Pankreas nehmen und zwar anfangs die frische Drüse fein geschabt
unter die Speisen gemischt, später das künstliche Präparat in Oblaten ve^
packt, und zwar zum zweiten Frühstück einen kleinen Kaffeelöffel voll,
zum Mittagessen drei solche Portionen vor und nach der Suppe und nach
ThenpeatiBche Venrendang der BanchspeicheldrOBe. 571
dem Essen; zum AbeodesseD, das Patientin jetzt wieder in der vorgescbrie-
benen Wdse mit Suppe und kaltem Braten nahm, ebenfalls drei solche
Portionen.
Der Erfolg war ein entschieden gflnstiger. Die Magenbeschwerden nach
dem Essen blieben ans, wie beim Gebranche des Pepsins ; die zeitweise auf-
tretenden Schmerzen in der Nabelgegend traten nicht mehr ein, femer dauerte
das unbehagliche OefQhl im Leib in den ersten Tagen viel ktlrzer und
hörte nsch einiger Zeit ganz auf. — Der Stuhl, durch Carlsbader Salz
geregelt, enthielt anfangs noch unverdaute Speisereste, besonders mikrosko-
pisch nachweisbare Fleischfasern, die sich jedoch nach 8 Tagen ganz ver-
loren.
Patientin fühlte sich subjectiv wohler und auch entschieden etwas kräf-
tiger, sie konnte bald wieder längere Zeit ausser Bett zubringen, bedurfte
auch beim Aufsitzen und beim Gehen nicht so eingreifender Unterstützung,
aber der allgemeine Ernährungszustand wollte sich nur langsam heben ; es
traten noch von Zeit zu Zeit Ohnmachtsgeftlhl und Anfälle hochgradiger
Erschöpfung ein, so dass es geboten erschien, nachdem eine bessere Ver-
dauung mit Hilfe des Pankreasgebrauchs angebahnt war, die von Patientin
aus Furcht vor Wiederauftreten der Verdauungsbeschwerden in äusserst
minutiöser Menge genossenen Rationen langsam ansteigend auf ein höheres
Maass und Gewicht zu normiren.
Zum ersten Frtlhstttck wurde die Milch und der MilchkaffSee, Ghoco-
lade auf V2 L- nnd das Rösterbrod hier sowohl, wie bei den tlbrigen Mahl-
zeiten auf 40 — 50 Grm. festgesetzt. Zum zweiten FrflhstUck wurde V2 I^*
Bouillon genommen und 2 Eier oder bei der Wahl von Fleisch 100 Grm.
vorgeschrieben. Zum Mittagessen 1/2 Liter Suppe, 150 Grm. Fleisch und
50 Grm. Zugemdse ; femer wurde, ausser dem V2 Liter Kaffee um 4 Uhr,
um 6 Uhr zweimal 100 — 120 Grm. roher Schinken mit 1 Glas Rothwein
genommen und dann erst um 8 Uhr das Nachtessen mit V2 Liter Suppe
und 100 Grm. Beefsteak. — Fflr die Nacht wurden drei nach Latsohen-
berger's Vorschrift präparirte Eier bestimmt und ausserdem, wenn nOthig,
noch Vi Liter Milch.
Diese Diät in Verbindung mit Pankreas hält Patientin seit März 1877
ein und befindet sich im Ganzen wohl dabei, — die Ernährung hob sich
allmählich, sie kann jetzt den ganzen Tag ausser Bett zubringen, selbst
kleinere Geschäfte in der Haushaltung besorgen, ist ziemlich behend in
Gang und Hantirung — die Gesichtefarbe ist wieder frischer und die tiefen
Falten im Gesicht sind mehr ausgeglichen; dabei ist ihre Stimmung eine
wesentlich bessere, sie isst wieder mit Appetit und freut sich des Essens
und nur dann und wann, besonders wenn der Stuhlgang wieder angehalten
ist, fohlt sie Beschwerden im Unterleib und ab und zu wohl auch wieder
einmal Schwäche- und Ohnmachtsgefühl. — Die Stühle sind gewöhnlich
ganz normal, von breiiger Consistenz, meist bellbraun gefärbt, ohne be-
sonders auffallenden Übeln Geruch und enthalten keine unverdauten Fleisch-
bestand theile; dagegen ist Patientin immer noch auf strenge Einhaltung der
vorgeschriebenen Diät und den Gebrauch des Pankreas angewiesen — so
oft sie das Präparat aussetzte, kehrten die Verdauungsstörungen wieder und
nach längstens 8 Tagen stellten sich wieder die früheren Beschwerden in
erhöhtem Maasse ein.
572 XXXI. ENasssEB
Pat. machte Im letzten Sommer wieder kleinere Spasieiginge ohne
besondere Ermfldnng in der nftchsten Umgebung der Stadt und nntemahm
auch zeitweise grössere Spazierfahrten.
Fall XII. Frttnlein N. N., 20 Jahre alt, ans sehr reicher nnd
vornehmer Familie, von dem 16. Lebensjahre an bleichsflchtig. Patientin
hatte stets guten Appetit, der sogar zum Theil als krankhaft gesteigert
betrachtet werden konnte — bei Tische ass sie in der Regel wenig, ob*
wohl in der Familie nur solide, kräftige nnd wohlschmeckende, die nöthige
Abwechslung bietende Kost eingefnbrt war; um so mehr hatte sie aber
eine besondere Vorliebe, in der Zwischenzeit, ganz ohne Einhaltung einer
bestimmten Regelmässigkeit allerlei zu naschen, wobei sie nicht sehr wäh*
lerisch war und meist dem trockenen Schwarzbrod den Verzug gab; sie
ass stets sehr hastig, ohne die Speisen genflgend zu verkanen.
Die Folge dieser unregelmässigen und fehlerhaften Lebensweise war,
dass die Bleichsucht weitere Fortschritte machte und Patientin stets an
Verdauungsbeschwerden litt, die sich durch Druck in der Mageog^end,
bisweilen begleitet von cardialgischen Schmerzen, Aufstossen flbelriechender
Gase, durch das Gefühl von Vollsein im Leib äusserten — der Stnhl war
angehalten und musste meist kflnstlich erzielt werden; die Stuhlentleerungen
erfolgten unter Gasexplosionen und bestanden aus theils harten, theils dflon-
breiigen, grauen, ttbelriechenden Massen und enthielten reichlich grobe
Bröckel unverdauter Speisen, besonders Fleisch, Sehnen n. dgl.
Pat. war stets in gedrückter Stimmung, hatte grosse Neigung zum
Weinen, sonderte sich von allen geselligen Vergnflgungen der Familie ab und
klagte stets darüber, dass ihr nicht mehr geholfen werden könne. — Dabei
bestand, wie oben erwähnt, eine Art Heisshunger, der wenn er nicht sofort
durch irgend eine, selbst ganz geringfügige Nahrnngsanfhahme (ein Stück
Brod) gestillt wurde, Uebligkeit und Ohnmachtgefühl erzeugte.
Erbrechen war nie vorhanden, im Stuhl war nie Blut nachweisbar,
ebenso fehlten Polyurie und Glykosurie. — Die Menses geregelt.
Die Befolgung diätetischer Rathschläge wurde stets ernstlich verspro-
chen, aber nur sehr unregelmässig ausgeführt und meist bald wieder auf-
gegeben, weil ja doch die alten Beschwerden sich immer wieder einstellten.
Pepsinessenz, vor und nach dem Essen, hatte gar keinen Erfolg, am
besten bekam noch verdünnte Salzsäure, 5 Tropfen in einem Glas Zncker-
wasser nach dem Essen genommen, darauf Hess wenigstens das Magen-
drücken nnd das Aufstossen nach — die Beschwerden im Unterleib und
die Beschaffenheit des Stuhlganges blieben unverändert.
Eine Besserung fühlte Patientin in Betreff ihrer Verdauung, wie auch
ihrer Gesammternährung durch den fortgesetzten Aufenthalt in frischer Luft
im Herbst 1876, die aber wieder verschwand und den mit grösserer In-
tensität auftretenden Erscheinungen der Bleichsucht wich, als der eintretende
Winter Patientin wieder mehr an das Zimmer bannte. — Alle die alten
Verdauungsbeschwerden, das Magendrücken, Aufstossen, Gefühl von Vott-
sein im Leibe und insbesondere eine erhebliche Druckempfindlichkeit in der
Regio ileocoecalis traten wieder auf. Bei Palpation des Unterleibes bot
die Gegend des Blinddarmes grössere Resistenz dar — dabei hatte Pat
aber kein Fieber und zeigte keinerlei Erscheinungen einer örtlichen Ent-
zündung des Peritoneums.
Therapeutische Verwendung der fianchspeicheldrOse. 573
Der Stuhl wurde geregelt durch Ol. Ricini, Carlsbader Salz und rech-
liche Klystiere von warmem Wasser mittelst des Heberapparates in der
Knie-EUenbogeDlage. — Die Entleerungen waren wie frtther und enthielten
yiele nnverdante Speisereste.
Neben der Sorge fQr regelmässige StuhlenÜeemng wurde nun eine
strenge Diät, die neben der Bflcksicht auf N&hrwerth und Leichtverdaulich-
keit auch die nflthige Abwechslung darbot, verordnet und jeweils bei den
Hauptmahlzeiten Mittags und Abends (die Zwischenmahlzeiten bestanden
meist aus Milch, Fleischbrühe, £iem) je 2—3 starke Kaffeelöflfel frischen
geschabten Rindspankreas den Suppen und Brflhen beigemischt.
Patientin befolgte auch diese Verordnung längere Zeit gewissenhaft
und fflhlte sich dabei wesentlich besser — der Druck im Magen, das Anf-
stossen, das Geffihl von Vollsein im Leib Hessen nach — nur die Regio
ileocoecalis blieb noch gegen Druck empfindlich und war das Coecnm offen-
bar stets auch mit nur langsam sich weiterbewegenden Stercoralmassen an-
gefiOllt — der Stuhl musste daher künstlich geregelt werden, derselbe ent-
hielt aber schon nach 4 Tagen nur noch wenig unverdaute Speisebestand-
theile, die in der weiteren Folge ganz wegblieben; er war nicht mehr so
übelriechend und bekam allmählich eine normale hellbraune Färbung, die
sogar zeitweise mit einer vollständig gelben Farbe abwechselte.
Das Allgemeinbefinden besserte sich.
Ea wurde Ferr. carb. sacch. verordnet, das Fat aber nicht ertrug,
dagegen ertrug sie ganz gut das pyrophosphorsaure Eisenwasser.
Allmählich aber wurde Fat. wieder lässig in Befolgung der gegebenen
Vorschriften, es war ihr lästig, besonders bedient zu werden; dazu kam
noch, dass das Pankreas nicht regelmässig von den Metzgern zu haben
war ; schliesslich, nach zwei Monaten, Hess sie zunächst das Pankreas ganz
weg und gab eine diätetische Maassregel nach der andern auf, so dass sie
wieder in ihre alte Unregelmässigkeit und diätetische Launenhaftigkeit verfiel.
Die Folgen blieben nicht aus, die alten Beschwerden stellten sich wie-
der ein, der Ernährungszustand ging wieder zurück, die hypochondrische
Stimmung kehrte wieder, dabei wollte sie von ärztlicher Einsprache gar
nichts wissen und erklärte allen Vorstellungen gegenüber: ihr könne doch
nicht mehr geholfen werden.
Im Frühjahr 1877 stellte sich, wohl bedingt durch die Ansammlung
unverdauter und sich zersetzender Speisereste im Dickdarm, ein heftiger
und hartnäckiger Darmkatarrh ein. — Patientin fieberte massig, klagte
über fortdauernde, dumpfe Schmerzen im Unterleib, die sich zeitweise zu
heftigen Rolikanftllen steigerten, dabei Rollen im Leibe und starke Gas-
detonation bei jeder Stuhlentleerung.
Der Leib war aufgetrieben und gegen Druck äusserst empfindlich, be-
sonders entsprechend der Lage des Dickdarms; derselbe Hess sich auch
als resistenterer Körper leicht palpiren.
Die Stuhlentleerungen erfolgten sehr häufig des Tages unter Schmerzen
im Leib und Tenesmus; die entleerten Massen bestanden aber nur aus ganz
wenig mit Schleim nntermisohter Flüssigkeit von grauer Farbe, sehr üblem
Geruch und enthielten einige wenige harte, schwarze Bröckel.
Es wurde nun tägUch 1 Löffel voll OL Ricini genommen und noch
zweimal täglich ein Einlauf von V2 Liter warmen Wassers mittelst des
574 XXXI. ENOB88BR
Heberapparates. — Darauf wurden die AaBleeraogen volmninOser: sie be-
standen ans festen, grau und schwarz meiirten, mit Blut nnd Schleim Aber-
zogenen sehr übelriechenden Ballen, in denen sich reichliche nnverdante
Speisereste nachweisen Hessen. Patientin fühlte sich jedesmal nach dieaeo
Entleerungen erleichtert, die Anfgetriebenheit des Leibes Hess nach, die
Resistenz im Verlauf des Dickdarms verschwand nach einigen Tagen uid
war nur noch ein quatschendes Geräusch durch die Palpation da zu e^
zeugen, wo vorher die festen Massen gefühlt wurden. Dabei bestanden aber
die Druckempfindlichkeit, der Tenesmus, die Schmerzen am After nach jeder
Entleerung fort — die Entleerungen wurden wieder dünner, wilasriger und
enthielten nur in geringerer Menge noch zum Theil aufgelöste Fäcalmassen,
zum Theil kleine, harte, schwarze, griesartige Bröckelchen.
Das Ricinnsöl wurde jetzt seltener genommen, nur noch jeden 2. oder
3. Tag — dagegen wurden die Rlystiere mit lauem Wasser und zwar in
der Knie-Ellenbogenlage, zweimal täglich, fortgebrancht und nach Entlee-
rung dieser Reinigungsklystiere jedesmal , ein Einlauf von Salepdecoct ge-
nommen.
Die Diät bestand ans Milch mit Arrow-Root, Schleimsuppen ans durch-
getriebener Gerste, HafergrützCi Grünkernen, Tapioca ; für den Dnrst nahm
Patientin Mandelmilch und kalten schwarzen Thee.
Die Erscheinungen milderten sich in Folge dessen innerhalb etwa
8 Tagen, das Fieber liess nach, die andanemden Schmerzen hörten gaox
auf und traten nur dann imd wann in einzelnen KolikanfUlen wieder anf,
die Druckempfindlichkeit des Abdomen war geringer — die Stnhlentlee-
rungen, welche immer noch von Tenesmus b^leitet waren, erfolgten sel-
tener, 2 — 3 höchstens 4 mal in 24 Stunden, dieselben waren immer, w^o
auch weniger übelriechend, meist flüssig, mit Schleim, selten mit Blot
untermischt — das Allgemeinbefinden, ausser dem sehr reducirten Krifte-
zustandy war leidlich, der Appetit ganz gut, und dem Drängen der Patieotin
nachgebend liess ich sie jetzt Mittags und Abends eine kleine Portion ge-
schabten , gebratenen Fleisches geniessen , das ihr anscheinend ganz wohl
bekam und keine Verdauungsbeschwerden erzeugte, so dass man allmähhch
wieder zu einer reichlicheren Nahrungsznfuhr überging.
Die Sommermonate brachte nun Patientin bei Verwandten, die in Mittel-
deutschland auf dem Lande wohnten, zn und befand sich daselbst ihren
Berichten zu Folge ganz wohl; die Allgemeinemährung scheint sich in der
That auch im Anfange gehoben, die Stimmung verbessert zn haben.
Bei ihrer Rückkehr stellte sie sich, zwar besser aussehend und in
besserer Stimmung, vor, aber die alten Verdanungsbeschwerden hattmi sieb,
und zwar schon seit etwa 14 Tagen, wie Pat. jetzt eingestand in Folge
von Diätfehlem, wieder eingestellt, nur nicht so hochgradig, als sie im
Frühjahr waren.
Das Drücken im Magen, der aufgetriebene Leib, die Druckempfindlich«
keit des Epigastriums, die unregelmässigen Stuhlentleernngen, bald dunkel-
braun, bald grau, mit Schleim untermischt, von sehr üblem Oernoh, der
Gehalt an unverdauten Speiseresten, Alles war wieder da, wie früher; dabei
gibt Patientin an, dass sie trotz ihres besseren Aussehens sich doch wieder
in der letzteren Zeit schwächer fühle.
Die Rückkehr zu ^er besser geregelten Diät hatte wohl auf das
TherapeuÜBche Verwendung der Bauchspeicheldrüse. 575
subjeetive Befinden einen ganz guten Erfolg, der Stuhl blieb aber immer
ungeregelt und enthielt stets unverdaute Speisereste; dabei wollte der £r-
nibrongsznstand sich nicht heben und Patientin verfiel in den nftchsten
Wochen wieder in ihre hypochondrische, weinerliche Stimmung.
Die Hauptaufgabe war nun wohl, den gesunkenen Ernährungszustand
durch vermehrte Nahrungszufuhr zu heben und dabei Sorge zu tragen, dass
die aufgenommene Nahrung auch verdaut werde. Ich liess daher Patientin
wieder zu ihren Mahlzeiten Pankreas nehmen, das ihr schon einmal gute
Dienste gethan hatte, und zwar diesmal nicht die frische Drflse, sondern
das kflnstliche Präparat; dabei täglich noch Carlsbader Salz und einen Ein-
lauf von warmem Wasser.
Die vorgeschriebene Diät war der in dem letzten Fall angefahrten
analog, und wurde dieselbe, obgleich sie nicht spärlich war, ganz gut er-
tragen, so dass Patientin bald eine Vergrösserung ihrer Rationen verlangte.
Die Druckempfindlichkeit der Magengegend, das Aufgetriebensein des
Leibes, die Blähungen Hessen nach, der Stuhl, durch das Carlsbader Salz
und den Einlauf geregelt, verlor den üblen Geruch, bekam wieder eine mehr
hellbraune Färbung, fast weiche Consistenz und enthielt gleich nach den
ersten Tagen keine unverdauten Speisereste mehr, selbst dann nicht, als
noch einmal, wegen vermehrten Appetits, eine nochmalige Steigerung der
Diät bewilligt werden musste.
In den nächsten Wochen hob sich auch der Ernährungszustand all-
mählich, Aussehen und Stimmung wurden besser.
Jetzt fühlt sich Pat ganz wohl, verdaut ganz gut, ohne Pankreas, ist
kräftig und wohlgenährt und kann auch wohl einen kleinen Diätfehler un-
gestraft begehen.
Nur in der allerletzten Zeit erregte ihr der Magen wieder Besorgniss,
und ich will den Zwischenfall hier anilühren, obwohl er ganz ausser Zu-
sammenhang mit der Pankreasbehandlung steht, weil er zeigt, wie oft an-
scheinend ganz geringfügige Dinge bei Dyspepsien Beachtung verdienen.
Im December 1878 machten sich wieder Schmerzen im Epigastrium
und den Hypochondrien bemerkbar, der Appetit wurde wieder geringer,
Patientin fühlte wieder Druck im Magen nach jeder Mahlzeit, oft auch 3
und selbst 4 Stunden anhaltend, litt wieder an Aufstossen von Gasen. —
Der Stuhl war von normaler Farbe und Consistenz, enthielt keine unver^
danten Speisereste und musste nur von Zeit zu Zeit durch Carlsbader Salz
oder Klystiere geregelt werden. — Das Abdomen nicht aufgetrieben, nicht
druckempfindlich. — Eine genauere Untersuchung des Leibes liess eine
Schnürfnrche in der Haut erkennen, und ich machte Patientin darauf auf-
merksam, indem ich die Beschwerden darauf zurückführte und energisch
vor zu starkem Schnüren warnte; Patientin stellte aber ganz entschieden
in Abrede, dass sie dieses Fehlers sich schuldig gemacht und das angelegte
Corset bestätigte auch die Richtigkeit ihrer Angabe, führte aber zugleich
zur Entdeckung des Fehlers. — Patientin hatte nämlich, da sie den Nach-
theil des Schnttrens für die Verdauung aus Erfahrung kannte, um dem
Uebel abzuhelfen und um nicht so eingepanzert zu sein, bona fide sämmt-
liche Fischbeine aus ihrem Corset entfernt, mit Ausnahme der Endschienen
vornen und hinten ; in Folge dessen mussten die Röcke, da sie nicht mehr
den nöthigen Halt am Corset hatten, fester gebunden werden und beding-
576 XXXI. Engbsber
toD, da der Druck sich nicht mehr, wie bei einem normalen Corset, auf
eine breitere Gflrtelfläcfae vertheiite, diese Einschnflrang mit allen ihren
nachtheiligen Folgen. Ich veranlasste Patientin, die Fischbeine wieder ein-
zuziehen und das Oorset, ohne es anzuschnüren, regehnässig zu tragen;
nach wenigen Tagen waren alle Beschwerden wieder verschwunden, Appetit
und Verdauung wieder geregelt und die Schnttrfnrche hat sich wieder voll-
ständig verloren.
Fall XIII. Herr R., früher in St.-Loui8 in Nordamerika, hatte 1851
einen Gholeraanfall, von dem er sich jedoch ziemlich rasch erholte, ohne
dass irgend nachtheilige Folgen zurfickblieben. — Im Jahre 1858 ftthlte
er zum ersten Male Neigung zu Diarrhoe, welche sich im Winter 1858/59
so erheblich steigerte, dass er kaum eine Stunde Ruhe hatte. Der Arzt
verordnete ihm Pillen aus Tannin und Opium und Klystiere aus Stftrke-
kleister mit 30 Tropfen Laudanum und empfahl ihm einen Aufenthalt in
seiner Heimath in Deutschland. Während der Ueberfahrt hatte er viel
durch den Darmkatarrh zu leiden, den er nur durch strenge Diät und die
Einhaltung der erwähnten Ordination in Schranken halten konnte. Die
altgewohnte Lebensweise in der Heimat bekam dem Patienten sehr gut,
ebenso eine Cur in Schwalbach und Ems ; der Dsrmkatarrh Hess nach, Pat.
wurde wieder kräftiger, heiterer und obgleich er 1861 von einer Darm-
blutung befallen wurde, welche jedoch keine grösseren Dimensionen an-
nahm und durch Kaltwasserklystiere mit 15 Tropfen Liqu. fern sesqui-
chlorati gestillt wurde, erholte er sich doch ziemlich rasch wieder so weit,
dass er eine längere Reise in die Schweiz unternehmen und in selbem Jahre
noch seine Rttckreise nach Amerika antreten konnte; der Zustand blieb
hier trotz der weniger zuträglichen Lebensweise ein ganz befriedigender.
Im September 1868 hatte Patient in St.-Louis wieder einen ziemlich
heftigen Choleraanfall, nach welchem er sich nicht so leicht erholte, wie
nach dem ersten. Die Diarrhöen dauerten den ganzen Winter Aber fort,
der allgemeine Ernährungszustand ging zurflck, so dass Patient 1864 wieder
nach Deutschland reiste, um sich in der Heimath zu erholen. Eine Cur
in Carlsbad bekam ihm nicht gut, dagegen besserte sich der Zustand bei
dem zurückgezogenen ruhigen Familienleben, unter Einhaltung einer ge-
regelten Diät. Ein zweiter Gurbesnch in Carlsbad bekam noch achlechter
als der erste und auch dieses Mal hatte wieder das ruhige, regelmässige
Familienleben den besten Erfolg.
Im März 1868 trat Patient in vollständig befriedigendem Wohlbefinden,
gut genährt, mit gutem Appetit, wieder die Rückreise nach Amerika an. Bd
den heftigen Stürmen auf dem Meere wurde das Schiff schadhaft, ein Brach
der Schrauben welle nöthigte es, in 14 tägiger stürmischer Fahrt unter Segel
mit 9' Wasser nach England zurückzukehren; der Dampfer „Germania*, aaf
den Patient jetzt kam, hatte ebenfalls mit schweren Stürmen zu kämpfen,
so dass die Passagiere, die zum grössten Theile seekrank waren, 8 Tage
in der Cajüte eingeschlossen waren, weil das Schiff fast fortwährend unter
Wasser war. Diese lange Zeit von fast 4 Wochen auf der See, die Auf-
regung in Folge der Ereignisse, die schlechte Luft in der von Seekrankes
erfüllten Cajüte und dabei stets noch die Besorgniss vor Schiffbruch brachten
die alten Verdauungsstörungen aufs Neue mit grosser Heftigkeit zum Aus-
Therapeaiische Verwendang der Bauchspeicheldrase. 577
brach. Kaum wieder einigermaassen gebessert, ging Pat gleich wieder mit
aller Energie seinen Qeschtften nach und machte im heissen Sommer 1868
eme sehr unangenehme Gesch&ftsreise, wobei er sehr schlechtes, schwer
verdanllches Essen bekam, so dass er sich den guten Humor nur durch
Cognac, Grakers und Gigarren aufrecht erhielt, dabei aber wieder erheb-
liche Rückschritte in seinem Befinden und seiner Ernährung machte. —
Er erholte sich ziemlich rasch, als er zu Hause wieder in geordnete Lebens*
Verhältnisse kam mit guter, geregelter Kost und gutem Wein (Califomischem
Burgunder). Der Zustand hielt sich leidlich, mit wenigen Unterbrechungen
von Verschlimmerung, bis Patient im Sommer t870 als Abgeordneter nach
Washington berufen wurde. Die angestrengte aufreibende Thätigkeit, wäh-
rend 3 Monaten, die mangelhafte HotelkQche riefen das alte Uebel wieder
wach und die wiederholte Thätigkeit als Abgeordneten von 1870 bis Ende
März 1871 brachten den Patienten vollends herunter, Appetit und Ver-
dauung lagen ganz darnieder, der Kräfte- und Ernährungszustand wurde
durch die fortwährend sich wiederholenden Diarrhöen äusserst herabgesetzt,
so dass sich Patient genOthigt sah, bleibend nach Deutschland zurückzu-
kehren. — Ein Aufenthalt in Wiesbaden bekam dem Patienten nicht gut,
er versuchte es nun an mehreren Orten; seit einigen Jahren wohnt jetzt
Patient hier m Freiburg und besucht jährlich Ems, wo der Gebrauch des
Wassers stets eine gute Wirkung auf seinen chronischen Darmkatarrh hat.
Ich sah Patient zum ersten Male im August 1878, wenige Tage vor
seiner Abreise nach Ems, wohin er sich, wie alljährlich, auf 6 — 8 Wochen
zur Gur begeben wollte. Bisher hatte er schon Emser Wasser getrunken
und dasselbe auch, und zwar mit gutem Erfolg, zu Klystieren verwendet ;
gegen die Diarrhöen nahm er abwecbslungsweise Pillen ans Tannin und
Opium und Pillen von Extr. Sem. Strychni 1,0, Opü pnri 0,15, Gatechu
3,0 f. pil. No. XXX, S. 3—4 Stttck täglich. Längere Zeit hatte Patient
Pepsin genommen, und zwar theils Pepsinessenz , theils Pepsinpulver in
einem Glas Wasser mit 5 Tropfen Acid. muriat. dilut. — Einen besonderen
Erfolg, ausser dem Nachlassen eines oft einige Stunden nach dem Essen
anhaltenden lästigen Magendrückens, sowie des Aufstossens übelriechender
Gase hatte Patient davon nicht bemerkt; auch Pankreaspräparat hatte er
eine Zeit lang genommen und glaubte sich davon im Leib etwas erleit^htert
zu fühlen, doch ist darauf nicht viel Gewicht zu legen, da Patient angab,
sehr häufig Pepsin mit Salzsäure und Pankreas zugleich genommen zu haben.
In letzter Zeit hatte er gar keine Hilfsmittel für die Verdauung mehr ge-
nommen.
Patient ist äusserst mager, die sichtbaren Schleimhäute blass, die Ge-
sichtsfarbe fahl, glanzlos ; dabei zeigt er, obwohl er leicht ermüdet, immer-
hin noch eine gewisse Energie in seinen Bewegungen. Epigastrium und
Abdomen nicht aufgetrieben, keine Druckempfindlichkeit, bei der Palpation
kann man tief eindrücken, ohne irgend einen Tumor oder sonst eine harte
Stelle zu finden. Erbrechen war nie vorhanden; Stuhl 4 — 5 mal täglich
erfolgend, war wässrig, darin schwammen einzelne graue, von Schleim über-
zogene, äusserst übelriechende Bröckel; zeitweise hat Patient Kollern im
Leib und ab und zu kolikartige Schmerzen quer übers Epigastrium, welche in
der Regel einer diarrhoischen Stuhlentleernng vorausgehen, sowie Tenesmus.
DtntoohM ArehlT f. klln. Madlolii. XXIV. Bd. 37
578 XXXI. ENQB88ER
Da ich den PatieDten zum ersten Maie sab, über den ganzen Zustand
mieh noch nicht völlig orientirt hatte und er im Begriff war, seine bisher
stets wohlthätig wirkende Cur in Gms zu beginnen, beschränkte ich mich
darauf, ihm die bisher befolgte Ordination und eine geregelte Diät zu em-
pfehlen. Bei seiner Rückkehr von £ms fand ich den Patienten in einer
besseren, weniger niedergeschlagenen Stimmung, der Appetit war sehr gut,
die Stühle waren weniger übelriechend, oft breiig, häufig braun gdlrbt,
die kolikartigen Schmerzen, sowie der Tenesmus hatten ganz aufgehM;
Patient fühlte sich auch kräftiger und machte täglich Spaziergänge oft über
eine Stunde Dauer. Der Zustand relativ guten Wohlbefindens hielt bis
Anfang November an ; der gute Appetit veranlasste den Patienten dann und
wann zu kleineren Ausschreitungen über die vorgeschriebene Diät, die an-
fangs gar keine oder ganz unerhebliche Beschwerden machten, ao das«
Patient öfters und in grösserem Maasse sich an Lieblingsgerichte hielt, die
ihm verboten waren. In Folge dessen steigerten sich auch wieder die Be-
schwerden. Patient fühlt nach jeder Mahlzeit mehrere Stunden anhaltend
Drücken in der Magengegend, Unbehaglichkeit und Vollseui im Leibe, kolik-
artige Schmerzen und Tenesmus, Vermehrung der diarrhoischen Stuhlent-
leerungeu und, obgleich er wieder zu der strengen Diät zurückkehrte, bes-
serte sich der Zustand nicht, so dass Patient innerhalb 14 Tagen wieder
bedeutend in seiner Gesammtemährung zurückkam.
Die Untersuchung ergab: Epigastrium aufgetrieben, ebenso das Abdo-
men, beide gegen Druck sehr empfindlich. Bei der Palpation Lässt sich
das Colon transversum als ein grosser, voluminöser Wulst quer über dea
unteren Theil des Epigastrium abgrenzen, es entsteht darin ein gurrendes,
quatschendes Geräusch; auch die Gegend des Cöcum und des S romanum
zeigt grössere Resistenz, doch erscheinen diese nicht in so hohem Grade
ausgedehnt, wie das Colon transversum. — Die Stuhlentleerungen erfolgen
sehr häufig, 6 — 8 mal des Tages, dieselben sind zum Theil wässerig, mit
Schleim untermischt, zum Theil auch dünnbreiig, grau, übelriechend und
enthalten reichlich unverdaute Speisereste : Fett, Brod, Fleischfasem u. dgl. ;
Blut wurde nie in den Stühlen beobachtet.
Ordination: Klystiere mit Emser Wasser, gegen die profusen Diar-
rhöen 1 — 2 mal täglich 1 Klystier von Stärke mit 8 Tropfen Laudannm;
ferner von Zeit zu Zeit die obenerwähnten Pillen ; endlich zu jeder Mahlzeit,
je nach der Grösse derselben , 1 — 3 Portionen, des Pankreaspräparates in
Oblaten eingepackt. Der Zustand besserte sich auch binnen kurzer Zeit
Die Stühle wurden mehr geformt und waren nur noch selten diarrhoisch,
wenn sich Patient eine Erkältung zugezogen oder eine nnzweckmässige
Speise genossen hatte — bisweilen freilich auch, ohne dass eine besondere
Ursache aufzufinden war; dieselben waren wieder hellbraun gefärbt, nicht
mehr grau und enthielten keine unverdauten Speisereste mehr. Patient nahm
die Pillen seltener. Bei Einhaltung einer kräftigen leichtverdaulichen Difit
hob sich auch wieder die allgemeine Ernährung. In der zweiten Hälfte
December setzte Pat. mit dem Pankreas wieder aus. Anfangs war kein
Nachtheil davon zu bemerken, allein allmählich stellten sieh doch wieder,
wenn auch nur ganz leise angedeutet, Beschwerden ein, die sich tteeondera
durch Magendrücken' nach dem Essen und Aufstossen übelriechender Gaae
bemerkbar machten, auch traten dann und wann wieder kolikartige Schmoieo
Therapeutische Yerwendung der fiaachspeicheldrüBe. 579
im Leibe auf; den StohlentleeniDgen hatte er während dieser Zeit keine
weitere Anfmerksamkeit zugewandt, da dieselben ziemlich auf 1 — 2 Ent-
leerungen pro Tag beschränkt blieben.
Ans eigenem Antrieb nahm Patient jetzt wieder Pepsin mit verdünnter
Salzsäure.
Die Magenbeschwerden, das Drücken und Aufstossen nach dem Essen
liessen darauf auch nach, aber im Unterleib nahmen die Beschwerden eher
zu. Patient musste fast täglich wieder Pillen nehmen, um der wiederer-
wacbten Diarrhoe vorzubeugen; er fühlte sich stets sehr unbehaglich voll
im Leib und vor jeder Stuhlentleerung traten mehr oder weniger heftige
kolikartige Schmerzen auf.
Ich sah Patient wieder Ende Januar: sein Ernährungszustand hatte
nicht sichtlich gelitten, ausser den subjectiven Beschwerden. waren es be*
sonders die Stuhlentleerungen, die eine mangelhafte Verdauung constatirten ;
dieselben waren zwar nicht eigentlich diarrhoisch, sondern meist breiig,
hellbraun oder grau geHlrbt, von weniger üblem Geruch als früher und ent-
hielten unverdaute Speisereste.
Ich Hess Patienten das gleiche Regimen und die gleiche Diät beibe-
halten, dagegen unter Weglassung des Pepsins mit Salzsäure wieder zum
Pankreas greifen, und zwar jetzt zu dem neuen pulverförmigen Präparate,
das er auch ganz ohne Widerwillen nahm. — Der Erfolg war wieder der
gleiche wie früher. — Die Verdauungsbeschwerden Hessen nach ; die Stühle
waren wieder vollständig verdaut und Patient befindet sich seither insoweit
wohl, dass er unter Beobachtung der gegebenen Vorschriften sich vollständig
gut ernährt und nur zeitweise, durch ganz geringfügige Veranlassung bedingt,
von Diarrhöen befallen wird.
Eine vollständige Heilung, mit Wiedererlangung der normalen Secre-
tionsfähigkeit der Verdauungsdrüsen, ist freilich bis jetzt bei dem Patienten
nicht erzielt worden und dürfte wohl auch bei der langen Dauer des Lei-
dens, das offenbar zu secundären Veränderungen in den Verdauungsorganen
(Erweiterung des Darmkanals, Atrophie der Muscularis mit mangelhafter
Peristaltik, Degeneration der Verdauungsdrüsen) geführt hat; nicht leicht
zu erwarten sein; Patient ist daher fortan auf die Einführung künstlicher
Verdauungsmittel und auf die zeitweise Reinigung des Dickdarms durch
Klystiere mit Emser Wasser angewiesen, welche ihm immer sehr gut be-
kommen und ihn vor profusen und erschöpfenden Diarrhöen schützen.
Im folgenden Falle trat die Dyspepsie auf im directen Anscbluss
an einen grösseren, durch Darmblutung bedingten Blutverlust, nach-
dem längere Zeit vorher schon der Haushalt des Organismus in Folge
geistiger Ueberanstrengung gestört war.
Fall XIV. Herr N., 42 Jahre alt, Hämorrhoidarius, schon längere
Zeit mit einem ziemlich hochgradigen Emphysem behaftet, häufig von asth-
matischen Anfällen heimgesucht. Herz von emphysematöser Lunge über-
lagert. Energie der Herzthätigkeit abgeschwächt, Circulation etwas ver-
langsamt.
Im Winter 1877/78 war Patient durch Ueberhäufung mit Geschäften
geistig sehr angestrengt, so dass er sich besonders gegen Ende des Winters
37*
580 XXXI. ENaESSER
sehr erschöpft fflblte und durch Denken und Sprechen viel mehr ermfldet
wurde als früher.
Am 16. März 1878 hatte Patient, nachdem er über eine Stunde an-
haltend gesprochen, einen ohnmachtähnlichen Anfall ; es wurde ihm schwarz
vor den Augen, Seh weiss brach über den ganzen Körper aus; er fühlte
eine unangenehme Eingenommenheit des Kopfes, das Bewusstsein blieb dabei
klar und nach wenigen Minuten war der Anfall vorüber, so daas Patient
den ziemlich weiten Weg nach Hause ohne Begleitung zurücklegte. Die
Anfälle wiederholten sich in den folgenden Tagen öfters, jedoch nicht in
so hohem Grade, wie das erste Mal ; Patient machte täglicdi noch seine ge-
wohnten Spaziergänge, wobei er jedoch sehr leicht ermüdete und dieselben
auf kürzere Zeit und nur auf den ebenen Weg beschränken musste. Auf-
fallend war dßm Patienten, dass seit dem ersten Ohnmachtanfall die Hft-
morrhoidalbeschwerden (Jucken am After) vollständig aufgehört hatten.
Ich sah Patienten am 19. März; er fühlte sich sehr schwach, schwitzte
leicht, bei jeder Bewegung hat er Ohnmachtgeftlhl; Aussehen sehr anämisch;
die Haut fühlte sich kühl an; Puls 56 pro Minute, klein, leicht compri-
mirbar; Spitzenstoss nicht zu fühlen; Herztöne sehr schwach.
Der durch Garlsbader Salz erzielte Stuhl war theerartig schwarz, sdir
übelriechend, mit harten Bröckein untermischt^ in denen bei Zerdrücken
unverdaute Speisereste sich fanden. Urin ziemlich reichlich, hell.
Patient wurde zur Einhaltung der Bettruhe mit möglichst wenig Be-
wegung angewiesen, als Diät nur flüssige Nahrung (Milch, Fleischbrühe)
gestattet, Wassernmschläge auf den Leib gemacht und der stets angehaltene
Stuhl durch Klystiere geregelt. — Die Stühle waren in den nächsten Tagen
bald mehr, bald weniger schwarz gefärbt und enthielten neben langen
Schl^mfäden theerartige dickflüssige Massen. Erst vom 26. März an verlor
sich die schwarze Färbung, die Entleerungen wurden mehr gleichmässig
breiig, enthielten nur selten mehr harte Bröckel, waren hellgelb oder grau
und zeigten auf der Oberfläche der flüssigen Bestandtheile eine glänzende
Fettschicht.
Der Kräftezustand des Patienten war dabei immer noch ein sehr ge-
ringer, der Puls war klein, dünn, wechselnd in der Frequenz, in der Rübe
selten mehr als 64 pro Minute.
Beim Versuch, sich im Bette aufzusetzen, trat stets Ohnmachtgefühl
und Herzklopfen ein ; jede geistige Thätigkeit ermüdete den Patienten ausser-
ordentlich. Zur Hebung der Kräfte und der Gesammternährung wurde ein
vorsichtiger Versuch einer gesteigerten Nahmngszufuhr , besonders durch
die Beifügung fester Speisen (Beefsteak) gemacht, die anfange scheinbar
auch ganz gut ertragen wurden, so dass ich mich nicht scheute, vom
26. März an dem Appetit des Patienten noch weitere Zugeständnisse zu
machen.
Alsbald stellten sich aber, trotz der vorsichtigen Auswahl der Diät,
wieder Verdauungsbeschwerden ein, die sich im Anfang durch Unbehaglich-
keit nach dem Essen, fliegende Hitze, Herzklopfen, späterhin durch Kolik-
schmerzen, Aufgetriebensein des Leibes, Blähungen, fauligen Geruch au
dem Munde äusserten. Die Stühle, welche zum Theil durch Garisbader
Salz, zum Theil durch Klystiere erzielt wurden, waren sehr übelrieehend,
meist grau und enthielten reichlich Fett und unverdaute Fleisdibeatandtheiie.
Therapeutische Yerwendang der Baachspeicheldrflse. 581
Ich Hess nan, ohne in der Diftt etwas zu ändern, bei jeder Mahlzeit , je
nach der Grösse derselben, 1 — 3 Portionen von dem Pankreaspräparat
nehmen. Schon beim ersten Male Hessen die subjectiven Beschwerden nach ;
ausser einer gewissen Müdigkeit nach dem Essen fühlte sich Patient be-
haglich; die Anfgetriebenheit des Unterleibs blieb aus, ebenso die Kolik-
schmerzen ; in den ersten Tagen waren noch unverdaute Speisereste in den
Stühlen nachweisbar, die sich aber in kurzer Zeit ganz verloren ; auch die
Schleimftden wurden spärlicher.
Von da an hob sich auch die allgemeine Ernährung; rasch vorüber-
gehende und meist nur schwach angedeutete Ohnmachtanfklle traten nur
noch selten auf, besonders dann, wenn Patient zwischen zwei Mahlzeiten
eine zu grosse Pause machte; zeitweise trat wohl auch noch Druck und
Vollsein im Leib, verbunden mit Herzklopfen auf, wenn Patient versuchs-
weise bei einer Mahlzeit das Pankreas weggelassen hatte; geistige Be-
schäftigung, selbst das Lesen der Zeitung oder einfaches Nachdenken über
gleichgültige Dinge, längere Unterhaltung mit besuchenden CoUegen er-
müdeten den Patienten noch sehr, doch besserte sich der Zustand von Tag
zu Tag; der Puls wurde kräftiger, bald konnte Patient einen Theii des
Tages ausser Bett zubringen, selbst einige Schritte durchs Zimmer machen
und unternahm am 13. April seine erste Ausfahrt, die zwar etwas Schwindel
verursachte, ihn aber doch nicht abhielt, dieselbe nach einigen Tagen und
von da an, da sie jetzt gut ertragen wurde, täglich zu wiederholen.
Patient fühlte sich im Ganzen behaglich und wenn auch noch ziemlich
schwach, so war doch deutlich eine stetig fortschreitende Kräftigung zu
bemerken.
Ende April war er im Stande, kleinere Spaziergänge, die er allmählich
auf V2 ^^^ später selbst auf 1 Stunde ausdehnte, zu machen ; mit Vorrücken
der Jahreszeit brachte er fast den ganzen Tag im Walde zu.
Der fortwährende Genuss der frischen Luft, neben der kräftigenden
Diät und die Enthaltung von den Berufsgeschäften trugen wesentlich zur
Besserung bei; die Verdauung war mit Hilfe des Pankreas vollständig in
Ordnung, die Stühle enthielten keine unverdauten Speisereste mehr, doch
konnte Patient das Mittel noch nicht entbehren, ohne dass sich wieder
leichtere Störungen einstellten.
Ein längerer Aufenthalt im Schwarzwald (Steinabad) unterstützte we-
sentlich die Genesung, so dass Patient im Winter 1878/79 wieder seine
volle Berufsthätigkeit aufnehmen konnte und jetzt selbst im Stande ist,
ziemlich grosse Fusstouren zu unternehmen. Der Nachhilfe des Pankreas-
präparates bedarf er zur Verdauung nicht mehr.
Dieses das mir zur Verfügung stehende Beobachtungsmaterial
über die therapeutische Ver^rendbarkeit und die Wirkung des Pan-
kreaspräparates.
Auf eine nähere Analyse der einzelnen Fälle einzugehen, würde
zu weit führen und auch der hier gestellten Aufgabe nicht entspre-
chen; sie liefern alle den Beweis von der hohen Bedeutung des
Pankreas für die Verdauung und von der Möglichkeit, mit vollem
Erfolge dieses nach eben erwähnten Gesichtspunkten dargestellte
582 XXXI. Engbsseb, Therapeutische Verwendung der Bauchspeicheldrüse.
Präparat als Ergatz fQr die mangelhaft secemirten VerdauaugssäftCi
und zwar zugleich mit Speisen per ob dargereicht, verwenden zu
können, während jenen Präparaten, bei deren Darstellung die Isoli-
rung der Fermente angestrebt und auch erreicht wurde, nur die be-
schränkte Verwendung in Klystieren zukommt, da sie durch das
Pepsin des Magens wirkungslos werden, wie sieh aus meinen damit
angestellten Versuchen ergab und auch a priori angenommen werden
konnte, nachdem schon früher die Versuche Eühne's nachgewiesen
haben, dass das isolirte Pankreasferment (das Trypsin) seine Wirk-
samkeit in der Magenverdauung einbüsse.
Eine besondere Aufmerksamkeit — und zwar in Bezug auf die
Bedeutung des Pankreas gegenüber der des Pepsins ffir die Ver-
dauung — dürfte wohl Fall XIII verdienen.
Es handelte sich hier um hochgradige Verdauungsstörungen, welche
sich einerseits in Beschwerden äusserten, die vom Magen ausgingen,
andererseits in solchen, welche im Darmtractus ihren Sitz hatten;
dabei enthielten die Stühle reichlich unverdaute Speisereste und der
allgemeine Ernährungszustand war ein sehr herabgestimmter. — Auf
den Gebrauch des Pepsins mit Salzsäure schwanden die Erscheinun-
gen seitens des Magens, ein Zeichen, dass ein wirksunes Präparat
verwendet worden war; ob dabei mehr der Pepsin, oder die Salz-
säure den Ausschlag gab, will ich hier dahingestellt sein lassen ; da-
gegen trat in den Störungen der Darmverdauung keine Besserung ein
— die subjectiven Beschwerden, die Kolikschmerzen dauerten fort,
die Stühle enthielten immer noch unverdaute Speisereste und die Er-
nährung hob sich nicht. Sobald nun aber Patient unter Weglassung
des Pepsins und der Salzsäure wieder zum Pankreas griff, kam die
ganze Verdauung wieder in geregeltere Bahnen — die unverdauten
Speisereste in den Stühlen verschwanden, die Beschwerden im Leib
Hessen nach, auch die Beschwerden seitens des Magens blieben aus,
der Emährungs- und Eräftezustand besserte sich und hielt sich wäh-
rend einer Beobachtungszeit von nahezu einem Jahre auf gleicher Höhe.
Dieser Fall, an den sich auch Fall I anreihen lässt, legt die
Frage nahe, ob man im Allgemeinen der Magenverdauung nicht ein-
seitig einen zu hohen Werth für den Stoffwechsel beilege ? Ob der-
selben nicht weit mehr eine blos vorbereitende Wirkung zukomme
und die auch an Zeit die Magenverdauung überwiegenden Proeesse
im Darmtractus unter vorherrschender Einwirkung des Pankreas den
wesentlichsten Theil in der Gesammtverdauung ausmaehten?
Frei bürg i. B., im März 1879.
xxxn,
Beiträge zur klinischen Beurtheilung von Exsudaten und
Transsudaten«
Von
Dr. Adolf Beuss,
AsaiiteoBAnt der medicinischen Klinik In Tttbingren.
Während in früheren Decennien die chemische Analyse der Ex-
sadate und Transsudate sehr gepflegt wurde, ist sie, wenigstens der
Literatur nach zu urtheilen, in den letzten Jahren mehr in den Hin-
tergrund getreten. Es ist das um so auffallenderi als ohne Zweifel
die Paracentese von Exsudaten und Transsudaten jetzt häufiger, als
früher vorgenommen wird und allmählich schon anfängt, auch ausser-
halb der Krankenhäuser und Kliniken ihren Platz in der ärztlichen
Praxis einzunehmen.
Dass bei einem solchen therapeutischen Vorgehen die Haupt-
aufmerksamkeit auf die Veränderungen des Allgemeinbefindens des
Patienten und die objectiv an ihm wahrzunehmenden Symptome ge-
richtet ist, liegt in der Natur der Sache; vielleicht aber sollte neben
den makroskopischen und mikroskopischen Eigenthttmlichkeiten der
herausgenommenen Flüssigkeit auch das chemische Verhalten der-
selben etwas mehr berücksichtigt werden, als es gewöhnlich zu ge-
schehen pflegt. Denn gewiss ist nicht nur in Bezug auf die Krank-
heitsprocesse selbst noch mancher Aufschluss davon zu erwarten;
sondern es können auch in dem speciellen Fall aus den quantita-
tiven Verhältnissen der einzelnen Stoffe Anhaltspunkte gewonnen
werden zur Beurtheilung des Ernährungszustandes des Kranken und
des wahrscheinlichen Ablaufs seiner Erkrankung.
In der vorliegenden Arbeit habe ich versucht, einige dieser An-
haltspunkte fflr die Diagnose und die Prognose, welche aus der che-
mischen Beschaffenheit der Exsudate und Transsudate und namentlich
aus deren Gehalt an Eiweiss entnommen werden können, eingehen-
der zu erörtern. Die Veranlassung dazu gab der Umstand, dass Prof.
Liebermeister, mein hochverehrter Lehrer , während meines
584 XXXII. Rbubs
Assistentenjahres an der medicinischen Klinik za Tübingen durch
mich verschiedene Eiweissbestimmungen in solchen Flüssigkeiten 0
ausfuhren liess, die dann in dem angedeuteten Sinne klinisch ver-
werthet wurden. Solche Eiweissbestimmungen habe ich dann im
Sommer 1878 in München bei dem reichen Material und in dem
prächtigen neuen klinischen Institut von Prof. v. Ziemssen fort-
gesetzt. Es sind keine vollständigen chemischen Analysen der Flfls-
sigkeiten; dazu hätte mir bei meinen sonstigen Pflichten die Zeit
gefehlt. Aber um wenigstens die hier in Frage kommenden gröberen
Differenzen zu erkennen, genflgt die Bestimmung des wichtigsten
Stoffs in dem Exsudat oder Transsudat: des Albumins. — Ausserdem
habe ich alle gut untersuchten Fälle von den vierziger Jahren an
bis jetzt, soweit ich sie in der Literatur zu finden wusste, fdr meine
Schlussfolgerungen zu verwerthen gesucht.
Bei meinen Untersuchungen habe ich das specifische Gewicht
meist mit dem Pyknometer durch Wägung bestimmt, natürlich unter
Berücksichtigung der Temperatur. Das Eiweiss habe ich meist durch
Siedhitze (und Ansäuern) ausgefällt, hie und da mit Zusatz von
Glaubersalzlösung, dann mit heissem Wasser und Aetheralkohol aus-
gewaschen. Daneben habe ich oft eine ControUbestimmung durch
Einträufeln einer bestimmten Flüssigkeitsmenge in 90 bis 95 pro-
centigen Alkohol und Abfiltriren nach 1 bis 2 Tagen ausgeführt.
M 6 h u ' s Reagens aus Garbolsäure, Eisessig und Alkohol (angegeben
in Archiv, gön. de MMec. März 1869) habe ich auch in einigen Fällen
probirt, aber wieder aufgegeben. Es bildeten sich zwar schöne, leicht
filtrirbare Flocken, aber beim Auswaschen quollen diese zu einer
dicken Gallerte auf, die theils durchs Filter ging, theils dieses so ver-
stopfte, dass ein weiteres Auswaschen unmöglich wurde. Uebrigens
scheint Möhu dieses Verfahren selbst wieder aufgegeben . zu haben;
denn in den grossen Untersuchungsreihen vom Juni 1872 und vom
Februar 1875 (Arch. gön.) bestimmt er die organischen und die un-
organischen Bestandtheile mit der Verbrennungsmethode. Ebenso
verfährt C. Schmidt bei seinen Analysen („ Charakteristik der epi-
demischen Cholera etc.), der übrigens das specifische Gewicht pykno-
metrisch, nicht wie Möhu aräometrisch bestimmt Die übrigen von
mir benutzten Eiweissbestimmungen von Hoppe-Seyler, Scherer
u. A. sind mit oder ohne Modificationen nach der Methode ausgeführt,
welche in Hoppe' s Handbuch der physiol. und pathol.-chemischen
Analyse (3. Aufl. S. 312) beschrieben ist.
1) Das specifiBche Gewicht wird in der TQbinger Klinik ohnebin schon immer
bestimmt und in der Krankengeschichte noUrt.
Zar klinischen BeurthefloBg tob Exsudaten und Transsudaten. 585
Die 80 erhaltenen Tabellen zeigen nun auf den ersten Blick
grosse Unterschiede in den Zahlen, und zwar nicht so sehr grosse
unter Flflssigkeiten aus yerschiedenen Cayitftten und Localitftten des
Körpers, als vielmehr unter solchen, welche aus derselben Höhle
stammen.
Ordnen wir diese Analysen der Grösse ihres Albumingehalts
nach, so sehen wir bei fast allen Flüssigkeiten 2 Gruppen hervor-
treten^ oft mit Uebergängen, oft mehr oder weniger scharf gesondert,
welche wir aber im Blick auf die Diagnosen als Analoga der klini-
schen Kategorien der entzündlichen und der nichtentzündlichen Flfls-
sigkeiten, der Exsudate und der Transsudate erkennen. Gon-
stante qualitative Differenzen lassen sich keineswegs auffinden, denn
auch das Fibrin, welches früher den Transsudaten abgesprochen
wurde, kann sich in diesen finden oder bilden, wenn auch meist in
geringerer Menge. Umgekehrt aber fehlt das Fibrin vollständig in
eitrigen Flüssigkeiten, sogar wenn es vorher in dem noch serösen
Exsudat vorhanden gewesen war.
Im Folgenden stelle ich diejenigen Flüssigkeiten zusammen,
welche der gleichen Localitftt des Körpers entnommen sind und be-
handle in 4 Abschnitten die Flüssigkeiten aus den verschiedenen
serösen Höhlen und aus dem Unterhautzellgewebe^ indem ich einer-
seits das Verhältniss jener beiden Gruppen zu einander, unter Be-
rücksichtigung der etwa vorkommenden Uebergangsformen bespreche,
andererseits dabei untersuche, in welchem Umfang andere Einflüsse
auf die Zusammensetzung dieser Flüssigkeiten einwirken können.
/. FlüssUjkeüen aus der Pleurahöhle.
1. Exsudate. Meine eigenen Untersuchungen erstrecken sich
auf 7 Flüssigkeiten aus der Pleurahöhle; eine davon (Eig. Unters.
Nr. 16 und 17), eine sehr stark hämorrhagische, wurde nochmals
untersucht, nachdem die rothen Blutzellen sich grösstentheils gesenkt
hatten, wobei jedoch immer noch die Flüssigkeit intensiv geröthet
sich zeigte. Eine Fibringerinnung in gröberen Flocken oder Klumpen
war darin nicht zu beobachten.
Die übrigen Exsudate waren sero- fibrinös, eines (Eig. Unters.
Nr. 3. Henne, Tab. II. a Nr. 9) serös eitrig.
Von Möhu liegen 135 Analysen vor, von anderen Chemikern 9
mehr oder weniger vollständig untersuchte Fälle.
Aus diesem zahlreichen Material nun lassen sich für die che-
mische Gharakterisirung der Exsudate folgende Schlüsse ziehen:
586
xxxn. reuss
a. Die serös-fibrinösen Exsudate in der Pleura zeichnen
sieb aus durcb einen grossen Gebalt an festen Stoffen und nament-
lich an Eiweiss. Der Gehalt derselben kann sich dem des Blut-
serums nähern, ohne jedoch ihn zu erreichen. Das Bfinimum der
Fixa sinkt nicht unter 50 pro mille, das des Albumins fast nie unter
45 pro mille. Nur in 2 Fällen unter 107 war die Menge des Ei-
weisses geringer; in dem einen handelte es sich um eine Flüssigkeit,
die bei einem 74 jährigen Mann kurz vor dem Tode durch Paracen-
tese entleert worden war; in dem andern war die Flflssigkeit der
Leiche entnommen worden, nachdem im Leben 2 Punktionen vor-
ausgegangen waren.
Im Folgenden gebe ich eine Zusammenstellung der Mittelzahlen,
sowie der Maxima und der Minima. Die vollständige Zusammen-
stellung der Fälle findet sich in den Tabellen am Ende der Arbeit
Tabelle I. Serös-fibrmöse Exsudate in der Pleura.
107 Flüssigkeiten von 82 Kranken, von welchen 3 starben.
Fixa
Organische Stoffe
Albumin . . .
ExtracÜTstoffe
Salze ....
Fibrin ....
Mittel
Maxlmom
Minlnam
i
AasAhl
der FUle
63,22
79,40
50,86
102
54,93
71,33
42,49
98
52,02
66,28
39,60
13
4,27
—
—
5
8,25
—
—
98
0,38
1,581
0,00
95
•
b. Bei den rein eitrigen Exsudaten der Pleura kommen
grössere Differenzen der Maxima und der Minima vor. Wenn wir
aber die Fälle besonders betrachten, bei welchen die Kranken ge-
nesen sind, so finden wir, dass bei diesen das Minimum nicht unter
die vorhin angegebene Grenze sinkt und dass das Mittel Aber dem
der serös-fibrinösen Exsudate bleibt.
Tabelle IIa. Eitrige Exsudate in der Pleura mit günstigem Verlauf.
8 Flüssigkeiten ?on 6 Kranken.
Mittel
Maximnm
98,63
90,43
Minimam
60,94
53,24
AoMhl
der FUle
8
»
Fixa
Organische Stoffe
Salze ....
71,98
63,92
8,06
Dagegen treffen wir viel bedeutendere Schwankungen bei den-
jenigen purulenten Pleuritiden, welche einen baldigen angttnstigen
Ausgang nahmen. Das Maximum ist viel höher, als bei den seno-
Zur klinischen Beurthellang von Exsudaten und Transsudaten. 587
fibrinösen Exsudaten, das Minimum viel niedriger; ja in einzelnen
Fällen ist ihr Gehalt so gering, dass sie in dieser Beziehung ganz
den Transsudaten gleichen.
Tabelle üb. Eitrige Exsudate in der Pleura mit ungünstigem Ausgang.
33 Flüssigkeiten von 12 Kranken.
MitUl
Maxlmmn
IflwiaMim
Annhl
d«r FKU«
Fixa
Organische Stoffe
Salze ....
70,35
61,94
8,42
95,30
87,00
36,85
26,95
33
n
n
c. Endlich ist hier noch eine Flüssigkeit anzuführen von jau-
chigem Charakter, eine Pleuritis bei Puerperalfieber, welche bei
niedrigem Eiweissgehalt eine sehr beträchtliche Menge von Extrac-
tivstoffen aufgelöst enthielt.
Der Hauptunterschied des eitrigen Exsudats vom serös-fibrinösen
beruht also auf dem Mangel an Fibrinbildung und auf der
relativ höheren durchschnittlichen Menge der organi-
schen Stoffe.
Ebenso sehen wir in den 2 Fällen, wo das Exsudat bei den
ersten Punktionen serös war, dann eitrig wurde, mit dem Eintreten
dieses Zeitpunktes die Menge der organischen Stoffe stark zunehmen.
Wir können dies vielleicht damit erklären, dass durch den stär-
keren Entzündungsreiz bei einem eitrigen Exsudat eine tiefere Be-
einträchtigung des Gewebes mit seinen Gapillaren gesetzt wird, als
durch den schwächeren Reiz, der nur zu einem serösen Exsudat führt.
In noch höherem Grad ist dies bei jauchigen Exsudaten der Fall.
Es lässt sich demnach wohl der Satz aufstellen , dass im Allgemeinen
mit der Intensität der Entzündung die Menge der organischen Stoffe
in einem Exsudat zunimmt.
2. Transsudate. Unter den von mir untersuchten Flüssig-
keiten aus der Pleurahöhle finden sich keine Transsudate. Dagegen
liegt zunächst eine Reihe von Fällen vor, die von Möhu untersucht
wurden. Leider fehlt bei diesen nicht nur fast jede Angabe über
Entwicklung und Verlauf der Erkrankung, sondern sie sind noch
deshalb besonders schwer zu klassificiren, weil M ö h u sie alle unter
der üeberschrift „Epanchements pj'ovoquh d*une gSne de la circu-
lation des gros vaisseaux öu coincidants avec elle^ zusammenge-
fasst hat. Nehmen wir einmal die Fälle heraus, bei welchen wir
die einfachsten Verhältnisse erwarten dürfen, nämlich die Herzfehler
mit ihren rein mechanischen Störungen des Kreislaufs in den Pleura-
588
XXXIT. Reuss
capillaren, bei denen erfahrangsgemftsg selten entzfindliche Processe
sich neben dem Hydrotborax entwickeln. Wenn wir die Beihe dieser
überblicken, so ergibt sich wobl die Zusammengehörigkeit dieser
Flüssigkeiten ; nirgends ist ein Sprung zu bemerken, bis aof die erste
Analyse, welche sich viel mehr den Exsudaten anzuschliessen scheint
(Tab. III b, Nr. 1) ^); dafür spricht auch die grosse Differenz mit der
zweiten Function desselben Patienten (Tab. III a, Nr. 12), eine Dif-
ferenz, für welche ich eine einfache Erklärung nicht zu geben wüsste,
wenn ich jene Flüssigkeit für ein reines Transsudat zu halten ge-
nöthigt w&re. Femer glaube ich den Fall von C. Schmidt') (Tab.
III a, Nr. 5 und 11) mit zwei Analysen hierher rechnen zu dürfen,
welcher von ihm als Wassersucht mit Albuminurie bezeichnet wird.
Dagegen darf man die Wasseransammlungen bei Morbus Brighti nur
vorsichtig hinzuzählen, weil sie bei dieser Krankheit oft als Folgen
leicht entzündlicher Processe auftreten. Diess ist, wie es scheint,
gerade bei Hoppe's Analyse (Tab. III b, Nr. 7) der Fall, während
die zwei Analysen von Fr er ich s' 3) (Tab. III a, Nr. 13 u. 14) sich
ganz wie die reinen Stauungstranssudate verhalten. Wie viel solche
leichte Grade von Entzündung ausmachen können, davon werden wir
unten bei Ascites und Hydrocephalus weitere Beispiele finden.
Endlich dürfen wir wohl unbedenklich den Fall Tab. III a, Nr. 2
hinzunehmen, weil es sich dabei um einen doppelseitigen Er-
guss bei einem „Leber- oder Nierentumor'' handelt
Tabelle ma. Reine Transsudate in der Pleura.
28 Flüssigkeiten von 15 Kranken.
Mittel
MazlmDm
Minlmnm
Ansahl
der FSUa
Fixa
Organische Stoffe
Sause ....
Fibrin ....
30,87
22,51
8,39
0,19
41,30
32,30
0,469
15,40
6,80
0,00
28
st
1) Alle diese Zahlen beziehen sich auf die Tabellen am Ende der Arbeit, m
welchen die Analysen der Qrösse ihres Albumingehalts nach geordnet erscheinen;
die eigenen Untersuchungen und die aus der Tübinger Klinik stammenden and
mit ihren Krankengeschichten noch besonders zusammengestellt und werden so
doppelt citirt.
2) Ob dieser Fall als Herzleiden oder als Morbus Brighti anzusehen ist, VksA
sich allerdings aus der Krankengeschichte nicht sicher entnehmen, da zwar Albu-
minurie vorhanden war, aber weder über deren Grad, noch von einer Verftnderang
der Nieren etwas angegeben ist, was C. Schmidt sonst Yorkommenden Falles nie
uuterlftsst
3) Die Bright'sche Kierenkrankheit. S. 81.
Zur klinischen Beurtheilong von Exsudaten and Transsudaten. 589
Im Vergleich mit den exsudativen pleuritischen Flüssigkeiten ist
also der Gebalt der Transsudate an festen, resp. an organischen
Stoffen um mehr als die Hälfte schwächer, während der an Salzen
keine wesentlichen Differenzen zeigt. Die Minima der Transsudate
sind im Verhältniss zum Mittel viel niedriger als bei den Exsudaten.
Diess erklärt sich daraus, dass die Exsudate, welche oben zusammen-
gestellt sind, in erster Linie bei vorher gesunden Leuten auftraten,
bei denen meist wieder Genesung eintrat; diese Flüssigkeiten da-
gegen bei wiederholten Functionen meist in Bezug auf die chemische
Znsammensetzung niedrigere Zahlen ergeben, bis die Patienten end-
lich dem Tod anheimfallen. Mit anderen Worten, es ist die Blutbe-
schaffenheit, von welcher die Zusammensetzung der Trans-
sudate in hohem Maasse abhängt, während ihr fiinfluss
auf die Exsudate durch den localen Entzttndungsprocess
stark modificirt wird. Diesen Satz hat C. Schmidt zuerst mit
vergleichenden Blut- und Transsudatanalysen bewiesen, Lehmann^)
sodann zuerst in dieser Form ausgesprochen.
Umgekehrt erlaubt dann auch der Gehalt an organischen
Stoffen unter den oben erwähnten und noch zu erwähnenden Be-
dingungen einen Schluss auf die Blutbeschaffenheit des Pa-
tienten.
Darin liegt die wissenschaftliche Begründung der folgenden Sätze
M 6 h u ' s , welche derselbe zunächst nur aus seinen Analysen abstrahirt.
„Je mehr Fixa, desto günstiger die Prognose.**
„ Ist ihre Menge unter dem Mittel, so ist grosse Wahrscheinlich-
lichkeit für die Wiederansammlung des Exsudates, namentlich wenn
die Fibrinmenge dabei gering ist.**
„Wenn es der Heilung zugeht, steigt die Menge der Fixa und
des Fibrins (durch Wasserresorption?); ein rasches Sinken dagegen
deutet auf baldigen Tod.**
Besonders aber sinkt die Menge der organischen Stoffe ent-
sprechend der Abnahme des Gehalts des Blutes an Albumin, wenn
zugleich Albuminurie vorhanden ist (C. Schmidt 1. c. S. 146 Satz 7;
siehe den Fall Tab. III a Nr. 28 von M £ h u), und daher vor allem
glaube ich mich zu der Annahme berechtigt, dass der Fall von Hoppe
(Tab. III b, Nr. 7) nicht blos durch Transsudation, sondern auch durch
einen complicirenden entzündlichen Process sich gebildet hat. Denn
diese zwei Processe können leicht zusammen vorkommen, meist so,
dass zu einem lange bestehenden Transsudat eine Entzündung hin-
1) Handbuch der physiologischen Chemie. H. S. 311.
590 XXSJI. REU8S
zutritt, unter Umständen aber auch umgekehrt Eine weitere Mög-
lichkeit zur Erklärung des obigen Falls, sowie des Falls von M6ha
(Insuffic. Aortae Tab. III b, Nr. 1) könnte man in dem Satz von F.
Hoppe ^) suchen, dass alle Transsudate von ihrem Beginn an stets
an Concentration ihres Albumins zunehmen, natürlich wenn die son-
stigen Bedingungen die gleichen bleiben, und dass somit in diesem
Falle die Zeit bis zur zweiten Function noch zu kurz war, um die
gleiche Concentration zu erhalten.
Dagegen dürfen wir die Gültigkeit des Satzes von der Abhängig-
keit aller Flüssigkeiten von der Blutbeschaffenheit wohl etwas weiter
ausdehnen ; so erlangen wir ein Verständniss für die Exsudate, welche
bei schon vorher kranken Individuen auftreten, also bei Leuten von
anomaler* Blutbeschaffenheit. Schon oben haben wir ein Beispiel
davon gehabt bei Morbus Brighti. Aber hierher gehören auch die
Fälle von Pleuraergüssen bei Krebs. Die herkömmliche Meinung,
welche auch inZiemssen's Handbuch vertreten ist (Band IV. 2.H.
S. 565), rechnet diese einfach zu den hydropischen Flüssigkeiten.
Niemeyer bezeichnet sie als in der Mitte zwischen entzündlichen
und hydropischen Ergüssen stehend, wegen des Fibrins später Ge-
rinnung. Leider konnte ich in der Literatur keinen Fall auffinden,
in dem die Analyse einer solchen Flüssigkeit gemacht wurde. Aber
bei einer derartigen Allgemeinerkrankung wird wohl auch ein ent-
zündlicher Erguss eine Fixa-Menge darbieten, welche unter der
Grenze derer liegt, welche bei primärer Pleuritis auftreten, wenn
auch noch über dem, was ein hydropischer Erguss bei kachektischen
Individuen darbieten wird.
^So ist auch bei jener Anzahl von Fällen, welche im Nachtrag
der Tab. in nach M6hu (2) Februar 1875) zusammengestellt sind,
das Gemeinsame nicht sowohl das, dass sie „comcidanis avecune
gine de la circulation'' sind, sondern dass es leichte Pleuritiden siod
bei geschwächten d. h. hydrämischen Individuen. Dafür spricht u. a.
auch die niedrige Fibrinmenge, während die Fixa- und Albumin-
Mengen für kachektischen Hydrops (kurz vor dem Tod) viel zu hoch
sind. Von einem durch blosse Stauung entstandenen Hydrothorax
kann man jedenfalls bei den Krankheiten nicht reden, welche zwar
Stauung in den Peritoneal-Capillaren und in denen der Unterextremi-
täten, aber doch nicht in den Pleura- Capi Haren bewirken: wie Ovarien-
cyste, Lebercirrhose u. dgl.
Fassen wir nun einmal zusammen, was wir bei dieser Klasse
1) Virchow's Archiv. Bd. IX. S. 245.
Zar klinischen Benrtheilang von Exsudaten und Transsadaten. 591
Yon Flüssigkeiten in Bezug auf den Unterschied yon Exsudaten und
Transsudaten gefunden haben, so können wir diese Sätze aufstellen :
Finden wir bei einer aus der Pleurahöhle stammenden Flüssig-
keit einen Gehalt an festen Stoffen, welcher 50%o über-
steigt, oder einen Eiweissgehalt über 40 bis 45<^;oo, so ist
diese Flüssigkeit das Product eines entzündliehen Processes.
Bleibt der Gehalt an organischen Stoffen unter 30%o
(an Eiweiss ungefähr unter 25^/00, an festen Bestandtheilen unter 38
bis 40^M, so ist die Flüssigkeit ebenso sicher ein Transsudat
Für die Fälle, welche zwischen diesen Grenzen liegen, giebt es
mehrere Möglichkeiten : entweder es handelt sich um leichte Pleuritis
bei hydrämischen Individuen, oder um Transsudate bei Kranken in
besonders guten Ernährungsverhältnissen , oder endlich es ist ein
Transsudationsprocess mit einem entzündlichen Process complicirt.
Welche dieser Möglichkeiten im gegebenen Einzelfalle anzunehmen
ist, wird sich meist aus den übrigen Verhältnissen des Falles er-
scbliessen lassen.
Anhang. Flüssigkeiten aus dem Fericardium.
Von solchen Hessen sich nur 7 Analysen in der Literatur auf-
finden, worunter ein normales Secret aus der Leiche eines Hinge-
richteten; dies hat den niedrigsten Gehalt an Eiweiss.
Von den Uebrigen sind fünf reiue Transsudate; beim ersten
könnte es dem hohen Fixa-Gehalt nach zweifelhaft sein, ob auch hier
nicht ein leichter Grad von Entzündung mit hereinspielte; das Albu-
min aber ist nicht bedeutend vermehrt.
Tabelle IV. Pericardiaiflüssigkeiten (7).
Mittel
Mazimnin
Minlmnm
Antahl
der Fälle
Fixa
Albumin . . .
Orffaniflche Stoffe
Salze ....
35,04
18,33
26,03
7,72
44,87
24,68
37,37
23,45
10,03
9,72 (norm. Secr.)
4 ,
5
2
2
//. Flüssigkeiten aus der Bauchhöhle,
1. Exsudate. Bei dieser Klasse von Flüssigkeiten treten die
Unterschiede zwischen Exsudaten und Transsudaten bei Betrachtung
der Tabelle auf den ersten Blick nicht hervor, sondern sie scheinen
ganz gleichmässig an Gehalt zuzunehmen und ineinander überzugehen.
Den Grund davon verstehen wir sofort, wenn wir nur einmal die
Diagnose überschauen:
592
XXXII. Rbuss
Im Peritoneum ist es eine häufige Erscheinung, dass zu einem
Ascites Entzttndungserscheinungen leichteren Orades hinzutreten, nicht
sowohl bei dem Hydrops bei Herzfehlem, als bei dem, der durch
Lebercirrhose bedingt ist, worauf bereits Frerichs in der „Klinik
der Leberkrankheiten" aufmerksam macht. Es wäre ja zu merk-
würdig, wenn diese „ interstitielle Hepatitis'' sich immer nur im In-
nern des Organs vollziehen und nie die Serosa in Mitleidenschaft
ziehen wQrde; hat sie diese aber einmal erreicht, so steht einer
Weiterverbreitung im Bauchfell nichts mehr im Wege.
Bei den Diagnosen muss man ferner auch noch im Auge be-
halten, dass das, was wir jetzt als idiopathische chronische Entzün-
dung des Peritoneums ansehen, früher durchweg unter dem Kamen
Hydrops (essentialis etc.) lief, was wohl ziemlich wahrscheinlich bei
der Analyse von J. Vogel (Tab. V, No. 9, citirt bei v. Oorup-
Besanez) der Fall ist.
Somit bekommen wir, eingerechnet sieben eigene Untersuchun-
gen, 21 Exsudate aus der Bauchhöhle, sodann noch 6 jauchige aus
einer Puerperalfieber-Epidemie, welche Seh er er untersucht hat
Ihr Maximum an festen Stoffen haben sie in einem etwas zweifel-
haften^) Fall (Tab. V, No. 4), der von Buignet untersucht wurde:
milchige Flüssigkeit bei Tuberkulose des Peritoneums.
Als durchschnittliche untere Grenze wird man wohl einen Fixa-
Gehalt von 30 bis 35^/oo, entsprechend einem Eiweissgehalt von 20
bis 2b^loo annehmen dürfen. Zwei Flüssigkeiten nur reichen unter
diese herab, beide von Scherer untersucht, die eine (Tab. V, No. 20)
bei »scirrhöser Entartung der Abdominalorgane, ohne entzündliche
Beschaffenheit des Peritoneums *", aber mit einem dicken grauen Bo-
densatz von Eiterzellen; die andere (Tab. V, No. 21) eine Peritonitis
puerperalis, aber nicht jauchig wie die andern (ohne Sediment).
Tabelle V. JSieht jauchige Exsudate in der Bauchhöhle.
21 Flttssigkeiten von 18 Patienten.
Fixa
Organische Stoffe
Eiweiss ....
ExtractiYBtoffe .
Salze ....
Mittel
50,38
43,13
37,95
6,72
8,19
Maxlmnin
MlDimDni
77,50
71,50
55,80
33,90
26,19
18,72
▲nxabl
d«r FUle
13
10
20
8
9'
1) Wenigstens die Salzmenge dieser Analyse ist gewiss falsch. In Canstatt^s
Jahresberichten 1859 citirt aus dem Moniteur des h6pitaax.
Zar klinischen Beartheilang von Ezsadaten und Transsadaten. 593
Bei den jauchigen Peritoneal-Exsudaten tritt ebenso, wie bei
dem obenerwähnten derartigen Fall in der Brusthöhle, besonders die
bedeutende Menge der übrigen organischen Stoffe im Verhältniss zum
Biweiss schroff hervor.
Tabelle VI. Peritoneale Exsudate bei Puerperalfieber (6 Patienten).
Mittel
Maxlmnm
Xlalmiim
Annhl
d«r nu«
Fixa
Organische Stoffe
Albomin . . .
£xtractiY8toffe
Salze ....
88,19
79,68
48,72
36,01
9,02
97,30
89,56
50,63
75,89
66,01
47,14
6
6
4
4
6
Auch hier zeigt sich also eine Bestätigung der Tbatsache, dass
mit der Intensität einer Entzündung die Menge der
organischen Stoffe in dem Exsudat steigt, wie wir sie oben
bei den purulenten pleuritischen Exsudaten zuerst aufgestellt haben.
Hier ist aber die Stärke des Entzündungsreizes so bedeutend, dass
das Eiweiss sogleich zerfällt, d. h. indirect, indem die Eiterzellen
zerstört werden, und daher kommt dann die grosse Masse und ab*
norme Qualität der Extractivstoffe.
Umgekehrt finden wir, wie schon bemerkt, in der Bauchhöhle
auch jene leichtesten Grade der Entzündung, die anatomisch kaum
nachweisbar sind, ihre Gegenwart aber in der chemischen Zusammen-
setzung der Flüssigkeit, nämlich durch Steigen des Eiweissgehalts in
dem früheren reinen Transsudate beweisen.
2. Transsudate. Wenden wir uns nun den nieht entzünd-
lichen Flüssigkeiten zu, so beträgt die Zahl der Fälle, inclusive zwei
eigene Analysen, 32. Es sind dies Flüssigkeiten von sehr verschie-
denem Gehalt an Eiweiss und damit auch an festen Stoffen; ihr
Maximum reicht ziemlich an die untere Grenze der Exsudate dieser
Klasse heran; ihr Mittel und Minimum liegt viel tiefer als bei den
Pleuratranssudaten. Nur eine Flüssigkeit übertrifft im Eiweissge-
halt die unterste der vorigen Klasse, ohne dass sonst ein genügen-
der Anhalt vorhanden wäre, sie zu den entzündlichen Exsudaten zu
rechnen, (s. Tabelle VII auf der folgenden Seite.)
Man könnte nnn denken, dass vielleicht die einzelnen Krank-
heiten, die den Ascites hervorgerufen haben, eine Verschiedenheit in
dem Gehalt der Flüssigkeiten bedingen; aber schon beim Ueber-
blicken der Tabelle VII (am Ende der Arbeit), in welcher die Ana-
Dratdchet ArehU t klln. Medldn. XXIV. Bd. 38
594
XXXII. Reuss
Tabelle VII. Transsudate m der Bauehhöhle.
32 Flüssigkeiten von 26 Patienten.
Mittel
Maximnm
32,32
22,38
19,29
Minimum
Annhl
der FlUe
Fixa
Organische Stoffe
Albumin . . .
Extractivstoffe .
Salze ....
2t,6l
12,15
11,14
3,42
8,28
11,70
3,70
2,10
26
18
26
12
18
lysen nach ihrem Gehalt an Ei weiss geordnet sind, sieht man die
Diagnosen bunt durcheinander vertheilt auftreten, und auch die Durch-
schnitts-Werthe der Albuminmengen sprechen nicht für eine solche
Vermuthung: der mittlere Albumingehalt beträgt bei 12 F&Uen von
Lebercirrhose 11,86 pro mille, bei 8 Fällen von Morbus Brightii 10,36
pro mille — also eine kaum nennenswerthe Differenz.
Dagegen sehen wir je innerhalb der Rahmen fttr die Exsudate
und fttr die Transsudate ebenfalls jene Momente in Wirksamkeit
treten I welche wir schon bei den Flttssigkeiten der Pleurahöhle als
Modificationen bewirkend genannt haben. Wie dort, so hat wohl
auch hier den Haupteinrfluss auf den Gehalt gewiss die Blut-
beschaffenheit. Die Tabelle der Diagnosen scheint dem zu wider-
sprechen, denn abgesehen von dem Morbus Brightii, der wegen seiner
Neigung zu leichten Entzündungen ganz eigenartige Verhältnisse dar-
bietet, ist die Diagnose „Hydrämie^ ebensowohl im Anfang, als am
Ende der Tabelle zu treffen. Aber nicht blos bei den Exsudaten
des Peritoneums, sondern auch bei den Transsudaten sehen wir die
Regel zutreffen, dass bei hohem Eiweissgehalt die Prognose viel
günstiger ist, resp. es der' Heilung zugeht, dagegen ein Sinken dieser
Zahl gegen den Tod hin stattfindet. Besonders charakteristisch ist
fttr dies Letztere der Fall (eig. Unters. Nr. 5—7, Tab. V, Nr. 5, 6 und
13) Ol bei welchem 3 Punktionen gemacht wurden und unter den
Transsudaten der Fall von Hoppe (1) (Tab. VII, Nr. 1, 6, 8 und 13),
den dieser freilich anders erklären will ; fttr das Erste die hohe Ei-
weissmenge bei der später geheilten chronischen Peritonitis (Tflb.
Klinik, Nr. 1 ; Tab. V, Nr. 2) u. a. mehr. Auch hier scheint demnach,
wenn man aus so wenigen Analysen einen Schluss ziehen darf, die
kritische Grenze um 50 pro mille Eiweiss zu liegen, unter diesem Mittel
haben die nicht eitrigen und nicht jauchigen Exsudate eine ziemlieh
schlechtere Prognose, als darttber, wo eher noch auf Heilung zu
1) Siehe die Anmerkung 1 auf S. 588.
Zar Ulnischen Benrtheilang von Exsudaten und Transsudaten. 595
hoffen ist (rergl. S. 589). SeibBtrerständlich sind die jauchigen
FlQssigkeiten ganz auszuschliessen von diesen Vergleichangen.
Die obere Grenze der Transsudate können wir in der
Peritonealhöhle ziemlich bestimmt auf 15 bis 20 pro mille Eiweiss
s» 30 pro mille Fixa verlegen. Es kann sein, dass sie durch spätere
weitere Untersuchungen noch mehr auf 15 pro mille fixirt wird; bis
jetzt aberschreiten nur 4 Flttssigkeiten diesen Eiweissgehalt (»» i/s
der Fälle). Jedenfalls haben wir auch hier keinen Fall gefunden,
bei welchem der Eiweissgehalt höher als 21 pro mille gewesen wäre,
und welcher trotzdem für ein reines Transsudat hätte erklärt werden
müssen«
IIL Flüssigkeiten aus der Haut (und dem Unterhautzellgewebe).
Bei dieser Klasse von Flüssigkeiten tritt der Fall ein, dass reine
Oedeme der Haut allein nicht vorkommen, ohne zugleich auch das
Snbcutanzellgewebe mit zu umfassen, dass dagegen von entzündlichen
FlQssigkeits - Ansammlungen in der Haut sammt dem Unterhautzell-
gewebe keine Punktionen mit Analysen vorliegen. Aber auch von
echten Anasarka-Flüssigkeiten sind selten in der Literatur Analysen
zu finden, so häufig das Anasarka ist. Bisher hatte man keine be^
quemen Methoden, die Flüssigkeit vom Lebenden rein aufzufangen
und musste zudem fürchten, mit den Schnitten oder grossen Stichen
Gangrän hervorzurufen. In neuerer Zeit ist das anders geworden,
seitdem Prof. v. Z i e m s s e n die neuen „ Gapillar-Troicarts ^ von Southey
eingeführt hat.
Dies sind kleine, 2 bis 3 Gm. lange Röhrchen, welche mit einem
Stilet von der Dicke einer feinen Nadel in die Haut eingeführt wer-
den; nachdem nun das Stilet zurückgezogen ist, wird über den am
hinteren Ende der Röhrchen befindlichen Knopf ein Eautschuk-
schlauch von der gleichen minimalen Dicke geschoben, der in das
Gefäss zum Auffangen der Flüssigkeit führt, und so bleiben diese
Troicarts ein bis zwei Tage liegen, ohne dass die Patienten irgend
Schmerz davon empfinden — gewöhnlich schlafen sie dabei ganz
gut — und werden erst entfernt, wenn nichts mehr abtropft. Das
vorher gespannt geschwollene Bein ist in seinen Dimensionen ver-
ringert, die Haut darüber ist gefaltet und die von deren Spannung
herrührenden quälenden Schmerzen haben ganz aufgehört. Die klei-
nen Wunden schliessen sich rasch — natürlich waren die Troicarts
vorher gut desinficirt worden — , wenn sie nicht durch eine neue
rasche Anschwellung des Beines wieder aufbrechen, ehe eine feste
38*
596
XXXII. RBU8B
Narbenbildung eintreten konnte. Gangrän wurde nie beobachtet,
ebensowenig Abscesse oder erysipelatöse Infiltrationen in der Um*
gebung der Stichstellen.
Vielleicht kann man diese Methode auch zur Gewinnung von
sogenannten entzündlichen Oedemen gebrauchen ^ nur müssen dann
die Troicarts dicker genommen werden , weil diese Exsudate, ganz
abgesehen von etwaigen Fibrinflocken, schon wegen ihrer grösseren
Dichtigkeit diese dflnnen Böhrchen nicht passiren würden. Dazu
fehlt auch die Vis a tergo, die eminente Spannung der Haut bei
hochgradigem Anasarka.
1. Exsudate. Solange solche Analysen uns fehlen, mttssen
wir, um entzündliche Flüssigkeiten aus diesem System von Capillaren
zu bekommen, uns an die Blasenbildungen der Haut halten, welche
theils auf innere Beize als Pemphigus, theils auf äussere Beize hin
als Vesicator- oder als Brand-Blasen entstehen. Natürlich darf man
nur den Inhalt ganz frischer Blasen verwenden, weil sofort die Wasser-
verdunstung durch die Epidermisdecke beginnt : das beste Kriterium
für den Stand der Verdunstung haben wir wohl am Salzgehalte der
Flüssigkeit.
So bekam ich von Exsudaten der Haut 8 Analysen zusammen;
eines davon ist von G. Schmidt als eingetrocknet bezeichnet und
dies bewiesen durch eine Analyse des Blutserums des betreffenden
Patienten. Von den andern ist eine bedeutende Eintrocknung dem
Salzgehalt nach nicht wahrscheinlich.
Tabelle Vni.
7 Flflsdgkeiien Ton verschiedenen Kranken.
Mittel
Maxlmam
MInimam
Antahl
der FlUe
Fixa
Organische Stoffe
Albumin . . .
ExtractivBtoffe .
Salze ....
72,87
67,23
49,89
6,34
8,54
99,16
91,15
61,85
60,00
51,90
44,70
7
5
4
2
5
Zwei F&Ue (Nr. 5 und 7 der Tabelle VIII am Ende der Arbeit)
sind Pemphigusblasen , also serös -eitrigen Inhalts; hier hätte man
vielleicht erwartet, höhere Eiweissmengen zu erhalten^ als Analogie
der purulenten Pleuritis im Gegensatz zur serösen. Dabei ist aber
zu bedenken, dass diese Patienten Kinder waren, bei denen wohl
die Krankheit selbst nicht ohne Einfluss auf den Emährungszostand
gewesen war.
Zar klinlBchen Beurthefliing Yon Exsudaten und Transsudaten. 597
2. Transsudate. Meine eigenen 11 Analysen eingerechnet,
haben wir 17 Fälle von Transsudaten aus dem Unterhautzellgewebe :
die von Anderen untersuchten meistens, wo nicht sämmtlich, aus der
Leiche entnommen; die meinigen alle auf dem oben beschriebenen
Weg. Ihre Eiweissmengen bewegen sich zwischen 1 2 pro mille und
0,43 pro mille (eigene Untersuchung Nr. 12). Diese letzte ist jeden-
falls zu niedrig, weil beim Eindampfen der Flflssigkeit eine leichte
Bräunung eintrat; die niedrige Menge der drei nächsten (unter 1 pro
mille, eigene Untersuchungen Nr. 19, 20 und 21) erklärt sich aus
der gleichzeitig bestehenden hochgradigen Albuminurie (Aber 2 Proc.) ;
doch ist auch bei so niedrigem Eiweissgehalt die Schwierigkeit der
vollständigen Ausfällung relativ grösser als bei hohem.
Tabelle IX.
17 Flüssigkeiten von 12 Patienten.
Mittel
lff*»lftmiT>
Hlnlmnm
ADg«M
der FEUe
Fixa
OnaniRche Stoffe
Albumin . . .
Extractivstoffe .
Salze ....
17,99
8,52
5,79
5,05
8,51
22,39
14,90
12,00
(11,30)
3.60
0,43
6
5
15
3
5
Ich möchte auch hier noch auf das hinweisen, wie der Eiweiss-
gehalt ganz parallel mit der Ernährung schwankt : so finden wir bei
dem Kranken Enorr (eigene Untersuchungen No. 14 und 15, Tab. IX,
No. 5 und 10) kurz vor dem Tode ein Sinken von 7,6 auf 4,9 pro
millet umgekehrt bei der Kranken Sterr (eigene Unters. Nr. 22 — 23,
Tab. IX, Nr. 9 und 3) ein Steigen von b,2 auf 11,5 pro mille und
bei Fall 25 — 26 der eigenen Untersuchungen von 6,5 auf 12,0 pro
mille, das letztere allerdings nur optisch mit dem Polarisationsapparat
bestimmt, wo die Fehler grösser sind, als bei anderen Methoden.
Beide sind noch die letzten Reste eines alten Oedems, das theils
herausgenommen, theils resorbirt worden war.
IV, Flüssigkeiten aus dem Centralnervensystem und seinen Hüllen.
Von solchen Flüssigkeiten kommen 27 Analysen in Betracht;
C. Schmidt hat ausserdem eine Analyse aus einer Choleraleiche
ausgeftthrt; eigene Untersuchungen habe ich darfiber nicht gemacht.
Von reinen Exsudaten in den Hirn- und RUckenmarkshftuten
sind bis jetzt keine Untersuchungen vorhanden, und von Transsu-
daten, welche durch Entzttndungsprocesse verändert wurden, ist nur
598 XXXIL Rbuss
ein unzweifelhafter Fall in der Literatur vorhanden: Hopp e-Sey 1er
hatte bei einem Hydrocephalus congenitus mit dem Polarisations-
apparat einen Eiweissgehalt von ea. 1 pro mille gefunden. Die zweite
Punctionsfittssigkeit desselben Rindes ergab nun einen Gehalt von
11,79 pro mille Albumin (siehe Tab. X a, Nr. 1), und nach dem bald
darauf unter meningitischen Erscheinungen erfolgten Tode zeigte die
Section eiterartige Gerinnsel und Flocken in der Schädelhöhle.
Femer darfen wir wohl die Mitwirkung eines entzttndlichen Pro-
cesses bei den Analysen Tab. X a, Nr. 2 und 3 wegen ihres beträcht-
lichen Gehalts an organischen Stoffen annehmen: die eine stammt
von einem Hydrocephalus extemus congenitusi der durch eine schwere
Zangengeburt entwickelt und ihr erlegen war ; die andere ist Gehirn-
ödem bei Nephritis, ein Process, der nach Prof. Liebermeister
in manchen Fällen nicht zu den mechanischen oder kachektischen
Wassersuchten, sondern zu den subinflammatorischen zu rechnen ist.
Die Flüssigkeit Tab. X b , Nr. 1 , welche sich diesen im Gehalt aH
organischen Stoffen zu nähern scheint, steht ihnen im Gehalt an Ei-
weiss weit nach : denn nach C. Schmidt „ wird sie durch Salpeter-
säure und Siedhitze nur schwach getrübt'', während jene bei den
gleichen Reagentien ein deutliches flockiges Eiweissgerinnsel bilden.
Endlich darf uns auch das nicht irre machen, dass unter den Trans-
sudaten 2 Fälle (Tab. Xb, Nr. 2 und 10) von „plötzlicher Him-
capillartranssudation ", wie G. Schmidt sie nennt, aufgezählt sind:
denn wie unklar der ganze Abschnitt von den Ursachen acuter Er-
güsse in der Schädelhöhle gegenwärtig noch ist, das sieht man
am besten in der Einleitung zu der „ Leptomeningitis infantum" in
Y. Ziemssen's Handbuch XL Bd. 1. Hälfte S. 424, wo entzündliche
und nicht entzündliche Flüssigkeitsergüsse durch einander aufgezählt
werden. Möglich, dass die chemische Analyse hier später auch mehr
Klarheit schafft.
Aber selbstverständlich geben diese 3 Analysen absolut kein Bild
von den Exsudaten in der Schädelhöhle; es sind ja nur Transsu-
date, die mit leichtem Entzündungsprocess complicirt waren. Um
irgend eine Vergleichung mit Flüssigkeiten aus anderen Höhlen an-
stellen zu können, müssen wir also erst Analysen von Exsudaten
bei echter Meningitis machen.
Nach Abzug dieser bleiben von reinen Transsudaten 24,
von denen die meisten von Hydrocephalus congenitus und von Spina
bifida stammen.
Ihr Maximum im Eiweissgehalt liegt ungefähr zwischen 5 und
6 pro mille entsprechend einem Fixa-Gehalt von 15 bis 17 pro millei
Zar klinischen Beurtheilong von Exsudaten und Transsudaten. 599
ihr Minimam gebt unter 0,5 pro miile beranter, ja 9 Fälle baben
weniger als 1 pro mille Eiweiss.
Tabelle X.
24 Flüssigkeiten von 18 Patienten.
Mittal
MAxlraam
Mlnloraoi
Anzahl
der FiUla
Fixa
Orffanische Stoffe
Albumin . . .
FiXtracUYStoffe .
Salze ....
11,90
3,47
1,44
1,97
8,40
16,46
7,98
5,64
9,80
1,41
0,25
20
19
17
13
19
Aas diesem ersiebt mau, dass man bier ans den organiscben
Stoffen gar nicht auf die Eiweissmengen scbliessen darf: die Menge
der Extractivstoffe ist 1—3 mal so gross, als die Eiweissmenge.
Was den Umstand betrifft, ob die Flüssigkeit aus den Hirn-
bauten oder Himböblen oder von einer Spina bifida stammt, so sind
diese so bunt durcbeinander gestreut, dass man wohl siebt, dass
dies keinen Unterschied in dem Gebalt der Flfissigkeit bewirkt
Im Gegensatz zu dem, was bei andern Klassen der Transsudate
gefunden wurde, sehen wir bier bei mehrfachen Functionen
meist ein geringes Steigen des Eiweissgebaltes. Dies bat
wohl darin seinen Grund, dass beim Hydrocepbalus eine Function
nicht so indifferent ist, wie bei den andern serösen Höblen, sondern
eine, wenn auch geringe Reizung setzt, aucb ohne eigentliche Ent-
zündung hervorzurufen.
Eine Beziebung des Gebalts dieser Flüssigkeit zu der Blut-
beschaffenbeit ist bisher nicht zu constatiren.
Resultate.
Fassen wir nun einmal die Maxima, Minima und Mittel der in Ab-
schnitt I — lY besprochenen Untersuchungen in einer Tabelle (Nr. XI)
zusammen, so seben wir
1. bei den Transsudaten aucb bei diesen grossen Zablen
den Schmidt'scben Satz bestätigt, dass die verschiedenen Capillar-
gruppen Flüssigkeiten von verschiedener Zusammensetzung liefern
und dass sich im Eiweissgehalt Pleura, Peritoneum, Un-
terbautzellgewebe und Hirncapillaren in absteigender
Ordnung folgen^).
1) Aufgestellt yon G. Schmidt in Liebig*s Annalen. Band 66. S. 352, und
«Charakt. der epidemischen Cholera''. S. 146, hier mit der Modification, dass die
Hirncapillaren vor dem Unterhautzellgewebe stehen.
600 XXXTL REU88
2. Ob aber dieser Satz aueh für die reinen Exsudate Gekong
Labe, ist sehr fraglich; eine Entscheidung können wir jetzt noch
nicht darüber treffeui weil unser Material noch zu ungleichartig ist
Ich vennuthe, sie wird negativ ausfallen. Wenigstens scheint mir
bis jetzt Alles dafür zu sprechen, dass eine jede idiopathische
Entzündung an allen Localitftten des Körpers bei glei-
cher Intensität ein im Eiweissgehalt annähernd glei-
ches Exsudat liefert. (Siehe die Tabelle bei Satz 7.)
3. Femer dürfen wir für die Exsudate mit grosser Wahrschein-
lichkeit den Satz aufbtelleni dass der Eiweissgehalt mit dem
Grad der Entzündung steige: eitrige Exsudate haben einen
höheren Gehalt, als seröse, und jauchige einen höheren, wenigstens
an organischen Stoffen, als eitrige.
4. Nun treffen wir aber am unteren Ende der fieihen von ent-
zündlichen Flüssigkeiten solche mit weniger Eiweissgehalt, als die von
primären Entzündungen stammenden Exsudate: dies sind entweder
Transsudate, zu denen ein Entzündungsprocess hinzu
kam, oder aber Exsudate bei hydrämischen Individuen.
5. Denn in zweiter Linie hat auf die Zusammensetzung der Ex-
sudate so gut, wie auf die der Transsudate die Blutbeschaffen-
heit Einfluss (ferner die Dauer der Transsudation und die Geschwin-
digkeit des Blutstroms, welche Momente ich in dieser Arbeit nicht
genauer verfolgt habe).
6. Oft ist es schwer zu unterscheiden, ob eine Flüssigkeit ent-
zündlicher oder nichtentzündlicher Natur sei, weil sie eben beides
zugleich sein kann, und daher ist es unmöglich, eine allgemein gültige
Grenze zwischen Exsudaten und Transsudaten in Zahlen anzugeben.
7. Wohl aber glaubte ich bei den einzelnen Klassen von Flüssig-
keiten aus meinen Zusammenstellungen je zwei Zahlen als Durch-
schnittsgrenzen aufstellen zu können, gleichsam als ideales Mini-
mum für die reinen Exsudate und als ideales Maximum
für die reinen Transsudate der verschiedenen Capillarsysteme.
Gewöhnlich beträgt der Eiweissgehalt:
bei Exsudaten bei Transradaten
mehr als weniger als
in der Pleura 40 25
im Peritoneum .... 40 (45) 15 (—20)
in der Haut 40 10 (—15)
in den Hirnhäuten . . . ? 5( — 10)
8. Endlich ergibt sich aus obigen Erörterungen, dass die che-
mische Untersuchung der durch Paracentese entleerten Flüssigkeiten
Zar klinischen Beurtheilimg von Exsudaten und Transsudaten. 601
nicht blofl fttr die Diagnose des Torhandenen ErsnkbeitsproeesaeB
Yon grosser Bedeutung ist, sondern unter Umständen auch fdr die
Prognose: Letzteres ist namentlich bei mehrfachen Functionen des-
selben Kranken der Fall und es Iftsst sich dabei die Regel aufstellen,
dass bei gleichbleibender Intensität des Erankheitsprocesses die Pro-
gnose sich dem Eiweissgebalt entsprechend verhält: sie wird gttn-
stiger, wenn dieser steigt, schlechter, wenn dieser fällt.
Literatur.
Mähu (1), Etudes sur les liquides ^panch^s dans la pl^yre. Arcb. g^n^r.
de MMec. Juni 1872. Seröse Exsudate: 30 von 24 Patienten; eitrige Exsudate:
18 von 10 Fat; Transsudate: 17 von b Fat. — Derselbe (2i, Nouvelles recber-
ches sur les liquides pathologiques de la cavit^ pleurale. Arch. g^n^r. de M^d.
Februar IST 5. Seröse Exsudate : 63 von 52 Fat: eitrige Exsudate: 28 von 8 Fat:
Transsudate: 22 von 13 Fatienten. — K. Scnmidt, Charakteristik der epi-
demiscben Cholera gegenüber verwandten Transsudationsanomalien- 1^50. Hydro-
thorax: 2; Feritonitis: 1; Ascites: 3: Infi, cut: 3; Anasarka: 1; Hydrocepbalus :
7. — Scnerer, Chemische und mikroskopische Untersuchungen zur Fathologie.
1S43. Seröse Fleuritis: 3: jauchige FJeuntis: 1; Feritonitis: 3* jauchige Peri-
tonitis: 6; Ascites: 3. — Simon, Handbuch der mediciniscben Öhemie. 11. TheU.
8.581. 1842. Eigene Untersuchungen von Demselben: Anasarka: 1; Ascites: 1;
Femphigusblase : 1. — Lehmann, Lehrbuch der physiologischen Chemie. IL Th.
S. 311. Hydrothorax: I; Fericardialerguss: 3; Feiitonitis: 1; Ascites: 2; Hydro-
cepbalus: 3. — Hoppe-Seyler (1), Analysen von Feritonealtranssudaten bei
Cirrbose. Deutsche Klinik. 1853. S. 405. Ascites: 4 von 1 Fat mit Lebercirrbose.
— Derselbe (2), Ueber seröse Transsudate. Yirchow*s Archiv. Bd. IX. S. 245.
Hydrotborax: 1; Ascites: 4; Anasarka: 1 (von 1 Fat. mit Lebercirrhose und von
1 rat. mit Morbus Brighti). — Derselbe (3), Ueber die ehem. Zusammensetzung
der Cerebrospinalflüssigkeit Yirch. Archiv. Bd. XYI. S. 391. Spina bifida: 5 von
2 Fat; Hydrocepbalus: 3. — Derselbe (4), Medicinisch- chemische Untersuchun-
gen. S. 291. Femphigusblase: l. — Bödecker, Untersuchung eines Exsudats
aus der linken Brusthöhle. Zeitschrift für rat Med. Bd. VU. S. 142. Fleuritis
serosa: 2. — Frericbs (I), Klinik der Leberkrankheiten. iL Theil. S. 45. Feri-
tonitis: 3: Cirrbose: S. — Derselbe (2), Die Brightsche Nierenkrankheit. S. 81
u. 246. Hydrothorax: 2; Peritonitis: 1. — Schtscherbakoff, Cerebrospinal-
flOssigkeit Dieses Archiv. Band VII. S. 225. Spina bifida: 3. — Gorup-
Besanez, Lehrbuch der physiologischen Chemie. S. 409. Eigene Untersuchung:
Fericardialflüsfiigkeit: 1. — Bartels, Klerenkrankheiten. Ziemssen's Handbuch.
Bd. IX. 1 . Hälfte. S. 96. Pericardialflttssigkeit : 1; Ascites: 1: Anasarka: 1. —
0. Weber, Handbuch der Chirurgie: in Uhle und Wasner's Handbuch der allge-
meinen Pathologie. S. 298. (Mit vielen Druckfehlem.) Hydrothorax: 1 (unbrauch-
bar); Pericardialflüssigkeit: l; Ascites: 1; Infi, cut: 2: Anasarka: 1; Cerebro-
spinalflüssigkeit: 1. — Zimmermann, In der Eiterrrage. Yirchow - Hirsches
Jahresber. 1856 (Original: Freussische Yerdnszeitung. 1856. Nr. 35— 49). Fericar-
dialflOssigkeit: 1; Ascites: 1; Infi. cut: 2; Anasarka: 1.— Breesney, 1 Hydro-
meningocele occip. Yirchow-HirscVs Jahresber. 1871. — Saintpierre, Bulletin
de la socchim. ae Paris. 1863. Y. p-34. In Schmidts Jahrbüchern. 1864. Bd. 123.
S. 276. Seröse Fleuritis: 3 von 2 Fat — Buignet, Eine Tuberkulose des Peri-
toneums. Mon. des Höpitaux. 1857. In Canstatt's Jahresber. 1859. — Hilger,
1 Hydrocepbalus. Chemisches Centralblatt 1S68. Nr. 3. In Yirchow-Hirsch's Jah-
resberichten. 1868. — Yogel, 1 chronische Feritonitis bei Gorup- Besau ez I.e.
— Berzelius, 1 Hydrocepbalus bei Simon 1. c — Tenant, 1 Hydrocepbalus
bei Simon I.e. — Marchand, 1 Ascites bei Simon 1. c. — Mulder, 1 Hy-
drocephalus bei Simon 1. c. — Laboulböne, 1 Fleuritis. Gaz hebdom. 1874.
No. 41 ; untersucht von M6hu. Siehe unter den Analysen vom Februar 1875.
602
XXXI]
f. Rbdss
Eigene ITntersuchiingeii mit den dain
gehörigen Krankengeichiohten.
SpeclflichM
1
i
B
SS
Gewicht
a
Eiwtlisgttbslt
BftmeifcaatM
1
CirrhofiU hepatiB
1020,0
Ar.
?
53,53
a) Tübingen.
2
PleuritiB ser. dextra
1024,87
P.
15»
66,28
1024,0 Ar. 19«.
3
PleuritiB ser.-pur. sin.
1027,0
Ar.
15»
76,96
serte-eitrig.
4
Peritonitis chron. adhaes.
1016,98
Ar.
15«
43,83
1016, Ar. 20,5.
5
Carcinoma peritonei
1017,63
Ar.
15«
48,00
üntexsuch. tod Prof.
Dr. LeickUnMUm.
6
» »
1018,58
P.
150
45,20
7
if »
1016,5
Ar.
15«
37,00
8
Ascites ex Titio cordis
1010,0
Ar.
?
2,1 (?)
9
Pleuritis ser. sinistra
1020,49
P.
15«
48,30
10
Cirrhosis hepatis
1019,74
P.
15«
41,42
11
Pleuritis ser. dextra
^_
45,40
b) Manchen.
12
Anasaroa bei Amyloidniere
-^
—'
0,43 ? ?
Bei der Eindampfang
theilweise rerbrannt
13
A^^ca l Carcinoma pylori,
Anasarca > ^^^^^ parench.
1010,376 P.
15«
13,66 Mittel
14
1010,17
Ar.
16«
7,68 Mittel
15
1008,48
P.
15«
4,91 AlkoholftUung
16
Pleuritis haemorrhagica
1028,6
P.
15«
79,98 AlkoholfiOlung
Mit Bodensatz.
17
n n
1021,1
P.
15«
48,70 Siedhitse
Etwas decantirt.
18
(Ascites 0.) Peritonitis chron.
1013,03
P.
15«
20,63 Mittel
19
Anasarca |
1007,38
P.
15«
0,63 Siedhitze
20
„ ' Nephritis parench.
1008,00
P.
15«
0,53 Siedhitze
21
M J
1007,58
P.
15«
0,69 AlkoholMlung
22
23
Anasarca Myodegen. cordis
n 1
1008,73
1011,41
P.
P.
15«
15«
6,24 Mittel
11,50 Siedhitse
24
Anasarca ex emphys. pulmon.
1008,64
P.
15»
5,58 Ifittel
25
Anasarca 1 Myodegen. oder
» f Nephritis
1009,37
P.
15«
6,49 Mittel
26
1012,48
P.
15«
12,0 Nur mit dem
1
Polar-Apparat
Weitere Fälle aus der
Tübingi
?r medicinischen Klinik.
1
Peritonitis chronica
1022,0
Ar.
?
66,8 pro mille
Im chemischen La-
2
Pleuritis serosa dextra
1017,0
Ar.
?
57,0 „ .
> boratorinm unter
3
Pleuritis serosa sinistra
1018,0
Ar.
?
55,0 , „
sucht
a) Erankengeschichten aus der Tübinger Klinik.
1. Cirrhosis hepatis, JohanneB Kern, 22 Jahre alt. 1874 bemerkte
Patient zuerst ein Dickerwerden des Bauchs ohne Schmersen, ohne ge-
schwollene Beine, ohne EJrbrechen, nie Blut im Stuhl. Raschere Zunahme
seit Frühjahr 1875. Kein eigentlicher Potator.
Bei der Aufnahme am 11. Aug. 1876 sehr abgemagertes Individaum,
ohne Oedem der Extremitäten. Umfang des Abdomens in der Nabelhdhe
112 Cm., absolute Dämpfung im Sitzen von oben bis unten, nur links unter
der Mamilla etwas tympanitischer I>armton. Erste Punction am 14. Aug.
1876. 12,7 Liter von 1019,5 spec. Gew. gelbgrflne, helle, sehr eiweiss-
reiche Flüssigkeit; jetzt ist die harte höckerige Leber zu fühlen. Eot-
Zur klinischen Beurtheilnng ?on Exsudaten und Transsudaten. 603
lassen am 6. Sept. 1876. Wiederaufgenommen am 23. April 1877. In
der Zwischenzeit leidliches Befinden ; nun aufgenommen mit starkem Ikterus,
sonst Stat. id. der früheren Anfnahn)e. Nabel blasig vorgetrieben.
Vierte Function: Am 14. Juni 1877 17250 Com. von 1020 spec.
Gew. Albnmingehalt 5,3 Proc.
2. Pleuritis serosa dexira, Adolf Vogt, 27 Jahre alt, erkrankt im
Februar 1877 mit Frösteln, Schmerzen auf der Brust etc. Nach 14 Tagen
arbeitBunf&hig wegen Dyspnoe und Fieber, das nun 4 Wochen lang an-
hielt. Bei der Aufnahme am 4. Mai 1877 Dämpfung rechts in der Ma-
millarlinie von der 5. Rippe abwärts, hinten von der Spin. scap. ab. Nach-
dem das Exsudat noch bis zur 3. Rippe gestiegen: Function am 30. Mai
1877 1100 Gem. dflnnflttssiges, grflnliches Serum, 6,6 Froc. Albumin. Ex-
sudatgrenze auf die 5. Rippe herab- und der Leberrand um 2 Finger breit
hinaufgegangen, überragt jedoch den Rippenbogen noch um Handbreite.
Dann continuirliches und später remittirendes Fieber bis zu seiner Ent-
lassung am 7. Juli 1877.
3. Pleuritis sero-purul. sin. Friedrich Henne, Tagelöhner, 37 Jahre
alt, seit einer Lungenentzündung im October 1875 nicht mehr ganz gesund;
steigende Dyspnoe seit Mai 1876; am 4. Juli 1876 aufgenommen mit links-
seitigem Erguss, sodass nur im 1. und 2. Intercostalraum eine Spur Schall
vorhanden ist und der Herzstoss rechts von der Mittellinie zwischen Ster-
nnm und rechter Mamillarlinie stattfindet, ebenso Dislocation der Milz nach
unten. Vom 7. — 10. und 14.— 17. Juli 1876 Schroth'sche Cur ohne Er-
folg. Daher Function am 20. Juli 1876 von 1475 Ccm. trüber gelber
Flüssigkeit 1021 sp. Gew. bei 16 ^ Umfang der linken Thoraxhälfte 2 Cm.
weniger als früher, und das Herz um 2 Finger breit nach links gerückt.
Kein Fieber. Auf Wunsch entlassen am 24. Juli 1876. Wieder aufge-
nommen am 14. Juni 1877 in dem Znstand wie vor der ersten Function.
Am 15. Juni 1877 zweite Function (mit Aspiration) 2450 Ccm. trübes, serös
eitriges Exsudat 1027 spec. Gew. 7,5 Froc. Eiweiss; geringe Ausdehnung
der Lungen; Milz steht höher. Verliess die Klinik am 25. Juni 1877.
4. Peritonitis chron, adhaesiva. Katharina Wenz, 57 Jahre alt, seit
1873 leichte Beschwerden in der Reg. iliac. d. , die sich allmählich zu
krampfartigen Schmerzen steigerten. Seit 1875 vermehrte Resistenz der
Gegend. In den letzten 4 Wochen rapide Schwellung des Leibes bis zu
einem Umfang von 96 Cm. in der Nabelhöhe. Aufgenommen am 3. Juni
1877. Abgemagertes, doch nicht kachektisches Aussehen. Abdomen rechts
resistenter als links, überall gedämpfter Schall bis auf die Reg. iliac. sin.
Function am 6. Juni 1877 von 6600 Ccm. von 1016 spec. Gew., grünlich
gelb mit Fibrin ohne geformte Gebilde. Eiweissgehalt 4,3 Froc. Jetzt
fühlt man verschiedene Tumoren und deutliches peritonitiBches Reiben. Von
Ende Juni ab rasche Verschlimmerung unter Erbrechen, das bald füculent
wird. Tod am 14. Juli 1877. Die Section bestätigt die klinische Dia-
gnose auf chronische Feritonitis, indem sich eine totale Verwachsung aller
Därme zu einem 2 mannsfaustgrossen Knäuel zeigt, das Feritoneum viscer.
als centimeterdicke Flatte mit FaserstoflTmembranen überzogen. Kolon und
Mastdarm stark verengt und geknickt« Interstitielle Fneumonie und Schrum-
pfung des Unterlappens der rechten Lunge. Leber mit adenoiden Knoten
durchsetzt, sonst normal.
604 XXXn. Rfiuss
5, 6 und 7. Carcinoma peritonei. Agnes Holzwarth, 57 Jahre alt,
im Februar seit einer Phlebitis am Unterschenkel ein langsames Wachs-
thum des Baachs mit Abmagerung und Appetitlosigkeit bemerkt. Nie Schmer-
zen im Bauch. Aufgenommen am 3. Jnni t877. Hemia labil maj. sin.
Oedem der Labien; Bauchumfang 102 Cm. in der Nabelhöhe. Frder Er*
guss in den Bauch, nur ein kleiner, kirschgrosser Tumor im Epigaatrinm
zu fühlen. Am 6. Juni 1877 erste Function von 5000 Ccm. spec. Gew.
1016,5 bei 20,5^ trttb gelblich mit zahlreichen Eiterkörperchen. Eiweiss-
gehalt 4,8 Proc. Fibrinhaltig. Jetzt im Meso- und Hypogastrium Tumoren
zu fohlen von Kirsch- bis Ganseigrösse. Am 14. Jnni 1877 zweite Ponction
von 6900 Ccm. spec. Gew. 1016,5 bei 4,52 Proc. Eiweiss. Am 23. Jnni
1877 dritte Function von 3800 Ccm. spec. Gew., 3,7 Proc. Albumin. Der
Meteorismus nimmt immer zu. Dazu Blutbrechen und blutige DiarrhoSi
Sopor und Tod.
Section ergibt eine diffuse Garcinose aller Beckenorgane des Perito-
neums mit Leber und Milz, der linken Pleura, aller Lymphdrüsen und der
Muskeln, ausgehend wahrscheinlich von einem cardnomatösen Ovariam der
Hemia labil maj.
8. Stenosis vahmlae mitraiis et Ostii aortae^ Hydrids universalis.
Barbara Majer, 30 Jahre alt, schon früher Husten und Athembeach werden,
namentlich inter graviditatem im 24. Jahre. Im 26. Gliederweh ; dieses Früh-
jahr sehr starke Dyspnoe und Schwellung der Beine und des Bauchs. Auf-
genommen am 17. Oct. 1877. Oedem, Petechien und starke Cyanose der
Haut, quälender Husten ohne Auswurf. Lnngenemphysem ; am Herzen
systolisches und diastolisches Geräusch und Verstärkung des zweiten Pul-
monaltons. Puls klein. Da auf Digitalis (im Infus und im Pulver ge-
geben) keine Besserung erfolgt, wird am 13. Nov. 1877 eine Function des
Abdomens gemacht, durch welche 3450 Ccm. hellgelbes Serum von 1010
spec. Gewicht mit 0,21 Proc Albumin entleert wird. Eine grosse Menge
sickert noch nach. Darauf zwar momentane Besserung, aber bald wieder
Verschlimmerung. Decubitus und am 21. Novbr. 1877 Tod.
Section : Herz um die Hälfte verbreitert, besonders der rechte Ven-
trikel. Das Ostium der Mitralis stenosirt zu einer balbmondfSrmigen Oeff-
nung, welche den kleinen Finger nicht durchlässt. Ebenso das Ostinm der
Aorta verengt. Degeneration des Herzfleisches. Mnskatnussleber. Atrophie
der Nieren.
9. Pleuritis serosa sin., Pneumonia croup. dextra lob. sup, et med.
Karl Riedel, 26 Jahre alt. Seit Neujahr 1878 unwohl mit Seitenstechen;
Verschlimmerung seit dem 5. Januar 1878. Aufgenommen am 11. Januar
1878. In der linken Pleurahöhle ein Exsudat vorn bis zum 2. Intercostal-
raum reichend, Herz bis in die rechte Parastemallinie verdrängt, hinten von
der Spina scap. abwärts Dämpfung. Am 13. Jan. 1878 bis zur Lungen-
spitze alles von dem Exsudat erfüllt, auch auf der rechten Seite treten
Schmerzen auf. Am 14. Jan. 1878 Function von ca. 1000 Gem., klar,
leichtflüssig, von 1020 spec. Gew., 4,8 Proc. Eiweiss. Obere Grenze des
Exsudats bis zum 3. Intercostalraum gesunken. Nun bildete sich auf der
rechten Seite eine Pneumonie heraus, eine zweite Function ergab nur wenig
Exsudat. Wegen Lungenödems wurde eine Venäsection nöthig ; ausserdem
antipyretische Behandlung mit Salicylsänre und Chinin, bis am 19. Januar
Zar klinisclien Beartheünng von Exsudaten und Transsadaten. 605
1878 die Resorption des Exsudats und die beginnende Lösung der Pneu-
monie deutlich zu constatiren war. Vom 8. Februar 1878 gans fieberfrei.
Eine Tollst&ndige Lösung der Pneumonie tritt nielit ein, so dass bei der
Entlassung am 5. Mars 1878 noch ein Rest von Infiltration fortbesteht.
10. Peritonitis ehr an, cum Cirrhos. hepaiis. Bernhard Fritz, 45 Jahre
alt, seit zehn Jahren kränklich. Seit mehr als einem Jahr Dyspnoe bei
allen Anstrengungen, Herzklopfen, Schwellung des Bauchs und den Tag
flber auch der Fösse, was sich bei Nacht verliert; zuweilen sehr wenig
Urin. Potatorium nicht auszuschliessen. Aufgenommen am 6. August 1878.
Status praes.: Abgemagert, kein Ikterus. Bauchumfang 107 Cm. in Nabel-
höbe. Kein Emphysem. An der Herzspitze ein blasendes systolisches Ge-
räusch, nach oben schwächer gegen die Aorta zu. Der zweite Pulmonal-
ton deutlich accentuirt. Freier Erguss in die Bauchhöhle; Milz nicht nach-
weislich yergrössert. Leber nicht zu umgrenzen. Am 15. August 1878
Function: ca. 5 Liter leicht trflbe gelbliche Flüssigkeit, 1018 spec. Gew. bei
21 ^, 4,1 Proc. Biweiss. Die obere Grenze des Exsudats geht bis zur Mitte
zwischen Nabel und Schamfuge bei horizontaler Rückenlage. Leberdämpfung
ragt handbreit über den Rippenbogen hervor. Am 17. August 1878 nur
noch spurweises Oedem der Unterschenkel. Am 28. August 1878 auf
Wunsch entlassen.
b) Krankengeschichten aus der Münchener Klinik.
11. Pleuritis dexira, Christine Ellmann, 26 Jahre alt, vor 5 Wochen
erkrankt an Seitenstechen, nach wenig Tagen Schüttelfrost und Hitze. Auf-
genommen am 2. Mai 1878 in die zweite medicinische Klinik zu München.
Das Exsudat reicht hinten bis zur Spina scapulae, vorn bis zum untoren
Rand der 3. C. Am 5. Mai starke Schmerzen, die einige Tage anhalten.
Brustumfang bei der Inspiration rechts 42,5, links 44 Cm. Am. 7. Mai
1878 Punction mit dem Apparat von Potain; nur 200 Ccm. entleert;
serofibrinös, leicht blutig. Albumingehalt 4,5 Proc, darauf Besserung. Ent-
lassen den 11. Mai 1878.
12. Anasar ca bei Scrophulose^ Amyloiddegeneration der Nieren.
Phthisis, Caries sterni. Louise Losino, 28 Jahre alt. Seit dem 20. Le-
bensjahre häufig Drüsenanschwellung ; seit 1 Jahr besteht Caries des Brust-
beins, bald darauf wurde Oedem der Beine und Dyspnoe, auch häufigeres
Urinlassen bemerkt. Stat. praes.: Am 28. Januar (Aufnahme Münchner
2. roedicin. Klinik): Fistulöse Geschwüre auf dem Stemum, Oedem der Unter-
extremitäten bis zur Lendengegend. Hochgradige Schwellung aller Drüsen.
Am Herzen ein systolisches Geräusch, Dämpfung des Herzens nicht ver-
grössert. In den Lungenspitzen rauhes Athmen und einiges Rasseln. Leber
von der 5. C. ab bis 5 Cm. über dem Nabel in der Papillarlinie sich er-
streckend. Ascites kaum nachweisbar. Harn eiweisshaltig ohne Cylinder,
zwischen 1 und 1 Vi Liter pro Tag. Anhaltende Diarrhöen. Gebessert
entlassen am 14. April 1878. Sehr verwahrlost wieder aufgenommen am
23. Juni. Die hydropischen Ergüsse beträchtlicher. Leber und Milz noch
etwas grösser. Harn enthält jetzt hyaline Cylinder. Am 11. Mai 1878
Drainage der Beine: über 1 Liter Flüssigkeit, die so eiweissarm ist, dass
sie eingedampft werden muss, um dasselbe auszufllllen; dabei geht ein
606 XXXn. RBU86
Theil Terloren. Abnahme des Hydrops; keine entsOndliche Reisung oder
auch nar Schmerzen. Hamverhaltong. Tod am t4. Mai 1878.
Seetlon: Girrhose der beiden Lungenspiteen und Peribronchitis dorch
alle Lappen der Lunge. Herz klein. Mediastinal- und MesentexialdrOsen
in kllsige brüchige Knollen umgewandelt. Milz, Leber, Nieren speckig de-
generirt; in der Leber ausserdem ein Käseherd. Im S romanum ein grosses
Geschwür mit drohendem Dnrchbruch.
13. 14. n. 15. Ascites und Anasar ca bei Carcinoma pylori und all-
gemeine Carcinose. Ludwig Knorr, 49 Jahre alt. Nichts Hereditäres nach-
zuweisen. Seit einem Jahre Diarrhoe mit Druck und Stechen in der Magen-
gegend. Seit Januar eine Geschwulst in der Magengegend bemerkt. Auf-
genommen am 24. Januar 1878 in die 2. medicin. Klinik zu Mflnchen.
Stat. praes.: Etwas Kachexie, Lungen und Herz normal, bis auf eine
leichte Abschwächung des Percussionsschalls der linken Spitze. Abdomen
eingesunken. Ueber dem Nabel ein höckeriger, harter, faustgrosaer Tumor,
schmerzhaft bei Druck und verschiebbar mit dem Wechsel der Körperlage
und bei Aufblähung des Magens. Schwellung der InguinaldrOsen. Kein
Ascites. Anfang Februar ein maniakalischer Anfall. Mit der Pravaz'schen
Spritze am 4. April diagnostische Pnnction eines inzwischen entstandenen
Ascites, Tumor schwer abzugrenzen; es gelingt zwar, ihn mit der Har-
pune anzustechen, doch bringt letztere keine Gewebsfetzen mit heraus;
Hydrothoraz ; Oedem der üntereztremitäten und des Präputiums. In den fol-
genden Tagen rasches Wachsthum der Flüssigkeit mit Schmerzen im Unter-
leib. Am 18. April erste Punction des Abdomens, 490 Gem. von 1009 spec
Gew. Der Tumor deutlich zu umgrenzen. 30. April: Am Hals Knoten
zu fühlen ; Zunahme des Oedems. Dämpfung beider Spitzen ohne Rasseln.
Ebenso leerer Schall über dem Mediastinalraum (Sternum) ; heisere Sprache.
8. Mai: Drainage beider Unterextremitäten: Flüssigkeit von 1009 apec.
Gew., Eiweissgehalt 0,7 Proc. Am 11. Mai Punction des Abdomens und
Drainage der Arme mit 1,3 Proc. und 0,4 Proc. Ei weiss. (Die Mengen
beider Punctionen nicht notirt.) Am 13. Mai Temperatursteigerung, grosser
GoUaps, Erbrechen, Tod.
Seetlon: Doppelseitiger Hydrothorax und Hydropericardium. Alle Drfl-
sen zu dicken, derben käsigen Knollen umgewandelt, namentlich Cervical-
und Mesenterialdrüsen. Pylorus zu einem höckerigen Ringe umgewandelt;
die übrige Magenwandung von braunen Punkten durchsät. Leber derb,
knirschend, Nieren vergrössert, Rinde blass, Pyramiden dunkler.
16. u. 17. Pleuritis haemorrhag. Stammt von einem Patienten der
1. medicin. Klinik in München von Prof. Oietl, ohne Krankengeschichte
mir nur zur Untersuchung geschickt.
18. Peritonitis chron, Frl. 0. K., Privatpatientin des Herrn Prof.
V« Ziemssen, nach mündlichen Mittheilungen: Die Krankheit begann vor
ca. 5 Jahren mit Schmerz in der Göcalgegend, später auch Leberschwel-
lung; nimmt aber einen so langsamen Verlauf, dass im Jahre kaum iwei
Punctionen nöthig werden. Menge 6400 Gem., fibrinhaltig, 1013 spee. Gew.
2,0 Proc. Eiweiss.
Nachträglicher Mittheilung des Herrn Prof. v. Ziemssen zu Folge
ist Patientin nach In Summa 6 maliger Punction des Abdomens am 2. Febr.
Zar klinischen Beurtheilung von Exsudaten und Transsudaten. 607
1879 gestorben. Die Seetlon ergab die Residuen chronischer Peritonitis
und frische Nephritis parenchymatosa.
19. 20. u. 21. Anasarca von Nephritis parenchym. Barou v. X.
aus Stockholm, 36 Jahre alt, Privatpatient der 2. Mflnchener medicinischen
Klinik. Giebt an seit seiner Jugend an Scrophulose und Albuminurie zu
leiden, ohne dass er Scharlach oder sonst eine Krankheit durchgemacht
hfttte. In den letzten Tagen starke Zunahme des Hydrops. Nie urämi-
sche ZufUle. Stat. praes.: Blasse Hautfarbe, allgemeines Anasarka bis
znm Kopf, doppelseitiger Hydrothorax bis zur Mitte der Scapula, Ascites
bis drei Finger breit über dem Nabel. Herz vollständig normal; Verdauung
in Ordnung, nur etwas Diarrhoe. Hammengen schwanken zwischen 800
und 1400 Gem. pro Tag, Albumingehait desselben Aber 2 Proc Appetit
vortrefflich. Am 28. Juni erste Drainage der Beine von 1400 Ccm. und
0,06 Proc. Eiweissgehait ; am 2. Juli zweite Drainage von 600 Ccm. und
0,05 Proc. Eiweissgehait; am 5. Juli dritte Drainage 890 Ccm. und 0,7 Proc.
Eiweissgehait; alle drei an den Untereztremitäten , starke Abnahme des
Oedems, Ascites bis auf Nabelhöhe gesunken, das Gesicht weniger ge-
dunsen. Patient reist nach 3 wöchentlicher Behandlung fast frei von Hy-
drops nach Paris ab, woselbst er mündlicher Mittheilung des Dr. Heim er
zu Folge im December verstorben.
22. u. 23. Anasarca hei Myodegeneratio cordis» Anna Sterr, 72 Jahre
alt, früher nie erheblich krank, seit 7 Wochen geschwollene Füsse und
Schwerathmigkeit, Husten ohne Auswurf. Stat. praes.: Herzdämpfung all-
seita vergrössert, Herzaction sehr frequent, unregelmässig, aussetzend, Töne
rein, Atherom der Arterien. Hydrothorax bis zum Scapulawinkel. Massiges
Anasarka. Harn eiweissfrei. Am 10. Juli 1. Drainage (fliesst fort bis
12. Juli) von 1350 Com., 0,5 Proc. Albumin; starke Verminderung des
Oedems. Am 19. Juli schwellen die Unterschenkel wieder an, als Patientin
einen Tag ausser Bett war. Am 22. Juli 2. Drainage: Es fliesst nur sehr
wenig ab, Albumingehalt 1,15 Proc. Aligemein befinden sehr gebessert.
Puls voll, regelmässig. Urinmenge früher unter 600, jetzt über 1000 Ccm.
24. Anasarca bei Emphysema pulm. und Degeneraiio cordis, Pan-
kratius Lieb, 70 Jahre alt, Trompeter. Seit vor 2V2 Jahren gesund, seit-
her oft Athembeschwerden. Seit 6 Wochen Schwellung der Beine und des
Unterleibs, verminderte Urinsecretion , Obstipation, kein Husten. Status
praes.: Puls voll, unregelmässig. Orthopnoe. Emphysem der Lungen,
starkes Oedem der Unterextremitäten mit Verdickung der Cutis. Starke
Cyanose. Auf den Lungen ausgebreiteter Katarrh. Herzdämpfung nach
rechts vergrössert, Töne ziemlich rein, starker Venenpuls und Puisatio
hepatica. Leber und Milz vergrössert. Harn spärlich. Drainage am 10^ Juli
530 Ccm. und 0,5 Proc. Eiweiss. Das Oedem der Beine vergangen, Fal-
tung der Haut. Die starke Dyspnoe durch Amylnitrit momentan verrin-
gert. Am 15. Juli wiederholte Orthopnoe, Schwellung der Beine und asth-
matische Anfälle, Steigen des Hydrothorax. Tod am 21. Juli.
Seetlon : Excentrische Hypertrophie beider Ventrikel mit diffuser Fettde-
generation der Muskelsubstanz, Lungenemphysem, Muskatnussleber, Schrumpf-
niere, Atherom der Arterien, Aorta mit Endarteriitis deformans.
25. u. 26. Anasarca von Myodegeneratio cordis oder Nephritis.
Wegen Abreise fehlen mir die Notizen.
608
XXXII. Reuss
II. 1. Peritonitis chron, Therese Bo^nsohfltz, 22 Jahre alt. Er-
krankt im October 1873 mit heftigen Schmerzen im Bauch. Seit Febniar
1874 Schwellang des Banchs. März 1875 Umfang desselben 104 Gm.
in der Nabelhöhe. Am 12. März 1875 Panction von 8500 Gem., grfln-
lichgelb, hell, dickflassig 1022 spec. Gew., 5,6 Proc. Eiweissgehalt, fibrin-
haltig. Abnahme des Umfangs auf 90 Gm. Unter Einreibung von Ungt.
einer, erfolgte nach manchen Schwankungen doch vollständige Heilung. (Ge-
nauer beschrieben in der Dissertation von Dr. Stein brück).
2. Pleuritis exsud. dext. Johannes Kogler, 65 Jahre alt, erkrankt
am 7. März 1876 mit Frieren und Seitenstechen; seither immer kurzathmig
und arbeitsunfähig. Aufgenommen am 7. Juli 1876. Exsudat rechts von
der 4. C., hinten von der Mitte der Scapnla. Am 21. Juli 1876 Panction
mit Aspiration von 1100 Gem. grünlicher seröser Flttssigkeit, 1017 spec.
Gew.; gleich nach der Entleerung 5,7 Proc. Eiweissgehalt. Geheilt ent-
lassen am 4. August 1876.
3. Pleuritis serosa sinistra. L. Biesinger, b^jt Jahr alt. Vor acht
Wochen allmählich erkrankt mit Appetitlosigkeit und Fieber, wenig Hasten.
Aufgenommen am 14. November 1876. Status praes.: Ziemlich ma-
gerer Knabe. Linker Intercostalraum verstrichen, linke Thoraxhälfte 4 Cm.
mehr Umfang in der Mamillarhöhe als die rechte, ist von oben bis unten
gedämpft mit Ausnahme eines 2 — 3 fingerbreiten Streifens von tympaniti-
schem Schall längs der Wirbelsäule. Am 21. November 1876 Panction
von 370 Gem., 1018 spec. Gew. und 5,5 Proc. Eiweissgehalt, von da an
langsame Resorption bis zum 19. December, wo er mit einer relativen
Dämpfung und unbestimmtem Athmen in der rechten Lungenspitze ent-
lassen wird.
Tabelle 1.
Pleuritis sero-flbrlnosa.
a) Untersuchungen mit Bestimmung des Albumins.
FiXA
Albnmln
fixtractlv-
fltoffe
Sali«
Fibrin
■ ■■ ^— ^— ~
B«nMrtnf8B
1
Eigene Unters.
-- .
66,28
_.
—
_
2
Tübinger KUnik
—
57,00
—
—
3
Cam. Sainipierre
68,30
56,93
(10,57)
0,79
4
Tübinger Klinik
—
55,00
—
—
5
Scherer
63,94
52,78
2,96
7,60
0,60
2. Punkt, zu Nr. 10.
6
Bodecker
63,20
52,15
1,52
9,00
0,53
7
Scher$r
72,00
52,00
9,80
10,20
—
8
Bodecker
61,95
51,11
1,50
8,82
0,52
9
Saintpierre
60,99
49,95
(10,
81)
0,25
1. Punkt, zu Nr. 13.
10
Scherer
64,4S
49,77
5,60
7,93
0,62
1. Punkt, zu Kr. 5.
11
Eigene Unters.
—
48,30
—
—
—
12
if n
—
45,45
—
—
—
13
Saintpierre
57,12
39,60
(17,37)
0,15
Exsud. aus d.Leichfl 2a Nr. 9.
Summe
511,98
676,32
21,98
43,55
3,46
Mittel
64,00 (8)
52,02 (13)
4,27 (5)
8,71(5)
0,49 (7)
Zur klinischeo BeartheUung Ton Exsudaten and Transsudaten. 609
*;
Untersuchungen mit Bestimmung der arg
manischen Stoffe.
Nr.
Aator
Flu
Orraoisoh«
stoir«
8«lM
FfbrlA
BemerlnatMi
1
Meku
1.
79,40
71,33
8,07
0,565
1. Function lu Nr. 1 u. 9.
2
2.
75,60
66,60
9,00
0,370
3
2.
74,30
66,t0
8,20
nicht bestimmt
4
3.
73,55
66,10
7,45
0,966
5
»
1.
74,73
65,43
9,03
0,175
6
2.
73,55
65,15
8,40
1,140
7
1.
72,04
64,70
7,70
0,233
8
2.
71,20
63,20
8,00
0,465
2. Function zu Nr. 66.
9
1.
71,18
—
—
0,846
2. Function zu Nr. 1.
10
2.
70,40
62,50
7,90
0,866
11
1.
70,07
61,90
8,09
0,102
12
Seherer
61,80
^"~
""•
Vgl. Tabelle a) Nr. 7 wegen
übrigen Zahlen.
der
13
Miku
2.
70,40
61,60
8,80
0,172
2. Function zu Nr. 20.
14
1»
1.
69,90
61,35
8,55
0,315
1. Function zu Nr. 14, 67.
15
«
l.
68,90
60,26
8,64
1,276
16
n
2.
68,00
60,20
7,80
0,110
17
»
1.
68,36
60,13
8,23
0,247
18
9
2.
68,30
59,70
8,60
nicht vollstän-
dig bestimmt
19
n
2.
67,46
59,26
8,20
0,181
20
»
2.
67,30
59,10
8,20
nicht bestimmt
1. Function zu Nr. 20, 13.
21
9
2.
67,85
58,85
9,00
0,326
22
n
2.
67,35
58,75
8,60
0,180
2. Function zu Nr. 62.
23
n
1.
66,57
58,55
8,02
0,100
1. Function zu Nr. 23, 83.
24
n
2.
66,80
58,50
8,30
0,230
25
1
n
2.
66,25
58,15
8,10
0,126
1. Function zu Nr. 25, 46.
26
9
2.
65,45
57,75
7,70
0,353
27
f»
2.
66,30
57,70
8,60
0,245
28
•
2.
65,40
57,60
7,80
nicht bestimmt
29
»
2.
65,00
57,60
7,50
0,670
30
«
1.
65,88
57,48
8,10
0,443
31
•
2.
65,44
57,14
8,30
0,320
32
9
2.
65,50
57,10
8,40
0,187
33
■w
2.
64,73
56,83
7,90
0,282
34
«
2.
64,70
56,70
8,00
nicht bestimmt
35
»
2.
65,40
56,60
8,80
0,324
■
36
Seherer
56,55
—
—
Yergl. Tabelle a) Nr. 10.
37
M€hu
1.
65,25
56,45
8,71
0,107
3S
Seherer
—
56,34
—
—
Vergl. Tabelle a) Nr. 5.
39
Mihu
2.
63,50
56,20
7,30
0,262
2. Function zu Nr. 74.
40
9
2.
62,40
56,20
8,20
0,225
1. Function zu Nr. 40, 94, 96,
72.
41
9
2.
65,50
56,10
8,60
0,797
42
9
1.
64,84
55,83
9,01
0,138
43
9
1.
63,40
55,40
8,10
0,320
44
9
2.
63,65
55,25
8,40
1,581
i • A.
45
9
1.
63,50
55,02
8,48
0,294
2. Function zu Nr. 73.
46
9
2.
62,50
54,80
7,70
0,725
2. Function zu Nr. 25.
47
9
l.
63,70
54,79
8,91
0,134
48
9
1.
63,45
54,75
8,01
1,207
49
1
9
2.
62,53
54,73
7,80
0,271
50
9
1.
62,40
54,40
8,64
0,091
1. Function zu Nr. 50, 85.
51
9
2.
62,25
54,35
7,90
1,015
52
Bödeckm
i
—
54,20
1
^■^^
Yergl. TabeUe a) Nr. 6.
Dsntsehes ArchiT f. kUn. Mediein. XlIV. Bd.
39
610
XXXn. Rbdss
Nr.
Autor
FlZA
Organliche
Stoffe
Salse
Fibrin
Bemeiknngea ] i
53
M€hu 2.
62,26
54,26
8,00
0,702
54
1.
61,99
53,84
8,15
1,182
55
2.
62,60
53,80
8,80
0,240
56
2.
61,90
53,80
8,10
0,070
57
2.
61,76
53,76
8,00
0,160
58
2.
62,41
53,71
8,70
0,305
59
2.
61,70
53,60
8,10
0,195
60
l.
60,50
53,48
7,20
1,160
61
1-
62,25
53,40
8,85
0,073
62
2.
61,75
53,35
8,40
0,147
1. Punctioii XU Nr. 62, 22.
63
2.
61,30
53,20
8,10
0,047
2. Function zu Nr. 63, 99, ge-
atorben.
64
ßödecker
—
53,13
—
Vergl. TabeUe a) Nr. 8.
65
M€hu 2.
61,20
53,00
8,20
0,116
66
2.
60,40
52,90
7,50
0,105
l. Function zu Nr. 66, 8.
67
1.
61,76
52,87
8,89
0,280
2. Function zu Nr. U.
68
2.
61,46
52,76
8,70
0,344
69
2.
60,89
52,59
8,30
0,638
1. Function zu Nr. 69, 87.
70
2.
61,37
52,51
8,60
0,568
71
2.
60,06
52,44
7,62
0,350
Später eitrig geworden. 1 . Funet
72
2.
60,68
51,98
8,70
0,198
4. Function zu Nr. 40.
73
1.
60,62
51,96
8,66
0,124
1. Function zu Nr. 73, 45.
74
2.
59,40
51,80
7,60
0,243
1. Function zu Nr. 74, 39.
75
1.
60,21
51,79
8,42
0,101
76
2.
56,69
51,56
7,40
0,212
77
2.
59,50
51,40
8,10
0,192
t FhthiniA.
78
1.
60,01
51,16
8,85
0,224
79
1.
60,01
51,16
8,85
0,106
Yergl. Mihu 2. unter den eitri-
gen Exsudaten. 1. Function.
80
2.
59,13
51,13
8,00
0,166
81
1.
59,76
51,67
8,69
0,294
82
t-
59,01
50,70
8,40
0,450
83
1.
58,18
50,17
8,01
0,088
2. Function zu Nr. 23.
84
2.
57,35
50,03
7,32
0,277
85
1.
58,06
50,0 t
8,05
0,402
2. Function zu Nr. 50.
86
1.
58,10
50,00
8,01
0,091
Yergl. Mihu 2. unter den eitri-
gen Exsudaten. 1 . Pusction.
87
2.
57,62
49,62
8,00
1,280
2. Function zu Nr. 69.
88
2.
57,85
49,15
8,70
0,046
89
2.
56,26
48,56
7,70
0,273
90
2.
56,80
48,30
8,50
0,092
91
2.
55,55
48,05
7,62
0,350
Später eitrig geworden. 2. Funct.
92
2.
54,62
47,03
7,60
0,224
93
2.
54,84
46,24
8,60
0,105
94
2.
54,09
45,79
8,30
0,638
2. Function zu Nr. 40.
95
2.
53,75
45,75
8,00
1,315
96
2.
54,07
45,57
8,50
0,095
3. Function zu Nr. 40.
97
2.
52,44
45,34
7,10
0,262
98
n 2.
50,86
43,28
7,58
0,076
IJebergang in Eiterung. 3.Piuict.
99
2.
51,59
42,49
9,10
0,000
f 2. Function zu Nr. 63.
Summe
5936,74 : 94
5386,46 ; 98
764,31 : 93
32,588 : 88
4- Tabelle a
511,98:8
43,55 : 5
3,460 : 7
6448,72 : 102
807,86 : 98
36,048 : 95
Mittel
63,22
54,93
8,24
0,a70
Zur klinlacbeD Beurtheiloag lon Euodaten und Tmusodateo.
Tabelle IL
PlenrltlB sappnratira.
a) Fälfe mit Ausgang in Heilung.
glEigeneUntenj
75,96* I — I* Älbnmin,
6) Fälle mit
95,30
94,73
94,41
66,30
80,40
76,10
6S,40
69,0S
66,10
66,49
6e,55
65,80
65,07
64,30
64,90
6i,eo
01,90
87,00
8,30
8M3
8,10
86,61
7,80
84,50
8,10
84,30
8,60
84,10
7,50
78,60
7,70
71,00
8,40
68,10
8,10
67,30
8,60
66,70
8,00
64,60
8,60
63,55
8,60
62,60
8.50
60,84
8.70
60,40
8,00
60,04
9,04
58,-JO
8,Ü0
57,70
8,79
57,19
8,36
66,90
8,90
56,54
8,83
66,40
7,90
56,06
8,85
54,70
7,90
63.40
9,50
53,38
8.58
51,20
8,50
50,60
7,40
45,01
10,00
43,40
8,70
27,60
7,10
26,95_
9,90
1044,20
177,85
; 81.94
8,41
tödllickem Ausgang.
Idiopathigche eitrige Flenritü, gestorben.
4. Function la Nr. 9.
FTopncumotliom, Tuberonlou. 8 FnDot. (Nr. 3, 6,
8, 12. 14, II, 10, 11).
5. Function in Nr. 6.
1. FuDotion tu Nr. 3.
Uämotharai mit Pleniitii loppunitira. 6 Panotionen
(die 3 enUn deeaDtirt: Nr. 6, 4, 33).
3. Fanction id Nr. 13.
3. Function zn Nr. 3.
Idiopathisohe icrO«, ipeter eitrige PUniitu. 8 Func-
tionen (Nr. 86, 79, 9, 2, 20, 28, 16, 15).
7. Fanction lu Nr. 3-
Fnnction in Nr. 3.
Fanction id Nr. 3-
laritia bei PneamoDie: Nr. 13, 39, 7, 33.
5. Fanction la Nr. 3.
SerüBc, apäter eitrige Fl. 4P.; Nr. 71, 91,98, 16. Tod.
7. Function iq Nr. 9.
Pncumothonii bei Pbthiiie: Nr. 17, IT.
2. Fanction za Nr. 3t. Owtorben an D;«pnoe.
Blutige, zpUter eitrige Plenntia: Nr. 19, 12, 34.
' Function za Nr. 9.
Function zu Nr. 3. Gestorben.
1. Function in Nr. 19.
Bei Tuberculosc. Gestorben.
Puacdon zu Nr. 19, gebewert (T) aui^treten.
Function zu Nr. 9. Geitorbcn.
Pncumotborax bei Pbthiaii. Geitorben.
2. Function zu Nr. 17. Gestorben.
e. Function zu Nr. 9.
2. Function zu Nr. 13.
LungengangrHn, geatorbeD.
IdiopsthiMhe Plearitia: Nr. 31, IB.
4. Function zu Nr. 13. Gestorben.
6. Function zu Nr. 6. Gestorben.
612
XXXIL Beuss
Nachtrag.
a) Pleuritis septica.
Nr.
Aator
Flxa
Albnmln
ExtractiT-
■toffe
Balse
Bcmdxlnuigwi.
Seherer
63,282
3t,746
27,113
7,110
Puerperalfieber.
1
2
Eigene Unters.
b) Pleuritis kaemarrkagica.
79,985
48,702
Rohe Flüangkeit.
Etwas deoantirt.
Tabelle III.
Hydrothorax.
a) Reine Transsudate.
Nr.
Autor
Flu
Orfsnlache
Stoffe
ExtnctlT-
stoffe
SftlM
BemorkoBgen
1
M€hu
1.
41,30
32,3a
9,00
0,190
Herzfehler. 2. Function su Nr. 24.
2
tf
2.
40,80
32,18
7,90
0,401
Doppelseit Hydrothorax durch «Bauch-
tumor".
3
»
2.
39,11
31,51
7,60
0,032
Herzfehler. 3. Function zu Kr. 9.
4
n
2.
36,60
29,40
7,20
0,092
Herzfehler.
5
Sehmidi
36,05
28,50
7,56
? 2. Function zu Nr. 11.
6
Mihu
2.
36,S0
28,20
8,60
0,210
Herzfehler. 2. Function zu Nr. 9.
7
n
2.
36,40
27,90
8,50
0,345
Herzfehler; 6. F. zu Nr. 1 5. Incuff. mitr.
8
yt
2.
36,38
27,58
8,80
0,374
Herzfehler. 6. Function zu Nr. 15.
9
n
2.
35,85
27,40
8,46
0,190
Herzfehler; Nr. 9, 6, 3.
10
n
1.
34,80
26,40
8,40
0,014
Herzfehler. 3. Function zu Nr. 24.
11
Schmidt
-33,76
26,12
7,64
—
? Nr. 11,6.
12
M€hu
2.
34,50
26,00
8,50
0,146
Herzfehler. Insufficienz der Aorta n
TabeUe IHb, Nr. 1.
13
Ererißh»
2.
33,94
25,64
8,30
—
Morbus Brighti.
14
n
2.
32,72
24,90
7,82
—
Morbus Brighti. *
16
MShu
2.
33,80
24,90
8,90
0,469
Herzfehler: Nr. 16, 18, 19, 21, 8, 7.
16
n
1.
31,327
23,24
7,90
0,187
Herzfehler und Emphyaem: Nr. 16. 30.
17
n
1.
30,61
21,51
9,10
0,236
Herzfehler. Tod in tiefster Schwiehe.
18
n
2.
29,20
20,60
8,60
0,320
Herzfehler. 2. Function zu Nr. 15.
19
1»
2.
28,45
20,09
8,36
0,163
Herzfehler. 3. Function zu Nr. 15.
20
n
1.
26,837
18,00
8,60
0,237
Herzfehler. 2. Function zu Nr. 16.
21
n
2.
25,970
17,27
8,70
0,087
Herzfehler. 4. Function zu Nr. 15.
22
n
2.
25,70
17,00
8,70
0,017
Herzfehler.
23
*f
2.
24,40
15,80
8,60
—
Herzafehler, bald darauf Tod.
24
f»
1.
24,46
15,56
8,90
0,107
Herzfehler: Nr. 24, 1, 10.
25
n
1.
23,86
15,00
8,86
0,027
Herzfehler; doppebeitigerHydrothoiix.
26
n
1.
18,02
9,61
8,41
nicht best.
? 1 neben Ascites. 1. Fnnctioa.
? 1 neben Ascites. 2. Function.
27
n
1.
17,36
8,91
8,45
nicht best.
28
»
2.
15,40
6,80
8,60
0,00
Herzfehler mit Albuminurie. Tod.
Summe
Mittel
864,404
30,87
628,32
22,51
234,96
8,39
3,834 : 20
0,191
29
Lehmann
18,62*
* Albumin. Aus einer L«ehe bei Cir-
rhose der Leber.
Zur klinischen Beurtheflong von Exsudaten and Transsudaten. 613
Tabell
6 III b. Mit
zweifelhaßer Diagnose.
Nr.
Antor
Flu
OrgaoUche Stoffe
ExtnetiT-
■toffe
Salze
Bemerkungen
1
2
3
4
5
6
7
8
Mihu 2.
• l
1.
1.
Hopp€ 2.
0. Weher
49,54
47,76
46,96
45,60
43,60
41,867
42,410
41,44 org. Stoffe
39,08 , ,
38,11 , „
37,00 . ,
34,208
33,38
27,82 Alb.
26,74 „
8,10
8,68
8,85
7,80
8,60
8,50
8,17
0,081
0,131
0,000
0,084
0,008
0,017
0,60
Bei Insuff. der Aorta.
Bei Tubercnlose.
Bei Pneumonie.
Bei OTarieneyste.
) Reofataseitiger Ergaas bei
1 Lebercirrhose.
Morbnii Brighti.
Tabelle IV. Hydroperlcardiitia.
Nr. Autor
Pfau
AlbvmlD
ExtnietlT-
■toffe
Salze
Bemerkongen
1
2
3
4
5
6
Gorup-Beeanez
BarUU
0. Weher
Lehmann
jutmmevmann
Lehmann
44,87
36,96
34,89
23,457
24,68
21,38
20,15
15,43
14,(
10,03
12,69
(15
(94
6,69
58)
8,763
0,81 Fibrin.
Morbus Brighti.
Bei Tubercolose.
?
(Leiche.) Bei Leberoirrhose*
Summe
Mittel
140,177 : 4
35,04
91,67 : b
18,33
15,45:2
7,72
«
Lehmann
18,62
8,79
0,93 8,90 Normales Secret.
Tabe
lle V.
Peritonitis.
Nr.
Autor
FIxa
Organitche
Stoffe
Albumin
EztraotlT-
•toffe
Balze
Bemerkongen
1
Schmidt
68,20
60,30
.^
«■M.
7,90
Chron.Perit. m. LeberschwelL
2
Tub. Elinik
_
—
55,80
-—-
Ghron. Ferit, idiopathische.
3
Eigene Unters.
-.
_
53,53
—
Perit neben Lebercirrhose.
4
Buignet
77,50
71,50
53,30
—
—
Perit neben Tuberculose.
5
Eig. Unters.
^
—
48,00
—
Perit bei Carcinom.
6
» »
—
—
45,20
— >
—
Perit bei Carcinom.
7
» n
—
—
43,83
—
—
Perit. adhaesLTa.
8
Lehmann
58,39
49,49
43,51
5,98
8,90
Perit. bei Leberkrebs.
9
J. Vogel
54,00
46,40
42,80
3,00
7,40
Fibrin 0,60, idiopathische.
10
Preriehs 1.
55,00
—
42,00
—
—
Tuberculose Peritonitis.
11
Big. Unters.
—
41,42
—
—
Bei Lebercirrhose.
12
firerichs 1.
52,00
—
38,60
—
—
Idiopathische Peritonitis.
13
£ig. Unters.
—
—
37,00
—
—
Carcinom des Peritoneum.
14
Seherer
47,01
39,18
34,58
4,28
7,22
Fibrin 0,32. Bei Magen carcin.
15
Freriehs 2.
49,20
39,70
32,50
7,20
9,20
Neben Morbus Brighti.
16
Scherer
39,51
33,48
29,73
3,75
5,94
Bei Magencarcinora.
17
Freriehs 1 .
35,90
—
26,00
—
Bei Lebercirrhose.
18
Marchand
47,80
36,90
23,80
13,10
10,80
?
19
Eig. Unters.
—
—
20,63
—
Bei Lebercirrhose.
20
Scherer
36,61
27,99
19,95
8,04
8,58
Bei Magenkrebs.
21
n
33,90
26,19
18,72
7,47
7,83
Puerperale Perit. nicht jauchig.
Summe
655,02 : 13
431,33:10
750,90 : 20
53,74 : 8
73,77:9
Mittel
50,38
43,13
37,95
6,72
8,19
614
XXXII. Reuss
Tabelle VI.
Peritonitis pnerperalis epidem.
Nr.
Autor
Flu
Orvaalsohe
Stoffe
Albumin
ExtrsetlT-
»toffe
Salxe
Bamarkvacea
1
2
3
4
5
6
Seherer
»
n
97,30
90,17
90,209
94,26
81,34
75,89
89,56
82,36
81,00
86,02
73,17
66,01
50,63
48,95
48,17
47,14
38,93
33,41
32,83
38,88
8,83
8,88
9,00
9,38
8,17
9,88
Alle ans der Leiche
entnommeiL
Samme
Mittel
529,169 : 6
88,19
478,12:6
79,68
194,89:4
48,72
144,05 : 4
36,01
54,14 : 6
9,02
'
1
Tabelle VIT.
Aseltes.
Nr.
Aator
Fixa
OrganlBohe
Stoffe
Albnmln
ExtTMtlT-
Btoffe
BaIz«
BenarkuBCCB
1
Hoppe 1 .
30,36
22,38
19,29
3,09
7,98
Leberoirrboee.
2
Weber
27,33
19,22
17,91
1,31
8,11
?
3
Hoppe 2.
32,32
—
16,11
—
— .
Morbus Brigbti.
4
Frerichs 1.
—
—
17,60
—
—
Herxfehler.
5
Bartels
27,17
15,69
—
—
Morbus BrigbtL
6
Hoppe 1.
27,01
18,67
14,33
4,43
8,34
Lebercirrhoae.
7
Eig. Unters.
^^^
-
13,766
~~
Morbus Bnghti. Ms-
gencareinom.
8 Hoppe 1.
25,03
17,66
13,52
4,14
7,37
Lebercirrhose.
9
Frerichs 1.
28,00
—
12,00
—
Morbus BrightL
10
Zimmermann
22,565
14,52
—
8,045
?
11
FVeriche 1.
21,60
—
11,80
-.
—
Lebercirrhoee.
12
1.
—
—
11,80
—
Hersfebler.
13
Hoppe 1.
23,89
15,68
11,54
4,14
8,20
Lebercirrboee.
14
Lehmann
25,89
15,75
11,27
4,48
10,14
Hydrfimie (Amjloid-
degenerstion (?).
15 . Mihu 1.
21,43
13,02
—
—
8,41
Leberoirrbose.
16 ' Schmidt
21,09
11,32
—
9,77
?
17 Frerichs 1.
22,60
—
10,60
—
— -
Lebercirrboee.
18
1.
20,30
—
10,50
—
Lebercirrhoee.
19
Scherer
—
10,50
—
—
Morbus Brigbti.
20
Lehmann
—
10,44
—
—
Lebercirrboee.
21
Frerichs 1 .
24,80
10,40
—
—
Leberoirrbose.
22 ! , 1.
20,40
—
10,10
—
—
Morbus Bnghti.
23
Simon
20,00
12,60
8,40
4,20
8,00
Nephr. tubmulost.
24
Hoppe 2.
17,47
9,57
7,73
1,84
8,13
Leberoirrbose.
25
Scherer
20,00
14,68
6,49
7,19
6,32
T
26
Hoppe 2.
15,50
7,42
6,17
1,25
8,46
Lebercirrhose.
27
2.
16,67
9,36
6,11
3,25
8,24
Lebercirrhose.
28 , Scherer
13,29
5,41
3,61
1,S0
7,90
Amyloidd^ener. Ct.
29
Schmidt
13,05
3,95
9,10
Morbus Brighti.
30
Scherer
11,70
3,90
—
—
7,80
Morbus Brighti.
31
Schmidt
12,40
3,70
-^
8,70
Morbus Brighti.
32
Eig. Unten.
""^
2,10?
—
Henfehler.
Summe
561,865 : 26
218,81 : 18
289,776 : 26
41,03:12
149,015:18
Mittel
21,61
12,15
11,14
3,42
8,28
Zar klioischen Beartheilang yon Ezsadatea and Tranasadaten. 615
Tabelle VIIL
Entzflndnng der Hant.
2
Autor
Fix«
Orgaalfeha
Stoffe
Albomln
B&tractlT-
•tollb
Salse
8,01
8,01
8,39
9,396
8,90
Bemerkangen
l
2
3
i
7
Zimmermann
Schmidt
Weber
Zimmermann
Simon
Weber
Hoppe 4.
99,164
73,90
76,02
70,00
60,00
60,80
70,20
91,154
65,890
66,63
60,604
51,90
61,85
48,00
45,00
44,70
5,78
6,90
Brandblase.
Vesicatorblase.
Vesicatorblase.
Vesicatorblase.
Pempbigusblase.
Wundsecret
Pempbigusblase.
' Samme
Mittel
510,084:7
72,87
336,179 : 5
67,23
199,55 : 4
49,89
12,68:2 42,706:5
6,34 8,54
Schmidt
109,70
99,50
—
10,20
Vesicatorblase eingetrocknet.
Tabelle IX.
Anasarea.
Antor
Flxm
Ornniiche
Stoffe
Albamfn
ExtractlT-
•toffa
Salze
Bemerkongen
1
2
3
4
5
6
7
9
10
11
12
13
14
15
16
n
Eig. Unters.
Bartels
Eig. Unters.
Weber
Eig. Unters.
Simon
Eig. Unters.
Zimmermann
Hoppe 2.
Schmidt
Eig. Unters.
1»
n
22,39
19,03
24,90
12,50
17,S3
11,30
10,81
14,90
4,335
8,95
3,60
12,00
11,70
11,50
8,37
7,677
7,50
6,495
5,577
5,24
4,91
3,640
0,695
0,628
0,530
0,430 (?)
2,^4
7,40
5,31
8,22
9,10
8,165
9,00
7,70
? 2. Pnnot. von Nr. 7.
Morbus Brighti.
Herzdegenerat. 2. P. r. Nr. 9.
?
Nepbr. par. Caroin. pylori.
Morbus Brigbti.
? 1. Punct. zu Nr. 7 u. 1.
EmpbTsem n. Herzdegenerat.
Herzdegener. 1 . P. ▼. Nr. 9, 3 .
Nephr. par. Carcin. pylori.
?
Morbus Brighti.
?
Morb. Brighti. 3. P. t. Nr. 1 5.
Morb. BrightL 1. Punct. Ton
Nr. 15, 16, 14.
Morb. Brighti. 2. P. t. Nr. 1 5.
Amyloiddegenerat d. Nieren.
Summe
Mittel
107,95 : 6
17,99
42,595 : 5
8,52
86,892 : 1 5
5,79
15,15:3
5,05
42,545:5
8,51
Tabelle X.
Liquor cerebrospinalis.
a) Durch leichte Entzündung verändert (s. S. 598).
Antor;
FiZA
OrganlBche
Stoffe
Albamln
EztractlT-
atoffe
Salze
Bemerkangen
7
2
3
Hoppe 3.
Schmidt
«
20,99
19,23
19,72
16,50
13,11
11,35
10,03
9,40
11,79
1,32
7,89
7,58
9,69
7,10
Hydrocephalus.
Hydrocephalus congen.
Hydrocephalus bei Amyloid-
degeneration der Nieren.
Liq.cerebrospin. bei Cholera.
616
XXXIl. RbüSB
b) Reine Transsudate im (
Üentralnervensystem.
£
Autor
FIXA
Orgoniiehe
Stoffe
Albamtn
KztnoÜT-
■toffe
SalM
1
Schmidt
16,46
7,98
^^
1
8,48
Liquor cerebroqpio.
2
»
15,41
6,49
^-
—
8,92
Hydiooephalus acnt
3
Lehmtmn
— "•
~~
5,64
-^^
^^
Liquor Tentrieul. bei
LeberoirrhoBe.
4
Weber
13,64
5,29
3,16
2,13
8,35
Liquor rentric. ?
5
Hoppe 3.
13,12
5,47
2,64
2,83
7,67
Spina bifida.
6
; 3.
13,2S
5,11
2,46
2,65
8,49
Spina bifida.
7
3.
12,51
—
—
—
Hydrocephalos.
8
BUger
12,25
4,63
2,46
2,"
7,62
HydrocephaluB.
9
Benelius
11,70
4,24
1,66
2,58
7,44
Hydrooephalus.
10
Schmidt
13,22
3,74
—
9,48
Hjdrocepbalus acut
11
Lehmann
"""
1,44
^^^
^
Hydrooepbalui b. G«-
bimatropbie.
12
»
^^
^^
1,02
^"""
•^^
Hydrooepbalns eon-
genitua
13
Hoppe 3.
10,47
2,27
0,70
1,57
8,20
genitna
14
3.
10,20
2,55
0,55
2,00
7,65
Spina bifida.
15
3.
10,67
2,55
0,25
2,30
8,12
Spina bifida.
Hjdroeqpbalua
16
MuUier
12,003
3,157
0,549
2,608
8,846
17
Schmidt
11,80
2,40
^""
■ ■
9,40
Liquor oerebroquaal.
beim Hund.
18
Schtecherbakoff
10,10
1,85
0,40
1,54
8,14
19
Schmidt
10,82
1,84
^^mm
"""
8,98
Hydrooepbalus ebio-
nioua
20
9
10,17
1,79
-—
— ■
8,38
Hydroo^bilos chro-
nicus.
21
SehUeherbakoff
9,80
1,61
0,50
1,10
8,10
Hydrooephalna.
22
9
10,25
1,41
0,42
0,99
8,83
HydrooephaluB.
23
Tenant
10,079
1,518
0,303
1,215
8,561
Hydrocephalua
24 Breetnejf
—
0,382
— —
HTdroamiBfoede oec
Summe
237,952 : 20
65,895 : 19
24,534 : 17
25,683 : 13
159,657:19
Mittel
11,89
3,46
1,44
1,97
8,40
Nr.
I.
n.
m.
IV.
V.
VI.
vn.
vm.
IX.
X.
Fix«
Tabelle XI.
Zusammenstellung der Mittel,
OrganiMhe
Stoffe
63,223 : 102
70,698: 41
30,871: 28
35,044 : 4
50,386: 13
88,195 : 6
21,610: 26
72,869 : 7
17,991 : 6
11,897: 20
54,933 : 98
62,331 : 41
22,512:28
26,032: 2
43,133 : 10
79,686: 6
12,156:18
67,235: 5
8,519: 5
3,468 : 19
AlbmniD
EatnctlT-
stoffe
Belse
52,025 : 13
18,334: 5
37,950 : 20
48,722: 4
11,145:26
49,887: 4
5,793:15
1,443 : 17
4,276: 5
6,717: 8
36,012: 4
3,419:12
6,340: 2
5,050: 3
1,975:13
8,243 : 98
8,350 : 41
8,391 : 28
7,726: 2
8,196: 9
9,023: 6
8,278 : 18
8,541: 5
8,509: 5
8,403 : 19
Zar klinischen Beurtheilnng Yon Exsudaten and Transsudaten. 617
Maxima und Minima.
Nr.
I.
IL
ni.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
Fixa
Maxlnui
79,40
98,63
41,30
44,87
68,20
97,30
32,32
99,164
22,39
16,46
MinliDft
50,86
34,80
15,40
18,62
33,90
75,89
11,70
60,00
(11,30)
9,80
OxganiMhe Stoffe
MAziina
71,33
90,43
32,30
37,37
60,30
89,56
22,38
91,154
(14,90)
7,98
Mtnlnft
42,49
26,95
6,80
9,72
26,19
66,01
3,70
51,90
(3,60)
1,41
Albumin
Maxim«
Bain«rknog«n
66,28
24,68
55,S0
50,63
19,29
12,00
5,64
8,79
18,72
47,14
2,10
44,70
0,43
0,25
xxxni.
Chronische Kehikopfaffeclionen der Kinder im Gefolge acuter
Infectionskrankheiten«
Von
Dr. J. Michael
In Hamburg.
Bei der grössern Anzahl acuter Infectionskrankbeiten der Kinder
ist der Kehlkopf mehr oder weniger in Hitleidenschaft gezogen. Bei
einigen derselben ist er fQr gewöhnlich der einzige Sitz der Locali-
sation (Diphtheritis , Croup ^) und Keuchhusten), bei anderen ist er
andern Organen coordinirt (Masern, Scharlach, Variola); bei einer
dritten. Reihe, den Typhen gibt er nur in Ausnahmefällen zu Com-
plicationen Veranlassung. Dass zuweilen die Localerkrankung, wenn
sie, wie dies besonders beim Abdominaltyphus vorkommt, einen de-
structiven Charakter hatte, irreparable organische Veränderungen,
als Verluste functionell wichtiger Theile, Ankylosen und Strictoren
im Gefolge hat, das war schon seit langer Zeit bekannt Weniger
bekannt oder doch wenigstens literarisch kaum berücksichtigt ist es,
dass sich die Localerkrankung des Larynx nach dem Ablauf oft noch
unendlich lange Zeit hinzieht, und dass chronische Affectionen, die
nicht nur die Stimmfunction , sondern auch das Allgemeinbefinden
der Patienten in höherem und geringerem Grade beeinträchtigen und
die restitutio in integrum auf Jahre hinausschieben, oder gänzlich
yerhindem können, die Grundkrankheit oft lange überdauern.
Seitdem ich auf diesen Gegenstand aufmerksam geworden, habe
ich Gelegenheit gehabt, eine so grosse Anzahl uncomplicirter aber
1) Ueber die so vielfach ventilirte Frage, ob Group und Diphtheritis verschie-
dene Krankheiten, oder nur verschiedene Localisationen einer und derselben Affec-
tion seien, sehe ich mich nicht veranlasst, eine Stimme abzugeben. Es werden
daher gelegentlich der weiter unten mitzutheilenden F&lle in den Anamnesen stets
diejenigen Ausdrücke angewendet, welche mir von dem Patienten, resp. dem der-
zeit behandelnden Arzte mitgetheilt sind.
Chronische Eehlkopfaffectionen der Kinder. 619
äusserst hartnäckiger chronischer Laryngeal- und Trachealkatarrhe
als Reste von Keuchhusten, Pneumonieen, Variola, Diphtheritis, Group,
Typhus etc. zu sehen und zahlreiche gleiche Erfahrungen hiesiger
Collegen zu hören, dass es mir sehr auffallend erscheint, dass in
keinem der gebräuchlichen Handbflcher der speciellen Pathologie bei
Besprechung der erwähnten Krankheiten dieser Afifection gedacht
wird, noch dass in den laryngologischen Werken bei der Aetiologie
der Katarrhe diese Krankheiten erwähnt werden. ^ Muthmaasslich
sind diese Secundärerkrankungen, ebenso wie die jetzt so viel be-
sprochenen adenoiden Vegetationen des Nasenrachenraums eine Eigen-
thfimlichkeit unseres nordischen Seeklimas, denn ich erinnere mich
allerdings nicht, unter der grossen Anzahl von Halskranken, die ich
im Laufe eines Jahres an den Wiener Specialkliniken zu beobachten
Gelegenheit hatte, auch nur eines entsprechenden Falles.
Diese einfachen Katarrhe unterscheiden sich oft durch nichts
von anderen chronischen Katarrhen. Neben stärkerer Röthung und
Schwellung der Laryngeal- und Tracheaischleimhaut sind die Stimm«
bänder gewöhnlich frei, aber leicht geröthet. Die Symptome sind
Husten, der besonders in den Abendstunden auftritt, häufig den Croup-
ton annimmt und geringe Heiserkeit. Pinselungen mit Jodglycerin
oder Tannin bringen die Symptome meist in kurzer Zeit zum Schwin-
den. Exacerbationen und Recidive sind sehr häufig und meist Folge
von Erkältungen. Neben diesen Katarrhen kommen jedoch in einer
Anzahl von Fällen verschiedenartige Complicationen zur Beobachtung,
welche, wenn sie milde auftreten, die Heilung immerhin verzögern,
in manchen Fällen aber ein mehr oder weniger schweres hartnäckiges
Leiden darstellen. Bei der immerhin beschränkten Anzahl der von
mir beobachteten Fälle ziehe ich für unseren Zweck es vor, dieselben
einstweilen nicht systematisch geordnet, sondern in einer Reihenfolge
von den leichteren zu den schwereren ttbergehend vorzuführen und
zu besprechen.
Fall 1. Franziska S., 9 Jahre alt, hatte vor 6 Jahren heftigen Keuch-
husten überstanden und ist seit dieser Zeit heiser und bei angestrengten
Bewegungen leicht kurzathmig. Im August 1877 wurde sie mir vorgestellt.
Die Untersuchung der Brust ergab eine leichte Dämpfung über der rechten
1) In dem neaerdings erschienenen 3. Bande des Handbuchs der Kinderkrank-
heiten von Gerhardt ist von Rauchfuss S. 125 erwähnt, dass „nach schwerer
katarrhalischer Laryngitis, sowie nach morbillöser Laryngitis, Keuchhusten und
fibrinösem Croup langwierige Heiserkeit oft zurückbleibt*. Über deren Qrund die
laryngoskopische Untersuchung zu entscheiden hat, und 8. 320 sagt Gerhardt:
Eine im Kindesalter reichlich yertretene Gruppe von Stimmbandl&hmnngen ist die-
jenige nach acuten Krankheiten; obenan steht die 'Diphtheritis etc.
620 XXXIII. MiCHABL
Clavicnla, sonst normalen Percnssionsschall nnd flberall vesicnläres Athmen.
Die Schleimhaat des Nasenrachenraums hellroth, ebenso die des Pharynx
nnd Larynx. An der hinteren Larynxwand eine leichte Schwellung nnd
daselbst ist eine ca. 1 Millimeter dicke, hellgraue Zone sichtbar, welche den
Eindruck macht, als bestehe sie aus einer verdickten Epithelschicht. Stimm-
bänder normal weiss und glänzend. Bei der Phonation bleibt ein leicht
elliptischer Spalt. Im October desselben Jahres machte das Kind eine
katarrhalische Pneumonie des rechten Oberlappens von vierwöchentlicher
Dauer und Ausgang in vollständige Genesung durch. Die Ende November
vorgenommene laryngoskopische Untersuchung ergab dasselbe Resultat wie
die erste.
Fall IL Willy G., 10 Jahre alt, hat vor 2 Jahren die Pocken ge-
habt. Seit dieser Zeit ist der Knabe beim Laufen kurzathmig nnd stets
heiser. Rachen nnd Nasenrachenschleimhaut hellroth, mit schaumigem Secret
bedeckt Kehlkopfschleimhaut hellroth, überall geschwollen, besonders an
der hinteren Wand, woselbst sich eine graue, circa 1 Millimeter dicke Zone
zeigt. Bei der Phonation bleibt zwischen den flbrigens gesunden Stimm-
bändern ein leicht elliptischer Spalt. Brustorgane normal.
Fall III. Cathinka M., 11 Jahre alt, hat vor 6 Jahren die Pocken
überstanden nnd ist seit dieser Zeit heiser. Die objective Untersuchung
zeigt wieder Anschwellung der hinteren Kehlkopfwand mit der grauen Zone,
dadurch bedingte Schliessinsufficienz der Glottis cartilaginosa, Röthung der
Larynx- nnd Pharynxschleimhauf.
Fall IV. Hermann R., 5 Jahre alt, hat vor 3 Jahren Diphtheritis
gehabt und ist seit dieser Zeit bei anstrengender Bewegung knrsatfamig;
die Stimme klingt heiser und nasal. Im Retropharyngealranm adenoide
Vegetationen. Pharynx geröthet, geschwollen und mit schaumigem Secret
bedeckt. Eine ausreichende laryngoskopische Untersuchung scheiterte an
der Ungeberdigkeit des Knaben. Röthung der Kehlkopfschleimhant konnte
ich jedoch bei dem allerdings nur für einen Moment erhaschten Bilde con-
statiren.
In diesen vier Fällen, die die leichteste Form dieser AflTection
darstellen, war also die Athmung wenig genirt, die Stimme nur in
geringem Maass beeinflusst. Speciell fehlten stenotische Erscheinan*
gen. Da sich im Laufe der Jahre keine Verschlimmerung bisher
eingestellt hatte, so sah ich mich zu den in diesem Alter immerhin
unbequemen localtherapeutischen Eingriffen nicht veranlasst und wur-
den die Fälle bis auf Weiteres sich selbst überlassen.
Einer Mittheilung aber hielt ich dieselben deshalb werth, weil
dieselben andeutungsweise alle jene Symptome darboteui die in den
schwereren Fällen zu ernsteren Störungen Veranlassung gaben.
Fall V. Albert W., 5 Jahre alt, bat vor drei Jahren die Pocken Ober-
standen. Seit dieser Zeit ist er heiser und knrzathmig beim Laufen. Nach
schnellen Bewegungen ist ein leichter inspiratorischer Stridor bemerkbar.
Pharynx- und Larynxschleimhaut sind intensiv geröthet und mit Schleim
bedeckt. Hintere Larynxwand geschwollen nnd an der Umachlagsstelle mit
Chronische Kehlkopfaffectionen der Kinder. 62t
spitzen weisBen stecknadelkopfgrossen Hervorragangen bedeckt. Der Schlags
der Glottis cartilaginea ist insnf&cient bei der Phonation. Nach dreiwöchent-
lichem Gebrauch von Tannininhalationen waren Kurzathmigkeit und Heiser-
keit nach Angabe der Matter vollständig verschwanden. Leider hatte ich
zn einer zweiten laryngoskopischen (Jntersnchang keine Gelegenheit.
Fall VI. Johann H., 12 Jahre alt, warde am 9. Januar 1877 frennd-
lichst von Herrn Collegen Dr. Koopmann zur Specialbehandlung an mich
gewiesen. Patient hat vor 3 Jahren die Pocken gehabt. Im Verlauf der
Krankheit entwickelte sich eine heftige Dyspnoe, die ihn zeitweise in Lebens-
gefahr brachte. Nach mehreren Wochen haben dann die Beschwerden
etwas abgenommen und blieben in dem Zustand, in welchem er sich jetzt
noch befindet. Patient ist sehr heiser, zuweilen fast aphonisch, er athmet
mit lantem Stridor, welcher nach schnellen Bewegungen noch an Inten-
sität zunimmt. Er sieht sehr kachektisch aus. Die Brustorgane sind nor-
mal. Rachen- und Nasenschleimbaut stark geschwollen und geröthet, mit
reichlichem Schleim bedeckt, die Tonsillen ziemlich hochgradig vergrössert.
Die laryngoskopische Untersuchung ist durch die Tonsillen, deren Exstir-
pation von der Mutter verweigert wird, sehr erschwert und gelingt erst
nach vieler Mtlhe und auf kurze Zeit. Das Ergebniss derselben ist fol-
gendes: Die Schleimhaut, besonders die der falschen Stimmbänder ist massig
geröthet und geschwollen. An Stelle der Interarytänoid-Schleimhaut findet
man eine weisse hOckrige Fläche, die den Eindruck der Trockenheit macht.
Die Stimmbänder, deren Aussehen übrigens normal, besitzen nur eine sehr
geringe Beweglichkeit. Weder bei der Inspiration, noch bei der Exspira-
tion entfernen sie sich viel aus der Cadaverstellung. Ihr freier Rand ist
leicht concav. Bei tiefer Inspiration nähern sie sich einander noch mehr
als in der Respirationspause. Bei leichtem Druck auf die oberen Tracheal-
knorpel nimmt die Dyspnoe noch bedeutend zu (Phänomen von Penzoldt).
Da ich der Zeit von der Idee ausging, es handle sich um eine respirato-
rische Paralyse, so bestand die Behandlung in der Anwendung der In-
dnctionselektricität und subcutanen Strychnininjectionen. Letztere schienen
einigen Erfolg zn haben, wurden aber ausgesetzt, da nach der zweiten In-
jection von 0,005 Strychnin. nitr., die nach einem zweitägigen Zwischen-
raum gemacht worden war, ein mehrsttlndiger Tetanus auftrat. Die von
Riegel in seinem Aufsatze über respiratorische Paralyse (Volkmann's Vor-
träge Nro. 95) nach Acker citirte Angabe, dass man ohne Schaden längere
Zeit täglich 0,02 injidren könne, scheint mir demnach bedeutend zu hoch
gegriffen. Jeder Versuch einer localen Behandlung scheiterte an der ünge-
berdigkeit des Knaben und der Indolenz der Verwandten und wurde der-
selbe nach vier Wochen ungeheilt aus der Behandlung entlassen.
Fall VII. Hugo M., 12 Jahre alt, hat vor 6 Jahren Diphtheritis ge-
habt und wurde derzeit tracheotomirt. Die Canüle wurde am 10. Tage
entfernt. Seit dieser Zeit ist Patient heiser und leidet an massiger Athem-
noth beim Laufen und Treppensteigen. Pat. ist im Laufe der letzten vier
Jahre von mehreren Autoritäten untersucht worden, ohne dass eine be-
stimmte Diagnose gestellt wurde. Am 2. August 1877 kam der Knabe
in meine Behandlung. Derselbe sieht gesund und blühend aus, die Unter-
suchung der Brust ergibt keine Anomalien. Pharynxschleimhaut hellroth,
geschwollen, mit Schleim bedeckt; ebenso die Larynxschleimhaut, speciell
622 XXXIU. Michael
die der falschen Stimmbänder. Die wahren Stimmbänder sind rein nnd
weiss und lassen bei der Phonation einen elliptischen Spalt. Die hintere
Larynxwand zeigt an der Umschlagssteile eine millimeterdicke weisse Zone.
Die Inspection der Trachea gelingt nach einiger Mtlhe. Ansser einer ge-
ringen Röthung ist daselbst nichts Pathologisches za entdecken, speciell
ist die vordere Trachealwand frei von jeder Neubildung. Bei der Inspi-
ration entfernen sich die Stimmbänder nur wenig Ober die Cadaverstelloog
hinaus. Der leiseste Druck auf die Trachea vermehrte die Dyspnoe be-
deutend. Im Verlaufe der Behandlung verschwand diese Erscheinung, dag
bereits oben erwähnte Phänomen von Penzoldt fast vollständig. Der
mehrwöchentliche Gebrauch von Tannininhalationen hatte keinen Einflass
auf den Zustand. Dagegen wurde durch percutane Anwendung des Id-
ductionsstromes und durch Pinselungen mit Jodglycerin die Kurzaihmigkeit
förmlich gehoben, so dass Pat. ungenirt laufen und andere schnelle Bewe-
gungen ausführen konnte; auch wurde die Stimme etwas klarer. Der er-
reichte Effect hat sich seit einem Jahre jetzt erhalten.
Kurz erwähnt seien noch drei Fälle von Verlust des Gesangs-
vermögens für das Mittelregister nach Diphtheritis. Bei allen drei
Patientinnen war eine Parese des Thyreo-arytaenoideus internus zu
constatiren und waren seit der Krankheit bereits mehrere Jahre ver-
strichen.
Es erscheint mir unzweifelhaft, dass es sich in sämmtlichen be-
richteten Fällen nur um einen und denselben Process handelt und
dass die grossen Unterschiede in der Schwere der Symptome keine
qualitativen, sondern nur graduelle sind. In jedem derselben kehren
gewisse charakteristische Eigenthümlichkeiten wieder, die es verbie-
ten, sie einfach in die grosse Rubrik der chronischen Katarrhe zu
verweisen. In erster Linie war die Farbe auffallend. Man musste
beim ersten Anblick einen acuten Katarrh diagnosticiren , bei dem
wir das reine helle Roth zu finden gewohnt sind. Auch bei Kindern,
bei denen man übrigens chronische Katarrhe ohne Vegetationen und
ohne Muschelanschwellungen nicht gar häufig sieht, pflegt die Farbe
mehr einen graurothen Ton zu haben, wenn die Affection längere
Zeit gedauert hat Man könnte diesen Zustand als (sit venia verbo)
chronischen acuten Katarrh bezeichnen. Uebrigens möchte ich auf
diese Farbennuance kein allzugrosses Gewicht gelegt haben. Da-
gegen halte ich das folgende Symptom ftlr das bedeutsamste. Eine
bestimmte Stelle der Schleimhaut der hinteren Kehlkopfwand, die-
jenige Partie, welche sich zwischen den Aryknorpeln befindet, zeigte
eine in jedem Falle mehr oder weniger deutlich wiederkehrende
Eigenthttmlichkeit. Auf derselben befand sich an ihrer Umschlags-
stelle eine weisse oder grauweisse, aus mehreren kleinen Höckereben
von ca. 1 — 2 Mm. Höhe bestehende Zone. Diese kleinen Exeres-
Chronifiche Eehlkopfaffectioneii der Kinder. 623
cenzen erinnern in der Form an spitze Condylome. Sie machten den
Eindruck einer durch Narbenbildung entstandenen Schleimbautver-
ftnderung. In den leichtesten Fällen 1 — 4 war die Zone mehr gleich-
mftssig erhaben und sah aus wie ein durch Argentum nitricum pro-
ducirtes Artefact. In den Fällen 4 und 7 drängte sich die Masse
zwischen die Stimmbänder und yereitelte den completen Schluss der
Glottis cartilaginosa.
Die Stimmbänder selbst hatten im Gegensatz zu andern jahre-
lang dauernden Katarrhen YoUständig ihre Weisse, ihren Glanz und
ihre Zartheit auch in den schwersten Fällen bewahrt.
Die beobachteten functionellen Anomalien bestanden zuerst in
einer mangelhaften Arbeit des Musculus thyreoarytaenoideus internus,
der, wie der elliptische Spalt der Glottis beweist, in allen Fällen
paretisch war. Allerdings war diese Parese in einzelnen Fällen nur
so gering, dass nur das Gesangsvermögen , nicht aber die Sprache
beeinträchtigt war. Im Gegensatz zu sonstigen Muskelparesen erwies
sich diese Form der Elektricität gegenüber ziemlich unzugänglich
und glaube ich daher, dass wir es nicht mit Lähmung im engeren
Sinne, sondern mit einem leicht atrophischen Zustand des Muskels
zu thun haben.
Das wichtigste der Symptome» dasjenige, durch welches der All-
gemeinzustand des Individuums in mehr oder weniger hochgradiger
Weise beeinträchtigt wurde und dasjenige, welches diesen ganz lo-
calen Zustand zu einer wirklichen Krankheit gestaltet, ist die Er-
weiterungsinsufficienz der Stimmritze und die dadurch bedingte Athem-
noth. Der Ausdruck: nErweiterungsinsufficienz" ist absichtlich ge-
wählt, weil ich nicht glaube, dass man bei mangelnder Fähigkeit
der Stimmritze, sich zu erweitem, das Recht hat, ohne besondere
Begründung von Posticuslähmung zu reden. In erster Linie hat man
auch an Perichondritiden des Crico-ary-Gelenks zu denken. Diese
Processe sind meist Theilerscheinungen der Syphilis und acuter In-
fectionskrankheiten, besonders des Typhus. In jüngster Zeit ist diese
Form der Glottisstenose von B. FränkeP) und von Paul Koch^)
eingehender erörtert worden. Dass, wie Fränkel richtig bemerkt,
die phthisischen Perichondritiden nur selten derartige Zustände her-
beiführen, hat wohl darin seinen Grund, dass es bei diesen fast nie
zu einer ordentlichen Narbenbildung kommt. So lange die entzünd-
1) Kehlkopfstenose in Folge fehlender Glottiserweiterung bei der Inspiration.
Zeitschrift für prakt. Medicin. 1878. Nr. 6, 7.
2) Retr^cissement laryngien apr^s la fiövre typhoide. Annales de maladies
de Toreille et du larynx. 1878. No. 2, 3.
624 XXXUl. Michael
liehen Processe noch bestehen, pflegt das Bild ein so yerftndertes za
sein, dass die Verwechselang mit einer einfachen L&hmung nicht
leicht vorkommen wird.
Aber auch bei abgelaufenem Process, der zur Ankylose gefflhrt hat,
wird meistens die Differentialdiagnose wenigstens von der Posticus-
lähmung keine Schwierigkeiten machen, weil bei letzterer die Be-
wegung von der Gadaverstellung nach innen zu noch lange Zeit er-
halten bleibt, während bei ersterer vollständige Unbeweglichkeit
häufiger ist. Auch sind bei der Ankylose Phonationsstömngen wohl
stets vorhanden, während das Fehlen derselben bei reiner Posticos-
lähmung geradezu pathognostisch ist In unseren Fällen hat indess
die Erweiterungsinsufficienz weder die eine noch die andere Ursache.
Wir haben es allerdings auch mit einem mechanischen Hindemiss
zu thun. Dies hat jedoch seinen Sitz nicht in den Knorpeln, son-
dem vielmehr in der Schleimhaut. Durch den narbigen Process an
der hinteren Wand (dass es ein solcher ist, will ich unten zu be-
weisen versuchen) wird die Oberfläche der Schleimhaut verkleinert
und ausserdem rigide. Dadurch wird den Aryknorpeln, insbesondere
den Processus vocales der Spielraum fttr ihre Drehungen fortgenom-
men und dadurch die vollständige Eröffnung unmöglich gemacht
Auffallend erscheint es auf den ersten Anblick, dass bei einer ver-
hältnissmässig hochgradigen Störung der Respiration eine nur geringe
oder gar keine Phonationsstörung vorhanden war. Durch ein Ex-
periment am Präparat lässt sich die Erklärung finden. Zerrt man
die Schleimhaut der Vorderfläche der hinteren Larynxwand, so be-
wegen sich die Stimmbänder gegen einander. Die Ursache ist fol-
gende: Bei geschlossener Glottis läuft der grösste Durchmesser der
Unterfläche jedes Aryknorpels mit der oberen B^grenzungslinie des
Ringknorpels parallel. Je weiter sich die Bänder von einander ent-
fernen, um so grösser wird der Winkel sein, den der grösste Aiy-
Durchmesser zum Ringknorpel bildet Dabei drängt der ProcessoB
veealis die Schleimhaut vor sich her. Gibt eine pathologisch ver-
änderte Schleimhaut diesem Drängen nicht nach, so wird die intea-
dirte Bewegung erschwert oder unmöglich. Auch die zweite Bewegung,
die bei der Inspiration zu Stande kommen soll, das durch das Zussm-
menwirken des Crico-arytaenoideus posticus mit dem lateralis aiuge-
fahrte Auseinander- und Nachhintenabwärts-Weichen der Aryknorpel ^)
wird durch ein derartiges Hindemiss illusorisch gemacht Dagegen
1) Rahlmann, CnterBachnogen. Sitzongsberichte der Wiener Akademie der
Wissenschaften. Mai 1874. S. 26.
Chronische Eehlkopfaffectionen der Kinder. 625
wird, wie nun leicht ersichtlich, die Phonation nur dann gestört wer-
den, wenn eine derartige Schleimhautnarhe so ungünstig liegt, dass
sie sich beim Verschluss der Glottis cartilaginea dazwischen drängt,
oder sich nicht zusammenfaltet.
Selbst ein rein negativer Spiegelbefund schliesst eine solche
Möglichkeit nicht ganz aus, da bei den Eigenthttmlichkeiten des
laryngoskopischen Bildes, welches uns die hintere Wand nur sehr
verkürzt zeigt, sehr wohl dort vorkommende Veränderungen dem
Beobachter unzugänglich sein können. Andererseits aber wird, selbst
wenn sich post mortem neben einem positiven Befunde Atrophie oder
fettige Degeneration des Stimmbandöffners findet, dies die Diagnose
nicht Lttgen strafen, da die Entartung eines ausser Function gesetz-
ten Muskels ja ein häufiges Vorkommen ist.
In der grösseren Anzahl meiner Fälle war auch jenes Phänomen
vorhanden, welches Penzoldt als für die Paresen der Stimmband-
schliesser pathognostisch zuerst beschrieben hat^): durch Druck auf
die Höhe des 4. Trachealknorpels soll eine vorhandene Posticusläh-
mung dadurch vermehrt werden, dass bei diesem Druck der Laryn-
geus inferior mit gedrückt und dadurch die schon vorhandene Parese
des Nerven zur Paralyse erhöht wird. So sehr mich das Experiment
interessirt hat, so wenig kann ich mich mit der Erklärung desselben
befreunden. Da das Phänomen schon bei leichtestem Druck und
zwar nicht nur auf die angegebene Stelle, sondern auf die oberen
Partieen der Luftröhre überhaupt und auf den Ringknorpel eintritt,
so kann von einer lähmenden Pression auf den Nerven , der über-
dies noch die biegsame Trachea zur Unterlage hat, nicht die Bede
sein. Die Sache erklärt sich vielmehr auf rein mechanische Weise.
Durch jeden Druck auf den Ringknorpel oder die oberen Partieen
der Luftröhre wird, wie ich an anderer Stelle zu beweisen versucht
habe, die Wirkung des Crico-thyreoideus experimentell hervorgebracht
oder verstärkt.^) An selber Stelle zeigte ich auch, dass der Grico-
thyreoideus unter gewissen Umständen die Glottis verengere. Das-
selbe wird auch an der von Penzoldt citirten Stelle von Mackenzie
ausgesprochen. Dass eine solche Annäherung bei pathologisch enger
Glottis die Athemnoth vermehren muss, ist sicher. Die Verschieden-
heit unserer Anschauungen in Bezug auf das Zustandekommen dieses
1) Durch das Experiment verst&rkbare Parese der Glottiserweiterer. Dieses
Archiv. Bd. XY. S. 604 ff.
2) Zur Physiologie und Pathologie des Gesanges. Berliner klin. Wochenschr.
1876. Nr. 36.
DentscbM Arohly f. klln. Medicin. XXIV. Bd. 40
626 XXXm. Michael
, Experiments ist insofern von einiger praktischen Wichtigkeiti als es
nach der meinigen bei jeder pathologisch verengten Glottis zu Stande
kommen kann und daher seine vom Autor beanspruchte diagnostische
Bedeutung für Posticuslähmung yerliert.
Ist nun die Voraussetzung, dass es sich in den besprochenen
FäUeui wie oben angedeutet, um eine Narbe handelt, richtig? Ich
glaube, diese Diagnose darf per exclusionem gestellt werden; denn
irgend eine andere Bedeutung, als die eines Narbenrandes; weiss
ich der grauweissen zackigen Zone nicht beizulegen.« Zwar habe ich
unter meinen Fällen keinen Obductionsbefund zum Beweis beizu*
bringen; indessen ist von Sidlo^) ein Fall veröffentlicht, der mit
den meinigen in jeder Beziehung analog ist und der intra vitam fflr
eine Posticuslähmung gehalten worden ist Die laryngoskopische
Untersuchung zeigte unmittelbare Bertthrung der Stimmbänder, hin*
tere Larynxwand im Niveau der Stimmbänder stark eingebaucht,
hier seichte Excoriationen und grau weisse Schleimhaut-
zacken, die Stimmbänder während der Respiration unbeweglich,
bei der Intonation gegen einander vorrückend, ohne sich in ihrem
hinteren Abschnitt zu erreichen, woselbst die Olottis deshalb leicht
klafft.
Die Section ergibt: Dislocation der beiden Aryknorpel auf die
Yorderfläche der Ringknorpelplatte, eine straffe Verbindung der ein-
ander zugekehrten Flächen der Aryknorpel durch Narbengewebe,
eine strahlige Narbe in der Schleimhaut der hinteren
Eehlkopfwand. Atrophie der beiden Mm. cricoary taenoidei postici
und des transversus.
Eine solche strahlige Narbe setze ich auch in meinen Fällen
voraus, die ja in Bezug auf die hintere Wand genau dasselbe Bild
zeigten. Dagegen fehlt in denselben die hier angegebene vollstän-
dige Verwachsung der Aryknorpel; dass die Atrophie der Muskeln
eine secundäre sei, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen. Der Fall
unterscheidet sich von dem meinigen durch die Aetiologie. Die Affec-
tion ist nicht im Veriaufe einer acuten Infectionskrankheit, sondern
allmählich entstanden. Der Tod war durch eine Pneumonie verur-
sacht. Drei Tage vor dem tödtlichen Ausgang hatte die Stenose
sich rasch so gesteigert, dass die Tracheotomie ausgeführt werden
musste.
Der von Sanuö 0 ^^s*' RetrecissemenU trachio-laryngis beobach-
1) Wiener med. Wochenschrift. 1875. Nr. 26, 27, 29.
2) Le Croup apr^s la tracheotomie. 1677. p. 154.
Chronische Kehlkopfaffectionen der Kinder. 627
tete Fall eines 6jährigen Knaben beruht sehr wahrscheinlicher Weise
seinen Symptomen nach zu urtheilen auf derselben Grundlage. Sicher *
ist es nicht, da der laryngoskopische Befund fehlt.
Dass Variolanarben an der hinteren Larynxwand bisweilen ge-
funden werden, wird von Rokitansky in seinem Lehrbuch der
pathologischen Anatomie erwähnt und dass auch diphtheritische Pro-
cesse zu narbigen Veränderungen Veranlassung geben können, ist
bekannt.
In Bezug auf die Diagnose derartiger Zustände wäre noch Fol-
gendes zu bemerken. Eine Erweiterungsinsufficienz der Stimmbänder
kann sehr wohl bestehen und den Patienten bei schnellen Bewe-
gungen dyspnoisch machen, ohne dass wir an dem laryngoskopischen
Bild der einfachen Respiration etwas Auffallendes bemerken. In
solchen Fällen ist die Cadaverstellung und noch etwas darüber nicht
behindert. Die Glottis wird aber bei den tiefen sogenannten seufzen-
den Inspirationen, wie sie der Gesunde in der Ruhe nach jeder
zwanzigsten Inspiration und nach einer schnellen Bewegung häufiger
hintereinander vornimmt, um den Mehrverbrauch von Sauerstoff zu
ersetzen, noch um einige Millimeter weiter. Fehlt diese supplemen-
täre Erweiterung, so wird jener geringe Grad von Dyspnoe eintreten
mtlssen, den wir in unseren leichteren Fällen constatiren konnten.
Deshalb ist es nothwendig, den Patienten während der Untersuchung
tief inspiriren zu lassen. Ist die besprochene mangelhafte Functions-
fähigkeit vorhanden, so wird sich die Glottis nicht mehr erweitern,
es werden vielmehr bei der seufzenden Inspiration die vorher normal
entfernten Stimmbänder sich etwas nähern. Bei Berücksichtigung
dieser Möglichkeit wird sich gewiss noch manche räthselhafte Dyspnoe
auf ihre wahre Ursache zurückführen lassen. Für nicht unmöglich
halte ich es, dass der geschilderte eigenthümliche Reizzustand der
Schleimhaut mit der frischen Röthe die Folge einer fortgesetzten
Muskelanstrengung ist, die der sonst gesunde Organismus macht, um
das mechanische Hinderniss zu überwinden. Eine Analogie fände
diese Annahme in den Gonjunctivitiden, die manche Refractionsano-
malien des Auges so lange begleiten, bis dieselben durch eine pas-
sende Brille corrigirt sind.
Kurz zusammengefasst wird sich das Ergebniss dieser Unter-
suchungen folgendermaassen stellen: Im Gefolge derjenigen Infec-
tionskrankheiten, die zum Kehlkopf in besonderer Beziehung stehen,
bildet sich zuweilen ein Symptomencomplex aus, der aus einem chro»
nischen Reizzustande der Schleimhaut und mehr oder weniger mangel-
hafter Functionsfähigkeit einzelner Larynxmuskeln zusammengesetzt
40*
628 XXXIII. Michael
ist. Die Folgen sind je nach der Schwere des Falles localfonctionelle
oder Störungen des Allgemeinbefindens. Das Gesammtbild der Affee-
tion ist bisweilen ein so charakteristisches, dass man ans demselben,
wie es mir in zwei Fällen geglückt, eine vorausgegangene Infections-
krankheit ex post diagnosticiren kann. Der Verlauf derselben ist
nach einem acuten Beginn ein durchaus chronischer. In keinem der
beobachteten Fälle trat im Verlauf der Jahre spontan eine wesent-
liche Verbesserung oder Verschlechterung auf, wie sich dies auch in
Betracht der zu Grunde liegenden anatomischen Veränderungen nicht
anders erwarten liess. Die Prognose der unbehandelten Fälle stellte
sich daher quoad valetudinem completam absolut mala, quoad yitam
absolut bona.
Der Erfolg einer Behandlung kann nicht sicher vorausgesagt
werden, was leicht begreiflich ist, da durch die Untersuohungsmetho-
den wohl das Vorhandensein der Affection, nicht aber der Grad der-
selben genau festgestellt werden kann. Die leichtesten Fälle kann
man bis auf Weiteres unbehandelt lassen, oder sich auf adstringirende
Inhalationen beschränken. In den schwereren versuche man Pinse-
lungen mit Jodglycerin, um wenn möglich Resorption des Narben-
gewebes zu erzielen, den Inductionsstrom percutan, um die Muskulatur
zu kräftigen und der secundären Atrophie vorzubeugen. Am meisten
Erfolg würde ich mir jedenfalls von der mechanischen Behandlung
mittelst S chrötter 'scher Bougies versprechen. In den mitgetheilten
Fällen hatte ich indessen zu deren Anwendung keine Gelegenheit
Während die mitgetheilten Fälle Beispiele des milderen oder
schwereren Auftretens einer und derselben Affection waren, möge
jetzt an der Hand eines instructiven Falles eine Beihe von Affectionen
besprochen werden, welche bereits in der vorlaryngoskopischen Zeit
von den Franzosen nach ihrem hervortretendsten gemeinsamen Sym-
ptom als „Impossibilüi tPenlever la canule^ berücksichtigt worden
sind. Abgesehen davon, dass die Zahl der bisher publicirten Fälle
eine noch ziemlich geringe ist, findet die Mittheilung desselben auch
darin eine Rechtfertigung, dass er der erste ist, welcher von Anfang
an regelmässig laryngoskopisch beobachtet ist.
m
Fall VIII. Sophie V., 5 Jahre alt, erkrankte im Februar 1877 mit
Croup. Am vierten Krankheitstage wurde die Tracheotomie von dem Hans-
arzte der Familie, Herrn Dr, Eduard Cohen ausgeftlhrt und zwar wurde
die Cricotracheotomie als Operationsmethode gewählt Die Operation ver»
Chronische KehlkopfaffectioDen der Kinder. 629
lief normal, ebensowenig boten die ersten Tage nach derselben etwas Un-
gewöhnliches dar. Am achten Tage wurde die Canüle entfernt; zuerst
war die Athmnng frei, allmählich trat Dyspnoe ein, welche mehr und mehr
zunahm, so dass die Canüle nach mehreren Stunden wieder eingeführt wer-
den musste. Mehrere Tage später wurde abermals ein Versuch gemacht,
die Canttle fortzulassen mit derselben Erfolglosigkeit. Da die nun vorge-
nommene laryngoskopische Untersuchung mangelhafte Beweglichkeit der
Stimmbänder bei der Inspiration und Röthnng der Schleimhaut ergab, wur-
den Inductionselektroden und Einblasungen von Tannin in Anwendung ge-
zogen.
Seit dem 22. Mai, also ungefähr zwölf Wochen nach Beginn der
Krankheit habe ich. Dank der Freundlichkeit des Herrn Dr. Cohen, den
Fall mit ihm gemeinschaftlich beobachtet und behandelt:
Das Kind ist etwas blass, sieht aber im Uebrigeq wohlgenährt aus
und ist ganz munter trotz seiner Trachealcanüle, welche es, um zu sprechen,
stets mit dem Finger verschliesst. Die Sprache ist normal laut, klingt nur
leicht heiser und bat den den Trägem von Canttlen eigenthümlicheu metalli-
schen Beiklang. Nase, Rachen und Nasenrachenraum bieten nichts Patho-
logisches. Die Laryngoskopie lässt sich bei der liebenswürdigen und ge-
duldigen kleinen Patientin ausserordentlich leicht und ruhig vornehmen.
Sie ergibt folgendes Resultat: Bei der Phonation erscheint der Larynz bis
auf eine massige Röthung der Schleimhaut normal. Beim Versuch der
Inspiration entfernen sich die Stimmbänder nicht ganz bis zur Cadaverstel-
lung, bei tiefen Inspirationen nähern sie sich. Den Raum zwischen den
halb geöffneten Stimmbändern sieht man von drei rothen Wülsten erfüllt,
die augenscheinlich eine Schleimhautanschwellnng darstellen. Einer derselben,
von der vorderen Larynxwand ausgehend, ist unbeweglich, zwei andere,
je unter einem Stimmband hervortretend, nehmen an den Bewegungen der-
selben TheiK Die äusseren Umgebungen der Tracbealwunde zeigen einen
nach allen Seiten ungefähr fingerbreiten Substanzverlust der Haut mit rothem
Grunde und sondern eine seröse Flüssigkeit ab. Es wurden Pinselungen
mit Arg. nitr. 1 : 10 und statt des Inductionsstromes versuchsweise der
Gonstante Strom percutan angewendet. Am 26. Mai öffneten sich die
Stimmbänder normal weit; die Wülste entfernen sich ebenfalls von einander,
so dass die Canttle von oben aus sichtbar ist. Die Wunde um die Canüle
hat ebenfalls ein besseres Aussehen. Jetzt wird nur mit dem Pinseln fort-
gefahren und der constante Strom ausgesetzt. Am 30. Mai ist der zuerst
beschriebene Zustand wieder vorhanden, doch bessert sich derselbe in einigen
Tagen bis zu dem zuerst erreichten Resultat. Im Laufe des Monats Juni,
den Patientin auf dem Lande zubringt, bessert sich der Zustand insoweit,
dass die Stimme vollständig klangvoll wird, so dass sie selbst bei offener
Canüle singen kann. Das Athmen bei verschlossener Canüle ist Indess nur
auf ganz kurze Zeit möglich. Die Untersuchung der Trachealöffnung mit
concentrirtem Sonnenlicht ergibt am 20. Juni, dass das Lumen der Luft-
röhre nach oben zu von der sich hereinwulstenden Schleimhaut fast voll-
ständig ausgefüllt ist, während sie nach unten zu vollkommen frei ist. Da
nun im Laufe des Monats Juli eine weitere Besserung nicht eintrat — der
Höllenstein war inzwischen mit Jodglycerin vertauscht worden — , wir uns
aber bei dem relativ guten Befinden und besonders, weil eine gestielte leicht
630 XXXin. Michael
entfernbare Neubildung vergeblich gesucht worden war, zu eiuem operativen
Eingriff irgend welcher Art nicht entschliessen konnten, dagegen bei der ent-
schieden scrophulösen Anlage der kleinen Patientin vom Aufenthalt in gnter
Luft uns Erfolg versprachen, so wurde das Kind nach Raichenhali geschickt.
Auf der Reise dorthin wurde sie in München den Herren Professoren
V. Ziemssen und Oertel vorgestellt, welche das Bongiren des Larynx
init Metallsonden voi schlugen. Während des Aufenthalts in Reichenhall
wurde die Bougirung durch mehrere Monate von Herrn GoUegen Schmid
Ausgeführt. Im October kehrte das Kind hierher zurück. Es siebt recht
gesund aus und hat an Körperfülle wesentlich zugenommen. Das laryngo-
skopische Bild hat sich aber wesentlich nicht verändert. Die Wülste sind
noch vorhanden, das Lumen zwischen denselben hat sich ein klein wenig
vergrössert. Die Athmung bei verschlossener Canüle ist auch jetzt nur
auf kurze Zeit möglich, die Sprache bei offener Canüle ist gut Im Laufe
der Monate November und December hat sich der Zustand im Ganzen so
erhalten; zeitweilig hat sich derselbe durch intercurrirende Bronchitiden
und eine Parotitis epidemica verschlechtert, so dass dann die Schleimhaut
wieder dunkel geröthet, die Wülste vergrössert und wenn der Zustand eine
gewisse Höhe erreichte auch, was ich besonders hervorheben möchte, die
frühere Erweiterungsinsufficienz der Stimmbänder wieder hergestellt. Nach
zwei- bis dreimaligem Pinseln waren diese Exacerbationen wieder verschwun-
den. Inzwischen war therapeutisch die Bougirung weiter fortgesetzt, mit
Tannin gepinselt, die Wülste mit der mit Arg. nitr. armirten Sonde geätzt
und innerlich Syr. ferri jodati gegeben worden. Alle diese Vornahmen
waren aber bald wieder ausgesetzt worden, weil sich irgend ein Erfolg
nicht constatiren Hess. Am 15. Januar zeigte das laryngoskopische Bild
plötzlich eine Veränderung, nachdem seit einigen Tagen ziemlich hochgra-
dige Heiserkeit eingetreten war. Zwischen den halbgeöfibeten Stimmbän-
dern ist ein Tumor von Kirschkerngrösse sichtbar. Derselbe ragt nur zum
Tlieil zwischen den Stimmbändern hervor, doch ist seine Kugelgestalt deut-
lich erkennbar. Er hat eine glatte glänzende Oberfläche und eine gelblich-
rothe Farbe. Seine Insertion scheint unterhalb des linken Stimmbandes zu
sein. Wo dieser Tumor bisher sich aufgehalten — in vier Tagen kann
er ja nicht entstanden sein — , ist nicht ganz sicher zu sagen. Ich ver-
muthe, dass er von der Canüle gegen die hintere Wand gedrängt war.
Von den rothen Wülsten war jetzt natürlich nichts zu sehen, aber in den
nächsten Tagen, in denen der Tumor wieder herabgetreten war, zeigten
sich dieselben wieder unverändert und Hess es sich constatiren, dass sie
mit dem Tumor, von dem nur ein kleines Bruchstück unter dem linken
3timmbande in der Tiefe sichtbar war, in keinem Zusammenhang standen.
In den nächsten Monaten trat dann keine weitere Veränderung ein. Der
Tumor war bald zwischen den Stimmbändern sichtbar, bald verschwand er
zum grossen Theil. Seine Bewegungen gingen um eine Axe, die dem Ver-
lauf des linken Stimmbandrandes entsprach, aber wohl einen Centimeter
tiefer lag. Durch Hustenstösse konnte er in die Höhe geschlendert wer-
den. Bei jeder tiefen Inspiration und bei jeder Berührung mit der Sonde,
welche häufig vorgenommen wurden, um seine Beweglichkeit zu vergrössem
und zur Vorübung für operative Eingriffe, ging er wieder hinunter. Mo-
biler war er entschieden geworden, doch war auch im April sein grösster
Chronische Kehlkopfaflfectionen der Kinder. 631
-Durchmesser noch nicht Aber das Niveau der Stimmbänder getreten. Ende
April ging die kleine Patientin , deren Allgemeinbefinden in der rauhen
Jahreszeit entschieden etwas herabgekommen war, wieder nach Reichenhall.
Daselbst wurde am 18. März 1879 die Canüle definitiv entfernt. i)
Um die Krankengeschichte nicht zu zerreissen, habe ich unsere
diagnostischen Betrachtungen und deren Begründung bis zum Schlüsse
verschoben. Verständlich wird meiner Ansicht nach der beschrie-
bene Symptomencomplex nur dann, wenn man annimmt, dass der-
selbe die Combination zweier verschiedener Affectionen ist, von denen
allerdings die zweite eine indirekte Folge der ersten darstellt Das
Bild, welches der Spiegel bei den Untersuchungen in den ersten
Monaten zeigte, entspricht ziemlich genau den Beschreibungen und
Abbildungen der von Türck, Gerhardt und Burow beschriebenen
Chorditis inferior hypertrophica. Auch hier werden besonders zwei
WQlste beobachtet y welche unterhalb der Stimmbänder liegend, die
Bewegungen derselben mitmachen, ebenso pflegt auch der dritte von
der vorderen Wand ausgehende vorhanden zu sein. Diese Diagnose
ist übrigens derzeit auch von v. Ziemssen und 0 e r t e 1 uns brieflich
bestätigt worden. Die Insufficienz der Stimmbanderweiterer kann
meiner Ansicht nach weder als Lähmungserscheinung noch als Krampf
aufgefasst werden. Vielmehr wurde in der oben angegebenen Weise,
sobald die Infiltration der Schleimhaut eine gewisse Höhe erreicht
hatte, der Spielraum für die Aryknorpelfortsätze weggenommen. Der
Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung wurde in diesem Fall
ex juvantibus gewissermaassen experimentell geliefert. Während die
Elektricität auf den Zustand vollständig ohne Einfluss blieb, wurde
die Bewegungsstörung, die stets von einer hochgradigen Schleim-
hautröthung begleitet auftrat, durch einige Pinselungen von starker
Höllensteinlösung wieder aufgehoben.
Die schlechte Beschaffenheit der Haut in der Umgebung der
Canüle erklärt sich am besten aus dem scrophulösen Ebbitus der
Patientin.
Die Schleimhauttumoren in der Umgebung der Canüle, die tra-
eheoskopisch beobachtet sind, ebenso wie der Tumor, welcher im
Laufe des Winters plötzlich auf der Bildfläche erschien, passen nicht
in den Rahmen der besprochenen Affection. Sie scheinen vielmehr
Granulationen zu sein, die sich vielleicht als Reaction eines durch
die Canüle ausgeübten Reizes entwickelt haben.
1) Eine nähere Beschreibung der dortigen Behandlung und des Heilverlaufa
behält sich Herr Dr. Schmid für eine demnächst erscheinende Arbeit vor.
632 XXXin. Michael
•
Obgleich die Literatur an ausftlhrlicben Erankengescliicbten Aber
das Yorkommniss der niebt entfembaren Ganttle ziemlich arm isti so
Bcbeint das Ereigniss doch kein so ausserordentlich seltenes zu sein.
Die ersten derartigen Fälle sind von Trousseau^) erwähnt, in denen
die Canüle je 14, 20 und 44 Tage liegen bleiben musste. In einem
vierten konnte sie erst nach 5 Jahren entfernt werden. Trousseau
hält den durch die Canflle hervorgebrachten Beiz fttr die Ursache
und räth deshalb, dieselbe baldmöglichst zu entfernen. Ein Yollstftn-
diges Verzeichniss der diesen Gegenstand betreffenden Publikationen
findet sich in der Arbeit von Koch über Granulationsgeschwttlste der
Luftröhre^). Nicht erwähnt ist daselbst nur eine These von Gentit:
Sur les causes emp§chantes Tablation de la canule. Strassbourg 1868.
Leider war auch mir dieselbe nicht zugänglich. Koch hat in allen
denjenigen Fällen, wo keine Ursache für die Stenose klar angegeben
war, die Granulationen supponirt ; ich glaube jedoch nach Dorchsicht
der Fälle, dass es sich in einigen derselben um andere Affectionen
gehandelt habe und in einigen andern die Granulationen nur eine
durch die permanente Canüle bedingte Gomplikation darstellten.
Das schmälert natürlich das Verdienst des genannten Autors durch-
aus nicht, auf die häufigste und — weil der Therapie zugänglichste
— auch praktisch wichtigste Ursache der fatalen Impossibüüi dTen-
lever la canule die Aufmerksamkeit gelenkt zu haben. Es bleibt
übrigens nach Abzug der betreffenden Fälle noch der grössere Theil
für die Granulationen übrig. Als besonders lehrreich hebe ich her-
vor den Fall von Rouzier-Joly^), in dem nach 27 Monaten durch
die Canüle von Laborde Heilung erzielt wurde, nachdem die tra-
cheale Aetzung der „bourgeons chamues*^ erfolglos geblieben war,
den von Gigen^), in welchem sich an der Narbe der ersten Tra*
cheotomie Granulationen bildeten und so voluminös wurden, dass
nach drei Monaten der Luftröhrenschnitt wiederholt werden musste
und besonders der von Koch selbst beobachtete Fall. In einem
Falle von Billroth^) konnte erst nach 20 Tagen die Canüle ent-
fernt werden, weil die die Halswunde umgebenden Granulationen
bei jeder Inspiration in die Trachea hineingezogen wurden und diese
verlegten.
Seit dem Erscheinen der Eoch'schen Zusammenstellung hat
sich die Casuistik der Granulome durch folgende Pnblicationen ver-
1) Clinique m^dicale, übersetzt von Culman. Bd. I. S. 480.
2) Langenbeck*s Archiv. Bd. XX. Heft 3.
3) Gaz. des hdp. 27. Juni 1867. 4) Union mädicale. 1862. p. 277.
5) Archiv für klin. Chirorgie. Bd. X. S. 192. 1869.
Chronische Eehlkopüaffectionen der Kinder. 633
mehrt y welche zum Theil auf die Häufigkeit des Vorkommens der-
selben einiges Licht werfen: Pauli i) beobachtete unter 24 wegen
diphtheritischen Croups ausgeführten Tracheotomien drei Fälle von
Granulationsbildung und einen yierten an einem Patienten, der wegen
respiratorischer Paralyse eine permanente Canttle tragen musste. Von
Interesse ist es auch, dass zwei der beobachteten Fälle Geschwister
betrafen. Eines derselben, ein 3 V2 jähriger Knabe, starb plötzlich
eines Abends an Erstickung, nachdem am Morgen die Canttle ent*
femt worden war. Bei der Section fand sich eine Schwellung und
fast lappenartige Vergrösserung der Schleimhaut in der Umgebung
der Tmcheal wunde. Pauli hat zugleich das Verdienst, den fttr in
ihrer Ursache noch unaufge^ärte Fälle zweckmässigen Ausdruck:
Impossibilili cTenlever la canule, der den Vorzug hat, keine Diagnose
zu anticipiren, wieder aufgefrischt zu haben. Einen klappenartigen
Verschluss durch vorgewölbte Schleimhautlappen hat Völker 2) an
der Leiche eines Kindes, das ein Vierteljahr lang nach Diphtheritis
eine Canflle getragen, beobachtet und einen anderen Fall derselben
Art hat Dupuis^) mit einer von ihm construirten Canttle erfolgreich
behandelt Krönlein ^) konnte unter 65 geheilten Tracheotomien
in einem Falle wegen Granulationen erst nach einem halben Jahre
die Canttle entfernen. Wauscher^) bespricht in einer Inaugural-
dissertation 400 Fälle von Tracheotomie. In sechs derselben konnte
wegen Granulation in der Wunde die Canttle erst nach längerer Zeit
entfernt werden. In diesen Fällen war die hohe Tracheotomie ge-
macht worden, welche Verfasser als die Ursache beschuldigt. Wenn
man auch die citirten Fälle von Schleimhautklappen zu den Granu-
lationsstenosen rechnen will, so bleibt doch immer noch eine Anzahl
von Fällen ttbrig, in denen man mit der Diagnose „Granulationen^
nicht auskommt. In folgendem Fall z. B. handelt es sich genau wie
in dem von uns mitgetheilten um eine Combination von Chorditis
inferior hypertrophica mit Granulationen. Selbst die durch die Schleim-
hautschwellung bedingte Erweiterungsinsufficienz fehlte nicht und ge*
rade diese liefert mir den Beweis fttr die Richtigkeit der Annahme.
Durch Wucherungen, die der Schleimhaut rund aufsitzen, wttrde der
1) Zur Lehre von der Grannlationsstenose nach Tracheotomie. Centralblatt
für Chirurgie. 1877. Nr. 45.
2) Stenose des Kehlkopfs nach Tracheotomie. Zeitschr. f. Chirurgie. Bd. IX.
S. 448 £F.
3) Ebenda. Bd. Y. S. 307.
4) Langenbeck's Archiv. 1877. Heft 2.
5) On diphtheritis og croup. Kopenhagen 1878.
634 XXXm. Michael
Raum im submucosen Gewebe nicht beschränkt worden sein. Da
dec Obductionsbefund für das Verständniss unseres Falles ausser-
ordentlich wichtig ist, möge er hier eine Stelle finden 0 : » ^« larynx
detacke en masse avec la base de la langue et de la trachee fat
dahord examini intact, M. Gosselin qui asristait ä Pautopsie nous
fit remarquer au premier ahord un retrecissement notable de la glotte.
Une pince ä dissequer introduite fermie entre les cordes poutaü ä
peine les icarter. En examinant plus atlentivement la glotte on re-
connut, que le ritrecissement tenaü au rapprockement forci de la base
des cartilages aryt. En ouvrant le larynx par sa partie posterieure
il fut facüe de constater ä ce niveau un epaississement de la muqueuse
fortement adhSrente et sa transformatioi^ en une sorte de tissu ßbreux
et rigide qui devait ividement g^ner le jeu des cartilages. Cette mu^
queuse presentait en un mot toute Capparence du tissu cicatricieL Les
petites articulations cricoarytaenoidiens paraissaient manifestement gon-
flies. II est probable qu'elles avaient participi ä Pinflammation gene-
rede du larynx. Nulle trace de fausses membranes d la surface du
larynx ou des bronches."
Hinzuzufügen w&re noch, dass auch in diesem Falle n^ourgeons
chamues " in der Trachealöffnung intra yitam beobachtet sind. Auch
einer der von Sann 6^) berichteten Fälle (p. 153 tumifactian de la
muqueuse laryngie) scheint mir hierher zu gehören. Zwei andere
sind entschieden Granulationsstenosen. Auch der Fall von Calyet')|
der von dem Beobachter für Granulationsstenose angesehen wurde,
ist meiner Ansicht nach aus dieser Rubrik zu eliminiren : Bei einem
achtjährigen wegen Group tracheotomirten Kind wird am achten Tage
nach der Operation die Canüle entfernt. Einen Monat nach der voll-
ständigen Heilung tritt plötzlich Stertor und Dyspnoe auf. Die
Tracheotomie wird vorgeschlagen, aber verweigert. Der Zustand
verschlimmert sich. Exitus letalis in der darauffolgenden Nacht. Die
Obduction vrird nicht ausgeftihrt Dass Granulationen einen Monat
lang vollständig symptomlos bestehen können und dann in einem
halben Tage tödten, erscheint sehr unwahrscheinlich, ebenso dass
ein Glottiskrampf stundenlang ununterbrochen dauert Ich glaube
vielmehr, dass der Patient an einer diphtheritischen Vaguslähmung
zu Grunde gegangen ist.^)
1) Blanchez, Observation de croup mort six semaines aprte Top^ration
cons^cuüvement ii Textraction de la canole. Gaz. des Mpitaox. 1858. p. 54.
2) Etüde BOT le croup apr^s la tracheotomie. Paris 1877.
3) Gazette des höpitaux. 1874. p. 49.
4) Da derartige F&Ue nicht gerade zu den häufigen YorkomnuüBsen gehören.
Chronische Kehlkopfaffectionen der Kinder. 635
Auch die bereits oben mehrfach erwähnte Posticnslähmung darf
in zweifelhaften Fällen als mögliche Ursache der „ImpossibilüS^
darchauB nicht ausser Acht gelassen werden. Ein geheilter Fall
dieser Art, in dem die Lähmung neun Monate nach einer Scharlach-
diphtheritis auftrat, die Tracheotomie und zehntägiges Liegen der
Canflle noth wendig machte, ist von Blake 0 laryngoskopisch con*
trolirt und behandelt worden und eine gleiche Beobachtung ist von
Behn^) gemacht worden. Endlich wurde in einem Falle auf der
Klinik von Bartels^) die Herausnahme der Canüle aus demselben
Grrnnde um vier Monate Tcrzögert. Fettige Entartungen der Mus*
culatur, besonders des Gricoarytaenoideus posticus sind von Arn-
heim^) bei den Obductionen von an Diphtheritis verstorbenen Kin-
so erlaube ich mir, einen derartigen Fall aus meiner Praxis hier anmerkungsweise
mitzutheilen:
Oustav S., 12 Jahre alt, ein schwächliches Kind, das stets viel gehustet hat»
erkrankt am 17. Juli 1878 mit Halsschmerzen. Der ganze Rachen, die Tonsillen
and der weiche Gaumen sind mit grauweissem Belag bedeckt. Fieber gering.
Keine Dyspnoe, kein Stridor. Aeusserlich am Halse mehrere über wallnussgrosse
geschwollene Lymphdrüsen. Auf den Lungen ausser massig reichlichem mittel-
grossblasigem Rasseln keine Anomalien. Diagnose: Diphtheritis des Rachens.
Therapie: Eisumschläge , Eisschlucken. Kali chlor. 1 0,0 : 200,0 : 2 stOndlich
1 Theelöffel. Vin. Xerense.
Unter dieser Behandlung ist am 28. Juli der Belag allmählich verschwunden,
die Drüsenschwellungen vollkommen zurückgegangen. Ausser ziemlich hochgra-
diger Schwäche bietet Patient nichts Besonderes. Am 29. Morgens werde ich
schleunigst zu dem Knaben gerufen. Seit gestern Abend soll derselbe auffallend
oberflächlich geathmet haben. Besonders seit einer Stunde ist der Athem immer
oberflächlicher geworden und hat zuweilen ganz ausgesetzt. Hände und Füsse
sind seit dieser Zeit kalt geworden. Eigentliche Athemnoth oder Stridor soll nicht
vorhanden gewesen sein. Als ich hinkam, war Fat. vor wenigen Minuten gestorben.
Die am folgenden Tage von Herrn Dr. Dehn freundlichst ausgeführte Ob-
duction ergab ausser massigem Lungenödem, chronisch -bronchitischen Verände-
rungen und einer Eiteransammlung im rechten Harnleiter keine Anomalien. Schleim-
haut des Pharynx und Larynx leicht geröthet und geschwollen. Niigends eine
Spur von irgend welcher Auflagerung. — Es kann wohl in .diesem Fall ebenso
wie in dem von Calvet per exclusionem und nach den Erscheinungen in den
letzten Lebensstunden die Diagnose „VaguslähmuDg** gestellt werden. Zu bedauern
ist es jedenfalls, dass zur Anwendung der Elektricität, die in solchen Fällen bis-
weilen lebensrettend sein soll, keine Möglichkeit war.
1) Paralysis of both posterior cricoarytaenoid muscles in a case of diphtheritis
tracheotomia, recovery. Boston med. and surgicaljoum. Vol. XGVU. 23. Aug. 1877.
2) Dieses Archiv. 1876. S. 136.
3) Müller-Warneck, Zur Behandlung der DiphtheritiB vor und nach der
Tracheotomie. Berliner klin. Wochenschrift 1878. Nr. 44.
4) lieber croupöse Entzündung der Luftröhre. Jahrb. für Kinderheilkunde.
December 1877. S. 46.
636 XXXm. Michael
dem gefunden worden. Auch hat derselbe bestätigende Beobachtun-
gen von Schlautmann, Niemeyer, Tobold und Gerhardt
citirt. Dieselbe Ursache wird auch von Steiner^) angenommen.
Durch Glottiskrampf bedingt war die nlmpossibiläi*^ in folgen-
dem Falle von R h y n 2). Als einem vierjährigen, wegen Diphtheritis
tracheotomirten Knaben am siebenten Tage nach der Operation die
Canttle, weil die Athmung völlig frei war, entfernt wurde, entstand
ein sehr bedrohlicher Glottiskrampf, der die sofortige Wiederein-
führung des Instrumentes nothwendig machte. Während der näch-
sten Wochen geschah bei gleichen Versuchen das Gleiche, indem
das Kind mit verstopfter Ganüle stundenlang frei athmete. Am
19. Tage endlich wurde der Krampf durch die ledige Angst vor der
Herausnahme hervorgerufen. Jetzt wurde das Kind chloroformirt mit
sofortiger Beendigung des Anfalls. Während der Narkose wurde die
Canüle entfernt, die Wunde verklebt und verbunden. Später stellten
sich nur noch zwei Anfälle ein, die dem Chloroform schnell wichen.
Simon 3) thyreo tomirte einen 6 Jahre alten Knaben, nachdem
derselbe ^4 Jfthr nach Diphtheritis eine Canüle getragen hatte und
entfernte eine dicke, im Kehlkopf flottirende Schleimhautzunge. Dann
aber zeigte es sich, dass der Kehlkopf in der Höhe des Ringknorpels
zu einem schmalen Spalt stenosirt war. Durch eine plastische Ope-
ration an der stark zusammengefalteten Schleimhaut versuchte Simon
den Zustand zu bessern, jedoch ohne den gewünschten Erfolg. Ma-
li nowski^) theilt die Krankengeschichte eines Erwachsenen mit,
der 2 Jahre nach überstandener Diphtheritis die Canüle noch tragen
muBste. Durch die Thyreotomie wurden zahlreiche papillomatöse
Wucherungen entfernt, aber eine Hypertrophie der Kehlkopfschleim-
haut und Verdickung der Stimmbänder machen das weitere Tragen
der Canüle erforderlich.
Der folgende Fall wurde von Herrn Dr. Wie sing er beobachtet
und mir die Veröffentlichung desselben freundlichst gestattet Einem
6 jährigen Kinde wurde wegen Diphtheritis die Tracheotomie ge-
macht. Die Entfernung der Canüle zur gewöhnlichen Zeit war nicht
möglich, weil sogleich Erstickungsanfälle eintraten. Weder von der
Trachealöffnung aus, noch laryngoskopisch Hess sich eine Ursache
dieses eigenthümlichen Verhaltens finden, speciell konnte das Vor-
1) Jahrb. f. Kinderheilk. Bd.I. S.71, und Prag. Yierte^jahrschr. 1875. S.406.
2) Een gefal Tan tracheotomie by croup. Weekblad Tan hed nederlandsch
Tigdschrift Tan geneeskunde no. t5 nach Virchow-Hinch's Jahresber.
3) Mittheilnng aus der chirurgischen Klinik. 1861—1865. S. 146.
4) Inaugnral-Dissertation: Ueber Thyreotomie. 1878.
Chronische Kehlkop&ffectionen der Kinder. 637
handensein von Orannlationen ausgeschloBsen werden. Der Fall blieb
unaufgeklärt y bis der eigentbflmUcbe Umstand, dass das Rind bei
verseblossener Cantlle ebenso gut atbmete, wie bei geöffneter, auf
die Deutung binleitete. Es zeigte sich nftmlich, dass eine krankhafte
Nachgiebigkeit der Trachealknorpel bestand, so dass bei jeder Ath-
mung die vordere Luftröhren wand angesogen wurde und indem sie
sich der hinteren Wand anlegte, das Lumen verschloss. An Stelle
der Canflle, die möglicherweise durch Schwere und Druck die Sache
verursacht haben konnte, wurden jetzt Wachsbougies von der Form
derselben eingelegt und in dieser Weise der Fall nach mehreren
Monaten zur Heilung gebracht.
Der Fall von Parise^) beruht ursprünglich möglicherweise auf
derselben Ursache. Auch dieser 5 V2 jährige Patient konnte sehr
wohl mit verschlossener Canüle athmen, während nach Herausnahme
derselben Erstickungsanfälle eintraten. Freilich wurden hier im Laufe
der Behandlung „bourgeons chamues^ constatirt. Dieselben konnten
jedoch secundär entstanden sein. Andererseits darf die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen werden, dass durch die Canttle eine ganstigere
Lagerung der Neugebilde bedingt und in Folge dessen die Luft-
passage neben der Canttle ermöglicht ist. In solchen Fällen ist der
Mechanismus derselbe, wie ihn Rose als Ursache des Kropftodes
beschrieben hat Bei diesem ist die Trachea durch den Druck der
Struma usurirt
Aus den mitgetheilten fremden und eigenen Beobachtungen lässt
sich folgendes Erankheitsbild zusammenstellen. Durch verschiedene
Gomplicationen, die im Verlauf eines tracheotomirten Falles auftreten,
kann die Herausnahme der Canttle wegen Undurchgängigkeit der
oberen Luftwege fttr kttrzere oder längere Zeit unthunlich werden.
Die Ursachen dieser* „ ImposgibilitS cTenlever la canule* können man-
nigfacher Art sein:
1. Granulationswucherung, welche entweder von der Umgebung
der Canfllenöffnung , oder von einem durch das Ende derselben ge-
setzten Decubitalgeschwttr an der hinteren Wand ausgeht.
2. Chorditis inferior hypertrophica oder eine dieser Krankheit
ähnliche Affection.
3. Posticuslähmung.
4. Glottiskrampf.
5. Narbenverengerung von Larynx oder Trachea.
1) Croup laryngobronchique, Tracheotomie, Imposaibilit^ d'enlever la canule
apr^B seize mois. Gaz. des höpit lb67. p. 173.
638 XXXIII. Michael
6. Pathologische Nachgiebigkeit der vorderen Trachealwand.
7. Gomplicationen mehrerer der genannten Ursachen.
Ich hoffe bewiesen zu haben, dass es nicht richtig ist, diese
Fälle alle unter der Diagnose Oranulationsstenose zu subsumiren und
habe einstweilen die rein symptomatische Bezeichnung empfohlen,
weil ich fiberzeugt bin, dass weitere Beobachtungen zeigen werden,
dass mit den genannten die Ursachen, die eine Entfernung der Ca*
nflle verbieten, noch nicht erschöpft sind. Die Aetiologie und daher
auch die Prophylaxe dieser Fälle liegen noch recht im Dunkeln,
selbst fttr die Granulationen, über deren Ursachen Manches ge-
schrieben ist. In erster Linie hat man die hohe Operationsmethode
beschuldigt, die sog. Oricotracheotomie. Nun ist es allerdings sehr
auffallend, dass in fast allen beobachteten Fällen diese Methode ge-
wählt worden war. Aber sie ist bekanntlich die leichter ausführbare
und hat viele Vorzttge und halte ich es daher ffir sehr wahrschein-
lich, dass sie ungleich öfter ausgeführt wird als die untere und
dürfte dieses Zusammentreffen darin seinen Grund haben. Auch das
zu lange Liegenbleiben der Canüle wird beschuldigt. Es ist gewiss,
dass dieselbe als fremder Körper reizend wirkt und nach dem be-
kannten Rathe Trousseau's so bald als möglich entfernt werden
muss. Diesen Rath zu befolgen war aber in den betreffenden Fällen
stets versucht worden. Es musste Abstand genommen werden, sie
zur rechten Zeit zu entfernen, weil eben die Gomplication ihr Liegen-
bleiben erforderlich machte. Dass sie bei monatelangem Liegen Ur-
sache sein kann, dass andere Affectionen sich mit Granulationen
compliciren, habe ich oben hervorgehoben und will auch zugeben,
dass in einzelnen Fällen, wie die von Pauli, in denen wegen hinzu-
getretenen Scharlachs die Wegnahme aufgeschoben werden musste,
die Canüle als einzige Ursache der Granulationen angesehen werden
kann. Ebenso können zuweilen diphtheritische Trachealgeschwfire
und die durch Canülendruck producirten Decubitalgeschwüre an der
hinteren Wand beschuldigt werden ; für die meisten Fälle aber trifil
dies, wie gesagt, nicht zu.
Dass dagegen die Form und die örtliche Vertheilung der Granu-
lationen, wenn diese einmal vorhanden sind, durch die Form der
Canüle beeinflusst wird, ist natürlich; ebenso ist die Bildung des
klappenartigen Schleimhautwulstes, der in mehreren Fällen als im
oberen Wundwinkel sitzend notirt ist, nach Völker (l>e.) durch die
Gestalt der Trousseau' sehen Canüle ermöglicht und wird dann,
wie Koch nachweist, durch den Inspirationszug vergrössert Ffir
den Werth der therapeutischen Maassnahmen im concreten Fall sind
Chronische Kehlkopfaffectionen der Kinder. 639
diese Betrachtungen von einiger Bedeutung. Als ursächliches Mo-
ment kann die Trousseau'sche Ganüle nicht aufgefasst werden,
da sie ja in mindestens 95 Proc. derjenigen Fälle , die die Grund-
krankheit überstanden haben, solche Veränderungen nicht hervorruft.
Wie die Casuistik zeigt, können weder bestimmte Dyskrasien, noch
ungünstige hygienische Verhältnisse (die mitgetheilten Fälle stammen
theils aus Spitälern, theils aus der Privatpraxis in den höchsten und
niedersten Ständen), auch nicht klimatische Ursachen dieselben er-
klären. Dass gerade in Frankreich die ersten und meisten Fälle
publicirt sind, hat wohl seinen Grund in der Aufmerksamkeit, die
gerade dort durch Trousseau's Einfluss allem die Tracheotomie Be-
treffenden «seit langer Zeit zugewendet worden ist. Es bleibt uns
als Ultimum refugium nur die Annahme einer individuellen Idio-
synkrasie übrig. Die Prophylaxe kann sich daher nur auf möglichst
frühzeitige Entfernung der Canüle und Pflege der Trachealwunde
beschränken. Ob die Vortheile, die die hohe Tracheotomie bietet,
gegenüber der tiefen nicht zu sehr überwiegen, um sie eines immer-
hin seltenen Vorkommens wegen, dessen Abhängigkeit noch nicht
einmal sichergestellt ist, aufzugeben, ist mindestens noch zu erwägen,
besonders da, wie der Fall von Parise (siehe oben), in dem unter-
halb des 3. Knorpels operirt ist, lehrt, die tiefe Methode keinen
sicheren Schutz bietet.
Die symptomatische Diagnose ist natürlich sehr leicht zu stellen.
Sobald nach der Entfernung der Ganüle Erstickungsanfälle auftreten,
ist die nimpossibüüi eTenlever la canule^ vorhanden. Da aber ge-
zeigt ist, dass die Ursachen dieses Zustandes sehr mannigfache sein
können, so hat diese Diagnose für die Instituirung einer rationellen
Beurtheilung und Behandlung des Falles keinen grossen Werth. Viel-
mehr ist es unsere Aufgabe, jene Ursache aufzufinden, die im con-
creten Falle vorhanden ist. Zu diesem Zwecke ist die laryngosko-
pische Untersuchung und ebenso die Besichtigung von der Tracheal-
wunde aus absolut erforderlich. Die laryngoskopische Untersuchung
ist mit vielleicht wenigen Ausnahmen, wo sie an einer unbezwing-
baren Ungeberdigkeit der kleinen Patienten scheitert — Ausnahmen,
welche nur die Regel bestätigen — in jedem Lebensalter ausführbar;
freilich gelingt es nicht immer in der ersten Sitzung und ist zuweilen
recht viel Geduld und Ausdauer von Seiten des Arztes erforderlich,
um das Misstrauen der kleinen Patienten zu überwinden. Hat man
das erreicht, oder hat man überhaupt wohlerzogene geduldige Kinder
vor sich, so ist nach dem vierten Lebensjahre die Untersuchung ent-
schieden leichter und wird besser und länger ertragen, als bei Er-
640 XXXm. Michael
wachsenen, deren Pharynx durch chronischen Tabaks- und Alkohol-
genuss gegen die Berührung des Spiegels empfindlich geworden ist ^)
Die Prognose dieser Fälle, möge die Ursache sein, welche sie
wolle, scheint in Bezug auf die Entfernbarkeit der CanQle eine relativ
günstige zu sein; nur lässt sich bei exspectativer Behandlung die
Zeit, in der sie getragen werden muss, daraus nicht bestimmen.
Trousseau hat diese günstige Prognose gelegentlich von Consul-
tationen (Steiner 1. c, Parisei. c.) ausgesprochen, allerdings auch
bei dieser Gelegenheit mitgetheilt, dass das Kind eines französiseben
Generals seine Ganüle erst nach 5 Jahren entbehren konnte, aber
auch dieser Fall war dann vollständig geheilt. Die A£fection an sich
scheint für das Leben durchaus gefahrlos zu sein, wenn nur die Ver-
suche, die Ganüle zu entfernen, mit grosser Vorsicht vorgenommen
werden. Unter den mitgetheilten Fällen befinden sich fünf Todes-
fälle, davon kommen zwei auf intercurrente Krankheiten (Sann 6),
zwei auf zu frühzeitige Entfernung der Ganüle (Blanchez, Pauli).
In dem Fall von Völker ist keine Todesursache angegeben, doch
findet sich in dem Befunde am Larynx nichts, was denselben direct
verursachen konnte. Der Fall von Galvet gehört, wie oben ange-
geben, nicht hierher. Ungeheilt blieb ein Fall von Narbenstenose
(Simon) und eine Ghorditis hypertrophica nach Diphtheritis bei
einem Erwachsenen (Malmowski).
Beziehentlich der Behandlung dieser Fälle kommt natürlich
die Entfernung der Ganüle in erster Linie in Frage. Dass dieselbe,
wenn auch nicht als Ursache dieser Klasse von Affectionen zu be-
trachten, jedenfalls geeignet ist, einen Reiz auszuüben, dadurch chro-
nisch entzündliche Zustände der Luftröhre zu unterhalten, Decubital-
geschwüre an der hinteren Wand und Granulationen um die Fistel
zu begünstigen, ist sicher. Dass nach forcirter Entfernung eventuell
schnelle Heilung eintreten kann, ist durch einzelne Fälle bewiesen.
Der Bath Trousseau's und Rilliet und Barthez', sie sobald
1) Ich glaube auch nicht, dass das Alter unter 2. Jahren die Laryngoskopie
absolut unmöglich macht. In einem Falle habe ich versucht, em mit angeborenem
Stridor und Dyspnoe behaftetes Kind am achten Tage nach der Gebort zu laryngo-
skopiren. Nach mehrtägigen Versuchen, die hauptsächlich durch eine sehr reich-
liche Schleimansammlung im Pharynx erschwert waren, war es mir gelungen, die
Mundseite der Epiglottis und einen Theil der Aryknorpel zu sehen und hier die
Abwesenheit pathologischer Veränderungen zu constatiren. Ich würde gewiss
ganz zum Ziele gekommen sein, wenn nicht höchst bedrohliche Suffocationsanfäile,
die fast stündlich eintraten, mehrere Male gerade bei der Untersuchung aufge-
treten wären und mich veranlasst hätten, von weiteren Versuchen abzustehen.
Chronische Eehlkopfaffectionen der Kinder. 641
als möglich fortzulassen, verdient daher alle Berflcksichtigung, sobald
dies ohne Gefahr geschehen kann und wenn eine ergiebige Laryn-
goskopie und Tracheoskopie die Abwesenheit jedes mechanischen
Hindernisses constatirt hat Andererseits aber lehren uns die mit-
getheilten Unglücksfälle, welche furchtbare Gefahr in der vorzeitigen
Entfernung liegt. Sie zeigen, dass auch noch nach Stunden plötz-
liche SuffocationsanfftUe das Leben beenden können. Es wird sich
daher in solchen Fällen, in denen die Herausnahme zur gewöhnlichen
Zeit nicht ausführbar war, empfehlen, die Kinder erst mehrere Tage
mit verschlossener Ganüle zu lassen und erst wenn während dieser
Zeit keinerlei Beschwerden aufgetreten sind, sie definitiv zu ent-
fernen. In den nächsten Tagen nach der Entfernung ist es absolut
nothwendig, die Kinder keinen Augenblick unbeaufsichtigt zu lassen
und zwar von Personen, die eventuell die Wiedereinführung über-
nehmen können. Das Tragen der verschlossenen Canüle ist auch
schon deswegen zweckmässig, weil die Kinder zuweilen den normalen
Athemmechanismus verlernt haben, so dass selbst in Fällen vollstän-
diger Heilung noch stundenlang nach der Herausnahme Dyspnoe be-
stehen kann.
Hat sich die Entfernung der Canüle als unthunlich erwiesen und
müssen wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass noch lange
Zeit vergehen wird, bevor sie entbehrt werden kann, so müssen wir
derselben, die ja nun die stete treue Begleiterin unseres Patienten
sein soll, unsere volle Aufmerksamkeit widmen. Modificationen des
Materials und der Form, die bei kürzerem Gebrauch gegenstandslos
sind, gewinnen durch die längere Dauer ihrer Einwirkung an Be-
deutung, entweder dadurch ungünstig, dass sie der Bildung krank-
hafter Schleimhautwucherungen Vorschub leisten, oder vortheilhaft,
indem sie dieselben durch Baumbeschränkung unterdrücken und in
diesem Sinne selbst therapeutisch werthvoU sein können. Die ge-
bräuchlichste und auch für die meisten Fälle geeignetste Form ist
die gewöhnliche Trousseau'sche Canüle. Zweckmässig wird es
sein, kürzere und längere mit einander abwechselnd tragen zu lassen,
damit das Canülenende nicht stets dieselbe Stelle der hinteren Wand
berührt. Die Canüle soll oben geschlossen sein. Die mit dorsaler
Oeffnung bezeichnet Trousse au in einem Briefe an Steiner (1* c.)
als instrument mutile et souvent dangeretuc. In unserem Fall konnten
wir die Richtigkeit dieses Ausspruchs bestätigen. Bei^ verschlossener
Ganüle ging auch neben derselben genug Luft für die Sprache vorbei.
Dagegen drängte sich in die versuchsweise angelegte offene die hyper-
trophische Schleimhaut hinein, erschwerte die Respiration und machte
DaaUcbta ArchiT f. klin. MedUin« ZXIV. Bd. 41
642 XXXin. Michael
die Entfernang schmerzhaft. Sehr wohl könnte auch ein hineinge-
drängter grösserer Wulst Erstickung herbeifdhren. Bei der opera*
tiven Behandlung findet die dorsale Oeffnung ihre Verwendung. Bei
ausschliesslich inspiratorischer Dyspnoe kann man auch an der vor^
deren Oeffnung Kugel- oder Elappenventile anbringen, um den Pa-
tienten das Verschliessen mit dem Finger beim Sprechen, das sie
übrigens schnell genug lernen, zu ersparen. Von Pauli wurde eine
Ganttle mit beweglichem Schilde und Lissard'schem Korbansatz,
wie sie auch von Böser zur Nachbehandlung empfohlen werden,
in seinem Falle für zweckmässig befunden. Hartgummicanfilen haben
vor den metallenen den Vorzug der Leichtigkeit, aber den nicht zu
unterschätzenden Nachtheil der Zerbrechlichkeit und grösseren Volu-
mens. Die in jüngster Zeit zuweilen verordneten Kautschukoanttlen
können durch ihre Compressibilität gefährlich werden. Die innere
Canüle wird entfernt und gereinigt, so oft sie durch Schleim verstopft
ist, die äussere mindestens alle 24 Stunden. Bei längerem Liegen
wird die Wunde Übelriechend. Die Einführung derselben wird durch
Einölen ganz wesentlich erleichtert. Wenn, wie auch in unserem
Falle, eine Zeit lang auch in der kurzen Zeit der Bdnigung der-
selben nicht ohne sie geathmet werden kann, oder wenn sich die
Trachealwunde so schnell verkleinert, dass sehr bald die Einführung
erschwert ist, so muss eine zweite Canüle bereit gehalten werden,
um sie zu ersetzen. Auch ist es wünschenswerth , für den Nothfall
stets einen Trousseau' sehen Dilatator bei der Hand zu haben. Die
Einführung selbst kann sehr bald einer intelligenten Umgebung des
Patienten überlassen werden. Nach längerem Gebrauch nutzt sich
die Canüle ab. Sie wird an den Rändern scharf und rauh und gibt
dann, zu Schleimhautblutungen Veranlassung. Sie muss dann unten
abgeschnitten oder durch eine neue ersetzt werden. Man beachte
auch stets, ob sie nicht durch Oxydation brüchig geworden oder an
den Verbindungen gelockert ist. Das Herabfallen einzelner Stücke
derselben in die Bronchien ist kein so seltenes Ereigniss. Vier glück-
liche Extractionen solcher Fragmente sind allein im letzten Jahre
mitgetheilt worden. Im Winter empfiehlt es sich, im Freien die Ca-
nüle mit Gaze oder mit einem Respirator zu bedecken, weil die un-
erwärmte und ungereinigte Luft leicht Bronchitiden veranlasst. Wenn
diese trotzdem zu häufig kommen oder zu hartnäckig sind, bleibt
nichts übrig als die Uebersiedelung in ein warmes Klima.
Um die Trachealschleimhaut vor dem durch die Canüle gesetzten
Reiz möglichst zu bewahren, hat Labor de vorgeschlagen, statt ihrer
einen nur wenige Millimeter langen Tubus in die Trachea zu scbie-
Chronische Eehlkopfaffectionen der Kinder. 643
ben, der die Wunde nach Innen nur wenig fibeiTagt Angewendet
wurde dies Instrument bisher nur in dem von Rouzier-Joly (1. c.)
beobachteten Fall, welcher demselben die Heilung zu verdanken
glaubt.
Durch die Form der Trousseau' sehen Canttle kann in FftUen
von Granulationen die Entwicklung derselben an bestimmten Stel-
len, besonders die Bildung eines lappenartigen Wulstes im oberen
Wund Winkel begOnstigt werden, und zwar in der von Völker
fl. c.) nachgewiesenen Weise. Für einen derartigen Fall ist von
Dupnis^) eine CanQle construirt worden, welche ein T-Rohr dar-
stellt, dessen beide Schenkel je nach oben und unten geben und
dessen Stiel nach aussen liegt. Die Einführung des ans Hörn gefer-
tigten Instruments geschieht in zwei H&lften. Es genttgt seinen Indica*
tionen vollkommen und muss als sehr sinnreich und zweckmässig
erkl&rt werden. Dies Instrument vereinigt die symptomatische mit
der causalen Behandlung und mag auch jetzt den Uebergang zur
letztern ftlr uns bilden. Ein abgeschlossenes Urtheil Aber den Werth
einer localen Behandlung und über die Wirksamkeit einzelner Me-
thoden derselben lässt sich zur Zeit noch nicht abgeben, weil erstens
die Zahl der local behandelten Fälle noch eine sehr geringe ist,
weil zweitens die Zahl derjenigen Fälle, in denen eine präcise Dia-
gnose gestellt und die Richtigkeit derselben objectiv bewiesen wurde,
eine noch kleinere ist und weil drittens die Erfahrung gelehrt hat,
dass nach kürzerer oder längerer Zeit wenigstens in der bei weitem
grössten Anzahl der Fälle eine Spontanheilung eintritt, so dass bei
einer längw dauernden Behandlung oft die Frage offen bleibt, ob
der schliessliche Erfolg der Therapie in Rechnung zu setzen ist.
Diese Erwägung soll uns natürlich durchaus von therapeutischen Ein-
griffen nicht abhalten, denn die Zeit, die bis zur Naturheilung ver-
geht, kann eine unendlich lange sein und es darf keine Mühe ge-
scheut werden, um den traurigen Zustand der permanenten Canfile
mit all seinen Unzuträglichkeiten möglichst abzukürzen. Die be-
treffenden Maassregeln sind natürlich je nach der spedellen Diagnose
einzurichten. Um aber Wiederholungen möglichst zu vermeiden, soll
hier nicht die Behandlung der einzelnen Formen gesondert, sondern
nach der Reihe all jene localtherapeutischen Eingriffe besprochen
werden, die bei dem Symptomencomplex der „ Impossibüüi denlever
la canule** bisher angewendet worden sind:
t) Zeüschrift fl^ Chirurgie. t875. 8. 30d. Eehlkopfstenose etc. Daselbst auch
eine Abbildung.
4^*
644 XXXm. Michael
Die Behandlung mit Adstringentien vom Hunde aus ist meines
Wissenfl bisher nur in unserem Falle ausgeführt worden. Sie bestand
in Pinselungen mit Argentum nitricum, Tannin und Jodglyeerin und
Einblasungen von Tannin in Pulyerform. Wie oben mitgetheilt, be-
schränkte sich der Erfolg auf die schnelle Beseitigung der acuten
Exacerbationen und auf die Herabsetzung der Schwellung. Ich wOrde
diese Methode überall da, wo es sich um chronische Schleimhaut-
erkrankungen, nicht um leicht entfernbare Neubildungen handelt,
stets zuerst versuchen, weil sie jedenfalls die schmerzloseste, gefahr-
loseste und wenigst angreifende ist Dasselbe Iflsst sich von der mit
Höllenstein in Substanz armirten Sonde behaupten. Auch können
schon deswegen stärkere Aetzungen hier anstandslos angewendet
werden, weil wir gegen etwaige Laryngospasmen in der Canüle ein
Sicherheitsventil besitzen. Für minder zweckmässig erachte ich hier
die sonst so vortrefflichen Instillationen. Um wenige Tropfen einzu-
führen genügt der Pinsel, grössere Mengen könnten in die Bronchien
laufen und, da durch die doppelte Oeffnung des Athemrohrs die Kraft
des Hustenstosses bedeutend abgeschwächt sein muss, Dyspnoe ver-
ursachen. In der Absicht, die retrahirten Oewebe auseinanderzu-
drängen oder durch Druck Atrophie von Neubildungen herbeizuführen,
endlich um immobil gewordene Arytaenoidgelenke wieder beweglieh
zu machen, ist von Schrötterbei Stenosen die Bougirung des Larynx
empfohlen und mit mehr oder weniger Erfolg theils mit vom Munde
aus eingeführtem Metall in Hartgummiröhren, theils mit den von ihm
construirten Zinnbolzen ausgeführt worden. ^) Zu Versuchen mit dieser
Methode eignen sich von den uns interessirenden Fällen diejenigen
mit Chorditis inferior hypertrophica und die mit Granulationen. In
unserem Falle sind monatelang Bougies von dem Caliber dicker
Metallkatheter eingeführt worden. Die Stenose war für dieselben
gut passirbar, so dass das Aufschlagen der Bougie auf die Canüle
oft gefühlt und gehört werden konnte. Ein wesentlicher Erfolg ist
in dem allerdings besonders hartnäckigen Fall nicht erreicht worden.
Glücklichere Resultate mit der Sondenbehandlung hat Catti') in
Wien bei der Chorditis inferior hypertrophica der Erwachsenen, deren
Prognose ja sonst recht übel lautete, erreicht. Zwei seiner Fälle
gelangten zur Heilung und rechtfertigen weitere Versuche. Hierher
gehört auch die Canüle von Dupuis (siehe oben). Von Pauli wurde
1) Beitrag zur Behandlung der Laryngostenosen. -Wien 1876.
2) Zur Casuistik und Therapie der Chorditis inferior hypertrophica. AUgem.
Wiener med. Zeitung. 1878.
Chronische Kehlkopfaffectioneii der Kinder. 645
auch (!• c.) Stearns' Urethraldilatator brauchbar befanden. Die ope-
rative endolaryngeale Entfernung subchordaler Neabildungeui die ja
bei Erwachsenen recht schwierig sein kann, wird bei Kindern wohl
nur ausnahmsweise technisch möglich sein.
Mehr zugänglich fflr operative Eingriffe sind die Neubildungen
von der Trachealöffnung aus, entweder mit oder ohne blutige Er-
weiterung derselben. Aetzungen von hier ans mit der mit Höllen-
stein armirten Sonde sind von Dolore empfohlen worden. Die Be-
richte darüber lauten verschieden. Während zuweilen rasche Ver-
kleinerungen beobachtet sind, hatten die Aetzungen in anderen Fällen
jedesmal Bronchitiden im Gefolge, so dass^ davon Abstand genommen
werden musste. Man kann diese Aetzungen auch von der dorsalen
Oeffnung einer Canttle aus vornehmen. Unter günstigen Umständen
gelingt es auch, von der Trachealöffnung aus gestielte Neubildungen
zu entfernen. So hat Koch mit dem Davierschen Löffel, Pauli
und in jüngster Zeit B. Fränkel mit der Wilde'schen Schlinge
operirt Welches Instrument hier das passendste ist, hängt natürlich
ganz vom speciellen Fall ab. Auch die galvanocaustische Entfernung
könnte bei breiter Basis der Neubildung verwendbar sein.
Ist das Vorhandensein von Neubildungen constatirt und ist diesen
weder von oben, noch von der Canülenöffnung beizukommen, so tritt
die Erweiterung der Wunde nach oben oder unten behufs leichterer
Zugänglichkeit in Frage. Die Erweiterung nach unten ist nach
Pauli (1. c.) wegen der Gefahr starker Blutungen, und wohl mit
Recht, zu verwerfen. Aber ich glaube, dass auch die Spaltung des
Kehlkopfes immerhin keine ganz gleichgültige Operation ist und dass
die Indicationen für dieselbe sehr bestimmte sein müssen. Wie wir
gesehen, sind die Chancen der exspectativen Behandlung durchaus
nicht schlecht und rechtfertigt sich eine eingreifende blutige Operation
nur dann, wenn selbst momentane Entfernung der Canüle gefährliche
Zufälle macht, oder wenn man wegen zu häufiger Bronchitiden für
die Lungen fürchtet Auch äussere Umstände, wie eine unzuver-
lässige indolente Umgebung des Patienten, dürften den Eingriff recht-
fertigen. Bei Reinlichkeit und guter Pflege fühlen sich die kleinen
Patienten, so lange sie von ihrer exceptionellen Stellung noch kein
Bevnisstsein haben, mit ihrer Canüle sehr behaglich; unsere Kleine
fürchtete stets, dass man sie ihr fortnehmen würde und verfolgte
beim Reinigen jede Bewegung der Wärterin ängstlich mit den Augen.
Man kann sich diese Operation als Ultimum refugium reserviren,
wenn auch nach Jahren der Zustand sich nicht bessert. Um sich
vor den Gefahren der Blutungen bei dieser Operation zu schützen,
646 XXXin. Michael
kann man sie in der Rose' sehen Lage mit herabhängendem Kopfe
machen oder die Trachea tamponiren (Pauli). Die Trendelen-
burg'sche Ganttle ist für diesen Zweck von Besehorner modificirt
worden. Wenn irgend möglich, ist die partielle Laryngotomie der
Thyreotomie vorzuziehen. Die Vortheile der ersteren yor der letz-
teren sind Ton Paul Br uns ^ ausführlich erörtert. Ich glaube durch-
aus nicht, dass, wie es in einer Besprechung des erwähnten Buches
heissty die Befflrchtungen des Verfassers für die Stimmfunction bei
der Thyreotomie übertriebene seien, oder dass sich durch eine exacte
Nath dieselben vermeiden lassen werden. Die Beeinträchtigung der
Stimme wird nach dieser Operation auch dann eintreten, wenn die
Insertionen der Stimmbänder nicht verletzt sind und zwar deswegen,
weil nothwendig durch den Druck der seitlichen Halsmusculatur die
beiden Schildknorpelhälften in einem spitzeren Winkel zusammen-
heilen werden, als der war, in dem sie vorher zu einander gestan-
den und weil durch die Narbe das Halbertsma'sche Zwischen-
stück seine Elasticität verlieren muss. Es müssen durch diese beiden
Ursachen die Stimmbänder in dem Sinne llberzerrt sein, dass die
Partie des M. cricothyreoideus, welche die Spannung der Stimm-
bänder durch seitliche Compression des Schildknorpels vermittelt,
ausser Function gesetzt ist. Die Stimme muss also nach der best-
ausgeführten Thyreotomie an Umfang nach der Höhe und an Modu-
lation, wie dies auch Jelenffy in einem von Erish aber Operirten
bei im Uebrigen besten Resultat beobachtet hat 2), verlieren. Schon
aus diesem Grunde ist es wichtig, wenigstens einen Theil des Schild-
knorpels undurchschnitten zu lassen, damit dieser dem durchschnitte-
nen Theil beim Heilen als Schieue dienen kann.
Kürzer als bei der Behandlung der Neubildungen und chroni-
schen Entzündungen können wir uns in Bezug auf die Fälle fassen,
deren Ursache Neurosen sind. Bei der Posticuslähmung lieschränkt
sich unsere Therapie auf percutane und intralaryngeale Anwendung
des galvanischen oder faradischen Stroms, dessen Wirkung allenfalls
noch durch Strychnininjectionen unterstützt werden kann. Nach der
im letzten Jahre mitgetheilten Anzahl von geheilten Fällen sind auch
hier die Aussichten keine besonders ungünstigen. In den Fällen von
Glottiskrämpfen hätte man wohl von Bromkali und Valeriana noch
am meisten zu erwarten.
Dass in allen Fällen auch das Allgemeinbefinden der Patienten
1) Laryngotomie. Berlin 187S.
2} M. cricothyreoideus. FflOger's Archiv. Bd. VII. S. 77—90.
XXXIY. Besprecbongen. 647
aufmerksam beobachtet and etwa concmrirende Anftmie, Scröphalose,
besonders aber Bronchitiden sorgfältig zu behandeln sind, braucht als
selbstverständlich kaum hervorgehoben zu werden.
Der Zweck dieser Mittheilungen wäre erreicht, wenn es mir ge-
lungen sein sollte, auch in weiteren ärztlichen Kreisen die Aufmerk-
samkeit auf diese wichtigen und gewiss nicht so seltenen Affectionen
gelenkt zu haben und wenn das, was ich besonders in Bezug auf
die Therapie vorbringen konnte, noch llickenhaft und zum Theil nur
theoretisch begrQndet sein konnte , so hoffe ich gerade dadurch be-
wiesen zu haben, dass die Veröffentlichung weiterer Erfahrungen Aber
diesen Gegenstand dringend wünschenswerth ist, um ttber den Wertb
der einzelnen therapeutischen Maassnahmen ein sichereres Urtheil
zu gewinnen.
Nachtrag: Die ioteressaote und wichtige Arbeit von Körte: Ueber
einige seltenere Nachkrankheiteo nach der Tracbeotomie wegen Diphtheritis
(Langenbeck's Archiv. XXIV. S. 238 ff.) ist erst während des Druckes
dieses Aufsatzes erschienen und konnte daher nicht mehr berOcksichtigt
werden.
XXXIV.
Besprecliangen.
1.
Die Hautkrankheiten fflr Aerzte und Studirende dargestellt von Dr.
Gustav Behrend, prakt. Arzt in Berlin. Mit 28 Holzschn.
Braunachweig. Wreden. 1879. Kl. 8<>. 569 Stn.
Sehen lernen und durch das Sehen lernen, das ist bekanntlich die
Methode, welche wie bei den klinischen Disciplinen überhaupt, so ganz be-
sonders in dem Specialfach der Dermatopathologie fOr den Lernenden die
hauptsachlich maassgebende sein muss. Dies schliesst natürlich nicht aus,
dass sowohl dem angehenden, als anch dem ausübenden Arzte ein kurz
und fasslich geschriebenes Lehrbuch als Rathgeber zur Seite stehen darf.
Vorliegendes Compendium — so dürfen wir es wohl bezeichnen — wird
Denjenigen, für die es bestimmt ist, insbesondere aber den Praktikern, recht
willkommen sein. Es ist ein praktisches Bach in mehr als einer Hinsicht.
648 XXXiy. BespiechungeiL
Bei übersichtlicher Anordnung des Stoffs ist die Darstellnng im Allgemeinen
fasslich nnd hält jene richtige Mitte zwischen Kflrse and Breite, fOr welche
der Leser eines Gompendinms meist dankbarer ist, als für allznknappen
Stil; die Schildemng der klinischen Bilder im Einzelnen — bei den Haut-
krankheiten gewiss keine leichte Aufgabe — ist gewöhnlich recht anschau-
lich und treffend. Dass sich der Autor im Wesentlichen an Meister Bebra
anlehnt, gereicht seinem Buche ebensowenig zum Nachtheil, wie der Um-
stand, dass er in einzelnen Punkten von seinem hohen Vorbild abweicht
Eine weitere Abweichung wäre übrigens, wenn sich Rec. zum Schluss einen
Vorschlag erlauben darf, gewiss durchaus nicht unzweckmässig gewesen.
In den Lehrbüchern der Hautkrankheiten, speciell in dem von Hebra,
trifift man nämlich auch die Pathologie der acuten Exantheme abgehandelt.
Aber gehört sie denn dahin ? Gewiss ebensowenig, wie z. B. die des ezan-
thematischen Typhus. Jene Gruppe der acuten Infectionskrankheiten mit
einer Localisation auf der Haut kann wohl kurz Erwähnung finden, sofern
es sich eben um die Haut Symptome handelt, eine ausführliche Schilde-
rung scheint jedoch überflüssig. Und gerade ein handliches Buch wie das
in Rede stehende würde durch Wegfall dieses Capitels (an dessen Stelle
vielleicht noch ein paar gute Abbildungen bei den Pilzerkrankungen ein-
gefügt werden könnten) entschieden nur gewinnen. peuoidt (ErUuigtD).
2.
Beiträgezur praktischen Heilkunde. Mittheilungen aus dem Land-
krankenhause bei Cassel für praktische Aerzte von Dr. Hertel,
L Assistenzarzt am Krankenhause. Mit 11 Holzschn. Cassel 1878.
Kay. 80. 228 Stn.
Vorliegender Bericht aus dem Landkrankenhanse bei Cassel bringt
eine grössere Zahl beachtenswerther und für den Praktiker insbesondere
interessanter Casuistik. Man findet darin: Fälle von Cysticerken um Ge-
hirn (4), Milzruptur (1), Osteomyelitis spont. ac. (5), Gastritis phlegmonosa
(1) u. A., sowie einige nicht unwichtige therapeutische Notizen. Indem
wir uns mit diesen Andeutungen begnügen, müssen wur anerkennend her-
vorheben, dass das Material der erwtiinten Krankenanstalt in gewissenhafter
Weise beobachtet und von dem Vf., einem Schüler Traube 's, in guter
Darstellung zweckmässig verwerthet worden ist. Peuoidt (EriMgea).
Druck Ton J. B. Hirichfeld in Leipzig.
II- ( Ui:l Vfrtinii UMiP.
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