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Full text of "Deutsches Archiv für klinische Medizin. v.143.1924"

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DEUTSCHES ARCHIV^ 

FÜR 


KLINISCHE MEDIZIN 


HERA USGEGEBEN 

VOK 

Prof. AUFRECHT in Berlin, Prof. BAEUMLER in Freiburg, Prof. BOSTRÖM in Giessen, 
Prof. BRAUER in Hamburg», Prof. CURSCHMANN in Rostock, Prof. FIEDLER in Dresden, 
Prof. FÜRBRINGER in Berlin, Prof. HIRSCH in Bonn, Prof. HIS in Berlin, Prof. 
F. A. HOFFMANN nt Leipzig, Prof. v. JAKSCH in Prag, Prof. v. KETLY in Budapest, 
Prof. KRAUS in Berlin, Prof. KREHL in Heidelberg, Prof. LICHTHEIM in Bern, Prof. 
MARTIUS in Rostock, Prof. MATTHES in Königsberg, Prof. E. MEYER in Göttingen, 
Prof. MORA WITZ in Würzburg, Prof. MORITZ in Cöln, Prof. F. MÜLLER in München, 
Prof. L. R- MÜLLER in Erlangen, Prof. 0 . MÜLLER in Tübingen, Prof. NAUNYN in Baden- 
Baden, Prof. v. NOORDEN in Frankfurt, Prof. PENZOLDT in Erlangen, Prof. ROMBERG 
in München, Prof. RUMPF in Bonn, Prof. SAHLI in Bern, Prof. SCHREIBER in Königs¬ 
berg, Prof. F. SCHULTZE in Bonn, Prof. SCHWENKENBECHER in Marburg, Prof. 
STINTZING in Jena, Prof. STRAUB in Greifswald, Prof. STRÜMPELL in Leipzig, Prof. 
THOMA in Heidelberg, Prof. VOIT in Giessen, Prof. YOLHARD in Halle 

REDIGIERT 


Dr. L. KREHL 

VON 

De. F. MORITZ 

Prof, der medizinischen Klinik 
in Heidelberg 


Prof, der medizinischen Klinik 
IN CÖLN 

)r. f. Müller 

UND 

Dr. E. ROMBERG 

er ii. medizinischen Klinik 
in München 


Prof, der i. medizinischen Klinik 
in München 


143. Band 

Mit 7 Abbildungen und 13 Kurven 



LEIPZIG 

VERLAG VON F. C. W. VOGEL 
1924 ' 






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Inhalt des einhundertdreiundvierzigsten Bandes. 


Erstes und Zweites Heft 


ausgegeben im August 1923. 

Grafe, Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkearten. 

I. Mitteilung. 

de Boer, Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien für das Ent¬ 
stehen von Kammerflimmern. 

Borchardt, Die thyreosexuelle Insufficienz, eine besondere Form der mul¬ 
tiplen Blutdrüsensklerose... 

Boenheim, Beitrag zur Kenntnis des diabetischen Ödems (Mit 1 Abbildung) 
Lepehne, Vergleichende Untersuchung über r splenomegale Leberzirrhose“ 
und „chronische Leberatrophie“ mit „Banti“ähnlichen Krankheitsbildern 
Fraenkel u. Doll, Die intravenöse Strophanthintherapie und ihre Bedeutung 
für eine prognostische Beurteilung der chronischen Herzinsufficienz (Mit 

5 Kurven)... 

Grafe u. Otto-Martienssen, Über die Behandlung Zuckerkranker mit ge¬ 
rösteten Stärkepräparaten. II. Mitteilung. 

Magin u. Turban, Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten 

Kohlehydraten. III. Mitteilung. (Mit 2 Kurven). 

Heusler, Über einen intra vitam histologisch untersuchten Fall von hoch¬ 
gradiger lipoider Verfettung der Niere. 

Leon, Über gangräneszierende Prozesse mit Defekt des Granulocytensystems 

(„Agranulocytosen“). 

Kleinere Mitteilung: 

Eine selten günstige Gelegenheit. 


Seite 

1 

20 

35 

40 

53 

65 

87 

97 

106 

118 

128 


Drittes Heft 


ausgegeben im Oktober 1923. 

Hampeln, Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. (Mit 1 Abbildung) 129 

Baue, Bakterien und Parasiten des Duodenums.141 

Sick u. Deist, Wege zur Beseitigung der Daueransscheidung von Typhus¬ 
bazillen mit dem Urin.149 

Martini u. Müller, Studien über das Bronchialatmen (Mit 8 Abbildungen) 159 
Projektionsbilder.173 

1. Hoffmann, Vererbung und Seelenleben ( Siement ).174 

2. Aßmann, Die klinische Böntgendiagnostik der inneren Erkran¬ 
kungen ( Müller) .175 

3. Grote, Grundlagen ärztlicher Betrachtung ( Schott ).176 

4. Laqueur, Die Praxis der physikalischen Therapie ( Schott ).... 177 

5. Kowarschik, Die Diathermie ( Schott ).177 

6. Honigmann, Das Problem der ärztlichen Kunst ( Schott ) .... 178 

7. Müller, Die Kapillaren der menschlichen Körperoberfläche in ge¬ 
sunden und kranken Tagen ( Moritz ) 178 

8. Gramen, Untersuchungen über den Äthergehalt im Blut, Milch, 

Harn und Exspirationsluft bei chirurgischer Äthernarkose, sowie über 
Narkoseacidose ( Haberland ).,. . . 180 

9. Hirsch u. Arnold, Taschenbuch der Röntgenologie für Ärzte 

(Gräßner) .182 

10. Faulhaberf, Die Röntgendiagnostik der Magenerkrankungen 

( Graßner ).182 

11. Munk, Grundriß der gesamten Röntgendiagnostik innerer Krank¬ 
heiten ( Gräßner) .182 

12. Dessaner, Zur Therapie des Karzinoms mit Röntgenstrahlen 

(Gräßner) ..183 

13. Haedicke, Über die Entstehung, Bedeutung und Behandlung der 

Wassersucht ( Siebeck ).183 


551785 


























IV 


Seite 

14. v. Doinarus, Taschenbuch der klinischen Hämatologie ( Siebeck) . . 184 

15. Magnus-Alsleben, Vorlesungen über klinische Propädeutik ( Siebeck ) 184 

16. Meyer-Le nliartz, Mikroskopie und Chemie am Krankenbett ( Siebeck ) 184 

17. Sacconaghi, Die klinische Diagnose der Herzbeutel Verwachsung 

(Fibrechia cordis) ( Ge/ller ).185 

18. Sturzberg, Technik der wichtigsten Eingriffe in der Behandlung 

innerer Krankheiten (Ge/iler) .185 

19. Hochbau Sy, Die Krankheiten des Herzens und der Gefäße ( Ge/ller ) 186 

20. Citron, Die Methoden der Immnnodiaguostik, Immuno- und Chemo¬ 
therapie und ihre praktische Verwendung ( Geßler ).186 

21. Müh lens, Die russische Hunger- und Seuchenkatastrophe in den 

Jahren 1921—1922 (Ge/ller) .187 

22. Dietrich, Einführung in die physikalische Chemie für Biochemiker, 
Mediziner, Pharmazeuten und Naturwissenschaftler ( Ge/ller ) .... 187 

23. v. Kries, Allgemeine Sinnesphysiologie ( Weizsäcker) .187 


Viertes Heft 

ausgegeben im Dezember 1923. 

Weitz, Über die Atembewegungen des Körpers (vor allem nach Beobach¬ 
tungen au Schattenbildern). (Mit 1 Kurve).193 

Winterfeld, von, Über die Behandlung des Typhus abdominalis mit Typhus¬ 
autovaccine. (Mit 2 Kurven).213 

Nagell, Zur Frage der Thyphus-Virulenzbestimmung und ihrer Beeinflussung 

durch Autovaccinetherapie.218 

Bohn, Fortgesetzte Studien über Novasurol. seine Wirkung bei verschiedenen 
Lebensaltern und bei Diabetikern, sowie sein etwaiger Einfluß auf 

Ionenverschiebungen im Organismus.225 

Gutzeit, Über die Verteilung der Albumine und Globuline im tierischen 

. Organismus.238 

Cobet, Experimentelle Untersuchungen Uber die Beziehungen zwischen 

Blutdrucksteigerung und Dyspnoe.253 


Fünftes und Sechstes Heft 


ausgegeben im Januar 1924. 

Aufrecht, Zwei Fälle von Leuchtgas-Vergiftung.273 

Hackenthal, Eine modifizierte Schüffner’sche Blutfärbung.276 

Thaunhauser u. Curtius, Über den Eiweißumsatz im Stickstoffminimum 
eines Akromegaleu und über seine Beeinflussung durch Röntgentiefen¬ 
bestrahlung des Kopfes. 287 

Brogsitter u. Krauß, Vergleichende chemische Analysen normaler und 

pathologischer Körperflüssigkeiten. (Mit 1 Abbildung).297 

Grafe, Beiträge zur Kenntnis der Ökonomie der Muskeltätigkeit .... 309 
Nakashima u. Maruoka, Kolorimetrische Methode zur quantitativen Be¬ 
stimmung des Harnstoff- (bzw. Harnstoffstickstoff-)Gehaltes in einer 

kleinen Menge von Blutserum. (Mit 3 Abbildungen).318 

Waldbott, Über den Einfluß von Säuren, Alkalien und Neutralsalzen auf 

den respiratorischen Stoffwechsel des Menschen.325 

Parisius u. Heimberger, Akute Myelosen nach Bienenstichen und ihre 

Oxydasereaktion.335 

Lublin, Diabetes melitus und Gravidität.342 

Grafe u. Weißmann, Über die Wirkung einer überreichlichen Fetternährung 

auf den tierischen Stoffwechsel.350 

Lang, Zur Frage der Thrombarteriolitis pulmonum.359 

Loschkarewa, Zur Frage der Blutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz. . 364 

Schilling, Die leukämische Retikuloendotheliose.374 

Ewald, Erwiderung zu den Bemerkungen von V. Schilling.375 

Besprechungen: 

1. Schröder, Lehrbuch d. Gynäkologie für Studierende u. Ärzte ( Eymer) 376 

2. v. Jaschke u. Pankow, Lehrbuch der Geburtshilfe (Eymer). . . 377 

3. Kaneko, Über die pathologische Anatomie der Spirochaetosis Ictero- 

Hämorrhagica Inada (Weil’sche Krankheit) (Ernst) .378 



























1 


Aus der Medizinischen Klinik zu Heidelberg und der 
Medizinischen Poliklinik zu Rostock. 

Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten 

Stärkearten. 

I. Mitteilung. 

Klinische Beobachtungen. 

Von 

E. Grafe. 

In früheren Arbeiten') wurde der Nachweis erbracht, daß 
Trauben- und Rohrzucker durch Caramelisierung und dadurch er¬ 
reichte Wasserentziehung in eine Form gebracht werden können, 
die beim Diabetiker nicht mehr oder jedenfalls kaum noch glyko- 
surisch wirkt und gleichzeitig vielfach die Acidose günstig be¬ 
einflußt. Diese gute Wirkung ist bisher, soviel mir bekannt, von allen 
Untersuchern (Umber 1 2 3 ), Klemperer 8 ), von Noorden 4 5 ), Por¬ 
ter 8 ), Reimer 6 ) u. a.) bestätigt worden. Dabei wurde meist die Be¬ 
handlung mit Caramel als eine besondere Form der Kohlehydrat¬ 
kuren aufgefaßt. Gegen diese Bedeutung sprachen schon meine 
Reagenzglasversuche. Neuere Untersuchungen aus den letzten 
Jahren von Ame Pictet und seinen Mitarbeitern 7 ), die sich z. T. 
auf ältere von Gelis auf bauen, zeigten ferner, daß aus Glukose 

1) E. Grafe, Münchener med. Wochenschr. Nr. 26. 1914 und Deutsches 
Arch. f. klin. Med. 116, 437, 1914. 

2) F. Umber, Deutsche med. Wochenschr. Nr. 7, 1915. 

3) G. Klemperer, Ther. d. Gegenw. S. 107, 1915. 

4) C. von Noorden, Die Znckerkrankh. u. ihre Behandl. S. 442. Hirsch- 
wald, Berlin 1917. 

5) W. H. Porter, Med. rec. 98, 973, 1920, ref. Cong. Zentralbl. 16, 468, 1921. 

6) G. Reimer, Deutsches Arch. f. klin. Med. 132, 219, 1920. 

7) Ame Pictet n. P. Castan, Helv. chim. acta. 3, 640, 1920 und 4, 
319, 1921. 


Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143 . Bd. 


1 



2 


Grape 


bei 150—155° im Vakuum, wie es bei der Merck’schen Karamose 
zur Anwendung kam, innere Anhydride, sog. Glycosane entstehen, 
die z. T. weitgehend ihren Zuckercharakter verloren haben. Dem¬ 
nach muß man vermuten, daß der Abbau dieser Stoffe im Körper 
auch ein anderer ist, wie bei den gewöhnlichen Kohlehydraten. 

Der nächste Schritt auf diesem neuen Gebiet der diätetischen 
Diabetesbehandlung bestand nun darin zu versuchen, ob es auch 
gelingt, komplizierter zusammengesetzte Kohlehydrate, insbesondere 
Stärkearten, durch Röstung gleichfalls so zu verändern, daß der 
Diabetiker sie besser zu nutzen vermag. Über die ersten Beob¬ 
achtungen berichtete ich schon kurz in meinem Referate auf dem 
Kongreß für Innere Medizin 1921.*) Inzwischen wurden die Unter¬ 
suchungen in mehrfacher Richtung fortgesetzt und ich verfüge 
jetzt über 54 Fälle, vorwiegend aus der Heidelberger Zeit, die 
meist längere Zeit genau beobachtet sind. 

Es war von vorneherein klar, daß die Herstellung brauchbarer 
gerösteter Mehlpräparate weit größere Schwierigkeiten machen 
würde als die Caramelisierung von Zucker. Zwei Anforderungen 
mußten die Röstprodukte gleichzeitig genügen. Einmal mußte die 
Stärke durch längeres Erhitzen bei hohen Temperaturen möglichst 
vollständig verändert werden, dann aber durfte durch diese Proze¬ 
duren der Geschmack nicht in einer Weise beeinträchtigt werden, 
daß die Aufnahme seitens der Kranken auf Schwierigkeiten stieß. 
Bisher ist es nicht gelungen, beide Forderungen gleichzeitig zu er¬ 
füllen, sondern es mußte ein gewisser Kompromiß geschlossen werden 
in der Richtung, daß auf vollständige oder nahezu vollständige 
Veränderung der Stärke verzichtet wurde. Röstet man Mehle oder 
mehlhaltige Nahrungsmittel kurze Zeit bei etwas höheren Tempe¬ 
raturen (über 200°), so fangen sie sofort an, partiell zu verkohlen 
und dadurch ungenießbar und wertlos zu werden. Höhere Tempe¬ 
raturen sind aber unbedingt erforderlich, da der Gehalt an noch 
unveränderter Stärke, wie er nach der Märcker’schen Methode 
durch Verzuckerung festgestellt werden kann, eine Funktion der 
Temperatur ist. Das zeigt deutlich folgende kleine Tabelle 1: 

Damit bei den notwendigerweise hohen Temperaturen die Prä¬ 
parate nicht verderben, sind Fettzusätze von mindestens 10 °/ 0 der 
verwandten Kohlehydratmenge erforderlich. Auf diese Weise ge¬ 
lingt es'dann, in günstigen Fällen bis zu 90°/ 0 der Stärke so zu 
verändern, daß sie nicht mehr mit einer der üblichen Methoden 


1) Verh. S. 249, 1921. 



Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkearten. 

Tabelle 1. 


3 


Versuchs- 

Nr. 

Karamelisierungs- 

Temperatur. Zeit. 

Grad: Stunde: 

Gefunden: 

Cu Stärke 

mg mg 

Noch vor¬ 
handene 
Stärke 

0 / 

Io 

1 


_ 

0,1577 

0,0723 

72,3 

2 

180-200 


0,1564 

0,0716 

71,6 

3 

200—220 

% 

0,152 

0,0698 

69,8 

4 

200-210 

1 

0,153 

0.0703 

70,3 

5 

190—200 

2 

0,153 

0,0703 

70,3 

6 

175-180 

3 

0,1564 

0,0716 

71,6 

7 

220—230 

. 7* 

0,150 

0,0889 

68,9 

8 

230-235 

1 / 

. 4 

0,142 

0,065 

54,3 

9 

220—230 

7* 

0,1475 

0,0679 

56,3 

10 

240—255 

V 2 

0,068 

0,0313 

26,06 

11 

240 

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0,139 

0,0637 

53,0 

12 



0,182 

0,0838 

69,8 

13 

ca. 230 

7* 

0,181 

0,0834 

69,5 

14 

240-255 


0,108 

0,0495 

41,25 


NB. Art desMehles: Nr. 1—11 = Weizenmehl, 12—14 = Kartoffelmehl. 
Zusatz: bei Nr. 9—11 und 14: = 15°/ 0 Margarine. 


(wir benutzten vor allem das Mayrhofersche Verfahren) nachgewiesen 
werden kann. 1 ) Leider ist aber, ohne daß sich im Einzelfalle die 
Gründe dafür angeben lassen, der Befund sowohl hinsichtlich des 
Wohlgeschmacks wie der Veränderung der Stärke sehr wechselnd. 
Die sehr komplizierten, sehr verschiedenartigen, ganz unübersicht¬ 
lichen Vorgänge in den hochmolekulären, ja auch mit anderen 
Substanzen wie Eiweißkörpern usw. vermischten Kohlehydraten 
werden wohl generell die Ursache sein. In einzelnen Fällen, so 
bei Reis und Weizenmehl, versuchten wir durch Vorbehandlung 
mit Diastase die Stärke weitgehend aufzuspalten und dann zu 
rösten. Auf diese Weise wird zwar die Stärke nahezu zum Ver¬ 
schwinden gebracht, aber die Kohlehydrate werden dadurch in 
einen unansehnlichen Brei, der z. T. nicht einmal gut schmeckt, 
umgewandelt, und für die Praxis der Ernährung ist diese Vor¬ 
behandlung viel zu kompliziert und kostspielig, so daß wir sie trotz 
der sehr guten Wirkung sehr bald aufgaben. Um ein brauchbares 
und möglichst einheitlich zusammengesetztes Präparat zu bekommen, 
wandte ich mich an die Firma E. Merck mit der Bitte, uns wie 
bei den ersten Versuchen mit caramelisiertem Zucker so auch hier 
behilflich zu sein. Die zahlreichen Versuche, in denen mit größter 


1) Bei diesen mühsamen Untersuchungen hatte ich mich der liebenswürdigen 
Unterstützung von Herrn Dr. Sei dl-Erlangen, dem ich dafür zu großem Dank 
verpflichtet bin, zu erfreuen. 


1 * 





4 


Grakk 


Bereitwilligkeit auf unsere Wünsche eingegangen wurde, führten 
schließlich zur Herstellung eines Weizenmehlpräparates, das nnr 
noch 30 °/ 0 verzuckerbare Kohlehydrate enthielt und gut genießbar 
war. Leider hat es nur den Nachteil, daß die Küche wenig damit 
anzufangen weiß, da es wegen seiner mangelnden Bindungsfähigv 
keit und Backbarkeit nur als schwer netzbares Pulver in gewürzten 
Suppen gegeben werden kann. 

In letzter Zeit sandte mir die Chemische Fabrik von Schering* 
ein anscheinend recht brauchbares, wenn auch nicht zum Backen 
sich eignendes geröstetes Hafermehlpräparat (Satrose), mit dem 
mehrfache Versuche gemacht wurden. 

Dieses Produkt enthält 1 ) ca. 2 °/ 0 N, 2,3 % Fett, 8,2 °/ 0 Cellu¬ 
lose, 2 °/ 0 Asche, 75—80 °/ 0 Kohlehydrate. Es löst sich zu 40 °/<> 
in heißem Wasser, wobei es sich in einen N-freien löslichen und 
einen N-haltigen unlöslichen Anteil trennt. 

Im allgemeinen wurden die gerösteten Kohlehydrate in der Küche 
durch eine im Kochen gut erfahrene und sorgfältige Schwester bzw. 
sonstige Kochhilfe für jede einzelne Mahlzeit hergestellt. Zur Ver¬ 
wendung kamen außer den Mehlarten der verschiedensten Provenienz,. 
Brot, Kartoffeln, Reis, Gries, Haferflocken, Mondamin usw. Sämtliche 
Stärkearten (außer Brot) müssen vor der eigentlichen Röstung mit 
Wasser weichgekocht werden, dann wird das Wasser fortgegossen und, 
unter Zusatz reichlicher Fettmenge (10—20 °/ 0 des Ausgangsmaterials) 
wird in der Bratpfanne über Gas unter dauerndem Umrühren und Wenden > 
während 15—20 Minuten vorsichtig bei anfangs kleiner, später voller 
Flammenhöhe die Röstung vorgenommen. Dabei ist Btreng darauf zu. 
achten, daß nicht zu viel Fett fortspritzt und daß nirgends ein Ver¬ 
kohlen eintritt. Die Kohlehydrate werden bei dieser Prozedur fasti 
schwarz, sie verlieren viel von ihrem gewöhnlichen Geschmack, bleiben 
aber bei vorsichtigem Verfahren, zumal wenn vor der Röstung etwas 
Zwiebel, Bouillon oder Fleischextrakt bzw. dessen Ersatzpräparate zu¬ 
gesetzt worden waren, durch das Auftreten aromatischer Röstprodukte 
meist wohlschmeckend; vor allem gilt das für den Reis. Ein etwag| 
bitterer Geschmack läßt sich dabei allerdings manchmal nicht vermeiden. 
Es können hier natürlich nur in groben Zügen die Prinzipien der Her-® 
Stellung kurz skizziert werden, dem Geschick und der Erfindungsgabe)^) 
der Köchin bleibt dabei ein breiter Spielraum. Große Sorgfalt undji) 
umsichtiges Verständnis, worauf es ankommt, sind notwendige Voraus-)!? 
Setzung für die Herstellung brauchbarer Präparate. Insbesondere muß.) 
darauf gedrungen werden, daß entgegen dem sonst bei Speisen üblichenjf: 
Verfahren intensivste Braun- bis Schwarzfärbung (ohne Verkohlen) 1 ® 
eintritt. 

Das Brot wird am besten aus einem besonders hergestellten Teige 
bereitet. Dieser darf keinen Zucker enthalten, Milch nur, wenn die 


1) Nach einer Mitteilung der Fabrik. 



Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkearten. 5 

Stoffwechsellage es gestattet, dagegen muti etwa 10—13 °/ 0 gutes Fett 
hinein. Unter genügendem Hefezusatz wird das Ganze in üblicher Weise 
gebacken, dann in feine, dünne Scheiben zerlegt, die dann entweder im 
gewöhnlichen Backofen oder im Grudeherd längere Zeit vorsichtig bis 
zur totalen Braunschwarzfärbung bei hohen Temperaturen unter häufiger 
Kontrolle geröstet werden. Bei schon fertigem Brot kann man das Fett 
auch aufstreichen und in der Wärme eindringen lassen, ehe der Röstungs¬ 
prozeß beginnt. 

Da das Brot bei dem geschilderten Verfahren durch Wasserverlust 
ca. 30 u / 0 seines Gewichtes einbüßt, wiegen die dünnen Scheiben sehr 
leicht, so daß z. B. auf 100 g 20 und mehr Schnitten Toast entfallen, 
die den Zuckerkranken oft über die Größe der ihm gestatteten Portion 
hinwegtäuschen. Mit Fett oder Käseaufstrich schmeckt der so bereitete 
Toast, selbst wenn ein etwas bitterer Beigeschmack entstehen sollte, sehr 
gut. Bei zweckmäßiger Herstellung habe ich nie Klagen gehört, wenn 
auch natürlich auf diese Weise ein vollständiger Ersatz für Brot nicht 
geschaffen werden kann. Doch wird auch hier die Verfeinerung der 
sitologischen Technik noch weitere Vervollkommnung schaffen können. 
Es empfiehlt sich, die gerösteten Kohlehydrate nie auf einmal, sondern 
in mehrfachen Einzelportionen von 10—20 g zu verabreichen. 

Bei 54 Diabetikern wurde der Einfluß solcher Röstpräparate 
der verschiedensten Art und Herstellung untersucht, indem sie 
teils als alleiniges Kohlehydrat, teils mit anderen zusammen ge¬ 
geben wurden. Insbesondere interessierte der Vergleich mit den 
gleichen nicht gerösteten, sondern nur einfach gekochten Kohle¬ 
hydraten. Unter sehr zahlreichen Beobachtungen dieser sei eine 
besonders instruktive Reihe in Tabelle 2 wiedergegeben. 

Es handelte sich um eine ziemlich schwere hartnäckige Form 
des Diabetes, bei der es auch durch viele Gemüsetage nicht gelang, 
die Glykosurie ganz zu beseitigen, auch die Acidose wich erst sehr 
langsam. 

Aus den Stäben der Tabelle lassen sich alle zur Beurteilung 
des Verlaufs notwendigen Angaben ersehen. Die wichtigsten 
Resultate hinsichtlich der hier vor allem interessierenden Frage 
bringt Stab 9.. Zunächst wurden bei im übrigen gleicher Kost 
200 g gekochte Kartoffel mit 200 g in obiger Weise in ganz dünnen 
Scheiben sehr stark gerösteter Kartoffeln verglichen. Die Steigerung der 
Glykosurie bei dem genau eingestellten Kranken betrug im ersteren 
Falle 81,9 g, im zweiten nur 14,6 g. Ein sicherer Unterschied in 
der günstigen Einwirkung auf die Acidose (Stab 10 und 11) war 
nicht zu erkennen. Prinzipiell in der gleichen Weise wirkte ge¬ 
rösteter Reis und geröstetes Weizenmehl gegenüber dem einfach 
gekochten Ausgangsmaterial. Bei 200 g geröstetem Reis wurde 
nur 3,4 g Zucker mehr ausgeschieden gegenüber 56,9 g bei ge- 



Tabelle 2. Jakob Bu., 45 J., Landwirt. 


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kochtem Reis. Beim Weizenmehl waren die Zahlen +12,7 g 
(geröstet) gegenüber 78,4 g (gekocht). Aus dieser Tabelle geht die 
Überlegenheit der Röstprodukte auf das deutlichste hervor. 

Wir haben sie in keinem Versuche vermißt, wenn auch je 
nach der Zubereitung der Präparate und der Schwere der Fälle 
die Differenzen sehr verschieden ausfielen. Gemessen an dem Ein¬ 
fluß auf die Glykosurie bzw. die Toleranz betrugen die Verbesse¬ 
rungen das Drei- bis Zwanzigfache, in der Mehrzahl der Fälle das 
Vier- bis Achtfache. 

Verglichen mit caramelisiertem Zucker war die Wirkung der 
gerösteten Mehle, wie es von vornherein zu erwarten war, stets 
eine schlechtere. Es hängt das damit zusammen, daß es bisher 
nie gelang, sämtliche Stärke in wünschenswerter Weise zu ver¬ 
ändern. Vielleicht führen hier weitere Bemühungen, ein gut ge¬ 
nießbares und erschwingliches Präparat herzustellen, zum Ziel, 
doch kann es sich auch um ein unlösbares Problem handeln. 

Als Beleg dafür, daß geröstetes Brot oft auch bei längerer 
Darreichung keine Verschlechterung der Wirkung auf die Glykos¬ 
urie mit sich bringt, sondern gleichzeitig auch für andere Kohle¬ 
hydrate (in diesem Falle gewöhnliches Brot) die Toleranz zu 
steigern vermag, diene das Beispiel in Tabelle 3. 

Hier handelt es sich um einen jugendlichen Diabetiker (23 J.), 
dessen Krankheit sich im Anschluß an eine akute Pankreasapoplexie 
mit fast totaler Pankreasnekrose entwickelt hatte. 

Bei der großen Seltenheit derartiger klassischer Pankreas¬ 
diabetesfälle beim Menschen, seien aus der Krankengeschichte die 
wichtigsten Daten kurz mitgeteilt. 

E. R., 23 J., lediger Tagelöhner. Seit Mitte 1917 häufig drückende 
Schmerzen in der r. Oberbauchgegend mit zeitweiligem Erbrechen. 
16. VII. 1920 plötzlich sehr heftiges Sodbrennen und gehäuftes Er¬ 
brechen, heftige Schmerzen im ganzen Leib und schweres Krankheits¬ 
gefühl. Am 17. VII. Aufnahme in die chirurgische Klinik Heidelberg. 
Diagnose: Pankreasapoplexie. Die sofort von Herrn Geheimrat Enderlen 
vorgenommene Laparotomie ergab trübes Exsudat in der Bauchhöhle, 
starkes Odem des Lig. hepatogastric.; Pankreas bes. Kopf, in einen dicken 
blauroten Tumor umgewandelt, der Kopf allein halbfaustgroß. Peritoneum 
durch Mesokolon hindurch gespalten; Tamponade, Bauchnaht. Im Urin 
kein Zucker. Im Bauchsekret Streptokokken und starke tryptische 
Wirkung. 

9. VIII. hohes Fieber, Beginn der Nekrose des Pankreas. 

24. VIII. täglich weitere Abstoßung nekrotischer Pankreasstücke. 

30. VIII. zum 1. Male Auftreten von Zucker bei täglicher Kontrolle. 

7. IX. Schluß der Fistel, Zucker um 7 °/ 0 . 10. IX. Verlegung in 



Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkearten. H 

die Medizinische Klinik. Hier in drei Tagen entzückert, nach einer 
weiteren Woche Toleranz 250 g, Blutzucker von 0,35 auf 0,08 °/ 0 herab¬ 
gedrückt. 

28. IV. bis 1. VI. 1921 zum zweiten Male in der Klinik, aß zu 
Hause täglich 3—500 g Kartoffeln und ca. 1 / 3 Pfund Brot ohne Be¬ 
schwerden, bis einige Wochen vor der Aufnahme typische Erscheinungen 
eines schweren Diabetes von neuem auftraten. Bei der zweiten Klinik¬ 
aufnahme zeigte der junge Mann bei gewöhnlicher Kost 322 g Zucker¬ 
ausscheidung und deutliche Acidose. Durch Reduktion der Kohlehydrate 
mit anschließenden Gemüse- und Carameltagen wurde er nach einer 
Woche zucker- und acidosefrei, dann wurde erst mit 25—100 g Toast 
die Toleranz erreicht und dann mit 50 g Brot beginnend auch für dieses, 
ohne daß es zur Zuckerausscheidung kam, bis 210 g die Verträglichkeits¬ 
grenze hinausgeschoben. 

Die Beobachtungen in diesen, wie in zahlreichen anderen Fällen 
zeigen, daß es sehr zweckmäßig ist, die Toleranz erst für das ge¬ 
röstete Kohlehydrat und dann erst für gewöhnliche Ausgangs¬ 
produkte festzustellen. Die Tabelle zeigt gleichzeitig, daß auch 
bei längerer Darreichung der gleichen Mengen die Toleranz sich 
nicht nur nicht verschlechtert, sondern sich sogar zu verbessern 
vermag. 

Die Eöstprodukte können oft mit sehr großem Vorteil auch 
neben gewöhnlichen Kohlehydraten gegeben werden. 

Tabelle 4 zeigt das sehr deutlich im Vergleich mit Zulagen 
ungerösteten Ausgangsmaterials. Auch hier handelte es sich um 
einen jugendlichen (19jährigen Kranken), dessen Zuckertoleranz 
trotz wochenlanger Behandlung nicht über 60—80 g Brot zu er¬ 
höhen war. Bei Zulagen von 2 — 300 g stark gerösteten Kartoffeln 
traten meist aber ohne jede Tendenz zum Anstieg kleine Zucker¬ 
mengen im Harne auf, die aber verschwanden, sobald 1 Tag die 
Zulage fortblieb. 

Wurde dann die Hälfte der Menge an gekochten Kartoffeln 
gegeben, so stieg die Glykosurie progressiv bis 40,8 g an und ver¬ 
schwand erst, als auch Brot und Milch aus der Standartkost einen 
Tag ganz fort gelassen wurden. Vergleicht man die Zuckeraus- 
scheidung an Tagen mit gekochten und solchen mit gerösteten 
Kohlehydraten (drittletzte Spalte der Tabelle), so war sie im letzteren 
Falle etwa 5 mal geringer. 

40 g caramel. Mehl zur Standardkost zugelegt, bedingten dann 
keinen Zucker, während geröstete Haferflocken wieder einen An¬ 
stieg herbeiführten, der aber beim unveränderten Präparat viel 
stärker ausfiel. 



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18 


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Zulagen von 50 g geröstetem Brot machten in den nächsten 
Tagen anfangs keine Zuckerausscheidung, am 2. Tage noch eine 
geringe (von 15 g), die tags darauf sofort verschwand. In den 
folgenden Tagen stieg dann zum 1. Mal die Toleranz für gewöhn¬ 
liches Brot über 90 g auf 120 g. Damit war allerdings auch die 
obere Grenze erreicht, denn bei 150 g Brot erschienen wieder er¬ 
hebliche Mengen Zucker im Harn. 

Die günstige Wirkung des gerösteten Hafermehlpräparates 
von Schering (Satrose) geht aus Tab. 5 deutlich hervor. 1 ) Es 
handelte sich um eine recht schwere mit hartnäckiger Acidose 
verknüpfte Form von jugendlichem Diabetes. Da die Kranke sich 
weigerte, sich zweckmäßig zu Ende behandeln zu lassen, mußte 
der Klinikaufenthalt, der vom 25. VIII.—29. IX. 1922 dauerte, ab¬ 
gebrochen werden, ehe vollständige Zucker- und Acidosefreiheit 
erzielt war. 

Die Tab. 5 bezieht sich nur auf einen Teil der Beobachtungszeit. 

Vom 27. VIII.—5. IX. 1922 war die Kranke, ohne daß ein 
rechter Fortschritt erzielt war, durch abwechselnde Folgen von 
Hafer- und Gemüsefetttagen behandelt worden. Während der 
ersten in der Tabelle verzeichneten Tage w r urde zunächst in 
gleicher Weise fortgefahren. Dabei zeigte sich, daß 600 g ge¬ 
wöhnliche Haferflocken, in zwei Tagen gegeben, 282 g Zuckeraus¬ 
scheidung bedingte. 150 g Rohrzuckerkaramose von Merck 
drückte am 1. Tage die Zuckerausscheidung von 132 g auf 21 g, 
am 2. Tage sogar auf 0 herab. Gleichzeitig verschwand die Acet- 
essigsäure; in den folgenden 2 Gemüsetagen wurde wieder etwas 
Zucker ausgeschieden. Der Wert von 44,4 erregte allerdings den 
Verdacht eines Diätfehlers. Nach 50 g Satrose war die Zucker¬ 
ausscheidung annähernd die gleiche wie am 1. Gemüsetag. Die 
Kombination von 100 g Satrose und 50 g Toast erwies sich am 
14. IX. als nipht sehr günstig, während geröstetes Brot allein 
recht gut vertragen wurde. Sehr gering ist die Extrazuckeraus¬ 
scheidung nach 200 g (am 20. und 21. IX.) sowie vor allem nach 
250 g Satrose, auf einmal am 23. IX. gegeben. An diesem letzteren 
Tage wurde nur 16 g Zucker mehr ausgeschieden, als am voran-, 
gehenden Gemüsetage. 

1) Durch das liebenswürdige Entgegenkommen von Herrn Professor 
H. Curschmann, dem ich dafür zu großem Danke verpflichtet bin, war ich in 
der Lage, diese poliklinisch eingewiesene Kranke auf der Klinik mit Fräulein 
Dr. Mommer, der betreffenden Abteilungsärztin, vom 9. IX. ab gemeinsam zu 
behandeln. 



Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerüsteten Stärkearten. 19 

Aus den angeführten Beispielen, die wir aus Platzmangel nicht 
noch weiter vermehren können, geht die große Überlegenheit der 
gerösteten Stärkearten gegenüber den gleichen Kohlehydraten bei 
gewöhnlicher Zubereitung auf das Eindeutigste hervor. 

Allgemein gültige Normen für die Anwendbarkeit der gerösteten 
Stärkearten lassen sich nicht geben. Im allgemeinen sind sie da 
am Platze, wo auch sonst Kohlehydrate erlaubt sind, besonders, 
wenn es gilt, nach Entzuckerung wieder kleine Mengen von Kohle¬ 
hydraten zu verabreichen oder wenn den Kranken die kleinen er¬ 
laubten Mengen der gewöhnlichen Kohlehydrate nicht genügen. 
Da ja nach der Herstellungsart der gerösteten Präparate und der 
individuellen Stoffwechsellage die Wirkung auf die Glykosurie und 
Acidose ganz verschieden ausfallen kann, mnß in jedem Einzelfalle 
die Wirkung ausprobiert werden. Für den häuslichen Gebrauch 
sollten, vor allem in schweren Fällen, selbstgefertigte Röstprodukte 
nur da gestattet sein, wo man weitgehende Garantie hat, daß die 
Zubereitung auch richtig und sorgfältig, nicht in erster Linie nach 
dem Wohlgeschmack orientiert, vorgenommen wird. 

Im übrigen kann das fertige Haferpräparat Satrose von 
Schering empfohlen werden. In analoger Weise können auch 
Produkte aus Roggenmehl, Reismehl usw. hergestellt werden. Die 
bekannte Nährmittelfabrik von Rademann ist damit beschäftigt, 
geeigneten Toast zu liefern. 

Im Gegensatz zu karamelisiertem Zucker, der bei einzelnen 
Kranken, besonders, wenn er lange und in größeren Mengen ge¬ 
geben wird, Darmreizerscheinungen bis zu Durchfällen macht, be¬ 
lästigen die stark gerösteten Stärkearten den Darm so gut wie nie, 
es sei denn, daß sehr große Mengen eines besonders scharf ge¬ 
rösteten Präparates genossen werden. Bei starker Stuhlträgheit 
wurde eine gewisse Anregung der Darmtätigkeit manchmal von 
den Kranken als sehr angenehm empfunden. Durchfälle sah ich 
nur einmal. Stopfmittel haben sich niemals als notwendig erwiesen. 


2* 


20 


Aus dem pathologischen Laboratorium der Universität Amsterdam. 

Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien für das 
Entstehen von Kammerflimmern. 

Gleichzeitig ein Beitrag zu der Kenntnis des Entstehens 
des plötzlichen Herztodes. 1 ) 

Von 

Dr. S. de Bo er, 

Privatdozent der Physiologie. 

I. Einige wesentliche Momente aus der Literatur. 

Im Jahre 1842 erzeugte Erichsen (1) Kammerflimmern durch 
Sperrung der Kranzarterien. Wichtige Resultate wurden 1881 bei 
den eingehenden Untersuchungen Cohnheim’s und v. Schul t- 
heß-Rechberg’s (2) erzielt. Diese Untersucher glauben, daß 
die Ursache des Kammerflimmerns nach Sperrung von Kranzarterien 
in dem Fehlen von sauerstoffhaltigem Blut zu suchen ist; sie 
meinen, daß ein Herzgift gebildet wird, wodurch eine Schädigung 
des Herzmuskels entsteht. „Für gewöhnlich vermögen die, Sub¬ 
stanzen diese ihre schädliche Wirkung nicht zu entfalten, weil sie 
immer unmittelbar nach ihrer Entstehung von dem Blutstrom fort¬ 
geführt werden; ist letzterer aber in einem nicht zu kleinen Be¬ 
zirk unterbrochen, so stauen sich jene Substanzen in diesem so¬ 
lange an, bis ihre Menge beträchtlich genug geworden ist, um 
nach einem Stadium der Pulsverlangsamung und Irregularität 
von wechselnder Dauer eine plötzliche und nicht wieder zu be¬ 
seitigende totale Lähmung beider Herzventrikel zu bewirken.“ 

Auf dem 10. Kongreß für innere Medizin erklärte v. Frey (3) 
1891, daß die Anämie des Herzmuskels eine relativ ungefährliche 
Erscheinung ist. Zwei Jahre später schloß Tigerstedt (4) sich 


1) Der Inhalt wurde am 7. April 1923 mitgeteilt in Maastricht am 19. Nederl: 
Natuur- en Geneeskundig Congres. 



Uber die Folgen der Sperrung der Kranzarterien usw. 


21 


dieser Auffassung an. Letzterer Untersucher war der An¬ 
sicht, daß das Kammerflimmern nach Sperrung von Kranzarterien 
eine Folge der unvermeidlichen Nebenverwundungen sei. Tiger- 
stedt gelangte zu dieser Auffassung durch seine Experimente, in 
denen er bei Säugerherzen die Vorhöfe abklemmte. Obwohl eine 
völlige Anämie des Kammermuskels die Folge dieses Eingriffes 
war, entstand kein Kammerflimmern. 

Der vorgenannten Nebenverwundungshypothese schloß sich 
Langendorff (5) an. Dieser ließ Säugerherzen nach seiner be¬ 
kannten Methode überleben und sperrte dann die Durchströmung 
der Coronargefäße. Er erhielt dann Anämie des Kammermuskels 
ohne diesen zu verwunden. Kammerflimmern trat hierdurch nicht 
auf; ja, er konnte sogar ein bestehendes Kammerflimmern auf diese 
Weise auf heben. 

Für diesen Gegenstand sind auch die Experimente Magnus’ (6) 
von Wichtigkeit. Dieser sandte ein indifferentes Gas (und zwar 
Wasserstoff) durch die Coronargefäße eines herausgeschnittenen 
Säugerherzens. Dann trat kein Kammerflimmern auf. Dagegen 
entstand letzteres wohl, wenn durch die Coronargefäße C0 2 ge¬ 
preßt wurde. 

Die Nebenverwundungshypothese Tigerstedt’s ist besonders 
von Porter (7) und Hering (8) bekämpft worden. 

II. Die Größe des gesperrten Kranzarterienastes. 

Es hat sich gezeigt, daß die Anämisieruug des ganzen Kammer¬ 
muskels kein Kammerflimmern bewirkt, während dagegen diese 
Erscheinung wohl auftritt nach Sperrung eines oder mehrerer Äste. 
Durch letzteres Verfahren wird das betreffende Gebiet des Kammer¬ 
muskels nicht ganz anämisch, wissen wir doch durch die Unter¬ 
suchungen Jam in’s und Merkel’s (9) und auch diejenigen 
Spalteholz’ (10), daß die Coronargefäße reichlich Auastomosen 
bilden. Von Cohnheim und Schultheß-Rechberg wurde 
festgestellt, daß die Zeit, welche zwischen dem Sperren eines der 
Äste der Kranzarterie und dem Auftreten von Kammerflimmern 
verläuft, von der Größe des gesperrten Astes abhängig ist. Je 
kleiner das anämisierte Gebiet ist, desto länger dauert es, bis 
nach dem Sperren das Kämmerflimmern in die Erscheinung tritt. 
„Hatte sich vorher ergeben, daß die Vergrößerung des akut anä- 
misierten Bezirkes über einen gewissen Umfang hinaus den Ein¬ 
tritt des Herzstillstandes nicht mehr beschleunigt, so sehen wir 
jetzt, daß die Verkleinerung desselben unter eine gewisse Größe 





22 de Boeh 

den Erfolg des Eingriffes überhaupt unsicher macht, ihn selbst 
völlig ausschließt. Innerhalb dieser Grenzen nach oben und unten 
aber scheint in der Tat die Geschwindigkeit des Eintritts der 
Wirkung in gleichem Verhältnis mit der Größe des seiner arteriellen 
Zufuhr beraubten Bezirkes zu wachsen.“ 

Die Zeit, die zwischen dem Sperren eines Kranzarterienastes 
und dem Beginn des Kammerflimmerns verläuft, wird von den 
verschiedenen Untersuchern sehr verschieden angegeben. Als 
Minimumintervall finden wir 1% Minuten und als Maximuminter¬ 
vall mehr als 3 Stunden genannt. Porter weist darauf hin, daß 
ein wesentlicher Faktor hierbei der Zustand des Herzens im 
Augenblicke des Eingriffes ist. Ein neues Moment wurde von 
seiten v. Frey’s (11) hervorgehoben. Dieser Untersucher, der 1891 
der Ansicht war, daß Anämie des Herzmuskels relativ ungefähr¬ 
lich sei, kommt drei Jahre später hiervon zurück. 1894 sagt er: 
„Entweder muß zur Anämie des abgesperrten Herzteiles noch etwas 
hinzukommen, wodurch der Stillstand herbeigeführt wird oder es 
ist neben der Größe auch der Ort der Schädigung von besonderer 
Bedeutung.“ 

Dieser Gedankengang ist später von Hering aufgenommen 
und mit seiner Auffassung über das Entstehen von Kammerflimmern 
in Verbindung gebracht. Hering ist nämlich ein Anhänger der 
Engelmann-Winterberg’schen Theorie der polytopen Reiz¬ 
bildung, die vor einigen Jahren schon wieder von ihren Urhebern 
aufgegeben wurde. Laut dieser Theorie sollen in einer flimmern¬ 
den Herzabteilung viele Kontraktionsherde bestehen, die durch 
Zonen geringer Leitungsfähigkeit voneinander getrennt sind. Die 
Kontraktionen in diesen Herden sollen durch multiple heterotope 
Reizbildung unterhalten werden. 

Nach Hering sollen in dem lokal ischämischen Teile die 
heterotopen Reize entstehen. Auch ist Hering der Ansicht, daß 
das Flimmern der Kammern von den Hauptästen des His’schen 
Bündels ausgeht, wie aus folgendem Zitat erhellt: „Bei der Zahl 
der in Betracht kommenden Koeffizienten, von denen, wie wir im 
nächsten Abschnitt hören werden, der Zustand des Herzens von 
großer Bedeutung ist, läßt sich auf Grund der bis jetzt vorliegenden 
Versuchsergebnisse über den CoronararterienVerschluß noch nicht 
mit Sicherheit sagen, daß die Örtlichkeit des betroffenen Bezirkes 
und damit seine Funktion eine wesentliche Rolle bei dem Auf¬ 
treten von Herzkammerflimmern nach Coronararterienverschluß 
spiele. Wenn ich trotzdem zu dieser Annahme neige, so unter- 



Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien usw. 


23 


stützt mich darin die Erfahrung, daß dieReizbildungsfähig- 
keit des Reizleitungssystems im allgemeinen um so 
größer ist, je näher die heterotope Reizbildungsstelle 
der nomotopen liegt, worauf ich schon wiederholt aufmerk¬ 
sam gemacht habe. Danach wird das Herzklammerflimmern unter 
sonst gleichen Umständen leichter von den Hauptab¬ 
schnitten des Reizleitungssystem s der Kammern aus¬ 
gehen als von seinen Ausläufern, oder der übrigen Herz¬ 
kammermuskulatur, womit sich die bis jetzt vorliegenden Ergebnisse 
über das Auftreten von Herzkammerflimmern mit Coronararterien- 
verschluß gut in Einklang bringen lassen.“ 

Hering ist daher der Meinung, daß Ischämie der Haupt¬ 
stämme des His’schen Bündels einen der wie er es nennt „aus¬ 
lösenden Koeffizienten“ für das Entstehen von Kammerflimmern 
bildet. Diese Auffassung klingt a priori schon sonderbar ; denn 
wenn lokale Ischämie der Hauptstämme des His’schen Bündels 
Kammerflimmern bewirkt, warum entsteht dieses dann nicht bei 
totaler Anämie. Ebenso wissen wir seit den Versuchen Cohn- 
heim’s und v. Schultheß-Rechberg’s, deren Ergebnissen 
auch Hering zustimmt, daß nach Sperrung der Kranzarterien das 
Kammerflimmern dadurch entsteht, daß sich StofFwechselprodukte 
in der Kammer anhäufen. Wohlan, wenn das Kammerflimmern 
nach Sperrung eines der Äste der Coronararterien dadurch ent¬ 
steht, daß diese StofFwechselprodukte die Hauptstämme des His- 
schen Bündels reizen, warum entsteht das Kammerflimmern dann 
nicht nach dem Sperren beider Coronararterien; denn dann werden 
sich doch auch die StofFwechselprodukte anhäufen und die Haupt¬ 
stämme des His’schhen Bündels reizen. Wir dürfen doch nicht an¬ 
nehmen, daß das Flimmern verhindert werden würde, weil auch 
die anderen Gebiete des Kammermuskels blutlos gemacht sind. 
Außerdem hat Hering auch nicht plausibel gemacht, daß eine 
fast totale Anämie (Ischämie) des His’schen Bündels wohl Kammer¬ 
flimmern hervorrufen würde, aber totale Anämie nicht. 

Dann hat Hering allerlei Koeffizienten, wie er dies nennt, 
aus der Literatur zusammengesucht, nämlich „auslösende“ und 
disponierende. Zu den „auslösenden“ rechnet er: das Sperren der 
Kranzarterien, die lokale Ischämie, die lokale Vergiftung durch 
Verhinderung der Zu- und Abfuhr von StofFwechselprodukten, 
wahrscheinlich der Kohlensäure, und schließlich die heterotope 
Reizbildung. Disponierende Koeffizienten sind nach ihm die Größe 
der Arterie, die Funktion des von dieser versorgten Gebietes, die 



24 


DE BOER 


Narkose, die Blutung, die Nebenverwundungen. All dieser wichtig 
klingenden Auseinandersetzungen entkleidet, meint Hering also 
kurzweg, daß das Kammerflimmern durch Anämie, bzw. Ischämie 
der Hauptstämme des His’schen Bündels entsteht. Über diesen 
Punkt sind nun von Kahn direkt Experimente angestellt. Kahn (12) 
sperrte bei Hunden den Arterienast ab, der das Septum des Herzens 
vaskularisiert. Dann trat meistens kein Kammerflimmern auf; oft 
blieb das Herz einige Zeit nach dem Abklemmen plötzlich Still¬ 
stehen; zuweilen ging es auch nach längerer Zeit zum Flimmern 
über. So wies Kahn nach, daß nach Anämisierung eines 
großen Teiles des Reizleitungssystemes weder be¬ 
sonders oft noch besonders schnell Kammerflimmern 
auftrat. Im Gegenteil, letzteres entstand dann auf¬ 
fallend selten. Die Auffassung Hering’s wird hierdurch 
widerlegt. Obwohl es sich als unrichtig erwiesen hat, daß Ischämie 
eines bestimmten Teiles, und zwar des His’schen Bündels, Kammer¬ 
flimmern verursachen soll, bin ich der Meinung, daß aus den 
früheren Untersuchungen Cohnheim’s und v. Schultheß- 
Rechberg’s und auch denjenigen Langendorff’s ein anderer 
Schluß gezogen werden muß. Meines Erachtens — ich werde dies 
im folgenden Kapitel näher ausführen — entsteht das Kammer¬ 
flimmern nach Sperrung eines oder mehrerer Aste der Kranz¬ 
arterien nicht infolge von Ischämie eines bestimmten Teiles der 
Kammer (der Hauptstämme des His’schen Bündels), sondern in¬ 
folge von Ischämie eines willkürlichen Teiles der 
Kammer, wenigstens wenn dieser nicht zu klein ist. 

III. Die Beziehung zwischen teilweiser Ischämie und 
dem Auftreten von Kammerflimmern. 

Aus den Untersuchungen Cohnheim’s und v. Schultheß- 
Rechberg’s hat sich gezeigt, daß nach Sperrung eines oder 
mehrerer Äste der Arteriae coronariae cordis Kammerflimmern er¬ 
zeugt wird. Dieses Kammerflimmern tritt, wie wir sahen, nicht 
sofort nach dem Absperren auf, sondern erst nach Verlauf einer 
gewissen Zeit. Nach Cohnheim und v. Schultheß-Rechberg 
soll dieses Kammerflimmern sein Entstehen den sich anhäufenden 
Stoffwechselprodukten zu danken haben. 

Durch die Untersuchungen Langen dorff’s ist es bekannt 
geworden, daß totale Anämie der Kammerwand kein Kammer¬ 
flimmern bewirkt, sondern im Gegenteil ein bestehendes Kammer¬ 
flimmern sogar auf heben kann. Auch wissen wir aus den Unter- 



Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien usw. 


25 


suchungen, die von Jamin and Merkel wie auch von Spalte¬ 
holz angestellt wurden, daß Sperrung eines oder mehrerer Äste 
der Arteriae coronariae cordis keine totale Anämie des betreffenden 
Gebietes der Kammern hervorruft, sondern Ischämie, da die Kranz¬ 
arterien reichlich Anastomosen bilden. 

Hering glaubte diese Tatsachen dadurch erklären zu müssen, 
daß teilweise Ischämie eines bestimmten Herzteiles und zwar 
der Hauptstämme des His’schen Bündels Kammerflimmern bewirken 
werde. Er ging hierbei von der Meinung v. Frey’s aus, daß 
außer der Größe auch der Ort der Schädigung von besonderer 
Bedeutung ist. 

Die Ansicht Her in g’s wurde durch die Experimente Kahn’s 
widerlegt. Dieser Untersucher sah nach Sperrung des Arterien¬ 
astes, der das Septum des Herzens vaskularisiert, auffallend selten 
Kammerflimmern auftreten. 

Dies sind nun die Tatsachen, die einer Erklärung harren. Wie 
schon oben von mir dargelegt wurde, war die Auffassung Hering’s 
a priori nicht plausibel. Denn in den Experimenten Langen- 
dorff’s, in denen der ganze Blutkreislauf des Coronarsystems 
zum Stillstand gebracht wurde, werden sich auch die Stoffwechsel¬ 
produkte anhäufen, und sollte dann hierbei die Anhäufung der 
Stoffwechselprodukte in den Hauptstämmen des His’schen Bündels 
nicht Kammerflimmern bewirken, und zwar falls nur ein oder mehr 
Äste der Kranzarterien abgesperrt sind? Oder müßten wir an¬ 
nehmen, daß Kammerflimmern wohl entstehen werde, wenn die 
Hauptstämme des His’schen Bündels fast ganz anämisch wären 
und nicht, wenn sie völlig anämisch gemacht wurden? In jedem 
Falle geht aus der Mitteilung Hering’s nicht hervor, warum in 
diesen beiden Fällen solch ein verschiedenes Resultat erreicht 
wurde. 

Wenn wir nun die vorstehend kurz zusammengefaßten Data 
näher zu erklären suchen wollen, dann müssen wir erst das Wesen 
und die Ursache des Kammerflimmerns ins Auge fassen und zu¬ 
gleich die Bedingungen, unter denen es entsteht, mit anderen 
Worten: die Disposition der Kammer für das Entstehen des 
Flimmerns. Diese drei Punkte müssen wir erst näher erläutern. 
Das Wesen und die Ursache des Flimmerns habe ich in meinen 
früheren Arbeiten ausführlich behandelt (13), so daß ich hier mit 
einigen kurzen Bemerkungen mich begnügen kann. Während des 
Flimmerns einer Herzabteilung pflanzt sich die Erregungswelle 
ruckweise fort und legt somit den Umlauf in Etappen zurück. 



26 


DP. BOER 


Diese Umläufe wiederholen sich stets wieder, so daß das Flimmern 
aus einer Aneinanderreihung fraktionierter Systolen besteht. Auch 
über die Ursache des Flimmerns sind unsere Kenntnisse bereichert 
worden. Wenn nämlich unter bestimmten Verhältnissen ein Sinus¬ 
impuls die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums 
erreicht, kann Kammerflimmern entstehen. Wenn das Refrak- 
tänstadium der Kammer nicht besonders stark ver¬ 
längert ist, dann kann ein Sinusimpuls die Kammer 
leicht direkt nach Ablauf desselben erreichen während 
einer Beschleunigung der Herztätigkeit. So entsteht 
übrigens beim Menschen das Vorhofflimmern oft in Anschluß an 
eine Beschleunigung der Sinusimpulse (starke körperliche oder 
geistige Anstrengung). Doch diese Beschleunigung ist nicht immer 
nötig. Wenn nämlich die Dauer des Refraktärstadiums 
besonders groß ist und sich der Dauer einer Sinus¬ 
periode nähert, erreicht auch ohne eine Beschleu¬ 
nigung ein rhythmischer Sinusimpuls die Kammer 
direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums. Es ist 
selbstverständlich, daß es auch möglich ist, daß das Flimmern in¬ 
folge der Bildung eines heterotopen Herzreizes entstehen kann. 
Wenn das Flimmern aber auf eine dieser Weisen entsteht, dann 
muß zuvor der metabole Zustand des Kammer- oder Vorhofmuskels 
verschlechtert sein. Bei einem anatomisch und physiologisch 
normalen Vorhof- oder Kammermuskel entsteht niemals Flimmern. 
So kann der Vorhofmuskel durch Überanstrengung physiologisch 
anormal werden infolge von Mitralstenose oder auch infolge von 
stets wiederholter oder fortdauernder Beschleunigung. In diesen 
Fällen istdieÜberanstrengung dieUrsache der physio¬ 
logischen Anormalität. 

Das Flimmern einer Herzabteilung kann deshalb nur ent¬ 
stehen, wenn in dieser Herzabteilung hierfür eine ge¬ 
wisse Disposition vorhanden ist. Beim Menschen entsteht 
diese Disposition dadurch, daß der metabole Zustand infolge von 
Degeneration des Herzmuskels, Arteriosklerose der 
Coronargefäße oder Überanstrengung verschlechtert ist. 
Jedoch muß auch im Experiment erst diese Disposition vorhanden 
sein, ehe wir Flimmern erzeugen können. In meinen Experi¬ 
menten entstand nämlich nur dann nach einem In¬ 
duktionsreiz sofort nach Ablauf des Refraktärstadiums 
Flimmern, wenn zuvor der metabole Zustand ver¬ 
schlechtert war. Wenn ich das Froschherz entblutet hatte, 



Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien usw. 27 

konnte ich in einem bestimmten Stadium nach der Ent¬ 
blutung das Flimmern der Kammer durch einen Induktionsreiz 
auslösen. In diesem selben Stadium nach der Entblutung entstand 
auch oft Kammeralternans. Wenn, wenigstens in meinen Ver¬ 
suchen, nach der Entblutung Kammeralternans auftrat, dann er¬ 
kannte ich hieran, daß das Stadium erreicht war, in welchem 
durch einen Induktionsreiz Kammerflimmern erzeugt werden konnte. 
In diesem Stadium nach der Entblutung ist die Dauer des Refrak¬ 
tärstadiums der Kammer verlängert und zwar für den einen Teil 
(nämlich meistens die Spitze) mehr als für den anderen. Dieser 
sog. fraktionierte Zustand bedingt die Disposition zum Flimmern 
(und zugleich zu Alternans: siehe hierfür Zeitschr. f. d. ges. experim. 
Medizin Bd. 32, S. 104). Wenn dieser fraktionierte Zustand vor¬ 
handen ist, dann kann die Erregung in Etappen zirkulieren (siehe 
hierfür auch Zeitschr. f. d. ges. experim. Medizin Bd. 32, S. 104). 

Nach dieser kurzen Auseinandersetzung des Wesens und der 
Ursache des Flimmerns, sowie der Disposition zu demselben kehren 
wir wieder zu den Experimenten über das Sperren der Kranz¬ 
arterienäste zurück. Da bis jetzt jede Erklärung hierfür gescheitert 
ist, glaube ich im Lichte meiner Untersuchungen nunmehr hierfür 
eine deutliche Erklärung geben zu können. Nach meiner An¬ 
sicht entsteht bei diesenExperimentendasFlimijiern 
nicht, weileinbestimmterTeiljimdzwardasHis’sche 
Bündel ischämisch gemacht wird, wie Hering glaubte, 
sondern weil ein willkürlicher Teil ischämisch ge¬ 
macht wird, wenn wenigstens dieser Teil nur groß 
genug ist. Dann entsteht in der Kammer ein fraktionierter Zu¬ 
stand, indem die Dauer des Refraktärstadiums des ischämischen 
Teiles länger wird als diejenige des Restes der Kammer. Auch 
ist für das Entstehen des Flimmerns in diesen Experi¬ 
menten ein günstiger Umstand, daß die Arterien des 
Herzens anastomosieren. Denn jetzt wird ja der betreffende 
Teil der Kammer nicht ganz blutlos. Dadurch verschlechtert sich 
der metabole Zustand langsam, so daß das Stadium, in welchem 
Flimmern auftreten kann, längere Zeit anhält und also mehr Aus¬ 
sicht für das Erscheinen von Flimmern besteht. Denn die Dis¬ 
position allein ist für das Entstehen nicht aus¬ 
reichend; es muß auch noch ein Impuls die Kammer 
direkt nach Ablauf des Refraktär Stadiums erreichen 
oder wenigstens in einem heterotopen Punkt im 
richtigen Moment ein Reiz entstehen. Wäre das be- 



28 


DK BOEK 


treffende Kammergebiet völlig anämisiert, dann würde sehr bald 
hierfür der Augenblick angebrochen sein, in welchem dieser Teil 
der Kammer nicht mehr kontrahierte und er nicht mehr die Er¬ 
regung fortleiten könnte. Für das Entstehen von Flimmern wäre 
dann nicht viel Gelegenheit, und falls es entstehen sollte, dann 
würde es infolge der teil weisen Asystolie kurz dauern. Wir können 
nun auch verstehen, warum bei einem nach Langendorff’scher 
Methode überlebenden Säugerherzen kein Flimmern entsteht nach 
dem Zumstillstandbringen der ganzen Zirkulation durch die Kranz¬ 
arterien, und warum dadurch ein bestehendes Flimmern sogar auf¬ 
gehoben werden kann. Wenn man nämlich die ganze Zirkulation 
durch die Coronargefäße zum Stillstand bringt, dann wird schnell 
der metabole Zustand der ganzen Kammer schlechter. Dann 
entsteht also auch kein fraktionierter Zustand in der Kammer wie 
bei dem Sperren eines Astes. Und wenn Kammerflimmern vor¬ 
handen ist, wird dadurch der fraktionierte Zustand aufgehoben. 

Daß ein bestehendes Kammerflimmern dadurch aufgehoben 
werden kann, ist nun auch begreiflich. Denn dann wird ja der 
metabole Zustand des Kammermuskels infolge der völligen Anämie 
noch schlechter, die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer 
nimmt noch mehr zu, mit der Folge, daß die ruckweise zirkulierende 
Kontraktionswelle sich an ihrem eigenen Refraktärstadium bricht. 
Danach tritt die postundulatorische Pause ein und die ryhthmischen 
Pulsationen fangen wieder an. Wenn dann die Durchströmung 
wieder eingeschaltet wird, kann sich die Kammer wieder ganz er¬ 
holen und klopfen bleiben. Es ist klar, daß es nur in einem Teile 
der Experimente gelingen wird, das Flimmern aufzuheben und die 
Pulsationen zurückzuerhalten. Denn für die Wiederkehr 
der Pulsationen muß sich in der postundulatorischen 
Pause der Kammermuskel wieder soweit erholen, daß 
die Pulsationen wieder anfangen können. 1 ) 

IV. Schlußbetrachtungen. 

Wir haben im Vorstehenden gesehen, daß in den Experimenten 
Cohnheim’s und v. Schultheß-Rechberg’s ein fraktionierter 
Zustand in den Kammern vorhanden ist und daß auf diesem Boden 
das Flimmern entsteht. Wir finden hier also eine überraschende 

1) Siehe hierüber auch: Nederl. Tijdschr. v. Geneesk. 1922, II, S. 2792 und 
S. de Boer: Die Physiologie und Pharmakologie des Flimmerns. Münchener Ver¬ 
lag von J. F. Bergmann 1923 und Ergebnisse der Physiologie XXI. Band, Abt. I, 
S. 138, 1923, mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis über Flimmern. 





Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien nsw. * 29 

Übereinstimmung mit dem Zustande der Froschherzen, bei denen 
ich mittels eines Induktionsreizes Kammerflimmern erzeugen konnte. 
Indessen erweist sich die Übereinstimmung zwischen beiden Ex¬ 
perimenten als noch vollkommener. In den Experimenten Cohu- 
heim’s und v. Schultheß-Rechberg’s entsteht nämlich das 
Flimmern der Kammern nicht gleich nach dem Verschluß der 
Kranzarterien, sondern erst kürzere oder längere Zeit danach. 
(Hierdurch wird die Hypothese der Nebenverwundung als Ursache 
des Kammerflimmerns, die von Tigerstedt und Langendorff 
aufgestellt wurde, widerlegt, wie übrigens auch Hering schon 
bemerkte.) Nach ihrer Ansicht müssen sich erst genügend Stoff¬ 
wechselprodukte anhäufen, und dann kann das Kammerflimmern 
entstehen. Nach den von mir ausgeführten Untersuchungen über 
das Flimmern möchte ich mich somit folgendermaßen ausdrücken: 
Nach dem Verschluß der Kranzarterien muß erst der 
metäbole Zustand der Kammern bis zu einem be¬ 
stimmten Grade verschlechtert sein, ehe Kammer¬ 
flimmern entsteht. Zu einem gleichen Schlüsse bin ich aut 
Grund meiner beim entbluteten Froschherzen ausgeführten Unter¬ 
suchungen gelangt. .Erst mußte nämlich nach dem Entbluten eine 
gewisse Zeit verlaufen sein, bevor ich mittels eines sofort nach 
Ablauf des Refraktärstadiums verabfolgten Induktionsreizes Kam- 
mertiimmern auslösen konnte. Ich vermochte also bei meinen ent¬ 
bluteten Froschherzen erst dann durch einen Induktionsreiz Kam¬ 
merflimmern hervorzurufen, wenn der metäbole Zustand der Kammer 
bis zu einem bestimmten Grade verschlechtert war. In dieser Hin¬ 
sicht besteht also auch eine überraschende Übereinstimmung mit 
den Experimenten Cohnheim’s und v. Schultheß-Rechberg’s. 

Es erhebt sich nun die Frage, ob ein Teil der Fälle plötz¬ 
lichen Herztodes als eine Folge des Verschlusses einer Kranzarterie 
oder eines Astes derselben mit dadurch herbeigeführtem Kammer¬ 
flimmern erklärt werden kann. Bezüglich dieser Frage kann viel¬ 
leicht die pathologisch-anatomische Literatur mehr Licht ver¬ 
schaffen. Bei dem Studium derselben zeigte sich mir, daß die 
Kranzarterien beim Menschen ebenso wie bei den übrigen Säugern 
Anastomosen bilden. So wiesen Toldt (14) und Langer (15) 
nach, daß die Kranzarterien durch mehrere schon mit dem unbe¬ 
waffneten Auge wahrnehmbare Äste, die quer über die Vorder¬ 
fläche des Herzens verlaufen, miteinander verbunden sind; außer 
durch diese Anastomosen kommunizieren die Coronargefäße nach 
Langer’s Ansicht auch noch mittels der Vasa vasorum der Aorta 



-7 


30 DE BoeK 

und Pulmonalis mit den Gefäßen des Perikardiums und außerdem 
können sie auch noch von den Verästelungen der Bronchial- und 
Diaphragmagefäße Blut erhalten. 

Das Sperren einer Kranzarterie oder eines ihrer Äste eVgibt 
für das dadurch vaskularisierte Muskelgebiet nicht stets dasselbe 
Resultat; bald zeigt das betreffende Gebiet überhaupt keine Ab¬ 
weichungen, bald wieder entstehen starke anämische Nekrosen. So 
sah Galli (16) bei einem Patienten mit schwerer Arteriosklerose 
der Aorta ascendens einen völligen Verschluß des Einganges der 
rechten Coronaria, ohne daß das Myokardium des rechten Ventrikels 
eine Veränderung aufwies. „Als er dann gefärbtes Wachs in die 
linke Kranzarterie injizierte, konnte er eine kleine, sich vom 
Stamme der linken Coronaria abzweigende und um die Pulmonalis 
herumlaufende Arterie konstatieren, die sich mit einem Zweige 
der rechten Coronaria verband. „Hierdurch wurde das Intakt¬ 
bleiben des Muskels der rechten Kammer erklärbar. 

Chiari (17) machte die Sektion bei einem Nephritiker von 
32 Jahren, der plötzlich gestorben war. Die rechte Kranzarterie 
war durch einen Thrombus verstopft. Die Muskulatur in diesem 
Gebiete wies haselnußgroße myomalacische Herde auf; in der linken 
Kranzarterie fand sich ein Embolus. Der Tod war also durch Ver¬ 
stopfung der beiden Kranzarterien verursacht worden. Offenbar 
waren hier auch Anastomosen vorhanden; sonst wäre doch das 
Gebiet der rechten Kranzarterie völlig nekrotisch geworden und 
nicht herdförmig verändert. 

Auch sind einige Fälle beschrieben, bei denen durante vita 
einer der Äste einer Kranzarterie gesperrt war. Dies hatte für 
das vaskularisierte Gebiet nicht immer dieselbe Folge. So sperrte 
Pagenstecher (18) bei einem Patienten mit Herzverwundung 
den Ramus descendens der linken Coronaria ab. Der Patient starb 
5 Tage danach. Die betreffende Muskulatur war völlig normal. 
Ein ganz anderes Ergebnis erhielt Fraenkel (19). Dieser sperrte 
ebenfalls einen Ast der linken Kranzarterie ab und fand drei Tage 
danach schwere anämische Nekrosen in dem betreffenden Gebiet. 

Es ist ohne weiteres klar, daß Sperrung der beiden Kranz¬ 
arterien den plötzlichen Herztod herbeiführt. Nach Jores (20) 
kommt dies indessen selten vor. Er bemerkt gleichzeitig, daß der 
plötzliche Herztod auch nach Sperrung einer Kranzarterie ein- 
treten kann. Und er fügt hinzu: „Es ist aber hierbei zu bedenken, 
daß dieser Verschluß einer Coronararterie streng genommen nicht 



Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien nsw. 31 

zur ausreichenden Erklärung des Todes genügt. Denn es bestehen 
zwischen den Versorgungsgebieten der beiden Coronararterien offen¬ 
bar Anastomosen.“ 

Jores weist auch noch darauf hin, daß Verengerung der 
Kranzarterien durch Sklerose hinreichende Ursache ist für den 
plötzlichen Herztod. So fand er bei Sklerose der Aorta die Ur¬ 
sprungsstelle der Kranzarterien verengert. Doch nicht nur Ver¬ 
engerung beider Kranzarterien kann den plötzlichen Herztod be¬ 
wirken, sondern hierzu genügt auch die starke Verengerung einer 
Kranzarterie. Jores erinnert dann daran, daß der plötzliche Herz¬ 
tod auf Grund von Verengerung der Kranzarterien oft in Anschluß 
an einen stenokardischen Anfall eintritt. Da nach der Auffassung 
Jores’ besonders auch Verengerung einer Kranzarterie schwerlich 
den Herztod herbeiführen kann, stellt er die folgende Hypothese 
auf: „Wichtig für die Beurteilung der Coronararterienerkrankungen 
als Todesursache scheint mir der Umstand zu sein, daß wahrschein¬ 
lich bei der Auslösung des stenokardischen Anfalles außer der rein 
mechanischen Verlegung der Gefäße funktionelle Störungen wie 
Krampf der kleinen Arterien hinzukommt. Diese resp. die hier¬ 
durch verursachte Ernährungsstörung des Herzmuskels kommt für 
den Tod in Betracht. Daher darf man unter Umständen auch bei 
weniger hohen Graden der genannten anatomischen Veränderungen 
der Kranzarterien den Herztod nicht ausschließen.“ 

Es erhebt sich nun die Frage, warum bald einmal nach dem 
Verschluß einer der Kranzarterien das betreffende Kammermuskel¬ 
gebiet keine Abweichungen aufweist und bald wieder ganz nekro¬ 
tisch wird, warum dieser Prozeß bald den plötzlichen Tod zur Folge 
hat, selbst wenn der Verschluß noch nicht einmal vollkommen ist, 
und bald wieder ohne Störung ertragen wird. Hierauf hat Thorei 
(21) die Antwort gegeben. Dieser ist der Meinung, daß die Fälle, 
in denen nach plötzlicher Sperrung der kollaterale Blutkreislauf 
genügt, den Herzmuskel normal zu erhalten, in der Minderheit 
sind. Meistens entsteht dadurch myomalacische Erweichung: „In¬ 
wieweit im Einzelfalle ein kollateraler Ausgleich ermöglicht wird, 
hängt von verschiedenen Faktoren ab. Im wesentlichen wird die 
Zahl und Größe der Anastomosen, ihre anatomische Beschaffenheit, 
die Schnelligkeit ihres funktionellen Eingreifens und die Herzkraft 
bestimmend sein; ist die Herzkraft schwach, dann wird wegen der 
ungnügenden Eröffnung der Kollateralen ein weit größerer Infarkt 
entstehen als wenn das Herz sich noch im Vollbesitz seiner Kraft 
befindet und mit genügendem Druck das Blut in die Kapillaren 



32 


DK BOEK 


des verschlossenen Gefäßgebietes hineingetrieben werden kann/ 
Dieser Darlegung Thorel’s stimme ich gerne zu. 

Noch ein Punkt bedarf hier näherer Erläuterung. In den 
letzten Jahren wird allgemein angenommen, daß der plötzliche 
Herztod durch Kammerflimmern verursacht wird. Wenn der 
plötzliche Herztod vor kommt und bei der Sektion in 
denKammern ein sog. fraktionierter Zustand besteht, 
z. B. dadurch, daß eine der Coronararterien verengert 
oder abgeschlossen ist oder dadurch, daß ein Teil der 
Kammer wand mehr Degenerationsherde aufweist als 
ein anderer Teil, dann kann ich mich sehr gut der 
Ansicht anschließen, daß der Tod eingetreten ist in¬ 
folge Kammerflimmerns. 

Infolge des Umstandes, daß dann ein fraktionierter Zustand in der 
Kammer besteht und also das Refraktärstadium eines Teiles der Kammer 
länger dauert als das eines anderen Teiles, wird bei einer Beschleunigung 
der Sinusimpnlse in einem gegebenen Augenblick ein Impuls bei seiner 
Ankunft in den Kammern einen Teil derselben noch refraktär finden. 
Dann verbreitet sich daher dieser Impuls über den anderen Teil der 
Kammer und erst später über deren Rest. So wird denn der Weg 
durch den ganzen Kammermuskel in 2 Etappen zurückgelegt. Wenn 
somit ein fraktionierter Zustand in den Kammern besteht, erreicht also 
bei einer Beschleunigung der Sinusimpulse schließlich ein Impuls die 
Kammer nicht längs allen Verästelungen des His’schen Bündels, sondern 
in einem mehr oder weniger zirkumskripten Punkte (siehe hierüber auch 
Klin. Wochenschr. I. Jahrg., Nr. 6). 

Wenn jedoch beide Coronararterien verstopft sind, wie in den 
von Oestreich (22) und Chiari beschriebenen Fällen, dann 
stehen wir vor einem ganz anderen Falle. Der plötzliche Herztod 
ist dann eine Folge von Blutleere der Kammern, in denen also 
kein fraktionierter Zustand vorhanden zu sein braucht. Wir haben 
dann mit einem analogen Falle zu tun wie bei den Experimenten 
Tigerstedt’s und Langendorff’s. Diese beiden Untersucher 
machten die Kammern von Säugerherzen blutlos und sahen dann 
kein Kammerflimmern entstehen. Meines Erachtens ist es denn 
auch wohl sehr wahrscheinlich, daß der plötzliche Herztod beim 
Menschen in denjenigen Fällen, wo die beiden Kranzarterien ab¬ 
geschlossen sind, nicht eine Folge von Kammerflimmern ist. Der 
plötzliche Herztod entsteht hier dadurch, daß die 
Kammern infolge der Blutleere nicht mehr pulsieren 
und sogarnicht m ehr flimmern können. (Langendorff 
hat ja das Flimmern dadurch beendigt, daß er die Coronarzirku- 
lation ganz zum Stillstand brachte.) 




Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien usw. 33 

Nach dem Vorangehenden ist es deutlich, daß Verschließen 
oder Verengern einer Kranzarterie beim Menschen ohne weiteres 
Kammerflimmern auslösen kann. Es ist daher nicht nötig, in 
diesen Fällen plötzlichen Herztodes, wieJores dies tut, die Hypo¬ 
these zu akzeptieren, daß der Herztod in diesen Fällen entstehen 
kann, weil außerdem ein Krampf der kleinen Arterien vorhanden 
sein soll. Jores geht hierbei von der Annahme aus, daß der 
ganze Kammermuskel für das Entstehen des Herztodes soviel wie 
möglich anämisch sein muß. Wie oben von mir dargelegt wurde, 
ist dieser Gedankengang nicht richtig. 

Zusammenfassung. 

1. Nicht durch Ischämie eines bestimmten Teiles des Herzens 
(nämlich der Hauptstämme des His’schen Bündels, wie Hering 
meint) sondern durch Ischämie eines willkürlichen Teiles des 
Kammermuskels kann Kammerflimmern entstehen. 

2. Infolge von Ischämie eines Teiles des Kammermuskels ist 
die Kammer zum Flimmern disponiert. Diese Disposition ist vor¬ 
handen infolge des fraktionierten Zustandes der Kammern. Dieser 
fraktionierte Zustand entsteht dadurch, daß ein Teil der Kammer 
(deren Arterienast abgesperrt ist) ein Refraktärstadium von längerer 
Dauer hat als der übrigbleibende Teil. 

3. Infolge lokaler Ischämie (und nicht von völliger Anämie) 
ist die Aussicht für das Entstehen von Kamraerflimmem darum 
zugleich größer, weil dann der metabole Zustand des betreffenden 
Gebietes langsam schlechter wird und daher das Stadium, in welchem 
das Flimmern entstehen kann, länger bestehen bleibt. Wäre das 
betreffende Gebiet völlig anämisch, dann würde bald der Zustand 
erreicht sein, in welchem dieser Teil nicht mehr kontrahieren und 
nicht mehr die Erregung fortleiten kann. Dann würde also das 
Flimmern nicht mehr entstehen können. 

4. In der Klinik kann Kammerflimmern entstehen, wenn eine 
Coronararterie durch Thrombose oder Embolie verstopft ist oder 
auch, wenn eine Arterie verengert ist. Es kann also entstehen 
bei Verengerung oder Verstopfung eines Arterienastes, wenn dieser 
wenigstens nur groß genug ist. Der hierdurch entstandene frak¬ 
tionierte Zustand der Kammer ist dann eine hinreichende Erklärung 
für das Entstehen des Flimmerns. Es ist überflüssig und sogar un¬ 
richtig, wie Jores meint, in diesen Fällen zugleich eine Vaso¬ 
konstriktion der Arteriae coronariae anzunehmen. 

3 


Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143 . Bd. 



« 

34 de Boer, Über die Folgen der Sperrung der Kranzarterien usw. 

5. Wenn beide Arteriae coronariae cordis abgeschlossen sind, 
wie in den Fällen Oestreich und Chiari, dann entsteht der 
plötzliche Herztod nicht durch Kammerflimmern. Denn von Langen- 
dorff und Tigerstedt wurde experimentell nachgewiesen, daß 
totale Anämie der Kammer nicht Kammerflimmern hervorruft, sondern 
dieses sogar aufhebt. 


Literatur. 

1. Erichson, J. E., On the influence of the coronarj circnlation on the 
action of the heart. The London Medical Gazette 2, 561, 1842. — 2. Cohn¬ 
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verschließung für das Herz. Virchow’s Arch. 85, 503, 1881. — 3. v. Frey, M., 
Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin 1891, S. 277. — 4. Tiger¬ 
stedt, R. Skaudinav. Arch. f. Physiologie Bd. 5, 8. 71, 1893. — 5. Langen- 
dorff, 0., Untersuchungen am überlebenden Sängetierherzen. Pflüger’s Arch. 
Bd. 61, S. 291. — 6. Magnus, R., Die Tätigkeit des überlebenden Säugetier¬ 
herzens bei Durchströmung mit Gasen. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 47, 
200, 1902. — 7 Porter, W. T , Der Verschluß der Coronararterien ohne mecha¬ 
nische Verletzung und Weiteres über den Verschluß der Coronararterien. Zentralbl. 
f. Physiol. Bd. IX, S. 481 und 641, 1896. — 8. Hering, H. E., Über die Koeffi¬ 
zienten, die im Verein mit Koronararterienverschluß Herzkammerflimmern be¬ 
wirken. Pflüger’s Arch. 163, 1, 1916. — 9. Jamin u. Merkel, Die Coronar¬ 
arterien des menschlichen Herzens. Jena 1907. — 10. Spalteholz, W., Die 
Coronararterien des Herzens. Verhandlungen der Deutschen Pathologischen Ge¬ 
sellschaft, 13. Tag, Leipzig 1909. — 11. v. Frey, M., Die Folgen der Ver¬ 
schließung von Kranzarterien. Zeitschr. f. klin. Med. 25,158,1894. — 12. K a h n, R. H., 
Zur Frage nach der Wirkung des Verschlusses der Koronararterien des Herzens. 
Pflüger’s Arch. 163, 506, 1916. — 13. Vollständige Literaturangabe in S. de Boer. 
Die Physiologie und Pharmakologie des Flimmerns. Münchener Verlag von 
J. F. Bergmann, und: Ergebnisse der Physiologie XXI. Band, Abt. I. — 14. Toi dt, 
zitiert nach G. Galli il6). — 15. Langer, L., Die Anastomosen der Coronar¬ 
arterien. Berichte der K. Akad. d. Wissensch. Wien 1880. — 16. Galli, G., 
Über anastomotische Zirkulation des Herzens. Münchener med. Wochenschr. 1903, 
Nr. 6/7. — 17. Chiari, H, Thrombotische Verstopfung der rechten und embo- 
lische Verstopfung des Hauptstammes der linken Coronararterie des Herzens bei 
einem 32jährigen Manne. Prager med. Wochenschr. 1897. — 18. Pagen¬ 
stecher, Weiterer Beitrag zur Herzchirurgie. Die Unterbindung der verletzten 
Arteria coronaria. Deutsche med. Wochenschr. 1901, Nr. 4. — 19. Fraenkel, E., 
Über traumatischen Kranzarterienverschluß. Münchener med. Wochenschr. 1904, 
S. 1272. — 20. Jores, L., Die Feststellung der Todesursache bei Erkrankungen 
der Zirkulationsorgane und des hämatopoetischen Apparates. Lubarsch-Ostertag, 
Ergebnisse XIII 2 , 1909, S. 17. — 21. Thorei, Ch., Pathologie der Kreislauf¬ 
organe. Lubarsch u. Ostertag, Ergebnisse XVII 2 , 1913, S. 458. — 22. Oestreich, 
Plötzlicher Tod durch Verstopfung beider Kranzarterien. Deutsche med. Wochen¬ 
schr. 1896. 



Die thyreosexuelle Insafficienz, 
eine besondere Form der multiplen Blutdrüsensklerose. 

Von 

Prof. Dr. L. Borchardt, Königsberg, 

Das Krankheitsbild, das Claude und Gougerot 1907 zuerst 
als pluriglanduläre Insufficienz beschrieben, ist scharf 
umgrenzt. Es läßt sich — nach den erkrankten Blutdrüsen — 
als thyreo-testikulo-hypophyseo-suprarenale Insufficienz bezeichnen. 
Die Mitbeteiligung der Epithelkörperchen ist inkonstant und 
unwesentlich, die Insufficienz der Schilddrüse, Keimdrüsen, Hypo¬ 
physe und Nebennieren aber ganz regelmäßig und charakteristisch. 
Diese Blutdrüsenschwäche ist anatomisch in der Mehrzahl der 
Fälle durch Atrophie und Sklerose der erkrankten Blutdrüsen 
charakterisiert: Falta bezeichnet das Krankheitsbild daher als 
multiple Blutdrüsensklerose. Die letztere sieht Wiesel 
wieder als Teilerscheinung einer allgemeinen Bindegewebsdiathese 
an, die sich nicht selten auch auf andere Drüsen, vor allem Leber, 
Nieren, Pankreas usw. ausdehnen kann; Wiesel spricht daher von 
einer Bindegewebsdiathese mehrerer Blutdrüsen. 

Durch das Bestreben neuerer, insbes. französischer Autoren, 
zahlreiche Krankheitsbilder, die man bisher auf die Erkrankung 
einer Blutdrüse zurückführte, der pluriglandulären Insufficienz 
unterzuordnen, droht die Einheitlichkeit des Krankheitsbildes wieder 
verloren zu gehen. Die Erkenntnis, daß bei Myxödem, Addison’scher 
Krankheit, hypophysärer Kachexie usw. in der Regel eine Mit¬ 
erkrankung anderer Blutdrüsen anatomisch, oft auch klinisch nach¬ 
weisbar ist, führte zu der Neigung auch diese festumschriebenen 
Krankheitsbilder in das der pluriglandulären Insufficienz aufgehen 
zu lassen. Brugsch 1 ) klagt daher mit Recht: „Der Topf für die 


1) Kraus-Brugsch, Spez. Pathol. u. Therap. 1. Bd., 1919, S. 1009. 

3* 



36 


Borchahdt 


pluriglanduläre Blutdrüseninsufficienz ist sehr groß; man kann in 
ihn vieles hineinbringen.“ 

Will man verhindern, daß der Begriff der pluriglandulären 
Insufficienz ein ganz nebelhafter wird, so muß man von diesem 
Krankheitsbilde zunächst alle Fälle abtrennen, bei denen sich Zeichen 
von Funktions Steigerung einzelner Blutdrüsen nachweisen lassen. 
Der Begriff der pluriglandulären Erkrankung und der pluriglandu¬ 
lären Insufficienz darf nicht identifiziert werden. Pluriglanduläre 
Insufficienz ist der engere Begriff'. 

Brugsch hebt mit Recht hervor, daß zur pluriglandulären 
Insufficienz außer der multiplen Blutdrüsensklerose auch andere 
Fälle gehören, die lediglich durch funktionelle Schwäche mehrerer 
Blutdrüsen ausgezeichnet sind. Aber auch die multiple Blutdrüsen¬ 
sklerose läßt sich noch in verschiedene Formen auflösen. 

Biedl hat die Unterschiede der einzelnen Formen durch Be¬ 
nennung nach den erkrankten Blutdrüsen zu charakterisieren ge¬ 
sucht: er spricht von thyreo-testikulo-hypophyseo-supra- 
renalem, thyreo-suprarenalem Syndrom usw. Eine 
Durchsicht der Literatur lehrt aber, daß eine solche Mannig¬ 
faltigkeit der Formen, wie sie Biedl anzunehmen scheint, doch 
wohl nicht vorkommt. 

Über Fälle mit Ausfallserscheinungen an drei Blutdrüsen 
herrscht noch keine Klarheit. Sie sind seltner als meist ange¬ 
nommen wird. Ich habe in der Literatur nicht einen autoptisch 
sichergestellten Fall finden können, in dem 3 Blutdrüsen verändert, 
die 4. aber intakt gefunden wurde. Einige klinische Fälle sind 
allerdings beschrieben. Ihnen kann aber eine Beweiskraft nicht 
beigemessen werden, da die Insufficienz der 4. Blutdrüse bei Insuffi¬ 
cienz der anderen leicht übersehen werden kann. Leider fehlt in 
einem von Ponfick sehr eingehend anatomisch untersuchten Fall 
von multipler Blutdrüsensklerose eine Angabe über die Keimdrüsen. 
Daraus auf Intaktheit der Keimdrüsen zu schließen, scheint mir 
aber nicht berechtigt. 

Fälle von biglandulärer Insufficienz sind nicht so selten. Sie 
gehen aber meist unter anderem Namen. Hierher sind die Dystro¬ 
phia adiposogenitalis, die hypophysäre Kachexie, die 
Komplikationen der Addison’schen Krankheit mit Keim- 
drüseninsufficienz zu rechnen. Diese Erkrankungen werden auf 
primäre uniglanduläre Schädigungen (Hypophyse, Nebennieren) 
zurückgeführt, die durch Wechselwirkung Keimdrüseninsufficienz 
im Crefolge haben. 




38 


Boechardt 


wurden wie die einer alten Jungfer. In jedem dieser Fälle 
entwickelten sich weiterhin innerhalb der nächsten Monate oder 
Jahre trophische Störungen der Haut, Glossyfinger und bei 3 Patien¬ 
tinnen Sklerodermie.... Bei einem der jungen Mädchen (20 Jahre 
alt, deutlich ausgesprochene Sklerodermie an Brust und Armen) 
erhob ... v. Rosthorn noch kurz vor seinem Tode den gynäkolo¬ 
gischen Befund; er sagte mir, das Corpus Uteri sei atrophisch. . . . 
Ich war leider in keinem der Fälle in der Lage, eine erschöpfende 
klinische Untersuchung auszuführen.... Doch hatten die Fälle in 
ihrer Entwicklung und Form etwas so charakteristisches und über¬ 
einstimmendes, daß wir in ihnen ein typisches Krankheitsbild zu 
erblicken haben. Man kann es vielleicht als Degeneratio 
genito-sclerodermica bezeichnen.“ 

In allen diesen Fällen sind die Unterfunktionszustände von 
Schilddrüse und Keimdrüsen nur gering, aber sie machen doch 
deutliche Erscheinungen. In neuerer Zeit hat S. Hirsch einige 
Fälle mitgeteilt, bei denen unter dem Einfluß von Hunger und 
Unterernährung in den Pubertätsjahren Hemmung der Geschlechts¬ 
entwicklung eintrat, die meist mit einer Schwäche der Schilddrüsen¬ 
funktion verbunden war. Im Laufe von s / 4 Jahren konnte er 
12 männliche Kranke im Alter von 15 bis 20 Jahren beobachten, 
bei denen eine Schwäche mehrerer Blutdrüsen nachweisbar war. 
In einem Teil der Fälle bestanden daneben Erscheinungen von 
Spätrachitis. 

Gelegentlich treten die Erscheinungen des Hypothyreoidismus in den 
Pubertätsjahren stärker in den Vordergrund, wie in den folgenden Fällen: 

Beobachtung von Falta 1 ) (Fall LIV): 17jähriger Jüngling. Vor 
1 Jahr und jetzt wieder Tetanie. Vor 2 Monaten epileptische 
Anfälle. Mittelgroß, blasse Gesichtsfarbe. Haut trocken und schilfernd. 
Gesicht deutlich myxödematös, besonders die Augenlider. An den 
Handrücken leichte myxödematöse Schwellungen. Bart- und Achsel¬ 
haare fehlen, ebenso Behaarung der Linea alba und Unterschenkel. 
An der Peniswurzel spärliche Haare. Hoden sehr klein und weich. 
Keine Libido, nie Erektionen oder Pollutionen. Fingernägel derb, 
stark gekrümmt, längsgerieft. Zähne durchweg klein und schlecht 
entwickelt, terrassenförmige Stufen im Schmelz. Blutdruck 65. Auch 
auf 200 g Traubenzucker keine Glykosurie. 54 °/ 0 neutrophile Zellen. 
Leichte Apathie. Durch Thyreoidinmedikation verschwinden die myxöde- 
matösen Symptome, der Blutdruck steigt zur Norm an, das Blutbild 
wird normal. — Der Fall wurde nach 1 Jahr von Redlich untersucht. 
Es bestand neuerlich Tetanie, auch Epilepsie. Myxödematöse Symptome 
fehlten jetzt. Sekundäre Geschlechtscharaktere größtenteils entwickelt. 
Die Vita sexualis begann sich zu regen. 


1) Die Erkrankungen der Blutdrüsen. 1917. 



Die thyreosexuelle Insufficienz usw. 39 

Beobachtung von Dupre und Pagniez: 1 ) 15jähriges Mädchen. 
Beide Eltern Potatoren. Frühgeburt im 8. Monat nach leichtem Sturz 
der Mutter. Keine Krämpfe. Erste Zähne mit 2 Jahren, Eckzähne 
mit 3 Jahren. Lernt mit 3 Jahren laufen, mit 2 1 / i Jahren sprechen. 
Keuchhusten, Scharlach. Langdauernde Hautaffektion. Mit 5 Jahren 
Typhus. Bleibt von Anfang an in der Entwicklung zurück. Teilnahmlos. 
Lernt schlecht. Blöde. In den letzten 6 Mon. zweimal minime Men* 
struationsblutung von wenigen Tropfen, durch 2 bis 3 Mon. getrennt. 
Seitdem Verschlechterung der Intelligenz, dauernd im Traumzustand. — 
Eindruck eines 8—9 jährigen Kindes. Langsame Bewegungen. Völlige 
Verstumpfung. Haut glatt. Myxödematöse Infiltration der Stirnhaut. 
Lanugohaare der vordem Brust- und Bauchgegend. Sonst außer Kopf¬ 
haar keine Behaarung. Keine Schweiße. Keine übermäßige Trocken¬ 
heit der Haut. Infantile Beckenform. Infantiles Genitale. Schilddrüse 
nicht fühlbar. Kein Eiweiß, kein Zucker. — Schilddrüsenbehandlung 
führt sofort zu erheblicher Besserung der Intelligenz. 

Der letzte Fall leitet zum pluriglandulären Infantilis¬ 
mus über, dem er insofern bereits angehört, als Zeichen von 
Hypothyreoidismus und Wachstumshemmung schon vor den Puber¬ 
tätsjahren vorhanden waren. Besonders charakteristisch ist aber 
die vorübergehende Verschlimmerung dieser Erscheinungen nach 
dem Auftreten der ersten Regel. 

Dem Pubertätstyp der thyreosexuellen Insufficienz kann man 
als klimakterischen Typ diejenigen Fälle gegenüberstellen, die 
Hertoghe als „gutartigen Hypothyreoidismus“ be¬ 
schrieben hat, und deren klinische, vom Myxödem teilweise erheb¬ 
lich abweichende Erscheinungen durch Schilddrüsenbehandlung oft 
günstig beeinflußt werden (Leopold-Levi und de Rothschild). 
Auf eine genaue Schilderung dieser Fälle mit ihrem wechselnden 
Symptomenbild (Fettsucht, geistige und körperliche Trägheit, leichte 
Verdickung und Plumpheit der Haut, gröbere Gesichtszüge, Anämie, 
Verstopfung, Neigung zu chronischem Gelenkrheumatismus, Migräne 
usw.) kann hier verzichtet werden, da ihre Erscheinungen hin¬ 
reichend bekannt sind. 

Die Unsicherheit über die Klassifizierung dieser Erscheinungen 
geht daraus hervor, daß sie von einem Teil der Autoren zu den 
klimakterischen Symptomen, von anderen zum Hypothyreoidismus 
gerechnet werden. Die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Schild¬ 
drüsen- und Keimdrüsenfunktion sind aber derartig intime, daß es 
oft nicht möglich ist, die vorhandenen Symptome dieser oder jener 
Blutdrüse zuzuzählen. Es erscheint mir daher zweckmäßiger, diese 


1) Nouv. Icon, de la salp. 15. 1902. S. 124. 




. .- 



40 


Bobcharct 


Abhängigkeit auch durch die Bezeichnung thyreosexuelle 
Insufficienz zum Ausdruck zu bringen. 

Relativ schwereren Formen der thyreosexuellen Insufficienz 
begegnet man bei jenem Typ, den ich als den puerperalen bezeichnen 
möchte. Der puerperale Typ schließt sich an schwere Entbin¬ 
dungen mit starken post-partum-Blutungen an und ist in schweren 
Fällen durch die Erscheinungen des Myxödems und der hoch¬ 
gradigen und endgültigen Genitalatrophie mit Menopause ausge¬ 
zeichnet. Fälle dieser Art werden meist dem Myxödem zugezählt. 
Auch Falta (Beobachtung 12) beschreibt in seinem Lehrbuch einen 
typischen Fall. Weitere Fälle sind u. a. von Gouilloud, Dupre, 
Mme. Collard-Huard mitgeteilt worden. 

Ich möchte zunächst kurz über einen eigenen Fall berichten: 

41jährige littauische Jüdin, erkrankte mit 27 Jahren im Anschluß 
an ihre 5. Entbindung mit starkem Blutverlust und fieberhaftem Wochen¬ 
bett an den typischen Erscheinungen des Myxödems. Die Menses, die 
vorher regelmäßig waren, blieben seitdem gänzlich aus. Scham- und 
Achselhaare verschwanden vollständig. Das Haupthaar wurde schütter. 
Superzilien spärlich erhalten. Fehlen jeglicher Behaarung am Rumpfe. 
Haut trocken, verdickt. Augenlider gedunsen. Hände und Füße plump. 
Völliges Versiegen der Schweißabsonderung. Geistige Trägkeit. Reich¬ 
liches Fettpolster. Stockigwerden der Zähne. Verkrümmte Fingernägel. 
Temperatur meist unter 36°. Herz o. B. Puls kaum fühlbar. Blut¬ 
druck (Riva-Rocci) 80 bis 90. Keine Glykosurie auf 200 g Trauben¬ 
zucker. Blut: 78°/ 0 Hb., 430 000 Rote, 8000 Weiße, 48 °/ 0 Neutrophile, 
42 °/ 0 kleine Lymphocyten, a / 2 °/ 0 große Lymphocyten, 6 °/ 0 Eosinophile, 
x / 2 °/ 0 Mastzellen, 3 °/ 0 mononukl. und Übergangszellen. — Hochgradige 
Atrophie der äußeren und besonders der inneren Genitalien. Scheide 
nicht verengt. Portio höchstens kirschgroß. Uterus von 4 bis 5 cm 
Länge, eben tastbar. Adnexe nicht fühlbar. Keine Atrophie der Brüste. 
— Schilddrüsenbehandlung führte zu wesentlich erhöhter geistiger Reg¬ 
samkeit, aber auch zu erheblicher Abmagerung. Die übrigen Erschei¬ 
nungen blieben unbeeinflußt. 

Neuerdings habe ich einen weiteren Fall des puerperalen Typs be- 
beobachtet, der wesentlich leichtere Erscheinungen darbot: 

27 jährige Kaufmannsfrau. Keine erblichen Krankheiten, insbe¬ 
sondere keine Fettsucht in der Familie. Erste Menses mit 15 Jahren, 
immer regelmäßig. Seit 5 Jahren verheiratet. Vor 4 Jahren Ent¬ 
bindung von einem gesunden Kinde. Sehr starker Blutverlust durch 
verzögerte Plazentarlösung. Seitdem ist Pat. sehr fett geworden, klagt 
über Atemnot, Kopfschmerzen, Ausfall der Kopfhaare, Nervosität. Menses 
seitdem nur etwa alle 8 Wochen, sehr spärlich, nicht schmerzhaft. Pat. 
nahm wiederholt vergeblich ärztliche Hilfe in Anspruch, weil Bie weiteren 
Kindersegen erhoffte. — 79 */ 2 kg. Sehr reichliches Fettpolster am 
ganzen Körper. Haupthaar schütter. Keine sonstigen Anomalien der 
Behaarung. Uterus etwas verkleinert, insbesondere kleine Portio. Adnexe 





Die thyreosexuelle Insnflicienz usw. 41 

nicht zu tasten. Blutdruck nach Riva-Rocci 130. Fettherz. Schild¬ 
drüse eben tastbar, klein. 

Überblickt man die verschiedenen bisher geschilderten Formen 
der thyreosexuellen Insufficienz, so ist ihnen bei einer großen 
Mannigfaltigkeit der Krankheitsbilder die Abhängigkeit von der 
Keimdrüsentätigkeit gemeinsam. Es wäre aber verkehrt, daraus 
den Schluß zu ziehen, daß die thyreosexuelle Insufficienz in allen 
Fällen von einer Störung der Keimdrüsentätigkeit ihren Ausgang 
nimmt. Vielmehr gibt es auch Fälle, deren Entstehung auf pri¬ 
märe Veränderungen seitens der Schilddrüse hindeuten. So zeigte 
Falta auf dem 35. Kongreß für innere Medizin 1923 in Wien 
eine Kranke mit Genitalatrophie, Fehlen der Scham- und Achsel¬ 
haare und hypothyreoiden Symptomen, die sich im Anschluß an Er¬ 
scheinungen von Hyperthyreoidismus entwickelten. — Mitunter ist 
es überhaupt nicht möglich festzustellen, ob die Erscheinungen 
von den Keimdrüsen oder von der Schilddrüse ihren Ausgang ge¬ 
nommen haben. 

Was nun die Symptomatologie anbetritft, so zeigt sich 
nicht nur eine Verschiedenheit der Erscheinungen, je nachdem die 
Erkrankung in der Pubertät, im Puerperium oder im Klimakterium 
entstanden ist. Vielmehr zeigen bereits die bisher geschilderten 
Fälle große Unterschiede in den Erscheinungen, die vielleicht da¬ 
rauf hindeuten, daß die Unterfunktion der Schilddrüse sich klinisch 
in sehr verschiedenen Formen äußern kann. In dieser Hinsicht 
kann man 3 Formen unterscheiden, die natürlich wieder alle Über¬ 
gänge ineinander aufweisen können. 

Die schwersten Formen zeigen die typischen Erscheinungen 
des Myxödems, die hier nicht ausführlich geschildert zu werden 
brauchen. Nur die Komplikation mit Ausfall der Scham- und 
Achselhaare, Genitalatrophie und Menopause charakterisiert erst 
die Zugehörigkeit dieser Fälle zu thyreosexueller Insufficienz. 

In einer 2. Gruppe ist die Fettsucht das einzige oder 
wenigstens das hervorstechendste Symptom des Hypothyreoidismus. 
Hierher sind die von Noorden (nach Mitteilungen Tan dl er’s) 
geschilderten Pupertätsfälle zu rechnen. Eine eigene Beobachtung 
des puerperalen Typs habe ich oben mitgeteilt. Der klimak¬ 
terische Typ äußert sich besonders häufig in dieser Form. — Zu 
dieser Gruppe sind weiterhin Fälle zu rechnen, die andere Einzel¬ 
erscheinungen des sog. gutartigen Hypothyreoidismus neben Keim- 
driiseninsufficienz aufweisen (Haar- und Zahnausfall, Kopfschmerzen, 
Verstopfung, chron. Gelenkrheumatismus usw.). 





42 


Bobchardt 


Schließlich sprechen zahlreiche Erfahrungen dafür, daß auch 
die Sklerodermie als Erscheinungsform des Hypothyreoidismus 
auftreten kann, die sich mit Genitalatrophie zu dem Symptomen- 
bild der thyreosexuellen Insufficienz vereinigt. Diese Erfahrungen 
stimmen mit den Theorien über den thyreogenen Ursprung der 
Sklerodermie gut überein. So läßt sich nicht nur die von Noor¬ 
den bei jungen Mädchen geschilderte Dystrophia genito- 
sclerodermica der thyreosexuellen Insufficienz unterordnen; 
auch beim Erwachsenen findet sich — wie Singer 1 ) noch jüngst 
an der Hand der von ihm beobachteten Fälle von Sklerodermie 
betonte, die Komplikation mit Genitalatrophie nicht selten. 

Nach klinischen Erfahrungen kann man also folgende Formen 
der thyreosexuellen Insufficienz unterscheiden: einen Pupertäts-, 
puerperalen, klimakterischen, thyreogenen Typ. Jeder dieser 
Typen kann neben Genitalatrophie die Erscheinungen des Myxödems, 
des gutartigen Hypothyreoidismus oder der Sklerodermie aufweisen. 

Die thyreosexuelle Insufficienz kommt im Gegensatz zur thyreo- 
testikulo-hypophyseo-suprarenalen Insufficienz fast ausschlie߬ 
lich beim weiblichen Geschlecht vor. Nur der Pubertäts¬ 
typ ist auf beide Geschlechter gleichmäßig verteilt. Die bevor¬ 
zugte Erkrankung von Frauen hat die gleichen Gründe, wie die 
größere Häufigkeit der Schilddrüsenkrankheiten überhaupt beim 
weiblichen Geschlecht. 

Einen der seltenen Fälle von thyreosexueller Insufficienz beim 
Manne schildert M a g n u s - L e v y: ein 54 jähriger Mann erkrankte 
an Myxödem, -zugleich erlosch die Libido. Nach Heilung der 
Krankheit trat später die Libido wieder auf. 

Der Verlauf ist fast immer günstig. Bei erheblichen 
Krankheitserscheinungen führt Schilddrüsenbehandlung meist zur 
Besserung. Aber auch die leichten Fälle, die unbehandelt bleiben, 
bessern sich meist nach einiger Zeit von selbst. In den Fällen 
mit vorzeitiger Menopause ist der Verlust der Konzeptionsfähig¬ 
keit allerdings endgültig. In schwereren Fällen, wie den unsrigen, 
können Zeichen von Hypothyreoidismus jahrelang bestehen bleiben. 

Die Prognose kann also im allgemeinen als günstig ange¬ 
sehen werden. Allerdings dauert es jahrelang, bis die Zeichen von 
Hypothyreoidismus verschwunden sind; und gelegentlich trotzen 
die Schilddrüsensymptome auch jeder Behandlung. Die Keimdrüsen- 
insufficienz verschwindet nur bei den Pubertätsfällen nach einigen 
Jahren allmählich, bei den späteren Erkrankungen bleibt sie bestehen. 

1) 35. Kongreß für innere Medizin. Wien 1923. 


- 


Die thyreosexuelle Insufficienz usw. 


43 


Differentialdiagnose. Es fragt sich nun, wie die tbyreo- 
sexuelle Insufficienz gegen die Schulfälle der multiplen Blutdrüsen¬ 
sklerose, d. h. gegen die thyreo - testikulo - hypophyseo - suprarenale 
Insufficienz, ferner gegen das Myxödem,, die vom Keimdrüsenausfall 
allein herrührenden klimakterischen Ausfallserscheinungen, den 
Späteunuchoidismus und den Infantilismus abzugrenzen ist. 

Von den klassischen Formen der multiplen Blutdrüsen¬ 
sklerose sind diese Fälle schon durch den Habitus verschie¬ 
den. Sie haben meist volle runde Backen, keine Runzeln und sehen 
jünger aus als sie sind. Asthenie und Kachexie fehlen, natürlich 
auch die Haut- und Schleimhautpigmentationen. Die thyreo-testi- 
kulo-hypophyseo-suprarenale Insufficienz betrifft meist Männer, die 
thyreosexuelle Insufficienz meist Frauen. Nur der Pubertätstyp 
ist bei beiden Geschlechtern etwa gleich häufig vertreten. 

Zum Myxödem kommen alle Übergänge vor. Auch das 
Myxödem betrifft sehr viel häufiger das weibliche Geschlecht; es 
ist fast regelmäßig mit Störungen der Geschlechtsfunktionen ver¬ 
bunden. Diese Störungen sind aber doch zumeist anderer Art. 
Häufiger als Menopause finden sich Unregelmäßigkeiten der Men¬ 
struation und Menorrhagien. Auch das Verschwinden der Scham- 
und Achselhaare wird bei den gewöhnlichen Formen des Myxödems 
vermißt. Hauptsächlich ist aber der Beginn im Anschluß an 
schwere Unterleibsblutungen für die thyreosexuelle Insufficienz 
charakteristisch. 

Auch zu den unkomplizierten klimakterischenErschei- 
nungen finden sich alle Übergänge. Die Schlüsse französischer 
Autoren ex juvantibus, d. h. aus dem Erfolg der Schilddrüsen¬ 
therapie auf Schilddrüseninsufficienz sind nicht bindend. Eine 
strenge Scheidung der sog. hypothyreoiden Erscheinungen (Fett¬ 
sucht, Stuhlverstopfung usw.) von den klimakterischen ist z. Z. 
noch nicht möglich. 

Erscheinungen von Späteunuchoidismus bei Frauen sind 
noch nicht genügend bekannt — schon deshalb werden differential¬ 
diagnostische Schwierigkeiten nur selten entstehen. Jedenfalls 
führt die vollständige Kastration auch jugendlicher Frauen in der 
Regel nicht zum Ausfall der Scham- und Achselhaare und mj’x- 
ödematösen Schwellungen der Haut. Dagegen wäre es sehr wohl 
möglich, daß die unter den gleichen Bedingungen auftretende Fett¬ 
sucht, die zunehmende Behäbigkeit, die Abnahme der körperlichen 
und geistigen Frische als hypothyreoide Symptome zu deuten sind. 

Am schwierigsten ist vielleicht die Unterscheidung des Puber- 



44 


Borchardt 


tätstyps der thyreosexuellen Insufficienz vom Infantilismus, 
insbesondere vom hypothyreoiden. Nur das Auftreten, bzw. die 
Verschlimmerung hypothyreoider Erscheinungen in der Pubertäts¬ 
zeit sind für die Diagnose thyreosexuelle Insufficienz maßgebend. 
Hypothreoidismus in der Kindheit verhindert die Entwicklung der 
Keimdrüsenfunktion, aber er verschlimmert sich nicht in den Ent¬ 
wicklungsjahren. Beim dysthyreoiden Infantilismus gehen also die 
Erscheinungen der Keimdrüseninsufficienz von der Schilddrüse aus; 
bei der thyreosexuellen Insufficienz wird der Hypothyreoidismus von 
den Keimdrüsen ausgelöst. 

Pathologische Anatomie. Wenn auch die thyreosexuelle 
Insufficienz nicht gerade als harmloses Leiden anzusehen ist, so 
sind doch Todesfälle überaus selten. Zudem sind die Sektions¬ 
befunde vielfach nicht eingehend genug geschildert, um die Be¬ 
ziehungen der thyreosexuellen Insufficienz zu den Schulfällen der 
multiplen Blutdrüsensklerose sicherzustellen. 

Beobachtung von Goldstein: 16jähriger Knabe mit Idiotie und 
kretinischem Habitus. Größe 112 cm. Gedunsene, z. T. derbfeste, 
verdickte Haut. Genitalhypoplasie. Fehlende Behaarung am Stamm. 
Nicht deutlich fühlbare Schilddrüse. Im Eöntgenbild starkes Zurück¬ 
bleiben der Ossifikation. Tod infolge Nabelbruchoperation. — Autopsie: 
Schilddrüse alle 3 Lappen erhalten, äußerlich und auf dem Durchschnitt 
o. B. Gewicht 13 1 j 9 g. Mikroskopische Drüsenfollikel auffallend groß 
und unregelmäßig. Epithel niedrig, kubisch. Lumina prall mit Kolloid 
gefüllt. — Starke Thymushyperplasie. — Nebennieren klein, Marksub¬ 
stanz relativ etwas breit. Gewicht je 3,5 g. — Hypophyse klein, Ge¬ 
wicht 2 g. — Hoden sehr klein und weich, der rechte wiegt 3 g, der 
linke 4 g, der linke liegt im Leistenkanal, der rechte im Übergang zur 
Bauchhöhle. Mikroskopisch: Drüsenkanälchen sehr spärlich entwickelt, 
liegen in einem zellarmen, überaus reichlich entwickelten, derben Binde¬ 
gewebe. Die regelmäßige Anordnung in einzelnen von Septen getrennten 
Abschnitten ist verwischt. Das Epithel der Kanälchen ist überall fast 
nur einschichtig. Die Zellen zeigen einen einfachen epithelialen Charakter, 
nirgends ist auch nur eine Andeutung von Spermatogenese zu sehen. Die 
Zwischenzellen sind in beträchtlicher Zahl vorhanden, jedoch scheint es, 
als wenn ihre Struktur nicht normal ist. Der Kern ist auch nicht 
deutlich zu erkennen. — Von dem übrigen Befund ist lediglich ein 
relativ hohes Hirngewicht mit mikroskopisch nachweisbaren Störungen 
der Lagerung der Ganglienzellen bemerkenswert. 

Beobachtung von B r i s s a u d und Bauer: 29 jährige Frau. Herz¬ 
fehler, Embolie, tuberkulöse Peritonitis. Erste Menses mit 15 Jahren. 
Partus mit 20 Jahren. Seitdem Cessatio mensium. Infantiles Aussehen. 
Gesicht sehr blaß, leicht gedunsen, Brüste wenig entwickelt. Haupthaar 
trocken und schütter. Augenbrauen spärlich. Scham- und Achselhaare 
fehlen gänzlich. Stimme monoton. Apathie. Kopfschmerzen. Anämie 
und Kachexie. — Autopsie: Thyreoidea 15 g, angeblich von normalem 



Die thyreosexuelle Insufficienz usw. 


45 


Aussehen. Linksseitige Salpingitis. Eierstockentzündung. Rechtes Ovar 
hochgradig sklerosiert, sehr klein. Uterus wie bei einem kleinen Mäd¬ 
chen. Keine Bemerkung über die Hypophyse. 

Beobachtung von Gandy: 33jähriger Mann. Früher Gonorrhöe. 
Vater zweier Kinder. Früher sehr potent. Mit 29 Jahren Polyurie, 
Kopfschmerzen, starke Schweiße. Nach 1 / 8 Jahre zunehmende Apathie, 
Libido verschwindet, Impotenz, Gedunsenheit des Gesichts, Haarausfall. 
Später Rückbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale und Atrophie 
der Genitalien. Sieht aus wie ein 18jähriger Jüngling. Blasse, sub- 
ikterische Hautfarbe. Haut trocken, leicht schuppend. Barthaare sehr 
spärlich. Stamm und Extremitäten kahl. Skrotum und Hoden ganz 
klein, Hoden unempfindlich. Penis 6 bis 7 cm lang. Vollständige Im¬ 
potenz. Prostata atrophisch. Fehlen der Kremasterreflexe. — Autopsie: 
Entzündliche Sklerose der Schilddrüse (7 g), Hoden ganz klein (8 bis 
10 g). Zwischensubstanz geschwunden. Hypophyse verkleinert, in 
flacher verkleinerter Sella. 

Diese Befunde sind noch außerordentlich dürftig. Sie zeigen 
aber sämtlich, daß die erkrankten Blutdrüsen — gerade wie bei 
der thyreo-testikulo-hypophyseo-suprarenalen Insufficienz — anato¬ 
misch durch Atrophie und Sklerose ausgezeichnet sind. Es scheint 
mir daher auf Grund der bisher vorliegenden Sektionsbefunde be¬ 
rechtigt, die thyreosexuelle Insufficienz als eine besondere Form der 
multiplen Blutdrüsensklerose anzusehen. 

Zusammenfassung. 

Die thyreosexuelle Insufficienz ist ein Syndrom, das auf 
einer gleichzeitigen Schwäche der Schilddrüse und Keimdrüsen be¬ 
ruht. Ihre Entstehung zeigt weitgehende Abhängigkeit von den 
kritischen Zeiten der Keimdrüsentätigkeit (Pubertät, Puerperium, 
Klimakterium); sie kann aber auch von einer Schilddrüsenerkrankung 
ihren Ausgang nehmen. Wie alle funktionellen Schildrüsenkrank- 
heiten findet sie sich bei Frauen wesentlich häufiger als bei 
Männern; nur der Pubertätstyp ist bei beiden Geschlechtern etwa 
gleich häufig zu finden. Die thyreosexuelle Insufficienz kann in 
verschiedenen Erscheinungsformen auftreten: in Form von Myxödem, 
Fettsucht, Sklerodermie usw. mit Genitalatrophie. Dadurch ist eine 
große Mannigfaltigkeit der Symptomenbilder bedingt. Die Prognose 
ist quoad vitam günstig. Nach den spärlichen vorliegenden Autopsie¬ 
berichten ist die thyreosexuelle Insufficienz als eine besondere 
Form der multiplen Blutdriisenskleröse anzusehen, da die be¬ 
troffenen Blutdrüsen — wie bei der thyreo-testikulo-hypophyseo- 
suprarenalen Insufficienz — große Neigung zu bindegewebiger 
Sklerose aufweisen. 



46 


p^Nh 


Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Rostok. 

(Direktor: Prof. Dr. Hans Curschmann.) 

Beitrag zur Kenntnis des diabetischen Ödems. 

Von 

Dr. Walter Boenheim. 

(Mit 1 Abbildung.) 

Die Frage nach der Ursache der bei Diabetikern auftretenden 
Ödeme ist in der Literatur mehrfach behandelt worden, ohne bisher 
eine einheitliche Beantwortung erfahren zu haben. Es ist ja auch 
von vornherein sehr wahrscheinlich, daß die Bedingungen, unter 
denen das diabetische Ödem aufzutreten pflegt, nicht stets die¬ 
selben sind. 

Wenn man von diabetischem Ödem spricht, so versteht man 
darunter mit Falta eine Form der Wassersucht, deren Ursache 
in dem Diabetes mellitus als solchem zu suchen ist, während ein 
Ödem „bei“ Diabetes durch die verschiedensten komplizierenden 
Erkrankungen, beispielsweise durch eine hinzutretende Herzschwäche 
oder eine sich allmählich,, entwickelnde Kachexie (Naunyn) Zu¬ 
standekommen kann. 

Eine Ansicht, die in der Literatur häufig wiederkehrt, ist die, daß 
die Ursache des diabetischen Ödems in Einflüssen der Ernährung zu 
suchen, also alimentären Ursprungs sei. So hat v. Noorden wäh¬ 
rend der Haferkuren, besonders bei sehr geschwächten, alten Leuten, 
beträchtliche Wasseransammlung in den Geweben beobachtet, v. Noor¬ 
den meint, daß ein Auftreten dieses sog. „Haferödems“ von einer ge¬ 
wissen individuellen Disposition abhängig sei, und glaubt, daß man es 
zu der Gruppe des von Quincke beschriebenen Hydrops toxicus rech¬ 
nen könne. Funk sieht das Haferödem als Avitaminose an, die, ähn¬ 
lich wie beim Hungerödem, nach einseitiger Ernährung, bzw. nach Ver¬ 
minderung des Nahrungseiweißes auftreten könne. 

Andere Autoren bringen das diabetische Ödem mit einer gleichzeitig 
bestehenden Acidose in Zusammenhang. So teilte Wi 1 helm Ebstein 
einen Fall mit, in dem das Ödem durch den Zustand des Herzens nicht 




Beitrag zur Kenntnis des diabetischen Ödems 


47 


erklärt werden konnte, in dem andererseits jegliche Zeichen einer Ne¬ 
phritis fehlten. Er spricht die Vermutung aus, die Ödeme könnten auf 
eine durch die Aoidose hervorgerufene Gefäßnervenstörung zurückgeführt 
werden. 

Mit größerer Bestimmtheit als Wilhelm Ebstein erklärt neuer¬ 
dings F ö 1 d e s, die Ursache des von ihm bei Diabetes beobachteten 
Ödems liege in der Acidose. Sowohl spontan wie experimentell durch 
Sodazufuhr hervorgerufene Ödeme kämen nur bei bestehender bedeuten¬ 
der Acidose vor, während Fälle ohne oder mit nur unbedeutender Acidose 
keine Neigung zu Wasserretention hätten. Die Acidose führt seiner 
Ansicht nach zu einer Läsion der Nierenfunktion, infolge deren das 
Ausscheidungsvermögen der Nieren für Salz und Wasser abnähme. 
E. Reiß sieht die Ursache der Veränderungen des Wasserhaushalts bei 
Diabetes und der daraus resultierenden, bisweilen zu beobachtenden, 
rapiden Gewichtszunahmen ebenfalls in einer Nierenschädigung, dagegen 
lehnt er ihren Zusammenhang mit der Bildung und Ausscheidung der 
Acetonkörper ab. Das Fehlen einer Albuminurie beweise nichts gegen 
die Annahme einer funktionellen Nierenschädigung, dagegen spräche sehr 
für diese die häufige Kombination des Diabetes mit echter Nephritis. 
Auch Magnus-Levy hat den Eindruck, daß die Ursache des diabeti¬ 
schen Ödems in Nierenschädigungen zu suchen ist, selbst dann, wenn im 
Urin kein Eiweiß zu finden sei. 

Falta, der dem diabetischen Ödem in seiner ,,Mehlfrüchtekur“ 
ein besonderes Kapitel widmet, weil es gerade bei Verordnung von 
Amylaceenkost praktisches Interesse hat, verlegt im Gegensatz zu den 
eben erwähnten Autoren die Ursache des diabetischen Ödems in die 
Gewebe; und zwar meint er, daß die regulatorische Tätigkeit der Endo- 
thelien bei gleichzeitiger Überlastung mit Kochsalz und Natr. bicarb. 
leide und einen Durchtritt der Chloride in die Gewebsspalten gestatte. 
Bei salzfreier Kost führten auch große Dosen von Natr. bicarb. nicht 
oder nur zu geringen Ödemen, ebenso wie auch ziemlich große Mengen 
von Kochsalz ohne gleichzeitige Zufuhr von Natr. bicarb. nicht oder 
nur zu sehr geringer Ödembildung Veranlassung gäben. Während er in 
seiner „Mehlfrüchtekur“ das diabetische Ödem auf eine Störung deB 
Chloridstoffwechsels zurückführt, kommt er in einer neueren Arbeit zu 
dem Ergebnis, der wesentliche Faktor bei dem Zustandekommen des 
diabetischen Ödems sei das Kation Natrium. Dieses übe im Gegensatz 
zu dem Kation Kalium eine hydropigene Wirkung aus, gleichgültig, ob 
es an das Anion Chlor oder an das Anion ^COg gebunden sei. Das 
Natr. bicarb. wirke zwar besonders hydropigen, aber nur dadurch, daß 
es eine Kochsalzretention herbeiführe. Diese Auffassung F a 11 a ’ s 
stützt sich auf die eingehend mitgeteilte Beobachtung eines Falles von 
diabetischem Ödem. Es gelang ihm, bei salzarmer Kost mit NaHCO s 
ein chlorarmes Ödem hervorzurufen. Die Entwässerung dieses Ödems 
ging mit einer Kochsalzausscheidung einher, die hinter der Einfuhr 
zurückblieb, während die Entwässerung eines zur Zeit salzreicher Kost ent¬ 
standenen Ödems von starker Chlorausschwemmung begleitet war. Daß 
ein Zusammenhang zwischen Ödembereitschaft und Acidose besteht, lehnt 
Falta ab, da nach seinen Beobachtungen Ödeme auch ohne Acidose eine 





48 Boknheim 

Zeitlang weiterbestehen könnten, wenn die Acidose durch, entsprechende 
Diät herabgesetzt sei. 

Nach diesem kurzen Überblick über den jetzigen Stand der 
Lehre vom diabetischen Ödem soll der von uns beobachtete Fall 
mitgeteilt werden, der in mehrfacher Hinsicht von Interesse für 
die Auffassung des diabetischen Ödems sein dürfte. 

Joseph K., 25 Jahre alt, Arbeiter. Familienanamnese o. B. Früher 
nie ernstlich krank. Vier Wochen vor der Einlieferung, am 17. III. 22. 
starkes Durstgefühl, häufiges Wasserlassen, stetig zunehmende Mattigkeit 
und Appetitlosigkeit. Die körperliche Untersuchung bei der Aufnahme 
in die Klinik ergab nichts Besonderes, es bestanden keinerlei Zeichen 
einer Herz- oder Niereninsufficienz, desgleichen fehlten Ödeme und 
Exantheme. Urinbefund: Farbe gelbgrün, klar; spezifisches Gewicht 1040. 
Albumen —; Sediment o. B. Zucker 7,2 °/ 0 . Aceton Acet- 
essigsäure -(-. Harnmenge zwischen 1500—3000 ccm bei durch¬ 
schnittlicher Flüssigkeitszufuhr von 1500—1800 ccm. Körpergewicht 
zwischen 57 und 58 kg. Blutzucker 0,30 °/ 0 . WaR —. Auf Gemüse-, 
Fett- und Hafertage ging der Zuckergehalt des Harns auf 0,5 °/ 0 herunter, 
die Acidose schwand auf Natr. bicarb. Bei einer zweiten Aufnahme, 
die wegen Schwierigkeiten in der Innehaltung der vorgeschriebenen Diät 
erfolgte, ergaben sich bei der Untersuchung etwa dieselben Resultate 
wie bei der ersten Einlieferung. Bemerkenswert ist nur, daß dieses 
Mal auf therapeutische Natrongaben Ödem auftrat, das nach 
Fortlassen des Alkalis ebenso rasch verschwand, wie es aufgetreten war. 
Das Körpergewicht stieg zu dieser Zeit um 8 kg und sank dann wieder 
ab, ohne daß die Ausfuhr von Flüssigkeit den Gewichtsschwankungen 
entsprochen hätte. 

Drei Monate später, im September 1922, dritte Aufnahme wegen 
Diätschwierigkeiten und zunehmender Schwäche. Außerdem bemerkte 
der Patient, daß seine Beine und sein Gesicht hin und wieder g e - 
schwollen waren. Bei der Aufnahme war der Leib etwas ge¬ 
spannt, das Gesicht gedunsen und die Knöchelgegend beider¬ 
seits fast bis zum Knie hinaufreichend stark geschwollen. 
Die Haut darüber war trocken und gespannt und hinterließ auf Druck 
tiefe Dellen. Die Untersuchung des Herzens ergab bei normalen Grenzen 
leise, reine Töne. Der Puls war regelmäßig, mäßig kräftig, Frequenz 
56 Schläge.in der Minute. Blutdruck 115 mm Hg. Die Nieren¬ 
funktionsprüfung duj-ch Wasser- und Durstversuch ergab nor¬ 
male Werte, nach 4 Stunden war die zugeführte Flüssigkeitsmenge 
(1500 ccm) fast vollständig (1370 ccm) ausgeschieden, die Konzentration 
war gut. Urinbefund: spezifisches Gewicht 1030. Alb. —; Sediment 
o. B. Zucker 7,2 °/ 0 ; Aceton —; Acetessigsäure —. Blut¬ 
zucker 0,441 °/ 0 . Reststickstoff 61,6 mg. Gleichzeitig mit Abnahme 
des Zuckergehalts des Harns gingen die Ödeme erheblich zurück, 
das Körpergewicht sank von 59,5 kg auf 52,5 kg. Mit Anstieg 
des Zuckergehalts — wahrscheinlich durch Diätfehler bedingt — nahmen 
auch die Ödeme wieder zu. Die täglichen Gewichtsschwankungen betrugen 
2—6 Pfund, dadurch, daß der Patient während der Nacht bedeutend 



Beitrag zur Kenntnis des diabetischeu Ödems. 


49 


mehr Harn ausschied als am Tage. Häufig ausgeführte Serumeiwei߬ 
bestimmungen (mittels des Pulfrich’schen Eintauchrefraktometers) ergaben 
am Morgen Werte von 5,96—6,14 °/ 0 , am Abend solche, die um 0,1 
bis 0,5 °/ 0 höher lagen. 

Wenn wir nun diesen Fall daraufhin betrachten, inwiefern 
er mit den aus der Literatur bekannten Fällen von diabetischem 
Odem übereinstimmend, so sei zunächst festgestellt, daß jede kom¬ 
plizierende Beteiligung von seiten des Herzens oder der Nieren 
ausgeschlossen werden konnte. Es bestanden keine Zeichen einer 
Herzinsufficienz, die Ödeme ließen sich auch nicht durch Digitalis 
beeinflussen. Andererseits fehlten jegliche Zeichen einer begleitenden 
Nierenaffektion. Genaueste, täglich wiederholte Urinuntersuchungen 
sowie der Nierenfunktionspriifungen ergaben nichts Pathologisches. 
Ferner ließ sich kein Zusammenhang zwischen Ernährung und 
Ödemen feststellen. Es kann weder von einseitiger, noch von 
eiweißarmer Ernährung vor der Klinikaufnahme bei dem Patienten 
die Rede sein. Auch hatte die Verordnung von Hafertagen absolut 
keinen Einfluß auf Entstehen oder Verschwinden der Ödeme, denn 
schon lange bevor Hafertage gegeben wurden, bestanden starke 
Wasseransammlungen in den Beinen und im Abdomen. Eine 
weitere Frage wäre die. ob sich ein Zusammenhang zwischen 
Acidose und Ödemen konstatieren ließ. Diese Frage kann mit 
Bestimmtheit verneint werden. 

Denn der Patient kam mit starkem allgemeinem Odem in die 
Klinik und behielt dieses längere Zeit, ohne daß die Aceton- und 
Acetessigsäureproben je positiv ausgefallen wären. Erst nach 
Wochen, als die Ödeme fast geschwunden waren, fand sich vor¬ 
übergehend und nur in Spuren Aceton, während die Gerhardt’sche 
Probe stets negativ blieb. Positiv waren die Acidoseproben da¬ 
gegen ausgefallen (bei der ersten Beobachtung des Pat.), als noch 
keine Ödeme zu konstatieren waren. Die Behauptung Földes’, 
daß Fälle ohne Acidose oder mit nur unbedeutender keine Neigung 
zu Wasserretention hätten, muß für unseren Fall abgelehnt werden, 
kann also nicht allgemeine Geltung beanspruchen. 

Am meisten zum Verständnis unseres Falles tragen die Unter¬ 
suchungen Falta’s bei, wenn sie auch nicht völlig mit unseren 
eigenen Beobachtungen übereinstimmen. Falta spricht in seiner 
„Mehlfrüchtekur“ die Ansicht aus, große Dosen von Natr. bicarb. 
könnten bei salzfreier Kost nicht oder nur geringes Odem erzeugen. 
Andererseits meint er, auch große Mengen von Kochsalz bewirkten 
ohne gleichzeitige Zufuhr von Natr. bicarb. nicht oder nur geringes 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 14». Bd. 4 



50 


Boenheim 



Ödem. Der erste Satz wird durch Falta's neuere Untersuchungen 
widerlegt, es gelang ihm, bei salzfreier Kost durch Natr. bicarb. 
starke Ödeme hervorzurufen. Wie verhält sich unser Fall dazu? 
Der Patient bot das Bild eines starken, universellen Ödems zu 
einer Zeit, in der er keine Spur von Acidose hatte, also auch thera¬ 
peutisch kein Natr. bicarb. erhielt; und zwar bei einer salzreichen, 
gemischten Kost. Es gelang sehr leicht, bei Beschränkung der 
Kochsalzzufuhr den Patienten nahezu ödemfrei zu machen, legte 
man wieder Kochsalz zu, so trat das Ödem wieder auf, folglich 
mußte man annehmen, daß das Kochsalz allein imstande war, zu 
diesen erheblichen Wasserretentionen zu führen. 



In der Skizze gibt die obere Kurve das Körpergewicht wieder, die untere die 
ausgeschiedene Zuckermenge in g. Die hellschraffierte Säule bedeutet die 
Flüssigkeitseinfuhr, die dunkel schraffierte die Ausfuhr. 

Um zu eruieren, ob man dem Kation Na oder dem Anion CI 
den ödembildenden Einfluß zuschreiben müsse, wurde nach Ent¬ 
wässerung und bei kochsalzarmer Kost pro Tag 25 g Natr. bicarb. 
verabreicht, eine Menge, die an Natriumgehalt etwa dem in der 
kochsalzreichen Kost gegebenen entsprach. Schon am zweiten Tag 
nahm das Körpergewicht um 6 Pfund zu, an den Knöcheln trat 
stärkeres Ödem auf, das Gesicht wurde gedunsen. Nach 7 Natron¬ 
tagen betrug die Gewichtszunahme im Ganzen 10 Pfund. Als dann 
schließlich anstatt Natr. bicarb. Calium bicarb. gegeben wurde, 
trat prompt Entwässerung ein, das Gewicht sank von 106 Pfund 
auf 97. Die Flüssigkeitseinfuhr betrug während dieser Zeit 2400 ccm, 
die Ausfuhr schwankte entsprechend dem Auftreten, bzw. dem 
Schwinden des Ödems zwischen 2000—5000 ccm, und zwar ließ die 
Ausfuhr zur Zeit des Entstehens des Ödems vom 4.—10. Tag nach 








Beitrag zur Kemituis des diabetischen Ödems. 


51 


und stieg wiederum, als das Natr. bicarb. durch Calium bicarb. er¬ 
setzt wurde, an. Die Zuckermenge nahm während der Natrongaben 
ab und zur Zeit der Calcium bicarb.-Gaben zu. 

Der aus diesem Versuch zu folgernde Schluß ist der, daß die 
dem NaCl und dem NaHCO s gemeinsame Komponente, nämlich das 
Kation Na, wahrscheinlich als die das Ödem erzeugende angesehen 
werden kann. Bemerkenswert ist jedoch, daß schon bei einer ge¬ 
wöhnlichen gemischten Kost starkes Ödem auftrat, es bedurfte 
also nicht der gleichzeitigen Gaben von Kochsalz und Natrium 
bicarbonicum. 

Wenn nun also mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß 
das hydropigene Na-Ion bei der vorhandenen Ödembereitschaft 
ödemauslösend wirkt, so bleibt immer noch die Frage unbeant¬ 
wortet, wodurch die Ödembereitschaft selbst bedingt ist. Bei den 
Beziehungen, die einerseits zwischen Kohlehydratstoffwechsel und 
Schilddrüsenfunktion, andererseits zwischen dieser und der Wasser¬ 
ausscheidung (E pp in g er) bestehen, wäre an eine Störung der 
Schilddrüsenfunktion als Ursache der Ödembildung zu denken. 
Aber es fehlten dem Patienten einerseits jegliche nachweisbare 
Zeichen einer Dys-, bzw. Hypofunktion der Schilddrüse, anderer¬ 
seits ließ sich durch längeres Geben von Thyreoidintabletten 
(Merk) keinerlei Beeinflussung des Ödems erzielen. Eine thyreo¬ 
gene Komponente konnte also für das diabetische Ödem, wenigstens 
unseres Falles, mit Sicherheit ausgeschlossen werden. 

Welches letzten Endes die Ursache des diabetischen Ödems 
ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Manche Autoren (Reiß, 
Magnus-Levy) sehen die Ursache in einer durch die diabetische 
Polyurie bedingten Nierenschädigung, fassen also das Ödem als 
renal auf, während andere, wie z. B. Falta, in extrarenalen Ein¬ 
flüssen, in einer Veränderung des Gewebes, die Vorbedingung für 
die Odembereitschaft sehen. Wir möchten annehmen, daß die letztere 
Auffassung zutrifft. Die diabetische Polyurie führt zunächt zu einer 
Wasserverarmung und Austrocknung der Gewebe, die sich bei allen 
schweren Diabetesfällen stets nach weisen läßt. Diese Wasserver¬ 
armung der Gewebe verleiht ihnen, wie man sich ungezwungen 
vorstellen kann, eine gesteigerte Affinität zur Wasseraufnahme, 
so daß die Einfuhr hy<jropigener Salze wie Natriumchlorid oder 
Xatriumbikarbonat in Mengen, die bei fehlender Odembereitschaft 
wirkungslos bleiben, beim Diabetes Ödeme hervorrufen kann. 


4* 



52 


Boknheim, Beitrag zur Kenntnis des diabetischen Ödems. 


Literaturangabeu. 

Eppinger, Zur Pathol. u. Ther. des menschl. Ödems 1917. — Ebstein, 
Wilhelm, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 40, 1900. — Falta, Mehlfrüchtekur 1920. 
— Falta, Wiener Arch. f. Innere Med. V. Fd., 1923, 2. u. 3. H. — F öl des, E., 
Wiener Arch. f Innere Med. III. Bd., 1922. — Funk, C., Die Vitamine, 1922. 
Verlag Bergmann. — Magnus-Le wy in Kraus und Brugsch 1919, Bd. I. — 
Naunyn, Der Diabetes mellitus. — v. Noorden, Die Zuckerkrankheit. — 
Reiß, E., Ergebnisse d. Inneren Med. Bd. X, S. 595. — Reiß, E., Deutsches 
Arch. f. klin. Med. 96. 




58 


Aus der medizinischen Universitätsklinik Königsberg. 

Vergleichende Untersnchnng über „splenomegale Leber¬ 
zirrhose“ nnd „chronische Leberatrophie“ mit „Banti“ ähn¬ 
lichen Krankheitsbildern. 

Von 

Privatdozent Dr. U. Lepehne. 

Unter den Sammelbegriff des Morbus Bauti werden vielfach 
Fälle eingeordnet, die sicherlich nicht in diese Kategorie gehören. 
Eppinger weist in seinem Buche über die hepato-lienealen Er¬ 
krankungen darauf hin, daß anscheinend in Mittel- und Nordeuropa 
keine echten Bantifälle Vorkommen. Es handelt sich hierbei vorzugs¬ 
weise um „splenomegale Zirrhosen", die neben einem großen Milztumor 
Ikterus, mitunter Ascites und eine kaum verkleinerte zirrhotische 
Leber mit feinhöckeriger Oberfläche aufweisen. Auch wir konnten 
vor einiger Zeit einen solchen Fall beobachten, dachten an Morbus 
Bauti und ließen die Splenectomie vornehmen. Die gleiche Diagnose 
glaubten wir bei einem klinisch ganz ähnlichen Fall stellen zu 
dürfen und rieten auch hier zur Milzexstirpation. Es trat jedoch 
kurz vor der Operation unter plötzlicher Verschlimmerung des 
Krankheitsbildes der Exitus ein. Die Sektion klärte diesen Fall 
als „chronische Leberatrophie“ auf. Es dürfte vielleicht von Interesse 
sein, diese beiden klinisch ähnlichen Krankheitsbilder und die so 
verschiedenen anatomischen Befunde einander gegenüberzustellen, 
zumal gerade die subakut oder chronisch verlaufenden Fälle von 
Leberatrophie in den letzten .Jahren unser Augenmerk besonders 
auf sich gelenkt haben und da die Frage des Überganges von Leber¬ 
atrophien in Leberzirrhosen vielfach diskutiert wurde. 

Die „splenomegale Zirrhose“ betraf eine 42jährige verhei¬ 
ratete Frau, die bisher stets gesund gewesen war. Seit Anfang 1917 
bemerkte sie eine Anschwellung des Leibes und klagte zeitweise über 
Schmerzen in der linken Oberbauchgegend. Seit Oktober 1917 begann 



54 


Lepehne 


sich Gelbsucht zu zeigen. Beim ersten Aufenthalt in der Klinik im 
November 1917 fanden wir deutlichen Ikterus, die Milz als harten 
Tumor den Rippenbogen um gut handbreit überragend, die Leber einen 
Querfinger unterhalb des rechten Rippenrandes palpabel, hart und druck¬ 
empfindlich. Im Urin kein Gallenfarbstoff aber reichlich Urobilinogen. 
Der Blutbefund war: Hb. 75, rote Blutkörper 4 420 000, weiße 
Blutkörper 2950, davon 71 °/ 0 Polynucleäre, 21 °/ 0 Lymphocyten, 4 °/ 0 
Eosinophile, 1 °/ 0 Übergangszellen, 3 °/ 0 Mononucleäre; keine Herab¬ 
setzung der Resistenz der roten Blutkörper. Die Wassermann’sche 
Reaktion war negativ. Januar 1918 fand sich eine deutliche Ver¬ 
kleinerung der Leber bei sonst unverändertem Krankheitsbild. Im März 
1919 bestand starker Ikterus mit „Stauungsbilirubin“ im Blut. Das 
Blutbild ergab: Hb. 67, rote Blutkörper 4870000, weiße Blutkörper 
4950 mit 65 °/ 0 Polynucleären, 34 °/ 0 Lymphocyten, 1 °/ 0 Eosinophilen. 

Auf Grund des solange bestehenden großen harten Milztumors, 
der zuerst etwas vergrößerten, dann kleiner werdenden Leber, des 
Ikterus und der mehrfach festgestellten Leukopenie glaubten wir 
annehmen zu dürfen, daß es sich um eine „Banti’sche Krankheit“ 
am Ende des II. Stadiums handeln könnte. Allerdings sprachen 
das Fehlen einer Anämie und die Stärke des Ikterus dagegen. 
Gegen eine hypertrophische Zirrhose schien uns die Größe des 
Milztumors und die zunehmende Verkleinerung der Leber anführbar. 
Es wurde beschlossen, die Splenectomie vorzunehmen, die auch 
wegen des unaufhaltsamen Verlaufs bei einer Zirrhose indiziert 
schien. Wenige Tage nach der Operation, die an sich gut verlief, 
erlag die Patientin einer Pneumonie. 

Die Autopsie zeigte eine mäßig verkleinerte Leber mit fein¬ 
granulärer Oberfläche. Sie wog 1500 g, die Maße betrugen 21,5 : 16,5 : 
9,5 cm. Beim Durchschneiden knirschte das Messer. Auf der Schnitt¬ 
fläche sah man eine feine Felderung, wie wir sie bei den Zirrhosen fin¬ 
den. Die Gallenwege waren frei. Die operativ entfernte Milz war 
stark vergrößert: 17,5:12,5:8 cm, von 930 g Gewicht, sehr derb und 
wenig blutreich. In der Nähe des Milzbettes befanden sich einige 
Nebenmilzen, die ebenfalls von derber Konsistenz waren und ebenso 
wie die Milz auf der Schnittfläche eine deutliche Trabekelzeichnung er¬ 
kennen ließen. 

Wir haben also eine Leberzirrhose mit großem Milztumor und 
Ikterus ohne Ascites vor uns, die sich wedör in die Gruppe der 
atrophischen Laennec’schen Zirrhosen noch in die der hyper¬ 
trophischen Hanot’schen Zirrhosen einreihen läßt. Eppinger 
weist darauf hin, daß wirkliche hypertropische Zirrhosen mit glatter 
Leberoberfläche sehr selten sind und daß wir bei diesen ikterischen 
splenomegalen Zirrhosen meist eine verkleinerte granulierte Leber 
vorfinden. In der Milz kommt es in diesen Fällen zu einer Binde- 



Vergleichende Untersuchungen über splenomegale Leberzirrhose usw. 55 

ge websentwicklung, zu einer Fibroadenie, die im Gegensatz zum 
echten Morbus ßanti nicht von den Follikeln, sondern von der 
Milzpulpa ausgeht und die Follikel frei läßt. Wie nun die mikro¬ 
skopische Untersuchung der'Milz zeigte, gehört unser Fall in 
diese Kategorie. 

Das histologische Bild der Milz ist so verändert, daß man 
kaum glauben möchte, Milzgewebe vor sich zu haben. Die ganze Pulpa 
ist in ein fast drüsenähnliches Gebilde umgewandelt. Sie ist durch ein 
bindegewebiges Maschennetz ersetzt, das die vermehrten und erweiterten 
Sinus umspinnt, deren Endothelzellen meist epithelartig angescliwollen sind. 
Elastische Fasern finden sich in diesem Maschenwerk nicht. Die Sinus sind 
mit roten Blutkörperchen erfüllt, während in den Pulparesten nur ganz 
spärliche Erythrocyten zu sehen sind. Erythrocytophagie und Erythro- 
cytorhexis fehlen. Mehrfach fallen kleine periarterielle Blutungen in der 
Nähe der Follikel auf, wie sie auch Epp in ge r beschrieben hat. Je¬ 
doch fehlt im Gegensatz zu seinen Beschreibungen Eisenpigment (Turn- 
bullsblau-Reaktion). Die Trabekel sind verdickt und von elastischen 
Fasern durchzogen. Die Follikel sind von dem bindegewebigen Prozeß 
ganz verschont geblieben. Bemerkenswerterweise zeigen die 
Nebenmilzen genau den gleichen mikroskopischen Befund 
der netzartigen Fibroadenie. 

Das histologische Bild der Leber ist das typische 
einer annulären Cirrhose. Die schematische Darstellung der Fran¬ 
zosen, daß man in jedem Falle aus dem mikroskopischen Befund 
nach der Anordnung des Bindegewebes die atrophischen und hyper¬ 
trophischen Formen unterscheiden könne, ist schon von Rosen- 
stein 1892 zurückgewiesen. Auch Kretz betont, daß man histo¬ 
logisch keinen Unterschied zwischen einer hypertrophischen und 
atrophischen Zirrhose finden könne. Von histologischen Einzelheiten 
sei folgendes mitgeteilt. 

Die meist ringförmig angeordneten Bindegewebszüge zeigen eine 
förmliche Durchflechtung der Bindegewebsfasern (Färbung nach R i b - 
bertl und zahlreiche elastische Fasern in Form von Netzen oder ge¬ 
streckten welligen Bündeln. Auffallend ist eine ganz besonders starke 
kleinzellige Infiltration des Bindegewebes, die zumeist aus lymphocyten- 
ähnlicben Zellen besteht. Eine Neubildung von Gallengängen fehlt. 
Reichliche Gallenthromben in den Gallenkapillaren dürften den Ikterus 
erklären oder wenigstens nach Heinrichsdorff und nach Min¬ 
kowski als Zeichen pathologischer Gallenabsonderung angesehen werden. 

Epikritisch müssen wir also diesen Fall nicht 
unter die Banti'sehen Splenomegalien, sondern zu den 
„spienomegalen Zirrhosen“ rechnen. Nach Umber führt 
auch das Krankheitsbild der „chronischen Cholangie“ (Naunyn) zu 
einem dem Banti’schen Symptomenkomplex ähnlichen Verlauf mit 



56 


Lkpehnk 


Ikterus, Leukopenie und Fibroadenie der vergrößerten Milz. Umber 
spricht von einem Übergang dieser Fälle in hypertrophische Leber¬ 
zirrhose. Es scheint mir möglich, daß die „chronische Cholangie“ 
Umber’s und die „splenomegale Zirrhose“ Eppinger’s nur ver¬ 
schiedene Stadien ein und desselben Krankheitsbildes sind. Von 
großer Bedeutung ist die Frage, ob bei dieserKrank- 
heit die pathologische Veränderung der Milz den 
Ausgangspunkt bildet oder wenigstens den weiteren 
Verlauf der Leberveränderungen beherrscht. Wäre 
die Schädigung des Leberparenchyms eine sekundäre, etwa durch 
aus der Milz zuströmende toxische Stoffe bedingt, so könnte die 
Erkrankung vielleicht durch zeitige Splenectomie zum Stillstand 
gebracht werden, wie es Banti für seine Fälle feststellte. 
Eppinger bejaht dies und hat bei solchen Patienten die Splenec¬ 
tomie mit gutem Erfolg vorgenommen. Eppinger nimmt eine 
erhöhte hämolytische Funktion der Milz an und will auch den 
Ikterus nicht mechanisch, sondern dynamisch erklären. Für das 
von uns beobachtete Stadium glaube ich eine erhöhte Hämolyse in 
der Milz ablehnen zu dürfen. Die vergleichende Untersuchung des 
Bilirubingehalts im Blutserum der Milzvene und Armvene ergab, 
wie bereits früher mitgeteilt, gleiche Werte. Eher könnte man 
von einer derartig fibroadenisch veränderten Milz ohne Erythro- 
phagie, Erythrorhexis und Eisenpigment eine herabgesetzte hämo¬ 
lytische Funktion wie auch weitgehende Störungen anderer Milz¬ 
funktionen annehmen. Der starke Ikterus mit prompter direkter 
Diazoreaktion kann auf Schädigung der Leberzellen und ihrer feinen 
Gallenkapillaren zurückgeführt werden. Auch Umber schlägt für 
seine Fälle von chronischer Cholangie die Splenectomie vor und 
sah darauf Verschwinden des Ikterus und Rückgang der Leukopenie. 
Nach dem histologischen Befund der Bindegewebswucherung in der 
Leber und der Milz und den Nebenrailzen — haben wir doch quasi 
auch eine hypertrophische Milzzirrhose mit glatter Oberfläche vor 
uns — könnte man auch daran denken, daß der gleiche Reiz das 
Parenchym und das Bindegewebe beider Organe gleichzeitig ge¬ 
troffen hat. Schließlich steht auch die Möglichkeit der primären 
Lebererkrankung mit sekundärem Ergriffenwerden der Milz zur 
Diskussion. Positive Tatsachen für den Ausgangspunkt der Er¬ 
krankung lassen sich nicht anführen. Jedenfalls ist die Milz im¬ 
stande funktionelle und anatomische Vorgänge in der Leber zu 
beeinflussen, wie die Experimente von Pick und Hashimoto, 
von Whipple und Hooper, von Furno und von Joannowicz 



Vergleicheude Untersuchnngeu über splenoinegale Leberzirrhose usw. 57 

zeigen (siehe die Zusammenstellung von L e p e h n e). Somit sollte nach 
den günstigen Erfahrungen von E p p i n g e r und Umber in Fällen, 
die durch ihre Anamnese, den Ikterus, die fühlbare, im Pneumoperi¬ 
toneum von gröberen Buckeln freie Leber, den großen Milztumor, die 
Leukopenie bei meist fehlendem Ascites als splenomegale Zirrhosen 
angesprochen werden können, vielleicht doch öfter zeitig zur Splen- 
ectomie geschritten werden. Die Gefahr der Hepatargie infolge 
der Operation und Narkose dürfte hier keine so große sein, da 
meist noch reichlich gut funktionierendes Lebergewebe vorhanden 
ist. Leider ist gerade bei der splenom egalen Zirrhose, besonders 
wenn sie schon längere Zeit bestanden hat, die Splenectomie mit¬ 
unter durch Verwachsungen sehr erschwert. 

Einen dem soeben beschriebenen sehr ähnlichen Krankheits¬ 
verlauf 1 konnten wir in dem zweiten Fall beobachten, der sich 
durch Ausbildung eines Ascites dem Banti’schen Symptomen- 
komplex noch mehr näherte, sich aber als „chronische Leber- 
atrophie** erwies. 

Die Patientin, eine 33jährige Arbeiterfrau gab Oktober 1921 an, 
bereits seit 1914 zeitweise Schmerzen im Leib, besonders in der linken 
Oberbaucbgegend gehabt zu haben und allmählich schwächer geworden 
zu sein. Schon damals will sie eine Geschwulst in der linken Bauch¬ 
seite gefühlt haben. 1918 lag sie wegen Rippenfellentzündung im 
Krankenhause. Ob damals bereits eine Milzschwellung bestand, ist nicht 
mehr feststellbar. In der letzten Zeit habe sich unter zeitweise recht 
starken Schmerzen die Geschwulst in der linken Bauchseite vergrößert, 
zugleich sei die Haut gelb, der Stuhl hell, der Urin dunkelbraun ge¬ 
worden. Für Syphilis ergab die Anamnese keinen Anhalt, auch war die 
in der Klinik angestellte Wassermann’sche Reaktion negativ. Wir fan¬ 
den bei der elenden Patientin einen mäßig starken Ikterus, der sich 
nach dem prompten Ausfall der direkten Diazoreaktion im Blutserum 
als anscheinend mechanischer und nicht hämolytisch-dynamischer Ikterus 
erwies. Ein leises systolisches und angedeutetes diastolisches Geräusch 
war über dem Herzen hörbar. Die Milz überragte den Rippenbogen 
als großer, harter Tumor um Handbreite. Die Leber war nur bei 
tiefer Inspiration am Rippenbogen palpabel. An den Beinen leichte 
Ödeme. Im Urin Urobilin stark positiv, Bilirubin negativ, daneben ge¬ 
ringe Albuminurie mit Leukocyten und Erythrocyten im Sediment. Das 
Blutbild ergab eine Leukopenie von 1600 weißen Blutkörpern mit 55 °/ 0 
Polynucleären und 34 °/ 0 Lympbocyten. 

Auf Grund dieses Befundes: große harte Milz, die schon seit 
Jahren bestehen soll, kleine Leber, Ikterus und Leukopenie nahmen 
wir eine Banti’sche Krankheit im Übergang vom zweiten Stadium 
des beginnenden Ikterus und der vergrößerten Leber zum dritten 
Stadium der beginnenden Leberschrumpfung bei noch nicht nach- 



58 


Lepehne 


weisbarem Ascites als möglich an. Allerdings sprach auch in 
diesem Falle das Fehlen einer stärkeren Anämie (Hb. 74°/ 0 , rote 
Blutkörper 3 780000) gegen diese Diagnose. Die Patientin verließ 
nach kurzem Aufenthalt die Klinik. Erst Oktober 1922 hatte ich 
Gelegenheit, die Patientin in der hiesigen chirurgischen Klinik 
wieder zu untersuchen. Unter Schmerzen in der Oberbauchgegend 
hatte sich bei ihr vor kurzer Zeit ein starker Ascitis gebildet. 
Patientin war jetzt ausgesprochen ikterisch. der Milztumor unver¬ 
ändert, dabei eine Leukopenie von 3050 weißen Blutkörpern mit 
jetzt 80 °/ 0 polynucleären Zellen, keine wesentliche Anämie (Hb. 70, 
rote Blutkörper 3610000). Im Urin reichlich Bilirubin und Uro- 
bilinogen. Hay’scbe Probe auf Gallensäuren negativ. Dieser Be¬ 
fund schien die Diagnose „Banti’sche Krankheit“ zu bestätigen. 
Es wurde daraufhin die Splenectomie beschlossen. Bevor es aber 
zu der Operation kam, veränderte sich plötzlich der Zustand der 
Patientin: Fieber, Husten und Dämpfung wiesen auf einen broncho- 
pneumonischen Herd hin. Unter zunehmendem Ikterus und Ascites 
wurde Patientin benommen, zeigte tiefe Atmung, Zahnfleisch- und 
Hautblutungen und einen Leukocyten an stieg auf 12600 mit 93°/ 0 
Polynucleären. Leucin und Tyrosin ließen sich im Urin trotz ver¬ 
suchter Isolierung nicht nachweisen. Am nächsten Tage starb die 
Patientin. Ich nahm an, daß sich eine akute gelbe Leberatrophie 
auf das alte Krankheitsbild aufgepfropft habe, vielleicht ausgelöst 
durch die Bronchopneumonie. 

Die Sektion ergab folgenden Befund: 6 1 eiterähnlicher 
trüber Ascites, dessen Zellelemente sich hauptsächlich als Epithelien er¬ 
wiesen. Die Milz reicht bis zum Nabel, 1060 g Gewicht, Maße 25: 
16 : 5,5 cm, mäßig derb auf der Schnittfläche dunkelrot vorquellend mit 
nicht sicher erkennbarer Follikelzeichnung. Die Leber ist ganz klein, 
hinter dem Rippenbogen zurückgesunken. Sie wiegt nur 800 g, ihre 
Maße sind 23 : 11 : 4 cm. Die Leberoberfläche ist von orangegelb¬ 
bräunlicher trüber Farbe und zeigt leichte Höcker und Buckel von mehr 
bläulich-rötlicher Farbe. Sie fühlt sich sehr weich und schlaff an. Auf 
dem Durchschnitt eine unebene Schnittfläche mit eingesunkenen grauroten 
Partien, die etwas erhabene mehr gelblich-grünliche Inseln größeren und 
kleineren Umfanges umschließen. Von der normalen Acinuszeichnung 
ist nichts mehr zu erkennen. Die großen Gallengänge sind frei; in der 
Gallenblase viel sehr zähe, tiefdunkle Galle. Kleine bronchopneumonische 
Herde im linken Unterlappen, Exsudat in beiden Pleurahöhlen, paren¬ 
chymatöse Degeneration des Herzmuskels und Sklerose der Aortenklappen 
(vgl. das diastolische Geräusch), parenchymatöse Degeneration der Nieren, 
Blutungen in verschiedenen Organen. 

Dieser anatomische Befund ließ unsere Vermutung einer 



Vergleichende Untersuchungen Uber splenomegale Leberzirrhose usw. 59 


B a n t i zirrhose mit sekundärer akuter Leberatrophie unwahrschein¬ 
lich erscheinen. Die Leber hatte das Aussehen einer subakuten 
oder subchronischen Leberatrophie, wie es in letzter Zeit mehrfach 
beschrieben worden ist (s. ^yfarth). Die mikroskopische 
Untersuchung bestätigte,diese Annahme. Die Leber bot ein 
von einer annulären Zirrhose ganz abweichendes Bild von außer¬ 
ordentlicher Mannigfaltigkeit und Buntheit. In ganz unregel¬ 
mäßiger Weise durchsetzen zahlreiche breite Bindegewebsbänder 
das Leberparenchym und zerteilen es in Leberzellinseln der ver¬ 
schiedensten Form. Nur an wenigen Stellen sieht man feine 
Stränge, die kleinere Leberzellinseln umgrenzen. Das Bindege¬ 
webe erscheint lockerer, welliger und kernreicher als bei der Zirrhose 
und zeigen die reichlich vorhandenen elastischen Fasern meist ein 
System von feinen Netzen und nur stellenweise mehr langgestreckte 
Faserzüge. 

Fast überall findet sich in den Bindegewebsbändern ein Maschen- 
und Netzwerk von Lücken, die von roten Blutkörperchen erfüllt sind. 
Eine Wandung läßt sich an diesen Bluträuraen zumeist nicht nachweisen. 
Anscheinend handelt es sich um Testierende erweiterte Kapillarräume. 
Die Zahl der r neugebildeten Gallengänge“ ist klein. Ihre Epithelien 
weisen zum Teil eine ganz feinkörnige Verfettung auf. Rundzellen¬ 
infiltration ist an manchen Stellen, wenn auch bei weitem nicht so aus¬ 
gesprochen wie in Fall I, zu finden. Streckenweise sieht man ganze 
Inseln bindegewebigen Narbengewebes, in denen von Leberparenchym¬ 
resten nichts mehr zu finden ist. 

Der normale Acinusbau der Leberzellbalken ist mit wenigen 
Ausnahmen nirgends mehr zu erkennen. Die großen unregelmäßig 
umgrenzten rundlichen oder langgestreckten Zellkomplexe haben 
die Größe mehrerer normaler Acini. Die hier befindlichen Leber¬ 
zellen sind zum großen Teil im Untergang begriffen: sie liegen 
völlig dissoziiert einzeln oder in Gruppen nebeneinander, bald noch 
von normaler Größe, bald nur noch als leukocytenähnliches Ge¬ 
bilde, zum Teil mit fehlender Kernfärbung und körniger Gallen¬ 
farbstoffimbibition, zum Teil mit erhaltener Kernfärbung, pig¬ 
mentfrei. Hier und dort kann man erhaltenes Lebergewebe in 
Form kleiner adenomähnlicher Herde oder von Acinusresten mit 
radiärem Bau bemerken. Ob alle dem letzten Degenerationsschub 
entgangenen Zellkomplexe neugebildetes Lebergewebe oder noch 
Reste alter acini sind, bleibe dahingestellt. Eisenpigment ist 
nirgends nachweisbar (Turubullsblau-Reaktion). 

In der Milz fehlte im Gegensatz zu dem ersten Fall 
jede Andeutung einer Fi b r o a d e n i e. Das histologische Bild 



tiO 


Lepbhne 


der Milz weicht nicht wesentlich von dem der Norm ab. Es handelt 
sich um eine Hyperplasie ohne einen charakteristischen Umbau 
des Milzgewebes. u 

Die Sinus sind nur schwer zu erkennen. Die Pulpa ist sehr zell- 
und blutreich und läßt jede stärkere Bindegewebswucherung vermissen. 
Nur die Blutgefäße sind von reichlicherem Bindegewebe und besonders 
von einem Netz elastischer Fasern umsponnen. Keine Erythrophago- 
cytose, keine Erythrorhexis, kein Eisenpigment. Die Follikel sind spär¬ 
lich, auffallend klein, frei von Bindegewebe und elastischen Fasern. Die 
Trabekel sind nicht verbreitert. Auffallend sind bakterielle Emboli un¬ 
regelmäßig in die Pulpa eingelagert. Diese Emboli erweisen sich als 
Haufen von Kokken (anscheinend Streptokokken). Eine reaktive Leuko- 
cytenanhäufung oder Zellnekrosen finden sich nicht, so daß wir hier 
wohl einen sub finem vitae eingetretenen Prozeß vor uns haben. 

Fassen wir unseren Befund zusammen, so haben wir 
es nach den mikroskopischen Bildern anscheinend mit einer chronisch 
in schubweisen Degenerationen verlaufenen Leberatrophie zu tun. 
Wir sehen die Leber von breiten, lockeren kernreichen Binde- 
gewebsbändern durchzogen, die offenbar an die Stelle früher unter¬ 
gegangenen Parenchyms getreten sind. Wir finden Leberzellinseln, 
die zum größten Teil durch einen letzten akuten Degenerations¬ 
schub, der vielleicht durch die Bronchopneumonie ausgelöst war, 
im Untergang begriffen sind, wodurch der Exitus herbeigeführt 
wurde. Die besondere Größe der Milz, die uns ja zu der 
Diagnose „Banti’sche Krankheit“ geführt hatte, spricht nicht gegen 
unsere Auffassung. In einigen Fällen sind schon solch große Milz¬ 
tumoren bei subakut verlaufenen Leberatrophien beschrieben worden. 
So berichtet Stroebe 1897 über einen ganz ähnlichen Fall bei 
einer 23jährigen Frau. Bei ihr reichte der Milztumor ein Jahr 
vor dem Exitus bis fast an die crista ilei und wog bei der Sektion 
1350 g. Auch Barbacci beschreibt bei einer Leberatrophie, 
die in knotige Hyperplasie überging, eine bis zum Ligamentum 
Poupartii reichende Milzschwellung. Schöppler notiert bei einer 
solchen langsam verlaufenden Leberatrophie einen Milztumor von 
1200 gr. Auch die eiterähnliche Beschaffenheit des Ascites ist 
bereits mehrfach als charakteristisch für die subakuten Leberatro¬ 
phien angesprochen worden (Heß, Schöppler, Verse, Hart, 
H. Strauß, Lepehne). Das Fehlen von Leucin und Tyrosin 
im Stadium der letzten Verschlimmerung spricht nicht gegen unsere 
Diagnose, da es oft vermißt wird (cf. Umber). Bestimmend für 
unsere zuerst gestellte klinische Diagnose war auch die Leuko- 
p e n i e gewesen. Bei Durchsicht der Literatur finden sich über das 




Vergleichende Untersuchungen über splenomegale Leberzirrhose usw 61 

Blutbild bei subakut verlaufenden Leberatrophien nur wenige 
Angaben. In Umber’s Fall betrug die Leukocytenzahl zuerst 
6700, später 11950; Strauß fand 5500 Leukocyten. In dem von 
mir früher veröffentlichten Fall bestand eine Leukocytose von 
15000 Zellen, die ante exitum auf 19000 anstieg. Nach W ei ge 1 d t’s 
Zusammenstellung findet sich bei der akuten Leberatrophie meist 
eine Leukocytose zwischen 10000 und 30000 mit Polynucleose und 
relativer Lymphopenie. Auch in unserem Falle schlug die an¬ 
fängliche Leukopenie mit Einsetzen des letzten akuten Degene¬ 
rationsschubes — kenntlich an der plötzlich einsetzenden Benommen¬ 
heit, den Haut- und Schleimhautblutungen, der Zunahme des Ikterus 
und des Ascites — in eine Leukocytose von 12 600 mit 93 °/ 0 Poly- 
nucleären um. Wie weit hier diese Leukocytose außer durch toxische 
Reizung des Knochenmarkes infolge des Leberparenchymzerfalls 
(Weigeldt) auch durch die Bronchopneumonie bedingt war, 
bleibe dahingestellt. Die von Weigeldt als Cholesterinester¬ 
tropfen erwiesenen Vakuolen in den Leukocyten konnte ich 
trotz speziell darauf gerichteter Aufmerksamkeit nicht finden. 
Auch nach U m b e r ’s Angaben können sie keine prinzipielle 
Bedeutung beanspruche)), zumal sie oft fehlen. Die mitunter bei 
akuter Leberatrophie beobachtete Polyglobulie wurde vermißt. 
Leukopenie, wie wir sie hier bis kurz vor Einbruch der Kata¬ 
strophe immer wieder feststellen konnten, findet man oft bei Er¬ 
krankungen, in denen die Milz — meist primär aber auch sekun¬ 
där — stark in Mitleidenschaft gezogen ist und anatomische Ver¬ 
änderungen aufweist. Es sei an die Leukopenie der Milztuber¬ 
kulose, des malignen Granuloms, der Banti’schen Krankheit und 
der splenomegalen Zirrhose erinnert. So erhebt sich auch hier die 
Frage, ob die Erkrankung von der Milz ihren Ausgang genommen 
hat oder wenigstens, ob die Milz auf den Verlauf der Krankheit 
von Einfluß gewesen ist. Der so gut wie normale histologische 
Befund der Milz stützt eine solche Hypothese nicht. Dafür scheint 
aber zu sprechen, daß nach der Anamnese die Milzschwellung anschei¬ 
nend schon lange Zeit vor dem Einsetzen der Gelbsucht bestanden 
hat. Auch müßte man die besondere Größe des Milztumors in 
diesem Sinne anführen. Es wäre somit auch in diesem Falle zu 
erwägen, ob durch zeitige Spienectomie Heilung erzielt worden 
wäre. Für die akute Leberatrophie vertritt Eppinger den 
Standpunkt, daß die Milz die Lebererkrankung beeinflußt und 
hat in mehreren Fällen die Milz exstirpieren lassen ohne ent¬ 
scheidende Resultate. Sonst liegen bisher keine Erfahrungen über 



62 


Lepehne 


Splenectomie bei akuter, subakuter oder chronischer Leberatrophie 
vor. Brütt lehnt bei subakuter Leberatrophie jede Operation ab, 
da nach seinen schlechten Erfahrungen bei Laparatomien, die in¬ 
folge Fehldiagnosen vorgenommen waren, die Narkose bei dem weit¬ 
gehenden Untergang von Lebergewebe gefährlich ist. Dagegen schlägt 
Braun vor „in fortlaufend ungünstig verlaufenden Fällen von 
Leberatrophie und nekrotisierenden Parenchymerkrankungen der 
Leber die Hepatikusdrainage zu versuchen 41 , allerdings ohne Chloro¬ 
form zur Narkose zu benutzen. Ähnlich äußern sich auch Tietze 
und Winkler. Andererseits darf man nicht außer acht lassen, 
daß eine spontane Ausheilung eintreten kann, wie der Krankheits¬ 
verlauf mehrerer durch Operation sichergestellter Leberatrophien 
bewies (siehe Umber, Huber und Kausch, Brütt). 

Zum Schluß sei noch auf die Frage eingegangen, ob eine so 
„chronisch“ verlaufende Leberatrophie in Leber¬ 
zirrhose übergehen könne, was schon v. Kahldenim Jahre 
1897 erörtert wurde. Zweifellos können klinisch wie auch in 
unserem Falle weitgehende Übereinstimmungen der Krankheits¬ 
bilder, auch mit der splenomegalen Zirrhose, Vorkommen. So be¬ 
tont auch Brütt scharf, daß sich chronische Leberatrophie, Leber¬ 
zirrhose und Leberlues oft nicht unterscheiden lasse. Anatomisch 
kann das Bild ein ganz verschiedenes sein, wie es in extremer 
Weise unsere beiden Fälle zeigen: Bei der Leberatrophie eine un¬ 
regelmäßige, breitzügige zur Hauptsache wohl reparative Binde- 
gewebsentwicklung anstelle des weitgehend untergegangenen 
Parenchyms. Bei der Leberzirrhose die annuläre Bindegewebs¬ 
bildung und der Umbau des Parenchyms, zu dessen Erklärung ich 
neben dem wohl nur geringgradigen Parenchymuntergang mit 
reparativer Bindegewebsbildung vielleicht auch noch eine aktive 
Wucherung des Bindegewebes und ein Weiterwachsen des Testie¬ 
renden abgeschnürten Drüsengewebes annehmen möchte (vgl. 
Kloppstock, Jores, Siegenbeck van Heukelom). So ge¬ 
winnt man in dem beschriebenen Fall von splenomegaler Zirrhose 
den Eindruck, daß hier uud dort feine Bindegewebszüge in die 
Leberzellinseln eindringend ihre Form bedingen. Nicht zu ent¬ 
scheiden ist, ob am Bande der Parenchyminseln liegende allseitig 
von Bindegewebe umsponnene atrophierende Leberzellen "durch 
aktive Bindegewebsumschnürung zugrunde gehen oder ob es sich 
um primären Zelluntergang und sekundäre Bindegewebseinwande- 
rung handelt. Nach Kretz ist der Umbau der zirrhotischen Leber 
durch wechselnde Degeneration mit sekundärer Bindegewebsbildung 



Vergleichende Untersuchungen über splenomegale Leberzirrhose usw. 63 


und Neubildung funktionierenden Parenchyms entstanden. Ich 
möchte also annehmen, daß der Umbau auch durch aktiv in die acini 
einwachsendes Bindegewebe veranlaßt wird, das die Leberzell- 
bälkchen aus ihrer ursprünglichen Anordnung reißt und Teile der¬ 
selben umschnürt, die weiterwachsend die unregelmäßigen Formen an¬ 
nehmen. Zwischen den hier beschriebenen extremen anatomischen 
Bildern gibt es nun aber die verschiedensten Zwischenstufen. Auch 
bei der subakuten oder subchronischen Leberatrophie können Struk¬ 
turen auftreten, die, wie mir eigene Erfahrungen zeigten, der Leber¬ 
zirrhose durch straffere und ringförmige Bindegewebsbildung sehr 
ähnlich werden (vgl. Kretz, H. Strauß, Hartu. a.). Nach 
Minkowski hängt ja die verschiedene Ausbildung des anatomi¬ 
schen Bildes „nur zum Teil von der Natur der Schädlichkeit und 
ihrer besonderen Affinität zu den einzelnen Gewebselementen ab, 
weit mehr von der Intensität und Dauer ihrer Einwirkung und 
von der individuell verschiedenen Empfindlichkeit und Reaktions¬ 
fähigkeit der einzelnen Gewebselemente - *. So kämen alle denk¬ 
baren Abstufungen, Übergänge und Mischformen vor, so daß auch 
der Anatom oft nichts Sicheres über die Genese des vorliegenden 
Organbefundes aussagen können wird und wir die Frage nach 
dem Übergang einer subchronischen Leberatrophie in eine Leber¬ 
zirrhose auch vom anatomischen Standpunkte aus in gewissem 
Sinn bejahen müssen. Die beschriebenen Fälle lehren, daß der 
Kliniker bei der Differentialdiagnose von Erkrankungen mit Banti- 
schem Symptomenkomplex auch an eine splenomegale Zirrhose und 
an mit großem Milztumor einhergehende chronische Leberatrophie 
denken muß. 


Literatur. 

Barbacci, Zieglers Beitr. 30, 1901, S. 49. — Braun, Klin. Wochenscbr. 
1922, Nr. 51. — Brütt, Grenzgebiete 36, 1923, S. 29. — Eppinger, Hepato- 
lienale Erkrankungen, Berlin 1921. — Furno, zit. u. Kougreüzeutralbl. 8, 1913, 
S. 575. — Hart, Münch. med ; Wochenscbr. 1917, Nr. 50. — Heinrichsdorff, 
Vers, deutsch. Naturforsch, u. Arzte Leipzig 1922. Refer. Klin. Wochenscbr. 1922. 
Nr. 46. — Heti, Ziegler’s Beitr. 56, 1913, S. 22. — Huber u. Kausch, Ber¬ 
liner klin. Wochenschr. 1920, Nr. 4. — Joannowicz, Zeitschr. f. exper. Pathol. 
n. Ther. 7, 1910, S. 185. — Jores, Verh. d. pathol. Gesellsch. XI. 1908, S. 320. 
— v. Kahlden, Münchener med. Wocheuschr. 1897, Nr. 40. — Klopp stock, 
Berliner klin. Wocheuschr. 1910, Nr. 33/34. — Kretz, Wiener klin. Wochenschr. 
1900, Nr. 12. Lubarsch-Ostertag 8. Jabrg.. II. Abt. 1902. — Lepehne, Erg. d. inn. 
Med.u. Kinderhk.2ü, 1921; Deutsche med. Wochenschr. 1921. Nr. 28. — Minkowski, 
Med. Klin. 1921, Nr. 17. — Pick u. Hachimoto, Arch. f. exp. Pathol. u. 
Pharmakol. 76, 1914, S. 89. — Rosenstein, Kongrel! f. innere Med. 11, 1892, 



(54 Lepkhnb, Vergleichende Untersuchungen über splenomegale Leberzirrhose. 


8. 65. — Schoppler, Virchow’s Arch. 185, 1906, 8.402. — Seyfartli, Deutsche 
med. Wochenschr. 1921, Nr. 41. — Siegenbeek van Heukelom, Zieglers 
Beitr. 20, 1896, S. 221. — Strauß, Deutsche med. Wochenschr. 1920, Nr. 18; 
Berliner klin. Wochenschr. 1920, Nr. 25. — Stroebe, Ziegler’s Beitr. 17, 1895, 
S. 143. — Tietze u. Winkler, Brnn’s Beitr. 127, 1922, S. 152. — Umber, 
Berliner klin. Wochenschr. 1920, Nr. 6; Deutsche med. Wochenschr. 1919, Nr. 20: 
Klin. Wochenschr. 1922, Nr 32; Klin. Wochenschr. 1923, Nr. 13. — Verse. 
Berliner klin. Wochenschr. 1920, Nr. 6. — Weigeldt. Deutsches Arch. f. klin. 
Med. 130, 1919, S. 342 u. 135, 1921. 8.358. — Whipple n. Hooper. Jonrn. of 
exper. med. 17. 1913, S. 593. 


Die intravenöse Strophanthintherapie nnd ihre Bedentnng 
für eine prognostische Beurteilung der chronischen Herz- 

insufficienz. 

Von 

A. Fraenkel, Heidelberg und H. Doll. 

(Mit 5 Kurven.) 

Die Abnahme der Leistungsfähigkeit des Herzens an sich be¬ 
deutet noch keine Indikation zur Anwendung von Digitalis. Das 
konstitutionell schwache, das ventil- oder muskelgeschädigte, auch 
das durch Behinderung seiner Blutversorgung bei Coronarsklerose 
beeinträchtigte Herz verhält sich gegenüber Digitalis auch dann 
noch wie ein gesundes, wenn schwächere oder stärkere Anstrengungen 
schon nicht mehr möglich sind. Ebensowenig sind organisch bedingte 
Störungen der Reizleitung, so lange sie die Kompensation nicht 
beeinträchtigen, durch Digitalis günstig zu beeinflussen. Im Gegen¬ 
teil kommt es gerade bei ihnen durch fehlerhafte Digitalismedi¬ 
kation zu Blockierung. Desgleichen kann das erregte und leistungs¬ 
verminderte Herz der Basedowkranken durch kein Digitalispräparat 
gekräftigt werden. Es entspricht nicht ganz dem Sprachgebrauch, 
würde aber die Verhältnisse deutlich machen, wenn man diese 
digitalisrefraktäre Phase organisch Herzkranker alsDebi- 
litas cordis bezeichnete, um sie dadurch von der eigentlichen 
Herzinsufficienz zu trennen. 

Sobald einer der Ventrikel oder beide so stark geschädigt sind, 
daß bei Anstrengungen, oder auch schon in der Ruhe, wenn auch nur 
vorübergehend, ungleiche Blutverteilung in einzelnen Organen 
auftritt, beginnt das digitalisreaktive Stadium. Wir 
haben zurzeit keine bessere und dabei bequemer zu handhabende 
Methode zur Unterscheidung der Debilitas cordis von der Insuffi- 
cienz im eigentlichen Sinne, als der gut beobachtete, quantitative 
Digitalisversuch. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 


5 


66 


Fraenkbl u. Doll 


Die organotrope Digitaliswirkung ist gebunden 
an diese Insufficientia cordis vera. Bei der durch Vaso- 
motorenlähmung herbeigeführten ungleichen Blutverteilung, bei Ver¬ 
giftungen und akuten Infektionskrankheiten, bes. der septischen 
Peritonitis, die namentlich von Chirurgen so häufig als Herzschwäche 
angesehen wird, sind Digitalispräparate im allgemeinen unwirk¬ 
sam. Das Versagen selbst großer, intravenös zugeführter Digi¬ 
talismengen in der überwiegenden Zahl der Fälle von akutem 
Kollaps oder subakuter Gefäßlähmung kann dort, wo hohes Fieber 
besteht, vielleicht aus einer raschen Zerstörung erklärt werden. 
So nur sind die großen peroralen Digitalis- (Petrescu (2) bis zu 
8 g pro die) und intravenösen Strophanthindosen (Liebermeister 
(3)) verständlich, die bei Infektionskrankheiten ohne Schaden ge¬ 
geben wurden. Aber die Digitalis versagt in solchen Fällen auch 
bei niederem oder fehlendem Fieber. 

Das anatomische Substrat der digitalisreaktiven Herzschwäche¬ 
zustände ist die myo- oder tonogene Dilatation hypertrophischer 
Herzen, wenn sie durch Verminderung des Sekundenvolumens zu un¬ 
gleicher Blutverteilung geführt hat. Ob dabei der Herzhypertrophie 
an sich die Bedeutung für die Digitalisreaktivität zukommt, die 
ihr Edens (4) beimißt, steht dahin, denn die Hypertrophie ist 
die Folgeerscheinung aller der Schädigungen des Herzmuskels und 
der Klappen einerseits und der Drucksteigerung im Gefäßsystem 
andererseits, in deren weiterem Verlauf das Herz zu versagen pflegt. 
Mit gleichem Rechte könnte der Klappendefekt oder die Herz¬ 
muskelschädigung oder die Hypertonie als Vorbedingung für die 
Digitaliswirkung in Anspruch genommen werden. 

Es galt lange als Axiom in der Digitalislehre, daß das Schwan¬ 
ken des therapeutischen Effekts abhängig wäre von dem Grund- 
leiden. Unter den Vitien fürchtete man besonders bei der Aorten- 
insufficienz die Pulsverlangsamung wegen zu starker, diastolischer 
Überlastung des eines ausreichenden Ventils entbehrenden linken 
Ventrikels. In der Tat versagt die Digitalis häufig bei diesem 
Klappenfehler, aber deswegen, weil er von allen Vitien am längsten 
gut vertragen wird. Wenn es bei ihm zur Dekompensation kommt, 
so besteht vielfach nur noch ein Minimum von reparabler Herzkraft. 
In früheren Stadien ist dagegen eine Herzschwäche bei Aorten- 
insufficienz ebensogut durch Digitalis beeinflußbar, wie bei jedem 
anderen Klappenfehler. Nicht die Art der anatomischen Verände¬ 
rung, sondern ihre Intensität ist für den therapeutischen Erfolg 
bedeutungsvoll. Auch in früherer Zeit geäußerte Zweifel an der 



Die intravenöse Strophanthintherapie usw. 


67 


Wirksamkeit der Digitalis bei Herzmuskelerkrankung erklären sich 
aus dem Versagen der Therapie bei zunehmender Einengung oder 
gar völligem Schwund digitalisreaktiver Substanz. 

Ebenso galten bestimmte klinische Symptome als Contrain¬ 
dikation. Viele Ärzte scheuen auch heute noch die Digitalis, wenn 
bei Herzschwäche Infarkte auftreten oder auch nur befürchtet 
werden, oder sie schwanken mindestens, ob sie die Scylla neuer 
Infarkte oder die Charybdis fortdauernder Herzschwäche vermeiden 
sollen. Zu Schaden kommt dabei der Kranke, denn der Infarkt 
ist die Folge der Herzschwäche, und die Neigung zu Rezidiven 
kann nur durch Bekämpfung der Herzschwäche beseitigt werden. 
Von der Anwendung dieses therapeutischen Prinzips haben wir nur 
Nutzen, niemals Nachteile gesehen. Schottin üller (5) gibt selbst 
bei Infarkten bei septischer Endokarditis Strophanthin. 

Noch irrtümlicher ist die Scheu vor Digitalisanwendung bei 
Hypertonie. Sie geht zurück auf die Ausbreitung der pharmako¬ 
logischen Lehre von der blutdrucksteigernden Wirkung toxischer 
Digitalisdosen beim Tier und wurzelt tief in der Vorstellung der 
Ärzte, trotzdem schon vielfach darauf hingewiesen wurde, daß selbst 
ungewöhnlich große Digitalisdosen keine oder jedenfalls nur dort 
Blutdrucksteigerung verursachen, wo sie günstig wirkt. Wir 
haben in unseren, diesen Ausführungen zugrunde liegenden Be¬ 
obachtungen bei 100 dekompensierten Hypertonien von 250 cm 
Wasser und darüber durch fortlaufende Strophanthinbehandlung 
wohl die besten Digitaliswirkungen, aber nie eine Embolie, Apo¬ 
plexie oder sonstige Schädigung erlebt. Dabei hatten 50 von 
diesen Kranken Blutdrucksteigerungen von 300 und mehr, bis zu 
400 cm Wasser. 

Auch in den meisten Rhythmusstörungen, die eine Herzschwäche 
verursachen oder begleiten, können wir im Grunde kein digitalis¬ 
förderndes oder -hemmendes Moment sehen. Nur bei Neigung zu 
Überleitungsstörung wird die sonst therapeutisch günstige, dromo- 
trope Wirkung, zur Vorsicht mahnen. Dagegen kennen wir volle 
Digitaliswirkung, wenn bei Reizleitungsunterbrechung (Block) Herz¬ 
schwäche auftritt. Die häufigsten Störungen der Reizbildung, der 
Reizbarkeit und der Kontraktilität, das Vorhofsflimmern, die 
Extrasystolen und der Herzaltern ans stehen einer wirksamen 
Digitalistherapie nicht im Wege. Ebensowenig bietet aber eine 
Irregularitas perpetua Aussicht auf einen größeren Digitalis¬ 
erfolg, als man ihn etwa bei Herzschwäche mit regelmäßigem 
Rhythmus erzielen kann (Mackenzie (6), Krehl (7)), oder 

5 * 




Die intravenöse Strophanthintherapie usw. 


69 


Herzinsufficienz (Fraenkel (10)), die Frage, wie sie bisher be¬ 
handelt wurde, und wie sich der Kranke seinem Defekt gegenüber 
verhalten hat. 

Nur in den seltensten Fällen sieht der Arzt die ersten An¬ 
fänge der Herzschwäche. Auch der Anfall von kardialem Asthma 
schneidet nur scheinbar in das gesunde Leben ein. Er ist klinisch 
lediglich als akute Exazerbation latenter Herzschwäche verständ¬ 
lich. Das Herz versagt allmählich, jede Herzschwäche, viel¬ 
leicht mit Ausnahme der toxischen, neigt von Anfang an zu 
chronischem Verlauf. Im Beginn erholt sich der Kreislauf allein » 
durch die Nachtruhe (Nykturie). Die ärztliche Einwirkung pflegt oft 
erst nachgesucht zu werden, wenn die Beschwerden bei der nächt¬ 
lichen Bettruhe nicht mehr verschwinden und die Bewegungssuffi- 
cienz bei Tage sich dadurch weiter herabmindert, oder wenn gar 
nächtliche Beschwerden auftreten (Ruheinsufficienz). Bei dieser 
Entwicklung der chronischen Herzschwäche ist es verständlich, 
wie der Digitaliserfolg in nicht vorbehandelten Fällen abhängig 
sein muß von der Zeit, die seit der ersten funktionellen Schädigung 
verstrichen ist und von den körperlichen Anforderungen, die an 
das geschädigte Herz gestellt wurden. 

Es hängt also viel von den Lebensbedingungen des Kranken, 
von seiner Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, von seiner körperlichen 
und seelischen Reaktivität ab, ob er früher oder später versagt. 
Beruf, Temperament, Umwelteinflüsse sind oft ausschlaggebend, 
wenn es bei relativ geringfügigen anatomischen Veränderungen zu 
schweren Störungen der Funktion kommt. Hier wirkt die Digi¬ 
talis nicht nur „Wunder“, sondern gibt auch allein erst Aufschluß 
über den wahren Zustand des Herzens. 

Die Bedeutung des körperlichen Verhaltens für den Verlauf 
der Herzschwäche wird deutlich offenkundig durch die Ruhetherapie 
der Herzerkrankungen. Darauf beruhen z. T. die Morphinerfolge, 
darauf die Übung vieler Ärzte, der Digitalistherapie die Bett¬ 
ruhe vorangehen zu lassen, oder sie gar durch dieselbe zu er¬ 
setzen. Natürlich ist sie nur bei solchen Kranken durchführbar, 
denen die kardiale Dyspnoe den Aufenthalt im Bett nicht unmög¬ 
lich macht, also bei Leichtkranken. Aber auch ihnen sollte, etwa 
aus dem Gedanken heraus, die wirksamste Therapie aufsparen zu 
müssen, die Digitalis nicht vorenthaltep werden, denn wir haben 
keinen experimentellen oder klinischen Anhaltspunkt dafür, daß dieses 
kumulierende Mittel bei wiederholtem Gebrauch an Wirksamkeit 
verliert. Die Überlegung muß noch mehr in das Bewußtsein der 



70 


Fhaenkel u. Doll 


Ärzte übergehen, daß das Versagen früher wirksamer Dosen in 
späteren Phasen der Erkrankung nicht auf Angewöhnung, sondern 
auf einem Fortschreiten der anatomischen und funktionellen Schä¬ 
digungen des Herzens beruht. 

Weit besser, als diese oft schwer faßbaren Faktoren der Ent¬ 
wicklung und Verlaufszeit einer Herzinsufficienz und selbst als 
der Grad der Stauungen gibt über die Prognose das Ver¬ 
halten des Kranken gegenüber der Digitalis Auskunft Voraus¬ 
setzung ist nur, daß die Digitalis nicht nach empirischen, sondern 
i nach pharmakologisch-klinischen Grundsätzen angewandt wird. 

Es braucht nur darauf hingewiesen zu werden, wie wichtig 
es für den Arzt ist, zu wissen, ob, wieviel und welche Digitalis¬ 
körper vor seinem Eingreifen gegeben wurden und welche Zeit 
seit der letzten Medikation verstrichen ist. Schon das läßt 
Schlüsse auf die zu erwartende Wirkung zu. Nur müßte mehr 
Einigkeit über die Dosierung bestehen. Die einen klagen über 
Digitalisüberfütterung (K r e h 1 (7)), die andern über Unterdosierung 
(Fraenkel (10)). Beides ist richtig. Der scheinbare Widerspruch 
erklärt sich daraus, daß in der Tat bei geringgradiger Insnfficienz, 
bei der man mit kleinen Dosen auskäme, vielfach große angewandt 
werden, während bei den schweren Herzschwächezuständen die 
Unverträglichkeit großer peroraler Dosen zur wirkungslosen 
unterschwelligen Medikation verführt. Schuld daran trägt z. T. 
die Überschwemmung des Arzneimittelmarktes mit immer neuen 
Digitalispräparaten und die Scheu vor der intravenösen Appli¬ 
kation. 

Der Hauptwert der Kenntnis vorausgegangener Digitalisdosen 
liegt darin, daß man die zu verschiedenen Zeiten zur Herstellung 
der Kompensation nötigen Mengen vergleichen und dadurch ein 
Bild gewinnen kann über die Entwicklung und den Verlauf der 
funktionellen Schädigung des Herzens. Das ist natürlich nur mög¬ 
lich, wenn jedesmal dasselbe Mittel. und nach den gleichen Prin¬ 
zipien verabreicht wird und wenn alle Indikatoren der Wirkung genau 
beobachtet und registriert werden. So hat der Kranke, dessen 
Geschichte der eine von uns veröffentlicht hat (Doll (12)), im 
Januar 1921 zur Wiederherstellung einer schweren Dekompensation 
in 3 Tagen 1,75 mg Strophanthin gebraucht. Im September 1921 
war der gleiche Erfolg erst nach 8 Tagen und 3,0 mg Strophanthin 
erreicht und im Januar 1922, als der sehr unvernünftige Kranke 
(Potator) wieder mit den schwersten Stauungen in Behandlung 
kam, dauerte es gar 30 Tage, während welcher 8,75 mg injiziert 




Die intravenöse Strophanthintherapie usw. 


71 


werden mußten und zudem gelang diesmal die restlose Entwässerung 
erst durch Kombination mit intramuskulären Novasurolinjektionen. Bei 
der vierten Wiederkehr des Kranken im Juli 1922 in wieder ganz 
dekompensiertem Zustand war die Entwässerung überhaupt nicht 
mehr zu erreichen, doch blieb der Zustand so lange erträglich, als 
der Kranke täglich Strophanthin bekam. Das Ansteigen mit den 
Dosen, das sich im Verlauf von l J / a Jahren als notwendig erwies, 
und das schließliche Versagen der Therapie ist nicht etwa ein 
Zeichen der Angewöhnung, sondern eine Illustration der Entwick¬ 
lungsphasen von der leichten zur schweren und zuletzt nicht mehr 
beeinflußbaren Herzschwäche, die der Kranke in dieser Zeit 
durchlief. 

Die zur Erreichung der optimalen Wirkung not¬ 
wendige Strophanthinmenge ist der derzeit beste 
Maßstab für die Beurteilung des Grades einer Herz- 
insufficienz und ihrer Prognose. Die „optimale Wirkung“ 
ist selbstverständlich ein relativer Begriff; sie richtet sich nach 
der Schwere des Grundleidens. Am günstigsten ist es, wenn in 
kurzer Zeit durch geringe Dosen dauernd eine relativ hohe 
Leistungsfähigkeit erreicht und ohne weitere Kuren festgehalten 
wird. Optimal ist aber auch bei anatomisch und funktionell 
schwereren Störungen die Wirkung zu bezeichnen, wenn die Erhal¬ 
tung geringerer Leistungsfähigkeit von der Wiederholung der Be¬ 
handlung in Intervallen abhängig ist. Selbst dort, wo eine ununter¬ 
brochene, für den Rest des Lebens fortzusetzende Strophanthinbehand¬ 
lung nur das Leben verlängert und erleichtert, kann noch von einem, 
für diese extremen Fälle optimalen Effekt gesprochen werden. 

Das Studium von 300 Fällen von Herzinsufficienzen 
aller Grade hat uns gezeigt, wie sich bei aller Verschiedenheit 
des Grundleidens nach dem Reagieren auf Digitalis diese drei 
verschiedenen Typen von Herzschwäche unterscheiden lassen. 
Natürlich macht dieser Versuch einer Rubrizierung chronischer 
Herzinsufficienz nicht den Anspruch, alle Fälle zu klären. Es gibt 
Kranke, die zwischen diesen Typen stehen oder aus ihnen heraus¬ 
fallen. Im ganzen aber kommt jedem planmäßig angelegten Digi¬ 
talisexperiment die Bedeutung einer hochwertigen Funktionsprüfung 
zu. Das gesunde Herz reagiert nicht, das Abster¬ 
bende nicht mehr, dasGeschädigteje nach dem Grade 
der Insufficienz. 

Die Herzschwäche beruht auf einer funktionellen Störung der 
kontraktilen Substanz, die nicht mehr durch kompensatorische 



72 


FrjLbnkbl u. Doll 


Hypertrophie ausgeglichen werden kann. Sie hat mit gewissen 
Einschränkungen ihr Analogon in den Ermüdungsvorgängen des 
Skelettmuskels (Moritz (13)). Während für diesen zur Erholung 
nur die Ruhe zur Verfügung steht, besitzen wir für den Herz¬ 
muskel in der Digitalis ein elektiv wirkendes Mittel, welches 
durch seine positiv und negativ inotrope Wirkung die Systole ver¬ 
stärkt, die Diastole vertieft, damit das Sekundenvolumen steigert 
und so die verlorengegangene Kompensation ganz oder teilweise 
wieder herstellt. Zum Verständnis des Wesens der Digitaliswirkung 
bei den verschiedenen Graden der Herzinsufficienz kann, wie wir 
im einzelnen sehen werden, die Vorstellung dienen, wie sie Moritz 
(13) für den Verlust der Kompensation formuliert hat. Danach geht 
in den leichten Graden nur der Zuwachs an Herzkraft, welchen die 
Hypertrophie gebracht hat, verloren; bei absoluter Insufficienz aber 
darüber hinaus noch ein Teil der ursprünglichen Kraft, die das Herz 
vor dem Eintritt der Hypertrophie, als es noch ruhesufficient war, 
hatte. 

Die Berechtigung, aus dem Ergebnis des Digitalisexperiments 
prognostische Schlüsse zu ziehen, leitet sich ab aus dieser elektiven 
Wirkung der Digitalis. In den für die Vertiefung und Fortent¬ 
wicklung der Theorie und der praktischen Anwendung der Digi¬ 
talis grundlegenden Referaten Gottlieb’s und Sahli’s auf dem 
19. Kongreß für innere Medizin 1901 hat letzterer von der Digi¬ 
talis gesagt, daß sie zur Herzinsufficienz passe, wie der Schlüssel 
zum Schloß. Die planmäßige Durchführung der intravenösen The¬ 
rapie lehrt, daß sogar aus der Länge und Stärke des Schlüssels 
Größe und Art des Schlosses beurteilt werden kann. Es handelt 
sich also nur um die, auf vertieften Vorstellungen beruhende und 
mit verbesserten Methoden durchgeführte Idee der „ex juvantibus 
Diagnostik“, worauf auch Mackenzie (6) hingewiesen hat. 

Typen der Herzschwächezustände. 

Typus 1: Einmalige kürze Digitalisbehandlung hat lang¬ 
jährige Wiederherstellung der Kompensation zur Folge. 

FalLa). H. H. aus Sp., 55 Jahre alt. Viele Jahre beruflicher 
und sportlicher Radfahrer. Innerhalb von vier Wochen entstandene, 
früher nicht gekannte Herzbeschwerden. Druck und Müdigkeit in den 
Armen. Kurzatmig beim Treppensteigen. „Wenn ich sitze, bin ich jung.“ 

Befund: Erheblicher Grad von Fettleibigkeit (92 kg bei mittlerer 
Körpergröße). Etwas Cyanose, keine sichtbaren Ödeme, Leber 
schwer festzustellen. Nach rechts und links verbreitertes Herz (Tr. = 
15,9 cm, Diag. = 15,5). Verlängerte und in allen Durchmessern 



Die intravenöse Strophanthintherapie usw. 


73 


verbreiterte Aorta, Hochstand des 
Blutdruck 200/110 cm Wasser nach 

Verlauf: Da der Kranke auf 
die erste probatorische Strophantbin- 
injektion von 0,5 mg subjektiv 
(„leichter“) und objektiv (Pulsver¬ 
langsamung und Diurese) anspricht, 
Fortsetzung der Therapie. Durch 
drei weitere Injektionen, von denen 
auch die zweite und dritte noch 
subjektive Besserung brachte, wer¬ 
den latente Ödeme ausgeschwemmt 
(vgl. Kurve 1), und der frühere 
Grad der Arbeitsfähigkeit im kauf¬ 
männischen Beruf erreicht. Auf Sport 
und Radfahren wurde allerdings ver¬ 
zichtet. 

Jetzt seit einem Jahr wegen des 
Herzens nicht mehr arztbedürftig und 
in breiten Grenzen leistungsfähig. 

Fall b). E. K. aus E., 58 
der jahrelang 100 kg wog. Seit 


Zwerchfells. Puls 84, regelmäßig. 
Recklinghausen. 


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Kurve 1. Pat. H. H. aus Sp. (Typns'I.) 


Jahre. Rheinländischer Wohlleber, 
Ende 1909 „unregelmäßiger Puls“. 



Im Frühjahr 1915 traten die ersten Zeichen von Herzschwäche auf: 
Atembeschwerden und Knöchelödeme. Er machte dann verschiedene 


li 










74 Frabnkbl u. Doll 

Badekuren durch und bekam Digitalis in kleinen Dosen, bis er im Ok¬ 
tober 1915 in Behandlung trat. 

Befund: Der Kranke war orthopnoisch, cyanotisch und subikteriscch, 
hatte mittelstarke Ödeme bis zum Rumpf und fraglichen Ascites (Leibes¬ 
umfang 113,5 cm). Die Leber, handbreit unter dem Rippenbogen, zeigte 
positiven Yenenpuls. Körpergewicht 88,9 kg bei 1,82 m Größe. Herz 
nach rechts und links verbreitert, hochgedrängt (Tr. = 15,9 cm; M. L. 
= 11,4 cm; Diag. = 18,4). Stauungslunge. Auskultatorisch: systo¬ 
lisches Geräusch an allen Ostien, leise, nicht akzentuierte Töne. Pulsus 
irregularis perpetuus (gewöhnliche Form der Arythmia perpetua mit 
Tachysystolie der Yorhöfe. Frequenz der Kammererregungen 90—98 in 
der Minute. Ganz vereinzelte abnorme Kammererregungen). Blutdruck 
190/110 cm Wasser. 

Verlauf: Durch 8 Strophanthininjektionen gelingt die vollständige 
Entwässerung (vgl. Kurve 2). Durch sie und drei weitere Injektionen 
ist der Kranke wieder in weiten Grenzen bewegungssufficient und ging 
bis Oktober 1920, also fünf Jahre lang, ohne herztonische Behandlung 
seinem Beruf nach. 

Das Gegensätzliche dieser beiden Fälle liegt darin, daß im 
Falle a) erst die durch die Therapie herbeigeführte Ausschwem¬ 
mung latenter Ödeme die Diagnose Herzinsufficienz sicherstellte, 
während im Falle b) die rasche subjektive und objektive Besserung 
bis zur vollständigen Entwässerung bei hochgradigen Stauungen 
überraschte. Beiden Fällen gemeinsam ist die erfolgreiche An¬ 
wendung relativ kleiner Dosen und ihre günstige Nachwirkung. 
Unter Beobachtung einer gewissen Schonung und Verzicht auf An¬ 
strengungen und Exzesse blieb die Leistungsfähigkeit dieser Kran¬ 
ken jahrelang erhalten. 

Das weitere Schicksal solcher Fälle hängt natürlich nicht 
allein von dem körperlichen Verhalten und damit von dem Kranken 
selbst ab, sondern auch von der weiteren Entwicklung des anato¬ 
mischen Prozesses. Wir können uns vorstellen, daß bei so hoch¬ 
gradiger Digitalisreaktivität mit nachhaltiger Wirkung nicht eine 
Störung der gesamten, noch vorhandenen Herzkraft vorlag, sondern 
nur ein Versagen des Anteils derselben, der durch kompensatori¬ 
sche Hypertrophie ergänzt worden war. 

Wir konnten auch feststellen, daß bei dieser Gruppe die Herz¬ 
größe, beurteilt nach dem Transversal- und Diagonaldurchmesser 
der Röntgensilhouette noch nicht sehr erheblich von der Norm ab¬ 
weicht. Die Maße des Querdurchmessers betragen bis zu 16 cm. 
Auch alle anderen klinischen Symptome kommen in wechselnder 
Intensität bei den schweren Fällen so gut vor wie bei den 
leichten. 



Die intravenöse Strophauthintherapie usw. 


75 


Typus 2: Längere Serienbehandlung führt zu nur teilweiser 
Wiederherstellung der Kompensation. 

Fall a): Herr B., Kaufmann aus W. Bei Eintritt in die Behand¬ 
lung, Mai 1917, 40 Jahre alt. 1900, im Alter von 17 Jahren, schwerer 
Gelenkrheumatismus. Seither Neigung zu „blutigem Auswurf“, weshalb 
er früher in der Nase geäzt wurde (!). Seit Februar 1917 Bewegungs- 
insufficienz und quälendes nächtliches Asthma kardiale. Durch Digi-. 
talis per os (dreimal täglich 0,1 Digipurat) günstig beeinflußt, aber nicht 
von der quälenden Atemnot, der Schlaflosigkeit und dem blutigen Aus¬ 
wurf befreit. 

Befund: Orthopnoe, Cyanose der gipfelnden Teile, keine Ödeme, 
geringe Leberschwellung, aber starke pulmonale Stase. Cor: röntgeno¬ 
logisch Mitralstenosenform. Tr. = 16,8 cm. Präsystolischer Galopp, 
verstärkter 2. Pulmonalton. Blutdruck 145/100 cm Wasser. Puls: 
Irregularis perpetuus mittlerer Frequenz (am Cor 90—100, an der 



Radialis 70—80 Pulse). Elektrokardiogramm: Vorhofstachysystolie 
(Yorhofsfrequenz ca. 320 in d. Min. Yentrikelfrequenz 108, keine 
tertiären Erregungen). 

Der Kranke sprach auf die erste Injektion von 0,25 Strophanthin 
in typischer Weise an. Eine Serie von 8 hier ausgeführten Injektionen 
schwemmte geringgradige latente Ödeme aus, befreite den Kranken von 
der pulmonalen Stase, der nächtlichen Atemnot und der Schlaflosigkeit. 
Die Rhythrausstörung blieb bestehen (vgl. Kurve 3). 

Nach der, durch äußere Gründe bedingten vorzeitigen Entlassung 
setzte der Hausarzt nach unseren Weisungen die Injektionen fort, und 
hielt sich der sehr verständige Kranke noch zwei Monate zu Bett. Gegen 
Ende des Jahres war er in der Lage, seine geschäftliche Tätigkeit im 
Hause wieder aufzunehmen, doch nur, wenn er den größten Teil des 
Tages liegend zubrachte. Die Injektionen mußten zuletzt nur noch in 
wöchentlichen Pausen fortgeführt werden. Zwei bis drei Tage vor der 
Injektion spürte der Kranke jedesmal „ein Geräusch“ beim Tiefatmen; 
nach der Injektion verschwand es regelmäßig und „kam Ruhe über 
mich“. Asthmaanfälle traten nie mehr auf. Im ganzen erhielt der 





76 


Fraenkel u. Doll 



Kranke in zwei Jahren 58 Strophanthininjektionen von 0,5 mg. Von 
da an vertrug er auch wieder größere Leistungen, war 8—9 Stunden 
täglich außer Bett und machte weite Geschäftsreisen. Bei zwei Kontroll- 
untersuchungen im Juni 1919 und August 1922 Befund der gut kompen¬ 
sierten Mitralstenose mit langsamem Irreg. perp. 

Fall b): Frau B. aus H., aus arteriosklerotisch schwer belasteter 
Familie, konnte bis zu ihrem 61. Lebensjahre große Fußwanderungen 
machen. Sie war 62 Jahre alt, als sie 1916 die ersten Atembeschwerden 
und bald darauf schwere nächtliche Anfälle von Asthma kardiale bekam. 
Im Winter 1916/17 suchte sie deshalb ein Krankenhaus auf. Digipurat 
und Kohlensäurebäder brachten keine Besserung. 

Als die Kranke im Juli 1917 in Behandlung kam, bestanden alle 
Zeichen ungleicher Blutverteilung (Orthopnoe, Cyanose, Leberschwellung, 



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Kurve 4. Patientin B. aus H. Typus II (1. Stadium). 


mittelstarke Ödeme). Das Herz: Tr. 16,2; reine Töne. Pulsus irreg. 
perp., am Cor 130, an der Radialis 92. Der Urin enthielt 1,5 °/ 00 ' ; Alb. 
und spärliche granulierte Zylinder. Blutdruck 220/120 cm Wasser. 

In rascher Folge gelang es, in 7 Tagen durch 5 Strophanthin¬ 
injektionen die Ödeme auszuschwemmen und alle subjektiven Beschwerden 
zu beseitigen (vgl. Kurve 4). Da die Kranke nach Hause drängte, 
wurde sie aus der Behandlung entlassen. Indessen zeigte sich bald, daß 
doch wohl schwerere Störungen der Funktion Vorlagen, denn trotz ruhiger 
Lebensweise konnte die einmal erreichte Sufficienz nicht festgehalten 
werden, wie es bei den unter Typus 1 beschriebenen Fällen oben gezeigt 
wurde, und die Kranke kam schon nach einem Monat stark dekompensirt 
erneut in Behandlung. Der Verlauf war derselbe, wie beim erstenmal 


~ < tf mJ&eÄie- 






78 Fbaenkel u. Doll 

pensatorisch zugewachsene, sondern auch der Rest der ursprüng¬ 
lichen Reservekraft des Herzens in nicht mehr ganz reparabler 
Weise angegriffen zu sein. 

Bei diesen schwereren Graden der Herzschwäche hängt unge¬ 
mein viel davon ab, daß man sich nicht von Anfangserfolgen blen¬ 
den läßt, und daß man nicht die Wiederkehr erneuten Nachlassens 
der Herzkraft abwartet, sondern nach der eigentlichen Reparation 
des Kreislaufes über die Beseitigung des kardialen Asthmas und die 
Entwässerung hinaus mit relativer Indikation wirksame Dosen 
verabreicht. Dabei kann man allmählich die Intervalle vergrößern. 
Der subjektive Indikator ist hier der feinste. So lange der Kranke 
noch die bekannte Erleichterung nach der Strophanthininjektion 
spürt, braucht er Digitalis. 

Die jahrelange Anwendung der intravenösen Strophanthin¬ 
therapie bei Kranken aller Stadien, vor allem bei den mittel¬ 
schweren und schweren Fällen, hat uns gezeigt, daß bei Kranken 
mit schwer herzustellender Kompensation Dosen von 0,5 mg etwa 
2 mal 24 Stunden nachzuwirken pflegen. Können die Intervalle 
allmählich verlängert werden, ohne daß neue Stauungserscheinungen 
auftreten, so ist mit einer Besserung der Herzkraft und Wiederherstel¬ 
lung der Leistungsfähigkeit zu rechnen. Müssen aber zum gleichen 
Zwecke die Dosen vergrößert oder zusammengerückt werden, so 
bedeutet das eine irreparable Herzschwäche. 

Durchschnittlich sind bei dieser 2. Gruppe die Maße der trans¬ 
versalen und diagonalen Durchmesser erheblich größer als bei den 
güntiger gelagerten Formen. Sie betragen zwischen 16 und 18 cm, 
sind aber wie jene therapeutisch beeinflußbar. 

Typus 3: Dauernde intravenöse Strophanthintherapie führt 
zur Beseitigung schwerster subjektiver Beschwerden, Verlängerung 
des Lebens und Euthanasie. 

Herr v. N. aus K., stammt aus arteriosklerotisch belasteter Familie. 
Schon im 45. Lebensjahr gelegentlich auf der Jagd Herzunruhe (1905). 
1909 wegen der Herzbeschwerden untersucht. Dabei wurde der hohe 
Blutdruck festgestellt. 1910 machten tachykardische Anfälle Beschwerden. 
Seit 1912 dauernd Irregularis perpetuus; im Herbst dieses Jahres setzten 
auch Anfälle von Asthma kardiale ein. Es kam zu richtigem Lungen¬ 
ödem und Leberschwellung. Von da an nahm der Kranke Digitalis, 
schonte sich aber nur wenig, bis allmählich Wassersucht eintrat und die 
Asthmaanfälle immer schwerer und unerträglich wurden. 

Bei seinem Zugang konnte der Kranke vor Atemnot weder sitzen 
noch liegen. Er stand bis zur Ermattung auf einen Stuhl gestützt. Es 
bestand hochgradige Cyanose, Cheyne-Stokes Atemtyp und Tag und 
Nacht sich folgende Anfälle von Asthma (Status asthmaticus). Mächtig 


1 





Die intravenöse Strophanthintherapie usw. 79 

geschwollene, den Oberbauch vorwölbende Leber, Ödeme der Beine und 
hoch hinauf bis zur Thoraxmitte. Blutdruck 280 cm Wasser. Pulsus 
irregularis perpetuus von rascher Frequenz. Protodiastolischer Galopp. 
Cor: Tr. 19,2 cm. Diag. 20,2 cm. Urin bei geringer Diurese spez. 
Gew. 1023/27. Zu diesem, ohnehin lebenbedrohenden Zustand kam 
noch in den ersten Tagen seines Aufenthaltes ein rechtsseitiger Lungen¬ 
infarkt. 

Die Lage war so kritisch, daß trotz vorangegangenem Digitalis¬ 
gebrauch die intravenöse Behandlung nicht aufgeschoben werden konnte. 
Der Kranke hatte schon von der ersten Injektion große Erleichterung 
und verbesserte Atmung. Die Injektionen wurden täglich wiederholt. 
Ohne Steigerung der Diurese, lediglich durch starke Schweißausbrüche 
wurde nach 37 Injektionen von im ganzen 16,1 mg Strophanthin Ent¬ 
wässerung herbeigeführt, der Galopp verschwand, die Diurese kam in 
Gang und der Kranke konnte sich wieder im Garten bewegen. 

Es zeigte sich aber, daß der gute Zustand nur durch Fortsetzung 
der Strophanthintherapie festzuhalten war. Jeder Versuch, das Mittel 
durch Digitalismedikation per os zu ersetzen, scheiterte ebenso, wie der, 
die Intervalle zwischen den Einspritzungen zu vergrößern. Unter Mit¬ 
wirkung des Hausarztes wurden vom 15. September 1913 bis zum Tode 
am 27. September 1914 im ganzen 127 Strophanthininjektionen ge¬ 
macht in Zwischenräumen von höchstens 4 Tagen. Gegen Ende des 
Lebens konnte durch Häufung und Vergrößerung der Dosen bis zur 
täglichen Einverleibung von 0,75 mg der Kranke ohne Morphium ödem¬ 
und asthmafrei gehalten und ein leichter Tod herbeigeführt werden. 

Es handelt sich in diesen von uns zahlreich beobachteten Fällen 
durchweg umEndzustände. Krankheitsursache und Krankheitssubstrat 
sind auch hier verschiedenster Art. Hypertonische Arteriosklerosen 
überwiegen. Allen Fällen gemeinsam ist das refraktäre Verhalten 
gegen die übliche Digitalismedikation per os. Auch die leichter resor¬ 
bierbaren Körper, wie Digipurat und Verodigen machen hier keine 
Ausnahme, und dies nicht etwa nur, weil bei dem meist hepati¬ 
schen Typus der Stauung die Resorptionsbedingungen ungünstig 
sind. Selbst wenn diese nicht darniederlägen, kann man ohne 
die schAve.rsten Magendarmstörungen nicht so viel 
wirksame Substanz per os an das Herz heranbringen, 
wie es die extrem geschädigte Funktion erheischt. 
Das gleiche gilt mit Einschränkung von der rektalen Einver¬ 
leibung. Sie ist alt. In den letzten Jahren wurde sie mehr em¬ 
pirisch und im Vergleich mit der oralen Medikation (Eichhörst 
(14), Cloetta), neuerdings unter richtigem Vergleich mit der 
intravenösen Einverleibung und mit guter theoretischer Begründung 
von Erich Meyer (15) empfohlen. Sie hat bei der hepatischen 
Stauung den gleichen Vorteil der Umgehung des Pfortaderkreis¬ 
laufs und der geschädigten Leber durch den direkten Eintritt des 




80 Fbasnkbl a. Doll 

Mittels in die Vena cava, wie die intravenöse Injektion in die 
Cubitalvene, und ist gewiß geeignet, in einer Gruppe von Fällen 
zeitweise oder dauernd die intravenöse Methode zu ersetzen, wenn 
diese aus rein äußeren Gründen nicht durchführbar ist. Eine 
quantitativ exakte Methode ist sie aber wohl nicht. Auch dürfte 
es nicht möglich sein, vom Rectum aus so lange große Dosen zu¬ 
zuführen, wie es bei diesen Fällen extremer Herzschwäche nötig 
ist, um das anscheinend schon verwirkte Leben nach dem Ver¬ 
sagen aller anderen Mittel und Methoden noch ein Jahr und 
länger bis zur letzten Stunde und oft auch diese noch erträglich 
zu gestalten. 

Wichtiger als ein Wechsel der Applikationsweise ist in 
diesen Fällen vom Typus 3 die richtige Dosierung der intra¬ 
venösen Therapie. Es muß bei extremen Graden von Herz¬ 
schwäche täglich injiziert werden, und wenn die übliche Dosis von 
0,5 mg Strophantin Boehringer zu versagen beginnt, darf nicht, 
wie dies meist geschieht, Methode oder Mittel als erschöpft ange¬ 
sehen werden. Die Herzschwäche hat sich dann trotz der herz¬ 
tonischen Behandlung durch Fortschreiten des Grundleidens ver¬ 
schlimmert und verlangt eine Steigerung der Dosen. Auch hier 
ist das Digitalisbedürfnis ein Gradmesser der funk¬ 
tionellen Schädigung. Wir haben selbst gelegentlich längere 
Zeit täglich bis 0,7 mg gegeben. 

Aus einer freundlichst uns zur Verfügung gestellten Kranken¬ 
geschichte geht hervor, daß Doll (Vater), Karlsruhe, bei einer 
Kranken mit Erfolg noch größere Dosen lange Zeit gegeben hat. 
Die Kranke wurde von ihm etwa 30 Jahre lang an einem kom¬ 
pensierten Mitralfehler gelegentlich beobachtet. Sie hatte in dieser 
Zeit keine Störungen, trotzdem sie zweimal geboren hatte. In den 
letzten Jahren war Vorhofsflimmern hinzugetreten, ohne daß die 
Kompensation anfangs gefährdet wurde. Erst im 62. Lebensjahr 
trat Herzschwäche ein, die ein volles Jahr durch fast dauernden 
Gebrauch von Digitalis bekämpft wurde. Im Mai 1921 machte 
das Versagen der peroralen Medikation den Übergang zum Stro¬ 
phantin notwendig. Die Kranke erhielt von da ab anfangs Dosen 
von 0,5 täglich, und, als dies nicht genügten, steigende Dosen, 
in den letzten beiden Monaten ihres Lebens täglich 0,8 mg! Der 
Tod erfolgte nach neunmonatlicher Zufuhr von insgesamt 174,7 mg 
Strophanthin. Auch in den letzten Wochen fühlte sich die Kranke 
relativ wohl, konnte am häuslichen Leben teilnehmen und starb 
ohne Kampf. Über ähnliche Erfolge berichten Ärzte (Neumayer 



Die intravenöse Strophanthintherapie usw. 


81 


Kaiserslautern (16); F a b e r - Zweibrücken (17)), welche die, von 
einem von uns eingeleitete Strophanthinbehandlung monatelang 
erfolgreich weiterführten. 

Die nahezu absolute Insufficienz dieser Herzen vom Typus 3 
wird auch durch deren Größe illustriert. Meist begegnet man 
Durchmessern von 18—22 cm. 

Auch für die diuretischen Adjuvantien, die gerade in diesen 
Fällen auf die Dauer meist nicht zu entbehren sind, ist die Um¬ 
gehung des Magens im Interesse des Kranken und der Wirkung 
angezeigt. Auf die großen Erfolge intramuskulärer Novasurol- 
injektioneu bei gleichzeitiger intravenöser Strophanthintherapie hat 
der eine von uns hingewiesen (Doll (12)). 

Wir würdigen die berechtigte klinische Kritik (Romberg (18)) 
an der Übung vieler Ärzte, aus geringgradiger, perkutorisch oder 
röntgenologisch ermittelter Verbreiterung der Herzsilhouette auf 
Dilatation und Herzschwäche zu schließen. Dem steht schon die 
Schwierigkeit entgegen, vorgeschrittene kompensatorische Dilatation 
und die Anfänge der Stanungsdilatation voneinander zu trennen. 
Dagegen scheint uns aber doch der Vergleich zwischen Digitalis¬ 
bedürfnis und Digitaliseffekt einerseits und Transversal- resp. 
Diagonaldurchmesser des Herzens andererseits dafür zu sprechen, 
daß Relationen zwischen beiden bestehen. Während die Gruppe 1 
leichterer Schwächezustände des Herzens noch der Norm nahe 
Zahlen der Herzmaße zeigt, kommen bei der mittleren Gruppe von 
geringerer Digitalisreaktivität schon ganz erhebliche Durchmesser 
vor; exzessive Grade von über 19 cm Tr. aber erst bei den Kran¬ 
ken, die ohne Digitalis nicht mehr leben können. Natürlich müssen 
bei dieser prognostischen Beurteilung der Herzmaße die individuellen 
Verhältnisse (Geschlecht, Körpergröße usw.) berücksichtigt werden. 
Unter Gruppe 2 findet man auch die Kranken, bei denen die von 
der Wiener pharmakologisch-klinischen Schule studierte Verkleine¬ 
rung der Herzsilhouette unter dem Einfluß der Digitalis am ehe¬ 
sten nachweisbar sein dürfte (H. H. Meyer und Kaufmann (19)). 
Wenn auch mit Reserve und unter Berücksichtigung aller rönt¬ 
genologischen Fehlerquellen (Dietlen (20)) ist doch der ortho- 
diagraphischen Herzbreite eine gewisse prognostische Bedeutung 
nicht abzusprechen. 

Die Verwertung des Digitalisexperimentes zum gleichen Zwecke 
ist vielversprechender, hat aber zur Voraussetzung, daß, wie man 
sich früher ausdrückte, jeder Arzt sein Mittel kennt, d. h., daß nach 
pharmakologischen Grundsätzen möglichst quantitativ dosiert wird. 

Wir bedienen uns seit Jahren zur herztonischen Behandlung 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 6 



82 


Fbaenkel u. Doll 


fast ausschließlich der intravenösen Therapie mit Strophanthin 
(Boehringer). 1 ) Für Kranke vom Typus 3 gibt es z. Z. überhaupt 
keine andere Methode, und auch beim Typus 2, namentlich bei 
Neigung zum kardialen Asthma oder bei hepatischer Stase ist die 
Methode zuweilen absolut indiziert. Die Mehrzahl der Kranken 
dieser Gruppe und alle Fälle vom Typus 1 können auch auf dem 
peroralen Wege zur Kompensation gebracht werden. Es bedarf 
aber keines Hinweises, daß für die Differenzierung vom diagnostisch¬ 
prognostischen Standpunkt die intravenöse Methode der peroralen 
Therapie überlegen ist. 

Wenn auch die obigen Ausführungen im wesentlichen nur 
dazu dienen sollen, die absolute und relative Indikation für intra¬ 
venöse Strophanthinbehandlung, ihre Abgrenzung von der peroralen 
Medikation und vor allem ihre besondere Eignung für die Be¬ 
urteilung des Grades einer Herzschwäche zu zeigen, so ist es doch 
geboten, noch kurz an dieser Stelle auf die vielfach diskutierten 
Nebenwirkungen und Gefahren dieser Methode einzugehen. 

In den letzten Jahren sind wir, im Gegensatz zu früheren 
Beobachtungen, auf Kranke gestoßen, die nach längeren Serien von 
intravenösen Strophanthininjektionen auch bei voller therapeutischer 
Wirkung und der üblichen Dosierung lästige Nausea und sogar 
Erbrechen bekamen. Es gelingt dann keineswegs immer, durch 
Herabgehen mit den Dosen dieser einmal eingetretenen Neben¬ 
wirkung Herr zu werden, und man ist zeitweise gezwungen, die 
Dauerbehandlung zu unterbrechen. Theoretisch beweisen diese 
Fälle, daß Hat eher und Eggleston (21) Recht haben, wenn sie 
die gleichen Erscheinungen bei der oralen Medikation als zentral 
bedingt auffassen. Damit wird aber nicht etwa die lokale Reiz¬ 
wirkung im Magendarmkanal, die bei galenischen Präparaten mehr 
hervortritt, als bei Digipurat und Verodigen, aber auch bei diesen 
ganz vermißt wird, geleugnet. Nur ist kein Zweifel, daß beim zentral 
bedingten Erbrechen eine individuell verschiedene Reizbarkeit des 
Brechzentrums im Spiele ist, die wir auch sonst beobachten, und die 
sich bei jedem Digitalispräparat und jeder Applikationsweise geltend 
machen kann, sicher aber bei der intravenösen Therapie am seltensten. 

Von der Bedeutung der die Herzschwäche begleitenden Rhythmus- 

1) Strophanthin Boehringer ist das aus Strophanthus Kombe dargestellte K- 
Strophanthin. Dieses von uns auf Grund seiner pharmakologischen Eigenschaften 
bevorzugte Strophanthin (Boehringer) konnte durch das aus Strophanthus gratus 
dargestellte g-Strophanthin (Thoms) nicht verdrängt werden. Das letztere ver¬ 
bindet mit einer noch stärkeren Herzwirkung die größere Gefahr der Kumulation. 
Therapeutische und toxische Dosen liegen bei ihm zu nahe beisammen. 



Die intravenöse Strophantintherapie nsw. 


83 


Störungen war oben schon die Rede. Während sie das Eintreten 
eines vollen Digitaliserfolges nur ausnahmsweise behindert, ist 
Ihrem Auftreten während der Behandlung natürlich Beachtung 
zu schenken. Es ist dies eigentlich selbstverständlich, scheint aber, 
wie die ungünstigen Erfahrungen anderer Autoren lehren, oft nicht 
genügend beachtet zu werden. In Betracht kommt in erster Linie 
dieDigitalisbigeminie, von der Eden s (4) sagt, daß sie eine un¬ 
ökonomische Herzleistung bedingt, also das Gegenteil dessen, was 
man durch die Therapie anstrebt. Diese, jetzt vorwiegend als 
Steigerung der Reizbarkeit und Reizbildung in den tertiären Zen¬ 
tren erkannte Digitalisnebenwirkung ist zu beachten, weil sie nicht 
nur den therapeutischen Effekt bedroht, sondern auch dem Kranken¬ 
sehr lästig ist. Dagegen ist sie nicht so gefährlich, wie Edens (4) 
sie ansieht. Jedenfalls gelingt trotz ihres Auftretens es fast immer, 
durch Verkleinerung der Dosen oder Vergrößerung der Intervalle die 
Therapie durchzuführen, wobei allerdings zuzugeben ist, daß die 
Bigeminie auch schon nach kleinen Dosen auftreten kann. Das gleiche 
gilt von der harmloseren, einfachen Digit alisextrasystolie. Sie 
ist meist flüchtiger Natur und pflegt nach Herstellung der Sufficienz 
zu verschwinden, wie ja auch Digitalis das beste, wenn nicht einzige 
Mittel ist, Extrasystolen bei insufficienten Herzen zu beseitigen. 

Noch seltener sind die Leitungsstörungen durch Digitalis 
bei normalem Erregungsablauf, die sich als Systolenausfall bemerk¬ 
bar machen. Sie hindern die Digitaliswirkung nicht und sind, wie 
Weil (22) gezeigt hat, durch gleichzeitige Atropindarreichung zu 
bekämpfen. Wir beobachteten einen Kranken, bei dem ein A-C 
Intervall von 0,5 Sekunden durch 0,75 mg Atrop. sulf. sich um 
0,2 Sekunden verkürzte. 

Zuweilen hat eine energische Digitalisierung, wenn die negativ 
dromotrope Wirkung das Reizleitungsvermögen im His’schen Bündel 
zu stark herabsetzt, bei V o r h o f s f 1 i m m e r n eine exzessive Brady¬ 
kardie zur Folge. Man braucht dann nur mit den Dosen zurück¬ 
zugehen, um dadurch die Wirkung gefahrlos festzuhalten, umgekehrt 
kann auch ganz ausnahmsweise während der Digitalisbehandlung 
Vorhofflimmern erstmals auftreten. Doch hat es dann meist nur 
flüchtigen Charakter und kann durch gleichzeitige Anwendung von 
Chinidin bekämpft werden. 

Diese wichtigsten Nebenwirkungen sind aber, wie bekannt, 
allen Digitaliskörpern eigentümlich und kommen bei jeder Appli¬ 
kationsweise vor. Bei intravenöser Strophanthintherapie treten sie 
eher seltener auf und sind außerdem bei ihr leichter zu studieren 
und besser zu beherrschen. 


6* 



84 


Frabnkel u. Doll 


Noch sicherer, als diese Nebenwirkungen, lassen sich bei der 
intravenösen Strophanthinbehandlung andere Gefahren des 
Mittels und der Methode vermeiden. Alles hängt ab von der 
richtigen Dosierung und Auswahl der Fälle. Für jede der drei 
Gruppen beträgt die wirksame und übliche Tagesdosis 
0,5 mg Strophanthin Boehringer. Nur bei den schweren 
Endzuständen, bei denen man noch nicht übersieht, ob die hoch¬ 
gradig geschädigte Funktion des Herzens überhaupt noch beein¬ 
flußbar ist, wird die Tagesdosis statt auf einmal besser 2—3 Tage 
lang fraktioniert in Intervallen von 12 Stunden gegeben. Hat sich 
das Herz erst auf die Verbesserung seines geschädigten Sekunden¬ 
volumens eingestellt, so verträgt es nicht nur die üblichen, sondern 
auch erheblich höhere Dosen, wie oben gezeigt wurde. Dieses 
Vorgehen kommt einem tastenden Einschleichen gleich, hat aber 
nichts gemein mit der Methode steigender Dosen, wie sie Fahren- 
kamp(23) und ebenso Cur sch mann (24) angewandt haben, und 
wobei letzterer einen Todesfall erlebte. Das für den therapeutischen 
Effekt ganz überflüssige Steigen von Injektion zu Injektion ver¬ 
stößt gegen den kumulativen Grundcharakter aller Digitaliskörper 
und birgt die Gefahr in sich, daß die therapeutische in die toxische 
Kumulation umschlägt. Noch unvorsichtiger und gefahrvoller ist 
es, in kritischer Situation als „ultimum refugium“, wie man zu 
sagen pflegt, einem nicht vorbehandelten Herzen größere, als die 
übliche, oder gar doppelt so große Dosen zuzuführen. Auf solchem 
Vorgehen beruht gewiß der unglückliche Ausgang zahlreicher Fälle, 
wie sie Tietzen (25) und Zimmermann (26) veröffentlicht 
haben. Gaben von 1 mg sind aber nicht nur als Anfangsdosen in 
schweren Fällen zu hoch; sie reichen auch bei erwiesenermaßen 
gut reagierenden Kranken an die Grenze der Gefahr heran. Die 
Grenze der therapeutischen Einzeldosis für das 
kranke Herz dürfte zwisch 0,8 und 1,2 mg liegen. Es ist 
selbstverständlich, daß man sich unterhalb derselben bewegen muß. 

Bei Anwendung so großer Dosen dürfen die Intervalle nicht 
zu kurz gewählt werden, denn es kommt auch auf die, in einer 
bestimmten Zeiteinheit verbrauchte Gesamtmenge an. Hiergegen 
wurde vielfach gefehlt. Schon bei den ersten Versuchen am 
Menschen, als ich selbst noch 1 mg für die richtige Einzeldosis 
hielt (Fraenkel und Schwartz (27)), mußte ich erleben, wie 
nach anfänglich glänzendem Erfolg ein Kranker mit chronischer 
Nephritis und Herzschwäche im Anschluß an die dritte Injektion 
von 1 mg, die er innerhalb 17 Stunden erhalten hatte, starb. Trotz 
unserer rückhaltlosen Veröffentlichung der Versuche und der aus 
ihnen abgeleiteten Vorschrift kleinerer Einzel- und Gesamtdosen 



Die intravenöse Strophanthintherapie nsw. 


85 


wird derselbe Fehler von anderer Seite immer wieder gemacht 
(Hoepfner (28), Boos-Lewrence 29)). Auch gegen das Grund¬ 
gesetz, das schon aus theoretischen Erwägungen von Anfang an 
aufgestellt wurde, vorhergehende Digitalisierung per os bei Ein¬ 
leitung der intravenösen Behandlung zu berücksichtigen, ist noch 
vor kurzem verstoßen worden. Zimmer mann (26) verlor einen 
Kranken unmittelbar nach einer Injektion, der zuvor in 13 Tagen 
nicht weniger, als 3 g Digipurat, 30 Tropfen Tinct Stroph. und 
6 mg Strophanthin bekommen hatte, und Rahn (30) ließ sich von 
einer Digitalisbi- und Trigeminie nach vorausgegangener peroraler 
Behandlung mit unbekannten Dosen von intravenösen Strophanthin¬ 
injektionen nicht abhalten und verlor seinen Kranken ebenfalls. Es 
scheint sich in beiden Fällen um starke perorale Vorbehandlung 
gehandelt zu haben, denn die Erfahrung hat uns gelehrt, daß selbst 
längerer Gebrauch kleinerer Digitalisdosen per os in ganz dringen¬ 
den Fällen noch keine Kontraindikation gegen eine unmittelbar 
sich anschließende Strophanthinbehandlung bildet. Waren aber 
die Dosen groß und ist nicht Gefahr im Verzug, so muß an dem 
vorgeschriebenen mehrtägigen Intervall festgehalten werden. 

Bei Berücksichtigung dieser längst bekannten Grundsätze ist 
die Strophanthintherapie so ungefährlich, wie die perorale Behand¬ 
lung. Seit der letzten Veröffentlichung des einen von uns über 
die Bedeutung der Strophanthinbehandlung zur Beseitigung schwerer 
Schlaflosigkeit bei Herzinsufficienz haben wir, zum größten Teil 
gemeinsam, rund 5000 Injektionen bei Herzkranken gemacht. Außer 
geringgradigen Nebenwirkungen geschilderter Art haben wir nie 
auch nur die Andeutung einer Gefahr erlebt. Wir haben 
es längst aufgegeben, die Kranken nach der Injektion noch zu 
überwachen, wie dies anfangs üblich war, und wissen aus der 
Literatur, daß eine Komplikation, die dem Strophanthin zur Last 
gelegt werden muß, sich regelmäßig während oder unmittelbar nach 
der Injektion geltend macht. Deshalb können und dürfen auch 
jene finalen Fälle, in denen der Exitus 6 bis 14 Stunden nach der 
Injektion auftrat, nicht, wie es anscheinend immer noch geschieht, 
dem Strophanthin zugeschrieben werden. 

Aus dem weiten, nahezu das ganze Gebiet der Herzschwäche¬ 
zustände umfassenden Kreis müssen nur zwei Krankheitsformen 
ausgeschieden werden, für die sowohl bei Strophanthin, wie bei 
jeder Digitalismedikation Vorsicht geboten ist. Kranke, deren 
Coronarkreislauf geschädigt ist, und die wohl deshalb einer Ver¬ 
besserung der Herzleistung nicht mehr gewachsen sind, antworten 
gelegentlich auf größere Digitalis- bzw. Strophanthindosen mit 
stärkeren subjektiven Herzbeschwerden und richtigen Angina 



86 


Fbaenkel u. Doll, Die intravenöse Strophanthintherapie usw. 


pectoris Anfällen. Hierher gehört offenbar der von Cursch- 
mann (24) angeführte Fall 1. Nur wenn bei Coronarsklerose 
gleichzeitig Herzschwäche mit ungleicher Blutverteilung besteht, 
ist Digitalis erlaubt und geboten und wird auch Strophanthin in 
kleinen Dosen nach unserer Erfahrung ohne Stenokardie vertragen. 

Nicht durch seine direkte Wirkung auf das Herz, sondern in¬ 
direkt durch die Ödemausschwemmung sahen wir von Strophanthin 
Schaden bei Kranken mit schwerer sekundärer Schrumpfniere und 
Urämiebereitschaft. Gleichzeitig mit Verbesserung der Herztätig¬ 
keit können die urämischen Symptome in den Vordergrund treten. 

Die z. T. falsch gedeuteten Nebenwirkungen und die statt der 
falschen Dosierung dem Strophanthin als solchem zur Last gelegten 
Todesfälle, sowie eine gewisse Scheu, wie sie manchen Ärzten vor 
einer, übrigens sehr einfachen manuellen Methode eigen ist, scheinen 
trotz der zahlreichen zustimmenden Veröffentlichungen der Aus¬ 
breitung der intravenösen Therapie im Wege zu stehen. Neuer¬ 
dings haben H. H. Meyer und Freund (31) vorgeschlagen, durch 
Zusatz von Novocain die gewebsreizenden Eigenschaften des Stro¬ 
phanthins auszuschalten. Im Gang befindliche Untersuchungen 
zeigen, daß diese subkutanen Injektionen selbst bei nicht mehr 
Hydropischen nicht ganz schmerzlos sind und schon aus dem publi¬ 
zierten Falle dürfte hervorgehen, daß die Wirkung später eintritt, 
als bei intravenöser Injektion. 

Literatur. 

1. Gottlieb u. Magnus, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1901, Bd. 47. — 
2. Petrescu, Therap. Monatsh. 1891. — 3. Liebermeister, Med. Klin. 1908, 
Beiheft 8; ebenso Düll, Münchener med. Wochenschr.- 1921, Nr. 6, S. 177. — 

4. Edens, Die Digitalisbehandlung, Urban u. Schwarzenberg, 1915. — 5. Schott¬ 
in tili er, 31. Kongreß für innere Medizin, Referat über Sepsis. — 6. Mackenzie, 

, Lehrbuch der Herzkrankheiten, 1910, übersetzt von Grote. — 7. Krehl, Deut¬ 
sches Arch. f. klin. Med. 1919, Bd. 28. — 8. Fahrenkamp, Deutsches Arch. f. 
kin. Med. 1916, Bd. 120. — 9. Hei necke, Zentralbl. f. Herz- u. Gefäßkrankh. 
1921, XIII. Jahrg., Heft 9, 10, 11. — 10. Fraenkel, Münchener med. Wochen¬ 
schr. 1912, Nr. 6 u. 7. — 11. Gottlieb u. Ogawa, Münchener med. Wochen¬ 
schr. 1912, Nr. 42 u. 43. — 12. Doll, Zentralbl. f. Herz- u. Gefäßkrankh. 1922, 
XIII. Jahrg., H. 22. — 13. Moritz, Krehl-Marchand, Handb. d. allg. Path., 
2. Bd., 2. Abtlg. — 14. Eichhorst, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 118, 

5. 327. — 15. Erich Mayer, Klin. Wochenschr., Jahrg. 1, Heft 1. — 16. Neu¬ 
mayer, Münchener med. Wochenschr. 1917, Nr. 8, S. 265. — 17. Faber, 
Münchener med. Wochenschr. 1919, Nr. 26, S. 716. — 18. Romberg, Lehrbuch 
d. Herzkrankh. 3. Anfl. — 19. H. H. Meyer u. Kaufmann, Med. Klin. 1917, 
Nr. 44 u. 45. — 20. Dietlen, Herz u. Gefäße im Röntgenbild, Verlag Seb. Ambr. 
Barth, Leipzig 1923. — 21. Hatcher u. Eggleston, The Journal of Pharmak. 
and exp. Therapeutics, 1912, Bd. 4, S. 112. — 22. Weil, Deutsches Arch. f. klin. 
Med. 119. — 23. Fahrenkamp, 1. c. S. 15, Kurve 1 u. 2. — 24. Cursch- 
mann, Therap. Monatsh. 1916, Juniheft. — 25. Tietzen, Inaug.-Diss. 1914. — 
26. Zimmer mann, Inaug.-Diss. 1920. — 27. Fraenkel u. Schwartz, Arch. 
f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 57, Heft 1 u. 2. — 28. Hoepfner, Deutsches Arch. 
f. klin. Med. Bd. 92, S. 485. — 29. Boos-Lewrence, The news Heart Reme- 
dies, Interstate Medic. Journ. 1911, No. 6. — 30. Rahn, Deutsches Arch. f. klin. 
Med. Bd. 133, 1920. H. 1 u. 2. — 31. H. H. Meyer u. Freund, Deutsche med. 
Wochenschr. 1922, Nr. 37. 



87 


Aus der Medizinischen Klinik zu Heidelberg und der 
Medizinischen Poliklinik zu Rostock. 

Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten 
Stärkepräparaten. 

II. Mitteilung. 

Experimentelle Untersuchungen. 

Von 

Professor Dr. E. Grafe und Dr. Otto-Martiensen. 

Die in der ersten Mitteilung*) beschriebene günstige Wirkung 
stark gerösteter Stärkepräparate auf die Glycosurie und Acidose 
Zuckerkranker wirft wie bei den analogen Befunden beim Karamel 
eine Fülle von Problemen auf. 

Nur die wichtigsten seien hier kurz aufgezählt: Was wird aus 
der Stärke beim Rösten? Ändert sich der Nährwert? Wie ist 
die Resorption der Präparate im Körper? Was wird im inter¬ 
mediären Stoffwechsel daraus? 

Schon für das Caramel, das aus dem chemisch wohlbekannten 
Zucker entsteht, mußten wir für die meisten Fragen die Antwort 
schuldig bleiben. Erst recht gilt das für die Veränderungen der 
Stärke, deren Konstitutionsformel auch heute noch nicht klar¬ 
gestellt ist. 

In einer früheren Arbeit hat der eine von uns 1 2 ) zusammen¬ 
gestellt, was bis damals (1914) über die Chemie des Caramels be¬ 
kannt war. Inzwischen haben die wichtigen Untersuchungen von 
Pictet und seinen Mitarbeitern aus den letzten Jahren, wie es 
scheint, einen erheblichen Schritt weitergeführt und zwar sowohl 
hinsichtlich des Caramels wie der Röstprodukte der Stärke. Des- 


1) Vgl. dieses Arch. 143, 1, 1923. 

2) Dieses Arch. 116, 437, 1914. 



88 


Grafe u. Otto-Mabtiensen 


halb muß auf diese schwer zugänglichen Arbeiten hier kurz ein¬ 
gegangen werden. Pictet und Cast an 1 ) zeigten nämlich, daß 
Glucose durch Erhitzen auf 150—155° bei 15 mm Hg fast quantitativ 
in Glucosan übergeht. Die Ausbeute betrug 92 °/ 0 der Theorie, die 
farblosen Blättchen schmelzen bei 108—109°, sind sehr hygro¬ 
skopisch und schmecken bitter. Glucosan dreht stark nach rechts, 
reduziert alkalische Kupferlösung, rötet aber fuchsinschweflige 
Säure nicht. Kochen in wässriger Lösung führt zur Rückverwand¬ 
lung in Glucose. Weit beständiger und der Zuckernatur mehr ent¬ 
kleidet ist das gleichfalls von Pictet und seinen Mitarbeitern her¬ 
gestellte Lävoglucosan. 2 ) 

Man kann es durch Destillation bei 12—15 mm Hg aus Cellulose 
oder Stärke bei Erhitzung auf 200—300° als dickes gelbes Öl er¬ 
halten. Stärke geht dabei zu 40 °/ 0 in Lävoglucosan über, während 
aus Glycose, Dextrin und Maltose nur kleine Mengen erhalten werden 
können. Die Substanz dreht stark nach links, schmeckt gleich¬ 
zeitig bitter und süß. Fehling’sche Lösung wird nicht reduziert, 
Jod nicht verfärbt, auch tritt weder durch Permanganat in der 
Kälte, noch durch Brom in der Wärme eine Oxydation ein. Hefe, 
Emulsin und Maltase sind wirkungslos. Eine Hydrolyse und Ver¬ 
wandlung in a-Glucose läßt sich durch Kochen mit verdünnter 
Schwefelsäure erreichen, während verdünnte Salpetersäure zur Oxal¬ 
säurebildung führt. Durch Erhitzen der Glucosane mit Zinkchlorid 
bei 135—140° entstehen unter gewöhnlichem Druck Polymerisations¬ 
produkte, von denen Am6 und J. Pictet bisher Tetraglycosan 
und Tetralävoglycosan hergestellt haben. 

Wenn es auch sicher ist, daß bei der Röstung von Zucker 
sowie von Stärkearten eine große Menge der verschiedensten Sub¬ 
stanzen entstehen, die zahlreiche Zwischenprodukte zwischen den 
unveränderten Kohlehydraten und vielleicht sogar amorpher Kohle 
darstellen, so besteht doch eine große Wahrscheinlichkeit, daß die 
von Pictet und seinen Mitarbeitern hergestellten Substanzen 
oder deren nächste Verwandte einen großen wenn nicht den größten 
Teil dieser Zwischenstufen darstellen. 

Jedenfalls eröffnet sich hier die Aussicht, durch biologische 
Untersuchung solcher chemisch wohlcharakterisierter innerer An- 

1) Compt. rend. de l’Acad. des scienc. 171, 1920. Helv. chim. act. 3, 640, 
1920 und 4, 319, 1921 ref. Chem. Centralbl. 1920, III, 621 und 879. 

2) A. Pictet u. J. Sarasin, Compt. rend. 166, 38, 1918. Helv. chim. act. 
1, 87, 1918. A. Pictet u. Cramer, ebenda 3, 640, 1920, ref. Chem. Centralbl. 
IH, 878, 1920. 



Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkepräparaten. 89 


hydride des Zuckers bzw. der Stärke vorwärts zu kommen. Studien 
in dieser Richtung sind von uns bereits begonnen. Wegen der 
Schwierigkeit der Materialbeschaffung können sie aber nur lang¬ 
sam fortschreiten. 

Wenn wir somit hinsichtlich der Kenntnis der Art der che¬ 
mischen Umwandlungen, welche die Stärke beim starken Rösten 
erfährt, noch ganz im Anfang stehen, können wir über die energe¬ 
tischen Veränderungen heute schon sichere Angaben machen. Wie 
zahlreiche Verbrennungen in der Berthelot’schen Bombe ergaben, 
nimmt der Kaloriengehalt der Röstpräparate annähernd entsprechend 
dem Wasserverlust zu. 

Folgende Beispiele für verschiedene Präparate mögen das 
illustrieren. 

Tabelle 1. 

Reis: 1 g roh (wasserfrei) 1 g geröstet (wasser- u. fettfrei) 

4387,9 cal. 4846,0 cal. 

4301,2 „ 4883,9 „ 

4974,0 „ 

4944,0 „ 

Toast: 1 g (wasser- u. fettfrei) 

4324.6 cal. 

4322.2 „ 

4336.3 „ 

4344.4 „ 

4254.7 „ 

Je nach der Art der Herstellung finden sich gewisse Differenzen, 
aber sie bewegen sich nur in mäßigen Grenzen und die Tatsache, 
daß die Zunahme ähnlich wie beim Caramel annähernd dem Ge¬ 
wichtsverlust beim Erhitzen des Substanz behufs Röstung entspricht, 
deutet darauf hin, daß es sich bei der Veränderung wohl im 
wesentlichen um hydrolytische Prozesse handeln muß, bei denen 
die Wärmetönung sich nur unerheblich verändert. Die Zahlen 
sprechen auch auf das Deutlichste dagegen, daß etwa eine völlige 
Verkohlung eingetreten ist, denn der Brennwert der Kohle*) liegt 
bei 7—8000 Kalorien, nur die Braunkohle hat erheblich niedri¬ 
gere Zahlen. 

Wir erwähnen dies nur, weil Lichtwitz in der Diskussion 
zum Vortrage des einen von uns 1 2 ) die seltsame und unzutreffende Ver- 

1) Vgl. die Tabellen von Bornstein u. Landolt (Coks 2 B. 6900 Cal. 
Anthricit 8400). 

2) Verh. d. 33. Kongr. f. inn. Med. S. 249, 1921. 



90 


Grape u- Otto-Martiknsen 


mutung äußerte, daß die gute Wirkung der gerösteten Kohlehydrate 
auf ihrer weitgehenden Umwandlung in Kohle beruhen könnte. 

Um ein Bild von der Güte der Ausnutzung der Röstprodukte 
zu erhalten, wurden in mehreren Fällen exakte Ausnutzungsversuche 
vorgenommen, für welche Tabelle 2 Beispiele bringt. 


Tabelle 2. Ausnutzungsversuche. 




Stuhl 

Der lufttrockene Stuhl enthält: 

AU8- 

Patient 

Kohlehydrat¬ 

einfuhr 

naß 

g 

luft- 

trok- 

keu 

g 

H 2 0 

Ol 

Io 

Fett 

0 / 

Io 

Ei¬ 

weiß 

°/o 

Eestkohle- 

hydrat 

°/o | g 

nut- 

zung 

in % 

E. 

500 g Toast 
(in 2 Tagen) 

402 

335 

10,0 

27,1 

20,0 

42,9 

143,72 

71,25 

Z. 

(Uystitis) 

450 g Toast 
(in 2 Tagen) 

56,1 

31,8 

5,65 

17,07 

29,63 

47,65 

15,15 

96,6 

K. (Gut¬ 
achten) 

350 g Toast 
(in 2 Tagen) 

396 

107,5 

7,37 

15,55 

30,5 

56,58 

60,82 

82,7 

P. (Diph¬ 
therie) 

600 g Reis 
(in 3 Tagen) 

? 

165,5 

6,05 

11,80 

36,69 

45,46 

75,24 

87,5 

Kr. 

(Dem. 

1400 grobe 

4X =160 g 

^ (geröstete 









praecox) 

480 

95 

8,! 

17 ,4 

30,8 

43,7 

41,4 

93,5 

J Kartofi. 






= 640 g ger. 
Kost in 4 Tagen 





1 





Da eine quantitative Methode zur Bestimmung der Stärke nebst 
ihrer Röstprodukte nicht existiert, wurde in der Weise vorgegangen, 
daß in der Nahrung die zu prüfende Substanz (Toast, gerösteter Reis, 
geröstete Kartoffeln usw.) als einzigstes Kohlehydrat neben Fleisch, Käse, 
Speck, Bouillon, Eier gegeben wurde, nur vereinzelt kam etwas Salat 
oder Mehl hinzu. Dann wurde in der durch Carmin abgegrenzten 2—4- 
tägigen Versuchsperiode der Kot getrennt von Urin quantitativ aufge¬ 
fangen und in üblicher Weise auf dem Wasserbad unter schwachem An¬ 
säuern eingedampft, zermahlen, und in dem Pulver H 2 0, Fett und Ei¬ 
weiß (N><6)25) bestimmt. Die Menge Trockensubstanz, welche nach 
Abzug von Fett und Eiweiß übrig blieb, wurde als nicht resorbierter 
Rückstand der gerösteten Kohlehydrate angesehen. Das ist streng ge¬ 
nommen nicht richtig, da sie außerdem Salze, Aminosäuren und Rest¬ 
substanzen verschiedenster Art enthält. Die Rückstände der Röstpro¬ 
dukte sind deshalb tatsächlich etwas kleiner, doch wählten wir absicht¬ 
lich diese Berechnung, weil so für uns ungünstigere, maximale Werte 
herauskommen. 

Wie die Zahlen im letzten Stab zeigen, war die in der skizzierten 
Weise bestimmte Ausnutzung sehr gut. Sie schwankte zwischen 
71,25 und 96,9 °/ 0 , im Durchschnitt waren es 86,3 °/ 0 . 






Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkepräparaten. 91 

Die relativ schlechte Ausnutzung im ersten Falle hat darin 
ihren Grund, daß bei diesem schweren Falle von echtem Pankreas¬ 
diabetes (vgl. die Krankengeschichte in der 1. Mitteilung) durch 
weitgehende Nekrose auch die äußere Sekretion der Drüse stark 
gelitten hatte, was vor allem auch in dem hohen Fettgehalt des 
Stuhles zum Ausdruck kam. 

Aus den geschilderten Untersuchungen geht hervor, daß */ 4 — 19 ' 20 
der gerösteten Kohlehydrate im Stuhl nicht wiedergefunden werden. 
Ein kleiner Teil mag durch Bakterien zersetzt sein, aber quanti¬ 
tativ dürfte die Menge wohl kaum in Betracht kommen, da ähn¬ 
lich wie beim Caramel auch die Röstprodukte der Stärke das Bak¬ 
terienwachstum hemmen, was auch in dem kaum fäkulenten Geruch 
der Stühle zum Ausdruck kommt. 

In welcher Weise der Abbau und demgemäß die Resorption 
im Darme erfolgt, ist vorläufig noch unbekannt. Soweit die Stärke 
noch unverändert bleibt, kommt es natürlich unter dem Einfluß 
der Pankreasdiastase zur hydrolytischen Spaltung und Resorption 
als Zucker. Die durch Röstung veränderte Stärke scheint dagegen 
weder durch Diastase noch durch Hefe noch durch Trypsin spalt¬ 
bar zu sein. Da die Röstprodukte zum großen Teil wasserlöslich 
sind, bei der Satrose, einem von Schering hergestellten Röstmehl 
des Weizens z. B. zu 40—60 °/ 0 , so besteht die Wahrscheinlichkeit, 
daß diese als solche resorbiert werden. Bei dem nicht wasserlös¬ 
lichen Rest müssen wohl noch andere Umwandlungen vorher vor 
sich gehen. Auch hier kann hoffentlich das Studium der Glucosane 
eine gewisse Aufklärung bringen. Vollends in Dunkel gehüllt ist 
das Schicksal der resorbierten Stoffe im intermediären Stoffwechsel. 

Um hier gewisse Anhaltspunkte zu bekommen, stellten wir bei 
einzelnen Diabetikern vor und nach Darreichung der gerösteten 
Kohlehydrate mehrstündige Respirationsversuche in dem fon dem 
einen von uns näher beschriebenen Apparate *) an, in der Hoffnung, 
eine spezifisch-dynamische Wirkung oder Veränderungen im respi¬ 
ratorischen Quotienten zu finden. Wir verwandten dabei möglichst 
schwere Diabetiker, die teils durch die Schwere ihrer Krankheit, 
teils durch längere Kohlehydratkarenz sehr niedrige Nüchtern¬ 
quotienten boten. 

In Tabelle 3 sind die diesbezüglichen Versuche zusammen¬ 
gestellt. 

1) Vgl. E. Grafe in Abderhaldens Handbuch der Biologischen Arbeits¬ 
methoden Abt. IV, T. 10, Lief. 102, 1923. 



92 


Grafe u. Otto-Martiensen 


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! 0,779 
0,774 
0,835 

0,778 

0,762 

0,739 

0,760 

t» Da 

05 TF 

CD 

ö'o“ 

0,716 

0,753 

0,691 

0,738 

ccm 

o 8 

j pro 

1 kg 
u. 1‘ 

3,588 

3,505 

3,286 

3,98 

3,582 

3,832 

3,687 

X 

So 

4,865 

4,878 

5,129 

6,892 

| 

ccm 
C0 8 
imVer- 
such 
pro kg 
u. 1* 

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3,096 

2,728 

2,833 

2,803 

2,799 

3,044 

3,481 

3,675 

3,542 

5,086 

Dauer 

des 

Resp.- 

Vers. 

Std. 

CO CO Dl 

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M 610 


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cd 



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Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkepräparaten. 93 


Es handelt sich um 4 Versuche mit Toast und außerdem noch 
um 2 Vergleichversuche mit caramelisiertem Rohrzucker. Wir 
wählten darum den Toast, weil hier eine weitgehende Röstung 
auch ohne Zusatz von Fett möglich ist. Fettfreiheit ist aber zur 
Gewinnung klarer Resultate notwendig, da der niedrige respirato¬ 
rische Quotient bei Fettverbrennung (0,707) eventuelle Steigerungen 
durch die geröstete Stärke maskieren könnte. Die Ergebnisse sind, 
ähnlich wie bei den früheren Beobachtungen mit Caramose, hin¬ 
sichtlich der respiratorischen Quotienten nicht eindeutig. Dreimal 
ist es zu einer ausgesprochenen Steigerung (bis maximal 0,056) ge¬ 
kommen, im 1. Versuche allerdings erst in der 2. Versuchshälfte. 
Im 2. Versuche resultierte dagegen ein geringfügiger Abfall 
(— 0,012), der wohl noch fast in die Fehlergrenze der Methode 
hineinzurechnen ist. Jedenfalls liegt hier im Gegensatz zu den 
anderen Versuchen keine Steigerung vor. Allerdings ist zu be¬ 
denken, daß bei längerer Dauer der Nüchternheit der Wert des 
respiratorischen Quotienten dem Fettwert 0,707 sich mehr genähert 
hätte, so daß im Vergleich dazu vielleicht doch eine gewisse Er¬ 
höhung auch in diesem Falle eingetreten ist. Die meist vorhande¬ 
nen Erhöhungen beweisen zweierlei. Erstens, daß die Röstprodukte 
mindestens zu einem großen Teile im intermediären Stoffwechsel 
verbrannt sind, weil unverändertes Mehl bei derartigen Kranken 
keine Änderung zu machen pflegt (vgl. z. B. Rolly 1 )). Zweitens 
aber können die verbrannten Stoffe, falls es zu einer vollständigen 
Oxydation gekommen ist, nur z. T. innere Anhydride der Stärke 
gewesen sein, denn der respiratorische Quotient der letzteren müßte 
genau wie bei dem Ausgangsmaterial 1,0 sein. 

Etwas anders fielen kurzdauernde Versuche mit dem Schering- 
schen Röstmehlpräparat Satrose aus. Herr Prof. A. Loewy-Davos 
hat derartige Untersuchungen mit der Zuntz-Geppert’schen Methodik 
angestellt und uns seine Protokolle darüber in liebenswürdiger 
Weise für diese Arbeit zur Verfügung gestellt, wofür wir ihm zu 
großem Dank verpflichtet sind. 

Tabelle 4 bringt einen solchen Versuch. Aus ihm geht her¬ 
vor, daß hier eine geringe allerdings bald vorübergehende spezifisch¬ 
dynamische Wirkung in 1—2 Stunden nach Darreichung von 90 g 
Mehl in die Erscheinung tritt (der 0 2 -Verbrauch steigt von 178,56 ccm 
pro 1 Min. und kg auf max. 193,29 ccm pro 1 Min. und kg). Viel 
stärker und langdauernder ist aber der Einfluß auf den respirato- 


1) Deutsches Arch. f. klin. Med. 105, 494, 1912. 



94 


Gbafe u. Otto-Martiensen 


rischen Quotienten, der während der ganzen Versuchszeit um ca. 
0,1 höher lag wie im Nüchternzustand (Steigerung von 0,783 auf 
max. 0,9031). Um das von dem einen von uns früher festgestellte 
wechselnde Bild des Einflusses caramelisierten Zuckers 1 ) klarer 
herauszuarbeiten, bringen wir noch 2 Versuche mit geröstetem 
Rohrzucker. In Übereinstimmung mit den meisten früheren Be¬ 
obachtungen und den Befunden bei Toast ist auch hier die Steige¬ 
rung R Q sehr deutlich ausgesprochen, während eine sichere spezi¬ 
fisch dynamische Wirkung auch hier fehlt. Die Steigerung im 
2. Versuch ist wohl der Hauptsache nach, wenn nicht ganz auf die 
motorische Unruhe der Kranken zurückzuführen. Stärkere Steige¬ 
rungen wurden früher nur bei sehr großen Dosen (300 g) beobachtet. 


Tabelle 4. 

Zuntz-Geppertversuche von A. Loewy nach Aufnahme von Satrose. 



Atmvol. 

In Exspirationsluft 

pro Min. ccm 


Bemerkungen 

pro Min. 

co 2 °/ 0 

0 2 -Defizit 

C0 2 -Aus- 

0, Ver¬ 

RQ 


ccm 

0/ 

Io 

scheidung 

brauch 


1. Normalversuch 
Verzehrt 90 g des 
Mehls, d. h. 9 l l0 des 
Brejes um 10 40 bis 

1QM h 

3578,4 

3,905 

4,99 

139,73 

178.56 

0,7826 

2. Versuch ll 30h = 
s / 4 Std. nach Mahlzeit 

4116,1 

4,105 

4,69 

168,97 

193,05 

0,8753 

3. Versuch ll 40h , 

4229,5 

4,08 

4,57 

172,56 

193,29 

0,8928 

d. h. ca. 1 Std. nach 
Mahlzeit 







4. Versuch 12 80h , 
d. h. 2 Std. nach 
Mahlzeit 

4038,7 

4,10 

4,54 

165,59 

183,36 

0,9031 






5. Versuch l 00h , 
d. h. 2 ■/«, Std. nach 
Mahlzeit 

3945,2 

3,905 

4,46 

154,06 

175,95 

0,8756 

6. Versuch l 50h , 
d. h. 3 Std. nach 

3691,4 

4,11 

4,79 

151,72 

176,82 

0,858 

Mahlzeit 







7. Versuch 2 8h , d. h. 
3‘/ 4 Std. nach Mahl¬ 
zeit 

3671,5 

4,22 

4,74 

154,90 

174,03 

0,8903 


1) Grafe, 1. c. 






Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Stärkepräparaten. 95 

Erwähnt sei, daß prinzipielle Unterschiede hinsichtlich der Wir¬ 
kung auf den Gaswechsel zwischen Gesunden und Diabetikern 
früher nicht festgestellt werden konnten. Das spricht dafür, daß 
das Caramel auch im diabetischen Organismus nicht wesentlich 
anders verarbeitet wird wie beim Gesunden. Am erstaunlichsten 
ist, daß auch hier die respiratorischen Quotienten nie sich der Ein¬ 
heit näherten. In einem Falle war er z. B. nach 250 g Caramose 
von Merck nur 0,797. 

Um den zu erwartenden respiratorischen Quotienten berechnen 
zu können, wurden von verschieden wasser- und zuckerfreien 
Caramelpräparaten, die teils von uns selbst bereitet, teils von der 
Firma Merck uns in liebenswürdiger Weise hergestellt wurden, 
Elementaranalysen gemacht. Die Zusammensetzung von 6 derarti¬ 
gen Präparaten, deren Zahlen wir hier als Beispiele geben, waren 
folgende: 


Nr. 1 Präparat Merck II 

n 2 „ „ III 

„4 „ Nr. P. (dialysiert) 

* 6 » IV „ 

» 7 „ Nr. B „ 

„8 „ n C „ 

C 

45,87 0 io 

42,32 „ 
43,34 „ 
42,85 „ 
45,46 „ 
44,90 „ 

H 

6,20 o/„ 

6,37 „ 
6,64 „ 
6,23 „ 
6,44 „ 
6,14 „ 

o 2 

47,93« /o 
51,31 „ 
50,00 „ 
50,92 „ 
48,10 „ 
48,96 „ 

Zusammensetzung der Caramelprä¬ 




parate im Durchschnitt 

44,12 % 

6,34 o/ 0 

49,54 o /o 

Zusammensetzung des Glycogens 




(C 0 Hi O O 5 )n 

44,42 „ 

6,22 „ 

49,36 „ 


Der Vergleich der durchschnittlichen Zusammensetzung der ver¬ 
schiedenen Caramelpräparate, gleichgültig, ob sie dialysiert oder 
nicht dialysiert waren, mit der Elementaranalyse der Stärke 
(Glycogen) ergibt eine so weitgehende Übereinstimmung, daß auch 
dem Caramel annähernd die gleiche empirische Formel zukommt, 
so daß auch hier Anhydride des Zuckers vorliegen müssen. Der 
respiratorische Quotient ist bei vollständiger Verbrennung auch 
ungefähr 1,0. Bei unseren Mehlen haben wir entsprechende Ana¬ 
lysen nicht durchgeführt, doch zweifeln wir nicht daran, daß hier 
annähernd gleiche Zahlen erhalten werden. Für den wasserlöslichen 
N-freien Teil der Satrose beträgt nach liebenswürdiger Mitteilung 
von Herrn Dr. D o h r n von der Firma E. Schering die Zusammen¬ 
setzung: 41—42°/ 0 C, 6,2 °/ 0 H, 51,8—52,8 °/ 0 0 2 . 

Wir stehen somit der zunächst schwer deutbaren Tatsache 
gegenüber, daß die gerösteten Kohlehydrate im Organismus des 
Menschen — und für gesunde und phloridzinvergiftete Tiere gilt, 



96 Gbafe u. Otto-Mabtiensen, Über die Behandlung Zuckerkranker usw. 


wie an anderer Stelle gezeigt werden soll, das Gleiche — 
andere Gaswechselwerte ergeben, wie sie nach der Formel zu 
erwarten waren. Es kann das die verschiedensten Gründe haben. 
Zunächst könnte die Resorption dieser Substanzen im Darme viel 
langsamer vor sich gehen wie bei gewöhnlichen Kohlehydraten, 
die als Zucker entweder gleich oder nach vorheriger hydro¬ 
lytischer Spaltung rasch resorbiert werden, dann würde die Wir¬ 
kung auf den respiratorischen Quotienten in viel schwächerer, da¬ 
für aber länger sich hinstreckender Steigerung sich geltend machen, 
oder aber die Präparate erfahren schon im Darme eine starke Ver¬ 
änderung. Daß letzteres eine größere Rolle spielt, möchten wir 
nicht annehmen, da die Röstpräparate außerordentlich widerstands¬ 
fähig gegen Fermente aller Art sind und wie frühere Reagensglas¬ 
versuche zeigen, auch durch Bakterien, deren Wachstum meist sehr 
ungünstig beeinflußt wird, nur schwer und langsam angegriffen werden. 

Gerade diese Beobachtungen sowie die Tatsache, daß die Röst¬ 
produkte zum großen Teil dialysabel sind, vom Ultrafilter zurück¬ 
gehalten werden und darum wahrscheinlich nicht sehr rasch durch 
die Darmwand hindurchtreten können, sprechen für die erste Alter¬ 
nation. Vielleicht führen hier länger dauernde Respirationsver¬ 
suche und vor allem Zuckerbestimmungen im Pfortaderblut weiter. 
Für Untersuchungen in letzterer Richtung genügt aber nicht die 
Analyse mit einer gewöhnlichen Reduktionsmethode, sondern es 
müssen, da bei der Caramelisierung Substanzen entstehen, die redu¬ 
zieren, aber nicht vergären, Reduktionsfähigkeit und wahrer Blut¬ 
zucker nebeneinander bestimmt werden, wozu der eine von uns 
mitLanghans eine geeignete Mikro-Methode ausgearbeitet hat. 1 ) 

Des weiteren ist festzustellen, ob die Röstprodukte Glycogen- 
bildner sind. Eine eben erschienene Arbeit von Laquer 2 ) aus 
Embdens Institut spricht nicht dafür, denn die Milchsäurebildung 
im Muskel nach Caramosezufuhr nahm kaum zu. Immerhin könnte 
die Leber sich hier anders verhalten. 

Ganz besonders wichtig sind hier überall, wie schon oben er¬ 
wähnt, Versuche mit dem chemisch wohl definierten Lävoglucosan. 

In den kurz skizzierten verschiedenen Richtungen soll ver¬ 
sucht werden, das große Dunkel, in das vorläufig noch das Schicksal 
der gerösteten Kohlehydrate im normalen und diabetischen Orga¬ 
nismus gehüllt ist, aufzuhellen. 

1) Vgl. Naturforsch, u. Mediz. Gesellsch. zu Rostock. Sitzung vom 8. II. 
1923. Protokoll Münchener med. Wochenschr. S. 82, 1923 u. G. Langhans, 
Versuche zur Mikrobestimmung des wahren Blutzuckers vermittels Gährung. 
Inaug.-Diss. Rostock 1922. 

2) Zeitschr. f. phys. Chem. 122, 26, 1922. 



97 


Aas der medizinischen Klinik za Heidelberg. 

Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten 

Kohlehydraten. 

III. Mitteilung. 

Blutzuckeruntersuchungen. 

Von 

Dr. H. Magin und Dr. K. Turban 

ehern. Vol.-Assist. der Klinik früher Assistent der Klinik. 

(Mit 2 Kurven.) 

Um die von E. G r a f e *) festgestellte und von anderen Seiten 
bestätigte merkwürdig günstige Wirkung stark gerösteter Kohle¬ 
hydrate auf Glycosurie und Acidose in ihrem Mechanismus weiter 
aufzuklären, sind Blutzuckerbestimmungen dringend erforderlich. 
Or. de B1 o om e- Amsterdam nahm im Sommer 1914 an der hiesigen 
Klinik bereits derartige Untersuchungen mit Caramel in Angriff, 
doch konnten sie wegen des Kriegsausbruches nicht zum Abschluß 
gebracht werden. Immerhin ging schon aus ihnen hervor, 2 ) daß 
der Blutzuckeranstieg bei weitem nicht so stark ist, wie bei unver¬ 
ändertem Zucker, und auch meist rascher abklingt. Nach dem 
Kriege nahmen wir die Versuche wieder auf und dehnten sie auch 
auf geröstete Stärkearten aus. 

Zur Verwendung kam die Bang’sche Mikromethode, mit der stets 
2 bis auf 0,01 °/ 0 übereinstimmende Doppelbestimmungen vorgenommen 
wurden. Die Untersuchungen wurden morgens früh nüchtern angestellt. 
Im unmittelbaren Anschluß an die ersten Bestimmungen bekamen dann 
die Kranken 75—150 g geröstete Kohlehydrate: Caramel, in der von 
Grafe angegebenen Weise dargestellt oder in Form der Merck’schen 
Caramose, oder stark geröstete Haferflocken, Gries, Reis, Kartoffeln. Die 

1) Münchener med. Wochenschr. 1433, 1914. Deutsches Arch. f. klin. Med. 
116, 437, 1914. Verh. d. Kongr. f. Innere Med. S. 249, 1921, siehe auch die beiden 
vorhergehenden Mitteilnngen in diesem Archiv. 

2) Vgl. Grafe, Deutsches Arch. f. klin. Med. 116, 460, 1914 u. den Versuch 
Nr. 8 in Tab. I auf S. 98 u. 99 dieser Arbeit. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 7 



98 


Maoin u. Turban 


Tabelle I. Blutuntersuchungen 


Vers.- 

Nr. 



Charakteristik 
des Falles 

Caramel- 

zufuhr 



Datum 

Name 

nüch¬ 

tern 

l u Std. 
n. 

Mahlz. 

1 

24. I. 20 

Irma H. 

Bei Aufnahme 5°/ 0 
Zucker. Aceton u. Acet- 
essigs. -j—Zucker¬ 
frei entlassen mit Toler. 
f. 40 g Brot 

150 g 
caramel. 
Zucker 

0,210 

0,339 

2 

5. II. 20 

Mathilde Z. 

Anfangs 0,5% Zucker, 
Spur Acetessigs. Mit 
0,5 °/ 0 entlassen bei 
150 g Brot u. 200 g 
Kartoffeln 

n 

0,096 

0,102 

3 

18. IV. 20 

Engelhard S. 

Anfangs 4 °/ 0 Zucker. 
Spur Aceton. Entlassen 
mit Spur Zucker bei 
50 g Brot 

100 g 

caramel. 

Zucker 

0,200 

0,262 

4 

9. X. 20 

Anna W. 

Anfangs 5 % Zucker. 
Aceton u. Acetessigs. -)-. 
Entlassen völlig frei 
bei 100 g Brot 

n 

0,239 

0,285 

5 

20. X. 20 

Simon H. 

Immer 1—5°/ 0 Zucker. 
Wurde nie zuckerfrei. 
Komplikation: Lungen¬ 
gangrän 

150 g 
caramel. 
Zucker 

0,150 

0,284 

6 

17. II. 21 

Emil Sch. 

Anfangs ca. 2 °/ 0 Zucker 
ohne Aceton. Dann bei 
200 g Brot zuckerfrei 

200 g 

caramel. 

Zucker 

0,166 

0,250 

7 

17. II. 21 

Ferdin. K. 

Anfangs 2—3% Zucker, 
Spur Aceton, dann bei 
120 g Brot zuckerfrei 

100 g 

caramel. 

Zucker 

0,211 

0,244 

8 1 ) 

15. IV. 14 

Emil Schu. 

Anfangs 3—4 °/ 0 Zucker, 
Aceton u. Acetessigs. 
Dann bei 100 g 
Brot völlig frei 

150 g 
caramel. 
Zucker 

0,14 

I 

V* Std. 
0,17 


Bereitung geschah in der in der ersten Mitteilung näher beschriebenen 
Art. In den meisten Fällen wurde am Vor- und Nachtage die Wirkung 
der gleichen Kohlehydratarten im gekochten Zustande auf den Blut¬ 
zucker vergleichend festgestellt. Die Blutentnahmen geschahen meist 
nach 1 / 4 , 1 / 2 , 1, 2—3, 6 und 9 Stunden nach Beendigung der möglichst 
rasch erfolgenden Nahrungsaufnahme. Während der gleichen Yersuchs- 
abschnitte wurde der Zuckergehalt in den entsprechenden Urinmengen 

1) Diese Untersuchung wurde von Herrn Dr. d e ß lo o m e-Amsterdam schon 1914 an¬ 
gestellt. Für die Überlassung der Resultate sind wir ihm zu großem Danke verpflichtet. 









Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Kohlehydraten. 99 


nach Caramelzufuhr. 


Blutzuckergehalt °/ 0 

Harn- 
zucker- 
titer °/o 


v, Std. 

n. M. 

1 Std. 
n. M. 

2 Std. 
n. M. 

4 Std. 
n. M. 

nüchtern 
a. folgen¬ 
den Tage 

V. Std. 
n. M. 

1 Std. 
n. M. 


Be¬ 

merkungen 

0,348 

0,336 

0,298 

0,212 

0.198 




0,2 

zuckerfrei 

0,117 

0,136 

— 

0,108 





0,3 

zuckerfrei 

0,243 

0,199 

0,205 

0,194 

0,208 

0,267 

0,246 


0,2 

hat a. folgen¬ 
den Tage 8 g 
Zucker erh. 
Zuckerfrei 

0,265 

0,268 

0,245 

0,212 

0,211 




0,2 

zuckerfrei 

0,298 

0.315 

0,295 

0,320 

0,295 




1,5 

fieberte 

(Lnngen- 

gangrän) 

0,283 

0,195 

0,168 

0,136 





0 

zuckerfrei 

0,297 

0,351 

0,296 

0,174 





0 

zuckerfrei 

*/* Std. 
0,15 

1 Std. 
0,175 

17« St 
0,195 

1*/« st. 
0,185 

2 Std. 
0,15 

27 * St. 
0,18 

2'/, St. 
0,16 

7 Std. 
0,16 

1 

zuckerfrei 


prozentual und absolut titrimetrisch mit der Maquenne’schen Methode 
festgestellt. 

In den Fällen, in denen der Hunger schlecht vertragen wurde, 
waren mittags kleine Mengen sehr kohlehydratarmer Gemüse ge¬ 
stattet, im übrigen unterblieb während der Untersuchungen jede 
Nahrungsaufnahme. 

Die Ergebnisse der Blutzuckerbestimmungen nach Caramel¬ 
zufuhr finden sich in Tabelle I zusammengestellt. Sie umfassen 

7* 




100 


Magin n. Turban 




Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Kohlehydraten. 101 


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R 

R 

R 

R 

R 

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102 


Magin u. Turban 


8 Reihen an 8 verschiedenen Kranken. Um auch flüchtige Steige¬ 
rungen zu fassen, wurden die ersten Bestimmungen hier regelmäßig 
schon 1 j l —Va Stunde nach Einnahme des in Kaffee oder Tee auf¬ 
gelösten Caramels vorgenommen. Tatsächlich beginnt der Anstieg 
schon sofort. Er erreicht vereinzelt (vgl. Nr. 3 und 4) schon nach 
1 l i Stunde, meist aber erst in der 2. halben Stunde den Gipfel. 
Schon in der 2. Stunde sind manchmal die Nüchternwerte wieder 
ungefähr erreicht (Nr. 3, 4, 6). Nach 4 Stunden spätestens hat 
der Blutzuckerspiegel in der Regel wieder den Ausgangspunkt 
erreicht oder hat ihn häufig (Nr. 3, 4, 6, 7, 8) sogar unterschritten. 
Eine auffallende Ausnahme davon machte nur der Kranke Simon 
(Nr. 5), doch bestand hier eine Komplikation mit Lungengangrän 
und hohen Temperatursteigerungen in den Mittagsstunden. Die 
höchste festgestellte Steigerung war 0,13 °/ 0 (Nr. 1 und 7), wenn 
wir den eben besprochenen Fall Nr. 5 mit seinen Besonderheiten 
fortlassen; minimal waren es 0,04—0,045 (Nr. 2, 4, 8). Im ganzen 
hat es den Anschein, als ob die Steigerungen nm so stärker aus- 
fallen und um so länger andauern, je schwerer die Lage des Einzel¬ 
falles ist. In allen Fällen bleiben die Steigerungen gewaltig zurück 
hinter den Ausschlägen nach ähnlich hohen Traubenzuckergaben. 
Um unsere Kranken nicht zu schädigen und weil die Verhältnisse 
ja durch zahlreiche frühere Arbeiten bekannt sind, haben wir von 
solchen Versuchen Abstand genommen. Nur bei dem Kranken 
Engelhard S. (Nr. 3) wurde am folgenden Tage der Einfluß von 
8 g Traubenzucker auf den Blutzuckergehalt geprüft. Wir wählten 
gerade diese Menge, weil das Reduktionsvermögen des verwandten 
Caramels 8°/o betrug bei einem Gehalt an gärfähigem Zucker 
von 1 °/ 0 . Es ergab sich nun die interessante Tatsache, daß 8 g 
Traubenzucker fast die gleiche Einwirkung auf den Blutzucker¬ 
gehalt haben, wie 100 g Caramel, so daß der Gedanke nahe liegt, 
daß auch beim Caramel die Blutzuckersteigerung lediglich auf dem 
Gehalt an reduzierender Substanz beruht. Ob diese Vermutung 
richtig ist und ob es sich dabei um echten Zucker im Blut oder 
den Übertritt anderer nicht zuckerhaltiger Substanzen handelt, muß 
noch durch weitere, besondere Untersuchungen entschieden werden. 

Tabelle II bringt die Resultate von 14 Blutzuckerprüfungen 
vor und nach Zufuhr der wichtigsten Stärkearten, die meist hinter¬ 
einander in gewöhnlicher Zubereitung und nach vorheriger starker 
Röstung genossen wurden. Wie es nach den Harnbefunden von 
vornherein zu erwarten war, finden wir hier auch im Blute 
meistens deutliche Anstiege der Zuckerwerte und vor allem ein 



Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Kohlehydraten. 103 

langsames Absinken zur Nüchternbasis. Dabei besteht ein prin¬ 
zipieller und dabei meist sehr erheblicher Unterschied zwischen 
den Werten nach Aufnahme gekochter und nach Darreichung stark 
gerösteter Stärkearten. Um die Unterschiede sinnenfälliger zu 
machen, haben wir für die Kranke L. Ack. (Nr. 7 und 8) die 
Blutzuckerwerte unten kurvenmäßig dargestellt. Wir sehen 
nach Darreichung von caramelisiertem Gries einen ganz anderen, 
viel flacheren Verlauf der maximal um 0,06 °/ 0 über das Nüchtem- 

Blutzuckerkurve I. 



V, 1 2 

4 

6 

St. St5t. 5t. St. 

St. 

St. ^ 

nüchtern ISt. 


nach Nahrungsaufnahme 


- Kurve nach 100 g caram. Zucker. 

-Kurve nach 8 g Traubenzucker. 

+ 4 -+ + + Kurve nach 100 g Gries (trocken gekocht). 

OOOOO Kurve nach 100 g Gries (trocken, stark geröstet). 

niveau sich erhebenden Kurve, während nach gekochtem Gries die 
Kurve schon in der 1. Stunde um 0,2 °/ 0 steil ansteigt, um nach 
etwa 4 Stunden den Gipfel der anderen Kurve annähernd zu er¬ 
reichen. In die gleiche Abbildung sind des Vergleichs halber noch 
die Kurven nach Caramel- und Traubenzuckerzufuhr (vgl. Tab. I 
Nr. 3) eingetragen. Daß die Blutzuckerkurven nach gekochten 
und gerösteten Stärkearten nicht immer den gleichen Verlauf 
nehmen, wie in der 1. Abbildung, zeigt die 2. Abbildung, in der 
eine Reihe mit Brot und Toast bei der ziemlich schweren Diabetikerin 








104 


Magin u. Turban 


Chr. Beck (Nr. 3 u. 4) zur Darstellung gekommen ist. Auch hier 
die erheblich größere, vor allem länger dauernde Erhebung des 
Blutzuckers nach Genuß des gekochten Kohlehydrates, aber die 
Gipfel entgegengesetzt gelagert wie in der 1. Abbildung. Warum 
dieses Versuchspaar, vor allem hinsichtlich des Brotes so aus der 


Blntznckerknrve II. 




-Blntznckerknrve nach 160 g Toast 

-Blntznckerknrve nach 226 gewöhnl. Brot 

Zncker im Ham bei 160 g Toast 26,4 g, 

t« 53 f 4 g . 


später bei 226 g gewöhnlichem Brot 


Reihe fällt, läßt sich schwer sagen. Die geringsten Ausschläge 
ergaben die Versuche mit stark geröstetem Hafer (max. 0,04 °/ 0 
Steigerung [Nr. 12 und 14] und mit stark geröstetem Gries (max. 
0,06 °/o Steigerung [Nr. 8]). Im vorletzten Stabe sind die Gesamt¬ 
zuckermengen im Harn während der ganzen Versuchsperioden ein- 






Über die Behandlung Zuckerkranker mit gerösteten Kohlehydraten. 105 

getragen. Ein Beispiel für das Verhalten in den einzelnen Ver¬ 
suchsabschnitten geben die Eintragungen in der obigen Zeichnung. 
Ira ganzen bestand, wie ja von vornherein zu erwarten war, ein ge¬ 
wisser Parallelismus zwischen Blut- und Harnzucker. Stets lag 
auch der letztere nach den gerösteten Produkten niedriger, ge¬ 
wöhnlich um ca. */»? nur da, wo beide Werte sich 0 stark nähern, 
wie bei Nr. 7 und 8, sind die Differenzen geringer. 

Aus den mitgeteilten Beobachtungen geht klar hervor, daß die 
gerösteten Kohlehydrate in den intermediären Stoffwechsel eintreten 
und einen deutlichen Einfluß auf den Blutzuckerspiegel ausüben. 
Diese Einwirkung ist aber, besonders beim Caramel, sehr gering 
und flüchtig, vor allem im Vergleich zu den nicht gerösteten Kohle¬ 
hydraten der gleichen Art Der geringe oder gar fehlende Ein¬ 
fluß auf die Glycosurie findet dadurch seine Erklärung, während 
über die Art der Wirkung und das Verhalten im intermediären 
Stoffwechsel daraus noch nichts Näheres geschlossen werden kann. 



Aus dem Pathologischen Institut der Universität Freiburg i. B. 

(Direktor: Professor Dr. L. Aschoff.) 

Über einen intra vitam histologisch untersuchten Fall 
von hochgradiger lipoider Verfettung der Niere. 

Von 

Dr. med. Karl Heusler, 

Volontär-Assistent. 

Der Begriff der Lipoidnephrose ist noch immer lebhaft um¬ 
stritten. Wieweit spielen allgemeine Stoffwechselstörungen, wie¬ 
weit lokale entzündliche Prozesse in der Niere selbst eine Rolle? 
Man weise darauf hin, daß wir auch klinisch solche Fälle von 
Cholesterinesterverfettung der Nieren einmal durch einen ver¬ 
mehrten Cholesteringehalt des Blutes, dann auch durch das Auf¬ 
treten von doppelbrechenden Substanzen im Harn schon beim 
Lebenden diagnostizieren können. Chauffard und Urig aut 
haben zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß der Cholesteringe¬ 
halt bei chronischen Nephritiden im Blut ansteigt. Systematische 
Untersuchungen von Stepp und Port haben ergeben, daß speziell 
die Beteiligung der gewundenen Kanälchen bei bestimmten Formen 
des Morbus Brightii zu einer Hypercholesterinämie führen. Die 
höchsten Werte sollen bei genuinen Nephrodystrophien und bei 
subakuten glomerulotubulären Nephritiden gefunden werden. Bei 
länger dauernden Erkrankungen soll der Cholesterinspiegel wieder 
sinken. Bei ausgesprochener sekundärer Schrumpfniere wurde von 
den Autoren meist keine Erhöhung festgestellt, desgleichen nicht 
bei Sklerosen. Auf das Auftreten von doppelbrechenden Sub¬ 
stanzen im Harn und ihre diagnostische Verwertbarkeit wiesen be¬ 
sonders Munk, Genck, Groß und Knack, sowie Kollert und 
Finger hin. Allerdings sind die Regeln, die diese Autoren be¬ 
züglich des Auftretens von Harnlipoiden aufstellen, noch sehr aus- 





Über einen intra vitam histologisch untersuchten Fall usw. 


107 


einandergehend. Während Munk behauptet, doppelbrechende 
Substanzen nur in subakuten und chronischen Stadien von Glomerulus- 
nephritiden, sowie bei reinen „Lipoidnephrosen“ (Munk) im Harn 
gefunden zu haben, wollen Genck und Knack ihr Auftreten 
auch im akuten Stadium der Glomerulonephritis bemerkt haben. 
Genck lehnt nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch wegen 
der großen Unregelmäßigkeit im Auffinden von Lipoiden im Harn 
ihre diagnostische Verwertbarkeit ab. Nur das geht bis jetzt 
ziemlich einheitlich aus allen Untersuchungen hervor, daß man als 
hauptsächliche Grundlage für eine Cholesterinablagerung eine Er¬ 
krankung der gewundenen Kanälchen ansehen muß, sei es nun 
primär als genuine Lipoiddystrophie, sei es sekundär nach Glome- 
rulinephritiden auftretend. Ob nun die Hypercholesterinämie zu 
einer Infiltration der Epithelien der Niere und sekundärer Dege¬ 
neration führt, oder ob eine primäre toxische Degeneration der Epi- 
thelieu die Ursache für das Auftreten von doppelbrechenden Substanzen 
in der Niere ist, kann noch nicht entschieden werden. Um den ursäch¬ 
lichen Zusammenhang zwischen Hypercholesterinämie — kranker 
Niere — und Lipoidurie aufzudecken, fehlt es bis jetzt noch fast 
ganz an Fällen vom Menschen, in denen Hypercholesterinämie, 
Cholesterinurie und das Vorhandensein einer Nephrodystrophie mit 
anisotroper Verfettung durch gleichzeitige klinische und histolo¬ 
gische Untersuchung festgestellt wurden. Ich konnte einen Fall 
genauer bearbeiten, wo es mir intra vitam möglich war, nicht nur 
histologisch eine hochgradige Verfettung einer Niere festzustellen, 
sondern auch bei dem gleichen Falle im Laufe von 6 Monaten 
häufigere Urin- und Blutuntersuchungen vorzunehmen. 

Bevor ich auf die Untersuchungsbefunde näher eingehe, möchte 
ich zunächst aus der Krankengeschichte dieses Falles, für deren 
Überlassung ich Herrn Dr. Rein hold, in dessen Behandlung die 
41 Jahre alte Patientin seit 3 Jahren steht, zu ganz besonderem 
Danke verpflichtet bin, das Nötigste berichten. 

Im Anschluß an einen Abort (??) und langwierige gynäkologische 
Eingriffe (Genaueres kann leider nicht mehr festgestellt werden) wurde 
Patientin mit 30 Jahren nierenkrank. 3—4 Jahre später seien die 
ersten sicheren Nierensymptome aufgetreten (Ödeme, urämische Er¬ 
scheinungen). Ende April 1919 kam Patientin in die Behandlung von 
Herrn Dr. Rein hold. Schon damals traten häufig leichte urämische 
Attacken auf. Eine Herzhypertrophie war zu dieser Zeit schon vor¬ 
handen. Der Puls gespannt (70—80 in der Minute, bei urämischen 
Anfällen 100—120). Die Menge des Urins betrug in anfallsfreier Zeit 
1000—1200 ccm in 24 Stunden mit einem spez. Gewicht von 1014—1015. 



108 


Hkcslbb 


Eiweiß 2—4 °/ 00 . Nie allgemeine große Ödeme, gelegentlich leichte 
Knöchelödeme. Zur Zeit der urämischen Attacken sehr spärlicher Harn, 
10—12°/ 00 E. Im Sediment immer weiße Blutkörperchen, zahlreiche 
rote Blutkörperchen. Zylinder wechselnd, von allen Arten (meist granu¬ 
lierte). Mehr und mehr traten nun die urämischen Attacken regelmäßig 
zur Zeit der Menses auf, mit heftigem Erbrechen und starkem Kopf¬ 
weh. Das Bewußtsein war stets nur wenig getrübt. Keine Augen- 
symptome. Mit Rücksicht auf die zunehmende Häufigkeit und Heftig¬ 
keit der Anfälle wurde im Februar 1921 Prof. Lex er konsultiert und 
am 17. Februar von ihm selbst die Dekapsulation der rechten Niere 
vollzogen. 

Da am 25. Februar 1921 plötzlich starke Blutung aus der Ope¬ 
rationswunde einsetzt und die Blutung durch Tamponade nicht zum 
Stehen kommt, so erfolgt die Exstirpation der ganzen rechten Niere 
durch Prof. Lexer. 

Der damalige Befund des untersuchten exzidierten Nierenstück¬ 
chens aus dem hiesigen Institut lautete: „Das mikroskopische Bild des 
übersandten Nierenstückchens ist ein ganz ungewöhnliches. Es bandelt 
sich kurz gesagt, um eine hochgradige Xanthomatose der ganzen Nieren¬ 
rinde. Die Harnkanälchen sind durch zahlreiche Einlagerungen xantho- 
matöser Zellhaufen verschiedenster Qröße unregelmäßig auseinanderge¬ 
drängt. Trotzdem ist keine Atrophie der Harnkanälchen auf getreten, 
so daß man eher an eine Volumen Vermehrung der ganzen Niere denken 
muß. Die erwähnten Zellhaufen bestehen aus sog. Pseudoxanthomzellen 
oder Schaumzellen. Sie sind mit einer ganz feintropfigen bei Formol- 
fixierung kristallinisch umgelagerten Lipoidmasse, wahrscheinlich Chole¬ 
sterinestern gefüllt. Die Niere selbst zeigt außerdem noch folgende 
Veränderungen. Es besteht hochgradige Arterio- und Arteriolosklerose 
mit ausgesprochener Fettinfiltration der Intima der Gefäße. Der Schwund 
der Glomeruli ist gering. Vereinzelt finden sich frische Veränderungen 
an den Glomeruli, die als reaktive gedeutet werden müssen. Das 
Parenchym zeigt hydropische Schwellung der Epithelien mit ziemlich 
ausgedehnten basalen Verfettungen, die der Färbung nach als Neutral¬ 
fette anzusehen sind. Es bandelt sich also um eine Arteriolosklerose 
mit gleichzeitig hochgradiger Störung des CholesterinBtoffwechsels. Höchst¬ 
wahrscheinlich besteht eine Cholesterinämie, was noch zu prüfen ist.“ 

Die später exstirpierte Niere wurde für eine weitere genauere Be¬ 
arbeitung konserviert. 

Nach einer sehr langsamen Rekonvalescenz wurde Patientin am 
13. April 1921 aus der Chirurgischen Klinik entlassen. Blutdruck 
damals 210. TJrinbefund 3 °/ 00 Eiweiß, im Sediment keine Zylinder. 

Nachdem Patientin sich nun teils in der Sommerfrische, teils zu 
Hause eines relativ guten Gesundheitszustands erfreute (nur im August 
waren einige Tage lang Kopfschmerzen und leichte Ödeme aufgetreten), 
bekam sie am 18. Dezember 1921, also 10 Monate nach Exstirpation 
der anderen Niere wieder einen schweren urämischen Anfall mit kleinem 
gespannten Puls und heftigem Erbrechen. Seitdem traten wieder regel¬ 
mäßige starke urämische Anfälle zur Zeit der Menses auf. Infolgedessen 
wurde Patientin Ende Februar d. J. zwecks Sterilisierung in der hiesigen 



Über einen intra vitam histologisch untersuchten Fall usw. 


109 


Frauenklinik bestrahlt. Starker Röntgenkater. Die Bestrahlung braohte 
jedoch keine Besserung, sondern im Laufe dieses Sommers traten wieder¬ 
holt schwerste urämische Attacken mit bedrohlichen Herzschwächen und 
Kollapszuständen auf. Die einzig wirksame Therapie blieb hierbei der 
, Aderlaß. Nach diesem gingen sämtliche Symptome merkwürdig schnell 
zurück. Das Sensoriura hellte sich auf. Die Kopfschmerzen ver¬ 
schwanden, Patientin hatte wieder Appetit und Bah für ihre Verhältnisse 
frisch und gut aus, konnte sogar wieder aufstehen. Zurzeit befindet 
sich die Patientin seit Mitte April in einem hiesigen Krankenhaus. Der 
letzte urämische Anfall war am 10. AuguBt. 

Nachschrift: Die Patientin verstarb an einem urämUchen Anfall am 
10. September 1922. Es war dem behandelnden Arzt nicht möglich, die 
Leichenöffnung durchzusetzen. 

Ehe ich auf die chemischen Befunde in Blut und Harn ein¬ 
gehe, möchte ich über den makroskopischen und mikroskopischen 
Befund der exstirpierten Niere berichten. 

Die Niere ist von mittlerer Größe (10,5:5,5:3,2), die Läppchen¬ 
zeichnung angedeutet. Die typische Nierenform ist am unteren 
Pol verändert durch eine leichte dunkelverfärbte Auftreibung, die 
durch die vor der Exstirpation vorgenommene Probeexzision mit 
nachfolgender unregelmäßiger Blutung ins Nierenparenchym ent¬ 
standen ist. Am konservierten Präparate erscheint das Paren¬ 
chym eigentümlich durchsichtig, so daß feine, sägemehlartig ein¬ 
gestreute, gelblich-weiße Herdchen besonders deutlich hervortreten. 
In der Aufschicht bemerkt man ein leichtes Emporragen dieser 
Herdchen über die Oberfläche, wodurch diese ein äußerst fein¬ 
granuliertes Aussehen erhält. 

Auf der Schnittfläche sind diese Herdchen ausschließlich auf 
die Rindenzone beschränkt, während die Markkegel völlig frei er¬ 
scheinen. Beim Übergang von Rinde in Mai'k läßt die mehr 
streifige Anordnung dieser gelblichen Herdchen schon mit bloßem 
Auge erkennen, daß diese Veränderungen an die geraden Kanälchen 
gebunden sein müssen. 

Untersuchungsmethode: Da die Niere im ganzen er¬ 
halten bleiben sollte, legte ich flache Scheiben durch den oberen 
Pol. Zur histologischen Untersuchung benutzte ich nur Gefrier¬ 
schnitte. Ungefärbte Schnitte untersuchte ich mit dem Polari¬ 
sationsmikroskop. Gefärbt wurde mit Hämatoxylin-Eosiu, Sudan, 
Scharlachrot, nach VanGieson, mit Weigert’s Elastikafärbung 
und mit Methylviolett für etwaige Amyloiddarstellung. 

Das mikroskopische Bild der Niere ist ein außerordentlich 
mannigfaltiges und eigenartiges. Im Hämatoxylin -Eosinpräparat fallen 
vor allem die zahlreichen großen xanthomatös aussehenden Zellen zwischen 



110 


Hbüsler , 


den gewundenen Kanälchen auf, deren Kerne überall gut erhalten und 
gut färbbar sind. Die alkoholextrahierten Zellen sehen sehr hell aus 
und zeigen eine deutlich wabige Frotoplasmastruktur. An ungefärbten 
Schnitten sieht man im Polarisationsmikroskop, daß diese Zellen mit 
durch die Formolfixierung kristallinisch umgelagerten, doppelbrechenden 
Substanzen erfüllt Bind. Auch in den mit Scharlachrot und mit Sudan 
gefärbten Präparaten sieht man, daß im Bereich der Binde zahlreiche 
Stellen zwischen den Kanälchen eine positive Fettreaktion ergeben. Die 
Kanälchen selbst sind teilweise zusammengedrängt durch die Xantho¬ 
matosen Zellen, sind aber in der Regel weder an Zahl erheblich ver¬ 
mindert, noch irgendwie stärker degeneriert. In den vereinzelten, etwas 
stärker veränderten Kanälchengruppen finden sich nun ebenfalls Ein¬ 
lagerungen von feinsten Fetttröpfchen in den gewundenen Teilen, die der 
Färbung nach vorwiegend als Neutralfette anzusehen sind und die haupt¬ 
sächlich den basalen Teil der Zelle erfüllen. Die nicht verfetteten Epi- 
thelien der gewundenen und geraden Kanälchenabschnitte weisen an 
anderen Stellen eine Schwellung des Parenchyms ohne Kernverlust oder 
sonstige Kernveränderung, aber mit Erweiterung des Lumens auf. Trotz 
ausgesprochener Arterio- und Arteriolosklerose der Getäße finden sich 
uur relativ wenige und ganz zerstreute hyalinentartete Glomeruli, die 
deutlich im van Giesonpräparat die Verschiedenheit des Kapsel- und 
des Glomerulushyalins zeigen. Die Glomerulusschlingen der noch zahl¬ 
reich erhaltenen Glomeruli sind dagegen teilweise auffallend plump, in 
der Wand verdickt, sowie im ganzen sehr zellreich. In der KapBel 
dieser Glomeruli sieht man an einzelnen Stellen Anhäufung von Rund¬ 
zellen. Im Oxydaseschnitt sieht man nur vereinzelte Leukocyten. Auf 
dem Boden einer Entzündung entstandene Glomerulusnarben sind nicht 
vorhanden. Amyloid findet sich nicht in den Schnitten. 

Zur Deutung dieses Befundes möchte ich die Untersuchungen 
des Harns und Blutserums heranziehen. Mehrfache Cholesterin- 
untersuchungen nach der Autenrieth’schen Methode, die von 
Fräulein Dr. Rosin am hiesigen Institut ausgeführt wurden, er¬ 
gaben eine deutliche Erhöhung des Cholesteringehaltes im Blut¬ 
serum (0,225% im Durchschnitt auf 100 ccm Serum.) 

Desgleichen wurden im Urin Spuren von Cholesterin quanti¬ 
tativ mit derselben Methode nachgewiesen. Niemals aber habe 
ich im Sediment morphologisch doppelbrechende Substanzen ge¬ 
funden. — Gerade dieser letztere Befund — und damit komme ich 
zur diagnostischen Besprechung dieses ganzen Falles — scheint 
mir nun eine wesentliche Stütze für die Arbeiten von Genck, 
Groß, Knack und vor allem der letzten in der Frankfurter Zeit¬ 
schrift für Pathologie erschienenen Arbeit von Tietz (aus dem 
Path. Institut in Würzburg) zu sein. Tietz hat an mehreren 
Leichen, die er genau auf ihren Cholesteringehalt im Blut, Harn 
und Niere untersucht hat, festgestellt, daß das Auftreten von 



Uber einen intra vitam histologisch untersuchten Fall usw. 


111 


lipoiden Substanzen keineswegs gebunden ist an eine Hyperchole- 
sterinämie höheren Grades, daß es sogar Fälle gibt, in denen eine 
ausgesprochene Hypercholesterinämie ohne jeglichen positiven Lipoid¬ 
befund im Harn festgestellt wurde. Hypercholesterinämie allein 
verursacht also keine Lipoidurie. Nur wenn eine Degeneration 
der Tubuli contorti I vorliegt, kommt es nach Tietz zur ausge¬ 
sprochenen Lipoidurie, die um so größer ist, je mehr Zellen abge¬ 
stoßen werden und im Harn erscheinen, Nicht zutreffend scheint 
mir dagegen die Annahme dieser Autoren, daß nur eine Degene¬ 
ration der Epithelien eine Ausscheidung von Cholesterin im Harn 
ermögliche. Unser Fall beweist das Gegenteil. Hier liegt es 
nahe, an eine Ausscheidung des Cholesterins durch die erkrankten 
Glomeruli zu denken. Eine solche Möglichkeit läßt übrigens Tietz 
auch zu. Im übrigen müßte es sich bei der genannten lipoiden 
Degeneration der Epithelien entweder um eine sog. Nephrose im 
Sinne Volhard’s handeln, d. h. um eine irgendwie toxisch oder 
sonstwie bedingte degenerative Infiltration der Epithelien der 
Hauptstücke mit allmählichem Zerfall derselben und Ablagerung 
der Lipoide im Zwischengewebe, oder um eine echte Glomerulo¬ 
nephritis mit sekundärer Beteiligung des tubulären Apparates. 
Gegen die Annahme einer Nephrose sprechen in unserem Fall die 
Erhöhung des Blutdruckes, die Herzhypertrophie, die urämischen 
Anfälle. Denn von einer ausgesprochenen lipoiden Degeneration 
der Epithelien ist in der von mir untersuchten Niere nichts zu 
finden. Vor allem ist das Fett in den Epithelien der Tubuli nicht 
oder nicht nachweisbar doppelbrechend. Mau könnte also an¬ 
nehmen, daß die im Harn gefundenen Cholesterinmengen die Folge 
einer primären Störung des Cholesterinstoffwechsels sind und daß 
es dabei zu einer Cholesterinausscheidung, etwa durch die Glo¬ 
meruli, und zu einer Cholesterininfiltration der Niere besonders des 
Zwischengewebes gekommen ist. Ob nun die daneben gefundene 
Arteriolosklerose sich primär, d. h. vor Storung des Cholesterin¬ 
stoffwechsels, oder sekundär im Anschluß an die Cholesterinämie 
entwickelt hat, ist schwer zu sagen. Doch scheint es wahrschein¬ 
licher, daß bei den relativ sehr geringen arteriolosklerotischen 
Veränderungen an den Glomeruli und bei der geringen Zahl der 
hyalinen Narben sich die Arteriolosklerose erst später entwickelt 
hat. Für eine länger bestehende Stoffwechselstörung spricht um¬ 
gekehrt das merkwürdig regelmäßige Auftreten der urämischen 
Anfälle während der Menses. Chauffard hat zuerst darauf hin¬ 
gewiesen, daß der Cholesteringehalt im Blut vor den Menses an- 



112 


HEU8LKB 


steigt, und es scheint mir somit nicht ausgeschlossen, daß hier¬ 
durch die Gefahr der Urämie noch gefördert wurde. Genauere 
Untersuchungen vor und nach den Menses sind leider dufch die 
künstlich herbeigeführte Menopause nicht mehr möglich gewesen. 

Woher aber stammt die Störung des Cholesterinstoffwechsels? 
Ist sie wirklich eine primäre oder etwa nur die Folge einer akuten 
Glomerulonephritis, die längere Zeit zurückliegend, klinisch über¬ 
sehen worden ist und sich jetzt schleichend weiter entwickelt. 
Darauf scheinen die in unserem Falle gefundenen Glomerulusver- 
änderungen hinzudeuten. Bekanntlich sind von Anfang an gegen¬ 
über den „Nephrose“-Fällen von Fahr u. Volhard solche Über¬ 
legungen angestellt worden (Aschoff, Herxheim er). 

Besonders bemerkenswert ist, daß Löhlein einen ganz ähn¬ 
lichen Fall von sekundärer Schrumpfniere beschrieben und abge¬ 
bildet hat. Ihm konnte ich meinen Fall gleichstellen, wenn nur 
die Schrumpfungen, besonders an den Glomeruli nicht so geringfügig 
wären. Andererseits spricht die zelluläre Verdickung und vielfache 
Schwellung der Glomerulusschlingen in meinem Falle trotz des jetzigen 
Fehlens der Leukocyten für eine stattgehabte Reizung am Glome- 
rulusapparat. Die ursprüngliche Annahme, daß es sich bei diesen 
Veränderungen an den Glomerulusschlingen nur um reaktive Pro¬ 
zesse gegen arteriolosklerotische Kollapsvorgänge handle, mußte 
nach Untersuchung der exstirpierten Niere selbst fallen gelassen 
werden. Alles sprach für eine defensive Glomerulitis. Jedenfalls 
handelt es sich nicht um einfache degenerative Prozesse an den 
Glomeruli, um das, was Fahr auch als Glomerulonephrose be¬ 
zeichnet hat. Wollte man aber die Veränderungen so deuten, so 
würde ein Nephrosefall mit Urämie vorliegen, eine Unmöglichkeit 
nach klinischen Begriffen. Auch bleibt noch die Annahme, daß die 
Glomerulusveränderungen defensiv entzündlicher Natur, aber auf 
die Nephrose aufgepfropft wären. Fahr bezeichnet die nephro¬ 
tische Niere als besonders empfänglich für infektiöse Glomerulitiden. 
Wollte man dem zustimmen und die Glomerulusveränderungen als 
frische accidentelle infektiöse Reizungen auffassen, so stände man 
wieder vor dem Rätsel, daß die Patientin jahrelang an Urämie 
gelitten hat. Für meine Auffassung, daß die sog. Nephrosen viel¬ 
fach nichts anderes als schleichende oder rezidivierende oder abge¬ 
laufene Glomerulonephritiden sind, sprechen auch die Befunde 
von Mc’Nee: 

In dem soeben erschienenen Oktoberheft des XXV. Bandes des 
Journal of Pathology and Bacteriology berichtet er über drei Fälle 




Über einen intra vitam histologisch nntersnchten Fall nsw. 113 

von sog. „Myelinniere“. Darunter versteht er die Bilder, wie sie 
Löh lein (s. oben) gezeichnet hat. Der dritte Fall entspricht der 
beigegebenen Abbildung nach ganz genau unserem Falle. Mit ihm 
sind nach Ansicht des Autors auch seine beiden anderen Fälle 
identisch. Das wichtigste Ergebnis der Mc’Nee’schen Unter¬ 
suchungen ist nun, daß in allen drei Fällen von dem auf diesem 
Gebiet gut geschulten Autor die deutlichen Zeichen einer abge¬ 
laufenen oder noch frischeren Glomerulitis nachgewiesen werden 
konnten. Der Verfasser nimmt daher keinen Anstand, alle drei 
Fälle als sekundäre Veränderungen nach abgelaufener Glomerulo¬ 
nephritis, sozusagen als sekundäre Schrumpfniere ohne Schrumpfung, 
zu deuten, d. h. er kommt zu der ganz gleichen Auffassung wie 
ich. Es liegen somit bis heute fünf genauer beschriebene Fälle dieser 
Art myelinischer Degeneration der Niere vor, die als identisch be¬ 
trachtet werden können. In allen fünf Fällen findet sich eine be¬ 
sonders hochgradige und das histologische Bild beherrschende 
interstitielle Lipoidverfettung, die sich zur förmlichen Xanthomatose 
der Niere steigern kann. Das doppelbrechende Fett ist feintropfig 
in die fibrocytären und histiocytären Elemente der Gerüstsubstanz 
abgelagert. Ein besonderer Schwund des tubulären Systems ist 
nicht vorhanden oder nur fleckförmig angedeutet. Zum Unter¬ 
schied von den lipoiden Ablagerungen im Zwischengewebe zeigen 
die Epithelien der Tubuli, wenn überhaupt, nur eine einfache, 
selten eine gemischte Verfettung. Eine Ausnahme macht nur der 
Fall Löh lein, bei welchem auch die Epithelien der Tubuli zum 
großen Teil doppelbrechende Fette enthalten haben sollen. Die 
Erklärung Löhleins, daß das doppelbrechende Fett des Inter- 
stitiums aus den zerfallenden Epithelien stammte, kann vielleicht 
für seinen Fall zutreffen, aber nicht für die übrigen Fälle, wo eine 
erhebliche lipoide Verfettung der Epithelien nicht nachgewiesen 
werden konnte. Hierbei mag zugegeben werden, daß eine schwächere 
lipoide Verfettung neben der einfachen Verfettung der Epithelien 
übersehen werden kann; aber auch dann bleibt die massenhafte 
Infiltration der Zwischenzellen mit doppelbrechenden Lipoiden, 
allein von den Epithelien aus, unverständlich. Es müssen doch 
wohl noch andere Störungen dazukommen. Welcher Art dieselben 
sind, ob es sich um abnorme Durchlässigkeit der Kapillaren des 
tubulären Systems, ob um abnorme Lipoidbildung handelt, wissen 
wir nicht. Nur das eine ist für alle fünf Fälle gleichmäßig fest¬ 
gestellt und scheint uns von fundamentaler Bedeutung, daß jedes¬ 
mal eine mehr oder weniger ausgesprochene Reizung an den 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 8 



114 


Heuslbr 


Glomeruli, eine richtige Glomerulitis, frischeren oder älteren Datums 
nachgewiesen werden konnte. Da diese zum Teil seit Monaten 
bestehen und die Krankheit einleiteten, ist die Annahme von Fahr, 
daß es sich nur um aufgepfropfte Glomerulitiden handelt, für diese 
Fälle nicht zutreffend. 

Endlich muß noch erwähnt werden, daß in dem zweiten Fall 
von M c ’ N e e das Überstehen einer akuten Nephritis 15 Monate 
vor dem Tode ausdrücklich erwähnt ist. Damit scheidet also eine 
einfache Nephrose im Sinne von Yolhard oder eine Lipoidnephrose 
im Sinne von Munk aus. Auch Mc’Nee macht darauf aufmerk¬ 
sam, daß seine Fälle, so sehr sie sonst auch klinisch mit den 
Lipoidnephrosen M u n k ’s übereinstimmen, sich doch prinzipiell von 
ihnen dadurch unterscheiden, daß eben Glomerulusveränderungen 
vorhanden sind. Auch unser Fall zeigt das gleiche. Nach Munk 
spielt die Syphilis eine große Rolle in der Ätiologie seiner Lipoid¬ 
nephrosen. Mc’Nee hebt hervor, daß in seinen drei Fällen nichts 
von Syphilis festgestellt werden konnte. Das Gleiche gilt für 
unsern Fall; auch L ö h 1 e i n sagt nichts von einer vorausgegangenen 
Syphilis bei dem von ihm beschriebenen Falle. Klinisch sind die 
Fälle recht verschieden. Nach Volhard und Munk fehlen bei 
Nephrosen die Erscheinungen der Hypertonie, die Herzhypertrophie 
und die Urämie. Auffallend ist uun, daß in den zwei Fällen von 
Mc’Nee, die zur ausführlichen Sektion kamen, und in dem Fall 
von Löhlein über eine Vergrößerung des Herzens nichts gesagt 
ist. In dem dritten Fall von Mc’Nee durfte die Brusthöhle nicht 
seziert werden. In unserem Falle wurde, wie gesagt, die Leichen¬ 
öffnung überhaupt verweigert. Dagegen liegen Beobachtungen 
über urämische Erscheinungen vor. Sie waren in unserem Falle 
ganz ausgesprochen und zwar bestanden dieselben schon vor der 
Exstirpation der einen Niere. Auch in dem zweiten Fall von 
Mc’Nee werden urämische Symptome erwähnt. Es steht also fest, 
daß diese sog. Myelinnieren zu urämischen Störungen führen können. 

Fassen wir alle diese Beobachtungen zusammen, so müssen 
wir feststellen, daß es bestimmte Formen hochgradiger Lipoid¬ 
dystrophie der Nieren gibt, bei denen die tubulären Systeme reich¬ 
lich Neutralfette (oder auch Mischungen von Neutralfetten und 
doppelbrechende Fetten) enthalten, während gleichzeitig die histio- 
cytären Elemente des Bindegewebes ungewöhnlich stark mit doppel¬ 
brechendem Fett beladen sind. Diese Nieren bieten also ganz das 
histologische Bild sog. Nephrosen oder Lipoidnephrosen, erweisen 
sich aber infolge der gleichzeitig bestehenden Glomerulusverände- 



Über einen intra vitam histologisch untersuchten Fall usw. 115 

rungen als subakute oder chronische entzündliche Nierenerkran¬ 
kungen und nicht als einfache primäre Degenerationen. Mit Falta 
zu sprechen, zeigen sie histologisch das vorwiegende Bild der sali- 
nischen Funktionsstörung, klinisch dagegen das der azotische. Diese 
Fälle sind daher scharf von den reinen Nephrosen zu trennen. 
Fraglich bleibt nur, wie weit es überhaupt reine Nephrosen im 
Sinne Volhard’s und Munk’s gibt. Je sorgfältiger die Unter¬ 
suchungen ausgeführt werden, um so häufiger läßt sich feststellen, 
daß doch gleichzeitig entzündliche Veränderungen an den Glome- 
ruli bestehen. So stimmen die Beobachtungen an den sog. Myelin¬ 
nieren mit den klinischen Untersuchungen von Sieb eck, mit den 
anatomischen - histologischen Befunden von Löhlein, Herx¬ 
heim er, Aschoff und Bohnenkamp, sowie den experimen¬ 
tellen Ergebnissen Kuczynski’s gut überein. Das Gebiet der 
Nephrosen wird mehr und mehr eingeengt und auf die Fälle von 
Amyloidniere und einfachen Verfettungen wie beim Diabetes und 
beim Basedow beschränkt, für welche Krankheiten wir schon kurze 
und präzise Bezeichnungen haben, so daß der Ausdruck Nephrose, 
wenn er nicht mystisch werden soll, seine Existenzberechtigung 
verloren hat. Welche Umdeutungen dieser Name im Laufe der 
Zeit erfahren hat, geht besonders aus den letzten Ausführungen 
Fahr’s hervor. Während ursprünglich die Bezeichnung Nephrose 
von F. von Müller auf alle nicht entzündlichen Nierenerkran¬ 
kungen gemünzt war, haben Fahr und V o 1 h a r d dieselbe auf 
die rein degenerativen Prozesse beschränkt. Unter diesen scheiden 
wieder die Basedow-, Gicht-, Diabetes-, Schwangerschaftsnieren, also 
die einfach infiltrativen Formen einerseits, die akut nekrotisierenden 
(z. B. die Sublimatniere) aus, weil sie nicht die klassischen Sym¬ 
ptome der Nephrose (Eiweiß und Ödem) darbieten. Bleibt also 
nur die Amyloidniere und die sog. genuine Nephrose. Diese letztere 
soll verschiedene Stadien durchlaufen und mit einer Lipoidinfiltration 
der Epithelien und der Interstitien und mit fortschreitender 
Schrumpfung abschließen. Entzündliche Veränderungen der 
Glomeruli sollen fehlen. Darin soll, neben den Verschiedenheiten 
der klinischen Bilder der Hauptunterschied gegenüber der sekun¬ 
dären Schrumpfniere liegen. Den rein tubulären und nicht glome- 
rulären Charakter der nephrotischen Erkrankungen betont besonders 
Munk. Freilich hat Fahr schon in dem mit Volhard zu¬ 
sammen verfaßtem Hauptwerk auf Glomerulusveränderungen hin¬ 
gewiesen, die er später, so besonders in seiner letzten Arbeit, 
stärker betont. Er faßt sie aber nicht als entzündliche, sondern 

8 * 



116 


Hbuslkk 


als degenerative Veränderungen auf. Er betont also — im Gegen¬ 
satz zu Munk — den glomerulären Anteil und spricht von einer 
— sit venia verbo — Glomerulonephrose. Sind wir aber erst so¬ 
weit, die Häufigkeit dieser Glomeruluserkrankungen anzuerkennen, 
so bleibt nur noch die Frage, ob diese wirklich rein degenerativer 
oder nicht viel mehr defensiver entzündlicher Natur sind. Für die 
letztere Auffassung treten Löhlein, Herxheimer, Aschoff, 
Mc’Nee ein, für die erstere Fahr. Trifft die Annahme der 
ersteren Autoren zu, dann bleibt die Frage an Volhard und Fahr 
berechtigt: Was soll man heute unter Nephrose verstehen? 

Diese Frage ist um so berechtigter, wenn man sieht, wie wenig 
ein erfahrener Kliniker wie Falta von dem Begriff der „Nephrose“ 
befriedigt ist. Auch er weist darauf hin, daß die klinischen Bilder 
der sog. „Nephrose“ sowohl durch Degeneration, wie auch ent¬ 
zündliche Veränderungen an den Tubuli hervorgerufen sein können, 
daß ferner die Lipoidnephrose von Anfang an Züge des sog. 
glomerulonephriti8chen Typus aufweisen kann. 

Daß mit der Aufdeckung entzündlicher Veränderungen an den 
Glomeruli das klinische und anatomische Krankheitsbild noch nicht 
geklärt ist, ist selbstverständlich. Ist die sog. Lipoidnephrose von 
Volhard und Munk nichts anderes als ein Folgezustand einer 
Glomerulonephritis, so erhebt sich wieder die Frage, warum diese 
Folgezustände sich klinisch so verschieden gestalten, warum histo¬ 
logisch die lipoide Infiltration oft sehr geringfügig ist, oft nur das 
Zwischengewebe ergreift, oft die Tubuli besonders befällt. Liegen 
hier, wie Fahr vermutet, extrarenale Störungen des Lipoidstoff¬ 
wechsels, extrarenale Reizungen oder Degenerationen des Kapillar¬ 
systems vor, oder ist das primum movens die geschädigte Niere? 
Die Glomerulonephritis bleibt das große Rätsel der Nierenpathologie. 


Literatur. 

1. Aschoff, L., Virchow’s Lehre von der Degeneration und ihre Weiter¬ 
entwicklung. Yirchow’s Arch. Bd. 235, S. 152, 1921. — 2. Ders., Zur Morpho¬ 
logie der lipoiden Substanzen. Ziegler’s Beitr. Bd. 47, S. 1, 1910. — 3. Ders., 
Lehrbuch für path. Anatomie u. allgem. Pathologie. Bd. II, S. 449 ff., 1921. — 
4. Chauffard, La Cholesterinaemie ä l’etat normal et pathologique. Annales 
d. Med. Bd. VIII, 1920. — 5. Fahr, Beiträge zur Frage der Nephrose. Virchow’s 
Arch. 239, 1922 (daselbst frühere Literatur). — 6. Falta, Klinik der Nephritis. 
Wiener med. Wochenschr. 1921, Nr. 28 u. 29. — 7. Genck, Über das Vorkommen 
und die Bedeutung doppelbrechender Substanzen im Harn. Deutsches Arch. f. 
klin. Med. Bd. 125, S. 333, 1918. — 8. Groß, 0., Bedeutung anisotroper Sub¬ 
stanzen im .Harn. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 139, S. 9, 1920. — 9. Herx¬ 
heimer, Über Anfangsstadien der Glomerulonephritis. Ziegler’s Beiträge 64, 
1918. — 10. Kayserling u. Orgler, Über das Auftreten von Myelin in Zellen 
und seine Beziehungen zur Fettmetamorphose. Virchow’s Arch. Bd. 187, S. 296, 



s 


Über einen intra vitam histologisch untersuchten Fall usw. 117 

1902. — 11. Kawamura, Die Cholesterinesterverfettung. G. Fischer, Jena 1911. 

— 12. Knack, Hat das Lipoidsediment Bedeutung für die Differentialdiagnose 
zwischen akut entzündlichen und degenerativen Nierenerkrankungen? Med. 
Klinik 1917, Nr. 33. — 13. Kollert u. Finger, Über die Beziehungen der 
Nephritis zum Cholesterinstoffwechsel. Münchener med. Wochenschr. S. 816, 1918. 

— 13a. Kuczynski, Nephritisstndien. Virchow’s Arch. 227 1920, S. 186. 

— 14. Löhlein, M., Über die in pathologisch-veränderten Nieren sichtbar 
werdende fettähnliche Substanz. Deutsche pathologische Gesellschaft, Bd. 8, 
S. 33, 1904. — 15. Ders., Über Fettinfiltration und fettige Degeneration der 
Niere des Menschen. Virchow’s Arch. Bd. 180, S. 1, 1907. — 16. Mc’Nee, On 
Lipoid Degeneration of the Kidney, and the so-called „Myelin Kidney“. Journ. 
of Path. and Bact. Bd. 25, H. 4, 1922. — 17. Munk, F., Über lipoide Degene¬ 
ration. Virchow’s Arch. Bd. 194, S. 527, 1908. — 18. Munk, F., Über die dia¬ 
gnostische Bedeutung der im Urin und Sputum ausgeschiedenen mikroskopisch 
sichtbaren Lipoide. Deutsche med. Wochenschr. 1910, S. 1598. — 19. Port, 
Cholesterinämie bei Nepüropathien Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 127, S. 61, 
1919. — 20. Schmidt, M. B., Die Nephrose. Med. Klinik 1916, S. 1019, 1047 
und 1073. — 21. Stepp, Cholesteringehalt des Blutes bei verschiedenen Formen 
der Bright’schen. Krankheit. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 127, S. 439, 1918. 

— 22. Tietz, Über das Verhalten der Cholesterine im Blut und in den Nieren 
usw. Frankfurter Zeitschr. f. Path. 1922, S. 353, Bd. 27. — 23. Verse, Über 
die Cholesterinesterverfettung. Ziegler’s Beiträge Bd. 52, S. 1, 1912. 



118 


Aus der II. inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses 
Charlottenburg-Westend. 

(Dirigierender Arzt: Dr. Werner Schultz.) 

Über gangräneszierende Prozesse mit Defekt des Grannlo- 
cytensystems. („Agranulocytosen“) 

Von 

Dr. med. Alice Leon 

Assistenzärztin der Abteilung. 

In der Sitzung des Berliner Vereins für innere Medizin vom 
3. VII. 1922 berichtete W. Schultz 1 ) über gangräneszierende 
Prozesse mit Defekt des Granulocytensystems, die in einer Anzahl 
von Fällen auf der II. inneren Abteilung des Krankenhauses 
Westend zur Beobachtung gekommen waren und auf der Abteilung 
als „Agranulocytosen“ bezeichnet wurden. In der gleichen Sitzung 
demonstrierte Prof. Verse 2 ) einige Präparate der Fälle, die sämt¬ 
lich einen letalen Ausgang genommen hatten, und grenzte seine 
Befunde gegen path.-anat. ähnliche Prozesse ab. Die folgenden 
Ausführungen seien eine Ergänzung zur Diskussion des Gegen¬ 
standes im Verein für innere Medizin. 

Ich will zunächst einen der sehr typisch verlaufenen Fälle im folgen¬ 
den eingehender beschreiben: Die 38jährige Ehefrau Anna B. wurde 
am 30. I. 1922 wegen „Grippe und Blasenkatarrh bei fehlender häus¬ 
licher Pflege“ bei uns aufgenommen. Pat. stammt aus gesunder Familie; 
sie selbst war früher nie ernstlich krank. Menses regelmäßig, alle drei 
Wochen, in letzter Zeit alle 14 Tage, ohne Beschwerden, Dauer 3 Tage. 
Kein Partus, 1 Abortus (vor 9 Jahren). Infectio negiert. Keine Nei¬ 
gung zu Blutungen. Die j e tz ige E r kr an kung begann vor 8 Tagen, 
am 23. I. 22., plötzlich mit Schüttelfrost, Fieber, Abgeschlagenheit, 


1) Deutsche med. Wochenschr. 1922, Nr. 44. 

2) Für die Überlassung der path.-anat. und histologischen Befunde bin ich 
dem Direktor des pathol. Institutes des Krankenhauses Westend, Prof. Verse, 
zu besonderem Danke verpflichtet. 



Über gangräneszierende Prozesse mit Defekt des Granulocytensystems. H9 


Rücken* und Kreuzschmerzen. Der Urin war auffallend trübe. An den 
folgenden Tagen die gleichen Beschwerden. Der am 26. I. zugezogene 
Arzt stellte die oben erwähnte Diagnose. Am 27. I. traten von der 
Pat. auf beide Rachenmandeln lokalisierte Halsschmerzen auf. Am 
29. I. bekam sie „heftige Schmerzen in den Zähnen“. Es wurde ein 
Zahnarzt geholt, der wegen der Schmerzen beide Kiefer mit Jod pinselte, 
aber keine Zahnerkrankung feststellen konnte. Am 30. I. morgens ver¬ 
spürte Pat. Schmerzen in der Zunge. Die Zahnschmerzen hatten 
nachgelassen. Am Nachmittag erfolgt Krankenhausaufnahme. Pat. gibt 
noch an, daß sie seit */, Jahr an starkem Juckreiz an den Genitalien, 
seit ca. 3 Wochen an Ausfluß leide. Sie ließ sich deshalb vor etwa 
3 Wochen in der gynäkologischen Poliklinik der Charite untersuchen, 
wo eine „Scheidenentzündung“ festgestellt wurde. Nachträgliche Angabe 
auf Befragen: Im Mai 1921 (vor ca. ®/ 4 Jahren) will Pat. 6 Wochen 
lang wegen einer starken Zahnfleischentzündung in zahnärztlicher Be¬ 
handlung gewesen sein. (Die Zunge war damals nicht erkrankt.) Die 
Untersuchung ergibt am Tage der Aufnahme, 30. I. n. m. (8. Krank¬ 
heitstag) : Mittelkräftig gebaute Pat. in genügendem E.Z. Gesichtsfarbe 
etwas blaß; Schleimhäute genügend durchblutet. Körperwärme 38,4. 
Kein Exanthem, kein Ikterus, keine Hautblutungen, keine 
Drüsenschwellungen. Rachen: Hintere Rachenwand gerötet. 
Geringe Schwellung und Rötung der Tonsillen. In den Krypten der 
1. Tonsille wenig gelhweißer Belag. Zahnfleisch, Mundschleimhaut, Zunge 
ohne Veränderungen. Bakteriologische Untersuchung von Nasen- und 
Tonsillenabstrich: Keine Diphtheriebazillen. — Am nächsten Tage sind 
folgende wesentliche Veränderungen vorhanden : 31.1. morgens (9. Krank¬ 
heitstag) : Die Sprache ist heute anginös. Starker Foetor ex ore. Die 
Untersuchung der Rachenteile ergibt: Die Zungenspitze ist verdickt; 
entsprechend dem vordersten Drittel ist die Zungenoberfläche blaurot 
verfärbt, unterbrochen von unregelmäßigen, helleren Partien von blasser, 
gelbweißer Farbe. An der Unterseite der Zungenspitze rechts größerer, 
geschwollener, augenscheinlich in Nekrose befindlicher Bezirk von blasser, 
gelblichweißer Farbe. Das Zahn fl eisch beider Kiefer ist aufgelockert, 
stellenweise mit weißlichen, schmierigen fibrinösen Massen bedeckt. Diese 
auffallenden und schnell eingetretenen Veränderungen geben Veranlassung 
zur Untersuchung des Blutes. Der folgende Befund liefert eine Er¬ 
klärung für das eigenartige Krankheitsbild: Gesamtzahl der Leuko- 
cyten im cbmm: 700! Die Differentialzählung ergibt : Po ly.: 12 °/ 0 , 
Ly mp ho.: 64 °/ 0 , Mono.: 24 °/ 0 , Eos.: 0 °/ 0 . Die Zahl und das Aus¬ 
sehen der Erythrocyten, sowie der Hämoglobingehalt sind 
völlig normal. (Die an den nächsten Tagen erhobenen ähnlichen Blut¬ 
befunde sind weiter unten tabellarisch zusammengestellt). — Zeichen 
von „hämorrhagischer DiatheBe“ fehlen. Die Ohrblutungszeit 
(nach Duke) und die Blutgerinnungszeit (Methode Werner Schultz) 
sind normal. Die Zahl der Blutplättchen ist normal. Hautblutungen 
fehlen. 8tauungsversuch, Perkussionshammerschlag ergeben keine Haut¬ 
blutungen. Das Blut ist bakteriologisch steril (Charl. Unter¬ 
suchungsamt, Oberarzt Dr. Elkeles). Die Wa.R. und S.G. negativ. 
— 1. H. 22 (10. Krankheitstag): Schmerzen am Mundboden. Es ist 



120 


Lbon 


eine ziemlich derbe, Btark druckempfindliche Schwellung des Mund¬ 
bodens entstanden, die darüber befindliche Haut ist ohne Veränderungen. 
Geringe regionäre Drüsenschwellungen. Der Befund der Zunge ist 
sichtlich im Fortschreiten. Übriger Organbefund unverändert. Augen¬ 
hintergrund : o. B. Die gynäkologische Untersuchung zeitigt 
überraschenderweise einen Befund, der den destruierenden Prozessen an 
den Rachenteilen entspricht: Der introitus vaginae ist ringsum 
von einer ca. % cm breiten, oberflächlichen Ulceration umgeben, die 
von schmierigen, mißfarbenen, gelbgrünlichen Massen bedeckt ist. Ein 
ebensolcher schmaler Nekrosering ist rings um das Orificium ext. 
urethrae vorhanden. Die Vaginalschleimhaut, welche bei Einfuhren 
des Speculums ungemein empfindlich ist, zeigt oberflächliche Ulcerationen. 
Beim EinBtellen der portio uteri sieht man an der vorderen Lippe 3 
etwa linsengroße Schleimhautdefekte von weiß-gelblicher Farbe. Die 
Abstriche von den beschriebenen Nekrosestellen enthalten massenhaft 
Kokken und Bakterien, keine Leukocyten. Go. negativ. — Am 
2. II. 22 (11. Krankheitstag): Das vordere Drittel der Zunge ist heute 
schwarz verfärbt und gegen die dahinterliegenden geröteten und schmierig 
belegten Partien durch eine schmale weiße Zone abgesetzt. Der Foetor 
ex ore ist kaum erträglich. Dabei besteht ausgesprochene Euphorie. 
Scleren deutlich ikterisch. Auch die Haut erscheint ganz wenig 
gelblich. Bilirubin im Serum (nach H. v. d. Bergh) 3/200 000, dir. 
und indir. Reaktion -|—|-. — 5. II. 22 (14. Krankheitstag): Seit vor¬ 
gestern Abend ist Pat. hochfieberhaft: bronchopneumonische Herde der 
U.L. Fast totale Schwarzfärbung der demarkierten Zungen¬ 
partie, die im Begriff steht, sich abzulösen. 

In der Nacht zum 6. II. l l / 2 Uhr exitus letalis an Schluck¬ 
pneumonie. 


Tabellarische Zusammenstellung der Blutbefunde: 



Leukoc. 

Poly. 

Eos. 

Lympho. 

Mono. 

Fr. Kerne 

Reiz. F. 

31. I. 22 

700 

12°/o 

o % 

64°/ 0 

24 0/o 

— 

— 

1. II. 22 

600 





— 

— 

2.H. 22 

800 

10% 

0°/ 0 

51% 

26 o/o 

7% 

6% 

3.H. 22 

800 

34% 

0 °/ 0 

40 % 

13% 

8% 

5% 

4.H. 22 

900 


— 

— 

— 

— 

— 

5. II. 22 

700 

O 

00 

rH 

0°/o 

40% 

O 

o~~~ 

00 

CO 

— 

4% 

Die Zahl 

der Erythroc 

y t e n betrug am 

1. H. 

22: 5 348 000; am 


5. H. 22: 5 048000; der Hb-Gehalt unkorr. nach Sahli: 74/77. 
Die Zahl der Blutplättchen: 204 300. 

Die 12 Stunden nach dem Tode von Prof. Verse vorgenommene 
Obduktion ergab nachstehende anatomische Diagnose: „Agranulo- 
cytosis“. Necrosis apicis linguae. Amygdalitis necrotisans sin. Colpitis 
gangraenosa ulcerosa. Pneumonia lobul. et Pleuritis fibr. praecipue lat. 
sin. Cholelithiasis. Intumescentia hepatis. Icterus levis universalis. 
Lien lobatus. Medulla femoris partim rubra. Aus dem Sektionsprotokoll 
erwähne ich noch folgende Einzelheiten: Lymphdrüsen: Am Hais 
und auch sonst nicht vergrößert. Milz: 230 g. Sie besteht aus 7 



Über gangräueszierende Prozesse mit Defekt des Granulocytensystems. 121 

größeren und einigen kleineren Einzelmilzen. Die 2 größten sind etwa 
hühnereigroß. Auf dem Durchschnitt ist die Pulpa graurot, ziemlich 
zäh und dicht. Leber: mäßig vergrößert. Auf dem Durchschnitt 
bräunlich, leicht zerreißlich. In der Gallenblase findet man einen etwa 
haselnußgroßen Cholesterinstein. Knochenmark: das Femur ziemlich 
rötlich gefärbt, doch ist in der Diapbyse viel Fettmark vorhanden. 
Mikroskopische Untersuchung: Milz: Follikel mäßig groß. In 
der Pulpa gequollene Endothelzellen, vereinzelte große Riesenzellen mit 
riesigen Kernen vom Typus der Knochenmarkriesenzellen. Im peripor¬ 
talen Gewebe der Leber kleine Rundzellenanhäufungen, ebenso stellen¬ 
weise um die etwas größeren Gefäße der Niere. Schlingen der Glomeruli 
meist gut blutgefüllt. 

Die Infiltrate an den Geschwüren der Vagina finden sich vor¬ 
wiegend perivaskulär um die sehr stark gefüllten Venen herum. Meist 
sind es Rundzellenformen, sehr wenig gelapptkernige. 

Eine eingehendere Untersuchung der Knochenmarkabstriche 
(W. 8chultz) ergab folgendes: In den mit Methylalkohol fixierten Aus¬ 
strichen sieht man zahlreiche große Fettlücken. Die vorhandenen Zellen 
sind lymphoid, d. h. basophil und ungranuliert, darunter einzelne Zellen 
mit stark fingiertem Protoplasma und einem etwas dichteren Kern. Von 
den kleineren lymphoiden Elementen ist dem Kerncharakter nach vielfach 
eine Unterscheidung von lymphocytären Elementen nicht zu treffen. 
Keine Granulocyten, keine Myelocyten. Erythroblasten vor¬ 
handen, nicht sehr zahlreich. Man findet weniger Ubergangsstufen von 
den basophilen Vorstufen der Erythroblasten zu den orthochromatisch 
gefärbten Erythroblasten als im normalen Präparat. Erythrocyten gut 
erhalten, mäßig zahlreich. Megakaryocyten sind vorhanden, nor¬ 
male Größe, nicht vermindert. — 

Auf Grund unserer in allen ihren wesentlichen Erscheinungen 
übereinstimmenden Fälle — es handelt sich um 6 derartige Be¬ 
obachtungen im Zeitraum von 2 Jahren — lassen sich für die 
„Agranulocytosen“ folgende Symptome angeben: Die Krankheit 
befiel Frauen in mittlerem Alter — in unseren Fällen von 
38—61 Jahren. Es fand sich keine Herabsetzung des Ernährungs¬ 
zustandes. Die Patientinnen erkrankten plötzlich, akut unter 
hohem Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl. Die sehr bald 
auftretenden lokalen Affektionen betrafen bei allen 6 Fällen 
stets die Rachenteile, insbesondere die Tonsillen, dreimal das 
Zahnfleisch, zweimal die Zunge, einmal den Larynx, einmal die 
Genitalien, und zwar als Ulcerationen, Nekrosen, diphtherische, 
gangränöse Prozesse. Ferner fanden sich in einem Falle ein brandiges 
Ödem der Haut der linken Brustseite und einmal eine derbe In¬ 
filtration des Mundbodens, jedoch war nirgends eine eitrige Ein¬ 
schmelzung festzustellen. Hautblutungen waren niemals 
vorhanden. Doch war die aut stets nach einigen Tagen mehr 



122 


Leon 


oder weniger deutlich ikterisch verfärbt. Des weiteren fanden 
sich keine oder nur geringe regionäre Drüsenschwellungen. 
Milz und Leber waren in 3 Fällen nicht vergrößert, in 3 Fällen 
mäßig vergrößert. 

Schon im Beginn der Erkrankung, zu einer Zeit, wo die 
lokalen Affektionen noch verhältnismäßig gering sein können, ist 
der Befund der ßlutuntersuchung sehr charakteristisch. Wir 
fanden in allen Fällen hochgradige Verminderung der Ge- 
samtleukocytenzahl — unsere Zahlen betrugen „fast keine“ 
bis höchstens 1800 im cbmm — wobei vor allem die Granulo- 
cyten bis auf 0 herabgesetzt sein können, während die (absolut 
auch hochgradig verminderten) lymphoiden Elemente 68—100 °/ 0 
aller weißen Blutzellen betrugen. 

An dieser Stelle möchte ich auch kurz erwähnen, daß wir bei 
2 Fällen das antiprotolytische Ferment des Serums der 
Kranken prüften (nach R. Chiarolanza), welches, wie sich ergab, 
normale Hemmung der Proteolyse hervorrief. Wir ziehen daraus 
den Schluß, daß der Gehalt an antiproteolytischem Ferment im 
Serum vom Vorhandensein der polynucleären Leukocyten unab¬ 
hängig ist. Zeichen von hämorrhagischer Diathese waren, 
wie schon angedeutet, nicht vorhanden; es fehlten Hautblutungen, 
die Koch’sche Stichprobe war negativ; auch Perkussionshammer¬ 
schlag auf Stellen mit knöcherner Unterlage erzeugte keine Haut¬ 
blutungen. Die Ohrblutungszeit (nach Duke) und die Blutgerin¬ 
nungszeit (Hohlperlkapillarmethode von Werner Schultz) waren 
normal. Die Blutplättchen waren in normaler Zahl vor¬ 
handen. Ferner bestand keine.oder nur geringe Anämie. Die 
Zahl und das Aussehen der roten Blutkörperchen und der Hb-Ge- 
halt waren normal oder nur wenig vom Normalen abweichend. 
Im weiteren Verlauf der Krankheit fiel sehr bald — d. h. inner¬ 
halb weniger Tage — das rasche Fortschreiten der lokalen 
Veränderungen auf, sowie der rapide Verfall des Kräftezustandes 
der Patientinnen. Dabei bestand öfter eine auffallende Euphorie. 
Die Krankheits d a u e r betrug 3—14 Tage. Der Ausgang der 
Erkrankung war stets tödlich, meist durch Pneumonie. 

Therapeutisch waren Arsenbehandlung, Bluttranfusion, 
Diphtherieserum (auch in einem Fall mitDi-Baz.) erfolglos. Salvarsan- 
applikation schien wegen der Nekrosegefahr nicht indiziert. 

Charakteristisch und übereinstimmend waren auch die Ob¬ 
duktionsbefunde (Prof. Verse): Pathologisch-anatomisch waren 
keine konstit. Anomalien, wie Status thymicolymphaticus feststellbar. 



Über gangräneazierende Prozesse mit Defekt des Granulocyteusystems. 123 

Was die hämatopoetischen Organe betraf, so lieferten Milz, Leber, 
Lymphdrüsen nur uncharakteristische pathologische Befunde. 
Dagegen zeigte das Knochenmark schwere Veränderungen: 
Makroskopisch war das Femurmark stellenweise rotes, stellen¬ 
weise Fettmark, das Rippenmark war von ziemlich normaler Be¬ 
schaffenheit. Mikroskopisch aber fällt im Femur- wie im 
Rippenmark eine gewisse Zellarmut an weißen Elementen auf: 
Man findet in mäßiger Zahl verschiedene lymphoide Zellen. 
Leukocyten und Myelocyten sind nicht sichtbar! Myelo¬ 
blasten sind sehr spärlich vorhanden. Dagegen findet man rote 
Blutkörperchen, weniger allerdings ihre Vorstufen, ziemlich zahlreich. 
Megakaryocyten sind in normaler Zahl vorhanden. Be¬ 
züglich dieser letzten Feststellung sei übrigens darauf hingewiesen, 
daß der normale Blutplättchen- und Megakaryocytenbefund in 
Übereinstimmung stehen mit der Theorie von Wright-Schridde 
über die Entstehung der Blutplättchen aus den Megakaryocyten. 

Was die Ätiologie unserer Fälle anbetrifft, so ergab die 
bakteriologische Untersuchung in den Abstrichen von Rachen und 
Nase niemals Spirillen, einmal Di-Baz., einmal reichlich Pneumo- 
coccus mucosus, im übrigen eine uncharakteristische Mischflora; die 
Untersuchung des Blutes (Agarplatten, Galle, Bouillon) einmal 
Pneumokokken, einmal Pneumococcus mucosus, in 3 Fällen war das 
Blut steril. Die Wa.R. war negativ (bei der Obduktion fand sich 
in einem Falle Mesaortitis). 

Contagiosität, insbesondere epidemiologischer Zusammenhang 
der Fälle waren nicht festzustellen. 

Bezüglich der Pathogenese ist nach den Befunden anzu¬ 
nehmen, daß eine unbekannte, wahrscheinlich infektiös-toxische Noxe 
in erster Linie den Granulocytenapparat schädigt. Der Granulo- 
cytendefekt könnte dann subordinatorisch auf hormonalem Wege 
und durch den Wegfall eines antimikrobisch wirkenden Faktors 
die Widerstandsfähigkeit der Gewebe so herabsetzen, daß an ver¬ 
schiedenen Stellen des Körpers Nekrosen entstehen. Weniger wahr¬ 
scheinlich, aber ebenfalls in Frage kommend, ist die Möglichkeit 
einer koordinierten Schädigung an Granulocytenapparat und 
sonstigen Geweben durch die supponierte Noxe. 

Bei der Wahl des Namens des geschilderten Symptomen- 
komplexes wurde nach dem Grundsatz verfahren: „A potiori fit 
denominatio“. 

Es ist nun zu betonen, daß es sich bei unseren Fällen um ein 
besonderes, bisher noch nicht beschriebenes Krankheitsbild handelt, 



124 


Leon 


das allerdings verschiedenen Krankheiten ähnelt und differential¬ 
diagnostisch ihnen gegenüberzustellen ist. So entsteht die 
Frage: Bestehen Beziehungen zur 1. aplast. Anämie (Amyelie, 
Aleukie), 2. akuten Leukämie, 3. zu gewissen Fällen von Sepsis, 
4. zu ähnlichen Affektionen bei Grippe? 

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst der aplast. 
Anämie zu: 1886 von Ehrlich zum 1. Male erkannt, ist sie 
seither als scharf umrissenes Krankheitsbild von den verschiedenen 
Beobachtern geschildert worden. So beschreibt neuerdings Elisa- 
bethBenecke eingehend eine wohl charakterisierte Reibe dieser 
Affektion bei Jugendlichen, welche die klassischen Symptome der 
aplast. Anämie zeigten: Bei allen Pat. fanden sich auffallende 
Blässe, Hautblutungen und Schleimhautblutungen (aus Nase, Zahn¬ 
fleisch und Vagina), ulceröse Prozesse an den Rachenteilen, beson¬ 
ders an den Tonsillen. Dabei geringe oder keine Drüsenschwel¬ 
lungen. Leber und Milz waren nicht vergrößert. Es sind im kli¬ 
nischen Bilde gewisse Übereinstimmungen mit unserer Krankheit 
vorhanden, bei der aber niemals Blutungen, bzw. hämorrhagische 
Diathese beobachtet sind, auch im allgemeinen keine ausgesprochene 
Blässe der Haut auffällt. Es fehlen bei den Blutbefunden die Ver¬ 
minderung der Erythrocyten und Blutplättchen. Ferner unter¬ 
scheiden sich unsere Fälle durch den plötzlichen Beginn und viel 
rapideren Verlauf. Bei der Untersuchung des Knochenmarkes end¬ 
lich finden wir bei der Aplastica eine weitgehende Atrophie, die 
sowohl die weißen, wie auch die roten Formelemente betrifft. Bei 
unseren Fällen läßt sich lediglich eine schwere Schädigung der 
Leukopoese feststellen, während die Erythropoese nur in geringem 
Grade gestört ist. 

Wenden wir uns nunmehr den Systemerkrankungen zu, welche 
nur die weißen Elemente betreffen, und die unserer Erkrankung 
in mancher Hinsicht ähneln; untersuchen wir also die Frage: Be¬ 
stehen Beziehungen zu den akuten Leukämien? Hierbei wird 
es unsere Aufgabe sein, die sog. „atypischen“ Fälle von akuter 
Leukämie zu betrachten, die mit aleukämischem oder subleukä¬ 
mischem Blutbild, ja vor allem auch mit Leukocytenverminderung 
einhergehen. 

Nägeli, Mayer u. Sternberg, Herz, Hirschfeld u. 
Dünner u. a. haben bei den akuten myeloischen Leukämien 
„Formen mit niedriger oder verminderter Leukocytenzahl“ be¬ 
obachtet. 

Und mit Bezug auf die akuten Lymphadenosen sagt Nägeli: 



Über gangräneszierende Prozesse mit Defekt des Grannlocytensystems. 125 

Die Vermehrung der Leukocyten ist im Anfang oft eine sehr un¬ 
bedeutende, ja es sind sogar zunächst subnormale Zahlen bis zu 
3000 beobachtet worden. Allerdings steigen diese Zahlen im all¬ 
gemeinen im weiteren Verlauf. Doch „gibt es Beobachtungen, 
nach denen stets sogar nur subnormale Werte entdeckt werden“. 

Auch andere klinische Erscheinungen der „atypischen“ Er¬ 
krankungen können an unsere Fälle erinnern. In seiner Einteilung 
der akuten lymphatischen Leukämie hebt Nägeli Fälle hervor, 
bei denen gangränöse Prozesse in der Mundhöhle, besonders an den 
Tonsillen, als die Ursache des Leidens erscheinen, während andere 
Symptome dagegen ganz zurücktreten. 

Wenn auch hiernach intra vitam gewisse Schwierigkeiten in 
der Diagnosenstellung denkbar wären, so läßt sich einmal bezüg¬ 
lich des Blutbildes sagen, daß nach Nägeli Atypie der Lympho- 
cyten für Lymphadenose spricht. Ferner sei auf das Auftreten 
der „Reizungsmyelocytose“ Pappenheim’s das vorübergehende 
Vorkommen von Myelocyten, hingewiesen als Ausdruck der schweren 
Knochenmarksalteration. Was die roten Blutkörperchen anbetrifft, 
so ist die rasche Abnahme ihrer Zahl und der Hb-Werte die Regel, 
wenn es auch einzelne Fälle ohne Anämie gibt. Zu dem klinischen 
Bilde auch der atypischen Formen ist zu bemerken, daß es nach 
Nägeli „doch nur wenige Beobachtungen gibt, bei denen hämor¬ 
rhagische Diathese auf die Dauer gefehlt hätte“. Diese war, wie 
erwähnt, bei keinem unserer Fälle vorhanden. 

Endlich ist der pathologisch-anatomische Befund entscheidend 
und durchaus verschieden von dem unserer Fälle. Auch bei den 
seltenen Beobachtungen von akuter Lymphadenose, wo Milz- und 
Drüsenschwellungen fehlen, ist der histologische Befund charakte¬ 
ristisch. Stets sind lymphocytäre Wucherungen festzustellen, wo¬ 
bei die lymphatischen Organe gewöhnlich ihre Struktur verloren 
haben. Auch bei den nekrotischen Stellen handelt es sich bekannt¬ 
lich um zerfallene Lymphome; ich möchte hier an den von Hirsch¬ 
feld und Dünner beschriebenen Fall von akuter Myeloblasten¬ 
leukämie erinnern mit extrem niedrigen Leukocytenwerten (400 bis 
900), mit Fehlen der Milz und Lebervergrößerung und mit nur 
geringen Drüsenschwellungen, aber ausgesprochener hämorrhagischer 
Diathese und Anämie. 

Die Annahme, daß es sich bei den Agranulocytosen vielleicht 
um perakut verlaufende „akute Leukämien“ handeln konnte, bei 
denen es noch nicht zur Entwicklung von leukämischen Wuche¬ 
rungen gekommen ist, bleibt vorläufig bei der Unkenntnis der 



126 


Leon 


Ätiologie der akuten Leukämie eine ungenügend gestützte Hypo¬ 
these. 

Wir kommen nun zu den septisch-infektiösen Erkran¬ 
kungen mit Leukocytenschwund: es sind in eigenartiger 
Weise verlaufende Septikämien, bei denen das Blutbild eine auf¬ 
fallende Verminderung der weißen Blutzellen, insbesondere der 
polynucleären Leukocyten ergibt, während lymphoide Zellen in den 
Vordergrund treten. Beispiele hierfür sind vor allem die Fälle 
von Schwarz, Türk, Stursberg, Marchand, Koch u. a. 
Die Angaben dieser Autoren über die gefundenen Leukocyten- 
werte betragen 600—2100, darunter etwa 90% Lymphocyten. 
Alle Fälle haben ausgesprochene hämorrhagischeDiathese und 
Anämie und aus dem Blute wurden Streptokokken oder 
Staphylokokken gezüchtet. Hierher dürfte auch der im Jahre 
1916 im Krankenhaus Westend von W. Schultz und W. Koch 
beobachtete Fall von Staphylokokkensepsis gehören. Er 
war charakterisiert durch „rapiden Verlauf, Geschwürsbildung in 
Mund- und Rachenhöhle, leukopenisch-lymphocytäres oder lympho- 
cytotisches Blutbild mit Blutplättchenmangel, Erscheinungen 
von hämorrhagischer Diathese, z. B. Hautblutungen oder 
eigenartige Blutblasen“, wie sie auch von Türk und Stursberg 
beobachtet worden sind. Aus dem Obduktionsbefund sei hervor¬ 
gehoben, daß das Femurmark makroskopisch Fettmark war, in dem 
aber bei der mikroskopischen Untersuchung myeloische Elemente 
nicht nachweisbar waren. Die Geschwüre der Tonsillen und 
Rachenschleimhaut erwiesen sich auch mikroskopisch als hämor¬ 
rhagische Nekrose. Und bakteriologisch wurden aus dem 
Herzblute Staphylokokken in Reinkultur gezüchtet. Die 
genannten Fälle unterscheiden sich also von den Agranulocytosen 
durch die hämorrhagische Diathese, Blutplättchenmangel und Anä¬ 
mie, sowie die bakteriologischen Befunde. 

Endlich sind zur Zeit der Grippeepidemien öfter Fälle 
von „nekrotisierender Tonsillitis, Pharyngitis und Laryngitis bei 
Influenza“ aufgetreten. Verse und M. M e y e r sahen 1920 in dem 
kurzen Zeitraum von 6 Wochen 5 derartige Fälle auf dem Obduk¬ 
tionstisch. Es handelte sich um Patienten, die während der 
Epidemiezeit an einer Erkältung erkrankten, in deren Verlauf sich 
plötzlich Halsschmerzen mit hochgradiger Atemnot einstellten, die 
binnen kürzester Zeit zum Tode führten. An Tonsillen, Pha¬ 
rynx und Larynx fanden sich eigentümliche gelbgraue Nekrosen. 
Ferner zeigten die Lungen teils serohämorrhagische, teils eiterige, 



Über gangräneszierende Prozesse mit Defekt des Granulocytensystems. 127 

bronchopneumonische Herde, das Bild der Grippepneumonie. Bak¬ 
teriologisch fanden sich an den erkrankten Herden massenhaft 
Streptokokken in Diploform. Demgegenüber fehlt bei unseren 
Fällen der epidemiologische Zusammenhang. Die Patienten zeigten 
auch klinisch keine Symptome von Influenza. Ebensowenig boten 
die erkrankten Stellen pathologisch-anatomisch den für Grippe 
charakteristischen Befund; auch die bakteriologischen Feststellungen 
weichen ab, so daß keine Veranlassung vorliegt, einen Zusammen¬ 
hang mit dieser Krankheit anzunehmen. 

Schließlich möchte ich noch bemerken, daß wir rasche Leuko- 
cytenverminderung auch hohen Grades sehen unter der Einwirkung 
bestimmter Gifte, wie Arsen, chronischer Benzolvergiftung. Da¬ 
bei treten außerdem Blutplättchenschwund, Anämie, hämorrhagische 
Diathese auf. Daß eine derartige schädigende Wirkung auch 
durch Röntgenstrahlen erzeugt werden kann, hat u. a. Decastello 
beobachtet bei einem Pat. mit chronischer myeloischer Leukämie, 
der lange Zeit mit Röntgenstrahlen behandelt worden war. In 
diesem Falle stellte sich terminal Leukopenie mit Granulocyten- 
schwund ein, ferner gangränöse Geschwürsbildung an einer Ton¬ 
sille, hämorrhagische Diathese, zunehmende Anämie und Ent¬ 
kräftung. Das Knochenmark zeigte „kleinlymphocytäre Umwand¬ 
lung“. Decastello liefert den Nachweis des ursächlichen Zu¬ 
sammenhanges dieser schweren Schädigung mit der Röntgenbehand¬ 
lung. Bei keinem unserer Fälle kam eine Einwirkung dieser 
Gifte ätiologisch in Frage. 

Nach dem Gesagten kann man für die „Agranulocytosen“ 
von W. Schultz annehmen, daß es sich hier um eine durch 
eigenartigen Infekt bewirkte tiefgreifende Schädi¬ 
gung des Knochenmarkes im Bereiche des Granulo¬ 
cytensystems handelt, in deren Zusammenhang eine 
deletäre Widerstandsunfähigkeit wichtiger Schleim¬ 
hautbezirke gegenüber bakteriellen oder sonstigen Schädlich¬ 
keiten manifest wird. 

Die Therapie steht dieser Erkrankung, die ja bei allen 
Fällen in kürzester Zeit zum Tode führte, nach den bisherigen 
Erfahrungen völlig machtlos gegenüber. Denn alle üblichen Ver¬ 
suche, auf die Knochenmarktätigkeit reizend zu wirken, versagten. 


Literatur. 

Ben ecke, E., Über hämorrhagische Diathesen mit Blutplättchenschwund 
und Knochenmarksaplasie bei Jugendlichen. Fol. haem. 1917, Bd. 21. — v. De¬ 
castello, Über Leukopenie und kleinlymphocytäre Umwandlung des Knochen- 



128 Leon, Über gangräneszierende Prozesse mit Defekt des Grannlocytensystems. 

markes bei chron. myeloischer Leukämie und bei Sepsis. Fol. haem. 1912, Bd. 13. 

— Ehrlich, Über einen Fall von Anämie mit Bemerkungen über regen. Ver¬ 
änderungen des Knochenmarkes. Charite-Annalen 1886. — Feer, Lehrbuch der 
Kinderheilkunde 1920. — Frank, E., Die essentielle Thrombopenie. Berliner 
klin. Wochenschr. 1915, Nr. 18 n. 19. — Ders., Aleukia haemorrhagica. Berliner 
klin. Wochenschr. 1915, Nr. 37 n. 41. — Grawitz, E., Klin. Pathologie des 
Blutes 1911. — Herz, A., Wiener klin. Wochenschr. 1909, Nr. 14. — Die 
akute Leukämie, Wien 1911. — Heubner, Lehrbuch der Kinderheilkunde 1911. 

— Hirschfeld, Über aplast. Anämie. Fol. haem. 1911, Bd. 12. — Ders. u. 
Dünner, Zur Differentialdiagnose zwischen Sepsis und akuter Leukämie. Ber¬ 
liner klin. Wochenschr. 1918, Nr. I. — Koch, W., Ein Fall von Staphylokokken¬ 
sepsis mit Leukopenie usw. Med. Klinik 1916, Nr. 19. — March and, F., Über 
ungewöhnlich starke Lymphocytose im Anschluß an Infektionen. Deutsches Arch. 
f. klin. Med. 1913, Bd. 110. — Morawitz, Blut und Blutkrankheiten. Mohr- 
Staehelin 1912. — Nägeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. Leipzig 1919 

— Pappenheim, Fol. haem. Bd. 12, Referatteil. Sitzungsbericht der Berliner 
hämatolog. Ges. — Pfaundler u. Schloßmann, Handb. der Kinderheilkunde 

— Schridde, Die Entstehung der Blutplättchen. Deutsche med. Wochenschr. 
1911, Nr. 51. — Schultz, W., Die Purpuraerkrankungen. Erg. d. inn. Med. 
u. Kinderheilk. 1919, Bd. 16. — Schwarz, Gesellsch. f. inn. Med. u. Kinder- 
heilk. Wien 1904. Ref. d. Wiener klin. Wochenschr. 1904. — Selling, Ber¬ 
liner klin. Wochenschr. 1915. — Stursberg, Zur Differentialdiaguose zwischen 
Leukämie und Sepsis usw. Med. Klin. 1912, Nr. 13. — Türk, Septische Er¬ 
krankungen bei Verkümmerung des Granulocytensystems 1907, Nr. 6. — Wino- 
gradow, W., Zur Frage von der Herkunft der Blutplättchen. Fol. haem. 1914, 
Bd. 18. 


Kleinere Mitteilnng. 

Eine selten günstige Gelegenheit 

zur gründlichen Fortbildung in der Tuberkulose bieten die vom 
Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen und 
dem Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose ver¬ 
anstalteten unentgeltlichen Heilstättenkurse. Eine Reihe .von Heil¬ 
stätten hat sich freundlichst bereit erklärt, eine Reihe von Ärzten für 
den Zeitraum von etwa 8 Tagen unentgeltlich aufzunehmen und zum 
Selbstkostensatz zu verpflegen. Während der Zeit des Kurses 
finden Vorträge aus allen Gebieten der Tuberkulose, teils von 
Ärzten der Anstalt, teils von Dozenten aus benachbarten Universi¬ 
täten statt. Vor allem wird aber Wert auf die praktische Be¬ 
tätigung der Kursteilnehmer gelegt, damit ihnen die Möglichkeit 
geboten ist, auch die bei der Behandlung der Tuberkulose erforder¬ 
lichen Handgriffe selbst vorzunehmen. Die Kurse verbinden mit 
dieser gründlichen Fortbildung auch die Vorteile eines wohlfeilen 
Ferienaufenthaltes. Der nächste dieser Fortbildungskurse findet 
vom 80. Juli bis ö. August in der Heilstätte Beelitz statt. Da die 
Zahl der Teilnehmer nur eine beschränkte sein kann, ist schleu¬ 
nigste Meldung beim Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungs¬ 
wesen in Preußen, Berlin NW. 6, Luisenplatz 2—4, erforderlich. 



129 


Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. 

Von 

Dr. P. Hampeln. 

Riga. 

(Mit 1 Abbildung.) 

Querrisse der Aorta sind lange bekannt und oft beschrieben 
worden, z. T. in zahlreichen kasuistischen Einzelberichten, z. T. in 
größeren Arbeiten, so in den grundlegenden von E pp in ge r (1), 
Boström (2), Thoma (3), ferner in den späteren Bearbeitungen 
des Aneurysma dissecans von Flockemann (4), Schede (5) und 
Sella (6). 

Diesen zahlreichen Mitteilungen zufolge gehören größere Quer¬ 
risse der Aorta, namentlich die völlig peripheren und nicht eigent¬ 
lich traumatischen, zu Seltenheiten. Kleinere und flachere hingegen, 
von etwa 1—2 cm Länge, kommen nach Boström (1. c. S. 20) 
häufig vor, werden nur leicht übersehen. Ihre relative Häufigkeit 
kann ich nach einem eigenen Beobachtungsfall bestätigen, in dem 
außer zwei über den Aortenklappen gelegenen, ins Perikard durch¬ 
gebrochenen, nicht traumatischen Querrissen von 1—2 cm Länge, 
sich in der thor. desc. noch „zahlreiche kleine, spaltförmige Ein¬ 
risse der Intima mit blutig imbibierten Rändern“ fanden (Krann- 
hals). Es scheint, auch nach anderen Beobachtern z. B. Schrötter 
(7) zu urteilen, die thor. desc. eine Prädilektionsstelle der kleinen 
Risse zu sein, besonders bei Mitberücksichtigung der ja aus ihnen 
hervorgehenden, oft hier sitzenden Eppinger’schen und dissezieren- 
den Aneurysmen. Die größeren aber von ihnen, besonders die 
„peripheren“, dominieren allerdings in der Aorta ascend., wo sie, 
meist 1—2 cm oberhalb der Klappen, aber auch gleich über ihnen, 
oder, in seltenen Fällen, höher hinauf, bis 6 cm hoch sitzen. Da¬ 
her das häufige Hämoperikard bei hier perforierten Rissen; denn 
der Herzbeutel umhüllt wie ein Mantel die Aorta und pulmonalis 
bis 1 cm vor der Ursprungsstelle des truncus anon., so daß alle 
Durchbrüche von Rissen oder Aneurysmen dieses Aortenabschnittes 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 9 



130 


Hampeln 


in das Perikard, seine fehlende Obliteration vorausgesetzt, statt¬ 
finden müssen. 

Die Häufigkeit der sog. spontanen Aortenrisse in der Nähe der 
Klappen beruht wohl z. T. auf dem starken, noch unverbrauchten 
Anfangsdruck des Blutes (Oppenheim (8)), scheint aber anderer¬ 
seits von der von Rindfleisch (9) festgestellten „halbknorpeligen 
Verdickung des Perikards“ abzuhängen, die „querfingerbreit über 
den Klappen“ die Kreuzungsstelle der Aorta mit der pulmonalis 
„wie eine richtige Klammer umgibt — vinculum Aortae“. Darum 
erfolgt bei plötzlicher Anspannung der Aorta häufig an dieser 
Stelle ihr Riß. 

Eine zweite, schon erwähnte Prädilektionsstelle der Risse be¬ 
findet sich, wegen eines gleichen „vinculum“ an der Insertions¬ 
stelle des lig. arteriosum, am Anfänge der thor. desc. Daraus er¬ 
klärt sich die Häufigkeit der aus Rissen hervorgehenden disse- 
zierenden und gewöhnlichen Rupturaneurysmen an dieser Stelle. 
Doch gibt es noch andere auffallende Rupturstellen, so die in der 
Mitte der verlängerten A. asc., wie im Zahn’schen Fall (10), in 
einem Falle von E. Fränkel (11) und P. Ernst (12). Hieraus 
folgt die Annahme eines Entstehungsmechanismus, wie er einem 
in der Mitte reißenden, plötzlich angespannten Faden, oder in seiner 
Mitte brechenden, gebogenen Stabe zugrunde liegt. Die kurzen 
Biegungen der Aorta an ihrem Übergange zum Arcus und zur thor. 
desc. schaffen Teilsysteme von Spannungen und Drucken: das erste 
in der asc., das zweite im Querbogen, das dritte in der thor. desc. 
bis zum hiatus a., das vierte in der abd., aus denen solche, dem 
Hebelgesetz unterworfenen Maximalspannungen (Möller) in der 
Mitte eines jeden Systems, und davon abhängige Aortenrisse und 
-aneurysmen wohl folgen könnten. 

In überwiegender Mehrzahl der Fälle liegen aber die größeren 
Querrisse in der A. asc., in der Nähe der Klappen, wo sie, früher 
oder später, ins Perikard zu perforieren pflegen. Doch kommt es 
auch zur Verheilung, selbst größerer und tieferer Risse und zwar 
in auffallender Abhängigkeit von gleichzeitig aus ihnen hervor¬ 
gegangenen dissez. Aneurysmen. Diese scheinen den Riß vor der 
tödlichen Perforation zu schützen, wenn auch nicht auf die Dauer, 
so doch für längere Zeit, mehrere Jahre, selbst bei völlig peripherer 
Ruptur, wie in den Fällen Fagge, *) Lebert 1 2 ) und Floers- 


1) Literatur 1, S. 60. 

2) Literatur 1, S. 65. 



Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. 


131 


heim (13). Die radiale Richtung des Blutdruckes wird, infolge 
Lamellenspaltung, z. T. axial, zwischen die Lamellen, abgelenkt, 
die gefährdete Adventitia dadurch von einem erheblichen Anteil 
des gesamten Querdruckes befreit und vor der sonst leicht ein¬ 
tretenden Zerreißung bewahrt. Der Media-Intimariß heilt, und das 
Aneur. dissec. tritt mit seinen Verlaufseigentümlichkeiten an seine 
Stelle. 

Hierauf haben, wie ich der Arbeit Schedes (5) nachträglich 
entnehme, schon er, wie Möller hingewiesen, doch ohne die hier 
wiedergegebenen, mir wichtig erscheinenden Folgerungen. 

Von diesen Querrissen nun perforieren, wie schon bemerkt 
worden ist, die meisten, aber doch nicht alle. Es bleiben, auch 
unter den größeren von ihnen, selbst den völlig „peripheren“, un¬ 
komplizierten Rissen, Fälle mit Verheilung der Rißwunde nach, 
von denen ich folgende in der Literatur ermitteln konnte. 

1. Rokitansky (14). Völlig peripherer Riß „mit neugebildeter 
Intima“. 1859. Oft, aber nur kurz zitierte Arbeit. 

2. Recklinghausen (15), 1864, mit zwei Querrissen, von 
denen der erste, 2 cm lange, 2 ’/ 2 cm über den Aortenklappen lag. Sein 
„vertiefter Grund war von glattem, weißem Gewebe eingenommen“. 
Aortenintima glatt, ,,gut aussehend“, doch bei starkem Zug leicht zer- 
reißlich. Der zweite „völlig periphere“, geheilte Querriß lag 2 x / 2 cm 
unter dem Ansatz des lig. arteriosum an der thor. desc. An ihm be¬ 
ginnt ein an. dissec. 

3. Zahn (10), 1878. 37jährige Frau. Tod an Pneumonie. 
Die A. asc. ist in einen weiten „zylindrischen Sack“ von 12—13 cm 
Länge (statt 6 normal) und 14 cm Breite verwandelt. Sie ist durch 
einen in ihrer Mitte gelegenen, fast peripheren Querriß, in zwei Hälften 
geteilt, von denen jede 6 cm lang ist. Der Riß ist seicht vertieft, oben 
und unten „scharf abgesetzt“ und besteht aus zwei, durch eine 2 x / 2 cm 
breite Brücke voneinander geteilten Abschnitten von 4 resp. 7,5, also 
im ganzen 11,5 cm Länge (gegen 14 cm Gesamtumfang der Aorta). In 
diesen Riß mündet schräg ein zweiter. Der quere Hauptriß ist 0,9 — 2 cm 
breit, mit steil abfallenden Rändern der Intima und Media. Der Grund 
des Risses ist von „rötlichem, durchscheinendem“ Gewebe bindegewebiger 
Natur ausgefüllt. Adventitia unverändert. 

Also ein geheilter, 11 J / 2 cm langer, fast vollständiger Querriß der 
offenbar schon vorher aneurysmatisch erweiterten Aorta asc. genau in 
ihrer Mitte und dennoch ohne nachteilige Folgen. 

4. Eppinger (L. 1 F. 21), 1887. 69jähriger Knecht. Aorta 

asc. 9,5—10 cm breit, mit runzliger, verdickter Innenfläche und einem 
„längs-ovalen Substanzverlust“, dessen Ränder steil abgesetzt sind. Zart¬ 
faseriges, neugebildetes Bindegewebe füllt den Grund. 

5. Boström (1888, L. 2, p. 10). 48jährige Frau. Zwiebel¬ 
artige Erweiterung des Aortenanfanges bis 4 , / 2 cm oberhalb der Klappen, 

9* 



132 


Hampeln 


besonders stark hinten. Hier ein 5 cm langer Querriß der inneren 
Schichten, über den Klappen, der 2—2 1 / J cm klafft. Den unteren 
Hand dieses Risses bildet eine 8 mm in das Lumen der Aorta 
vorspringende Leiste, die aus den „abgerissenen, abgeschobenen, 
verdickten inneren Aortenschichten“ besteht und an beiden Seiten vom 
Endothel bekleidet ist. Vollkommene Heilung. „Eine ganze Anzahl“ 
geheilter Rupturen über dem Aortenursprung, von höchstens 5 cm Länge. 
Im übrigen Aorta normal. 

6. E. Frankel (11), 1889. Tod unabhängig von der Ruptur. 
„Etwa in der Mitte“ der A. asc. ein quer verlaufender Riß der hinteren 
Wand, ca. 4 cm lang. Der obere Rand des Risses, 0,5 cm tief 
„unterminiert“, ist „in einer Ausdehnung von 1 x j t cm nach 
innen umgerollt“, haftet im übrigen fest an der Unterlage. Intima 
und 2 / 8 der Media eingerissen. Ausfüllung des Defekts mit Intimagewebe. 

Auch in diesem Fall handelt es sich um einen verhältnismäßig kleinen, 
aber durch Umrollung und Unterminierung des oberen, herzdistalen 
Randes, ausgezeichneten Riß. 

7. Schrötter (7). Gerichtliche Sektion. Maurer, 40 J. alt, 
bei der Arbeit plötzlich, infolge einer Aortenruptur ins Perikard, ge¬ 
storben. 1,6 cm über den Aortenklappen ein völlig peripherer, querer, 
durch die Intima und oberflächlichen Mediaschichten gehender Riß, mit 
Bildung eines „fingerbreiten“ Spaltes. „Rand geradlinig“, zum Teil über¬ 
hängend und abgerundet. Grund des Spaltes flach, „nicht aneurysmatisch 
ausgebaucht“, von rötlich-gelben, glatten Gewebe ausgekleidet. Außer 
diesem geheilten, völligen Querriß von unbekannter, vielleicht langer 
Dauer, fand sich noch ein zweiter, wohl infolge der schweren Arbeit 
akut entstandener, frischer Riß von 5 1 / 9 cm Länge und 1 cm Breite, 
der ins Perikard perforiert war. 

8. Ernst (Zürich) (16). 2 cm unter dem Abgänge der linken 

Subclavia „im ganzen Umfange der Aorta eine 4 1 / 9 cm lange Quer¬ 
furche“. Vollständige Unterbrechung der Media, von der ein kleiner 
Rest an der unversehrten Adventitia haftet. Der Grund der Furche von 
neugebildetem Bindegewebe gedeckt. Chronische interstitielle Nephritis, 
Urämie, Hypertrophie des linken Ventrikels. 

Im Anschluß an diese Mitteilung Ernst’s berichteten Beneke, 
Schmorl, Chiari, an derselben Stelle (16), über 7 geheilte, meist 
kleinere Querrisse, von ihnen 6 in der A. desc., über den Klappen. 
Nur einer davon ist als „fast zirkulär“ angegeben. 

Im ganzen also 15 geheilte Querrisse der Aorta, doch nur 
4 wirklich periphere: 2 der A. asc. und 2 der thor. desc. in 
Deutschland, in den letzten 7 Jahrzehnten. Trotz ihrer ver¬ 
schwindend kleinen Zahl scheinen sie für die Entscheidung der 
Frage nach der möglichen Entstehung eines gewöhnlichen, nicht 
dissezierenden, peripheren Aortenaneurysmas aus einer Querruptur 
dennoch von Bedeutung zu sein. Schon die Fälle fast völlig peri¬ 
pherer, geheilter Querrisse der Aorta von Zahn und Ziegler (17) 



Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. 


133 


weisen auf eine solche Möglichkeit hin. Vollends fordern die 
totalen Querrisse, mit denen erst alle Bedingungen zur Ent¬ 
stehung eines solchen Aneurysmas gegeben sind, dieses als ihre 
letzte Konsequenz heraus. Nach Eppinger kann ein „Ruptur¬ 
aneurysma“, je nach der Länge des Risses, ein „sackiges“ (also 
wandständiges) oder „hemiperipheres“, endlich auch „peripheres“ 
sein. Ben da (18, S. 86) sagt, daß, wenn „der Eingang (des 
Aneurysmas) den Gefäßumfang umgreift“, sich die seltene Form 
des „ringförmigen Aneurysmas zeigt. 

Doch scheint das nur an peripheren Gefäßen, z. B. am truncus 
anon. (Eppinger, 1. c. Fall 25) beobachtet worden zu sein, nicht 
am Aortenstamm, ln bezug auf diesen liegen bisher nur Andeu¬ 
tungen, Ahnungen eines solchen Aneurysmentypns vor, so, wenn 
Sehr öfter (7) sagt: „daß der Spaltengrund in seinem Falle von 
totaler Querruptur nicht aneurysmatisch ausgebaucht“ war, 
oder Beneke (19): daß der Spalt „eine Art flachen Aneurysmas“ 
darstellte. 

Daß es aber wirklich Aortenaneurysmen dieser Art gibt, da¬ 
für sprechen 2 Fälle meiner privaten Praxis, deren Mitteilung ich, 
um nicht mißverstanden zu werden, folgendes über die zurzeit noch 
unentschiedene Frage nach Einteilung und Bezeichnung der Aorten¬ 
aneurysmen vorausschicke. Es scheint zweckmäßig, die Aneurysmen, 
wie das meinerseits (27) einmal versucht worden ist, nicht nach 
ihrer verhältnismäßig nebensächlichen äußeren Gestalt, sondern nach 
ihrem deutlich verschiedenen Entstehungsgrunde, also nach gene¬ 
tischem Prinzip, in 2 Hauptformen einzuteilen: 1. Die ektatische 
Form; 2. die von Eppinger entdeckte, von jener wesentlich 
verschiedene Rupturform. 

Bei der ersten, von der einfachen, gewöhnlich diffusen Ektasie 
leicht zu unterscheidenden Form, ist die umschriebene, periphere 
oder einseitige Übererweiterung (öv-evQvo^ia) 1 ) des Aorten¬ 
lumens, infolge allmählicher Ausdehnung der mesaortitischen Aorten¬ 
wand, das entscheidende. Daher die gute Bezeichnung: ektatisch 
(Puppe). Bei der zweiten handelt es sich um ganz andersartige 
Entstehung des Aneurysmas aus einem Riß der inneren Aorten¬ 
wandschichten, sei es infolge akuter, traumatischer Dehnung oder 
Verletzung, sei es infolge umschriebener ulzerativer oder entzünd¬ 
licher „Einschmelzung“ (Benda) einer kleinen Aortenstelle. Diesen 
zwei, zahlreich vertretenen Hauptformen sind die selteneren Neben- 


1) ’a, ’av, non privativum, sed „intensivum“ vel augmentativum. 



134 


Hampeln 


formen: das dissezierende, kongenitale, embolische, mykotische, 
arrosive u. a. An. leicht einzufügen. Zwischen den zwei Haupt¬ 
formen gibt es häufige Kombinationen, doch keine Übergänge. Vor 
allem sind die bei allen Aneurysmen vorkommenden späteren 
Rupturen und flächenhaften Wandzerstörungen nicht mit der pri¬ 
mären, eigentlichen Entstehungsruptur zu identifizieren, da es sich 
um Vorgänge ganz verschiedener Ordnung handelt. Vermeidet man 
das, so bereitet Einteilung und Benennung der Aneurysmen, ohne 
einem oder dem anderen von ihnen zu nahe zu treten, keine 
Schwierigkeiten. 

In dem hier angegebenen Sinne wird auch in dieser Arbeit 
zwischen ektatischem und Rupturaneurysma, das man der größeren 
Eindeutigkeit wegen als „rhexeogenes“ (d. h.: aus einem Riß ent¬ 
standen) bezeichnen könnte, unterschieden. 

I. 

Peripheres Aneurysma der Brustaorta. Initiale 
Brachialneuralgie links. Tod nach 4 1 j 2 Jahren infolge Perforation 
ins Perikard. 

Patient, 63 J. alt, aufgenommen im Januar 1902, gab an, seit 
3 Jahren an starken Armschmerzen links zu leiden, bei im übrigen 
gutem Befinden. Heiserkeit seit 2 Monaten. Deutliche Zeichen eines 
Brustaneurysmas links oben: Pulsation, Bronchenstenose, links fehlender 
Subclavia- und Armpuls. Gelatineinjektionen ohne Erfolg. Übergabe 
des Patienten an neurologische Behandlung. Nach einigen Monaten 
hörten die Schmerzen auf. Es ging nun bis Ende Februar 1903 ziem¬ 
lich gut. Da stellte sich blutiger Auswurf ein. Einige Tage später 
zum Falle hinzugezogen, entschied ich mich, trotz des naheliegenden 
Verdachtes einer prämonitorischen Aneurysmenblutung, für einen, sonst 
klinisch verborgenen, Lungeninfarkt, weil im blutfarbenen Auswurf Ery- 
throcyten mikroskopisch nicht nachweisbar waren. 

Das ist aber ein gutes Unterscheidungszeichen der Infarktblutung 
von einer Blutung anderer Genese, da beim Infarkt, worauf schon 
C. Gerhardt in einem Vortrage (Volkmann, Sammlung klin. Vorträge 
(91), aufmerksam gemacht hat, die r. Blutkörperchen nach 4—8 Tagen 
in der Regel unsichtbar werden, während bei anders gearteten Blutungen, 
bei Perforationen, Lungenneubildungen, Arteriosklerose u. a., der gerötete 
Auswurf blutkörperchenhaltig bleibt, weil die Blutung fortwährt, was 
beim Infarkt wohl auch der Fall sein kann, aber meist nicht der Fall 
ist. In den folgenden 3—4 Wochen nahm die Menge des blutigen Aus¬ 
wurfes ab, doch hörte er nicht ganz auf. Sonst ziemlich gutes Befinden 
bis zu dem am 1. Juni 1903 erfolgenden plötzlichen Tode. 

Sektion der Brusthöhle: 1 ) Verwachsung der linken zusammen¬ 
gedrückten Lunge oben und hinten mit der Brustwand. In ihrem Ober¬ 
und Unterlappen mehrere keilförmige, ältere und frischere Infarkte. Ein 


1) Im Privathause. 



Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. 


135 


der Lunge vorgelagertes Aneurysma ist vorne mit der Clavicula, den 
oberen 2 Kippen und dem oberen Sternalteil verwachsen. Knocbenusur. 

Aorta: Die p. asc., 10 cm lang und breit, ist fibrös entartet. 
Viele Knoten, Kunzein, strahlige Furchen und Kalkplatten. Keine Ge¬ 
schwüre. Normale Lage des Truncus an. und der Karotis sin. Jener 
ist 1 1 / 2 cm weit, mäßig sklerotisch, diese etwas verengt, doch offen. 
Die linke Subclavia fehlt. Dicht am Karotisursprung beginnt ein 
großes Aneurysma, das von der Aorta durch eine periphere, schnurartige 
Leiste in einer Queiausdehnung von 16 cm ahgesetzt ist. Weiterhin 
wächst der Querumfang bis auf 28, und verringert sich am Ausgauge 
des An. auf 11 cm. Die Längsausdehnung beträgt etwa 15 cm. An 
der im deszendierenden Teil der Aorta liegenden Ausgangsöffnung springt 
eine sichelförmige nicht ganz periphere, duplikaturen- 
artige Leiste 1 1 j i cm in das Lumen der Aorta vor und trennt hier 
scharf das Aneurysma von der thoracica desc. Das Aneurysma weist 
mehrere zerstörte Wandstellen auf und ist von geronnenem Blut, sowie 
geschichtetem Fibrin angefüllt, mit Hinterlassung einer 4 cm breiten, 
am linken Herzrande ins Perikard mit fingerbreiter Öffnung durcb- 
gebrochenen Blutrinne. Großes Hämoperikard. 

Die Innenschicht der Aneurysmenwand unterscheidet sich von der 
Aortenintima durch Abwesenheit sklerotischer Merkmale. Die vom 
Aneurysma durch die angegebene Sichel scharf geschiedene thor. desc., 
anfänglich 8 cm breit, sklerotisch entartet, erweitert sich weiterhin zu 
einer auf die abdom. übergreifenden und 8 cm über der Aortenteilung 
endenden Spindel. 

Also eine im ganzen ektatische, sklerotische Aorta mit einem, 
an ihrem Bogen beginnenden großen, peripheren Aneurysma, das 
den Eindruck machte, an der Abgangsstelle der linken Karotis, 
zwischen den Bogen und die von ihm zugleich mit der linken Sub¬ 
clavia abgerückte thor. desc. eingeschaltet zu sein, mit daraus 
später folgender Abtrennung der Subclavia von der Aorta. 

Die scharfe Absetzung des Sackes an beiden Enden, seine 
große Längs- und Querausdehnung, ohne Verwendung der thor. 
desc. zu seiner Bildung, die in solchem Falle hätte erheblich ver¬ 
kürzt sein müssen, was aber nicht der Fall war, spricht für die 
Entstehung des Aneurysmas nicht aus einer Erweiterung, sondern 
einem Riß der Aorta und läßt die 4 */» Jahre vor dem Tode auf¬ 
getretene Brachialneuralgie als Folge beständiger, mit jeder Herz¬ 
systole verbundener Zerrung der linken Subclavia an der Ruptur¬ 
stelle erscheinen. Sie währte nach dieser Auffassung so lange, 
bis die unterdessen obliterierte Subclavia, 1 Jahr vor dem Tode, 
sich von der Aorta desc. gelöst hatte und wohl zwischen die Hals¬ 
muskeln geschlüpft war. Von da an blieb der Kranke schmerzfrei. 

Als ein weiteres, direkter auf einen Riß hinweisendes Zeichen 
kommt die von der sklerotischen Innenfläche der Aorta abweichende, 



136 


Hampeln 


nicht sklerotische Beschaffenheit der Aneurysmen wand und be¬ 
sonders die sichelförmige Leiste am Ausgange des 
Aneurysmas in Betracht. 

Solche Falten und Leisten bedeuten freilich kein unbedingtes 
Erfordernis eines Querrisses. Sie fehlen sogar in den meisten 
Fällen seiner Vernarbung. Andererseits wurden sie an den Zu¬ 
gängen einfach ektatischer Aneurysmen, ohne Riß, wenigstens bei 
erhaltener Intima, beobachtet, wie in einem von Heller (20) mit¬ 
geteilten Falle mit Bildung einer oberen, also herzdistalen Falte 
am Eingänge eines flachen Aneurysmas der hinteren Aortenwand, 
über den Klappen, ferner in einem Falle des hiesigen path. anat. 
Instituts, dessen Kenntnis ich Dr. Adelheim verdanke. Es 
handelte sich um ein zylindrisches, arteriosklerotisches, fast die 
ganze thor. desc. von oben an einnehmendes Aneurysma, mit keil¬ 
förmig nach innen vorspringenden, ringförmigen Leisten an seinen 
beiden Enden. Die Frage, ob ein Riß ihnen zugrunde lag oder 
nicht, konnte ich durch Zählung der Interkostalarterienursprünge 
entscheiden. Im nicht erweiterten, unteren, glatten Teil der 
thor. desc. befanden sich nur 2 Paar Interkostalart., die übrigen 
10 mußten also im aneurysmatischen Teil sein, obschon sie makro¬ 
skopisch in der stark entarteten Wand nicht zu erkennen waren. 
Folglich lag kein Rißaneurysma, sondern ein einfaches ektatisches 
vor. Die Media der Wand war erhalten. Hierher gehören auch 
die Fälle von Puppe (21) und Grütering (22). Im ersten 
handelte es sich um ein kindskopfgroßes An. der thor. desc., „durch 
scharfen Ring oben und unten abgesetzt“, im zweiten um eine 
„zwischen der Ausbuchtung und dem arcus stark vorspringende 
Leiste“. Es fehlt allerdings der mikroskopische Befund in allen 
Fällen, doch spricht die erhaltene, als zerrissen wenigstens nicht 
angegebene Intima für den nicht ruptureilen Charaker dieser 
Aneurysmen. 

Einzelne wiederholt beobachtete Leistenbildungen am Ein- oder 
Ausgange eines Aneurysmas zeichnen sich aber durch eine Eigen¬ 
artigkeit aus, aus der auf eine Ruptur als ihren Entstehungsgrund 
zurückzuschließen berechtigt erscheint. Das sind die vorspringen¬ 
den, völlig oder z. T. „peripheren“, als halbmond-, sichel- und 
lippenförmig angegebenen, schon von Thoma 1 ) beschriebenen 
Falten. Gebilde dieser Art lagen z. B. in drei Fällen Boström, 2 ) 


1) Thoma, L. 3, S. 391 ff. 

2) Boström, L. 2, S. 20 u. 50. 



Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. 


137 


in einem Falle E. Frankel (11), Rindfleisch 1 ) und Löff 1 er (23) 
vor, meist am herzdistalen, aber, bei der Lage des Risses gleich 
über den Aortenklappen, auch am herzproximalen, dem sog. unteren 
Rande, wahrscheinlich infolge der Abhängigkeit seiner Entstehung, 
bei dieser Lage, vom herzdiastolischen Aortendruck (Löffler). 

Aus der Anwesenheit solcher eigenartiger Falten folgt darum 
ein starker Verdacht einer vorausgegangenen Ruptur, der in unserem 
Falle, zusammen mit den anderen Verdachtsgründen den Schluß, es 
habe sich in der Tat um ein aus peripherem Querriß der Aorta 
zwischen linker Karotis und Subsclavia hervorgegangenes „zirku¬ 
läres“ Rupturaneurysma gehandelt, nahe legt. 

II. 

Peripheres Aneurysma der Bauchaorta. Beginn mit 
heftigen Darmblutungen. Darnach völliges Wohlbefinden. Tod 
3 3 / 4 Jahre nach den ersten Anzeichen des An. infolge Perforation 
in die Bauchhöhle. 

Patient, 65 Jahre alt, erkrankte im März 1915, sonst völlig gesund, 
an profuser Darmblutung. Der hinzugerufene Arzt (Dr. Hach) fand, 
bei sonst unauffälligem Befunde, eine undeutliche Geschwulst unter dem 
linken Rippenbogen. Die Blutung stand bald. 4 Tage darauf keine 
Blutreaktion mehr des anfänglich teerfarbenen Stuhls, wie in einem 
interessanten Zypk in'sehen Falle (23 a). Drei Wochen später zum 
Kranken gerufen, fand ich einen elastischen, 8 cm breiten, expansiv 
pulsierenden Tumor in der Nabelgegend. Weder Geräusche noch 
Schwirren über ihm. Periphere Pulse ohne B. Der Kranke gab an, 
vor etwa 9 Monaten, im Bette liegend „zufällig“ einen Tumor in der 
Nabelgegend gefühlt, dann aber nicht weiter darauf geachtet zu haben. 
Traumen oder körperliche Überanstrengungen lagen nicht vor. Maximaler 
Blutdruck: 135—140 mm Hg. Diagnose: Bauchaortenaneurysma. 

Die Frage nach dem eigentlichen Grunde der starken, offenbar hoch¬ 
kommenden, ungewöhnlichen Darmblutung blieb unentschieden. In Be¬ 
tracht gezogen wurde: Embolie einer mesenterica, Perforation des Aneur. 
in den Darm, aber auch eine Blutung ganz anderer, vom Aneurysma 
unabhängiger Genese, wie: ulcus ventriculi, duodeni u. a. Erst nach der 
Sektion und unabhängig von der Konsultation entschied ich mich für 
Perforation des An. in das Duodenum, wie in einem Gerl ach'sehen 
Falle (24), mit dem Ausgange in Verheilung der Perforationsstelle 
doch ohne den pathol. anatomischen Beweis dafür geben zu können. Für 
die große Wahrscheinlichkeit des angenommenen Zusammenhanges sprach 
der klinische Verlauf und der Beginn des Aneur. 4 cm unter der 
mesenter. sup., die mit der vorderen Aortenwand eine „Gabel“ bildet, 
in der der untere Duodenalast liegt, woraus sehr nahe Beziehungen zum 
Aneurysma folgen, während eine Perforationsnarbe der Untersuchung 
leicht entgehen konnte. 

In den folgenden 3 Jahren völliges Wohlbefinden, bis auf geringe, 


1) Rindfleisch, L. 9, S. 374 



138 


Hampeln 


noch einige Male, zuletzt im März 1917, ein Jahr vor dem Tode, auf¬ 
tretende Blutungen, ohne okkulte Nachblutungen. Anfang Februar 1918 
stellten sich endlich Perforationserscheinungen des Aneurysmas ein, mit 
nach 10 Stunden erfolgendem, tödlichem Ausgange. 

Sektionsbefund. 1 ) (Dr. Hach.) Kleiner Wuchs. Die Bauch¬ 
höhle ist retroperitoneal und peritoneal von großen Mengen flüssigen und 
geronnenen Blutes erfüllt. Magen und Darm leer, kein Blut. Keinerlei 
auffallenden anatomischen Veränderungen (Ulcera, Narben). Nieren 
granuliert, mit starker Fettkapsel, Milz klein. 

^ Aorta durchweg erweitert, und in ihrem Bauchteil stark hügelig 
sklerotisch. Die größeren Aste der Bauchaorta: coeliaca, mesenter. sup. 

und beide renales, normal gelegen und 
beschaffen. 3 cm unter der rechten 
Niereuarterie, resp. 4 unter der ines. sup. 
und 6 1 / 2 cm unter der coeliaca beginnt 
plötzlich ein zirkuläres, sackartiges Aneu¬ 
rysma mit querer, ausgezackter Absetzung 
der Intima an der 6 cm weiten Eingangs¬ 
öffnung. 10 cm weiter geht es auf den 
unteren, dem oberen Aortenstück gleich 
beschaffenen Anteil der Bauchaorta über. 
Dieses, etwa 3 1 / 2 cm über der Teilungs¬ 
stelle, abgeschnittene Stück ist 5 1 / 2 cm 
lang und erweitert sich rasch zu einer 
Spindel. Von den Lumbalarterien konnte 
nur das erste Paar und vom zweiten die 
linke durch Sondierung festgestellt werden. 
Die am Präparat uicht vorhandene me- 
sent. inf. darf wohl, bei ihrem gewöhn¬ 
lichen Ursprung 3 */ 2 cm über der Tei¬ 
lung, als am untersten Aortenstück zu¬ 
rückgeblieben angenommen werden. Bei¬ 
stehende schematische Skizze wird das 
alles besser wiedergeben, als es Worte vermögen. 

Das kindskopfgroße An. ist rechts seitlich durch einen 6 cm langen 
Längsriß in die Bauchhöhle durchgebrochen. Seine äußere Wandschicht 
hat mit der Adventitia, auf die sie ohne Unterbrechung übergeht, das 
gleiche Aussehen, während die innere, glatte, weißgraue Schicht von der 
sklerotischen Aortenintima auffallend absticht. Falten- oder Leisten¬ 
bildungen liegen nicht vor. 

Mikroskop. Befund (Dr. Bertels): Adventitia an den Bän¬ 
dern und über dem Aneurysma von gleicher Beschaffenheit. Herde 
lymphocytärer Infiltration. Media an den Bändern „aufgefasert“, z. T. 
durch Bindegewebe ersetzt. Herde lymph. Inf. Intima sehr ungleich 
dick, aus kernarmem, z. T. hyalinem Bindegewebe bestehend. Bund¬ 
zellen- und kleine Kalkherde. Endothel meist abgestoßen, tiefe Defekte. 
In der Mitte des Aneurysmas: Media: glatte Muskul. und 
elastisches Gewebe stark reduziert und durch Bindegewebe ersetzt, vas- 
kularisiert. Herde lymph. Inf. Intima, wie an den Bändern. 



1) Im Privathause. 



Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. 


139 


Diese Angaben sind einer gefälligen Untersuchung Dr. Ad ei¬ 
lt eims zufolge dahin zu ergänzen, daß an den Rändern des An., 
besonders deutlich am unteren, nur die äußersten Mediaschichten, 
Vs, auf das An. übergehen, während die inneren Schichten, %, am 
Rande wie abgebrochen sind. 

Aus den angegebenen Maßen der Bauchaorta folgt, daß es 
sich nicht um ein ektatisches, auf bloßer Dehnung und Vergröße¬ 
rung der erkrankten Aortenwand beruhendes Aneurysma gehandelt 
haben konnte, das doch mindestens einen Teil der Bauchaorta zu 
seiner Bildung hätte verwandt haben müssen. Die untere Hälfte 
der Bauchaorta, in der das An. lag, hatte aber in ihrem nicht 
aneurysm. Teile noch eine Länge von 6—10 cm, gegen 6—7 cm 
normal, konnte darum schwerlich einen Teil ihrer Wand zur Bil¬ 
dung eines ektatischen Aneur. abgegeben haben, wie es sonst in 
den seltenen Fällen ektatischer Bauchaortenaneurysmen zu geschehen 
pflegt. So reichte z. B. in einem typischen Schrötter’schen 
Fall x ) das gleichfalls unterhalb der Nierenarterien beginnende, 
offenbar ektatische, spindelförmige, arteriosklerotische An., 8 cm 
lang, mit Einschluß der mesenter. inf., ganz richtig bis zur Teilungs¬ 
stelle der Aorta, ganz ebenso in einem Falle Schubert’s (25). 
In einem Falle von Weitz (26), dem vierten seiner, sonst nur 
Rupturan. der Bauchaorta betreffenden Kasuistik, reichte das m. E. 
gleichfalls ektatische An. von 6 cm Länge, die Ursprünge der 
coeliaca und mesenterica sup. einschließend, vom Zwerchfell bis zu 
den Nierenarterien, nahm also fast die obere Hälfte der verlängerten 
Bauchaorta in sich auf. Ein diesen Fällen entsprechender Befund 
sollte auch in unserem Fall, seine ektatische Natur vorausgesetzt, 
Vorgelegen haben. Aus seiner Abwesenheit folgt die Rupturform 
des An., die außerdem durch den nachträglichen mikroskopischen 
Befund bestätigt erscheint. 

Doch entsteht die Frage, woher denn in solchen Fällen, be¬ 
sonders bei so großen Aneur., das Material zur Waudbildung 
stammt. Bei einem Riß von 6 cm Länge und 1 cm Breite hatte 
das zur Deckung des Risses verfügbare Aortenwandstück eine Größe 
von 6 qcm, während der Oberffächeninhalt des Aneurysmas, bezogen 
auf eine Kugel von 6 cm radius, ca. 430 qcm, also das ca. 70 fache 
der verfügbaren Wandfläche ausmachte. Wie konnte aus einem 
so kleinen Stück eine um so viel größere Wand entstehen? Dieser 
scheinbare Widerspruch erklärt sich aus der Tatsache, daß es sich 
bei allen Rupturaneurysmen um eine neugebildete Aneu- 


1) Schrötter (7), S. 258. 



140 


Hampeln, Querrisse und periphere Aneurysmen der Aorta. 


rysmenwand handelt (Eppinger, Benda), sei es durch endo¬ 
genes Wachstum der Wandbestandteile, sei es infolge Heranziehens 
anliegenden Bindegewebes durch exogenes, appositioneiles Wachs¬ 
tum. Eine solche neugebildete Wand des Aneur. endogenen Ur¬ 
sprungs darf besonders bei der bis auf den terminalen Längsriß 
guten Beschaffenheit der Aneurysmenwand wohl angenommen werden. 

In beiden Fällen handelte es sich also wohl um periphere Ruptur¬ 
aneurysmen, hervorgegangen aus einem völlig peripheren Querriß, 
einmal der Brustaorta, das anderemal der Bauchaorta, mit denen 
die letzte Ausgangsmöglichkeit der völlig peripheren queren Aorten¬ 
ruptur und die letzte Art der so formenreichen Aortenaneurysmen 
gegeben zu sein scheint. 

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Fall von An. diss. der abd. Münchener med. Wochenschr. 1901, S. 202. — 
Osler, 16 Aneur. der A. abdominalis. Zentralbl. f. inn. Med. 1906, S. 891, Referat. 
— Phaenomenow, An. der.Bauchaorta bei einem Fötus. Arch. f. Gyn. 1881, 
Bd. 17. — Hilbert, Paul, Über das Vorkommen von Ruptur. . . . Virchow’s 
Arch. 142, S. 218. 



141 


Aus der inneren Klinik der städt. Krankenanstalten Dortmund. 

Leitender Arzt: Prof. Dr. Rindfleisch. 

Bakterien nnd Parasiten des Duodenums. 

Von 

Dr. Fritz Raue 

Sekundärarzt der Klinik. 

Die Bedeutung der Mikroorganismen für Erkrankungen der 
Leber und der Gallenwege trat in besonderem Maße hervor, als 
1891 Naunyn in seiner Monographie über Versuche berichtete, 
daß er aus dem Inhalt der gallensteinhaltigen Gallenblasen Keime 
(Bacterium coli) züchten konnte, die bei Versuchstieren zu einem 
Katarrh der Gallenwege führten, und Naunyn in dem durch Ein¬ 
wanderung von Bacterium coli in die Gallenwege hervorgerufenen 
Katarrh die Ursache für die Entstehung der Gallensteine sah. 
Erneut wurde die Aufmerksamkeit auf die Mikroorganismen bei 
Erkrankungen der Leber und der Gallenwege geleitet, als in den 
letzten Jahren des Krieges und in den Jahren nach dem Kriege 
sowohl in Deutschland (Minkowski, Hart, P. Krause, L. R. 
Müller u. a.) und Österreich (Buchbinder, Hatieganu), aber 
auch aus neutralen Ländern (Lindstedt, Schweden) über ein 
gehäuftes Auftreten des sog. Icterus catarrhalis berichtet wurde, 
wobei in einer ganzen Zahl von Fällen Gruppeninfektionen vor¬ 
kamen, die die Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen Ursache der 
Erkrankung nahelegten. 

Als Eingangspforte für eine Infektion der Leber und der 
Gallenwege kommen neben dem Blut- und Lymphwege die auf¬ 
steigende Infektion vom Duodenum aus in Betracht. Seitdem es 
durch die Anwendung der Einhorn’schen Duodenalsonde gelingt, 
beim Lebenden direkt aus dem Duodenum Sekret zur Untersuchung 
zu gewinnen, sind einzelne Arbeiten über bakteriologische Unter¬ 
suchungen des Duodenalsekretes erschienen. Während für den 



142 


Raue 


Nachweis von T.vphusbazillen die Arbeiten von Stepp, Bossert 
und Leichtentritt, Küster und Holtum einheitliche und 
wichtige Ergebnisse zur Erkennung von Typhuserkrankungen und 
Typhusbazillenträgern erzielt haben, ergab die Untersuchung über 
den Bakteriengehalt des Duodenums beim Normalen und bei Er¬ 
krankungen der Leber und der Gallenwege keine übereinstimmen¬ 
den Resultate. Während Höf er das Duodenum beim Normalen 
steril und Gorke in der Hälfte der Fälle dasselbe steril, im 
übrigen sehr keimarm fand, erhielt Weil bau er in allen normalen 
Fällen, mit Ausnahme von nur einem einzelnen, reichliches Bakterien¬ 
wachstum. 

Die bakteriologische Untersuchung bei .dem durch Sondierung 
gewonnenen Duodenalsekret ist dadurch erschwert, daß der Sonde 
auf ihrem Wege durch Mund, Ösophagus und Magen zum Duodenum 
genügend Gelegenheit zur Infektion gegeben ist. Die Möglichkeit 
zur Infektion im Magen wird beträchtlich eingeschränkt, wenn 
die Sondierung nach 12—14ständigem Nüchternsein ausgeführt 
wird und durch die freie Salzsäure die Bakterien abgetötet oder 
wesentlich abgeschwächt sind (R. Koch, Gregersen, Davis). 
Die Mundkeime lassen sich abtöten oder zum wenigsten so schä¬ 
digen, daß sie in ihrem Wachstum stark gehemmt sind, durch 
reichliches Spülen des Mundes mit Wasserstoffsuperoxyd am Abend 
und am Morgen vor der Sondierung. 

Die sterile Sonde wurde unter diesen Vorsichtsmaßregeln ein¬ 
geführt und der zur bakteriologischen Untersuchung nötige Duo¬ 
denalsaft erst nach längerem Fließen aufgefangen; dabei wurde 
sorgfältig die Beimengung von Magensaft vermieden. In einem 
größeren Teil der Fälle wurde auch das nach Witte-Pepton 
erhaltene von Stepp als Blasengalle angesprochene Sekret bak¬ 
teriologisch untersucht. Den Untersuchungen liegen die Resultate 
von 46 Fällen mit 71 bakteriologischen Untersuchungen zugrunde. 

Unter 6 normalen Fällen war das Duodenalsekret in der Kultur 
in 5 Fällen steril und in einem Falle wuchsen nur wenig Hefen; 
in 2 Fällen waren im direkten Ausstrich Keime nachweisbar und 
zwar einmal Gram -f- Kokken, in 2 Fällen Gram -f- Kokken und 
Gram — Stäbchen. Diese Keime waren jedoch durch die fr. Salz¬ 
säure des Magens abgetötet oder so abgeschwächt, daß sie in der 
Kultur nicht mehr wachsen konnten. Wir fanden demnach beim 
Normalen das Duodenum praktisch steril oder doch sehr arm an 
Keimen. 

Wie verhalten sich nun die Befunde bei Erkrankungen des 



Bakterien und Parasiten des Dnodennms 


143 


Magens und der Gallen wege? Beim Ulcus ventriculi waren int 
Duodenum in der Kultur keine Keime festzustellen. 

Bei der perniziösen Anämie mit typischer Achylia gastrica 
fanden wir in 4 untersuchten Fällen sowohl in der Leber- als auch 
in der Blasengalle Bacterium coli, außerdem in 2 von diesen Fällen 
Staphylococcus albus. Das Vorkommen des Bacterium coli im 
Duodenalsekret bei perniziöser Anämie beschreiben auchKiralfi. 
Höfert und Gorke. Die Anwesenheit dieser Keime im Duodenum 
ist auf Grund unserer Befunde als sicher nicht normal zu betrachten, 
und es läßt das konstante Vorkommen dieser Bakterien an die 
Möglichkeit eines ätiologischen Zusammenhanges denken. Wir er¬ 
innern dabei an die Untersuchungen von Sey der heim, der durch 
eine mittels Alkoholfällung gewonnene Fraktion der Kolikulturen 
bei wiederholter parenteraler Einverleibung von untertödlichen 
Dosen schwere Anämie mit kernhaltigen Erythrocyten, Polychromasie 
und Anisocytose mit Hämosiderose in Milz und Leber erzeugen 
konnte. Bei unseren Fällen von perniziöser Anämie war auch im 
Magensaft Bacterium coli nachweisbar. Als wahrscheinlich ist das 
primäre Wachstum derselben im Magen und von hier Ausbreitung 
auf das Duodenum anzunehmen. Nicht gegen die Möglichkeit einer 
ätiologischen Bedeutung spricht es, wenn auch bei der idiopathischen 
Achylie im Magen und Duodenum Bacterium coli reichlich wächst, 
ohne daß es dabei zum Krankheitsbild der perniziösen Anämie 
kommt, denn Virulenz und pathogene Eigenschaften können bei den 
einzelnen Stämmen ganz verschieden sein. Ausgehend von diesem 
Verhalten der Keime und der Möglichkeit Bakterien durch anders¬ 
artige Bakterien zu überwuchern und zu verdrängen (N i ß 1 e), ver¬ 
suchten wir die bei der perniziösen Anämie vorhandenen Keime 
durch normale Kolikulturen zu ersetzen durch Verabfolgung von 
vollwertigen Kolikulturen per os, ohne daß sich jedoch danach eine 
Besserung im Krankheitsbilde der perniziösen Anämie zeigte. 

Unter 7 Fällen von sog. Icterus catarrhalis war in 6 Fällen 
die Kultur sowohl in der Lebergalle als auch in der nach Witte- 
Pepton erhaltenen Galle steril, nur in einem Falle wuchsen in 
der Lebergalle Staphylococcus albus, während auch hier die Kultur 
der Blasengalle steril war. In der überwiegenden Zahl der Fälle 
konnten also keine Keime nachgewiesen werden, die man ätiologisch 
mit dem noch nicht geklärten und sicher nicht einheitlichen Krank¬ 
heitsbild in Beziehung bringen könnte. Höfert fand unter 9 Fällen 
von sog. Icterus catarrhalis das Duodenalsekret in 3 Fällen steril, 
in einem Falle wuchsen nur wenig Hefen, in den 5 übrigen Fällen 



144 


Raue 


jedoch verschiedene Keime: Coli, Streptokokken, Staphylokokken 
und Diplokokken. Der Prozentsatz der sterilen Fälle war demnach 
bei ihm wesentlich geringer als bei uns, jedoch scheint es uns 
fraglich, ob es sich bei allen 5 Fällen, in denen Keime wuchsen, 
wirklich um ein einheitliches Krankheitsbild des sog. Icterus 
catarrhalis, im Sinne einer Parenchymerkrankung der Leber ge¬ 
handelt hat. Von den 5 Fällen bestand nämlich bei 3 Fällen ein 
Choledochusverschluß. In zahlreichen Untersuchungen des Duodenal¬ 
sekretes fanden wir auch in frischen und schweren Fällen von sog. 
Icterus catarrhalis im Sinne einer Leberparenchymerkrankung 
stets noch Bilirubin im Duodenalsaft, in manchen Fällen im Voll¬ 
stadium der Erkrankung mit starker Bilirubinämie sogar recht 
hohe Werte von 10—14 Bilirubineinheiten. Die Erkrankungen, bei 
denen wir einen kompletten Choledochusverschluß mit farblosem 
Duodenalsekret gesehen haben, waren Fälle von Cholelithiasis mit 
Steinverschluß oder von malignen Tumoren mit Verschluß der 
Gallenwege. Auf Grund unserer bisherigen Beobachtungen nehmen 
wir an, daß es beim sog. Icterus catarrhalis im Sinne einer Leber¬ 
parenchymschädigung überhaupt nie zu einem vollkommenen Ab¬ 
schluß der Galle vom Darm und Farbloswerden des Duodenal¬ 
sekretes kommt. Wenn weitere Befunde in unserem Sinne sprechen, 
so haben wir damit ein wichtiges Zeichen zur Unterscheidung 
zwischen dem sog. Icterus catarrhalis im Sinne einer Leber¬ 
parenchymschädigung einerseits und dem Ikterus durch Choledochus¬ 
verschluß (Stein, Tumor oder Schwellung an der Papilla vateri) 
andererseits. 

Bei Ikterus nach Salvarsan war von 5 Fällen 2 mal Leber¬ 
und Blasengalle steril, in den 3 übrigen Fällen wuchsen Staphylo- 
’ coccus aureus, Coli und als pathogen nicht bekannte gramnegative 
Stäbchen. 

Von besonderem Interesse für die bakteriologische Untersuchung 
schienen im Hinblick auf die Befunde von Naunyn die Erkran¬ 
kungen von Cholecystitis, Cholelithiasis und Cholangitis. Unter 15 
Fällen von Cholecystitis und Cholelithiasis war im scharfen Gegen¬ 
satz zum normalen Duodenalsekret die Kultur nur 2 mal in Leber¬ 
und Blasengalle steril geblieben, obgleich in den untersuchten 15 
Fällen nur einmal keine fr. Salzsäure vorhanden war, und der 
niedrigste Wert von fr. Salzsäure 4 GA. 20 einem Falle mit 
steriler Leber- und Blasengalle angehörte. Beim Normalen stellten 
wir also in 86 °/ 0 der Fälle bei Cholecystitis und Cholelithiasis nur 
in 13 % der Fälle steriles Duodenalsekret fest. Überraschend war, 



Bakterien nnd Parasiten des Duodenums. 


145 


daß unter den in der Leber- und Blasengalle gezüchteten Keimen 
nur 3 mal Bacterium coli wuchsen, davon in 2 Fällen sowohl in 
der Leber- als auch in der Blasengalle, im 3. Fall Lebergalle 
steril, in der nach Witte-Pep ton erhaltenen Galle Bacterium 
coli. Von dieser verhältnismäßig geringen Zahl von Fällen, in 
denen Bacterium coli wuchsen, berichten auch Höfert und Gorke. 
Von weiteren Krankheitskeimen erhielten wir 2 mal hämolytische 
Streptokokken und einmal Diplokokken, die ähnlich wie Pneumo¬ 
kokken aussahen, ferner Staphylococcus albus, Bakteriumalkali¬ 
genes, Hefen und gramnegative Stäbchen, die nicht als pathogen 
bekannt sind. Cholelithiais und Cholecystitis mit Fieber zeigten 
keine Unterschiede in Quantität und Qualität der Bakterien gegen¬ 
über den fieberlosen Fällen. Für das reichlichere Bakterien¬ 
wachstum bei Cholelithiasis und Cholecystitis gegenüber dem Nor¬ 
malen kommen neben Sekretstauung Läsionen des Magen-Darmepi¬ 
thels ursächlich in Betracht, Schädigungen wie sie im Verlauf 
eines akuten Magen-Darmkatarrhes bereits auftreten. 

In 2 Fällen von Cholangitis mit remittierendem Fieber waren 
sowohl in der Leber- als auch in der Blasengalle reichlich Bacte¬ 
rium coli vorhanden. Der eine von diesen Fällen bot im Verlaufe 
der Erkrankung bei 3 maliger Duodenalsondierung in größeren 
Zwischenräumen stets den gleichen Befund, dabei waren im Magen 
die Säurewerte: fr. Salzsäure 18, GA. 38 und es waren im sterilen 
unabhängig von der Duodenalsondierung entnommenen Mageninhalt 
keine Keime gewachsen. Gerade der Umstand, daß bei wieder¬ 
holter Untersuchung, wie wir es bei diesem Fall sehen, und wie 
wir es auch in mehreren anderen Fällen beobachtet haben, stets 
das gleiche Ergebnis gewonnen wird, spricht dafür, daß die bei der 
Duodenalsondierung erhaltenen bakteriologischen Befunde recht 
gut verwendbar sind und uns wichtige Hinweise für die Diagnose 
und für den Erfolg unseres therapeutischen Handelns geben können. 

Beide Fälle von Cholangitis boten noch eine bemerkenswerte 
Besonderheit. Bei dem ersten Falle floß bei der Duodenalsondierung 
die Lebergalle während mehrstündiger Beobachtung dauernd als 
ganz grünes klares alkalisches Sekret und auf Witte-Pepton 
erhielten wir ganz dunkelgrüne klare alkalischs Blasengalle, ein 
Befund, wie wir ihn unter mehr als 120 Sondierungen nur dies 
eine Mal erheben konnten und wie wir ihn auch in der Literatur 
bisher nicht berichtet finden. Je nachdem in der Galle das Bili¬ 
rubin oder das Biliverdin überwiegt, ist die Farbe der Galle mehr 
gelb oder grün. Beim Menschen und bei den meisten fleisch- 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 10 



146 


Raub 


fressenden Tieren kommt hauptsächlich das Bilirubin vor, es hat 
daher die Galle eine gelbe bis braune Farbe; nur im nüchternen 
Zustand und beim Hungern ist beim Menschen in der Blasen¬ 
galle das Biliverdin etwas vermehrt. 

Bei Pflanzenfressern, namentlich bei den Grasfressern wie Rind 
Schaf und Ziege findet sich vorwiegend das Biliverdin, und die 
Galle ist daher hier dunkelgrün. In unserem Falle enthielt sowohl 
die Blasengalle als auch die Lebergalle, überwiegend Biliverdin. 
Im Blutserum war dabei die direkte Bilirubinprobe stark positiv 
mit 27 Bilirubineinheiten. Die Umwandlung des Bilirubins in Bili¬ 
verdin mußte also in den feineren Gallenwegen erfolgen. Über 
die Ursache der starken Oxydation können wir nur Vermutungen 
äußern. Wie oben erwähnt, war an diesem Duodenalsekret bei fr. 
Salzs. im Magen Bacterium coli gewachsen. Wir wissen, daß diese 
Keime neben reduzierenden auch oxydierende Eigenschaften be¬ 
sitzen, es könnte also die Umwandlung auf bakterieller Einwirkung 
beruhen. Dagegen spricht aber, daß in anderen Fällen von Coli- 
infektionen der Gallenwege und auch in vitro bei Colikulturen 
keine solche Umwandlung gesehen wird. 

Der zweite Fall von Cholangitis zeigte im Sediment sowohl 
in Leber- als auch Blasengalle reichlich sich lebhaft bewegende 
Flagellaten die Lamblia intestinalis, ein Befund, der sich in 4 ge¬ 
trennt vorgenommenen Sondierungen in gleicher Weise darbot. 
Wir konnten bei unseren Untersuchungen insgesamt unter 93 Fällen 
5 mal diese Protozoen feststellen. Über das Vorkommen derselben 
beim Menschen wurden in den letzten Jahrzehnten sowohl in Europa 
(Moritz und Hölzl, Müller, Fairise und Jacquot, 
Schilling u. a.) als auch in Amerika (Du Bois und Toro, 
Lyon) und Asien (Fischer) berichtet. Bei unseren 5 Beobach¬ 
tungen hatten wir bei 3 Fällen keinen Anhalt, daß der Befund 
der Lamblia intestinalis in einem ätiologischen Zusammenhang mit 
der Erkrankung selbst steht. Es handelte sich dabei um einen 
sogenannten Icterus catarrhalis, eine Cholecystitis mit Ikterus und 
die bereits oben erwähnte Cholangitis. Anders jedoch glauben wir 
das Vorkommen bei den beiden übrigen Fällen bewerten zu müssen. 

In einem Falle handelt es sich um einen 51jährigen Mann, 
der 1917 unter Fieber und heftigen Durchfällen mit blutig schlei¬ 
migen Stühlen erkrankte. Nach 3 Monaten besserte sich etwas sein 
Zustand, jedoch blieben in den folgenden Jahren noch durchfällige 
oder breiige Stühle mit täglich 4—5 Entleerungen bestehen. Seit 
1918 ist er allmählich blaß geworden und abgemagert. Bei der 



Bakterien und Parasiten des Duodenums. 


147 


jetzigen Krankenhausaufnahme handelte es sich um einen kacliek- 
tisch aussehenden Mann mit mäßiger Anämie von 75 °/ 0 Hämoglobin 
und 8 600000 Erythrocyten. Er hatte täglich 3—4 Stühle von 
breiiger Konsistenz und im Duodenalsekret fanden sich reichlich 
Lamblia intestinalis; sonst ließ sich für die Darmerkrankung durch 
die Untersuchung kein ätiologisches Moment finden. Ein ganz ähn¬ 
liches Krankheitsbild mit Lamblienbefund als einzige in Betracht 
kommende Ursache beschreiben Deglos sowie Fairise und 
Jaequot. Allen 3 Beobachtungen gemeinsam ist eine vorausge¬ 
gangene akute Dysenterie oder eine dysenterieähnliche Erkrankung 
und anschließend eine über Jahre sich erstreckende Darmstörung 
mit zunehmender Kachexie und Anämie. Die Entwicklung scheint 
dabei so zu sein, daß zunächst eine nicht durch Lamblien bedingte 
Darmerkrankung erworben wird und infolge dieser Darmstörung 
ein günstiger Nährboden für die Lamblienbesiedlang entsteht, die 
dann durch massenhafte Vermehrung die Darmstörung unterhalten. 
Für diese angenommene pathogene Bedeutung spricht auch be¬ 
sonders der Fall von Fairise und J a c q u o t, der zur Obduktion 
kam, und bei dem sich chronische Ulzerationen besonders im Cöcum 
und Colon ascendens und als einzige Krankheitserreger im Stuhl 
und in Gewebsschnitten von ulcerösen Partien des Dickdarmes die 
Lamblien in großer Zahl fanden. 

Im 2. Falle war ohne Beschwerden ein zunehmender Ikterus 
aufgetreten. Während der Beobachtung in der Klinik bestand kein 
Fieber, der Urin enthielt reichlich Gallenfarbstoffe, der Stuhl war 
wechselnd gefärbt, teilweise lehmfarben mit wenig nachweisbarem 
Urobilin, zeitweilig recht gut gefärbt mit starker Urobilinprobe. 
Die wechselnde Färbung des Stuhles, das Ergebnis der Duodenal¬ 
sondierung und die negative Galaktoseprobe sprechen gegen einen 
sog. Icterus catarrhalis im Sinne einer Parenchymerkrankung der 
Leber, sondern vielmehr für einen Stauungsikterus durch Abfluß- 
behinderung der Galle in den größeren Gallengängen. Bei der 
Sondierung waren in dem hellgelben Duodenalsaft massenhaft 
Lamblien zu sehen, teilweise einzeln sich lebhaft bewegend, teil¬ 
weise in größeren Haufen zusammengeballt. Da wir aus der ver¬ 
nehmlichen Besiedlung des Duodenums durch Lamblia intestinalis 
schließen können, daß die Galle für die Entwicklung dieser Para¬ 
siten nicht ungünstig ist, da ferner die Lamblien im Darm in sehr 
großer Zahl Vorkommen und ein recht beträchtliches Volumen ein¬ 
nehmen können (Moritz schätzte die Zahl der an einem Tage bei 
einem Kranken ausgeschiedenen Lamblien auf 18 Milliarden, die 

10 * 



148 


Raue, Bakterien und Parasiten des Duodenums. 


bei grober Schätzung ein Volumen von ca. 10 ccm ergeben), so 
halten wir es auf Grund dieser Befunde für möglich, daß die 
Lamblia intestinalis eine Abflußbehinderung der Galle aus dem 
Choledochus bewirken kann und in unserem Falle als Ursache des 
Ikterus anzusprechen ist. 

Überblicken wir die Resultate der bakteriologischen Unter¬ 
suchungen des durch Sondierung gewonnenen Duodenalsekretes, so 
zeigt sich, daß wir in dieser Untersuchungsmethode bei kritischer 
Verwertung der Resultate eine Bereicherung unseres diagnostischen 
Apparates zur Erkennung von Erkrankungen des Darmes, der 
Leber und der Gallenwege erhalten haben. 


Literatur. 

1. Brandenburg, Med. Klin. 1921, Nr. 19, 20, 25. — 2. Buchbinder. 
Arch. f. Verdauungskrankh. 1920, 26. — 3. Davis, Centralbl. f. Bakt. 1922, 3—4. 

— 4. Deglos, Kongr. C. 1920, 13. — 5. Deloch, Mitt. d. Grenzgeb. Bd. 35.— 
6. Du Bois u. Toro, Kongr. C. 1912, 2. — 7. Fairise u. Jacquot, Kongr. C. 
1913, 7. u. 8. — 8. Fischer, Centralbl. f. Bakt. 1920. — 9. Fleckseder, 
Wiener klin. Wochenschr. 1920, 20. — 10. Geßner, Arch. f. Hyg. 1889, 9. — 
11. Gorke, Mitt. d. Grenzgeb. 35. — 12. Gregersen, Centralbl. f. Bakt. Orig. 
1916. — 13. Hatieganu, Wiener klin. Wochenschr. 1918, 22. — 14. Jundell, 
Centralbl. f. Bakt. 36. — 15. Lepehne, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 137 
u. Klin. Wochenschr. 1922, 41. — 16. Lindstedt, Münchener med. Wochenschr. 
1923. 6. — 17. Lyon, Kongr. C. 1921. — 18. Madsen, zit. n. Fleckseder, 
Wiener klin. Wochenschr. 1910, 20. — 19. Mijake, Mitt. d. Grenzgeb. Bd. 6, 20. 

— 20. Moritz u. Hölzl, Münchener med. Wochenschr. 1892, 47. — 21. Nißle, 
Med. Klin. 1918, 2. — 22. Rolly u. Liebermeister, Deutsches Arch. f. klin. 
Med. Bd. 83. — 23. Ruhs u. Frankl, Centralbl. f. Bakt. 1919 — 24. Schilling. 
Centralbl. f. Bakt. 1919. — 25. R. Müller, Med. Klin. 1916, S. 1307. — 26. Seyder- 
helm, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 82. — 27. Weilhaue r, Klin. Wochenschr. 
1922, 51. 




149 


Aus der inneren Abteilung des städtischen Katharinenhospitals 

in Stuttgart. 

(Direktor: Geh. Sanitätsrat Sick.) 

Wege zur Beseitigung der Dauerausscheidung von Typhus¬ 
bazillen mit dem Urin. 

Von 

Dr. K. Sick und Dr. Hellmuth Deist 

Geh. San.-Rat Oberarzt der Abteilung. 

Die Behandlung der Dauerausscheider von Typhusbazillen ist 
bisher ein so unfruchtbares und unbefriedigendes Gebiet des ärzt¬ 
lichen Handelns gewesen, daß jeder Erfolg auf diesem Felde mit 
besonderer Freude begrüßt werden wird. Deswegen sei der folgende 
Fall etwas ausführlicher mitgeteilt. 

Bertha E., Dienstmädchen, 20 Jahre alt, kam am 15. X. 20 typhus- 
krank auf unsere Abteilung. Der Temperaturverlauf entsprach einiger¬ 
maßen dem des klassischen Typhus. Die Darmerscheinungen fehlten 
fast vollständig, während gleich bei der Aufnahme Albuminurie, reichlich 
Leukocyten und hyaline Zylinder nachgewiesen wurden, ohne daß übrigens 
das Bild des Nephrotyphus zustande kam. Auf der Höhe der Fieber¬ 
periode trat ein frühzeitiger Abort ein. Mit dem 2. XI. 20 fiel das 
Fieber ab, die Temperatur blieb von da an normal. Das subjektive 
Wohlbefinden stellte sich außerordentlich schnell wieder ein. Bis zur 
Entfieberung wurden mit Urin und Stuhl Typhusbazillen ausgeschieden. 
Diese verschwanden aus den Fäces endgültig im Laufe des November, 
blieben dagegen im Harn bestehen. Von Ende November an mußte mit 
der Möglichkeit einer Dauerausscheidung durch den Urin gerechnet werden. 
Auch weiterhin konnte im Katheterurin regelmäßig ein vermehrter Ge¬ 
halt von Leukocyten festgestellt werden. Mehrmalige Untersuchungen 
mit dem Cystoskop und dem Ureterenkatheter ergaben, daß eine nennens¬ 
werte Cystitis nicht bestand und daß die Ausscheidung der Bazillen nur 
aus der rechten Niere erfolgte. In dem aus der linken Niere entnommenen 
Urin konnten Typhusbazillen niemals kulturell gewonnen werden. Die 
Kranke, die bisher ohne die geringste Einwirkung arzneilich mit Uro¬ 
tropin, Kampfersäure, Salol und Bärentraubenblättertee behandelt worden 



150 


Sick u. Deist 


war, wurde nun nach Feststellung der Bazillenausscheidung aus nur einer 
Niere regelmäßigen Spülungen des rechten Nierenbeckens zunächst mit 
Hydrarg. oxycyanat. 1 : 5000 unterzogen. Diese wurden etwa jeden 
dritten Tag bis Anfang März fortgesetzt, ohne daß der Befund der Ty¬ 
phusbazillen im Urin sich änderte. Auf Rat von Herrn Professor 
Kielleuthner in München gingen wir dann zu Spülungen mit einer 
Va °/o Urotropinlösung über. Bei den nächsten Untersuchungen ergab 
sich, daß im Katheterurin der Blase weniger Leukocyten als bisher ge¬ 
funden wurden und daß Ende März zum erstenmal keine Typhusbazillen 
mehr nachweisbar waren. Dieser Befund der Bazillenfreiheit des Urins 
wurde bei gleichzeitigem Aussetzen der Urotropinspülungen noch zweimal 
erhoben. Daraufhin entließen wir dann die Patientin am 19. III. 21 
in bazillenfreiem Zustande in der Hoffnung, durch diese Maßregeln die 
Dauerausscheidung beseitigt zu haben. Es sei noch hervorgehoben, daß 
trotz reichlichster Ureteren- und Nierenbeckenspülungen sich bei der 
Kranken niemals irgendwelcher Reizzustand der Blase oder von Ureter 
und Nierenbecken entwickelt hatte. 

Das Jahr nach der Entlassung von unserer Abteilung wurde 
für das Mädchen zum Leidensweg. Nach kurzem Aufenthalt in der 
Heimat trat es im städtischen Krankenhaus zu T. als Dienst¬ 
mädchen ein. Hier wurden Anfang Mai 1921 zum ersten Mal 
wieder Typhusbazillen im Urin nachgewiesen, was zu dem recht¬ 
lich unhaltbaren Vorwurf der dortigen Krankenkasse führte, das 
Mädchen sei hier „ungeheilt“ = krank i. S. der Reichsversicherungs¬ 
ordnung entlassen worden. Nach vorübergehender Isolierung in 
der Medizinischen Klinik zu T. wurde die Patientin, der es un¬ 
möglich war, als Dauerausscheiderin auf dem Arbeitsmarkt in Wett¬ 
bewerb zu treten, schließlich in unserem Krankenhaus unter den 
notwendigen Sicherungsmaßnahmen als Dienstmädchen im Außen¬ 
dienst eingestellt. Es war höchst eindrucksvoll zu beobachten, wie 
sich bei dem früher frischen, kräftigen, lebensfrohen Mädchen unter 
der Last ihrer Bazillenträgerschaft und dem Gefühl der Minder¬ 
wertigkeit gegenüber ihrer Umgebung allmählich asoziales Gebaren 
und hysterische Symptome entwickelten, die zu Schwierigkeiten 
mit der Verwaltung des Krankenhauses und der Stadt zu führen 
drohten, da das Mädchen die Absicht erkennen ließ, die ihr vor¬ 
geschriebenen Desinfektionsmaßnahmen nicht mehr einwandfrei 
durchzuführen. Am 12. II. 22 kam die E. erneut wegen einer 
Angina foll. wieder auf die Krankenabteilung. Als Nebenbefund 
blieb eine Aphonie zurück, die nach dem Kehlkopfspiegelbefund 
psychisch bedingt sein mußte und auf Suggestivmaßnahmen sofort 
zu beheben war. Nach Abklingen der Angina wurde die Frage 
der Bazillenausscheidung nochmals geprüft und festgestellt, daß 



Wege zur Beseitigung d. Dauerausscheidg. vou Typhusbazillen mit dem Urin. 151 

nach wie vor die Bazillen nur aus der rechten Niere ausgeschieden 
wurden. Der Urin der linken Niere blieb steril. Wieder keine 
Anzeichen einer nennenswerten Cystitis! Ein allerdings von vorn¬ 
herein nicht erfolgversprechender Selbstmordversuch (das Mädchen 
legte sich in einem nur selten unbenutzten Baum vor die offene 
Leuchtgasleitung) gab über ihre Gemütsverfassung klaren Auf¬ 
schluß und rechtfertigte energisches Vorgehen. Es wurde darauf¬ 
hin beschlossen, nochmals mit allen Mitteln einen Versuch zu 
machen, die Bazillen zu vertreiben. 2—3 tägige Spülungen mit 
l°/ 0 Urotropinlösung hatten indes nur den Erfolg, daß zeitweilig, 
aber nicht dauernd der Urin steril blieb. Die Frage der Vacci- 
nation wurde erwogen, aber wegen ihres nur ungewissen Erfolges 
schließlich doch verworfen. So blieb noch die völlige Entfernung 
des Organes übrig. Bei der Indikationsstellung zur Nephrektomie 
gingen w r ir von folgenden Gesichtspunkten aus: Dem Mädchen 
mußte neben den ärztlichen auch besonders aus ethischen und so¬ 
zialen Gründen geholfen werden. Es hatte sich bei der Kranken 
eine Art von traumatischer Hysterie entwickelt, die es ihr nicht 
erlaubte, sich verstandesmäßig mit ihrer Bazillenträgerschaft abzu¬ 
finden und die notwendigen Folgerungen für ihre Lebensführung 
daraus zu ziehen. Sie fühlte sich ihrer Umgebung, die ihr oft 
nicht sehr verständnisvoll begegnete, gegenüber stets — nicht ganz 
mit Unrecht — beeinträchtigt. Sollte sie ungeheilt als Daueraus¬ 
scheiderin entlassen werden müssen, so war mit Sicherheit voraus¬ 
zusehen. daß sich sofort Schwierigkeiten mit den Behörden ergeben 
würden. Es war auch nicht abzusehen, wie das Mädchen infolge 
ihrer krankhaften Uueinsichtigkeit durchs Leben kommen sollte, 
da ihr im allgemeinen als Dauerausscheiderin Stellungen als Dienst¬ 
mädchen verschlossen blieben. Da es sich aber nach häufiger und 
stets übereinstimmender Untersuchung um eine Ausscheidung aus 
nur einer Niere handelte, versprach die Nephrektomie vollen Erfolg. 
Aus diesen und den sozialen und psychischen Gründen hielten wir 
die Voraussetzungen für die Operation 'gegebene. Der Chirurg 
ging sofort auf unsere Gedankengänge ein und so wurde am 15. V. 
auf unserer chirurgischen Abteilung durch Herrn Professor Stein¬ 
thal die Nephrektomie ausgeführt und zwar wurde auf unseren 
Vorschlag der Ureter bis an die Einmündung in die Blase mitent¬ 
fernt, da Schwierigkeiten beim Ureterenkatheterismus die Mög¬ 
lichkeit von spezifischen Veränderungen im Harnleiter offen ge¬ 
lassen hatten *). 

1) Vgl. Centralbl. f. Chir. 1922 S. 1531. 



152 


Sick u. Deist 


Unmittelbar nach der Operation wurde mit der Platinöse aus denn 
Nierenbecken ein Abstrich gemacht, aus dem massenhaft Typhusbazillen 
in Reinkultur wuchsen. Die Niere mit Nierenbecken und Harn¬ 
leiter, die in der Prosektur unseres Krankenhauses von Herrn Ober¬ 
medizinalrat Dr. Walz eingehend untersucht wurde, bot schon äußer¬ 
lich auffällige anatomische Veränderungen. Auf den ersten 
Anblick schien eine embryonale Lappung vorzuliegen, während der Harn¬ 
leiter und das Nierenbecken zunächst keine krankhaften Veränderungen 
der Schleimhaut erkennen ließen. An einzelnen Stellen der Nierenober¬ 
fläche zeigten sich im Grunde der Furchen derbere, narbige Stellen, wie 
sie bei Infarkten Zurückbleiben. An all diesen Stellen ergaben die mi¬ 
kroskopischen Schnitte im Grunde der Einziehung ein stark verändertes 
Gewebe, das aber nicht einer Infarktnarbe entsprach, sondern aus der¬ 
berem Gewebe mit zahlreich darin eingelagerten Cystchen bestand, welche 
die Größe eines Nierenknäuels und darüber besaßen und von einem ziem¬ 
lich niedrigen kubischen Epithel ausgekleidet waren. Diese Gewebs- 
partien erstreckten sich, keilförmig sich verjüngend, mehrere mm in das 
Nierengewebe hinein. Am Rande eben dieser krankhaft veränderten Ge- 
webspartien, sowie sonst im Nierengewebe und im Bindegewebe und in 
der Gegend des Nierenbeckens waren zahlreiche größere und kleinere 
Rundzelleninfiltrationen vorhanden in der für chronisch-entzündliche Pro¬ 
zesse charakteristischen Gestalt und Anordnung. Nur an einzelnen 
Stellen und zwar auch im funktionierenden Nierengewebe fanden sich 
solche Zellanhäufungen mit größerer Anzahl von fragmentiert-kernigen 
Leukocyten und Plasmazellen. Da wo solche Entzündungsherde in der 
Nähe des Nierenbeckens anzutreffen waren, konnte auch eine entzündliche 
Infiltration der Nierenbeckenschleimhaut festgestellt werden. Im übrigen 
war die Histologie des Nierengewebes in Mark und Rinde als normal 
zu bezeichnen bis auf auffällige Erweiterung zahlreicher Lympbräume, 
die dem Schnitt schon makroskopisch an manchen Stellen ein löcheriges 
Aussehen verliehen. Man wird dies als Ausdruck abnormer Zirkulations¬ 
verhältnisse ansehen dürfen. Die Färbung der Schnitte auf Bakterien¬ 
wachstum ließ durchweg im Stiche. Die Untersuchung verschiedener 
Partien des Harnleiters ergaben keine Wand-, besonders keine Schleim¬ 
hautveränderungen. 

Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Niere in verschiedenei 
Beziehung erhebliche pathologische Veränderungen aufwies. Die 
Cystenbildung mußte wohl als eine kongenitale Fehlbildung, Ha- 
martom, aufgefaßt werden. Die Anzeichen von Entzündung, die ii 
den verschiedensten Partien des Organs sich festgesetzt hatten 
wiesen jedoch auf entzündliche Veränderungen älteren Datums hin 
die möglicherweise zur Zeit der Typhuserkrankung entstände] 
waren oder aber auch schon einer früheren Zeit angehören konnten 
Auf eine schon frühere Möglichkeit einer Infektion der Harnweg 
weist ja der zu Beginn der Erkrankung eingetretene Abortus hir 
Als das Wichtigste wird wohl die Beteiligung der Nierenbecken 



Wege zur Beseitigung d. Dauerausscheidg. von Typhusbazillen mit dem Urin. 153 

Schleimhaut an der Entzündung zu bezeichnen sein, denn an diesen 
Stellen ist am leichtesten ein Durchwandern oder Durchbrechen 
der Bakterien denkbar. Daß in unseren Schnitten keine Bakterien¬ 
anhäufungen zu finden waren, gilt nicht viel, da nur das negative 
Resultat von Serienuntersuchungen einen gewissen Wert gehabt 
hätte. Es war demnach die Niere mit einer großen Anzahl älterer 
und frischer Krankheitsprozesse durchsetzt, eine Tatsache, auf deren 
Bedeutung wir später noch eingehen müssen. 

Der Ablauf der Bazillenausscheidung vollzog sich nun schnell. Im 
Blasenurin waren am 23. V., also 8 Tage nach der Operation, Typhus¬ 
bazillen noch nachweisbar, die aber nach einigen Blasenspülungen mit 
Kaliumpermanganatlösung verschwanden und auch nach dem Aussetzen der 
Spülungen nicht mehr auftraten. Im August wurde dann die Patientin 
nach abgeschlossener Wundheilung bazillenfrei entlassen. 

Am 8. XII. 22 wurde sie von uns nochmals untersucht. Sie 
machte einen frischen, seelisch ausgeglichenen Eindruck und arbeitet 
regelmäßig in ihrem früheren Beruf. Beschwerden — auch von seiten 
der Wunde — bestehen nicht. Cystoskopisch zeigt sich, daß bezüglich 
der Blase vollkommen normale Verhältnisse vorhanden sind. Die rechte 
Harnleiteröffnung ist auffallend blaß und hat die Form einer mäßig tiefen 
aber breiten Mulde. Ein Eindringen des Katheters in die Öffnung er¬ 
wies sich als unmöglich. Der aus der Blase entnommene Urin blieb steril. 

Ein bakteriologisch interessanter Einzelbefund ist 
noch nachzutragen. Die aus dem Harn gezüchteten Typhuskolonien 
hatten bis zur Ausführung der Nephrektomie in jeder Richtung die 
Eigenschaften der Typhusbazillen gezeigt, was außer in unserem Labo¬ 
ratorium durch Untersuchung an verschiedenen Stellen, auch im hygie¬ 
nischen Institut Tübingen bekräftigt worden war. Nach der Operation 
waren sie noch bis zum 23. V. nachweisbar gewesen. Dann aber trat 
eine auffallende Änderung ein. Es wuchsen zwar noch reichliche Kolo¬ 
nien, die nach der Farbe ihres Wachstums auf Dreifarbenagar und 
Drigalski als Typhusbazillen anzusprechen waren, aber die Beweglich¬ 
keit der Typhusbazillen und besonders die Agglutinabilität eingebüßt 
hatten und Gasbildner waren. Bei eingehender Nachprüfung mit ver¬ 
schiedenen Nährböden ergab sich weiter ein Fehlen von Indolbildung, 
was wieder für Typhus sprach, dafür in der Farbe des Wachstums bei 
verschiedenen Agarnährböden ein wechselndes Verhalten, was einerseits 
für Coli andererseits für Typhus und auch für Bact. faecalis alkaligenes 
verwertet werden konnte. Der Untersucher (Hofrat Koch) sprach sich 
schließlich für ein Bakterium zwischen Coli und Fäcalis alkalig. aus. 
Das eigenartige Verhalten dieser Bazillen blieb bis September 1922 das¬ 
selbe. Dann wurde bis Dezember nicht mehr untersucht. Die letzte 
Untersuchung am 8. XII. 22 ergab, wie oben schon berichtet, sterilen 
Urin. 


Im vorstehenden ist ein Fall geschildert, der in mehr als einer 
Hinsicht Interesse erfordert. Er zeigt zunächst, daß es, wofür 



154 


Sick n. Dbist 


bisher in der Literatur ein Beispiel fehlt, eine 
dauernd einseitige Urindauerausscheidung von 
Typhusbazillen gibt. Er beweist ferner, daß ein solcher 
Fall bei erfüllter Indikation und unter besonderen Umständen 
(soziale und psychische Komponente) durch die hier als heroisch zu 
bezeichnende Methode der Nephrektomie und Ausrottung 
des Harnleiters von seiner Bazillenträgerschaft be¬ 
freit werden kann. Er stellt ferner einen Beitrag zu den an 
sich seltenen pathologisch-anatomischen Befunden bei Dauer¬ 
ausscheidern von Typhusbazillen dar. Unsere Kenntnisse sind 
darüber, vor allem was Urinausscheider anbelangt, äußerst dürftig. 
Daß sie es sind, ist auch kein Wunder, wenn man die Statistik 
berücksichtigt. H e r m e 1 fand bei einem Material von 24 500 Typhus¬ 
fällen nur 0,25 °/ 0 Dauerausscheider und aus einer anderen Arbeit 
wieder geht hervor, daß sich unter 314 Dauerausscheidern nur 7% 
Urindauerausscheider befanden (Arbeiten aus dem Reichsgesundheits¬ 
amt). Bei den Stuhlausscheidern ist es ja anders. Hier hatte man 
bei Cholecystektomierten auch mehr Möglichkeit der Untersuchung. 
Tiefgreifende Veränderungen in der Gallenblase bei Stuhlaus¬ 
scheidern sind mehrfach beschrieben, z. B. Göbel, Messer¬ 
schmidt, Knauer, Bindseil. Die Befunde an den Nieren von 
Dauerausscheidern sind wesentlich kärglicher. Messerschmidt 
konnte bei einem Menschen, der in den letzten 6 Jahren seines 
Lebens mit dem Stuhl und nur ein Jahr lang nach Beginn der 
Erkrankung auch mit dem Harn Typhusbazillen ausgeschieden 
hatte, autoptisch in einer Nebenniere und in einer Niere BaziUen 
nachweisen. Alle andern Untersucher fanden bei Dauerausscheidern 
in den Harnwegen nichts. Anders ist es bei Pyonephrosen, die 
als solche, also ohne Beziehung zu einem Tj 7 phus operiert werden 
und bei denen dann nachher als Ursache der Pyonephrose Typhus¬ 
bazillen nachgewiesen werden konnten. Mayer fand bei einem 
solchen Fall spezifische Ulcera und Narben im Nierenbecken, 
ebenso Greaves. In unserem Fall war pathologisch-anatomisch 
sowohl makro- wie mikroskopisch an Niere und Harnleiter keine 
spezifisch-typhöse Veränderung zu entdecken, trotzdem bei Ent¬ 
nahme aus dem Nierenbecken des Präparates massenhaft Typhus¬ 
bazillen wuchsen. Eine Angabe von Englisch, man finde bei 
der großen Mehrzahl der an Typhus Gestorbenen spezifische Ver¬ 
änderungen an den Harnorganen, bedarf bei Durchsicht unseres 
Materials noch einer Bemerkung. Wir haben seit 1907 160 Ty¬ 
phuskranke, meist schwere sporadische Erkrankungen, mit 40 Todes- 



Wege zur Beseitigung d. Dauerausscheidg. von Typhusbazillen mit dem Urin. 155 


fällen auf der Abteilung gehabt. 28 mal wurde die Sektion aus¬ 
geführt. Dabei wurde nur 10 mal eine parenchymatöse Schwellung 
und lmal noch eine Nierenbeckenerweiterung notiert, Verände¬ 
rungen, die nach Lage der Fälle — die Kranken starben meist auf 
der Höhe des Typhus — nicht allein mit dem Typhus in Zusammen¬ 
hang gebracht werden konnten. 

Eine glatte Erklärung der Pyelitis oder Cystitis typhosa durch 
anatomische Befunde zu bekommen, ist nicht immer möglich. Da¬ 
rüber ist manches in der Literatur aufgezeichnet. Nur muß man 
bei diesen Mitteilungen der Literatur unterscheiden zwischen der 
Ausscheidung der Bazillen während des klinischen Typhus und 
zwischen der Dauerausscheidung. Daß die Typhusbazillen während 
der eigentlichen Erkrankung das Filter der Niere passieren (in 
etwa 30—50 °/ 0 ), ist an sich nichts Überraschendes. Die Bakteri¬ 
ämie sowie die vorausgehende diffus toxische Erkrankung ermög¬ 
licht den Bazillen den Durchtritt. Darüber, wie es zur Daueraus¬ 
scheidung mit dem Urin kommen kann, bestehen bisher nur Hypo¬ 
thesen. Die einfachste ist die Annahme einer typhösen Nephritis 
(Richet, Krause, Wissokowicz). Besteht diese Ansicht zu 
Recht, sollte man doch wohl erwarten, bei Nephrotyphus besonders 
häufig Nierendauerausscheider zu bekommen und bei Autopsien 
mehr positives in dieser Richtung zu sehen, als tatsächlich der 
Fall ist. Derselbe Mangel eines pathologisch-anatomischen Hinter¬ 
grundes besteht bei der Annahme embolischer Nierenherde (Con- 
radi), die dann zur Dauerausscheidung führen sollen. Einleuchtend 
und in unserem Falle bestätigt ist die besonders durch Englisch 
vertretene Anschauung, daß überall da, wo schon irgend¬ 
ein locus minoris resistentiae besteht, eine An Sied¬ 
lung und fernerhin eine Dauerausscheidung der Ba¬ 
zillen erfolgt. Stuhldauerausscheider sind ja bekanntlich 
häufig auch Gallensteinträger *). Die Parallele zu den Nierensteinen 
liegt nahe. Nach Pick können sich die Typhusbazillen auch in 
der Prostata ansiedeln und zu einer typhösen Prostatitis führen, 
wenn vorher schon eine Schädigung der Vorsteherdrüse bestand. 
In ähnlichem Sinn |hat S a p h i e r eine typhöse Orchitis beschrieben, 
die dann ebenfalls zur Urindauerausscheidung führte. Die An¬ 
nahme eines pathologischen Prozesses in der Niere im vorliegenden 
Falle vor der Typhuserkrankung ist äußerst wahrscheinlich, fast 


1) Vgl. Hirsch, Verhandlungen d. Gesellsch. deutscher Naturf. u. Ärzte. 
Dresden 1907. 



156 


Sick n. Deist 


sicher, ohne daß man dabei an die Defektbildung, an das Hamar- 
tom denken müßte. Vielmehr muß bei der Möglichkeit früherer 
Infektionen eine entzündliche Erkrankung des Nierengewebes und 
Nierenbeckens vorausgesetzt werden. Der zu Beginn der Krankheit 
aufgetretene Abort ist eine weitere Stütze für die Annahme eines 
früheren Infekts. 

Eigenartig und nur einer 'Wahrscheinlichkeitserklärung zugänglich 
bleibt das Verhalten der nach der Operation aus dem Harn 
gezüchteten Bazillen. Einen Zusammenhang zwischen den vor der 
Operation vorhandenen klassischen Typhuskeimen und den nach dem 
23. V. wachsenden in vieler Hinsicht differenten Bazillen annehmen zu 
wollen, wäre gezwungen. Besonders der Verlust der Agglutinabilität 
und der Beweglichkeit ist ein zu tiefgreifender Unterschied, als daß man 
noch au eine Änderung der Wachstumsbedingungen der klassischen 
Typhusbazillen denken könnte. Bezüglich der Änderung der Agglutina¬ 
tion besteht ja eine gewisse Parallele zum Nephrotyphus, von dessen Er¬ 
regern behauptet wird (Deutsch), daß sie ganz den eigentlichen Typhus¬ 
bazillen gleichen, aber inagglutinabel sind. Diese Bazillen sind es aber 
von Beginn der Krankheit an und ändern nicht ihr Verhalten im Ver¬ 
laufe derselben. Viel einleuchtender scheint die Erklärung zu sein, daß 
die zuletzt gefundenen Bazillen gar nichts mit den Typhusbazillen zu tun 
haben, sondern daß es sich um Erreger handelt, die entweder, solange 
die Typbusbazillen ausgeschieden wurden, vollkommen überwuchert waren, 
oder aber vielleicht im Anschluß an den operativen Eingriff, der nicht 
fieberlos verlief oder an die Blasenspülungen erst in die Blase verschleppt 
wurden. Daß in den ersten Tagen nach der Operation aus dem Blasen¬ 
urin noch typische Typhusbazillen zu züchten waren, erklären wir uns 
analog der zunächst noch bestehenden tuberkulösen Cystitis nach Nephrek¬ 
tomie bei einseitiger Nierentuberkulose. Nimmt man in der Niere auch 
den primären Typhusbazillen erzeugenden Herd an, muß man im Lauf 
der Zeit mit einer sekundären spezifischen Cystitis rechnen. Diese wird 
analog den Verhältnissen bei der Tuberkulose nach der Nephrektomie 
allmählich zur Ausheilung kommen. 

Noch eine kurze Kritik der Behandlung der Urindauer¬ 
ausscheider. Es ist eine bakteriologisch gesicherte, wohl be¬ 
kannte Tatsache, daß bei Dauerausscheidern ein schubweises Auf¬ 
treten der Bazillen möglich ist. Damit ist es wohl auch zu er¬ 
klären, daß wir selbst bei unserer Kranken vor der ersten Ent¬ 
lassung nach der Urotropinnierenbeckenspülung 3 mal sterilen Urin 
feststellen konnten. Daß die Bazillen von selbst aus dem Urin 
verschwinden können oder besser gesagt für längere Zeit nicht 
nachweisbar werden, um später ungehemmt weiter zu wuchern, 
erklärt sicherlich manchen angeblichen therapeutischen Erfolg der 
medikamentösen Therapie bei Urinausscheidern. Bei den Stuhl¬ 
ausscheidern liegen ganz ähnliche Verhältnisse vor. Um ein 



Wege zur Beseitigung d. Daueraussclieidg. von Typhusbazillen mit dem Urin. 157 

sicheres Urteil über die Art der Ausscheidung zu erhalten, sind 
daher regelmäßige monatelang fortgesetzte Untersuchungen not¬ 
wendig. Für die Beurteilung der Wirkung der Behandlung ist es 
auch notwendig zu wissen, ob es sich tatsächlich um Daueraus¬ 
scheider gehandelt hat oder nur um eine schon im Ablauf befind¬ 
liche Bazillenausscheidung am Ende eines frischen Typhus. Kach 
hat in einer zusammenfassenden Arbeit ungefähr alle Mittel ange¬ 
geben, die zur Bekämpfung der Dauerausscheider verwandt worden 
sind. Im allgemeinen wird wohl die Ansicht von Knauer zu 
Recht bestehen, daß Bazillen, die 1 / i — 1 Jahr nach Beginn des 
Typhus immer noch ausgeschieden werden, jeder internen Therapie 
trotzen. Jedenfalls darf eine Arbeit aus dem Reichsgesundheits¬ 
amt aus dem Jahr 1912, wonach reichlicher Gebrauch der Harn- 
desinficientia die Bazillenträger von ihren Schmarotzern ohne zu 
große Schwierigkeiten befreie, nicht unwidersprochen bleiben. Wenn 
in der Literatur über Heilungen von Dauerausscheidern berichtet 
wurde, sind diese Mitteilungen zumeist angegriffen worden und 
können wohl ernsten Nachprüfungen kaum standhalten. Hierher 
gehören auch die Angaben über Heilungen von Dauerausscheidern 
mit Hilfe von Borovertin (Niepraschk, Brem, Schneider). 
Ob mit der Autovaccinierung tatsächlich, wie es in einzelnen Ar¬ 
beiten (Kach, Schwer, Brem, Irvin) behauptet wird, Erfolge 
zu erzielen sind, muß noch weiter geklärt werden. Das Verfahren 
scheint aber ernster Beachtung zu empfehlen zu sein. Bezüglich 
der Autovaccinierung berichtet übrigens Schwer, in gewisser Be¬ 
ziehung analog zu unserem Fall, daß nach der Vaccinierung die 
Keime bald avirulent und inagglutinabel würden. 

Eine chirurgische Therapie ist in ähnlicher 
Weise wie in vorliegendem Fall unseres Wissens 
noch nicht angewandt worden. Daß sie erfolgreich war, 
geht aus diesen Zeilen hervor. Es muß aber betont werden, daß 
zur Indikationsstellung der Nephrektomie bei einem 
Typhusbazillenurinausscheider neben der absolut sicher ein¬ 
seitigen Ausscheidung noch andere Motive gehören, die in 
dem vorliegenden Fall in den sozialen und psychischen Rücksichten 
begründet waren. In jedem Fall von einseitiger Typhusbazillen¬ 
ausscheidung durch den Urin ohne weiteres die Entfernung der 
betreffenden Niere empfehlen zu wollen, liegt uns fern, da die Ent¬ 
seuchungsmaßnahmen sicherer als bei dem Stuhlausscheider durch¬ 
zuführen sind. Sehr wichtig ist es, den Ureter mitzu¬ 
entfernen. Aus dem Befund der letzten Cystokopie am 8. XII. 



158 Sick u. Deist, Wege zur Beseitigung d. Dauerausscheidg. v. Typhusbazillen. 

22 geht hervor, daß schnell eine Verödung und Obliteration des 
untersten Ureterabschnittes ein tritt, die für den Fall, daß in Blasen¬ 
nähe doch noch ein Ulcerationsprozeß mit einem Bazillenherd bestünde, 
nur sehr erwünscht sein kann. Im allgemeinen kann man sagen, 
daß bei einem Urinausscheider die Nephrektomie mit Wegnahme 
des Ureters bei weitem größere Aussichten auf eine Dauerheilung 
gibt als die Entfernung der Gallenblase bei einem Stuhlausscheider. 
Bei dem letzteren beweist der pathologisch-anatomische Befund, 
daß neben dem Vorhandensein in der Gallenblase die Typhus¬ 
bazillen meist noch in den Gallengängen der Leber, im Darm, ja 
im Pankreas weiter schmarotzen können. Es ist erfreulich, auf 
diesem schwierigen Gelände durch radikales Vorgehen einen dauer¬ 
haften Erfolg erlangt zu haben. 


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Münchener med. Wochenschr. 1918, S. 201. — Weinen, Grenzgebiete Bd. 32, 
1920. — Weinfurter, Zentralbl. f. Bakt. Orig. Bd. 75. — Wilcke, Zeitschr. 
f. Med.-Beamte 1913, S. 712. — AVyssokowicz, Münchener med. Wochenschr. 
1910, S. 966. 



159 


Aus der II. medizinischen Klinik der Universität München 

(Fr. Müller). 

Studien über das Bronchial atmen. 

Von 

Paul Martini und Heinrich Müller. 

(Mit 8 Abbildungen.) 

Der eine von uns (1) konnte vor einiger Zeit Mitteilungen 
über die Analyse des Bronchialatmens machen. Die damals ge¬ 
wonnenen Erfahrungen über die Höhenlage dieses Atemgeräusches 
lassen im Verein mit früheren Untersuchungen Friedrich Müller’s 
(2) eine untere Grenze dieser komplexen Schallerscheinung bei 
300— 500 Schwingungen in der Sekunde = e 1 — c‘ 2 und eine obere 
um 1000 Schwingungen in der Sek. = c 3 als sicher erscheinen. 

Aus einer großen Reihe von Veröffentlichungen (3) wissen wir, 
daß das sog. Bronchialatmen wirklich im Bronchialbaum entsteht. 
Andererseits ist sehr wenig darüber bekannt, welche besonderen 
Teile des Bronchialsystems für die charakteristischen Töne dieses 
Atemgeräusches verantwortlich zu machen sind. Und doch wäre 
eine derartige Feststellung von Wichtigkeit, sie könnte uns in 
vielen Fällen Aufschluß geben über Sitz und Ausdehnung einer 
Infiltration: in allen Fällen, in denen überhaupt Bronchialatmen 
zu hören ist, muß die den Schall leitende Brücke infiltrierten Lungen¬ 
gewebes bis nahe an den Ort der Entstehung des Bronchialatmens 
hineinreichen. Kennen wir also den Ort der Entstehung, so haben 
wir zugleich mit der Beobachtung dieses Geräusches die Feststellung 
über die ungefähre Tiefenausdehnung des krankhaften Prozesses 
gemacht. Wir bemühten uns daher einen Einblick in die im 
Bronchialsystem sich abspielenden Schwingungsvorgänge zu ge¬ 
winnen, um auf diese Weise Anhaltspunkte für die Beantwortung 
des Problems zu erhalten. 

In der medizinischen Literatur ist darüber bis jetzt, soweit 
wir sehen, fast nichts bekannt. R. Geigel (4) stellte mit Bedauern 



160 


Martini u. Müller 


die Tatsache fest, „daß wir nicht einmal wissen, wie weit hinunter 
im Bronchialbaum sich überhaupt durch Reflexion und Interferenz 
die stehenden Wellen bilden können, die den Klang des Bronchial¬ 
atmens liefern. Nur das ist in hohem Grade wahrscheinlich, daß 
die feineren Bronchien, die keine Knorpelplatten mehr in ihrer 
Wand haben, unter normalen Umständen nicht mehr dafür in Be¬ 
tracht kommen.“ 

Wir halten die hier geforderte Vermehrung der Wandresistenz 
durch Knorpelplatten nicht für eine unbedingte Voraussetzung der 
Entstehung von Eigenschwingungen in den kleineren Bronchien. 
Es gibt aber noch andere Gründe, die im Sinne von R. Geigel’s 
Schlußfolgerung sprechen. Vor allem werden in sehr engen Röhren, 
die in der Reibung begründeten Widerstände gegen Luftschwin¬ 
gungen sehr groß. Darüber hat T. A. Schultze (5) mitgeteilt, 
daß es ihm nicht gelang, Schall durch Röhren mit einem kleineren 
Durchmesser als 1 mm zu treiben. Der eine von uns (1) konnte 
bei Versuchen über Schlauchstethoskope bei Schläuchen von der 
lichten Weite von 1 mm keine Schall Wahrnehmung mehr machen. 
In gleicher Weise geht aus dessen Versuchen hervor, daß eine 
Glasröhre von 1 mm Lumen keinen Einfluß mehr auf die Schwin¬ 
gungsbewegung in einem Röhrensystem hat. Dieses Ergebnis wurde 
gewonnen bei Systemen von 2—6 miteinander verbundenen Röhren 
von abnehmender lichter Weite (größte lichte Weite 10 mm, kleinste 
1 mm) von je 10 cm Länge. Ein solches System unterscheidet 
sich jedoch sehr von dem menschlichen Bronchialbaum; dessen 
einzelne Äste sind (von einer zur nächsten Gabelung) erheblich 
kürzer, nur ca. 1—3 cm lang. Die hohen für das Bronchial¬ 
atmen charakteristischen Töne können nicht einseitig als Gruud- 
töne des ganzen Bronchialbaumes aufgefaßt werden, sondern eher 
als Teiltöne einzelner oder weniger kurzer Zweige. 

Bei der Unübersichtlichkeit des in die Lunge eingesenkten 
Bronchialsystems ist es kaum möglich, über die akustischen Ver¬ 
hältnisse dieser einzelnen Zweige auf experimentellem Wege Auf¬ 
schluß zu erhalten. Wir suchten daher zunächst an Gummi¬ 
schläuchen zu bestimmen, bis zu welcher geringsten lichten 
Weite Gummischläuche noch Eigenschwingungen ergeben könnten, 
und in welcher Größenordnung sich diese Eigenschwingungen 
hielten. 



Studien über Brouchialatmen. 


161 


1. Versuche über Eigenschwingungen in Schläuchen, 

besonders in engen. 

Die Eigenschwingungen der Schläuche wurden ausgelöst durch 
Durchbrennen einer über das „offene“ Schlauchende gespannten Kon¬ 
dommembran. Als Durchbrennvorrichtung diente uns ein 
Platindraht, der in den Stromkreis eines 10 Volt-Akkumulators ein¬ 
geschaltet war und durch Stromschluß zum Glühen gebracht wurde. 

Der sich erhitzende Draht erwärmte erst die Luft im Gummischlauch 
und in der Registrierkapsel, so daß beim Durchbrennen des Kondom¬ 
gummis eine plötzliche Druckschwankung im zu prüfenden System resul¬ 
tierte, welche die unmittelbare Ursache der Eigenschwingung darstellte. 

Entsprechend den außerordentlich kleinen Massen der in Betracht 
kommenden Lufträume war die Dämpfung der Eigenschwingungen sehr 
groß und besonders bei den kleinsten und engsten Schläuchen mußte 
infolge ihrer voraussichtlich sehr hohen Schwingungszahlen eine sehr 
kurze Gesamtschwingungsdauer erwartet werden. 

Die Anforderungen an das Begistriersystem waren also sehr hohe; 
es war von ihm zu fordern: 1. eine hohe Eigenschwingungszahl, größer 
noch als die der zu registrierenden Eigenschwingungen (7), 2. eine sehr 
hohe womöglich aperiodische Dämpfung um eine Konkurrenz zwischen 
den Eigenschwingungen des zu untersuchenden Röhrensystems und des 
Registriersystems zu vermeiden. Alle Kondomgummikapseln (0. Frank- 
sche Segmentkapseln) erwiesen sich dazu nicht als ausreichend, ihre 
Eigenschwingungszahlen konnten auch durch stärkste Spannung nicht 
hoch genug getrieben werden und vor allem war ihre Dämpfung viel zu 
gering, als daß sie nicht die Schwingungen der Röhrensysteme völlig 
überlagert hätten. 

Lediglich die von 0. Frank und Ph. Broemser (7) beschriebene 
H e r z t o n - (Glimmer)-Kapsel erwies sich nach einigen für unsere Zwecke 
notwendigen Modifikationen als verwendbar. Das bei dem Edelmann- 
schen Modell mit ihr verbundene ca. 6 cm lange Stahlrohr mußte ent¬ 
fernt werden. Bei Belassung des noch übrigbleibenden etwa 2 cm 
langen Kapselhohlraumes oder eines großen Teils desselben (Abb. 1) 
entstand beim Übergang zu engen Schläuchen ein fast kubischer Hohl¬ 
raum mit sehr verengter Öffnung. 



Abb. 1. Abb. 2. 


Die Eigenschwingungen derartiger Hohlräume sind nach Helm- 
holtz’s (8) theoretischen Entwicklungen und auch nach Sondhauss’ 
und W erth eim’s experimentellen Feststellungen merkwürdig vertieft. 
Zugleich wird bei enger Öffnung der Energieverlust bei den einzelnen 
Schwingungen geringer, die Dämpfung also kleiner. In Übereinstimmung 
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 11 







162 


Martini u. Müller 


erhielten wir beim Zustandekommen eines solchen Registriersystems eine 
Überlagerung durch verhältnismäßig träge (200—300 Schw./Sek.) und 
weniger gedämpfte Schwingungen. 

Es mußte daher auch noch der eigentliche Kapselhohlraum bis auf 
1—2 mm Tiefe verkürzt werden um die Entstehung der eben geschil¬ 
derten Systemteilschwingung zu verhüten. (Abb. 2.) 

Als Lichtquelle diente eine Bogenlampe. 

Registriert wurde auf dem Bromsilberpapierstreifen des 6 cm breiten 
Edelm ann ’ s chen Kymogr aphions. Wurde der Hebel des 
Kymographions auf „Lauf“ gestellt und so zugleich der photographische 
Spalt geöffnet, so kam durch Kontakt gleichzeitig der Platindraht zum 
Glühen bzw. die Kondommembran zum Durchbrennen. 

Als Zeitschreibung diente durchgehends eine A-Stimmgabel 
= 110 Schw./Sek. mit einem Oberton von ca. 690 Schw./Sek. 

Bei weicheren Schläuchen wurde die Kondommembran über ein dem 
distalen Schlauchende eingefügtes gleichkalibriges (etwa 6 mm langes) 
Glasrohr gespannt. Auf den Ablauf der Eigenschwingungen war dies 
ohne Einfluß. 

Die Theorie des Schalls in zylindrischen luftgefüllten Hohl¬ 
räumen, z. B. Schläuchen, ist unkompliziert und seit alters her be¬ 
kannt. Nach ihr berechnet sich die Eigenschwingungszahl pro sec. 
solcher Hohlräume entsprechend der Formel 

c 

n ~2P 

wobei n die Eigenschwingungszahl, c die Fortpflanzungsgeschwindig¬ 
keit in Luft (331 m/Sek.) und 1 die Röhrenlänge bedeuten. 

In Wirklichkeit gilt diese Formel jedoch nur mit einer Reihe 
von Einschränkungen. Eine von ihnen haben wir oben bei der 
Kritik unseres Registriersystems erwähnt: bei Verengerung 
des offenen Endes einer einseitig geschlossenen Röhre erleidet 
der Eigenton eine Vertiefung. Bei unseren Schlauchmodellen 
kommt diese Komplikation nicht in Betracht (wohl beim Registrier¬ 
system, s. oben!). 

Auch der Härtegrad der Röhrenw^and ist von Einfluß 
auf die Tonhöhe. Die oben genannte Formel gilt für unnach¬ 
giebige starre Wände; bei den verhältnismäßig weich gepolsterten 
Wänden der Schläuche (und ebenso des Bronchialsystems) war 
eine nicht berechenbare Vertiefung der Eigentöne zu erwarten. 

Weitaus die größten Komplikationen müssen in unseren Röhren 
und Röhrensystemen aber entstehen mit zunehmender Enge. 
Zur äußeren Reibung, welche die Bewegung der der Wand zu¬ 
nächst liegenden Luftteilchen hemmt, tritt hier die innere, welche 
die langsamer bewegten auf ihre Nachbarn ausüben, deren Be- 



Stadien Uber Bronchialatmen. 


163 


wegung eine schnellere ist. Infolgedessen wird in der Formel für 
n die Fortpflanzungsgeschwindigkeit c um so kleiner je enger die 
Röhren werden und zugleich damit wird auch die Eigenschwingungs¬ 
zahl u herabgesetzt. Diese Behinderung der Luftbewegung kann 
wenigstens bei genügender Rohrlänge bis zur völligen Aufhebung 
der Leitung führen; wir haben oben aus der Literatur Beispiele 
dafür genannt (1, 6). 

ß 

Die Formel n = ^ j gilt schließlich überhaupt nur, wenn es 

sich wirklich um „Röhren“ handelt, d. h. wenn eine Dimension alle 
anderen erheblich überragt. Wird aber bei zunehmender Ver¬ 
kürzung der Röhre das Verhältnis von Länge: Lumen immer kleiner, 
so ist für die resultierende Eigenschwingungszahl nicht mehr die 
Länge allein maßgebend; die akustischen Verhältnisse können hier 
nur mehr in wenigen besonders gelagerten Fällen völlig übersehen 
werden; einheitlich ist aber in allen Fällen eine relative Vertiefung 
des Eigentons. 

Aus dieser Reihe von Einschränkungen erhellt, daß es ganz 
unmöglich ist, mit Hilfe theoretischer Erwägung die Eigentöne 
von deu Bronchien ähnlichen Röhren bzw. Schläuchen nur einiger¬ 
maßen richtig zu bestimmen, so daß nur die graphische Registrierung 
die Entscheidung bringen kann. 

Unsere Versuche erstreckten sich auf Kautschukschläuche von 
7—1 mm Lumen; diese waren mittelweich, ihre Konsistenz ließ sich 
weitgehend mit der der Bronchialwand vergleichen. Sofern bei 
der Registrierung 2 Frequenzen sich fanden, bezeichnen wir die 
tiefere Grund- bzw. Hauptschwingungszahl mit n h , die höhere als 
Oberschwingungszahl mit n„. 



t 


Kurve 1. 


11 * 



164 


Martini u. Müller 


1. Kautschukschlauch Lumen 7 mm, Wandstärke 
1 mm: 

Kurve 1. Länge 6 cm: n h = 1000 Schw./Sek. n 0 = 2560 Schw./Sek. 

„ 2. „ 4 „ nh = 1300 „ n 0 = 2200 „ 

„ 3. „ 2 „ n = 2200 „ 

Röhren solchen Lumens sind offenbar innerhalb weiter Grenzen 

bzw. Längendimensionen imstande Schwingungen zu erzeugen, die 
dem Bereich der für das Bronchialatmen in Betracht kommenden 
tieferen wie höheren Tonlagen angehören. 



Kurve 3. 

2. Kautschukschlauch Lumen 4 mm, Wandstärke 

V« mm: 

Kurve 4. Länge 6 cm: n = 300 Schw./Sek. 

n 5. „ 3 „ n = 1430 „ 

„ 6. „ 2 „ n = 1892 

Bei diesem Lumen ergaben demnach Schläuche von 6 cm Länge 
nie eine Schwingungszahl, die als für sie charakteristisch hätte 
angesehen werden können. Die Frequenz n = ca. 300 in Kurve 4 
wiederholte sich uns bei den verschiedensten Schlauchlängen und 
Sorten, sie war offenbar das Produkt des bei der Beschreibung 
unserer Versuchsanordnung erwähnten, nicht immer zu vermeiden¬ 
den „schädlichen Kapselraums“, mit der Schlaucheigenschwingungs¬ 
zahl selbst hatte sie nichts zu tun. 

Erst von 3 cm Länge ab ist die durch Reibung bedingte 
Dämpfung so weit verringert, daß periodische Schwingungen (n=1430) 
zustande kommen und zwar ist hier die Periodizität schon so deut¬ 
lich, daß wir annehmen können, daß auch etwas längere Schläuche 
(mit daher etwas tieferem Eigenton) noch periodischer Schwingungen 


Studien Uber Bronchialatmen. 


165 


fällig sein können. Schläuche von ca. 4 cm Länge und 4 mm Lumen 
wären also imstande, Töne zu erzeugen, die sehr genau im Ton¬ 
bereich der spezifischen Obertöne des Bronchialatmens liegen. 

Bei Schläuchen von 3 mm Lumen sind die Verhältnisse schon 
erheblich weniger eindeutig: 

3. Kautschukschlauch Lumen 3 mm, Wandstärke 
0,3 mm: 

Kurve 7. Länge 6 cm ergab keine Eigenschwingung (bzw. wieder¬ 
um Eigenschwingung des schädlichen 
Raumes). 

„ 8. „ 4 „ n = 1540 Schw./Sek. 

„ 9. „ 3 „ n = 1750 „ 



Kurve 5. 

Hier ergaben sich offenbar Schwingungszahlen, die schon wesent¬ 
lich höher liegen, als die typischen und höchsten Obertöne des 
Bronchialatmens. 

4. Kautschukschlauch Lumen 1 mm, Wandstärke 
0,5 mm: 

Kurve 10. Länge 6 cm: n = 275 Schw./Sek. 

„ 11. „ 4 „ n = 275 „ 

n 12. „ 3,5 „ Hh= 282 „ 

„13. „ 3 „ n h = 1600 „ n 0 = 2200 Schw./Sek. 

„14. „ 2 „ n h =1700 „ n 0 = 2300 „ 

Es war also weder bei 6 noch 4 cm Länge irgendeine auf 
den Schlauch zu beziehende Eigenschwingung zu bemerken. Wir 
bekamen in beiden Fällen nur ganz tiefe Schwingungen von beide 
Male der gleichen Tonlage von ca. 275 Schw./Sek., die offenbar auf 
den Rest eines schädlichen Raums zwischen Schlauch und Glimmer- 



166 


Martini u. Müller 


platte zu beziehen waren. Auch ein Schlauch von 3.5 cm Länge 
ergab lediglich eine fast gleiche Schwingungszahl (n=282Schw./Sek.) 
von augenscheinlich gleicher Herkunft. Erst bei 3 cm Länge er¬ 
hielten wir eine hohe Schwingungszahl von 1600 Schw./Sek. und 
bei 2 cm Länge eine Schwingungszahl von 1700 Schw./Sek., also 
viel höher als die bekannten Obertöne des Bronchialatmens. 

Über ganz weite Schläuche sagen unsere Versuche nichts aus; 
es ist aber nicht zu bezweifeln, daß auch in ihnen als Obertöne 
Frequenzen von der Höhe der 3 gestrichenen Oktave auftreten 
können. Die Möglichkeit einer Mitwirkung solcher Obertöne bei 
der Genese des Bronchialatmens ist zuzugeben, ja wahrscheinlich. 
Für das vorliegende Problem war diese Möglichkeit jedoch von 
untergeordneter Bedeutung, uns interessierte vor allem, bis zu 
welcher geringsten Weite Schläuche imstande sind, Eigenschwin¬ 
gungen zu erzeugen, die im Bereich der den Charakter des Bron¬ 
chialatmens ausmachenden Obertöne liegen. Tatsächlich waren 
auch noch die kleinsten im Handel erhältlichen Schläuche bis 
herab zu 1 mm Lumen zu derartigen Eigenschwingungen befähigt, 
jedoch erst bei einer Länge bzw. Kürze von 3 cm, und dabei er¬ 
gaben sich Frequenzen weit höher als die Teiltöne des Bronchial¬ 
atmens. Erst bei 3—4 mm weiten Schläuchen kommen Eigen¬ 
schwingungszahlen zustande, die im Bereich der beim pathologischen 
Bronchialatmen festzustellenden Obertöne liegen, engere Schläuche 
geben, wenn überhaupt welche, dann immer weitaus höhere Eigen¬ 
schwingungszahlen bzw. Eigentöne. 

2. Versuche am Respirationstraktus. 

Der Unübersichtlichkeit der akustischen Verhältnisse des 
Bronchialsystems wegen unternahmen wir die vorhergehenden 
Untersuchungen an einfachen Schläuchen. Andererseits gewährten 
auf diese Weise an eindeutigen Röhrensystemen gewonnene Er¬ 
fahrungen nur sehr begrenzte Einsichten in die bei viel kompli¬ 
zierteren Systemen sich abspielenden Vorgänge. Es war daher un¬ 
umgänglich notwendig, am Respirationstraktus selbst die Eigen¬ 
schwingungen festzustellen. Hierzu nahmen wir teils die Eigen¬ 
schwingungen des Respirationstraktus des lebenden Menschen vom 
Mund aus auf, teils stellten wir unsere Untersuchungen am Respi¬ 
rationstraktus der Lunge menschlicher Leichen an. 

Als Registriersystem diente uns wieder die 0. Frank’sche 
Glimmerkapsel eventuell mit den oben näher beschriebenen Modifikationen. 

Zur Auslösung der Eigenschwingung des Respirationstraktus 



Studien Uber Bronchialatmen. 


167 


des Lebenden (einschließl. Nasenrachenraum) bekam die Versuchs¬ 
person die ca. 1 cm lange und 1 cm weite Hauptröhre eines gabel¬ 
förmigen Y - Rohres in den Mund; die eine Gabelröhre paßte in 
bezug auf Weite und Länge genau in den verkürzten Tubus der 
0. Frank’8chen Glimmerkapsel. Die andere Gabelröhre von ca. 1 cm 
Länge und 1 cm lichter Weite war an ihrem freien Ende mit einer 
Kondcmraembran bespannt. Bei der Inspiration entstand eine Luft- 
verdünnuDg im Respirationstraktus und im Y-Rohr; wurde nun mit 
Hilfe der oben geschilderten Vorrichtung die Kondommembran durch- 
gebrannt, so wurde infolge des Luftausgleichs zwischen Außen- und 
Innenluft eine Eigenschwingung im Mund und übrigen Respirationstraktus 
ausgelöst, die sich auf die GlimmerkapBel übertrug. 

Die Hauptschwingungszahlen des mit dieser Methode unter¬ 
suchten Respirationstraktus des Lebenden schwankten 
zwischen 400 und 600 Schw./Sek.; daneben zeigten sich teilweise 
hohe Obertöne von 1200—1500 Schw./Sek. (Kurve 15—18). Die 
Eigenschwingungszahlen waren hier offenbar sehr wenig konstant 
und in hohem Maße abhängig von der individuellen Form und 
momentanen Stellung der Mundhöhle und deren Nebenräume. 
Respiratorischer Traktus vom Mund aus registriert im Inspirium: 

Kurve 15. 1. P. Mü. n = 400 Schw./Sek. 

„ 15. II. a) H.Mü. n = 400 „ 

b) „ n = 540 „ 

„ 16. J. P. n = 420 

„ 17. a) P. Ma. n = 440 „ 

b) „ n = 550 „ 

„ 18. L. K. n = 580 „ 




Kurve 16. 





168 


Martini u. Müller 


Bei den Versuchen an den exenterierten Lungen machte 
sich wiederum hie und da der „schädliche Kapselhohlraum“ (vgl. Fig. 1) 
bemerkbar; wir brachten daher unser System ebenso wie bei den Schlauch¬ 
versuchen so nahe wie möglich an die Glimmerplatte heran, um die 
Eigenschwingung dieses Hohlraums auszuschalten. Bronchus und Be- 
gistrierkapsel waren durch ein 2—3 cm langes gläsernes T-Bohr ver¬ 
bunden; dessen Kaliber entsprach dem Lumen des jeweils zu prüfenden 
Bronchus. Die freie Öffnung des seitlichen ca. 1—2 cm langen Astes 
des T-Bohres wurde mit einer Kondommembran bespannt, die zur Er¬ 
zielung der die Eigenschwingung auslösenden Pulsion wiederum mittels 
der oben beschriebenen Methode durchgebrannt wurde. Diese Eigen¬ 
schwingungsauslösung konnte naturgemäß nur angewandt werden, solange 
sich bei Verfolgung der Bronchialverzweigungen eine Verletzung des um¬ 
gebenden Lungengewebes und so eine Kommunikation mit der Außenluft 
vermeiden ließ. Bei einem Bronchiallumen unter 3 mm war das auch 
bei sorgfältigster Präparation nicht mehr möglich. Wir suchten daher 
bei so engen Bronchen das System abzudichten, indem wir die Lungen 
in Gips oder Wasserglas betteten. Aber die damit angestellten Ver¬ 
suche verliefen ergebnislos, so daß für uns die Untersuchung so kleiner 
Bronchen nicht durchführbar war. Wir mußten uns mit der Prüfung 
der Bronchen von 3 mm Lumen und darüber begnügen. 

Auf die Feststellung der Länge der geprüften Bronchialsysteme von 
Fall zu Fall verzichteten wir. Es ist ganz unmöglich zu sägen, wie 
weit hier das einzelne akustische System reicht. 


An exenterierten Lungen von der Trachea gegen die peri¬ 
pheren Bronchen fortschreitend untersuchten wir die einzelnen 
Größenordnungen und erhielten Kurven, die im nachfolgenden mit 
den zugehörigen Schwingungszahlen und den entsprechenden Ton¬ 
lagen zusammengestellt sind: 


Kurve 19. 
„ 20 . 
, 21 . 
„ 22 . 
„ 23. 

„ 24. 

„ 25 . 


Trachealsystem unterhalb des Larynx abgeschnitten: 

x n = 790 Schw./Sek. = g 2 

Bronchialsystem eines Hauptbronch. von 10 mm Lumen: 

n = 1056 Schw./Sek. = c s 
„ eines Bronchus von 8 mm Lumen 

(2. Ordng.): n = 1060 Schw./Sek. = c 3 
„ eines Bronchus von 7 mm Lumen 

(2. Ordng.): n = 1072 Schw./Sek. = cis 3 
„ eines Bronchus von 5 ’/ 2 mm Lumen 

(3. Ordng.): n = 1155 Schw./Sek. = d 3 
,. eines Bronchus von 4 mm Lumen 

(4. Ordng.): n = 1283 Schw./Sek. = dis 3 
„ eines Bronchus von 3 mm Lumen 

(5. Ordng.): n = 1760 Schw./Sek. = a 3 



Stadien Uber Bronchialatnien. 


169 


Die Trachea weist demnach eine verhältnismäßig tiefe Schwin¬ 
gung von 760 Schw./Sek. auf. Die Eigenschwingungszahl der ganzen 
Trachea -f- Nasenrachenraum liegt nach den vorhergehenden Unter¬ 
suchungen noch tiefer; die Grundtöne dieser größten Räume des 
Respirationstraktus dürften vor allem für die tiefen Komponenten 
des Bronchialatmens verantwortlich zu machen sein (1). 





Kurve 21. 


Dagegen zeigen Bronchen von 10—5 mm Lumen (also un¬ 
gefähr 1.—3. Ordnung) in stetiger Progredienz Schwingungszahlen, 
die den gesamten Spielraum der hohen Teiltöne des pathologischen 
Bronchialatmens ausfüllen. Bronchien dieses Lumens kommen da¬ 
mit als Entstehungsort des Bronchialatmens in Betracht. Schon 
bei einer Weite von 4 mm erhalten wir hiergegen eine Schwin¬ 
gungszahl, die über die Tonlage der typischen Obertöne des Bron- 






170 


Martini n. Müller 


chialatmens hinausragt. Und gar Bronchien von 3 mm Lumen 
mit Grundfrequenz n = 1760 Schw./Sek., die fast die Oktave der 
Bronchialatmen-Obertöne darstellt, kommen für die Entstehung 
desselben offenbar nicht mehr in Betracht. 

Zusammenfassung. 

Die Versuche am Modell und an der Lunge selbst führten zu 
weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen. Köhren bzw. Bronchien 
von kleinerem Lumen als 5 mm ergeben entweder überhaupt keine 
Eigenschwingungen mehr, oder wenn periodische Eigenschwingungen 
in ihnen entstehen, so ist deren Frequenz so hoch, daß sie als 
Ursache dessen, was wir als charakteristisches Bronchialatmen 
wahrnehmen, nicht mehr in Betracht kommen. Andererseits er¬ 
geben die großen Hohlräume des Kespirationstraktus verhältnis¬ 
mäßig tiefe Eigentöne, die zu den charakteristischen hohen Tönen 
des Bronchialatmens nichts beitragen können, wohl aber zu den 
tiefen Bestandteilen dieses Atemgeräusches. Als Entstehungsort 
des Bronchialatmens sind die größeren Bronchen bis herab zu 
4 mm Lumen anzusehen. Diese Bronchen sind noch in ihrer ganzen 
Zirkumferenz von Knorpelplatten umgeben, ihre Wände können 
daher bei Infiltration keine Festigkeitszunahme erfahren, die Genese 
des Bronchialatraens ist unabhängig von dem Zustand des um¬ 
gebenden Lungengewebes. Dieses Resultat unserer Versuche ist 
ein neuer Beweis gegen die Theorien, die das Bronchialatmen als 
etwas den konsolidierten Lungengewebe Typisches ansehen und 
glauben, daß erst durch Resonanz in den kleinsten wandfester ge¬ 
wordenen Bronchen die für das Bronchialatmen charakteristischen 
Töne gebildet würden. 

Von seinem Entstehungsort kann das Bronchialatmen sicher 
noch eine Strecke weit ohne größere Entstellung in den kleineren 
Bronchen fortgeleitet werden. Aber je enger die Bronchen werden, 
um so mehr w'erden in ihnen die hohen charakteristischen Teiltöne 
ausgelöscht. Von Röhren von 1 mm Lumen wissen wir (1, 5), daß 
sie für Schalleitung überhaupt kaum mehr in Betracht kommen. 
Aber auch noch bei Röhren von 3 mm Lumen sind die Dämpfungen 
außerordentlich groß; trotz der in unseren Schlauchversuchen an¬ 
gewandten starken Pulsionen kamen hier bei der kleinen Länge 
von 4 cm -nur ganz minimale Amplituden zur Erscheinung. Dazu 
gerechnet die übrigen Schwierigkeiten, die der Schälleitung in 
einem so komplizierten System erwachsen, können wir an eine 
korrekte Leitung des Bronchialatmens in Bronchen von 2 und 3 mm 



Studien über Broncbialatmen. 


171 


Lumen nur für ganz kurze Strecken glauben. Hier werden dann 
R. Geigel’s (4) „Übergangsstellen“ liegen, wo die Luftschwin- 
gungen des Bronchialsystems restlos auf das umgebende Lungen¬ 
gewebe übertragen sind. Bis zu diesen Übergangsstellen muß die 
Brücke des gut schalleitenden, d. h. des infiltrierten Lungengewebes 
reichen, damit das auskultierende Ohr Bronchialatmen wahrnimmt. 

Wir haben an Gefrierschnitten des anatomischen Institutes 
der Universität München durch Messungen festgestellt, wie weit 
die kleinsten der darnach für das Bronchialatmen bzw. seine Lei¬ 
tung noch in Betracht kommenden Bronchien, die von 2—3 mm 
Durchmesser, von der Peripherie der Lungen bzw. von der Innen¬ 
fläche der Brustwand eutfernt sind. Diese Entfernungen sind 
selbstverständlich recht verschieden, je nach der individuellen 
Körpergröße; auch wechseln sie mit den verschiedenen Regionen 
der Brustwand. Bei mittelgroßen Personen fand ich sie in den 
oberen vorderen und hinteren Gegenden kaum jemals kleiner als 
3 cm, meist erreichen sie 4 cm. In den unteren und seitlichen 
Partien sind sie durchschnittlich größer, 3,5—5 cm. Nur an der 
Wirbelsäule reichen die Bronchien erheblich näher an die Peri¬ 
pherie der Lunge bzw. an die Grenze zwischen Lunge und Brust¬ 
korb; die Entfernungen waren hier in manchen Fällen nicht größer 
als 1—2 cm. 

Bekanntlich genügt schon die Erhaltung (Zwischenschaltung) 
eines ganz seichten, noch lufthaltigen Lungenstreifens um das 
Hörbarwerden von Bronchialatmen zu verhindern. So können wir 
annehmen, daß bei hörbarem Bronchialatmen bzw. bei Broncho- 
phonie eine kontinuierliche Verdichtung des Lungengewebes von 
der Peripherie ca. 3—5 cm tief (je nach Körpergröße und Brust¬ 
gegend) hiluswärts in die Tiefe der Lunge sich erstreckt. Nur 
bei Verdichtungen in der Nähe der Wirbelsäule dürften schon viel 
seichtere Infiltrationen (von 1—2 cm Tiefe) genügen, um dem 
Bronchialatmen eine feste leitungsfahige Brücke zur Körperober¬ 
fläche im Interkapularraum zu bauen. Dies stimmt ja auch mit 
den klinischen Erfahrungen überein. 

Von einer Veröffentlichung sämtlicher Kurven mußte der hohen 
Reproduktionskosten wegen Abstand genommen werden. 


Literatur. 

1. Martini, P., Die Sc.hallübertragung des Stethoskops. Zeitschr. f. Biol. 
Bd. 71, 1920. Studien Uber Perkussion und Auskultation. Deutsches Arch. f. 
klin. Med. Bd. 139, 1922.—2. Müller, Fr., Zur physikal. Diagnostik. Verhandl. 



172 


Martini u. Müller, Studien über Bronchialatmen. 


d. Deutschen Kongr. für innere Med. 1911. Diagnostik der Lnngenkrankheiten. 
Zeitschr. f. ärztl. Fortbildg. 1921, Nr. 14. — 3. Laennec, Th. H., Traite de 
l’auscultation mediate et des maladies des poumons et du coenr 1819. — Barth 
et Roger, Traite practique d’auscultation au expose methodique des diverses 
applications de ce mode d’examen ä l’etat physiologique et morbide de l’economie. 
Paris 1841. Traite practique d’auscultation, suivi d’un precis de percussion. Paris 
1870. — Williams, Ch., Rational exposition of the physikal signs of the dese- 
ases of the lungs and pleura; illustrating their pathology and facilitating their 
diagnosis. 1828. — Edens, E., Lehrbuch der Perkussion. Berlin 1920. — 
4. Geigel, R., Leitfaden der diagnostischen Akustik, 1908. — Geigel, A., 
Notizen zur physikalischen Akustik. Beiträge zur physikalischen Diagnostik. — 
6. Schnitze, T. A., Über die Schallgeschwindigkeit in sehr engen Röhren. 
Drudes Annalen 1904. — 7. Frank, 0., Prinzipien der Schallregistrierung. Zeit¬ 
schr. f. Biologie Bd. 53 u. 54. Zur Lehre von den erzwungenen Schwingungen. 
Zeitschr. f. Biologie Bd. 56. Anwendung des Prinzips der gekoppelten Schwin¬ 
gungen auf einige physikal. Probleme. Sitzungsber. der math. physik. Kl. der 
Kg). Bayr. Akad. d. W. München 1915 n. 1918. — Ders. u. Broemser, Ein 
neues Verfahren zur Registrierung von Schallphänomenen. Sitzungsber. der Ge- 
sellsch. f. Morph, und Physiol. in München 1913. — 8. Helmholtz, Luftschwin¬ 
gungen in Röhren mit offenem Ende. Grelles Journ. f. reine und angew. Math. 
1859. — 9. Edens, E., Lehrbuch der Perkussion. — Skoda, J., Abhandlungen 
über Perk. u. Auskult. Wien 1842. 



173 


Kleinere Mitteilung. 

Projektionsbilder. 

Das Kaiserin Friedrich-Haus, Berlin NW 6, Luisenplatz 2—4, 
macht darauf aufmerksam, daß es bereit ist, aus seiner großen 
Sammlung von Diapositiven, die alle Zweige der wissenschaftlichen 
und volkstümlichen Medizin umfaßt, Duplikate anzufertigen. Be¬ 
sonders zweckmäßig erscheinen die nach Moulagen angefertigten 
Glasbilder, Die Sammlung des Kaiserin Friedrich-Hauses dürfte 
hinsichtlich Reichhaltigkeit und Umfang ohne ihresgleichen da¬ 
stehen, so daß wohl jedem Wunsche nach Projektionsmaterial Genüge 
getan werden kann. 



Besprechungen. 

i. 

Hermann, Hoffmann, Vererbung und Seelenleben. Ein¬ 
führung in die psychiatrische Konstitutions- und Vererbungslehre. 
Mit 104 Abb. u. 2 Tabellen. Berlin, J. Springer 1922. 
[V u. 258 S.] Pr. 195 M. 

Nach Ansicht des Verf. ist in der Vererbungspathologie das Ziel 
der weiteren Entwicklung zunächst darin zu erblicken, daß jede einzelne 
medizinische Disziplin sich mit dem Vererbungsproblem auf ihrem 
speziellen Gebiet gründlich befaßt. Diese Ansicht sowie die Tat¬ 
sache, daß gerade in der Psychiatrie das Forschungsmaterial mehr und 
mehr angewachsen ist, veranlaßten den Verf. in dem vorliegenden Buch 
eine zusammenfassende Darstellung der psychiatrischen Vererbungslehre 
zu geben. Er beginnt mit einer Darlegung der allgemeinen Grund¬ 
lagen der VererbungsWissenschaft und ihrer Anwendbarkeit auf mensch¬ 
liche Verhältnisse, schildert sodann die psychische Konstitution und die 
nervöse Entartung, geht auf die Tatsachen ein, die bisher über die Erb¬ 
lichkeit der einzelnen Psychosen bekannt sind, und schließt mit einer 
kurzen Betrachtung über die praktischen Ziele der Erblichkeitsforschung. 

Das Buch des durch seine erbpathologischen Arbeiten schon wohl- 
bekannten Verf. ist eine brauchbare Einführung in das von ihm be¬ 
handelte Gebiet und kann den Psychiatern nur empfohlen werden. Doch 
möchte Bef. auf eine Keihe von Einzelheiten hinweisen, mit denen er 
nicht einverstanden ist; vielleicht kann der eine oder der andere dieser 
Hinweise dem Verf. willkommene Anregungen liefern für die Bearbeitung 
der zweiten Auflage seines Werkes. 

Von vornherein fällt auf, daß der Verf. trotz der gebotenen Kürze 
auch die komplizierteren Erblichkeitserscheinungen (Koppelung, Crossing- 
over, Non-disjunction) in seine Darstellung aufgenommen hat. Mit solchen 
komplizierten Phänomenen läßt sich aber bislang in der menschlichen 
Vererbungslehre gar nichts anfangen. Das gleiche gilt für die Theorie 
der Faktoren quantität; es erscheint sehr gewagt, eine solche Hypothese 
für menschliche Verhältnisse auswerten zu wollen, wie es der Verf. an 
mehreren Stellen tut. 

Bei der Besprechung des Erbgangs der einzelnen Leiden läßt sich 
Verf. oft allzusehr in die Erörterung genealogischer Einzelfälle ein, die 
für die Vererbungspathologie der betreffenden Krankheiten meist gar 
nichts besagen. Durch Verzicht auf die ausführliche Besprechung solcher 




Besprechungen. 


175 


Fälle könnte sehr viel Raum gespart werden, ohne daß von dem sachlich 
Wesentlichen etwas fortbleiben müßte. 

Entbehrlich wäre wohl auch die Darstellung des quantitativen Norm¬ 
begriffs. Dieser ist nämlich keineswegs „wissenschaftlich exakt“, da 
seine Grenzen völlig willkürlich sind. — Ein paar kleine Irrtüraer 
sind dem Verf. bei der Besprechung der Geschlechtsabhängigkeit von 
Krankheiten untergelaufen. Abb. 21 ist durchaus kein „klassisches Bei¬ 
spiel“ für rezessive Vererbung, es scheint sich vielmehr um rezessiv¬ 
geschlechtsgebundenen Erbgang zu handeln. Ebenso liegt in Abb. 31 
rezessiv-geschlechtsgebundene Vererbung vor, nicht aber rezessive und 
auch nicht geschlechtsbegre n zte; diese Abb. ist daher auch kein 
Spiegelbild von Abb. 30, denn hier werden Behaftete von Behafteten 
erzeugt, während in Abb. 30 gesunde Konduktoren eingeschaltet sind. 
— Als psychiatrischer Laie möchte Ref. noch die Frage aufwerfen, 
warum neben der „epileptoiden Konstitution“ nicht auch die hysterische 
eine Darstellung gefunden hat. 

Im Schlußkapitel findet sich ein Gedankengang, der zu lebhaftem 
Widerspruch herausfordert. Nach Verf. darf man „unbedenklich die 
Anschauung vertreten, daß schwer endogen belastete Individuen . . . nur 
in Familien mit gesunder, stabiler psychischer Veranlagung einheiraten 
sollten“. Von dem individualistischen Standpunkt des Arztes, der nur 
den Kranken berät, ist diese Auffassung allerdings zu verstehen; für 
die gesunde Familie bedeutet aber eine solche ungleiche Heirat stets 
eine schwere Gefahr, ja eine schwere Schädigung ihres lebendigen Erbes; 
von dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit und von dem der Rasse aus 
betrachtet müßten solche Ehen daher geradezu verhindert werden. Der 
Erhaltung der Rasse kann es nicht dienen, wenn gesunde Erbstämme 
mit krankhaften durchseucht werden! Es erschiene dem Ref. daher er¬ 
wünscht, wenn der Konflikt zwischen der individualistischen Auffassung 
des Arztes und der überindividualistischen, organischen Auffassung des 
Erbhygienikers an dieser Stelle nicht verschwiegen würde. 

Dem inhaltsreichen Buche ist ein ausführliches Literaturverzeichnis 
beigegeben, das alle für den Psychiater wichtigen Schriften in über¬ 
sichtlicher Anordnung enthält. (Siemens, München.) 


2 . 

Dr. Herbert Aßmann, Die klinische Röntgendiagnostik 
der inneren Erkrankungen. 2. umgearbeitete, verstärkte 
Auflage mit 711 Textabbildungen und 20 Tafeln. Verlag von 
F. C. W. Vogel, Leipzig 1922. 

Es ist eine erfreuliche Aufgabe die Tatsache festzustellen, daß ein 
Buch innerhalb kurzer Zeit neuaufgelegt werden mußte, welches sich 
die berechtigte Anerkennung aller Kreise erworben hat. Aßmann’s 
Werk gereicht dem deutschen Namen zur Ehre und es erbringt in jedem 
Kapitel den Nachweis, daß das Mutterland der Röntgenstrahlenkunde 
seine führende Stellung auf diesem Gebiete behalten hat. Der Vorzug, 
welchen das A ß m a n n 'sehe Buch vor zahlreichen anderen "Werken über 



176 


Besprechungen. 


denselben Gegenstand besitzt beruht darin, daß es nicht ausschließlich 
von dem Gesichtskreis des Röntgenlaboratoriums ausgeht, sondern von 
demjenigen der inneren Medizin. Es ist der erfahrene Arzt und weniger 
der Spezialist für Röntgentechnik, der in diesem Buche zum Worte 
kommt und deshalb wird es auch vielleicht nicht restlos den Beifall 
derjenigen finden, welche die Röntgenstrahlenkunde zu einem Sonderfach 
der Medizin ausgestalten wollen. Als besondere Vorzüge des Buches 
müssen hervorgehoben werden, daß die Anatomie und Physiologie der 
einzelnen Organe mit großer Gründlichkeit erörtert werden und daß 
eine wohltuende und äußerst sachliche Kritik vor allen Ueberschätzungen 
der Röntgenbilder warnt. Dies gilt insbesondere von den Kapiteln über 
die Herzkrankheiten und über die Tuberkulose. Für künftige Neu¬ 
auflagen, welche diesem Werke sicher beschieden sein werden, darf der 
Wunsch ausgesprochen werden, daß auch die Gelenkkrankheiten eine 
ausführlichere Berücksichtigung finden. Das Werk Aßmann’s kann dem 
Kliniker und Arzt auf das wärmste empfohlen werden. Die Aus¬ 
stattung des Buches mit Abbildungen ist hervorragend gut. 

(Friedrich Müller, München.) 


3. 

Grote, L. R. Grundlagen ärztlicher Betrachtung. Berlin, 
Springer 1921. 

Zwei Mädchen, Geschwister im Alter von 11 und 13 Jahren, er¬ 
kranken im Abstand von wenigen Tagen an einer Endokarditis, beide 
bekommen eine rechtsseitige Hemiplegie, beide gehen zugrunde, autoptisch 
gleicht der Befund am Herzen, der Befund von Embolien im Gehirn 
bei dem einen Fall demjenigen beim anderen bis in alle Einzelheiten 
hinein. 

Das ist eine seltene Beobachtung aus unserer Klinik im Jahre 1922 
— eine Ausnahme, ein „Zufall“. Aber gerade darin, daß wir nur eine 
Zufälligkeit in solchen Einzelfällen bisher sehen, zeigt sich, wie wenig 
wir wissen über den Begriff der Krankheit, über Krankheitsentstehung 
und Kausalität, die klinische Bedeutung des Konstitutionsbegriffes, 
Pathogenese und Vererbung, — die ganze Materie, welche Grote in 
4 Kapiteln abhandelt, wozu noch ein 5., Grundsätze der Therapie, 
kommt. Bei solchen begrifflichen Überlegungen gelangt man leicht in 
Untiefen, wo manch einer nur den Schluß wird finden können: ich weiß, 
daß ich nichts weiß, während andere mit den genannten Begriffen wie 
mit bekannten Größen operieren. G. findet mit außerordentlich glück¬ 
licher Hand einen Mittelweg zwischen rein philosophisch spekulativer 
Überlegung und der Tatsachenwelt der Empirie — er findet „Grund¬ 
lagen“, auf denen er vorwärts schreiten und andere führen kann. 

Man ist geneigt, unter Grundlagen etwas Objektives zu verstehen, 
aber Grote selbst nennt ja seine Überlegungen nicht „die“ Grundlagen 
ärztlicher Betrachtung, sondern es sind Grundlagen, wie sie sich aus 
subjektiver Überlegung ergeben. Wie alles Subjektive, reizt manches 
zum Widerspruch, womit aber dem Buch keinerlei Abbruch getan sein 



Besprechungen. 


177 


soll, es liegt vielmehr gerade in der subjektiven Färbung viel anregendes. 
— „Grundlagen“ sind für Grote vor allem klare Begriffsbestimmungen 
und Fragestellungen. Vieles ist sehr einleuchtend, manches besonders 
geistreich. Weniger befriedigend ist der Versuch, für Normalität und 
Kranksein nur das Individuum selbst als Vergleichsobjekt herauzuziehen. 

Grote’s Betrachtungen gipfeln in einem Kapitel über Therapie, 
und da ist es ja nun leider unvermeidlich, daß bei tiefergehender Über¬ 
legung sich nicht Grundlagen ergeben, sondern nur immer stärker die 
Schwierigkeiten wachsen. Vielleicht wird das am klarsten aus Grote’s 
eigenem Satz: „daher gibt es so viele therapeutische Erfolge und Mi߬ 
erfolge, als es Konstitutionen gibt.“ (E . Schott, Köln.) 


4. 

A. Laqueur, Die Praxis der physikalischen Therapie. 

2. verbesserte und erweiterte Auflage der „Praxis der Hydro¬ 
therapie“. Verlag von Julius Springer, Berlin 1922. 

Das Buch bietet in der neuen Form eine Übersicht über die ge¬ 
samten physikalischen Heilmethoden mit Ausnahme der Elektro- und 
Röntgentherapie. Sein Inhalt ist, wie der Titel verspricht, hauptsächlich 
auf die Bedürfnisse der Praxis zugeschnitten, die vielgestaltigen Fragen 
nach Art und Wesen der Wirksamkeit physikalischer Maßnahmen werden 
zumeist nur gestreift. Entsprechend der Zeitrichtung sind die mittel¬ 
baren Behandlungsweisen mit Elektrizität (Diathermie, Höhensonne) ver¬ 
hältnismäßig breit dargestellt. „Das Buch ist als Führer für Studierende 
wie als Nachschlagewerk für Arzte zu empfehlen. ( E . Schott, Köln.) 


5. 

Joseph Kowarschik, Die Diathermie, 3. vollständig um¬ 
gearbeitete Auflage. Verlag von Julius Springer, Berlin 1921. 

Die Physik der Diathermie, ihre physiologischen Wirkungen, eine 
Anleitung zur Kenntnis der Apparatur und ihrer Verwendung mit zahl¬ 
reichen praktischen Winken und guten Bildern, kurzum alles, was als 
Vorbedingung und Grundlage für eine erfolgreiche Anwendung der Be¬ 
handlungsmethode erforderlich ist, findet in dem Buche eine sehr klare, 
nicht zu breite und doch hinreichend eingehende Darstellung. Anzeigen 
und Gegenanzeigen, wie sie sich im Laufe der 15 Jahre herausgebildet 
haben, während deren man Diathermie anwendet, sind verflochten mit 
eigenen Erfahrungen und Ansichten des Verf. 

Die Frage, ob nicht über die Wärmewirkung hinaus der Diathermie 
eine spezifische Wirkung zukommt, wird erneut aufgeworfen, harrt aber 
nach wie vor der Beantwortung. (E. Schott, Köln.) 


Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143 . Bd. 


12 



178 


Besprechungen. 


6 . 

Georg Honigmann, Das Problem der ärztlichen Kunst. 

Verlag Töpelmann, Gießen 1922. 

H. versucht begriffliche Klarheit darüber aufzustellen, in welchem 
Verhältnis im ärztlichen Handeln Intuition und Intellekt zueinander 
stehen, wieweit ärztliche Kunst als eingeborene Individualeigenschaft 
eine Rolle spielt gegenüber der gedanklich präzisierbaren und auf andere 
Erkenntnisse sich stützenden medizinischen Wissenschaft. Fragen der 
Wertung und der Bewertbarkeit der beiden in jedem Arzt vorhandenen 
Begabungen werden aufgeworfen und finden ihre Beantwortung, soweit 
eine solche möglich ist. 

Wer von Zeit zu Zeit den Versuch macht, sich über sein ärztlich¬ 
medizinisches Denken und Handeln Rechenschaft abzulegen, für den 
bedeutet das Lesen des vorliegenden Heftes eine genußvolle Stunde. Es 
regt jeden einzelnen dazu an, sich die Frage nach den Unterlagen für 
sein eigenes Handeln vorzulegen. Die Mehrzahl der Leser dieses Archivs 
für ihren Teil wird zur Antwort gelangen, daß für sie richtunggebend 
nur das Streben sein kann, intuitives Können Schritt für Schritt zu er¬ 
setzen durch ein Handeln, das auf die Wurzeln des Wissens oder der 
Erkenntnis so weit zurückgreift wie die „exakten“ Naturwissenschaften, 
— auch wenn man davon überzeugt ist, daß in dem Mosaik aus Ahnen 
und Wissen, aus dem unser Können sich zusammensetzt, nur ganz selten 
einmal ein Stein seiner bunten Farbe entkleidet wird und wenn man 
das Bedauern darüber nicht unterdrücken kann, daß vielleicht gerade 
solche Steine verblassen, mit deren farbigem Anstrich unsere Phantasie 
sich am liebsten beschäftigt. Bis aber intuitives ärztliches Handeln ein¬ 
mal ausgeschaltet ist und an Stelle des Mosaiks eine Fläche mathematisch 
sicheren Wissens ersteht, bis dahin ist es ja auch einstweilen noch weit. 

(E. Schott, Köln.) 


7. 

Ottfried Müller (Tübingen), Die Kapillaren der mensch¬ 
lichen Körper Oberfläche in gesunden und kranken 
Tagen. Ferd. Enke, Stuttgart 1922. 

In einem prächtig ausgestatteten Werke (187 farbige Abbildungen) 
stellt Müller mit seinen Schülern Weiß, Nickau und Parrisius 
die Ergebnisse der über ein Jahrzehnt sich erstreckenden zielbewußten 
Kapillarstudien der Tübinger Klinik dar. Das Ziel war, eine normale 
und pathologische Anatomie der Kapillaren zu schaffen, eine Anatomie 
am Lebenden, die daher alsbald auch zu physiologischen und pathologisch¬ 
physiologischen Fragestellungen führen mußte. Soweit Bilder überhaupt 
ein lebendiges Geschehen vorführen können, ist dies in dem vorliegenden 
Atlas durch eine meisterhafte Wiedergabe verschiedener Bewegungsphasen 
der Kapillaren neben- und nacheinander erreicht. Dem Beschauer 
prägt sich bo alsbald die wichtige und in dem geschilderten Ausmaße 
überraschende Tatsache ein, daß die Kapillaren ein eigenes vom übrigen 



Besprechungen. 


179 


Kreislaufgeschehen weitgehend unabhängiges motorisches Leben führen, 
in dem es einen bunten Wechsel von Kontraktionen und Dilatationen, 
Spasmen und peristaltischen Bewegungen gibt. Angesichts diesen 
potentiellen Bewegungsreichtums drängt sich der Gedanke an das viel 
diskutierte „periphere Herz“ ohne weiteres auf. Kann man doch auch 
kapillaroskopisch in einzelnen Schlingen einen Wechsel von langsamer 
oder gar stärkender und von rascher Strömung beobachten, während 
dicht benachbarte Getäße sich daran nicht beteiligen. Aber gerade das 
vereinzelte, das nur mögliche aber durchaus nicht immer und überall 
in den Kapillaren realisierte Auftreten der genannten Bewegungs¬ 
erscheinungen, mahnt zu großer Zurückhaltung in der Auffassung der 
Kapillaren als für den Gesamtkreislauf wesentlich in Betracht kommender 
Hilfsmotoren. Die „klassische Hämodynamik“ darf auch angesichts dieser 
neueren Kapillarbefunde als zu Recht bestehend erachtet werden, wenn 
auch den Eigenbewegungen der Haargefäße sicher eine bedeutungsvolle 
Holle für die „separatistische“ Blutversorgung in kleinen und kleinsten Be¬ 
zirken zukommen dürfte. 

Im Rahmen eiper Besprechung ist es unmöglich, dem überreichen 
Inhalt des M ü 11 e r 'sehen Werkes gerecht zu werden. Es gibt nach 
anatomischen und physiologischen Vorbemerkungen eine eingehende Dar¬ 
stellung der Methodik und der mit ihr festgestellten normalen Topo¬ 
graphie der Kapillaren an der Körperoberfläche, eine Schilderung der 
normalen Strömungserscheinungen in denselben, eine Beschreibung der 
Kapillarveränderungen soweit sie konstitutionell bedingt erscheinen, ferner 
der Veränderungen, die bei Zirkulationsstörungen, bei Nervenkrankheiten, 
Nierenkrankheiten, Eklampsie, Infektionskrankheiten, Blutkrankheiten, 
Diabetes, bei physikalischen (Licht, Röntgenstrahlen, differente Tempera¬ 
turen) und chemischen Einwirkungen sowie bei Hautkrankheiten ge¬ 
funden wurden. Eine Darlegung der Ansätze zu einer Funktionsprüfung 
der Kapillaren bezüglich ihrer Permeabilität („Ödembereitschaft“) bildet 
den Schluß. 

Die klinische Auswertung der erhobenen Befunde stellt natürlich 
große Anforderungen an eine strenge Kritik. Der Autor versteht es 
eine solche mit seinem frischen Pfadfinder-Trieb zu vereinigen. Ich 
möchte besonders auf das anregend geschriebene Kapitel über die kon¬ 
stitutionell bedingten Kapillarveränderungen verweisen, in dem der bei 
der „vasoneurotischen Diathese“ sich findende „spastisch-atonische 
Symptomenkomplex“ und seine Beziehungen zu bestimmten Koustitutions- 
formen, zum asthenischen, athletischen und pyknotischen Typ besprochen 
werden. In dem fast überall bei der vasoneurotischen Diathese nach¬ 
weisbaren Wechsel von konstriktorischen und dilatatorischen Vorgängen 
an den Kapillaren sieht M. den Ausdruck einer „Dysergie“, die er mit 
einer ebensolchen auf dem Gebiet des vegetativen Nervensystems über¬ 
haupt und mit einer „Disharmonie“ der gesamten psychophysischen 
Persönlichkeit in Parallele bringt. Wenn solche AnalogiBmen vielleicht 
auch etwas abseits von dem sicheren Boden der Kapillaroskopie liegen, 
so kommt ihnen doch ohne Zweifel ein heuristischer Wert zu und es 
liegt ihnen die nicht unberechtigte Erwartung zugrunde, daß man mit 
der neuen Methode noch in ähulicher Weise in das Dunkel vegetativ- 

12* 



180 


Besprechungen. 


neurotischer Funktionsstörungen hineinzuleuchten lernen werde, als es 
mit der Ophthalmoskopie bei manchem cerebralen pathologischen Ge¬ 
schehen gelingt. Wichtig sind in dieser Hinsicht schon Tatsachen, wie 
die, daß bei scheinbar lokalen vasoneurotischen Störungen, wie der 
Raynaud’schen Krankheit, sich in Wirklichkeit weit ausgedehnte Kapillar¬ 
anomalien nachweisen lassen, daß Kapillaraneurysmen zur Zeit der Menses 
größer werden u. a. m. 

Die Möglichkeit der optischen Forschung auf einem Gebiet, das so 
unmittelbar dem vegetativen Nervensystem untersteht und durch dieses 
nahe Beziehungen zum endokrinen System und zur konstitutionellen 
Eigenart des Individuums unterhält, wirkt ungemein reizvoll und es ist 
zu erwarten, daß die Müll er'sehe Veröffentlichung in gesteigertem 
Maße eine Aufnahme kapillaroskopischer Untersuchungen auch von anderer 
Seite zur Folge haben wird. Die wissenschaftliche Medizin weiß ihm 
und seiner Schule Dank für das nach Inhalt und Form hervorragende 
Werk. (Moritz.) 


8 . 

Karl Gramen, Untersuchungen über den Äther ge halt im 
Blut, Milch, Harn und Exspirationsluft bei chi¬ 
rurgischer Äthernarkose, sowie über Narkose- 
acidose. Stockholm 1922. Acta Chirurgia Scandinavica. 
Supplementum I. S. 1—146. Mit 15 Tafeln. 

In einer erschöpfenden Arbeit mit 5 Abbildungen, 50 Tabellen und 
15 Tafeln unter Verwendung 102 Literaturquellen behandelt K. Gramen 
obiges Thema. Der erste Teil der Abhandlung enthält die Untersuchung 
über den Äthergehalt im Blut, Milch, Harn und Exspirationsluft bei 
chirurgischer Äthernarkose. Der zweite Teil ist der Narkoseacidose ge¬ 
widmet. In der Einleitung gibt G. ein Referat über die bis 1921 er¬ 
schienenen diesbezüglichen Publikationen. Sodann folgen seine eigenen 
Untersuchungen an 50 Menschen. . Da die bisherigen Methoden viele 
Nachteile hatten, so hat Verf. eine neue Methode ausgearbeitet: Modi¬ 
fikation des Wid mark'sehen Apparates zur Alkoholbestimmung im 
Urin (Fig. II) und als Reagentien eine 5,3009 °/ 00 Kaliumbichromat- 
lösung, sowie eine stets frisch hergestellte 5,3665 °/ 00 Natriumthiosulfat¬ 
lösung, beide 1 :5. Letztere macht G. schwach alkalisch (5 Tropfen 
25 °/ 0 NaOH per 1). Bezüglich der Milchentnahme legt G. Wert darauf, 
daß keine Saugvorrichtung benutzt wird, sondern die Mammae nur manuell 
komprimiert werden und die Milch in ein. gut abgekühltes Zentrifugen¬ 
röhrchen, welches der Mamilla mit seiner Öffnung exakt anliegt, abfließt. 
Die Exsperationsluft wird automatisch durch ihren eigenen Druck durch 
2 Flaschen gepreßt und zur Messung in einen Spirometer geleitet. Der 
Uberschuß an Bichromat wird jodometrisch bestimmt. 

Bei verschiedenen Narkoseformen, wie Narkotisieren mit Esmarch- 
scher Maske, Ätherrausch, protrahierter Rausch, nimmt G. die Äther¬ 
bestimmung vor. Nach dem Verf. ist der Gehalt des Äthers im venösen 
Blute während der tiefen Narkose durchschnittlich 80 mg °/ 0 . Unmittel- 




Besprechungen. 


181 


bar rach der Narkose vermindert sich der Äthergehalt des Blutes rasch, 
danach immer langsamer. Nach 8 Stunden 6ind im Durchschnitt 5 mg °/ 0 , 
Dach 24 Stunden 1,42 mg °/ 0 und nach 48 Stunden 0,08 mg°/ 0 vor¬ 
handen. Fettleibige Patienten behalten das Narkotikum am längsten. 
Zwischen Blut und Urin besteht ein Gleichgewichtsverhältnis. Die aus¬ 
geatmete Äthermenge kurz nach der Narkose ist sehr beträchtlich, in 
den ersten 10 Minuten 27,67 mg. Die Ätherkurve für Milch folgte 
in einem Falle genau der Blutkurve, im anderen Falle war der Äther¬ 
gehalt nach der Narkose anfangs in der Milch größer als im Blut. Be¬ 
sonders interessant sind die von G. festgestellte Tatsache, daß nach 
4 Minuten einer oberflächlichen Narkose Äther im Blut des Fötus kon¬ 
statiert werden konnte. 

Für die Praxis hält es G. wichtig, daß 15 Minuten als Minimum 
für die Ätherbetäubung notwendig sei. Der Narkoseäther soll nicht in 
einem Eisschrank aufbewabrt werden, sondern nur an einem kühlen 
Platze. Denn leicht bilden sich sonst die Schneekristalle auf der Maske, 
welche a) zu großem Ätherverlust führen und b) zu den bekannten 
Lnngenkomplikationen beitragen. Die Atherflaschen müssen vor Gebrauch 
vom Fabrikanten vollständig gefüllt sein, ohne „leeren Raum“. Ganz 
besonders wichtig sind die Angaben über die Schädigung des Äthers, 
welches vom Operationspersonal eingeatmet wird. Eine Verminderung 
der roten Blutkörperchen sowie der Hämoglobinwerte sind zu verzeichnen. 
Im Urin zeigt sich periodenweise Spuren von Aceton. Da die Äther¬ 
dämpfe schwerer als Luft sind und die Neigung haben, nach abwärts zu 
sinken, so soll der Narkotiseur möglichst hoch sitzen. 

Der II. Teil der Arbeit über Narkoseacidose beginnt mit der Dar¬ 
legung des Acidosebegriffes und der über diese Frage erschienenen Ver¬ 
öffentlichungen. Nach eingehender Würdigung der Prophylaxe schildert 
Yerf. seine eigenen Untersuchungen in bezug auf Acetonkörper. In 
allen Fällen ist von ihm das Auftreten resp. die Vermehrung der Oxy- 
bnttersäure im Blute nachgewiesen worden, auch wenn letztere ganz 
kurz war. Unmittelbar nach der Allgemeinanästhesie, sowie 7 Stunden 
und auch 24 Stunden später ist der maximale Gehalt der /?-Oxybutter- 
sänre in der Probe gefunden. Ketonurie wurde im Zusammenhang mit 
der Operation nach der Äthernarkoso in 67,7 °/ 0 nachgewiesen. Bei 
102 Patienten beobachtete er Albuminurie in 41 Fällen. 

Am Schluß des Buches geht G. auf das Laxieren und die Nahrungs¬ 
karenz vor und nach der Operation ein. Hungerzustand und kräftiges 
Abführen ist ein prädisponierendes Moment für Narkoseacidose. Um die 
postnarkotischen Beschwerden der Patienten zu vermindern, empfiehlt 
der Verf., am Abend des Operationstages den Kranken flüssige Kost 
darzureichen, insbesondere Glykoselösung mit Zitrone oder eine dünne 
Frucbtsuppe. Die Nahrungszufuhr soll möglichst rasch vermehrt werden. 

(H. F. 0. Haberland, Köln.) 



182 


Besprechungen. 


9. 

Henry Hirsch und Rud. Arnold (Hamburg), Taschenbuch der 
Röntgenologie für Ärzte. 107 Seiten, 62 Abbildungen, 
Verlag J. Springer, Berlin 1922. 

Die Absicht der Verfasser dem Nicht-Röntgenologen einen Leitfaden 
auf dem Wege durch das weite Gebiet der Röntgenstrahlen in die Hand 
zu geben ist für den therapeutischen Teil (Hirsch), der auch einen 
kurzen Abriß über die Physik und die biologischen Wirkungen der 
Röntgenstrahlen bringt, vollauf gelungen, dagegen für den diagnostischen 
Teil (Arnold) nur zum Teil. Es ist aber auch nicht möglich auf 
50 Seiten Kleinformat, die noch 62 Abbildungen enthalten, das ganze 
große Gebiet der Röntgendiagnostik im speziellen abzuhandeln. Die 
Zeichnungen sind z. T. zu grob schematisiert. (Gräßner, Köln.) 


10 . 

H. Faulhaber "j*, Die Röntgendiagnostik der Magen¬ 
erkrankungen. Aus Sammlung zwangloser Abhandlungen 
aus dem Gebiete der Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. 
IV. Bd., 1. Heft, 3. Aufl., von L. Katz (Berlin). 112 Seiten, 
51 Abbildungen im Text und auf 2 Tafeln. Verlag Carl Marhold, 
Halle a. S., 1922. 

Das bekannte Büchlein des leider so früh verstorbenen Faul h ab er, 
das so manchen Arzt in die röntgenologische Magendiagnostik eingeführt 
hat, berücksichtigt in seiner Neuauflage die Fortschritte seit dem Er¬ 
scheinen der 2. Aufl. (1914); sonst ist der alte Text fast wörtlich über¬ 
nommen. Wer sich schnell über die Leistungen der Röntgenologie in 
der Erkennung der Magenerkrankungen unterrichten will, dem sei das 
Büchlein warm empfohlen. (Gräßner, Köln.) 


Fritz Munk (Berlin), Grundriß der gesamten Röntgen¬ 
diagnostik innerer Krankheiten. 2. Aufl. mit 193 Ab¬ 
bildungen, 297 Seiten. Verlag Georg Thieme, Leipzig 1922. 

Das Buch will dem praktischen Arzte die Ergebnisse der Röntgen¬ 
diagnostik in der inneren Medizin vermitteln und erfüllt seinen Zweck 
vollkommen. Die Abhandlungen sind kurz und übersichtlich und reich¬ 
haltig mit Abbildungen, meistens Originalaufnabmen in guter Wiedergabe 
versehen. Ein kurzes Kapitel über die physikalischen Grundlagen des 
Röntgenverfahrens und die TJntersuchungstechnik ist vorausgeschickt. 

Die Neuauflage berücksichtigt die neueren Methoden der Technik, 
die Fortschritte in der röntgenologischen Herzdiagnostik, in der Beurtei¬ 
lung der Lungentuberkulose und in der Röntgendiagnostik der Gelenk¬ 
erkrankungen, für die der Verfasser auf Grund eigener neuer Forschungen 
eine eingehende systematische Darstellung gibt. 

Das Buch, das sich durch Kürze und Einfachheit der Form und 



Besprechungen. 


183 


Darstellung auszeichnet, wird sich bei seinem verhältnismäßig niedrigen 
Preise sicherlich viele neue Freunde erwerben. (Gräßner, Köln.) 


12 . 

Fr. Dessauer (Frankfurt a. M.), Zur Therapie des Karzinoms 
mit Röntgenstrahlen. 70 Seiten mit 30 Textfiguren. 
Verlag Theodor Steinkopf, Leipzig 1922. 

Dessauer bespricht in 4 Vorlesungen, die er auf Einladung der 
medizinischen Fakultät der Universität Madrid im Juni 1921 gehalten 
hat, die physikalischen Grundlagen der Tiefentherapie. Er schildert nur 
seine eigenen Methoden in der Bekämpfung des Krebses, ohne auf die 
Arbeiten anderer Forscher einzugehen. 

Die erste Vorlesung behandelt das Problem der Bekämpfung des 
Karzinoms mit physikalischen Mitteln, das gelöst ist, wenn es gelingt auf 
das ganze erkrankte Gebiet in seiner Breiten- und Tiefenausdehnung 
solche Mengen einer homogenen Strahlung zu applizieren, daß sie quali¬ 
tativ und quantitativ genügen, um den Krankheitsherd ohne eine Schädi¬ 
gung der Haut und der zwischenliegenden Organe zu zerstören. Die 
zweite Vorlesung bespricht die elektrotechnischen Grundlagen der Tiefen¬ 
therapie, die dritte die Gesetze der Wanderung und Verteilung der 
Röntgenstrahlen in der Materie, die vierte gibt eine Anleitung zur prak¬ 
tischen Ausführung des physikalischen Teiles der Tiefenbestrahlung. 

Ein Anhang bringt den Hauptinhalt bzw. ein Verzeichnis der wich¬ 
tigsten tiefentherapeutischen Arbeiten des Verf., die beweisen, welchen 
hervorragenden Anteil er an dem Ausbau der Tiefentherapie hat. 

_ (Gräßner, Köln.) 


13. 

Dr. Johannes Haedicke, Über die Entstehung, Bedeutung 
und Behandlung der Wassersucht. Verlag Kultur u. 
Gesundheit, Ober-Schreiberhau 1923. 

In scheinbar wissenschaftlichen Ausführungen und unter Benutzung 
unsicherer wissenschaftlicher Theorien werden die sehr persönlichen An¬ 
schauungen des Verf. vorgetragen, nach denen jedes Odem beruht auf 
„allgemeiner Zellschwäche“, besonders der aus dem Mesenchym stammen¬ 
den Bindegewebszellen, die „dem größten osmotischen und dialytischen 
Druckunterschied gegenüber dem Blut besitzen und als erste Lymph- 
bildner vielleicht auch den höchsten Druck auf die von ihnen abgesonderte 
Gewebsflüssigkeit ausüben.“ Kausale Behandlung der Wassersucht: 
1. „Aktivierung der Körperzellen“ „durch anregende Bäder und kräfti¬ 
gende Arzneien, durch gute Ernährung, . . . Ablenkung der Gedanken . . . 
Hebung der Stimmung“. 2. Beseitigung der Überfüllung der Gewebe, 
durch Bettruhe, Diuretika (Kalomel), Milchtage, Kartoffeltage u. a. 
3. Verhütung neuer Flüssigkeitsstauungen durch Besserung des Kreislaufs 
durch „Allgemeinmittel“, besonders durch Bäder u. a. 

(Siebeck, Heidelberg.) 



184 


Besprechungen. 


14. 

von Domarus, Taschenbuch der klinischen Hämatologie. 
3. verb. Aufl. H. Thieme, Leipzig. 

Die kurze Übersicht über die Technik der Blutuntersuchung und 
über die Klinik, Blutkrankheiten und symptomatischen Blutveränderungen 
ist im wesentlichen unverändert; das Büchlein ist zur Einführung von 
Anfängern und zur Orientierung älterer Arzte sehr zu empfehlen. 
Leider konnte bei dem gegenwärtigen Verhältnissen die Tafel, der nur 
Färbung nach May-Grrünwald zugrunde liegt, nicht ergänzt werden. 

(S i e b e c k, Heidelberg.) 


15. 

M agnus - Als 1 eb en , Vorlesungen über klinische Pro¬ 
pädeutik. 3. durchgesehene u. vermehrte Auflage. Springer, 
Berlin. 

Die Tatsache, daß das Buch in so kurzer Zeit die 3. Auflage er¬ 
lebt, zeigt, wie sehr es dem Bedürfnisse der Studenten entgegenkommt. 
Es ist klar und übersichtlich geschrieben und enthält sehr gute Schilde¬ 
rungen krankhafter Erscheinungen und Zustände. Verf. stellt das prak¬ 
tisch-ärztliche Interesse in den Vordergrund, geht aber auch auf theore¬ 
tische Fragen, auch über neue Probleme und Ergebnisse orientierend ein. 

(Siebeck, Heidelberg.) 


16. 

E. Meyer-Lenhartz, Mikroskopie und Chemie am Kranken¬ 
bett. 10. vermehrte u. verbesserte Aufl. Springer, Berlin 1922. 

Das kleine Buch ist ungeheuer reichhaltig. Von fast allen chemi¬ 
schen und mikroskopischen Methoden der klinischen Krankenuntersuchung 
wird diagnostische Bedeutung und technische Ausführung mehr oder 
weniger ausführlich besprochen. Es werden viel mehr Methoden an¬ 
geführt, als etwa der praktische Arzt braucht und ausführen kann (z. B. 
bakteriologische), so daß das Buch wesentlich und in erster Linie als 
Nachschlage- und Hilfsbuch für klinische Laboratorien u. dgl. zu emp¬ 
fehlen ist. Darüber hinaus wird aber jeder Arzt, der sich für diese 
Fragen und ihre neueste Bearbeitung interessiert, in dem Buche einen 
unbedingt zuverlässigen und verständlichen Führer finden. Die Auswahl 
des Stoffes und die Ausführlichkeit der Angaben sind durch die persön¬ 
liche Anschauung und Übung des Verf. bestimmt, was aber nur ein 
Vorteil ist, zumal bei der großen Erfahrung und dem klaren, abgewogenen 
ürteil des Verf. Auch wo auf Einteilung und differentialdiagnostische 
Bestimmung von Krankheitsformen eingegangen wird (wie z. B. in dem 
neubearbeiteten Abschnitt über Nierenkrankheiten), ist die Darstellung 
instruktiv und übersichtlich und doch nicht zu sehr schematisierend. 

(Siebeck, Heidelberg.) 


Besprechungen. 


185 


17. 

G. L. Sacconaghi, Die klinischeDiagnosederHerzbeutel- 
ve r wac li8un g (F i 1) r e c h i a cor dis). 225 S. Curt Kabitzsch, 
Leipzig 1923. Grundzahl 5,— M. 

Der Verf. dieses sympathisch geschriebenen Buchs, Direktor des 
Biirgerhospitals in Brescia, berichtet in deutscher Sprache über seine 
diagnostischen Erfahrungen an 21 autoptisch genau kontrollierten Fallen 
von Herzbeutelverwachsung. 

Einer Darlegung der verschiedenen pathologisch-anatomischen Er¬ 
scheinungsformen folgt eine sehr eingehende Darstellung aller einzelnen 
Zeichen, die bisher für die Diagnose herangezogen wurden. Des weiteren 
bespricht der Verf. die Folgen der Erkrankung für die Dynamik des 
Herzens, um schließlich in einer kurzen Übersicht das für die Diagnose 
"Wesentliche und Brauchbare zusammenzufassen. Alle 21 Kranken¬ 
geschichten sind in ganz knapper Fassung eingestreut. 

Der Leser erhält so einen vortrefflichen Einblick in die verschie¬ 
denen Erscheinungsformen der Herzbeutelverwachsung. Besonders wert¬ 
voll scheint mir die überaus eingehende, kritische und durchaus auf 
eigenem Urteil und Erfahrung beruhende Besprechung der einzelnen 
Zeichen zu sein, wobei zahlreiche in der Literatur aufgeführte „patho- 
gnomonische“ Symptome auf ihren wahren Wert zurückgeführt werden; 
die Schwierigkeit und Unsicherheit der Diagnose in manchen Fällen wird 
überzeugend dargelegt. Der deutsche Leser muß sich an die kunstvollen 
Satzgebilde erst etwas gewöhnen, die eine für wissenschaftliche Zwecke 
manchmal nicht ganz genügende Übersichtlichkeit haben. Bei der Wichtig¬ 
keit, die angesichts neuer chirurgischer Erfolge der Diagnose dieser 
Krankheit zukommt, ist diese eingehende und vortreffliche Darstellung 
besonders zu begrüßen und zu empfehlen. (Geßler, Heidelberg ) 


18. 

H. 8tursberg, Technik der wichtigsten Eingriffe in der 
Behandlung innerer Krankheiten. Ein Leitfaden für 
Studierende und Arzte. 2. verm. u. überarb. Aufl. 176 S. 
A. Marcusu. E. Weber’s Verlag (Dr. jur. Albert Ahn). Bonn 
1923. Preis etwa 2100,— M, 

In den einzelnen Kapiteln werden behandelt: Punktionen und Ein¬ 
spritzungen, Sondierung usw. des Magens, Darmeingießung, Katheter¬ 
einführung und andere Eingriffe an der Blase. Alle für den Praktiker 
in Frage kommenden Eingriffe werden mit der für solche Zwecke nötigen 
Ausführlichkeit klar besprochen, eingehend gerade auch die einfachen 
Einzelheiten, die dem Erfahreneren zur Gewohnheit werden. So eignet 
sich diese Darstellung wie keine andere für den Anfänger, aber auch 
der Erfahrene wird für zahlreiche Hinweise und Kunstgriffe dankbar sein, 
die hier erwähnt werden (Geßler, Heidelberg.) 



186 


Besprechungen. 


19. 

Heinr. Hochhaus*]'. Die Krankheiten des Herzens und 
der Gefäße. Ein kurzgefaßtes praktisches Lehrbuch. Be¬ 
arbeitet u. herausgeg. von G. Liebermeister. 313 S. 72 Abb. 
Jul. Springer, Berlin 1922. G.-Z. 8. 

Liebermeister hat das von Hochhaus Unterlassene, nicht 
ganz abgeschlossene Manuskript ergänzt und herausgegeben, ohne daß 
irgendwo ein Bruch in der einfachen und dabei sehr klaren Darstellung 
sichtbar geworden wäre. Das Buch ist seiner Absicht entsprechend in 
ausgezeichneter Weise auf die Bedürfnisse am Krankenbett eingestellt, 
was besonders bei der Besprechung der Therapie bemerkbar wird. G erade 
hier macht sich die außerordentliche Erfahrung des Autors geltend., der 
das Heil nicht in der Fülle der Medikamente und Präparate sieht, sondern 
in der wichtigen kritischen Verwendung einer geringen Zahl bewährter 
Mittel. 

Für eine neue Auflage möchte der Kef. den Wunsch ausdrücken 
nach einer zusammenhängenden kurzen Darstellung der Therapie der 
syphilitischen Erkrankungen, einmal weil sie oft vor besonders schwierige 
Aufgaben stellt und dann weil erfahrungsgemäß viele Ärzte sich bei der 
Behandlung dieser Krankheiten besonders unsicher fühlen. Die Empfeh¬ 
lung der Dosis 0,6 Neo-Salvarsan als Normaldosis bei Aortenlues scheint 
etwas hoch gegriffen. 

Im ganzen ein Buch, das jedem Arzt und Studenten aufs wärmste 
empfohlen werden kann. (Geßler, Heidelberg.) 


20 . 

J. Citron, Die Methoden der Immunodiagnostik, Immuno- 
und Chemotherapie und ihre praktische Verwen¬ 
dung. 4. erweiterte u. verb. Aufl. 353 S., zahlr. Abbild. 
Georg Thieme, Leipzig 1923. G.-Z. 7,5. 

Das bekannte und bewährte Lehrbuch erscheint nach 3jähriger 
Pause bereits in 4. Aufl'. Es ist wieder auf den neuesten Stand der 
Dinge gebracht, neu sind neben zahlreichen kleineren Einfügungen be¬ 
sonders die Ausgestaltung des Kapitels über Chemotherapie und eine ein¬ 
gehende Besprechung der Grundlagen der Proteinkörpertherapie, wobei 
diese gegenwärtig viel, aber mit wenig Kritik geübte therapeutische 
Methode mit erfreulicher Zurückhaltung beurteilt wird. 

Die Verbindung von theoretischer Betrachtung und eingehender 
Darstellung der einfacheren Methodik macht das Buch außerordentlich 
anschaulich; es wird weiterhin unter den der Einführung in die Serologie 
gewidmeten Büchern einen bevorzugten Platz einnehmen. 

(Geßler, Heidelberg.) 



Besprechungen. 


187 


21 . 

P. Mühlens, Die russische Hunger- und Seuchenkata¬ 
strophe in den Jahren 1921 —192 2. 45 S., 24 Abb. 

Jul. Springer, Berlin 1923. G.-Z. 2. 

Ein kurzer in seiner schlichten Sachlichkeit wahrhaft erschütternder 
Bericht über die vom Roten Kreuz entsandte Hilfsexpedition. Von 
speziell ärztlichem Interesse sind eine Menge kurzer Bemerkungen über 
besondere Erfahrungen im Verlauf und in der Behandlung von Infektions¬ 
krankheiten und vor allem die Wiedergabe einer Reihe epidemiologisch 
wichtiger statistischer Tabellen, die mehr als lange Worte Kunde geben 
von dem Elend, das eine Bevölkerung betroffen hat, die an Zahl nicht 
sehr weit hinter der des jetzigen Deutschland zurücksteht. 

(Geßler, Heidelberg.) 


22 . 

W. Dietrich, Einführung in die physikalische Chemie für 
Biochemiker, Mediziner, Pharmazeuten und Natur¬ 
wissenschaftler. 2. verb. Auf!., 109 S. Jul. Springer, 
Berlin 1923. G.-Z. 2,8. 

Die Tatsache, daß schon 2 Jahre nach der ersten eine 2. Auflage 
dieses kleinen Buchs nötig geworden ist, beweist einmal, daß es einem 
tatsächlichen Bedürfnis abgeholfen hat und daß es diese Lücke in aus¬ 
gezeichneter Weise ausfüllt. In kurzen, dabei aber durchaus klaren und 
verständlichen Ausführungen werden alle wichtigen Prinzipien des Ge¬ 
biets, manchmal mit anschaulichen Beispielen, erörtert, so daß auch der 
Neuling einen guten Überblick bekommt. (Geßler, Heidelberg.) 


23. 

J. v. Kries, Allgemeine Sinnesphysiologie. F. C. W. Vogel, 
Leipzig 1923. 

In einer Einleitung und neun Kapiteln hat hier J. v. Kries die 
Frucht einer Lebensarbeit auf dem Gebiete der allgemeinen Sinnesphysio¬ 
logie zusammengedrängt. Er behandelt einmal das, was sich bei mehreren 
oder allen Sinnen übereinstimmend sagen läßt, und ferner die Fragen, 
welche auf der Grenze der speziellen Sinnesphysiologie zu anderen Ge¬ 
bieten, etwa der Psychologie, liegen, sowie das Verhältnis einzelner Sinnes¬ 
gebiete untereinander. Dementsprechend enthält das Werk Abschnitte 
über den Begriff der Sinne und des Empfindens, über Unterschied und 
Verhältnis der einzelnen Sinne, die Empfindungsmannigfaltigkeit der 
einzelnen Sinne, über Empfinden und Wahrnehmen und ihre Grenzen, 
über Zeitsinn, Raumsinn und endlich über ^akzessorische“ Bedingungen 
des Empfindens und Wahrnebmens, d. h. z. B. über Adaption, Kontrast, 
Umstimmung. Durchaus reich an Mitteilung stofflichen, tatsächlichen 
Inhaltes ist doch dieses Werk in weitaus erster Linie eine Durchdenkung 



188 


Besprechungen. 


aller wichtigen Grundfragen; eine. erschöpfende Darlegung und scharfe 
Formulierung der aus einem ungeheuren Stoffkreis gezogenen allgemeinen 
Erkenntnissen des Forschers. Sowohl der hohen Bedeutung des Werkes 
wegen, wie angesichts des in weiteren Kreisen heute verhältnismäßig so 
geringen Interesses für die Sinnesphysiologie ist eine ausführlichere Be¬ 
sprechung wohl am Platze. Es ist ja bemerkenswert, daß eine gewisse 
Abwendung von diesem Problem nicht nur auf der Seite der medizinisch¬ 
biologischen Kreise, sondern ebenso auf der Seite der Physiker vorliegt; 
wo Helmholtz und Mach ihre Kräfte selbst forschend einsetzten, 
findet sich bei lebenden führenden Physikern oft ein einseitiges Bemühen 
die Physik und ihr Weltbild von jedem biologischen oder „smthro- 
pomorphen“ Element so vollständig wie möglich zu reinigen, unbekümmert 
wie die Tatsachen des Lebens, des Menschen dabei fahren. Aber ebenso 
scheinen viele Naturforscher die erkenntnistheoretische Grundlegung ihrer 
Arbeit für ein in der Hauptsache befriedigend erledigtes Geschäft zu 
halten, eine Meinung, die v. Kries ganz und gar nicht teilt. Wo aber 
die Physiologie oder Pathologie sich von der Untersuchung der Sinnes¬ 
tätigkeit zurückhält, da begibt sie sich einer für eine Gesamtauffassung 
ihrer Aufgabe entscheidenden und unentbehrlichen Auseinandersetzung. 
Denn wie kann man ein zutreffendes Bild von den Verrichtungen des 
Organismus gewinnen, wenn man, wie z. B. auch in dem gegenwärtigen 
Ideenkreise der „inneren“ Medizin meist geschieht, die Tatsache ignoriert, 
daß die Einwirkung der Umwelt unablässig durch eine sinnliche Rezep- 
tivität aufgefangen und zu einem Eindruck umgestaltet wird, 
welcher die Tätigkeiten bestimmt — auch auf Gebieten, welche gewöhn¬ 
lich nicht zu den Sinnen gerechnet werden, wie etwa im Verdauungs- 
traktus, in den Bewegungsorganen u. dgl. Aber noch mehr in anderer 
Beziehung sind die Sinne ein Gebiet, auf dem die Erforschung der rein 
materiellen Seite des Geschehens nicht bei sich selbst verweilen kann, 
sondern Grenzland betreten und damit Grundfragen des Naturerkennens 
zu erwägen geradezu genötigt ist. Dies ist der Umstand, daß Empfinden 
und Wahrnehmen ebensowohl physiologische Vorgänge voraussetzen, wie 
auch selbst wiederum Voraussetzung, ja Bestandteil des Erkennens 
selbst sind. Physiologie und Erkenntnistheorie sind an dieser Stelle 
nicht mehr trennbar, denn nicht nur die Tatsache, nein auch Form und 
Inhalt der Erkenntnis werden von der Tätigkeit der Sinnesorgane mit¬ 
bestimmt. Mit einem Wort: Sinnesphysiologie treiben heißt eine Zentral¬ 
frage der wissenschaftlichen Philosophie aufwerfen. Ist dies nicht eine 
beliebige, sondern eine notwendige wissenschaftliche Situation, so erklärt 
es auch, daß gerade darum J. v. Kries ihr den größten Teil seiner 
Arbeit gewidmet und in zwei großen Werken niedergelegt hat: in seiner 
1916 erschienenen „Logik“ und in dem hier vorliegenden Buche. Diese 
beiden gehören genau zusammen und man darf wohl behaupten, daß 
niemals vor v. Kries ein Einzelner diese Doppelaufgahe so scharf er¬ 
kannt, erfaßt und mit so gleicher Kraft und so gleich vollständiger Uber- 
nehmung aller Verpflichtungen gelöst hat. Weder Helmholtz noch 
Mach vermochten dies in so gleicher Vollkommenheit zu tun und 
viele andere haben zwar die Verknüpfung von Empirie und Philo¬ 
sophie als ein subjektives Bedürfnis empfunden und verständlich ge- 




Besprechungen. 


189 


macht, aber dabei nicht die Entsagung und Strenge bewahrt, welche 
auch dann Gebot bleibt, wenn es sich nicht mehr um die Sicherung 
der Einzelerkenntnisse, sondern um die Abschreitung eines möglichst 
großen Umkreises untereinander vereinbarer Erkenntnisse handelt. 
Hier freilich muß gleich gesagt werden, daß v. Kries’ Gesinnung 
eigentlich nicht auf eine wissenschaftliche Totalität, sondern auf ein 
Höchstmaß wissenschaftlicher Gewißheit und Allgemeingültigkeit ge¬ 
richtet ist. Offenbar laufen schon seit den Anfängen der neuzeitlichen 
Wissenschaft ja zwei Absichten nebeneinander her: die auf Erringung 
möglichst gültiger und allgemeiner Gesetze und die nach einem möglichst 
umfassenden "Weltbild. Unterscheiden wir so etwa Geschehensformel und 
Weltbild als die beiden großen Ziele des Erkennens, dann gehört 
v. Kries unzweifelhaft zu den dem ersten Ideal auhängenden Denkern 
und damit zu der Gruppe, welche in der Wissenschaft der vergangenen 
Jahrhunderte unstreitig ein geschichtliches Übergewicht besaß. So ist 
es insbesondere die Grundrichtung der Philosophie Kant’s, in welcher 
auch v. Kries sich bewegt und in welcher es ihm viel mehr auf die 
kritisch einwandfreie Richtung als auf die Abrundung, bildhafte Gestal¬ 
tung und Totalität seiner Erkenntnis ankommt. Sein Denken kann man 
daher als ein in prägnantem Sinn gerichtetes bezeichnen und dies ist 
heute, wo wir im Zeichen einer höchst verstärkten Tendenz zum 
objektiven Weltbild wieder stehen, eine Stellung, die viel markanter 
ist als sie es noch vor 10 oder 20 Jahren gewesen wäre. Man 
würde aber irren, wenn man glaubte, daß v. Kries darum den 
Fragen, welche sich gerade in der Wahrnehmungslehre gegenwärtig um 
den Begriff der Gestalt bewegen, überhaupt ferne stehe. Vielfach wird 
klar, daß auch ihm ein additives oder einfach synthetisches Aufbauen 
der Wahrnehmung aus physiologischen oder psychologischen Elementen 
etwa im Sinne der Assoziations- oder Lokalzeichenlehren ungenügend 
erscheint. Aber es wird auch deutlich, daß die Sinnesphysiologie diesem 
Problem eigentlich von jeher schon nachging und daß die Verirrung von 
Psychologen vor allem es war, welche der neuen Gestaltlehre einen prin¬ 
zipiellen Erfolg verschafft hat. Auf welche Weise für die Wahrnehmung 
nicht nur Lokalisation im Raum, sondern auch Beziehung, Form, Gestalt 
im Raum zustande komme — dies ist doch wirklich schon immer ein 
Hauptteil der physiologischen Optik gewesen; aber cs waren, wie v. Kries 
von jeher überzeugt war, sehr viele unglückliche Versuche vorhanden, 
von rein psychologisch ermittelten Tatsachen aus auf die physiologische 
Organisation zu schließen. So ist er der Überzeugung, daß die durchaus 
sinnesphysiologische, d. h. die den objektiven Reiz mit dem psycho¬ 
logischen Erfolg vergleichende Methode, eben nach wie vor sicherer und 
fruchtbarer ist. Aber gleich fern wie der Versuch reiner Sinnes¬ 
psychologie liegt ihm der andere der Psycho phys i k , die psychische 
Sphäre in dieselben methodischen Verfahren des Messens und Rechnens 
einzuzwängen, welche für die Erforschung der äußeren physischen Natur 
gelten. Dies, schon vor vielen Jahren zuerst von ihm gegenüber 
Fechner abgelehnte Verfahren wird von ihm auch heute in gleicher 
Schärfe widerlegt: eine Messung der Empfindungsintensität gibt es nicht. 
Überhaupt verliert das Problem des Zusammenhangs von Körper und 



190 


Besprechungen. 


Seele unter der logischen Durcharbeitung v. Kries’ das meiste von 
seinem metaphysischen Zauber: es ist der Parallelismus dieser beiden 
Wirklichkeiten ein legitimes methodisches Prinzip; darüber hinaus ist 
das meiste Scheinfrage nach immer unlösbaren Rätseln. Daß überhaupt 
die Sinnesphysiologie ein Gebiet ist, welches wie kein zweites sich be¬ 
ständig auf zwei radikal verschiedenen Wirklichkeitskreisen, dem psy¬ 
chischen und dem physischen, hin und her bewegt, dieser Umstand ge¬ 
winnt eigentlich für v. Kries eine nur sekundäre Wichtigkeit, die weit 
zurücktritt hinter der zuerst hier besprochenen Duplizität der logischen 
und der empirischen Seite der Wahrnehmung. Immer kommt es doch 
auf Beziehungsgesetze, funktionelle Ordnungen und Zuordnungen der 
beiden Sphären, des Psychischen und des Physischen, an; müßig bleiben 
Betrachtungen des ontologischen Zusammenhanges — über diese in Kant’s 
Ding-an-sich-Lehre getroffene Entscheidung wird v. Kries nie hinaus¬ 
gehen. Nur ein einziges, allerdings wichtiges Prinzip kommt neben dem 
des psycho-physischen Parallelismus noch in Frage: es ist die in der 
teleologischen Betrachtungsform sich aufdrängende Zweckmäßigkeit der 
Sinnesorganisationen für bestimmte Ziele des wahrnehmenden Subjektes; 
auf diesen Punkt wird sogleich zurückzukommen sein. Auch hier tritt 
also jene Gerichtetheit der v. Kries'sehen Denkart auf Gesetze, nicht 
auf Dinge selbst, auf Funktion und Relation, nicht auf Wirklichkeit an 
sich selbst, sehr deutlich hervor und auch hier besteht die innere Ver¬ 
wandtschaft zwischen einem solchen gerichteten Denken und einer teleo¬ 
logischen Naturbetrachtung. Denn wo das Denken mehr zielhaft als ge¬ 
staltet ist, da erscheint auch sein Werkzeug — hier das Sinnesorgan — 
zweckhaft, nicht zwecklos nur sich selbst genug. Auch hier fällt eine 
sehr charakteristische, man darf wohl sagen weltanschauliche Entschei¬ 
dung und es handelt sich um ähnliche Zusammenhänge zwischen Er¬ 
kenntnistheorie und Biologie, wie sie schon Kant’s Kritik der reinen 
Vernunft mit seiner Kritik der teleologischen Urteilskraft verbanden: 
Teleologie und Transzendentalphilosophie hängen innerlich zusammen. 

Den bedeutendsten Inhalt machen aber die in gedrängter Fülle sich 
folgenden sachlichen Darlegungen aus. Hier wird deutlich, daß die 
Gegensätze der Helm hol tz’schen und Hering’schen Lehren doch zu 
großen Teilen beglichen sind. Dabei wird aber bei aller Anerkennung, 
daß Helmholtz die nativistische bildungsgesetzliche Vorbildung, d. h. 
die aus (phylogenetisch erworbener) Erbanlage stammende Festlegung 
vieler Funktionen unterschätzt hat, doch in anderem Sinne der Grund¬ 
gedanke seiner empiristischen Theorie, wie mir scheint, noch viel stärker 
entwickelt. Denn überall zeigt sich, daß das Verhältnis von Reiz und 
Empfindung als konstant zu betrachten eben fast immer nur eine erste 
Annäherung an das wirkliche Verhalten bedeutet; daß eigentlich immer 
„akzessorische“ und wechselnde Bedingungen in der Nachbarschaft, in 
der Vorgeschichte eines Zustandes mitwirken. Je mehr wir namentlich 
letztere zur Erklärung einer Reizwirkung mitheranziehen müssen, je mehr 
wir also die im Augenblick der Reizeinwirkung erfolgenden Erregungs¬ 
abläufe und Gestaltungen des Bewußtseinsinhaltes nicht nur als einfachen 
Erfolg des Reizes, sondern außerdem der ganzen Vorgeschichte des Ge¬ 
hirns ansehen, je mehr also Wahrnehmungen Resultanten aus dem 




Besprechungen. 


191 


aktuellen Reiz und dieser Vorgeschichte werden, um so mehr gewinnt 
auch die in der H e 1 m h o 11 z'sehen Lehre schließlich heillos ge¬ 
wordene Untermischung logisch-empiristischer Begriffe wie „Erfahrung -4 , 
„Urteil“ usw. mit physiologischen Begriffen auch wieder einen faßbaren 
und physiologisch legitimen Unterbau. Offenbar setzen gerade an diesem 
Punkte die lockendsten und vielfach gänzlich unberührten Fragen nächster 
Forschungen ein. Und hier in den Einzelprohlemen liegen auch die 
Stellen, an denen manche Leser glauben werden, über v. Kries hinaus¬ 
gehen zu können. Ein oder zwei solche Stellen mögen hier angedeutet 
sein. Durch die vollendete Klarheit mit der v. Kries formuliert, wird 
jede Abweichung schon von ihm selbst oft viel schärfer bestimmt, als es 
dem gegen ihn Polemisierenden je auszudrücken gelungen war. Diese 
Beobachtung wird man überall dort, wo v. Kries mit Gegnern sich 
ausspricht, machen können. 

Eine seiner wiederum uns im ganzen Beiner Wissenschaft völlig zu 
verstehenden Ansichten geht dahin, unsere Sinneseinrichtungen seien be¬ 
sonders so zu verstehen, daß ihre Leistungen zuletzt der denkenden 
Erfassung der Umwelt dienstbar sind. Was darunter gemeint sei, wird 
besonders klar z. B. in der Kontrastlehre, der Schwellenphysiologie, der 
Raumlehre, wo überall der Eindruck sich so bildet, daß etwa unsere 
Sehdinge im wechselnden Flusse der Bedingungen, unter denen sie zu¬ 
fällig erscheinen, als identische oder konstante erkennbar werden. Sinnes- 
fuuktionen besonderer Art liegen dieser „Konstanz der Sehdinge“ 
(Hering) zugrunde; ebenso aber stützt sich die Begriffsbildung auf die 
Funktionen des Erinnerungsbildes, des Wiedererkennens, die Fähigkeit 
Ähnlichkeit zu bemerken. Man sieht, daß logische Funktionen wie Be¬ 
griff, Identität hier physiologisch unterbaut erscheinen durch sinnliche 
und mit den Sinnen eng verbundene cerebrale Funktionen. Diese Unter- 
bauung ist nun in der Tat ein Verfahren, welches denn doch über die 
Bedingungen von Kant’s Philosophie hinausgehen würde, da diese eine 
materielle Grundlage und damit auch eventuelle Modifizierbarkeit des 
a priori feststehenden Vernunftbesitzes keinesfalls zulassen würden. Offen¬ 
bar treibt hier die gehirnphysiologische Auffassung des Wahrnehmungs-, 
Erkenntnis-, Begriffsbilduugsvorganges einer Krisis des Apriorismus der 
logischen und der Anschauungsformen zu, die man (unter Umkehrung 
des Satzes von Descartes) zu formulieren hätte wie z. B. „ich denke 
weil ich bin (nicht umgekehrt)“ oder „ich denke so wie mein Gehirn es 
zuläßt“ — Formulierungen, die durchaus nicht den einfachen psycho¬ 
physischen Materialismus bedeuten. Offenbar ist v. Kries von 
solcher Konsequenz zumal in der Logik noch weit entfernt; ihm steht 
die logische Autonomie der Reflexionsurteile fest und überdies geht er 
von der Bewußtseinsimmanenz aller Inhalte aus, so daß für ihn ein Bild 
materieller Vorgänge, wie etwa des Gehirns, stets eine abgeleitetere Er¬ 
kenntnis im Vergleich zu unmittelbar gegebenen Bewußtseinstatsachen 
ist. Schon darin bleibt also die Form des Idealismus, welche stets vom 
Bewußtsein ausgeht (Immanenzprinzip), unverrückt. So hält er auch in 
der Raumlehre ganz in Kant’s Sinne daran fest, daß die Raumvorstel¬ 
lung etwas durchaus Einheitliches und durch spezielle physiologische Be¬ 
dingungen Unveränderliches sei. Damit hängt die sehr hohe Bewertung 



192 


Besprechungen. 


gerade der raumsinnlichen Einrichtungen eng zusammen, denn die voll¬ 
kommensten und wesentlichsten Leistungen der Sinne sind eben in dieser 
intellektualistischen Auffassung die, welche eine objektive raumzeitliche 
Ordnung der Umwelt ermöglichen, während die Qualitäten demgegen¬ 
über einen sekundären und überhaupt keinen ihnen als Qualitäten eigen¬ 
tümlichen Erkenntniswert haben. Diese intellektualistische Zuspitzung 
der Sinnesphysiologie ist nun aber ein Punkt, der dem Ref. als eine 
Eigenart, aber nicht eigentlich als ein zwingendes Resultat der ganzen 
Darstellung erscheint. Schon in der Ablehnung des Begriffs der „Gestalt¬ 
qualität“ zeigt sich, daß v. Kries sich von allen Versuchen Qualität 
zu werten trennen will. Aber abgesehen davon, daß eine Qualität wie 
Schmerz eine psychophysiologisch weitgehend untersuchbare und beschreib¬ 
bare eigene Dignität und für die nicht intellektuelle Lebenstätigkeit ge¬ 
waltige Bedeutung hat (Reflexe, Affekte), so ist die Qualität doch auch 
eben wiederum dann, wenn es sich um die Gestaltung eines Welt b il des 
(s. o.) handelt, von einem auch wissenschaftlich nicht so völlig unerfa߬ 
baren Wert, wie es hier scheint. Die neueren Forschungen z. B. phä¬ 
nomenologisch gerichteter Forscher bleiben — in der Tat konsequenter¬ 
weise — weniger berücksichtigt, und dies ist der unübertrefflichen Ge¬ 
schlossenheit und Klarheit des Werkes zugute gekommen. Alles was 
etwa immer wieder an die Grundgedanken Goethe’s anknüpft, kann da 
nicht Platz finden, wo sich die Forschung streng an die Ziele und Grund¬ 
sätze der neuzeitlichen exakten Naturwissenschaften gebunden erachtet 
und über sie hinausgehende oder anders gerichtete, vom Seelenganzen 
oder vom Wunsche einer Totalitätsgestaltung ausgehende Bemühungen 
zwar nicht als eigentlich unerwünscht aber als vorläufig unfruchtbar und 
unersprießlich ansieht. 

So ist diese „Allgemeine Sinnesphysiologie“ eine der so wenigen 
Erscheinungen von erstem Rang in unserer neuesten Literatur. Sie (ragt 
einen jetzt umstrittenen, aber, jeder wird dies zugeben, ganz außerordent¬ 
lich starken Standpunkt bis mitten in die gegenwärtige wissenschaftliche 
Situation hinein. Niemand wird den Mut finden diesen Standpunkt ver¬ 
altet zu nennen; er ist in seiner Eigentümlichkeit fortgebildet nach allen 
erdenklichen Seiten, wie ein schon flüchtiger Vergleich etwa mit der 
physiologischen Optik von Helmholtz zeigt. Ihre Besonderheit 
ist vor allem die zusammenhängende einheitliche theoretische Durch- 
denkung des Sinnesproblems als eines Ganzen unter sorgfältigster, feinster 
kritischer Erwägung des Erkenntnisproblems in seiner vom Charakter 
der Sinneswahrnehmung geforderten Form. Gerade auch die gewissen¬ 
hafte und durchaus geistvolle Erfassung und Abwägung der mannig¬ 
fachen Einzelfragen hat das Werk zu einem Vorbild wissenschaftlicher 
Begriffsbildung gemacht und ihm den eigentümlichen stilistischen Reiz 
verliehen, der den Schriften seines Verf. schon immer jene Kühle, 
aber glänzende Gediegenheit und Gedrängtheit gibt. In der größten 
persönlichen Zurückhaltung spricht hier in jedem Wort charakteristisch 
eine der stärksten und eigenartigsten Persönlichkeiten unserer deutschen 
Wissenschaft. (v. Weizsäcker, Heidelberg.) 



193 


Über die Atembewegnngen des Körpers (vor allem nach 
Beobachtungen an Schattenbildern). 

Von 

Prof. Dr. Wilhelm Weitz, 

Leiter der medizinischen Poliklinik Tübingen. 

(Mit 1 Kurve.) 

Die nachfolgenden Beobachtungen wurden vor allem an Schatten¬ 
bildern gemacht. Der zu Untersuchende wurde bis zur Symphyse 
entkleidet, hart an eine mit weißem Papier bespannte Wandtafel 
gestellt und mit einer 6 m von der Tafel entfernten elektrischen 
Bogenlampe so beleuchtet, daß der senkrecht auf die Tafel fallende 
Lichtstrahl die vordere Brustwand in Mamillenhöhe schnitt. Be¬ 
obachtet wurde das Schattenbild und seine Bewegung während der 
Atmung. Die Bewegung der Schatten von Härchen oder auf¬ 
geklebter Marken gab dabei ein Bild der genaueren Bewegung 
einzelner Punkte der Körperoberfläche wieder. Die große Ent¬ 
fernung der Lampe von dem Untersuchten und die geringe des 
Untersuchten von der Tafel erlauben Körper- und Schattenumriß 
praktisch gleich zu setzen. 

Über die Bewegung des Brustkorbs ergab sich folgendes: Das 
Sternum wird bei gesunden Menschen auch schon bei oberfläch¬ 
licher Atmung gehoben, bei Frauen stets und bei Männern in der 
überwiegenden Mehrzahl. Die Hebung ist im ganzen bei den 
Frauen eine etwas stärkere als bei Männern. Mit der Hebung 
geht eine Vorwärtsbewegung einher. Der obere Rand des Manu- 
brium sterni schiebt sich, um ungefähre Durchschnittswerte zu 
nennen, beim jüngeren Mann um 1 mm nach oben und 1 mm nach 
vorn, bei der jüngeren Frau um 2 mm nach oben und 2 mm nach 
vom. Die Vorwärtsbewegung des übrigen Sternums ist noch etwas 
stärker. Dabei scheint es gewöhnlich so, als ob der untere Teil 
des Corpus sterni sich mehr nach vorne bewege als der obere, doch 
ist das in der Tat nur gelegentlich der Fall; gewöhnlich bewegt 

Denteches Archiv für klin. Medizin. 143 . Bd. 13 



194 


Weitz 


sich das Corpus sterni, wie aus der Bewegung von Marken zu er¬ 
kennen ist, die oben und unten aufgeklebt sind, überall gleichmäßig 
stark vor. Sternumbewegung und Schattenbildänderung entsprechen 
sich also nicht völlig. Es wird nämlich nur in der Höhe 
des oberen Teils des Manubrium sterni die Schattenrißlinie 
gewöhnlich von der Bedeckung des Sternums selbst gebildet, 
darunter von der Bedeckung der Musculi pectorales und der 
seitlich neben dem Sternum liegenden Knorpelpartien. Legt 
man ein flaches Lineal über den unteren Teil des Corpus sterni 
fest auf die Brust, so daß es 2 gleichen Rippen anliegt, so ist 
zwischen Lineal und Sternum gewöhnlich ein kleiner Zwischenraum 
vorhanden, der etwa 1 mm sein mag, dieser nimmt nun bereits bei 
gewöhnlicher Inspiration etwas zu und tut es bei tiefer meist sehr 
stark. In einzelnen Fällen wuchs die Entfernung zwischen Sternum 
und dem den Rippen anliegenden Lineal vom Exspirium bis zum 
tiefen Inspirium um annähernd 10 mm. Das Zurückbleiben des 
Sternums im Inspirium hängt olfenbar damit zusammen, daß das 
Mediastinum der Bewegung des Sternums einen größeren Wider¬ 
stand entgegensetzt als die Lunge der Bewegung des Brustkorbs. 
Bei besonders starken inspiratorischen Einziehungen wird man auch 
daran denken können, daß das sich stark kontrahierende Zwerch¬ 
fell der Vorwärtsbewegung des unteren Sternums entgegenarbeitet. 

Es war gesagt, daß das Sternum schon bei oberflächlicher 
Atmung bei Frauen stets und bei Männern meistens gehoben 
würde. Bei letzteren sieht man in seltenen Fällen, daß die Begren¬ 
zung des Brustkorbs weder oben noch unten sich bewegt, so daß also 
eine im wirklichen Sinne abdominale Atmung vorhanden ist, oder man 
sieht, daß der oberste Teil des Sternums, das Manubrium sterni, 
still steht, während der unterste Teil des Sternums ein wenig — 
sagen wir um 1—2 mm vorgeschoben wird. Nur für diese nicht 
gerade häufigen Fälle kann man gelten lassen, was Rosenthal 
(18) und Tigerstedt (16) für die gewöhnliche Atmung annehmen, 
daß das Sternum um eine horizontale durch das obere Ende des 
Manubrium gehende Achse gedreht werde. 

Nach der Betrachtung des frontal aufgenommenen Schatten¬ 
risses verschieben sich bei oberflächlicher Atmung die einzelnen 
Punkte der seitlichen Thorax wand gewöhnlich in der Inspi¬ 
ration ein wenig nach oben und nach außen. Die Verschiebung 
nach oben pflegt an den oberen nahe der Achselhöhle ge¬ 
legenen Thoraxteilen geringer zu sein als an den unteren Thorax¬ 
teilen. Ein Punkt am unteren Thoraxrand hebt sich z. B. 




Über die Atembewegungen des Körpers usw. 


195 


um 3 mm ein Punkt 3 Querfinger unter der Achselhöhle um 
1 mm, und ein in der Mitte zwischen beiden gelegener Punkt 
um 2 mm. Die Auswärtsbewegung macht gewöhnlich am unteren 
Thoraxrand 1—2 mm aus, weiter oben wird der Ausschlag 
geringer. Die etwas stärkere Hebung der unteren Rippen muß 
dadurch bedingt sein, daß die Rippenheber bei ihrer Kontraktion 
den Brustkorb nicht im ganzen in die Höhe heben, sondern auch 
die unteren Rippen den oberen nähern. Im übrigen ist die Er¬ 
weiterung des knöchernen Brustkorbs stärker als man nach dem 
Schattenriß erwarten sollte. Die seitliche Schattenlinie verschiebt 
sich nämlich weniger als der Brustkorb, wie man deutlich bei der 
röntgenologischen Betrachtung des atmenden Thorax sieht. 

Ob die Bewegungen, die irgendeine Stelle des Brustkorbs bei 
oberflächlicher Atmung machte, von der geraden Richtung abweicht, 
läßt sich wegen der Kleinheit der Ausschläge nicht feststellen. 
Erhebung der Schultern habe ich bei oberflächlicher Atmung des 
Mannes nicht gesehen, bei der Frau war sie hier und da in ge¬ 
ringem Grade vorhanden. 

Die Tatsache, daß auch der oberste Teil des Sternums sich 
bei oberflächlicher Atmung im allgemeinen hebt, kann durch einen 
kleinen Versuch leicht demonstriert werden. Man drücke ein 
kleines Lineal so auf das Manubrium sterni auf, daß der größere 
Teil des Lineals über das Corpus sterni herüberragt, und beobachte 
nun wie sich Lineal und Corpus sterni während der gewöhnlichen 
Atmung zueinander verhalten. Fast immer wird das Corpus sterni 
nicht von dem Lineal bedeckt, sondern es entfernt sich nach ab¬ 
wärts immer mehr von ihm, und diese Entfernung ändert sich 
sichtbar während der Atmung. Wenn man die senkrechte Ent¬ 
fernung eines Punktes des Lineals, der eine bekannte Strecke (wir 
nahmen 9 cm) vom Angulus Ludowici entfernt ist, vom Corpus 
sterni mißt, so läßt sich, da jetzt die Hypothenuse und eine Kathete 
eines rechtwinkligen Dreiecks bekannt sind, die Größe des der be¬ 
kannten Kathete gegenüberliegenden Winkels leicht aus der Loga¬ 
rithmentafel ablesen. Dieser Winkel ist der, den Lineal und Corpus 
sterni miteinander bilden. Subtrahieren wir ihn von 180, so er¬ 
halten wir mit einer für unsere Zwecke genügenden Genauigkeit 
den Neigungswinkel zwischen Manubrium und Corpus sterni. 

Das Gewöhnliche war, daß bei oberflächlicher Atmung die Ent¬ 
fernung zwischen Lineal und Corpus sterni inspiratorisch ein wenig 
zunahm, daß also das Sternum zwischen Manubrium und Corpus sterni 
sich stärker abknicke, nur einige Male verringerte sich der Winkel 

13 * 




196 Weitz 

ein wenig. Unter 31 Frauen, bei denen der Ausschlag im Liegen 
und Stehen beobachtet wurde, wurde einmal im Stehen und unter 
44 in gleicher Weise untersuchten Männern wurde bei zweien im 
Liegen und Stehen, bei dreien nur im Liegen und bei dreien nur 
im Stehen eine geringe Streckung beobachtet, sonst war, abgesehen 
von einem älteren Mann, bei dem offenbar infolge Verknöcherung 
des Gelenks zwischen Manubrium und Corpus jede inspiratorische 
Änderung des Winkels fehlte, stets eine Zunahme der Abknickung 
wahrnehmbar. Die Größe, um die sich der Neigungswinkel zwischen 
Manubrium und Corpus sterni verringerte, betrug im Durchschnitt 
etwa 1°. Doch kamen stärkere und geringere Änderungen des 
Winkels häufig vor. 

Die Verkleinerung des Winkels zwischen Manubrium und Cor¬ 
pus sterni wird, wie Rothschild (14) es schon ausgesprochen 
hat, durch die mit der inspiratorischen Hebung verbundene Drehung 
der ersten Rippe bewirkt. Dieser Drehung muß das Manubrium 
sterni, das mit der Rippe fest zusammenhängt, folgen, wobei der 
an das Corpus sterni angrenzende Teil sich mehr nach vorn be¬ 
wegt, weil er den größeren Hebelarm hat. Aus der Beobachtung, 
daß sich schon bei oberflächlicher Atmung gewöhnlich der Manu- 
brium-Corpus-Winkel verkleinert, läßt sich umgekehrt erkennen, 
daß in der Mehrzahl der Fälle entgegen der allgemeinen Annahme 
eine Hebung des obersten Teil des Sternum auch schon bei ober¬ 
flächlicher Atmung stattfindet, wie wir es ja auch im Schattenriß 
gesehen hatten. Den Fällen, bei denen eine Streckung des Ster¬ 
num beobachtet wird, entsprechen offenbar diejenigen Schatten¬ 
bilder, bei denen sich das Manubrium nicht bewegt, während sich 
der untere Teil des Sternum ein wenig vorschiebt. Weshalb 
bei einigen das Sternum die inspiratorische Streckung nur im 
Liegen und bei einigen nur im Stehen aufweist, können wir nicht 
sagen. An der Rückenkontur war bei oberflächlicher Atmung keine 
Veränderung zu sehen. 

In allen Fällen wurde auch schon bei oberflächlicher Atmung 
eine Bewegung der vorderen Bauchkontur gesehen. Fälle von ganz 
reiner Thorakalatmung sahen wir nicht. Die Bewegung der Bauch¬ 
decken war gelegentlich bei der Frau sehr gering. So sahen wir, 
daß bei einem 18jährigen jungen Mädchen, bei dem die inspira¬ 
torische Vortreibung des Sternum 4 mm betrug, also stärker war 
als gewöhnlich, die inspiratorische Vorwölbung oberhalb des Nabels 
nur 1 mm betrug, während unterhalb des Nabels überhaupt 
keine Bewegung vorhanden war. Gewöhnlich war aber auch bei 


Über die Atembewegungen des Körpers nsw. 


197 


Frauen die inspiratorische Vorwölbung der Bauchdecken sehr 
deutlich und stand kaum hinter der der Männer zurück. Ich 
nenne, um ein Beispiel zu geben, die Atemexkursionen bei einer 
24jährigen gesunden Frau. Die inspiratorische Vorwölbung be¬ 
trug 11,5 cm senkrecht oberhalb des Nabels 7 mm, 8,5 cm ober¬ 
halb 8 mm, 6 cm oberhalb 12 mm, 1,5 cm oberhalb 7 mm, in 
Nabelhöhe 5 mm, 4 cm unterhalb des Nabels 3 mm, 8,5 cm unter¬ 
halb 2 mm und 12 cm unterhalb 1 mm. Auch bei gesunden Männern 
waren die Ausschläge häufig geringer und selten größer. Der Ort 
der größten Vorwölbung war in den normalen Fällen etwa 2—3 
Querfinger oberhalb des Nabels, an einer Stelle, wo bei normalen 
Ernährungsverhältnissen die hier nach innen konvexe vordere 
Bauchkontur am stärksten zurückweicht. 

Die Bauchdecken bewegen sich wie in dem Fall, bei dem eben 
die Zahlen genannt sind, unterhalb des Nabels bei aufrechter 
Stellung stets geringer als oberhalb, ja nicht selten zeigt der untere 
Teil des Bauches überhaupt keine Bewegung. 

Außer der Vorwärtsbewegung war an den oberen Partien der 
Bauchdecken eine Aufwärtsbewegung erkennbar, die der Hebung 
des Brustkorbs entsprach. Sie war nur gering und beträgt im 
Durchschnitt dicht unterhalb des Processus xiphoideus 1—2 mm. 
Sie wurde weiter abwärts noch kleiner und 3—4 Querfinger ober¬ 
halb des Nabels hatte sie völlig aufgehört. 

Im frontalen Schattenbild war erkennbar, daß inspiratorisch 
sich die Kontur zwischen unterem Thoraxrand und Crista illiaca 
ein wenig vorwölbte (1—4 mm), und daß die dem unteren Thorax 
benachbarten Teile mit dem Thorax gleichzeitig ein wenig nach 
oben gingen. Einmal wurde bei einer Frau während oberfläch¬ 
lichen Inspiriums zunächst eine geringe Einziehung, und dann eine 
Vorwölbung, die die vorherige Einziehung überkompensierte, be¬ 
obachtet. 

Die geringere oder fehlende Beweglichkeit der Bauchdecken 
unterhalb des Nabels bei gewöhnlicher Atmung war im Stehen, 
dagegen nicht im Liegen vorhanden. Hier war der Punkt der 
stärksten Bewegung gewöhnlich die Gegend des Nabels. Mir scheint, 
daß die relative Unbeweglichkeit des unteren Teiles der Bauch¬ 
decken im Stehen durch einen stärkeren Tonus der entsprechenden 
Bauchmuskeln bedingt ist, vor allem wohl der beiden Recti in ihrem 
Verlauf von der Symphyse bis zur unteren (in Nabelhöhe gelegenen) 
Inscriptio tendinea. Ein solch stärkerer Tonus des unteren Teiles 




Über die Atembewegnngen des Körpers usw. 


199 


Ich habe an zahlreichen Fällen, um auch auf andere Weise 
ein Bild von der Veränderung des Tiefendurchmessers des Brust¬ 
korbs bei tiefer Atmung zu bekommen, mit einem Beckenmesser 
die wagerechte Entfernung zwischen einzelnen Punkten des Ster¬ 
nums und den Processus spinosi der Wirbelsäule gemessen. Es 
ergab sich da, um ein Beispiel herauszugreifen, daß das obere Ende 
des Sternums während tiefer Inspiration seine Entfernung vojn der 
Reihe der Processus spinosi um 12 mm, die Gegend des Angulus 
Ludowici und das untere Ende des Corpus sterni aber um 26 mm 
vergrößerte. Stets wurde das obere Ende des Manubrium sterni 
weniger stark nach vorn getrieben wie das Corpus. Am Corpus 
war oft wie im angezogenen Fall die Vortreibung unten und oben 
gleich groß. Öfters war sie oben etwas größer als unten, gelegent¬ 
lich aber auch einmal etwas kleiner. Frühere Untersuchungen von 
Gibson(7) haben ein ähnliches Resultat gegeben. 

Jedenfalls iibertraf die bei tiefer Inspiration eintretende Tiefen¬ 
zunahme des Brustkorbs am unteren Ende des Corpus sterni die 
bei oberflächlicher Atmung sich zeigende sehr beträchtlich, und da 
auch, wie gleich zu erwähnen sein wird, der Breitendurchmesser 
des Brustkorbs bei tiefer Atmung ein größerer als bei ober¬ 
flächlicher ist, kann der Hofbauer’schen Ansicht, daß bei tiefer 
Atmung nur die oberen Thoraxabschnitte zu stärkerer Tätigkeit 
herangezogen würden, während die unteren eher eine Herabsetzung 
ihrer respiratorischen Leistung zeigten, nicht zugestimmt werden. 

Der Weg, den die einzelnen Punkte des vorderen Sternums 
bei der Inspiration machen, w'eicht nicht wesentlich von der 
Geraden ab. 

Die Änderung des Sternalwinkels war bei tiefer Atmung wie 
zu erwarten im allgemeinen beträchtlich größer wie bei oberfläch¬ 
licher. Unter 75 Fällen des verschiedensten Alters war bei dem 
vorn bereits erwähnten älteren Mann wie bei oberflächlicher so 
auch bei tiefer Atmung wegen Verknöcherung des Manubrium- 
corpus-Gelenks keine Veränderung des Sternalgelenks zu beobachten. 
Dreimal vergrößerte sich der Winkel, d. h. das Sternum streckte 
sich. Darunter war ein Fall, bei dem ausgedehnte Schwarten eine 
starke Abflachung der rechten oberen Thoraxseite gemacht hatten, 
und ein Fall, bei dem zunächst eine Abknickung des Sternums 
erfolgte, die aber durch eine spätere Streckung überkompensiert 
wurde. In 71 Fällen, also in der überwiegenden Mehrzahl, erfolgte 
eine deutliche Abknickung. Der Grad um den sich der Winkel 
bei tiefer Atmung veränderte, war recht verschieden. Beobachtet 



200 


Weitz 



J ' I. 

1 > 


I. 



wurden sehr starke Verkleinerungen des Sternalwinkels z. B. von 
167° auf 153° oder von 174° auf 164° oder von 170° auf 160*. 
Bei einigen Fällen betrug die Verkleinerung nur 1—2°, gewöhnlich 
lagen die Werte zwischen 3—7°. Ein sicherer Einfluß des Ge¬ 
schlechts auf die Größendifferenz von inspiratorischem und exspira- 
torischem Sternalwinkel ließ sich nicht nachweisen. Auch bei 
Leuten über 80 Jahre wurden sehr große Änderungen des Sternal¬ 
winkels beobachtet. 

Eine mehrmalige Änderung zwischen Krümmung und Streckung 
wurde einmal bei einem 19jährigen ziemlich kräftig gebauten 
Seminaristen mit leichter Spitzentuberkulose beobachtet. Der Winkel 
verkleinerte sich während eines tiefen Atemzugs zunächst von 162,5° 
auf 153,5°, vergrößerte sich dann wieder auf 160,5° und verkleinerte 
sich nun wieder auf 157°. In dieser Veränderung der Winkel 
spiegelt sich wieder, wie die Erweiterung in den oberen und unteren 
Brustpartien nicht gleichmäßig vor sich gehen muß, sondern zu¬ 
nächst einmal hier, einmal dort überwiegen kann, was dadurch zu 
erklären ist, daß oberer und unterer Brustkorb durch verschiedene 
Muskeln erweitert werden, jener vor allem durch Scaleni und obere 
Intercostales, dieser durch Zwerchfell und untere Intercostales. 

Fast stets ändert sich bei tiefer Inspiration auch die Rücken¬ 
kontur mehr oder weniger stark. 

Als typisch muß gelten, daß die Schattenrißlinie sich streckt, 
daß die Lordose des unteren Teils, die sich übrigens oft bis zur 
Höhe des unteren Winkels der Scapula erstreckt, geringer wird, 
daß der Schatten, den der Angulus inferior scapulae bildet, höher 
tritt und sich deutlicher abzeichnet, was, wie die direkte Inspek¬ 
tion zeigt, durch eine Hebung und gleichzeitige Entfernung der 
Scapula von der Wirbelsäule bedingt ist, und daß der Kopf nach 
hinten geworfen wird. 

Mehrere Autoren, die die Streckung der Wirbelsäule bei tiefer 
Inspiration beschrieben haben, haben bereits daraufhingewiesen, daß 
dadurch die Rippen voneinander entfernt würden und der Brustkorb 
sich erweitere. Die Rückwärtsbewegung der Halswirbelsäule hat 
dabei offenbar den Zweck die Spannung der Scaleni zu erhöhen 
und dadurch deren Leistungsfähigkeit zu verstärken. Die Aus¬ 
wärtsbewegung der Scapula dürfte damit Zusammenhängen, daß die 
Ansatzstellen der einzelnen Zacken des Muse, serratus ant. an den 
Rippen sich mit der Hebung der Rippen von der Wirbelsäule ent¬ 
fernen und daß die Scapula, die sich mindestens ebenso stark hebt, 
wie die Rippenteile, an denen die Serratuszacken ansetzen, die Be- 


—J 



Über die Atembewegnngen des Körpers usw. 


201 


wegung von der Wirbelsäule weg mitmachen muß, wenn der Seratus 
nicht gedehnt werden soll. Eine Dehnung des breiten, die Brust 
in großer Ausdehnung umspannenden Serratus, die wohl nur gegen 
einen gewissen Widerstand dieses Muskels erfolgen könnte, würde 
aber die Ausdehnung des Brustkorbs erschweren. 

Gelegentlich neigen sich die Untersuchten während der Inspi- 
im ganzen vom Fußgelenk an nach vorn, so daß die inspiratorische 
und exspiratorische Schattenlinie weit voneinander liegen und da¬ 
durch die Beurteilung, wie sich ohne diese Bewegung die beiden 
Schattenlinien verhalten, sehr erschwert wird. 

Die Besichtigung des frontalen Schattenrisses lehrt, daß die 
Schultern bei tiefer Inspiration um etwa 10—15 mm gehoben 
werden. Die einfache Betrachtung und Betastung der Muskeln 
zeigt dabei, daß der Schultergürtel, wie zu erwarten, durch die 
vom Schädel und Wirbelsäule kommenden Muskeln gehoben und 
nicht etwa durch den primär gehobenen Thorax mit in die Höhe 
genommen wird. 

Mit der Hebung der Schulter rückt auch der Achselspalt in 
die Höhe und noch stärker die darunter gelegenen Teile des seit¬ 
lichen Thorax, und zwar heben sich aus Gründen, die vorn schon 
angegeben waren, die unteren Partien stärker als die oberen. Die 
Hebung ist normalerweise stets mit einer Erweiterung verbunden. 
Da die Konturen der seitlichen Brustpartien nach unten leicht 
konvergieren, ein höherer Punkt deshalb auch weiter auswärts 
liegt, kann es Vorkommen, daß ein gehobener und nach auswärts 
geführter Punkt des seitlichen Thorax auf der alten Schattenlinie 
bleibt, so daß beim ersten Blick keine Erweiterung stattgefunden 
zu haben scheint. So erklärt sich wohl auch, daß Hasse (8) auf 
Grund von Serienphotographien annehmen zu müssen glaubte, daß 
der Brustkorb sich bei der Atmung im queren Durchmesser nicht 
erweitere. 

Dabei gilt für die tiefe Atmung noch mehr als was für die 
oberflächliche vorhin schon gesagt war, daß der Thorax bei der 
Röntgendurchleuchtung eine noch stärkere Seitwärtsbewegung 
zeigt als aus dem Herausrücken der Schattengrenze geschlossen 
werden kann. 

Die Größe der Bewegung bei einer 27jährigen Nullipara sei 
als ein Beispiel kurz erwähnt. Zwei Querfinger unterhalb der 
Achselhöhle beträgt die Aufwärtsbewegung 12 mm und die Aus¬ 
wärtsbewegung 8 mm, am unteren Thoraxrand sind die entsprechen¬ 
den Zahlen 20,5 mm und 10,5 mm und dazwischen 16 mm und 



202 


Weitz 


9,5 mm. Auch bei der tiefen Atmung ist die Erweiterung der 
unteren Brustpartien also stärker als die der oberen. 

Der Weg von der Exspirationsstellung zur Inspirationsstellung 
ist nicht ein gerader, sondern er bildet den Abschnitt eines Kreises, 
dessen Zentrum nach dem Körper zu und oben liegt. Mit anderen 
Worten, die Erweiterung findet vor allem im Beginn, die Hebung 
im letzten Teil des Inspiriums statt. 

Was die Bewegung des Bauches bei tiefer Inspiration anlangt, 
so kann man nach den Schattenrissen 3 Hauptbewegungstypen 
unterscheiden. In vielen Fällen liegt die inspiratorische Schatten¬ 
rißlinie des Bauches von oben bis unten vor der exspiratorischen. 
Die gesamte vordere Bauchwand wird also inspiratorisch vorgewölbt. 
In vielen anderen Fällen wird der obere Bauch vorgewölbt und 
der untere eingezogen. In manchen Fällen endlich wird die vordere 
Bauchwand von oben bis unten eingezogen. Stets ist dabei eine 
Hebung einzelner Teile der Bauchwand erkennbar und zwar be¬ 
wegt sich natürlicherweise der dem Sternum benachbarte Teil 
stärker nach oben als die unteren Teile. Wenn der untere Teil 
des Bauches eingezogen wird, werden meistens auch die der Sym¬ 
physe benachbarten Teile der vorderen Bauchwand ein wenig in 
die Höhe gezogen. Wenn der Leib überall vorgewölbt wird, so 
kann es geschehen, daß die der Symphyse benachbarten Teile ein 
wenig nach unten bewegt werden. 

Die Bewegung der Hautteile dicht unterhalb des Corpus sterni 
ist ebenso groß wie die des Sternums selbst. Sie kann bei kräftigen 
jungen Männern über 30 mm betragen. Bei Frauen ist sie meistens 
geringer als bei Männern. Die Fälle, bei denen sich der Bauch 
von oben nach unten inspiratorisch vorwölbte, waren mit einer 
Ausnahme Männer. Unter den Personen mit einem der beiden 
anderen Atemtypen überwogen dagegen Frauen. 

Bei den Fällen, wo oben Vorwölbung und unten Einziehung 
erfolgt liegt die Grenze zwischen Vorwölbung und Einziehung ge¬ 
wöhnlich in der Höhe des Nabels, nicht selten aber auch höher, 
gelegentlich auch etwas tiefer. 

Da, wo die Einziehung ganz oben erfolgt, beginnt sie schon 
am unteren Teil des Corpus sterni, nicht etwa vom Ende des Pro¬ 
cessus xyphoideus ab, was beweist, daß sich auch die Spitze des 
Processus xyphoideus mit nach einwärts bewegt. 

Der Weg, den die einzelnen Teile machen, ist kaum je ein 
gerader, und zwar ist in den oberen Bauchpartien die Abweichung 
von der Geraden meist am stärksten ausgeprägt. Bei manchen 


i'ber die Atembewegangen des Körpers nsw. 


203 


wird der Leib im Beginn der Inspiration vor allem vorgewölbt und 
erst später gehoben, ja zuweilen ist zum Schluß noch eine Ein¬ 
ziehung erkennbar. In anderen Fällen wieder überwiegt oberhalb 
des Nabels im Beginn der Inspiration die Hebung und am Schluß 
die Vorwärtswölbung. 

Im Liegen wölbt sich bei tiefer Inspiration gewöhnlich der 
ganze Bauch vor und zwar stärker als bei oberflächlicher Atmung. 
Die Stelle der stärksten Vorwölbung pflegt hier wie da die Gegend 
um den Nabel herum zu sein. Nur gelegentlich wird eine leichte 
Einziehung der unteren Bauchgegend beobachtet. 

Bei Frontalansicht ist erkennbar, daß fast ausnahmslos die 
Partie zwischen unterem Thorax und Becken bei tiefer Inspiration 
nach innen bewegt wird, und zwar auch da, wo der Bauch von 
oben bis unten vorgewölbt wird. 

Die verschiedene Art des Verhaltens der Bauchdecken bei der 
Inspiration bedarf der Erklärung. In der Inspiration hebt sich der 
Brustkorb und es senkt sich das Zwerchfell in der überwiegenden 
Mehrzahl der Fälle. Wie das Röntgenbild zeigt, verkleinert sich 
dabei die Bauchhöhle in ihrem Höhendurchmesser. Dabei wird ein 
Ansteigen des intraabdominellen Druckes und eine Vortreibung der 
Bauchdecken erwartet werden dürfen, wie wir sie ja in der Tat 
in zahlreichen Fällen gesehen haben. 

Der Brustkorb macht nun aber nicht nur eine Bewegung nach 
oben, sondern er erweitert sich auch, und eine solche Erweiterung 
erfährt auch der nicht unbeträchtliche Teil der Bauchhöhle, der in 
den Thorax hineinreicht, und zwar ist der Rauminhalt der durch 
diese Erweiterung gewonnen wird größer als wohl manchmal an¬ 
genommen wird. Das wird vielleicht einleuchten, wenn ich einen 
in vielen Einzelheiten natürlich nicht passenden, aber immerhin 
erlaubten Vergleich wählend darauf hinweise, daß der Raum eines 
Zylinders, dessen Umfang 80 cm und dessen Höhe 10 cm ist, kleiner 
ist als eines Zylinders, dessen Umfang 90 cm und dessen Höhe 
8 cm ist. 

Die inspiratorische Erweiterung des unteren Brustkorbs kann 
jedenfalls den verkleinernden Einfluß, den das Tiefertreten des 
Zwerchfells auf den Bauchraum ausübt, überkompensieren. Es wird 
inspiratorisch der Abdominaldruck dann sinken, und es werden sich 
die Bauchdecken nach innen zu bewegen. Sinkt der inspiratorische 
Druck stark, so werden die Bauchdecken von oben nach unten sich 
gegenüber ihrer exspiratorischen Lage nach innen bewegen. Sinkt 
der Druck weniger, so wird sich die Einziehung an dem oberen 




204 Weitz 

Bauchwandteil nicht bemerklich machen, weil er mit dem nach 
vorn bewegten Thorax vorwärts bewegt wird. Ganz besonders 
stark muß natürlich die Einziehung der Bauch decken sein, wenn, 
wie das gelegentlich beobachtet und zuerst von de la Camp (3) 
beschrieben ist, das sich anspannende Zwerchfell durch den sich 
hebenden Thorax inspiratorisch höher gehoben wird als es exspira- 
torisch steht. 

Für manche Fälle mag übrigens die Einziehung der Bauch¬ 
decken auch anders erklärt werden können. Die Bauchdecken 
bilden am Ende des Exspiriums zwischen Brustkorb und vorderem 
Becken eine konkave Linie. Entfernt sich inspiratorisch der Brust¬ 
korb vom Becken, so müßte sich ihre Konkavität stets verringern, 
wenn sich die Bauchdecken nicht verlängern könnten. Das tun 
sie nun allerdings und sogar recht beträchtlich, wenn bei starker 
Hebung des Brustkorbs die Bauchdecken in ihrem ganzen Verlauf 
nach vorn bewegt werden. Immerhin hält ihre Verlängerung wohl 
nicht immer Schritt mit der inspiratorischen Zunahme der Ent¬ 
fernung zwischen unterem Sternum und der Symphyse, und dann 
wird eine Einwärtsbewegung erfolgen müssen, auch ohne daß eine 
Druckabnahme in der Bauchhöhle vorausgeht. 

Die bei tiefer Inspiration erkennbare Einziehung zwischen der 
unteren seitlichen Thoraxwand und der Crista iliaca, die auch in 
Fällen beobachtet wurde, wo aus der Vorwölbung der ganzen 
vorderen Bauchwand eine inspiratorische Zunahme des Bauchdrucks 
geschlossen werden muß, kann wohl nicht anders wie durch die 
einfache Streckung von erschlafften nach außen gewölbten Muskel¬ 
partien erklärt werden. 

In nicht wenigen Fällen sieht man, daß in der zweiten Hälfte 
des Exspiriums die Bauchdecken sich aktiv kontrahieren. Man 
sieht es häufiger noch als im Stehen beim Sitzen, und besonders 
schön bei gewissen pathologischen Fällen, worauf noch einzugehen 
sein wird. Die Eindellung der Bauchwand oberhalb des Nabels 
und die Verziehung des Nabels nach oben lassen dabei erkennen, 
daß sich im wesentlichen die oberen Bauchmuskeln kontrahieren. 
Die selben Teile also, von denen vorher gesagt war, daß sie während 
der Inspiration stärker erschlaffen, kontrahieren sich auch während 
des Exspiriums stärker als der untere Teil, dessen Tonus inspira¬ 
torisch und exspiratorisch ein mehr gleichmäßiger ist. 

Schon bei der bloßen Betrachtung glaubt man erkennen zu 
können, daß die Kontraktion der Bauchdecken eine ganz kurze 
Zeit vor dem Ende des Exspiriums aufhört, was eine geringe Vor- 


Über die Atembewegnngen des Körpers usw. 


205 


Wölbung der vorher eingezogenen Bauchdecken bewirkt, auf die 
sich dann eine inspiratorische Vorwölbung aufsetzen kann. Ein 
solcher Nachlaß der Bauchdeckenkontraktion vor Beginn der Ein¬ 
atmung darf wohl als zweckmäßig angesehen werden, weil ohne 
das die Hebung des Brustkorbs gegen den Widerstand der Bauch¬ 
decken erfolgen müßte. 

Die am Schattenriß studierten Bewegungen des Brustkorbes und 
Bauches bei der Atmung sind in den gröbsten Umrissen bereits von 
Hutchinson (10) beschrieben. Von der Bewegung der Bauchwand 
bei tiefer Inspiration erwähnt er speziell nur den nicht gerade häufigsten 
Typ der Einziehung von oben nach unten. Eine Wiedergabe der Zeich¬ 
nung findet sich in Nagels Handbuch der Physiologie, Leipzig 1880 
(Bd. 4, 2. Teil, S. 215). Die im Hofbauer'schen Buch (9) vorhan¬ 
dene Wiedergabe enthält leider in Zeichnung und Text bedenkliche 
Fehler. 

Die Ansicht, daß die beim Stehen und tiefer Inspiration auf¬ 
tretende Einziehung der Bauchdecken durch Abnahme des Bauch¬ 
drucks während der Einatmung bedingt sei, konnte bei einigen 
Fällen dadurch bewiesen werden, daß der aufgezeichnete Blasen¬ 
druck inspiratorisch eine starke Senkung zeigte. 

Im einzelnen ergab sich bei gleichzeitiger Aufzeichnung des 
Blasendrucks und der Brustkorbbewegung folgendes: Im Liegen 
wurde bei oberflächlicher und bei tiefer Atmung inspiratorisch ein 
Steigen und exspiratorisch eine Abnahme des Blasendrucks be¬ 
obachtet. Das inspiratorische Tiefertreten des Zwerchfells bewirkt 
also in liegender Körperhaltung eine Zunahme des Bauchdruck, das 
exspiratorische Höhertreten des Zwerchfells eine Abnahme. Der 
Beginn des Exspiriums fiel nicht jedes Mal mit dem des Druck¬ 
anstiegs und der Beginn des Exspiriums nicht jedes Mal mit dem 
des Druckabfalls zusammen. So wurde z. B. im ersten Beginn des 
Inspiriums noch ein geringer Druckabfall beobachtet, offenbar weil 
die inspiratorische Hebung und Erweiterung des Brustkorbs zu¬ 
nächst den Bauchraum stärker erweiterte als das Tiefertreten des 
Zwerchfells ihn verengte. 

Auch im Stehen wurde ein inspiratorischer Druckanstieg be¬ 
obachtet, nicht selten aber auch, vor allem bei tiefer Atmung, ein 
Druckabfall. Im Exspirium war zu Beginn das eine Mal ein 
Steigen, das andere Mal ein Sinken des Drucks zu sehen. In der 
zweiten Hälfte des Exspiriums erhob sich aber stets der Druck 
nicht unbeträchtlich, um vor Beendigung des Exspiriums wieder 
abzusinken. Auch für die Atmung im Stehen gilt, daß der Beginn 



I 


206 


Weitz 



des Druckanstiegs und -abfalls nicht immer dem Beginn der beiden 
Atemphasen entspricht. 

Ein Beispiel einer Kurve, die bei tiefer Inspiration im Stehen auf- 
genommen wurde, ist die nebenstehende Abbildung. Die obere Kurve 
gibt die Atembewegungen des Thorax wieder. Der Beginn der absteigen¬ 
den Linie entspricht dem Beginn des Inspiriums, der Beginn der an¬ 
steigenden dem Beginn des Exspiriums. Im Beginn des Inspiriums fällt 
zunächst die untere Kurve des Blasen- resp. Bauchdrucks beträchtlich 
ab, um am Ende des Inspiriums wieder langsam anzusteigen. Die Er¬ 
klärung dafür ist, daß zunächst der sich stark erweiternde Thorax den 

Bauchraum mehr erweitert als 
das Tiefertreten des Zwerchfells 
ihn verengt, und daß nachher 
das Umgekehrte der Fall ist. 
Am Schattenriß würde man hier 
zunächst eine Einziehung und 
dann eine geringe Vortreibung 
des Bauches sehen. Mit Beginn 
des Exspiriums steigt der Bauch- 
innendruck zunächst an und fallt 
dann leicht ab. Herabsinken 
und Verengerung des Brustkorbs 
einerseits und Hochtreten des 
Zwerchfells andererseits machen 
hier ihren Einfluß auf den Bauch- 
innendruck in entgegengesetzter 
Weise geltend. Nach kurzem 
steigt der Druck wieder an, um 
dicht vor dem Ende des Ex¬ 
spiriums wieder abzufallen (an 
anderen Kurven war das noch deutlicher). Dieser letzte Anstieg wird 
im wesentlichen durch eine aktive Kontraktion der Bauchdecken bedingt 
sein, der kurz vor Beginn der Exspiration vorhandene Druckabfall 
kann wohl nicht gut anders als durch den Nachlaß der BauchkoDtraktion 
erklärt werden. 

Wenn von uns im Stehen häufig, dagegen im Liegen nie — 
wir haben allerdings nur 8 Fälle untersucht — eine ausgesprochene 
inspiratorische Druckabnahme beobachtet wurde, wenn mit anderen 
Worten die inspiratorische Erweiterung des Brustkorbs nur im 
Stehen zu einer stärkeren Erweiterung des Bauchraums führt, so 
liegt das offenbar daran, daß hierbei der Brustkorb stärker gehoben 
und durch Streckung der Wirbelsäule mehr erweitert wird als im 
Liegen. Unsere Beobachtungen über das Absinken des intraabdo¬ 
minellen Druckes im Inspirium sind Bestätigungen von früheren 
Beobachtern (Luciani (11), Dubois(4), Quincke (12), Schrei- 



Kurve 1. Obere Kurve Atembewegung. 
Untere Kurve Blasendruek. 

Ganz unten Zeit in Sekunden. 




Über die Atembewegungen des Körpers usw. 


207 


ber (15), Weitz(18), Verstraeten (17)), die allerdings auf den 
Einfluß der Körperlage nicht geachtet haben. 

Bei Emphysematikern, vor allem solchen in höherem Alter, 
zeigt die Beobachtung des Schattenrisses einige Besonderheiten. 
Der oberste Teil der Brustwirbelsftule hat eine stärkere kypho- 
tische Biegung, dafür ist die Lordose der Lendenwirbelsäule ge¬ 
wöhnlich geringer. Der Abstand des Sternums von der Wirbel¬ 
säule ist größer geworden und übersteigt gelegentlich den Abstand 
der beiden bei frontaler Aufnahme aufgenommenen seitlichen Brust¬ 
konturen. Der Bauch ist im ganzen kürzer geworden, die Bauch¬ 
haut zeigt oft eine oder mehrere Querfalten, dicht oberhalb, aber 
auch hin und wieder dicht unterhalb des Nabels. Am frontal auf¬ 
genommenen Schattenriß fällt häufig auf, daß die seitlichen Brust¬ 
konturen sich nicht, wie normal, nach unten, der Taille zu, ver¬ 
jüngen. Sie verlaufen vielmehr einander parallel, ja sie können 
nach unten ein wenig auseinander weichen. 

Bei alten Leuten sollte man wegen der so häufig vorhandenen 
Thoraxstarre geringe Atemausschläge am Brustkorb erwarten. Ich 
habe aber nur einmal gesehen (es handelte sich um einen 64jähr. 
Mann mit Thoraxstarre), daß der oberste Teil des Brustkorbs bei 
gewöhnlicher Atmung nicht bewegt wurde. In der Regel schiebt 
sich bei gewöhnlicher Atmung die Sternumkontur stärker vor und 
hebt sich mehr als bei jüngeren Leuten. Und auch die Vorwärts¬ 
bewegung der Bauchwand ist nicht etwa weniger ausgiebig, wie 
man bei der verringerten Zwerchfellbewegung erwarten könnte, 
sondern meistens ausgiebiger. Bei tiefer Atmung allerdings 
sind die Bewegungen der vorderen Brustkontur bei Emphyse¬ 
matikern beträchtlich geringer als bei jungen Leuten. Vor 
allem, wenn eine gewisse Dyspnoe besteht, bleiben die Atem¬ 
bewegungen des Brustkorbs bei der gewöhnlichen Atmung nur 
wenig hinter der zurück, die der Untersuchte macht, wenn er 
tief atmen will. Es wird dann eben schon bei gewöhnlicher At¬ 
mung die Ausdehnungsfähigkeit des Brustkorbs fast bis zur Grenze 
der Möglichkeit in Anspruch genommen. Die vordere Bauchkontur 
wird bei tiefer Atmung vorgewölbt und zwar von oben nach unten. 
Der Ausschlag ist selten viel größer als bei oberflächlicher Atmung. 

Sehr deutlich ist oft am Ende des Exspiriums sowohl bei ober¬ 
flächlicher als bei tiefer Atmung ein ruckartiges Höherrücken des 
Nabels zu erkennen, das bis zu 10 mm betragen kann. Es ist 
wie an der gleichzeitigen Eindellang der oberen Bauchmuskulatur 
zu erkennen ist durch eine aktive Kontraktion dieser Muskelteile 




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208 Wbitz 

bedingt. Der Zweck dieser Bewegung ist, das Zwerchfell am Ende 
des Exspiriums möglichst herauf zu drängen. 

Die Bauchfalten werden häufig bei tiefer Atmung durch die 
Hebung des Brustkorbs zum Verschwinden gebracht. Die unter¬ 
halb der Bauchfalte liegenden Teile bleiben in ihrer Lage, die 
oberen Teile werden mit dem Brustkorb gehoben, wobei immer mehr 
anfänglich in der Falte verborgene Teile zum Vorschein kommen, 
bis sich in manchen Fällen die Falte sozusagen ausgerollt hat. 
Eine Dehnung der Bauchhaut, die bei jüngeren Leuten stets zu 
beobachten ist, kann dabei fehlen. Oberhalb der Bauchfalte werden 
dann die Teile der Bauchwand, die unmittelbar unter dem Sternal- 
ansatz liegen, nicht mehr in die Höhe gehoben als die Teile, die 
dicht über der Bauchfalte liegen. 

An den Konturen des frontalen Schattenrisses ist bei ober¬ 
flächlicher Atmung gewöhnlich überhaupt kein rechter Ausschlag 
zu sehen, bei tiefer Atmung pflegt sogar eine Einziehung vorhanden 
zu sein, die mehrere Millimeter betragen kann, worauf u. a. schon 
Gerhardt (6) hingewiesen hat. 

Die Erklärung für das Ausbleiben der Erweiterung dürfte in 
der früher erwähnten Beobachtung liegen, daß die seitliche Brust¬ 
wand durch die inspiratorische Hebung der Hippen zunächst vor 
allem erweitert und dann vor allem gehoben wird, und daß bei 
Emphysematikern der erste vorwiegend zur Erweiterung führende 
Teil der Rippenhebung schon im Stadium des Exspiriums besteht. 
Die inspiratorische Einziehung der unteren Brustwand dürfte durch 
die veränderte Zugrichtung des tief getretenen Zwerchfells be¬ 
dingt sein. 

Wenn bei der tiefen Atmung der Empliysematiker nicht, wie 
oft bei jüngeren Personen, eine Einwärtsbewegung der Bauchkontur 
beobachtet wird, so dürfte das daran liegen, daß die Hebung und 
Erweiterung des emphysematischen Brustkorbs viel geringer ist 
und damit der Hauptgrund für ein Absinken des intraabdominellen 
Druckes wegfällt. Die relativ starke Vorwölbung der Bauchdecken 
bei oberflächlicher Atmung dürfte ebenfalls mit der geringen in¬ 
spiratorischen Erweiterung des Brustkorbs Zusammenhängen und 
außerdem damit, daß der Bauchraum im Alter kleiner geworden 
ist. Brugsch (2) ist zwar der Meinung, daß im Alter eine Ver¬ 
längerung des Bauchraumes eintrete infolge Hebung des Thorax, 
wobei das Zwerchfell gleichsinnig folge, aber dem muß ich auf 
Grund von orthodiagraphischen Aufnahmen des Körpers, bei denen 
Thoraxwand, Herz, Zwerchfell, seitliche Bauchbegrenzung, Becken- 


j|' -,:»4 iS 1— 




Über die Atembewegungen des Körpers usw. 


209 


knochen und der durch eine Bleimarke bezeichnete obere Symphysen¬ 
rand aufgezeichnet wurden, durchaus widersprechen. Die Entfer¬ 
nung zwischen der oberen Begrenzung der Lungenspitze und rechter 
Zwerchfellskuppe, die im jugendlichen Alter beträchtlich kleiner 
ist als die Entfernung von rechter Zwerchfellskuppe zum oberen 
Symphysenrand, nähert sich ihr in höherem Alter immer mehr, ja 
kann sie übertreffen. 

Bei Kyphoskoliosen ist die Bewegung der vorderen Brustkontur 
bei oberflächlicher Atmung stets eine sehr ausgesprochene und viel 
stärker als bei normalen jüngeren Menschen. Außer der Bewegung 
des Zwerchfells ist eben eine starke Erweiterung des Brustkorbs 
nötig, um der Lunge die nötige Luftmenge zuzuführen. Auch die 
Bauchmuskeln werden im allgemeinen recht stark nach vorne vor- 
gewölbt, wofür wir dieselben Umstände verantwortlich machen, wie 
beim Emphysem, nämlich die mangelnde inspiratorische Weitbar- 
keit des Brustkorbs und die Kleinheit der Bauchhöhle. Bei den 
ausgesprochenen Fällen wurde auch der untere Teil der Bauch- 
■wandung stark vorgewölbt und gleichzeitig nach unten bewegt. 

Die mangelnde inspiratorische Erweiterungsfähigkeit zeigte 
sich vor allem bei frontaler Aufnahme des Schattenrisses. Schon 
bei oberflächlicher Atmung sah man gewöhnlich eine Einziehung 
der unteren seitlichen Brustpartien. 

Bereits bei ruhiger Atmung war ferner meist eine leichte 
Hebung der Schulter erkennbar, was auch auf eine Verstärkung 
der Brustatmung hinweist. 

Bei tiefer Inspiration waren die Brust- und Bauchbewegungen 
stärker als bei ruhiger Atmung. Bei starker Hebung des Brust¬ 
korbs wurde gelegentlich am Ende des Inspiriuras die vorher vor¬ 
gewölbte Bauchwand wieder etwas eingezogen, ohne daß sie aber 
den Stand, den sie am Beginn des Inspiriums innehatte, wieder 
erreicht hätte. Die Einziehung des unteren Brustkorbrandes bei 
tiefer Inspiration konnte recht deutlich sein; in einem Fall betrug 
sie auf der einen Seite 10 mm. 

Sowohl bei gewöhnlicher wie bei verstärkter Atmung war am 
Ende des Exspiriums eine deutliche Kontraktion der Bauchdecken 
vorhanden, und zwar besonders der oberhalb des Nabels gelegenen 
Teile. Es soll dadurch wie beim Emphysematiker das Zwerchfell 
möglichst hochgedrückt und dadurch seine Exkursionsweite ver¬ 
mehrt werden. 

Bei der Atmung der Hängebäuchigen zeigten sich am Bauch 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 





> 



210 Weitz 

einige Absonderlichkeiten. Normalerweise heben sich bei ober¬ 
flächlicher Atmung nur die obersten Teile der Bauchwand ebenso 
stark wie der Thorax. Die Teile darunter heben sich weniger 
und am Nabel zeigt sich oft überhaupt keine Hebung mehr, was 
alles natürlich eine gute Dehnungsfähigkeit der Bauchmuskeln vor¬ 
aussetzt. 

Beim Hängebauch, dessen Dehnungsfähigkeit vermindert ist, 
rückt der Nabel inspiratorisch nicht viel weniger in die Höhe wie 
der Brustkorb selbst, und auch die untere Begrenzung des vor¬ 
gewölbten Leibes, die in ausgesprochenen Fällen eine ganze Strecke 
lang wagerecht verlaufen kann, wird bei jeder Inspiration deutlich 
gehoben. Schon bei ruhiger Atmung ist das erkennbar, bei tiefer 
Atmung kann die Hebung sehr beträchtlich sein und bis zu 10 mm 
betragen. Es liegt auf der Hand, daß die Brustkorbhebung be¬ 
trächtlich erschwert sein muß, wenn die Muskeln, die ihn bewirken, 
zugleich auch noch den Hängebauch mit seinem Inhalt heben 
müssen. 

Wie beim Emphysem und bei Kyphoskoliose ist auch bei 
Hängebauch am Ende des Exspiriums eine sehr deutliche Kontrak¬ 
tion der oberen Bauchdecken erkennbar. 

Zusammenfassung. 

Für die oberflächliche Atmung normaler Personen gilt folgen¬ 
des: Das Sternum wird inspiratorisch in der überwiegenden Mehr¬ 
zahl der Fälle gehoben und von der Wirbelsäule entfernt. Corpus 
sterni und unteres Ende des Manubrium entfernen sich von der 
Wirbelsäule etwas mehr als das obere Ende des Manubrium. Da¬ 
mit geht eine Verkleinerung des vom Corpus und Manubrium ge¬ 
bildeten Winkels einher, für deren Messung eine einfache Vor¬ 
schrift gegeben wird. Ausnahmsweise wird das Sternum über¬ 
haupt nicht bewegt oder das Corpus allein vorgeschoben und zwar 
am unteren Ende am stärksten, wobei sich der Manubrium-Corpus- 
winkel vergrößert. Die Hebung des Sternums ist im Durchschnitt 
bei Frauen etwas größer als bei Männern. Die seitlichen Thorax¬ 
teile werden inspiratorisch gehoben und voneinander entfernt. 
Beide Bewegungen sind an den unteren Brustkorbteilen stärker 
als an den oberen. In allen Fällen zeigte sich am Bauch eine 
inspiratorische Vorwölbung. Diese ist im Stehen unterhalb des 
Nabels viel geringer als oberhalb und fehlt sogar unterhalb nicht 
selten, während im Liegen die Vorwölbung am Ober- und Unter¬ 
bauch etwa gleich und am stärksten in der Nabelgegend ist. Eine 



Über die Atembewegungen des Körpers usw. 


211 


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Zunahme des Tonus der unteren Bauchmuskeln beim Stehen wird 

als Grund dieses Verhaltens angenommen. • 1 

Bei tiefer Atmung ist stets eine starke inspiratorische Hebung 
und Vorwärtsbewegung des Sternums vorhanden, die beim männ¬ 
lichen Geschlecht im allgemeinen größer als beim weiblichen ist. 

Die Vorwärtsbewegung des unteren und des oberen Ende des 
Corpus ist etwa gleich stark und im allgemeinen viel bedeutender 
als die des oberen Endes des Manubrium, so daß sich inspira¬ 
torisch der Manubrium-Corpuswinkel stark verkleinert. Auch Ver- ■ 

größerung des Winkels wird bei Überwiegen der unteren Thorakal- t 

atmung über die obere gelegentlich beobachtet. Die seitlichen 
Thoraxpartien zeigen bei tiefer Atmung dieselben Veränderungen 
wie bei oberflächlicher, nur in verstärktem Grade. Die Wirbel¬ 
säule streckt sich inspiratorisch, die Schultern heben sich und be¬ 
wegen sich nach vorn, wobei sich die Scapulae von der Wirbel¬ 
säule entfernen. Die Bauchwand wird bei tiefer Einatmung in 
zahlreichen Fällen vor allem bei Männern, von oben bis unten 
vorgewölbt, in anderen von oben bis unten eingezogen, in anderen 
nur unten eingezogen. Als Grund dafür hat das wechselnde Ver¬ 
halten des inspiratorischen Drucks in der Bauchhöhle zu gelten, 
der durch Hebung und Erweiterung des Brustkorbs verringert, 
durch Tiefertreten des Zwerchfells vermehrt wird. Wie Blasen¬ 
druckmessungen zeigen, wird ein inspiratorischer Druckabfall vor 
allen bei tiefer Atmung im Stehen beobachtet. Sehr häufig ist in 
der zweiten Hälfte des Exspiriums eine aktive Kontraktion der 
Bauchdecken und zwar vor allem der oberhalb des Nabels gelegenen 
zu erkennen. 

Bei Emphysematikern und Kyphoskoliotikern ist bei normaler 
Atmung Hebung und Vorwärtsbewegung des Sternums größer, bei 
tiefer Atmung geringer als bei normalen Personen. Bei beiden ist 
sowohl bei oberflächlicher wie bei tiefer Atmung an den seitlichen 
Brustpartien gewöhnlich eine inspiratorische Einziehung und auch 
bei tiefer Atmung eine Vorwölbung des ganzen Bauches fest- 
zustelleu. 

Bei Hängebäuchigen wird bei jeder Inspiration der ganze Bauch 
in die Höhe gezogen, was mit dem Verlust der Dehnungsfähigkeit 
der Bauchdecken zusammenhängt. Die aktive Kontraktion der 
oberen Bauchdecken im Exspirium ist bei Emphysematikern, 

Kyphoskoliotikern und Hängebäuchigen besonders stark. 


14* 






212 Wbitz, Über die Atembewegungen des Körpers usw. 

Literatur. 

1. H. Boruttan, Die Atembewegungen und ihre Innervation. Nagel’s 
Handbuch der Physiologie des Menschen, 1. Bd., 1. Teil, Braunschweig 1905. — 
2. Brugsch, Allgemeine Prognostik, 2. Aufl. 1922. — 3. de la Camp, Zeit- 
schr. f. klin. Med. Bd. 49, 1903. — 4. P. Dubois, Deutsches Arch f. klin. Med. 
1876, Bd. 17. Zuntz u. Loewy, Lehrbuch d. Physiologie, Leipzig 1920. — 
5. du Bois-Reymond, Mechanik und Innervation der Bewegung. — 6. Ger¬ 
hardt, Zeitschr. f. klin. Med. B. 30, S. 37. — 7. Gibson, Medic. chir. Trans¬ 
actions 31, p. 353, London 1858. — 8. Hasse, Arch. f. Anatomie u. Physiologie 
1901, anatom. Abteilung. — 9. Hofbauer, Atmungs-Pathologie und -Therapie, 
Berlin 1921. — 10. Hutchinson, Todd’s Encyclopaedie of anatomie and Phy¬ 
siologie, (Abschnitt Thorax), London 1852. — 11. Luciani, zit. bei Schreiber. 
— 12. Quincke, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1878, Bd. 21. — 13. Rosen- 
thal, Die Physiologie der Atembewegungen. Hermann’s Handbuch der Physio¬ 
logie Bd. 4, Leipzig 1880. — 14. Rothschild, Der Sternalwinkel. Frankfurt 
1900. — 15. Schreiber, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1883, Bd. 33. — 

16. Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Leipzig 1911. — 

17. Verstraeten, zit. bei de la Camp. — 18. Weitz, Deutsches Arch. f. klin. 
Med. Bd. 95. 



213 


Aus der medizinischen Klinik der Universität Rostock. 

(Direktor: Prof. Hans Curschmann.) 

Über die Behandlnng des Typhus abdominalis 
mit Typhusautovaccine. 

Von 

Dr. med. Hans Karl von Winterfeld. 

(Mit 2 Kurven.) 

Als ich, veranlaßt durch günstige Resultate der autogenen 
Vaccinetherapie bei anderen Infektionen, begann, den Typhus mit 
Typhusautovaccine zu behandeln, fand ich beim Durchsuchen der 
Literatur, daß derartige Versuche bereits 1920 von Korbsch 1 ) 
gemacht und publiziert worden waren. Die von ihm mitgeteilten 
Erfolge schienen recht ermutigend. Korbsch ging nach anfäng¬ 
lich intravenöser Autovaccination wegen der durch die allzu heftigen 
Reaktionen ausgelösten Gefahren zur intramuskulären Injektion 
über, wobei er in Abständen von etwa vier Tagen */*—2 Milliarden 
Keime spritzte. Die mitgeteilten Erfolge klingen durchweg günstig, 
selbst bei schwersten Fällen, sogar bei Komplikationen. 

Nachdem ich bei zehn sporadischen Fällen während eines halben 
Jahres die Autovaccinierung durchgeführt hatte, wobei wir aus¬ 
schließlich intrakutan und in Dosen von 300—500 Millionen (nur 
ausnahmsweise mehr) Keimen spritzten, glaubte ich, die Erfolge 
dieser Methode bestätigen zu können. In den meisten Fällen gingen 
die Temperaturen zurück, das Allgemeinbefinden besserte sich, und 
selbst schwerste, ja komplizierte Fälle kamen zur Genesung, so daß 
wir während dieser Zeit keine Todesfälle zu beklagen hatten. 

Es folgte sodann eine schwere Epidemie im Juni/Juli d. J. 
Wir setzten unsere Versuche in vergrößertem Maßstabe fort, leider 
nunmehr mit dem Ergebnis, daß die Erfolge zumeist ausblieben. 


1) Korbsch, Roger, Berliner klin. Wochenschr. Nr. 50, S. 1196fl., 1920. 




214 


V. WlNTEHFELD 



Wir versuchten verschiedene Dosierungen, stets intrakutan, meist 
im Abstand von drei Tagen. Statt der gehofften Erfolge mahnte 
uns die zunehmende Mortalität der Epidemie, die diejenige früherer 
Jahre in erschreckendem Maße überstieg, zur Vorsicht. Die vacci- 
nierten Fälle kamen in derselben Häufigkeit ad exitum wie die 
nicht vaccinierten Fälle. Der einzige Unterschied schien darin zu 
bestehen, daß die ausreichend vaccinierten Fälle etwas länger am 
Leben erhalten werden konnten, ohne daß indes der tödliche Aus¬ 
gang zu vermeiden war. In einem weiteren großen Prozentsatz 
unserer vaccinierten Fälle, die insgesamt über 30 betragen, ver¬ 
sagte die Wirkung völlig, die Temperaturkurve hielt sich konstant 
auf ihrer Höhe, um dann zur gegebenen Zeit von selbst lytisch 
abzusinken. Es folgt ein Beispiel dieser negativen Wirkung: 

Luise 11., 26 Jahre. Seit 15. VI. erkrankt mit Fieber und all¬ 
gemeiner Schwäche, anfangs Verstopfung, später Durchfall. Eingeliefert 
am 26. VI. Der Befund ergab: Gruber-Widal 1:800 -}-. Blut in 
Galle -}-. Milz nicht palpabel. Deutliche Roseolen. Im Urin Diazo 
Leukocyten 3211 im cmm. Keine Komplikationen. Klinisch mittel¬ 
schwerer Fall. Kontinua um 40 Grad (rektal). Viermalige Autovacci- 
nierung mit Dosen von 300—500 Millionen Keimen. Starke lokale 
Reaktionen (Rötung und Schwellung bis zu 6 cm um die Impfstelle). 
Es zeigte sich nicht der geringste Einfluß der Autovaccination auf den 
Krankheitsverlauf und auf die Fieberkurve. Erst am 34. Tage war die 
Patientin fieberfrei. Anbei die Kurve: 



Kurve 1. 


Nur ein kleiner Bruchteil der vaccinierten Fälle reagierte 
günstig. Auch hierfür ein Beispiel: 

Dr. Wolfgang W., 32 J. Seit 24. VI. Kopfschmerzen, Kreuz¬ 
schmerzen, allgemeine Mattigkeit. Seit 26. VI. begannen leichte stei- 





















Über die Behandlung des Typhus abdominalis mit Typhnsantovaccine. 215 

gende Temperaturen. Eingeliefert am 29. VI. Der Befund ergab: 
Gruber-Widal 1 :800 -f-. Blut in Galle Deutlicher Milztumor. 

Keine Roseolen. Im Urin Diazo —. Leukocyten 3200. Klinisch 
mittelschwerer Fall. Temperatur erreicht am 5. Krankheitstag 39, am 
7. Krankheitstag 39,5, am 10. Krankheitstag 39,8 Grad. An 
diesem Tage eine Injektion von 50 Millionen Keimen. Darauf ra¬ 
pides Absinken der Temperatur. Am 15. Krankheits¬ 
tage fieberfrei. Im ganzen nur eine Injektion! Kein Rezidiv! 
Da es sich bei diesem Patienten um einen Arzt handelt (Bakteriologe), 
Biud die Angaben über die Krankheitsdaten insbes. Uber den Krankheits- 
beginn als völlig einwandfrei anzusehen. Anbei die Kurve: 



Kurve 2. 

Trotz solcher vereinzelter günstiger Erfolge muß es natürlich 
noch als fraglich erscheinen, ob man die günstige Entwicklung des 
Krankheitsverlaufs auf das Konto der Autovaccine setzen darf. 

Wir möchten vielmehr annehmen, daß die Toxizität, mit der 
die verschiedenen Epidemien, sowie die sporadischen Fälle verlaufen, 
durchaus voneinander verschieden ist, und möchten glauben, daß 
die früheren Erfolge der geringeren Toxizität, d. i. dem leichteren 
„Genius epidemicus“, zugute zu halten sind, während die jetzigen 
Mißerfolge durch die überaus starke Toxizität, die dieser Epidemie 
eigen ist, bedingt sind. 

Es erhebt sich nunmehr auch die Frage, ob durch die Auto- 
vaccinierung vielleicht auch geschadet werden kann. Es wäre 
theoretisch denkbar, daß durch die eventuelle bakterizide Wirkung 
der Autovaccine (vgl. die Ergebnisse der an der Hand unserer 








216 v. Winterfeld 

Fälle angestellten bakteriologischen Versuche von Nag eil 1 )) Um¬ 
stimmungen im Körper erfolgen könnten, die den Krankheitsverlauf 
ungünstig zu beeinflussen imstande wären. Theoretisch wäre dies 
möglich, indem durch die Abtötung der Typhusbazillen in größerem 
Maßstabe Endotoxine frei würden, die den Körper erst recht mit 
Toxinen überschwemmen und dadurch Gefahr bringen. Unter¬ 
suchungen über eine derartige etwaige Toxinvermehrung konnten 
leider nicht durchgeführt werden. Immerhin glauben wir, auf Grund 
unserer klinischen Beobachtungen in über 30 Fällen, diese Mög¬ 
lichkeit ablehnen zu müssen, und nehmen an, daß eine Schädigung 
durch Autovaccinierung in keinem Falle erfolgt ist. 

Eine weitere Frage ist die der eventuellen schnelleren 
EntkeimungderStühleunddesUrins nach Autovaccination. 
Auch diesbezüglich müssen wir leider feststellen, daß eine schnellere 
Entkeimung gegenüber den nicht vaccinierten Fällen nicht fest¬ 
zustellen war. Auch der Versuch, eine Dauerausscheiderin (Typhus 
vor ca. 5 / 4 Jahr) mittels Autovaccine zu entkeimen, scheiterte trotz 
wochenlang durchgeführter Vaccination vollständig. Die Patientin 
ist Dauerausscheiderin geblieben. 

Auch, was die Frage der Vermeidung eventueller Rezidive be¬ 
trifft, müssen wir mitteilen, daß wir nach Autovaccination leider 
in dem gewöhnlichen Teil der Fälle Rezidive beobachteten. Also 
auch in dieser Beziehung hatten die autovaccinierten Fälle keine 
Vorteile gegenüber den nicht vaccinierten. 

Ganz abgesehen davon, daß die Beschaffung der Autovaccine 
oft auf Schwierigkeiten stößt, indem häufig die Kultur der Typhus- 
bazillen aus dem Blut nicht oder verspätet gelingt, daß ferner bis 
zur Herstellung der Autovaccine ein Zeitraum von vielen Tagen 
vergeht, so daß die Vaccine erst verspätet zur Anwendung gelangen 
kann, müssen wir feststellen, daß die Autovaccinebehand¬ 
lung des Typhus für die Praxis nicht zu empfehlen 
ist, sondern höchstens weiteren klinischen Versuchen 
Vorbehalten bleiben muß. (Vielleicht wären Versuche mit 
kleineren Dosen, 1 bis 5 Millionen, angebracht!) 

Um noch ein Wort über das Verhältnis der Höhe der Agglu¬ 
tination zur Schwere des Krankheitsbildes zu sagen, stellen wir, in 
Übereinstimmung mit vielen anderen Autoren, fest, daß konstante 
Beziehungen nicht nachzuweisen waren. Wir haben sowohl in 
leichten wie in schwersten Fällen negativen Ausfall der Gruber- 


1) Erscheint im gleichen Heft dieser Zeitschrift. 



Über die Behandlung des Typhus abdominalis mit Typhusautovaccine. 217 

Widal’schen Reaktion gehabt (bei positivem Bazillenbefund), während 
wir ebenso in leichten wie in schweren Fällen hohe Agglutination 
feststellen konnten. Prognostisch kommt also der Grad der Gruber- 
Widal’schen Reaktion nicht in Betracht. Eher scheint der lokalen 
Reaktion bei intrakutaner Vaccinierung eine prognosti¬ 
sche Bedeutung zuzukommen, da wir ziemlich konstant bei leich¬ 
ten Fällen lebhafte Reaktionen, bei sch wer en Fällen 
schwache resp. negative Cutanreaktionen beobachteten. 
Konstante Beziehungen zwischen der Stärke der lokalen Reaktion 
und der Höhe der Agglutination waren nicht festzustellen und nach 
dem eben Ausgeführten ja auch nicht zu erwarten. Es könnten 
also Parallelen zum negativen Ausfall der Pirquet’schen Tuberkulin- 
Cutanreaktion bei infauster Lungentuberkulose gezogen werden. 

Zusammenfassend können wir also sagen, daß die Behandlung 
des Typhus mit Autovaccine für die Praxis als unzuverlässig oder 
meist nicht wirksam noch zu widerraten ist, wenn auch klinisch 
in einzelnen Fällen eine scheinbar günstige Einwirkung angenommen 
werden konnte. 

Um Mißverständnissen vorzubeugen, erwähne ich, daß ich die Literatur 
(Reiter, Deutsche med. Wochenschr. 1915, Nr. 38 usw.) über Vaccinetherapie 
des Typhus (im Gegensatz zur Autovaccine!) wegen Raummangels absichtlich 
nicht erwähnt und berücksichtigt habe. 








Aus dem Hygienischen Institut der Universität Rostock. 

Direktor: Prof. Dr. v. Wasielewski. 

Znr Frage der Typhns-Virulenzbestimmung und ihrer 
Beeinflussung durch Autovaccinetherapie. 

Von 

Dr. Hermann Nagell, 

Assistent des Instituts. 

Bei Versuchen, zu einer Wertbestimmung der Vaccinetherapie 
zu gelangen, schien mir der von Philipp (1) letzthin angegebene 
Weg, der eine sichere Virulenzbestimmung in sich zu bergen schien, 
gangbar zu sein. Es gelang ihm nämlich, zu zeigen, daß eine 
Vermehrung der Streptokokken im eigenen Blut, das im Schüttel¬ 
kolben defibriniert wurde, eine schlechte Prognose bedeutete. Fand 
er z. B. auf der ersten Kulturaussaat — die Technik führe ich 
weiter unten an — 20 Kolonien, so goß er nach zweistündiger Be¬ 
brütung abermals unter gleichen Bedingungen wie zuerst eine 
weitere Platte. Zeigte sich eine stärkere Zunahme der Keimzahl, 
so war die Prognose infaust, zeigte sich aber eine Abnahme, so 
konnte man mit einer baldigen Heilung rechnen. Bestätigte es 
sich nun, daß auch beim Typhus steigende Reihen einen letalen 
Verlauf bedeuteten, und gelang es, diese durch Vaccinetherapie in 
fallende umzubiegen, so wäre damit der Wert der Therapie be¬ 
wiesen gewesen. 

Obgleich wir uns bewußt waren, daß bei Typhusinfektionen 
die Verhältnisse mit denen der Streptokokkensepsis nicht parallel 
zu setzen waren, so bot doch die letzte Typhusepidemie so reich¬ 
lich Gelegenheit, in der angedeuteten Richtung Untersuchungen zu 
machen, daß wir schon in Anbetracht der fehlenden akuten Strepto¬ 
kokkenerkrankungen begannen, Versuche zu unternehmen. 

Die Autovaccinetherapie bei Typhus ist nicht neu (s. auch die 
im gleichen Heft erscheinende Arbeit von v. Winterfeld) doch 
sind Versuche in ähnlicher Anordnung, um zu einer Bestimmung 



I 


Zu Frage der Typhns-Virulenzbestimmung usw. 219 

der Virulenz der Bakterien zu gelangen, und ihre Beeinflussung 
durch die Vaccination festzustellen, nicht veröffentlicht worden. 
Aus diesem Grunde glauben wir die Ergebnisse mitteilen zu sollen. 

Die Versuchsanordnung ist der von Philipp angegebenen analog. 
Steril aus der Armvene entnommenes Blut wird im Schüttelkolben defi- 
briniert und nach 2 und 16 Stunden zu Blut-Galle-Platten nach den 
Angaben Schottmüller’s ausgegossen. Auch nach längerer Bebrütungs¬ 
dauer noch Platten zu gießen, hielten wir für unangebracht, weil wir 
sonst mit einer stärkeren Verminderung der bakteriziden Kraft zu rechnen 
hätten (Nuttal). Denn in der Tat beobachteten wir nach zuerst fallen¬ 
der Keimzahl nach 24- bzw. 48 ständiger Bebrütung wieder einen erheb¬ 
lichen Anstieg. Nach 1 bzw. 2 Tagen findet eine Auszählung der 
Keime statt. Um jeden Irrtum zu vermeiden, wird außer dem Gram¬ 
präparat jede Kolonie auf Drigalskiplatte überimpft, solange die Keim¬ 
zahl nicht zu hoch steigt. Zur Kontrolle wird zu gleicher Zeit ein 
Galleröhrchen mit ebenfalls 1 ccm Blut beschickt. 

Bei den ersten Versuchen schien es fast so. als sollten die Er¬ 
gebnisse Philipp’s auch beim Typhus ihre Bestätigung finden. 
Drei Patienten mit steigenden Reihen kamen ad exitum, gleichviel 
ob sie vacciniert waren oder nicht. 






Krankenbett 

Nach 2 Std. 
Brutschrank 

Nach 16 Std. 
Brutschrank 





Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Pat. 1. 

Am 11. VI. folgende 
Reihe 

6 Kol. 

Ty.-f 

9 Kol. 

Ty.-f 

13 Kol. 

Ty.-f 





Vacciniert am 13. morgens, 300 Mill. Keime, am selben Tage 
abends folgende Reihe 





21 Kol. 

Ty.-f 

19 Kol. 

Ty.+ 

8 Kol. 

Ty.-f 







am 14. f. 



Pat. 

2. 

Am 6. 

VI. 

86 Kol. 

Ty.-f 

90 Kol. 

Ty.+ 

153 Kol. 

Ty.-f 





Vacciniert am 9. 500 Mill. Keime. Am 10. +• 

Pat. 

3. 

Am 4. 

VT. 

6 Kol. 

Ty.-f 

16 Kol. 

Ty.-f 

48 Kol. 

Ty.-f 






Nicht vacciniert, am 9. VI. f. 



Andere mit deutlich fallenden Reihen kamen zur glatten Aus¬ 
heilung. 



220 


Nagell 


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I 


Krankenbett 

Nach 2 Std. 
Brutschrank 

Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

1 Kol. 

Ty. + 

steril 

Ty. 4- 

1 Kol. 

steril 

steril 

steril | 


Nach 16 Std. 
Brutschrank 

Blut-Galle- ß . 
Platte Gal 


Pat. 5. Am 29. V. 

Am 1. YI. 
Am 4. VI. 


Ty.4- 

2 Kol. 

tTy.4- 

2 Kol. 

Ty.+ 

steril 

steril 

steril 

steril 

steril 

Ty. + 

steril 

steril 

steril 

steril 


Pat. 6. Am 11. VI. 

17 Kol. 

Ty.+ 

14 Kol. 

Ty. +| 

10 Kol. 

Am 14. VI. 

4 Kol. 

Ty. 4- 

steril 

Ty. + 

steril 

Am 16. VI. 

6 Kol. 

Ty.-f 

steril 

steril ; 

steril 


Pat. 4. Am 24. VI. 1 Kol. Ty. + steril Ty. + steril Ty. -f 

Am 28. VI. 1 Kol. steril steril steril | steril steril 

Erst am 30. VI. vacciniert, wo schon bakteriologisch die 
Besserung eingetreten war. 

Pat. 5. Am 29. V. 4 Kol. Ty. 4- 2 Kol. ' Ty. 4- 2 Kol. Ty. j- 

Am 1. VI. steril steril steril steril steril steril 

Am 4. VI. 13 Kol. Ty. + steril steril steril steril 

Am 2. VI. vacciniert mit 300 Mill. Keimen 
Am 4. VI. vacciniert mit 500 Mill. Keimen 

Pat. 6. Am 11. VI. 17 Kol. Ty.+ 14 Kol. Ty. +j 10 Kol. Ty.-f 
Ara 14. VI. 4 Kol. Ty. 4- steril Ty. + steril I steril 

Am 16. VI. 6 Kol. Ty. steril steril ; steril I steril 

Am 10., am 13. und 16. mit je 500 Mill. Keimen vacciniert. 
Scheinbar günstige Beeinflussung der bakteriziden Kräfte. 

Gerade im Falle 6 und 5 sieht man die schnellere Abtötung 
der Keime. Schon , nach 2 Stunden sind die Bakterien den keim¬ 
vernichtenden Kräften des Blutes erlegen, obgleich im Fall 5 am 
4. VI. zu Anfang eine größere Keimzahl besteht als 5 Tage früher. 

Diese Ergebnisse, von denen ich des Platzmangels wegen nur 
wenige Beispiele anführen kann, mußten einer anderen Beurteilung 
Platz machen, als auch ein Fall mit zunächst stark steigenden 
Reihen zur Heilung kam. 


Krankenbett 


Nach 2 Std. 
Brutschrank 


Nach 16 Std. 
Brutschrank 



Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Am 1. VI. 

8 Kol. 

Ty.4- 

31 Kol. 

Ty.4 

L 

89 Kol. 

Ty.-f 

Am 4. VI. 

21 Kol. 

Ty. 4* 

12 Kol. 

Ty.- 

- 

1 Kol. 

Ty.-f 

Am 6. VI. 

8 Kol. 

Ty.-f 

8 Kol. 

Ty.-J 

- 

4 Kol. 

Ty.4- 

Am 11. VI. 

2 Kol. 

Ty.+ 

1 Kol. 

Ty.- 

- 

steril 

Ty.f 

Am 14. VI. 

steril 

steril 

steril 

steri 


steril 

steri 


Pat. 7. 


N a c h der Blutentnahme am 4. VI. mit 300 Mill. Keimen 
am 6., am 9. und am 12. VI. mit 
je 500 Mill. Keimen vacciniert. 

Die Umbiegung der steigenden Reihe in die fallende Reihe 
am 4. VI. ist also vor der Vaccination erfolgt. 

So überraschend dies Bild auch war, so schließt es sich doch 
bei näherer Überlegung den klinischen Erfahrungen an. Wir 
möchten von einer „bakteriologischen Krise“ sprechen, in der sich 





Zur Frage der Typhus-Virulenzbestimmung usw. 


221 


der Patient befindet, wenn wir die erste Reihe beurteilen würden. 
Mit der Überwindung der Reihe wird auch die Continua unter¬ 
brochen und der bakteriologischen Besserung folgt, wenn auch 
stark verspätet in Erscheinung tretend, die klinische Heilung. 

Diesen angeführten Fällen stehen eine größere Anzahl von 
Untersuchungen gegenüber, bei denen wir weder eine steigende 
noch eine fallende Reihe feststellen konnten. Sie können mit den 
klinisch schleichend verlaufenden Fällen verglichen werden. Der 
Ausgang ist bakteriologisch durch die angewandte Methode nicht 
vorauszusagen. 



i 


Krankenbett 


Nach 2 Std. 
Brutschrank 


Nach 16 Std. 
Brutschrank 


Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Blnt-Galle- 

Platte 

Galle 

Blut-Galle- 

Platte 

Galle 

Pat. 8. 

Am 25. VI. 16 Kol. 

Ty. 4- 

16 Kol. 

Ty.-f 

13 Kol. 

Ty.+ 


Am 28. VI. 18 Kol. 

Ty.-f 

17 Kol. 

Ty. 4- 

9 Kol. 

Ty.+ 


Am 2. VII. 36 Kol. 

Ty.-- 

28 Kol. 

Ty.+ 

30 Kol. 

Ty.+ 


Am 4. VII. 3 Kol. 

Ty.+ 

2 Ko). 

Ty.-f 

12 Kol. 

Ty.+ 


i Vacciniert am 29. 

VI., 1. VII., 4. VII. 




Keine Beeinflussung der Reihei 

i. Am 5. VII. f. 


Pat. 9. 

Am 11. VI. 4 Kol. 

Ty.+ 

5 Kol. 

Ty- + 

steril 

Ty. 4- 


Am 13. VI. 2 Kol. 

Ty.-f 

steril 

steril 

steril 

steril 


Ara 16. VI. 5 Kol. 

Ty. 4 - 

2 Kol. 

Ty- 4- 

steril 

Ty- + 


Vacciniert am 13. 

VI. und 16. VI. An 

16. VI. f. 


Pat. 10. 

Am 28. VI. 3 Kol. 

Ty.4- 

2 Kol. 

Ty.+ 

1 Kol. 

Ty. 4- 


Am.30.VL 7 Kol. 

Ty.+ 

6 Kol. 

Ty.-f 

2 Kol. 

Ty. 4- 


Am 4. VII. 11 Kol. 

Ty. -f 

3 Kol. 

Ty.+ 

3 Kol. 

Ty.-f 


Am 10. VII. steril 

steril 

steril 

steril 

steril 

steril 


Am 16. VII. steril 

steril 

steril 

steril 

steril 

steril 


Am 3., 5., 9., 14. mit je 600 Mill. Keimen vacciniert. Zwar 
lieben sich keine Ty.-Bakterien mehr im Blute nachweisen, 
trotzdem 18. VII. f. (Klinisch reiner Ty.-Tod, kein Neben¬ 
befund.) 


Wir führen die drei Fälle an, weil aus ihnen hervorgeht, daß 
die bakteriziden Verhältnisse nicht ausschlaggebend für den End¬ 
kampf sein können, und weil wir sehen, daß auch durch die Auto¬ 
vaccine keine Beeinflussung der Reihen erfolgt ist. War somit 
die bakteriologische Voraussage des Verlaufs der Erkrankung nicht 
möglich oder doch nur ganz eingeschränkt, so mußten wir auch 
einen anderen Maßstab zur Bewertung der Vaccinetherapie anlegen. 

Wir haben bei den einzelnen Patienten den Tag der Vacci- 
nation angegeben. Bakteriologisch ist mit dieser Methode eine er- 






t 

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t . 


222 Nagele 

höhte Immunisierung nicht nachzuweisen, selbst bei Rezidiven, bei 
denen ausgiebige Vaccination vorausging, unterscheiden sich die 
Reihen in nichts von den nichtvaccinierten. 

Fall 11: Rezidiv nach viermaliger Vaccinierung: 

1. Vaccination 10. V. 300 Millionen Keime, 

12. V. 500 
15. V. 500 
‘ • 18. V. 500 

Trotzdem am 9. VI. Rezidiv 

9. VI. 300 
11. und 13. VI. je 500 



Krankenb 

Blut-Galle- | 
Platte 

ett 

Galle 

Nach 2 S 
Brutschra 

Blut-Galle- 
Platte 

td. 

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Galle 

Nach 16 
Brutschrl 

Blut-Galle- 

Platte 

Std. 

ink 

1 

Galle 

Pat. 11. Am 13. VI. 

4 Kol. 

Ty.+ 

4 Kol. 

Ty.+ 

2 Kol. 

Ty.+ 


n 

n 

n 


n 

n 


Wie die Tabellen ergeben, konnten die unter anderer Ver¬ 
suchsanordnung gewonnenen Ergebnisse Bogendörfer’s (3), die 
eine Erweiterung der aus der Schottmüller’schen Klinik hervor¬ 
gegangenen Arbeit von Weinberg (2) darstellen, hier nicht be¬ 
stätigt werden. Glaubte er nachgewiesen zu haben, daß in vitro 
die Typhusbakterien schnell den keimvernichtenden Kräften des 
Blutes erliegen, so ist aus den angeführten Tabellen ersichtlich, 
daß sie nach 24 Stunden noch nachweisbar sein können. Es findet 
sogar, wie aus Fall 1 bis 3 hervorgeht, bei meiner Versuchs¬ 
anordnung in manchen Fällen eine offensichtliche Vermehrung der 
Keimzahl in vitro statt. Diese Abweichungen sind durch verschie¬ 
dene Versuchsanordnungen bedingt, und aus Vergleichen der beider¬ 
seitigen Arbeiten erhellt die interessante Tatsache, daß schon eine 
einmalige Überimpfung auf Agar die Virulenz ganz wesentlich 
herabsetzt. 

Fassen wir nochmals die Ergebnisse zusammen, so können wir 
sagen: 

1. daß die von Philipp für Streptokokken angegebene Gesetz¬ 
mäßigkeit für Typhusinfektionen nicht zutrifft, 

2. daß der Verlauf der Erkrankung bakteriologisch nicht vor¬ 
her zu sagen ist, 

3. daß durch die Vaccination mit Autovaccine eine bakterio- 







Zur Frage der Typhus-Virulenzbestimmung usw. 


223 


logisch nachweisbare Steigerung der bakteriziden Kräfte des Blutes 
nicht eintritt, 

4. daß eine Vermehrung der im eigenen Blut bebrüteten 
Typhusbazillen in vitro vorkommt. 

Zum Schluß möchten wir noch eine Tatsache kurz streifen, 
obgleich sie außerhalb der Fragestellung liegt. Wenn wir die 
positiven Blutplattenresultate mit denen der Galleanreicherung ver¬ 
gleichen, so ergibt sich, daß von 144 positiven Versuchen 75 mal 
die Blut-Galle-Platte sowie auch die Galleanreicherung positiv 
waren. Waren viermal nur die Blutplatten positiv, wo die Galle¬ 
anreicherung versagte, so stehen dem doch 20 positive Gallen 
gegenüber, w r o die Blutplattenmethode nicht zum Ziele führte. So 
wichtig es auch für die Klinik ist, daß beide Kulturmethoden neben¬ 
einander verwendet werden, so dürfte doch für die Praxis bei der 
größeren zahlenmäßigen Überlegenheit der Galleanreicherung der 
Schluß zulässig sein, daß diese in den weitaus meisten Fällen zur 
Sicherung der Diagnose genügt. Da wir jedoch mehrmals (6 mal) 
schon nach 2 Stunden völlige Abtötung der Typhusbazillen sahen, 
möchten wir anraten, die Impfung der Galleröhrchen am Kranken¬ 
bett vorzunehmen. 


Nachtrag. 

Nachdem die Arbeit dem Verlag übersandt war, las ich erst 
die Arbeit von Louros, „Autovaccinebehandlung des Puerperal¬ 
fiebers“, Münchener med. Wochenschr. Nr. 30. Fehlte es mir auch 
an puerperalen Sepsisfällen, um die Autovaccinetherapie im gleichen 
Sinne wie in meiner Typhusarbeit zu prüfen, so habe ich bei ver¬ 
schiedenen Endocarditis lenta-Fällen die Wertbestimmung ver¬ 
sucht. Bei einem Patienten fand ich jedesmal positive Blutplatten, 
die Reihen ergaben folgendes Bild: 




Krankenbett 


Nach 2 Std. 


Nach 16 Std. 


Datum 


Trauben 

m 


Trauben 



Trauben- 



Blutplatte 

Bouillon 

Blutplatte 

Bouillon 


Blutplatte 

Bouillon 


19. V. 

94 Kol. 

Strept. - 


10 Kol. 

Strept. - 

_ 

steril. 

steril. 


22. V. 

97 Kol. 

Strept. - 

- 

74 Kol. 

Strept. - 

- 

3 Kol. 

Strept. + 

Am 25. 100 Mill. 

26. V. 

80 Kol. 

Strept. - 

- 

64 Kol. 

Strept. - 

- 

steril. 

steril. 

Am 27. 100 Mill. 

28. V. 

59 Kol. 

Strept. - 

- 

steril. 

steril. 


steril. 

steril. 

Am 30. 200 Mill. 

1. VI. 

33 Kol. 

Strept. J 

- 

steril. 

steril. 


steril. 

steril. 


Hier fand also eine Abtötung der Streptokokken in vitro statt, 
doch trat der Tod trotz der fallenden Reihen innerhalb weniger 
Wochen ein. Die fallenden Reihen bedingten also die gute Pro- 



224 Nagell, Zur Frage der Typhus-Virulenzbestimmung usw. 

gnosestellung nicht. Zwar scheint durch die Autovaccinetherapie 
eine günstige Beeinflussung der bakteriziden Kräfte zu erfolgen, 
doch wird dadurch an dem Ausgang der Krankheit nichts geändert. 

Es ist selbstverständlich, daß ein Urteil erst bei größerem 
Material abgegeben werden kann und ich behalte mir deshalb vor 
in einer späteren Arbeit über die gesammelten Fälle zu berichten. 


Literatnr. 

1. Philipp, Virulenzbestimmung von Blutkeimen. Münchener med. Wochen- 
schr. Nr. 16, Jahrg. 1923. — 2. Weinberg, Dissertation Hamburg, S. 5, 1921. 
— 3. Bogendürfer, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 138, Heft 1 u. 2. 


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Aus der Kranken- u. Irrenabteilung des Biirgerhospitals in Stuttgart. 

(Direktor: Geh.-Bat Dr. A. F aus er.) 

Fortgesetzte Studien über Novasurol, 

seine Wirkung bei verschiedenen Lebensaltern und bei 
Diabetikern, sowie sein etwaiger Einfluß auf Ionen¬ 
verschiebungen im Organismus.*) 

Von 

Dr. Hans ßohn. 

Während die glänzende diuretische Eigenschaft des Novasnrols 
allerseits anerkannt ist, besteht auch heute noch über seinen An¬ 
griffspunkt im Organismus keine einheitliche Auffassung, ob¬ 
wohl eine große Anzahl von Veröffentlichungen vorliegen, die diese 
Frage klären sollten. Zahlreiche Untersuchungen kamen zu dem 
Ergebnis, daß das Novasurol seinen Angriffspunkt nicht in der 
Niere, sondern diesseits dieser, im Blut oder im Gewebe habe. 
Trotzdem vertreten gerade in allerletzter Zeit wieder einige Autoren 
(Pick u. Molitor (1), Schlayer (2), Schur (3)) die Ansicht, 
daß Novasurol, wie alle Schwermetalle (Schlayer), auf die Nieren- 
olemente wirke. Diese Unstimmigkeiten veranlaßten mich die 
Wirkung des Novasurols am normalen und entnierten Tier zu stu¬ 
dieren. Es zeigte sich dabei eindeutig (Bohn (4)), daß sowohl am 
normalen, wie am entnierten Tiere auf Novasurol hin jedesmal eine 
intensive Wasser- und Kochsalzeinschwemmung ins Blut erfolgte. 
Daß außer dieser extrarenalen Wirkung, die als Wirkung auf das 
Gewebe angesprochen wurde, auch noch ein Einfluß auf die Nieren 
selbst statthaben könnte, soll damit nicht in Abrede gestellt werden; 
immerhin aber scheint diese Wirkung dann hinter der Wirkung 
auf das Gewebe zurückzustehen. 


1) Teilweise vorgetragen im Stuttgarter ärztl. Verein am 6. VI. 1923. 

15 


Deutsches Archiv fiir klin. Medizin. 143. Bd. 



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226 Bohn 

Die folgenden Untersuchungen dienen dazu, diese beim Tier 
gefundene extrarenale Wirkung des Novasurols auch beim Menschen 
nachzuweisen. Insbesondere lag die Vermutung nahe, daß die ver¬ 
schiedenartigen Blutveränderungen nach Novasurol, die bis jetzt 
beschrieben wurden, Bluteindickung, Blutverdünnung oder gar keine 
Änderung in der Blutkonzentration, ihre Ursache in der verschie¬ 
denen Zeit der untersuchten Blutentnahme haben dürften. Es 
mußte daran gedacht werden, daß die transitorische Hydrämie be¬ 
reits bei der Untersuchung der ersten Blutprobe abgeklungen war, 
so daß nun die Ausgangskonzentration erreicht oder gar eine Blut¬ 
eindickung vorhanden war. 

Da Untersuchungen am normalen Meuschen die reinsten 
Versuchsbedingungen ergeben, kamen vor allem solche Kranke in 
Betracht, die keine Störungen im Wasserhaushalt und Gewebsstoff- 
wechsel zeigten. Es eigneten sich vorzüglich dazu die chronischen 
Psychosen unserer Irrenabteilung. 

Ein anderer Gedanke ließ es interessant erscheinen, die Nova- 
surolwirkung bei alten Individuen zu studieren. Bekanntlich hat 
ja jeder Organismus (s. auch Nonnenbruch (5)) bei gewöhnlicher 
Kost einen gewissen Überschuß an Wasser und Kochsalz auf¬ 
gespeichert, den er bei besonderen Umständen (Schwitzen, kochsalz¬ 
arme Kost u. a.) abgibt, ohne daß dabei der eigentliche Wasser- 
und Kochsalzbestand der Gewebe angegriffen wird. Nonnen¬ 
bruch fand, daß Novasurol im Gegensatz zu den Purinderivaten 
imstande ist, außer dem Überschuß an Wasser und Kochsalz 
auch den eigentlichen Wasser- und Kochsalzbestand der Ge¬ 
webe selbst zu mobilisieren, den der Körper nach Abklingen der 
Wirkung durch Flüssigkeitseinsparung möglichst rasch aufzufüllen 
bestrebt ist. Da infolge des geringeren Dispersitätsgrades der 
Kolloide des physiologisch alten gegenüber dem jugendlichen Or¬ 
ganismus (Altern der Kolloide [Schade (6), Höher (7)]) alte 
Individuen über einen geringeren H 2 0-Bestand (sowohl des eigent¬ 
lichen Wasserbestandes als auch des Wasserüberschusses) verfügen, 
so wäre ad primum anzunehmen, daß das Novasurol hier einen 
geringeren, ev. verspäteten und zeitlich mehr in die Länge ge¬ 
zogenen diuretischen Effekt hervorrufen würde, dem vielleicht quali¬ 
tativ andere Blutkonzentrationsänderungen entsprechen würden. 

Außerdem kam Novasurol bei einer Anzahl von Diabetes¬ 
kranken und endlich bei einigen Herzdekompensierten mit hoch¬ 
gradigen Stauungserscheinungen in Anwendung. 



Fortgesetzte Studien über Novasurol nsw. 


227 


Um bei den Kranken, denen aus nicht therapeutischen Gründen 
Novasurol injiziert wurde, alle Momente, die für eine ev. Schädigung 
des Novasurols verantwortlich gemacht werden könnten, auszuschalten, 
wurde durch vorherige eingehende Untersuchung jegliche Nieren- und 
Darmaffektion ausgeschlossen, selbst leichteste Grade von Enteritiden 
wurden zu den Versuchen nicht herangezogen. Dann wurde an weit 
zurückliegenden Tagen mit kleinen Novasurolgaben auf etwa vorhandene 
Uberempfindlichkeit des Körpers für Hg geprüft, und dann erst, wenn 
diese kleinen Mengen reizlos vertragen wurden, wurde an späteren, den 
eigentlichen Versuchstagen, Novasurol in einer den diuretischen Effekt 
hervorrufenden Dosis verabfolgt. Bei diesen Vorbedingungen konnten 
wir dann auch in keinem Falle schädliche Nebenwirkungen durch Nova¬ 
surol beobachten. 


Versuchsanordnung. 

Die Versuche begannen am frühen Morgen (8 h ). Die Versuchs¬ 
personen hatten seit 6 h des vergangenen Abends nichts mehr zu sich ge¬ 
nommen und blieben während der ganzen 6—9 ständigen Versuchsperiode 
vollkommen nüchtern und hielten Bettruhe ein. Vor Versuchsbeginn 
entleerten sie die Blase (dieser Urin wurde nicht gesammelt), ebenso am 
Schluß der eigentlichen Versuchsperiode. Die Einzelurinportionen der 
Versuchszeit (Nüchternurin) wurden gesondert gemessen und unter¬ 
sucht, dann nach Abschluß der Versuchsperiode wurde der Urin bis 
zum anderen Morgen zur Zeit des Versuchsbeginns als Resturin ge¬ 
sammelt. Auf diese Weise sind zeitliche Polyurien, die durch Einsparung 
des Nachturins an der 24 ständigen Urinmenge (G es am tu r i n) nicht 
sichtbar gewesen wären, zu erkennen. 

Die erste Blutentnahme (mit U-förmiger Kapillarröhre am Ohr) 
fand vor der Novasurolinjektion statt, die folgenden in gewissen Ab¬ 
ständen bis zum Schluß der Nüchternperiode. Die Zahlen der roten 
Blutkörperchen ödes das Hb. der einzelnen Blutproben wurde festgestellt, 
der Serumeiweißgehalt mit dem Pulfrich’schen Eintauchrefraktometer 
ermittelt. 


Ergebnis. 

Gruppe I. Betrachten wir die Blutverhältnisse bei den 
Psychosen, die sich auf Novasurol hin vollziehen, so sehen wir in 
3 Fällen (von 5) Blutverdünnung eintreten, zweimal (Hett. und 
Schö.) trat geringe Bluteindickung ein. Bei Fall 3 sehen wir eine 
Zunahme des Serum-Eiweißgehaltes, dagegen eine Abnahme der 
roten Blutkörperchen. Da kein Grund vorliegt an einen Untergang 
der roten Blutkörperchen zu denken, muß an eine Eiweißein¬ 
schwemmung in die Blutbahn gedacht werden, wie sie Nonnen¬ 
bruch beim Menschen und ich beim Kaninchen nach Novasurol 
nachweisen konnten. Bei Fall 1 und 3 ist aber parallel mit der 
Zunahme des Serum-Eiweißgehaltes eine geringe Zunahme der roten 

15* 



228 


Bohn 


Blutkörperchen zu finden. Bei diesen beiden Fällen war die erste 
Blutentnahme eine Stunde nach der Injektion gemacht worden, 
und es war beidemal schon Urinausscheidung vorangegangen. Bei 
Fall 4 sehen wir in der ersten Blutprobe — 30 Min. post inj. — 
eine Blutverdünnung, die schon nach 60 Minuten in Bluteindickung 
übergegangen war. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß bei 
1 und 3 die Hydrämie bei der späten Blutentnahme bereits ver¬ 
strichen ist, zumal hier jedesmal schon Urinausscheidung voran¬ 
gegangen war. Um so mehr drängt sich diese Vermutung auf. 
weil, wie schon hier vorweg genommen werden mag, bei allen 
übrigen Fällen die erste Blutuntersuchung nach Novasurolgabe eine 
mehr oder weniger starke Blutverdünnung, kenntlich an der Serum- 
Eiweißabnahme und dem Sinken der roten Blutkörperchenzahlen, 
resp. des Hb., ergeben hat. 

Die Größe der Blutänderungen stand in keinem direkten Ver¬ 
hältnis zur Größe der jeweiligen Novasurolgabe. Im weiteren Ver¬ 
lauf weisen die Zahlen der roten Blutkörperchen, Hb. und Serum- 
Eiweißwerte unregelmäßige Schwankungen auf entsprechend den 
Austauschverhältnissen zwischen Blut und Gewebe und dem Ab¬ 
strömen des Wassers durch die Nieren. 

Es werden in der 8—10 ständigen Nüchternperiode sehr große 
Urinmengen ausgeschieden. Die Paralyse Hett. erreicht dabei das 
Maximum mit 1550 ccm Nüchternurin. Am Resturin erkennen wir 
die Flüssigkeitseinsparung des Körpers, aber diese Einsparung geht 
durchaus nicht parallel der Größe des Wasserverlustes in der 
Nüchternperiode. Auch sehen wir, daß die größte Nüchtern- als 
auch Gesamturinmenge (Hett.) nicht mit der größten Applikations¬ 
dosis dieser Gruppe (Büh. 2,0 ccm), sondern gerade mit der kleinsten 
(1,2 ccm) zusammenfällt, während umgekehrt die größte Dosis den 
kleinsten Nüchtern- und Gesamturin aufweist. Beim Menschen 
besteht also kein direktes Verhältnis zwischen der Größe der No¬ 
vasurolgabe und dem diuretischen Effekt, wie ich (4) ihn beim 
Kaninchen fand. Der zeitliche Beginn der Diurese weist nicht 
solche Regelmäßigkeit auf, wie ihn Schur (3) bei Gesunden be¬ 
schrieb, bei denen er meist in der 3. Stunde einsetzte. Zweimal 
(1 und 3) gibt die 24 ständige Urinmenge die Polyurie wieder. 

Das spezifische Gewicht des Nüchternurins ist stets niedrig, 
steigt am Ende der Nüchternperiode oder erst im Resturin an, 
welcher entsprechend der Wassereinsparung manchmal hoch kon¬ 
zentriert ist. Beachtenswert ist endlich die alkalische Reaktion 
des Urins, auf die später zurückgekommen werden soll. Die che- 



Fortgesetzte Studien Uber Novasnrol usw. 229 











230 


Bohn 


Hi' 



mischen und mikroskopischen Urinuntersuchungen ergaben keinen 
pathologischen Befund. 

Novasurol wurde bei der ersten Gruppe stets intravenös ge¬ 
geben. 

Gruppe II. Ein direkter Zusammenhang zwischen den Blut- 
und Urinverhältnissen und den verschiedenen Novasuroldosen ist 
auch hier nicht zu finden. Bei allen Fällen dieser Gruppe war 
schon 30 Minuten nach der Injektion eine Blutverdünnung ein¬ 
getreten, welche eher brüsker war als bei Gruppe I und etwas 
langsamer zurück-, resp. in Bluteindickung überging. Ebenso ver¬ 
missen wir im weiteren Verlauf der Beobachtung diese unregel¬ 
mäßigen Schwankungen der Blutkonzentration der ersten Gruppe. 
Durchweg, aber nicht immer, setzt die Diurese etwas später ein. 
Bei dem 51jährigen Ko. wird schon nach 30 Minuten eine erheb¬ 
liche Urinmenge ausgeschieden. Die Urinmengen der 6—9 ständigen 
Nüchternperioden bleiben hinter den Zahlen der ersten Gruppe 
merkbar zurück, obwohl die Polyurie in der Versuchszeit auch bei 
_ den alten Individuen eine ganz eklatante ist. Mit Ausnahme von 
Schwa, sparen alle Kranken in der Resturinprobe prompt Flüssig¬ 
keit ein. Die Gesamturinmenge läßt nur in 2 Fällen (8 und 10) 
die Polyurie erkennen. Das spezifische Gewicht des Nüchternurins 
ist auch hier niedrig, der Resturin nicht ganz so hoch gestellt wie 
bei den Kranken mittleren Alters. 

Es fällt wiederum die Alkalität des Urins auf, für die keine 
organische Erkrankung verantwortlich gemacht werden kann. 

Einmal wurden Spuren Albumen im Urin gefunden. 

Novasurol wurde hier stets intramuskulär gegeben. 

Gruppe III. Die Gruppe III zeigt uns die Novasurol- 
wirkung bei Diabetikern mittelschwerer Art. Die Injektionen, 
allemal 2,2 ccm, wurden stets intravenös gegeben. 

Eine deutliche Änderung der Blutkonzentration zeigte sich bei 
sämtlichen Diabetikern kurze Zeit nach der Injektion. Allmählich 
machte die Blutverdünnung in regelmäßigem Ansteigen einer Ein¬ 
dickung Platz. Serum-Eiweißwerte und rote Blutkörperchen, resp. 
Hb.-Werte ändern sich gleichsinnig. 

Die Urinverhältnisse bei Diabetikern bedürfen 
einer eingehenderen Betrachtung. Bald schon nach 1, 
bald erst nach 3—4 Stunden setzt die Diurese ein. Die Harn¬ 
mengen der Nüchternperioden weisen entsprechend dem durch die 
Zuckerkrankheit bedingten anders eingestellten Wasserhaushalt 
größere Schwankungen auf. Bemerkenswert ist, daß außer bei 11 





Diabetes mellitns. 


Fortgesetzte Studien über Novasurol nsw. 


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232 


Bohn 



niemals die 24 ständige Urinmenge trotz des Diuretikums die Urin¬ 
menge der Vortage erreichte. Die Nüchternurinmengen waren 
außer bei 11 nicht größer als die bei den Nichtdiabetikern der 
Vorgruppen. Auch bei den Zuckerkranken war die Flüssigkeits¬ 
einsparung des Körpers am Resturin zu erkennen. Daß hier be¬ 
deutende Umwälzungen im Diabetikerorganismus vor sich zu gehen 
scheinen, sehen wir daraus, daß einmal sowohl die prozentuale als 
auch die Gesamtzuckermenge im Urin bei Fall 12—15 rapid ab¬ 
nimmt, bei 3 Fällen der Zucker sogar vollkommen schwindet und 
über die Nüchternperiode hinaus bis zum anderen Morgen im Urin 
negativ bleibt. Dabei holten die Kranken nach Beendigung der 
Versuchszeit die ausgefallenen Mahlzeiten reichlich nach. Auch 
am folgenden Tag blieb oft noch die Zuckerausscheidung hinter 
der der Vortage zurück. Dieses Zurückgehen des Harnzuckers bei 
Zuckerkranken auf Novasurol hin fiel schon Schur (8) auf. 

Eine Ausnahme macht Wo. (11), als er zum erstenmal ein 
halbes Jahr vor der 2. Untersuchung in meine Behandlung kam. 
Bei ihm überstieg damals sowohl die Gesamturinmenge als auch 
die Gesamtzuckermenge die der Vortage beträchtlich. Die poly- 
urische Wirkung ist an der Versuchs-, Rest- und Gesamttagesurin¬ 
menge ersichtlich. 

Die Kranke Zi. war uns einige Tage vorher in hochgradig 
acidotischem Zustand eingeliefert worden. In dem Urin der dem 
Versuchstag vorangegangenen Nacht, ebenso in der ersten Urin¬ 
portion nach Novasuroleinspritzung wurden Acetonkörper chemisch 
nachgewiesen, dann aber, 4 Stunden nach der Injektion, ver¬ 
schwanden Aceton und Acetessigsäure aus dem Harn und wurden 
bis zum anderen Morgen nicht mehr gefunden. Auch die Aus¬ 
atmungsluft verlor den Acetongeruch. 

Sehen wir uns die Harnreaktion bei den Diabetikern an, so ist 
auch hier wieder die überwiegende Alkalität des Urins in die 
Augen fallend. Bei der Acidose Zi. aber herrscht andauernd saure 
Reaktion 

Gruppe IV. Verfolgt man die fortlaufenden Serum-Ei weiß- 
und Hb.-Werte, so erkennt man auch hier die schon nach x / 2 Stunde 
eingetretene Blutverdünnung. Bei 16 und 17 sind im Gegensatz 
zu den vorangegangenen Gruppen, bei denen keine pathologischen 
Wasserretentionen Vorlagen, die Nüchternurinportionen klein, da¬ 
gegen die Restportionen groß. Im ganzen wird etwa 2—4 mal so¬ 
viel Urin ausgeschieden als an den Vortagen. Bei 15 und 16 trat 
außerdem eine heftige Diarrhöe auf, die nach 24 Stunden von selbst 



HerziuBufficienz, Stanungsurgane, Hydrops gravi«, Cystitis. 


Fortgesetzte Studien Uber Novasurol usw. 


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234 Bohn 

vollkommen verschwand, ohne daß Blut im Stuhl nachgewiesen 
worden war. Bei diesen Kranken nahm das Körpergewicht auch 
bedeutend mehr ab, als durch die Harn- und Stuhlentleerungen zu 
erklären war, so daß eine Ableitung des Wassers auf den Darm, 
resp. durch Haut und Lungen angenommen werden mußte. Der 
prozentuale Albumengehalt des Urins nahm ab. 

Fra. verlor die anfangs positive Zuckerreaktion im Urin. 

Da es sich um weit fortgeschrittene Krankheitsfälle handelt, 
ist der nicht ganz so starke diuretische Effekt zu verstehen. Ein 
Entwässerungsversuch mit anderen Diuretika fiel gänzlich negativ 
aus. Bei 17 reagierte der Urin sauer, bei 16 und 18 bestand eine 
organische Blasenerkrankung. Das spezifische Gewicht war in der 
Nüchtern- und Restperiode niedrig. 

Erinnern wir uns, daß an den vorangegangenen Krankenfällen 
uns fast immer wieder die basische Urinreaktion begegnete, und 
bringen wir dies in Zusammenhang mit dem Schwinden der Aceton¬ 
körper während der Nüchternzeit bei einer Acidose, so möchte man 
der Annahme Geltung geben, daß die Novasurolwirkung mit einer 
Verschiebung des Säure-Basengleichgewichts im Blut einhergeht. 
Am wahrscheinlichsten ist wohl, daß es sich um eine vorübergehende 
Hyperkapnie handelt; denn eine Beeinflussung der gesunden 
Niere durch Pharmaka, aus dem ihr im Blut zur Verfügung stehen¬ 
den Angebot nach Belieben eine Ionenart (hier basische) über¬ 
wiegend auszuscheiden, ist bis jetzt nicht bekannt. Wohl wissen 
wir aus zahlreichen Untersuchungen, (Straub und Kl. Meier (9), 
Beckmann (10) u. a.), daß die kranke Niere in ihrer Funktion 
so gestört sein kann, daß sie die Fähigkeit je nach Bedarf saure 
oder basische Valenzen vermehrt auszuscheiden verlieren kann, 
wodurch dann, durch Retention dieser, eine Störung des eukap- 
nischen Zustandes hervorgerufen wird. 

Von größtem Interesse bei dieser Wirkung des Novasnrols auf 
die AciditätsVerhältnisse der Körpersäfte sind uns ähnliche Beob¬ 
achtungen von W. H. Veil (11) nach Koffeingaben beim Menschen. 
Veil suchte sich durch Messung der Wasserstoffionenkonzentration 
im Urin und der C0 2 -Spannung der Ausatmungsluft, welche ein 
Maß für die arterielle Kohlensäurespannung des Blutes ist, Einblick 
in die Ionenverschiebungen des Körpers zu verschaffen. Er fand 
nach Koffein eine Zunahme der p H -Werte im Urin entsprechend 
dem Ansteigen der basischen Wertigkeiten desselben und eine Ab¬ 
nahme der alveolären C0 2 -Spannung als Ausdruck für die erregende 
Wirkung des Koffeins auf das Atemzentrum. Die durch die ver- 






Fortgesetzte Studien Uber Novasurol nsw. 


235 


mehrte C0 2 -Abgabe durch die Lungen freiwerdenden alkalischen 
Valenzen des Blutes erklärten Veil nur teilweise die Alkaliurie, 
da diese den erregenden Einfluß des Koffeins auf das Atemzentrum 
weit überdauerte. Veil glaubte die durch Koffein bewirkten Zu¬ 
standsänderungen der Blutkolloide mit der Alkaliurie in Zusammen¬ 
hang bringen zu müssen. Es soll nach ihm Alkaliurie mit einer 
Entquellung der Bluteiweißkörper, wie sie nach den Viskositäts¬ 
messungen Ellingers (12) Koffein hervorruft, parallel gehen. 

Kommen wir zur Erklärung der alkaliurischen Wirkung des 
Novasurols zurück, so ist zunächst eine Wirkung auf das Atem¬ 
zentrum als Ursache einer etwaigen Abnahme der C0 2 -Spannung 
bisher nicht bekannt. Dennoch muß aus verschiedenen Gründen 
die Möglichkeit einer zentralen Wirkung des Novasurols in Be¬ 
tracht gezogen werden. Folgende Überlegungen mögen dies er¬ 
klären: Wenn auch bereits von anderer Seite (Schur (8)) der die 
Zuckerausscheidung des Diabetikers herabsetzende Einfluß des 
Novasurols gefunden wurde, so sind nennenswerte Änderungen des 
Blutzuckerspiegels nicht beschrieben worden. Es sei aber hier 
gleich vorweg genommen, was ausführlich einer späteren Veröffent¬ 
lichung Vorbehalten bleiben soll, daß ein Einfluß auf den Blut¬ 
zuckerspiegel sehr wohl besteht, und daß sich unter bestimmten 
Umständen sehr gut meßbare Änderungen im Zuckergehalt des 
Blutes feststellen lassen. Ob dieser Einfluß zentraler oder peri¬ 
pherer Art ist, sei vorerst nicht mit Sicherheit entschieden. 

Ein weiteres Moment läßt uns an eine zentrale Wirkung des 
Novasurols denken: Es ist bekannt, daß Atropin die Novasurol- 
diurese hemmt; Saxl und Heilig (13) haben diese Atropinwirkung 
auf eine Beeinflussung der Nierentätigkeit bezogen, dagegen denkt 
E. Fodor (14) mit Recht daran, daß Atropin und Novasurol viel¬ 
leicht am gleichen zentralen Nervenzentrum angreifen könnten. 
Er hält es für möglich, daß die Gewebe nicht direkt durch Nova¬ 
surol beeinflußt werden, sondern auf dem Umweg über einen Zentral¬ 
apparat, ebenso wie etwa dem Wasser- und Kochsalzwechsel beim 
Diabetes insipidus regelnde Zentra übergeordnet sind. 

Die einfachste Erklärung für die alkaliurische Wirkung 
des Novasurols ist die Annahme, daß mit dem Wasser und Koch¬ 
salz, welches nach Novasurol aus dem Gewebe zum Blut fließt, 
auch basische Wertigkeiten, vor allem Karbonate, dem Blute zu¬ 
fließen, die die vorübergehende Hyperkapnie hervorrufen. In eben 
demselben Umstande sieht Veil die Ursache für die auf den Ader¬ 
laß eintretenden Ionenaciditätsverschiebungen im Urin nach der 




236 


Bohn 


alkalischen Seite. Besteht diese Annahme zu Recht, so ist sie ein 
neues Beweismittel für die das Gewebseiweiß entquellende Wirkung 
des Novasurols. 

Um einen Einblick in die Ionenverschiebungen im Blute nach 
Novasurol zu erhalten, wurde bei einer Anzahl von Gesunden und 
Kranken der Natriumbikarbonatgehalt des Blutes nach der Methode 
von Rohonyi (15) titrimetrisch bestimmt. Dabei ergaben sich 
Schwankungen in den erhaltenen Werten vor und nach der Ein¬ 
spritzung, die von der Zeit der Blutentnahme, von der Größe der 
Novasurolgabe und dem Zustand des Organismus abhängig waren. 
Teilweise wurden die Erwartungen bestätigt, d. h. die Alkalireserve 
des Blutes nahm zu, manchmal wurde keine wesentliche Änderung 
oder sogar das entgegengesetzte Resultat gefunden. Die Unter¬ 
suchungen sind an Zahl zu gering, um sichere Schlüsse zuzulassen, 
außerdem ist die Rohonyi’sche Methode auf ihre Brauchbarkeit 
noch nicht genügend geprüft. Es werden die Versuche durch Be¬ 
stimmung der C0 2 -Vol.-°/ 0 im Blut nach Barcroft(16) und gleich¬ 
zeitige Festlegung der jeweiligen C0 2 -Spannung wiederholt, wo¬ 
durch ein zuverlässiger Maßstab für die Alkalireserve des Blutes 
ermöglicht wird. 

Zusammenfassung. 

Novasurol ruft beim Menschen und Tier eine oft sehr bald ein¬ 
tretende Hydrämie hervor, welche meist nur kurze Zeit andauert 
und auf sekundäre Faktoren hin einer Bluteindickung Platz macht. 
Novasurol greift also extrarenal an. 

Es folgt der Injektion eine Polyurie, die bei Individuen mitt¬ 
leren Alters häufig intensiver ist als bei physiologisch alten Per¬ 
sonen, bei welchen sie durchweg etwas später einsetzt und eher 
etwas länger anhält. 

Fast regelmäßig spart der Körper, auch bei den alten Indi¬ 
viduen, in der zweiten Tageshälfte Flüssigkeit ein. Entsprechend 
verhalten sich die Urinkonzentrationen. 

Nur durch genaue Überwachung der zeitlichen Effekte läßt 
sich die Novasurolwirkung richtig beurteilen. 

Bei Schwerkrankeu mit enormen Wasserretentionen überstieg 
die Harnmenge die der Vortage um das 3—4 fache, dagegen war 
hier die polyurische Wirkung mehr auf die Resturinperiode ver¬ 
teilt. Zweimal wurden beträchtliche Wassermengen auf extra¬ 
renalem Wege, teils durch Ableitung auf den Darm teils durch 
Haut und Lungen, ausgeschieden. 



Fortgesetzte Studien Uber Novasurol usw. 


237 


Bei Diabetikern trat ein Schwinden, resp. eine Herabsetzung 
der Zuckerausscheidung, welche auch am Nachtag noch anhielt, in 
Erscheinung. 

Die Betrachtung der Urinreaktion ließ einen Einfluß auf das 
Säure-Basengleichgewicht des Blutes im Sinne einer Zunahme der 
Alkalireserve vermuten, welche möglicherweise auf die mit dem 
Gewebswasser ins Blut gespülten Karbonate zurückzuführen ist. 


Literaturverzeichnis. 

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1920. — 16. H. Straub, in Abderhalden’s Handbuch d. biolog. Arbeitsmethoden, 
Abteilg. IV, T. 10, H. 1. 


Aus der Medizinischen Universitätsklinik zu Jena. 

(Direktor: Professor Dr. Stintzing.) 

Über die Verteilung der Albumine und Globuline im 
tierischen Organismus. 0 

Von 

Priv.-Doz. Dr. Kurt Gutzeit, 

Assistent der Klinik. 

Albumine und Globuline sind die hauptsächlichsten Eiwei߬ 
bestandteile des menschlichen und tierischen Organismus. Sie sind 
durch Verschiedenheiten des Refraktionsindex, Koagulationspunktes, 
der Löslichkeitsverhältnisse, Oberflächenkräfte und des Dispersitäts¬ 
grades unterscheidbar. Durch Salzfällungen sind die Globuline in 
zwei (Fuld u. Spiro, Pick), drei (Porges u. Spiro) und vier 
Fraktionen (Freund u. Joachim) zerlegt worden, während beim 
Albumin G u e r b e r und F. N. S c h u 1 z durch Kristallisationsversuche 
zwei Fraktionen trennen konnten. Mich interessierte besonders 
die Verteilung der Albumine und Globuline im menschlichen und 
tierischen Organismus. Bei den vielen Widersprüchen über die 
Eiweißverteilung unter pathologischen Verhältnissen erschien mir 
zuerst eine Klärung der physiologischen Verteilung von Albumin 
und Globulin im Organismus notwendig. 

Über das Albumin-Globulinmischungsverhältnis im Serum unter 
physiologischen und pathologischen Verhältnissen berichtet Naegeli. 
Globulinzunahmen im Serum beobachteten Mya und Vi gle zi o , Halli¬ 
burton bei akuten Entzündungen, Limbeck und Pick bei Infektions¬ 
krankheiten, Epstein bei Herz-Lungen- und lokalen Nierenaffektionen, 
Pilinski bei Leberkrebs, Loeper, Debray und Ton ne s nach 
Röntgentiefenbestrahlungen maligner Tumoren. 

Bei Vergleichen des Eiweißquotienten im Serum und Ascites fand 
Hoffmann reelle Differenzen, in Ascites- und Pleuraflüssigkeiten er¬ 
gaben sich keine Unterschiede, Ozatary konnte im Serum, Ascites, 


1) Habilitationsarbeit Jena, sehr stark gekürzt. 



**mr ’f 

I *■ 


Über die Verteilung: der Albumine u. Globuline im tierischen Organismus. 239 

Odem und Urin von Nephritikern kein konstantes Verhältnis feststellen. 

Joachim berichtet über Unterschiede des Albuinin-Globulinmischungs- 
verhältnisses bei Ascites verschiedener Ätiologie. J a v a 1 hält die 
Schwankungen für zu groß, als daß ihnen diagnostischer Wert zukommen 

könnte. > 

Gleichmäßiger sind die Befunde über die Verteilung der Eiwei߬ 
körper bei immunisatorischen Vorgängen. Das Tetanustoxin, das Di¬ 
phtherietoxin und ihre Antitoxine scheinen an den Globulinen zu haften 
(Tizzoni, Brieger, Ehrlich, Pick, Aktinson, Seng, Ide 
und Lamaire, Freund und Sternberg, Joachim). Auch Rhi/.in 
und Antirhizin haben Beziehungen zum Globulin (Jakoby). Globulin- 
ämie tritt bei Rotlauf- und Typhusimmuntieren (Porges und Spiro) 
und bei Tieren mit Pneumo- und Streptokokkeninfektionen auf (dagegen 
Emmerich und Tsuboi). Keine oder wenig Beziehungen haben 
Agglutinine, Lysine und Antitoxine zum Albumin (Pick, Schierge, 

Capone). Bei Immunisation gegen urtfrcmdes Serum tritt Vermehrung 
des Serumglobulins ein, das Präzipitat solcher Sera enthält lediglich 
Globulin (Moll). Über die Antigennatur, die Präzipitation der Globuline 
sowie über die komplementbindende, eigenhemmende, hämolysierende 
Fähigkeit des Serums und ihre Beziehungen zu den Eiweißkörpern haben 
die Untersuchungen von Ruppel, Ornstein, Carl und Lasch 
interessante Ergebnisse gezeitigt (s. Originalarbeit). 

Aus dieser kurzen Literaturzusammenfassung geht hervor, eine 
wie große B.edeutung diesen Befunden für den Immunisierungs- 
vorgang, für unsere diagnostischen serologischen Methoden, sowie 
für die Richtung unseres therapeutischen Handelns bei der aktiven 
und passiven Immuuisierung und bei der parenteralen Eiwei߬ 
therapie zukommt. Aufgabe weiterer Untersuchungen wird es sein 
müssen, den Schlüssel zu finden für den Zusammenhang der im 
Reagenzglas erhaltenen Resultate mit den Vorgängen, wie sie sich 
im lebenden Organismus abspielen, um die Quelle der Abwehr¬ 
bestrebungen im Körper und ihre Beeinflußbarkeit aufzudecken. 

Diese Frage steht im engsten Zusammenhang mit den Dispersitäts¬ 
verhältnissen der Eiweißkörper im Organismus, und da dieselben 
beim Albumin und Globulin verschieden sind, auch mit dem 
Mischungsverhältnis von Albumin und Globulin nicht nur im Serum, 
sondern auch in den anderen Körperflüssigkeiten, wobei auch ins¬ 
besondere die Gewebsflüssigkeiten mit in den Bereich der Unter¬ 
suchungen einbezogen werden müssen. Dies ist bisher so gut wie 
nie geschehen, so daß die Frage nach der Herkunft der Eiwei߬ 
körper, ihrer Bildungsart, ihrer Verteilung und ihrem Wechsel im 
Organismus otfen geblieben ist. Erst dann, wenn diese physio¬ 
logischen Verhältnisse geklärt sind, kann man die Hoffnung haben, 
auch in die Veränderungen des Eiweißquotienten unter patlio- 





Gutzeit 



240 

logischen Bedingungen Einblick zu gewinnen, um sie eventuell 
diagnostisch oder therapeutisch auszuwerten. 

Große Schwierigkeiten hatte ich bei der Auswahl einer zuverlässigen 
Methodik für die Albumin-Globulinbestimmungen in kleinen Flüssigkeits¬ 
mengen, zumal ich bei den verschiedenen und z. T. widersprechenden 
Ergebnissen in der Literatur den Verdacht hatte, daß diese Widersprüche 
bis zu einem gewissen Grade auf der Mannigfaltigkeit der angewandten 
Methodik beruhen. Über meine speziellen methodischen Untersuchungen 
will ich an anderer Stelle berichten, 1 ) hier kann ich nur sagen, daß so¬ 
wohl die Rohr er’sehe refraktometrisch-viskosimetrische als auch die 
Hirsch'sehe interferometrische Methode zur Bestimmung von Albumin 
und Globulin unübersehbare Fehlerquellen enthält, so daß ich beide nicht 
anwenden konnte. Gelegentlich dieser Versuche erlangte ich einen inter¬ 
essanten Einblick in die Konstanz von Albuminlösungen, der eine Er¬ 
weiterung unserer Kenntnisse bedeutet, daß Albumin unter gewissen Be¬ 
dingungen in Globulin übergehen kann: so bei Hitzedialyse (Starke), 
bei Alkalisierung und Hitzewirkung von 60° oder Lebenstemperatur 
(Moll), beim Lagern salzhaltiger Lösungen oder bei Einwirkung des 
elektrischen Stromes (Ruppe 1 und sein Mitarbeiter). Letztere Versuche 
wurden mir erst nach Beendigung der meinigen bekannt. 

Humanes Serum, 5 fach mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt, 
wurde mit gleichen Volumina gesättigter Ammoniumsulfatlösung versetzt, 
nach Absetzen des Globulinniederschlages vom Niederschlag abfiltriert, 
und das reine Albuminfiltrat in Amnionhäuten menschlicher Placenten 
(v. Calcar und Kapsenberg) der Dialyse unterworfen. Ich dialy- 
sierte erst ca. 2 Tage gegen fließendes Wasser von 15° C und dann 
noch ca. 1 Tag gegen destilliertes Wasser bis zum Schwinden der Sulfat¬ 
reaktion im umgebenden Wasser. Der Globulinniederschlag wurde mit 
halbgesättigter Ammoniumsulfatlösung bis zur Albuminfreiheit gewaschen, 
in Wasser gelöst und ebenfalls der Dialyse ausgesetzt. In den elektrolyt¬ 
armen Eiweißlösungen konnte ich nach der Dialyse folgendes nachweisen: 

Die Globulinlösung ließ sich durch Halbsättigung mit Ammonium¬ 
sulfat quantitativ enteiweißen. Sie war also albuminfrei. Die Albumin¬ 
lösung jedoch ergab bei Halbsättigung mit Ammoniumsulfat einen nicht 
unbeträchtlichen Niederschlag, der nicht der Albuminfraktion angehören 
konnte, sondern der Ammoniumsulfatkonzentration entsprechend zur 
Globulinfraktion gerechnet werden mußte. Es mußte also während der 
Dialyse bei 15° C ein Übergang von Albumin in Globulin stattgefunden haben. 

Somit vermögen sich auch ohne Temperatureinflüsse 
oder sonstige eingreifende Maßnahmen Albuminlösungen 
innerhalb 2—4 Tagen spontan in Globulin umzuwandeln. 

Ich benutzte zur Bestimmung von Globulin und Albumin folgende 
Methode: Nach Hopkins und Pinkus, nachgeprüft durch Porges 
und Spiro fallen aus Eiweißlösungen Globuline bei Halbsättigung mit 
wasserfreiem Natriumsulfat bei 30° C und die Albumine bei Ganzsätti¬ 
gung quantitativ aus. 

Ich brachte gleiche Volumina stark verdünnter Eiweißlösung und warm- 


1) Zeitschr. f. die gesamte experiment. Med. 




I 


Über die Verteilung der Albumine u. Globuline im tierischen Organismus. 241 

gesättigter Natriumsulfatlösung im Brutschrank bei 30° zusammen, ließ bis zur 
guten Abscheidung des Niederschlages stehen, filtrierte dann durch angewärmte 
gehärtete Filter im Brutschrank und wusch den Niederschlag mit halb¬ 
gesättigter Natriumsulfatlösung so lange aus, bis Eiweiß nicht mehr ins 
Filtrat ging. Der Niederschlag wurde alsdann mit am besten etwas er¬ 
wärmtem Wasser, dem zuletzt Spuren von Alkali zugesetzt wurden, auf 
dem Filter quantitativ gelöst und die so erhaltene Globulinlösung zur 
Mikrokjeldahlbestimmung .verwandt. So konnte der Globulinstickstoff 
bestimmt werden. Für die Gesamteiweißbestimmung wurden die Eiwei߬ 
lösungen mit Natriumsulfat in Substanz im Brutschrank bei 30° C bis 
.zur Sättigung versetzt und dann wie bei der Globulinbestimmung weiter 
behandelt. 

Diese Methode lieferte mir sowohl gut vergleichbare Werte, als 
auch, wie ich annehme, Resultate, hei denen möglichst alle Fehlerquellen 
ausgeschaltet sind. Die Natriumsulfatfällung geht mit dem von Hof¬ 
meister und Pohl angegebenen Verfahren der Ammoniumsulfattrennung 
von Albumin und Globulin, das von Kau der und vielen anderen genaue 
Nachprüfungen erfahren hat, konform, wie die eingehenden Unter¬ 
suchungen von Hopkins und Pinkus und die Nachprüfungen der 
Fällungsgrenzen von Porges und Spiro ergeben haben. Die Methode 
hat ferner den Vorteil, daß man die ungenauen gewichtsanalytischen 
Eiweißbestimmnngen umgehen und anstatt dessen die viel genaueren 
Kjeldahlbestimmungen anwenden kann, bei denen die Eiweißumrechnung 
mit dem Faktor 6,25 zwar einen kleinen Fehler bedeutet, weil die ein¬ 
zelnen Fraktionen in ihrem Stickstoffgehalt ein wenig differieren. Dieser 
Fehler ist jedoch so gering, daß er in die Fehlergrenzen der Methode 
3 °/ 0 ) selbst hineiufällt, und kann somit vernachlässigt werden. Man 
kann hiermit sehr geringe Eiweißmengen, entsprechend ca. 0,1 mg N, 
genau analysieren. 

Wie eingangs erwähnt, sind die Ergebnisse über die Albumin-Glo¬ 
bulinverteilung im Organismus, wie Bie' in der Literatur niedergelegt 
sind, schon unter physiologischen Verhältnissen nicht eindeutig genug, 
als daß sie für pathologische Bedingungen eine Grundlage für Schlüsse 
irgendwelcher Art bilden könnten. 

Das was physiologisch über die Verteilung von Albumin und Glo¬ 
bulin bekannt ist, will ich im folgenden kurz zusammenfassen. 

Den größten Teil der Eiweißkörper im tierischen Organismus stellt 
das Globulin dar (Neumeister), und das Verhältnis der Serumeiwei߬ 
körper schwankt bei den einzelnen Tierspezies beträchtlich. Die fol¬ 
gende Skizze möge diese Verhältnisse beleuchten. 

Menschenserum 1,0 Glob. : 1,51 Alb. (H am m e r s t e i n , Lewinski) 

Schafserum 1,0 „ : 1,28 „ \ 

Schweineserum 1,0 „ : 1,49 „ I . 

Hundeserum 1,0 „ : 1,50 (Lewinski) 

Kaninchenserum 1,0 „ : 2,50 

Hühnerserum 1,0 „ : 0,85 

Rinderserum 1,0 „ : 1,26 


16 


| (Lewinski, Burckhardt) 



Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 









242 


Gützeit 


TM' 



'! ! 


I 




Kaltblüter besitzen am wenigsten Albumin im Serum (Halli¬ 
burton). Mehrfach untersucht und bestätigt wurde Globulinvermehrung 
im Serum von Hungertieren. So fand Tiegel im Schlangenserum 
während des Hungerns nur noch Globulin. Salvioli konnte unter 
gleichen Bedingungen bei Hunden zweimal eine Paraglobulinvermehrung, 
viermal keine Veränderung im Serum feststellen, während dreimal in der 
Halslymphe etwas mehr Globulin gefunden wurde als im Serum und im 
Chylus. Auch Burckhardt sah eine Vermehrung der Globuline bei 
Hungerhunden. Seine Versuche sind wegen ungenügender Fällung der 
Globuline mit C0 2 nicht eindeutig und ebensowenig wie die Nachprüfung 
von Wallerstein, der vorher größere Aderlässe machte, von verwert¬ 
barer Bedeutung. Wichtig ist, daß Lewinski bei Hungerhunden vier¬ 
mal eine Globulinzunahme im Serum konstatieren konnte, während nach 
Fleischfütterung dreimal (von vier Versuchen) eine Albuminvermehrung 
erfolgte; bei Giethens fiel dieselbe aus, trat dagegen bei Brotfütterung 
ein. Wurden bei guter Fütterung Hunden Blutentziehungen gemacht, 
so kam es zweimal zu einer Vermehrung der Albumine im Serum, 
während bei Kaninchen ähnliche Veränderungen nicht beobachtet werden 
konnten. In neuerer Zeit sah Eobertson (mit eigener Methodik) die 
Totaleiweißmenge im Serum von Hungertieren gegenüber Futtertieren 
erhöht. Dabei stieg das Verhältnis von Albumin : Globulin bei Kanin¬ 
chen, Bind und Pferd und erhielt bei Batten und Hunden eine deutliche 
Abschwächung. 

Alle diese Ergebnisse sprechen für einen gewissen 
Einfluß der Ernährung auf das Albumin-Globulin¬ 
mischungsverhältnis, doch lassen sich irgendwelche Schlüsse hier¬ 
aus nicht ableiten, weil einerseits die Zahl der Versuche zu gering ist, 
andererseits die Methodik nicht einheitlich war. 

Eine zweite des öfteren in Angriff genommene Frage betrifft die 
Änderung der Verteilung der Eiweißkörper im Blut nach 
Blutentziehungen. Die Versuche von Giethens waren schon 
erwähnt. Im Gegensatz zu ihnen konnte Burckhardt bei Blutent¬ 
ziehungen keine konstanten Albumin-Globulinverschiebungen feststellen. 
Möglicherweise sind diese Differenzen durch einen verschiedenen Fütte- 
rungBZUstand der Tiere zu erklären. In ähnlicher Bichtung, aber unter 
Verwendung einer anderen Versuchsanordnung liegen die folgenden Ex¬ 
perimente. 

Henry und Mayer entzogen Hunden in Abständen von 10—30 
Minuten Blut und ersetzten jedesmal die konstatierte Gewichtsabnahme 
durch 0,8 °/ 0 ige Kochsalzlösung, in anderen Versuchen infundierten sie 
gleichzeitig 0,8 °/ 0 ig e Kochsalzlösung bei kontinuierlichen Aderlässen und 
erhielten schließlich eine reine Albuminlösung. Morawitz entnahm 
kleineren Hunden möglichst große Blutmengen und ersetzte diese durch 
Infusion einer Blutkörperchenaufschwemmung in physiologischer Koch¬ 
salzlösung mit Zusatz von 3 °/ 0 Gummi arabicum. Er konnte bei dieser 
Prozedur die Tiere bis zu drei Tagen am Leben erhalten und fand in 
den ersten 3—8 Stunden in den diesen Tieren in Abständen ent¬ 
nommenen Blutproben eine Vermehrung der Serumalbumine, der späterhin 
eine zum Teil überschießende Globulinzunahme folgte. Inagaki hat 



Über die Verteilung der Albumine u. Globuline im tierischen Organismus. 243 

dann in einer groBen Versuchsreihe Kaninchen 1,9—2,5 °/ 0 ihres Körper¬ 
gewichtes an Blut entzogen und durch Infusion von physiologischer 
Kochsalzlösung eine Verdünnung des zurückgebliebenen Blutes von ca. 
30 °/ 0 erreicht. In anderen Versuchen wurden Infusionen von Kochsalz¬ 
lösung unterlassen. Außer Albumin-Globulinbestimmungen wurden Unter¬ 
suchungen des Blutkörperchenvolumens, der Erythrocytenzahl und des 
Hämoglobins angestellt mit der Absicht, die FlÜBsigkeitsverschiebungen 
zwischen Blut und Lymphe resp. Gewebe zu studieren. Er beobachtete 
bei diesen größeren Aderlässen au Kaninchen mit und ohne Kochsalz¬ 
infusion deutliche Verschiebungen im AlbumiD-Globulinverhältnis, und 
zwar so, daß in den ersten 5 Stunden nach dem Aderlaß das Albumin 
weniger abnimmt als das Globulin, während nach 1—2 Tagen eine 
Globulinzunahme mit einer Albuminverminderung erfolgt. Das Verhältnis 
von Albumin : Globulin erreichte seinen Anfangswert erst nach voll¬ 
kommener Regeneration der Erythrocyten. Zur Zeit des steigenden 
Albumin : Globulinverbältnisses im Anfang erfolgte eine Abnahme des 
Blutfarbstoffquotienten sowie eine Volumenverminderung der Erythrocyten. 
Diesen interessanten Befunden, deren Besprechung ich später im Zu¬ 
sammenhang mit den meinigen bringen werde, stehen Resultate gegenüber, 
die in letzter Zeit von Smith, Belt und Wipple an Hunden er¬ 
halten wurden. Den Tieren wurden größere Plasmamengen entzogen 
und nachfolgend Blutkörpercheninfusionen mit Locke’scher Lösung gemacht. 
Es fand in 2 — 7 Tagen eine Regeneration der bis auf 1 °/ 0 verminderten 
Plasmaeiweißkörper statt, ohne daß Verschiebungen im Albumin-Globulin- 
gleichgewicht festgestellt werden konnten. 

Diesen Ergebnissen, die kein einheitliches Bild boten, stellte 
ich eine Versuchsreihe an 7 Kaninchen gegenüber. War die Frage 
in den soeben erwähnten Versuchen nach der Herkunft von Albu¬ 
min und Globulin im tierischen Serum ungelöst geblieben, und der 
Hauptwert auf die Flüssigkeits- und Eiweißverschiebungen zwischen 
Blut und Gewebe gelegt worden, so waren die Versuche doch in¬ 
sofern angreifbar, als bei lebenden Tieren recht eingreifende Ma߬ 
nahmen in der unmittelbaren Umgebung der so labileu roten Blut¬ 
körperchen vorgenommen wurden, deren gleichzeitiges Mitwirken 
an dem Eiweißersatz nur von Inagaki in Erwägung gezogen 
wurde. Ich wollte nun mit einer möglichst einfachen Methodik 
prüfen, wie sich realiter die Verteilung der Albumine und Globu¬ 
line im Tierserum zu dem Mischungsverhältnis der Eiweißkörper in 
der Gewebsflüssigkeit verhält, d. h. in der Flüssigkeit, die nicht als 
Lymphe in einem vorgebildeten Röhrensystem schon einen langen 
Weg von ihrem Ursprung zurückgelegt hat und mannigfachen Ein¬ 
flüssen während dieser Zeit ausgesetzt war, sondern der sog. Be¬ 
ginnlymphe, wie sie sich zwischen den Gewebszellen in den Inter- 
cellularräumen findet. Da man solche Flüssigkeit unter physio¬ 
logischen Verhältnissen nicht gewinnen kann, hatte ich die Vor- 

16* 





Gutzeit 






8 .!? ' 

1*1 1 

* I 

■> , 


I 


244 

Stellung, daß man bei Durchspülung von Tieren mit physiologischen 
Salzlösungen bis zur möglichst vollkommenen Blutleere nach Aus¬ 
waschung des vorgebildeten Gefäßsystems schließlich eine Flüssigkeit 
erhalten muß, welche frei von Serumbestandteilen in starker Ver¬ 
dünnung mit physiologischer Salzlösung die Gewebsflüssigkeiten zu¬ 
tage fördert. Es mußte dabei natürlich sehr schonend vorgegangen 
werden, damit es nicht zu wesentlichen Zellzerstörungen kam, die 
die Resultate hätten trüben können. So mußte z. B. der Druck, 
mit dem die Spülflüssigkeit infundiert wurde, sich in möglichst 
niedriger Höhe halten, es mußte als Spülflüssigkeit eine möglichst 
körperähnliche physiologische Salzlösung von Körpertemperatur 
verwandt werden, kurz alle zellschädigenden oder zerstörenden 
Einflüsse möglichst ferngehalten werden. 

Ich verwendete aus Mangel an einer genügenden Anzahl anderer 
Tiere Kaninchen mittleren Gewichtes. In leichter Äthernarkose legte 
ich Carotis und V. jugularis externa der einen Halsseite frei und band 
mit der Richtung zum Herzen je eine Kanüle ein, nachdem das kopf- 
wärts gerichtete Ende der Gefäße unterbunden war. Sodann schloß ich 
an die in der Vene steckende Kanüle einen mit einem Irrigator ver¬ 
bundenen Schlauch an. Als Spülflüssigkeit verwendete ich anfangs 
Tyrode’sche Lösung, später, weil die Ergebnisse dieselben blieben, der 
Bequemlichkeit halber 0,9 °/ 0 ige Kochsalzlösung und öffnete gleichzeitig 
die Vene und die Arterie, so daß die Spülflüssigkeit unter gelindem 
Druck (durchschnittlich 180—200 mm H 2 0) einfloß, während sich aus 
der Carotis reines Blut im Strahl entleerte. Einige Male reichte der 
Druck der Spülflüssigkeit nicht aus, um den Spülstrom zu erhalten, so 
daß ich gezwungen war, den Herzbeutel zu öffnen und manuell am 
Herzen selbst zu pumpen. Die Tiere lebten nach der Operation noch 
10—35 Minuten im Durchschnitt, während das Herz häufig noch länger 
schlug, nachdem die Atmung schon vorher sistiert hatte. Bei den ersten 
Versuchen erfolgte in den ersten 10 Minuten ein Gefäßkrampf, der vor¬ 
übergehend die Spülung behinderte; durch kurze Einatmung von Amyl- 
nitrit bei den letzten Atemzügen konnte ich diesem Hindernis begegnen. 
Alle aus der Carotis fließende Flüssigkeit vom reinen Blut bis zu einer 
zuletzt erhaltenen wasserklaren eiweißarmen Salzlösung wurde aufgefangen, 
in großen Zentrifugengläsern durch Zentrifugieren von ihren Zellbestand¬ 
teilen getrennt und bis zur Verarbeitung nach oben angegebener Methode 
im Eisschrank aufbewahrt. 

Im folgenden seien die speziellen Versuchsprotokolle wiedergegeben. 
Ich muß mich der geforderten Kürze wegen darauf beschränken, zwei 
dieser Protokolle als Beispiel zu bringen. Sechs von den angestellten 
Versuchen sind in ihren Ergebnissen vollkommen gleichmäßig ausgefallen, 
der siebente mißglückte, weil es mir nicht gelang, das betreffende Tier 
vollkommen zu entbluten. 





Über die Verteiluug der Albumine u. Globuline im tierischen Organismus. 245 

1. Beispiel: Versuch 3. 


Kaninchen: 1800 g Körpergewicht. Seit 96 Stunden 
nüchtern. Leichte Athernarkose. Bei den letzten Atemzügen Einatmen 
von Amylnitrit. Spülung mit 0,9 °/ 0 iger Kochsalzlösung. 


Lfde. 

Nr. 

1 

Art der nnter- 
Zeit suchten 

Flüssigkeit 

Gesumt- 
Eiweili °/ 0 

Proz.-Gelmlt am 

Gesamt-Eiweiß 

Glob. Alb. 

1 . 

9* & Blutserum 

: 5,838 

32 

68 IO 10 Exitus 

2. 

10 t0 —11 10 Spülflüssigkeit 

0,067 

42 

58 | Seit 10 00 An- 




1 

schwellen des 




1 

Leibes 

3. 

10*°—ll 00 Ascites 

0,034 

44 

56 1 

4. 

125(1—io» j Spülflüssigkeit. ' 

0,00261 

89 

11 


Leberstücken- 




1 

nuszug 

0,312 

88 

12 

1 

Muskelstücken- 



\ 

1 

Auszug 

0,747 

53 

47 | nicht gnnz 


Nierenstücken- 

1 


< blutfrei 


Auszug 

o.m 

64 

36 ) 


In diesem wie in allen 6 gelungenen Versuchen sahen wir, 
daß die nach 3‘/ 2 ständiger Spülung erhaltene verdünnte Eiwei߬ 
lösung prozentual viel mehr Globulin enthält als das ursprüngliche 
Serum. Der Tod des Tieres erfolgte 35 Minuten nach Beginn der 
Spülung. 10 Minuten vorher begann der Leib des Tieres zu 
schwellen. Es wurde zur Zeit der zweiten Entnahme die ange¬ 
sammelte Ascitesflüssigkeit durch Punktion entfernt, um festzu¬ 
stellen, ob vielleicht die hier entwichene Flüssigkeit eine andere 
fraktionelle Zusammensetzung aufwies als die gleichzeitig auf¬ 
gefangene Spülflüssigkeit und zu erkennen, ob möglicherweise die 
eine der Proteinkomponenten leichter aus den Gefäßen austritt als 
die andere, wie das A. Schmidt für Pergamentpapier und Gott¬ 
wald bei der Diffusion durch den Urether von Tieren für das 
Albumin fanden. Davon kann jedoch hier nicht die Rede sein, 
weist doch der Eiweißquotient in der Ascitesflüssigkeit den gleichen 
Wert auf wie die gleichzeitig erhaltene Spülflüssigkeit. So kann 
also die in der Spülflüssigkeit zum Ausdruck kommende Globulin¬ 
vermehrung nicht etwa ihren Grund in einer Abwanderung des 
Albumins aus den Gefäßwänden haben. Nach Beendigung der 
Durchspülung wurden Leber, Niere und ein Teil der Muskulatur 
mit glatten Schnitten in grobe Stücke zerlegt und in physiologischer 
Kochsalzlösung ausgezogen. Nach 2—3 X 24 Stunden Eisschrank¬ 
aufenthalt wurden die eiweißreichen Organstückenauszüge durch 



246 


Gutzeit 


durch scharfes Zentrifugieren von suspendierten Zellbestandteilen 
befreit und nach der oben angegebenen Methode zur Untersuchung 
des Globulin- und Gesamteiweißstickstoffes weiter behandelt. Wir 
hatten bei dieser groben Zerteilung der Organe die Absicht, mög¬ 
lichst wenig Zellen zu zerstören und möglichst viel Intercellular¬ 
räume zu eröffnen, so daß wir annehmen, daß das Eiweiß dieser 
Organstückenauszüge sich vornehmlich aus dem Eiweiß zusammen¬ 
setzt, das in der Gewebsflüssigkeit zwischen den Zellen vorhanden 
ist. Es fand sich im Leberstückenauszug eine Eiweißlösung, die 
das gleiche Mischungsverhältnis der Eiweißkörper aufweist wie in 
der zuletzt erhaltenen Spülflüssigkeit, deren prozentualer Globulin¬ 
gehalt also viel höher ist als im ursprünglichen Serum. Auch 
im Nieren- und Muskelstückenauszug überwiegt der prozentuale 
Globulingehalt den des Serums, ist jedoch geringer als der im 
Leberstückenauszug und in der letzten Spülflüssigkeit. Das war 
bei den meisten Versuchen zu beobachten und liegt wohl daran, 
daß es nicht immer gelang, Nieren und Muskulatur vollständig 
zu entbluten. Zurückbleiben von Blut muß das Resultat dieser 
Eiweißauszüge natürlich in der Richtung der Eiweißkörperverteilung 
im Serum beeinflussen. 


Beispiel 2: Versuch 7. 

$ Kaninchen: 2000 g Körpergewicht. Bis zuletzt reichlich 
gefüttert. Äthernarkose. Kurz vor Atemstillstand Einatmung von Amyl- 
nitrit. Spülung mit 0,9 °/ 0 iger Kochsalzlösung. Brustkorb eröffnet, am 
Herzen manuell gepumpt. 


1 

Lfde. 

Nr. 

Zeit 

Art der unter¬ 
suchten 
Flüssigkeit 

Gesamt- 
Eiweili °/ 0 

Proz.-Gehalt am 
Gesamt-Eiweiß 

Glob. Alb. 


1. 

945 

Blutserum 

5,138 

44 

56 

9 45 Exitus 

2 . 

H15_1123 

Ascites 

0,270 

46 

54 

10 10 Schwellung 







des Leibes 

3. 

1130_ n 56 

Spülflüssigkeit 

0,0280 

63 

37 


4. 

1 2 36_105 


0,0116 

84 

16 




Nierenstücken- 






auszug 

0,179 

61 

39 




Leberstücken- 







auszug 

Leberbrei- 

0,191 

68 

32 




auszug 

0,119 

81 

19 




Muskelstücken- 




ziemlich blut- 



auszug 

Muskelbrei- 

0,362 

43 

57 

haltig 



auszug 

0,186 

75 

25 




Hämoglobinlösg. 

3,166 

30 

70 






Über die Verteilung der Albumine n. Globuline im tierischen Organismus. 247 

Bezüglich der wachsenden Globulinvermehrung im Laufe der 
Durchspülung besteht auch in diesem Versuch eine absolute Kon¬ 
gruenz mit den vorhergehenden. Nieren- und Leberstückenauszug 
haben eine annähernd gleiche prozentuale Globulinkonzentration, 
die um ca. 20°/ 0 höher ist als die des Serums. Der Auszug der 
nicht genügend entbluteten Muskelstücke zeigte ein dem Serum 
gleiches Albumin-Globulinmischungsverhältnis. Um zu prüfen, in¬ 
wieweit die aus den grob zerschnittenen Organen erhaltenen Ei¬ 
weißkörper von dem Organzelleiweiß abhängig sind, habe ich in 
zwei Versuchen Leberstücke und einen Teil der Muskulatur durch 
Wiegen und Quetschen zu einem möglichst feinkörnigen Brei zer¬ 
kleinert und diesen Brei ebenfalls mit physiologischer Kochsalz¬ 
lösung extrahiert. In diesem Versuch lieferte der Organbreiauszug 
von Leber und Muskulatur einen viel globulinreicheren Extrakt 
als die entsprechenden Organstückenauszüge, während bei einem 
anderen hier nicht im Protokoll wiedergegebenen Versuch das 
Albumin-Globulinmischungsverhältnis im Zelleiweiß und im Ge¬ 
websflüssigkeitseiweiß gerade entgegengesetzte Verhältnisse auf¬ 
wies. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß ein Ver¬ 
gleich der Verteilung der Eiweißkörper zwischen Serum und 
Körperzellen nicht ohne weiteres angängig ist, weil ja z. B. die 
Eiweißkörper der Muskulatur (Myogen und Myosin) von den Serum¬ 
eiweißkörpern als durchaus different zu betrachten sind. Ich habe 
ferner bei den letzten beiden Versuchen den bei der Koagulation 
erhaltenen Blutkuchen in Wasser aufgeschwemmt, so daß ich eine 
stark hämoglobulinhaltige Flüssigkeit erhielt, die durch Erythro- 
cytenstromata leicht getrübt war. Nach Zufügung von Kochsalz 
bis zur physiologischen Besalzung und tüchtigem Schütteln wurde 
von den ungelösten Blutkörperchenstromata abzentrifugiert und so 
eine dunkel rote, eiweißreiche, klare Flüssigkeit erhalten, deren 
Eiweiß ja sicher vom gelösten Hämoglobin herrühren mußte. 
Natürlich war ein kleiner Teil Serumeiweiß auch noch zugegen. 
Es zeigte sich nun die interessante Tatsache, daß dieser Eiwei߬ 
körper im wesentlichen bei einer Salzkonzentration ausfiel, die für 
die Fällung der Albumine charakteristisch ist. Nur ein kleiner 
Teil (20 resp. 30 "/o) war wie die Globuline leicht aussalzbar. 

Wenn wir nun die bei den 7 Tierversuchen gewonnenen Er¬ 
gebnisse vergleichen, so findet sich eine große Konstanz in der 
Änderung des Albumin-Globulinmischungsverhältnisses im Serum 
gegenüber dem der zum Schluß der Auswaschung gewonnenen 
Flüssigkeit. Schalten wir den einen Versuch, bei dem eine Ent- 



248 


Gützeit 


blutung nicht gelang, aus, so fand sich in den 6 übrigen Experimenten 
eine relative Globulinvermehrung in der zuletzt erhaltenen Spülflüssig¬ 
keit gegenüber dem Blutserum von 24—57 u / 0 , im Durchschnitt 38°/ 0 . 
Da man die zuletzt erhaltene Flüssigkeit wohl annähernd als ver¬ 
dünnte Gewebsflüssigkeit bezeichnen kann, so muß, zumal ich 
keinen Grund zu der Annahme habe, daß sich an dem prozentualen 
Verhältnis der Eiweißkörper bei der durch die Ausspülung be¬ 
dingten Verdünnung etwas äudern kann, andererseits aber auch 
bei der Abwanderung von eiweißhaltiger Flüssigkeit in die Körper¬ 
höhlen keine der Fraktionen ein spezifisch stärkeres Diffusions- 
vermögeu bei unserer Versuchsanordnung aufwies, der prozen¬ 
tuale Gehalt an Globulin in der Gewebsflüssigkeit 
bedeutend größer sein als im Blutserum. An diesem 
unterschiedlichen Globulingehalt ändert weder das 
Geschlecht noch der Fütterungszustand der Tiere 
etwas. Wir fanden bei Männchen eine Globulinzunahme von 
36°/ 0 , bei Weibchen von 39 °/ 0 , bei Hungertieren eine solche von 
36°/ 0 , bei Futtertieren von 38 °/ 0 . Bei dem Extrakt von Gewebs- 
stücken, dessen Eiweiß, wie wir annehmen, hauptsächlich aus den 
Gewebsspalten stammt, konnten wir in Leber und Niere durchweg 
relativ mehr Globulin nachweisen als im Serum, auch die Auszüge 
der intercellulären Muskelflüssigkeit zeigten in 2 Versuchen eine 
Eiweißkörperverschiebung zugunsten des Globulins gegenüber dem 
Serum. Bei allen diesen Organauszügen spielt jedoch der.Grad 
der Entblutung für die Beurteilung des Albumin-Globulinmischungs¬ 
verhältnisses eine große Rolle. Gelinge Blutmengen, wie sie ge¬ 
wöhnlich bei unserer Versuchsanordnung in allen Organen, be¬ 
sonders in der Muskulatur und in der Niere Zurückbleiben, beein¬ 
flussen die Resultate zuungunsten des Globulins, zumal die Eiwei߬ 
konzentration im Serum ja ca. 3000 mal größer ist als in der zu¬ 
letzt erhaltenen Spülflüssigkeit. So möchte ich fast annehmen, 
daß das Eiweiß der Gewebsflüssigkeit fast ausschließlich aus Glo¬ 
bulin besteht, obwohl mir ein exakter Beweis für diese Annahme 
nicht möglich ist. Die Extraktuntersuchung der grob zerschnit¬ 
tenen Organe ist sicher auch nicht geeignet, über die wahren Ver¬ 
hältnisse der Gewebsflüssigkeit bezüglich ihres Eiweißquotienten 
Aufschluß zu geben, weil eben außer der Eröffnung von Gewebs¬ 
spalten auch einzelne Zellen lädiert werden und so ein wenn auch 
geringer Teil des Extrakteiweißes dem Zelleiweiß angehört. Zum 
Vergleich des Gewebsflüssigkeits- und Zelleiweißes habe ich dann 
in den letzten beiden Versuchen nach absichtlicher Zerstörung 




Über die Verteilung der Albumine u. Globuline iin tierischen Organismus. 249 

einer großen Zahl von Organzellen Auszüge aus Organbrei 
untersucht und ganz wechselnde Resultate erhalten. Einmal war 
der prozentuale Globulingehalt in ihnen höher, das andere Mal 
niedriger als in dem Extrakt der Organstücke. Man kann 
danach vermuten, daß das prozentuale Mischungsverhältnis von 
Albumin-Globulin in der Gewebsflüssigkeit der Organe keine 
direkte Abhängigkeit von dem Eiweißquotienten der Organ¬ 
zellen hat. 

Stellen wir nun die Ergebnisse unserer Versuche denen anderer 
Autoren mit ähnlicher Versuchsanordnung gegenüber, so ist vor 
allem die Differenz mit den Durchspülungsversuchen vou Henry 
und Mayer bemerkenswert. Wurde hier bei ganz ähnlichen 
Manipulationen, die in allmählicher Blutverdünnung mit 0.8 n / o iger 
Kochsalzlösung unter Ablassen des Überschusses der vorhandenen 
Flüssigkeit bestanden, schließlich eine fast reine Albuminlösung 
erhalten, so konnten wir das genaue Gegenteil davon nachweisen. 
Woran das liegt, können wir bei der knappen Versuchsdarstellung 
obiger Autoren nicht beurteilen; sehr auffällig ist jedoch der Be¬ 
fund, daß bei dieser schließlich erhaltenen Albuminlösung eine viel 
höhere Koagulationstemperatur festgestellt wurde als in dem glo¬ 
bulinreicheren Serum. Diese Tatsache widerspricht unseren Kennt¬ 
nissen, wonach Albumine je nach ihrem Salzgehalt schon von 50° C an 
koagulieren, während bei den Globulinen der Koagulationspunkt 
erst bei 76—78° C gelegen ist. Morawitz fand im Serum bei 
plasmaarmen Tieren während der Plasmaregeneration erst schnellen 
Albuminersatz, später langsamere Globulinvermehrung; zu ähn¬ 
lichen Ergebnissen führten die Versuche von Inagaki in oben 
beschriebener Versuchsanordnung. Während nun Morawitz den 
ersten Albuminersatz unter Heranziehung der Befuude von Henry 
und Mayer auf Diffusionsvorgänge zwischen der das Albumin 
aufspeichernden Gewebsflüssigkeit und dem Blut bezog und die 
spätere Globulinbildung als Neubildung ansah, fand Inagaki die 
zuerst erscheinende Albuminkomponente besonders in der mittleren 
Albuminfraktion ( 2 /„—*/ 4 Ammoniumsulfatsättigung) ausfallen und 
hierin Unterschiede gegenüber dem Verhalten der eigentlichen 
Serumalbumine und Analogien zu dem Eiweißkörper der Erythro- 
cyten. Nach unseren Ergebnissen ist nun ein Ersatz von 
Albumin aus der Gewebsflüssigkeit unmöglich, weil 
festgestellt werden konnte, daß die Beginn ly mp he, wenn über¬ 
haupt, verschwindend wenig Albumin enthält. Es 
mußten also irgendwo anders her stammende Eiweißkörper diese 




250 


Gutzeit 


Albuminvermehrung bewerkstelligt haben. Es ist ja allgemein be¬ 
kannt, wie prompt die Erythrocyten auf alle Veränderungen des 
osmotischen Druckes in ihrer Umgebung mit Gestaltsveränderungen 
wie Quellungen resp. Schrumpfungen reagieren. Wir sehen ferner 
beim Menschen so häufig bei Blutinfusionen Hämolyse und Hämo¬ 
globinurie auftreten, ein Beweis, daß hierbei Zerstörungen der 
Erythrocyten zu den gewöhnlichsten Erscheinungen gehören. Es 
lag somit nahe, anzunehmen, daß der Albuminersatz möglicherweise 
aus dem Eiweiß des Blutkörperchenplasmas stammen könnte. Das 
Recht zu dieser Annahme glaubten wir um so mehr zu haben, als 
F. N. Schulz Vorgänge beschreibt, die zeigen, wie labil im Hämo¬ 
globin der Farbstoff' an den Eiweißkörper gebunden ist, so daß 
auch die Möglichkeit eines Eiweißverlustes der Erythrocyten ohne 
wesentlichen Farbstoffverlust, d. h. einer Anreicherung des Plasmas 
an Blutkörpercheneiweiß besteht, ohne daß es zu einer sichtbaren 
durch den Blutfarbstoff bedingten Verfärbung des Plasmas zu 
kommen braucht. Nach F. N. Schulz ist weiterhin das Globin 
ein Histon, also vom Serumalbumin in seiner Stellung als Eiwei߬ 
körper grundverschieden. Mit der Salzfällungsmethode kann es 
jedoch von den Serumeiweißkörpern nicht getrennt werden, weil 
es in seinem Verhalten konzentrierteren Salzlösungen gegenüber 
sehr variabel ist. So ist das Globin beim Pferd schon mit niedrigen 
Ammoniumsulfatkonzentrationen aussalzbar, während Inagaki 
beim Kaninchen erst bei hohen Konzentrationen eine Globinfällung 
erzeugen konnte. Ich habe in meinen letzten beiden Versuchen 
nach Art der Albumin- und Globulinfällungen mit Natriumsulfat 
eine aus Kaninchenblutkörperchen hergestellte Flüssigkeit unter¬ 
sucht, deren Haupteiweißkörper das Globin des Hämoglobins (neben 
etwas Serumalbumin und Serumglobulin) darscelltc, und gefunden, 
daß hierin 70—79 % des Eiweißes in der für Albumin charakte¬ 
ristischen Salzkonzentration ausfiel, während das zugehörige Serum 
nur 60—57 % Albumin enthielt. Es ist also klar, daß für den Fall 
eines Übergangs von Globin ins Serum im letzteren mit der Salz¬ 
fällungsmethode eine Albuminzunahme vorgetäuscht werden muß. 
So erklären sich dann auch wohl die von Morawitz und Ina¬ 
gaki erhobenen Befunde von Albuminvermehrung im Anfang nach 
Plasma- resp. Blutentziehungen, und berechtigen uns auf Grund 
unserer Ergebnisse zu dem Schluß, daß aus dem Gewebe jedenfalls 
keine Ergänzung des Plasmaalbumins stattfinden kann. 



Über die Verteilung der Albumine u. Globuline im tierischen Organismus. 251 

Wir kommen zusammenfassend zu folgenden Schlußfolgerungen: 

1. Die von einer Reihe von Autoren beobachtete Umwand¬ 
lung von schwer fällbaren Serumeiweißkörpern (Albuminen) in 
leichter aussalzbare Proteine (Globuline) geht nicht nur bei 
Hitzedialyse, beim Erwärmen auf 60° C, oder Stehenlassen bei 
Körpertemperatur nach Alkalizusatz vonstatten, sondern, wie 
ich nach weisen konnte, auch während einer 2— 4tägigen 
Dialyse gegen kaltes Wasser von 15° C. 

2. Es muß davor gewarnt werden, die Ergebnisse der Albumin- 
Globulinbestimmungen zu vergleichen, wenn verschiedene Methoden 
bei der Analyse der Eiweißlösungen verwandt wurden. Insbe¬ 
sondere haften der viskosimetrisch-refraktometrischen und der 
interferometrischen Bestimmungsart Fehlerquellen an. 

3. Bei Durchspülungen von Kaninchen konnte 
festgestellt werden, daß die Gewebsflüssigkeit 
wesentlich mehr Globulin enthält als das Blutserum 
so daß das Mischungsverhältnis von Albumin: Globulin in der Ge¬ 
websflüssigkeit annähernd umgekehrt ist wie im Serum. Weder 
Geschlecht noch Fütterungszustand der Tiere hat auf diese Albu¬ 
min-Globulinverschiebung einen bestimmenden Einfluß. Das Ver¬ 
hältnis von Albumin : Globulin in der Flüssigkeit der intercellulären 
Gewebsspalten der einzelnen Organe scheint unabhängig zu sein 
von dem Verhältnis der Eiweißkörper in den Organzellen. 

4. Der prozentual hohe Globulingehalt der Ge¬ 
websflüssigkeit verschließt die Möglichkeit, daß bei 
Flüssigkeitsverschiebungen zwischen Gewebsflüssig¬ 
keit und Blut Albumine in größerer Menge ins Blut 
gelangen können, um einen Ersatz für entzogene Serumeiwei߬ 
körper zu liefern. 


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253 


Aus der medizinischen Klinik zu Jena. 

(Vorstand: Prof. Dr. Stintzing.) 

Experimentelle Untersuchungen über die Beziehungen 
zwischen Blutdrucksteigerung und Dyspnoe. 

Von 

Prof. Rudolf Cobet, 

Oberarzt der Klinik. 

Seitdem Sahli 1 ) im Jahre 1901 den Begriff der ,.Hochdruck¬ 
stauung“ geprägt hat, wird dieser Ausdruck vielfach in der Fach¬ 
literatur gebraucht und zwar werden damit in der Regel alle Zu¬ 
stände bezeichnet, bei denen gleichzeitig Blutdrucksteigerung und 
Stauung durch Herzinsufficienz vorhanden sind. Es handelt sich 
dabei z. T. um Fälle, bei denen der arterielle Hochdruck — 
durch Nephritis, Arteriosklerose oder nervöse Einflüsse bedingt — 
das Primäre ist und die Insufficienz des Herzens sich erst im 
weiteren Verlaufe hinzugesellt hat. Daneben gibt es auch Krank¬ 
heitsbilder, bei denen die Blutdrucksteigerung offenbar erst die 
Folge einer Herzinsufficienz darstellt, da sie mit Hebung der Herz¬ 
kraft durch Digitalis wieder zurückgeht. Sahli hat bereits auf 
dieses Verhalten hingewiesen und nimmt an, daß in solchen Fällen 
der Vasomotorentonus durch Dyspnoe gesteigert werde. 

Wir sehen also, daß unter dem Namen „Hochdruckstauung“ 
bisher ihrer Entstehung nach durchaus verschiedene Krankheits¬ 
zustände zusammengefaßt werden. Zur besseren Verständigung 
erscheint mir daher eine schärfere begriffliche Trennung in zwei 
Gruppen zweckmäßig. Die letztgenannte Form von primärer Herz¬ 
insufficienz mit sekundärer Blutdrucksteigerung könnte als „Stau¬ 
ungshochdruck“, der Zustand sekundären Versagens des Herzens 
bei Nephritis oder Arteriosklerose dagegen als „Stauung bei Hoch¬ 
druck“ bezeichnet w-erden. Dabei muß zugegeben w r erden, daß es 


1) Verb, des Kongr. f. inn. Med. XIX, S. 45, 1901. 



254 


COBET 


auch Mischformen gibt, bei deneD durch hinzutretende Herzinsuffi- 
cienz eine an sich vorhandene Hypertonie noch gesteigert bzw. 
eine Neigung dazu erst manifest gemacht wird (vgl. F r e h s e). x ) 
Hier beschäftigt uns nur der „Stauungshochdruck“. 

Zunächst fällt auf, daß seit den Ausführungen von Sahli das 
Krankheitsbild verhältnismäßig selten Gegenstand wissenschaftlicher Er¬ 
örterung gewesen ist. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß 
Fälle dieser Art mit erheblicher Hypertonie an und für sich nicht gerade 
häufig sind. Mäßige Blutdruckerhöhungen bis etwa 160 mm Hg sollen 
allerdings bei Herzkranken im Stadium der Dekompensation nach Geis- 
böck 1 2 ) häufig, nach Lang u. Manswetowa, 3 ) besonders bei Mitral¬ 
fehlern, geradezu die Hegel sein. Ob man allerdings bei so geringen 
Blutdrucksteigerungen schon von Hochdruck sprechen soll, bleibt dahin¬ 
gestellt (vgl. Durig). 4 ) Frehse 5 6 ) hat neuerdings das Material der 
v. Krehl’schen Klinik zusammengestellt und unter 700 Fällen von 
Herzkrankheiten nur 5 Fälle finden können, bei denen ein Anstieg des 
Blutdruckes auf Werte zwischen 160 und 200 mm Hg mit einiger Sicher¬ 
heit auf die bestehende Stauung selbst bezogen werden konnte. 

ist somit auch der Stauungshochdruck ein seltenes Vorkommnis, so 
kann doch nicht geleugnet werden, daß durch eine Herzinsufficienz ein 
erregender Einfluß auf das Vasomotorenzentrum ausgeübt werden kann. 
Für diese Auffassung sprechen auch Untersuchungen, über die Carl 
Müller 8 ) ganz kürzlich berichtet hat. Er fand, daß die nächtliche 
Blutdrucksenkung, die bei Gesunden regelmäßig auftritt, bei Herzkranken 
im Zustande völliger Kompensationsstörung und auch noch eine gewisse 
Zeit nachher ausbleibt, eine Erscheinung, die nach den gemachten Be¬ 
obachtungen „in irgendeiner Weise mit der Kreislaufinkorapensation in 
Verbindung“ stehen muß. 

Daß die Erregung der Vasomotoren bei der Herzinsufficienz, wie es 
von Sahli angenommen worden war, etwas mit der Dyspnoe zu tun 
hätte, wird von Frehse auf Grund der klinischen Erfahrungen abgelehnt. 
Auch C. Müller leugnet einen Zusammenhang der von ihm beobachteten 
Gefäßerscheinungen mit Dyspnoe und nimmt eine vom insuffizierten 
Herzen ausgehende reflektorische Beeinflussung des Gefäßzentrums an. 
Zunächst erscheinen diese Feststellungen der Autoren auffallend, da wir 
doch durch experimentelle Untersuchungen 7 ) wissen, daß dieselben Blut- 
veränderuugen, die eine Dyspnoe bervorrufen, auch eine Erregung des 
Gefäßzeutrums bewirken können. Wenn trotzdem bei Herzkranken 
Dyspnoe und Blutdrucksteigerung nicht, oder wenigstens nicht regelmäßig, 
gleichzeitig zur Beobachtung kommen, so könnte das daran liegen, 


1) Deutsche med. Wochenschr. 1922, Nr. 19, S. 621. 

2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 63, S. 363, 1905. 

3) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 94, S. 455, 1908. 

4) Verh. d. Kongr. f. inn. Med. 1923. 

5) Deutsche med. Wochenschr. 1922, Nr. 19, S. 621. 

6) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 142, S. 47, 1923. 

7) Lit. in meiner früheren Arbeit. Biochem. Zeitschr. Bd. 137, S. 67, 1923. 



Experim. Unters, üb. d. Beziehnngen zw. Blutdrucksteigerungen u. Dyspnoe. 255 


daß die Blutveränderungen bei Herzinsufficienz häufig nicht hochgradig 
genug sind, um auch den Schwellenwert für die Erregbarkeit des Vaso¬ 
motorenzentrums zu erreichen. 

Um nun festzustellen, inwieweit bei Staunngshochdruck Blut¬ 
veränderungen für die Entstehung der Blutdrucksteigerung über¬ 
haupt in Frage kommen, erschien es zunächst einmal notwendig, die 
quantitativen Beziehungen zwischen den Veränderungen des Blutes 
einerseits und dem Erregungszustände des Atem- und Gefä߬ 
zentrums andererseits zu klären. Zu diesem Zwecke habe ich 
bereits in einer früheren Arbeit *) bei Kaninchen durch Kohlen¬ 
säureeinatmung Dyspnoe erzeugt und dabei festgestellt, daß sich der 
Blutdruck im großen und ganzen umgekehrt proportional zum p H - 
Werte des Arterienblutes verhielt. Ob dabei die Verschiebung der 
Wasserstolfzahl oder, wie das neuerdings wieder von englischen 
Forschern (vgl. Dale und Evans*)) angenommen wird, die Er¬ 
höhung der Kohlensäurespannung des Blutes als solche der aus¬ 
schlaggebende Faktor ist, ließ sich mit diesen Versuchen nicht 
entscheiden und spielt auch für unsere Fragestellung nur eine 
untergeordnete Rolle. Als Schwellenwert für die Erregung des 
Gefäßzentrums fand ich eine Erhöhung der C0 2 -Spannung um 
10—15 mm Hg, was einer p H - Differenz von knapp 0,1 entspricht. 
Da für die periphere — zunächst wenigstens — gefäßerweiternde 
Wirkung der Wasserstoffionen von Fleisch*) sowie Atzler und 
Lehmann 1 2 3 4 ) ein etwa dreimal so hoher Sch wellen w r ert ermittelt 
worden ist, wird bei allgemeiner Blutsäuerung die periphere Ge¬ 
fäßwirkung durch die zentrale überkompensiert w’erden müssen. 
Das Atemzentrum ist dagegen gegenüber Verschiebungen der 
Wasserstoffzahl wesentlich empfindlicher als das Gefäßzentrum, 
wird also bei den Blutveränderungen, wie sie bei Herzkranken 
Vorkommen können, entsprechend früher gereizt werden und dann 
durch verstärkte Ventilation der Lungen einer weiteren Verschie¬ 
bung des pH-Wertes im Blute entgegenwirken. Daher dürfte bei 
Herzinsufficienzen der Schwellenwert für die Erregbarkeit des 
Vasomotorenzentrums im Blute wenigstens nur unter besonders 
ungünstigen Bedingungen, nämlich bei gleichzeitigem Versagen der 
Regulierung durch die Atmung, erreicht werden. 


1) Biochem. Zeitschr. Bd. 137, S. 67, 1923. 

2) Journ. of Physiol. Bd. 56, S. 125, 1922. 

3) Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. 19, S. 269, 1921. 

4) PflUger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 197, S. 221, 1922. 



256 


COBET 


Die eben gezogenen Schlußfolgerungen setzen allerdings voraus, 
daß die im Tierexperiment gewonnenen Erfahrungen auch auf die 
Verhältnisse am kranken Menschen übertragen werden dürfen. 
Da das nicht ohne weiteres statthaft ist, habe ich mich in vor¬ 
liegender Arbeit bemüht, auch für den Menschen die Gültigkeit 
der früheren Feststellungen nachzuweisen und in mancher Hinsicht 
noch zu ergänzen. 

Zu diesem Zwecke wurde bei gesunden Personen durch Atmung 
aus einem geschlossenen Gummisack unter verschiedenen Versuchs¬ 
bedingungen Dyspnoe erzeugt, die dabei auftretenden Blutverände¬ 
rungen wurden bestimmt und mit den gleichzeitig beobachteten 
Blutdrucksteigerungen in Beziehung gesetzt. Von vornherein wird 
man gegen diese Versuchsanordnung den Einwand erheben, daß 
dabei die Blutdruckwerte durch psychische Faktoren stark beein¬ 
flußt werden können. Das ist zweifellos richtig, wir werden aber 
später sehen, daß man trotz dieser Fehlerquelle ein für unsere 
Fragestellung hinreichendes Urteil gewinnen kann. 

Als Versuchspersonen hatten sich eine Reihe von Medizinalprakti¬ 
kanten und Studierenden (Damen und Herren) zur Verfügung gestellt, 
denen ich auch an dieser Stelle für ihre Bereitwilligkeit meinen Dank 
ausspreche. Bei ihnen wurden zunächst die Ruhewerte festgestellt. Der 
Blutdruck wurde palpatorisch nach Riva-Rocci gemessen und zwar 
mehrmals in Abständen von einigen Minuten. Die Kohlensäurespannung 
und die Wasserstoffzahl des Arterienblutes wurde aus der C0 2 -Spannung 
der Alveolarluft und dem C0 2 -Bindungsvermögen des Venenblutes in¬ 
direkt ermittelt. Die Alveolarluft wurde nach dem Verfahren von 
Hai da ne und Priestley 1 ) gewonnen und zwar mit der von Mora¬ 
witz u. Siebeck 2 ) modifizierten Apparatur. Die Gasanalysen wurden 
mit der Bramigk'sehen Bürette 3 ) durebgeführt. Neben der Kohlen¬ 
säure wurde auch der Sauerstoff mit einer von Bramigk angegebenen 
Phosphorpipette bestimmt. Das aus dem ruhenden Arm entnommene 
Venenblut, das mit Oxalat ungerinnbar gemacht und bis zur Weiter¬ 
behandlung auf Eis auf bewahrt wurde, wurde mit einem von Bramigk 
und mir 4 5 ) ausgearbeiteten Verfahren auf die gleiche C0 2 -Spannung ge¬ 
bracht wie die Alveolarluft. Darauf wurde in dem so behandelten Blute 
die Kohlensäure nach Barcroft u. Haldane 8 ) bestimmt und nach 
der H a s s e 1 b al ch'sehen Formel 6 ) die aktuelle Reaktion, die sog. regu¬ 
lierte Wasserstoffzahl berechnet. 


1) Journ. of Physiol. Bd. 32, S. 225, 1905. 

2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 97, S. 201, 1909. 

3) Biochem. Zeitschr. Bd. 137, S. 53, 1923. 

4) Biochem. Zeitschr. Bd. 137, S. 60, 1923. 

5) Journ. of Physiol. Bd. 28, S. 232, 1902. 

6) Biochem. Zeitschr. Bd. 78, S. 112, 1917. 



Experini. Unters, üb. d. Beziehungen zw. Blutdrucksteigerungen u. Dyspnoe. 257 

Nach Feststellung der Ruhewerte begann der eigentliche Versuch. 
Die dabei notwendigen Verrichtungen waren mit den Versuchspersonen 
schon vorher mehrfach geübt worden. Um auf der Höhe der Dyspnoe 
«ine Entnahme von Alveolarluft zu ermöglichen, war der Gummisack, 
der zur Erzeugung der Atemnot diente, an dem Gasentnahmeapparat 
selbst angebracht worden, ln einer Metallplatte befanden sich 3 gleich¬ 
große Öffnungen, die eine führte unmittelbar ins Freie, die mittlere stand 
mit dem Rohr für die Alveolargasgewinnung nach Haldane in Ver¬ 
bindung und an der dritten war der Gummisack von ca. 3 1 / 1 1 Inhalt 
befestigt. Auf dieser Platte war als Schlitten luftdicht verschieblich eine 
zweite Metallplatte angebracht, die nur eine zum Mundstück des Appa¬ 
rates führende Öffnung enthielt. Es konnte also das Mundstück nach 
Wahl mit den drei verschiedenen Wegen in Verbindung gebracht werden, 
während die anderen dann jeweils abgeschlossen waren. Zu Beginn des 
Versuches wurde das Mundstück zwischen Zähne und Lippen eingeführt, 
die Nase luftdicht abgeschlossen und zunächst ins Freie geatmet. Dabei 
wurde nochmals der Blutdruck gemessen und dieser Wert später bei der 
Beurteilung der Versuchsergebnisse als Aufangszahl in Rechnung gestellt. 
Darauf wurde die Verbindung der Lunge mit dem Atmungssack herge- 
stellt und in dieser Stellung die Entstehung der Dyspnoe abgewartet. 
Wenn die Versuchsperson den Eindruck gewonnen hatte, es nicht mehr 
lange aushalten zu können, gab sie ein Zeichen. Daraufhin wurde schnell 
der Blutdruck wieder gemessen. Unmittelbar danach, tunlichst am Ende 
des nächsten Atemzuges, mußte die Versuchsperson dann das Mundstück 
für kurze Zeit vor das mittlere Rohr bringen, ohne erneute Inspiration 
maximal dahinein ausatmen und durch Weiterverschiebung des Schlittens 
das Rohr wieder abschließen. Möglichst bald danach wurde zum zweiten 
Male Blut aus der Armvene entnommen. Die Analysen der Alveolar¬ 
luft und des Blutes wurden in derselben Weise durchgeführt wie vor 
dem Versuch und auch hier wieder die regulierte Wasserstoffzahl be¬ 
rechnet. Außer den regulierten Wasserstoffzahlen sind in der Tabelle 
auch die Werte für die reduzierte Wasserstoffzahl nach Hasselbalch, 1 * ) 
die einer CO,-8pannung von 40 mm Hg entsprechen, aufgeführt. Durch 
Vergleich dieser Zahlen läßt sich ein Urteil gewinnen, ob etwa nicht 
flüchtige organische Säuren im Blute während des Versuches aufgetreten 
sind. Die Werte für pu reduz. für die Zeit vor dem Versuche sind 
nicht besonders bestimmt, sondern aus den regulierten Wasserstoffzahlen 
an Hand normaler Kohlensäurebindungskurven geschätzt worden. Dieses 
Vorgehen ergibt kaum einen Fehler, da ja in der Ruhe die CO s -Span- 
nung des Blutes schon nahe bei 40 mm Hg liegt. Im Blute nach dem 
Versuch ist die reduzierte Wasserstoffzahl in der von Bramigk und 
mir 8 ) angegebenen Weise jedesmal bestimmt worden. Gleichzeitig 
wurde dabei dann auch das Sauerstoffbindungsvermögen des Blutes bei 
der CO s -Spaunung von 40 mm und einer Sauerstoffspannung von etwa 
130 mm Hg ermittelt. Aus diesen Zahlen und den Werten für die 
Alveolargasspannungen kann man schließlich noch mit Hilfe der Sauer- 

1) Biochem. Zeitschr. Bd. 74, S. 56, 1916. 

2) a. a. 0. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 


17 






1 



Vorher 


- 1 

Nr. 

des 

Name 

der 

0 *- 

Bindungs- 

• Blutdruck 

Alv. Gas 


Arterien blut 

Ver¬ 

suchs 

Versuchs¬ 

person 

vermögen 
des Blutes 

in °/ 0 

in Ruhe 
mm Hg 

unmittel¬ 
bar vor 
Versuch 
mm Hg 

o 2 - 

Spannnng 
mm Hg 

C0 2 - 

Spannung 
mm Hg 

o 2 - 

Gehalt 
in % 

co 2 - i 

Gehalt PH $ 
in % reg ' edl 

1 

Stae. 

20,4 

123—131 

132 

103,7 

42,0 

a) Atmung aus einem 
20,4 1 52,0 7,315 i 7,3 

2 

Pr. 

18,2 

127—136 

132 

111,8 

40,1 

18,2 

52,4 7,34 | 7.3 

3 

Sa. 

21,4 

153-162 

157 

106,5 

40,7 

21,4 

47,4 7,29 | 73 

4 

Ln. 

21,4 

103—118 

122 

113,4 

36,3 

21,4 

46,7 7,34 | 7.3 

5 

Ve. 

20,7 

117—122 

127 

98,7 

42,5 

b) Atmung aus einem mit 1 
20,5 | 52,1 1 7,31 7,3 

6 

Fr. 

21,6 

113-117 

120 

104,8 

42,1 

21,6 

50,7 7.305 7,3 

7 

Kr. 

20,9 

114—118 

129 

123,0 

35,6 

20,9 

48,2 1 7,36 7,3 

8 

Frl. v. H. 

19,7 

112—116 

120 

123,3 

33,6 

19,7 

43,1 1 7,34 1 7.2 

9 

Fti. 

20.6 

143—146 

145 

113,1 

37,5 

20,6 

47,0 7,325 7,3 

10 

Kü. 

21,4 

106-122 

117 

107,3 

39,8 

21,4 

49,1 | 7,3151 7.3 

11 

Fi. 

20,8 

102—110 

119 

111,7 

39,7 

20,8 

c) Atmung aus eil 
51,1 1 7,34 | 7,3 

12 

Ro. 

21,0 

106-110 

114 

99,9 

43,8 

21,0 

48.1 7,27 1 7,3 

13 

Frl. Pü. 

20,7 

112—119 

129 

98,7 

38,3 

20,5 

46.0 1 7,31 ; 7,2 

14 

Mü. 

22,7 

113-118 

123 

102,2 

39,0 

22,7 

42.0 7,26 7,2 

15 

Bn. 

18,7 

122—124 

125 ‘ 

99,5 

38,9 

18,7 

48,4 7,32 7,3 

16 

Gr. 

20,7 

103-107 

111 

113,4 

37,8 

20,7 

d) Willkürl 
48,3 7,33 I 7,3 

17 

Szy. 

21,9 

94-105 

101 

93,1 

36,9 

21,6 

48,5 7,345 j 7,3 

38 

Frl. A. 

18,5 

125—126 

129 

112,6 

34,1 

18,5 

e) Apnoe nach will 
(44.2) 1(7,33) 

1 

1 


stoff bindungskurven von Bohr, Hasselbalch u. Krogh 1 ) den 
Sauerstoffgehalt des Arterienblutes annähernd berechnen, doch wird 
über die Fehlerquellen dieses Vorgehens später noch eingehender zu 
sprechen sein. 

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in einer Tabelle zu- 


1) Zentralbl. f. Physiol. Bd. 17, 1904. 




Experira. Unters, üb. d. Beziehungen zw. Blutdrneksteigernngeu u. Dyspnoe. 259 


hsergebnisse. 

Nachher Differenzen 

-f- = Zunahme durch 
Versuch 

Alv. (Jas Arterienblut — = Abnahme durch 

Versuch 

BlUt- - ' - f ; ' ‘ , ( - 

druck | 0,- CO,- 0,- I CO,- n B Blut- 

mm Hg Spannung Spannung Gehalt Gehalt p ” “ druck "* ' 5.” 

mm Hg mm Hg in °/ 0 in % re ^' rednz mm Hg re ^ redHZ ' 

' ' | I ! 

_i_ 


rstoff gefüllten Sack. 

»5" i 152 192,4 «7,8 

tfj" 150 — 62,1 

>0“ 173 220,7 58,7 

19“ 138 218,4 | 56,6 


Jten Sack, der NaOH enthielt. 

»" 158 I 51,6 I 49,2 

10“ 152 46,4 1 43.2 

14“ 152 34,1 26,9 

X)* 140 33,2 36,8 

>6" 170 47.4 35,4 

äö“ 149 35,9 1 41,9 1 


Luft gefüllten Sack. 

30" 142 43,8 55,9 

50* 150 53,1 58,5 

15“ 148 38,1 67,6 

DO" 153 63,5 50,6 

36* 153 , 47.6 48,8 


■Ventilation. 

50* ! 109 1 146,2 ' 14,0 20,7 34,0 7,645 7,325 — 2 1+0,315 + 0015 

45“ j 94 147,9 14,4 21,9 37,0 | 7,66 7,32 — 7 | + 0,315 0,00 

x Überventilation. 

0" + 127 99,8 

00 “ 
moe 


samraengestellt. Betrachten wir zunächst die Ruhewerte. Der 
Blutdruck bewegte sich bei den meisten Versuchspersonen, die alle 
im Alter zwischen 20 und 30 Jahren standen, in normalen Grenzen. 
Schon in der Ruhe wurden bei den einzelnen Messungen Unter¬ 
schiede bis 10 mm Hg, einmal bis 16 mm, gefunden. Unmittelbar 
vor dem Versuch lagen die Werte meist entweder an der oberen 

17 * 


33,1 18,5 43,8 7,335 7,30 — 2 (+0,005) 

I 


< 16 67,0 7,28 7,335 + 31 .—0,03 + 0.005 

< 16 52,9 7,32 7,32 +32 +0,015 0.00 

< 13 45.0 7,46 7,31 --23 +0,10 -0,01 

< 11 47.6 7,35 7,29 +20 +0,01 —0,005 

< 16 48,3 7,36 7,31 +25 +0,035 + 0,(05 

< 12 49,8 7,295 7,30 + 32 1 — 0,01 ;—0,015 


< 

14 

61,3 

7,25 

! 7,33 

+ 23 

-0,09 

— 0,01 

< 

16 I 

63,8 

7,17 

' 7,30 

+ 36 

-0,10 

0.00 

< 

11 

58,1 

7,22 

7,29 

+ 19 

— 0,09 

oioo 

< 

19 

48,5 

: 7,20 

7,26 

+ 30 

— 0,05 

+ 0.005 

< 

14 

55,4 

! 7,27 

7,32 

--28 

-0,05 

+o;oi 


20,4 

62.2 1 

18,2 

60,3 

21,4 

52,7 

21,4 

55,1 


7,165 7,33 + 20 

7,195 7,335 +18 

7,165 7,31 | +16 
7,20 7,305 ! + 16 


— 0,15 0,00 

— 0,145—0.003 

— 0,126 + 0.01 
— 0.14 i 0 00 


aer 

■s 

uchs 




258 


COBBT 


Tabelle der Ver 




o,- 

Bindungs- 

vermögen 

des Blutes 

in % 

1 



Vorher 




Nr. 

des 

Name 

der 

• Blutdruck 

Alv. Gas 

Arterienblut 

Ver¬ 

suchs 

Versuchs¬ 

person 

in Buhe 
mm Hg 

unmittel¬ 
bar vor 
Versuch 
mm Hg 

o 2 - 

Spannung 
mm Hg 

C0 2 - 

Spanuung 
mm Hg 

o 2 - 

Gehalt 
in °/ 0 

co 2 - 

Gehalt Ji« 
in % | | 

PH , 
rednz.] 

1 -i 



! 






a) Atmung 

aus einem mit 

1 

Stae. 

20,4 

123—131 

132 

103,7 

42,0 

20,4 

52,0 

7,315 

7,33 1 

2 

p r. 

18,2 

127—136 

132 

111,8 

40,1 

18,2 

52,4 

7,34 

7.34 ' 

3 

Sa. 

21,4 

153-162 

157 

106,5 

40,7 

21,4 

47,4 

7,29 

7,30 

4 

Ln. 

21,4 

103—113 

122 

113,4 

36,3 

21,4 

46,7 

1 7,34 

7,305 








bl Atmung aus einem mit LuJ 

5 

Ve. 

20,7 

117—122 

127 

98,7 

42,5 

20,5 

52,1 

7,31 

1 7,33 j 

6 

Fr. 

21,6 

113-117 

120 

104,8 

42,1 

21,6 

50,7 

7.305 

1 7,32 

7 

Kr. 

20,9 

114—118 

129 

123,0 

35.6 

20,9 

48,2 

7,36 

7,32 

8 

Frl. v. H. 

19,7 

112—116 

120 

123,3 

33,6 

19,7 

43,1 

7,34 

I 7,295. 

9 

Fü. 

20.6 

143—146 

145 

113,1 

37,5 

20,6 

47,0 

7,325 

7,305 

10 i 

KU. 

21,4 

106-122 

117 

107,3 

39,8 

21,4 

49,1 

S 7,315 

i 7,315! 









c) Atmung aus einem 

11 

Fi. 

20,8 

102—110 

119 

111,7 

39,7 

20,8 

51,1 

7,34 

1 7,34 «■ 

12 

Ko. 

21,0 

106-110 

114 

99,9 

43,8 

21,0 

48,1 

7,27 

1 7,30 fi 

13 

Frl. PU. 

20,7 

112—119 

129 

98,7 

38,3 

20,5 

46.0 

7,31 

7,29 

14 

Mü. 

22,7 

113-118 

123 

102,2 

39.0 

22,7 

42.0 

7,26 

7,255 / 

15 

Bn. 

18,7 

122—124 

125 ‘ 

99,5 

38,9 

18,7 

48,4 

7,32 

7,31 1 









d) Willkürliche 

16 

Gr. 

20,7 

103-107 

111 

113,4 

37,8 

20,7 

48,3 

7,33 

7,31 ] 

17 

Szy. 

21,9 

94-105 

101 

93,1 

36,9 

21,6 

48,5 

7,345 

7,32 [ 








e) Apnoe nach Willkür- 

J8 

1 

Frl. A. 

18,5 

125—126 

129 

112,6 

34,1 

18,5 

(44,2) | 

1 

1 

(7,33) 

; 



stoff bindungskurven von Bohr, Hasselbalch u. Krogh 1 ) den 
Sauerstoffgehalt des Arterienblutes annähernd berechnen, doch wird 
über die Fehlerquellen dieses Vorgehens später noch eingehender zu 
sprechen sein. 

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in einer Tabelle zu- 


1) Zentralbl. f. Physiol. Bd. 17, 1904. 






Experim. Unters, üb. d. Beziehungen zw. Blutdrucksteigeruugeu u. Dyspnoe. 259 


s uchsergebnisse. 


Nachher 


J .Dauer 
des 

Versuchs 


I 


Alv. (Jas 


Blut- 

druck ; o 4 - co,- 

mm Hg ! Spannung;Spannung 


mm Hg 


mm Hg 


0 ,- 

Gehalt 
in °/o 


Arterienblut 


I 


l C0 S - 
Gehalt 
in °/o 


PH 

reg. 


Differenzen 

+ = Zunahme durch 
Versuch 

— = Abnahme durch 
Versuch 




PH 

reduz 

i 

_ [ 


Blut¬ 
druck 
mm Hg 


PH 

reg. 


PH 

reduz. 


Sauerstoff gefüllten Sack. 


2' 55" 
1*55" 
1*50' 
2* 39" 


152 192,4 

150 — 

173 220,7 

138 218,4 


87,8 

62,1 

58,7 

56,6 


20.4 

62.2 

1 7,165 

7,33 

18,2 

60,3 

1 7,195 

7,335 

21,4 

52,7 

7,165 

7,31 

21,4 

55,1 

7,20 

7,305 


20 —0,15 ; 0.00 

18 —0,145 — 0.005 

16 i— 0,125'4-0.01 
16 —0.14 0.00 


«^füllten 

Sack, der 

NaOH enthielt. 

1*50" 

158 

1 51,6 1 

49,2 

2* 10" 

152 

46,4 

43,2 

2' 44" 

152 

34,1 

26,9 

^ 3*00' 

140 

33,2 

35,8 

2' 26" 

170 

47.4 

35,4 

3' 25" 

149 

35,9 ; 

41,9 


< 16 

57,0 

7,28 

7,335 

- 

(-31 

< 16 

52,9 

7,32 

7,32 

- 

-32 + 

< 13 

45.0 

7,46 

7,31 


-23 -- 

<11 

47.6 

7,35 

7,29 


-20 I-- 

<16 

48,3 

7,36 

7,31 


-25 -- 

< 12 

49,8 

7,295 

7,30 


-32 ! — 


+ 0.005 

I 0.00 


mit Luft gefüllten Sack. 


. 2* 30" 

142 

43,8 

55,9 

<14 

61,3 

7,25 

i 7,33 

+ 23 

-0,09 

— 0.01 

1' 50' 

150 

53,1 

58,5 

< 16 

53,8 

7,17 

7,30 

+ 36 

— 0,10 

0.00 

2‘ 15" 

148 

38,1 

57,5 

<11 

58,1 

7,22 

7,29 

+ 19 

— 0,09 

o;oo 

2' 00" 

153 

63,5 

50,6 

< 19 

48,5 

7,20 

7,26 

+ 30 

— 0,05 

+ 0.005 

1* 36“ 153 

Überven tilatiou. 

47,6 

48,8 

< 14 

55,4 

7,27 

7,32 

+ 28 

-0,05 

+ 0,01 

4* 50“ 

109 ! 

146,2 ’ 

14,0 

20,7 

34,0 

7,645 

7,325 

— 2 

1+0,315 + 0.015 

5* 45" | 94 | 

r 

licher Überventilation. 

147,9 

14,4 

21,9 

37,0 

; 7,66 

! 7,32 

— 7 

! + 0,315 

0.00 

3* 00" + 

' 1*00" 
Apnoe 

127 

j 

1 

99,8 

33,1 

18,5 

43,8 

7,335 

7,30 

— 2 

(+0,005) 

1 



samraengestellt. Betrachten wir zunächst die Ruhewerte. Der 
Blutdruck bewegte sich bei den meisten Versuchspersonen, die alle 
im Alter zwischen 20 und 30 Jahren standen, in normalen Grenzen. 
Schon in der Ruhe wunden bei den einzelnen Messungen Unter¬ 
schiede bis 10 mm Hg, einmal bis 16 mm, gefunden. Unmittelbar 
vor dem Versuch lagen die Werte meist entweder an der oberen 

17* 





260 


COBRT 


Grenze der früheren oder waren, besonders wenn vorher an sich 
niedrige Werte gefunden waren, durch psychische Einflüsse noch 
um 10—12 mm bis auf höchstens 182 mm Hg gesteigert. Zwei 
Personen (Tab. Nr. 3 und 9) hatten bereits in der Ruhe mäßige 
Blutdruckerhöhungen, ohne daß als Ursache dafür organische Ver¬ 
änderungen nachgewiesen werden konnten. Bei den betreffenden 
Herren war auch schon bei früheren Gelegenheiten gesteigerter 
Blutdruck festgestellt worden. Die alveolare C0 2 - Spannung 
schwankte bei den verschiedenen Personen zwischen 35,6 und 
43,8 mm Hg, also in normalen Grenzen. Nur zwei Damen (Tab. 
Nr. 8 und 18) hatten Werte, die mit 33,6 bzw. 34,1 mm Hg etwas 
unter der Norm liegen, was bei Frauen auch von anderer Seite 
gelegentlich beobachtet worden ist. Die Kohlensäurebindungskurven 
liegen innerhalb des in der Weltliteratur festgelegten Normal¬ 
bereiches; Ph reduz. schwankte zwischen 7,29 und 7,34. Nur Herr 
Mü. (Tab. Nr. 14), der an leichter chronischer Bronchitis zu leiden 
angab, hatte einen auffallend niedrigen Wert von 7,255, wie er 
bei Gesunden nur selten beobachtet wird (vgl. Peters, Barr 
und Eule ’)). Ph reg. schwankte von 7,26 (Herr Mü.) bis 7,36. 
Das 0 2 -Bindungsvermögen des Blutes betrug in der Regel etwa 
21%, in einigen Fällen weniger bis 18 °/ 0 , einmal (wieder bei 
Herrn Mü.) 22,7%. 

Bei den ersten Versuchen wurde eine reine Kohlensäure¬ 
dyspnoe erzeugt. Zu diesem Zwecke wurde der Atmungssack 
vor dem Versuche mit Sauerstoff gefüllt. Unter diesen Bedingungen 
wurde die Atmung aus dem geschlossenen Beutel von den einzelnen 
Personen verschieden lange Zeit, im ganzen etwa 2—3 Minuten 
ausgehalten. Die alveoläre Sauerstoffspannung war dabei am Schluß 
der Versuche immer noch beträchtlich höher als in der Norm. Der 
O a -Gehalt des Arterienblutes wird dadurch aber nicht beeinflußt 
Wir wissen (durch Bohr, Hasselbalch und Krogh 1 2 )), daß 
bereits von einer Sauerstoffspannung von etwa 100 mm ab das 
Blut zu 98 % mit 0 2 gesättigt ist und daß weitere Erhöhungen 
der Spannung nichts ausmachen. Bei meiner Versuchsanordnung 
bleibt also der Sauerstoffgehalt im Blute unverändert, nur die 
Kohlensäure wird sich darin anhäufen müssen. Die alveolare C0 2 - 
Spannung war demgemäß am Schluß der Versuche erhöht und zwar 
jeweils um 15—20 mm gegenüber dem Ruhewert. Dem entsprechen 


1) Jouru. of biol. ehern. Bd. 45, S. 489, 1920/21. 

2 ) a. a. 0. 



Experim. Unters, üb. d. Beziehungen zw. Blutdrucksteigernngen u. Dyspnoe. 261 

Verschiebungen der Zahlen für p H reg. von 0,125—0,15 nach der 
sauren Seite hin. Die reduzierten Wasserstoffzahlen sind dagegen 
innerhalb der Versuchsfehler gleich geblieben. Das zeigt in Über¬ 
einstimmung mit meinen früheren Untersuchungen an Kaninchen, 
daß auch beim Menschen eine kurzdauernde C0. 2 -Dyspnoe nicht zu 
einer merkbaren Anhäufung von nicht flüchtigen organischen Säuren 
im Blute führt. 

Der Blutdruck ist nun bei diesen Versuchen trotz der er¬ 
heblichen, bis nahe an die Grenzen des Erträglichen gehenden 
Dyspnoe nur wenig, nämlich nur um 16—20 mm Hg angestiegen, 
ging also bei Gesunden nicht über 152 mm hinaus. Nur bei der 
Versuchsperson mit an sich bestehender leichter Hypertonie wird 
ein Wert von 173 mm Hg erreicht. 

Diese Beobachtungen stimmen auch zahlenmäßig recht gut mit 
den von mir im Tierversuch gewonnenen Ergebnissen überein. Bei 
Kaninchen wurden — bei Chlor&lbydrat- und auch bei Morphium¬ 
narkose — bei gleich großen Verschiebungen der aktuellen Re¬ 
aktion des Arterienblutes Blutdruckerhöhungen von 5—15 mm Hg 
beobachtet. Da der Blutdruck beim Kaninchen nur etwa halb so 
hoch ist wie beim Menschen, ist also der prozentuale Blutdruck¬ 
anstieg bei gleicher Änderung der regulierten Wasserstoffzahl etwa 
derselbe. Daraus darf man wohl den Schluß ziehen, daß zwischen 
Mensch und Kaninchen bezüglich der Erregbarkeit 
des Gefäßzentrums durch CO s -Anhäufung im Blute — ebenso 
wie auch beim Atemzentrum — kein nennenswerter 
Unterschied besteht. 

Die weiteren Versuche beziehen sich auf die Sauerstoff¬ 
mangel-Dyspnoe. Diese wurde dadurch erzeugt, daß aus dem 
geschlossenen Gummisack immer wieder dieselbe Luft geatmet, die 
gebildete Kohlensäure aber durch eingebrachte Natronlauge ab¬ 
sorbiert wurde. Ein gleiches Verfahren war früher schon von 
Hai da ne und Poulton 1 ) angewandt worden, nur diente ihnen 
Natronkalk als Absorptionsmittel. In Versuch 5 habe ich 15 ccm 
einer 10 °/ 0 igen, später 50 ccm einer hochkonzentrierten 25 bis 
30°/ o igen Lauge in den Atemsack eingefüllt und die Kohlensäure¬ 
bindung noch durch leichtes Schütteln während des Versuches 
unterstützt. 

Bevor wir zur Besprechung der Versuchsergebnisse übergehen, 
müssen noch die für den O s -Gehalt des Arterienblutes bei Sauerstcff- 


1) Journ. of Physiol. Bd. 37, S. 390, 1908. 



262 


COBEX 


mangel gewonnenen Werte einer eingehenden Kritik unterzogen werden. 
Wie bereits auseinandergesetzt wurde, sind diese Zahlen aus den Werten 
für das 0 2 -Bindungsverinögen und den gefundenen Alveolargasspannungen 
an Hand der Sauerstoffbindungskurven von Bohr, Hasselbalch und 
K r o g h 1 ) rechnerisch ermittelt worden. Dieses Vorgehen setzt voraus, 
daß die Alveolarluft mit dem Arterienblute in völligem Spannuugsgleich- 
gewicht steht. Für die Kohlensäure wird das zwar allgemein anerkannt, 
für den Sauerstoff aber trifft es offenbar nicht in gleichem Maße zu. In 
neuerer Zeit haben besonders A. und M. Krogh 2 ) in sorgfältigen 
Untersuchungen an Kaninchen nachweisen können, daß unter ver¬ 
schiedenen Bedingungen die Sauerstoffspannung des Arterienblutes regelmäßig 
niedriger ist als die der Alveolarluft und zwar durchschnittlich um etwa 2 °/ 0 
des atmosphärischen Druckes, also um etwa 15 mm Hg. Nun lehrt ein 
Blick auf die Kurven von Bohr, Hasselbalch und Krogh, 3 ) daß 
bei hohen Sauerstoffspannungen über 80 mm Hg derartige Unterschiede 
für die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins nur sehr wenig ausmachen. 
Die in der Ruhe und bei reiner C0 2 -Dyspnoe gewonnenen Werte für 
den 0 2 -Gehalt des Arterienblutes dürften praktisch also nahezu richtig 
sein (Fehler höchstens 1 °/ n Sauerstoff). Bei niedrigen 0„-Spannungen, 
besonders unterhalb von 50 mm Hg, hat dagegen schon ein geringer 
Abfall der Spannung eine beträchtliche Einbuße an Sauerstoffbindungs¬ 
vermögen zur Folge. Nun haben, soweit ersichtlich, A. und M. Krogh 
die Verhältnisse bei so niedrigen 0 2 -Spannungen nicht untersucht. Wenn 
aber auch in diesem Bereiche ihre Schlußfolgerungen zutreffen, so sind 
die von mir bei Sauerstoffmangel für den 0 2 -Gehalt des Blutes errech- 
neten Werte beträchtlich zu hoch und zwar um mehrere Prozente 
Sauerstoff. 

Im Gegensatz zu Krogh fanden Douglas und Haldane 4 ) unter 
normalen Verhältnissen das Arterienblut auch bezüglich des 0 2 -Gehaltes 
mit der Alveolarluft im Spannungsgleichgewicht, bei Sauerstoffmangel 
aber soll sogar die 0 2 -Spannung im arteriellen Blute höher sein als in 
den Alveolen. Das würde eine aktive Gassekretion der Alveolarepithelien 
voraussetzen, eine Anschauung, die „heute so gut wie allgemein abge¬ 
lehnt“ wird (Rosemann 5 )). Nach Douglas und Haldane soll die 
aktive Sekretion der Lunge erst indirekt durch Stoffe, die sich bei 
Sauerstoffmangel im Gewebe bilden sollen, angeregt werden. Sie soll 
daher auch erst nach einiger Zeit voll zur Geltung kommen. Auch aus 
diesem Grunde kann von der Berücksichtigung dieser Möglichkeit bei 
unseren kurzdauernden Versuchen wohl abgesehen werden. 


1 ) a. a. 0. 

' 2) Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 23, S. 179, 1910. 

3) Eine bessere Wiedergabe dieser Kurven findet, man bei Plesch, Zeit- 
selir. f. experim. Pathol. u. Ther. Bd. 6, S. 486, 1909. 

4) Journ. of Physiol. Bd. 44, S. 305, 1912. 

5) Landois-Rosemann, Lehrbuch der Physiol. des Menschen, 18. Aufl., 
S. 214. Urban und Schwarzenberg, Berlin u. Wien 1923. 



Experim. Unters. Wb. d. Beziehungen zw. Blutdrucksteigerungen u. Dyspnoe. 263 

Ich glaube also, daß die bei Sauerstoffmangel errechneten Zahlen 
für den 0 2 -Gehalt des Arterienblutes wahrscheinlich zu hoch, viel¬ 
leicht sogar beträchtlich zu hoch sind und daher nur ein Urteil 
darüber gestatten, bis zu welchem Grade der Sauerstoff im Blute 
unter den gegebenen Bedingungen mindestens abgesunken ge¬ 
wesen ist. 

Durch die Unsicherheit der Sauerstoffbestimmung wird leider auch 
die Genauigkeit der C0 2 -Werte und der regulierten Wasserstoffzahlen 
bei 0 2 -Mangel etwas beeinträchtigt. Wie von Christiansen, Dou¬ 
glas und H a 1 d a n e nachgewiesen und von H a s s e 1 b a 1 c h 1 2 ) u. a. 
bestätigt worden ist, vermag defibriniertes Blut bei Sauerstoffsättigung 
weniger Kohlensäure aufzunehmen als bei geringem 0 2 -Gehalte. Das 
Oxyhämoglobin ist offenbar eine stärkere Säure als das reduzierte Hämo¬ 
globin. Für Oxalatblut wurde dieses Verhalten zwar von Haggard 
und Y. Henderson 3 ) bestritten, dem stehen aber neuere Untersuchungen 
von Joffe und Poulton, 4 * ) sowie von Peters, Barr und Rule 6 ) 
entgegen, die in dieser Beziehung keinen nennenswerten Unterschied 
zwischen defibriniertem und Oxalatblut nachweisen konnten. 

Nun wird bei der aerotonometrischen Methode zur Bestimmung der 
regulierten Wasserstoffzahl, wie sie hier angewandt worden ist, das C0 2 - 
Bindungsvermögen immer bei Sauerstoffsättigung bestimmt, während tat¬ 
sächlich bei der Sauerstoffmangeldyspnoe ein Teil des Hämoglobins im 
Arterienblut sich in reduziertem Zustande befindet. Es würden daher 
die CO ä -Bindungswerte und die daraus errechneten Zahlen für pn reg. 
etwas zu niedrig ausfallen. Um diesen Fehler auszugleichen, ist von 
Peters, Barr und Rule eine Korrektur nach der Formel 

D = K X Hb 

Torgeschlagen worden. Darin bedeutet D diejenige C0 2 -Menge aus¬ 
gedrückt in Volumprozenten, um die die C0 2 -Bindungskurve bei unvoll¬ 
ständiger Sauerstoffsättigung erhöht werden muß; Hb ist das Sättigungs¬ 
defizit an Sauerstoff ausgedrückt in Volumprozenten 0 2 und K ist eine 
Konstante, deren Wert nach empirischen Feststellungen in dem für uub 
in Betracht kommenden Meßbereich etwa 0,34 beträgt. Fehler in der 
Sauerstoffberechnung haben, wie aus der Formel ersichtlich ist, auch 
entsprechende Fehler in den Korrektionswjrten zur Folge. Allerdings 
macht das, wie sich leicht errechnen läßt, nicht viel aus, da ja nur das 
Korrektionsglied betroffen wird. Die regulierten p^-Werte dürften unter 
den ungünstigsten Umständen höchstens um 0,03 zu niedrig ausfallen, 
ein Unterschied, der bei elektrometrischer Bestimmung der aktuellen 
Reaktion des Blutes kaum die Beobachtungsfehler übersteigen würde. 


1) Journ. of Physiol. Bd. 48, S. 244, 1914. 

2) Biochem. Zeitschr. Bd. 78, S. 112, 1917. 

3) Journ. of biol. Chem. Bd. 45, 8. 215, 1920/21. 

4) Journ. of Physiol. Bd. 54, 8. 129, 1920/21. 

6 ) a. a. 0. 



264 


COBET 


Wahrscheinlich sind die Abweichungen aber geringer und können jeden¬ 
falls die späteren Schlußfolgerungen nicht beeinträchtigen. 

Die reduzierten Wasserstoffzahlen beziehen sich alle auf Blut gleicher 
Sauerstoffspannung und sind daher von den genannten Fehlerquellen un¬ 
abhängig. 

Um einen besseren Einblick in die Art der Berechnungen zu ge¬ 
währen , sollen diese bei einem Versuch als Beispiel durchgeführt werden 
und zwar nur an dem am Ende des Versuches gewonnenen Blute. 

Auszag aus dem Protokoll von Versuch 6. 

Alveolarluft am Ende des Versuches 

O a -Spannung (durch Analyse bestimmt) 46,4 mm Hg, 
C0 2 -Spannung (durch Analyse bestimmt) 43,2 mm Hg. 

Sauerstoffsättigungsgrad des Hämoglobins nach Kurven von Bohr, 
Hasselbalch und Krogh 

bei 46 mm 0 2 -Spannung und 40 mm C0 2 -Spannung = 75 °/ # , 
bei 46 mm 0 2 -Spannung und 80 mm C0 2 -Spannung = 57 °/ 0 , 

also bei 46 mm O z -SpannuDg und 43 C0 2 -Spannung (interpoliert) 
= 72 %._ 

0 2 -Bindungsvermögen des Blutes 

bei etwa 130 mm 0 2 -Spannung und 40 mm C0 2 -Spannung, also 

bei 98 °/ 0 Sättigung (durch Analyse bestimmt) = 21,6 °/ 0 . 

0 2 -Gehalt des Blutes bei den Gasspannungen der Alveolarluft 

21 6 . 72 

(46,4 mm 0 2 -Spannung und 43,2 mm C0 2 -Spannung) = —— 

98 

= 16 %• 

C0 2 -Gebalt des Blutes bei 43,2 mm C0 2 -Spannung und 98 °/ (> 
Sauerstoffsättigung (durch Analyse bestimmt) = 51,0 °/ 0 . 

0 2 -Gehalt des Blutes bei 98 °/ 0 Sauerstoffsättigung (s. o.) = 21,6 °/ 0 . 

0 2 -Gehalt des Blutes bei Alveolarluftspannungen = 16 °/ 0 . 

Sättigungsdefizit = 5,6 °/ 0 . 

Korrektionsglied nach Peters, Barr und Rule = 5,6 • 0,34 
= 1,9 °/ 0 C0 2 . 

C0 o -Gehalt des Blutes bei den Gasspannungen der Alveolarluft 
demnach = 51,0 + 1,9 = 52,9 °/ 0 . 

Ph reg. nach Hasselbalch’s Formel demnach = 7,32. 

Betrachten wir zunächst die Entstehung der Dyspnoe 
bei Sauerstoffmangel. Die alveolare 0 2 -Spannung ist dabei 
natürlich herabgesetzt und zwar bei den angegebenen Versuch s- 
bedingungen auf Werte von 50—30 mm Hg. Die C0 2 -Spannung 
ist nur in einem Falle (Nr. 7) erheblich gesunken, in den übrigen 
liegen die Zahlen etwas unter oder auch über den Ruhewerten 
der betreffenden Personen. Der Anstieg um 7 mm bei Versuch 5 
könnte vielleicht mit einer mangelhaften Absorption der C0 2 im 
Atmungssack Zusammenhängen, da hier die Menge des Absorptions¬ 
mittels verhältnismäßig gering war, bei den anderen Versuchen 
aber ist das, wie ich mich durch Nachprüfung überzeugen konnte, 



Experim. Unters, üb. d. Beziehungen zw. ßlntdriicksteigerungen u. Dyspnoe. 265 

ausgeschlossen. Das Erhaltenbleiben einer nahezu normalen C0 2 - 
Spannung erscheint zunächst auffallend. Man sollte eigentlich er¬ 
warten, daß die einsetzende Dyspnoe durch verstärkte Ventilation 
der Lungen zu einer Ausschwemmung von Kohlensäure und damit 
zur Herabsetzung der C0 2 -Spannung in der Alveolarluft führen 
müßte, wie das ja in Versuch 7 tatsächlich geschehen ist. Hal- 
dane und seine Mitarbeiter haben aber gezeigt, daß die Vermin¬ 
derung der 0 2 -Spannung der Alveolarlnft schon beträchtlich sein 
muß, ehe eine derartige Wirkung zustande kommt (Haldane und 
Lorrain Smith, 1 ) Haldane und Priestley. 2 3 ) Boycott und 
Haldane, 8 ) Haldane und Po ul ton 4 5 * )). Sowohl bei Sackatmung 
mit Absorption der Kohlensäure als auch bei Atmen in einer Stahl¬ 
kammer mit vermindertem Luftdruck wurde fejtgestellt, daß 
die alveolare 0 2 -Spannung auf etwa 62 mm Hg herabgesetzt 
sein kann, ohne daß die Atmung merkbar beeinflußt wird, erst 
unterhalb von 50 mm trat eine erhebliche Hyperpnoe ein und erst 
bei etwa 30 mm wurde die Dyspnoe unerträglich. Dabei zeigten 
sich bei verschiedenen Versuchspersonen deutliche individuelle 
Unterschiede. Recht anschaulich werden diese Beziehungen zwischen 
alveolarer Sauerstoff- und Kohlensäurespannnng von Boycott und 
Haldane 8 ) in einer Kurve zur Darstellung gebracht, die bei ver¬ 
mindertem barometrischen Druck gewonnen worden ist. Auch hier 
bemerkt man, daß die C0 2 -Spannung der Alveolarluft erst von 
70 mm 0 2 -Spannung an abwärts zunächst allmählich, von 50 mm 
an dann aber sehr rasch absinkt. Dabei erinnern wir uns daran,, 
daß auch die Sauerstoftsättigung des Hämoglobins nach den schon 
mehrfach erwähnten Kurven von Bohr, Hasselbalch und 
Krogh ein ganz ähnliches Verhalten zeigt, nämlich bei sinkendem 
0 2 -Druck zunächst einen langsamen, von etwa 50 mm Hg an, dann 
aber zunehmenden steileren Abfall. Diese Gegenüberstellung zeigt,, 
wie mir scheint, deutlich, wie die Verstärkung der Atmung und 
der sie bedingende Erregungsgrad des Atemzentrums 
von dem Gehalte des Arterienblutes an Sauerstoff 
abhängig ist. 

Bei meinen Versuchen mit O a -Mangeldyspnoe war nun bei 


1) Zit. nach Douglas, Ergehn, d. Physiol. Bd. 14, 8. 338, 1914. 

2) a. a. 0. 

3) Joitrn. of Physiol. Bd. 37, S. 355, 1908. 

4) a. a. 0. 

5) a. a. 0. Die Kurve findet sich auch bei Douglas, Ergehn, d. Physiol. 

Bd. 14, 8. 360, 1914. 



266 


COBKT 


einem Teil der Fälle die alveolare Sauerstoftspannung nur wenig 
unter 50 mm Hg gefallen, das Erhaltenbleiben der normalen C0 2 - 
Spannung dabei also noch verständlich. Bei Versuch 8 und 10 
aber war der 0 2 -Druck auf 33 bzw. 36 mm gesunken und trotz¬ 
dem der Kohlensäuregehalt der Alveolarluft eher noch etwas an¬ 
gestiegen. Die Abweichung der Versuchsergebnisse von denen der 
Haid an e'sehen Schule sind, wenn nicht die erwähnten indi¬ 
viduellen Unterschiede dabei mit im Spiele gewesen sind, wohl 
dadurch zu erklären, daß bei meinen Versuchen der Atemsack 
ziemlich klein war und daher der Sauerstoffmangel sich sehr schnell 
bemerkbar machte. (Versuchsdauer in meinen Versuchen 1—3% 
Min., bei Haldane und Po ul ton 3 1 /,,—9 Min.) Auch konnte 
wegen der Notwendigkeit noch vorher den Blutdruck zu messen, 
der Versuch nicht bis zur Unerträglichkeit ausgedehnt werden. 
Für die Beurteilung der Versuchsergebnisse ist das Erhaltenbleiben 
der normalen alveolaren CO.,-Spannung nur angenehm, weil dadurch 
der Einfluß des Sauerstoffmangels rein zur Darstellung kommt und 
die Verhältnisse nicht durch sekundäre Veränderungen kompliziert 
werden. 

Die reduzierten Wasserstoffzahlen sind auch bei diesen Ver¬ 
suchen ebenso wie bei der Kohlensäuredyspnoe innerhalb der Fehler¬ 
quellen der Methode gleich geblieben. (Nur in Versuch 10 ist das 
Absinken von p H red. um 0,015 etwas groß.) Wenn man nicht 
eine ebenso schnelle Ausscheidung saurer Valenzen durch den Harn 
annehmen will, kann also die Bildung von Milchsäure in den Ge¬ 
weben bei einem Sauerstoffmangel von kurzer Dauer jedenfalls 
keine nennenswerte Rolle spielen. Das hatte früher schon Dou¬ 
glas 1 ) vermutet und ist auch von Henderson' 2 ) und von Winter¬ 
stein 3 ) nachgewiesen worden. Die Sau er st offmangel dyspnoe 
kommt also offenbar nicht, wie früher angenommen wurde, durch 
eine Anhäufung nicht flüchtiger organischer Säuren im Blute zu¬ 
stande. sondern sie beruht auf Vorgängen, die sich im 
Atemzentrum selbst ab spielen, sie ist also ent¬ 
sprechend den neuesten Ausführungen von Winter- 
stein eine zentrogene Dyspnoe. Die regulierte Wasserstoff¬ 
zahl ist, wie die Tabelle lehrt (in Übereinstimmung mit Hen¬ 
derson und mit Winter st ein), bei den Versuchen mit Sauer- 


1) Ergelm. d. Physiol. Bd. 14, S. 338. 1914. 

2) Zit. nach Winter.stein. 

3) Pfliiger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 187, S. 293, 1921. 



Ixperim. Unters, üb. d. Beziehungen zw. Blutdrucksteigerungen u. Dyspnoe. 267 

stoffmangel meist sogar nach der alkalischen Seite hin verschoben 
gewesen. (Ausnahmen: Versuch 5, wo, wie schon erwähnt, die 
CO,-Absorption vielleicht unvollständig war, und Versuch 10, wo 
auch pa red. besonders niedrig war [nachträgliche Säuerung durch 
bakterielle Infektion?].) In Versuch 7, wo es, wie das bei länger¬ 
dauernder Sauerstoffmangeldyspnoe die Regel sein dürfte, zu. einer 
deutlichen Überventilation der Lungen gekommen war, hat der 
Anstieg von p H reg. sogar den Wert von 0,10 erreicht. Einer 
solchen Veränderung der aktuellen Reaktion des Blutes wirkt nun. 
wie Winterstein 1 2 ) betont, auf die Dauer der Körper durch 
vermehrte Ausscheidung alkalischer Valenzen und durch Ein¬ 
schränkung der NH S -Bildnng entgegen und so kann es sekundär 
zu einem Sinken des C0 4 -Bindungsvermögens des Blutes kommen; 
Ph red. ist dann herabgesetzt. Bei meinen kurzdauernden Ver¬ 
suchen ist das, wie wir sahen, noch nicht deutlich in die Erschei¬ 
nung getreten. (Die Verminderung von Ph red. in Versuch 7 um. 
0,01 liegt innerhalb der Fehlerquellen.) Beim kranken Menschen 
insbesondere bei Fällen von Herzinsufficienz können aber derartige 
Vorgänge eine erhebliche Rolle spielen. 

Der Blutdruck ist bei den Versuchen mit Sauerstoff¬ 
mangel regelmäßig angestiegen und zwar um 20—32 mm Hg. 
also etwas mehr als bei der Kohlensäuredyspnoe. Ein Wert über 
160 mm.Hg ist aber auch hier nur in einem Falle (Versuch 9) 
erreicht worden, bei dem an sich schon eine leichte Hypertonie 
bestanden hatte. Die Erregung des Vasomotorenzentrums, 
nm die es sich ja nach früheren Untersuchungen handeln muß (s. 
bes. Mathison 4 )), kann dabei, wie die Versuche lehren, ebenso- 
w'enig wie die der Atmung durch eine Säurung des Blutes erklärt 
werden, sondern muß, wenn sie überhaupt auf dem Blutwege zu¬ 
stande kommt, mit der verminderten Arterialisation 
des Blutes Zusammenhängen. Wie wir sehen, ist der 0 2 - 
Gehalt des Blutes bei den Sauerstoffmangel versuchen auf mindestens 
16 °/ 0 herabgesetzt gewesen. Die Höchstwerte für den Sauerstoff 
schwanken aber bei den einzelnen Versuchen ziemlich erheblich, 
zwischen 11 und 16 °/ 0 . Es machen sich anscheinend auch hier, 
wie bei dem Einfluß des Sauerstoffmangels auf die Atmung, indi¬ 
viduelle Unterschiede bemerkbar. Das hängt vielleicht damit zu¬ 
sammen, daß für die Sauerstoffversorgung der Zentren 


1) Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 187, S. 293, 1921. 

2) Journ. of Physiol. Bd. 41, 8. 418, 1910. 



268 


COBET 


selbst, auf die es ja schließlich ankommt, neben dem 0 2 - 
Gehalte des Arterienblutes auch die Geschwindig¬ 
keit des Blutumlaufs eine Rolle spielt (vgl. Hill und 
Flack 1 )). Es ist das ein Punkt, der besonders bei Herzinsuffi- 
cienzen wesentlich mit in Betracht gezogen werden muß. 

Wir kommen also zu dem Schluß, daß bei Sauerstoff¬ 
mangel sowohl die Dyspnoe, als auch die Blutdruck¬ 
steigerung durch Vorgänge bedingt sind, die sich in¬ 
folge mangelhafter Sauerstoffversorgung in den 
Zentren selbst ab spielen. Um eine mäßige Erhöhung- 
des Blutdruckes um etwa 30 mm Hg zu bewirken, muß 
bei gutem Kreislauf der 0 2 -Gehalt des Arterien¬ 
blutes um mindestens 25% des normalen, wahrschein¬ 
lich noch weiter herabgesetzt sein. Höhere Grade von 
Hypertonie können durch Sauerstoffentziehung bei Gesunden wegen 
• der dabei auftretenden unerträglichen Atemnot nicht erreicht werden. 
Sauerstoffmangel ist anscheinend ein stärkerer Reiz für das Vaso¬ 
motorenzentrum als eine in ihrer Wirkung auf das Atemzentrum 
gleichstarke C0 2 -Anhäufung. 

Bei den weiteren Versuchen war, wie es in Wirklichkeit meist 
der Fall sein dürfte, Kohlensäureanhäufung und 0 2 -Mangel gleich¬ 
zeitig vorhanden. Der Atemsack war dabei einfach mit*Luft ge¬ 
füllt worden. Bis die Atemnot hochgradig wurde, vergingen in 
diesen Versuchen 1 %—2% Minuten. Wie zu erwarten war, sank 
die 0 2 -Spannung der Alveolarluft und die C0 2 -Spannung stieg ent¬ 
sprechend an. Die reduzierten Wasserstoffzahlen sind wieder gleich 
geblieben, die regulierten entsprechend der C0 2 -Anhäufung nach 
der sauren Seite hin verschoben. (Differenz der p H -Werte zwischen 
0,05 und 0,10.) Einzelheiten mag man aus der Tabelle entnehmen. 
Der Blutdruckanstieg ist im Durchschnitt noch etwas größer als 
bei Sauerstoffmangel gewesen, doch ist auch hier der Wert von 
153 mm Hg nicht überchrittsn worden. 

Bei der Durchsicht der Ergebnisse dieser Versuche gewinnt 
man den Eindruck, daß hier bei der Entstehung von Dyspnoe und 
Blutdrucksteigerung beide Faktoren, sowohl 0 2 -Mangel als auch 
C0 2 -Anhäufung mitgewirkt haben, daß aber doch der Sauerstoff¬ 
mangel den wesentlicheren Anteil hat. Jedenfalls liegen die für 
den 0 2 -Gehalt des Arterienblutes berechneten Maximalwerte etwa 


1) Journ. of Physiol. Bd. 37, S. 77, 1908. 



Expertin. Unters. Ub. d. Beziehungen zw. Blntdrueksteigerungen u. Dyspnoe. 269 

in demselben Bereich wie die bei einer Sauerstoffmangeldyspnoe 
gewonnenen. 

Die letzten Versuche beschäftigen sich mit den umgekehrten 
Verhältnissen, nämlich mit der Blutdrucksenkung bei will¬ 
kürlicher Über Ventilation der Lunge. 

Nächst Mosso 1 ) hat sich besonders Y. Henderson 2 3 ) mit dieser 
Erscheinung etwas näher befaßt. Er beobachtete am Menschen bei will¬ 
kürlich beschleunigter und vertiefter Atmung von ®/ 4 — 1 */ 2 Minuten 
Dauer am Schluß einen Blutdruckanstieg von 20—30 mm Hg (bei Ruhe¬ 
werten von 105—118 mm Hg), in der nachfolgenden Apnoe aber eine 
Senkung um 10—15 mm unter die Norm, ein Verhalten, das sich aller¬ 
dings nicht bei allen Versuchspersonen gleichmäßig nachweisen ließ. Me¬ 
chanische Einflüsse glaubt Henderson dabei ausschließen zu können, 
da bei verstärkter Atmung durch ein Rohr von 4 cm Durchmesser und 

2 mm Länge Apnoe und Blutdrucksenkung ausblieben. Er nimmt an, 
daß das Auswaschen der Kohlensäure ans dem Blute für die Ent¬ 
stehung der Blutdrucksenkung maßgebend sei. Dabei soll es sich aber 
nicht um Beeinflussung des Vasomotorenzentrums handeln, sondern ein 
besonderer „Venendruckraechanismus“ soll dabei eine Rolle spielen. 
Letztere Ansicht Henderson’s lehnen Dale und Evans 8 ) ab und 
führen auf Grund von plethysmographischen Untersuchungen am Tier 
die Blutdruckerniedrigung bei Überventilation auf Herabsetzung des 
Vasomotorentonus zurück. 

In meinen Versuchen 16—17 ist die willkürliche Verstärkung 
^er Atmung so lange durchgeführt w r orden, wie sie ohne erhebliche 
Beschwerden ertragen wurde, was etwa 5—6 Minuten gedauert hat. 
Der Blutdruck ist am Schluß noch während der gesteigerten 
Atmung gemessen worden, und wir sehen, daß er nicht wie bei 
Henderson’s Versuchen angestiegen, sondern eher noch ein wenig 
gesunken ist. Die Alveolarluft, auch noch während der Überven¬ 
tilation entnommen, zeigt bei Erhöhung der 0 2 -Spannung ein ganz 
erhebliches Absinken der C0 2 -Spannung bis auf 14 mm Hg. Die 
reduzierte Wasserstoffzahl ist nicht deutlich verändert, der regu¬ 
lierte pn-Wert aber beträchtlich (um 0,31) angestiegen. 

Bei der Versuchsperson Szy. vom Versuch 17 wurde die Über¬ 
ventilation nochmals wiederholt und dabei die Blutdruckveränderungen 
fortlaufend verfolgt. 

Der Blutdruck betrug vorher 122 mm Hg, während der verstärkten 
Atmung wurden nach 1 Min. 120 mm, nach 2 Min. 118 mm und nach 

3 Min. 116 mm gemessen. Dann wurde die Atmung eingestellt. Nach 


1) Zit. nach Y. Henderson. 

2) Amer. journ. of Physiol. Bd. 21, S. 126, 1908; Bd. 23, S. 345, 1908/09; 
besonders Bd. 25, S. 310, 1909/10; Bd. 27, S. 152, 1910. 

3) a. a. O. 



270 


COBET 


x / 2 Min. Apnoe betrug der Blutdruck 108 mm Hg. Nach etwa 1 Min. 
PauBe setzte spontan die Atmung wieder ein. Nach l x / 2 Min., vom 
Ende der Überventilation gerechnet, war der Blutdruck 108 mm, nach 
2 x / 2 Min. 114 mm und nach 5 x / 2 Min. 115 mm Hg. Wir sehen hier 
entsprechend den Angaben Henderson's den Abfall des Blutdruckes, 
besonders in der Apnoe, eintreten. 

In dem Versuch 18 der Tabelle war das aber wieder nicht der Fall. 
Hier betrug der Blutdruck in der Ruhe 125—126 mm, unmittelbar vor 
dem Versuch 129 mm. Während der willkürlichen Überventilation von 
3 Min. Dauer stieg er langsam bis 136 mm an, um in der Apnoe dann 
innerhalb 1 Min. wieder auf 127 (also nicht unter die Norm) zu sinken. 
Die Gasentnahme wurde nach 1 Min. Apnoe ausgeführt und wir sehen, 
daß die alveolaren Gasspannungen inzwischen wieder Normalwerte an¬ 
genommen haben; auch die Wasserstoffzahlen sind wieder normal. (Be¬ 
stimmungen im vorher entnommenen Blute verunglückt.) 

Bei verschiedenen Versuchspersonen wurden schließlich noch 
Blutdruckmessungen während einer kurzdauernden, dafür aber 
höchstgradigen willkürlichen Steigerung der Atmung gemacht und 
zwar 30—45 Sekunden nach Beginn der Überventilation, dabei 
wurde regelmäßig ein Blutdruckabfall gegenüber dem 
Ruhewerte festgestellt, der zwischen 4 und 17 mm schwankte. Zur 
Kontrolle sind bei diesen Versuchen die Blutdruckbestimmungen 
meist von Ärzten der Klinik ausgeführt worden, die über das vor¬ 
aussichtliche Ergebnis nicht unterrichtet waren, und, wie sie nach¬ 
träglich angaben, eher eine leichte Steigerung des Blutdruckes 
erwartet hatten. Wie demgegenüber das oben erwähnte, ab¬ 
weichende Ergebnis von Henderson zu erklären ist, vermag ich 
nicht zu entscheiden. 

Auffallend ist, daß bei all diesen Versuchen mit willkürlicher 
Überventilation die Ausschläge so wenig gleichmäßig sind. Nament¬ 
lich in den beiden langdauernden Versuchen (Nr. 16 und 17) ist 
die Blutdrucksenkung im Verhältnis zu der beträchtlichen Steige¬ 
rung der Blutalkalescenz merkwürdig gering. Man gewinnt den 
Eindruck, daß hier zwei verschiedene, einander entgegengesetzt 
wirkende Faktoren mit im Spiele sind. Man könnte daran denken, 
daß psychische Erregung den blutdrucksenkenden Einfluß der ge¬ 
steigerten Blutalkalescenz teilweise ausgleiche und gelegentlich 
sogar überkompensiere. Ich glaube das nicht recht, da gerade bei 
den 5 Minuten lang dauernden Versuchen eher eine Ermüdung der 
Aufmerksamkeit der Versuchspersonen zu bemerken war. Auch 
der Einfluß, den die veränderte Reaktion des Blutes peripher auf 
die Gefäße ausübt, wäre in Erwägung zu ziehen. Bei der Blut¬ 
säuerung wird zwar, wie oben schon auseinandergesetzt wurde, die 



Experim. Unters, üb. d. Beziehungen zw. Blntdrucksteigerungen n. Dyspnoe. 271 

periphere gefäßerweiternde Wirkung durch die Erregung des Zen¬ 
trums überkompensiert, ob ein entsprechendes Verhalten sich aber 
auch bei Verschiebungen nach der alkalischen Seite geltend macht, 
bleibt dahingestellt. Es bedürfen diese Fragen noch weiterer 
Untersuchungen. Hier genügt uns zunächst die Feststellung, daß 
eine angestrengte Atemtätigkeit an sich eine solche 
Blutdrucksteigerung, wie wir sie bei der Dyspnoe 
beobachtet haben, nicht zustande bringt. 

Zum Schluß habe ich noch in 7 Versuchen bei kombinierter 
Dyspnoe die Hautkapillaren am Nagelfalz mit dem M üller’schen 
Kapillarmikroskop beobachtet. Wirklich überzeugende Befunde 
habe ich dabei nicht erheben können. Bei 2 Personen trat gar 
keine sichtbare Änderung des Kapillarbildes ein. Bei den anderen 
Fällen hatte ich den Eindruck, daß auf der Höhe der Dyspnoe die 
Strömung etwas langsamer und dabei gelegentlich körnig wurde. 
In einem Falle verschwand eine Schlinge, die an sich schon zarter 
gewesen war als die übrigen und zeitweise körnige Strömung ge¬ 
zeigt hatte, auf der Höhe der Dyspnoe ganz, und nur gelegentlich 
sah man noch, wie sich kurze Blutsäulen durchdrängten. Bei der 
willkürlichen Überventilation habe ich keine deutlichen Verände¬ 
rungen an den Kapillaren wahrnehmen können. 

Die Ergebnisse vorstehender Arbeit können, wie ich hoffe, als 
Grundlage dienen, um die Entstehung von Dyspnoe und Blutdruck¬ 
steigerung bei Kranken mit Herzinsufficienz zu beurteilen. Einzel¬ 
heiten darüber seien einer späteren Veröffentlichung Vorbehalten, 
in der ich über das Verhalten der Wasserstoffzahl des Blutes bei 
Herzkranken berichten werde. 

Zusammenfassung. 

Bei COj-Anhäufung im Blut wird durch die Verschiebung der 
Wasserstoffzahl des Arterienblutes in gleicher Weise wie das 
Atemzentrum auch das Gefäßzentrum erregt, nur ist das Atem¬ 
zentrum wesentlich empfindlicher. 

Bei Absinken des pH-Wertes im Blute um etwa 0,15 entsteht 
eine kaum noch erträgliche Dyspnoe, die Blutdrucksteigerung be¬ 
trägt dabei aber nur rund 20 mm Hg. 

Bezüglich der Erregbarkeit der beiden Zentren besteht zwischen 
Kaninchen und Mensch kein wesentlicher Unterschied. 

Bei 0 2 -Mangel im Blute sind Dyspnoe und Blutdrucksteigerung 
nicht durch Verschiebung der Wasserstoffzahl des Blutes bedingt. 



272 Cobet, Experim. Unters, üb. d. Beziehg. zw. Blutdrucksteigerungen u. Dyspnoe. 


sondern im Sinne von Winterstein zentrogen, d. h. durch Aen- 
derung der h der Zentren selbst hervorgerufen; die Wasserstoffzahl 
des Blutes wird dabei durch verstärkte Ventilation der Lunge nach 
der alkalischen Seite hin verschoben. 

Damit eine Dyspnoe von eben noch erträglicher Stärke ent¬ 
steht, muß bei gutem Kreislauf der 0 2 - Gehalt des Blutes um 
mindestens 25 °/ 0 des normalen, wahrscheinlich aber noch stärker 
herabgesetzt sein, die Blutdruckerhöhung übersteigt dabei kaum 
30 mm Hg. 

Bei kurzdauernder Dyspnoe tritt eine nachweisbare Anhäufung 
nicht flüchtiger organischer Säuren im Blute nicht auf. 

Angestrengte Atemtätigkeit macht an und für sich keine Blut¬ 
drucksteigerung. 

Bei willkürlicher hochgradiger Steigerung der Atmung wächst 
der pH-Wert ira Blute beträchtlich, während der Blutdruck in der 
Begel etwas absinkt (bis um etwa 15 mm Hg). 


Druckfehlerberichtignng za Heft 3. 

Auf S. 139, Zeile 12 von oben, muß es heißen statt 6—10 
9—10. 



273 


Zwei Fälle von Leuchtgas-Vergiftung. 

Von 

Prof. Aufrecht-Magdeburg. 

Der eine der beiden Fälle von Leuchtgas Vergif¬ 
tung mit eigenartigem Verlauf betrifft ein 19jähriges 
Dienstmädchen. Sein Bett stand in der Küche. Im Dezember 1922 
etwas nach 11 Uhr nachts wurde die Dienstherrschaft durch furcht¬ 
bares Schreien, das aus der Küche in ihr Schlafzimmer drang, ge¬ 
weckt. Als das Ehepaar hineilte, machte sich schon vor der 
Küchentür intensiver Gasgeruch bemerklich. Die Tür aber war 
verschlossen. Sie mußte eingeschlagen werden. Es fand sich nun, 
daß der Gasschlauch sich vom Gasrohr gelöst hatte und eine große 
Menge Gas ausgeströmt war. Zunächst wurde der entsprechende 
Gashahn geschlossen und das Fenster der zu ebener Erde gelegenen 
Küche geöffnet. Vor demselben war schon infolge des Schreiens 
das gesamte Dienstpersonal des großen Hauses zusammengelaufen. 
Das Dienstmädchen in der Küche schrie fortwährend und war da¬ 
bei vollkommen bewußtlos. Zufällig befand ich mich in einer Ge¬ 
sellschaft in dem gleichen Hause. Ich wurde etwa 20 Minuten 
nach dem Beginn des Schreiens hinzugeholt. Als ich in den 
Küchenraum eintrat, bestand noch ein so intensiver Gasgeruch, daß 
mir das Atmen schwer wurde. Das Schreien hatte aufgehört. 
Aber es bestand weiter vollkommene Bewußtlosigkeit und beide 
Arme befanden sich in unlösbarer Beuge-, beide Beine in Streck¬ 
kontraktur. Ich ließ die Patientin zunächst in einen anderen Raum 
bringen und eiskalte Umschläge auf den Kopf machen. Nach etwa 
einer Viertelstunde ließ die Kontraktur nach; die Kranke reagierte 
auch auf Anrufen mit Augenaufschlagen, aber zu sprechen war sie 
nicht fähig. Der Puls war die ganze Zeit über kräftig und von 
normaler Frequenz. 


Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143 . Bd. 


18 



274 


Aufebcht 


Am nächsten Morgen erfuhr ich, daß sie hinterher ruhig ge¬ 
schlafen habe und zur gewohnten Zeit aufgestanden sei. Ich fand 
sie schon mit dem Aufräumen der Wohnung beschäftigt. Sie er¬ 
klärte mir, daß sie nur noch über Mattigkeit zu klagen habe. 
Die weitere Erkundigung ergab, daß sie bisher stets gesund ge¬ 
wesen sei insbesondere niemals Zeichen von Hysterie bestanden 
hätten. 

Meines Wissens ist bisher von Schreikrämpfen 
als Einsetzen einer Leuchtgasvergiftung noch nicht 
berichtet worden. Ohne diese wäre zweifellos das Ausströmen 
des Gases länger unbemerkt geblieben und der tödliche Ausgang 
eingetreten. 

Der zweite Fall von Leuchtgasvergiftung betrifft 
mich selbst. Im Sommer 1920 hielt ich mich einige Wochen 
im Harz auf. Eines Tages bestellte ich mir im Hotel ein Bad. 
Um 9 Uhr morgens betrat ich die Badestube, schloß das bis dahin 
offene Fenster und weilte eine Viertelstunde im Bade. Als ich 
fast angekleidet war und ohne jede störende Empfindung dastand, 
knickten plötzlich meine Knie ein — ich hatte noch den Gedanken, 
wie ein Taschenmesser, das einschnappt — und ich lag da. In der 
Vermutung, daß es sich um eine Leuchtgasvergiftung handeln 
könne, bot ich meine ganze Energie auf und schleppte mich nach 
meinem der Badestube glücklicherweise gegenüber liegenden 
Zimmer. Dort brach ich wieder zusammen, lag etwa eine halbe 
Stunde bewußtlos auf dem Fußboden und schleppte mich dann bis 
zu meinem Bett, auf das ich mich warf. Ich lag wohl etwas 
länger wie eine Stunde, ob bewußtlos oder schlafend weiß ich nicht, 
dann konnte ich mich erheben und ankleiden. Erst da bemerkte 
ich, daß meine Fäces, aber nicht der Harn während meiner Be¬ 
wußtlosigkeit abgegangen waren. Gegen 1 Uhr konnte ich schon 
an der Mittagsmahlzeit teiluehmen. Ich war nur etwas matt, aber 
sonst beschwerdefrei. 

Auf meine dem Hotelwirt gemachte Mitteilung von dem Er¬ 
eignis erwiderte er mir, er sei erstaunt, daß mir vom Personal 
nicht mitgeteilt worden sei, ich möchte das Fenster in der Bade¬ 
stube offen lassen, w r eil etwas Gas ausströme. 

Trotz meines sehr guten Geruchssinnes habe ich 
in wachem Zustande keinen Gasgeruch bemerkt. Das 
war wahrscheinlich die Folge der erst nach meinem Eintritt in 
die Badestube einsetzenden und allmählichen Einwirkung geringer 



Zwei Fälle von Leuchtgasvergiftang. 


275 


Gasmengen, die aber doch ausgereicht haben, um eine nicht gerade 
als unerheblich anzusehende Vergiftung zuwege zu bringen. 
Wenn ich ein paar Minuten länger im Bade geweilt hätte, wäre 
ich wohl nicht lebendig herausgekommen. Die Störung der 
Motilität als Vorläufer der Trübung des Bewußt¬ 
seins konnte wohl nur in diesem Stadium der Intoxikation zur 
Wahrnehmung kommen. 


18* 



276 


Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ 
(Direktor: Geh.-Rat Neufeld) 

Abteilung für Tropenkrankheiten (Direktor: Prof. CI. Schilling). 

Eine modifizierte Schttffner’sche ßlutfärbung. 

Von 

Hermann Hackenthal. 

In der Tropenabteilung des Instituts hatte sich das Bedürfnis 
herausgestellt, bei der Malariadiagnose eine Methode der Leuko- 
cytenuntersuchung zu besitzen, die zuverlässiger ist als der bisher 
gebräuchliche Trockenausstrich, die vor allem die Diagnose des 
sog. „Großen Mononucleären“ absolut sicher gestattet, sowie die 
verschiedene Verteilung der Zellen, wie sie im Ausstrich die Regel 
ist, ausschaltet. 

Die vorliegende Arbeit soll nun die Kliniker auf eine schon 
vor Jahren von Prof. Schüffner (Münchener medizinische Wochen¬ 
schrift 1911 Nr. 27) veröffentlichte und von uns etwas modifizierte 
Methode der Vitalfärbung des Blutes (s. u. unter Technik) aufmerk¬ 
sam machen und zu deren praktischer Erprobung anregen. 

Die Fehlerquellen des Trockenausstrichs (Prof. CI. Schilling, 
Deutsche medizinische Wochenschrift 1922 Nr. 40) fallen bei dieser 
Methode fort: Die Verteilung der Blutzellen ist absolut gleich¬ 
mäßig; zerstörte oder künstlich veränderte Zellen sind außerordent¬ 
lich selten; man kann vielmehr beim Vergleich mit dem frischen 
ungefärbten Blute (starke Abblendung) feststellen, daß alle Zellen 
und Kerne ihre vitale Gestalt behalten. Alle im Trockenausstrich 
unterscheidbaren Zellarten lassen sich leicht und sicher voneinander 
trennen. Wie weiter unten ausgeführt, wird aber die Einteilung 
in Segment- und Stabkernige hinfällig. Sicher gestaltet sich die 
Erkennung des „Großen Mononucleären“, sowie dessen Abtrennung 
vom großen Lymphocyten einerseits und dem Myelocyten anderer¬ 
seits. 



Eine modifizierte Schüffnersche Blutfärbung. 


277 


Zu diagnostischen Zwecken weiter ausbaubar erscheint das 
Verhalten der Erythrocyten bei der Färbung mit salzsaurem 
Methylenblau, dasjenige der Leukocyten gegenüber dem Thionin 
und der bei Vitalfärbungen bekannte Färbungs-Entfärbungsprozeß 
der Leukocyten. 


Technik. 

Schüffner’sche Lösung: NaCl 4,0; Borax 0,1; konzentrierte Karbol¬ 
säure 3,0; Formalin 1,0; Aqua destillata 1000,0. 

Auf je 2 ccm Schüffnerlösung 1—2 Tropfen gesättigte wässerige 
Methylenblaulösung (Methylenblau medicinale Höchst) und 1 Tropfen 
gesättigte wässerige Dahlialösung (G. A. Hesterberg, Beilin, Luisen¬ 
straße 39). 

Von dieser Farblösung, die vor dem Gebrauch frisch hergestellt 
sein muß, nimmt man 0,1 ccm in ein schmales zylindrisches Glasgefäß 
(4—5 cm lange Stücke eines Glasrohrs von 0,5—0,7 cm Innenweite, die 
an einer Seite zugeschmolzen sind), dazu 20 cmm Blut. Die Blut¬ 
entnahmekapillare (aus dem Sahli- oder Gower’schen Hämoglobinometer) 
muß kurz zuvor mit Schüffner’scher Lösung durchspült worden sein, da 
sonst ein großer Teil der Leukocyten an der Glaswand (besonders in den 
oberen Teilen — bei Graduierung also zwischen dem 15. und 20. cmm —) 
kleben bleibt; vorheriges Durchziehen mit Schüffnerlösung verhindert 
dies mit Sicherheit. Die Blutmischung wird des öfteren gut durch¬ 
geschüttelt, besonders kräftig vor der Entnahme von Blutfarbstoffgemisch 
zur Untersuchung. Hierzu benutzt man am besten eine — wieder zuvor 
mit Schüffnerlösung durchspülte — Glaskapillare, bringt einen kleinen 
Tropfen auf einen sauberen Objektträger und bedeckt ihn mit einem 
Deckglas. Das Deckglas wird mit Vaseline umrandet, um Verdunstung 
und damit verbundene Zerstörung der Blutelemente hintanzuhalten. Die 
Größe des Tropfens muß so abgemessen sein, daß er „gerade ausreicht“, 
den Zwischenraum zwischen Objektträger und Deckglas zu füllen, das 
heißt einerseits muß der Deckglasrand überall erreicht werden, anderer¬ 
seits darf das Deckglas nicht „schwimmen“. Die Blutzellen liegen dann 
ohne Strömungsbewegungen fast in einer optischen Ebene nebeneinander. 

Bei warmem Wetter geht die Färbung der Leukocyten schneller 
vor sich als bei kaltem. 

Die Erythrocyten bleiben ungefärbt bis auf diejenigen, die 
auch im Trockenausstrich bei Metachromasie als dunkler gefärbt 
erscheinen; diese werden schwach blau bis blau-violett. Kern¬ 
trümmer von Erythroblasten, Punktierungen inklusive der Schüff- 
ner’schen Tüpfelung bei Malaria werden gut gefärbt. Poikilocytose, 
Anisocytose sind einwandfrei kenntlich. 

Der Färbungs-Entfärbungsprozeß an den Leukocytenkernen. 

Bei fortgesetzter Beobachtung kann man folgende Phasen der 
Färbung beobachten: 1. Phase. Die Granula färben sich blau- 



278 


Hackenthal 


schwarz, der Kern nimmt die Farbe nur in Spuren an, das Plasma 
bleibt farblos. 2. Phase. An einer einzigen Stelle der Zellperipherie 
färbt sich dann der zwischen den Granulis liegende Zellinhalt 
(Plasma) dunkler als die die Zelle umgebende Flüssigkeit; es bildet 
sich also bei der Dahlia-Methylenblaufärbung an dieser Stelle eine 
blaue Kuppe. Der Vorgang ist nur selten zu beobachten 1. weil 
die „Einbruchsstelle“ des Farbstoffs an der seitlichen Peripherie 
liegen muß, 2. weil infolge der Klebefähigkeit der Leukocyten, die 
demzufolge in der Mehrzahl an der unteren Fläche des Deckglases 
festsitzen, der dem Beobachter sichtbare Teil mit dem Flüssigkeits¬ 
medium gar nicht in Kontakt steht, der Einbruch also auf der 
entgegengesetzten, unteren Seite erfolgen muß und hier weniger 
deutlich, meist durch den Kern verdeckt ist, 3. weil nach dem Ein¬ 
bruch die Verteilung des Farbstoffs sehr schnell vor sich geht: 
3. Phase. Die Farbstoffkuppe dehnt sich aus, wird dabei blasser 
und man erkennt später die Ausbreitung an dem Nacheinander¬ 
dunkel-Werden von Granulis und Zellkern teilen; Granula und Kern 
reißen den Farbstoff an sich; denn schließlich sind Granula und 
Zellkern gefärbt, das Plasma jedoch wieder farblos. Mit dem letzt¬ 
genannten Grunde (3) steht im Einklang, daß man die Übergänge 
von der gar nicht oder gering gefärbten zur gut gefärbten Zelle 
selten zu Gesicht bekommt. — Die Färbung von Granula und 
Zellkern nimmt allmählich an Stärke zu, um nach Erreichung eines 
Maximums, das längere Zeit beibehalten wird, wieder nachzulassen 
— fast bis zur völligen Entfärbung. Die Unterscheidung von 
schwach gefärbten und entfärbten Zellen ist, leicht und sicher 
(siehe unten). 

Dieser Prozeß verläuft nun aber durchaus nicht gleichmäßig; 
man findet von jeder Leukocytenart gar nicht bis schwach, kräftig 
gefärbte und entfärbte Zellen in demselben Präparate. Das relative 
Mengenverhältnis wechselt natürlich je nach der Färbezeit 

Zum Studium des Kernfärbungsprozesses kann man die Schüff- 
ner’sche Methylenblaufärbung empfehlen. Die Technik ist dieselbe 
wie bei der Methylenblau-Dahliamethode. Man ersetzt den Dahlia- 
tropfen durch einen weiteren Tropfen Methylenblau. Die Granula 
außer denjenigen der Eosinophilen bleiben ungefärbt. Die Färbung 
geht langsamer vor sich. Die besten Bilder liefert altes, azur¬ 
haltiges Methylenblau (Mansonblau). 

Acido-, Neutro-, Basophilie (s. u.) sind für den verschieden 
schnellen Ablauf des Färbeprozesses nicht verantwortlich zu machen. 



Eine modifizierte Schüffner’scbe Blutfärbung. 


279 


Leukocytenbilder nach 30-60 Minuten Färbezeit mit 
Methylenblau-Dahlia. 

I. Das myeloische System. 

1. Polynucleäre. 

Vl a —2 Erythrocytendurchmesser. 

Der Kern blaßblau bis dunkel blauviolett; die Form entspricht 
nicht den aus den Giemsapräparaten bekannten Bildern. Je mehr 
man mit der Technik des vorsichtigen Gebrauchs der Mikrometer¬ 
schraube bekannt wird, um so deutlicher wird, daß die Kerne 
bandförmig sind mit vielgestaltigen, oft scharfwinkligen Windungen 
und Knicken und mehr oder weniger starken keulenförmigen Ver¬ 
breiterungen an den Bandenden, sowie an den oder in der Nähe 
derjenigen Stellen, an welchen das Band in eine andere Richtung 
umbiegt. Zuweilen sind inmitten der Bandverdickungen punkt¬ 
förmige Gebilde zu erkennen. 

Das Plasma farblos, hell leuchtend, mit vielen punktförmigen 
dunklen Granulis, gegen die Umgebung scharf abgegrenzt. 

1 a) Eine seltene Form des Kernes unterscheidet sich folgender¬ 
maßen: Er ist etwas massiger, dunkel blauviolett, doch nicht all¬ 
seitig scharf abgrenzbar, da besonders in den Knickungswinkeln 
eine schmale, nach der Plasmagrenze zu- heller werdende in der 
Kernfarbe gehaltene Chromatinschicht besteht. 

2. Basophile. 

a) Rote, punktförmige Granula im Plasma bei wie gewöhnlich 
gefärbtem, meist hellblauem Kerne. 

b) Kern farblos, massig, zuweilen nur als verwaschener grau¬ 
blauer Untergrund in Erscheinung tretend. Der schmale Proto¬ 
plasmasaum wird von einer relativ kleinen Zahl grobkörniger 
kugeliger Granula ausgefüllt, die im Zentrum schwarzblau er¬ 
scheinen, aber einen rotvioletten Rand haben. Eine besonders 
schöne Granulafärbung erreicht man bei diesen Zellen mit Azur 
= altem rötlich schimmerndem Methylenblau oder reinem Azur 
= mit Chloroform aus altem Methylenblau extrahiert. 

3 Eosinophile. 

I 1 /, — 2 Erythrocytendurchmesser. Die Zellen sind vollgepfropft 
mit groben, schwarzblauen Granulis von unregelmäßiger Form; 
zwischen diesen kommt ein hell leuchtendes Protoplasma (wie bei 
den gewöhnlichen Polynucleären) zum Vorschein, das selbst farblos 
ist. Sehr oft ist der Kern durch die Granula verdeckt, zuweilen 



280 


Hackenthal 


aber sind die Granula besonders an einer Zellseite angehäuft und 
es läßt sich ein schwach bis mittelstark gefärbter bandförmiger 
Kern in dem granulaarmen Zellteil sehen. 

4. Eine andere seltene Leukocytenart zeigt in der Kernform 
eine Übereinstimmung mit den Polynucleären, doch gebührt ihr 
wegen der Größe, anderen Färbbarkeit und Plasmastruktur eine 
Sonderstellung: Die Zellen sind 2—4mal so groß wie die Poly¬ 
nucleären, haben eine unregelmäßige Begrenzung. Der Kern ist 
bandförmig und der Zellgröße entsprechend größer als derjenige 
der Polynucleären, stets blaßblau gefärbt, scharf abgrenzbar — 
der Rand wie mit einer Tuschefeder gezogen —. Das Plasma ist 
hell, nicht leuchtend, farblos, völlig strukturlos mit wenigen bis 
mittelvielen graublauen punktförmigen Granulis. Diese Zellen 
neigen anscheinend zum Zerfall, denn nach 1 Stunde Färbezeit 
konnte ich sie nur in verschwindend wenigen Fällen nachweisen. 

5. Myelocyten. 

1V 2 —3 Erythrocytendurchmesser. Runde bis leicht ovale Kerne, 
denjenigen der Lymphocyten oft sehr ähnlich, doch ca. x / 2 bis noch 
einmal so groß. Der Unterschied gegenüber dem Lymphocyten kern 
ist außer der Größe folgender: Der Myelocytenkern besitzt eine 
wenn auch undeutliche Innenstruktur, die sich in Form von wenigen 
graublauen strich- oder punktförmigen unscharf abgrenzbaren 
Stellen zeigt. Das Kernkörperchen ist bedeutend größer, oft 
bläschenförmig, zuweilen unregelmäßig begrenzt, hebt sich deutlich 
vom übrigen Kern infolge der dunkleren Färbung ab. Oft bestehen 
neben dem Kernkörperchen noch 1—2 ähnliche, aber kleinere und 
weniger intensiv gefärbte Kerneinschlüsse. 

Bezüglich der Stärke der Färbung sind alle eingangs be¬ 
schriebenen Unterschiede vorhanden. 

Das Plasma ist farblos, leuchtend hell, demjenigen der Poly¬ 
nucleären sehr ähnlich. Granula können völlig fehlen, andererseits 
in den verschiedensten Arten und Mengen vorhanden sein von den 
feinkörnigen Formen der Polynucleären bis zu den groben der 
Eosinophilen. 

Die Stigmata (großer runder [Lymphocyten-] Kern bei hell 
leuchtendem [Polynucleären-Zellen-] Plasma) machen die Diagnose 
des Myelocyten leicht. 



Eine modifizierte Schüfiuer’sche Blutfärbnng. 


281 


II. Das lymphatische System. 

1. a) Lymphocyten. 

Sie sind charakterisiert durch einen runden, ausgesprochen 
bläschenförmigen Keim mit einem exzentrisch liegenden Kern¬ 
körperchen. 

Der Kern hat keine erkennbare Innenstruktur, seine Färbung 
ist gleichmäßig zart hellblau oder kräftig blauviolett (wie die 
dunklen Kerne der Polynucleären). Die Kernumgrenzung ist scharf, 
das Kernkörperchen punktförmig. Die kleinen Lymphocyten haben 
kreisrunde Kerne, die großen zuweilen eine leicht ovale Kernform 
infolge einer kleinen dellenförmigen Einbuchtung in der Nähe des 
Kernkörperchens. Bei der letztgenannten Art kommen, wenn auch 
sehr selten, zwei Kernkörperchen vor. 

Nach der Protoplasmamenge kann man die Lymphocyten in 
„große“ und „kleine“ trennen. Die kleinen Lymphocyten haben 
davon nur einen kleinen allseitig gleichmäßigen Hof um den Kern, 
oft so fein, daß er kaum kenntlich ist. 

Das Protoplasma unterscheidet sich wesentlich von dem der 
Polynucleären: Es leuchtet nicht hell auf. Bei den meisten Lympho¬ 
cyten findet man eine Gliederung in Ekto- und Entoplasma durch 
die im letztgenannten befindlichen Einlagerungen. Diese bestehen 
aus amorphen kleinen Klümpchen, manchmal erscheinen sie als 
stäbchenartige Gebilde, die radiär zur Kernmitte angeordnet sind. 
Besonders deutlich tritt das Entoplasma bei den kleineren Lymplio- 
cytensorten hervor, w r o es kappenförmig (halbmondförmig) dem 
Kern an der Seite anliegt, zu der das Kernkörperchen hinge¬ 
lagert ist. 

Es kommen Zellen mit ovalem, zwei Kernkörpercheu-haltigem 
Kerne und nicht leuchtendem Protoplasma vor, bei denen man im 
Zweifel sein kann, ob man sie zu den großen Lymphocyten oder 
den großen Mononucleären rechnen soll. Diese „fließenden Über¬ 
gänge“ sind jedoch derart selten, daß sie praktisch das Resultat 
der Differentialzählung nicht beeinflussen. 

Blaßblau gefärbte Lymphocyten findet man stets — auch wenn 
das Blut mehrere Stunden gefärbt ist. Man kann solche Zellen 
mehrere Stunden lang kontinuierlich beobachten: Der Kern behält 
seinen hellblauen Farbton im Gegensatz zu der sich dunkel färben¬ 
den Lymphocytenart, quillt aber etwas auf. Da der Prozentsatz 
dieser Zellen bei gleichbleibender Gesamtzahl der Lymphocyten 
sehr schwankt, läßt es sich nicht feststellen, ob es sich um bloße 



282 


Hackenthai. 


physiologische Eigentümlichkeiten derselben Zellart (Alter usw.) 
oder um zwei verschiedene Lymphocyten arten handelt. 

b) Eine andere Lymphocytenart hebt sich besonders bei den 
Färbeversuchen mit Thionin (s. u.) besonders ab, d. h. sie färbt 
sich zuerst von allen anderen Zellen bei Beobachtung des Färbe¬ 
prozesses unter dem Mikroskop. Sie läßt sich morphologisch im 
Dahlia-Methylenblaupräparate erkennen: Der Kern ist etwas kleiner 
als der gewöhnliche Lymphocytenkern, hat eine feine Innenstruktur 
und liegt genau konzentrisch in einem großen Protoplasmahof (oben 
beschriebenes Lymphocytenprotoplasma). Die Färbung ist meist 
kräftig blauviolett. Ein Kernkörperchen ist vorhanden, liegt aber 
nicht so nah an der Peripherie wie bei den übrigen Arten. Die 
Zellgröße beträgt l x / 2 —2 Erythrocytendurchmesser. Das Proto¬ 
plasma besitzt keine Einlagerungen. 

Bei allen Lymphocyten arten sieht man oft neben den für das 
Lymphocytenprotoplasma typischen, entoplasmatischen Einlage¬ 
rungen einige wenige echte Granula, wie man sie bei den Poly- 
nucleären trifft. Diese liegen im Plasma meist in der Nähe des 
Kernkörperchens, ohne in ihrer Lage an Ekto- oder Entoplasma 
gebunden zu sein, können aber auch fehlen. 

2. Große Mononucleäre. 

Größe l 1 / 2 —2 Erythrocytendurchmesser. Kernstruktur und 
-färbbarkeit entspricht den Verhältnissen, die bei den gewöhnlichen 
Lymphocyten beschrieben sind. Die Kerne sind groß und haben 
häufig Nierenform. An beiden Nierenenden befindet sich ein punkt¬ 
förmiges Kernkörperchen. Die die Nierenform bedingende Kem- 
einschnürung kann verschieden stark ausgeprägt sein; im Extrem 
stellt der Kern eine doppelte Birnenform dar. Das Protoplasma 
ist charakteristisch für diese Zellart: Es entspricht zwar demjenigen 
der Lymphocyten bezüglich seines Verhaltens gegenüber dem durch¬ 
fallenden Lichte, ist aber nicht in Ekto- und Entoplasma ge¬ 
schieden und zeigt eine zart blaue bis mittelkräftig blauviolette 
Färbung. Diese beruht auf einer gleichmäßigen staubartigen Ver¬ 
teilung über das ganze Protoplasma von dicht stehenden Ein¬ 
lagerungen feinster Pünktchen und Klümpchen, wie man sie im 
Entoplasma der Lymphocyten findet. — Bei den schwach gefärbten 
Kernen entspricht die Kernfarbe derjenigen des umgebenden Proto¬ 
plasmas, bei den stark gefärbten hebt sich der Kern durch seine 
dunklere Farbe ab. 

3. Beim Studium der Blutbilder einer myeloischen Leukämie 
fand ich eine Zellform, die morphologisch den Myelocyten ähnelt, 



Eine modifizierte Schüffner’sche Blutfärbnng. 


283 


aber nach dem Verhalten des Plasmas zu dem lymphatischen 
System gerechnet werden muß. Der Kern entspricht den oben be¬ 
schriebenen Myelocytenkernen, hat aber oft eine deutliche dunkle 
Kernmembran, das Plasma ist gefärbt und zeigt dieselben Eigen¬ 
heiten wie dasjenige der großen Mononucleären (s. u.). Die Kern¬ 
färbung ist entweder ebenso stark wie die des Plasmas oder 
dunkler. Die Kerninnenstruktur kommt deutlicher als bei den 
echten Myelocyten zum Vorschein. 

4. Erythroblast. 

Entspricht in seiner Größe einem Erythrocyten oder ist eine 
Spur größer. Der Kern ist klein, rund und dunkel, mit einem 
ca. */ 4 — ] /j 80 großen Radius wie ein Erythrocyt. Das Protoplasma 
ist entweder ganz hell und ungefärbt oder schwach blauviolett. 
Ein Teil der Erythroblasten besitzt kleine bis mittelgroße Granula. 

Die entfärbten Zelleu: 

Protoplasma und Kerne haben die Farbe des umgebenden 
Farbstoffmediums. Zell- und Kerngrenzen treten schaff hervor — 
wie mit einer Feder gezeichnet, doch meist etwas verzogen. Die 
Zellen erscheinen kleiner, Granula und Protoplasmaeinlagerungen 
fehlen, die Protoplasmaeigentümlichkeiten gegenüber dem durch¬ 
fallenden Lichte sind verschwunden: Die Zellen machen den Ein¬ 
druck, als seien das Protoplasma und der Kerninhalt ausgelaugt 
und die leeren Hüllen mit der Färbeflüssigkeit angefüllt worden. 

Die übrigen Zellarten des normalen und pathologischen Blutes 
zu beobachten hatte ich mangels klinischen Materials keine Ge¬ 
legenheit. Mit den wiedergegebenen Bildern dürfte wohl der Er¬ 
weis gebracht sein, daß die Methode jedenfalls den differential¬ 
diagnostischen Anforderungen des Praktikers genügt. 

Die relativen Zahlen der Leukocytenarten weichen von den¬ 
jenigen des Trockenausstrichs etwas ab: Die Lymphocyten und 
Großen Mononucleären sind prozentual etwas häufiger auf Kosten 
der Polynucleären. Die Normalstandortzahlen sind folgende: Poly- 
nucleäre: 56—62, Lymphocyten: 27—32, Große Mononucleäre: 
6—8, Eosinophile: 1—3, Basophile und Myelocyten 0—1. 

Zur Klärung der Frage, ob bei dem verschieden schnellen Ab¬ 
lauf der Färbung bei den Leukocyten Acido-, Neutro- oder Baso- 
philie eine Rolle spielen, wurden folgende Versuche angestellt: 

1. Färbung mit salzsaurem Methylenblau: Auf 
1 ccm Schüffner 4—5 Tropfen altes Methylenblau -f- 20 cmm */i 
Salzsäure. 0,1 ccm Farblösung + 20 cmm Blut. Technik wie bei 
der Methylenblau-Dahliafärbung. 



284 


Hackenthal 


Reine Kernfärbung. Wenige Minuten nach dem Hineinbringen 
des Blutes in die Farblösung kann man die oben angegebenen 
Färbungsunterschiede in krassester Form feststellen: Ein Teil der 
Kerne bleibt ebenso wie das Protoplasma farblos. Man muß mit 
stark abgeblendetem und gut zentriertem Lichte untersuchen, um 
die farblosen Zellen nicht zu übersehen; die anderen Kerne sind 
kräftig blau bis blaurötlich. 

An den Leukocyten kann man lebhafte Lobopodienbewegungen 
feststellen: Aus dem hell leuchtenden Protoplasma der Poly- 
nucleären wölbt sich — stets nur in einer Richtung — ein Bruch- 
sacklobopodium aus einer homogenen, klar durchsichtigen, nicht 
leuchtenden und ungefärbten Masse hervor, führt Bewegungen aus, 
wird wieder eingezogen usw. Die Zellgrenze hebt sich als ein 
feiner dunkler Umrandungsstrich ab. Bei den kleinen Lympho- 
cytensorten konnte Lobopodienbewegung nicht festgestellt werden, 
doch sind Protoplasmabewegungen und Formveränderungen ein¬ 
wandfrei wahrnehmbar. Der Salzsäurezusatz schädigt also die 
Leukocyten nicht. 

Die Erythrocyten sind nur als Schatten vorhanden. In einigen 
Erythrocyten sieht man blauschwarze Klümpchen oder Pünktchen, 
zuweilen in Form eines keilförmigen Strichs. Sehr selten kommt 
folgendes Formelement vor: Eine schwarzblaue Kugel in fast 
Erythrocytengröße. Im eigenen Blute waren die angegebenen Er¬ 
scheinungen so selten, daß sie anfangs für ein Zufalls- oder Kunst¬ 
produkt gehalten wurden. Bei der Untersuchung pathologischer 
Blutbilder (Scharlach, Ruhr) hatte jedoch die Mehrzahl der Erythro¬ 
cyten derartige Einlagerungen, auch waren die kugeligen Gebilde 
relativ häufig. 

2. Färbung mit Thionin. 

Dieser Farbstoff ist sehr empfindlich gegen Säuren, löst sich 
leicht in Aqua destillata, Alkohol und alkalischen Lösungen mit 
einem kräftig blauroten Farbenton. Mit konzentrierten Laugen 
wird Thionin leuchtend rot, mit konzentrierten Säuren hellblau. 

Technik: 15 Tropfen einer wässerigen (Aqua dest.) gesättigten 
Thioninlösung auf 1 ccm Schüffnerlösung; kurz vor dem Gebrauch 
filtrieren. 0,1 ccm Farbstofl'lösung -f- 20 cmm Blut. Der Blut- 
Farbstofftropfen leuchtet im durchfallenden Licht des Mikroskops 
rot auf. 

Wenn man die Färbung unter dem Mikroskop verfolgt, so 
werden zunächst alle Zellkerne schwach bis mittelkräftig blau, was 
bei den einzelnen Zellen verschieden lange dauert. 



Eine modifizierte Schtiffner’sche Blutfärbnng. 285 

Den weiteren Verlauf beobachtet man am besten an den kleinen 
Lymphocyten. Wie bei der Methylenblau-Dahliafärbung kommt 
es nach einiger Zeit zum Farbstoff„einbruch“, doch färbt das 
Thionin nicht blau sondern rot. Man sieht das Thionin als von 
Anbeginn an zart rosa Wolke eindringen und sich rasch über die 
ganze Zelle ausbreiten. Sobald es auf die entoplasmatischen Ein¬ 
lagerungen und den Kern trifft, nehmen diese nicht etwa erst einen 
dunkleren Blauton an, sondern werden sofort leuchtend rot. In 
der ersten Phase also färbt Thionin den Kern blau, in der zweiten 
rot; das chemische Verhalten der Zelle macht also eine Wandlung 
durch. Da man im Stadium der Blaufärbung des Kernes Proto¬ 
plasmaströmungen und zuweilen Lobopodienbewegung feststellen 
kann, nach dem Farbumschlag jedoch nicht mehr, läßt sich 
schließen, daß mit dem veränderten chemischen Verhalten auch 
die Vitalität der Zelle verändert ist. 

Bei der Thioninfärbung fehlt der Entfärbungsprozeß: nach 
einigen Stunden kommt es zur Auflösung der Leukocyten (rot ge¬ 
färbte Kerntrümmer). 

Bemerkenswert ist das Verhalten der bei der Dahlia-Methylen- 
blaufärbung morphologisch gesondert beschriebenen Lymphocyten- 
art: Sie nimmt als erste den roten Farbton an. 

3. Salzsaure Methylen blau-Thioningegenfärbung. 

Bei einem Präparat mit salzsaurem Methylenblau — ohne 
Vaselineumrandung des Deckgläschens —, das so lange gefärbt ist, 
daß auch die anfangs farblosen Zellen einen kräftig blauen Kern 
zeigen, wird an den Rand des Deckgläschens ein Tropfen gesättigter 
wässeriger Thioninlösung gebracht. Es wirken also dann an der 
Berührungsstelle der beiden Farbstoffmedien ein saurer und ein 
alkalischer Farbstoff. Beim Hineinlaufen des Thionins kommt es 
zu reichlichen Niederschlägen (rote Nadeln, amorphe Klumpen asw.); 
doch kann man feststellen, daß die durch das salzsaure Methylenblau 
zu Anfang zuerst färbbaren, jetzt überfärbten blauen Kerne durch das 
Thionin in wenigen Augenblicken leuchtend rot umgefärbt werden, 
während bei den übrigen diese Umwandlung laugsamer vonstatten 
geht. Dieselben Zellen, die den sauren Farbstoff zuerst annehmen, 
werden auch durch den alkalischen am frühesten gefärbt. An¬ 
scheinend kommen also Acido- oder Basophilie bei dem zeitlich 
verschieden schnellen Ablauf der Kernfärbung nicht in Betracht. 

Zur demonstrativen Darstellung roter und blauer Leukorytenkerne 
nebeneinander in demselben Präparat wurde folgender Weg beschritten: 

1. Einen kleinen Tropfen Blut mit einem ebensogroßen Tropfen 



286 Hackbhthal, Eine modifizierte Schüffner’sche Blutfärbung. 

reinen alten Methylenblaus auf einem Objektträger vorsichtig mit einer 
Impffeder mischen. Der entstehende Blut-Metbylenblautropfen soll mög¬ 
lichst steil und prall sein und durch den Impffedergebrauch recht wenig 
verbreitert werden (Eintrocknungserscheinungen am Bande werden ver¬ 
mieden). 

2. Nach zwanzig Sekunden wird ein Tropfen einer 1 °/ 00 Cyclamin- 
lösung hinzugesetzt und in derselben Art vermischt (Menge variabel: der 
Tropfen muß lasurfarben-blau werden). 

3. Darauf Zusatz von 2 Tropfen Bleiacetat, Mischung. 

4. 1 Tropfen gesättigte wässerige Thioninlösung, Mischung. 

Der Sinn dieser Maßnahmen ist folgender: Es soll eine starke Blau¬ 
färbung der Kerne durch unverdünntes Methylenblau erfolgen. Da das 
Blut in so geringer Verdünnung schlecht unter such bar ist, wird Hämo¬ 
lyse durch Cyclamin erreicht und hinterher das Cyclamin durch Blei¬ 
acetat im Überschuß neutralisiert; Gegenfärbung mit Thionin. Erfolg: 
In jedem Gesichtsfeld 3—4 gut erhaltene Leukocyten, die Erythrocyten 
sind völlig aufgelöst. Der zeitlich verschiedene Ablauf der Färbung 
kommt deutlich zur Darstellung: Die bei den oben angegebenen Methoden 
am schnellsten färbbaren Kerne sind leuchtend rot, der Best kräftig blau. 



287 


Aus der II. medizinischen Klinik (Fr. Müller) München. 

Über den Eiweißumsatz im Stickstoffminimum eines 
Akromegalen und über seine Beeinflussung durch 
Röntgen tiefen bestrahl nng des Kopfes. 

Von 

S. J. Thannhauser und Friedrich Curtius. 

Falta 1 ) hat angegeben, daß bei der Akromegalie die endo¬ 
gene Harnsäureausscheidung erhöht sei. Diese Erhöhung der 
endogenen Harnsäure könnte verursacht sein durch eine Steigerung 
der Harnsäurekonzentration im Urin, gewissermaßen als das Gegen¬ 
bild der Gicht, oder die vermehrte Harnsäureausscheidung könnte 
ihre Ursache haben in einem vermehrten Umsatz der Kern¬ 
substanzen. 

Um diese Frage zu klären, haben wir einen besonders aus¬ 
geprägten Fall von Akromegalie auf das Stickstoffmiuimum gesetzt 
in der Voraussicht, daß eventuell einem erhöhten Abbau der Kern¬ 
substanz auch eine Steigerung des minimalen Eiweißbedarfes, d. h. 
des Wertes für das Stickstoffminimum parallel gehen werde. 

Der 66 jährige L. R. stammt aus gesunder Familie. Die Verwandten 
der mütterlichen Seite waren außergewöhnlich groß. Die eigenen Kinder 
sind normal groß. Mit fünf Jahren hatte Patient Krämpfe. Er war 
ein ziemlich schlechter Schüler. Mit 21 Jahren trat er mit einer Größe 
von 182 cm und Schuhnummer 48 zum Militär ein. 1895 bemerkte er 
ein allmähliches Größerwerden des Unterkiefers, auch Zunge, Nase und 
Unterlippe vergrößerten sich. 

1910 Rheumatismus. 

1914 Atemnot und andere Erscheinungen von Herzinsufficienz (ge¬ 
steigerter Bronchialkatarrh, Ascites, Beinödemo). 

Vita sexualis intakt. 


1) Falta, Berliner klin. Wochenschr. 1912. 



288 


Thannhausee u. Curtius 


Befund: Lange, knollig verdickte Nase, Brognatie, dicke Lippen 
und Zunge, lange Ohren, Tonsillen hypertrophisch, Schilddrüse normal, 
Hirnnerven o. B. 

Mächtiger, faßförmiger Thorax (109 cm) normale, schlecht verschieb¬ 
liche Lungengrenzen, keine Dämpfungen. Vereinzelte trockene R.G. 

Herzgrenzen oben 3. Rippe nach rechts 5 cm, nach links 13 cm 
von der Medianlinie. Systolisches Geräusch besonders über der Spitze 
hörbar. R.R. 200/120. 

Leber um einen Querfinger verbreitert. 

Nervensystem o. B. 

Hände und Füße sehr groß, verdickte Phalangen. Unterschenkel 
etwas ödematös. 

Blutzucker 328. 

Von 100 g Dextrose werden in 24 Stunden 40 g wieder 
ausgeschied en. 

Zucker im Urin vorübergehend nachweisbar, Albumen Opalescenz. 

Röntgenbild des Kopfes: deutliche Vergrößerung der Sella. 

Der Patient wird am 21. IV. auf Stickstoffminimum gesetzt. 

Kostzettel: 


g 


Kalorien 

Eiweißgehalt 

100 

Zucker 

391 

— 

100 

Plätzchen ') 

776 

0,95 

50 

Butter 

380 

0,40 

300 

Sago 

969 

4,50 

400 

Kartoffel 

352 

6,40 

50 

Pudding a ) 

739 

1,10 

400 

Apfelkompott 

236 

1,60 



3843 

14,”95 


Insgesamt werden täglich 15 g Eiweiß = ca. 3 g N eingeführt. 
Gesamtkalorienzahl 3842 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht 39. In den 
mitgeteilten 3 Versuchsreihen wurde die gleiche Kost gegeben. 


Datum 

Urin¬ 
menge 
u. spez. 
Gewicht 

Körper¬ 

gewicht 


U 



Kreatinin 


Gesamt-N 

g % 

Tag M. |g pro kg 

0/ er 

10 & 

Tag M. jg pro kg 

g °/o 

Tag M. 

gpro 

81. IV. 

1900/11 

96,5 

0,039 

0,752 

0.007 

0,092 

1,75 

0,018 

0,463 

8,80 

00 

22. IV. 

1610/12 

96 

0.052 

0,839 

0,008 

0,010 

1,61 

0,016 

0,379 

6,06 

0.0 

23. IV. 

26H0/09 

95,5 

0.031 

0,833 

0 0ü8 

0 060 

1,89 

0.016 

0,252 

6,57 

0.0 

24. IV. 

1540/11 

95 

0,039 

0,609 

0.006 

0,095 

1.46 

0,015 

0,252 

3,89 

0.0 

25. IV. 

2140,09 

95 

0,036 

0.776 

0.008 

0,075 

1,60 

0,016 

0.274 

6.30 

00 

26. IV 

2360/08 

94,5 

0,029 

0,700 

0,009 

0,055 

1,29 

0,013 

0 224 

5,29 

0,0 

27. IV. 

2200/08 

94,2 

0,039 

0,871 

0.009 

0,( >65 

1.42 

0.015 

0,252 

5,55 

o,o 

28. IV. 

2110,09 

93 

0,035 

0,752 

0.0)9 

0.075 

1,58 

0,017 

0,365 

7,70 

0,0 

29. IV. 

2260/10 

93 

0,036 

0,835 

0,009 

0,072 

1,63 

0,017 

0,2667 

6,02 

0,0 


1) Die Plätzchen enthalten 37,6 g Butter, 47,2 g Zucker, 95,2 g Kartoffel¬ 
stärke. 

2) Der Pudding enthält 50 g Ötker, 50 g Zucker, 50 g Butter. 




Über den Eiweißumsatz im Stickstoffminimum usw. 


289 


Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daß die endogene Harnsänre 
(U) absolut und pro kg Körpergewicht berechnet erhöht ist. Nor¬ 
malwerte sind: absolute Menge 0,3—0,4 g Tagesmenge und für das 
kg Körpergewicht berechnet 0,0042—0,0055 g. Unser Akromegaler 
zeigt Tageswerte, die sich zwischen 0,7 und 0,87 bewegen. Auch 
pro kg Körpergewicht berechnet sind die Werte trotz seines hohen 
Körpergewichtes und seiner Größe beträchtlich erhöht. Sie 
schwanken zwischen 0,006 und 0,009 g pro kg Körpergewicht. Dabei 
ist die Konzentration der U im Urin nicht erhöht: die vermehrte 
Ausscheidung geschieht durch verstärkte Diurese. 

Die gleichlaufend bestimmten Kreatininausscheidungswerte sind 
normal: 1,29—1,89 Tagesausscheidung und 0,013—0,018 pro kg 
Köpergewicht. 

Parallel mit der erhöhten Harnsäureausscheidung geht eine 
erhöhte N-Ausscheidung im N-Minimum. Die Normalzahlen für das 
N-Minimum liegen beim Mann mit 60 Jahren nach Hey er und 
Grothe im Mittel 0,037 g pro kg Körpergewicht. Tagesaus¬ 
scheidung im Mittel = 2,33 g N. Bei dem Akromegalen fanden 
wir Werte, die zwischen 0,05 und 0,08 g pro kg Körpergewicht 
schwankten, bei 6,02—7,70 g täglicher Gesamtstickstoffausscheidung 
im Urin. 

Aus diesem Versuch ist zu ersehen: 

1. daß bei unserer akromegalen Versuchsperson die vermehrte 
Ausscheidung der U durch einen vermehrten Umsatz der Vorstufen 
der 0, also der Kernsubstanz, bedingt sein dürfte. 

2. daß neben dem erhöhten Umsatz der Nucleotide auch ein 
erhöhter Eiweißumsatz gegenüber der Norm stattfindet. 

Der akromegale Patient wurde, nachdem er abermals auf 
Stickstoffminimumkost gesetzt war, einer therapeutischen Bestrah¬ 
lung der Hypophyse unterworfen. Wir wollten natürlich mit den 
Strahlen vorzüglich die Hypophyse treffen, es ist aber nach der Art 
der Bestrahlungstechnik das ganze Gehirn der Strahlenwirkung 
ausgesetzt gewesen. 

25. 5. auf die rechte Schläfe 83 °/ 0 H.E.D. 

26. 5. „ „ linke „ 83 °/ 0 „ 

28. 5. „ „ Stirn mitte 83 % „ 

29. 5. Nackenbestrahlung 100 % „ 

Die insgesamt für die Hypophyse berechnete Tiefendosis be¬ 
trägt 98 °/ 0 H E.D. Dies dürfte für eine eventuelle Einwirkung 
auf einen Tumor genügen, da nach Wind die Carcinomdosis 90 
bis 110 °/ 0 H.E.D. beträgt. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 19 



290 


Thannhauser u. Curtius 


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Über den Eiweißumsatz im Stickstoffminirnnm usw. 


291 


Irgendwelche subjektiven Beschwerden sind im Anschluß an 
die Bestrahlung nicht aufgetreten. Patient fühlte sich im Gegen¬ 
teil wohler. Im Aspekt des Patienten war nach der Bestrahlung 
eine Veränderung bemerkbar. Der Patient hatte vor der Be¬ 
strahlung einen verwitterten, groben Gesichtsausdruck. Nach der 
Bestrahlung waren die Gesichtszüge des Patienten wesentlich 
milder, der Gesichtsausdruck war ein anderer. In der Akromegalie 
als solcher war eine Veränderung nicht festzustellen. 

Herr Dr. Hammer hatte die Liebenswürdigkeit die Bestrah¬ 
lung auszuführen. 

Aus diesem Versuch geht hervor, daß durch die Bestrahlung 
bei dem akromegalen Patienten sowohl die endogene Harnsäure¬ 
menge, wie auch die Stickstoffausscheidung im N-Minimum von er¬ 
höhten Werten auf niedere Werte herabgesetzt wurde. Es dürfte 
der Schluß gerechtfertigt sein, daß dieser Befund durch ein Sinken 
des endogenen Umsatzes der Kernsubstanzen wie auch gleichlaufend 
durch ein Absinken des endogenen Eiweißumsatzes im N-Minimum 
verursacht ist. 

Da zur Beurteilung der Bestrahlungswirkung die beiden vor 
der Bestrahlung liegenden Tage der zweiten Versuchsperiode un¬ 
genügend sind, sei auf die Zahlen der ersten Periode verwiesen, 
während welcher der Harnsäure- und Stickstoffumsatz ohne Be¬ 
einflussung untersucht wurden. Wie oben erwähnt, schwanken die 
Tagesmengen, welche der Akromegale an U ausschied, zwischen 
0,70 und 0.87 g. Auf das kg Körpergewicht berechnet schied er 
0,006—0,009 g täglich aus. Demgegenüber stehen die in Tabelle II 
zu findenden Zahlen nach der Bestrahlung: die 0-Tagesausschei¬ 
dung schwankt zwischen 0,38 und 0,77 g. Letzterer Wert wurde 
aber nur noch am 2. Bestrahlungstage erreicht. In der Folge 
wurde der Wert von 0,66 g Tagesmenge nicht mehr überschritten. 
Die Ausscheidung pro kg Körpergewicht schwankt zwischen 0,004 
und 0,008 g. 

Auch der Eiweißumsatz des Akromegalen zeigt durch die Be¬ 
strahlung eine ganz ausgeprägte Verringerung. Den oben er¬ 
wähnten Zahlen (6,02-7,70 g N Tagesausscheidung, 0,05—0,08 g 
N pro kg Körpergewicht), welche aus der 1. Versuchsperiode vor 
der Bestrahlung gewonnen wurde, stehen die in der Tabelle II 
angeführten nach der Röntgenbestrahlung gegenüber. Gesamt- 
stickstoffausscheidung im Harn zwischen 1,49 und 4,09 g bei einer 
Ausscheidung pro kg zwischen 0,01 und 0,04 g N. 


19* 








Über den Eiweißumsatz im Stickstoffminimum usw. 


293 


In einer 3. Versuchsperiode wurde der N-Stoffwechsel des 
Patienten nochmals untersucht und eine erneute (2.) Bestrahlungs¬ 
reihe vorgenommen. 

Die Kost war die gleiche wie bei den vorerwähnten Versuchen. 
Auch die Bestrahlung wurde in gleicher Dosierung vorgenommen. 
Die Abstände der einzelnen Bestrahlungstage waren (aus äußeren 
Gründen) etwas verändert gegenüber der ersten Bestrahlungsserie 
(s. die Pfeile in obiger Tabelle). 

Wie aus Tabelle III hervorgeht, sind die Zahlen für die Harn¬ 
säureausscheidung nach der ersten Bestrahlungsserie niedrig ge¬ 
blieben, d. h. niedriger als in Tabelle I. Die tägliche Ausscheidung 
an U schwankt zwischen 0,167 (einem allerdings ausnahmsweise 
niedrigen Wert) und 0,531 g, die Ausscheidung pro kg Körper¬ 
gewicht zwischen 0,002 und 0,005 g. 

Bei dieser starken Nachwirkung der ersten Röntgentiefen¬ 
bestrahlung, die sich auch in einer deutlichen Besserung des sub¬ 
jektiven Befindens äußerte, war nicht zu erwarten, daß eine 2. Be¬ 
strahlungsserie die N- bzw. die U-Ausscheidung noch weiter herab¬ 
setzen werde. Es zeigen auch tatsächlich die nach der 2. Be¬ 
strahlung gewonnenen Werte (s. Tabelle III) keine wesentliche 
Änderung gegenüber den vorher ermittelten Zahlen. Nach der 
Bestrahlung wurde täglich ausgeschieden zwischen 0,22 und 0,51 g U. 
Die Zahlen pro kg Körpergewicht schwanken zwischen 0,002 und 
0,005 g U. 

Ebenso verhält es sich mit der Ausscheidung von Gesamt¬ 
stickstoff im Harn. Vor der 2. Bestrahlungsserie wurden aus¬ 
geschieden zwischen 3,42 und 5,31 g N pro Tag. Die Ausscheidung 
pro pro kg Körpergewicht betrug 0,035 bis 0,056 g N. Nach der 
2. Bestrahlung wurden ausgeschieden zwischen 2,85 und 4,64 g 
pro die, pro kg Körpergewicht zwischen 0,030 und 0,049 g. Die 
Herabsetzung ist zwar vorhanden, aber zu gering, als daß aus ihr 
eine deutliche' Wirkung auch der 2. Bestrahlungsserie erschlossen 
werden dürfte. 

Ebenso wie während der 1. und 2. Versuchsperiode zeigte der 
Kreatininstoffwechsel auch während der 3. Versuchsperiode keine 
Abweichungen von der Norm. 

Um eine Vorstellung darüber zu gewinnen, ob die hier beob¬ 
achtete Beeinflussung des N-Stoffwechsels durch die Röntgenbestrah¬ 
lung des Kopfes eine allgemein zu beobachtende Erscheinung sei, 
oder ob die Wirkung eine der Akromegalie spezifische Reaktions- 



294 


Thannhauser u. Curtius 


weise darstellt, unterzogen wir auch eine nicht akromegale Ver¬ 
suchsperson etwa gleichen Alters unseren Untersuchungen. 

Der 57 jährige Patient M. A. war wegen Arteriosklerose in unserer 
Klinik in Behandlung. Erhielt vom 3. VII. bis 13. VII. einschließlich 
die gleiche Kost wie Patient L. R., nur mit dem Unterschiede, daß 
M. A. 200 g Kartoffel weniger erhielt. Somit erhielt er täglich 3667 
Kal. Pro kg Körpergewicht erhielt er 60 Kal. Insgesamt täglich 
11.75 g Eiweiß, also ca. 2 g N pro die. Ab 14. VII. erhielt er eine 
geringere Nahrungsmenge (der Pudding verursacht ihm lebhafte Übel¬ 
keit) ; der Kostzettel war jetzt folgender: 


100 

g 

Zucker 

Eiweißgehalt 

Kalorien 

391 

160 

n 

Plätzchen 

0,95 

776 

50 

n 

Butter 

0,40 

380 

20 

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Sago 

3,00 

646 

20 

n 

Kartoffel 

3,20 

176 

40 

V 

Apfelkompott 

1,60 

236 

4 

V 

Pfefferminztee 

— 

— 




9,15 

2605 


Dies entspricht einer täglichen Zufuhr von rund 2 g N und 42 Kal. 
pro kg Körpergewicht. 

Zunächst bestimmten wir in 9 Vortagen die Harnsäure-, Kreatinin- 
und Gesamtstickstoffausscheidung im Urin. Darauf unterzogen wir den 
Patienten einer Röntgentiefenbestrablung des Kopfes; er wurde am 12., 
13., 16. und 18. VII. bestrahlt. Die Dosierung war die gleiche wie 
oben bei Patient L. R. geschildert. Auch dieser Patient zeigte keine 
Störungen weder subjektiver noch objektiver Art. 

Der Patient schied vor der Bestrahlung zwischen 0,103 und 
0,264 g U täglich aus. Pro kg Körpergewicht zwischen 0,002 und 
0,004 g U. Nach der Bestrahlung schwanken die Tagesmengen 
zwischen 0,194 und 0,354 g, pro Körpergewicht werden ausgeschieden 
zwischen 0,003 und 0,005 g U. 

Die Kreatininausscheidung ist ebenfalls normal. Die Aus¬ 
scheidung pro die schwankt zwischen 0,82 und 1,3 g, pro kg Körper¬ 
gewicht zwischen 0,012 und 0,022 g. Diese Zahlen zeigen auch 
keine Veränderungen durch die Bestrahlung. Es werden aus¬ 
geschieden zwischen 0,78 und 1,4 g täglich und zwischen 0,011 
und 0,024 pro kg Körpergewicht. 

Das N-Minimum ist bei den untersuchten Patienten relativ 
hoch. Er scheidet vor der Bestrahlung zwischen 1,20 (ausnahms¬ 
weise niedriger Wert) und 4,18 g N täglich aus. Die nach der 
Bestrahlung ermittelten Zahlen schwankten zwischen 2,75 und 
3,92 pro die. Die Ausscheidung pro kg Körpergewicht beträgt vor 



Über den Eiweißumsatz im Stickstoffminimum nsw. 


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296 Thannhausbe u. Cuhtius, über den Eiweißumsatz im Stickstoffminimum usw. 

der Bestrahlung zwischen 0,020 und 0,067 g N gegenüber 0,046 
und 0,065 nach der Bestrahlung. 

Wir sehen also, daß bei der hier untersuchten nicht akro- 
megalen Person die Röntgenbestrahlung des Kopfes ohne Einfluß 
auf den N-StoffWechsel blieb. 

Zusammenfassung. 

An einem Kranken mit Akromegalie wurde die Beobachtung 
Falta’s bestätigt, daß der endogene Purinwert, d. h. die tägliche 
Harnsäureausscheidung erhöht ist. (Normalzahlen 0,004 bis 
0,0055 g U pro kg. Bei der Akromegalie 0,006—0,009 g Ü 
pro kg.) 

Gleichlaufend mit der erhöhten endogenen Harnsäureausschei¬ 
dung fanden wir eine Erhöhung der Stickstoffausscheidung im 
Stickstoffminimum. (Normalzahlen 0,03—0,05 g pro kg, bei 
einem Individuum gleichen Alters — 60 Jahre — 0,037 g N pro kg 
(Heyer); 60jähriger Akromegaler 0,05—0,08 g pro kg.) Aus 
diesen Befunden zogen wir den Schluß, daß bei unserem akro- 
megalen Patienten der Umsatz der Kernsubstanzen und der Eiwei߬ 
umsatz im N-Minimum erhöht ist. Beide Erscheinungen, Erhöhung 
des Umsatzes der Kernsubstanzen und Erhöhung des Eiweißumsatzes 
im Stickstoffminimum, ließen sich durch Röntgentiefenbestrahlung 
des Kopfes beeinflussen. Die endogene Harnsäureausscheidung und 
die Stickstoffausscheidung im Stickstoffminimum ging von erhöhten 
Werten nach der Bestrahlung auf annähernd normale Werte zurück. 
(0,006—0,009 g U pro kg vor der Bestrahlung, 0,004—0,008 pro kg 
nach der Bestrahlung. 0,05—0,08 g N pro kg vor der Bestrahlung, 
0,01—0,04 g pro kg N nach der Bestrahlung.) 

Ein normales Individuum gleichen Alters zeigte keine Be¬ 
einflussung der N-Ausscheidung im N-Minimum und der endogenen 
Harnsäureausscheidung durch Röntgentiefenbestrahlung des Kopfes. 

Inwieweit die beobachtete Beeinflussung des Eiweiß- und Kern¬ 
substanzumsatzes von seiten des Zentralnervensystems bei unserem 
akromegalen Patienten durch die Bestrahlung der Hypophyse oder 
durch die Bestrahlung anderer Hirnteile verursacht sein dürfte, 
kann bei der angewandten Bestrahlungstechnik nicht angegeben 
werden. 



297 


Aus der zweiten medizinischen Klinik der Universität München. 

(Vorstand: Professor Friedrich Müller.) 

Vergleichende chemische Analysen normaler ond 
pathologischer KörperflQssigkeiten. 

Von 

Ad. M. Brogsitter und Erich Krauß. 

(Mit 1 Abbildung:.) 

Für das Zustandekommen des diabetischen Comas hatte 
Weigert bereits im Jahre 1890 eine toxische Schädigung der 
Plexus chorioidei angenommen. Auf einer ähnlichen Basis ver¬ 
suchte nun neuerdings P. v. Monakow auch das urämische Coma 
zu erklären. Seine Hypothese stützt er einmal durch chemische 
Analysen des Serums und des Liquor cerebrospinalis und daneben 
besonders durch den Nachweis von pathologisch-anatomischen Ver¬ 
änderungen an den Plexus chorioidei bei Urämikern. Diese patho¬ 
logisch-anatomischen Befunde erfuhren von Saito keine Bestätigung 
und auch Tannenberg kommt auf Grund seiner Untersuchungen 
zu dem Schluß, daß die von v. Monakow beschriebenen Ver¬ 
änderungen mit der Urämie an sich nichts zu tun haben. 

Durch v. Monakow’s neue Erklärungsversuche der Urämie 
veranlaßt, teilen wir zunächst eine Reihe von Vergleichsbestim¬ 
mungen mit vom Rest-N, von Harnsäure, Kreatinin und Kochsalz 
im Serum und in der Cerebrospinalflüssigkeit. Vereinzelt finden 
sich in der Literatur bereits ähnliche Untersuchungen angeführt 
(Widal, Javal, Halliburton, Wolf, Schönborn, Woods, 
Rosenberg, Cullen und Ellis, Myers und Fine, Klein u. A. 
Eine systematische Bearbeitung, vor allem im Hinblick auf die 
v. Monakow’sche Hypothese, steht jedoch noch aus. Im be¬ 
sonderen herrscht noch Unklarheit über das Verhältnis von Serum- 
zu Liquor-Harnsäure. 



298 


Bbogsittke u. Krauss 


Tabelle 1. 




Ü 0 


Kreatinin M 

N'aCl 

ßest-N *) 

Nr. 

Diagnose 

im 

im 

Serum-U 

im 

im 

im 

im 

im 

im 



Serum 

Liquor 

: Liquor-U 

Serum 

Liquor 

Serum 

Liquor Serum 

Liquor 

1 

Hysterie 

2,28 

0,68 

3,35:1 

2,34 

2,0 





2 

Gesund 

2.34 

0,75 

3,1 :1 







3 


4,14 

1,68 

2,46:1 







4 


2,76 

1,38 

2.0 :1 







5 

Aortenlues, 











Aneurysma 

2,75 

0,63 

4,37:1 

2,48 

1,77 





6 

Erysipel (abgel.) 

2,05 

0,51 

4,02:1 







7 

Diphtherie 

3,60 

0,94 

3,83:1 







8 

Kombin. Vitium 











cordis decomp. 











ante exitum 

9,25 

2,50 

3,70:1 

3,75 

3,35 





9 

Aortenines, Herz- 











insufficienz 

4,15 

1,20 

3,46:1 

2,40 

2,16 





10 

Arthritis def. 

1,36 

0,56 

2,43:1 







11 

Kombin. Mitral- 











fehler, decomp. 

3.5 

1,55 

2,25:1 

2,10 

2,10 

640 

735 



12 

Myodegeneratio 











cordis 


— 

— 

2,0 

1,48 





13 

Tumor cerebri 

_ 

_ 


2,40 

1,66 

600 

760 



14 


1,75 

0,92 

1,90:1 

1,7 

1,4 

585 

720 

31,0 

42,1 

15 

Hypophysen- 











tumor 

3.0 

0,94 

3.2 :1 







16 

Hämangiom in 











der Nähe des 











Kleinhirns 

3,0 

1,18 

2,54:1 







17 

Encephalitis 

3,95 

1,53 

2,52:1 

2,10 

1,56 

620 

740 



18 

Otitis media, 











Meningitis 

3,7 

1,86 

1,99:1 

2,10 

2,15 





19 


6,7 

4,2 

1,59:1 







20 

Apoplexie, Me- 










ningismus 

2,15 

1,14 

1,89:1 







21 

Absceß im Fron- 











talhirn 

8,35 

4,5 

1,85:1 







22 

Meningitis tuber- 











culosa 

2,40 

1,24 

1,97:1 







23 


2;45 

1,7 

1,44:1 

2,75 

2,75 

480 

560 

23,2 

18,9 

24 

* 

r> 

2,05 

1,56 

1,31:1 

1,25 

1,0 

530 

810 

37,9 

25,3 

25 

Tabes dors. 











Nonne Phase I—, 











keine Zell- 

3,10 

1,11 

2,77:1 

— 


550 

710 

30,9 

16,2 


Vermehrung 






570 

720 



26 

Dementia para- 











lytica. Nonne+, 











Zellvermehrung 

2,24 

1,08 

2,07:1 

2,46 

2,12 





27 

Tabes dors. 











Nonne Phase I+, 

2,19 

1,22 

1,79:1 

1,05 

2,50 

— 

— 

9,83 

10,53 


Zellvermehrung 








* 

♦ 


Wa.-R. ++-f 

2,7 

1,5 

1,80:1 





U—N 

U—N 






Vergleichende chemische Analysen normaler n. pathol. Körperflüssigkeiten. 299 


Fortsetznng der Tabelle 1. 


Nr. 



U 1 ) 


Kreatinin') 

NaCl *) 

Rest-N *1 

Diagnose 

im 1 im 

Sernm- U 
: Liqnor-Ü 

im 

im 

im im 

im 

im 


Sernm j Liquor 

Sernm 

Liqnor 

Sernm Liqnor 

Sernm 

Liqnor 


28 


29 


30 


Lnes cerebro¬ 
spinalis, Zell¬ 
vermehrung, 
Nonne -j- 
Liues congen. 
Epileptiforme 
Anfälle. Zellen 
vermehrt. 
Nonne + 
Tabes dorsal is. 
Zellvermehrung, 
Phase I -f- 


3,5 2,02 


1,73:1 


2,19! 1,3 j 1,68:1 

I I 

2.05 1,42 I 1,44:1 


Die Bestimmungen wurden nach den an unserer Klinik üb¬ 
lichen Methoden ausgeführt. 

Zunächst haben wir die Konzentrationsverhältniszahlen beim 
Normalen festgestellt. Wie aus Tabelle 1 zu ersehen ist, beträgt 
der Harnsäurewert des Liquor höchstens die Hälfte der Serum- 
Harnsäure und ist meist noch geringer. Der Kreatiningehalt ist 
entweder in beiden Flüssigkeiten gleich oder im Liquor etwas 
niedriger. Das Kochsalz zeigt das entgegengesetzte Verhalten, 
indem es um 120—150 mg-°/ 0 im Liquor höher ist als im Serum. 
Soweit wir den Rest-N bestimmt haben, decken sich unsere Be¬ 
funde mit den Angaben von Brun. 

Unter den pathologischen Fällen weisen die Herzinsufficienzen 
dasselbe Verhältnis von Serum-Harnsäure zu Liquor-Harnsäure auf 
wie der Gesunde. Selbst bei schwereren Dekompensationen, wo 
die Harnsäure im Blut stark vermehrt sein kann (Krauß), 
schwankt das Verhältnis zwischen Serum- und Liquor-Harnsäure 
in denselben Grenzen wie bei den normalen Fällen. Dem An¬ 
steigen der Blut-Harnsäure geht parallel ein Anwachsen der 
Liquor-Harnsäure. Für Kreatinin und Kochsalz gilt das Gleiche. 

Ein abweichendes Verhalten bieten die meningitischen Affek- 
tionen; hier ändert sich das Harnsäurezahlenverhältnis zugunsten 
des Liquors, ohne Unterschied der Ätiologie des Krankheitspro¬ 
zesses. Die luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems 
fallen in diese Gruppe, soweit ein positiver Nonne und eine Zell¬ 
vermehrung auf eine Mitbeteiligung der Meningen hinweisen. 


1) In mg-°/ 0 . 





300 


Brogsitter u. Krauss 


Während dagegen eine Tabes dorsalis ohne entzündliche Erschei¬ 
nungen der Meningen den normalen Fällen gleicht. In derselben 
Weise ist bei Fällen von Hirntumor ohne Beteiligung der Meningen 
das Harnsäure Verhältnis von Serum und Liquor wie bei normalen 
Fällen. Dieser Umstand könnte vielleicht als diagnostisches Hilfs¬ 
mittel dienen. In der Mehrzahl unserer Fälle können wir die Be¬ 
obachtung Rosenberg’s, daß bei Meningitiden das Kreatinin im 
Liquor höher ist als im Blut, nicht bestätigen. Das Verhalten des 
Kochsalzes soll im folgenden bei den Nierenerkrankungen noch 
näher besprochen werden. 

In dieser Gruppe haben wir die verschiedenen Formen der 
Nierenerkrankungen zusammengestellt (Tabelle 2). Nach den 
Untersuchungen von P. v. Monakow soll bei der Urämie der 
Prozentgehalt des Liquors an .Harnstoff, Kreatinin und Harnsäure 
sich dem Serumwerte angleichen. Am ehesten könnte dies noch 
für den Harnstoff und den Rest-N gelten, wie neben früheren 
Untersuchungen (Widal, Brun, Myers und Fine) auch aus 
unserer Tabelle hervorgeht. Die Harnsäure und das Kreatinin 
zeigten in unseren Fällen nie das von v. Monakow behauptete Ver¬ 
halten. Gerade in den urämischen Zuständen ist die Konzentration 
des Kreatinins im Liquor ganz erheblich niedriger als im Serum. 
Die Liquor-Harnsäure folgt dem Anstieg der Blut-Harnsäure am 
trägsten. Bei den schwersten Urämien, gleich ob sie langsam oder 
schnell entstanden sind, bleibt die Liquor-Harnsäure fast durchweg 
mindestens um die Hälfte gegen die Serum-Harnsäure zurück. 

Solange sich beim Nierenkranken keine erhebliche Ausschei¬ 
dungsstörung der Stoffwechselschlacken durch Vermehrung der¬ 
selben im Blute anzeigt, bleibt ihr Verhältnis wie beim Gesunden. 
Kommt es aber zu einer Retention, so tritt auch eine Vermehrung 
von Stoffwechselprodukten im Liquor ein. Am schnellsten steigt 
der Rest-N, d. h. der Harnstoff, im Liquor an, dann erst das 
Kreatinin und zuletzt die Harnsäure. Treten, wie z. B. im Fall 9, 
die urämischen Erscheinungen plötzlich auf, so zeigt das Blut eine 
erhebliche Zunahme der Harnsäure, während sich der Harnsäure¬ 
gehalt des Liquors nur unwesentlich ändert. Besteht dagegen die 
Urämie bereits einige Zeit, so gleicht sich die Liquor-Harnsäure 
allmählich der Serum-Harnsäure an. Es wird jedoch die beim 
Normalen gefundene Proportion zwischen Liquor- und Serum-Harn¬ 
säure niemals im Sinne v. Monakow’s wesentlich verändert. 
Ähnlich, wenn auch nicht so ausgesprochen träge, folgt das Krea¬ 
tinin. Bezüglich des Rest-N haben wir den schon vorliegenden 
Befunden nichts Neues beizufügen. 




302 


Bbogsitteb u. Krauss 


Der Kochsalzgehalt des Liquors geht ira allgemeinen dem des 
Serums parallel. Fällt das Serum-Kochsalz im urämischen Stadium, 
wie dies schon länger bekannt ist (v. Monakow), unter den nor¬ 
malen Schwellenwert ab, so kommt dies auch in niedrigeren Liquor¬ 
werten zum Ausdruck. Wahrscheinlich infolge des unaufhörlichen 
Erbrechens sinkt bei manchen Meningitiden der Kochsalzwert im 
Blutserum ebenfalls ab. Aber der Kochsalzgehalt des Liquors geht 
nicht immer parallel dieser Kochsalzverarmung des Serums. Um¬ 
gekehrt aber wird eine Steigerung der Kochsalzkonzentration des 
Serums sehr bald beantwortet mit einer Vermehrung des Liquor- 
Kochsalzes. Fall 19 auf Tabelle 2 veranschaulicht diese Verhält¬ 
nisse, sowie die Tabelle 5, über die noch zu sprechen sein wird. 

Anhangsweise dürfen wir hier vielleicht noch erwähnen, daß 
wir bei 5 Urämikern Methylenblau intravenös injizierten und den 
Liquor entgegen den positiven Angaben von Castaigne nicht 
gefärbt fanden. Bei der Sektion des einen Falles waren sämtliche 
Organe einschließlich der Dura mater blau gefärbt, nur das Gehirn 
nicht. Wir haben auch bei tuberkulösen und septischen Meningi¬ 
tiden Methylenblau intravenös injiziert und niemals eine Blau¬ 
färbung des Liquor feststellen können. Die Aufklärung für diese 
unsere negativen Befunde erbrachte die Versuchsanordnung, die 
Koch zur Bestimmung der Blutströmungsgeschwindigkeit mittels 
Fluorescein angibt. Bei den verschiedensten Krankheitszuständen 
injizierten wir in die rechte Vena cubitalis Methylenblau, zuweilen 
auch Methylenblau-Silber (10 ccm einer 2 °/ 0 igen Argochromlösung). 
Man hätte erwarten sollen, daß das gleichzeitig durch Venae- 
punctio linkerseits abgelassene und in kleinen mit Kaliumoxalat 
(1 gtt. einer 20 °/„igen Lösung) versehenen Reagenzröhrchen fraktio¬ 
niert aufgefangene Venenblut nach Sedimentierung der Blutkörper¬ 
chen ein blaues oder doch blaugrünlich verfärbtes Serum abscheidet. 
Es war jedoch nur die Spur einer solchen Färbung festzustellen, 
ganz im Gegensatz zu der außerordentlich deutlichen Erscheinung, 
die das Fluorescein macht. 

In zahlreichen Versuchen haben wir uns übrigens von der Richtig¬ 
keit der Koch'sehen Angaben überzeugen können. Auch wir haben 
bei schweren Kreislaufstörungen mehrfach eine „Blutströmungsgescbwin- 
digkeit“ von 55—60 Sek. gefunden, die nach Koch eine infauste Pro¬ 
gnose bedeutet. Bei 3 von diesen Fällen gelang es, die Herzkraft 
wieder zu heben und vorübergehend eine „Strömungsgeschwindigkeit“ 
von 25—30 Sek. zu erzielen. Diese Besserung wählte allerdings nur 
einige Monate; im Laufe eines halben Jahres sind auch diese Patienten 
ad finem gekommen. 



Vergleichende chemische Analysen normaler u. pathol. KörpertiUssigkeiten. 303 

Bei der spätestens eine halbe Stunde nach der Yenaepunctio 
ausgeführten Lumbalpunktion haben wir niemals nach intravenöser 
Methylenblauinjektion einen auch nur spurenweise gefärbten Liquor 
erhalten. Ebensowenig haben wir jemals einen Übertritt von 
Fluorescein in die Lumbalflüssigkeit gesehen. Dagegen verfügen 
wir über verschiedene Beobachtungen, die uns — im Widerspruch 
zu den negativen Befunden Rotky’s — die Möglichkeit des Über¬ 
tritts von Gallenfarbstoff in den Liquor vor Augen führten. Nicht 
in jedem Falle von Ikterus ist Gallenfarbstoff im Liquor vorhanden, 
wie neben früheren Untersuchungen auch unsere systematischen 
Lumbalpunktionen bei Ikterus auf der verschiedensten Grundlage 
dartun. Jeder schwere und länger dauernde Ikterus führt in vivo 
zum Übertritt von Gallenfarbstoff in den Liquor und verleiht ihm 
dadurch eine goldgelbe bis hellbräunliche Farbe. Der Lumballiquor 
ikterischer Leichen ist regelmäßig mehr oder minder gelb gefärbt, 
wie Schmorl schon vor 13 Jahren mitteilte. 

Es ist bekannt, daß das Methylenblau bis zu einem gewissen 
Grade in der Blutbahn in die farblose Leukobase übergeführt wird. 
Daß die Umwandlung so vollständig und so momentan erfolgt, wie 
aus unseren Versuchen hervorgeht, das ist eine Tatsache, die bis¬ 
her nicht in Betracht gezogen wurde und auch neuerdings von 
Schulmann nicht genügend gewürdigt wird. Durch unsere Be¬ 
obachtungen werden die Befunde von Sicard und Magelhaes 
erklärt, die einen Übergang von Methylenblau in den Liquor nicht 
feststellen konnten. Genauer gesagt haben wir gefunden, daß das 
Methylenblau jedenfalls nicht als Farbstoff in den Liquor kommt. 
Es wäre wohl denkbar, daß das Methylenblau auch im Liquor in 
Form der farblosen Leukobase enthalten ist, in welcher es un¬ 
mittelbar nach der Injektion im Blute kreist. Der Nachweis wäre 
noch erst zu führen; er ist uns nicht gelungen. Auch die von 
Schulmann angegebene Methode mittels Trichloressigsäure führte 
im Liquor zu keinem Resultat, während wir im entsprechenden 
Serum eine schöne stahlblaue Färbung erzielten. 

Bei der Untersuchung von Pleuraexsudaten und -transsudaten, 
sowie von entzündlichem als auch reinem Stauungsascites (Tabelle 3) 
zeigten die Harnsäure und das Kreatinin im wesentlichen eine 
gleiche Verteilung zwischen Serum und Flüssigkeit. Soweit Ab¬ 
weichungen hiervon konstatiert wurden, ergab sich kein gleich¬ 
sinniges Verhalten. Kurz sei nur auf die hohen Harnsäurewerte 
bei Leberkarzinommetastasen hingewiesen, die bereits durch die 
Untersuchungen von Weil bekannt geworden sind. 



304 


Bhogsittbr u. Kbauss 


Tabelle 3. 



1 

ü‘) 

Kreatinin *) 

NaCl *) 

Nr. 

Diagnose 

im 

im Pleura- 

im 

im Pleura 

im 

im Pleura- 



Serum 

erguß j 

Serum 

erguß 

Serum 

erguß 

1 

Tuberkulöse Pleuritis 

4,43 

5,33 

2,10 

2,30 



2 

11 

4,26 

4,26 



590 

610 

3 

>» 

3,40 

3,30 

2,45 

2,30 

580 

635 

4 


2.90 

2,62 

2,45 

2,40 

580 

620 

5 

11 

2,60 

3,15 

2,10 

2,0 

600 

625 

6 

\ 

2,15 

1,77 

1 




7 

11 

1,23 

1,35 

1 

i 



8 

Otitis media, Sinus- 

1 



1 




thrombose, Lungen- 




1 




infarkt 

1,40 

1,32 





9 

Septische Pleuropneu- 








monie 

2,10 

2,10 





10 

Darm-Ca, Pleura- 

2,52 

2,16 






metastasen 

4,64 

4,5 


i 



11 

Rezidivierendes Mam- 



1 

1 




ma-Ca, Pleurametast. 

2,85 

2,8 


i 



12 

Muskul. Herzinsuffi- 








cienz 

3,10 

2,34 




1 

13 

Komb. Vitum cordis 1 








decomp. Gutartige 



f 





gen. Schrumpfniere 

3,90 

4,15 



1 j 

i 

14 

Komb. Vitium, Muskul. 








Herzinsufficienz 

6,80 

7,00 







im 

im 

im 

im 

im 

im 



Serum 

Ascites 

Serum 

Ascites 

Serum 

Ascites 

15 

Tuberkulöse 




1 




Peritonitis 

2.4 

2,4 


i 



16 


3,5 

3,5 

2.0 

2,0 



17 

Ca ventriculi 

2,6 

• 3,50 

2,35 

2,25 

590 

660 

18 

Ca pylori mit Leber- 








metastasen 

5,37 

4,70 





19 

Ca-Metast. der Leber 

6,16 

5,95 


1 



20 

Komb. Vitium, Muskul. 








Herzinsufficienz 

6,80 

8,10 

2,43 

2,95 



21 


2,90 

2.90 

2,0 

2.20 



22 

Luet. Lebercirrhose 

2,95 

3,50 

2,35 

2,25 

610 

640 

23 

V 

3,15 

3,20 

2,80 

2,30 

600 

645 


Aus unseren Untersuchungen an Ödematösen geht hervor, daß 
die Harnsäure in ihrer Verteilung auf Serum und Ödem nicht 
dieses einheitliche Verhalten zeigt, wie es Beckmann angenommen 
hat. Dies lehrt ein Blick auf unsere Tabelle 4. Die verschiedene 
Verteilung ist wohl bedingt durch den jeweils verschieden ge¬ 
richteten Flüssigkeitsstrom. Ähnlich wie die Harnsäure verhält 
sich auch das Kreatinin. Eine Serienuntersuchung, deren Ergebnis 


1) In mg.°/ 0 . 










Vergleichende chemische Analysen normaler u. pathol. Körperflüssigkeiten. 305 


wir in einem Kurvenbild mitteilen, veranschaulicht die Konzen¬ 
trationsverhältnisse in Blutserum und Ödemflüssigkeit nach oraler 
Belastung mit 4,0 g Kreatinin, puriss. Bayer (Ilun). 

Tabelle 4. 


U 1 ) ! Kreatinin*) NaCl>) Rest-N‘) 

Nr. Diagnose ! im I im i im I. im im | im im I im 

Serum Odem ISernm i Ödem Serum i Ödem Serum Ödem 


I 

1 Vitium cordis decomp 3,90 3.65 

2 

3 Muskuläre Herzinsuf- 
ficienz, Ca recti, Leber 

metast. 5,50 6,00 

4 Komb. Vitium cordis 

(2 Tage ante mortem) 9,25 7,75 

5 Mitralfehler decomp 
Gutartige genuine 

Schrumpfniere ! 6,45 4,59 

6 Komb. Vitium cordis 
decomp. Gutartige ge¬ 
nuine Schrumpfniere,! 

Thrombose der Venaj 

saphena magua j 3,90 4,50 

7 Komb. Vitium cordis 

decomp. Sekundäre 

Schrurapfniere 6,8 i 7,6 

8 Chron. Nierenentzlln- , 

düng 5,00 5,75 | 

9 Bleigicht- 

schrumpfniere 6,70 6,60 

10 „ 11.2 10,2 


1,0 

1,50 

600 

660 




600 

660 

21,60 19,60 



540 

580 


3,75 1 

4,13 



! 

' 



540 

595 

1 

1 

2,43 | 

2,43 

i 605 

; 665 


2,00 

2,25 

590 

650 

95,13 115,3 

2,35 

2,35 

560 

650 

44,90 44,90 



Kurve des Kreatiningehaltes von Blutserum und Ödemflüssigkeit nach oraler Be¬ 
lastung mit 4,0 g Kreatinin. Serum —— Ödem-. 


l)Jn mg-%. 

Deutsches Archiv ftir kliu. Medizin. US. Bd. 





306 


Bbogsittek u. Krauss 


Das vom Magen-Darmkanal trotz der allgemeinen Stauung in seiner 
Hauptmenge verhältnismäßig rasch resorbierte Kreatinin hat einen steilen 
Anstieg der KreatininkoDzentration des Serums zur Folge. Wie in 
früheren Untersuchungen (Brogsitter) gezeigt wurde, ist diese starke 
Vermehrung des Serum-Kreatinins beim Nieren- und Herzgesunden von 
einem fast ebenso steilen Abfall gefolgt, der in längstens 24 Stunden 
den Kreatininspiegel vor der Gabe wieder erreichen läßt. Die bei¬ 
gegebene Serum-Kreatininkurve zeigt nun in typischer Weise einen Ver¬ 
lauf, wie ihn bei Nierenkranken P. v. Monakow nach Harnstoff¬ 
belastung und Brogsitter nach Belastung mit Kreatinin beschrieben 
haben. Die Ausscheidungsinsufficienz, gleichgültig ob sie primär bedingt 
ist durch Herz- oder Nierenleiden, äußert sich in dem flachen Verlauf 
des absteigenden Schenkels der Kurve. Bei bösartigen Schrumpfnieren 
verläuft die Linie nach Erreichung des Kulminationspunktes nahezu 
horizontal: Nach 6 und selbst nach 12 Stunden wurden Serum-Kreatinin- 
werte beobachtet, die sich kaum von dem des Gipfels unterschieden. 

Die fraktionierte Untersuchung der Ödemflüssigkeit auf ihren Krea¬ 
tiningehalt ergibt einen langsamen Anstieg, wodurch der Gipfelpunkt 
dieser Kurve erst in die 7. Stunde nach der Gabe fällt. Während 
dieser Zeit wird also Kreatinin von der Blutbahn in die Gewebe (bis 
zur Konzentrationsgleichheit '{) abgegeben. Zugleich erfolgt eine sehr 
mäßige Ausscheidung von Kreatinin durch die Nieren. Mit der dadurch 
allmählich eintretenden Verarmung des Serums an Kreatinin kommt das 
im Odemwasser gespeicherte Kreatinin zur Rückresorption. Der nach 
24 Stunden gefundene Serum-Kreatininspiegel bekundet, daß die Aus¬ 
scheidung der verabfolgten Menge bei weitem noch nicht beendet ist. 
Auch jetzt besteht noch ein gewisses Getälle Odem Serum. 

In einem anderen Falle von schwerster Herzinsufficienz, bei 
dem alle Medikation versagte, wurde wiederholt vorübergehend 
subjektive Besserung durch Punktion der Höhlenergüsse erzielt. 
Zweimal konnte mit diesen Punktionen auch ein Aderlaß und eine 
Liquorentnahme verbunden werden. Die in den verschiedenen 
Flüssigkeiten gefundenen Kreatinin- und Kochsalzwerte sind in 
Tabelle 5 zusammengestellt. Die Kochsalzwerte dieser Unter¬ 
suchungsserie sowie die in Tabelle 3 und 4 mitgeteilten Zahlen 
sind eine erneute Bestätigung der sehon bekannten Tatsache, daß 
die Kochsalzkonzentration des Ödems die des Blutserums übertrifft 
(v. Monakow, Thannhauser, Beckmann). Während aber 
die Kochsalzwerte der übrigen Körperflüssigkeiten versus finem 
eine Erhöhung erfahren — in unverhältnismäßig starker Weise 
das Liquor-Kochsalz —nimmt die Kochsalzkonzentration der Ödem¬ 
flüssigkeit nicht zu. 

Zum Schluß sei noch eine kurze Bemerkung erlaubt über das 
Verhalten der Harnsäure im entnommenen Blutserum. Schon 
Garrod war aufgefallen, daß im faulenden Leichenblut keine 



Vergleichende chemische Analysen normaler n. pathol. Kürperflüssigkeiten. 307 

Tabelle 5. 


Tag der 
Entnahme 

Serum 

NaCl «)|Kreat.> 

Ascites 

NaCl Kreat 

Pleuratranssudat 
NaCl | Kreat. 

Ödem 

NaCl j Kreat. 

Liquor 
NaCl | Kreat. 

4. VIII. 23 

605 

3,30 

_ i _ 

640 

3,20 

660 2,80 



21. VIII. 

— 

— 

— — 

1 630 

3,75 

645 I 3,45 

— 

— 

23. VIII. 

625 

3.30 

580 | 3,60 

610 

3,35 

- 1 - 

730 

1,86 

27. VIII. 

640 

3,05 

645 2,30 

665 

2,95 

650 I 2,95 

1 

900 

1,72 


Harnsäure mehr nachweisbar ist. Salomon konnte 1880 diese 
Beobachtung bestätigen und dahin erweitern, daß auch bei 24 stän¬ 
digem Digerieren im Wärmeschrank die Harnsäure aus dem Blut 
verschwindet. Neuerdings ist nun u. A. von Schittenhelm be¬ 
hauptet worden, daß der Harnsäuregehalt des Blutserums bei 
längerem Stehen eine Veränderung erleidet; und zwar soll die 
dabei beobachtete Harnsäureabnahme durch ein uricolytisches 
Ferment des Serums bedingt sein. Dieses hypothetische Ferment 
scheint jedoch nur dann zu wirken, wenn das Blut in nicht sterilen 
Gefäßen aufgefangen und aufbewahrt wird. Sofern wir nämlich 
das steril entnommene Blut unter sterilen Kautelen aufbewahrten, 
konnten wir niemals eine Veränderung des Harnsäuregehaltes be¬ 
obachten, ganz gleichgültig, ob das Serum 24 Stunden lang bei 
Zimmertemperatur, im Eisschrank oder bei 37° im Brutschrank 
gehalten wurde. 

Untersuchungsserien unter denselben Bedingungen zeigten, daß 
es mit dem Liquor in dieser Beziehung nicht anders bestellt ist. 
Selbst nach 48 und 60 Stunden lieferte die Harnsäurebestimmung 
der im Brutschrank bei 37° aufbewahrten und der im Eisschrank 
gehaltenen Hälfte des Liquors Werte, die gut übereinstimmen, 
untereinander sowohl wie mit. dem unmittelbar nach der Liquor¬ 
entnahme gefundenen Wert. Es ist wichtig und spricht für unsere 
Meinung, daß in einem Falle vou Meningitis cerebrospinalis nach 
48 Stunden der Harnsäuregehalt der Eisschrankprobe gleich war 
dem sofort nach der Liquorentnahme gefundenen Wert. Dagegen 
hatte in derselben Zeit bei der im Brutschrank gehaltenen Probe 
eine erhebliche Abnahme der Harnsäure stattgefunden. Bei diffe¬ 
rentialdiagnostischen Erwägungen dürfte dieses Verhalten des 
Liquors unter Umständen Berücksichtigung finden. 


l) In mg-°/ # . 


20* 






308 Brossitter u. Kraüss, Vergleichende chemische Analysen usw. 


Literatur. 

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137. — Koch, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 140, p. 39. 1922. — Krauss, 
Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 138, S 340. 1922. — Loeb, Jonrn. ofgen. 
laborat. Bd. 4, Nr. 5, p. 591, 1922. — Magelhaes, Congifcs intern de Med. 
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Widal u. Froin, Bulletin de la Soc. de Biol. 1904. — Woods, The Arch. of 
intern. Med. Bd. 16, p. 577, 1915. 



309 


Aus der Medizinischen Klinik zu Heidelberg. 

Beiträge zur Kenntnis der Ökonomie der Muskeltätigkeit. 

(Untersuchungen bei Zwangsbewegungen.) 

Von 

Professor E. Grafe, 

Direktor der medizinischen Poliklinik zu Rostock. 

Durch die verschiedensten Arbeiten der letzten Jahre x ) dürfte 
die lange strittige Frage nach dem Einfluß des Spanuungszustandes 
der Muskulatar auf den Stoffverbrauch wohl endgültig in der Rich¬ 
tung entschieden sein, daß der Tonus des Muskels, sofern dabei 
keine oder nur eine ganz minimale Arbeit geleistet wird, den Gas¬ 
verbrauch nicht verändert. Der letzte, noch mögliche Einwand, 
daß die Untersuchung des gesamten Tieres Besonderheiten im Stoff¬ 
verbrauch einzelner Muskelgruppen vielleicht nicht erkennen läßt, 
sei es, daß sie zu gering sind, um sich im Gesamtergebnis meßbar 
zu dokumentieren oder sei es, daß kompensatorische Einflüsse an 
anderen Orten der Energieproduktion eintreten, ist durch die kürz¬ 
lich erschienenen Beobachtungen von Freund und Jansen 1 2 ) am 
isoliert untersuchten Muskelgebiet vermittels der Methode von 
Barcroft-Verzär-Nakamura nun auch widerlegt. 

Es gibt nun noch eine Reihe anderer pathologischer Zustände 
des Muskels, die stoffwechselpathologisch sowohl praktisch-klinisch 
wie theoretisch von Interesse sind. Die klinische Beobachtung 
lehrt, daß nicht nur Kranke mit starken chronischen Tonussteige¬ 
rungen der verschiedensten Genese selbst bei mäßiger Nahrungs¬ 
aufnahme sich auf ihrem Körpergewicht halten, sondern daß es 

1) Grafe und seine Mitarbeiter, Roaf, Bayliss u. a. Lit. bei Grafe, 
Deutsche med. Wochenschr. Nr. 49, 1920 u. Path. Physiol. d. Gesamtstoff- und 
Kraftwechsels bei der Ernährung des Menschen. Erg. d. Pbys. XXI, II. Abt., 
S. 401 u. Sonderausgabe, Bergmann, München 1928. 

2) Klin. Wochenschr. 2, Nr. 21, 1923 u. Pflüger’s Arch. 1923 (im Erscheinen 
begriffen). 



310 


Gkafe 


auch Zustände dauernder Muskeltätigkeit gibt, die gar nicht oder 
auffallend wenig den allgemeinen Ernährungszustand beeinflussen. 
Ich denke dabei in erster Linie an die Tremoren der verschiedensten 
Genese (Paralysis agitans, Arteriosklerose, psychogene Tremoren, 
choreatische Prozesse, Athetose usw.). Gemeinsam ist allen diesen 
Zuständen abnormer Muskeltätigkeit, daß ganz analog wie beim 
Tonus die Veränderungen im Verhalten der Muskulatur ohne 
Willenseinfluß, zwangsmäßig und ohne Ermüdungserscheinungen 
vor sich gehen, und dies unterscheidet sie prinzipiell von der 
normalen willkürlichen Muskeltätigkeit. Der Ernährungszustand 
solcher Kranker leidet gewöhnlich nur dann, wenn entweder die 
Nahrungsaufnahme erheblich unter die Norm herabsinkt oder die 
motorische Unruhe besonders hochgradig und über viele Muskel¬ 
gruppen ausgedehnt ist oder aber gleichzeitig Prozesse vorliegen, 
die ihrerseits den Stoffwechsel schon erhöhen (Fieber, psychische 
Erregungen usw.). Dies Verhalten ist darum sehr merkwürdig, 
weil beim Gesunden schon ganz geringe Muskelbewegungen relativ 
sehr starke und ausgesprochene Steigerungen des respiratorischen 
Stoffwechsels des gesamten Organismus bedingen. Erwähnt sei, 
daß 2 bis 3 maliges Erheben eines Armes über den Kopf pro 
1 Minute den Stoffverbrauch um ca. 10 % erhöht (Speck *)), ruhiges, 
langsames Fingerbeugen und -strecken um 16,8°/ 0 (Leber und 
Stüwe 1 2 3 )), Fingerübungen wie beim Klavierspielen (im wesent¬ 
lichen Tätigkeit der Mm. lumbricales) bei ruhiger Armhaltung um 
12,5% (Winternitz 8 )). Auch bei Kindern genügen ganz geringe 
Muskelbewegungen, bei denen das Kind noch durchaus als ruhig 
zu betrachten ist, um eine Steigerung von 10 °/ 0 zu bewirken 
(Benedict und Talbot 4 )). 

Nach diesen Beobachtungen sollte man, wenn nicht Besonder¬ 
heiten vorliegen, bei starken, raschen Tremoren größerer Glied¬ 
maßen sowie choreatischen Zuständen Steigerungen bis 100 °/ 0 und 
mehr erwarten. Die klinische Beobachtung scheint dem zu wider¬ 
sprechen. Die Entscheidung ist nur durch genaue Respirations¬ 
versuche zu treffen. 

In der Literatur liegen bisher darüber nur einige Versuche 
bei Paralysis agitans vor. Die älteren französischen Beobachtungen 


1) Physiol. d. Atmens, Leipzig 1892. 

2) Berliner klin. Wochenschr. Nr. 16, 1896. 

3) Klin. Jahrb. 7, 1889. 

4) Carneg. Inst. Public. 802. 1921. 



Beiträge zur Kenntnis der Ökonomie der Mnskeltätigkeit. 


311 


sind so widersprechend und unzuverlässig, daß sie hier übergangen 
werden können (Lit. bei Pfeiffer und Scholz 1 )). Auch die 
Versuche von Pfeiffer und Scholz 2 ) sind methodisch anfecht¬ 
bar, da nach den meist unmöglich niedrigen respiratorischen Quo¬ 
tienten (0,52—0,69) entweder die Versuchsanlage oder die Analysen¬ 
technik unzureichend war. Immerhin läßt sich ihren Versuchen das 
Eine entnehmen, daß ihre Kranken bei einer Brutto Kaiorienzufuhr 
von 31—34 Kal pro kg ihr Körpergewicht annähernd konstant er¬ 
hielten. Magnus-Levy 3 ) teilte nur die Werte für den Sauer- 
stolFverbranch in 3 von ihm untersuchten Fällen mit und fand 
dabei meist recht erhebliche Steigerungen, die im ganzen der Stärke 
des Tremors parallel gingen. Bei Paralysis agitans sine agitatione 
waren die Werte normal, ebenso, wenn durch hohe Hyoscindosen 
der Tremor zum Verschwinden gebracht war. 

Diese wenigen, vielfach einander widersprechenden Versuche, 
die sich zudem nur auf eine bestimmte Tremorform beziehen, sind 
natürlich keineswegs geeignet, die oben aufgeworfene Frage zu 
klären. 

Ich habe daher mit der an anderer Stelle 4 ) näher beschriebenen 
Methodik in langdauernden Versuchen den Gesamtstoffwechsel an Tre¬ 
moren und Zwangsbewegungen verschiedener Art in 18 Fällen unter¬ 
sucht 4 Beobachtungen mußten ausscheiden, teils infolge Kompli¬ 
kation mit Fieber, teils infolge zu großer allgemeiner motorischer 
Unruhe, die ein Innehalten der Grundbedingungen solcher Grund- 
umsatzversuche unmöglich machte. Die übrigen 14 Untersuchungen 
an 11 Kranken finden sich mit ihren wichtigsten Ergebnissen und 
Daten in derTabelleaufS.312/13 zusammengestellt. Dreimal handelte 
es sich um eine psychogene Zitterneurose, zweimal um eine typische 
Paralysis agitans, dreimal um eine Chorea (teils Huntington’scher 
Form, teils auf der Basis von Infektionen (Encephalitis)), zweimal 
um eine Athetose und Hemiathetose, einmal um einen starken, 
ausgebreiteten arteriosklerotischen Tremor. Angaben über Art 
und Ausdehnung der Zwangsbewegungen finden sich in Stab 6, 
über das Verhalten der übrigen Motilität in Stab 15. Stab 8—13 
bringen die Ergebnisse der Respirationsversuche, Stab 14 die der 
N-Untersuchungen im Harn. Die Hauptresultate, nämlich das Ver- 

1) Deutsches Arch. f. klin. Med. 63, 368, 1899. 

2) 1. c. 

3) Zeitschr. f. klin. Med. 60, 214, 1916. 

4) Grafe in Abderhalden’s Handb. der Biol. Arbeitsmethoden Abt. IV, 
T. 10, Lief. 102, 8. 309, 1923. 



312 


Gbafe 


1 

Beob- 

ach- 

tungs- 

Nr. 

2 

Proto- 

koll- 

Nr. 

3 

Datum 

4 

Personalien 

5 

Gewicht, 
Temperatur, 
Puls, Resp., 
Länge 

6 

Art des Tremors 

1 7 

Ver¬ 

suchs¬ 

dauer 

Std. 

1 

1 

M332 

20. V. 
1919 

A. Sieb., 

22 J., m. 

75,2 kg, 36,2», 
P=60,R=20, 
L = 174 cm 

Kriegsneurose mit star¬ 
kem Tremor der r. 
Schulter und des r. 
Armes 

57* 

1 

f 

2 

M395 

9. III. 
1920 

M. Wei., 

47 J., w. 

59,2 kg, 36,4», 
P=80,R=24, 
L = 150 cm 

Chorea Hnntingtoni mit 
typischen Zwangsbe¬ 
wegungen ziemlich 

starker Art des Kopfes 
und der oberen Extre¬ 
mitäten 

4 1 

1 

1 

3 

M396 

10. III. 
1920 

E. Pan., 

47 J., w. 

75,5 kg, 36,2», 
P=84,R=22, 
L=156 cm 

Typische Paralysis 
agitans mit Schüttel¬ 
tremor 

- 

O 

4a 

M404 

22. IV. 
1920 

L. Heitz., 
27 J., m. 

54,5 kg, 36,6», 
P=84, R=?, 
L=160 cm 

Wahrscheinlich psycho¬ 
gene Zitterneurose mit 
dauernden Zuckungen 
im Gesicht und Zittern 
der Hände 

57*; 

i 

4b 

M405 

24. IV. 
1920 

n 

54,1 kg 

n 

0 i 

5 

M414 

1. VI. 
1920 

Eugl. Schu., 
23 J. ; w. 

55 kg, 36,2«, 
P=68,R=24, 
L=157 cm 

Hemichorea nach En¬ 
cephalitis 

4 

6a 

11422 

16. VI. 
1920 

Frau Siev., 
51 J., w. 

42,8 kg, 36,1» 
P=64,R=24, 
L = 158 cm 

Encephalitische Chorea 
mit starken Zuckungen 
besonders beider Arme 

4 

6b 

M427 

26. VI. 
1920 

n 

43,8kg, 36,1®, 
P=72,R=24 

und des Kopfes 

T) 

47* ■ 

( 

7 

M426 

25. VI. 
1920 

Steph., 

38 J., m. 

57,5 kg, 36.2», 
P—78,R=24, 
L=176 cm 

Traumatische Neurose 
mit Zittern im r. Arm 

47* 

8a 

M43Ö 

24. VII. 
1920 

P. Tab., 

58 J., m. 

66,7 kg, 36.1», 
P=68,R=24, 
L=175 cm 

Paralysis agitans mit 
sehr starkem Tremor 
des 1. Armes und des 

57t 

8b 

M438 

29. VII. 
1920 

» 

66,0 kg. 36,3®, 
P=78,R=20, 

Kopfes 

n 

47* 

9 

M459 

5. XI. 
1920 

Phil. ? Man., 
36 J., m. 

55,0 kg, 36,5®, 
P=84,R=24, 
L=165 cm 

Hemiathetose (auf der 
Basis einer Malaria¬ 
encephalitis?) mit Zuk- 
kungen im 1. Arm und 
Schulter und dauernden 
athet. Fin gerbewegun- 

5 

10 

M500 

24. I. 
1921 

El. Sehr., 

58 J., w. 

54,2 kg, 36,5®, 
P=84.R=24, 
L=160 cm 

gen 

Athetose mit nicht sehr 
starken Bewegungen 

47, 

11 

M547 

2. V. 
1921 

E. Huf., 

58 J., w. 

51 kg, 36,1», 
P=76,R=21, 
L=152 cm 

Starker Tremor im r. 
Arm und Bein (ca. 80- 
mal pro 1') infolge 
Affektion der Stamm¬ 
ganglien 

47 , 










Beitrüge zur Kenntnis der Ökonomie der Muskeltätigkeit. 


313 


8 

ecm 
CO, 
pro kg 
und r 

9 

ccm 

0 , 

pro kg 
und 1' 

10 

1 

! RQ i 

11 

Wärme¬ 

produkt. 

berechnet 

A. 1 

Cal 

12 

Cal 

pro 

1 kg 

13 

Verhalten 
gegenüber 
dem Durch¬ 
schnitt der 
Norm 
°/o 

14 

g N 

berechnet 

auf 

24 Std. 

15 

Bemerkungen 

3,49 1 

4,33 

0,806 | 

2235,1 

! 29,7 

+ 20 

1 

5,406 

Die ersten Stunden 
ruhig gelesen, zu¬ 
letzt etwas geschla¬ 
fen ohne Aufhören 
des Tremors 

2.68 

3,07 

| 

0,872 

1280 

21,6 

; ±o 


Abgesehen von den 
ansfahrenden Bewe¬ 
gungen bis auf die 
letzte '/« Stunde 
ruhig, dann Harn¬ 
drang 

3,08 i 

3,56 

0,866 

1888 

25,0 

f . 

+ 30,7 

5,907 

Anfaugs ängstlich, 
später wegen Harn¬ 
drang zeitweise un¬ 
ruhig 

3,51 

J 

4,44 

i 

| 

0,7905 

i 

1671 

30,7 

— 16,5 

6,686 

| 

1 

Muskulatur den 
größten Teil der Zeit 
gespannt, Zittern 
nimmt bei Beobach¬ 
tung zu 

3,62 

4,285! 

0,845 | 

1621 

29,8 

+ 13 

5,689 

Etwas ruhiger 

2.88 

3,37 

0,858 ; 

1300 

23,6 

1 - 4,7 

1 

5,217 j 

1 

Außer den chorea¬ 
tischen Bewegungen 
ruhig 

4,01 

4,17 

0,962 

1283 

30 

+14,8 

7,263 

Dgl. 

4,27 

4,70 

1 

0,909 

1463 

33,4 

+ 29,7 

7,429 

( Zuckungen diesmal 
stärker und aus¬ 
gedehnter 

2,93 

3,44 

0,851 

1386 

24,1 

- 7,3 

4,277 

! Abgesehen vom Zit¬ 
tern ruhig 

3,80 

4,43 

0,857 

2074 

I 

31,1 

+ 41,9 

7,775 

1 

Das Zittern des L 
Armes ist unge¬ 
wöhnlich stark 

3,77 

! 4,30 

0,877 

2002 

30,0 

+ 36,9 

9,305 

* 

3,93 

! 4,2% 

i 

0,915 

1405 

30,6 

+ 20 

6.323 

Außer den atheto- 
! tischen Bewegungen 
ruhig 

1 

3,37 

4,39 

0,768 

1198 

1 

1 30,1 

i +28,8 

6,561 

Ruhig 

3,58 

4,68 

0,765 

1635 

32,1 

+ 41,8 

4,908 

Abgesehen von dem 
starken Tremor der 
r. Seite ruhig 




314 


Grafe 


halten des Gesamtumsatzes der einzelnen Kranken gegenüber dem 
Durchschnittswerte der Norm sind in Stab 13 verzeichnet. Die 
Vergleichs werte der Norm sind den Tabellen von Harris - 
Benedict 1 ) entnommen, die den Vorzug der Einfachheit der 
Handhabung haben. Benutzt man, wie es auch in einzelnen 
Fällen geschah, die Du Bois’sche 2 3 ) Oberflächenformel (0 = j^Gew. 
X^LX 176-2) und bezieht auf diese Einheit die Wärmeproduktion, 
so werden annähernd die gleichen Zahlen erhalten, sie liegen nur 
meist um 2—5°/ 0 tiefer. Überblickt man die Werte des Stabes 13, 
so findet man eine starke Streuung der Zahlen in den weiten 
Grenzen von — 7,3 bis + 41.9 %. In 3 Fällen waren trotz sehr 
ausgesprochener Zwangsbewegungen (2 Fälle von Chorea (2 und 5) 
und 1 traumatische Neurose (7)) die Werte ganz normal, zweimal 
sogar unter dem Durchschnitt. Ursachen für Stoffwechselerniedri- 
gungen, die eventuell Steigerungen durch die Zwangsbewegungen 
hätten maskieren können, lagen hier anscheinend nicht vor. Ins¬ 
besondere war, wie aus den Gewichten (Stab 5) hervorgeht, der 
Ernährungszustand in allen Fällen recht gut. Fünfmal betrugen 
die Steigerungen nur bis 20 %, gingen also nur um 5—10°/ o über 
die oberste Grenze der Norm hinaus, und nur fünfmal lagen stärkere 
Steigerungen von 20—41% vor. Diese 5 Fälle, die sich ziemlich 
gleichmäßig auf alle Formen von Zwangsbewegungen und Tremoren 
erstrecken, waren charakterisiert durch eine besonders starke und 
über zahlreiche Muskelgruppen ausgedehnte Zwangsmotorik, so daß 
zweifellos auch hier ein gewisser Parallelismus zwischen Stoff¬ 
wechselintensität und Stärke der motorischen Störung besteht. 
Der Durchschnittswert aller Versuche ergibt eine Steigerung von 
+ 19,5% nach Harris-Benedict, nach Du Bois um ca. 15 
bis 17%. Wenn man bedenkt, daß die obere Grenze der Norm 
meist auf +10%, nach einigen wie Harris-Benedict 8 ) sogar 
auf + 15 % oberhalb des Durchschnittswertes Gesunder angesetzt 
wird, so sind das gegenüber den großen Steigerungen bei geringer 
willkürlicher Muskeltätigkeit in kleinen Muskelgruppen relativ 
außerordentlich geringe Ausschläge, selbst in Fällen mit sehr aus¬ 
gedehnten heftigen Muskelbewegungen. Es kann daher keinem 
Zweifel unterliegen, daß die nicht mit Ermüdung 

1) Carn. Inst. Publ. 279, 253, 1919. Abgedruckt bei Grafe, Erg. d. Phys. 
21 , 2. Abt., S. 487, 1923. 

2) Arch. f. int. Med. 15, 8fi8, 1915 u. 17, 863, 1913. 

3) Jonm. of biol. Chem. 46, 257, 1921. 



Beiträge zur Kenntnis der Ökonomie der Muskelt&tigkeit. 


315 


einhergehenden pathologischen Zwangsbewegnngen 
außerordentlich viel ökonomischer vor sich gehen, 
wie die gewöhnliche willkürliche Muskeltätigkeit 
des gesunden Menschen. Auf den ersten Blick scheint es 
verblüffend, daß der Wille vom energetischen Gesichtspunkte aus 
betrachtet, eine besonders unzweckmäßige Form des Muskelbetriebes 
ist. Es ist das teleologisch ebenso schwer zu verstehen, wie der Vor¬ 
teil des geringen Kraftaufwandes bei zwangsmäßiger Motilität für 
die Kranken in die Augen springt. 

Wie kommt nun das merkwürdige, außerordentlich verschiedene 
Verhalten zustande? 

Zwei Faktoren spielen dabei sicher eine erhebliche Rolle, die 
Frage der Übung und die des Ermüdungsgefühls. Wir wissen aus 
älteren und neueren Versuchen (zuletzt vor allem durch die Arbeiten 
von Durig, Benedict und Cathcart, Liljestrand und 
Stenström, Dirken u. a. Lit bei Grafe 1 )), daß der Nutzeffekt 
einer genau bekannten Arbeit durch Übung und Trainieren w'ächst. 
Von einer Übung im gewöhnlichen Sinne kann natürlich bei un¬ 
willkürlichen Zwangsbewegungen nicht gesprochen tverden, da 
gerade hier der dort entscheidende Faktor, nämlich der Wiilens- 
antrieb, fehlt. Gemeinsam ist aber beiden Fällen die außerordent¬ 
liche Häufigkeit des Ablaufs derselben Muskel Vorgänge und man 
könnte sich sehr wohl vorstellen, daß hier wie dort eine Art 
nervöser und zirkulatorischer Bahnung einen wesentlichen Anteil 
an der Verbesserung des Nutzeffektes hat. 

Von sicher wohl stärkerem Einfluß ist der Ermüdungsfaktor. 
Wir wissen (vgl. darüber vor allem die große Monographie von 
Durig 2 3 4 )), daß bei Arbeitsleistung die Ermüdung entgegengesetzt 
wirkt wie die Übung, sie verschlechtert den Nutzeffekt. Ein sehr 
instruktives Beispiel gibt hierfür Waller 8 ). Er fand bei Kohlen¬ 
trägern bei annähernd gleicher Arbeit morgens um 8 Uhr 6 ccm 
C0 2 pro kg und 1 Minute, um 12 Uhr 36 ccm C0 2 . Die Ursachen der 
Ermüdung sind vor allem die Anhäufung von Milchsäure und Phosphor¬ 
säure im arbeitenden Muskel, ferner das Fehlen von Sauerstoff zu 
Restitutionszwecken; ob es daneben noch besondere Ermüdungs¬ 
stoffe (Weichardt) gibt, ist noch nicht entschieden. Wie wir 
durch Webers*) Versuche wissen, kommt die Anhäufung von 

1) 1. c. 

2) Die Ermüdung, Wien 1916. 

3) Proc. of the roy soc. Ser. Bd. 91 , 166 und 229, 1920. 

4) Arch. f. (Anatom, n.) Phys. 290, 1914. 



316 


Grafe 


Stoffwechselschlacken und die Verminderung der Sauerstoffzufuhr 
durch eine mit der Ermüdung einsetzende Gefäßverengerung in 
den arbeitenden Muskelgruppen zustande. Instinktiv werden dann 
benachbarte frische Muskel gruppen, die mit der intendierten Be¬ 
wegung nichts zu tun haben, sie aber indirekt unterstützen können, 
von dem Ermüdeten in Tätigkeit gesetzt. So tritt z. B. für die 
ermüdenden Finger allmählich der ganze Arm, vielleicht sogar die 
Schulter ein, und es ist selbstverständlich, daß aus dieser Heran¬ 
ziehung weiterer großer Muskelmassen eine gewaltige Verschlechte¬ 
rung des Nutzeffektes resultieren muß. Alles das fällt bei den 
Zwangsbewegungen fort, sie bleiben meist auf die gleichen Muskel¬ 
gruppen beschränkt, nur bei psychischen Erregungen oder weiterer 
Ausbreitung der Krankheit werden vorübergehend oder dauernd 
weitere Muskelgruppen mit befallen. Gleichzeitig mit der Ermüdung 
wirken körperliche Mißempfindungen anderer Art (z. B. Schmerzen 
in den Bewegungsapparaten, psychische Faktoren, vgl. vor allem 
Dirken 1 )) ungünstig auf den Nutzeffekt ein. Auch das fehlt in 
der Kegel bei den Zwangsbewegungen der untersuchten Art. 

Wir müssen demnach wohl annehmen, daß die Anhäufung von 
sauren Stoffwechselprodukten sowie das Fehlen von genügendem 
Sauerstoff bei der Ermüdung jedenfalls in den Fällen, in denen 
keine besondere schwere Arbeit geleistet wird, weniger die Ur¬ 
sache als die Folge der durch den psychischen ErmüdungsVorgang 
ausgelösten Gefäßkontraktion ist. Letztere stellt sich bei den 
Zwangsbewegungen trotz dauernder Muskeltätigkeit wahrscheinlich 
gar nicht ein, und bei gleichmäßiger guter und ausreichender Blut¬ 
zufuhr kommt es daher weder zur Anhäufung der Stoffwechsel¬ 
schlacken noch zu einer ungenügenden Sauerstoffzufuhr. Beweisende 
Untersuchungen in dieser Richtung liegen bisher noch nicht vor, 
doch ist es vorläufig schwer möglich, diese Vorgänge anders zu 
deuten. 

Wie man sich auch im einzelnen den Vorgang beim Fortfall 
des Ermüdungsvorganges vorstellen mag, sicher ist wohl, daß dieser 
Faktor für dies Zustandekommen der günstigen Muskelökonomie 
gegenüber der Norm eine große Rolle spiellt. Es fragt sich nun, 
ob die beiden Momente (Übung und Fortfall der Ermüdung) zur 
Erklärung völlig ausreichen. Man könnte geneigt sein, diese Frage 
zu bejahen, wenn nicht in 3 der mitgeteilten Versuche (Nr. 2, 5 
und 7) jede Steigerung durch die vermehrte Muskeltätigkeit aus- 


1) Arch. neerl. de Phys. de l’h. et des anim. 5, 467, 1921. 



Beiträge zur Kenntnis der Ökonomie der Muskeltätigkeit. 


317 


geblieben nnd darunter zweimal sogar ein negativer Wert (— 4,7 ®/ # 
und 7,3 °/ 0 ) gefunden wäre. Wie schon oben erwähnt, fehlte in allen 
drei Fällen jeder Anhalt für eine Stoffwechselerniedrigung. Ver¬ 
schiedene Grade der Muskelruhe gibt es nicht, und so sehr manche 
Zitterer durch Bewegungsarmut im Leben das Plus an gesteigerter 
Muskeltätigkeit in den erkrankten Gebieten ausgleichen, so 
wenig kommt dies Moment bei streng angelegten Grundumsatz¬ 
versuchen in Betracht. Auch ein verminderter Tonus in anderen 
Muskelgebieten würde nach den oben (S. 309) angeführten Unter¬ 
suchungen nichts erklären. Für die Annahme, daß die Stoffwechsel¬ 
vorgänge im zwangsweise und ohne Ermüdung arbeitenden Muskel 
anders verlaufen wie in der Norm, spricht gar nichts. Auch der 
Eiweißumsatz (Stab 14) bietet hier nach der N-Ausscheidung be¬ 
urteilt keine Abweichungen, das gleiche gilt für das elektrogra- 
phische Verhalten. So scheint es vorläufig am wahrscheinlichsten, 
daß in einzelnen Fällen kompensatorische Einsparungen an anderen 
Stellen der Energieproduktion eintreten können. Darüber sich im 
einzelnen Vorstellungen machen zu wollen, scheint mir noch ver¬ 
früht. Nachdem Freund und Jansen 1 ) kürzlich die Existenz 
eines schon früher viel diskutierten chemischen Tonus im Muskel, 
d. h. einer von der spezifischen Muskeltätigkeit ganz unabhängigen, 
variablen und anscheinend sympathisch gesteuerten Wärmeproduk¬ 
tion, sicher bewiesen haben, besteht durchaus die Möglichkeit, daß 
dieser chemische Tonus, der in erster Linie wohl den Zwecken der 
Wärmeproduktion dient, auch nach dem Prinzip der Selbststeuerung 
des Organismus in den Dienst einer kompensatorischen Stoffwechsel¬ 
erniedrigung gestellt werden kann. Diese Frage läßt sich auf 
experimentellem Wege vielleicht entscheiden. Somit liegen hier 
noch Probleme vor, die einer weiteren Bearbeitung bedürfen. 


l) l. c. 



318 


Aus der II. medizinischen Klinik der Kaiserl. Kyushu-Universität 

zu Fukuoka, Japan. 

(Direktor: Professor Dr. Hiro Takeya.) 

Kolorimetrische Methode zur quantitativen Bestimmung 
des Harnstoff- (bzw. flarnstoffstickstoff-)Gehaltes 
in einer kleinen Menge von Blutserum. 

(Eine neue Methode geeignet zum Gebrauche am Krankenbett«) 

Von 

Privatdozent Dr. Yoshisada Nakashima und Dr. Kötarö Marnoka 

Assistenzarzt der Klinik ehemaliger Assist, der Klinik. 

(Mit 3 Abbildungen.) 

Wie Strauß, Siebeck, Widal u. a. in ihren Werken 
hervorgehoben haben, spielt die wiederholte Bestimmung des Rest¬ 
stickstoff- oder des Harnstoffstickstoffgehaltes bei einem und dem¬ 
selben Kranken eine sehr wichtige Rolle, und gibt uns wertvolle 
Fingerzeige zur speziellen Diagnose der verschiedenen Formen der 
„Nephritiden“, wie auch zur Feststellung der Prognose und zur 
Gestaltung der Therapie. 

Von diesen beiden Bestimmungsweisen ist in Frankreich meist 
die Harnstoffbestimmung üblich, während in Deutschland und 
Amerika die Reststickstoff bestimmung vorzugsweise in Gebrauch ist 

Bei der Ausführung der Stickstoffbestimmung bei einem und 
demselben Patienten zu wiederholten Malen sind nun vor allem 
folgende Punkte zu beachten: Die zur Bestimmung nötige Blut¬ 
menge soll möglichst klein sein, die Art der Blutentnahme und die 
Bestimmungsmethode selbst möglichst einfach und das Ergebnis 
der Untersuchung möglichst genau sein, welche Bedingungen dui'ch 
die bisherigen Methoden nur teilweise erfüllt sind. 

Die genannten Gesichtspunkte berücksichtigend haben wir ein 
neues Verfahren, und zwar eine kolorimetrische Bestimmungsmethode 
ausgearbeitet, die wir im folgenden mitteilen. 



Kolorimetrische Methode zur qnant. Bestimmung des Hanistoffgehaltes usw. 319 


Wir schicken voraus, daß eine kolorimetrische Methode wohl 
im allgemeinen dem Vorwurf einer gewissen Ungenauigkeit be¬ 
gegnet, bemerken aber, daß dies im vorliegenden Falle keineswegs 
praktisch zutrifft, daß sich unsere Methode vielmehr bei der klini¬ 
schen Verwendung als außerordentlich zweckmäßig erwiesen hat. 

Wir fanden, daß die sog. Schiffs-Reaktion (Harnstoff plus 
Furfurol plus Salzsäure ergibt eine schöne purpurrote Färbung) um 
vieles empfindlicher wird, wenn man außerdem noch Zinnchlorür 
(SnCl 2 ) zusetzt, welche Tatsache wir uns zunutze machten. 

Das Prinzip unseres Verfahrens besteht darin, daß der Farben¬ 
ausschlag, den der Harnstoff im Blutserum (wird bei der Ent¬ 
eiweißung 5 mal verdünnt) bei der Reaktion zeigt, mit demjenigen 
der verschiedenen Standard-Harnstofflösungen verglichen wird. 

1. Reagenzien. 

a) Standard-Harnstofflösungen. 

Der durch Umkristallisieren möglichst gereinigte Harnstoff 
wird nach folgenden Verhältnissen in destilliertem Wasser, das 
mit Chloroform gesättigt ist, gelöst: 

Standardlösung Nr. 10 entsprechend 10/5 mg Ür-N in 100 ccm der Lsg. 


yy 

n 15 

yy 

15,5 mg 

» 

yy 

n 

yy 

yy 

yy 

„ 20 

yy 

20,5 mg 

yy 

Tf 

yy 

yy 

yy 

n 

„ 25 

yy 

25/5 mg 

yy 

n 

yy 

yy 

yy 

yy 

* 30 

yy 

30/5 mg 

yy 

yy 

yy 

yy 

y • 

yy 

„ 50 

yy 

50/5 mg 

n 

yy 

yy 

yy 

yy 

n 

„100 

yy 

100/5 mg 

T) 

yy 

yy 

yy 

yy 


Diese Lösungen werden in kleinen gefärbten Flaschen, die 
entsprechend etikettiert sind, in dunklem und kühlem Orte auf¬ 
bewahrt, nachdem man jeder Portion noch einige Tropfen Chloro¬ 
form zugesetzt hat, um fermentative Harnstoffzersetzung sicher zu 
vermeiden. Es ist von großer Wichtigkeit, daß die Lösung immer 
mit Chloroform gesättigt bleibt, was man durch weitere, nachträg¬ 
liche Zufügung von Chloroform erreicht. Die Standardlösungen 
müssen nach etwa einem halben Jahre von neuem bereitet werden. 

b) Furfurol. 

Wir benützten das von der „Nihon-Junyaku Kenkyusho“, dem 
japanischen Reinchemikalieninstitut in Tokio, gelieferte Furfurol, 
welches nach Redestillation im Wasserstoffgasstrom mit Wasser¬ 
stoffgas in Ampullen (mit je etwa 1 ccm Furfurol) ein geschlossen 



320 


Nakashima u. Maruoka 


wurde, die erst unmittelbar vor Gebrauch frisch zu öffnen sind. 
Da das Furfurol als Aldehyd bekanntlich sehr unbeständig ist in¬ 
folge seiner leichten Oxydierbarkeit, so ist auf die Destillation und 
auf die Aufbewahrung, die dunkel und kühl, am besten im Eis¬ 
schranke, erfolgt, große Sorgfalt zu verwenden. Bei jeder Be¬ 
stimmung soll nur ein und dieselbe Ampulle verwendet werden. 
Wir bemerken hier, daß frisch redestilliertes Furfurol farblos und 
durchsichtig ist, bei längerer Aufbewahrung jedoch allmählich 
gelblich, bräunlich und schließlich bräunlich-schwarz wird, da es 
technisch zu schwierig ist, die Oxydation vollkommen auszuschließen. 
Schlecht destilliertes, unzweckmäßig oder zu lange aufbewahrtes 
Furfurol, wenn dieses bereits bräunliche Verfärbung zeigt, ist nicht 
verwendbar. (Leicht gelblich verfärbtes Reagens ist zwar weniger 
empfindlich, kann aber noch verwendet werden.) 

c) Salzsäure-Zinnchlorür-Mischung. 

1,5 bis 2 Teile rauchender Salzsäure, 1 Teil Solutio stanni 
chlorati (bereitet durch Auflösung von Zinn in 30°/ o iger Salz¬ 
säure), und 1 Teil Aq. destillata. — Diese Lösung wird zwecks 
Verhütung der Oxydation der Zinnchlorürlösung bei Gebrauch 
jedesmal frisch bereitet. 


2. Vorbereitung. 

a) Gewinnung des Blutserums. 

Man gewinnt das Blut mit Hilfe der kleinen Glasröhrchen, 
die zur Wright’schen Bestimmung des opsonischen Index Ver¬ 
wendung finden (s. Abb. a). Das durch stärkeres Reiben mit 
Alkoholgaze hyperämisierte Ohrläppchen wird incidiert, von einem 
Assistenten ausgepreßt, und etwa 0,5 ccm Blut in das Röhrchen 
aufgefangen, dessen gerades Kapillarende in einer klein gestellten 
Flamme zugeschmolzen wird. Nun kann sofort zentrifugiert werden. 
Empfehlenswert ist jedoch, einige Zeit, am besten etwa eine halbe 
Stunde, zu warten, dann das Röhrchen mit dem abgebogenen 
Kapillarende in den Rand des Zentrifugenrohres einzuhängen und 
zu zentrifugieren, da nach einigem Stehenlassen sich das Serum 
des Blutes schneller abscheidet. Will man an einem Tage mehrere 
Blutproben entnehmen, so braucht man nicht jedesmal von neuem 
zu incidieren, sondern man kann die alte Stichstelle mit Alkohol¬ 
gaze kräftig abreiben, wodurch in der Regel genügend Blut austritt. 



Kalorimetrische Methode zur quant. Bestimmung des Harnstoffgehaltes nsw. 321 


b) Enteiweißung. 

Wir haben die Enteiweißung des Blutserums, die bekanntlich 
der Stickstoffbestimmung vorauszugehen hat, nach Oszacki, in 
folgender Weise vorgenommen: 

Eine kleine Pipette mit Marken, die 0,1 und 0,15 ccm ent¬ 
sprechen, dient zur Abmessung der benötigten Lösungen (Serum¬ 
pipette oder S-Pipette, Abb. b). Zunächst pipettiert man 0,15 ccm 
des zu untersuchenden Blutserums in das Glasröhrchen (Abb. c), 
das etwa 6—7 mm Durchmesser hat. Darauf wird destilliertes 
Wasser (nachdem die Pipette einige Male mit letzterem durchspült 
ist), 3mal in gleicher Menge zu dem Blutserum in das Röhrchen 
hinzu abgemessen. Endlich wird noch 0,15 ccm 1,5 ü / 0 iger Uranyl- 
acetatlösung (nachdem auch hier vorher die Pipette mit dieser 
Lösung in gleicher Weise durchspült ist, 
wie wir das oben bei Zufügung des 
destillierten Wassers erwähnten), hinzu¬ 
gesetzt. Hierauf erfolgt kräftiges Ura- 
schütteln der Mischung und dann Zentri¬ 
fugieren oder Filtration durch Papier. 

Mit Hilfe einer elektrischen Zentrifuge 
erhält man wasserklares Zentrifugat. Bei 
Filtration durch Papier ist wegen des 
Flüssigkeitsverlustes durch das Filter die 
Menge der genannten Mischung doppelt zu 
nehmen. — Das erhaltene Zentrifugat, 
welches gänzlich eiweißfrei ist, hat somit 
eine fünffache Verdünnung, wodurch die 
bei den Standardlösungen angegebenen 
Zahlen leicht verwandt werden können. — 

Die Marke 0,1 findet nur in den seltenen Fällen Verwendung, in 
welchen nicht genügend Blutserum erhalten wird, um bis zur Marke 
0,15 zu gelangen. 


a. Blntentnahraeröhrchen. 

b. Sernmpipette (3= Pipette) 

c. Röhreheu filrEuteiweißung. 


3. Ausführung. 

a) In das erste von 6 kleinen Reagensröhrchen gleicher Größe, 
die sich nebeneinander in einem Ständer vor einer Milchglasplatte 
befinden, wird mit der Zentrifugatpipette (C-Pipette, die wie die 
8-Pipette gestaltet ist, jedoch nur eine Marke, 0,1, hat) von dem 
genannten wasserklaren, eiweißfreien Zentrifugate eine Menge bis 
zur Marke gegeben. Hierauf werden die übrigen Reagensröhrchen 
nacheinander mit der gleichen Menge der verschiedenen Standard- 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. US. Bd. 21 



322 


Nakashima u. Mabdoka 


lösnngen und zwar Nr. 10, 20, 30, 50 und 100 beschickt. Dies 
wird mit derselben Pipette ausgeführt, wobei zu beachten ist, daß 
beim Einfüllen einer jeden folgenden Lösung die Pipette mit dieser 
betreffenden Lösung vorher einige Male durchgespült werden muß. 1 ) 

b) Nun wird die Furfurolpipette (F-Pipette), die ebenfalls mit 
der S-Pipette gleiche Form hat, bis zur Marke mit Furfurol gefüllt, 
und diese Menge (0,075 ccm) zu jedem Vergleichsgläschen zugesetzt. 

c) Schließlich gibt man möglichst schnell mit einer 1 ccm- 
Pipette zu jedem Röhrchen noch 0,4 ccm Salzsäure-Zinn chlorür- 
Mischung hinzu, schüttelt jedesmal sofort leicht durch, und beob¬ 
achtet jetzt die Reaktionsfarben, die man miteinander vergleicht. 
Bei der auftretenden bläulich-roten Farbe ist besonders auf den 
Grad des rötlichen Tons zu achten. Gleicht nun z. B. die Reak¬ 
tionsfarbe des ersten Röhrchens, welches das zu untersuchende 
Zentrifugat enthält, der Farbe im Röhrchen mit der Standard¬ 
lösung Nr. 20, so enthält das zu untersuchende Blutserum auf 
100 ccm 20 mg Harnstoffstickstoff. Liegt in einem anderen Falle 
der Färbungsgrad z. B. zwischen den Farbentönen der Standard¬ 
lösungen Nr. 20 und Nr. 30, so nehmen wir die Standardlösungen 
Nr. 20, Nr. 25 und Nr. 30 zur Hand und vergleichen von neuem 
nach dem oben erwähnten Verfahren mit der anderen Portion aus 
dem übriggebliebenen Zentrifugate. Zwischen den vorhandenen 
Standardlösungen wird geschätzt. 

Die Bestimmung ist für den Fall am genauesten, wenn das 
Blutserum 10—30 mg Harnstoffstickstoff auf 100 ccm enthält. 
Wenn man daher bei der ersten Untersuchung Werte findet, die 
weit über 30 liegen, oder gar über 50, so wiederholt man die 
Untersuchung, indem man nun aber das Zentrifugat vorher 2- bis 
10 fach, je nach dem gefundenen Werte, verdünnt. 

4. Verwertbarkeit der Methode. 

Es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob bei den für die 
Ausführung angegebenen Vorschriften außer dem Harnstoff noch 
irgendein anderer Stoff mit den angewandten Reagenzien eine ähn¬ 
liche Farbenreaktion gibt. — Wir haben die Bestimmungsmethode 
geprüft mit allen in normalem Blutserum vorkommenden Stoffen 
sowie mit einer Reihe von gebräuchlichen Arzneimitteln, haben 

1) Falls die C-Pipette zwecks Abmessung des Zentrifugates zu einer noch¬ 
maligen Untersuchung gebraucht werden soll, so muß dieselbe durch Spülung 
mit destilliertem Wasser, Alkohol und Äther in bekannter Weise endgültig ge¬ 
reinigt und getrocknet werden. 



Kolorimetrische Methode rnr quant. Bestimmung des Hamstoffgehaltes usw. 323 

aber mit einer einzigen Ausnahme des Allantoins keinen Stoff ge¬ 
troffen, der die gleiche Farbenreaktion wie der Harnstoff gibt 
Das Allantoin zeigt eine störende Reaktion, aber die Färbung ist 
etwas dunkler, als die durch Harnstoff erhaltene, und fällt aus, 
wenn die Allantoinverdiinnung unter 0,004 °/ 0 heruntergeht. Der 
Allantoingehalt des normalen Blutes ist nun derart gering, daß 
einige Autoren angeben, das menschliche Blut enthalte überhaupt 
Allantoin nicht in nachweisbaren Mengen, andere Forscher hin¬ 
gegen die Ansicht vertreten, es sei nur „in Spuren“ im Blute vor¬ 
handen. Beim Normalen stört demnach der Allantoingehalt unsere 
Reaktion nicht. — Da nun angeblich während der Schwangerschaft 
eine Erhöhung des Allantoingehaltes im Blute eintreten soll, so 
haben wir unsere Methode auch bei einer schwangeren Frau aus¬ 
geführt Wie die Tafel zeigt, sind die Resultate jedoch nicht be¬ 
einflußt worden. 

Nun wissen wir ja in der Tat noch gar nichts über die Natur 
des chemischen Vorganges bei Schiff’s Reaktion, können uns 
also auch noch kein klares, abschließendes Bild machen von der 
Chemie unserer Farbreaktion, weshalb wir auch nicht mit Sicher¬ 
heit aussagen können, ob nicht irgendein Stoff doch vielleicht im¬ 
stande ist, die Reaktion zu stören. Jedenfalls aber steht fest, daß 
unser beschriebenes Verfahren die gleiche Zuverlässigkeit besitzt 
wie die in allen einschlägigen Werken empfohlene qualitative 
Harnstoffprobe nach Schiff. 

In folgender Tabelle stellen wir eine Anzahl von Bestimmungen 
des Harnstoffstickstoffs nach unserer Methode neben Resultaten der 
gleichen Blutsera, die nach der Urease-Methode von van Slyke- 
Cullen untersucht wurden, sowie gleichzeitig neben Resultaten 
von Gesamt-Reststickstoffbestimmungen nach der bekannten Kjel- 
dahl’schen Methode. 

Wie groß das Verhältnis der Mengen Harnstoffstickstoff zu 
den entsprechenden Mengen Gesamtreststickstoff ist, ist mit Be¬ 
stimmtheit noch nicht zu sagen, da sich die verschiedenen Autoren 
noch nicht völlig einig sind. Wir zitieren hier nur aus Strauß: 
„Die Nephritiden“ (1920, S. 90): „Bei einem Vergleich der Rest¬ 
stickstoff- und Harnstoffwerte interessiert auch noch die Frage, 
wie groß der Anteil des Harnstoffes an der Gesamtmenge des 
Reststickstoffes zu sein pflegt. Bei Gesunden beträgt dieser Wert 
nach eigenen Befunden etwa 75°/ 0 , nach J. Bang, Obermayer 
und Popper sowie Knack und v. Monakow aber nur gegen 
50°/ 0 . Nach Hohlweg soll er etwa 60,8°/ 0 , nach Widal und 

21 * 



324 Nakashima u. Maruoka, Methode zur Bestimmung des Harnstoffgehaltes usw- 

Ronchese etwa 80°/ 0 ausmachen. Dagegen beträgt er bei Nieren- 
insufficienz häufig mehr als 80—90°/ o des Reststickstoffes.“ 

Nach unserem bisher vorliegenden relativ kleinen Unter¬ 
suchungsmaterial bei verschiedenen Krankheiten sind wir zu dem 
Ergebnis gelangt, daß 60,8 % des Gesamtstickstoffes auf den Harn¬ 
stoffstickstoff zu berechnen sind. Diese Zahl stimmt zufällig mit 
der Zahl von Hohlweg genau überein und entspricht demnach 
dem Durchschnittswert der von den übrigen Autoren angegebenen 
Zahlen. Man kann also unseres Erachtens den Gehalt des Ge¬ 
samtstickstoffes an Harnstoffstickstoff als rund 60% annehmen. 
Legt man diese Annahme einer Umrechnung der von uns ge¬ 
fundenen Werte an Harnstoffstickstoff in Gesamtreststickstoff werte 
zugrunde, so erhält man die ebenfalls in der Tabelle angegebenen 
Zahlen, die man nun direkt mit den Kjeldahl’schenZiffern ver¬ 
gleichen kann. 


Name i 

Alter 

Ge- , 
schlecht' 

Diagnose 

Gesamt- | 
rest- 
stickstoff 
(n. Kjel- 
dabls- 
Methode) 

Harnstoff- 
Stickstoff 
(n. Urease 
Methode) 

Harnstoff- 
Stickstoff- 
im Ge- 
samtrest- 
stickstoff 

o/ 

'0 

Harnstoff- 
Stickstoff 
(n. unserer 
kolori- 
metrischen 
Methode) 

Be¬ 

rechnetei 

Gesamt- 

reststick- 

stoft 

K. N. 

55 

9 

Schrumpfniere 

28,0 

19,6 

70 

20 

30 

i M. N. 

41 

o* 

Dementia para- 









lytica 

18,9 

12,6 

67 

13 (10—15) 

21 

H. S. 

31 

o” 

Orthotische Al- 









buminnrie 

18.9 

11,2 

60 

12 (10-15) 

20 

T. H. 

46 

o* 

Hirnsyphilis 

14,0 

9,9 

64 

10 

17 

H. K. 

42 

, 9 

Nephrose 

20.3 

11.9 

59 

12 (10—15) 

20 

K. O. 

48 

0* 

Acroaspbyxie 

16,0 

10,6 

66 

10 

17 

S. F. 

42 

s 

Diabetes melitus 

37.0 

26.6 

70 

30 

50 

S. W. 

64 

9 

Urämie 

231,0 

105,0 

45 

110 

180 

S. W. 

64 

5 

Urämie 

189,0 

86,0 

I 46 

90 

150 

K. T. 

30 

9 

Schwangerschaft 

1 


1 






(X. M.) 

17,0 

1 

10,5 

i 

l 11 

t 

9 

15 


Durchschnittswert 60,8 


(Vorliegende Publikation haben wir bereits gelegentlich des 
XVIII. Japanischen Kongresses für Innere Medizin in Tokio 1921 
bekannt gegeben.) 





325 


Aus der Medizinischen Klinik zu Heidelberg. 

Über den Einfloß von Säuren, Alkalien und Neutralsalzen 
auf den respiratorischen Stoffwechsel des Menschen. 1 2 ) 

Von 

Dr. Georg Waldbott. 

Der Organismus hat die Fähigkeit, seine H-Ionenkonzentration 
innerhalb sehr geringer Grenzen konstant zu erhalten, weil das 
anscheinend für den ungestörten Ablauf der Lebensvorgänge eine 
notwendige Voraussetzung ist. Als Indikator dient die Kohlen¬ 
säurekapazität des venösen Blutes. Diese beträgt bei 40 mm C0 2 - 
Spannung und 37,5° durchschnittlich 49 Vol.-°/ 0 , was einer ph von 
7,35 (7,29—7,42) entspricht. Das lebende Gewebe hat wahrschein¬ 
lich ein (H) von 1,5 X10 — 7, etwa entsprechend dem Neutral¬ 
punkte (L. Michaelis (1)). Selbst unter pathologischen Verhält¬ 
nissen sind die Abweichungen von diesen Normalwerten sehr ge¬ 
ring (Lit. bei Grafe (2)). 

Die Regulationsmechanismen, welche diese weitgehende Kon¬ 
stanz garantieren, sind Puffersubstanzen im Blute, Atmung, Nieren¬ 
sekretion und gewisse intermediäre Stoffwechselprozesse, wie NH a - 
Bildung usw\ (Neueste Zusammenfassung über diese Fragen bei 
W i n t e r s t e i n. *)) 

Im Gegensatz zur Konstanz der Blutalkalescenz ist die Re¬ 
aktion der Gewebe bei solchen Zuständen vorübergehend Verände¬ 
rungen ausgesetzt und es ist sicher, daß dieser Umstand für die 
Oxydationen und so für den Gesamtstoffwechsel von weittragender 
Bedeutung ist. 

Daher ist es von großem Interesse festzustellen, welchen Ein- 


1) Vgl. auch die gleichnamige Inauguraldissertation, Heidelberg 1921. 

2) Atraungsregulation und Reaktionsregulation. Naturwissensch. H. 28 u. 
29, 1923. 



326 


Waldbott 


fluß Abweichungen der pn vom Neutralpunkt für die Intensität 
der Verbrennungen haben. 

Zum Studium dieser Fragen eignen sich am besten einzellige 
Organismen. Insbesondere Jaques Loeb (3) und Otto War- 
burg fanden hierbei Abweichungen, Steigerungen bei mäßigen 
Konzentrationen, starken Hemmungen, die zunächst reversibel sind, 
bei weiterer Steigerung der Dosis aber irreversibel werden. 

Beim Warmblüter (Kaninchen und Hunde) liegen aus älterer 
Literatur Angaben von Chvostek (5), Lehmann (6) und 
Loewy (7) vor, aus neuerer von Mäder (8) und Bing (9). Die 
Ergebnisse decken sich mit denen bei Einzelligen. Auch die intra¬ 
venöse Darreichung saurer und alkalischer Salze, wie sie Leim- 
dörfer (10) und Kaeder (11) (weitere Literatur bei Grafe (2)) 
beschrieben haben, ferner Loewy und Münzer, läßt die gleiche 
Gesetzmäßigkeit erkennen. Komplizierend spielt in die Deutung 
der Versuche die reine Salzwirkung, d. h. der Einfluß osmotischer 
Vorgänge, hinein, denn auch Neutralsalze können die Oxydationen 
beeinflussen. Sicher gilt das für intravenöse Injektionen (Tangl, 
Verzär, Leimdörfer, Eaeder, Henriques (12, hier Lite¬ 
ratur), bei subkutaner bleibt es zweifelhaft (vgl. z. B. Heilner), 
während die Frage bei oraler Darreichung noch völlig strittig ist. 
So stellte Steck (14) beim Hunde nach NaCl-Zufuhr eine deut¬ 
liche Steigerung fest, während Lusk 6 (15) sie vermißte. 

Wie verhält sich nun in dieser Frage der Mensch? Exakte 
experimentelle Untersuchungen mit ausgesprochener Säure- und 
Alkalizufuhr liegen hier in sehr geringer Menge vor, und da, wo 
sie wirklich zur Ausführung kamen, wurden die Eesultate in 
anderer Eichtung ausgewei’tet. A. Loewy (16) suchte die Be¬ 
ziehungen von Abführmitteln, speziell des Glaubersalzes zum Stoff¬ 
wechsel aufzuklären, indem er mehrere Menschen in nüchternem 
Zustande Na 2 S0 8 in Gaben von 5—10—15 g -f- 200 g Wasser 
einnehmen ließ. Dabei erzielte er einen erheblichen Mehrverbrauch 
an Sauerstoff. Bei 5 g NaHCl s + 100 g Wasser -j- 100 g NaCl 
kam keine Veränderung des Gaswechsels zustande. Steck (14) 
beobachtete auch beim Menschen Steigerung nach NaCl-Zufuhr. 

In neuester Zeit wurde von Baumgart (17) der Stoffwechsel 
dreier Knaben bei mehrwöchentlicher, ausschließlich saurer, bzw. 
alkalischer Nahrung untersucht. Bezüglich der O a -Aufnahme konnte 
keine Änderung festgestellt werden. Leider wurden diese Ver- 


11 Biochem. Zeitschr. 134, 437, 1922. 



Einfluß von Säuren, Alkalien und Neutralsalzen auf den Stoffwechsel. 327 


suche nur untereinander, nicht auch mit einer Periode neutral 
reagierender Ernährung verglichen. 

Bei den wenigen widerspruchsvollen Versuchen am Menschen 
ist eine klare Antwort auf die aufgeworfene Frage noch nicht 
möglich. Deshalb nahm ich sie auf Anregung und unter Leitung 
von Herrn Prof. Grafe hin von neuem auf, indem ich in Selbst¬ 
versuchen nach Einnahme mäßiger Mengen von Säuren und alka¬ 
lischen Salzen den Gaswechsel untersuchte. Auch mit Neutral¬ 
salzen wurden entsprechende Versuche angestellt. 

Die Möglichkeit genauerer Bestimmung der Oxydationen bot 
sich mir durch den von Grafe nach Jaquet’s Prinzip konstru¬ 
ierten Respirationsapparat (nähere Beschreibung vgl. 18). Die 
Versuche dehnten sich meist über 3, die beiden ersten über 4 Stunden 
aus. Sie wurden paarweise vorgenommen, derart, daß zu jedem 
Säure- bzw. Salzversuch ein am folgenden oder vorhergehenden 
Tage unter möglichst gleichen Bedingungen stattfindender Normal¬ 
versuch angestellt wurde. Für Versuch 12 und 13 stellte sich 
Herr cand. med. M. als Versuchsperson zur Verfügung. Um die 
Darmmuskelbewegungen, Drüsentätigkeit und Resorptionsarbeit auf 
ein möglichst geringes Maß zu beschränken, begann ich die Ver¬ 
suche morgens bei mindestens 12stündiger Nüchternheit. Nach 
Zurücklegen des kurzen Weges zum Orte des Versuches bewahrte 
ich */ 4 —*/* Stunde lang völlige Ruhe und bemühte mich auch 
während des ganzen Versuches jegliche spontane Muskelbewegungen, 
soweit sie nicht zur Aufnahme der Versuchssubstanzen nötig waren, 
auszuschalten. In den während des ganzen Versuches äufgefangenen 
Harnen wurde Säure- bzw. Alkalescenzgrad, der Gehalt an N und 
in Versuch 8 — 19 auch NH„ bestimmt. 

Als Ergebnis der Versuche, die in der Tabelle auf S. 328/29 über¬ 
sichtlich dargestellt sind, zeigte sich eine Beeinflussung des 
Gaswechsels auch beim Menschen im Sinne einer Mehr¬ 
zersetzung sowohl durch Säuren wie durch Alkalien 
und Neutralsalze. Die durchschnittliche Steigerung des 0 9 - 
Verbrauchs in den Säureversuchen war -f-11,6 °/ 0 (-f- 5,7 minimal, 
14,7 °/ 0 maximal), in den Alkaliversuchen + 7,26 °/ 0 (—0,3 °/ 0 mini¬ 
mal, —j- 11,1 °/ 0 maximal) nach Kochsalzgaben —J- 14,55 °/ 0 (-}- 7,6 °/ 0 
minimal, 21,5 °/ 0 maximal). Daß Säure stärker wirkt als Alkali, 
entspricht auch den Versuchen am Tier. 

Betrachten wir die Einzelheiten an der Hand beifolgender 
Tabelle. Spalte 4 enthält Angaben über Körpertemperatur, Puls, 
Respiration und Körpergewicht, die durchaus der Norm entsprechen. 



328 


W ALDBOTT 


1 

2 

3 



4 


5 

6 



7 

Nr. 

Pro- 

to- 

Datum 


Angaben über 


Mittlere 
Tempera¬ 
tur im 
Kasten 

Art des Versuchs 

Og-Verbrauch 

im 

3 ständigen 
Versuch 
in Litern 

koll- 

Nr. 

Kör¬ 

per- 

Puls 

Respi¬ 

ration 

Kör- 
per- 
ge- 
wicht 
in kg 

Zugeführte 
Substanz 
in g 

H*0 



1920 

tempe- 

ratur 


ccm 

Ge¬ 

samt 

! Pro 

1 

439 

27. IX. 

36,5» 

72 

20 

63,35 

18,1® 


250 

40,5 

' 0,6393 

2 

440 

28. IX. 

36,1» 

68 

21 

63,30 

17,95® 

0,67 g HCl, 
2,14 g H 3 P0 4 

350 

46,5 

0,7333 

3 

441 

30. IX. 

36,3® 

72 

20 

63,15 

17,5» 

0,625 g HCl, 

2,002 g 

H 3 P0 4 

390 

46,6 

! 0,7379 

4 

442 

1. X. 

36,3« 

70 

21 

63,05 

17,8» 


200 

40,82 

! 0,64711 

5 

443 

4. X. 

36,4° 

72 

21 

63,10 

18,95» 


325 

40,2 

I 0,6688 

6 

444 

5. X. 

36,3® 

70 

22 

63,80 

17,25» 

24 g NaHCOg 

195 

47,4 

0,7430 

7 

445 

6 . X. 

36,2» 

70 

22 

63,80 

16,90 

11 g NaHC0 3 

275 

46,6 

0,7305 

8 

446 

7. X. 

36,1-2» 

62 

23 

63,50 

17,7» 


275 

43,4 

0,6834 

9 

447 

8 .X. 

36,4 0 

73 

23 

63,10 

17,1» 

25 g NaCl 

6 Stück 
Oblaten 

375 

46,4 

0,7353 

10 

448 

11. X. 

36,6® 

72 

23 

62,40 

15,55® 

6 Oblaten 

320 

47,0 

0,7532 

• 

11 

449 

12. X. 

36,6» 

70 

20 

63,00 

16,3» 

20 g MtrO 
-J— 6 Stück 
Oblaten 

300 

47,3 

0,7509 

12 

450 

14. X. 

36,6» 

70 

18 

71,80 

16,75® 


125 

49,0 

0,6825 

13 

451 

15. X. 

36,5® 

73 

18 

71,40 

16,95» 

1.25 g HCl, 
4,0 g H 3 PO 4 

325 

51,5 

0,7213 

14 

452 

18. X. 

36,2-5° 

70 

20 

62,70 

14,3» 


300 

46,2 

0,7367 

15 

453 

20 X. 

36,6° 

69 

20 

62,40 

15,65® 

21 g NaHCO, 

325 

50,3 

0,8061 

16 

488 

23. XII. 

36,0-2» 

72 

20 

64,00 

19,6® 


340 

41,9 

0,6546 

17 

489 

24. XII. 

36,4® 

72 

21 

64,00 

21,4» 

23 g NaCl 

340 

50,9 

0,7952 

18 

490 

29. XII. 

36,3» 

72 

21 

63,80 

19,4» 


340 

41,0 

0,6427 

19 

491 

30. XII. 

36,3-5® 

78 

21—25 

64,25 

19,5» 

9 g MgO 

265 

45,1 

0,7021 









Einfluß von Säuren, Alkalien und Neutral salzen auf den Stoffwechsel. 329 


1 

i 


9 

1 U 

I 

11 

12 

13 

14 






Urin anf 3 Std. 


| 


CO,-Aus¬ 
beulung im 

Veränderung 
de o t Werte 


reduziert 

N 

NH, 




saure (+) 


stiindigen 

Versuch 

gegenüber 

den Ver- 

Respira¬ 

torischer 

Menge 

bzw. 

alkal. (—) 
Reaktion 

in g 

in g 

Bemerkungen 

in Litern 


gleich«- 

Quotient 







versuchen 


in 

in ccm 




Ge- 

amt 

pro 

kg 


°/o 1 


ccm 

iö Nor - 

mallösnng 

im 3Btündigem 
Urin 


4,26 

0,5411 

] 

1 

0,8463 

402 

+ 20,1 

0,873 


Versuchsdauer 



| 

| 

+14,7 




4 Stunden 

18.36 ! 

0,6059 

1 

1 

0,8249 

829 

+ 58,0 

1,301 



17,30 ! 

1 

0,5906 


+ 14,3 

0,8004 

916 

I 

+ 95,9 

1,207 


Öfter Aufstoßen 

4,15 

0,5417 



0,8370 

617 

+ 21,8 

0,9943 


Kollern im Leib 

16,40 

0,5769 

1 

|+H,09 

0,8626 

797 

+ 23,9 

1 

1,106 



10,71 

0,6381 

J 

0,8588 

595 

— 17,8 

0,8420 1 

0,01834 


19,78 

0,6236 
1 1 

J + ß,89 

0,8537 

724 

-14,5 

1,308 1 

0,01624 


17,57 

0,5916 

0,8656 

936 

+ 20,85 

1,290 | 

0,01705 


10.32 

0,6390 


+ 7,59 

0,8676 

435 I 

1 

+19,53 i 

1,134 

0,01463 


11.28 

0,6615 



0,8784 

643 

+ 12,86 

1 

1,568 

0,0126 

Unruhe? Seelische 




- 0,3 


Erregung 

17,61 

0,6970 


' i 

0,7951 

, 756 

+ 7,56 

1,589 1 

i 

0,0106 

Kältegefühl 

13,30 

0,6032 

] 

i 

| + 5,68 

0,8824 

1090 | 

+ 27,2 

1,191 

0,02138 

\ 

1 Versuch an 

1 cand. med. M. 

18.68 

\ 0,6817 J 

1 

0,9452 

943 

+ 84,86 

1,216 

0,0819 

J geringe Bronchitis 

40,08 

0,6391 

1 

| + 9,42 

0,8676 

886 

+ 8,9 

1,229 

00156 

Kältegefühl 

43,78 

0,7016 

J 

0,8704 

576 

— 17,82 

1,372 , 

0,01130 


35.31 

0,5517 

1 

1 

I 

0,8428 

887 

+ 19,9 

1,274 

0,02113 

Geheizt 


> +21,5 


1 


43,68 

0,6825 

0,8582 

410 

+ 30,8 

1,252 

0,01953 

Kein Opium. Stuhl- 



1 



drang 

36,72 

0,5755 

. 1 

1 

0,8956 

593 

+ 26,7 

1,312 , 

0,01993 

Beginn nach ll k 


j + 9,24 

| 


37.43 

0,5826 

0,8298 

815 

+ 10.2 

1,451 : 

0,02514 

Kollern 



330 


Waldbott 


Die Temperatur des Kastens konnte, wie aus Spalte 5 erhellt, in 
den einzelnen Versuchen nicht konstant erhalten werden, ein Um¬ 
stand, der die Resultate insofern merklich beeinflußte, als ich in 
den Versuchen 10 und 14 fror (vgl. Stab 14). In Spalte 6 sind 
die Quantitäten eingenommener Salze bzw. Säuren mit den gleich¬ 
zeitig getrunkenen Flüssigkeitsmengen enthalten. Spalte 7 und 8 
ergeben die gefundenen Mengen eingeatmeten Sauerstoffs und pro¬ 
duzierter Kohlensäure in Litern und zwar zunächst die Gesamt¬ 
werte innerhalb dreier Stunden und dieselben reduziert auf 1 kg 
Körpergewicht, um die Versuchspaare miteinander vergleichen zu 
können. Als zuverlässiges Maß für die Gaswechselveränderung 
wurden nur die gefundenen Werte des Sauerstoffes herangezogen, 
da die C0 2 -Ausscheidung durch den Eintritt saurer oder alkalischer 
Stoffe ins Blut Veränderungen unterliegen kann. Es zeigt sich, 
daß für die Normalversuche die Mengen an verbrauchtem 0 2 in 
den ersten beiden Versuchswochen (1, 4, 5, 8) und auch bei den 
Versuchen im Dezember (16,18) ziemlich konstant waren, während 
in den Versuchen 10 und 14 ein übermäßig hoher 0 2 -Verbrauch 
zu verzeichnen ist. Eine Erklärung hierfür ist gegeben durch den 
Vergleich mit den betreffenden Kastentemperaturen in Spalte 5. 
Was besonders den Versuch 10 betrifft, so glaube ich diesen über¬ 
haupt ausschließen zu müssen. Einmal befand ich mich an jenem 
Tage infolge einer Unglücksnachricht in einer heftigen Gemüts¬ 
bewegung, die mich während des ganzen Versuches beeinflußte. 
Die Erhöhung des 0 2 -Wertes könnte in Einklang mit den Folge¬ 
rungen von Grafe (19) und seinen Mitarbeitern Traumann und 
Mayer aus ihren Gaswechseluntersuchungen bei Hypnose, wobei 
sie erhöhten Umsatz bei suggerierten Erregungen beobachteten (19), 
sehr wohl durch den Affekt bedingt sein. Allerdings vermag ich 
nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß ich in diesem Versuche 
nicht so große Muskelruhe wie in den anderen innegehalten habe. 

Bei Betrachtung der einzelnen Versuchspaare finden sich 
durchwegs Erhöhungen der 0 2 -Aufnahme nach Salz- bzw. Säure¬ 
zufuhr mit Ausnahme von den Versuchen 10 und 11, wo keine 
sichere Differenz (— 0,3 °/ 0 ) zu verzeichnen ist. Auffallend ist die 
geringe Steigerung von nur 5,68 °/ 0 bei ziemlich gleichmäßiger 
Temperatur in Versuch 13 (Herr cand. med. M.). Vielleicht ist 
hieraus bereits die Tendenz zum Abfall zu ersehen, wie sie bei 
höher konzentrierten Säuredosen an Tieren beobachtet wird. Um 
so mehr muß daran gedacht werden, als das Allgemeinbefinden der 
Versuchsperson infolge leichter Vergiftungserscheinungen noch lange 



Einfluß von Säuren, Alkalien und Neutralsalzeu auf den Stoffwechsel. 331 


Zeit nach dem Verlassen des Kastens stark beeinträchtigt war. 
Spalte 11 enthält die Mengen des ausgeschiedenen Urins und dessen 
Säurewerte. Bei den NaHCO,-Versuchen ist der Urin alkalisch, 
während die eingenommenen MgO-Mengen nicht ausreichten, einen 
Umschlag des Urinsäurewertes nach der alkalischen Seite hervor¬ 
zurufen. Die Titration des Harnes sollte gewisseAnhaltspunkte für 
die Stärke der Reaktion bieten. Bei der Inkonstanz der Nahrung 
sind die Werte von Spalte 12 und 13 nicht ohne weiteres zu Ver¬ 
gleichszwecken geeignet. Im Säureversuch 13 ist die NH S -Ausschei¬ 
dung erheblich vermehrt, was den Erfahrungen vou Begun und 
Münzer (20) entspricht, die das Ammoniak im Harne geradezu 
als Indikator für die Stärke der Acidose betrachtet wissen wollen. 
Zucker oder Eiweiß fanden sich nie vor. 

Nach dem Ausfall meiner Versuche kann an der Tatsache 
einer Beeinflussung der Stoffwechselintensität durch Verfütterung 
mäßiger, nicht vergiftender Mengen von Alkali und Säure auch 
beim Menschen nicht gezweifelt werden, und es entsteht die Frage, 
wie sich unsere Ergebnisse erklären lassen. Loewy (17) vertrat 
die Ansicht, daß der Hauptanteil der Gaswechselsteigerung auf die 
Darmmuskeltätigkeit und auf die Darmdrüsenarbeit zu beziehen 
sei. Subjektive Gefühle der Versuchspersonen, „Sensationen“ im 
Bauch, Kollern und Flatulenz, dünne, wässerige Stühle werden als 
Ausdruck der vermehrten Darmleistungen angesehen. Benedict 
und Emmes (21) erbrachten dagegen den Nachweis, daß selbst 
die gewaltige Darmperistaltik, die bei Gaben großer Mengen von 
Agar-Agar auszulösen ist, bei genauen Untersuchungen nur einen 
kaum merkbaren Mehrverbrauch an 0 2 verursacht. In unseren 
Versuchen waren Sensationen auch bei alleiniger Aufnahme von 
Wasser vorhanden. Durchfälle konnten in den Salzversuchen durch 
prophylaktische Opiumeinnahme vermieden werden. Ein weiteres 
Argument gegen Loewy’s Annahme ergibt sich aus den zahl¬ 
reichen Tierversuchen, bei welchen der Digestionstraktus durch 
die intravenöse Injektion ausgeschaltet wurde. 

Das Ansteigen der Oxydationen könnte bei der Volumver¬ 
mehrung der im Kreislauf zirkulierenden Flüssigkeit weiterhin 
auch als Folge der erhöhten Herzarbeit aufgefaßt werden, obgleich 
auch in unseren Normal versuchen die gleiche Menge Wasser zu¬ 
geführt und so das Gefäßsystem gleich stark belastet wurde. 
Verzar (22) bewies jedoch, daß bei Anreicherung des Blutes 
an Wasser, die durch stärkere Salzkonzentration hervorgerufen 



332 


Waldbott 


wird, Überlastungen der Herztätigkeit für den gesamten Gaswechsel 
wenig ins Gewicht fallen. 

Auch den Nieren wird bei der Anwesenheit der Salze und 
Säuren im Blute eine beträchtliche Mehrarbeit zugemutet und man 
könnte mit Zuntz (14) geneigt sein, einen guten Teil der Stoff¬ 
wechselsteigerung auf Rechnung der Nieren zu setzen. Dem wider¬ 
spricht, daß Tan gl (23) auch bei Ausschaltung der Nieren durch 
deren Exstirpation oder durch Unterbindung der Nierengefäße nach 
intravenöser Infusion von NaCl einen erheblichen Mehrverbrauch 
von 0 2 beobachtete. 

Weiterhin wäre zu erwägen, ob das Mehr an Atembewegung, 
womit das Atemzentrum zur Abdunstung der C0 2 den Reiz der 
eingeführten Säuren beantwortet, bei Erklärung der aufgeworfenen 
Frage in Betracht gezogen werden könnte. Der Anteil der 
Atemtätigkeit am Gesamtstoffwechsel ist jedoch so gering, daß auf 
diese Weise eine erkennbare Steigerung der Oxydationen wohl 
auszuschließen ist. 

Wenn alle diese Momente in ihrer Gesamtheit wohl Be¬ 
achtung verdienen, so bieten sie doch keine hinreichende Erklärung 
für die Oxydationssteigerung von durchschnittlich über 10 °/ 0 , 
welche unsere Versuche ergaben. 

Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man den Hauptanteil der 
Gaswechselerhöhung auf die direkte Wirkung der Substanzen auf die 
Gewebe bezieht. Auch Leimdörfer (10) und Henriques (12) 
äußern sich bei den Tierversuchen in diesem Sinne. Man könnte 
geneigt sein, da, wo bei stärkerer Konzentration der Substanzen 
die Oxydationen sanken, an ein dem Stadium der Gewebsreizung 
folgendes Lähmungsstadium zu denken, so daß hier zweifellos Ana¬ 
loga zu dem Verhalten der Einzelligen vorliegen. 

Der zwingende Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme 
läßt sich nur durch den Nachweis einer tatsächlichen Verschiebung 
der p H im Blute bringen. Daß hier unter dem Einfluß starker 
Alkalien und Säuren Änderungen Vorkommen können, haben Hug- 
gard und Henderson (24) sicher bewiesen, ob sie aber auch in 
unseren Versuchen Vorlagen, ist sehr fraglich. Während der Re¬ 
spirationsversuche im geschlossenen Kasten lassen sich ja Be¬ 
stimmungen der H-Ionenkonzentration im Blute nicht anstellen. 
Aber selbst für den wahrscheinlichen Fall keiner Änderung besteht 
durchaus die Möglichkeit, daß die Oxydationsstärke der Zelle ein 
viel feinerer Indikator auf Reaktionsveränderungen ist, als die 
doch relativ recht grobe Methode der pn-Bestimmung. 



Einfluß von Säuren, Alkalien und Neutralsalzen auf den Stoffwechsel. 338 

Ob die Stoftwechselveränderung das gesamte Protoplasma be¬ 
trifft oder nur bestimmte Organsysteme (Leber?) läßt sich vor¬ 
läufig auch nicht entscheiden. Auf Grund der Untersuchungen 
Loeb’s kann man wohl sagen, daß bei den Säuren das H-Ion, bej 
den Alkalien das OH-Ion und bei Salzen vornehmlich das Metall- 
Ion die physiologische Wirkung bestimmt. Natürlich wird es sich 
bei der angenommenen „Reizung“ niemals allein um rein chemische 
Kräfte handeln, sicherlich spielt auch eine physikalische Kompo¬ 
nente, die osmotische Wirkung der anisotonischen Salze auf die 
Gewebe, dabei eine Rolle. 

Zusammenfassung. 

1. Bei der Einnahme mäßiger Mengen von Säuren, alkalischen 
und Neutralsalzen wurde am Menschen durch Versuche in dem 
Grafe’schen Respirationsapparat eine deutliche Steigerung des re¬ 
spiratorischen Stoffwechsels konstatiert. Sie betrug für den Sauer¬ 
stoffverbrauch bei Säuren (HCl und Phosphorsäure) -f- 11,6 °/ 0 , bei 
Alkalien (NaHCO, und MgO) + 7,26 °/ 0 , bei Neutralsalzen (NaCl) 
-+- 14,55 °/ 0 im Durchschnitt. 

2. Es scheint dieses Ergebnis durch eine direkte Einwirkung 
der eingeführten Salze bzw. Säuren auf das Protoplasma der Ge¬ 
webszellen des Organismus bedingt zu sein. 


Literatur. 

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S. 92. — 2. E. Grafe, Pathol. Physiol. d. Gesamtstoff- und Kraft Wechsels. Ergehn, 
d. Phys. 23, II. Abteil., S. 220 und Sonderausgabe. Bergmann, München 19z3. — 

3. OttoWarburg, Beiträge zur Physiologie der Zelle, insbes. über die Oxydations- 
gesi hwindigkeit der Zellen. Ergebnisse d. Physiol (Asher-Spiro) XIV, 1914, S. 253. — 

4. Jaques Loeb in Oppenheimer’s Handb. d. Biochemie. II. 1909, S. 107ff. 
— 5. Chvostek, Der oxydative Stoffwechsel bei Säureintoxikation. Zentralbl. 
f. innere Med. 14, 1893. S. 329. — 6. Lehmann, Tagung der Magdeburger 
Naturforscher-Vers. 1884. — 7. A. Loewy, Bemerkungen zur Wirkung der Bor¬ 
präparate auf den Stoffwechsel. Arch. (f Anat) u. Physiol. 1903, S. 378. — 
8 . Mäder, Untersuchungen Uber den Einfluß von Salzen auf den respiratorischen 
Stoffwechsel. Verüff. d. Zentralstelle f. Balneologie II, 1913. — 9. Richard 
Bing, Über den Einfluß von CO,-, CI-, PO*-Ionen auf die Oxydationsvorgänge 
im Tierkörper. Biochem. Zeitschr. 112, 1921, S. 210. — 10. Leimdörfer, Über 
den Einfluß der intravenöseu Infusion von Säuren, alkalischen und Neutralsalz¬ 
lösungen auf den respiratorischen Stoffwechsel. Biochem. Zeitschr. 69. 1914, 

5. 461. — 11. Räder. Über die Wirkung der intravenösen Infusion von Chlor- 
natrinmlösuntren, Säuren und Alkalien auf den respiratorischen Stoffwechsel bei 
der Urethannarkose. Biochem. Zeitschr. 69, 191ö, S 257. — 12. Henriques, 
Über die Wirkung der intravenösen Infusion von hypertonischen Lösungen ver¬ 
schiedener Salze und einiger organischer Stoffe auf den respiratorischen Stoff¬ 
wechsel Biochem. Zeitschr. 74, 1916, S. 185. — 13. E Heilner, Zeitschr. f. 
Biol. 50, 476, 1908. — 14. Vgl. Zuntz, Med. Klin. 1910, S. 3(>9 u. 351. — 
15. Lusk, Journ. of biol. chem. 13, 37, 1917. — 16. A. Loewy, Über den Ein- 



334 Waldbott, Einfluß von Säuren, Alkalien u. Neutralsalzen auf den Stoffwechsel. 

flnß der salinischen Abführmittel auf den Gaswechsel des Menschen. Pflüger’s 
Arch. 43, 1888, S. 515. — 17. Gertrude Baumgart, Einfluß der Basen und 
Säuren auf den Stoff- und Kraftwechsel. Arch. f. Kinderheilk. Bd. 69, 1921, 
S. 209. — 18. E. Grafe, in Abderhalden’s Handbuch der biochem. Arbeits¬ 
methoden. VII, 1913, S. 498. — 19. Ders. u. Traumann, Zeitschr. f. d. ges. 
Neurol. und Psych. 62, 1920, S. 237. Grafe u. Mayer, ebenda 86, 247, 
1923. — 20. H. Begun u. Münzer, Über Acidose nnd deren Regu¬ 
lation im menschlichen Körper. Biochem. Zeitschr. 71, 1915, 255. — 21. F. G. 
Benedict u. Emmes, Am. II of phys. 30, 197, 1912. — 22. Verzär, Die 
Wirkung intravenöser Kochsalzinfusionen auf den respiratorischen Gaswechsel. 
Biochem. Zeitschr. 34, 1911, S. 41. — 23. Tangl, Die Arbeit der Niere nnd die 
spezifisch-dynamische Wirkung der Nährstoffe, IV. Biochem. Zeitschr. 34, 1911, 
S. 17. — 24. H. W. Haggard u. J. Henderson, II of biol. chem. 39, 163, 
1919. 



335 


Aus der Medizinischen Klinik und Nervenklinik Tübingen. 
(Vorstand: Prof. Otfried Müller). 

Akute Myelosen nach Bienenstichen und ihre 
Oxydasereaktion. 

Von 

W. Parrisius und H. Heiniberger. 

Privatdozent Assistenzarzt der Klinik. 

Im letzten Vierteljahre kamen an der Klinik zwei Fälle von 
akuter Myelose zur Beobachtung, die ihrer Gleichartigkeit wegen 
einiges Interesse verdienen. 

Fall I. Ernst Sch., 68 Jahre, Lehrer, war im August 1922 in 
der Klinik gelegen wegen akuter Nephritis nach Durchnässung, mit 
Eiweiß und Blut im Urin. Blutdruck 139/63 mm BR, Beststickstoff im 
Blut 63 mg in 100 ccm. An der Milz normaler Befund. Nach sechs¬ 
wöchiger Behandlung gebessert entlassen, aber noch mit reichlich Eiweiß 
und Zylindern im Urin. 

Seit Februar 1923 will er eine geringe Abnahme seiner Leistungs¬ 
fähigkeit bemerkt haben, ohne dies weiter zu beachten. Sein Befinden 
habe überhaupt seit der Nierenerkrankung stark gewechselt. Anfang 
April wurde er von einem ruhrkranken Bienenvolk überfallen, er habe 
dabei etwa 40 Stiche hauptsächlich ins Gesicht eihalten. Die Augen¬ 
lider schwollen an und wurden blutunterlaufen, hohes Fieber stellte sich 
ein. Am 5. V. Einweisung in die Klinik. 

Befund: Schwere Anämie, Augen geschwollen, die Lider blutig im- 
bibiert, große Suggilationen (handtellergroß) an den Beinen, kleinere an 
Brust und Oberarmen; schwere hämorrhagisch-ulzeröse Qingivitis und 
Stomatitis, starker Fötor ex ore. Großer Milztumor, die Milz überragt 
den Rippenbogen um zwei Querfinger. 

Blutbefund: Hb: 49 °/ 0 , Rote: 2,4 Mill. Färbeindex: 1,0. Weiße: 
120 000, davon typische Myeloblasten 2 °/ 0 , atypische myeloische Zellen 
(s. u.) 67 °/ 0 , neutrophile Leukocyten 27 °/ 0 , eosinophile Leukoc. 0,5 °/ 0 , 
Lymphocyten 3,5°/ 0 , Gerinnungszeit 4'/ 2 Min. (Bürker) Blutplättchen: 
87 000? Im roten Blutbild Megaloblasten, Normoblasten, Anisocytose, 
Poikilocytose, Polychromasie. 53 °/ 0 der Zellen waren oxydasepositiv. 
Im Urin Albumen -(-, granulierte Zylinder, rote und weiße Blutkörperchen. 



336 


Paerisius u. Heimberger 


Im weiteren Verlauf traten Blasen- und Darmblutungen auf, die 
Anämie nahm zu bis auf 35 °/ 0 Hb und 1,9 Mill. Rote. Leukocyten 
zum Schluß 648 000, die Differenzierung zeigte am Todestag reichlich 
Myelocyten. Am 20. V. Exitus, 2 Wochen nach der Aufnahme. 

Sektionsergebnis: (Prof. Schmin ck e.) 1. makroskopisch: Wächserne 
Blässe der Haut und sichtbaren Schleimhäute. Die cervikalen Lymph¬ 
drüsen beiderseits vergrößert, auf dem Schnitt von bräunlicher Farbe 
und zum Teil weicher Konsistenz. An verschiedenen Stellen dunkelblau¬ 
rot durch die Haut durchschimmernde, sich derb anfühlende Verdickungen 
erweisen sich als weiche Gewebsinfiltrate. Große Follikel am Zungen¬ 
grund, große halbkugelig vorspringende Tonsillen (frische Gewebsinfiltra- 
tion). In der Schleimhaut des Rachens teilweise flächenhaft zur Ent¬ 
wicklung gekommene Blutungen; desgleichen in der Schleimhaut des 
Kehleinganges sowie oberen Kehlkopfteiles. Die Milz stark vergrößert 
(24/13; 5/7), Kapsel fibrös verdickt, in derselben kleine Blutungen. 
Schnittfläche gleichmäßig bläulich-bräunlich. Follikel, Trabekel nicht 
erkennbar. Die Drüsen am Milzhilus bis kirschkerngroß, mit einem 
bräunlichen, weichen Gewebe erfüllt. Die Drüsen der Leberpforte bis 
bohnengroß. Auf dem Schnitt sind sie durch das gleiche bräunliche 
Gewebe wie die Drüsen am Milzhilus infiltriert. In der Schleimhaut des 
Magens an verschiedenen Stellen Blutaustritte. Die Drüsen am Paokreas- 
kopf bis bohnengroß, bräunlich verfärbt. Die Leber vergrößert. Kapsel 
gespannt, kleine Blutungen an dem seitlichen Band. Läppchenzeichnung 
noch deutlich erkennbar. Die Nieren gut um das anderthalbfache des 
normalen vergrößert. In der Oberfläche eine Anzahl bis kirschgroßer, 
mit klarer Flüssigkeit gefüllter Cysten, eine große Anzahl von Blutungen. 
Rinde und Bertinische Scheide verbreitert, mit kleinen Blutungen durch¬ 
setzt. Die Schleimhaut des Rektum schiefrig schwärzlich mit kleinen 
bis stecknadelkopfgroßen bräunlichen Erhebungen, die wie frisch durch¬ 
blutete Stellen aussehen. Am Anus ulcerierte, bis kirschkerngroße Be¬ 
zirke. Die Lymphdrüsen neben der Bauchaorta und die Drüsen des 
Mesenteriums sind infiltriert, bräunlich, weich auf dem Schnitt. Im Be¬ 
reich der atrophischen, schwärzlichen Follikel des Ileum fleckige, bräun¬ 
liche Herde, die wie Blutungen aussehen. Im unteren Ileum sind die 
Follikel kissenartig prominent, schwärzlich geschwürig, auf den Geschwüren 
gelbliche Schorfe. Im Sternum hellrötlich-bräunliches, im rechten Ober¬ 
schenkel gelblich-bräunliches (pyoides) Mark. 

Zusammenfassung: Allgemeine schwere Anämie. Hämor¬ 
rhagische Diathese. Leukämische Infiltration der cervikalen, 
portalen, mesenterialen, parapankreatischen und paralienalen 
Lymphdrüsen, des Unterhautzellgewebes und der Gaumenmandeln. 
Leukämische Infiltration der gehäuften Follikel des unteren Ileum 
mit Verschorfung und Geschwürsbildung, leukämischer Milzturaor. 
Pyoide Umwandlung des Knochenmarkes des rechten Femur, chro¬ 
nisches Nierenleiden (breite weiße Niere). 

2. mikroskopisch: In allen Organen z. T. massige Zellinfiltrate 
vom Typ der Myeloblasten, z. T. myelocytärer Elemente; die Zellen 



Akute Myelosen uach Bieueusticheu und ihre Oxydasereaktion. 337 


zeigen größtenteils positive Oxydasereaktion. Die Nieren zeigen 
das Bild einer chronischen parenchymatösen Degeneration mit aus¬ 
gedehntem Desquamativkatarrh der Harnkanälchenepithelien, keine 
Entzündung, jedoch leukocytäre Infiltrate in mäßiger Zahl. 

Bezüglich der Differenzierung der Blutpräparate wäre noch 
folgendes zu bemerken: die 67°/ 0 als „atypische myeloische Zellen“ 
bezeichneten Gebilde waren große Zellen mit stark gelapptem Kern 
von der Struktur eines Myeloblasten, die Färbbarkeit von Kern 
und Protoplasma war geringer als die der typischen Myeloblasten, 
und einzelne dieser Zellen hatten staubförmige Granulationen. So 
nahmen wir zuerst an, es handle sich um sog. Monocyten, worunter 
wir die großen Mononukleären und Übergangsformen des normalen 
Blutes verstehen. Wir benannten daher den Fall zunächst „Mono- 
cytenleukämie“ und haben ihn unter dieser Bezeichnung in der 
Sitzung des Mediz.-Naturwissenschaftlichen Vereins Tübingen am 
14. Mai 1923 demonstriert. Viele der Zellen glaubten wir als 
Promonocyten Hittmair’s ansprechen zu dürfen. 

Wir haben die Präparate dann auch Prof. Naegeli-Zürich. 
Prof. W. H. Schultze-Braunschweig, Prof. Schilling-Berlin 
und Dr. Hittmair-Innsbruck vorgelegt. Auch an dieser Stelle 
danken wir den Herren vielmals für ihre Mühewaltung. Wir lassen 
die Mitteilungen der Herren folgen: 

Naegeli-Zürich: Neutrophile 10,6°/ 0 , Eosinophile 0,4°/ 0 , 
Basophile 0,4 °/ 0 , Myeloblasten 87,0 °/ 0 , Myelocyten 0,8°/ o> Metamyelo- 
cytenO,8°/ 0 , Lymphocyten: 0. Blutplättchen: wenig große; Normo- 
blasten, Anisocytose, Polychromasie, basophile Punktierung. „Die 
Myeloblasten haben alle typisch blaues Protoplasma. Kerne alle 
Stadien von rund bis stark gelappt, sie sind stark umgebildet in 
pathologischer Weise, so daß sie tatsächlich das Aussehen von 
Monocyten bekommen. Die Neutrophilen nicht vakuolisiert, nie 
toxische Granula, nie toxischer Kern.“ 

W. H. Schultze-Braunschweig schreibt uns: 2°/ 0 Myeloblasten, 
66°/ 0 atypische Myeloblasten, 23 °/ 0 Neutrophile, 8 °/ 0 Lymphocyten. 
„Die Oxydasereaktion ergibt unter den weißen Blutzellen mit Ein¬ 
schluß der Neutrophilen 61 °/ 0 mit pos., 39°/ 0 mit neg. Oxydasereaktion. 
Unter den oxydasepositiven findet man alle Übergänge von Zellen mit 
allerfeinsten spärlichen Granulis bis zu dichter Granulierung.“ 

Schilling-Berlin berichtet: „Es handelt sich ohne Zweifel 
um eine Art „Myeloblastenleukämie“ von weitgehender Atypie der 
Zellformen. Echte bzw. typische Myeloblasten fand ich etwa im 
Verhältnis 2:5 atypische Monocytoiden; daneben Neutrophile mit 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 143. Bd. 22 



338 


Parrisiü 8 n. Heimberokr 


regenerativer K.V. und etwa 1 I 10 lymphatische Elemente. Die Oxy- 
dasereaktion fällt nach Stärke der Lösung verschieden aus. Bei 
guter Abstimmung (Neutrophile kräftig, Lymphocyten ganz frei) 
werden etwa Vs der Zellen positiv. Es handelt sich offenbar um 
eine Entdifferenzierung des Oxydaseferments, denn auch Segment¬ 
kernige waren manchmal nur spurweise positiv. (Diese Beobachtung 1 
machte Waldau an unserer Klinik ebenfalls). Stark positive 
Formen fanden sich in allen Zellklassen der myeloischen Elemente,, 
auch unter den Monocytoiden.“ (Er gebrauchte seine fein abstuf- 
bare Schnellmethode am unfixierten Präparat.) 

Und schließlich Hittmair-Innsbruck: „Es handelt sich tatsäch¬ 
lich um eine Monocytenleukämie mit Promonocyten darunter. Für 
atypische Myeloblasten halte ich die Zellen ihres Protoplasmas und 
der negativen Oxydasereaktion wegen nicht, für atypische Granulo- 
cyten- bzw. Granulocyten vor stufen nicht, weil sie mit Triazid 
keinerlei Granulation erkennen lassen, trotzdem eine solche bei stär¬ 
kerer May-Grünwald-Giemsa-Färbung in vielen Zellen sichtbar ist.“ 

Das sind teilweise recht verschiedene Ausdeutungen desselben 
Falles. In einem stimmen alle überein, daß es eine akute Myelose 
war. Der größte Teil der Zellen ist atypisch, die einen bezeichnen 
sie als atypische Myeloblasten, Schilling als Monocytoide, Hitt- 
mair und wir als Monocyten. Naegeli wird recht haben, wenn 
er in seinem Lehrbuch schreibt, daß jede akute Myelose ihre eigene 
(atypische) Zellform bildet. Am weitesten differieren die Ansichten 
über die Lymphocyten: Naegeli 0%, Schilling 10°/ o , Schultze 
8°/ 0 > wir 3,5%. Die Morphologie ist eben in solchen Fällen außer¬ 
ordentlich schwierig, und es wird Ansichtssache bleiben, eine Zelle 
als Lymphocyt oder Mikromyeloblast anzusprechen. Die Oxydase¬ 
reaktion fanden Schultze, Schilling und wir positiv, nur 
differieren in etwas die angegebenen Prozentzahlen, das mag in 
der Methode liegen. Schultze und wir benutzten die von 
Schultze angegebene Methode am fixierten Präparat (Mode- 
fikation A). Wir fanden in Präparaten von verschiedenen Tagen 
auch verschiedene Eesultate: 7. V.: + 57 % — 43 %; 11. V.: +61 % 
— 39°/ 0 ; 18. V.: +40% —60%; 20. V.: +53% —47% (Waldau, 
Inaug.-Diss. Tübingen 1923). Nur Hittmair fand sie negativ, 
vielleicht das Resultat einer anderen Methodik. 

Fall II: 43jährige Frau, früher ganz gesund. Seit % Jahr 
gelegentlich Klagen über vermehrtes Schlafbedürfnis und Müdigkeit, sonst 
subjektives Befinden nicht gestört. Zwei Wochen vor der Aufnahme in 
die Klinik wurde Patientin von etwa 15 bis 20 Bienen hauptsächlich 



Akute Myelosen nach Bienenstichen und ihre Oxydasereaktion. 339 

im Gesicht und am behnarten Kopf gestochen. Bald darauf setzte Er¬ 
brechen ein, starke Leib- und RUckenschmerzen und am Abend leichtes 
Fieber. Am nächsten Tag leichte Besserung, doch bestanden mäßige 
Leibschmerzen und Appetitlosigkeit weiter. Nach 8 Tagen Schmerzen 
im Kiefer und Schwellung des Zahnfleisches, Fieber und Schluck¬ 
beschwerden. In den nächsten Tagen Schwellung der rechten Halsseite, 
Durchfälle, erst wäßrig dann blutig, Tenesmen; das stark geschwollene 
Zahnfleisch wurde besonders um die noch vorhandenen Zähne herum 
allmählich blaurot und nekrotisch, die Temperatur stieg langsam über 39°. 

Befund bei der Aufnahme: pastöser Habitis, leicht subikterische 
Verfärbung der Haut und Skleren, einzelne Petechien an Oberarm, und 
Oberschenkel. Rechte Gesichtsbälfte, Zungenboden und rechte Halsseite 
stark geschwollen, große Drüsenpakete am Hals. Kleine Drüsen in der 
linken Oberschlüsselbeingrube. Schwere gangränöse Gingivitis und Sto¬ 
matitis. Schwellung und Rötung der Tonsillen mit kleinen Nekrosen, 
Zunge trocken, borkig belegt, starker Fötor ex ore. 

Am Herzen anämische Geräusche. Milz perkutorisch vergrößert 
unter dem Rippenbogen oben tastbar. Im Urin wenig Rote und Weiße, 
Stuhl blutig, durchfällig. Rumpel-Leede 

Blutbefnnd: Hb 68°/ 0 . Rote: 2 880000, Weiße: 19 600. Myelo¬ 
blasten : 77 °/ 0 , Myelocyten: 5 °/ 0 . Monocyten : 3 °/ 0 . Metamyelocyten 6 °/ 0 . 
Neutrophile: 4 °/ 0 . Plasmazellen: 1 °/ 0 . Ferratazellen: 4 °/ 0 . Von den 
Myeloblasten zeigen auffallend viele starke Lappung des Kernes und 
Sprossung des Kernes bei gutem Erhaltungszustand der Zelle auf. 
Oxydasereaktion 4 °/ 0 -f-; 96 °/ 0 — !! 

Die hämorrhagische Diathese und Anämie nehmen langsam zn und 
Patientin kommt am 13. Tage nach der Aufnahme ad exitum. 

Sektionsergebnis (Professor Miller) 1. makroskopisch: An der 
Vorderseite des ganzen Rumpfes, auf die Schulterblattgegend über¬ 
greifend, zahlreiche z. T. spritzerförmig gruppierte Flecke von entweder 
scharfer Begrenzung und tiefweinroter Farbe oder etwas verwaschener 
Umrandung und mehr livider Farbe. Der rechte Femur enthält über¬ 
wiegend himbeergeleefarbenes Mark. Im Epikard eine große Anzahl 
spritzerförmiger Blutungen. Die Milz gut um das 6 fache vergrößert, Kapsel 
gespannt. Weiche Pulpa von bräunlich gelber Farbe, Follikel nicht 
mehr zu sehen, Trabekel eben noch erkennbar. Die Leber groß, teigig, 
gelblich-bräunlich. Die Nieren groß, in der Kapsel, und im Nierenbecken eine 
große Anzahl Blutungen. Im Dickdarm fleckige Schwellungen, teilweise 
mit starker schwärzlicher Pigmentierung, teilweise gelblicher Schorfbildung. 

Zusamraenfassung:l. Leukämische Schwellung der vorderen 
mediastinalen Lymphdrüsen, der Milz, der Leber?, der Nieren?. 
Hämorrhagische Diathese. Multiple Blutungen im Epikard, in der 
Nebenrinde. Leukämische Infiltration der Dickdarmschleimhaut 
mit Verschorfung und pseudomelanotischer Pigmentierung. 2. Mikro¬ 
skopisch: Myeloische Infiltrate in allen Organen und starke Ent¬ 
wicklung myelocytärer Elemente, in vielen Zellen Kernzerfall; 
Hämosiderinpigmentablagerung in zahlreichen Leberbezirken. Die 

22* 



340 


Parrisius u. Heimbergrr 


kleinen Gefäße der Leber und des Herzens sind fast völlig erfüllt 
von weißen Blutzellen. Oxydasereaktion: 

Prof. Naegeli, der die Liebenswürdigkeit hatte, die Präpa¬ 
rate auch dieses Falles zu untersuchen, findet auch hier „wiederum 
zahlreiche atypische, monocytenähnliche Zellen etwa zu 17 °/ 0 , 
während die Mehrzahl, etwa 70"/ 0 » typischen Myeloblasten entspricht“. 

Schultze-Braunschweig beurteilt dankenswerterweise auch 
Blutpräparate dieses Falles. Er schreibt: Oxydasereaktion negativ. 
Hier keine Übergänge. Nirgends ein typischer Myeloblastenkern. 
„Diese Zellen würde ich als Monocyten bezeichnen.“ 

Also auch hier haben wir eine akute Myelose vor uns, wie 
alle, die Präparate gesehen haben, übereinstimmend annehmen; auf¬ 
fallend ist nur die negative Oxydasereaktion der meisten Zellen. 
Bei gleicher Technik des Blutausstrichs und gleicher Methode haben 
wir in Fall I 53 % + Reaktion, in Fall II nur 4 °/ 0 + Ergebnis. 
Es muß sich wohl um atypische myeloische Zellen handeln, die 
ihre Atypie auch bezüglich der Oxydasereaktion beweisen. Damit 
verliert für den Kliniker allerdings leider diese schöne Reaktion 
etwas an Wert. Denn eine lymphatische Leukämie dürfte einen 
ähnlichen Ausfall der Oxydasereaktion geben wie unser Fall II. 
Allerdings zeigt das May-Grünwald-Giemsa-Präparat in Fall II 
zweifelsfrei die myeloische Herkunft der Zellen. 

Kurz zusammengefaßt haben wir zwei Fälle typischer akuter 
myeloischer Leukämie vor uns, bei denen es besonders bemerkens¬ 
wert erscheint, daß in der Anamnese von massenhaften Bienen¬ 
stichen die Rede ist. Beide Patienten gaben allerdings an, schon 
einige Zeit vorher in ihrer Arbeitskraft gemindert gewesen zu sein. 
Ob also der Beginn der Krankheit schon vor dem Zeitpunkt der 
Bienenstiche zu setzen ist, das steht dahin — wie ja meist der 
Zeitpunkt des Beginns einer Leukämie später nicht mehr fest¬ 
zustellen ist. — Zum mindesten wurde bei beiden durch die Bienen¬ 
stiche ein akutes, schweres Krankheitsbild erzeugt mit hämorrhagischer 
Diathese und den klinischen Erscheinungen einer akuten Myeloblasten¬ 
leukämie, das in wenigen Wochen zum Tode führte. Die Intoxikation 
mit Bienengift scheint zweifellos auf den Verlauf des Leidens von 
Einfluß gewesen zu sein, wenn sie es nicht gar verursacht hat. 

Über die Genese der Leukämie herrscht noch Unklarheit. 
Manche Autoren wollen sie mit septischen Prozessen in Verbindung 
bringen: Sternberg faßt sie als biologische Reaktion auf gewisse 
Infektionserreger, vornehmlich Streptokokken auf. An eine Strepto¬ 
kokkeninfektion könnte man in unseren Fällen auch denken, wenn- 



Akute Myelosen nach Bienenstichen und ihre Oxydasereaktion. 341 


gleich das Blut bei beiden steril war. Andere Autoren wieder 
sahen wenigstens mehrmals eine Kombination von akuter Leukämie 
mit septischer Infektion, so unmittelbar, daß die Möglichkeit, in 
der Infektion das Primäre zu sehen, nicht ausgeschlossen erschien 
(Lüdke). Naegeli nimmt als Ursache „Korrelationsstörungen 
wohl durch Anomalien der Funktion innersekretorischer Organe“ an. 

Wir haben unsere Fälle mitgeteilt, weil bei so schwierigen 
Fragen wie der nach der Ursache der Leukämien es wichtig er¬ 
scheint, möglichst viel Material herbeizuschaffen. Die Mitteilung 
der Fälle soll zur Klärung der Frage Anregung geben, ob nicht 
auch durch toxische Momente wie z. ß. massenhafte Bienenstiche 
eine solche Korrelationsstörung (Naegeli) verursacht werden 
könnte. Naegeli teilte uns brieflich mit, daß ihm aus der Lite¬ 
ratur akute Myelosen nach Insektenstichen erinnerlich seien. Die 
Arbeit selbst konnten wir leider nicht finden. Dazu ist noch zu 
bemerken, daß Bienengift Hämolyse macht und daß aus der Vete¬ 
rinärmedizin bekannt ist, daß Pferde, die nach massenhaften Bienen¬ 
stichen an Vergiftungserscheinungen zu Tode kamen, großen Milz¬ 
tumor aufwiesen ohne Veränderungen am Blut (Al brecht: 
Monatsh. f. prakt. Tierheilk. 1892). Auch Sepsis nach Bienen¬ 
stichen ist bei Pferden beschrieben worden — Milztumor, Hämo¬ 
globinurie — (Fröhner, Toxikologie für Tierärzte). 

Prof. Schilling teilt uns nach Drucklegung noch mit: im 
2. Falle besteht negative Oxydasereaktion; allerdings sind die Prä¬ 
parate bereits 8 Wochen alt gewesen und nach unserer Erfahrung 
verlieren sich die flüchtigen Oxydasen besonders pathologischer 
Zellen stets sehr schnell. Morphologisch ähneln die Zellen echten 
Monocyten, nicht monocytoiden Myeloblasten. Schilling unter¬ 
scheidet scharf zwischen nur „monocytoiden“, aus dem Knochenmark, 
bzw. dem myeloischen System stammenden Zellen und den histo- 
cytären echten Monocyten. Fall I ist keine Monocyten-, sondern 
eine stark monocytoide Myeloblastenleukämie. Fall II könnte eine 
echte Monocytenleukämie oder echte Monocytose mit gleichzeitiger 
myeloischer Metaplasie der Organe sein, wie sie bei Infektionen sehr 
oft auftritt. Augenscheinlich handelt es sich um einen der schwierigen 
Grenzfälle zwischen stark reizender Infektion und akuter Leukämie, 
die hier sowohl eine entdifferenzierte myeloische als eine echte „Mono- 
cyten“-Leukämie sein könnte, wenn sie vom Monocytensystem wirk¬ 
lich ausgeht. Mit der eigenartigen Ätiologie ist dies vereinbar. 

Literatur. 

Hittmair, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1922. 140. Bd., H. 3/4, S. 150.— 
Naegeli. Blntkrankheiten nnd Blutdiajrnostik. Verlag von Julius Springer, 
Berlin 1923, IV. Aufl. — Sternberg, Wiener klin. Woehensr.hr. 1920, Nr. 26, 
S. 553. — Ltldke, Dentsrhe med. Wochenschr. 1920, Nr. 13, S. 345. — Waldau, 
Inaug.-Diss. Tübingen 1923. 



342 


Aus der medizinischen Klinik zu Breslau. 

(Direktor: Geheimrat Minkowski.) 

Diabetes melitus und Gravidität. 

Von 

Dr. Alfred Lublin. 

Das gleichzeitige Bestehen eines Diabetes und einer Schwanger¬ 
schaft ist verhältnismäßig selten zu beobachten, da die Konzeptions¬ 
fähigkeit einer Diabetica wegen der durch den Diabetes bedingten 
Atrophie der inneren Genitalien herabgesetzt zu sein pflegt. Immer¬ 
hin ist in der Literatur eine ganze Anzahl solcher Fälle zu finden. 

Eine Zusammenstellung von 63 Fällen der Weltliteratur brachte 
Offergeld(l) im Jahre 1908 in seiner Arbeit „Zuckerkrankheit 
und Schwangerschaft in ihren Wechselbeziehungen“, während wir 
einige neuere Beobachtungen u. a. H. Neumann (2), F. Hirsch - 
f e 1 d (3), Umber (4) (5) und namentlich W i nt e r (6) verdanken, der 
dieses Thema in einem Zyklus „Die künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft“ vom Jahre 1917 kritisch behandelt. 

Ob es sich in allen mitgeteilten Fällen — besonders in denen 
älteren Datums — um einen echten Diabetes gehandelt hat, ist 
fraglich, da Häufig nur von einer Glykosurie während der Schwanger¬ 
schaft die Rede ist, wie sie bekanntlich durch die Ausscheidung 
von Milchzucker vorgetäuscht werden kann oder auch als physio¬ 
logische Schwangerschaftsglykosurie vorkommt. Es ist aber von 
Bedeutung, diese harmlosen Formen der Zuckerausscheidung von 
dem echten Diabetes zu trennen — diese Trennung ist meist leicht 
möglich, seitdem wir über klinisch brauchbare Methoden zur quan¬ 
titativen Blutzuckerbestimmung verfügen —, da das Auftreten einer 
Schwangerschaft bei einer diabetischen Frau wegen des gegen¬ 
seitigen unheilvollen Einflusses von Schwangerschaft und Zucker¬ 
krankheit ein ernstes Ereignis bedeutet: Ein leichter Diabetes 
kann während der Schwangerschaft in eine ausgesprochen schwere 



Diabetes melitus und Gravidität. 


343 


Form übergehen, und auf der anderen Seite kann der bis dahin 
ungestörte Verlauf einer Gravidität durch das Dazutreten eines 
Diabetes in ungünstigster Weise beeinflußt werden, wenn auch 
•die letztere Annahme zu den Seltenheiten gehören wird, da der 
Diabetes das Primäre darzustellen pflegt. Einige Autoren berichten 
zwar, daß ein leichter Diabetes unter dem Einfluß diätetischer 
Maßnahmen während der ganzen Gestationsperiode keine Ver¬ 
schlimmerung zu erfahren braucht; im allgemeinen werden wir 
aber die Statistik Offergeld’s als Maßstab betrachten müssen, 
aus der hervorgeht, daß 30% der Fälle im Coma diabeticum zu¬ 
grunde gehen. Die Mortalitätsziffer für das Kind soll nach Offer- 
geld 66% betragen. Die Ursache für den so häufig zu beob¬ 
achtenden katastrophalen Ausgang des Diabetes während der 
Gravidität dürfte einerseits darin zu suchen sein, daß es sich in 
diesen Fällen naturgemäß meist um den Diabetes der Jugend¬ 
lichen handelt; andererseits aber scheint nach den Erfahrungen 
v. Noorden’s (7), F. Hirschfeld’s und auf Grund der experi¬ 
mentellen Studien von Porges und Nowak (34) die diabetische, 
aber auch die gesunde Schwangere eine auffallende Neigung zur 
Acetonurie zu besitzen, wodurch der Ausbruch des Coma begünstigt 
werden könnte. 

Porges und Nowak fuhren diese Erscheinung in der Gravidität 
auf den erhöhten Kohlehydratbedarf in der Nahrung zurück. Es wäre 
aber noch weiter zu berücksichtigen, daß der Organismus der Schwangeren 
nach neueren Untersuchungen (Hasselhalch und Gammeltoft (35) 
schon an und für sich acidotisch eingestellt ist. 

Bei der oben erwähnten Verschiedenartigkeit des Charakters 
der publizierten Fälle wird es nicht wundernehmen, daß über den 
Kernpunkt der Frage, die Therapie, unter den Autoren 
keine Einstimmigkeit herrscht. So empfiehlt beispielsweise Umber 
die Unterbrechung der Schwangerschaft in „solchen selbst nicht 
acidotischen Fällen so früh wie möglich, in denen bereits vor der 
Gravidität ein ungünstiger Einfluß der Menses auf den Diabetes 
nachweisbar war“. Im Gegensätze zu diesem Standpunkte Umber’s 
ist H. Neu mann der Ansicht, daß der Eintritt des Coma dia¬ 
beticum „niemals, auch nicht durch eine sehr zeitige und schnelle 
Operation von dem bedrohten mütterlichen Leben abgewendet 
werden kann“; deshalb hält er die künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft für zwecklos und redet der prinzipiellen diäteti¬ 
schen Therapie das Wort. Unserer Auffassung flach ist aber bei 
einer Stoffwechselerkrankung wie dem Diabetes, die in so zahl- 



344 


Lublin 


reichen graduellen Varianten auftritt, eine Schematisierung nicht 
möglich. Wie einige Beispiele erläutern mögen, kann der Diabetes 
während einer Gravidität auch durchaus gutartig verlaufen. 

Im ersten Falle, der an der Breslauer Klinik beobachtet wurde 
und bereits von Fräulein Dr. Grünthal (21) im Jahre 1920 be¬ 
schrieben worden ist, handelte es sich um eine erblich belastete 
32 jährige Frau, bei der im Alter von 28 Jahren gelegentlich ihrer 
zweiten Schwangerschaft Traubenzucker im Harn gefunden wurde. 
Bei strenger Diät verschwand der Zucker und trat auch nach Be¬ 
endigung der Gravidität — eine Zeitlang sogar bei frei gewählter 
Kost — etwa ein Jahr lang nicht mehr auf. In den folgenden 
Jahren wurde bei Einhaltung einer mäßig strengen Diät (200—300 g 
Kohlehydrate) meistens kein Zucker im Harn nachgewiesen, hin 
und wieder geringe Mengen (bis zu 0,2 °/ 0 ). 

Zu der Zeit, als Fräulein Grünthal ihre Versuche anstellte,, 
befand sich die Patientin im 4. Monat ihrer dritten Schwanger¬ 
schaft: „Der morgens entleerte Nüchternharn war zuckerfrei; der 
gleichzeitig bestimmte Blutzucker hatte den durchaus normalen 
Wert von 0,110 °/ 0 . Nach Darreichung von 100 g Glukose stieg er 
nach 30 Minuten auf 0,241 °/ 0 an, im Verlauf der nächsten halben 
Stunde auf 0,264 °/ 0 . Die nach 30 Minuten entleerte Urinportion 
enthielt 1,3 g Glukose. Nach Ablauf einer Stunde wurden gar 

2,7 g Zucker ausgeschieden. Bereits nach einer halben Stunde 

ist der Blutzucker auf die doppelte Höhe seines Ausgangswertes 

angestiegen. Bei Berücksichtigung der Familienanamnese 

lag es allerdings nahe, anzunehmen, daß eine angeborene Insuffi- 
cienz des Kohlehydratstoffwechsels vorhanden war: außerhalb der 
Schwangerschaft hat offenbar die Patientin, die nüchtern normale 
Blutzuckerwerte aufweist, bei Kh-Belastung mit Hyperglykämien 
reagiert, die aber noch keine Glykosurie auslösten: latenter Dia¬ 
betes. Dieser trat erst infolge einer durch die Gravidität gesetzten 
Schädigung in Erscheinung. Bei dem günstigen Verlauf der früheren 
Glykosurie, d. h. dem fast völligen Verschwinden des Zuckers nach 
Ablauf der Schwangerschaft, hätte diese Schädigung als renale an¬ 
gesprochen werden können.“ Die weitere Beobachtung in dieser 
Schwangerschaft zeigte nun aber, daß es sich um einen echten 
Diabetes handelte, der allerdings erst durch das Hinzutreten des 
renalen Faktors in der Gravidität enthüllt wurde: „Die Unter¬ 
suchung auf alimentäre Glykosurie ergab so hohe Anstiege, daß 
der Fall ganz äus dem Rahmen der üblichen Schwangerschafts- 
glykosurien herausfiel (es trat Polyurie mit Ausscheidung von 





Diabetes melitus und Gravidität. 


345 


Znckermengen bis za 135 g pro die sowie Acetonurie auf).* Da 
aber unter strengen diätetischen Vorschriften bald eine erhebliche 
Besserung eintrat, wurde die Schwangerschaft nicht unterbrochen. 
Die Schwangerschaft verlief normal, und auch während der Geburt 
und im Wochenbett wurden keinerlei Komplikationen beobachtet. 
Nach der Geburt des gesunden Kindes nahm der Diabetes wieder 
seinen latenten Charakter an. Bei Einhaltung gewisser Diät¬ 
vorschriften vermochte die Patientin ungestört ihren hausfraulichen 
und geselligen Verpflichtungen nachzukommen und hat auch sogar 
Sport treiben können, ohne daß der Diabetes sich bemerkbar machte. 

Zwei ähnliche gutartig verlaufende Fälle konnte Herr Gelieim- 
rat Minkowski in seiner Privatpraxis verfolgen: Bei der eiuen 
Patientin, deren Vater einen leichten Diabetes gehabt hatte, trat 
während zweier Graviditäten ein echter allerdings ohne Acidose 
verlaufender Diabetes mit zeitweise beträchtlicher Glykosurie auf, 
der außerhalb der Schwangerschaften eine so leichte Form anzu¬ 
nehmen pflegte, daß nur nach groben Diätfehlern Spuren von 
Traubenzucker ausgeschieden wurden (der Blutzuckerspiegel war 
allerdings auch außerhalb der Schwangerschaft erhöht). In der 
gleichen Weise machte sich ein leichter Diabetes bei der Tochter 
dieser Patientin zum ersten Male in der ersten Schwangerschaft 
bemerkbar, um nach der Geburt des Kindes latent zu werden. In 
einer zweiten Schwangerschaft wurde der Diabetes wieder manifest. 
Das Kind wurde ausgetragen, ohne daß es zu einer Komplikation kam. 

Beweisen diese drei Fälle zur Genüge, daß ein leichter Diabetes 
unter dem Einfluß einer Schwangerschaft nicht unbedingt ernstere 
Formen anzunehmen braucht, und somit kein Anlaß vorliegt, die 
Schwangerschaft zu unterbrechen, so ist doch leider auch das Gegen¬ 
teil zu beobachten, wie es der folgende Fall zeigt. Gleichzeitig 
lehrt uns dieser Fall aber auch, daß wir in dem Augenblick, in 
dem die offensichtlich ungünstige Wirkung der Gravidität auf den 
Diabetes zutage tritt, mit der Unterbrechung der Schwangerschaft 
nicht zögern dürfen: 

Die 24jährige Ehefrau M. Z. bietet hinsichtlich ihrer Familien¬ 
anamnese keine Besonderheiten dar. Mit Ausnahme einer Masernerkran- 
knng ist die Patientin angeblich stets gesund gewesen. Vor zwei Jahren 
(im Januar 1920) zog sie sich einen luetischen Primärafifekt an der 
Unterlippe zu. Wassermann’sche Reaktion damals -j-. Es wurde sofort 
eine kombinierte Hg- und Salvarsankur eingeleitet und regelrecht durch¬ 
geführt. Die in der Folge dauernd ausgeführte serologische Kontrolle 
ergab stets ein negatives Resultat. Im Januar 1921 heiratete die Pa¬ 
tientin. Der Ehemann ist angeblich gesund. Im März 1921 Abort im 



346 


Lublin 


2. Monat, im Dezember 1921 Abort im 3. Monat. Seit Mitte Juni 1922 
ist die Regel ausgeblieben. Unmittelbar im Anschluß an ein psychisches 
Trauma stellten sich bei der Patientin Durstgefühl und bald darauf auch 
Appetitlosigkeit und hochgradige Mattigkeit ein. Die Patientin suchte 
den Arzt auf, der am 6. November 1922 Zuckerkrankheit (mit der 
Gärungsprobe 9 °/ 0 Zucker) mit starker Acetonurie feststellte. Nach einer 
Mitteilung des Arztes war die Patientin völlig entkräftet, hatte fürchter¬ 
lichen Durst und war gegen früher kaum zu erkennen. Am 7. XI. 1922 
suchte die Patientin die Klinik auf. Untersuchungsbefund: Grazil ge¬ 
baute mittelgroße Frau in stark reduziertem Ernährungszustand. Wangen 
auffallend gerötet. Temperatur subfebril. Pulsfrequenz nicht gesteigert, 
Puls regelmäßig. Körpergewicht 48 kg. Zunge rein, aber trocken. 
Rachenorgane o. ß. Supra- und Infraclaviculargruben tief eingesunken. 
Brustwarzenhof stark pigmentiert. Uber beiden Lungen perkutorisch 
und auskultatorisch keine Besonderheiten. Herzgrenzen nicht verbreitert, 
Herztöne über allen Ostien rein. Abdomen durch den vergrößerten 
Uterus aufgetrieben. Fundus uteri 3 Querfinger oberhalb des Nabels. 
Kopf und kleine Teile sowie Kindsbewegungen deutlich fühlbar. Sehnen¬ 
reflexe lebhaft. Hämoglobin 63 °/ 0 (nach Sahli). Blutdruck 120/70 mm Hg 
nach Riva-Rocci. Im Harn ein Hauch Eiweiß und 4,3 °/ 0 Zucker (polari¬ 
metrisch). Legal’sche und Gerhardt’scbe Probe -|—Spezifisches Ge¬ 
wicht des Harns 1025. Im Blut 0,019 °/ 0 Aoeton und 0,068 °/ 0 ß-Oxy- 
buttersäure (nach der vom Verfasser angegebenen Methode bestimmt 
(22—26)). Patientin erhält 40 g Na. bicarbonicum, auf den Tag ver¬ 
teilt. In den ersten 20 Stunden schied die Patientin 2600 ccm Harn 
mit 134 g Zucker, 4,9 g Aceton und 25 g /?• Oxybuttersäure aus. Wasser- 
mann’sche Reaktion im Blut negativ. 

Nach einem „Hungertage“ mit einem halben Apfel, 75 g Kognak 
und 30 g Na. bicarb. wurden nur 15 g Zucker, 0,2 g Aceton und 0,6 g 
Oxybuttersäure ausgeschieden. Der Blutzucker (nüchtern) betrug 0,380 °/ 0 
(nach der Methode Moeckel-Frank). Am nächsten Tage wurden zur Kost 
2 Eier, etwas Gemüse und Hafermehl zugelegt, wobei 15 g Zucker, 

5.9 g Aceton und 21,6 g /?-Oxybuttersäure ausgeschieden wurden. Im 
Blut ließen sich 0,027 °/ 0 Aceton und 0,058 °/ 0 /?-Oxybuttersäure nach- 
weisen, Werte, wie sie bei einer mittelschweren Acidose aufzutreten 
pflegen. Die Patientin fühlte sich sehr matt. Die Exspirationsluft roch 
nach Aceton. 

Da sich am Tage darauf der Allgemeinzustand der Patientin ver¬ 
schlechterte (es wurden 34 g Zucker, 4,1 g Aceton und 22 g ß-Oxj- 
buttersäure ausgeschieden; Vertiefung der Atmung verriet die Coma- 
gefahr), wurde die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft be¬ 
schlossen. Um durch Niederhalten des Blutzuckerspiegels die Gefahr 
einer puerperalen Iufektion herabzusetzen, erhielt die Patientin vom 
11. XI. ab bis auf weiteres folgende Kost: 75 g Kognak, 120 g Hafer¬ 
mehl, einen halben Apfel, 250 g Milch, 3 Eier, 30 g Butter und 200 g 
Gemüse. Bei dieser Kost wurden im Tagesharn (1800 ccm) 14 g Zucker, 

3.9 g Aceton und 21,6 g ß Oxybuttersäure ausgeschieden, während im 
Blute 0,030 °/ 0 Aceton und 0,074 °/ 0 ß- Oxybuttersäure festgestellt wurden. 

Am 13. XI. wurde die künstliche Unterbrechung der Schwanger- 



Diabetes melitus und Gravidität. 


347 


schaft in der Frauenklinik durch Metreuryse eingeleitet. In der Nacht 
▼om 13. znm 14. XI. erfolgte die Geburt. Da die Atmung der Patientin, 
die Bich in den letzten Tagen noch weiter vertieft hatte, während der 
verzögerten und anstrengenden Austreibungsperiode vollkommen den 
Obarakter der Kußmaul’ecben Atmung annahm, schritt man zur Per¬ 
foration des lebenden Kindes. 

Am 14. XI. war die Atmung noch vertieft. Die Blutuntersuchung 
ergab jedoch, daß der Aceton- (0,011°/ 0 ) und /S-Oxybuttersäurewert 
{0,025 °/ 0 ) schon bedeutend niedriger als in den Tagen vor der Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft war. Blutzucker: 0,230°/ 0 . Patientin 
erhielt außer den dreimal tägl. peroral gereichten 10 g noch 16 g Na. 
bicarb. in 5 °/ 0 iger Lösung intravenös, ohne daß allerdings der geringste 
Einfluß auf den Aceton- und /9-Oxybuttersäurespiegel festgcstellt werden 
konnte. Es wurden an diesem Tage 1600 ccm Barn mit 46 g Zucker, 
1,3 g Aceton und 7,3 g ß Oxybuttersäure ausgeschieden. Die Kost 
blieb nach wie vor unverändert! 

Am folgenden Tage war die Atmung schon weniger tief. Patientin 
schied 1400 ccm Harn mit 41 g Zucker, 0,6 g Aceton und 3,0 g /?-Oxy- 
bnttersäure aus, während am 16. XI. in 800 ccm Harn nur noch 9,6 g 
Zucker, dagegen keine Acetonkörper mehr gefunden wurden. 

Vom 20. XI. ab wurde zur Kost täglich etwas hinzugelegt. Nur 
am ersten Tage traten geringe Spuren Zucker (3,6 g) auf. 

Am 21. XI. betrug der Blutzuckerspiegel 0,078 °/ 0 . Von diesem 
Tage an steigerten wir allmählich den Kohlehydrat- und Kalorienwert 
der Kost, bis schließlich 2250 Kalorien täglich (80 g E, 91 g F, 258 g Kh) 
zugefilbrt wurden. Dabei kam es nie mehr zu einer Zucker- oder Aceton- 
körperaus8cheidnng! Da die Patientin ständig an Körpergewicht zunahm 
und sich wohlfühlte, konnte sie bald darauf aus der klinischen Behand¬ 
lung entlassen werden. Zur Zeit der Entlassung betrug der Blutzucker- 
wert 0,074 °/ 0 . 

Etwa einen Monat später stellte sich die Patientin wieder in der 
Klinik vor und gab an, daß sich inzwischen die Regel eingestellt hätte. 
Das Allgemeinbefinden hatte eich weiter gebessert. Der Harn enthielt 
weder Zucker noch Acetonkörper. 

Das Bemerkenswerte au diesem letzten Falle ist die Tat¬ 
sache, daß der Diabetes, der unter dem Einfluß der Gravidität 
«ine schwere Form angenommen hatte, sich nach der künst¬ 
lichen Unterbrechung der Schwangerschaft in kurzer 
Zeit weitgehend besserte. Man geht wohl nicht fehl, in 
diesem Falle ein propter hoc anzunehmen, da in der Zeit vor, 
während und nach der Unterbrechung der Schwangerschaft keine 
Änderung in der Diät vorgenommen wurde. Mit dem Augenblick 
der Schwangerschaftsunterbrechung wurden wieder Kohlehydrate 
im Organismus verbrannt, was zu allererst an den rasch absinkenden 
Aceton- und ß Oxybuttersäurewerten im Blut zu erkennen war, die 
sich vor der Unterbrechung sehr konstant auf pathologischer Höhe 



348 


Lublin 


gehalten hatten. Am dritten Tage nach der Unterbrechung der 
Gravidität hörte die Ausscheidung von Acetonkörpern, am vierten 
Tage die des Zuckers auf, ohne in dem normal verlaufenden 
Wochenbett und auch später wieder aufzutreten. Der Blutzucker¬ 
spiegel hatte dabei Werte angenommen, die fast unter der Grenze 
des Normalen lagen (0,074%). 

Würde man die Patientin in diesem Stadium der Erkrankung 
untersucht haben, so würde sich der latent weiterbestehende Diabetes 
bei nicht allzu eingehender Untersuchung wahrscheinlich gänzlich 
oder doch so lange der Entdeckung entziehen, bis eine Belastungs¬ 
probe mit Kohlehydraten bei gleichzeitiger Kontrolle des Blutzuckers 
die Diagnose gesichert hätte. 1 ) 

An der Hand dieser vier Fälle lassen sich bestimmte Anhalts¬ 
punkte für die Therapie ableiten. Von vornherein ist zu betonen,, 
daß, wie bereits oben erwähnt, eine Schematisierung der Therapie 
nicht angebracht ist. In leichten Fällen lohnt sich, wie wir sahen, 
der Versuch, den Diabetes durch diätetische Maßnahmen zu be¬ 
handeln und die Schwangerschaft weiter bestehen zu lassen. Er¬ 
kennen wir dagegen, daß die Erkrankung während der Schwanger¬ 
schaft ernstere Formen annimmt (beträchtliche Acidose), so ist 
unverzüglich die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft 
anzuraten. Man tut in diesem Falle aber gut, mit dem Eingriff 
nicht erst so lange zu zögern, bis die Comagefahr vor der Tür 
steht. Die Chancen für ein lebensfähiges gesundes Kind sind ohne¬ 
hin sehr gering. Bei rechtzeitiger Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft kann man damit rechnen, daß selbst ein Diabetes, der im Verlaufe 
der Gravidität die schwerste Form angenommen hat, sich in kurzer 
Zeit erheblich bessert. Seitdem wir aber den Diabetes ätiologisch 
mit einem Pankreasextrakt (Insulin) zu behandeln vermögen, dürften 
ganz besonders so schwere präcomatöse Fälle wie der zuletzt er¬ 
wähnte zum Indikationsbereich dieses Mittels gehören. Leider 
stand uns zu der Zeit, als dieser Fall beobachtet wurde (November 
1922), noch kein Insulin zur Verfügung. Inzwischen haben wir 

1) Am 15. V. 1923 konnte eine Nachuntersuchung bei dem zuletzt erwähnten 
Falle ausgeführt werden, wobei es sich leider herausstellte, daß sich der Diabetes 
inzwischen wieder mit allen Anzeichen bemerkbar machte. Im Harn fanden sich 
beträchtliche Zucker- und Acetonkörpermengen (0,107 °/ 0 Aceton und 0,546 °/ u 
,cf-Oxybnttersäure), bemerkenswert war in diesem Falle eben die durch die künst¬ 
liche Unterbrechung der Gravidität unzweifelhaft günstige Beeinflussung des 
Diabetes, die etwa ein halbes Jahr andauerte. Dem dringenden Rate, sich wieder 
für einige Zeit zur Beobachtung und Behandlung in die Klinik zu begeben, folgte 
die Patientiu nicht. 



Diabetes melitus und Gravidität. 


349 


uns aber in zahlreichen, wenn auch nicht durch eine Schwanger¬ 
schaft komplizierten Diabetesfällen, von der prompten Wirkung des 
Insulin überzeugen können. So gelang es beispielsweise, einen Dia¬ 
betiker, der 90 g Zucker (bei einem Blutzuckerwert von 0,280 °/ 0 ) 
ausschied und unvorhergesehen infolge eines Unfalls amputiert 
werden mußte, durch eine Insulininjektion sozusagen auf dem 
Operationstisch zuckerfrei zu machen. 

Nachtrag bei der Korrektur: Nach einer Mitteilung des 
Hausarztes ist die an letzter Stelle erwähnte Patientin Anfang 
November 1923, also ein Jahr nach der Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft, gestorben, vermutlich im Coma. 


Literatur. 

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Woehenschr. 1922, Nr. 5. — 38. J. Baer, Handbuch Mohr-Staehelin, IV, 623. — 
39. Lublin, Deutsche med. Woehenschr. 1923, Nr. 45. 





350 


Aus der medizinischen Klinik in Heidelberg. 

Über die Wirkung einer überreichlichen Fetternährung 
anf den tierischen Stoffwechsel. 

Von 

E. Grafe 

nach Untersuchungen mit 

cand. med. A. Weißmann. 

In früheren Untersuchungen hei hochgradiger isolierter Kohlen¬ 
hydratüberernährung hatten sich sehr merkwürdige Einflüsse sowohl 
auf das Körpergewicht wie auf den Gesamtstoffwechsel gezeigt. 1 ) 
Selbst da, wo die Überernährung ein Mehrfaches der Norm betrug, 
resultierte selbst beim Schwein manchmal erhebliche Gewichts¬ 
abnahme, selbst dann, wenn man die Eiweißverluste mit dem zu¬ 
gehörigen Wasser in Rechnung stellte. Dieses Fehlen einer Ge¬ 
wichtszunahme, die unter den gleichen Verhältnissen bei kleinen 
Eiweißzusätzen sofort einsetzte, war hauptsächlich durch starke 
kompensatorische Wasserabgaben des Organismus bedingt. Dazu 
kam allerdings in vielen Fällen eine außerordentlich starke Steige¬ 
rung des Gesamtstoffwechsels bis maximal 60°/ o in 24 Stuuden. 

Es war nun von großem Interesse, festzustellen, ob dieses 
merkwürdige Verhalten des Stoffwechsels sowohl hinsichtlich des 
Wasserhaushaltes, wie der Einwirkung auf die Intensität der Ver¬ 
brennungen nur eine Eigentümlichkeit der Überernährung mit 
Kohlenhydraten ist, oder ob generell das Gleiche überall dort statt¬ 
findet, wo es trotz überreichlicher N-freier Ernährung zu Eiwei߬ 
einbußen kommt. Der nächstliegende Gedanke war doch der, 
daß dieses Verhalten dadurch bedingt ist, daß bei Abnahme des 


1) E. Grafe, Deutsches Arch. f. klin. Med. 113, 1, 1913. 



Über die Wirkung einer überreichlichen Fetternährung usw. 351 

Protoplasmaznstandes die Anlage der Reservestoffe sich in anderer 
Weise vollziehen könnte als bei gleichbleibendem bzw. zunehmen¬ 
dem Protoplasmabestande. Aus diesen Gründen war es wünschens¬ 
wert, die Versuche auch auf eine Überernährung mit Fetten aus¬ 
zudehnen. 

Die Untersuchungen, die zusammen mit Herrn cand. med. 
Weißmann im Winter 1913/14 angestellt wurden, können aus 
äußeren Gründen heute erst mitgeteilt werden. Die Literatur über 
länger dauernde Überernährung mit Fett ist äußerst spärlich. 
Voit und Bischoff 1 ) gaben einem 40 kg schweren Hunde an 
zwei Tagen Fettmengen, die um 40 °/ 0 den Bedarf überstiegen. 
Der Hund verlor dabei 100 g an Gewicht. Nach der Menge des 
ausgeschiedenen Stickstoffs berechnet, müßte er eigentlich 410 g 
an Gewicht eingebüßt haben. Die Differenz zwischen dem zu er¬ 
wartenden und dem tatsächlich erfolgten Gewichtsverlust wird auf 
eine Ablagerung von Fett mit Wasser bezogen. Erwähnt sei noch 
ein Versuch von Rubner, 2 ) der einen 9 kg schweren Hund 5 Tage 
mit Fett ernährte, aber nur sehr geringe Überschüsse gab. Das 
Ergebnis war, daß der Körpergewichtsabfall etwas gehemmt 
wurde, ohne erkennbaren Einfluß auf die Wärmeproduktion. Der 
Mechanismus der Wirkung wurde nicht weiter besprochen. 

Diese beiden Versuche, die sich nur auf zwei Tage oder nur 
sehr geringe Überschüsse erstreckten, sind nicht geeignet, das in 
Frage stehende Problem zu lösen. Wir haben daher an vier Hunden 
neue Untersuchungen mit möglichst starker Fettüberernährung an¬ 
gestellt 

Die Tiere wurden dabei in Hans Meyerschen Stoffwechselkäfigen 
bei annähernd der gleichen Umgebungstemperatur wie im Respirations¬ 
apparate gehalten. Die Tiere bekamen täglich 300—400 ccm Wasser. 
Das, was nicht getrunken war, wurde morgens- zurückgemessen. 
Morgens wurden die Tiere sorgfältig gewogen, Kot und Urin quantitativ 
gesammelt und mit den Spülwassern von Blase und Kasten auf den 
Stickstoffgebalt hin analysiert. Der Stuhl wurde durch Karmin perioden¬ 
weise abgegrenzt, auf dem Wasserbad unter Zusatz kleiner Mengen 
Schwefelsäure getrocknet und dann in der Kaffeemühle pulverisiert. In 
einem Bruchteil der Mischung wurde der Stickstoff nacbKjeldahl be¬ 
stimmt. Die Respirationsversuche von meist 24std. Dauer wurden in 


1) Die Gesetze der Ernährung des Fleischfressers. Leipzig-Heidelberg 1860. 

2) Gesetze des Energieverbrauchs bei der Ernährung, S. 250, 1902 (vgl. 
auch Zeitsehr. f. Biol. 30, 124. 



352 


Gbafk u. Wkissmann 


dem nach J a q u e t ’ß Prinzip konstruierten Respirationsapparate vor¬ 
genommen. *) 

Jeder Versuch zerfiel in 3 Abschnitte, eine Vorperiode, in der 
die Tiere hungerten, um die Stickstoffausscheidung möglichst gleich¬ 
mäßig zu gestalten, 2. die Hauptperiode, in der Fett in möglichst 
großen Mengen in Gestalt von Schweine- und Nierenspeck oder 
Butter dargereicht wurde, und eine Schlußperiode, die in der An¬ 
lage der ersten Hangerperiode entsprach. Das dargereichte Fett 
wurde hinsichtlich des Gesamtgewichtes, des Stickstoff-, Kalorien- 
und Wassergehaltes genau analysiert. 

Eine isolierte Fettüberernährung bei Tieren läßt sich bei 
Hunden sehr schwer durchführen, wie schon Rubner 1 2 ) erwähnt 
hat. So gelang es von 8 Versuchen nur viermal, den Tieren 
längere Zeit hindurch die genügenden Mengen Fett zuzuführen. 
Wenn es auch möglich war, schließlich durch Zwangsfütterung die 
nötigen Mengen Fett einzuverleiben, so mußte doch mancher Ver¬ 
such wegen starken Durchfalls und Erbrechens abgebrochen werden. 
Kam es in einem Versuch nur ganz vereinzelt einmal zum Er¬ 
brechen, so wurde das Erbrochene genau analysiert und von der 
Einfuhr abgezogen. Wir verfügen somit über folgende 4 Versuche: 
1. einen 37 tägigen Versuch an Hund Lotte, 2. einen 25 tägigen 
Versuch an Hund Otto, 3. eine 21 tägige Reihe an Hund Nr. 5 und 
41, eine 26 tägige an Hund Nr. 6. 

Die Hauptergebnisse der Versuche sind in den beiden General¬ 
tabellen 1 und 2 niedergelegt. Als Beispiel für die Durchführung 
des einzelnen Versuches gebe ich die Tabelle 3 mit dem Versuch 
an Hund Nr. 5. Aus Platzmangel muß ich auf die detaillierte 
Wiedergabe der übrigen Versuche verzichten. 

Hund 5 stand 21 Tage im Versuch. Während der ersten 
8 Hungertage verlor er 1370 g an Gewicht, die Wasseraus¬ 
fuhr überwog die Wassereinfuhr um 80 g pro die, obwohl 
die perspiratio insensibilis nicht mit in Rechnung gestellt ist. 
Der Gesamt-N-Verlust in der Vorperiode war 20,45 g oder 
2,273 g pro Tag. In der anschließenden 10 tägigen Fütterungs¬ 
periode erhielt das Tier täglich 80 g Fett. Sein Gewicht 
unterlag geringen Schwankungen, so daß zum Schluß nur eine 


1) Grafe in Abderhalden’s Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, 
Lief. 102, S. 309, 1923. Dort anch Beschreibung der Technik und Berechnungs¬ 
weise. 

2) 1. c. 



Generaltabelle 1 (Verhalten der Wärmeproduktion). 


Über die Wirkung der Überreichlichen Fetternährung usw. 303 


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& 

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M 

M 

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* Durchschnittszahl 
für die 3 letztenTage 
der Hnngerperiode 

* Durchschnittszahl 
für sämtliche Tajre 
der Nahrung»perioae 

* Durchschnittszahl 
vom 5.-8. III. 

* Durchschnittszahl 
vom 13.—16. III. 

* Durchschnittszahl 
für die Hunger¬ 
periode 

* Durchschnittszahl 
vom 3. — 6. III. 

* Durchschnittszahl 
vom 14.—17. III. 

* Durchschnittszahl 
für die Hnnger¬ 
periode 

Netto 

Kalo¬ 

rien 

pro 

Kör¬ 

per¬ 

kilo 

Cal 

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Datum 

1913/14 

12.—13. 
XII. 

1913 

22 —23 

II. 

1914 

8.- 9. III 

1914 

7.-8. III. 
1914 

14—15. 

III. 
1914 

20.-21. 

III. 

1914 

5.-6. III. 
1914 

14.—15. 
UI. 
1914 
24.-25. 
III. 
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Deutsche* Archiv für klin. Medisin. 143. Bd. 23 





354 


Grafe u. Weisbmann 


Gewichtsabnahme von 80 g resultierte. Es ist das der Versuch, 
der die geringste Gewichtsabnahme aufzuweisen hat. Wäh¬ 
rend der Hauptperiode war der Stickstoffverlust 11,719 g, 
bzw. 1,172 g pro Tag, betrug also fast nur die Hälfte der 
Hungerw r erte, ein Beweis für die schon bekannte Tatsache, daß 
unter gewissen Umständen auch Fett den Eiweißumsatz ein¬ 
zuschränken vermag. Sobald die Fettzulagen aufhörten, fand dann 
wieder ein Anstieg der Stickstoffausscheidung statt mit prozentual 
zunehmenden Zahlen von 0,9 auf 1,6 g pro die. Die Generaltabelle 1 
enthält die Angaben über die Respirationsversuche, die während der 
einzelnen Versuchsperioden angestellt wurden, um die Höhe der 
Wärmeproduktion, bzw. die spezifisch-dynamische Wirkung des 
Fettes in der Hauptperiode kennen zu lernen. Die einzelnen Stäbe, 
in denen die zur Beurteilung der Resultate wichtigen Angaben 
enthalten sind, bedürfen keiner besonderen Erläuterung. Die wich¬ 
tigsten Resultate enthalten die beiden vorletzten Stäbe, in denen 
die Netto-Kalorien-Produktion pro Tag und pro Körperkilogramm 
wiedergegeben ist. Für jeden Versuch finden sich im allgemeinen 
3 Zahlen entsprechend der Dreiteilung der einzelnen Versuche. In 
der ersten Versuchsreihe ist leider nur das Verhalten der Wärme¬ 
produktion im Hunger wiedergegeben, so daß hier Vergleiche der 
einzelnen Perioden untereinander nicht möglich sind. Der Versuch 4 
an Hund Otto zeigte, daß während der Fettfütterungsperiode die 
Wärmeproduktion deutlich höher lag, als in dem anschließenden 
Hungerstadium, 555 Kalorien pro Tag bzw. 65 Kalorien pro kg 
gegenüber 480 Kalorien bzw. 58 pro kg. Das gleiche Verhalten 
weist auch der Versuch 6 auf, wo die Wärmeproduktion während 
der Fettfütterung um etwa 12 °/ 0 höher lag als im Durchschnitt 
der beiden angrenzenden Hungerperioden. Dagegen ist im Versuch 5 
kein deutlicher Unterschied zu finden zwischen Hunger- und Fütte¬ 
rungsperiode, was aber wohl damit zusammenhängt, daß in diesem 
Respirationsversuch das Tier nur 40 g Fett zu sich nahm, so 
daß von einer ausgesprochenen Überernährung nicht gesprochen 
werden kann. 

Im ganzen läßt sich feststellen, daß zwar die dynamische Wir¬ 
kung des Fettes etwas stärker ausfällt wie gewöhnlich, daß aber 
ein stufenweises Ansteigen der Wärmeproduktion wie bei Kohlen¬ 
hydraten nicht stattfand. Dabei ist allerdings immer zu bedenken, 
daß die Überschüsse an Kohlenhydraten in den früheren Versuchen 
weit größer waren wie jetzt bei Fett. 



Geueraltabelle 2 (Beurteilung der Waaserbilauz). 


Über die Wirkung der überreichlichen Fetternährung usw. 


355 



28 * 



356 


Grafe u. Weissmann 



I 




Über <Le Wirkung der Überreichlichen Fetternährung nsw. 


357 


' In der Gei eraltabeile 2 sind die znr Beurteilung der Gewichts¬ 
verhältnisse nötigen Daten verzeichnet, insbesondere um festzu¬ 
stellen, wie das zu erwartende Gewicht sich gegenüber dem tat¬ 
sächlich beobachteten verhält. Für die Berechnung sind maßgebend 
die Menge des Eiweißverlustes, die Wasserbilanz, der Kalorien¬ 
bedarf sowie die Kalorienzufuhr. Die Wassereinfuhr wurde, wie 
schon oben erwähnt, täglich genau bestimmt. Die Möglichkeit, daß 
etwas Wasser durch Anstoßen an die Wasserbehälter verloren ging, 
kann nicht vollständig bestritten werden, da die Tiere nicht Tag 
und Nacht dauernd unter Aufsicht gehalten wurden. Bei Berechnung 
der approximativen Wasserbilanz wurde die perspiratio insensibilis, 
deren Größe nicht bestimmt wurde und nur sehr ungenau ge¬ 
schätzt werden kann, außer acht gelassen. Beim ersten Ver¬ 
such betrug die Wasserbilanz während der Fütterungsperiode 
— 192 ccm, nach der großen Fettmenge, die gegeben wurde, wäre 
unter Berechnung der Eiweißverluste ein Gewichtsansatz von 
407 g in der Periode zu erwarten gewesen. Tatsächlich aber stieg 
das Gewicht nur um 130 g, so daß ein kompensatorischer Wasser¬ 
verlust von 277 g eingetreten ist. Soviel hat also das Tier vom 
Wasserstande seines Körpers verloren. Die Resultate der gleichen 
Berechnungsart für die anderen Versuche führen übereinstimmend 
zu demselben Ergebnis, daß stets Wassereinbußen des 
Organismus während der Überernährungsperiode ein¬ 
getreten sind, so daß die Gewichtsabnahmen viel 
stärker ausgefallen sind, als sie nach Berechnung 
der Gewebseinschmelzung auf Grund des genau be¬ 
kannten Kalorienbedarfs des Körpers und des Kalorien¬ 
gehaltes der Nahrung zu erwarten war. Zur Erklärung 
dieser merkwürdigen Tatsache ist zu bedenken, daß in der Vorperiode 
vor der Überernährung mit Fett stets eine mehrtätige Hunger¬ 
periode bestanden hat. Im Hunger aber pflegt, wie sich in jedem 
einzelnen Versuch auf Grund der Kalorienproduktion, der Kot- und 
StickstofFausscheidung leicht berechnen läßt, das Körpergewicht in 
der Regel nicht so stark zu sinken, wie es rechnerisch anzunehmen 
war. Die Hauptursache hierfür ist eine Wasserretention im Hunger, 
und die nächstliegende Erklärung für das Gewichtsverhalten während 
der Hauptperiode ist darin zu suchen, daß das angesetzte Fett 
nicht nur ohne Wasser angesetzt ist, sondern daß darüber hinaus 
noch ein mehr oder weniger großer Teil des während der Hunger¬ 
periode retinierten Wassers wieder zur Ausscheidung gelangt ist. 
im Versuche 5 vielleicht sogar noch mehr. 


358 GfiAFK u. Weissmann, Über die Wirkung d. überreichlichen Fetternährung usw. 


Es liegen also die Verhältnisse bei der Überernährung mit 
Fett prinzipiell genau so, wie es seinerzeit für die Überernährung 
mit Kohlehydrate gezeigt worden war, nur sind die Ausschläge 
sowohl hinsichtlich der dynamischen Wirkung wie hinsichtlich der 
Wasserbilanz lange nicht so ausgesprochen wie dort. Insbesondere 
dürfte der Anteil, den die Steigerung der Verbrennungen an der 
Differenz zwischen erwartetem und gefundenem Gewicht der Fett¬ 
überernährung haben, viel geringer ausfallen, als bei der Über¬ 
ernährung mit Kohlehydraten. 



359 


Zur Frage der Thrombarteriolitis pulmonum. 

Von 

Prof. G. Lang, 

Direktor der KakultäUklinik für innere Krankheiten des Petersburger med. Institute. 

Es ist eine zeitgemäße Aufgabe, die pathologischen Verände¬ 
rungen der kleinen Blutgefäße überhaupt und der verschiedenen 
Organe im speziellen genauer zu erforschen. Das Beispiel der 
Pathologie der Nierenarteriolen genügt, um die Bedeutung solcher 
auf dieses oder jenes Organsystem mehr oder weniger beschränkter 
Veränderungen richtig einzuschätzen. Und je größer und selb¬ 
ständiger die Rolle der kleinen Blutgefäße eines Organs ist, um 
so interessanter und wichtiger muß auch die Pathologie derselben 
sein. Es ist daher eigentlich merkwürdig, daß wir bis zur letzten 
Zeit von den Lungenblutgefäßen keinerlei Veränderungen kannten, 
außer der Arteriosklerose. Nun wissen wir bereits, daß bei ge¬ 
nauerer Nachforschung sich aus der großen Gruppe arteriosklero¬ 
tischer Veränderungen nicht selten ganz spezielle, vorwiegend ent¬ 
zündliche Formen der Arterien Veränderungen aussondern lassen — 
man denke nur an die syphilitische Arteriitis. Es scheint mir 
daher von allgemeinem Interesse über einen Fall von einer an¬ 
scheinend isolierten Erkrankung der Lungenarteriolen zu berichten, 
welchen ich klinisch und pathologisch-anatomisch zu beobachten 
Gelegenheit hatte und der im höchsten Grade an die von H. Ep- 
pinger im Jahre 1920 beschriebenen 3 Fälle erinnert. 

Diese Krankheitsform beansprucht dabei nicht nur das Inter¬ 
esse des Pathologen, sondern auch dasjenige des Klinikers, da es, 
wie auch unser Fall beweist, möglich geworden ist eine die ge¬ 
samte Lungengefäßbahn einengende Erkrankung der Lungenarterien 
auf Grund des klinischen Bildes zu diagnostizieren. 

In unserem Falle handelte es sich um eine Frau von 45 Jahren, 
welche vor 18 Jahren eine akute rheumatische Polyarthritis, vor 5 Jahren 
«ine „Nierenentzündung“ und vor 2 Jahren Fleckfieber durchgemacht 
hatte. Sie hatte 8 Kinder gehabt, von denen 7 an „Kinderkrankheiten“ 



360 


Lang 


gestorben waren. Die Menses haben vor 2 Jahren sistiert, erblich keine 
Belastung, der Mann ist gesund ; Erscheinungen von Kreislaufsinsufficienz 
und zwar Dyspnoe und Anasarka traten zuerst vor 2 Jahren nach dem 
Eieckfieber auf, verschwanden in einigen Wochen aber fast ganz, um 
ca. 1 Monat vor der Aufnahme in die Klinik (und 2 Monate vor dem 
Tode) wieder aufzutreten und sich allmählich so zu steigern, daß die 
Kranke mit allen Erscheinungen hochgradiger Herzinsufficienz in die 
Klinik eingeliefert wurde. Außer Anasarka, Ascites und Atemnot war 
eine hochgradige, die übrigen Symptome an Stärke übertreffende Cyanose 
und ein Gedunsensein des Gesichts zu konstatieren. Die Kranke war 
ziemlich kräftig gebaut, mit genügend entwickelter Muskulatur und Fett¬ 
polster. Die Herzdämpfung war in ihrem Querdurchmesser bedeutend 
vergrößert, und zwar vorwiegend nach rechts (ca. 7 cm, nach linkB 
ca. 9 cm); eine dem erweiterten linken Vorhof resp. Pulmonalisbogen 
entsprechende Dämpfung war nicht vorhanden, ebenfalls war kein Herz¬ 
stoß weder des linken noch des rechten Ventrikels zu palpieren. Aus¬ 
kultatorisch ein schwaches systolisches Geräusch an der Herzspitze im 
Liegen, eine Spaltung des 2. Tones über der Herzbasis, keine Verstär¬ 
kung des 1. Tones an der Herzspitze. Der Puls war regelmäßig, gleich¬ 
mäßig, von ungenügender Füllung, seine Frequenz schwankte zwischen 
80 und 100, der arterielle Blutdruck schwankte — der maximale zwischen 
80 und 130, der minimale zwischen 42 und 75. Von seiten der Aorta 
und der peripheren Gefäße konnten keine Zeichen von Arteriosklerose 
festgestellt werden. 

Die Atemexkursionen des Brustkorbs waren genügend groß. Die 
unteren Lungengrenzen standen eine Rippe tiefer als normal, waren aber 
gut beweglich. Der Lungenschall überall ein wenig mit tympanitischem 
Beiklang. Die Atemgeräusche wurden von trockenen Rasselgeräuschen 
übertönt. Hinten unten beiderseits waren beständig spärliche feuchte 
mittelblasige und feinblasige Rasselgeräusche vorhanden. Die Leber war 
stark vergrößert, verhältnismäßig weich, druckempfindlich. Der Harn 
enthielt */ 4 °/ 00 Eiweiß, sein spez. Gewicht war 1025—1030, die Ge¬ 
samtmenge verringert, im Sediment eine geringe Menge gekörnter und 
hyaliner Zylinder und einzelne Erythrocyten. Die Blutuntersuchung er¬ 
gab 6 Millionen roter Blutkörperchen, 106 °/ 0 Hämoglobin, die Körper¬ 
temperatur war normal. 

Während des Aufenthaltes der Kranken in der Klinik verschlimmerte 
sich ihr Zustand allmählich und einen Monat nach ihrer Aufnahme starb 
sie bei voll entwickeltem Bilde hochgradiger Herzinsufficienz. 

Es ist sehr schwer, im gegebenen Falle die Dauer der Krank¬ 
heit anzugeben, speziell festzustellen, ob die Herzinsufficienz- 
erscheinungen — 2 Jahre vor dem Tode nach dem Fleckfieber — 
diesem oder der damals schon beginnenden tödlichen Krankheit 
zugeschrieben werden müssen. 

Das Krankheitsbild ließ darauf schließen, daß es sich um eine 
Kreislaufsinsufficienz handelt, wo das Hindernis für den Blutstrom 
irgendwo zwischen rechtem und linkem Ventrikel gesucht werden 



Zur Frage der Thrombarteriolitis pulmonnm. 


361 


muß. Man konnte eine Mitralstenose, ein Lungenemphysem, einen 
angeborenen Herzfehler (Septumdefekt), vielleicht eine Herzbeutel¬ 
verwachsung annehmen oder die Diagnose stellen, welche meist 
bei Herzinsufficienz mit nicht zu bestimmender Ursache gestellt 
wird — die Diagnose „Myokarditis“. 

Da 1. keinerlei bestimmte Symptome einer dieser Krankheits¬ 
formen festzustellen waren, 2. die ausgesprochene Cyanose speziell 
für eine Behinderung im Lungenkreislauf sprach und 3. die starke 
Vergrößerung des rechten Herzens gleichfalls für ein Hindernis 
zwischen dem rechten und linken Ventrikel sprach, so hielt ich 
mich für berechtigt eine Erkrankung der Pulmonalarterie anzn- 
nehmen und stellte die Diagnose Pulmonalarteriosklerose. 

Die Sektion (Prof. P. Tschistowitsch) ergab makro¬ 
skopisch: Eine hochgradige Hypertrophie und Dilatation des rechten 
Ventrikels, die Lnngenarterie ohne Veränderungen, aber bedeutend er¬ 
weitert, stark ausgesprochene Stauungserscheinungen in den Organen des 
großen Kreislaufes, Atherosklerose der Bauchaorta mäßigen Grades, 
chronische Bronchitis, die Lungen verhältnismäßig blutarm, gering¬ 
gradiges Emphysem der Lungen. 

Die m i k ros ko p i s ch e Untersuchung der Lungen ergab folgendes: 
Veränderungen an zahlreichen Arteriolen von solchen mit einem Durch¬ 
messer von 1 mm angefangen und bis zu den präkapillaren, Verdickung 
und Hyalinisierung (Nekrose) aller 3 Wandschichten, vorwiegend der 
mittleren. Die elastischen Lamellen teilweise zersplittert, kleinzellige 
(„lympbocytäre“) Infiltration, vorwiegend in der Adventitia. Thromben, 
teilweise wandständige, teilweise das ganze Gefäßlumen ausfüllend, teil¬ 
weise frisch, teilweise organisiert und mit neugebildeten Kapillaren ver¬ 
sehen. Das Verhältnis der drei Hauptveränderungen der Arteriolen war 
derart, daß die Nekrotisierung der Wand als primärer Vorgang anzu¬ 
nehmen ist: stellenweise Hyalinisierung an einer beschränkten Stelle des 
Querschnitts einer Arteriole ohne andere Erscheinungen, stellenweise 
dem hyalinisierten Teil des Gefäßumfanges entsprechend beginnende 
Thrombenbildung und kleinzellige Infiltration der Adventitia. An anderen 
Stellen kleinzellige Infiltration der ganzen Gefäßwand ohne daß Thromben¬ 
bildung zu erkennen ist. 

Fettsubstanzen konnten in der veränderten Arteriolenwand bei Sudan¬ 
färbung nicht festgeBtellt werden. 

Es handelte sich folglich um eine entzündliche Arteriolen- 
erkrankung mit Neigung zu Thrombenbildung — um eine 
Thrombarteriolitis. 1 ) 

1) In diesem Sinne deutete auch Prof. F. Tschistowitsch den mikro¬ 
skopischen Befund, als er die Präparate in der pathologischen Gesellschaft in 
Petersburg demonstrierte. Herr Geheimrat Borst hatte die Güte die Präperate 
zu begutachten und äußerte sich in demselben Sinne. 



362 


Lang 


Die Folgen einer derartigen Erkrankung der Lungenarteriolen 
kann man sich leicht vorstellen: die Lungenarterienstrombahn wird 
allmählich verengert, der Blutdruck in der Pulmonalarterie steigt 
und erweitert sie allmählich, der rechte Ventrikel hypertrophiert. 
kann aber bei weiterer Verengerung der Lungenstrombahn das 
Hindernis nicht mehr überwinden, er dilatiert, es treten Stauungs¬ 
erscheinungen im großen Kreislauf ein usw. Der Krankheitsverlauf 
und die teilweise ganz frischen Veränderungen der Lungenarteriolen 
in unserem Falle lassen einen subakuten Verlauf desselben an¬ 
nehmen. 

Über die Ätiologie und Genese dieser entzündlichen Verände¬ 
rungen der Lungenarteriolen kann vorläufig nichts gesagt werden. 
Leider sind die Gefäße der anderen Organe mikroskopisch nicht 
untersucht worden, doch läßt weder im klinischen Bilde noch in 
den Ergebnissen der Sektion etwas darauf schließen, daß ent¬ 
sprechende Veränderungen auch in den anderen Organen vorhanden 
waren. Der Gedanke, daß es sich um eine weitere Entwicklung 
der für das Fleckfieber charakteristischen Thrombovaskulitis speziell 
in den Lungen handelt, liegt nahe. Doch zweifle ich daran, daß 
es tatsächlich so ist. Denn, erstens, ist von einer vorwiegenden 
Beteiligung der Lungenarteriolen an der Fleckfieber-Thrombovasku- 
litis nichts bekannt, andererseits ist in den ganz analogen Fällen 
Eppinger’s in der Anamnese von Fleckfieber nichts erwähnt 

Die Fälle Eppinger’s und mein Fall gehören fraglos zu¬ 
sammen. Eppinger äußert sich in seiner Arbeit sehr vorsichtig 
über den Charakter der von ihm zuerst beschriebenen Verände¬ 
rungen der Lungenarteriolen, speziell über ihr Verhältnis zur 
Arteriosklerose. Ich glaube, daß es berechtigt ist, mit voller Be¬ 
stimmtheit, sowohl in den Fällen Eppinger’s, als auch in den 
meinigen, eine entzündliche Erkrankung der Lungenarteriolen, 
welche von der Arteriosklerose ganz verschieden ist, anzunehmen. 

Was das Verhältnis dieser Fälle zu den Fällen von sog. iso¬ 
lierter Pulmonalarteriosklerose betrifft, auf deren Diagnose unlängst 
Mobitz näher eingegangen ist, so erscheint mir der Hinweis 
dieses Autors auf einige Besonderheiten dieser Fälle sehr be¬ 
merkenswert. Wie Mobitz hervorhebt, handelt es sich in diesen 
Fällen um verhältnismäßig junge Leute, nicht vorwiegend um 
Männer, sondern vorwiegend um Frauen, der Krankheitsverlauf 
ist ein viel kürzerer, als es der gewöhnlichen Arteriosklerose ent¬ 
spricht, und die Veränderungen der Blutgefäße sind meist auf die 
Lungenarterien beschränkt. 



Zur Frage der Thrombarteriolitis pulmonum. 


363 


Man muß daher annehmen, daß es sich mindestens um eine 
besondere Form der Arteriosklerose handelt. Die erwähnten Be¬ 
sonderheiten dieser Fälle, die ausgesprochene Neigung zur Thromben¬ 
bildung in vielen dieser Fälle, läßt aber auch die Vermutung zu, 
daß es sich vielleicht um eine Kombination der Thrombarteriolitis 
mit Pulmonalarteriosklerose handelt. Denn, wenn der entzündliche 
Prozeß in den Arteriolen chronischer verläuft als in unserem Fall, 
so kann leicht die Drucksteigerung in der Pulmonalarterie die 
Entwicklung von arteriosklerotischen Veränderungen in ihrer Wand 
hervorrufen. Denn gerade im Kapitel der Pulmonalarteriosklerose 
haben wir die besten Beispiele für die Bedeutung der Blutdruck¬ 
erhöhung für die Genese arteriosklerotischer Veränderungen. Wenn 
wir also in diesen Fällen von sog. isolierter Pulmonalarteriosklerose 
als primäre Erkrankung eine Thrombarteriolitis pulmonalis an¬ 
nehmen und die Pulmonalarteriosklerose als ihre Folge, dann ist 
die klinische Eigentümlichkeit dieser Fälle leicht erklärlich. 

Es ist selbstverständlich vollkommen möglich, daß es außer 
einer Thrombarteriolitis pulmonalis auch eine spezielle Form von 
primärer Pulmonalarteriosklerose gibt, die von der sekundären (bei 
Emphysem, Mitralstenose usw.) ätiologisch verschieden ist. Ich 
glaube nur, daß man in Zukunft auch mit der Möglichkeit einer 
Kombination im angedeuteten Sinne rechnen und darauf bei der 
mikroskopischen Untersuchung und der Bewertung der Fälle speziell 
achten muß. 


Literatur. 

Eppinger u. Wagner, Wiener Arch. f. inn. Med. Bd. I, 1920. — Mo¬ 
bitz, Deutsches Arch. f. klin. Med Bd. 142, H. 1/2, 1923. — Posselt, Volk- 
mann’s Samml. klin. Vortr. 504/'07, 1908. — Ljungdahl, Untersuch, über die 
A.rterin«kl. d. klein. Kreisl. Wiesbaden 1915 — Roinbersr, Deutsches Arch. f. klin. 
Med. 48, 1891. — Hart, Berliner klin. Wochenschr. 1916. — Arrilaga, Arch. 
d. mal. du. cceur 1913, p. 518. 



364 


Aus der Fakultätsklinik für innere Krankheiten des Petersburger 
medizinischen Instituts. (Direktor: Prof. G. Lang.) 

Zur Frage der Blutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz. 

Von 

Dr. Loschkarewa. 

Obgleich die Frage der Blutdruckveränderung bei Herz¬ 
insufficienz, speziell bei Herzkranken, ein außerordentliches sowohl 
theoretisches als auch praktisches Interesse hat, ist sie merk¬ 
würdigerweise bis jetzt nur wenig einer systematischen Bearbeitung 
unterzogen worden, und die wenigen, diese Frage betreffenden 
Arbeiten, hauptsächlich aus der Klinik von M. Janowski in 
Petersburg stammend, haben zu ihrer Klärung nicht viel bei¬ 
getragen. Wir wissen daher bis jetzt nicht, wie oft bei Herz¬ 
insufficienz eine Blutdrucksenkung, welche früher als Regel an¬ 
genommen wurde, und wie oft eine Blutdrucksteigerung eintritt, 
unter welchen Bedingungen erstere oder letztere die Regel bildet 
und wie diese Blutdrucksteigerung oder -Senkung zu erklären ist. 

Wenn man den gegenwärtigen Standpunkt der Klinik in dieser 
Frage zusammenfassen soll, so kann man nur sagen, daß die haupt¬ 
sächlich von Sahli beschriebene „Hochdruckstauung“ eher als 
Ausnahme angesehen wird, daß man größtenteils noch immer eine 
Senkung resp. ein Gleichbleiben des Blutdrucks bei Herzinsufficienz 
als Regel betrachtet. Die Arbeit von G. Lang und S. Manswe- 
towa aus dem Jahre 1908, wo die Erhöhung des Blutdruckes hei 
der Herzinsufficienz der Herzkranken, speziell bei Mitralfehlern 
und Emphysem, als eine gesetzmäßige Erscheinung hingestellt 
wird, ist ohne Beachtung geblieben. 

Ich habe es daher auf eine Anregung von Prof. G. Lang hin 
unternommen, die betreffenden Krankengeschichten unserer Klinik 
in der angedeuteten Richtung zu bearbeiten, um neues Material 
zur Lösrng dieser Frage beizubringen. Die zugrunde liegenden 



Zur Frage der Blutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz. 


365 


Blutdruckmessungen und Krankengeschichten sind folglich von den 
Mitarbeitern der Klinik, welchen die betreffenden Kranken anver- 
traut waren, ausgefiihrt resp. zusammengestellt worden. 

Die Krankengeschichten beziehen sich auf die letzten 2 Jahre, wo 
in unserer Klinik systematische Blutdruckmessungen bei allen Herz¬ 
kranken regelmäßig (— während sie mehr oder weniger deutliche Ver¬ 
änderungen ihres Kreislaufszustandes boten — sogar täglich) ausgeführt 
wurden. 

Unserem Material liegen 57 Krankengeschichten zugrunde. In 
diesen 57 Fällen wurden 60 Übergänge von Dekompensation zu Kom¬ 
pensation resp. von Herzinsufficienz zu Herzsufficienz oder umgekehrt 
beobachtet. Der Blutdruck wurde in unserer Klinik mit dem Apparat 
von Riva-Rocci mit der breiten von Recklinghausen'sehen 
Manschette gemessen, wobei der maximale Blutdruck auskultatorisch und 
palpatorisch, der minimale auskultatorisch bestimmt wurde. Als mini¬ 
maler Druck wurde derjenige angesehen, welcher dem ersten Schwächer¬ 
werden der sog. Endtöne bei fallendem Druck in der Manschette ent¬ 
spricht. Das Fallen des Blutdrucks bei Verbesserung der Blutzirku¬ 
lation resp. Herzarbeit,*) resp. das Steigen bei Verschlechterung derselben, 
wird mit dem -{--Zeichen (als PluBphänomen) das Gegenteil — eine Blut- 
drucksteigerung bei Besserung der Herzarbeit resp. eine Senkung bei 
Verschlechterung wird mit dem-Zeichen (Minuspbänomen), das Gleich¬ 

bleiben des Blutdruckes bei diesen Übergängen wird mit 0 bezeichnet 
werden. 

Von den 60 beobachteten Übergängen haben wir 
für den Ma (maximalem Blutdruck) 

in 37 -{- [in 31 + bei Besserung, in 6 -j- bei Verschlechterung 

der Herztätigkeit] 

in 7 — [in 4 — „ „ , in 3 — bei Verschlechterung 

der Herztätigkeit] 

in 16 0 [in 12 0 „ „ , in 2 0 bei Verschlechterung 

der Herztätigkeit] 

für den Mi (minimalen Blutdruck) 
in 30 -j- 
in 4 — 
in 25 0 

1) Ich erlaube mir hier vorläufig keinen scharfen Unterschied zwischen 
Herzinsufficienz und lnsufficienz des Blutkreislaufs zu machen, da auch bei „Herz¬ 
kranken“ jedenfalls nicht jede Verschlechterung (Verlangsamung) des Blutkreis¬ 
laufs von einer primären Verschlechterung der Herztätigkeit abhängt, vielmehr 
ihren Grund in einer Veränderung des Gefäßapparats oder der Gewebe haben 
kann, und dies im konkreten Fall zu entscheiden oft schwer oder sogar unmög¬ 
lich ist Bei der Analyse der Genese der uns beschäftigenden Erscheinung wird 
natürlich dieser Unterschied der Ursache der Kreislaufinsufficienz besonders be¬ 
rücksichtigt werden müssen. 



366 


f ' 


Loschkarewa 


Vor allem interessierte uns die Frage, ob zwischen der uns 
beschäftigenden Erscheinung einerseits und der ursprünglichen 
Höhe des Blutdrucks andererseits ein gesetzmäßiger Zusammen¬ 
hang besteht. Wenn man die Fälle nach der Höhe des maximalen 
Blutdrucks (Ma) ordnet, so erhält man: 


J ) M a 


Gesamt¬ 
zahl der 
Fälle 

+ 

Blutdruckphänomen 

— ■ 1 0 

, + in % 

Mittlere - 
Größe der 
Senkung 
des Ma 

3—140 mm 

Hg 

30 

15 

4 

11 

/ 50 

26 

140—170 „ 


16 

11 

3 

2 

69 

31 

170-200 „ 


8 

6 


2 

75 

47 

200- 300 „ 

” 1 
n 

6 

5 i 

_ | 

l 

83 

44 


Aus dieser Tabelle folgt deutlich, daß das Plusphänomen, 
um so regelmäßiger auftritt, je höher der ursprüng¬ 
liche Blutdruck ist. Dabei ist die Blutdrucksenkung resp. 
Steigerung um so größer, je höher der Blutdruck ursprünglich 
stand. Wenn man die Fälle nach dem minimalen Druck ordnet,, 
so bleibt die erste Schlußfolgerung zu Recht bestehen; was da¬ 
gegen die Größe der Mi-Blutdrucksschwankung betrifft, so läßt 
sie das Anwachsen mit steigendem Anfangsdruck vermissen. 


Mi 

Gesamt¬ 
zahl der 
Fälle 

1 

+ 

Blutdruckphänomen 

- 1 0 i 

+ in °/o 

Mittlere 
Größe der 
Senkung 
des Mi 

50— 80 mm 

Hg 

1 29 

10 

2 

17 

34,4 

22 

80—100 „ 


24 

15 

1 

8 

62,6 

22 

100-150 „ 


6 

4 

1 

1 

66,6 

20 

Über 150 „ 

rt 

1 

1 

— 

— 

— 

— 


Jedenfalls folgt aus allen bisher angeführten Zahlen, daß bei 
Herzinsufficienz der Ma im Vergleich zum Mi öfter Schwankungen 
aufweist und dieselben durchschnittlich größer sind. 

Was die Pulsdruckveränderungen betrifft, so ergibt sich aus 
unserem Material folgende Zusammenstellung: 



Vergröße- 

Vermin- 

Gleich- 

. 4 , ; . • * . .* 7 

rung des 

derung d. 

bleiben d. 

' i . ■ . ■ ■, I 

Puls- 

Puls- 

Puls- 

< i / 

drucks 

drucks 

drucks 

Bei Besserung des Blutkreislaufs in 35 Fällen 

9 mal 

18mal 

8'mal 

Bei Verschlechterg. des > „ „ 9 1 „ 

6 mal 

3 mal 

— ■ 


, ./ 1) Ich bin mir wohl bewußt, daß bei solch kleinen Zahlen eine Berechnung* 
in Prozenten nicht zulässig ist; ich erlaube mir dennoch die Zahlen in Prozenten 
umgerechnet anzugeben nur um einen Vergleich derselben zu erleichtern. 



Zur Frage der Blutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz. 


367 


Somit erweist es sich, daß unter 44 Fällen der Puls bei 
schlechterem Zustande des Herzens resp. des Blutkreislaufes 24 
(18-|-6) Mal größer war, als bei besserem Kreislaufszustande; in 
12 Fällen war er kleiner, in 8 Fällen gleich. Hier näher auf die 
Frage der Bedeutung der Pulsdruckänderung für die Beurteilung 
der Herzarbeit einzugehen, erübrigt sich, da sie in der oben¬ 
erwähnten Arbeit von G. Lang und S. Manswetowa ausführ¬ 
lich erörtert ist. 

Diese Erscheinung, — das öftere Kleinerwerden des Puls¬ 
drucks bei Verbesserung des Blutkreislaufes und umgekehrt, — 
ist um so merkwürdiger, als in unseren Fällen, wo das Plus¬ 
phänomen zu beobachten war, eine Verbesserung des Blutkreislaufs 
immer mit einer Abnahme der Pulsfrequenz und eine Ver¬ 
schlechterung immer mit Zunahme derselben verbunden war;- 
eine Abnahme der Pulsfrequenz aber ceteris paribus den Pulsdruck 
erhöht und umgekehrt. 

Hinzufügen kann man, daß ich keinerlei bestimmte Beziehungen 
zwischen der ursprünglichen Pulsfrequenz einerseits und dem Grade 
der Pulsfrequenzzunahme resp. Abnahme bei Verschlechterung resp. 
Verbesserung des Blutkreislaufes andererseits feststellen konnte, 
ebensowenig ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem Grade der 
Veränderung der Pulsfrequenz und der Größe der Blutdruck¬ 
schwankung. 

Eine Ausnahme bilden nur einige der wenigen Fälle, wo das 
Minusphänomen zu beobachten war, d. h. wo eine Verschlechte¬ 
rung der Blutzirkulation mit Senkung des Blutdrucks und eine 
Verbesserung mit Steigerung derselben verbunden war. Und zwar 
war in 5 Fällen (von 7 im ganzen) bei Besserung der Blut¬ 
zirkulation die Blutdrucksteigerung mit Verminderung der Puls¬ 
frequenz, in 2 Fällen mit Pulsfrequenzzunahme verbunden. 

Weiterhin versuchten wir einen Zusammenhang zwischen den 
verschiedenen Äußerungen der Kreislaufsinsufficienz einerseits und 
dem Blutdruckphänomen andererseits festzustellen. Folgende Ta¬ 
belle zeigt das Verhältnis zwischen demselben und der Wasser¬ 
sucht (Anasarca, Ascites, Hydrothorax). 

Aus Tabelle auf S. 306 folgt o h n e weiteres, daß 
keinerlei bestimmte Beziehungen zwischen dem uns 
interessierenden Phänomen und der Wassersucht be¬ 
ste hen, da das Plusphänomen schon eher öfter und ausgesprochener 
in den Fällen vorkommt, wo keine Wassersucht vorhanden, oder wo 
sie schwach ausgesprochen war. 



368 


Loschkakewa 



Gesamt- J 
zahl 

Blntdruckp 

+ 1-1 

hänome 

0 

;n l ) 

+in°/ 0 

Mittlere Blut¬ 
druck¬ 
veränderung 
in mm Hg 

Ma | Mi 

Fälle ohne Wassersucht 

29 

18 

2 

9 

62 

1 1 

36 | 

20 

Fälle mit stark. Wassersucht 

21 

12 

3 

6 

55 

26,5 

25 

Fälle mit schwach. „ 

10 

7 

2 

1 

70 

18,5 

27 

zusammen 

31 

19 

5 

7 





Das Verhältnis zwischen dem Blutdruckphänomen einerseits 
und dem Vorhandensein und dem Grade der Stauungserscheinungen 
in den Lungen andererseits zeigt folgende Zusammenstellung. 


1 

* 

1 

Ge- | 
samt 
zahl > 

Blutdruckphänomen 

+ I - 1 ° 

Grad der 
durch- 
schuittl. 

Ma- 

Senkung 

Grad der 
durch- 
schuittl. 
Mi- 

Senkung 

Fälle ohne Stauungserschei- 
nnngen in den Lungen 

22 

12(54%) 

3 7 

36 mm 

17,5 mm 

Fälle mit starken Stauungs- 
erscheinungen in d. Lungen 

21 

14 (66%) 

i 

3 4 

22 mm 


Fälle mit schwach. Stauungs¬ 
erscheinungen in d. Lungen 

17 

11 (64%) 

1 5 

i 

21,5 mm 


zusammen 

38 

25 

4 3 

1 



Das Plusphänomen ist somit in den Fällen mit 
Stauungserscheinungen in den Lungen etwas öfter, 
als in den Fällen ohne solche. Doch ist der Grad der 
Blutdruckschwankung bei Stauungserscheinungen in 
den Lungen geringer. 

Im Zusammenhang mit den Stauuugserscheinungen in den 
Lungen im Sinne einer Beziehung zum Plusphänomen interessiert 
besonders die Frage, ob eine Abhängigkeit desselben von der 
Dyspnoe festgestellt werden kann. Bei Zusammenstellung der 
folgenden, diesbezüglichen Tabelle wurde nur die Dyspnoe als 
subjektives Symptom berücksichtigt. 

Die Tabelle auf S. 307 läßt keinen Zusammenhang zwischen dem 
Grade der Dyspnoe und dem Plusphänomen erkennen. Es stimmt dies 
vollkommen mit den Resultaten Frehse’s überein, der unlängst 

1) Sowohl in dieser wie auch in den folgenden Angaben und Tabellen ist 
das Blutphänomen für den Ma-Blntdrnck gemeint. 



Zur Frage der Blutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz. 


369 


eine spezielle Studie den Beziehungen zwischen der sog. Hoch 
drncksstauung und der Dyspnoe gewidmet hat. 



Zahl der 
Fälle 

Blutdrnckphänomen 

+ | - | 0 

Mittlere 
Größe der 
11a- 
Schwan- 
kung 

Mittlere 
Größe der 
Mi- 

Schwan- 

knng 

Ohne Dyspnoe 

2 

1 1 1 

1 

— 

1 22 mm 

20 mm 

Mit starker Dyspnoe 

32 

20 I 

4 

8 

28.5 

23,5 

Mit schwacher Dyspnoe 

26 

16 1 

2 

8 

34 

18,5 

zusammen 

58 

36 | 

6 

16 

31,7 

21 


Bei dem Zusammenhang, welcher zwischen Niereninsufficienz 
einerseits und Blutdrucksteigerung andererseits zweifellos vorhanden 
ist, lag der Gedanke nahe, daß auch der Blutsteigerung bei Herz¬ 
insufficienz eine, vielleicht durch die Stauung verursachte, Nieren¬ 
insufficienz zugrunde liegen könnte. Ich habe mich daher bemüht, 
besonders eingehend die Beziehung zwischen Nierensymptomen, 
speziell Stauungserscheinungen von seiten der Nieren, und den 
Blutdruckschwankungen bei Herzinsufficienz zu prüfen. Die Re¬ 
sultate sind in folgender Tabelle zusammengestellt. 


7natnnfl 


Ma 



Mi 


Blutdruckphänomen 

lillnUUlU 

der Nieren 

unter 

125 

125 bis 
160 

über 

150 

unter 

75 

75 bis 
100 

über 

100 

+ 


0 

Keinerlei Nieren¬ 
symptome, 24Fälle 

14 

(58 °/o) 

6 

4 

15 

(65 o/ 0 ) 

8 

1 

11 

(65 o/o) 

4 

9 

Stannngsnieren, 

18 Fälle 

6 

(33 o/ 0 ) 

7 

5 

(26°o/ 0 ) 

11 

1 

12 

(66 o/o) 

2 

4 

Glomernlonephri- 
tis, 4 Fälle 

1 

1 

2 

1 

2 

1 

3 

1 

— 

Arteriolosclerosis, 
14 Fälle 

(7%) 

10 

3 

2 

(14 o/o) 

9 

3 

11 

(78 o/o) 

— 

3 


Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, daß bei Anwesenheit von 
Nierensymptomen, besonders bei solchen, welche arteriolosklero- 
tische Nierenveränderungen annehmen lassen, der Blutdruck viel 
öfter erhöht war und dementsprechend auch das Plusphänomen 
öfter zu beobachten war. Jedenfalls war zwischen der Blutdruck¬ 
schwankung beim Eintreten oder beim Verschwinden von Kreis- 
laufsinsufficienzerscheinungen einerseits und den Veränderungen 
der Nierensymptome andererseits kein Parallelismus zu beobachten. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 143. Bd. 24 







370 


Loschkarenva 


Unter 12 Fällen von Stauungsniere, wo eine deutliche Veränderung 
der Symptome im Laufe der Beobachtung verzeichnet ist, konnte 
nur in 6 ein ausgesprochener Parallelismus zwischen dem Grade 
der Nierensymptome und der Blutdruckschwankung konstatiert 
werden. In 26 Fällen konnte aus den Krankengeschichten das 
Verhältnis zwischen der Diurese und den Blutdruckschwankungen 
während der Veränderungen des Kreislaufszustandes festgestellt 
werden und nur in 10 konnte ein Parallelismus konstatiert werden. 

Es macht somit den Eindruck, daß wir kein Recht haben, die 
Steigerung des Blutdrucks bei Herzinsufficienz mit Niereninsufficienz- 
erscheinungen in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. 

Wir müssen somit zu dem Schluß kommen, daß unser Material 
uns kein Recht gibt, die Blutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz 
mit einer der genannten Erscheinungen von Kreislaufsinsufficienz 
in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Am meisten könnte 
man noch an Beziehungen zwischen den Stauungserscheinungen in 
den Lungen einerseits und der Hochdrucksstauung andererseits 
denken, doch sind die betreffenden Zahlen nicht überzeugend genug, 
um eine Abhängigkeit anzunehmen. 

Vorläufig müssen wir daher eher daran denken, daß die Ur¬ 
sache der Blutsteigerung bei Herzinsufficienz durch funktionelle 
Veränderungen im Gefäßsystem selbst, bedingt durch die Herz¬ 
insufficienz und nervös-reflektorisch resp. chemisch-physikalisch 
vermittelt, verursacht wird. Daß bei hohem Blutdruck diese Blut¬ 
drucksteigerung öfter vorkommt und stärker ausgesprochen ist, 
stimmt vollkommen damit überein, daß bei Hypertonie (im weiteren 
Sinne) der Blutdruck auf alle ihn verändernden Faktoren mit 
größeren Schwankungen reagiert als bei normalen Blutdruck¬ 
verhältnissen. 

Daß die Kreislaufsinsufficienz selbst die nächste Ursache der 
ihr so oft eigentümlichen Blutdrucksteigerung ist, dafür spricht 
vielleicht auch die Tatsache, daß keine der oben erwähnten sekundären 
Erscheinungen der Kreislaufinsufficienz einen derartigen Paralle¬ 
lismus mit dieser Blutdrucksteigerung erkennen läßt, wie der Grad 
der Kreislaufsinsufficienz selbst. 

Wenn wir unsere Fälle der Stärke dieser Kreislaufsinsufficienz- 
erscheinungen nach in 2 Gruppen einteilen — ohne Rücksicht auf 
den Blutdruck — und die Frequenz und den Grad der sog. „Hoch¬ 
druckstauung“ in diesen Gruppen gegenüberstellen, so ergibt sich 
(siehe folgende Tabelle), daß ein ausgesprochener Parallelismus 
zwischen dem Grade der Insufficienz und dem Plusphänomen besteht. 



Zur Frage der Blutdrueksteigerung bei Herzinsufficienz. 


371 


Kreislaufinsufficienz 

Zaid der 
Fälle 

Plas ' in «/ 

phänomeu | 

Mittlere Steigerung 
resp. Senkung des 

Ma | Mi 

geringen Grade» 

Hohen Grades 

19 

39 

9 47 

28 72 

28 19,5 

34 | 23,2 


Wenn unsere Schlußfolgerung:, daß die der Herzinsufficieuz 
selbst eigentümlichen Zustandsänderungen des Kreislaufsapparats 
die Ursache des Pinsphänomens sind, richtig ist, so kann zur Er¬ 
klärung dieses Phänomens vielleicht die Ermittlung beitragen, ob 
zwischen den die Herzinsufficieuz hervorrufenden Veränderungen 
des Kreislaufsapparats einerseits und der Frequenz und dem Grade 
des Plusphänomens andererseits bestimmte Beziehungen bestehen. 

Schon in einer obenerwähnten Arbeit haben G. Lang und 
S. Manswetowa versucht festzustellen, bei welchen Verände¬ 
rungen des Herzens, der Gefäße und anderer zum Kreislaufapparat 
gehörender Organe vorwiegend das Eintreten von Herzinsufficienz 
von einer Blutdrucksteigerung gefolgt ist. 

In der folgenden Tabelle haben wir eine vorläufige Zusammen¬ 
stellung unseres Materials in dieser Hinsicht versucht. 


Klinische Diagnose 

Zahl 

der 

Fälle 

+ 

Blutdruck- 

Phänomen 

+in _ 
°/o 

0 

Durchschnitt¬ 
liche Blut¬ 
druckverän¬ 
derung beim 
Plus- 
ph&nomen 

Ma Mi 

Puls- 
druek- 
verminde- 
rung,Zahl 
der Fälle 

Durch- 
schnittl. 
Größe der 
Puls- 
druck- 
verminde- 
mng in 
mm 

Mitralklappenfehler 

16 

11 

68 

1 

4 

31 

22 

8 

12 

Aortenklappenfehler 

10 

6 

60 

1 

3 

40 

19 

5 

20 

Komb.Klappenfeliler 

Arteriosklerotische 

9 

5 

55,5 

2 

2 

29 

16 

4 

20 

Herzleiden 

21 

14 

66,6 

1 

6 

35 

22,5 

7 

27 

Infekt. Myokarditis 

4 

1 

2 

1 

25 

15 

1 

10 

zusammen 

60 

37 


7 

16 






Die Differenz der betreffenden Zahlen in dieser Tabelle ist zu 
gering, um bei der kleinen Zahl unserer Fälle einen bestimmten 
Zusammenhang zwischen den der Kreislaufsinsufficienz zugrunde 
liegenden pathologischen Zuständen einerseits und dem Plus- 
phänoraen andererseits, anzunehmen. Wir können somit die An¬ 
gaben von G. Lang und S. Manswetowa nicht bestätigen, daß 
bei Mitralklappenfehlern und Emphysem die Herzinsufficienz fast 

24* 












372 


Loschkarkwa 


stets, bei Aortenklappenfehlern und Arteriosklerose — viel seltener 
von einer Blutdrucksteigerung gefolgt ist. 

Bemerkenswert in unserer Tabelle ist die große Frequenz des 
Minusphänomens bei auf infektiöser Myokarditis beruhender Herz- 
insufficienz. Wenn man auf Grund von 4 Fällen überhaupt irgend¬ 
welche Voraussetzungen machen darf, so ist man geneigt anzu¬ 
nehmen, daß in diesen 4 Fällen (von welchen 3 zur Endokarditis 
lenta zugerechnet werden müssen) für die Blutdrucksenkung während 
der Kreislaufsinsufficienz die für Infektionszustände charakteristische 
Parese der Vasomotoren verantwortlich gemacht werden muß. 

Ich glaube dennoch, daß dieser Weg — eine genauere Analyse 
der der Kreislaufsinsufficienz zugrunde liegenden Faktoren und der 
sie begleitenden Veränderungen des Herzgefäßsystems — uns die Er¬ 
klärung der so interessanten Veränderungen des Blutdrucks bei 
der Kreislaufsinsufficienz geben wird. 

Vorläufig scheint es mir möglich, folgendes feststellen zu 
dürfen: 

1. Beim Schwinden der Kreislaufsinsufficienzerscheinungen bei 
Herzkranken wird ein Sinken des Blutdrucks (resp. ein Steigen 
desselben bei Eintritt der Kreislaufsinsufficienzerscheinungen) mehr 
als in der Hälfte aller Fälle (37 von 60) beobachtet, ein Steigen 
verhältnismäßig selten (7 von 60). 

2. Je höher der ursprüngliche Blutdruck, um so öfter und um 
so ausgesprochener ist dieses paradoxe Phänomen. 

3. Der maximale Blutdruck ist dabei öfter und stärker ver¬ 
ändert als der minimale. 

4. Der Pulsdruck wird bei Herzkranken beim Schwinden von 
Kreislaufsinsufficienzerscheinungen öfter kleiner als größer (trotz 
der regulären Verminderung der Pulsfrequenz). 

5. Zwischen dem Verhalten des Blutdrucks bei Herzkranken 
während der Kreislaufsinsufficienz einerseits und der Wassersucht, 
der Dyspnoe, der Stauungserscheinungen in den Lungen und den 
Veränderungen von seiten der Nieren andererseits, besteht kein 
bestimmtes Verhältnis. 

6. Je höher der Grad der Kreislaufsinsufficienz bei Herz¬ 
kranken ist, um so öfter und um so stärker ist der Blutdruck 
dabei erhöht. 

7. Zwischen der Art der der Kreislaufsinsufficienz zugrunde 
liegenden Veränderungen des Herzens oder der Gefäße einerseits 
und dem Verhalten des Blutdrucks während der Kreislaufsinsuffi- 



Zur Frage der Blutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz. 373 

cienz andererseits könnte an unserem Material kein deutlicher 
Zusammenhang festgestellt werden. 


Literatur. 

G. Lang u. S. Manswetowa, Deutsches Arch. f. klin. Med. 110, 1908. — 
Kollossow, Zur Frage der Blutdruckveränderungen bei Herzkranken unter 
Einwirkung von Adonis vernalis. Dissert. Petersburg 1903. — Zipljaew, Über 
den Einfluß der Digitalis auf den Blutdruck bei Herzkranken mit Dekompensation. 
Dissert. Petersburg 1903. — Sokolowski, Klinische Beobachtungen über die 
Blutdruckschwankungen unter der Einwirkung von herztonisierenden Mitteln. 
Dissert. Petersburg 1911. — Drschewetzki, Klinische Beobachtungen überden 
Einfluß der Strophantustinktur auf den Blutdruck. Dissert. Petersburg 1911. — 
Aleksejew, Klinische Beobachtungen über den Einfluß der Tinct. cacti grandi- 
floris auf den Blutdruck. Dissert. Petersburg 1905. — Krilow, Klinische Be¬ 
obachtungen über den Einfluß des Koffeins auf den Blutdruck. Dissert. Peters¬ 
burg 1908. — G. Lang, Über die Hypertonie. Arch. d. Inst. f. ärztl. Fortbild. 
192*2, Nr. 1. — Hensen, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1900. — Gallavardin, 
La tension arterielle en clinique 1910. — Horner, Der Blutdruck des Menschen. 
1913. — Frehse, Deutsche med. Wochenschr. 1922, Nr. 19. — Ehr mann u. 
Dinkin, Deutsche med. Wochenschr. 1922, Nr. 50. — Fr. Müller, Münchener 
med. Wochenschr. 1923, Nr. 1. 



374 


Aus der I. Medizinischen Klinik der Charite Berlin. 

(Leiter: Geh.-Rat Prof. Dr. W. His.) 

Die leukämische Retikuloendotheliose. 

Bemerkungen zur gleichnamigen Arbeit von 0. Ewald, 

dieses Archiv Bd. 142, H. 3/4. 

Von 

Professor Dr. Viktor Schilling, Berlin. 

Ewald schreibt am Eingang seiner Arbeit: „Ein Fall von 
akuter Leukämie . . . gibt mir Veranlassung, die im Titel auf¬ 
geführte Bezeichnung als selbständige Form der Leukämie neben 
die Myelose und Lymphadenose zu stellen.“ 

Diesem Satz stelle ich den Schlußsatz meiner von Ewald 
nicht erwähnten Arbeit mit Reschad „Über eine neue Leukämie 
durch echte Übergangsformen (Splenocytenleukämie) und ihre Be¬ 
deutung für die Selbständigkeit dieser Zellen“ (Münchener med. 
Wochenschr. H. 36, 1913) gegenüber: 

„Wir betrachten also unsere reine akute Leukämie 
durch Gr. Mononucleäre + Übergangsformen oder 
Splenocyten als eine selbständige Splenocytenleuk¬ 
ämie und stellen damit eine neue Systemleukämie 
neben die myeloische und lymphatische Leukämie.“ 

Es ist also außer allem Zweifel, daß der von Ewald wie neu 
formulierte Begriff einer unabhängigen dritten Leukämie klar von 
uns aufgestellt und begründet ist. Wir haben damals den weiter¬ 
hin eingebürgerten Namen „Monocytenleukämie“ erörtert, aber bis 
zur Klärung des Monocytenbegriffs, die jetzt erfolgt ist, für weniger 
anwendbar gehalten. 

Trotz unserer klaren Begriffsfestlegung hat Ewald kurz zu¬ 
vor mit Frehse und Henning (dieses Archiv Bd. 138) noch 
Leukämien als „Monocytenleukämien“ beschrieben, die sowohl 
Naegeli wie ich selbst nach den Präparaten als „Myeloische“, 
bzw. „Myeloblastenleukämien“ bezeichnet hatten. Ich habe 
auf Grund der mir eingesandten Präparate die Bezeichnung 



Die leukämische Retikuloendotheliose. 


375 


„Monocytenleukämie“ dafür ausdrücklich abgelehnt und auf 
meine dritte Leukämie als andersartig hingewiesen. 

Weiter schreibt Ewald gegen Schluß seiner Arbeit: „Die 
von V. Schilling beschriebenen Monocytosen wären dann wohl 
als Retikuloendotheliosen aufzufassen.“ Von der Histologie des 
Falles sagt Ewald: es sei eine „klinisch als septisch zu bezeich¬ 
nende Erkrankung, die sich cytologisch in einer Proliferation der 
Parenchym zell en des ganzen retikuloendothelialen Systems 
mit Ausschwemmung dieser primitiven Zellen in die Blutbahn dar¬ 
stellt“. 

Schlägt man meine von Ewald hier gestreifte Arbeit „Über 
hochgradige Monocytosen usw.“ (Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 88, 
1919) nach, so findet man den Schlußsatz: 

„3. Die gleichen Zellen wurden histologisch in Leber, Milz 
und Knochenmark in starker Vermehrung frei und als endotheliale 
Elemente vom Typus der Kupft'erschen Sternzellen, sich ablösend 
von dem proliferierenden und makrophagischen Retikuloendothel 
wiedergefunden, ohne daß sich ein Zusammenhang mit lympho- 
blastisclien oder mj'eloblastischen Keimzentren ergeben hätte.“ 

Auch hier unterscheidet sich die Ew r ald’sche Ansicht durch¬ 
aus nicht von meiner mit klaren Abbildungen belegten Darstellung. 

Die bei Ewald wie neu erscheinenden wissenschaftlichen Vor¬ 
stellungen sind also seit langem als „Monocytenleukämie“ und als 
„Monocytose“ von retikuloendothelialer Genese eingeführt und im 
allgemeinen pflegen solche zweifellosen Prioritäten in der Wissen¬ 
schaft geachtet zu werden. Zum wenigsten aber darf man bei 
einer einfachen Umbenennung vom Autor die übliche Zitierung der 
gleichartigen älteren Anschauungen erwarten. 

Erwiderung zu den Bemerkungen von V. Schilling. 

Von 

0. Ewald. 

Ein Streit um Prioritätsrechte liegt mir vollkommen fern. 
Durch den Vorschlag des Namens Retikuloendotheliose wollte ich 
nur hervorheben, daß diese leukämischen Erkrankungen pathologisch¬ 
anatomisch eine Entwickelungsstufe weiter zurückstehe und nicht 
in der gleichen Reihe wie die Myelose und die Lympliadenose. 
Wenn ich nur eine Arbeit Schilling’s angeführt habe und dabei 
auf seine anderen, dort zitierten Arbeiten verweise, so sind damit 
doch auch seine anderen Arbeiten zitiert. 



376 


Besprechungen. 

1. 

Robert Schröder, Lehrbuch der Gynäkologie für Stu 
dierende und Arzte. Yerlag von F. C. W. Vogel, Leipzij 
1922. 

Das durchaus neuartige Lehrbuch ist von Schröder allein ge 
schrieben und zwar in wesentlich anderer Stoffanordnung wie die bishei 
gebräuchlichen Lehrbücher der Gynäkologie. Es trägt einen mehr wissen 
schaftlichen als praktischen Charakter, und die pathogenetische Betrach 
tungsweise und die Erörterung der morphologischen Grundlagen der ver 
schiedenen Krankheitsbilder nehmen bei weitem den größten Raum dei 
Lehrbuches ein. 

Zunächst wird ausführlich von der normalen Physiologie des weib- 
liehen Genitale gesprochen, bei welcher Gelegenheit auch die Beein¬ 
flussung der Geschlechtscharaktere durch krankhafte Zustände des übrigen 
Körpers abgehandelt wird; hier sind wichtige Erörterungen über Asthenie, 
Chlorose, Schilddrüsen-, Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen in 
ihren Beziehungen zum Genitale zu finden. 

Ganz besonders ausführlich und in direkt mustergültiger Weise wird 
der mensuelle Zyklus abgehandelt. Der Autor bewegt sich hier auf 
seinem ureigensten Forschungsgebiete. Die Kapitel über die Anomalien 
des mensuellen Zyklus (Amenorrhoe, Dysmenorrhoe, „Anomalien der 
zyklischen Blutungen“, Menorrhagien) bieten sehr viel neues, zumal 
Schröder hier in jeder Beziehung auf seinen eigenen Forschungen 
basieren kann. Die Diagnose „Metropathia haemorrhagica“ möchte der 
Verf. nur für solche Zustände reserviert wissen, bei denen Follikel¬ 
persistenz zu pathologischen Proliferationen im Endometrium geführt hat. 
Beim Durchlesen der Kapitel über den mensuellen Zyklus sieht man so recht, 
besonders im Vergleich mit anderen Lehrbüchern, wie sich hier wieder 
eine offenbar tiefgreifende Umwälzung in unseren Anschauungen anbahnt, 
und wie das Krankheitsbild, welches man als „hämorrhagische Metro- 
pathie“ bezeichnet, außerordentlich komplex ist. 

Nach einem Kapitel über die Lageanomalien folgt ein großer Ab¬ 
schnitt über die Entzündungen, wobei auch Pruritus Kraurosis und 
Vaginismus abgehandelt werden. Schröder stellt die entzündlichen 
Erkrankungen bis zum Os internum uteri mit Ausnahme der Gonorrhoe 
den Entzündungen des ganzen Genitale durch Gonorrhoe, Tuberkulose 
und bei septischen Erkrankungen in seiner Abhandlung gegenüber. Die 
Erkrankungen des ganzen Genitale durch den Gonokokkus und Tuberkel¬ 
bazillus werden, wie üblich, für sich gemeinsam abgehandelt. Neuartig 
ist die Zusammenfassung der gesamten septischen Erkrankungen, worunter 
Schröder eigentlich alle eiterigen Erkrankungen, die nicht durch 
Gonorrhoe hervorgerufen sind, versteht. Es werden hierbei auch die 



Besprechungen. 


377 


allgemeinen Grundlagen der septischen Erkrankung überhaupt ausführlich 
besprochen, ebenso die Beziehungen der septischen Genitalerkrankungen 
zu allgemeinen Erkrankungen. Der Begriff „septisch“ ist dabei sehr 
weit gefaßt. Auch alle durch die betreffenden Erreger hervorgerufenen 
Lokalerkrankungen werden hier aufgefiihrt. 

Besonders übersichtlich und didaktisch klar ist das Kapitel über 
Mißbildungen. 

Die „Zysten des Genitale“ werden gesondert abgehandelt und in 
Gegensatz gestellt zu den „Tumoren des Genitale“. In dem Kapitel 
„teratoide Neubildungen“ wird in sehr brauchbarer Weise mancherlei ge¬ 
bracht, was bisher noch nicht seinen Einzug in Lehrbücher gehalten 
hatte. 

In allen Kapiteln steht das Buch auf einer nicht in allen Lehr¬ 
büchern anzutreffenden wissenschaftlichen Höhe, und überall macht sich 
das ausgesprochene morphologische Interesse des Yerf. in klärender 
"Weise bemerkbar. Vielleicht hat bei der Erörterung von mancherlei 
Geschwulstarten der Drang zur Vollständigkeit und das ausgesprochene 
persönliche Interesse zu einer Aufzählung auch ungewöhnlich seltener 
Geschwulstbildungen geführt, die vielleicht den Studenten verwirren 
könnte. 

Durchaus richtig ist es, wenn der Verf. jedes ausführliche Eingehen 
auf Operationsverfahren weggelassen hat. Es ist sicher, daß derartige 
Erörterungen rein technischer Natur nicht in ein Lehrbuch gehören. 
Ebenso ist es gut zu heißen, daß aus demselben Grunde keinerlei aus¬ 
führliche Besprechungen der Strahlentherapie stattgefunden haben. 

Ganz besonders wohltuend ist, zu bemerken, daß immer wieder das 
Genitalleiden im Zusammenhang und im Hinblick auf den Gesamtorganis- 
mus betrachtet wird, so daß sicher auch der Allgemeinarzt mit aller¬ 
größtem Vorteil sich den Inhalt des vorzüglichen Werkes zunutze machen 
durfte. (Eymer, Heidelberg.) 


2 . 

Kud. Th. v. Jaschke und 0. Pankow, Lehrbuch der Geburts¬ 
hilfe. 2. u. 3. Auf!., zugleich 10. u. 11. Aufl. des Runge- 
sehen Lehrbuches der Geburtshilfe. Julius Springer, Berlin 1923. 

Von dem alten Runge'sehen Lehrbuch ist nicht viel geblieben, 
wogegen durch ein sehr verständnisvolles Zusammenarbeiten der beiden 
Autoren ein vorzügliches einheitliches Lehrbuch der Geburtshilfe ent¬ 
standen ist. 

Physiologie und Pathologie der Schwangerschaft, Physiologie des 
Wochenbettes, Erkrankungen der Brüste und des Neugeborenen, sowie 
die Operationslehre sind von v. Jaschke, Physiologie, Pathologie und 
Therapie der Geburt sowie Pathologie und Therapie des Wochenbettes 
von Pankow abgehandelt worden. 

Mit großer Genugtuung ließt man immer wieder den Hinweis darauf, 
daß der natürliche Verlauf der Geburt, wenn eine Spontangeburt über¬ 
haupt im Bereiche der Möglichkeit liegt, anzustreben ist, selbst beim 



378 


Besprechungen. 


engen Becken. So soll auch die Untersuchung mit vollem Recht auf 
die äußere Untersuchung beschränkt werden. Die rektale Untersuchung 
wird der vaginalen vorgezogen. Von berufenster Seite (v. Jascbke) 
wird die Physiologie und Pflege des Neugeborenen abgehandelt. Be¬ 
sonders nachdrücklich wird auf die natürliche Ernährung und deren Tech¬ 
nik hingewiesen. 

In dem Kapitel „Erkrankungen des mütterlichen Organismus und 
Gravidität“ wird bei der Frage der Unterbrechung der Gravidität wegen 
Tuberkulose mit Recht darauf hingewiesen, daß eine Heilstättenbehand¬ 
lung eigentlich jedesmal zunächst zu versuchen sei, welch letztere leider 
noch von den meisten Kassen bei Schwangerschaft nicht zugelassen ist. 
Bei einseitiger Nierentuberkulose in der Schwangerschaft soll man nicht 
unterbrechen, sondern die Niere exstirpieren. Bei Herzklappenfehlern 
soll nur unterbrochen werden, wenn eine Kompensation durch kein Mittel 
erreichbar ist. Gefährlicher als Klappenfehler sind die chronischen Herz¬ 
muskelerkrankungen. 

Mit vollem Recht unterscheidet P a n k o w streng zwischen klinischen 
und außerklinischer Geburtshilfe. Natürlich soll dem nur häusliche 
Geburtshilfe treibenden praktischen Arzt die Leistungsfähigkeit der kli¬ 
nischen Geburtshilfe bekannt sein. Künstliche Frühgeburt und prophy¬ 
laktische Wendung werden, wie das ja jetzt wohl allgemein zu geschehen 
pflegt, abgelehnt. Pankow ist durchaus zuzustimmen, wenn er beider 
Therapie der puerperalen Fieber besonders den medikamentösen Mitteln 
sehr skeptisch, zum mindesten kritisch, gegenüber steht. 

Mit einer in Lehrbüchern sonst nicht üblichen Ausführlichkeit wird 
das Kapitel „Abortus arteficialis“ abgehandelt. Mit erfreulicher Ent¬ 
schiedenheit werden die eugenetische und die soziale Indikation zum 
künstlichen Abortus abgelehnt. 

Die fast überreiche Ausstattung mit ziemlich durchweg sehr brauch¬ 
baren Bildern trägt noch weiter dazu bei, das Lehrbuch, das ganz auf 
physiologischer Betrachtungsweise basiert, mit in die erste Reihe der 
eben gebräuchlichen Lehrbücher für Geburtshilfe zu stellen. 

lEymer, Heidelberg.) 


3. 

Prof. Dr. Renjiro Kaneko in Fukuoka, Über die pathologische 
Anatomie der Sp ir o ch a e t o s is Ictero - Hämorrhagica 
Inada (Weil’sche Krankheit). 181 S. mit 6 Tafeln, Rikola- 
Verlag, Wien, Leipzig, München. 

Ein schönes Zeugnis der Gemeinschaft und gegenseitigen Ergänzung 
zwischen japanischer und deutscher Wissenschaft. Die von Weil 1886 
beschriebene Krankheit (akute Gelbsucht, infektiöser Ikterus) ist gekennzeich¬ 
net durch Milztumor, Ikterus und Nephritis und ist auch in Japan als 
Ikteruskrankheit (Odaneki) bekannt. 1915 im Februar fanden Inada 
und Ido die Spirochäte ictero-hämorrhagiae und nannten die Krankheit 
Spirochätosis ictero-hämorrhagica. Im Oktober 1915 beschrieben Uhlen¬ 
hut und Fromme die Spirochäte icterogenes. Trotz klinischen und 
anatomischen Unterschieden der Krankheitsbilder sind doch beide Krank- 



Besprechungen. 


379 


heiten offenbar identisch. Seit der Entdeckung des Erregers ist die 
neue Phase der pathologischen Anatomie 1915 durch Kaneko, Inada’s 
Schüler, und 1916 durch Beitzke begründet, nachdem schon früher 
neben Ikterusblutungen und Milzschwellung entzündliche und degenerative 
Veränderungen in Leber und Niere beschrieben worden sind, die aber 
kein einheitliches Bild ergaben. Der Spirochätenbefund bezieht 
sich auf spärliche und schwer aufzufindende Exemplare nach der Leva- 
diti'sehen Methode, während im Blut und Gewebe der Meerschweinchen 
sie reichlich sind. Da die Antikörper sich vom 5. Tage an entwickeln, 
nehmen die Spirochäten von da an ab. Sie vorher nachzuweisen gelingt 
selten, da die Krankheit erst in der 2. Woche tödlich wird. Bei Be¬ 
handlung mit Heilserum sind die Spirochäten schon am 5. Tage spärlich. 
Vom 7. Tage an gelingt der Nachweis schwer. Dagegen sind sie in der 
zweiten Woche wieder reichlicher in der Niere, in Herz- und Skelett¬ 
muskeln (Wade), Darmwand, Wurmfortsatz, Prostata, Harnblase, Thymus, 
Pankreas, aber zerstreut und in Degenerationsformen vorhanden. Im 
3. Stadium (RekonvaleBcenz) finden sie sich nur noch in der Niere 
( Harnkanälchen). In späteren Stadien droht die Gefahr der Verwechs¬ 
lung mit Spirochäten anderer Natur durch Mischinfektion oder Sapro- 
phyten, besonders im Verdauungs- und Atmungsschlauch. Im Früh¬ 
stadium findet man sie in parenchymatösen Organen im Interstitium. 
z. B. um die Leberzellen, Harnkanälchen, Darmepithel. Sie kommen 
vermutlich auf dem Blutweg in die Lymphbahnen und Gewebslücken und 
so in tiefere Gewebsschichten. Phagocytose ist selten. In späteren 
Stadien liegen sie im Muskel und fibromuskulärem Gewebe, nicht in den 
Drüsen, so z. B. in der glatten Muskulatur des Magens und Darms, der 
Harnblase und Prostata, dann auch in Schilddrüse und Harnkanälchen, 
ferner in Harnzylindern und Kolloidmassen, möglicherweise in Zellen und 
Substanzen, wo sie von der Wirkung der Antikörper verschont bleiben. 

Die Phagocytose, im Frühstadium selten, später häufiger, erhöht 
sich bei intraperitonealer Injektion von Heilserum (Meerschweinchen und 
Kaninchen). Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Phagocytose 
und Immunität, indem die Phagocytose die Zerstörung und Auflösung 
der Spirochäten, wobei Degenerationsformen auftreten, begleitet. Als 
Phagocyten betätigen sich Leukocyten und retikulo-endotheliale Zellen. 

Septische und eiterige Komplikationen erschweren den 
Nachweis der Spirochäten, die häufige Lebercirrhose dagegen nicht. Heil¬ 
serum und Salvarsan wirken lösend und tötend (spirochätolytisch und 
spirochätocid). Ob die Veränderungen (Ikterus, Blutung. Nephritis) von 
den Spirochäten selbst oder von Toxinen abhängen, ist fraglich, die Ver¬ 
änderungen der späteren Stadien wahrscheinlich von einem Endotoxin, 
aber in den Frühstadien sind in den anatomisch veränderten Organen 
wie Leber, Niere, Herz und Skelettmuskel auch reichlich Spirochäten 
vorhanden. Als Eintrittspforte dürfte die äußere Haut, die Schleimhaut 
des Respiration»- und Verdauungstraktns in Betracht kommen, aber aus 
dem anatomischen Befund ist das nicht herauszubringen. Allenfalls ge¬ 
währt im Krankheitsbeginn die frühzeitige Schwellung regionärer Lymph- 
drÜBen einen Schluß auf die Eintrittspforte. 

Die anatomischen Befunde sind folgende: Der Ikterus ist 



Besprechungen. 


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regelmäßig und stark, fehlt nur selten. Die Blutung durch Diapi 
befällt alle Körperteile, besonders Haut, Schleimhaut, Serosa. Es 
oft starke Ekchymosen und Sugillationen. Die tubuläre Nephritisä 
einher mit Alterationen der Kanälchen und verschont die Gh 
Es findet sich Gallenstauung in der Leber und Acholie des Darmes 
mechanisches Hindernis, Füllung der Gallenkapillaren, Ablagerung^ 
Pigment, Lockerung und Zerfall der Leberzellen. Die Ursache 
Gallenretention ist in den intralobulären Gallenkapillaren zu sucüaflP 
Skelettmuskeln sind in hyaliner Degeneration und Zerfall begriffen, 
begegnet man Zellinfiltraten, Blutungen, Wucherung der Sarkolem 
Im Nervensystem findet man Degeneration und Zerfall von G 
zellen, Wucherung von Gliazellen, Quellung und Zerfall von Nerv 
Erythrophagocytose und Erythrocytenzerfall begegnet man im Si 
Lymphdrüsen, in der Milzpulpa, in Leberkapillaren. Dilatation undt 
degeneration des Herzens, besonders der rechten Kammer sind 
selten. Eine regionäre Lymphdrüsenschwellung beruht auf entzün 
Hyperplasie mit Vermehrung der lymphatischen Elemente, Exsu 
Hyperämie mit positivem Spirochätenbefund, während eine m 
allgemeine Drüsenschwellung mit Blutungen und Katarrh der Sinus 
hergeht. Ferner besteht Katarrh des Verdauungs- und Atmungsträta| 
und der Gallenblase mit Blutungen und follikulärer Schwellung, gel 1 
lieh kommt Meningitis vor, selten eine Hyperplasie der Knochen 
zellen. Von allen diesen pathologisch-anatomischen Veränderungen 
keine für die Weil’sche Krankheit spezifisch. 

Sekundäre Misch- und Nachinfektionen, meist mit 
kokken, sind in etwa 16,7 °/ 0 gefunden. Das Material des Verf. bt 
auf 42 Fällen. Sie bieten das Bild der allgemeinen Septikopyämie tM 
lokaler Infektion mit Eiterherden mit Kokken. Als zufällige Komp 
kationen werden bemerkt: Tuberkulose, Schrumpfniere, Gallenst 
Fibrom, Polypen, Ankylostoma, Askaris, Erweichungsherde des Geh ua ^_ 
atrophische Lebercirrhose. 

Nach alledem ist die Weil’sche Krankheit eine selbständige, dmaip 
Spirochäteninfektion hervorgerufene, septische Allgemeinerkrankung, 
durch gut charakterisierte, wenn auch nicht spezifische, patholog :_ 
anatomische Veränderungen gekennzeichnet ist. Als Todesuri 
kommen Herzschwäche, Cholämie, Urämie, Darmblutungen in Betrapblj 

Beruht der Ikterus auf Hämolyse oder Polycholie oder Parach 
oder Stauung? Der Verf. hält ihn nicht für einen gewöhnli 
mechanischen Ikterus, sondern für einen Stauungsikterus im weitafim 
Sinne, d. h. für ein Zeichen intra-acinöser Gallenstauung infolge 
schwerten Gallenabflusses in den Gallenkapillaren. Das Hindernis 
intraacinös und werde bedingt durch die Schwellung der Zellen in ne 
tischen Leberparenchymherden. Der Gallenabfluß wäre also gestört dumjjjfl 
quantitativ und qualitativ veränderte Gallenproduktion infolge einer AiKfcg™ 
malie der Leberfunktion. Für einen hämolytischen Ikterus liegen kei ‘ 
Beweise vor. Die Störung der Leberfunktion wäre die Folge der TosL 
Wirkung der Spirochäten, die zu den Blutspirochäten gehören. 

(P. Ernst, Heidelberg.) - 


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Pbo r . BRAUER in Hamburg. Prof. CURSCHMANN in Rostock, Prof. FIEDLER in Dresden. 
Pkof. FÜRBRINGER in Bkklin, Prof. HIRSCH in Bonn, Prof. HIS in Bkrun, Prof. 
H. A. HOFFMANN in Lkipzio, Prof. v. JAK3CH in Prag. Prof. v. KETLY in Budapest, 
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XAJITIÜS in Rostock, Prof. MATTHE3 in Königsberg, Prof. E. MEYER in Göttinger, 
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Phof. L. R MÜLLER in Erlangen, Prof. O. MÜLLER in Tübingen, Prof. NAUNYN in Badkn- 
Badkn, Prof. v. KOORDEN in Frankfcrt, Prof. PENZOLDT in Erlangen, Prof. ROMBERG 
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berg. Prof. F. SCUULTZE in Bonn, Prof. SCHWKNKKNBECHKR in Marburg. Prof, 
STINTZING inJkna, Prof. STRAUB in Greifswald, Prof. STRÜMPELL in Lkipzio, Prof. 
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Db. L. KREHL 

Prof, dkk medizinibchkn Klinik 
in Heidelberg 

dr. p. müllek 

Prof, der ii. medizinischen Klinik 
in München 


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VON 

Db. F. MORITZ 

Prof, der medizinischen Klinik 

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PP.OF. DER I. MEDIZINISCHEN KLINIK 

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143. Band 5. u. 6. Heft 

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1924 


Ausgegeben im Januar 1921 


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Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie der 

inneren Krankheiten für Studierende und Ärzte von Prof. 
Pr. Adolf Strümpell, Leipzig. Unter Mitwirkung von Pr. med. 
et phil. Carly Seyfarth, Leipzig. 23. und 24.. vollständig 
neubearbeitete Auflage 1922. 2 Bände mit 294 Abbil¬ 
dungen im Text und 14 zum Teil farbigen Tafeln. 

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An die verehrlichen Abonnenten 
des „Deutschen Archivs für klinische Media 


Die Stabilisierung der deutschen Mark 
Bohaffte wieder geordnete Verhältnisse, nament¬ 
lich wurde dadurch daa sprunghafte Hinaufschnel¬ 
len der Preise und damit die Unsicherheit in der 
Preisfestsetzung beseitigt. 

Die Möglichkeit, wieder zu festen Preisen 
zurüokzukehren, benutze ioh sehr gerrTlind^~«^B? 
setze den Preis für den vollständigen Band 144 
(Heft 1/6) auf 

GL M. 18 

fest,es ist also jede Preisänderung ausgeschlos¬ 
sen und die lästige Einzelbereohnung der Hefte 
mit wechselnden Preisen fällt nunmehr fort. 
Friedenspreise können leider noch nicht in An¬ 
satz gebracht werden, die Kosten für ~ * 

g ier eto. liegen zur Zeit immer noch 
ber dem Vorkriegspreise. 

Nach dem Ausland wird Band 144 zu nach¬ 
stehenden Preisen geliefert: 


in 

Druok, Pa- 
sehr hooh 


Amerika 

4. 

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Dollar 

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13. 

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24. 

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England 

1 . - 

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Pfd. Sterl. 

Finnland 

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Gulden 

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Li re 

Jugoslawien 

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30. 

10 

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301000. 


Kronen 

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860. 

— — 

Lei 

Schweden 

16. 

35 

Kronen 

Schweiz 

24. 

70 

Franken 

Spanien 

33. 

15 

Pesetas 

Tsoheohoslow 

. 146. 

20 

Kronen 


die 

bei 


Naoh den übrigen Ländern erfolgt 
xviuug Bum Preise von 24.70 sohw. Fr., bei Zah¬ 
lung in effektiver Landeswährung wird gebeten 
Valorisierung zum Wechselkurse des Zahltages a*f 
Zürich« London. Amsterdam oder Na« York vorzu— 


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Hochachtungsvoll 

Leipzig T. C. W. V o 


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Prof. Dr. med. Adam und Rektor Lorentz 

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65 Abbildungen nach direkten Naturaufnahmen der Uvachromie. 




















An unsere Mitarbeiter. 

Im' Interesse einer möglichst raschen Drucklegung der beim 
Deutschen Archiv eingehenden Manuskripte bitten wir unsere 
Mitarbeiter um möglichste Kürze, besonders bei Ausführungen über 
die Literatur, bei Krankengeschichten, Sektionsberichten, mikro¬ 
skopischen Befunden, Versuchs Protokollen und Beschreibung von 
Methodik. Die bezüglichen Ausführungen erscheinen in Petitdruck 
Wir bitten die Autoren, den Vermerk des Petitdruckes an den ent¬ 
sprechenden Stellen schon selbst anbringen zu wollen. Arbeiten, die 
in anderen Zeitschriften erschienen sind oder noch erscheinen sollen, 
oder deren wesentlicher Inhalt bereits veröffentlicht wurde, können 
in unserem Archiv keine Aufnahme finden. Etwaige Rücksendung 
der Arbeiten erfolgt nicht unter „eingeschrieben“ 

Die Redaktion. 


INHALT. 


Seite 


Aufrecht, Zwei Fälle von Leuchtgas-Vergiftung.273 

Hackcnthai, Eine modifizierte Sclniffner’sche Blutfärbung.276 

Thannhauser n. Curtiiis, Über den Eiweißumsatz im Stickstoffminimum 
eines Akromegalen und über seine Beeinflussung durch Röntgentiefen¬ 
bestrahlung des Kopfes . . . .287 

Brogsitter u. Krauß, Vergleichende chemische Analysen normaler und 

pathologischer Körperflüssigkeiten. (Mit 1 Abbildung).297 

Grafe, Beiträge znr Kenntnis der Ökonomie der Muskeltätigkeit .... 309 
Xakashiina u. Marooka, Kolorimetrische Methode zur quantitativen Be¬ 
stimmung des Harnstoff- (bzw. Hamstoffstickstoff-)Gehaltes in einer 

kleinen Menge von Blutserum. (Mit 3 Abbildungen).318 

Waldbott, Über den Einfluß von Säuren. Alkalien und Neutralsalzen auf 


ucu i i anv/i tauicu viuu u cciiacJ lucuct uui . .. . • kjuu 

Parisius u. Heimberger. Akute Myelosen nach Bienenstichen und ihre 

Oxydasereaktion.336 

Lublin, Diabetes melitus und Gravidität.342 

Grafe ü. Weißmann, Über die Wirkung einer überreichlichen Fetternährung 

auf deu tierischen Stoffwechsel.350 

Lang, Zur Frage der Thrombarteriolitis pulmonum.359 

Loschkarcwa, Zur Frage der ßlutdrucksteigerung bei Herzinsufficienz. . 364 
Schilling, Die lenkämische Retikuloendotheliose.374 


Ewald, Erwiderung zu den Bemerkungen von V. Schilling ...... 375 

Besprechungen: 

1. Schröder, Lehrbuch d. Gynäkologie für Studierende u. Ärzte ( Eyrner ) 376 

2. v. Jaschke u. Pankow, Lehrbuch der Geburtshilfe [Eymer). . . 377 

3. Kaneko, Über die pathologische Anatomie der Spirocbaetosis Ictero- 

Bämorrliagica Inada (VVeil’sche Krankheit) {Ernst) .378 


Das Deutsche Archiv für klinische Medizin erscheint in zwanglosen 
Heften, von denen 6 einen Band bilden. / 

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Verantwortlicher Herausgeber: Geh.-Rat Prof. Dr. L. von Krehl, Heidelberg. 

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