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Full text of "Deutsches Sprichwörter- und Sprüchebuch : ein Lehr- Lese- und Unterhaltungsbuch für Deutsche"

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THE LIBRARY OF THE 
UNIVERSITY OF 
NORTH CAROLINA 
AT CHAPEL HILL 





ENDOWED BY THE 
DIALECTIC AND PHILANTHROPIC 
SOCIETIES 








TR 
00025264151 


Digitized by the Internet Archive 
in 2010 with funding from 
University of North Carolina at Chapel Hill 


http://www.archive.org/details/deutschessprichwO0sail 





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Deutſdes — 
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Lehr: Lefe; und Unterhaltungsbud) 
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Sobann Mid. Sailer, 
Öffentl. Lehrer der Moral: und Paftoraltheologie a. d. E. Bayer’- 
fchen Ludwig - Marimilians » Univerjität zu Landshut. 





In zwey Abtheilungen. 
I. Sprichwörterbuch: Die Weisheit auf der Gaſſe, 
oder Sinn und Geiſt deutſcher Sprichwörter. 
II. Sprüche-Buch: Goldkörner der Weisheit und 
Tugend. — Sprüche mit und ohne Gloſſe. 


Zweyte verbeſſerte Auflage. 





Grätz, 1819. 


Im Verlage der Herausgeber 
ver neuen wohlfeilen Bibliothek für katholiſche — 
und Religionsfreunde. 





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Svprichworter— Buch. 





Die 
Weisheit auf der Saffe, 
oder 
Sinn und Geift deutfder Sprichwörter. 


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Ein Lehrbuch für ung Deutfce. 
Eine Ruhebanf für Gelehrte, 


Bon 
3 M. Sailer. 





3mwepyteverbefferte Auflage. 


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Anden Zefer. 


» 


1. die deutſche Sprache Eennt, weiß wohl, daß fie einen 
Reichthum befist, der in Erftaunen fegßen muß — die Srem- 
den, und die Einheimifhen, denen er lichthell vor das Auge 
tritt. Diefer Reichthum ift zweyfach, wie Seele und Leib, ein 
Reichthum in Gedanken, Gefühlen, Anfhauungen, 
Saunen, Wahrheiten, bie die deutfche Sprache bezeich- 
net, und ein Reichthum in Bezeichnungen und Bezeide 
nungsweifen, in Ausdrücken und Manieren. 


Diefer doppelte Reichthum liegt wohl auch in den bef- 
fern deutichen Werken des Tages offenbar da, wird aud von 
guten Schriftftellern mit jedem Tage vermehrt, aber er wur- 
zelt nicht darin; denn wir finden ihn in den älteften Schrif⸗ 
ten der Deutfchen, und er ift Alter, als die deutſchen Schriften. 


felber. 


Diefer zweyfache Reichthum entging keinem unferer ge= 
weihten Sprachforſcher: aber er mußte doch dem trefflichen 
Heniſch befonders eingeleuchtet haben; weil er feinem Verſu⸗ 
he, ein deutſches Wörterbuch der beften Art zu liefern, den 


VI. Borrene 


N a I a vo PETE. 
omindfen Titel gegeben hat: Thesaurus —— et sa- 
pientiae germanicae. *) 


Diefer zweyfache Reichthum hat mich befonders überra- 
fhet, indem ich das Gemeingut unferer Nation, die deut- 
ſchen Sprichwörter, zu fEudieren, mancherley Anläffe und An- 
triebe **) fand. Mit jedem Tage, der mich mit ihrem Sinn 
und Geifte näher befreundete, wiederhohlte fi) das Urtheil des 
erften Augenblices :-, „„Alfo bift du denn ‚doch einmahl in eine 
Gegend gerathen, wo du nicht über Mangel und Dürre 
Hagendarfft. Unermeßlih find ja die Schätze der 
Wahrheit und der Darftellung, die vor dir lie 
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— es war le bloß, der. Awepfadhe Reichthum, der 
wich anzog, es war noch weit ‚mehr, der Charakter des Sprich⸗ 
wortes, der. mich, feffekte. 8, ‚gibt alfo Lehren, muß 
te ich. zu: mir.fagen, deren Wahrheit ploͤtzlich trifft, deren 
Gewißheitſchnell einleuchtet, ‚deren inwohnende Klar: 
beit alleweitere Erklärung überflüffig macht, ‚deren a n w e Nds 
barkeit fo kunſtlos ald ausgebreitet iſt.⸗ u ; ' 

Bey Diefen Wahrnehmungen mußte fi in mir der Sinn 
für die Wahrheit und— Klarheit, für die Schönheit 
und Anwendbarkeit des Sprichwortes gleihfam unbewußt, 
und von ſich felbft, eiärl Und obgleich Beruf und Schick⸗ 


A ab sraeh) si 


*) Deutfche Sprach und — Weisheit. Thesaurus linguae et sa- 
pientiae germanicae. Studio Georgii Henischii, B. Medici- 

nae Doetoris, et Mathematici Augustani MDCXVL Augu- 
stae Vindelicorum, 


*) Ein Anlaß und Antrieb fteht ſchon in der Vernunftleb- 
ve für Menſchen, wie fie find. IIIte Ausgabe 1819. I. 
Hauptſt. ©. 76, 


Borrede vll 


fat dies Teichte und liebe Studium unzählige Mahl unterbra- 
chen: fo Eehrte ich doch unzahlıge Mahl wieder zu ihm zurüc. 
Und die Früchte diefes Studiums leget die Schrift, zu der ich 
jeßt vorrede, meinem deutfchen Vaterlande vor. 


Die reihen Samınlungen der Sprichwörter von fo vielen 
fleifigen Mannern *), fo wie auch ein Paar Handfchriften von 
Sreunden, haben mir diefe Arbeit fehr erleichtert, und ich will 
ihnen gern alles Verdienft ungefhmalert überlaffen, wenn: fich 
eines auf diefem Wege erwerben laßt. Denn die belle Ans 
fhbauung der Wahrheit, die mir die Sprichwörter, und 
das Forſchen darüber eröffnet: haben, und die Stimmung 
des Gemüthes, die Aus der hellen Anfchauung hervorging, 
ift wohl die ſchönſte Belohnung, die in irgend einem Fache dem 
treuen Fleiße werden Fann. 


Sch weiß auch zum Voraus, daß die biedern Leſer, die 
nähmlich, welche nichts zu fuchen, und nichts zu verfechten ha— 
ben, als fie, die Wahrheit, dasfelbe Gefühl, das mid m. 
— * kann, mit mir theilen werden. 


Das Se * „Wir Deutſche ſind noch Genoſſen der 
Einen Spradem dies Eine Band bindet uns noch Alle. Das 
Gemeingut der alten Weisheit, ‚und des alten Wortes — ift 
uns unverfehrt bis auf diefe Stunde geblieben.’ 

Das Befüht. „Was Fein Kolof, was Eein Marmor 
retten Eonnte, hat uns ein Sprihwort, dad von Mund zu 
Mund ging, aufbewahrt.“ 


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.*) Sebaftian Frank, Johannes Agricola, Chriſtophorus Leh⸗ 
mann, Georg Schottelius, Wilhelm Zinfgräfen, Leonhard 
SL Friedrich Koeber, Km ri iB.710. 764 


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vin Vorrede. 


Das Gefühl. „Wenn, wie Julius Cäſar Scaliger rich— 
tig bemerkt, die Sprichworter der Spanier ſich durch Scharf ſin— 
nigkeit, dieder IufceödurhBeriedfamEeit, die der Gal— 
Vier durch Annehbmlidfort empfehlen: fo zeichnen ſich die 
Sprichwörter der Deutſchen durch eine Kraft (impetus) aus, 
die —* der — — in Bi —*— ge * geht.“ 


Das Gefühl. „Die Wohehee und aloarheit des deut⸗ 
ſchen Sprichwortes überſteigt den Glauben, ſo wie die Zahl und 
Mannigfaltigkeit der deutſchen Sprichwörter die Rechnung der 
Meiſten. Man möchte meinen, die deutſche Vernunft hätte, 
von den fruheſten Zeiten bis zu uns herab, nichts gethan, als 
58 gemacht: ſo * unſer Vaterland daran. “u 

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Das Gef ühl. if Säufen; ae) 
und die Mühungen der Gelehrten thun Vieles, und thun es mit 
großem Aufwande, und manchmahl mit nicht Eleinem Geräus 
ſche. Aber es geht ‚ ungefehen und ungeachtet, viel Weisheit 
und Klugheit im Lande ie von Mund. au Mund.“ 


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Das Gefühl. „Wenn die großen- Männer, die die 
Graͤnzen der Wiffen fchafterweitern, und durch Runftund 
Poefie die Welt verfehönern,' Kronen und Lorbeer verdienen: 
ſo Fann man der Volksweisheit die Krone, und der Volkspoeſie 
den Lorbeer nicht verfagen, ohne ungerecht zu ſeyn.“ 


— Das Gefühl. „Was jüngftvondeutfhen Volks— 
buüch ern geſagt ward, gilt vorzüglich von deutſchen Sprichwör⸗ 
tern; nachdem wir einen inwendigen Geiſt in allen Ständen 
wohnend, und gleich einem ſchlackenloſen Metallkönig durch alle 
Verunreinigung von Zeit und Gelegenheit durchblickend, aner⸗ 
kannt; wird auch die Idee naher ung befreundet, daß im alls 
gemeinen Gedankenkreiſe die unterften Regionen aud) etwas gel: 
ten möchten, und daß ber große Literaturſtaat fein 


Borrede IX 


Hals der Gemeinen babe, in bem die Nation 
* beib it⸗ unmittelbar repräſentire.“ 


Das Gefüpt. Doch dies alles ſoll in der Schrift 
ſelbſt deutlich genug geſagt werden. — Hier nur noch das, 
was der Leſer zum Voraus wiſſen muß, um ſich keine falſchen 
Erwartungen, und dem Verfaſſer Beine fremde Abfiht zu er: 
ſchaffen. 


Natürlich wird der Leſer in den gemeinen Sprichwörtern 
auf viele alte Bekannte ſtoßen; aber ich kann ihm zum 
Voraus die Verſicherung geben, daß er viele neue Bekannt— 
ſchaften machen, und die alten nicht ohne Freude erneuern 
werde, wenn er dieſe Schrift durchleſen mag. 


Sollte er Rückweiſungen auf das Eine Große der 
Menſchheit, und auf manches andere Vielbedeutende darin fin— 
den, die er nicht geſucht hätte: ſo wünſche er ſich Glück dazu, 
ein Deutſcher zu ſeyn (denn erdacht habe ich kein Sprichwort), 
und werde ein deutſcher Mann nach der ganzen Fülle des 
großen Sinnes. 


Ob die Edlen, in derer Händen die Bildung des deut— 
ſchen Volkes liegt, fie tragen einen Chorrock, oder eine Staats: 
uniform, oder Feines aus beyden, in diefem Verfuche etwas fin- 
den werden, das ihnen die Bildung der Jugend, und die Bil: 
dung des Volkes erleichtern mag, fey ihrem Urtheile überlaffen. 
Mich wenigftens haben die Sprichwörter auch in diefer Hinficht, 
und in diefer ganz befonders, nicht Teer ausgehen laffen. 


Da für den denfenden Mann wohl nichts Peinlicheres feyn 
kann, als eine Erklärung der Sprichwörter zu lefen, und doch, 
bey der unbeftrittenen Klarheit der meiften, manches für Mans 
de einer Sinnbeftimmung bedurfte: fo fuchte der Verfaffer 


X Borrede 


durch freye'Elaffification, dur kurze Auffohriften, 
durch allgemeine Betrahtungen über ven Urfprung, 
und das Gepräge des S prihwortes, dem doppelten Intereffe 
der Kürze und der spe u Huülfe zu kommen. 


Wenn in dieſer Schift Meechatug mit Belehrung glei- 
J Schritt hält, oder'ihr gar voranzulaufen ſcheint: fo wird 
fi der Ernft an feinem Orte wieder einftellen; und wenn auch 
nicht: fo würde ja der Gewinn, der auf die Seite des wac— 
kern, froben Gemüthes fiele, gewiß Fein Verluſt — Fein 
Berluft befonders in unter Tagen wi avıla 

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Schließlich wunſcht⸗ ich, daß der Leſerd den — 
Inhalt fleißig durchſähe, ehe er zu leſen anfinge; damit er vor 
der Hausthür ſtehend, keinen andern Schlüſſel in die Hand 
nahme, als der am beſten ra — — * > 


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€ rftes Hauptftück. Von den Sprichwörtern ber Nas 


tionen. 
1. Bon dem gemeinfamen Urfprunge der Sprichwörter verfchies 
dener Nationen. ©eite 1ı—ı4 
2. Bon dem nächften Entfiehungsgrunde einzelner Sprich⸗ 
wörter. 14—16 
3 Bon den tieffinnigen Sprüchen, die bey allen gebildeten 
Kationen einheimifh find. 16-17 
4. Bon dem Unterfchiede zwifchen Woehrheit — Wahrheit in 
den Sprichwoͤrtern und Spruͤchen des Volks. 17=19 
5. Bon fprihwörtlichen Redensarten. 19 
6. Von dem Unterfchiede — Sprichwoͤrtern und Denk⸗ 
ſpruͤchen. 20 
Zweytes Hauptſtück. Von dem Geprdge des deutſchen 

Sprichwortes. 

1—2 Das deutſche Sprichwort verfinnlichet, und ſtellt das All⸗ 
gemeine im Beſondern dar. 22—25 


3-9 Rimme das Befondere vom menfchlichen Leibe, von den Er⸗ 
eigniffen des Haufes, aus aller Welt, von der Zeit. 25—31 
9—ı7 Liebt das Negligee, die Kürze, den Reim, neugefchaffene 
Worte, Einfachheit und Mannigfaltigkeit. 3137 
18—46 Hat Ueberfluß an Wis, ift änigmatifch, naiv, Fühne 
—maͤhleriſch, verſchmaͤht nicht die leichten Wortfpiele, 
fchliegt Paradoxie nicht aus, haft das Unbeſtimmte, liebt 

die Dreyzahl, kann fatyrifch, pifant, Fräftig, derbe ſeyn, 
ſcherzt auch mitunter. 38—53 
47— 56 Iſt furz in Steigerungen, originell in Berfleinerungen, 
fpricht gern in Diminutiven, in der erften Perfon, auch 


XII Inhalt. 


in der zweyten, und in der Mehrzahl, wie große Herren, _ 
weiß zu befchränfen und auszjudehnen. Seite 53—59 
57273 Gibt Wollen und Sprade — dem todten Stoffe, weiß 
zu fragen, fann gebiethen, reſpectirt überall die Munds 

art des Volkes, verräth die Provinz und auch die Stadt 
ihrer Heimath, ehrt edle Nahmen, überliefert das Bild 

der vergangenen Welt, bat viel Dunkel von den Verhält» 
niffen des Orts, iſt von mehr als einer Seite chronolo- 
giſch. 60—65 
Drittes Hauptftück Bon beutfhen Sprichwörtern , 
ihrem Inhalte nad). un 

Allgemeiner Inhalt. 
127 Sie find Reliquien des alten deutſchen Sinne. 66-69 


Befonderer Inhalt, 
1. Ratur- Menfhen- Welt-Kunde, 
3. Raturfunde. Sie fennen 


1) die Macht und Kraft der Natur, 69-71 
2) den Nexus rerum, 71—74 
3) die Folgen der Dinge, 74—76 


2, Menfhenfunde, Die Speichwörter find gute Anthropolo- 
gen. Sie fennen; 

1) Die glänzende und die ſchwache Seite des Menſchen. 76—79 

2) Die Neigungen und Leidenfhaften der Menfchen. 79—83 


A. Neigungen überhaupt, 30 
B. Beſondere Neignngen, 80—81 
C. Leidenſchaften, r 81—83 
D. Die Eigenliebe, 83—34 
3) Die mancherley Zuftände des Menfchen. 834—85 
4) Das Innere ang dem Arußern. 85—86 
5) Den Werth und Unwerth der Dinge, 86—88 


6) Den Unterfchied des Alters und Vermögens, 83—93 
A, Der Unterfchied des Alters. 


a) Das junge Alter, 3990 
b) Das hohe Alter, 90—91 
e) Die Jugend und das hohe Alter. 91-92 
B. Der Unterfhied des Vermögens. 

a) Die Armen. 92—93 


b) Die Reichen, 93—94 


Ignhaut. XI 


3 Weltkunde. Die deutſchen Sprichwoͤrter kennen 


‚.3) Den Weltlauf. Seite 94-06 
2) Das Schidfal. 96-97 
3) Die Ebbe und Fluth menſchlicher Dinge. 97—98 
4) Glüd und Unglüd, 98—100 


11. Religions: Staats- Familienfunde 
a. Religionstunde 


ı) Religion. 100-102 
2) Ehriftlihe Keligion. — 
Die heiligen Schriften der Chriſten. 4032104 
Geiſt des Chriſtenthums. 104 - 105 
e Wuͤnſche der Chriſten. ..105 
d) Sprichwörter, die das Chriſtenthum vorausfegen. 105—106 
e) Chronologifche Sprichwörter. 106—108 
3) Einrichtungen , Gebräuche der Fatholifchen Reli— 
gion. 168—109 
45) Die Religion von ihrer moraliſchen Seite. 409 
a) Die Lehre von dem Gewiſſen. "269-110 
b) Allgemeine Zugendlehre. 110-111 
ec) Befondere Tugendlehre, 1n1—112 
d) Zugendmittel,  alz—ıı3 
a, Staatsfunde, Ne 
1) Hof, Hofleben, 113-114 
2) Bon den Großen der Erde. 114—115 
3) Bild des guten Kegenten, 115—116 
4) Das Recht und fein Loos. 116-117 
5) Das deutfhe Recht in Sprichwoͤrtern. 117—119 
3. Zamilienfunde. Adonuf 
3) Haustafel für den Mann, 120 - 121 
2) — — fuͤr die Frau. 221 
3) — — für die Aeltern. 121—ı122 
4) — — fürden Hausvater. 122—125 


111. Klugheits- Erziehungs» und Arznenfunde, 
a. Lehren der Klugheit, 


1) Ueberlegſamkeit. 124—125 
2) Nicht trauen. 125—126 


xIV | Inhali— 


3) Maͤßigung. Br Seite 127 
4). Arbeitfamfeit. — 127-129 
5) Sparfamfeit. u 129 
6) Verhalten in Hinfiht auf Zeit. __ 129--130 
7) Herefchaft über Worte. In: Ka nee 
8) Verhalten in Hinſicht auf . "age 
9) Vermifchte Lehren. - 3ipilsit 132-134 
2. Erziehungsfunde, udn, 33 
3. Arzneykunde. 135—136 
Viertes Hauptftück Don deutfehen Prihmörttißhen 
„Redensarten. | nr „137144 


Sünftes Hauptftück. Von den Dent heichen Ben 
fir innigen Sprüchen ber Deutſchen. — 


hiinslenunedd (3 

I. Scharffinnige, kluge deutfche Spruͤche. 145 
1) Von Papſt und Biſchoͤfen. .445—146 
2) Bon Kaifern und Fürftens 7: on nojgitait 46151 
3) Von Lehrern, Prediger ze. u. ou aidıY —————— 
m. Tieffinnige Sprüche der Deutſchen. DREIER EEE FESTE 
1) Der Menſch. ——— —* 60 
2) Gott. —E— NN —— 170 
3) Natur. g nuieiana¶ 
4) Chriſtus. dor ape-ıyı 
5) Selbfibefenntniß. ‚dB 17 m nad; 171 


Sehftes Hauptftück, Bon Vahuthung des Mißver⸗ 
ſtandes und Mißbrauches der ‚Spridwörter,.. 172—181 


Zugabe. Bayeriſche Sprichwörter. EIER — 








Erftes Hauptſtuͤck 


von den Sprihwdrtern der Nationen, 





1. Bon dem gemeinfamen Urfprunge der Sprichwör⸗ 
ter verfchiedener Nationen, 


Epicharmus. 
Von der goͤttlichen Vernunft wied geboren die menſchliche. 


Ms der gelehrte, fpeculierende Kopf des Menfchen 
vermag -und nicht vermag, das bezeugen, unter vielen andern 
Zeugen, die Syfteme, die, fobald der Gedanke, wie aus 
einem tiefen Schlafe, erwacht, und die Fermentation der Geir 
fter die Linie der ftehenden Meinungen durchbrochen bat, mit 
mehr oder weniger Geiftesfhwung in die alte Welt eintreten, 
und eine neue ankünden. Einige fallen wohl auch wie Schnee> 
flocen im Janner vom Himmel, und werden wie Schneefloc- 
fen im Märze wieder zu Waffer. — Andere Eönnen auf län— 
gere Lebensdauer Anſpruch machen, weil fie mehr Lebensgeift 
in fi haben. Was nun in den Syſtemen den Zahn der Zeit 
wirklich überlebt, kann nur durdy eine fpätere Zeit als übers 
lebend dargethan, und nachher durch klärere Darftellung, und 
weitere Anwendung dem Gemeingute der öffentlichen Erkennt 
niß einverleibt werden; bis dahin hat es für die Vielen 
Fein entjcheidendes Lebenszeichen, weil es nur von den Weni— 
gen begriffen werden Eann. 

Was der gefunde Kopf des Menfchen vermag, bezeugen 
unter vielem andern Zeugen — die Sprichwörter, in de— 
nen ein Schag von Weisheit und Klugheit hinterlegt ift, dem 
der Zahn der Zeit nichts anhaben Fann, der fih im jedem 
Menfchenfopfe verjängt, in jedem Menfchenherzen neu aus— 
fpricht, und der Eeine Bewährung dur die Zeit bedarf. 

Sailers Sprichw. 1 ! 


Dazu kommt noch dad Auffallende, daß die Sprich— 
wörter aller Nationen der Erde in mancherley Lehre und Lehr: 
weife wunderbar zufammen treffen, und ſich in diefer wunder— 
baren Harmonie erhalten; indeffen die Syſteme auch in dem— 
felben Lande, und in demfelben Fahrzehende einander 
rüftig befriegen, und fi faft nur durch die Geburt eines neuen, 
das aus den Ruinen des Alten hervorgeht, einige Weile im 
Andenken erhalten fonnen. Es muß alfo ein Etwas, und 
ein und dasfelbe Etwas feyn, das allen Sprihwörtern 
aller Nationen, alfo au denen der Deutfchen zum Grunde 
liegt, und dies Etwas, died Eine wird wohl fo ausgedrückt 
werden konnen: „Es gibt eine Wahrheit, die die Natur und 
„die Vernunft in aller Menjchen Herz gefehrieben, und in aller 
„Menſchen Mund, gelegt hat.‘ 

Diefe Einheit der Wahrheit fchließt aber nicht aus — 
weder die Berfihiedenheit der Geprage, noch die Verſchie— 
denheit der Entwickelungsmittel in verfihiedenen Zei— 
ten, Weltgegenden, Nationen. So iſt es unwiderfprechlich, 
daß, fo wie die ganze europäifche Bildung dem Chriftenthume 
ihr Beites zu verdanken hat, fo auch mit dem Chriftenthume 
ein neuer Geift der Wahrheit, eine neue Fülle des Lichtes in 
Deutfhland, und fo fort in die Sprüche der deutihen Nation 
gekommen fey. Davon an feinem Orte Bepipiele genug. 

Alſo: „res gibt Eine Wahrheit bey allem Wed: 
ſel des Gepräges, das in mancherley Sprichwörtern man- 
cherley, und bey allem Unterſchiede der Entwickelung, 
die der Menfhenvernunft zu Theil geworden iſt.“ Und: 
wenn es Eine Wahrheit gibt, die in alle Men: 
ſchenherzen gefhrieben, und im aller Mund ges 
legt. ift: fo muß es wohl aud einen Gemeinfinn der 
Menſchen für die Eine Wahrheit, ein sensorium com- 
mune, einen sensus communis natur, einen sensus ve- 
ri, geben, den man allgemeine Menfchenvernunft, allgemeis 
nen Menfcdenverftand, allgemeinen Menfchenfinn, allgemei= 
nes Mahrheitsgefühl, fo oder anders, nannte und nennt. 
Dieſe Ueberzeugung von der Einen Wahrheit, und dies Ge— 
fühl fir die Eine Wahrheit, diefer Gemeinfinn leitete wohl 
auch die beffern Sammler der Sprichwörter, und unter ans 
dern bat fie. Sebaftian Frank deutlich ausgefprochen in feinem 
Bude: „Sprichwörter, ſchön, weife, herrlich 
„ehugreden und Hofffpräd, darinnender als 
‚ten und Nahfommenen, aller Nationen und 
„Sprachen große Vernunft und Klugheyt. Was 


- 


In 7 


jpauh zu ewiger und zeitlider Weisheyt, Tu: 
„zent, Zucht, Kunft, HDausbaltung und Wefen 
„dienet, gefpürst und begriffen wurd. Zufams 
„mendragen in etlich taujend Inn luſtig, höff— 
„hich, Teuſch bekfurzt, beſchrieben und ausgele— 
get. Inder Vorrede gibt er den Unterſchied zwiſchen Spriche 
wörtern, Gefegen und Lehren fehr richtig an. 

Die Alten haben nad ihm die Summe eines ganzen 
Handels, des Gefeges, einer langen Sentenz als den Kern in 
ein enges Sprüdlein, inein verborgenes Grifflein 
gefaßt, dabey mehr zu verftehen gegeben, als deutlich ausge— 
drücdtwird. Sn Geſetz und Lehre, behauptet er, wer: 
de mit vielen Worten gleihfam entfaltet, was in den rech— 
ten, natürliden Sprihwörtern abgekürzt, in eine Summe 
begriffen, und als ein feltfamer Fund wie in Figur und Tro— 
pus vorgelegt wird. 

Die große Weisheit aller Weifen, feßt er bey, fey in 
folhe Sprihmwörter, die die Griechen Apophthegmata, die 
Sateiner Proyerbia nennen, als in einen verfchloffenen Ka— 
flen eingelegt. Es fey auch unter allen Lehren, Menfchenurs 


theilen und Sentenzen nichts Wahreres noch Gewifferes, als 


die Sprichibörter, die die Erfahrung gelehrt, aud die Na— 
tur und Vernunft in aller Menfchen Herzen und Mund 
gefchrieben und gelegt hat. Es fey in zwey oder drey Worten , 
eine ganze Predigt begriffen, davon recht und nach der Länge 
zu reden, viel taufend Worte und SPapierblätter nicht genug 
wären. Die Alten hatten wichtige, mächtige, große Urtheile 
in ein facit oder summa summarum fließen wollen. 

Diefe Uebergeugung von der Einen Wahrheit, und 
dies Gefühl für die Eine Wahrheit, diefer Gemeinfinn 
bat fih au in unfern Tagen, die an Gahrung und Gäh— 
rungsftoff Eeinen Mangel haben, bey der Mehrzahl unverfehre 
erhalten. — Sch fage bey der Mehrzahl. Denn, daß man 
in vielen Schriften, die auf Wiffenihaft, Syſtem ꝛc. Anfpruch 
machten, den gefunden Menfchenveritand, die gefunde Mens 
fhenvernunft, den Gemeinfinn der-Menfchheit ꝛc. lächerlich 
gemacht, und verfchrien hat, ift fehr natürlich. 

Es mußte ja der Widerſpruch, in den fid) die Syſteme 
gegen die gemeine Anficht gefeßt hatten, zernichter, und die 
Trägheit derer, die ſich gegen die Pfeile der Spfteme hinter 


dem Bollwerke des gefunden DBerftandes verſchanzten, gezüch— 


tiget werden. Und, wenn der Gemeinfinn (sensus commu- 
nis) auf den tollen Einfall gerathen wäre, Syſteme bauen 
1 * 


4 


zu wollen, das ſich die Speculation als ein Regale vorbehat- 
ten hatte: fo wäre der Tadel nicht ganz ungerecht, Aber ich 
denke, Jedem das Seine — ift das höchſte Gefer der Ges 
zechtigfeit, das man überall Eennt, aber nicht überall befolgt. 

Gebet der Speculation, was ihrer, 

Dem Gemeinfinne der Menfchheit, was fein ift. 

Es bat auch zu allen Zeiten unter wahren Gelehrten 
Edelfteine gegeben, die dem Gemeinfinne volle Geredtig-- 
keit widerfahren ließen. Und dies waren gerade die, welche 
fharfiihtig genug waren, den Spftemen auf den Grund zu 
fehen, und gewandt genug, ber Speculation den Puls fühlen 
zu Eönnen. | 

Einer aus ihnen hat auch von dem Gemeinfinn (sensus 
communis, sensus veri, recti, pulcri) die erfchöpfendite 
‚ und finnreichfte Erklärung gegeben, dieſe nähmlich: „Der 
sensus communis befteht in einem alle Schlüffe praveniven= 
den Sa und Amen zu allem, was göttlich, tugendlich, und 
wohllautend ift; und das darum, weil die Weisheit, die auf 
allen Gaſſen, und in Societäten unfichtbar gegenwärtig iſt, 
lege communis assistentie, im Gewiffen der Menſchen zu 
allem Guten mitwirkt.“ *) 

Ausführlicher ftellte derfelbe Verfaſſer in feiner Schrift**) 
Das Wefen des Gemeinfinnes dar. 

Daß dieſer Gemeinfinn der Menfchheit für die Cine 
Wahrheit nichts anders fey, als der Eine und derfelbe Ver— 
nunftinftinct, der den Menfchen von dem Thiere fon» 
dert, indem er ihn über das Thier erhebt ... . darauf kamen 
die Forſcher bald. Denn, da fie fi) nicht verhehlen Eonnten, 
daß z. B. viele Sprüche der Deutſchen jenen der Griechen und 
Roͤmer ꝛc. ſo ähnlich ſeyen, wie ein Funke dem andern: fo 
mußten ſie ſich auch eingeſtehen, daß alle dieſe Funken Kin— 
der Einer Sonne ſeyen. Da nun die Menſchenvernunft 
nicht griechiſch, nicht lateiniſch, nicht deutſch iſt, ſondern Ver— 
nunft ſchlechtweg; da nur die Sprache griechiſch, römiſch, 
deutſch, aber die Wahrheit, die die verſchiedenen Sprachen aus— 
- drücken, nicht griechiſch, römiſch, deutſch, fondern Eine iſt: 
fo mußten fie feftfegen: „Ein Vernunft: Inftincs, 
„Sine Vernunft, Eine Wahrheit.“ 





*) DHettingers Reden nach dem allgemeinen Wahrheitsgefühs 
le, ater Theil S. 1065. Tübingen bey Frank, 1759. 


**) Inquisitio in sensum communem st rationem , nee nor 
utriusque Regulas. Tubing® 1753- 


6 


Dem zufolge waren ihnen die einſtimmigen Sprichwör— 
ter der Nationen, fo viele Spiegel der Einen Vernunft, die 
fie alle gebildet hatte. Die Vernunft fviegelt fih in den 
Sprüchen vernünftiger Menfchen, wie überhaupt die Gedans 
ten in der Sprache. *) Bey diefer Erklärung blieben die mei> 


ften Forfcher fteben, und merften nicht, daß fie auf halben 


Wege ftehen geblieben find. 
Die Eine Wahrheit in fo vielen Sprichwörtern aller ge= 
bildeten Nationen weifet allerdings auf die Eine Vernunft. 
Aber, was it denn diefe Eine Vernunft? Wie Fommt es denn, 
daß die Menfchen, die fih durch Klima, durch Regierungs— 
form, durch Sprache, durch taufend widerfprechende Meinuns 


. gen unteriheiden, in fo vielen Sprüchen zufammen treffen ? 


— Diefe Frage, die alle wahren Philofophen zur weitern Nach- 
forfhung getrieben, und mit ihr befchaftiget hat, entging dem 
Ariftotele3 nicht; und au im Plutarch bemegte fie 


ſich. Erasmus führt ihre merkwürdigen Meinungen an. 


Aristoteles hält dafür: „Die Sprichwörter feyen 
nichts anders, als die Reliquien jener alten Philofophie, die 
fih in der Vorzeit aus den Auinen der menfchlichen Dinge. 
gerettet haben. Man fol fie dephalb nicht oberflächlich anfe- 
ben, fondern mit erıtitem Fleiße unterfuchen ; denn es lägen 
unter diefer Afche Funken der alten Weisheit verborgen, 
die zur Auffindung der Wahrheit noch fharffinniger war, als 
die jpatere Philoſophie.“ ’ 

Plutarch glaubt: „Die Sprüche der Alten feyen den 


Myſterien ähnlich, in denen die erhabenften Gegenftande durch 


Eleinliche, oft Lächerliche Ceremonien angedeutet wurden. Sn 
den Hüllen kurzer Sentenzen verbargen die Alten, was die 
Fürſten der Philofophen in großen Schriften enthüllten.“ 
Daß beyde Männer der Wahrheit recht nahe gefommen 
feyen , wird fidy fogleich ergeben. Diefe Frage, die fich hier 


zunächſt auf das Eine Wahre in fo vielen Sprüchen befchränet, 


bat ein Philofoph, der nie Zeit fand, unter dem Mantel der 
Philofophie zu fpielen, weil ihm der Geift der Wahrheit Eeine 
lieg, in ihrer Allgemeinheit aufgefaßt, und mit der eriten 
GründlichEeit gelöfet, in feinen Ouvres philosophiques, 
ou demonstration de l’existence de Dieu, & Amster- 
dam 1731. 





) Les langues sent le miroir de l'es prit humain. Leibniz, 


I 


— 


Nachdem er gezeigt hatte, daß der Menſch die Idee 
des Unendlichen in fih hat (L); daß er durch die Idee des 
Unendlichen das Endlihe erkennt (LI); daß die Ideen des 
Menſchen univerfal, ewig und unmandelbar find (LIL); daß 
der Menſch, ungeachtet aller diefer Ideen, in feiner. Erfennt- 
niß ſchwach, ungewiß , beſchränkt, unvollEommen , und voll 
Taͤuſchungen ift (LIT); daß die Ideen des Menfchen die un— 
wandelbaren Negeln feines Urtheiles find (LIV): enthüllt er 
das Wefen deffen, was jeder feine Vernunft nennt (LV—LX) 
auf eine fo tieffinnige und zugleich einleuchtende Weiſe, daf 
ich fagen muß: das Tieffte, was unfere beften Philofophen 
in den Tegten drenfig Jahren über Vernunft leife ahnten, 
oder laut ausfprachen, babe die Klarheit und Wahrheit diefer 
Darftellung noch nicht entbehrlih machen fonnen. Der Aus 
genſchein wird den Leer überzeugen, wenn er ın den Sinn 
nachftehender Betrachtungen, die bloß Ueberfetzung find, 
eingedrungen ſeyn wird, 

LV. N 

„Wahrhaftig, meine Vernunft ift in mir; denn wenn 
ich fie finden will, muß ih von Außen zurück, und in mich 
feibft hineingehen. Aber die höhere Vernunft, die mich, wenn 
ich es bedarf, gleichfant zur Vernunft bringt, bey der ich mich 
Raths erhohle, ift nicht meine Vernunft, ift nicht ein Theil 
von mir. Denn diefe Regel ift vollEommen und unwandelbar, 
ih hingegen bin wandelbar und unvollfommen, Wenn id 
auf Erummen Wegen gehe, fo verliert fie nıe die gerade Rich— 
tung. Wenn ich wieder auf den rechten Weg Fomme, fo ift 
fie e8 nicht, die fich felber zurecht weifet; ſie iſt es vielmehr, 
die mich durch ihre Uebermacht wieder zurücruft und zurück 
weifet, ohne je felber von dem rechten Wege auszugleiten. 
Es ıft ein innerer Lehrmeifter, ein-Gebiether, der macht, daß 
ich ſchweige, daß ich vede, daß ich glaube, daß ich zweifle, daß 
ich meine Fehler befenne, oder meine gefaßten Urtheile be— 
baupte. Wenn ic) ‚ihn höre, fo werde ih in der Wahrheit 
unterrichtet; wenn ich mir felber Gehör gebe, fo führe ich. 
mich felber irre. Diefer Lehrer ift allenthalben, und feine 
Stimme laßt fih hören von einem Weltende zum andern, laßt: 
fih hören in allen Menfchen, wie in mir. Indem er mich ın 
Sranfreich zurechtweifet, fo ift er e8 auch, der die andern Men— 
ſchen in China, in Sapan, in Mexiko, in Peru, durch den— 
felben Grundton der Wahrheit zurecht weiſet. 


LE 


„Zwey Menfchen , die ſich einander nie gefehen, einan- 
der.nie reden gehört, nie mit einem dritten Manne Verkehr 
hatten, der ihnen gemeinfame Begriffe hätte beybringen kön— 
nen, veden an den zwey entgegengefeßten Enden der Erde von 
gewiffen Wahrheiten fo einftimmig, als wenn fie ji) mitein- 
ander verabredet hätten. Man weiß auf der einen Hälfte 
des Erdbodens gewiß, was die Bewohner, der andern auf ge- 
wiffe Lehrfragen antworten werden. Menfchen aus allen Län— 
dern und Zeiten, wie auch immer ihre Erziehung beichaffen 
feyn mochte, finden fih durch eine unbefiegbare Nöthigung 
getrieben, von gewiſſen Dingen gleich zu denken, und auch 
gleih zu reden. Der Lehrmeifter, der uns unaufhörlich uns 
terweifet, macht, daß wir Alle auf einerley Weife denfen, 
Sobald wir unfere Urtheile übereilen, ohne feine Stimme, 
mit Mißtrauen auf uns, zuvor vernommen zu haben: fo den= 
- Een und fprechen wir Tauter abentheuerlihe Traume. 

- AO gehört dasjenige, was ung am meiften eigen, und 
der Fond unfers Wefens zu ſeyn ſcheint, ich fage, unfere eiges 
ne Vernunft gehört ung am alferwenigften an, und wir mufz 
fen fie ganz vorzüglich als ein Lehngut anfehen. Wir nehmen 
ohne Unterlaß alle Augenblicke eine Vernunft, die über uns ift, 
in uns ein; wie wir alle Augenblicke Luft einathmen, welche. 
ein fremder Körper ift, oder wie wir die Körper um uns ſehen 
— nur durh Hülfe des Sonnenlichtes, deffen Strahlen un— 
fern Augen nicht angehören. . “ 

Dicieſe höhere Vernunft beherrfcht, bis auf einen gewif- 
fen Punct, mit unbedingter Gewalt alle, auch) die unverftän: 
digften Menfchen ; indem fie macht, daß fie, auch wider ihren 
Willen, in gewiffen Stücken miteinander überein kommen. 
Diefe höhere Vernunft it es,.die macht, daß der Wilde in 
Canada viele Dinge fo anfieht, wie. der Philofoph in Athen 
und in Rom. Es iſt das Werk diefer höheren Vernunft, daß 
die Chinefen in der Geometrie faft auf diefelben Lehrfäge ge— 
Eommen find, wie die Europäer, da fie doc) fo weit von ein— 
ander entfernt, einander ynbefannt geblieben find. Ihr Werk 
ift e8, daß in Japan, wifin Frankreich, zweymahl zwey vier 
macht, und inan Feine Urfache hat zu fürchten, daß die Völ— 
Eer bierein je ibre Ueberzeugung ändern werben. hr Werf 
ift es, daß die Menfchen noch in diefen Tagen von vielen Din— 
gen nicht anders denfen, als wie die Menfchen vor vier tau— 
ſend Jahren gedacht haben. Ihr Werk ift ed, daß auch die 


Menfhen, die einander feindfelig beneiden, und unverföhnlic 
haſſen, von vielen Dingen einerley Gedanken haben. 

Sie ift es, die die Menfchen aller Zahrhunderte, und 
aller Weltgegenden, wie mit einer Kette, in dem Mittelpunc- 
te gewiffer unmwandelbarer Regeln, die deßwegen die erften 
Grundfäße heißen, zuſammenhält, ungeachtet der unendlid 
vielen Varianten von Meinungen, die von ihren Leidenfchafs 
ten, von ihren Zerftreuungen, von ihren Einbildungen bers 
rühren in Sachen, die weniger Klarheit für fih haben. Ihr 
Einfluß ift es, daß Menſchen, fo verderbr fie auch feyn mö— 
gen, doch nicht vor aller Welt Augen dem Lafter den Nahmen 
der Tugend beylegen: fondern ſich genöthiget fühlen, wenig- 

‚ftens den Schein auszuhängen, daß fie gerecht, aufrichtig, 
mäßig, wohlthätig feyn, um die Achtung Anderer für fich zu 
gewinnen. So weit wird man es nie bringen, daß man ges 
radezu hochachten kann, was man hodhadıten will, geradezu 
verachten Eann, was man verachten will. Diefe ewige Bar— 
rieve der Wahrheit und Gerechtigfeit zu überwältigen — das 
vermag feines Menfchen Gewalt. 

Der innere Lehrmeifter, den man Vernunft nennet, 
wehret fih dagegen mit Vorwürfen, die feine unbedingte 
Macht ausfprechen. Er leidet es nicht, und er weiß, die 
ſchamloſeſte Toliheit der Menfchen zu befchränken. Von fo 
vielen Jahrhunderten ber, in denen das Lafter-den Oberherrn 
fpiefte, bat die Tugend gleichwohl noch den Nahmen QTugend 
behalten, und das Beſitzthum diefes ihres Nahmens werden 
ihr auch ihre frechſten und brutaliten Feinde nicht rauben 
Eönnen. Daher koͤmmt es, daß das Pafter, ob es glei) in 
der Welt triumphirt, fih doch genothiget findet, unter der. 
Larve der Heucheley, oder der falfhen Rechtſchaffenheit ſich zu 
verbergen, um nur einige Achtung fich zu erlügen, auf die es 
Verzicht thun müßte, wenn es fi) im feiner wahren Geftalt 
zeigen würde. And fo ift es feldft das Lafter, fo ſchamlos es 
auch feyn mag, das wider feinen Willen der Tugend huld i— 
gen muß; indem eg ſich mit dev Schönheit der Tugend ſchmückt, 
um die Ehre zu empfangen, die man ihr nicht verfagen kann. 
Alferdings tadelt man auch tugendhafte Menfhen, und fie 
find biernieden nie tadelfrey, um ihrer Unoollkommenheiten 

- Willen. Aber aud) die böfeften Menjchen Eonnen nicht voll- 
Eommen auslöfchen in fi felber — die dee der wahren 
Tugend. 

Noh bat kein Menſch auf Erde gelebt, der fich oder 
Andere hätte überreden, und in allem Ernſte vor der Welt 


9 


zu behaupten Muth genug in ſich finden Fönnen: ein Be: 
trüger verdiene mehr Hochachtung als der ehr— 
liche Mann;undesfeyehrenwerther, ein fhnell- 
aufbraufender, boshafter Menſch zu feyn, als 
fich felbft zu maßigen, und Öutes zu than. 


LVII. — — 


„Der innere und Univerſal-Lehrmeiſter ſpricht alſo im— 
mer und überall eine und dieſelbe Wahrheit aus. Wir ſelber 
ſind dieſe Lehrmeiſter nicht. Es iſt wahr, wir reden oft ohne 
ihn zu hören, und überſchreyen ihn ſogar. Aber alsdann ir— 
ren wir, und betrügen uns ſelbſt, und verſtehen uns nicht. 
Wir fürchten uns ſogar davor, ſehen zu müſſen, daß wir uns 
ſelbſt betrogen haben; wir ſtopfen unſre Ohren zu, um durch 
feine Lehr- und Strafreden nicht gedemüthigt zu werden. Es 
iſt außer allem Zweifel: der Menſch, der ſich fürchtet, durch 
dieſe unwandelbare Vernunft beſtraft zu werden, und der ſich 
immer verirret, ſo oft er ihr nicht folget, der Menſch, ſage 
ich, kann dieſe volllommene Vernunft, dieſe unwandelbare, 
dieſe Univerſalvernunft, die ihn wider ſeinen Willen ſtraft, 
nicht ſelber ſeyn. | 

Ueberall finden wir gleichfam zwey Prinzipien in ung: 
eines gibt, das andere empfängt; eines fehler, das andere 
macht den Fehler gut; eines täuſchet fi, das andere weiſet 
es zurecht; das eine, von feiner Meigung überwältiget, 
fpringt von der geraden Bahn ab das andere lenft es wieder 
ein. Diefe Erfahrung, ſchlecht aufgegriffen, und unrecht ver- 
ftanden, erzeugte den Irrthum der Marcioniten und Ma- 
nichaer. N 

Seder findet in fich eine Vernunft, die eingefcehranft und 
unterwürfig ift, die Fehlfchritte thut, fobald fie fih von jener 
_ voliitandigen Unterwürfigkeit losfagt, und die nie wieder zu= 
vecht Eommt, bis’ fie fich wieder ergibt unter das Joch jener 
andern Vernunft, die die höhere, die unmwandelbare, die Uni- 
verſalvernunft iſt. So trägt denn Alles in uns das Gepräge 
einer unterwürfigen, befhranften, fih leicht 
ubereibenden, geborgten Vernunft, einer Ver— 
nunft, die fietS der höhern bedarf, die fie jeden Augenblick 
ins rechte Geleis zurücbringe. Alle Menfchen find vernünf- 
tig durch Eine und diefelbe Vernunft, die ſich ihnen in ver: 
fchiedenen Stufen mittheilt. Es gibt der Menfchen einige, 
die wahrhaft weife find. Aber die Weisheit, aus ber fie ſchö— 


10 


pfen als der Quelle, und die fie zu dem — was fie find, 
iſt eine Na 


LVIII. 


„Wo iſt fie nun aber dieſe Weisheit, dieſe Univerſal— 
Bernunft, die über alle beſchränkte und unvollkommene 
Bernunft des menfhlihen Gefchlechtes erhaben ift? Wo 
iſt es, diefes Drakel, das nie fchweigt, und wider das alle eitlen 
Borurtheile der Völker nichts vermögen ? Wo ift diefe Eine 
Vernunft, bey der die unfere jtets ſich Raths zu erhohlen bes 
darf, und die und bevorfommt ; indem fie in ung das Verlan— 
gen erwedt, ihre Stimme zu vernehmen? Wo iſt es, diefes 
lebendige Licht, das alle Menfchen, die da in die Welt kom⸗ 
men, erleuchtet? Wo iſt dies lautere und liebliche Licht, das 
nicht nur die offenen: Augen. erleuchtet, fondern auch die ver— 
verichloffenen öffnet ; das die kranken Augen heilet, das fogar 
Augen verleiht denen, ‚die keine haben, es zu ſehen; das ende 
lich ein Sehnen erreget, ‚von, feinen Lichtftrahlen erleuchtet zu 
werden, und es dahin bringt, daß es auch die lieben müſſen, 
die ſich ſcheuen, es zu ſehen? — Alle Augen ſehen es, und 
fie würden nichts ſehen, wenn fie dasſelbe Licht nicht ſähen; 
indem nur allein feine lautern Lichtftrahlen — alle Dinge fight: 
bar machen. . Wie die fihtbare Sonne alle Körper beleuchtet, 
fo erleuchtet dieſe unſichtbare Sonne der Geiſterwelt alles; 
was ein Geiftesauge bat. 

Das Teiblihe Auge des Menfchen if nicht das Licht fel- 
ber; im ‚Gegentheil, es empfängt jeden Augenblick das Licht 
von den Strahlen der Sonne, Auf eben diefelbe Weife ift 
meine Vernunft nit die Urvernunft, ift nicht die allgemeine, 
die unwandelbare Wahrheit, ift nur das Gefäß, durch welches 
das urfprüngliche Licht gehet; iſt nur das Ange, welches da⸗ 
von erleuchtet wird. ; 

Zar’ wahrhaftig fie.ift, fie ift die Geiflesfenne, die 
die Geifter ungleich mehr. erleuchtet, als die Sonne der Welt 
die Körper. Diefe Geifterfonne gibt ung Alles zufammen, 
ihr Licht, und die Liebe zum Lichte, die es brunftig fucht. 

Wo diefe Sonne der Wahrheit leuchtet, da ift Eein 
Schatten, und fie leuchtet auf beyden Halbfugeln der Erde 
zugleich... Sie leuchtet über uns bey Nacht wie bey Tag. 
Nicht von außen verbreitet fie ihre Strahlen ; in einem jeden 
aus uns wohnet fie; Fein Menfch Eann dem andern ihre ©trab: 
len verbauen; jeder fieht fiesgleich , in welchem Winkel ver 
Welt er verborgen feyn mag. Kein Menfh bat je nöthig, 


11 


dem andern zu ſagen: Bruder! ziehe 2% zurück, damit ich 
diefe Sonne fehen kann; du raubeftAnir ihre Strahlen; du 
nimmft mir die Portion Licht hinweg, die für mich beſtimmt 
iſt. Diefe Sonne geht nie unter, und duldet Feine Wolken, 
als die unfere Leidenfhaften geftaltet haben. „Es ift ein 
Tag ohne Schatten. Sie leuchtet den Wilden in ih— 
ven tiefften, dunkeliten Höhlen. Nur kranke Augen find es, 
die fich vor ihrem Lichte zufchließen, und doch ift Eeim Menfch 
fo blind,» der nicht noch wandelt in dem Scheine: eines dun— 
Eeln Lichtes , das ihm von diefer innern Leuchte des Gewiſ— 
ſens ubrig geblieben iſt. „Dies Univerfalliht enthüllet und 
ftellet unfern Gemüthern alle Gegenftande dar, und wir Fön: 
neu ohne feine Hülfe über nichts urtheilen; fo wie wir die 
Körper der Erde nur duch) Hülfe des Sonnenlichtes unterfcheis 
den können, 


- LIX. * 


„Die Menſchen können wohl auch zu uns reden, um. 
uns zu unterweifen, aber wir können ıbnen nicht glauben, 
außer in fo fern wir zwifchen dem, was fie uns fagen, und 
zwifchen dem, was diefer innere Lehrmeifter fpricht, eine ent— 
fheidende Harmonie wahrnehmen, Wenn fie. alle ihre Ver— 
nunftſchlüſſe erihöpft haben, fo muß man immer wieder zu 
ihm zurückkommen, und von ihm die Entſcheidung hohlen. — 
Wenn uns Jemand fagte: ein Theil iſt fo groß wie das Ganz 
ze, deffen Theil er ift, fo würden wir uns des Lachens nicht 
erwehren Eörinen, und er würde fich verachtlih machen, anftatt 
uns zu überzeugen. ’ 

Sm Grunde unfers Wefens müflen wir den in- 
nern Lehrmeifter zu Rathe ziehen, und nur dadurd, daß wir 
diefen unfern innern Lehrmeifter zu Rathe ziehen, fo nur und 
nit anders Fönnen wir das Wahre, was man uns lehren 
will, wahr finden. Es iſt alfo, vechr eigentlich zu reden, nur 
Ein wahrer Lehrmeiſter, der Alles lehrt, und ohne den wir 
nichts lernen. Alle anderen Yehrmeifter, Eonnen nur in diefe 
innerfte Schule hineinführen, aber, der, darin lehrt, ift Er 
allein. Da empfangen wir, was wir nicht haben ; da Ternen 
wir, was wir nicht wiffen; da finden wir wieder, was wir durch 
Vergeſſenheit verloren hatten ; bier, in diefem innerften Fond 
unfers Selbſtes, bewahrt Er gewifle Kenntniffe, die darin 
verborgen liegen, und erwachen, wenn wir ihrer bedürfen. 
Daſelbſt werfen wir die Lüge weg , die wir ehevor geglaubt 
hatten, 


S 


12 


Nicht wir Eönnen endurtheilen über dieſen Lehrmeiſter; 
Er ift es, der in höchſter Inſtanz das entfheidende Urtheil 
über uns ausfpricht — in allen Dingen. Dies it ein ganz 
uneigennügiger Richter, und erhaben über und. Wir können 
das Gehör verftopfen, und ihm nicht zuhören, aber wenn wir 
ibn hören, fo Eönnen wir ihm nicht widerfprehen. Nichts 
gleihtweniger einem Menfchen als diefer unfichtbare Lehrer, 
der ihn unterweifet, der mit folder Strenge und Vollmacht 
richtet. So ift denn unfere befchränfte, ungewiffe und mans 
aelhafte Vernunft nichts anders, als eine qugenbliclihe In- 
fpiration der erften, höchſten, unwandelbaren Vernunft, die 


ſich in ungleihem Maffe allen vernünftigen Wefen mittheilt. 


LX. 


Man Eann nicht fangen, daß der Menſch felbft die Quelle 
der Gedanken fey, die er nicht hatte. Es Laßt ſich noch weni— 
ger behaupten, daß der Menich feine Gedanken von Andern 
empfange. Denn das, was von Außen Eommt, kann er nicht 
als wahr annehmen, ohne es in feinem innerften Fond als 
wahr zu finden; indenrer in fi mit den Prinzipien der Ver— 
nunftzu Mathe gehen muß, um inne zu werden, ob das, was 
man ibm ſagt, nicht mit ihr im Widerfpruche ſtehe. Alfo 
diefe innere Schule ift die wahre Schule, im welcher der 


Menſch empfängt, was er fih nicht geben, noch von Andern 


erwarten kann, die felbft von dem Gegebenen Leben müffen, 
wie er. ; 

Es gibt alfo eine doppelte Vernunft, gleihfam zwey 
Vernunften, die ih in mir finde. Eine bin ich felbft, 
die andere ift über mir. Die Vernunft, die ich felbft bin, 
it fehr unvollfommen, fie laßt fich leicht einnehmen, übereilt 
ſich gern, ift hingegeben dem Loofe, fidy felbft zu täuſchen, ift 
veränderlich, ift eigenfinnig, it unmwiffend, iſt beſchränkt. End— 
lih, was fie hat, ift nit ihr Eigenthum, ift Lehngut. Die 
andere Vernunft ift allen Menſchen gemein, und über alle 
Menfchen unendlich erhaben. Sie ift vollendet, ewig, un- 
wandelbar, ftets fertig, fih an allen Orten mitzutbeilen, und 
alle Geifter, die irregegangen find, zurecht zu weifen. End: 
Lich ift fie unfähig, je erfhöpft, oder getheilt zu werden, ob 
fie fi gleich Allen, die nur wollen, mittheilt. Wo ift fie nun 
diefe vollkommene Vernunft, die fo nahe bey mir, und fo ver— 
fchieden von mir iſt? Wo ift fie? Ste muß doch ein wirffiches 
Weſen, Fein Hirngefpinnft feyn. Denn das Nichts Eann 
nicht vollfommen feyn, noch die unvollfommenen Wefen voll: 


‘ 15 


kommen machen. Wo iſt ſie, dieſe hochſte Vernunft? — Iſt 


/ 


fie nicht der Gott felber, den ich fuche 9° 

Was Fenelon , mit allen Weifen aller Zeiten, in den 
voranſtehenden Betrachtungen lehrte, ift kurz dieſes: 

1. „Es iſt eine höchſte, eine unwandelbare, eine 
Univerſal-Vernunft, die das Licht und das Leben auf 
ſich, und in ſich hat. 

UI. Und dieſe höchſte, unwandelbare Univerſal-Ver— 
nunft, die das Licht und das Leben aus ſich, und in ſich hat, 
iſt auch das Licht und Leben, das ſich in allen wahren Erkennt— 
niffen aller vernünftigen Wefen aller Zeiten und Gegenden 
offenbaret. ; 

III. Es ift alfo auch das, was der Menfch feine Were 
nunft nennt, in fo fern fie das Wahre erkennt, eine Of⸗ 
fenbarung.der höchſten, der unwandelbaren, der Univerfal« 
Dernunft, eine Offenbarung Gottes. Was bier in feiner 
Allgemeinheit angedeutet ift, laßt fih mit derjelden Richtigkeit 


auch auf das einftimmige Wahre in den Sprichwörtern aller 


Kationen anwenden. 

IV. Das Eine Wahre in den Sprichwörtern der Natio- 
nen. weifet alfo nicht bloß auf den Einen Vernunftin- 
ftinet in den verſchiedenen Menfchen ; weifet nicht bloß auf 
die Eine Bernunft in allen Menfchen, die nicht gries 
chiſch, lateiniſch, deutſch ze. fondern die Menſchen- Ver— 


nunft iſt; fie weiſet auch auf die Eine höchſte, auf die un- 


wandelbare, auf die Univerſal-Vernunft, die Gott iz die 
das Licht und Leben aus fi, und in fich hat, und die fich in 
jeder wahren Erfenntniß aller erfennenden Wefen fpiegelt. 

V. Die Zorfcher, die die Bahn der Unterfuchung voll- 
enden, werden alfo zu jenen drey Refultaten: Ein Vernunft: 
inftinet, Eine Vernunft, Eine Wahrheit, noch dag vierte 
binzufegen: Ein VBernunftinftinct, Eine Ver 
nunft, Eine Wahrheit, Ein Bott, der die höchſte 
Wahrheit, der die höchſte Vernunft ift. 

VI. Demnad ift es Elar, daß die gefunde, allgemeine 
Menfchen : Bernunft, der Gemeinfinn, ohne jene höchſte, un— 
wandelbare, Univerfal : Vernunft (die das Licht aus fih und 
in fih hat) Nichts ſey, d. i. weder Vernunft, noch geiund, 
noch allgemein fey. — Im Vorbeygehen fey es mir erlaubt, 
meiner Zeit ein Wörtchen ing Ohr zu fagen, das nicht ferne 
liegt. Worausgefegt, dab ale Menfchen: Vernunft, in ie 
fern fie das Wahre erkennt, eine Offenbarung der höchſten Ver— 
nunft, der höchſten Wahrheit ift: fo würden die, welde aus 


14 


ſtolzer Vorliebe für ihre eigene Vernunft, alle höhere Of: 
fenbarung verwerfen, ſich lieber ins Auge ſchneiden laſſen, ala 
daf fie diefe Sprache wiederhohlen follteny wenn fie, anders 
wüßten, wie fehr fie durch diefes finnlofe Erheben ihrer eiges 
nen Vernunft über alle höhere Offenbarung, ihre Unwiſſen— 
heit documentirten; wenn fie wüßten, daß fhon-das, was 
ih meine Vernunft nenne, was an 9 geſund, 
was in ihrer Erkenntniß wahr ift, Offenbarung 
der höchften Vernunft, nicht mein Eigenthum, 
fondern Licht aus dem höchſten Lichte ſey. 
VII. Diefe höchſte, dieſe unwandelbare Univerſal-Ver— 
nunft, die ſich in aller wahren Erkenntniß aller erkennenden 
Weſen offenbaret, die ſich in dem allgemeinen Wahrheitsge— 
fühle zu erkennen gibt, davon die Sprichwörter aller Natio— 
nen ihr Wahres haben, nennt Salomo mit Recht die Weis— 
beit, die auf der Gaffe predigt, und gibt ihr dieſen 
Nahmen in feinen Sprihwortern, die felber lauter Prediger 
der Weisheit auf der Gaſſe find. Sprichw. J. 20— 23, 
„Die Weisheit predigt draußen; fie laßt ihre Stimme hören 
auf den Gaſſen; fie ruft an den Eden, mitten unter dem 
Volke an den Thoren, und lehret fie: Ihr Alberne! wie lang 
wollt ihr albern feyn 7 Wer alfo die Spridworter der Was 
tionen , in fo fern fie Weisheitsfehren find, auf ihre Weis- 
beitsquelle zurückführen wollte, müßte fagen: Die Sprichwör— 
ter find ein Spiegel der Menfhen:- Vernunft, dıe fie 
gebildet hat, und ein Spiegel der höchſten, ewig unwan— 
delbaren Univerfal:Bernunft, die fie der Menfchens 
Vernunft eingegeben hat, 
Eben dierangeführte Stelle aus Salomo, die den Titel 
diefer Schrift: Die Weisheit auf der Gaffe, oder: 
Sinn und Geiſt deutfher Spridwörter %, vers 
anlaßt hat, erklärt ihn auch am beiten, | 


2: Bon dem nächſten Entfiehungsgrunde einzelner 
Sprichwörter. 


Was ein Held von ſeinen Siegen kühn genug ſagte: 
Veni, vidi, vici, ich kam, ſah, und ſchlug — den Feind, 
das bezeichnet genau den nachften Entftehungsgrund der. eins 
zelnen Sprichwörter. Einer ſah, fühlte, ſprach — und 
das Sprichwort war geboren. Erfah das Ereigniß, fühl: 


\ 15 


te die Wahrheit, ſprach aus, was er fühlte. Sein Nach— 


bar hörte das Wort, fühlte mit — das Wahre, bewährte den 


Fund, und ſprach dasfelbe Wort bey ähnlichen Anläſſen nad. 


4 


So ward das Wort — ein Sprichwort. Denn Sprid- 
wort in engfter Bedeutung ift ein Wort, dasin aller-Leus 
te Mund it; ein Wort, das von Vielen in einerley 
Verſtand bey mancherley Anläffen wiederhohlet wird. Wie 
fi) der elektrifhe Schlag der ganzen gefchloffenen Reihe der 
Berbundenen mittbeilet: fo trifft die Wahrheit des Sprich: 
wortes mit ihrem Blige ale Gemütber, denen fie ſich in wies 
derfommenden, oder ähnlichen Ereigniffen offenbarer — wie 
im Wiederſcheine. 

Daß viele Sprichwörter von einer Nation zur. andern 
gewandert feyen, verfteht ſich von ſelbſt. Schon Eberhardus 
Tappius Lunensis hat das Einerlep in den Sprichwör— 
tern der Römer, der Griechen und der Deutfchen dargelegt in 
feinem‘ Werfe: Germanicorum adagiorum cum latinis 
ac gracis collatorum Centuriæ septem, ex libera ar- 
gentina in ædibus Wendelimi Rihelii MDXXXIX. 

In diefen fieben hundert Sprichwörtern Eommen viele 
deutfche vor, denen man die römische oder griechifche Abkunft 
anſieht. Wenn z. B. der Grieche jagt: „Ein Gott und viele 
Freunde, fagt der Deutihe: Man mag fi) wohl Eines Got- 
tes, aber man kann fih nicht Eines Menſchen ernähren,‘ 
Wenn der Grieche jagt: „Wer einen fremden Hund ernährt, 


‚ dem bleibt nichts ald der Strid in der Hand,’ fo fagt der 


Deutfhe: „An anderer Leute Kindern, und an fremden Hun— 
den hat man das Brot verloren.‘ So fand fi) dasfelbe 
Sprichwort: „Böſe Raben, böfe Eyer ‚+ fihon bey den No: 
mern: „mali corvi malum ovum,‘“ und bey den Griechen: 
„RUHE HOCRKOS xarov wor.“ Menn der Grieche, und der 
Homer fagen: „Du Fommft nah dem Seite,’ fagt der Deut- 
fhe: „Du Eommit, wenn der Ablaß ſchon gegeben iſt.“ Daß 
die Sprichwörter des weiſeſten Königs in Sfrael durch Ueber- 
fegung und Auslegung der heiligen Schrift längſt zu deutfchen 
geworden feyn, bedarf eben fo wenig einer Erinnerung. Was 
man in der Schrift lieft, hört man auf der Gafle: — „Der 
Saule wendet fih im Bette, wie die Thüre in der Angel.’ — 


„Die Motte frißt am Gewande, der Wurm am Holje, der 


Gram am Herzen des Mannes.’ — „Die grauen Haare — 
eine Ehrenfrone: auf dem Wege der Tugend wird fie gefuns 
den.“ — 


“0 


Hier ift aber nur von den erften Entfteben, nicht 
von der Verpflanzung der Sprichwörter die Nede: bar 
son im dritten Hauptſtücke von den religibſen Sprichwörtern 
dev Deutfhen. Wenn wir alfo zunachft auf die Entftehung 
des einzelnen Sprichwortes fehen, fo iſt es offenbar, daß 
es fein Dafeyn zu verdanken hat — dem weckenden Ans 
taffe und der fprechenden Vernunft. Denn ver Lo— 
gos ift wejentlich fprechend, e8 mag von Gott, oder von dem 
Menfchen die Rede feyn. Gehen wir aber zugleich auf den 
naͤchſten, und auf den legten Grund des Sprichwortes, fo if 
e3 der Anlaß, die Menfhen: Vernunft, und die Ur— 
Kernunft, was dem Sprichworke das Daſeyn verlieh. Kein 
Sprichwort ohne Sprecher. Was im Menſchen ſpricht, iſt 
Vernunft, was im Univerſum — Gott. 





3. Don tieffirmigen Sprüchen, die bey allen gebilde> 
ten Nationen einheimifch find. 


Bon den gemeinen Sprichwörtern unterfcheiden fich tiefe 
finnige Sprüche, die Haman die geflügelten nannte, die 
zu tief find, um je ein Spridwort ım Munde Aller zu wer— 
den. Woher Eommen denn aber diefe tieffinnigen Eprüche ? 
Die Antwort liegt nahe. Das Tiefe der Sprüche bat die— 
felde Quelle wie das Wahre der Sprichwörter. Und, wer 
den inneriten Menfchen in fich Eennt, dem wird der Eine 
Urfprung des Wahrbeitsfinnes und des Tieffin- 
nes nicht mehr rathfelhaft feyn Eönnen. 

„Jedes Menfchen Seele, der es gegeben ift, die Wahr: 
heit in ihrem eigenen Lichte zu ſchauen, hat, ſobald fie aus 
der Anſchauung in das Leben zurückkehrt, einen Sprud aus 
der unfihtbaren Welt an die fihtbare geboren. Denn fie will 
das Gefchaute feithalten, und in einem bleibenden Denkbilde 
feftbalten, fpricht es alfo in einem geflügelten Spruche aus, 
der das Denkbild ihrer Anihauung ift.“ Das it alfo- die 
Geburtsftätre aller tieffinnigen Sprüche. Diefe gehe i— 
me Geburtsftätte tieffinniger Sprüche kennt aber nur 
der, dem das Gebieth der Innigkeit nicht mehr fremve ift, 
d. b. der den inneriten Menfhen im Menſchen Eennt. Denn 
in diefem Gebiethe ift die Anfhauung der Wahrheit 
daheim. Hier, wo die Sinnlichkeit der Vernunft, die Vers 
nunft der Hoͤchſten gehorcht, hier, wo das Wort der — 
Ver⸗ 


17 


Vernunft vernommen werden Fan, alfo die eigentliche menſch— 
liche Bernunft, das Vernehmen der Wahrheit, zu 
Haufe ift, bier ift das Licht, in dem fih die Wahrheit felber 
zu erkennen gibt; bier iſt Anfhauung der Wahrheit, hier ift 
Sefthaltung des Angefhauten, bier Geiftesfpruch voll Tiefjinn 
und Klarheit. Daher Fommt es denn auch, daß, wie ſich in 
der Folge an einem auffallenden Beyſpiele zeigen wird‘, die 
tiefinnigften Sprüde unferer Nation von Menfchen herrüh— 
ven, bie in dem Gebiethe der Innigkeit fefte Herberge gefun- 
den hatten. 
Da nun aber der Sinnen: Menfch, und der bloße 

Begriffs: Menfc die Heimath des geiftigen Menſchen, 
die Innigkeit, nicht kennen? fo ift es an der Tagesordnung, 
daß fie fie Tätern, und mit gehaßigen Nahmen verfchregen , 
womit fie ihre Armuth an innerer Anfhauung vorfich- 
tig zu decken wiffen. Es ift Ein Wunder, daf der Sinnen: 
menfc jene Geburtsftätte, und was darin geboren wird, Un— 
finn, der Begriffsmenſch Wahnfinn nennt. Aber der 
innige, in fi, uno in ftiller Anfhauung lebende Mann weiß, 
daß es Mahrheit und Leben it; was er anfchaut, und ein 
Bild der Wahrheit und des Lebens, was er ausfpricht. 

Beyſpiele tieffinniger Sprüche finden fich, bey alfen 
Schrifiitellern, die tief — genug in fih eingedrungen find. 
Denn das Gold Tiegt nur in den Eingeweiden der Erde, nicht 
auf der Oberfläche. 3. B. 

Ben ©eneca: Bonus Vir sine Deo nemo est, 
Gut ohne Bott ift Keiner. — In unoquoque virorum bo- 
norum habitat Deus. In jedem guten Manne wohnet 


Gott. 

Bey Cicero: Nemo magnus sine aliquo afflatu 
divino unquam fuit, Nie gab es einen großen Mann, 
den nicht Gottes Anwehen dazu gemacht hatte. 


4. Unterfchied zwifhen Wahrheit und Wahrheit 
in den Sprichwörtern und Sprüchen der Völker. 


Die Sprichwörter, die Sprüche find ald Gefäße anzu- 
ſehen, in denen die Wahrheit liegt. Nun ift die Wahrbeit 
zweyfach. Entweder iſt fie eine ewige, unbedingte, nothwen⸗ 
dige, allgemeine, oder eine zeitliche, bedingte, zufällige, be— 
ſondere. Ewige, unbedingte, nothwendige, allgemeine Wahr— 

Sailers Sprichw. 2 


18 
heit. thut. fih. in jenen Sprichwörtern Fund, die die Geſetze 
der Religion, die Gefege der Tugend, die Geſetze der 
Natur enthüllen, oder vorausfegen, - Zeitliche, bedingte, 
zufällige, befondere Wahrheit thut ſich in den Sprichwörtern 
Fund, die die Ereigniſſe des Tages erzählen, die nur den 
Inhalt einzelner Beobachtungen , Erfahrungen, Begebenhei— 
ten-ausdrüden. Jene ſind wahr, weil fie nicht falſch ſeyn 
Eönnen; find wahr, weil fie ewig wahr geweſen find, wahr 
find. und wahr bleiben ‚werden; diefe find wahr, wenn fie 
wahr find, und bleiben wahr, in fo fern das Verhältniß 
der Dinge, dag fie eingegeben bat, unverändert bleibt, oder 
wiederfehrt; A — 
Ewige, unbedingte, nothwendige, allgemeine Wahrheit 
haben viele lateiniſche Sprüche, die Vivis in ſeinem Sa- 
tellitium gefammelt, sth J 
3. B. Bono viro ‚Deus lex est, malo cupiditas. 
Den Guten regiert Gott, den Böſen ſeine Begierde. (Dies 
iſt eine ewige, unbedingte, nothwendige, allgemeine Wahr⸗ 
heit. Denn die Herrſchaft der Begierde macht den Böſen 
zum Böſen, die Herrſchaft des göttlichen Geiſtes den Guten 
zum Guten). —D— ig | 
..  Ebrietas, ‚nec.madida nec ‚sicca, ;Eeinen Rauſch! 
Keinen von Wein, keinen von der Leidenfchaft. (Dieſe Sit: 
tenregel iſt allgemein und nothwendig. Denn aller: Taumel 
iſt wider die Befonnenbheit). a ; ig 
Oculus vit, Sapientia,— Die Weisheit iſt das 
Auge deö Lebens (denn, ohne, fies iſt Unſer Leben. eine lautere 
Nacht. Nur durch ſie kommen wir aus, Srrwifhen und, Täu— 
fhungen, aus der Nacht der Einbildungen in den Tag der 
Elaren Anihauung)eis : * 
Extorquet quies, Die Ruhe erzwingt's. (Was Fein 
Sturm der Leidenschaft erftürmen: kann, das mag die Ruhe 
des Weifen, mit dem flillen Machtgebothe der Wahrheit, 
erobern). 
NMagnes amoris amor. Wo Liebe anflopft, da macht 
Liebe auf. | ig Fa 
"Veritas temporis-filla, lupus mendacio tempus. 
Die Zeit bringt die Wahrheit an das Licht, und verſchlingt 
die Lüge. a shit ur 
Nxilium inter malos. Unter Böſen leben müſſen, 
iſt die rechte Landesverweiſung. Ak 
Ne ferrum igni. Gib dem Zorne: fein Schwert in 
die Hand. Bern 


3 


Pertuso dolio aihil infunde. Dem Faſſe mit durch— 
ſchlagenem Boden ſollſt du nichts anvertrauen. (Laß keine 
Leidenſchaft herrſchend werden, denn jede iſt unerſättlich). 

Satis relicturo. Laß dir jest genug ſeyn, was du haft, 
indem du einft Alles verlaffen mußt. er. 

Zeitliche, bedingte, zufällige, befondere Wahrheit Fün- 
det fih in Sprichwörtern an: 

Schenfen beißt.angeln, (wenn. der Eigennuß, 
oder die Wolluft, oder die Herrſchſucht fchenkt). ’ 

Ungleihde Shüffeln machen fheele Augen 
(wenn nicht reine Gemüther zu Tiſche fisen. Dem alten 
Vater gönnet die Tochter, wohl eine beffere Schüſſel; fie ſelbſt 
bat fie ihm bereitet). 

Die Gabe macht das Kind ftill, den Rich— 
ter blind, (wenn diefer das Geld mehr liebt, als das Recht, 
jenes nicht zu peinlihe Schmerzen leider, oder zu weit um Ei— 
genfinne vorgerücdt it). 

Geld ift gute Waare, gilt Winter und 
Sommer, (man Eann, damit alles Eaufen, was 1) Waare 
ift, 2) auf.den Markt Eommt, oder Marktpreis bat. Denn 
die Waare, die einen Herzenspreis hat, kannſt du mir um 
Geld nicht abfaufen). E 

Der Sparer muß einen Zehrer haben, (Er 
muß eben nicht, bat ihn aber fait immer). s 


5. Bon fprichwortlihen Redensarten in allen gebilde- 
‚ ten- Spraden.- 


Kon Sprihwörtern unterfheiden fich in allen gebilde= 
ten Sprachen die ſprichwörtlichen Nedensarten, in - 
denen fih der Genius der Sprade nah Witz, Laune, 
Reichthum, Einfalt x. oft noch vollfommener fpiegelt, 
ald in den Sprichwörtern felber. Grasmus hat in feinem 
klaſſiſchen Werfe von den Sprichwörtern der Griechen und 
Römer (Adagiorum chiliades quatuor cum sesquicen- 
turia) die ſprichwörtlichen Redensarten der Alten vortrefflich 
erläutert. Keine andere Sprache hat ein Werk von gleichem 
Gehalte. 





+ 2 * 


20 


6. Bon dem Unterfchiede zwifchen Sprichwoͤrter und 
ii Denffprüche. 


Won Sprichwörtern und ſprichwörtlichen Res, 
densarten unterſcheiden ſich die Denkſprüche berühm— 
ter Männer, die fie entweder erzeugt, oder oft im Munde ges 
fuhrt haben. — 

Die meiſten Sprichwörter ſind Findelkinder: ihr Vater 
iſt unbekannt; ſie werden mehr gefunden, als erfunden. Es 
kann auch dasſelbe Sprichwort in verſchiedenen Ländern, und 
im ſelben Lande unzählige Mahle neu erſtanden oder gefun— 
den worden ſeyn, ohne daß darüber ein Streit entſteht, wem 
die Ehre der Erfindung gebühre. 

Die Denkſprüche führen alle, wie die der Könige, den 
Nahmen derer bey ſich, die ſie als Sprüche ihres Geiſtes 
zuerft oder öfter ausgeſprochen haben. 

Indeſſen ift nicht zu laugnen, daß oft, was urfprüngs 
lich ein Denkſpruch war, fich allmählig zu einem Sprichworte 
ründete; indem es durch vieler Menfhen Mund ging, und 
fi die fiharfen Eden der Erfindung abſtieß. Nicht felten 
hatten die Denkſprüche als ſolche ſchon die fprichwörtliche Kür—- 
ze und Ründung, bedurfren alfo Feines Zuſchleifens mehr, 
3. B. der Sprud: Zur Gott und Vaterland, 


21 





Zweytes Hauptſtuͤck. 


Von deutſchen Sprichwoͤrtern, ihrem Gepraͤge 
nach betrachtet. 





N. deutfhen Sprihwörter haben ein Gepräge, das fie 
kennbar, und einen Inhalt, der fie einer. befondern Bes 
trahtung werth macht. Beydes, Geprage und Snhalt, genau 
ins Auge gefaßt, werden ung mit dem Sinne und Geifte der 
deutfhen Sprichwörter vertraut machen. 


A. Bon dem Gepräge überhaupf. 


Es verhält fih mit dem Gepräge der deutſchen 
Sprihwörter, wie mit den Gefihtsbildungen der Mens 
iden. ‚Die Phyfiognomie des Stalieners z. B. ift eine 
_ andere, als die des Deutfchen, aber fie find beyde Phyſio— 
gnomien des Menſchen. 

So hat die Geſtalt des deutfchen Sprichwortes einige 
Merkmahle mir ven Sprihwörtern anderer Nationen gemein, 
3 B. daß es dem Bedurfniſſe finnlicher Anfchauungen zu 
Hülfe Fommt; andere Merfmahle liegen in dem Genius 
derdeutfhen Sprache, in der jedesmahligen Stufe der 
Bolkseultur, in den Eingebungen des Ereigniffes, 
das. dem: Sprichworte fein Dafeyn gab, in den Eigenhei— 
ten deffen, der fein Geifteswort zum Sprichworte madte, 
und diefe-Merkfinable geben dem deutfchen Sprichworte die 
Phyfioanomie des deurfhen Sprichwortes. Wie aber das 
Angefiht des deutfchen Mannes das Angefiht eines Mannes, 
und das Angefiht des deutfchen Mannes it: fo find in dem 
Gepräge des deutihen Spridwortes die gemeinfamen 
und die eigenen Merfmahle vereinigt. Beyde Merkmahle 
tollen in diefer Abhandlung angegeben werden. 


Die alten deutfchen Sprichwörter haben überdem in ih— 
rem Gepräge das_hevvorftechende Merkinahl des Alterthums. 
Dies wird man ihnen auch laſſen müffen, wenn ihre Wirk: 
famfeit in den Volkskreiſen nicht geftort werden foll. Läßt man 
doh den alten Schau— und Denkmünzen, den alten 
Gemahlden, den alten Kirchenliedern den-Charafter 
des Alterthbums: warum nicht auch den alten deutſchen 
Spridwörtern? Und es ift mir, als wenn fie zu jeden, 
der ihnen einen [uftigen Frack der neuen Zeit an: 
nieffen wollte, mit fefter Stirne ſprächen: Laß uns unfe 
ve alte Tracht, die Sitte und ©eberde der 
grauen Welt! 


B. Das Gepräge alter, deutfcher ARCHE, 
i. 


Das deutfche ae in ift ein Sprichwort, d. bh. es 
kommt dem Bebürfniffe nad) finnfihen Anfhauungen, das 


dem Wolke als Wolfe eigen, dem Menſchen als finnlich- 


vernünftigem Weſen wefentlich ift, dienftfertig zu Hülfe. 
Wie das Volk die Dinge lieber in der finnfihen Hülle ſchaut, 
als im überfinnlichen Begriffe denkt; lieber die Urſache in ihrer 
finnlihen Wirkung auffaßt, als in der überfinnlihen Wirkungs- 
Eraft fich vorſtellt: fo drückt das Sprichwort das Leserfinnliche 
des Begriffes, das Unanfchauluche der Urfahe am Tiebiten im 
Einnliden des Bildes, im Anfchaulichen der Wirkung aus. 
Sch weiß wohl, daß wir an deutfchen Sprihwortern Feinen 
Mangel haben, die, ohne auf dies Bedürfniß der ſinnli— 
chen Anfhauung zu achten, ſich fogleich an den Verftand 
wenden; aber ich weiß auch, daß gerade die beiten, Eräftig« 
ften Speichivörter die — —— Wahrheit in eine —5 
Hülle kleiden. 

Das Sprichwort, das üb Bier meine, hat alfe 'eine 
Hülle (ein involucrum), eine ſinnliche Schale), und‘ eine 
Wahrheit, eine Sentenze, die durch jene Hülle durchſcheint, 
die in jener Schale aufgetragen wird Die Wahrheit ift die 
Seele, das Bild der Leib des Spruches/, — Seele 
und Leib — das Sprichwort. 

So iſt z. B. die Wahrheit nachſtehender Säge: a) Er: 
vegung der Leidenschaften in Andern ſchadet zuerft: DE der 
fie evreget; b) unfere Urtheile, die das Ende der Ereignifie 
nicht abwarten, find fchwanfend und ungewiß; c) ein einzi— 


23 


ger böfer Geſell Eann die ganze Gemeinde verderben; d) die 
Zukunft wird’ enthüllen, was’ ın der’ Gegenwart noch verhüllt 
it, für den Verſtand des Denkenden faßlich, aber für den 
Sinn nicht anſchaulich; wird aber anſchaulich durch die Hülle, 
das Bild den Leib, in dem fie erſcheint, z. B. a) Wer 
in das Feuer bläſt, dem fliegen die Funken in die Augen. b) 
Die Kugel laufe noch; es kann noch mehrere Kegel geben. c) 
Ein fauler Apfel ſteckt hundert an — Ein faules Ey verdirbt 
den ganzen Küchen. d) Wenn der Schnee vergeht, fo wird 
ſichs finden 

Was von Sprichwörtern, das gilt auch von fprihwört- 
‚lichen Redensarten. So iſt in den abgenügten, 'gemeinften 
Heden, vie man auf allen Gaffen, in allen Stuben bören 
Fann: „Laß dir darum kein graues Haar wachen, laß 
dir darum Feinen Bart wachen, die peinlihe Sorge, 
die das Haar: bleithet, und der Kummer, der die Gefell- 
ſchaft meidet, und deßhalb den Baaybiet nicht rufen laßt, rich⸗ 


= Se 
2, a 
Das deutfche Sprichwort‘ ſpricht zwar nicht felten auch 
Allgemeines aus, ohne es im Beſondern darzuſtellen, z. B. 
„Die Liebe geht unter ſich, nicht über ſich; Noth hat kein 
Geboth; Erfahrung iſt Meiſter; Begierde iſt Kaiſer. — Aber 
am liebſten zeigt es das Allgemeine im Befondern, und madt 
das Aligemeine im Beſondern anſchaubar. Dies iſt eine der 
gemeinſten For men)“ in der die Wahrheit des Spruches 
ſich ankindet. JE 
Dieſe Form macht bi, Shih vter recht eigentlich zu 
Sprichwörtern. Denn, was im Begriffe allgemein il, 
wird im Sprichworte Fein Befon deres, aber durch ein Be: 
fonderes, und im Befondern finnlid, leichtfaßlich, 
a MA anwendbar. Würde das Sprichwort das 
Allgemeine’ des Begriffes aufheben: fo würde es an der An— 
wendbarfeit auf die einzelnen alle verlieren, das heißt, 
fein Spr ihwort mehr feyn. Würde es das Allgemeine 
nicht im Befondern darftellen, fo würde es nicht fo Teiht in 
Umlauf kommen, nicht fo leiht ein Gemeingut des Vol: 
kes werden können, fondern fo ungeEFannt, und fo un: 
frubtbarbleiben, wie unzahlige andere Abftractionen, 
Allgemeinheiten, die wir Begriffe nennen. 
Zivey Dinge find alfo den Sprichwörtern diefer Art wes 
fentlich : — muß die Menge das Wort in den Mund neh— 


tn 


24 

X 
men, und ſprechen können. Das Sprechen desſelben 
Wortes, und das Sprechen vieler Zungen, macht das 
Eine Wort zum Sprichworte. 2) die Menge muß ‚das: 
ſelbe Wort bey den täglichen Ereigniffen des ‚Lebens wieder 


„anwenden, die alte Wahrheit in den neuen Begebenheiten bes 


Tages wieder finden Eonnen, 

Das Sprichwort muß alfo Befonderes ausdrücen, 
damit es Teiht nadgefprochen werden fann, und im Befon: 
‚dern. Allgemeines,damit os leicht angewandt werden ann. 
So ift die Lehre: Der Arbeit des Menſchen ift der 
Segen Gottes hinterlegt, allgemein. in der Zorde: 
rung: Seder fol fleißig arbeiten in feinem Kreife, 
und allgemein in der, VBerheiffung: Gott gibt daß Ge— 
deihen dazu. Dies. Allgemeine geht in dem Sprichworte: 
— Der Müh', gibt ‚Gott Schaf und Kühl; — over: 
Gott gibt dem Menſchen einen Ochſen, aber nicht. beyden 
Hörnern; — oder: Gott befhert die Kuh, gibt aber nicht 
das Seil dazu, — nicht verloren, fondern wird nur in einem 
Befondern, in den Schafen, Kühen, Ochſen anfchaubar. Es 
ift, als wenn das Sprichwort bey dem Anblicfe der Herde in 
‚dem Herzenvdes fleißigen, frommen Hauswirthes wäre gebo- 
ven worden. Und jo tragen die Sprichwörter diefer. Art die 
Muttermahle, die Windeln ihrer Kindheit noch an fih, da 
‚die Begriffe, um allgemeine Gefäße des Einzelnen zu werden, 
das Einzelne zuruclaffen mußten. 

Noch lieblicher tönt ver Spruch, wenn das, Allgemeine 
ganz verſchlungen wird von dem Bejondern, und doch das All: 
gemeinwahre der Lehre aus dem Beſondern bervorleuchtet. 
So ift.in dem Sprichworte: Hechtenzünglein, Barbenmäus 
Yein, bringen den Reiter um fein. Gaulein, — welches die 
allgemeine Lehre: Wohlleben macht arm, ausdrückt, fo 
wohl das: Wohlleben, ald Verarmen der. Wohlleben- 
den in einem Befondern angedeutet, und doc) paßt das Sprich- 
wort auf.alle Arten des Wohllebens, und auf alle Arten des 
Verluſtes. ns et 

Dies Sprihwort gibt ung auch zugleih feine und 
ähnlicher Sprichwörter Genefis zu verftehen, und. beftätiget 
das, was im erften Hauptſtücke von dem nächſten Entite: 
bungsgrunde einzelner Sprichwörter geſagt ward. Eine 
Thatfache verewigte fi in dem Sprichworte, dazu fie An— 
laß gab. Es mufte gerade ein Ritter feyn, der an den Bet— 
telftab Eam, und er mußte gerade durch Vorliebe zu EB ftli- 


23 


hen Fifhfpeifen an den Bettelltab Eommen; damit ge: 
rade dies Sprichwort in diefer Geftalt an das Tageslicht 
geboren werden: Eonnte. 





> 


Das deutfche Sprichwort nimmt das Befondere, indem 
es das Allgemeine darftellen will, gern von dem Leibe des 
Menfchen , der dem Menſchen das nächſte Berfpeug 
feiner Thätigfeit, und dem Beobachter das nächſte Feld 
feiner Bemerkungen if. Wenn das Sprihwort z. B. die 
Nahbarlihfeit, Vertragfamkeit. anempfehlen will, fo 
fagt es: „Oft beißt der Zahn die Zunge, und doch bleiben 
fie gute Nachbarn; — oder, wenn,es die Nothwendigkeit der 
Ordnung predigen will, fo fagt 8: „Der Kopf muß oben, 
die Füße unten ſeyn;“ — oder, wenn e3 die Leiden, dievon 
ie uk, kommen, kennbar maden will, fo faat 

: „Es find Stiche, die nit bluten;“ oder, wenn es die 
u n mäßigfeit in Spiel und Erhohlung ftrafen will, ſo 
fagt. es: „Es Eoftet auch Beine, wenn man auf Stecken 
reitet.“ 
Unter den Theilen des menſchlichen Körpers it es befon- 
ders der Kopf, das Auge, und die Hand, was in ungähligen 
Sprihwörtern vorkommt. 

Der K epf: Wenn der Kopf wund iſt, verbindet man 
vergeblich die Füße. — Wer Mäufe im Kopfe hat, dem muß 
man eine Kaße darein fesen. — Die Leute leben Eines Got: 
tes, aber nicht Eines Kopfes. 

Das Auge: Wem die Augen in der. Jugend ausge: 


ftochen find, der ſieht fein Lebtag nichts. — Die Füriten 
haben viele Augen, laffen aber nur zwey fehen. — Wer über 
fi haut, dem fallen die Späne in die Augen. — Wo der 


Dünfel vor Augen liegt, da kann Fein Licht hinein, — Jeder 
Menfh hat zwey Pfeile, die heimlich treffen, und tief ver- 
wunden. (Augen.) — ul) das Auge nicht ſehen will, fo 
beifen weder Licht noh Brill’. 


4 
Dem deutfhen Sprichworte biethen neben den Gliedern 


des menfchlichen Yeibes die täglihen Bedürfniffe und die Er- 
eigniffe des Hauſes, des Lanplebens, der Haus: und Feld: 


26 


wirthſchaft, des Fuhrweſens 2. einen Reichthum des Befon- 
dern dar, womit es das Allgemeine andeutet, z. B. 

Berluft ftatt des geſuchten Gewinns: Mans 
cher geht nach Wolle aus, und kommt gefhoren nad) Haus. 

Fleiß des Landmannes: Sol ſich der Acker wohl 
Iöfen, fo fol man ihn auch wohl gürten. 

Sehlgriff: Es verfäet Mander- feinen, Haber, ehe er 
zum Acer kommt. 

Heniſch hat in feinem Thesaurus linguae et sa- 
pientiae germanicae mehrere Sprichwörter gefammelt, die 
vom’ Fuhrwerke geborgt, große Dinge in Eleine Rahmen faſ⸗ 
fen. 3:8. Wer Gott läßt Fuhrmann ſeyn, deß Fuhrwerk 
geht von Statten, als wenn es geſchmieret wäre, — Unjers 
Herrgotts Fuhrwerk ehr langſam und wohl. — Wer in der 
Belt mit Gottes —52 fortkommen will, kaun nicht alle 
Stock und Stein aus der Fahrſtraſſe rädumen; er muß mit Ge— 
duld, und gemach fahre, bis er Abends in die Herberg Fommt. 
— Bofer Leute Fahrt währt hicht lang; denn Sort ift nicht 
beym Fuhrwerke. — Was man mit Unwillen thut, das knar⸗ 
vet wie ein neuer, ungeſchmierter Wagen. 

Die ſinnreiche Hausmutter hat über dem tä glihen 
Anblicke ver Hennen, der Eyer viele Sprichwoörter inven⸗ 
tirt. 3.8. Man wirft nicht mit Eyern nach Sperlingen. 
— Hennen, die viel gackern, legen wenig Eyer. — Wenn 
Gott die Eyer zerbrechen will, fo ſetzt er Narren darüber. — 
Diele Eriegen um das Ey, und Iaffen die Henne fliegen. — 
Mer Eyer haben will, muß der Kennen Gadern leiden. 

Der Keller bat viele Sprichwörter eingegeben: Man 
Elopft jo lang an den Reifen, bis dem Faße der Boden Aus: 
fpeingt. — Man trinke wohl aus Einem Faß, aber nicht Alle 
aus Einer Kante. — Wenn das Taf rinnt, fo muß man 
die Reife treiben. — Kenn dem Faße der Boden ausgeitoffen 
ift, fo bleibt die Hefe auch nicht darin. — Wenn nicht viel 
im Faße ift, fo kann man aud nicht viel daraus zapfen. — 
Wenn der Wein vom Faße abgelaufen ift, fo verlaufen fi) 
auch die Tifehfreumde. — Was man ins unfaubere Faß gieft, 
das fauert bald. 

Desgleichen die Feder: Das Anfehen ift in Federn. 
— Die Feder ſchwimmt oben an. — Wenn der Wind in ei— 
nen Haufen Federn Kun fo find fie bald jerftreut. — Schö— 
ne Federn, ſchöne Vögel. — Vögel von einerley Federn flie:. 
gen gern zufammen, 


27 


Auch die Glocke, die jedes Ohr lauten hört: Glocken 
und Thoren lauten beyde gern. — Schafe wiffen der Glocke 
Eeinen Klöppel einzuhängen. — Wenn die Glocke an einem 
Orte beritet, fo ift jie ganz untüchtig. — Am Ende fieht man, 
was die Glocke geichlagen hat. — Wenn fchon die große 
Glocke gegoffen iſt, ſo fehlts doch allzeit noch am Klöppel. — 
Se höher eine: Glocke hängt, je heller fie Elingt. 

—J —X— 

Das deutſche Sprichwort ſchließt indeſſen keinen Bil— 

derſtoff aus, und wenn es ihn ſchon am liebſten aus den 


nabften Kreife hoher: fo iſt doch der pragenden Ver— 
nunft bald dieſer, bald jener Stoff der nächſte. Sohohlet 


ſie ihn jetzt 


aus der Münzſtätte: Die find mit einem Stempel ge> 


ſchlagen. — Den will ih mit gleicher Münze bezahlen. 


Ein anderes Mahl vom Hofer Negenten und Wächter 


müſſen wenig fchlafen. — Fürſten und Aerzten find viele Tod— 


te eıne Schande. ‘ 

Jetzt von dem. Kriege, oder dem Adel: Hoffart ift 
allemahl Sünde, fie habe ein Helmlein auf, oder trage ein 
Fähnlein. 

Ein anderes Mahl aus der nahen Küche, und aus den 
fernen Holziertungen in Gebirgen und Waldern: Die 
Welt drehet fihhwie der Hut am Bratenwender, und das 
Treibholz. 


6. 


Das deutſche Sprichwort verſchwindet nicht ungern auf 
dem Theater der Menſchen, verlieret ſich in dem Thierkreiſe, 
oder in dem Pflanzenreiche ꝛc., und legt der Wahrheit das 
Gewand der Fabel an, um fie Fraftiger auszufprechen. Da— 
durch werden die Sprichwörter ſtachlig, und graben fi tie- 
fer in das Herz, feiter ın das Gedächtniß. So wird die Lehre 
der Weltgefchichte : Die Großen der Erde haben große Macht, 
wohl zu thun , aber auch große Gewalt, wehe zu thun — in 
dem altdeutſchen Spricytworte: Die Adler haben gro: 
Be Flügel, aber auch fharfe Klauen, Eräftiger, ſtach— 
liger, unvergeßlicher. 

Sprichwörter diefer Art find defto Iehrreicher und an- 
wendbarer, je gefchiekter fie fih von aller Lehre entblö— 
Ben, und auf alle Anwendung Verzicht zu thun feheinen. 
Denn fie ftehen bloß als naturhiſtoriſche Ihatfachen da, ohne 

j / 


ı 


28 


/ 
eine Beziehung auf Menfchen anzufünden. Und doch blitzt 
fie jedem gefunden Kopfe ins Auge. a 


Aus dem Thierreiche. 


Selbſtrezenſion: Der Kukuck ruft ſich ſelber aus. 
Folgen der Dummbett: Machſt du dich ſelbſt zum 
Schafe, fo beißen dich die Hunde, (frißt dich der: Wolf). 

Menihlihes Fehlen: Es falle wohl ein Pferd, 
und bat doch vier Füße. 

Halbes Wollen: Die Kate möchte die Fiſche wohl, 
fie mag aber die Füße nit negen. 

© Die ſchädliche Auffiht: Der Katze iſt der Kaͤſe 
befohlen..— Die Katze hüthet den Speck. — Der Wolf hü: 
thet das Schaf. 

‚Die Uebereilung, die nichts hervorbringt: 
Wenn man taufend Hennen überfegte, fo mögen fie in acht 
Tagen fein Ey ausbrüten. 

Widerftand und Gabe: Die fhlagenden 
Kühe geben auh Milch. 

Selbftvertheidigung: Sieht doch — —— einen 
Biſchof an! 

Das Verſchwinden der Geſellen: In eine 
leere Scheuer. fommt keine Maus. 

Die Publicität: Die Ganfe fohnattern davon. — 
Die Hunde bellens im der Stadt aus. — * Sperlinge fin: 
gen's auf dem Dache. 

Drückung ber Shwadern: Die Täublein müſ⸗ 
fen Federn laſſen. N 

+ nDie Feigheit des Prahlers: Das Löwernmaul 
bat ein Haſenherz. X 
Lije und Mühe: Lerchen laſſen ſich nicht unterm 
Hüthlein fangen. — Ein Lockvogel ſingt den andern ins Garn. 

Ungewürzte Speife: Wenn die Maus fatt ift, 
fo iſt das Mehl bitter. 

— Gleicher Werth: Hunde, die den Hafen ausfpüren, 
find fo. gut, als die ihn fangen. 
3, Nuhbende Leidenfdaft: Schlafende Hunde ſoll 

man nicht aufwecken. 

Wechſelweiſe Schonung der Boͤſen: Eine 
Krähe beißt der andern Fein Aug aus. 

Ahtung für den Veteran: Wennein alter Hund 
belt, fol man binausfehen. r 


29 


Warnung vor einem böfen Menſchen; Das 
Hate fhlägt aus; geh ihm nicht zu nahe. 

rfabrung madt bedächtig und ernst: Müde Od: 
fen treten hart. 

Die Arbeiten der Faulen und geihtfinni- 
gen: Halb und halb, wie man die Hunde fcheert. 

Gleihgültigfeit bey gewiffen Ereigniffen: 
Da Eräbet fein Hahn darnad. 

Duelle der Snduftrte: Wenn die Kaken Zunge 
haben, maufen fie fleißig. 

Natürliche Sntoler anz: Zwey Hunde an Einem 
Bein vertragen ſich nicht wohl. — Swey Hahnen auf Einem 
Miſt vertragen ſich nicht. 

* * 
* 
Am dfteften unter allen Thieren kommen in beiitfihen 
Sprihwörtern Hund, Katze, Pferd, O chſein, Efel, 
Gans, Hahn, Henne xx. vor; denn der menfelige Ver⸗ 
ftand ſpiegelt ſich gern in der nachſten Spiegelfläche, und bil— 
det feine Töpfe gern aus der nächſten Erde. 

Der Efel paradirt in deutfhen Sprichwörtern fait fo 
oft, als die Dummheit im menfdlichen Leben. 3. B. Es find 
viele Efel, die Feine Säde tragen. — Auf einem Efel will 
Sedermann reiten. — Es iſt beifer, den Efel treiben, als 
felbft Sad tragen. — Wo man den Ejel Erönt, da iſt Stadt 
und Land gehöhnt. — Vom Erahenden Hahn zum Efel gehen, 
heißt Einen Gefang hören. — Es it mehr als ein Efel, 
die Martin heigen. — Dem Eifel gehört Haberſtroh, dem 
Pferde.der Haber. Es kommt Mancher vom Pferde auf den 
Eſel. — Ein Eſel frißt keine Feigen: 

Nach den zahmen Thieren iſt es der Wolf und der 
Fuchs, die in deutſchen Sprichwörtern am öfteſten vorkom— 
men; —* fie der Herde, und der Hühnerſteige fo ge— 
faͤhrich find, fo oft wieder kommen - oder auch, weil Gewalt 
und Lift fih in das Menſchenleben theilen. 

‚Der Wolf: Lamm! Lamm! ift des Wolfes Veſper⸗ 
glocke. — Dem ſchlafenden Wolfe läuft kein Schaf in den 
Mund. — Der Wolf frißt auch von gezahlten Schafen. — 

Wenn das Schaf geftohlen ift, fo fagt der Schäfer: der Wolf 
hat's gethan. — Wenn der Wolf die Gaͤnſe bethen lehrt, fo 
frißt er fie zum Lehrgelde. 

Der Fuchs: Wenn der Fuchs die Gans lehrt, ſo iſt 
ihr Kragen ſein Lehrgeld. — Es iſt ein armer Fuchs, der nur 


50 


Ein Lo weiß. — Der Fuchs hat PR als eine Höhle. — 
Füchfe muß man mit Füchfen fangen. 
Beyde: Wolf und Fuchs haben ungleiche Stimm', aber 


gleichen Sinn. — Der Fuchs ändert den Balg, und behält 


den Schalk; der Wolf ändert das Haar, und bleibt, wie er 


war, 
Aus der Pflanzenwelt. 


2 Die zu viel thun, thun wenig: Zu viel Din 
ger düngt nicht wohl. 
Sugend und Liebe find night fern: Wenn Heu 
und Stroh beyfammen iſt, ſo brennt es gern. 
Es muß feyn: Muß, ift ein bitteres Kraut. 
Selbft-thbun, Selbit-haben: Selbſt ift ein gu— 
tes Kraut, wächſt aber in allen Gärten nicht. 
| Blühendes Glück dauert nit: Auf Roſenblat⸗ 
ter iſt nicht zu bauen. 
Alle frifhe Menfhenfraft verdorrt: Das 
fhönfte Grün wird aud Heu. 
‚ Der BVielgefhaftige rihtet wenig aus: Im— 
mer neues Werg am Rocken, gibt wenig Gefpinnft. 
Biel Köpf, viel Sinn: Es ift nicht allen Pi 
men Eine Rinde gewachfen. 
Gewalt fann Eeine Liebe erzwingen: Ge⸗ 


waltsblumen riechen nicht. 


Wie die Zeit in alle Anſchauungen in ung, und in 
alle Ereigniffe außer uns verweber ift: fo fpielt fie in deut— 
ſchen Sprichwörtern, die, weiter nichts find, als Abbildun— 
gen der innern Anfhauungen und äußerer Ereigniffe, feine 


gemeine Rolle. 

Es währt Fein May fieben Monathe.- — Man muß der 
Zeit nicht vorgreifen. — Alles Ding hat feine Zeit. — Die 
Zeit hat Flügel. — Heut ift die Zeit. — Man muß der 
Zeit die Hand biethen. — Eine Viertelftund Verzug bringt 
Jahrs Aufſchub. — Die Zeit iſt des Menſchen Lehrmeiſter. 
Es iſt Fein Tag, er bringt feinen Abend mit fih, — Zeit hat 
Ehre. — ha Ding will Weile haben (Zeit). 


8. 


‚© Unter allen VIER. regiert, in deutſchen 
Sprihwörtern das heut, morgen amfihrbarften, 3.8: 


- 


31 


Leben, Sterben: Heut an mir, Morgen van dir. 
— Heut reich, morgen eine Lei”. — Heut roth, morgen 
todt. © 3 Fun Sören 
Ehre, Shmadh: Heut oben, morgen unten. — 
Heut. groß, morgen klein. — Heut Herr, morgen Knecht: 
ee Rechthbum, Armuth: Heut ein Kaufmann, mor— 
gen ein Bettelmann. — Heut ein; Zahler, morgen ein Schuld: 
ner, 

Verſchub der Buße! Wenn Gott ſagt heut, fagt 
der: Teufelmorgen. SEITEN. PR rn 

Nihtvertrauen auf die Zukunft: Heut: fol 
dem Morgen nichts borgen. 0° * 
Ueberlegung: Heut und Morgen iſt auch ein Tag. 

Das Faſtemn: Heut faften kocht für morgen die Spei— 
e . , (+3 
—* —* das Heut und Geſtern bildet viele deutſche 
Sprichwörter: Heut erfährt man, was man geſtern nicht ge— 
wußt hat 20, ꝛc. * | 


\ 





- Das.alte deutfche Sprichwort liebt dag Megligee, die 
bequeme Haustracht, und läßt es den Gottſcheden und Colle— 
gen über, ſein Verfahren mit der Grammatik auszuſöhnen. 
So find ihm z.B. der Artikel der, die, das, die Endſyl— 
be e. gar oft zu lang, das h zu weich: defihalbr bleibt dies al— 
les weg. Wie der Mann im Schlafroce fih Fein Gewiffen 
daraus macht/ daß feine Strümpfe nicht fireng angezogen find: 
fo weiß das altdeutfhe Sprichwort nichts um die Hofetiferte 
der gebildeten Sprade. 8. B. anftatt: die Ruthe macht Kin— 
der gut, fagt eg: Aut madt gut. — Der Artifelidie, 
die. Endfylbe Ruthe, Kinder und das h müſſen wegbleiben, 

Die Zeitwörter find dem Sprichworte oft gar zu Tange: 
darum befchneidet es die Bor-Eilbe. 3. B. Werkftatt darf 
Feines Pallaſtes, — ftatt: bedarf. 

Ein Grund, warum das altveutfhe Sprichwort ſo wenig 
Fleiß sauf die Vollendung des Gepräges verwendet, und fi 
‚darin fo viele Verſäumniß zu Schulden Fommen läßt, ift wohl 

auhıder, daß es den Urfprung hat — mehr. im Herzen, das 
den Sinn gibt, als im Kopfez der ihn nach der Regel der 
Sprachlehre herausfleidet. Dies hat das deutfche Sprichwort 
mit jenem der alten Römer gemein. Es ift wirklich. ein Sprich— 


32 


wort der Deutfchen, das fo lautet: „Den Nömern wächſt die 
Rede im Herzen, den Griechen im Munde." — Dies haft 
ganz auf die meiften alten Sprichwörter unferer Nation: Den 
Deutfchen wachfen ihre Sprüche im Herzen. Daher das ver: 
faumte Gepräge. — Daß auch Mangelan Sprachbil— 
dung in Deutfcland mit unter die Ur ſach en des verſäumten 
Gepraͤges gehören, verſteht ſich von ſelbſt. 
10. 


Brcepy dieſer Vorliebe zur Haustracht iſt es begreiflich, daß 
bie Kürze ein weſentliches Merkmahl der deutſchen Sprich— 
wörter ſeyn werde. Die Kürze liegt auch in der Beſtimmung 
des deutfchen Sprichwortes; dern wie paßt' es fonft zu feinem 
Berufe, die Kurrentmünze deutfcher Völker zu werden? Man 
fhlägt wohl Kupferpfennige, aber nicht Kupfergulden: 
denn wer möchte fie tragen? Was die Schwere der Münze dem 
täglichen Werkehre, das ift dem Sprichworte.die Länge. Greis 
und Kind, Mann und Weib, Herr und Knecht müffen das 
Spridwort in den Mund nehmen, müffen es auf die Reife 
des Lebens mit einpacken Fonnen. Wer trägt gern ſchwer auf 
einer Zußreife, gefhweige auf einer Gebirgreife? Und das Men: 
fchenleben ift für die meilten Menfchen eine Fuß- eine Gebirgs 
veife. 3.8. Herz, wo Geld. — Baar Geld kauft. — Baar 
Geld lacht. — Nimmer Geld, nimmer Gefel, — Schein 
trügt. — Schaum ift Fein Bier. — Krank Fleiſch, krank Beift. 
— Bald ift angenehm. — Früh Eh’, früh Weh. — Wie 
Haus, fo Saft. — Wie Saft, fo Koft. — Was zahlt, das. 
gilt. — Ein Haus, Ein Brand. — Gleich ſucht fih, gleich 
find’t fih. — Schade wigiget. — Tollkühn ergreift dag 
Glück. — Endaut, Alles gut. — Stille Waffer, tiefe Grün— 
de. — Wer fehmiert, der fahrt. — Selbſt ift der Mann. 
— Gott-los, Lieb-los. — Neuer Herr, neu Geboth. — Froh 
Muth, halb Zehrgeld. — Biel Rühmens, und nichts dahinter. 
— Schamroth, die befte Farb. 


11. 


Kürze und Leben fchaffet fih das deutfche Sprich— 
wort durch das Zeitwort, machen, oder bringen, das in 
der gegenwärtigen Zeit, und in der dritten Perfon erfcheint. 

Gold macht taub. — Glück made blind. — Neid macht 
Leid. — Brot macht Backen roch. — Ehre macht Künftter. 
— Kunſt macht Narren. — Eins macht keins. — Gut macht 
viel Freunde. — Geben macht Leben. — Anſehen en 

ER — zeit 


— 


3 


— Zeit macht Heu. — Geld macht den Markt. — Gleich: 
beit macht Freundlichkeit: — Zu frey bringt Heu’, — Wahl 
bringt-Oual. — Zeit bringt Beſcheid. — 


12. 


Das Bedürfniß der Kürze bat unzähligen deutſchen 
Sprichwörtern die Öeftaltdespraeteriti passivi, oder 
wenigftens eine ähnliche gegeben. 3. ©. 

Wohl geſeckelt, wohl gehalten. — Friſch gezuct, halb _ 
gewonnen. — Jung gewohnt, alt gethan. — Wohl gezogen, 
nie gelogen. — Ganz befannt, halb gebüßt. — Friſch begon: 
nen, halb gewonnen. — Wohl angerennt, halb gefochten. — 
Befler unbegonnen, al&unvollendet. — Süß getrunken, fauer 
bezahlt. — Erfpart, iſt auch erobert. — Geftochen iſt nicht 
gehauen. j 


(er) 


> 41 


‚Wenn fih die Kürze des Ausdrufes mit ber Fülhle 
des Inhaltes paaret: ſo iſt der Rernfpruch geboren. Das 
ber hat das deutſche Sprihwort den Charakter des Senten: 
sidfen. Zuden h. 10. fhon angeführten Behfpielen noch ein 

aar: 
? Guter Muth, halber Leib. — Ein guter Freund, ein ed⸗ 
les Kleinod. — Ein Mantı, Eein Mann. — Das Amt zeigt 
den Mann. — Gottes Gewalt, und Herren Gefhafte muͤſſen 
vorgehen. — Maß trägt aller Tugend Kron. — Der Wille 
thut's. — Daheim ift Ein Mann zwey. — Lieb’ um Lich’. — 
Klein Gemadh, groß Gemath. 
(An großen Höfen iſt wenig, im des Freundes Hütte viel Platz 
. fürdid.) 

e * 14. 


Das deutſche Sprichwort liebt eigene Weiſe ſich 
auszudrücken, und eigene Stellungen der Ausdrücke, ſo 
wie es ihm das zweyfache Intereſſe der Kür ze und des Naſch⸗ 
druckes eingibt. 3.8. 

Geld, das thut's. — Ihat, die tödtet den Mann. — 
Seine Hände heiffen: Greif zul — Trau’ nicht, iſt gut vor 
Betrug. — Toll, ift glücdhaftig. -— Unverdroffen, hats dic 
genoflen. — Armuth, alle Thür zuthut. — Der Arm’ heißt: 
daß Gott erbarm'. — Frau Untreu iſt Königinn bey Hof. 


Sailers Sprich, 3 


54 ‘ 

Bey diefer Vorliebe des Sprichwortes zur Kürge, zur 
Haustracht, bey diefem Berufe, die Kurrentmünze deut⸗ 
ſcher Völker zu werden, ift es begreiflih, warum es jo gern 
veimet, der Reim mag fchulgerecht feyn oder nicht. Es will fidy 
dem Gedachtniffe einpraaen, damit es nicht vergeffen, leicht 
bervorgehohlt, leiht angewandt werden Fann. Und 
dazu macht es der Reim befonders geſchickt. Man jagt font, 
Eleine Dichter nehmen ſich große Rficenzen; das 
gilt gewiß von dem Reimtalente des deutfchen Sprichwortes. 
Am beften ıft das Sprichwort gelungen, wenn es den Reim 
mit der Kürze paart. 3.8. ; 

Wahr, Fahr. (Wahrheit bringt Gefahr) — Würden, 
Bürden. — Karger, Arger. — Gemein, Unrein. — Nach— 
Heu, Weiber-Reu. — Eigenlob, Narrenprod. — Fleiß 
bridt Eis. — Fleiß wird wei. — Vol macht tel. — Glück 
bat Tück. — Noth fuht Brot. — Beſchert iſt unverwehrt. 
— Borgen maht Sorgen. — Kunft macht Gunft. — Neid 
thut ſich leid. — Wolluſt hegt Unluſt. — Wer will, thut 
viel, — Biel Jahr', viel Gefahr. — Beſſer gerennt, als ver= 
brennt. — Bol Mann, faul Mann. — Gleich Blut, gleich 
Gluth. — Gleiche Jahre, die beften Paare. — Armer Gaft, 
Gottes Kaft’. — Maß befteht, Unmaß vergeht. — Eitel Ehr’, 
bös Geſchwär. — Schnell Spiel überfieht viel. — Wer nicht 
wirbt, verdirbt. — Hochmuth thut Fein gut. — Hauszank 
währt nicht lang. — Eintracht hat große Macht. — Recht— 
thun macht fanftruhn, — Junges Blut, fpar dein Gut. — 
— Wein hat feinen Schrein ler dringt heraus und fehwaßt). 
— Gold’ maht Menfhen hold. — Geld trügt den Held. — 
Seyn ift über Schein. — Eigenlieb ift ein Dieb. — Oft, 
Weſt, daheim das Beſt'. — Geſchiehts, man fiehts. — Viel 
Naſchen macht Ieere Taſchen. — Mir genügt, wie's Gott fügt. 
— Müßiggang, der Tugend Untergang. — Angenommene 
Weiſ' zerihmilzt wie Eis. — Hilf bey Zeit, ehs kommt weit. 
— Was baldıreift, halt nicht fteif. — Müßiggang hat böfen 
Nachklang. — Geitz und Ehr' treibtüber Meer. — Garten— 
werk Wartewerf, — Böſer Gewinn, fehnel dahin. — Ar— 
mutb, ein Schalf, macht fetten Balg. — Des Hirten Noth, 
der Schafe Tod. — Ehr und Geld treibtialle Welt... — Fröh— 
lich in Ehren kann niemand wehren. — Gewalt und Lügen 
nicht lang tügen (taugen). — Der Herren Vitten ift gebier 
then. — Der Greis verkehrt nicht feine Weis. — Gott gibt 


3% 


Teifen Wind, wenn die Schafe geſchoren find *). — Du — 
ſter bethe, du Fürft vertrete, du Bauer gaͤte (ausgaͤte das Mir 
‚Fraut). — Lautenfunft macht bey Sungfraun Gunſt. — Im— 
mer dran, verderbt Roß und Mann. — Zwey harte Stein’ 
mahlen ſelten klein. — Es iſt keine Hab’, fie geht auf und ab. 
— Zwifhen Thür und Wand Iege niemand feine Hand. — 
KeinMefler harter fhiert, als wenn ein Knecht Herr wird. 
— Sreundfchaft ift mehr. Noth, als Waller und, Brot. — 
Hochzeitgehen, Kinderheben iſt ein’ Ehr', macht aber den Sec— 
kel leer. — Koſtete jede Lüg' ein Pfund, man löge nicht zu 
aller Stund. — Eigen Neft balt wie Mauer fell. — Dem ct 
kein Glück befchert, der dei fih wehrt. — Gewalt, Geld. und 
Gunſt ſchwaͤcht Recht, Ehr' und Kunft. — Was du haft, 
dep bift du Gaſt. — Kein Ort, der nicht verräth den Mord. 
— Thor, laß dir machen ein Ohr! — Die Noth bat auch 
morgen Brot. — Armuth im Alter wehe thut. — Beſchert 
‚Gott den Hafen, fa befchert er au) den Wafen. — EN 
Ban mehr, als aller Bege Lehr. 


16. 


Das alte deutfhe Sprihwort in feiner ‚Vorliebe zur 
Haustracht, zur Kürze, zum Reime ꝛc. bat nicht nur. Feinen 
Sinn für die Orthodorie der gebildeten Sprache, fondern ift 
auch im Befige eines angeerbten Privilegiumg, neue Worte zu 
‚erfchaffen, wenn e3 der Nachdruck, die Kürze, die Laune for⸗ 
dern. 

Die deutſchen Sprichwoͤrter ſind unſern jungen Weltre⸗ 
formatoren ähnlich, die die alten Geſetze mit Fuͤßen treten, 
und neue aus dem Aermel ſchütteln. Nur gelingt es den 
Sprichwörtern beſſer, der Wahrheit Vorſchub zu thun als 
dieſen, der Gerechtigkeit. 

Anſtatt zu ſagen: wenn du jedem ohne nähere Priifung 
dich und deine Sachen anvertraueft, fo kommſt du mie deiner 
Perfon, und mit deinen Sachen zu Schaden, fagt, das Sbrich⸗ 
wort: Trau-wohl reitet dad Pferd davon. 

Anſtatt: die Reichen finden leicht Eingang bey Hof, und 

viel Öunft am Hofe, fagt das RNOOEE, Hans: ee 
Bor Gnade AR Hof. 


) Ein englifhes Sprichwort auf deutſchen Boden wer 
pflangt. N 
3 


36 


Anftatt: wo viel Wein wählt, da wird viel Wein ges 
krunfen, fagt das Sprichwort: Voll-Land, Toll:Land. 
Anftatt: man Eann auf mancherley Weife zum Bettler 
werden : Es gehen viele Straßen nah Darbſtätt', und 
Mangelburg. erh, 
Anitatt; Mancher wird alt, ehe er verftändig. geworden, 
fagt das Sprichwort: Mancher greifet, eh’ er weifet. 
Anſtatt: den Spuck- und Geſpenſtergeſchichten Tiegt Eis 
gennuß oder Verliebtfeyn zu Grunde, fagt das Sprichwort: 
Wo's ſpuckt, daliebt oder Diebe fih's. - 
Bon den Reformationen: Beſſern ift oft Böſern. 
— Beſſern und Böſern fteht in gleiher Wag’. RI: 
Bon der Zeit: Zetit Schiefelmann Schickel⸗ 
mann wohnt an der Straße. n 3 
WVon der übertriebenen Sorge: Zu viel Fleiß 
und Sorge bricht das criftallene Glas fo gut als Hans Uns 
fleiß, und Kunz ohne Sorgen. — 
Von dem Witze, der überall Oberwitz ſeyn will: Es 
gilt keine andere Waare, wenn Witz bold die feine auslegt. 
Von dem Müßiggänger, der an Bettelſtab gera— 
then: Faulert muß zerriſſen gehen. 
Von der Verbeſſerung: Das Gute ſoll man nicht 


übergüten. 
Bon der Geduld: Das Unglück muß man über⸗bö—⸗ 


en. 
1 Von dem Blindfolgenden: Der Reuling folgs 
jähen Räthen. Ba RE 
Bon der Dürftigkeit: Das Mangel:H ol; hängt 
ihm vor der Thür. 
Bon der Seltenheit des Wenigredens: Spar» 
Wort ift bey den Frauen theuer , u 
Bon der Wahrheit: W 


de Aehnliche Sprichwörter find: ’3 thut nichts — hat 
viel ins Grab gelegt. — Eile ſehr — brady den Hals. — 
Bon Dankhab’ ſchmalzt man Feine Suppe. 

Andere Sprichwörter creiven zwar Eeine neuen Wörter, _ 
aber fchalten mit den alten nach Belieben. 3. B. — Was 
man Gott gibt, das armet nicht, (macht nicht arın). — 
Weit geherretund nah befreundet, (es if gut, fern 
vom Hofe zu feyn, und gute Zreunde am Hofe zu haben.) 


as Allmann fagt, ift gern 


37 


17. 


Das deutfche Sprichwort verbindet mit der Kürze, d. i. 
mit der&@infahheit gern vie Mannigfaltigfeit, mit 
der Einheit des Sinnes den Reihthum der Darftellung. 
Und gerade hierin zeigt fih das Genie des deutſchen 
Sprihwortes am deutlihiten. Reichthum, Mans 
nıgfaltigfeitaufeiner, Einheit, Einfachheit auf 
- der andern Seite find für jedes offene Auge die auffallenditen 
Charaktere deutfcher Sprichwörter. Der Verftand gießt ſich 
in alle Formen, und prägt ſich in allen Formen aus, und fpie= 
gelt jih in allen Gevragen, in allen Formen, und bey dem 
unendlihen Reichthume feiner Gepräge, feiner Formen ift es 
immer eine fehnell: hervorfpringende Wahrheit, die fih in der 
grogen Mannigfaltigfeit als Eine darftellt, und in auffallender 
Kürze und Einfachheit darftellt. 

So fannft du, ohne weit zu fuchen, von der Einen Leh— 
re: fieb auf das Kleine, denn ausdem Kleinen 
wird Großes, eine Menge Sprichwörter finden, die gleich- 
fan im Wettfampfe mit einander liegen, dasfelbe immer an: 
ders, immer fchöner zu fagen: Viele Tröpflein mahen Waf: 
fer. — Diele Reglein machen auch naß. — Viele Reislein 
machen einen flarfen Befen. — Viele Federlein machen ein 
Bett. — Viele Körnlein mahen einen Haufen. — Diele 
Glöcklein Elingen auch. — Von Eleinen Fifchlein werden die 
Hechte groß. — Viele Schrittlein machen eine Meile. — 
Diele Krümlein geben au) Brod. 

Daß alte lein ließ ich hier und überall ftehen, weil es 
mit zum Gepräge des alten deutfchen Sprichwortes gehört, und 
ed tönet gewiß in vielen Ohren lieblicher, als das gen, chen am 
Ende der Wörter. 

&o hat die Eine Lehre, erforfche dich felbft, unzählige 
Ausdrüde: Gud in dein eigen Häfelein. — Greif in den 
eigeh Buſen. — Sieh in dein eigen Spiel. — Sieh zus 
erft in dein Haus, darnach hinaus. — Kehr vor deiner 
Thür — Sieh in deiner Kühe nah. — Schau in die ei- 
gene Schüffel. | 

So hat die Eine fprichwörtliche Nedensart: Er hat zu 
viel gethan, mancherley Ausdrüde: Er hat über die Schnur 
gehauen. — Er hat den Efel übergürtet. — Er hat das Lied— 
Tein zu body angefangen. — Er hat um eine Note zu hoch ge— 
fungen. — Er hat die Armbruft überfpannt, — Er has den 


58 


Markſtein überſehen. — Der Hund hat ihm das Maß genom⸗ 
wen. — Er hat zu viel ins Glas gefeben. 

So ift die Kraft des Hungers auf, mandherley Meife be- 
zeichnet: Hunger und Karren ſtinkt übeLin. die Nafe. — Hunz 
ger macht fobe Bohnen ſüß. — Hunger macht aus Brot Leb⸗ 
kuchen. — Es muß gegeffen feyn, wenn ſchon der Galgen vor 
der Thür ſtünde. — Hunger ift der befte Koh. — Hunger iſt 
das beite Gewürz. — Hunger treibt hen Wolf aus dem Bufch. 
— Hunger treibt den Wolf.über Schnee und Eis. — Hunger 
ift ein ſcharf Schwert. — Hungrige Zliegen beiffen ſcharf. — 
Hunger iſt ein guter Redner. 

So drückt ſich das Selbſtgefühl: ih werde wohl am 
meiften dabey zu leiden haben, auf folgende Weiſe 
aus: Es wird mir zu den Nägeln ausſchwären. — Die Ruthe 
ift für mic) gebunden. — Ich muß das Bad austrinfen. — 
Ich muß die gehe bezahlen. — Ich muß das Haar zum Rau⸗ 
fen hergeben. — Das Spiel ift auf meinen Sedel angefeben. 
— Das wird mein Rüden wohl empfinden. — Das muß ih 
auseffen. — Es wird über mich ausgehen. — Die Suse wird 
aber mich walzen u. f. w. 


J 


18. 


Dem deutſchen Sprichworte fehlt es nicht am Witze. 
Denn ſchon der Reichthum, die Mannigfaltigkeit der 
Darſtellung, ſetzet Witz voraus. Der Witz zeigt ſich aber am 
ſchönſten in neuen, originellen Zuſammenſtellungen, die 
durch das Neue überraſchen, und durch das Originelle zum 
Naͤchſinnen nöthigen. 3. B. 

Von dem Schlafe: Es iſt Fein größerer Wucherer 
als der Schlaf, er ſtiehlt ung das Halbtheil des Lebens.“ 

a Bon dem Worthalten: Man fahtdas Pferd beym 
un den Mann bey. feinem Wort. 

Bon Frauenliebe: Fürſtengunſt, Frauenlieb und 
Roſenblätter, find wie das Aprillenwetter. 

Von dem Reihthbume: Reichthum bat Adlerflügel 
und ein Haſenherz. 

Bonder Sanftmutb:. Ein Gefunder ift gefchieft 
zum Gehen, eın Weifer zum Rathen, ein Sanftinüthiger zum 
überfommen. 

Bon Schulden: Schulden, Alter und Tod Eommen 
unangemeldet ins - 


» 


— 


39 


Oft gefällt der Witz des Sprichwortes durch Wieder- 
hohlung des Einen und Zuſammenſtellung des Vie— 
In: Zalfc Lieb, falſch Freund , falſch Waar, falſch Rath, 
falſch Geld, finde man jegt in aller Welt. 


19. 


Wie der Wis des deutſchen I A in Teichten 
Gleichungen, fo lebt er inleigten und furzen Gegen— 
fätzen. 

Lange Haare, Furzer Sinn. — Viel Wort, wenig Herz. 
— LangKleider, Eurzer Sinn. — Fette Küchen, mager Erb. 
— Fried nährt, Unfried zehrt. — Zunge Reiter, alte Bett: 
ler. Lange Sratwürft, Furze Predigt. (lieben die Bauern 
em Kirhweihfefte.) — Hochſchwören zeigt tiefe Lügen. — 
Mit EurzerKoft halt man am längſten Haus. — Man ändert 
fih oft, und beffert fi) felten. — Alte Schuh verwirft man 
leicht, alte Sitten fhwerlid. — Se mehr Gefeß, ie wehiger 
Recht. — Der Morgen forgt, der Abend verzehrt. — Junger 
E pringer, alter Stelzer, — Sunger Schleminer, alter Bett: 
ler. — Früh Summet, fpat ein Zilzhut. 


20. i 
Gelingt es dem Wiße des deutfchen Sprihwortes, die 


Gegenſatze in Bilder einzufaſſen, fo iſt fein Eindruck nur noch 
B. 


tiefer, ſeine Geſtalt lieblicher. 

Von Aenderung der Anſichten: Mancher iſt 
einem ein Dorn im Auge; könnte er ihn nad) dem Tode 
mit den Nägeln wieder ausgtaben, er würde es nicht 
fparen. 
Bonden Nachbarn: Guter Nachbar, guter Mor: 
gen, böſer Nachbar, ewiger Krieg. 

Bon mancherley Erwerbmitteln: Mahler 
Fönnen nicht -verderben; geräth der Engel nicht, fo mahlen fie 


‚einen Teufel. 


21. 
Oft ift das deutfche Sprichwort wißig genug, ein Bio: 


‚graph zu ſeyn. i 


So fand ich in einer Sammlung von Sprichwörtern die 
ganze Lebensgeſchichte des Neides in einem Sprichworte ausge— 
drückt: Der Neid wird zu Hof geboren, auf der Univer fi 
tät erzogen, und im Klofter ernährt, bis er endlich im 
Spitale fürbe, 


46 


"22. 


In fo fern der Wig des deutſchen Sprihwortes fein Le⸗ 
ben in Gleichungen hat; wählt er ſich entweder das: wie, 
ſo, zur Leibform, (zur Uniform) zumahl fie auch dem’ Be: 
dürfniffe der Kürze fo fehr entiprihe: Wie das Vieh, fo der 
Stall. — Wie der Dienft,' fo der Diener. — Wie der Vo— 
gel, fo das Neft. — Wie bie Frau, fo die Magd; wie ber 
Herr, fo der Knecht. 

Dder er macht das wie, fo, durch nähere Beſtim— 
mungen entbehrlich. 3. B. Bauermdienft, Bauern: 
Iobn. — Herrendienft, Herrenlohn. — Gute 
Zudt, gute Frucht. — Rauhe Weid', rauhe Leut. 

Oft war dem Sprichworte das wie, ſo, nicht kurz und 
wohlklingend genug; deßhalb wiederhohlte es das: ſo z. B. 
So Geld, fo Waar. — — Vieh, ſo Stall. 


23. 


Wie der Big des deutfchen Sprichwortes das Gleiche 
zufammenftellt, fo findet er auch leicht das Zufammenge- 
börige, und deßhalb wird das: gehört zum — daß: iſt 
recht für — eine traute Form des deutfchen Sprichwortes. 

PR Me Kunft: Es gehört mehr zum Tanz, als rothe 

Zur Ritterſchaft: Die Feder gehört auf den Hut, 
das Schwert um die Lende, und Muth ins Herz. 

Zum Geſchirr: Auf ein hölzern Geſchirr, gehört ein 
bölzerner Deckel. — Dies ift der vechte Zapfen zum Loch. — 
Dos ift Frumm Holz zum Löffel. — Das ift der rechte, Vogel 
für das Neſt. 

Jedes zu dem Seinen: Der Bauer hinter den 
Pflug, der Eſel in die Mühle, der Schüler in die Schule. 

Zum groben Blode: Zum groben Blocde gehört 
eine Bauernart. 

Zur Schönheit bes Reibes: Zum fehönen Haufe 
gehört ein ſchöner Wirth. 

Zum Drefhen: Dem Dreſcher gehört ein Flegel in _ 
die Hand, 

Zum harten Brote: Zum harten Brot, zur harten 
Nuß, gehören ſcharfe Zähne. 

Zur Frömmigkeit: Es gehört viel zur Haushaltung/ 
aber * mir zur Srömmigfeit, 








4 


Zufammen: Faule Eyer, und ftinfende Butier ge— 
hören zuſammen. 

Zu einem ſolchen Kopfe: Auf einen ſolchen Kopf 
gehört eine ſolche Lauge. 

Maulund Salat: Das ıft ein rechter Salat für 
das Maul. — Diſtelkraut ift-dev rechte Salat für den Efel. 


24. 


| Dem Witze des deutfchen Sprichwortes thut das: Mo, 
- da, treffliche Dienfte, wenn es den Zufammenhang, oder den 
Widerſpruch Furz und Flar bezeichnen will. 3. 
Die Beftehlihkeit des Bofen: Wo es Gold 
vor:regnet, da regnet es Laſter nad. 


Glück und Hochmuth: Wo Glück aufgeht, da 
gebt Demuth unter. 


Liebe und Freude: Wo man Liebe fäet, da wächſt 
Freude heraus. 

Samilienfreude: Wo man Mater und Mutter 
ſpricht, da hört man die freundtichften Nahmen. 

Beſtechlichkeit des Richters: Wo man mitgol: 
denen Büchſen ſchießt, da hat das Recht fein Schloß verloren. 

Macht des Geldes: Wo der Pfennig lautet, da 
gehen alle Thüren auf. 

25. 


Der Wiß des deutſchen Sprichwortes Fann dnigmae 
tif (räthfelartig) feyn; entweder um den Stachel zu ver- 
bergen, bis er im Herzen darin ftecft, oder, um zum Nachjin- 
nen zu nöthigen. 3. B. 

Bon der Armuth: Armuth hat um einen Sinn 
mehr, ald andere Leute. — Armuth hat einen fehften Sinn. 
(Die Noth mat erfinderifch.) 

Bon der Liebe: Die Liebe neigt ſich auf die Seite, 
wo die Tafche hangt. (Ein junges Weib liebt an ihrem alten 
Manne das Geld.) 

Ungleihe Heirath: Ein alter Mann, ein junges 
Weib, zwey gewiffe Kinder. (Hier it dem Sprichworte 
der Doppelfinn gelaffen, und der Stachel fteckt in dein: ge: 
wiffe Kinder.) 

Däs almählige Neifender Saat: Zeit bringt alles 
Getreid, nicht der Acer. 

Kein Streit mit Dreyen: Behüth und Bott vor 
drey Sabelftihen: — fie madhen neun Löcher. 


42 ? 


DasNuhfommen des Schlechtern: Böfe Kin 
der machen den Water fromm. 


26. 


Oft ift das Raͤthſelhafte dem, der Eeinen Schlüffel 
bat, durchaus unverftändlih. 

. B. Wo der Rab ſitzt auf dem Dach, und der 
Fuchs vor der Thür: dar hüthet fih Roß und Mann dafür. 
-— Hier gibt aber der nachſtehende Neim den Schlüſſel: 
— Kopf, rother Bart, böſe Art. 


27. 


Das deutſche Sprichwort iſt nicht bloß räthſelartig; 
es will manches Mahl mit Fleiß zweydeutig feyn. 

3. B. Das Sprihwort: Graues Haar wächſt auch auf 
einem jungen Kopf, — iſt ald Satyre paflend; denn da 
ftraft es den, der in Eurzer Zeit viel gelebt, und fich vor dem 
Ende des Frühlings den Herbft herbeygeführt hat. Es ift aber 
auch in einem guten Sinne wahr; denn wer in den frühen 
Sahren Verftand und Tugend zeigt, wird wohl ein edler 
Mann, und ein weifer Greis werden, 


28. 


Der Wis des deutfhen Sprichwortes kann fein und 
naiv ſeyn, wenn er wil. Sein und naiv zeichnet das 
Sorichwort 3 

Die Erftürmer, bie nichts erſtürmen: Das 
Etindtein bringt's. 

Die Vielſorger, die nichts erſorgen: Laß 
die Vögelein ſorgen, die ſchwache Beinlein haben. | 

Die Buntfhwätzer: Ein Brieflein ware gut dazu. 
Die Verächter der EFleinen Statur an ta: 
pfern Menſchen: Männlein hat Mannsherz. 

Die luftigen Brüder, die an nichts Unſicht— 
bares mehr glauben: Die Welt fpinnt lauter grobes 
Bam _ ß 

‚Die Gelehrten, die oben anfeyn wollen: 
Die Schreibfeder will Kaiferinn bleiben. 
k Das Schweigenfönnen: Mit Schweigen verredt 
man fih nicht. — Schweigen verantwortet viel. — Zeitige 
Dede Fommt wohl. 

Die Eintracht: Eintracht trägt ein. 


1 


s 48 


Die Traume: Der Schlaf it ein Betrüger: im 
Traume bringt er Gold, beym Erwachen hohlt er’3 wieder. 
Die Genügfamfeit des Armen: Es ifk viel 
Speife in den Zurchen der Armen. _ 
Die Mutterliebe: Lieben Kindern gibt man viele 
Nahmen. 


Die Neigung der Großältern: Es iſt nichts 
liebers als Kindes Kind. , 

Die Selbtfuht: Vor einem Schal im Haus kann 
man ſich ſchwerlich hüthen. 
Die Spaltungen in Staaten und in Kirchen: 
Geſpaltene Glocke hat böfen Ton. 


20. 


Der Wis audy des gemeinen Sprichwortes Eann fo Eühn 
mablerifh, und fo mannigfaltig in feinen Schilde: 
rungen feyn, daß der, dem fo ein Gemählde plöglich in das 


Auge fällt, davor ftille fteben, und ftaunen muß. 


So mahlet es die Un möglichkeit: Der will über 
feinen Schatten ſpringen *). — Der will auf Sonnenſtrah— 


“Ien reiten. — Der will das Waffer aus dem Schnee drüc- 


Een , und Schnee behalten. — Zehn Straffenrauber Eönnen 
einem Nackten Fein Hemd ausziehen. 


50 
Der Wis des deutfhen Sprichwortes verſchmähet die 
leihten Wortfpiele nidt. 
Durch befinnen Eann man’s erfinnen. 
Der Bor:-Mund nimmt fo viel, daß dem Nach— 


Mund nichts mehr übrig bleibt. — Worforge verhüthet 
Nach forge. — Ein Saher gibt Eeinen’ guten Jäger. (Zu 


ſchneil fängt nichts.) — Ungebeiffen Für nehmen hat Fein 


gut Aufnehmen. 





*) Hier und an vielen andern Stellen nahm ich, der Kür 
ze und Klarheit wegen, die Benfpiele fomohl aus den 
eigentlihden Sprihwörtern, als aus deh fpricd- 
wörtliden Redensarten, ob ich gleich legtern 
noch einen befondern Platz vorbehielt. 


\ 


44 — 
31. | ! 

Der Wis des deutfchen Sprichwortes geht bis zur Pa- 
. sadorie *). 

3: ®. a) Der Sieg ift bey dem Ueberwundenen, — 
oder: die Zrommen fiegen im Erliegen. — b) Gott läßt 
fih nicht er- laufen. — Staupitz bat dieſes Paradoron fo 
ausgedruckt: Gott laßt ſich er-ichleihen, aber nicht er-laufen. 
Der Sinn ıft der: Laufen und Nennen thut's nicht, aber 
ftill harren bringt’s. Dies ıft auch die eigene ſprichwört⸗ 
liche Form. — c) Die rechten Todten muß man nicht in den 
Gräbern fuhen. — (Denn der Tod des Geiſtes iſt der rechte 
od.) 

32, 

Der Wiß des deutfchen Sprichwortes. haft das Unbe— 
flimmte, und ift deßhalb, wo es wohl feyn Eann, arithmetiſch, 
fpart aber fait immer das, was er fcharf bezeichnen will, ans 
Ende 23.8. 

Die Tragheit der Knechte: Drey Dinge thun 
nichts, ohne gefchlagen zu feyn, die Glocke, ein Efel, 
der faule Knedt. 

Die Geduld ayf Heifen: Wer glücklich reifen will, 
muß vier Sacel mittragen, den erften gefüllt mit Gefund- 
heit, den zweyten mit Gold, den dritten mit einem guten 
©efährten, den vierten mit Geduld. 

Die Befhwerden des Lehramtes: Drey Arbeis 
ten find die fchwerften auf Erde: Des Regierenden, der Ger 
bahrenden , des Lehrenden **). 

Die Volksmaffe: Drey Dinge find nicht aufzuhal— 
ten: Waffer, Seuer, Bolfsmaffe. 





) Sebaflian Fran? hat die Paradora gefammelt in feiner 
wenig befannten Schrift: Paradoxa ducenta octoginta , 
das ift, CCLXXX Wunderred und gleihfam Raͤterſchaft 
‘aus der 6, Schrift, fo von allem Fleyſch ungleublich, 
und unmar find, doch wider der ganzen Welt Wohn und 
——— gewiß und war. Item aller in Gott philoſophi— 
tender Ehriften rechte göttliche Philofophei und deutſche 

Theologei 2c. ꝛc. 2c. u 


° 
*) Dies Sprichwort fchreibt fih von Melanchton her, wer 
nigflens ſchreibt man es ihn zu. 


45 


Die Reichtfertigkeit der Tiederlihen Dire 
nen: Drey Dinge gucken allweg heraus: Strob im Schuh, 
Spindel im Sad, und ein H. im Haus. 

Selbſtthun: Selbſt thur’s gar, Heiffen bie, 
Hälfte, Bitten ift umfonft. 

Die Verfolgung der Wahrheit: Mier gute 
Mütter gebahren vier böfe Töchter: Sicherheit — ©efahr, 
Reichthum — Hohmuth, Freundlichkeit — Verach— 
tung, Wahrheit — Verfolgung. 

Der Neid: Kleider frißt die Motte, Herzen die Gore 
ge, den Neidhart der Mei. 

Sicherheit vor Ungemadh: Laß den Edelleuten 
ihr Wildpret, den Bauern ihre Kirchweih, den Hunden ihr 
Spiel, fo bleibft du ungerauft. 

Die Probe: Das Gold wird probirt durchs Feuer, 
die Frau durchs Gold, ber Mann durch die Frau,  - 

Schlechte Hanvdelfhaft: Wer von dem Schnei⸗ 
der den Zwirn Fauft, von dem Schmid die Kohle, und vom 
Bäder das Korn, der gebt mit feiner Kaufmannſchaft ver: 
lor'n. 

Ehre des Alten: Alt Freund, alt Wein, alt Gelb, 
führt den Preis in aller Welt. 

Sugendfeinde: Bey Mufik, Lieb" und Wein, muß 
die Jugend verdorben feyn. 

Unverborgen: Huften, Rauch und Liebe laſſen ſich 
nicht verheimlichen. 

Leere Plätze: Soldaten, Waffer und Feuer, wo bie 
überhand nehinen, da machen fie wüſte Pläße. 

Der Fang: Mit Hunden fängt man die Hafen, mit 
Loben die Narren, mit Gold die Frauen, 

Das Neue: Neue Schuhe und neue Beamten liegen 
härter an, als die alten. Pit 

⸗ Der Geitz: Der Geitz und der Bettelſack ſind boden⸗ 


los. 

Frage nicht woher: Den tapfern Mann und den 
guten Wein ſoll man nicht nach ſeinem Herkommen fragen. 
Drey Uebel: Feuersbrunſt, Waſſerfluth, Weibertück 

find über ale Stud.» , ‘ 
Kein Scherz: Ehre, Glaube und Auge leiden Feinen 
etz. 
Das Glück: Das Glüuck has Weiberart, Tiebt die 
Sugend, und wechſelt gern. N 


/ 


46 


ga Holz, Haar und Unglück wachſen über 
Nacht. DER 

Die Sorge bannen: Die Gorge verfhläft der 
Wälſche, verweint der Spanier , verfingt der Franzos, vers 
trinft der Deutfche. 

Der Tod des Wuherers: Wenn der Wucherer 
ftirbt, fo freuen fi vier: der Erbe wegen des Geldes, der 
Glöckner wegen der Leiche, der Arıne wegen des wohl- - 
feilen rotes, und der Teufel wegen der Seele. 

; Das brave Weib: Der Fiſch iſt gern im Waſſer, 
der Vogel in der Luft, das brave Weib daheim. 

‚Die Veränderung: Wein, Weiber und hohe Wür- 
den änbern den. ganzen Menfchen. 

: Das unfreundlide Weib: ‚Drey Dinge find läſtig, 
ein Wurm.im Ohr, ein Rauch im Aug, ein zänkiſch Weib im 


8 
Der Dieb: Der Mönch gehört ing Klofter, derFiſch 
ins Waffer , der Dieb an den Galgen. 

Der Rath: Sm Laufen ſchnell, im Kaufen bedacht⸗ 
fam, im Rathen langfam. 

Geheimniß: Drey Dinge leiden Eeinen Mitgenoß, 
Kegiment, Liebe, Geheimniß. 

Die Liebe: Dreyen Rathgebern traue nicht leicht: dem 
Wein, der Nacht, der Liebe. 

Der Menfh: An der Farbe erkennt man das Tuch, 
am Gefchmak den Wein, am Geruch die Blume, am Worte 
den Mann. 

Liebe, Luſt, Arbeit: Liebe, macht Luft, Luft macht. 
die Arbeit leicht, Arbeit macht die Zeit Eurz. 

Die unwerthbe Mutter: Eine Mühle, bie nicht ums 
geht; sein Backofen, der nicht heiß ift, und eine Mutter, die 
nicht gern daheim iſt, ſind unwerth. 

Jedem das Seine: Der Kirche den Bann, der 
Obrigkeit das Schwert, den Aeltern die Ruth'. 

Viel Sachen; Narren, Kinder, Affen haben gern 
viel Farben. 

Fechtkunſt: Wider Gewohnheit, wider Wahrheit 
und wider Gewalt iſt bös fechten. 

Polizey: Dreyerley fol man aus den Städten hin— 
ausführen: Sieche, Todte, Bettler (die noch arbeiten Eönnen)., 

Die Frau: Das Alter, das Amt, die Frauen ſoll mar 
ebren. — — 


47 


Die Waffen der Kirche: Die Kirche hat viererley 
Waffen, Gottes Wort, Glaube, Gebeth, und Geduld. 

Drey Schläfer: Ölaube, Liebe, Treu’, fchlafen lei⸗ 
der! alle drey. 

Sreyer Sprud: Dreyerley Leuten muß man hren 
freyen Spruch laſſen, Herren, Kindern, Narren. 

Sittliche Rechnungskunſt: Gut verloren, 
nichts verloren, Muth verloren, halb verloren, Ehre ver— 
Ioren, Alles verforen. 
Unmdglidhe Vergeltung: Gott, Xeltern, und 
Lehrmeiftern kann man Gleiches nicht vergelten. 


55. 


Schon die angeführten Beyſpiele zeigen, daß die 

Dreyzahl dem deutſchen Sprichworte viel werth iſt; ob es. 
gleich auch die Vierzahl nicht verſchmaht. Wenn es aber 
zur Drey oder Vierzahl reimen kann, dann hat es den Gipfel 
der Volkspoeſie erreiht. 3. B. 

Von der Trunfenheit: Affen, rauen, Kinder, 
trunfner Mann, fein Ding lang heimlich halten Eann. 

Bon jungen Geiſtlichen, die ihren Weltfinn 
nur mit dem Chorrocfe decken: Alte Affen, junge 
Kae wilde Bären foll niemand ın fein Haus begehren. 

Der Herr: Das Wetter Eennt man am Wind, den 
Bater am Kınd, den Herin am Gefind. 

Der Thor: Den Vogel Eennt man am Gefang, den 
Hafen am Klang, den Efel am Ohr, am Wort den Thor. 

Was man foll: Alte ehren, Sunge lehren, Weife 
fragen, Narren tragen. 

Faule Werke; Beichten ohne Neu, Lieben ohne 
Zreu’, Geben nur zum Schein, faule Werke ſeyn (find). 

Die drey beften Dinge in diefem Leben find: 
—— Huld, des Gewiſſens Unſchuld, und des Mannes 

eduld. 
Bon der Freundſchaft: Freund in der Noth, 
Sreund im Tod, Freund hinter dem Rücken, das find 
drey ſtarke Brücken. 

Allezeit gut: Der Zungen That, der Alten Rath, 
der Männer Muth, find allzeit gut. 

Bon der Uneinigfeit: Drey Dinge find nimmer 
Eins im Haus: Zwey Hahnen, und die Kaß und‘ Maus; 
die Schwieger jagt die Schnur hinaus. 


48 | | 

Der Schwag er: Alte Brücd i ein falbes. Pferb, 
ſchnelle That, nicht wohl erwogen, ein Schwager und ein 
Erlen-Bogen; wenn bie beſtehn, find lobenswerth. 
34. 


Der Wis des deutfhen Sprichwortes weiß von den 


Zahlen noch auf manderley treffende Weifen Gebrauch 
gu machen. ini 

3. B. Wer auf drey Heller geboren ift, kommt nicht 
auf zwey Pfennige, wenn ihn auch glei alle feine Freunde 
dazu hülfen. — . Ein gut Yiedlein darf man dreymahl ſin— 
gen. — Wenn Bott fünf fegnet, fo fegnet er auch ſechs. — 
Man Eommt mit einem Handwerk weiter, ald mit: taufend 
Gulden. — Eine Kuh im Frieden ift. beffer, ald drey im Kriegs 
— Gelig, wer feinen Gott alle Tage fieht, und feinen Erb- 


herren einmahl im Jahr! — Einer hat es, der Andere hats 
gehabt, der Dritte hatt’ e8 gern (das Geld). 
1 Pe 


Wie das Sprichwort durh Zahlen dem Gedadtniffe _ 
zu Hülfe Eommt, fo auch durch denfelben Anfangs— 


buchſtaben mehrerer Wörter, die es zufammenftellt. 8. B. 
Drey W. Drey W. find große Nauber: Wein, Wuür 


fel, Weib. — Der: Drey W maden viel Beutel leer: 


Würfel, Weiber, Weinbeer'. (Hier ward bloß um des Neimes 

wegen die Weinbeere zuleßt gejeßt, da doch der Vorzug offen: 

bar. dem Weibe gebührt.) y 

Fünf &. Die Hausmutter hat fünf K zu beforgen, 
Kinder, Kammer, Küche, Keller, Kleider. 

Drey F. Drey 5 find. aller Studenten Reichthum : 
friſch, fröhlich und frumm (fromm). Be; 5 
WVier F. frifh, fröhlid, fromm und frey, das andere 
Gott befohlen ſey. 
36. 


Das deutſche Sprichwort hat nicht nur Wis und Lau— 
no, fondern aud einen fatyrifhen Zahn (eine Spott: 
und Straf: Gabe) und kann seht pikant ſeyn, wenn es 
will, - S : 

- Bon der Kofetterie der alten Weiber: Wenn eim 


altes Weib tanzet, fo macht es dem Tode ein Hofredt. — 


Ein altes, geiles Weib ift dem Tode ein Zaftnachtsfpiel. 2; 


— — — 


49 


Bon den Diebſtahle: Es iſt ein gutes Handwerk, 
lohnt aber übel; es gibt genug, ſo lange Einer lebt. 

Von dem Selbſtgeſpräche: Rede nicht mit dir 
felber, font Fonnte man fagen: dein Zuhörer ſey ein Narr. 

Bon den Erben des Geitzigen: Die Erben des 
Beigigen find allmächtig; denn jie Finnen Todte erwecken (die 
vergrabenen Thaler). 

Von dem Stolze des Einheimiſchen: Der 
Kahn weiß fich viel auf feinem. Mifte, 

Von den vier Fakultäten: Meuer Theolog muf 
eine neue Hölle, neuer Jurift einen neuen Galgen, neuer 
Arzt einen neuen Kirchhof, neuer Philofoph eine neue Mar: 
venfappe haben. (Man ſieht diefem Sprichworte feinen ſpä— 
tern Urfprung an. 

Bon dem verarmten Verfhwender: Sein Ma: 
gen kocht gut, hat Haus und Hof verdauet. N 

Von der Schwiegermutter: Die befte Schwieger 
ift, die einen grünen Rod anhat. (Dieim Grabe liegt; auf 
deren Grabe Gras wädlt). Ä 

Bon Hofſchmeicheleyen: Neue Kegenten Eönnen 
eilf Kegel fheiben. — Große Frauen gebären in drey Mo: 
nathen. 
Bon dem Tanzfühtigen: Er tanzt, bis er. auf 
dein Rücken in die Kirche geht. (Zu Grabe getragen wird). 

Landsknechte: Landsknecht' und Bäckersſchwein', 
wollen allzeit gemaſtet ſeyn. 

Matürlihe Beredſamkeit: Es wird Fein Weib 
kumm geboren; fienwiffen alle wohl zu reden. 

VBerjhweigen des Geheimniſſes: Minner 
verfchweigen freinde, Weiber eigene Geheimniffe. 

Dank ohne That: Wenn Danfen einen Bagen Fo- 
ftete, fo behielt's Mander in feinem Säckel. 

Selbſtlob: Die Nachbarn find ihm fern; ey muß ſich 
ſelbſt Toben. 


- 


37. 


f Mandes Mahl verfteckt fih die Satyre in gefellige 
aune. 

: &o ftrafet das Sprichwort auf feine Weife ven Be- 
denflihen, der immer zehn Wenn in Bereitfchaft hat: 
Wenn die Sonne aufgeht, fo heif Gott dem Reifen am 
Zaune! — Wenn es regnet, fo ift der Schnee verdorben. 

Sailers Sprichw. ' Rei) nun | 


30 


Wenn der Himmel einfällt, fo find ale Töpfe und Bäume 
verfchlagen. -— Wenn der Himmel einfällt, fo Fonnen die 
Vögel Feine Nefter mehr bauen. — Wenn der Himmel eine 


fiele, fo bliebe Eein Zaunftecfen ganz.‘ 


Die Uneinigfeit der Eheleute: Wenn das Weib 
die Töpfe briht, und der Mann die Krüge, fo muß es im 
Haufe viele Scherben geben. 

Die Thorbeit: Wenn er einem Hafen fo ahnlich 
wäre, als einem Narren, fo hätten ihn die Hunde längſt zer— 
riffen. 

Den Nihtmwollenden, der ein NichtEönnen vorgibt: 
Die Nachtigall kann nicht fingen. — Die Krüppel Eönnen 
nicht hinken. 


38. 


Die Satyre des deutſchen Sprichwortes hat noch man- 
Bere andere Mänieren. Bald erfindet es Krankheit 
und Tod, um die Wahrheit ftarf, bleibend und beiffend zu 
fagen, z. ®. 

Anftatt, in dem Haufe, andem Hofe gibt man nicht 
gern, fagt es: Der Schenker iſt geftorben, der Geber hat ein 
Bein gebrohen, der Spender hat den Arm verloren, dem Zifchs 
decker ıft das Mark in den Anoden erfroren. 

Bald ſchafft ed ein neues Wort: Der Herr von Gebe 
baufen ift todt. 

Bald täufcht es mit ſcheinbaren Gegenſätzen: Die Mut— 
ter gibt theuer, die Tochter nicht wohlfeil. — Der Vater ſieht 
* u die Mutter thut das Auge zu. 

39. kur 

Selten ſtreift der Witz des deutſchen Sprichwortes an 
die Granze des Ge ſuchten Auch iſt, was etwa dem gebil— 
deten Geſchmacke geſucht wäre, dem Volkswitze wie gefunden, 
alſo natürlich. Z. B. Wo die Glocke von Leder iſt, und der 
Klöppel von N da hört man den Klang nicht 
fern. 


40. N 


Der WiE des deutfchen Sprichwortes weiß fiherzend Ja 
und Nein zu vereinigen. 3. B. Er fihlägt es aus, wie der 
Bettler das Almofen. — Wir wollen ihn bitten , wie man 
dem Efel thut. — Er thut es gern, wie die Bauern in den 
Thurn fleigen (in das Gefängniß). — Mander hat fo ein 


51 


eriges Gewiffen, daß man möchte mit einem Fuder Heu hin- 
durchfahren. — Der Zornige hat feine Sinne — big an fünf. 
— Ich fürchte mich vor Zehn nit, wenn ich allein bin. — 
Er gibt einen auten Kriegsmann ab, aber: hinter dem Ofen. 
— Er gibe mit den Munde, aber die Hände haltens feit. — 
Es weiß niemand davon, ald die jungen Kinder und alten 
Leute. — Du, er.beflern fih, wie die jungen Wälfe. — Gr 
wählt, wie die reife Gerfte. — Der Neidhart ift geftorben , 
bat aber viele Brüder binterlaffen. — Es find alle Menfchen 
vernunftig „das männliche und. weiblihe Geſchlecht ausges 
nommen. j 


41. [ 


Diefe fcherzende Laune des Sprichwortes wird dem Ges 
nius des Volkes noch gefälliger, wenn fie zugleich die Kalen: 
der: oder Allmanachsſprache vedet. 3. B. anftatt zu fagen,. 
das gefhieht gewiß nicht, fagt das Sprihwort: Auf 
St. Martini, wann die Störche Fommen, zu Weihnacht in 
ber Aernde, zu Pfingiten auf dem Eife. 

42. 


Die Kalenderfpradhe ſteht dem deutfhen Sprichworte 
noch auf mancherley andere Weifen zu Gebothe, wenn es wit: 
519 feyn will. 3. B. Der Magd Sonntag ift der Kühe ftil- 
‚ Ver Freytag. 2% f 

43. 

Das deutfhe Sprichwort ann auch derb und kraͤftig 
feyn, wie der deutiche Sinn, fagt die Wahrheit fo ftark, daß 
fie dem, der noch nicht alles Gefuhl verloren hat, durch Mark 

und Bein geht. 3. B. 
Bon der Raub: und Mordfudt: „Ein Menfh 
fol des Andern Gott feyn, und ift des Andern Wolf ger 
worden.’/ 

Bon der Eigenliebe: Wer fi felber ein Heiligthum 
ift, der ift dem Andern ein Gräuel. 2 

Von dem Egoiften: Wer fein felbft ift, der ift des 
Teufels Knecht. -: 

Manchmahl wird die Derbheit für zarte Ohren befeidie 
‚gend, z. B. Den Eigennutz, der die Menfchen wegwirft, 
fobald fie nicht mehr nüßen, ſchildert ein Sprichwort fo: Noife, 
die immer ziehen, hohlt der Shinder. — Wenn die Kuh 
nimmer Mil gibt, fo gehört fie unter ben Schlägel. 

4 


Manchmahl gränzt das Kräftige an das Triviale, z. B. 
Man muß mis Gott indie Hand ſpeyen. — Allen 
gerade diefes leitet auf die Erfinder des Sprudes, und auf 
die Sitte derfelben. Die fihwere Handarbeit zu verrichren 
haben, fangen fie damit an, daß jie in die Handefpepyen. 
Es wird überbem zu verfiehen gegeben, daß man’ alle Unter- 
nehmungen mit Gott anfangen folle; auch, daß man-bethen, 
und arbeiten müffe. J 

Der patriotiſche Haß gegen die Wanderungsſucht 
der Untüchtigen hat manchmahl den. derben Ausdruf hoch ge: 
nug gefteigert, z. B. Man treibt den Farren nah Montpelier: 
Er Eommt zurüc, und bleibt ein Stier. 

Gleiche Derbheit fpricht aus dem Worte: Es fteht tibel, 
wenn man einen Menfchen zu Gafte bittet, und dafür ein 
Wildſchwein nah Haufe ſchickt. — Und: Kleine Diebe hängt 
man an Salgen, die großen an goldene Ketten, — Und: 
Wenn die Herren eines Diebes bedürfen, fo nehmen fie ihn 
vorn Galgen; wenn fie feiner nicht mehr bedürfen, fo henken 
fie ihn wieder daran. — Und: Die Bauern bitten nichts fo 
hoch von Gott, als daß ihren Sunfern die Roffe nicht fterben ; 
denn fonft würden fie die Bauern mit Spornen reiten. 


44. 


Oft iſt das deutſche Sprichwort weiter nichts, als eine 
Tafel, welche die Beobachtungen der Natur aufbewahrt, und 
gefällt bloß durch die unerwartete Zuſammenſtellung 

3. f Ein Zaun währt drey Jahre, 
9.) Ein Hund überwährt drey Zäune, 
7.53 Ein Pferd drey Hunde, 

81. CL Ein Menfd drey Pferde, ’ 
goder durch die vollftandige Enimneration: Zehn Zahr 
ein Kind, zwanzig Jahr ein Züngling, dreyßig Jahr 
ein Mann, vierzig Jahr wohl gethan, fünfzig Jahr 
ftille ſtahn, ſech zig Jahr gehts Alter an, ſiebzig Jahr 
ein Greis, acht zig Jahr nimmer weiſ', neunzig Jahr der 
Eihost Spott, hundert Jahr Gnade Gott. 


neh 3 5 TR | 
Oft iſt es unuberfetzbares Wortfpiel, wodurd das 
Ba Sprichwort gefellt; indem es lachend eine ftrafende 
sahrheit jagt. 3.8. Es Bedarf Feiner Brille, der wohl durch 
die Fluger fieht. Ju 


I 


> 


46. 

Manchmahl ahmt das Sprichwort einem Naturns oder 

Sımfllaute nah, wenn es z. B. die Ungeftümeder 

Steigbettler zeichnen will. Trag ber, mehr ber, gebt 
mir, mangelt ihr, fo lauten der Bettler Glocken. 





} * 


ar. 


Das fi —— nr die: Steigerung, 
wenn es das Worzüglichere ausdrücken will, gernmit „„bef- 
fer, wobey es, um kurz zu feyn, das —9 weglaͤßt/ "und 
weglaſſen kann, ohne der Klarheit zu vergeben. i 

Bon dem lebendigen Worte: Befer-Ein leben⸗ 
diges Wort, als hundert todte. 

Vondemſtrafenden Freunde: Beſſer ein ſauer 
ſehender Freund, als ein ſüß lächelnder Feind 

Von dem Bedürfniffe: Beſſer —— 
zur Zeit, als ein Kelch vol Malvaſier zur Unzeit 

— Von dem Werthe des Geldes: efedein gutar 
Freund, als Silber und Gold: + Beſſer ohne Geld, als ohne 
Freund feyn. 

Bondem Werthe'der Tugend: Befler a mit 
Ehre, als reich mit Schande. 

Bon der Siherheit:Veffer auf dem Bande Art 
als auf den Meere veih, u 

"Vom Frieden in Dörfern: Beſſer ein bäuerifcher 
Sriede, als ein bürgerlicher Krieg. 

Kon der Predigt der Wahrheit: Beſſer Undank 
mit Wahrheit, als Dank mit Lüge. 

Von Erſparung des Undankes: Beſſer der erſte 
Undank, als der letzte. 

Von der Vollendung: Beſſer unbegonnen, als un⸗ 
vollendet. 

Von der Gewißheit der Habe: Beſſer ein halbes 
Ey, als eine leere Schale. — Beſſer ein Sperling in der 
Hand, als ein Kranich, der fliegt über Land. 

Von dem Mittelſtande: * ein reicher Bauer, 
als ein armer Edelmann. 

Bon Schonung des fa Ditaldı Beffer, man eſſe 
die Milch, als die Kuh, die Trauben, als den Stock. 

Wieder fragen: Beſſer zweymahl fragen, als ein= 
mahl irre geben. 


54 


Von dem geringen Schaden: Beſſer ein Senfter aus, 
‚als ein Haus ein. 

Won der Buffe: Beſſer umkehren, als unrecht geben. 
— Befler binter fid, als unrecht vor ſich geben. 

Schonung des Mitleidens:; Beſſer ein betrüb- 
tes Herj, als zwey. 

Selbſtſehen: Beſſer ein Auge-, als zehn Obrens 
zeugen. 
Bernünftige Ungeftüme: le zur Unzeit, 
als nimmermehr. 

Y Unverfigtigkeit: Beſſer blind und furchtſam⸗ als 


unvorſichtig. 

Kein © breit; Beſſer eine alte Schuld als eine 
neue Fehde. 

M arktangeleg enheit; Veffer "Sheuerkauf als 
Nichtsfeil. 


Anfhle ägige An ewort: Veſſer freundlich verſagen 
als unwillig zugeben. 

Nahe Hulfe: Veſere ein Nachbar an der —R 
als ein Freund über Land. 
Werthedes Wenigen: Beſſer etwas — nichts. 


“Me 
’ „a8. 
u min 331 


Das Deutfche ——— hat mancherley Berki eine 
zungsweifen; die befannitefte: uf ” den El ri ge: 
hr. worden, 

Wenn man ſagen will, er Hat wenig Ehre, ober we: 
J Verftand, oder wenig Berindgenz.:c fo ſagt dag 
Sprichwort: Eine Müde uhrt es auf dem Schwan; über 
den Rhein, - 

"Zn unfern Bependen drückt man dasfelbe ſchonender und 
fehmächer aus: Er kann fein ganzes ‚Vermögen ‚in einem 
Schnupftüchlein über das Hausdach hinüberwerfen. 

Oft dient das: Wohl auch, zum Ausdrucke der Ver⸗ 
kleinerung: Es findet: wohl auch ein Blinder ein Hufeifen — 
Es finder wohl auch ein blindes Huhn ein Weitzenkorn. 

Die geringe Habe: eines Menſchen hat einen beſon⸗ 
dern, poſſierlichen Ausdruck: Wenn er aufſpringt, ſo regt ſich 
all ſein Gut. — Wenn er — ſe ſpringt all * 
Habe mit ihm auf. 


ar 


85 
409. 

Das deutfche Sprichwort weiß ſich durch die Diminutiven 
(befonders in der Endung der Schwaben: und Schweißermund- 
art) fieblich zu machen. , Zu den vielen, bey mancherley An 
läſſen [yon gegebenen Beyfpielen noch ein Paar: Die Alte wird 


lieb gehalten, wenn fie Hellerflein hat. — Großen Zrieden 
trennt ein Elein.Säcklein mit Gold. 


r 50: 


Das deutfche Sprichwort warnet gern vor allem Leber: 
triebenen „und da ift ihm das Allyu das paffendfte Wort. 
Allzu gute Worte haben wenig Glaubens. — Allzu mild hilft 
zur Armuth. — Allzu gemein macht veradhter. — Allzu 
ſpitzig ſticht nicht. — Allzu ſtreng zerreißt. — Allzu ſcharf 
macht ſchartig. — Allzu weiſe iſt thöricht. — Allzu früh Eommt 
auch unrecht. — Allzu viel wiſſen macht Kopfwehe. — Allzu 
behend hat oft gefehlt. — Allzu gerecht thut e 


51. 


In der Einkleidung liebet das deutfche Sprichwort bag 
Ich und das Mein hervorzugiehen, da, wo das Sch und dag 
Mein die Lehre:befonders heraushebt. So beſchreibt es z. B. 

Die Gleichheit der Perſonen: Haſt du ein 
Schwan fo habe ich einen Degen. 

Die.Öleihhert der Rechte: Mein Pfennig. ift 
deines Pfennigs Bruder. = 

Die Gleihhert der Waare: Mein Pfeffer ift fo 
gut, als dein Syrup. (Ein weitphälifhes Sprichwort.) 

Bey uns ſagt man: Mein Pfeffer ift fo gut, als dein 
Saffran. 

Die bewieſene Vorſicht: Haͤtt' ich den Stein nicht 
gezogen, ich hatte das ganze Spiel verloren. 

Die üble Laune des Nahbars: „Heut will ich 
ihn nicht um feine Tochter bitten.‘ 

Das Gefühl der Zurückfetzung: Sch hätte 
mich gern gewäarmet; aber ich Eonnte richt zum Ofen Eoms 


. men. 
Die Schlechtigkeit des -Bettlers: Haͤtt' = 
dein Geld, und du meine Tugend! 
Das geringe Vermögen: Mir ift der Wucher ver- 
bothen; denn e3 fehlt mir an der Hauptfumme. 


50 


Die Nichtachtung des Fäfterwortes bey 
dem Bewußtienn der Unfguld: „Wenn ich den Rock 
ſchüttle, ſo fällt es ab. 

Die Nachgiebigkeit um bes Brotes wegen: 
Deß Brot ich eff’, deß Liedlein ich fing’. 

Die Marime der Selbftfuht: Das Hempd if 
mir naher, als der Rod. | 

Die Rebhnung bes Eigenthämers: Sf die 
Henne mein, fo gehören mir auch die Eyer. 
| Die Drohung: Ich will ihm eine Brille auf die Nafe 

ſetzen. 
Den Aufwand in ber Kühe: Wo mein Beutel 
aufgeht, da rauchet meine Küche. 
Die ee Achteſt du mein, A 
dein. 

Den Entſchluß im Ungtieke: Ich habe BERN 
ven unigeworfen, ich will einen Wagen wieder aufrichten! 

Die Erfahrungsweisheit: Ich bin wohl che nik 
folder Lauge gewafchen. 

Den Trotz im Wahne, den Andern zu über: 
Teben: Mit deinen Kneches will ich noch Birn und Aepfel 
herunterwerfen. 

Das Gefühl des Verachteten: Ich ſoll Unter: 
knecht und Fußtuch fenn. 

Die gewiſſe Erfenntnif: 34 Fönnte Einem wohl 
ein Liedlein davon fingen. 

- Die Buverfigt desTpätigen: Ich wag's, Gott 
vermag’s. 

Die Brehtigteit Ber menſchlichen Reden: 

Ich meinte, es wäre lauter Eichen, was die Leute fprechen, 
nun find es Eaum Linden, 
— Das Umbedeutende, das Unwertbe: Ich woll- 
te nicht eine Hand darum umkehren. — Ich geb’s um ein Stück 
Brot. — Ich werfe darum Feine Nußfchale weg.’ — Ich gebe 
Feine taube Nuß dafür. — Es iſt mir eben, als wenn es zu 
Rom donnerte. J 

Die Unbeftimmtheit: Ich will eine Feder 5 
ſen; der will ich folgen. — Sch will gehen, wohin mic die 
Süße tragen. 

Den Werth des Lebens: Wenn ih todt bin , fo 
gilt mir ein Rubenſchnitz fo viel, als ein Ducat. — Wenn ich 
fterbe, fo ftirbt die ganze Melt mıt mir. 


57 


Den ehrlichen —— Schwabenland iſt ein 
gut Land, ich will aber nicht wieder heim. 

Den Getäufdten, daeram Ziele gu seyn 
glaubt: Das Brot iſt mir aus den Zähnen geriffen, 

" Den Entſchluß: Sch will mich einmahl daraus reif 
fen — Ich will dadurch, und follt ich auch mit dem Kopf dars 
‚ in bangen bleiben. 

Die unſchickliche Antwort: Ich frage nad Ae— 
pfeln, und du antworteft mir von Birnen. 
— Glück und gute Winde: Hätt' ih Glück und 
guten Wind: ic führe in einem. Schüffelkerb über den 
Hein. 

S Die‘ Siebe: Wer ihm Leid ehut, greift mir in meine 
Augen. — Ich wollte lieber meiner Augen entbehren. — Ich 
wollte, mein Herz mir ihm theilen. — Ich habe ihn fo lieb, 
wie mein Leben. 

Die Befonnenheit: Darnach es mich anfiebt, darz 
nach thu ich. 

Beſitz und Bere, * in if ein bojer Mangel, 
> —* ein Di 


52. 


Auch das Wiriherricht in deutſchen Sprichwörtern, wie 
in ben Titeln der — —— ab in den ——— der Klei⸗ 
nem ZI 

Gleichheit ger Meniceng "MWir * durch ein 
Thor in die Kirche. — Wir ziehen Alle an Einem Joche. — 
Unſere Kleider ſind von Einerley Faden. — Wir ziehen Alle 
Ein Seil. — Ich und du tragen Waſſer an Einer Stange. 

—Ungleichheit der Menſchen: Wir haben nicht 
Alle Einen Kopf; wir müßten fonft Alle Einen Hut haben. 

Erinnerung an die Vergangenheit: Wir 
find auch Kinder geweien. 

Abweifung ſchwerer Räthſel: Das wollen wir 
die Gelehrteniausfechten laffen. ° 

Derhauszins: Bir wagen oder fchlafen; der Haus: 
zins ſchläft doch nicht. 

Gemaßigter Bang: Washaben wir zu eilen? Es 
jagt uns doch niemand. 

Unterfohied ver Talente: Wir Ahnen nicht Alle 
Papfi zu Rom werden, 


88 


53 


Das deutſche Sprichwort Tiebet' auch die zweyte Perſon 
— befonders, wenn es tadeln, ftrafen will. 

Die Einmifhung in fremde Handel: Was 
dich nicht brennt, follft du nicht Löfchen wollen. — Du haft 
viel zu fhaffen, und wenig iſt dir befohlen. — Du baft viel 
zu Ihaffen, und wenig auszurichten. — Du bift ein Hans in 
allen Saffen. 

Die Herrfhaft des Eigennutzes: Wo du bine 
Eommft, wirft du den Wirth daheim finden. 

Das Mißlingen: Du fehlteft der Thür’. 

Später Widerftand: Leideft du, daß dich Einer 
faſſe, ſo —* s, daß er dich zu Boden werfe. 


r Spott: Du mußt lange fpotten, bis du mir ein 


Ohr abfbotteft, 

Die Ungelehrigkeit: Du mußt lange ſehen, bis du 
mir etwas abſiehſt. 

Beſtrafung der halben Arbeit: Hänge mir die 
Thür ein, aber vergiß den Nagel nicht. 

Vergeltung: Du follft auch noch Schuh für deine 
Füße finden. 

Ermahnung zur That: Kannſt du's, fo treib's, 
weißt du's, fo üb's. 

Perfpectiv für unfleifige Stubenten: 
Willſt du nicht mit der Feder ſchreiben lernen, ſo ſchreib mit der 
Miſtgabel. 

Die Probe: Iſt Einer fromm; theile du nur ein Erb⸗ 
gut mit ihm, fo ſiehſt du es. 

Die Correction: Laß ihn eine Weile faften: fo ver- 
gebt ihm das Tanzen. 

Unfer Verhältniß zur Erde: Erde — du, von 

der Erde iſſeſt du, Erde wirft du. 
Erfahrung: Erfahr's, fo weißt du's. 

Drohung: Es wird dir im Garten wachfen. 

Die Gefihtsfprade: Man fiehts an deiner Nafe, 
daß du lügeſt. 

Gleiches geſellet ſich gern: Weiſe mir den 
Wirth; ich weiſe dir den Gaſt. 

Unmögliche Zuſage: Du willſt die mit Einer Tode 
ter zwey Eidame machen. 

Die Grobheit: Du bift gröber, als Bohnenſtroh. 


——— 


sg 


Selbft: Erwerb: Du follft die Füße nicht unter ei- 
ned Andern Tiſch fteden. h 
Rüge fremder —— Der Narrenfreſſer 
kommt, huͤthe dich 

Reichthum mit — — Hätte jedermann das 
Eeine, fo wäreſt du wohl fo arın als ein Anderer, 
Shlehre Waare: Wer dich Eennt, der Eauft dich 
nicht. — Es hebe dich auf, wer dich nicht kennt. 


54. / 


Das Man ft dem deutichen Sprichworte die baemnſt 
Form, wenn es verallgemeinen, und in Unbeſtimmt— 
heit bleiben will. Hui wohlan! verliert man die Schuhe, fo 
behalt man doc) die Füße. — Mean Eann mit Bettlern Feine 
Ehr einlegen. — Man Iäutet fo lange in die Meffe, bis fie 
Eommt. >" Man hat fich eher verredt, als verſchwiegen. — 
Man muß die Leute reden laffen; Ganfe Fonnens nicht. — 
Man muß die leute reden laſſen; die Fiſche könnens nicht. — 
Man muß mirden Pferden pflügen, die man hat. — Man ißt 
nicht Brot zu Kaſe, ſondern Kafe zuBrot. — Mit Geben wu: 
chert man am meilten. — Das Schöne laßt man nicht fromm 
fepn. — Man möcht es mit den Fingern greifen. — An Kün⸗ 
ſten trägt iman: ‚nicht fhwer, — Man Elopft immer zu früy 
an, wenn ınan Geld einfordert. — Man ich noch am Brey: 
— Man überredet oft Einen, daß er tanzet, der lieber weinte, 
— Ueber dem Berge drüben findet man auch Leute. 


35. 


Wenn das 'deutfhe Sprichwort nicht verallgemeinen, 
fondern auf Einige beſchränken will, fo braucht ed gern das: 
Mander Mancher forgt für die Wiege, eh dus Kind gebo- 
ren ift. — Mancher küßt Einen auf den Baden, und ſchlägt 
ihn mit der Fauſt in den Naden. — Es mag Mancher leben, 
der den Kaifer nicht gejeben hat. — Mander will die Laute 
ſchlagen, und weiß feinen Griff. — Nüchtern ift Mancher be- 
fheiden, vollungeberdig. — Mancher überfommt eine Madel; 
der ganze Rhein wuſche fie ihm nicht ab. 

56. | 
Wenn das Sprichwort den Sinn der Lehre nicht beſchraͤn⸗ 
Een, fondern ausdehnen wid, fo fteht ihm dag, wer, der, 
ſchicklich zur Hand. Wer mit Hunden ſchläft, ſteht mit Flö— 
hen auf. — Wer ſonſt nichts hat, der gibt Aepfel und Birn. 


60 


— er beym Holzhauer fteht, der. hat einen Span am Kopf 
zum Cohn. — Wer aus einem Stein einen Hofenbändel mar 
chen will, der hat unnüße Arbeit. — Wer ſäet, der mäbet. 
— Wer A fagt, muß wohl auch B fagen. — Wer eine Blus 
me mahblet, kann ihr doch den Geruch nicht geben. — Wer in 
die Mühle geht, der wird beftäubt. — Wer ein Haus baut, 
der bezahlt es. — Wer es kauft, der findet es. — Wer nicht 
anfpannt, dem kann man nicht vorſpannen. — Wer feinen 
Fuß in des Andern Schuh ftecfen will, muß zuvor das Maß 


recht nehmen. — Wer body fteigt, dem ift es nicht übel auge 


zudeuten, wenn er hoch fallt. — Wer ſchwere Dinge forfhet, 
dem wird's zu ſchwer. — Wer alle Tage feyert, der fraget 
nichts na dem Sonntag. — Wer wohl kann nachdenken, 
der darf nicht viel nachdenken. — Wer mir gab, der lehrte 
mich geben. — Wer nicht Kalk hat, muß mit Reim mauern. 
— Mer Brot hat, dem beut man Brot. — Wer wohl thut, 
der darf feinen Kranz aushangen. — Wer von fernen Landen 
lügt, der lügt mit Gewalt. — Wer in feinem Haus befchnenet 
wird, def erbarmt fi auch Gott nit. — Wer Kindern und 
Narren die Finger ins Maul fteckt, der ware gern gebiffen. — 
Mer des Spiels nicht kann, der foll zufeben, — Wer viel Ener 
bat, der macht viel Schalen. — Wer den Zeufel geladen hat, 
der muß ihm auch Arbeit geben. — Werden Schalk hinter 
ſich läßt, hat eine gute Tagreife gethan. st. in 





37. x 


Das deutihe Sprichwort Iegt dem, was es eindrücklich 
machen fol, ein Wollen bey, und bringt dadurch Leben in 
den todten Stoff. 3. B. AlesDing will: vor Rath, dann 
That haben. (Bor anftatt vorher, zuvor.) — DieWahrbeit 
will an Tag. — Die Welt: will betrogen ſeyn. — Daß 
Wetter will feinen Willen und Gang haben. —: Ungeredht 
But will zwey Schelme haben, einen, der’s gewinnt, den 
andern, der’s verthbut. — Das Waffer will über die Körbe 
gehen. — Wem das Gefieder will zu groß werden,. dem fchneis 
det die Welt die Federn ab. — Die Erde will Regen. — Das 
Zette will allzeit oben ſcwwimmen. — Sedes Ding will ei: 
nen Anfang haben. — Gut Ding will Weil haben. — Die 
Liebe will wag zu zanken haben. — Weiber und. Roffe wol 
len gewartet feyn. 


61 
58. 

Das deutfche Sprichwort legt dem, was es fharf ber 

zeichnen will, ein Wort in den Mund. 

Der Kable: Kein Haar, fagt der Kahlkopf. 
at Diet giftiggewaltfame: Ich komme doch noch ins 
Dorf, ſagt der Wolf. 

Die Freundſchaft der Böfen: Gleich und gleich 
defellt ſich gern, ſpricht der Teufel zum Köhler. 

Der Liftigdiebifhe: Wit einer Kunft Eommt man 
am beften fort, jagt die Kate zum Fuchs. 

Der Edel:Tapfere: Jh will feinen Hund beiffen, 
denn ih muß meine Zähne für den Wolf fparen, fagt der 
Schafhund. 

Die Liebe zur Freyheit: Freyheit geht vor Gold, 
fagte die Wachtel, und flog ins Holz. 

» Der Wafferfrug: Der Wafferkrug ift nimmer klug, 
ſpricht der Wein. 

Schläge, die nichts nützen: Wo Fein Zanf ift, 
da ift auch Eeine ER nr. der Glöckner, und ſchlug ſeine Hei⸗ 
ligen. 

59. 

Dem deutſchen Sprichworte gibt die Frage noch mehr 
‚Reben und Nachdruck, beſonders, wenn es rügen, ſtrafen, ver: 
kleinern will. So rügt es 

den Wahn der Unentbehrfigkeir: er leuchtete, 
eh du warſt? 

den Rechnungsfehler des — Was hilfts auf 
Stelzen gehen, um die Strümpfe zu ſchonen, wenn man dar— 
nach gar ins Koth fällt? 

den Adelſtolz: Als Adam hackt' und Eva ſpann, wo war 
der Edelmann? 

A Macht des Geldes: Was kann das liebe Gelb 
nicht 

die Altmacht: Will's Gott; wer wendet's? 


60, 


DieAnrede gib dem Sprichworte Gratie und Leben. 
2.8. Liebe Ruth’! feyerteft du, ich thate niminer gut. — 
Lieber ! laß Bauern auch Leute feyn! — Herr! vertrauet mir, 
was ihr wollet, nur keine Heimlichkeit. — 9 Urlaub, N 
fa! ich babe ein Bett überfommen. 


* 


62 
61. a 


Ueberhaupt gehört der Smperativ mit zu den Liebe 
fingsformen des deutfhen Sprihmertes. Che wieg's, dann 
wag’s. — Nimms zwiefach, iſt es dir einfach zu lang. — 
Denn du tanzen willft, fo.fies zu, welche du bey der Hand 
nimmft. — Wurf noh ein Mahl, fo trıffft du. — Warte des 
Deinen. — Rüde nicht, wenn du wohl fißeit. — Halt dich 
rein, acht dich Elein, — Schilt, daß du noch zu loben Plag 
haſt. — Nicht weiter ftred den Fuß, als die Dede gebt. 


62. 


Das deutfche Sprichwort hat in jeder deutfchen Provinz 
feine eigene Mundart, die fein Gepräge vollendet, und feine 
‚Heimath Eennbar macht; z. Be die Lehre, daß der gemeinen 
Sage immer etwas Wahres zu Grunde liege, drückt man 

in Schwaben fo aus: Man fagt felten zur Kuh': du Blaß- 
Te, außer fie hat ein Sterele. | 
“in den Gegenden, diean die Schweitz gränzen: Man fagt 
felten zur Kuh'; du Bläslin, außer jie hat ein Sterlin. 
in Bayern: Man fagt felten zur Kuh’; du Blasl, außer 
fie hat ein Ster'l. 
63. 


Daher Eommt auch ein unverfennbarer Unterfchied in den 
.. Geprägen der Sprihwdrter. Man kann, wern man fi in 
‚den Saınmlungen der Sprichwörter umfieht, dasWarerland 
des Sprichwortes oft genug aus der Mundart, fo wie das Als 
ter des Sprichwortes aus der größern oder Eleinern Spradrich- 
tigeit abnehmen. In diefer Sammlung ftehen ſächſiſche, 
ſchwäbiſche, bayerifhe, frankifche Sprichwörter nebeneinander, 
wie jeßt die Sachſen, Schwaben, Bayern, Franken in Einem 
Kriegsheere dienen. - | 
—J 64. 


Das deutſche Sprichwort verräth nicht nur die Provinz, 
in der es geboren, und in Umlauf iſt, ſondern nennt oft auch 
ſogar die Stadt, die Anlaß zur Entſtehung des Sprichwortes 
gegeben hat. 3. B. £ 

ER Bayernfageman: Das Munchnerkind'l kennt 
keinen höhern Thurm, als den Frauenthurm. 

In Franken: Wenn Nurnberg mein ware, fo würde 
ich es in Bamberg verzehren. 


65 


Am Rhein: Wenn Frankfurt mein wäre, wollt ich es 
in Maynz verzehren. 
In Meiſſen: Wenn Leipzig mein wäre, wollt ih es 
in Sreyberg verzehren. 


65. 


Das deutfhe Sprichwort verewigt nicht ſelten werthe 
Mahmen, und, bringt fie in den Mund der Völker. „Der 
treue &cfart warnet jedernann. — Hier geht eszu, wiean 
Königs Athur Hofe. — Wer gäbe, fo lange man nähme, 
der vergäbe fi) vor Naht, wenn er auch dreyer Fuger *) 
But hätte,’ ; 

66. 


Das deutfche Sprichwort überliefert fo, wie theure Nah— 
men, alfoauh dasBilddervergangenen Welt. 3.8. 
Hätte ich Wenediger Macht, Augsburger Pracht, Nürnberger 
Wis, Straßburger Gefhüß, Ulmer Geld, war’ ich Herr der 
ganzen Welt. AL 

Oft bewahrt es nur einzelne Ereigniffe auf, und damit 
eine große Lehre. a) Oppenheim ging an dem Funfen an, 
(Eine Feuersbrunft lehrt viel.) — b) Vergiftete Kirfchen brin- 
gen einen Herzog um. **) | 


67. 


Oft fehildert es die ſtehende Sitte mehrerer Provinzen 
z. B. Sachs, Bayer, Schwab und Frank, die lieben all den 
Trank. (Sept liebt ihn der Engländer und der Franzos we 
nicht noch mehr, doch gewiß eben fo fehr.) 
68. 


Auch weiß eine jede deutfche Provinz die andere mit Ve— 
zirfprüdhen zu neden. 

So fagen die Nichtweftphalinger von Weftphalen. Grob 
Brot, dünnes Bier, lange Meilen, 


i 


*) Diefer in ganz Deutfchland, und wohl auch außer Deutfch- 
land befannte Rahme Zuger verdiente es, nicht blog 
des Vermögens wegen, überall befannt zu fepn. 

**) Dies Sprichwort Datirt ih vom Jahre 1291, in welchem 
Herzog Frie der ich, Sohn des Markgrafen Dietrichs, 
des Weifen, auf dem Schloffe Hirienftein an der Elbe, an 
vergifteten Kirfchen ſtarb. 


64 
So wirft den tapfern Schwaben bie neckende Taune 
das ©egentheil vor. Hier jtehn wir Helden, fagt der Froſch 
zum Schwaben. — — 
Ueber uns Bayern fand ich ein ſeltſames Sprichwort: 
Gott ift Eein Baper. 
609. 


Einige Sprichwörter find bloß in den Orten ihrer Geburt 
verftändlich, und werden defwegen nie eigentliche Sprichwörs 
‚ter des deutfchen Volkes; fie find zu local, um allgemein 
werden zu können. 

So ift in einem bayerifchen Marfte das Sprichwort eins 
heimisch. Sanct Midhael läßt fih wacker aufs 
pfeifen; und Sanct Salvator muß es theuer 
begabten. — Das verfteht nun außer dem Orte niemant, 
und Eann es niemand verfteben. Der Ort bat zwey Kirchen; 
in einer ift St. Salvator, in derandern St Michael Paten, 
Mun iſt in der letzten, die die Pfarrkirche it, eine treffliche 
Kirchenmuſik; aber die Pfarrkirche hat wenig Einkommen; es 
müffen alſo die Koſten für die Muſik aus dem Fonde der Sal— 
vatorskirche beſtritten werden. — 


70. 


Einige Sprichwörter find aus den lateiniſchen Schulen 
ausgegangen, und haben fi) unter den Geiftlichen iind Staats» 
dienern fortgeerbet. Die lateinifchen Wörter laffen fie aber 
nie zur Currentmünze des deutfchen Volkes werden. 3.8. 
Wo lex voran, da fraus Gefpan. (Eine Satyre auf.die 
fhlechten Advocaten, oder auf die Vervielfältigung der Gefege.) 
— Und, Graf Ego bauet wohl, und bat ſchöne Pferde. 

BROS Ey 

Es gibt deutfche Sprichwörter, bie die ſpätere Zeit ihres 
Urfprunges verrathen. ' 

5 Lotterie: Lotterieloofe find Eingangszettel: ins Armen: 
aus. ? 
Poſten: Graues. Haar, des Todes Poftillion. 

Paſteten: ein einziges ſtinkendes Ey verderbt die 
‚ganze Paftete. 
0 Die drey Facultäten: Geiftliche reinigen das Ge— 
wiffen, Aerzte den Leib, Zuriften den’ Beutel. 
Die Meinungen der®elehrten: DieMenfhen 
machen Kalender, Gott der Herr das Wetter. 

Die 





85 

Die Freundfhaft: Treundfhaft it für ben Rei— 

een eine Gnade, für. den Armen ein Rent, für den Vertriebes 

nen ein Vaterland, für den Kranken hofmänniſche Tro— 
pfen. 


72. 


Das deutiche Sprichwort ift noch von einer andern Seite - 
chro nologiſch; denn wie die Nation in ihrer Bildung fort— 
fohreitet, fo werden auch die Sprichwörter, als ein Spiegel der 
Bildung, wie.an Inhalt tiefer, jo am Gepräge feiner. Aber 
dann find fie auch weniger Sprichwörter des ungebildeten Vol— 
fes, als Sprüche ‚dersgebildeten Einzelnen. Y . sun u. 7 
=  Bottes DOchn: Wenn die Sterne ein Concert fie: 
Ien, fo muß Einer feyn, "der den Chor vegiert, und die Melo- 
die erfann. RC HARFRREIT 

Die Spitze des Kirchthurms: Unfer Kirchthurm 
iſt ein Finger, der gen Himmel zeigt. 

Händefalten: Wenn ſich die Hände falten, ſollen 
ſich die Gedanken zuſammenhalten. ct 
Der Vorfatz: Der Borfatz forihr: ich will dei 
Löwen die Zunge aus dem Rachen reifen ; die That bedingt 
fih aus, daß ihm zuerft die Zähne ausgebrochen iderden. — 
. Einfalt des Gemüthes: Einfalt war by dem An— 
fange der Welt, Einfalt wird dey der Welt Ende fe. 
Diefe Sprichwoͤrter find acht deutſche, aber fie gehören 
nicht unter die gemeinen. ee 

Er, EBENE EL.. 2707 Drake 

Die deutihen Sprichwoͤrter der neueften Zeit, die in 
Schriften und in gebildeten Kreifen curfiren, haben an ein- 
heit des Gepräges einen Vorzug, aber aud. an innerer 
Leerhbeit.... denn fie haben gelernt, von Gbrt, von der 
Keuſchheit, von ver Gerechtigkeit, von dem Chr i- 
ftenthbume zu abfirahiren, und nur von Lebensgenuß und 
Compagnie zu forechen, und find dadurch ein. Bild der Zeit ges 
worden. Die Beyſpiele wird man mir erlaflen, 





Sailers Sprichw. s 


66 





Drittes Hauptftück. 


Bon deutfhen Sprichwoͤrtern, ihrem 
Juhalte nach betrachtet. 





Von dem allgemeinen ANDALE DFG er Sprich⸗ 
j worter. ai‘ 
Ä 1. 


Inhalt der alten deutſchen Sprichwörter hat ein Ei ne r⸗ 
ley; und zwar dies Einerley, daß fie deut ſche Sprichwörter 
find, und deutſche Spridwörter dem Inhalte nach. 
Die alten deutfhen Sprichwörter find 
deutfhe Sprichwörter, d.h. fie haben uns noch aufbe- 


halten, was in deutfchen Ländern, befonders in Hauptſtädten 


fhon dahin ift, oder wenigftens im Dahinſchwinden begriffen 
ift, „nen alten deutfhen Sinn.“ Und in diefer Hin— 
fiht find mir die Spridwörter Eoftlihe Reliquien des 
alten deutſchen Sinnes. 


er 


Diefer alte deutſche Sinn faßt in fi: — 
a) Die ungetrübte Ehrlichkeit, die unge— 


faͤlſchte Redlichkeit, befonders im Wortgeben 


und Worthalten: *) Ein Mann, fol ein Mann ſeyn. 
— EinWort, ein Wort. — Ein Mann, ein Mann. — Deut: 
fcher Mann, Ehrenmann. — Ehrlichkeit währt am längſten. 
— Frey, — und ohne Scheu. — Es ward aud deutfche 





*) Die Achtung für das gegebene Wort ging fo weit, daß 
nad Tacitus Einer, der auch nur im Spiele überwunz 
den ward, in des Andern Knechtfchaft ging, weil er feine 
Freyheit auf das Spiel gefest haste, 


5 


Treue, deuſcher Handſchlag, deutſches Verſprechen ꝛtſogar 
bey andern Völkern zum Sprichworte: Wo de u tſche Trebe 
u) deutihem Handſchlag finder. (Hagedorn) 
© bJ Die Geradheit, die Dftenheit,' die eine 
Tochter und Gefährtinn der Ehrlichkeit iſt: Ge: 
radezu iſt der nächſte Weg. — Hierher gehören auch die Re— 
densarten: Sch wilf dirs deutſch ſagen. — Er iſt ein alter 
Deutſcher. Deut ſch und gerade, dent ſ und Br 
blümt ift alſo einerley. 
9130) Das Hochgefühl für Recht und Gered- 
tigkeit: Recht iſt Recht. Recht muß Recht bleiben. — 
Recht wird Recht finden. — Was Rechtes leider nichts Schlech⸗ 
ted. — Des ungerechten Gutes fol ſich der dritte Erb nicht 
freuen. 
oo Muth, Tapferkeit in Wertheidnügumg 
des Baterlandes. Freyheit ift fo lieb, als ein Aug. — 
Freyheit ift fo lieb, als das Leben: — Frepheit ift lieber, als 
Aug und, Lesen. — Es ift Fein jharfer Schwert, als das für 
die Sreyheit freitet. — Schlag zuvor, darnach ſteck ein — 
Dem Feinde mit Gift nachſtellen, ift a — Friſch 
daran ſchlägt halb den Mann, 

e) Hohgefühlifür eheliche Sreue und Koufch⸗ 
peit: Mann und Weib find Ein Leid. — Dev Männer Ehre, 
der Frauen Ehre. — Der Weiber Schande ;. der Männer 
Schande. — Wer eine Hure zur Ehe nimmt, will zum Schel- 
me werden, 

f) Anerkennung der Würde vor allem Wer— 
the;des Guten wer alten Gütern» Beier Gut-los, 
als Ehr-los. — Armuth ſchändet nicht. — Armuth it Feine 
Unehr', — Recht gethan, iſt wohl gethan. — —— — 
iſt viel getban. 
g) Einfalt "ohne: Prunf und "Beet: 
Worte thuns nicht — Recht und ſchlecht⸗ das Kiert den 
Mann. 133613 ırl)jaAr 

h) Sobe sdchene vor N Lügen: Aufseine: Lüge 
gehört ein Badenftreih. — So ſchreibt Sr. Lukas nicht — 
©t. Paulus ſchreibt nicht alſo. tabs: 

i) Sinn für Freundſchaft und Treue gegen 
Freunde: Freundes Stimme, Gottes Stimme, — Freun— 
des Schläge, liede Schläge. 

-k) —— vor dem Alter: Km, Alter gebt vor, 


30: 


nn In 


68 
1) Achtung der Anverwandten: Niemand (hans 


det fein eigen Geſicht. — Niemand ſpeyet in ſeinen eigenen 
Bart. 


m). A Bebäßhtlidkeie: Bir 


—— drüber ſchlafen. — Morgen kommt Tag und * 
9 ö } 3. * 


11.19 

nee, Sprichwörter find befonders auffchließend in 
Hinfiht auf alte Sitten, alte Anfichten der Deutfchen.: 

So z. B. muß in deutfchen Landern die Srämerey 
fo unebrlich gehalten worden ſeyn, als in vielen Augen noch 
diefe "Stunde. das Amt des Henkers iſt. Dies ſagt uns ein 
Sprichwort: Geb hın, werde.ein Krämer, fagt der Henker 
zu feinem Knete. — Dem Kramergeifte thut man aud) nicht 
unrecht, wenn man ihn für ehrlos hält. Und, wenn eine 


ganze Nation. von dem Krämergeifte befeelt feyn Eönnte (was | 


ih für unmöglid halte), fo —* ich ſie für die verdorbenſte 
—* müſſen. 

Denſelben Abſcheu ob Pro Krämergeifte drücken noch 
zwey andere Sprichwörter aus. ‚Eines: An der Hunde Hin- 
fen, der Hure Winfen, und der Krämer Schwören, ſoll ſich 
Niemand kehren. — Die Geſellſchaft, in der ſich hier die 
Krämer befinden, iſt ſehr ſymboliſch. Das an dere: Der 
Bettler ſchlägt kein Almoſen, der Bind feine — der 
Kramer keine Lüge aus. SIE WER Bi 


4. 


SR MEE N | nr 

Der Inhalt der deutfchen Sprichwörter hat aber auch 
ein Mancherley. Um nun dies Mancherley zur leichtern 
Ueberficht darzulegen, werde ich die Sprichwörter vorerft Elaf- 
fifiziren, und darnech den Reihthum jeder Klaffe mit einigen 
Beyipielen andeuten müflen mit einigen Bey— 
ſpielen, und nuriandeuten.. -—- Denn, wenn ich auf 
Bollftändigkeit in Anführung Der deutfchen Sprichwör⸗ 
ter ausgehen‘ wollte, fo würde ich meinem Zwecke entgegen 
handeln; und, da ich bloß auf den Sinn und Geift des 
deutfhen Sprichwortes aufinerkfam machen will, die grio- 
Ben Sammlungen, die ſchon in den Bibliotheken teen, mit 
noch größern vermehren müffen. 


— 


Das Mancherley des Inhaltes zeigt ſich auch in 
Hinſicht auf deutſche Sprichwörter 1) in eigentlichen 


69 


Sprigmwörtern, 2) in ſprich wörtlichen Redens— 
arten, 3) in Denkſprüchen, 4) in tiefen, ge— 
flügelten — —3 


6. 


In deutſchen Sprichwörtern iſt a) viel Natur- Mens 
fhen- und Weltkunde, b) viel Religions: Staats: 
und Samilienfunde, c) viel Klugheits- Erzie- 
bungs= und Gefundheits- Kunde niedergelegt. " 

’ Ts I) J . ur 

Das Mancherley der Sprichwörter foll in diefem 
Hauptftücke ihrem Inhalte nad) ausführlich dargeftellt ; 
von den fprihwörtlichen Redensarten, von Denkſprüchen, von 
geflügelten Sprüchen in den folgenden Hauptſtücken 
Einiges kurz angezeigt werden. Uebrigens werden die billi— 
gen Leſer von der Kunde, die bloß Volks-Kunde iſt, weder 
Vollſtaͤndigkeit, noch Wiſſenſchaft zu fordern, billig genug 
ſeyn. Die Auffhriften follen nur Hausnumern ſeyn, 
die ung das Haus, und Schilde am Haufe, die ung den 
ve des Haufes leichter finden laſſen. 


ei dem befondern Inhalte deutfcher Sprich⸗ 
woͤrter. 
—2 L. 
Natur» Menfhen- Weltkunde. 





1. Naturkunde. 


Die Natur iſt fo geheim, fo in fi verkchloffen ,. dag 
fie Fein Menſch uusforfhen fanıi, und fo offenberzig, 
daß fie jedes gefunde Gemüth verfteht 

Der gefunde Sinn der Deutfchen bat viel Naturkennt⸗ 
niß in Sprichwoͤrter niedergelegt, und tiefſte Beioe muß 
zu jedem Ausfpruche fagen: Ja, ſo iſt es. 


* #+ 


To 


Di⸗ deutſchen Sprichwörter find treffliche Naturphiloſophen. 
Denn fie haben 1) die Natur in ihrer Macht und 
Kraft erkannt. Sie kennen: % 
Die Uebermacht der Natur. Die Natur zieht 
ſtärker, denn. fieben Ochfen. — Die Natur weiß ihre Waare 
wohl zu verkaufen. — Die Natur iſt Meifter. — Die Natur 
bleibt. — Die Aelfter läßt ihr Hüpfen nicht. — Es hilft Erin 
Bad am Naben. — Die Fröſche hüpfen dem Bache zu, wenn 
man fie ſchon auf ein Pflaumenbett feget. — Der Froſch 
hüpft wieder ın den Pfuhl, wenn er auch ſäß' auf goldnem 
Stuhl, — Der Froſch läßt das Quaden nicht. — Art von 
Art läßt nit. — Die Kaße läßt das Maufen nit, — Das 
Unfraut will vom Garten nicht. A: 
- Sie kennen die Uebermacht der Natur ins 
befondere über Lehre. Lehre ift eine angeftrichene Far— 
be, die in Luft und Wetter abfallt; da guckt dann die Natur 
äiberall wieder hervor. — Die, Bande,von Wort und von Pa 
vier geftrickt, find ſchwach: die Matur zerreißt fie leiht. — 
Verkehrte Natur bleibe verkehrt, wenn man gleih ein Loch 
in fie predigte, Re als 
Sie fennen das Gefetz des Werdensd Man 
Tieft Eeine eigen von Dornhecken. — Die Eule het Eeinen 
Salfen. — Wie der Vogel ift, fo legt er Ener. — Bös Vo— 
2 bös Ey. — Es heckt kein Habe ein,Zeislein. — Keine 
aube heckt einen Sperber. 2 
Sie kennen die Eigenfhaften und Gränzen 
ber Natur. Jeder Vogel fingt feinen Gefang. — Salz 
Bann nichts als falgen. — Aus einer Igelshaut macht man 
Fein Bruſttuch. — Man macht nicht aus allen Blumen ein 
©träuslein. — Ein Mohr Eann wohl ein weiffes Kleid tragen, 
aber die fhwarze Haut nicht weiß baden. — Die Büblein ha. 
ben Luft zu reiten und zu Eriegen, die Magdlein zu Doden 
und zu Wiegen. — Ein Land trägt nicht Alles. — Was ge: 
hörnt ift, will immer geitoffen haben. — Was von Hunden 
Fommt, bellet gern. — Was von der Henne Eommt, das ga: 
ckert. — Feuer hört nicht auf zu brennen, man thue vordag 
Holz weg; — Was zum Pflug geboren it, dient nicht zum 
Haſenhetzen. — Ein Hahn hat fo. viel Flügel, al3 eın Falk, 
und kann doch nicht fo hoch fliegen. — Eine Kuh Eann nicht 
auf den Baum fpringen, wie ein Eichhorn. — Ein Ochs Fann 
auch auf vier Füßen laufen, wie ein Hirſch, aber nicht fo 
ſchnell. — Der Apfel fällt nicht weit vom Baum. — Kaßen: 





Ru 71 
kinder lernen wohl mauſen. — Die Kitzlein heiſſen alle, wie 
ihre Mutter: Geis. 

Sie kennen das Geſetz der frühen Bil— 
dung: Es krümmt ſich bald, was ein Hafen werden will. — 
Es brennt bey Zeiten, was eine Neffel werden will. — Was 
eine Roſe werden will, das blühet bald. — Aus Knöpf: 
lein -werden Rofen. — Was ein Dorn werden will, das 
ftiht. — Das Bäumlein, das gerade wachſen will, (ent 
fih nicht zu Boden. 

Siekennen das Geſetz des Vergehens, des 
Todes: Fürden Tod ift Eein Kraut gewachſen. — Im Holz 
wachſen Würmer, die es freffen. — In der Wiege liegt dag 
Grab. — Bey jeder Geburt wird eine Leiche angefagt. 

Sie Eennen das Verhältniß der Natur zur 
Bildung, zur Kunft: Wenn Natur und Kunft die Füße 
zufammenfeßen , fo gebt es fort. — Die Natur bringt gutes 
Gold, die Kunſt made falfches. — Die Natur muß den er- 
ften Stein legen. — Die Natur will geübt feyn ; fonft wırd 
fie ſchimmlig. — Was Einer ift, das Fann man aus ihm 
nahen. — Was ein Menfch nicht ift, das Fann man aus 
ihm nicht berausfriegen. — Es ift ein böſer SE aa darein 
man erft ae tragen muß. 


Die beutfhen Sprihwörter Eennen -2) den Nexus 
rerum, Urfade und Wirkung, und wiffen * 
recht anfhaulid zu maden. 

Den Nexus rerum überhaupt: ' 

Wer Unglüd ſäet, will Unglück ärnten. — Es tuchet 
ſich, wie man ſpinnt. — Wie das Garn, ſo das Tuch. — 
Wie der Markt, fo der Zoll. — Kleine Pferde, kleine Tag: 
reifen. — Kleine Böglein, Feine Neftlein. — Wer Eegeln 
will, muß auffegen. — Wer miteffen will, muß mitdreſchen. 
— Den Sperling ſpeißt man mit einem Mücklein: der Löw 
muß auf ein Mahl ein ganzes Schaf haben. — Gut Gruß, 
gus Antwort. — Gutes Wort findet guten Ort. — Der 
Wein ſchmeckt nad dem Stock. 

Den Nexus rerum insbefondere: 
Freud und Leid. Sede Freude hat ein Leid auf dein 
Rücken. — Freud und Leid find einander zur Ehe gegeben. 
- Die Publicität. Bliebe der Wolf im Walde, fo 
würde er nicht befchrieen, 


[) 


72 


‚ Einfluß des Willens auf den VBerftand.. 
Wenn man Einem übel will, fo findet man der Art leicht: ei- 
nen Stiel. — Wenn man den Fuchs nicht beiffen will, fo 
kann man Feinen Hund finden. — Wer nicht gern arbeitet, 
bat bald Feyerabend gemacht. — Wenn man dem Hund die 
Haut abftreifen will, fo fagt man: er fey wüthig. — Wenn 
man den Hund ſchlagen will, fo hat er Leder gefreffen. — 
Der Wolf findet leicht eine Urfache, wenn er das Schaf fref: 
fen will. — Man findet leicht einen Iremmel, wenn man 
den Hund fchlagen will. 

Früh, fpar. Frühwitzige Kinder leben nicht lang; 
aber Spätobſt liegt lang. _ 

Dfenbitze, Brot. Das Brot bafr fih nicht im 
Falten Ofen. 

Mahl, Tanz. Bor Effen wird kein Tanz. — Wenn 
die Sackpfeife nicht voll iſt, fo kirrt fie nicht. 

Walfer, Fiſche. In großen Wäſſern fangt man 
große Fiſche, in Eleinen Wäſſern fängt man gute Fifche. 

Zopf und Topf. Wenn ein Topf auf den andern 
fößt, fo brechen beyde. 
4 Aſt — Art. Für einen groben Aft gehört eine ſcharfe 

it 


Mein, Ehre Es ſteckt viel Ehr’ und Freundfchaft 
in einem Faß Wein. PR 
Wein, Witz, Wo Wein eingehet, da gehet Wig 
aus. 
i Bett, Schlaf. Willſt du fanft liegen, fo bette dir 
weht. | ie) Ya 
Gemein, verachtet. Wo die Steige nieder, da 
hüpfen alle Hunde drüber. — Laffeft du dir auf die Achfeln 
fisen, fo fißt man dir gar auf den Kopf. — Wenn man den 
Zeufel in die Kirche laßt, fo will er gar auf den Altar. 

Hohes, Niederes, Se höher der Berg, je tiefer 
das Ihal. 

Gleiche Laft. Gleiche Bürde briht Niemand den 
Mücken. . ’ 

Geſchaͤftigkeit. Wer geichaftig ift, dein macht Je— 
dermann zu fhaffen. — Wer gern trägt, dem lader Jeder: 
mann auf. R 

Der Ackersmann. Wenn ſich der Bauer nicht bückt, 
ſo adert,er nicht gut. 

Feuer, Raud. Wer Zeuer haben will, muß den 
Nauch Leiden, 





o- 
ca» 


Quft und Lieb zu einem Din MWilliges Her; 
macht leichte Füße. ae 
Aprill, May Aprillvegen bringen Mayblümlein her- 
vor. 

Kurzes Spiel, Spieler und Nennpferde dauern 
nicht lang. 

Ehre, Thorheit. Waäͤchſt die Ehre Eslduneniähs, 
ſo wächſt die Iherheit Ellenlang. 

Wahrheit und Verfolgung. Die Wahrheit har 
ein ſchönes Angefiht, aber zerriffene Kleider. 

Der Verfolger der Wahrheit. Wer den Andern 
jagt, wird auch müde. 

Zrinkluft und Lernbegierde. Der Wein redet 
ſchlecht Tatein. 

Trinkluft und Ungemach. Der Wein iſt gut; 
kann aber doch den Mann über die Stiege hinunterwerfen. 

Uebermaß und Tollbeit. Voller Kropf, toller 
Kopf. - Wollen wir gar austrinfen, fo werden wir. zu 
Narren. 

Sätigung und Munterfeit. Auf vollem Bauch 
ſteht ein fröhlich Haupt. 

leines, Großes. Das Feuer fängt vom Funken 
an, vom Funken brennt das Haus. 

Dünkel, Reue Wer ein Ding mit Dünkel an— 
fangt, dem geht's mit Neue aus. 

Rüftung, Bang. Mer wilde Kagen fangen will, 
muß eiferne Handſchuh haben. 

Rath, Hülfe Wem nicht zu rathen ift, dem ift 
auch zu helfen. - 

Die Confequenz Wer A fagt, der muß auch B 
fagen. 

Gutes, Böſes. Wenn man Wein ablaßt, fo lau: 
fen die Hefen mit. 

Sünde, Strafe Mer den Teufel ins Schiff 
nunmt, muß ihn auch führen. — Was man Gott nimmt, 
das hohlt der Teufel wieder. 

Narrheit, Aufwand. Eine Narrheit zu unter> 
“halten, Eoftet mehr, als zwey Kinder. 

Biel und viel. Wer viel fahrt, muß viel Räder 
haben. 

Geradheit. Geradezu gibt gute Schüßen. 

Bielund wenig. Wer viel feilſchet, hat wenig Geld. 


74 


Kunft, Dünkel. Wer einen Geſellen bey ſich hat, 
hat auch einen Meiſter bey ſich. 

Fragen, Geben. Wer viel fragt, der gibt nicht 
gern. . 
Verfhwendung, Armuth. Wer ſein Bett ver⸗ 
kauft, muß auf dem Stroh liegen. 

Angriff, Gefahr. Wer zuſchlägt, trägt ſein Haupt 
eil. 

Unmäßigkeit, früher Tod. Wer nicht will alt 
werden, der muß ſich jung henken. 

Berfäumniß der rechten Stunde. Wer die 
Hofe nicht im Sommer bricht, der bricht fie auch) im Winter 
nicht. 

Geben, Nehmen. Wem man eine Handbreit'gibt, 
der nimmt eine Elfenlang. 

Alter, Runzel. Die Haut iſt Fein Narr: wenn 
fie alt wird, fo rümpft fie ſich. N 


Sie find gute Naturpropheten; denn fie 
weiffagen rihtig 5) die Folgen der Dinge 

Sauger guter Tage. Cs müffen ftarke Beine feyn, 
die gute Tage tragen Eönnen. — Gute Tage itehlen das Herz. 

— Wenn dem Eſel zu wohl iſt, fo geht er aufs Eis tangen, 
und bricht ein Bein. 

Fofge des Wohllebens. : Sparmund und libel- 
leb Faufen dem Wohl :Ieb fein Haus ab. — Aus gebratenen 
Eyern kommen Feine Hühner. 

Folge der Kleiderpracht. Beide und Samet am 
Leibe ‚ Wöichen das Feuer in der Küche aus. 

Solge des blinden Trauens. Wer von der Hoff: 
nung lebt, ſtirbt an der Faſten. 

Folge des blinden Trotzed. Wer — die 
Mauer lauft, muß die Hörner verſtoſſen. 

Folgen der Thorbeit. Wenn die Narren zu Mark: 
te Eoınmen, fo Iöien die Kramer Geld. — Die Narrenfgel- 
len Elingen laut, thun aber ven Ohren weh. — Gibft du 


dem Narren die Singer, fo will er die Zauft gar haben. — 


Wer Narren und Kindern den Zinger in den Mund fteckt, der 
ware gern gebiffen. 

Zolge des Müfigganges. Müßiggehen verderbt 
den Leib, wie der Roſt das Eifen. — Muüßiggang hat Armuth 
im Gefolge. — Müfiggang macht endlich traurige Arbeit. — 
Stehende Waſſer werden endlich faul und ſtinkend. — Mü— 





25 


figgang hat böfen Ausgang. — Die Pferde verftehen die Füße 
im Stall. — Ein Müßiger macht ein Dugend böfe Bürger 
(fich, feine Kinder und Nachbarn). 8 

Folge der Mäßigkeit. Der Mund iſt des Baus 
ches Arzt. 

Folge der Unmäßigkeit. Der Fraß richtet ſich 
mit den Zahnen ſein Grab zu. — Der Mund iſt des Bauches 
Henker. — Güſſe bringen Flüſſe. — Es ertrinken mehr im 
Glas, als in allen Waſſern. — Wer viel Honig ſchleckt, muß 
viel Wermuch freſſen. — Im Auskehricht findet fihs. — Mer 
täglich im Wein ſchwimmt, muß endlich darin erſaufen. — 
Viel Zucker in der Jugend macht ungeſunde Zähne im Alter: 

Folge alles Uebermaßes, aller Ueberſpan— 
nung. Zu viel iſt ungeſund. — Wenn man das Liedlein 
zu hoch anfängt, fo erliegt man im Singen: — Zu viel zer: 
reißt den Sack. — Mittelmaß, die befte Straf. 

Golge der Dieberey. Geftohlenes Brot wird noch 
im Munde zum Kielelitein. 

Folge der Schwatzhaftigfeie. Was man her- 
auslügt, kann man- nicht wieder hineinlügen. — Geredt it 
geredt; man kanns mit Feinem Schwamm abwifhen. — Wenn 
das Wort heraus ift, fo iſt es eines Andern. 

Solge des Unglaubens. Wer nicht will glauben, 
muß ann Ende fühlen. 

Folge ſchlechter Gefellfhaft. Wer fih unter 
die Kleyen mifcht, den freffen die Schweine. — Mer mit 
Katzen jagt, der fängt gern Mänfe. — Wer unter die Bank 
will, den ftöße man bald darunter. 

Folge des Schuldenmadens. Wenn ein Haus 
hebräiſch veden lernt, fo frißt es der Wucher. 

Folge dedfteten Fleißes. Dem fleiffigen Man: 
ne guckt ver Hunger wohl ins Fenſter, aber ins Haus darf er 
nicht Fommen. — 

Folge der Beharrung. Der Geduldige treibt den 
Ungeduldigen aug dem Lande. 

Endlihe Kolge des Betruges. Wer den Andern 
betrügt, der macht einen Sad, darin N ſich felbft wird fan- 
‚gen. 

Solge des Diebftahls. Wer mehr nimmt, als 
er foll, der fpinnt fi) felbft ein Seil. 

folge der Willigkeit, Mit willigen Roffen fahrt 
der Fuhrmann wohl. Bit; 


76 


Folge des Ungehorfams. Wer Vater und Mut: 
ter nicht hart, muß das Kalbfell hören. 

Solge des öffentlihen Widerftandes. Wo 
fi die Schafe Hundszähne einſetzen laſſen, da müſſen die 
Schäfer eiſerne Handſchuhe anlegen, wenn fie die Schafe mel- 
Een, oder fcheren wollen. 

Folge des Krieges. Soldatenzahne thun den Bau: 


ern wehe. — Krieg ift ein goldener Hammen;: wer damit 


fiſcht, fängt nicht viel. 
'olg e des Unrechtes. Unrecht Gut ift ein Funke 


im Kleiderkaften. — Ein ungerechter Pfennig frißt zehn 


andere. 
Folge des thörichten Vertrauens Es if 


ein albern Schaf, das dem Wolf beichtet. 





Pr 


2. Menſchenkunde. 7 


id. Die glänzende, und die ſchwache Seite des 
Menfchen 


Die deutſchen Sprichwörter ſind gute Anthropologen; 
denn ſie charakteriſiren den Menſchen, wie er iſt, nach dem 
Leben, und zwar von der glänzenden Seite: 

Den Starken, Der Ambos fräge nad EFeinem 
Streich. 

Den Tapfern. Kühner Muth, der beſte Harniſch. 

Den Großen. Der Adler fängt Feine Fliegen. 

Den edlen Edel:-Mann. Edel macht das Ge: 
müth, nicht das Geblüt. — Fromm, treu und gi gehört 
in des Adels Schild. 

Den Gefühligen. Die Glocken Elingen weit anders, 
wenn Einem fein Freund ftirbt. 

Den Freundlichen. Wenn ein Freund bittet, da 
ift Fein Morgen. — Freundes Hülfe reitet nie auf der Och: 
ſenpoſt. 

Den Beſcheidenen. Wer wohl thut, lobt ſich wohl. 
— Das Werk lobt den Meiſter. 

Den Aufrichtigen. Bonlautern Brunnen fließen 
lautere Waffer. 


fiber. 


Den Berfhwiegenen, Berborgener Schatz liegt 


77 


Den Kämpfer für Freyheit, für Vaterland. 
Mer für die Freyheit reitet, bat zwanzig Hände, und noch 
fo viel —* 
Den guten Au ste a er. Ein Ding freundlich aus⸗ 
legen, iſt eines frommen Gemüthe. 
‚Den freyen Mann, Freye Leute, und treue —5 
de ſtrafen ins Angeſicht. 


Die deutſchen Sprichwörter mahlen eben fo nr bem 
Leben den Menfchen von der ſch wachen Seite. 

Den Menſchen, wie er iſt. Für ein gut Stück 
am Menſchen, muß man fünf böfe — abrechnen. — Es hat 
jeder Menfh fein aber. — Es muß ein Feder ein Paar 
Narrenſchuh vertreten. ’ 

- Den Nach-treter. Wenn eine Gans trinkt, fo 
trinken alle. — Wenn ein Schaf flieht, fo Taufen alle davon. 

Den Nadh:klugen. Wenn die Sache geſchehen iſt, 
fo verftehen fie auch die Narren. — Nach der That verfteht 
auch der Narr den Rath. — Wenn das Schiff bricht, fo weiß 
der Thor, daß nicht vecht gefahren iſt. — Fallt der Wagen, 
fo hat er allemahl fünf Räder. — Wenn die Herren vom. 
Rathhauſe geben, find fie am klügſten. — Wenn der Regen 
vorüber ift, fo nimmft du den Kegenmantel um. — Wenn 
das Kind getauft ift, will es jedermann heben. —* 

Den Undankbaren. Wenn did Einer'nah Rom 
trüge, und feßte dich nur einmahl unſanft nieder, fo wäre 
olle Liebe auf ein Mahl verſchüttet. 

Den Schmarotzer. Wer Leckerbiſſen Über dvey Gaſ⸗ 
ſen a der hat gern Gäſte in anderer Leute Häufern. 

Den Faulen. Mägde, die aufgeweckt ſagen: Ja, 
ja, ſchlafen wieder ein. — Der Faule ſucht einen Herrn, der 
ihm in der Woche ſieben Feyertage gibt. — Ein fauler Fuhr⸗ 
mann ſpannt lieber aus, denn an. 

Den Advocaten der ſchlechten Sache. Gute 
Worte müffen böfe Waare verkaufen. — Die Wahrheit darf 
nicht viel Worte, die Lüge Fann nie genug haben. — Die 
Lüge bedarf gelehrter, die Wahrheit einfältiger Leute. — 
Die Lüge hängt zufammen, wie —— man kann ihn 
ballen. 

Den Schwätz er. An Worten ah ungene&tem Zu: 
che gebt viel ein. — Es gehen viele Wünfhe in einen Sad. 
— er viel ſchwätzt, lügt viel. 


Den Großſprech er. Die ſich großer Streiche rüb- 
men, ſind ſelten gute Fechter. 

Den Günſthing. Wem die Sonne (heine), der 
fragt nichts nach den Sternen. 

Den Biel: und Großgeſchäftigen. Die viel 

anfangen, enden wenig. — Bey viel Kunſt, viel Unmuß. — 

Große An-ſchläge haben wenig Nachdruck. 

2; Den Verdächtigen. Wenn die Kage einmahl einen 

a ‚geftefien bat, fo muß fie immer hören: Katz, vom 
Vogeh! 

Den Empfindligen, Einen Narren wirft man 
bald aus der, Birgr. 

Den Eangmeiligen, Der Faule ſpricht: es will 
nicht Nacht werden. » ® | 

Den Moraliften ohne Moral. Im Glück find, 
wir alle. geduldig. — Der Vollbauch lobt das Falten. — Die 
—— Jläuten Andern zur Kirche, kommen aber ſelbſt nicht 

inein 
Den Sein-— und Selbſtfreund. Er iſt eine 
Sonnenuhr „Zeigt nur, fo lange die Sonne ſcheint. 

Den -faliden Freund. Falſche Freunde find Fir 
ſcher, die das Waſſer trüben, ehe ſie angeln. — Siedet der 
Topf/ ſo blůhet die Freundſchaft. 

Den Brauſekopf. Oben aus, nirgend an. 
gi; Den Klopffechter. Wer alle Dinge verflechten 
will, darf das Schwert nimmer einiteden. 

Den Der Egel läßt nicht nach, 
er feh denn voll Bluts. 

:° Den Verbündeten. Die Herren fhlagen einander 
den. Bal zu, 


. 


Den Eigenfinnigen. Mer alljeit feinem Kopf 


folgt, dem iſt dag Hirn durchgraben. 
» Den Abgefallnen. Wenn ein Engel zum Teufel 
wird, fo gibts gar einen. böfen Teufel. 

Den Gewbd bnlid- veifenden. Er trägt ein deutſch 
Kleid. hinaus, und bringt ein walihes nah Haus. — Reiſt 
eine Katze nad) Frankreich, fo kommt ein Mausfänger wieder 
beim. — Mancher hat mehr Salz in der Fremde gegeffen, 
ald daheim, und ift doch ungefalzen wieder gekommen. — 
Ein Handwerker, wenn er [hen viel Land durchreiit, ſetzt ſich 
doch wieder auf feine Werkitatt. 

Den beſtechlichen Rechtsfreund. Das Recht 


79 


waͤre wohl gut, wenn mans nicht krumm machte. — Die 
Leute führen das Recht in der Taſche. 
Den Ungeſchickten. Narrenſchiff fahrt aller Hıten 
an. — Gibt.man ihm viel Holj, fo macht er viel Späne. — 
Ungeſchickt ift zu kurz zu allen Sachen, wenn er gleich auf 
einer Leiter ſtünde. — Wenn das Schiff brefthaft ift, fo find 
ihm alle Winde zuwider. — Wer zu fruh dem Lehrmeiſter entz 
gangen, der ift auf den Wagen zu kurz, und auf den Karren 
zu lang. 
Den Unwiffenden. Man Fann einem Eſel wohl 
den Schwanz verbergen, aber die Ohren laßt er vorguden. 
Den Furchtſamen. Es Eommt. mehr Surcht | von 
Innen heraus, als von Außen hinein. — Wer ſich vor Fun— 
Een fürchtet, der gibt Feinen Schmid ab. — Wer vor einem 
Gefpenft erfchriekt, den darf Fein Mann ergreifen. 
Den Shuldigen. Der Schuldige hat bisweilen das 
Glück, niemahls die Zuverfiht, verborgen zu bleiben. 
Den Nihtfhoner des Fremden. Entlehntes Roß 
macht kurze Meilen. 
Den unedlen Edelmann. Adel, Tadel. - 
Den Dummen, der ſich heben will. Die Sup 
will auf Stelzen geben. 
Den Ruhblofen. Gute Naht, Tugend! Gen ich 
ich Geld, fo bin ich Lieb. 
Den TaufendEünftlerim bäfgertüßem Ge 
wande. Sünfzehn Handwerk, das fechszehnte Betteln. ' 
"Den eigennützigen Schwörer. Schwören * 
des Krämers Gut verkaufen. 
Den leichtſinnigen Schuldenmacher. cap die 
forgen, die uns borgen. - 
Den Unbelehrigen. Die Narrenhaut Hält zwar 
Stich, nn fi) aber nicht flicken. 
Den aufgeflarten Schalk. Ein Schalf weiß, 
wie es dem andern ums Herz ift. — Es fucht Keiner den An— 
dern: in einem Sad, er fen denn zuvor darin gefteckt. 


\ 2» E» & 
DieNeigungen und Leidenfhaftender Menſchen— 


Die deutſchen Sprichwörter ſind gute Anthropologen; denn ſie 
charakteriſiren die Neigungen, die Leidenſchaften, und 
die Quellle aller Leidenſchaften nah dem Leben. 


80 


Sie mahlen A, die Neigungen überhaupt. 
Sie verrebhnet fih gern. Die Augen find wei⸗ 
ter als der Bauch. 
Sie ift blind. Es geht mehr Liebes in die Kirche⸗ 
als Schönes. 

Sie wirft gern ab. Wer dem * ſeinen Wil⸗ 
len laͤßt, den wirft es aus dem Sattel. — Wenn die Magd 
Frau wird, fo jagt ſie den Herrn aus dem Haus““ 

Sie benebelt die Vernunft. Wer Feuer im 
Herzen hat, bekommt Rauch in den Kopf. 


B. Die Neigungen insbeſondere. 
1) Die Neigungen zum Koſtbaren, zum 
Seltenen. Nach braunen Kirſchen fteigt man hoch. — Was 
theuer, das lieb. — Nach gelben Birnen und braunen ‚Kits 
ſchen fallt: fih Einer den Hals ab. Seltfam, angenehm. 

2) Die Neigung zum Verbothenen. Berbor 
then Obft ift für. — Wo; ich gern bin, da darf ich nicht hin. 
— Geftohlen Waffer ift Malvafier. — sm verbothenen Teiche 
ſiſcht man gern. V—— 

5Die Neigung zum ne Neu Liedlein fingt 
* gern. — Das Alte Elappert, das Meue Elingelt, — Neue 
Befen kehren wohl. — Wenn ein neuer wg. * ‚io 
vergißt man die Alten. du; 

».) 14) Die Neigung sum Sremden. 6 Bremp Brot 

ſchmecket wohl. 

sum 5). Die Gefhtehtsneigung Eu iſt ——— 

x ſch. Die Liebe lehrt tanzen⸗ — Liebe weiß verborgene 
ege. 

unſchuldig im Beginn. "gie den Nefteln fänge 
man am. zu: fpielen. 

"Blind Wer liebt, weiß wohl, was er begebrt,. weiß 
* nicht, was es iſt. 

Blindfolgſam. Die Siehe bat die Angel eingefchludt. 

Keiner Erinnerung dürftig. Liebe hat gut. Ge 
dächtniß. 

Unraubbar. Lieb' ſtiehlt kein Dieb. 

Unſtät. Liebe dauert fo lang; als ein — von 
Brot. 

Keine Kaufwaate. Liebe findet man nicht anf dem 
Markte feil. 

"Wird durch Liebe. Eine lebendige Kohle zündet ‚die 
andere an. 


Pad 


81 


Kommt durch das Aug. Die Augen find der Lies 
be Thür. 

Beſticht das Urtheil. Wenn bir die Liebe. ihre 
Brillen auffest, fo fiehft du in dem Mohren einen Engel, 

Weicht der Gewalt nicht. Die Liebe laßt fih an 
einem ſchlechten Faden fangen, aber nicht mis Prügeln vers 
treiben. 

6) Die De n9 des XTrinfluftigen zur 
Herzeröffmung. Der Wein iftein Wahrfager. — Das 
Herz im Wein, die Geftalt im Spiegel. — Wenn der Wein 
niederfiget, fteigen die Wort’ eınpor. 


a mablen C. die Leidenfhaften. } 

4) Den Beit,. ß 

Seine Armuch. Einem armen Manne mangelt viel, 
einem Geißigen Alles. — Der Wolluft fehlt viel, dem Geige 
Alles. — Der Geitzige iſt das Roß, das Wein führt, und 
Waſſer fauft. ” 

Seine Gottloſigkeit, Geiß fucht feinen Himmel 
im Koth. — Dem Geisigen iſt Alles ums Geld feil, ſelbſt 
ſeine Seele, und ſein Gott. — Das Geld hat ſeinen Gott im 
Kaſten. — Wer nur Gold und Silber im Herzen hat, bey 
dem wächſt Fein Glaub’, Feine Lieb’, und Feine Hoffnung. 

Seine Glenvdigkeit. Sein Gut heißt ihn nicht» 
Herr. — Der Geiß iſt feine, Selbit - Stiefmutter. — Der 
Geitzige macht ſich feine Fahre zur Hölle ſauer. — Der Geit— 
zige muß Hunger leiden, weil der Teufel den Schlüffel zum 
SeldEaften hat. — Der Geißige ift- arger als ein Dieb ; der 
Dieb ftiehlt dem andern das Geld aus der Tafche, der Geißige 
fih felbft das Mark aus den Beinen. 

Seine VBerjüngung. Wenn alle Sünden alt wer— 
den, wird der Beiß Jung. 

Seine thörichte Borfidt. Mancher hat noch eine. 
Stunde Weges — zum Todey und ſenn Zehrung, als 
hätte er noch hundert Jahre dahin. 

2) Den Zorn. 

Seine Unvorfihtigkeit, Wer im Zorne bandeft, 
geht im Sturm. unter Segel, — Des Zorns Ausgang iſt der 
Reue Anfang. — Dem Zorn geht die Neue auf den Socken 
na 
ii Seine Zerftorungsfraft. Der Zorn wird nit 
alt. — Der Zorn bringt: graulihe Säfte mit fih. — Der 
tolle Zorn thut mehr Schaden, als drey Drefchflegel. a 


Seilers Syridw, 6 


82 

Mittel dagegen. Zeit ift des Zornes Arzney. — Hat: 
ren ift des Zornes Gegengift. — Wenn ER deinen Sohn mit 
Füßen treten willft : fo zieh zuvor die Schuhe aus. - 

5) Die Rache. 

Sieiftfhneltthdtig. Der Rache find die Hände 
an das Herz gebunden. 

Thutunrecht. Rache ift ein neu Unrecht. — Sn der 
Rache wird ein Eleines Recht zum großen Unrecht, 

Zieht wieder Rache nah fih. Rache bleibt nicht 
ungerochen. — Einer Rache gebührt die andere. 

4) Hoffart. 

Wäahnt Hohesvon fih. Die Hoffart mißt fi 
nad) der langen Elle. — Der Stolz; meint, fein Ey babe all: 
zeit zwey Dotter, feine Würfel werfen allzeit achtzehn. — 
Er kann große Baume ausreiffen. 

Sftwindig. Hofart ift des Dünfels Waſſerſucht. — 
‚ Die Luft blaft die Sadpfeifen auf, Hoffart den Narren. — 
Leere Kornäbren ſtehen hoch. 

- . Maht große Pratenfion. Hoffart meint, Stuhl 
und Zänfe follen vor ihr auffteben. 
Pe Zragt ſich hoch. Hoffart ſtreckt den Schwanz übers 
eſt. 
Iſt eine ſchlechte Hauswirthinn. Hoffart und 
Armuth halten übel Haus. 

Hatihre Freyheit verkauft. Hoffart muß Zwang 
leiden. 

Macht blind, und bereitet den Sturz vor. 
Hoffart kommt vor dem Fall. — Wann Hoffart aufgeht, ſo 
geht das Glück unter. 

5) Den Neid. 


Er geht aufs Ausgezeichnete. Unter der Bank 


neidet man Niemand. — Neid kriecht nicht in leere Scheuern. 
— Neidhart haßt nur die Tagvögel. — Große Kunſt haſſet 
man. — Glück und Ehre haben den Neid zum Gefährten. — 
Neider find Lichtpugen, die Andern ihr Licht Töfchen. — Geht 
der Wagen wohl, fo hängt fi) der. Neid daran. 

Richtet fich felbſt hin. Der Neid ift fein Schind- 
meſſer. — Der Neid mag nichts eſſen, außer fein Herz. 

Iſt biffig. Neid beißt. 

6) Woltuft, 

Bringt Reue, Schande, Elend, Tod. Bald 
geendet, lang geſchändet. — Kurze Luft, Tange Neue. — 
Honig iſt der Müde Tod. 


83 

Sft unbelehbrfam. Woluft hat Feine Ohren. 

Muß mit Gewalt gebändigt werden. Wer 
den Lüſten nicht das Meffer an die Kehle fegt, den bringen fie 
ums Leben. 

7) Berleumdurgsfudht. 

Der Verleumder hat den Teufel auf der Zunge, und 
der ihm zubört, in den Ohren. — Es ift eine böfe Art, die 
die Ehre abhaut, die fie nicht geben Eann, — Falſche Münze 
gilt. nichts, weder in der Ausgabe, noch in der Einnahme. 


Sie mahlen D. die Mutter aller felbftfü 
tigen Meigungen, aller Reidenfhaften, aller 
Stunden, aller Thorheiten, alles ſelbſtgemach— 
ten Elendes — die Eigenliebe, 

Sie tiebt Schmeicheleyen. Die Kage hats ger- 
ne, wenn man fie flreichelt. — Wo man die Kage ſtreichelt, 
da ift fie gern. 

Sie überfhätzt ven Werth des Eigenen. 


Lieber Koth ftinfe nicht. — Jedem dünft, daß feine Eule ein 


Falk ſey. — Fremdes Feuer ift nicht fo bei, als daheim der 
Rauch. — Es ift Eeine Eule, die nicht ſchwüre, fie hätte die 
ſchönſten J Zungen. — Dem Storche gefällt fein Klappern wohl. 
— Zedem Narren gefällt feine Kappe. — Einem Jeden gefällt 
feine Weife wohl: drum it das Land der Narren vol. 

Sie verſchläftihren Vortheil nicht. Wer in 
Röhren ſitzt, ſchneidet ſich die Pfeifen, wie er will. — Wer 
der erſte zum Herde kommt, ſetzt feinen Topf, wohin er will: 
— Der erſte beym Feuer fest fih am nächſten. 


Sie Eann hart gegen Andere feyn. Es ift in 


eines Andern Haut zu ſchneiden, wie in einen Filzhut. 

Sie tadelt-an Andere, was fie felberan 
fid Ber Ein Efel heißt den Andern Sackträger. 

e hat einen unerfättliden Schlund. Wer 
viel — dem geht viel ab. 

Sie liebt nur den Nutzen im Nachbar. So 
lang der Efel,trägs, iſt er dem Müller lied. — Nimmer 
Nutz, nimmer lieb, 

Sie gibt nur, um zu empfangen. Man heißet 

den Ofen nur, damit er wieder erwarme. 


Sie läßt die Schuld nie auf fid kommen— 


Adam muß eine Eva han, der er zeiht, was er gethan. 
Sie ift die Mutter aller Heudeley. Die 
Lafter ftehlen der Tugend ihre Kleider. — Es ift Feine Mönchs— 
6x 


1 


[q 


84 4 


Fappe fo heilig, der Teufel kann drein fhlupfen. — Wenn der 
Teufel die Leute betrügen will, fo ift er fhon, wie ein Engel. 
— Es geben die Leute der Tugend die Hande, aber nicht das 
Herz. — Wenn die Sonne fcheint, und e3 zugleid) veanet: fo 
it es in der Hölle Kirchweih. — Honig im Munde, Scher: 
ee in ber Hand. 

Sieift Duelle aller Ketzerey. Meifter But- 
dünkel it aller Ketzerey Wurzel, 


— 


4 


77 ’ 
Die manderley Zujtande der Menſchen. 
Die deutfchen Sprichwörter find gute Anthropologen ; 


denn fie charafterifiven mancherley Zuftande, Lagen, 
Situationen des Meniden; fie mablen nad dem 


Leben 


1) Den Geift der Geſelligkeit. Es beißt Fein 
Wolf den andern. — Wilde Barn find bey einander gern. — 
Es muß ein Falter Winter feyn, wenn ein Wolf den andern 
frißt. — (Cine Kräbe fißt gern bey der andern. 

2) Die Kraftder Gewohnheit. Beift die Maus 
vom Kaͤſe, fo kommt fie wieder. — Wer anbeift, laßt felten 
davon. — Laßt der Dieb fein Stehlen, fo Taßf der Hund 
fein Bellen. 

3) Die Macht der Hoffnung. Die Hoffnung ift 
das Geil, an dem wir ung Alle zu Tode ziehen. 


4) Die Allgewalt der Noth. Die Noth bricht 
Eiſen. — Die Noth hat keinen Feyerabend. — Die Noth 


hebt einen Wagen auf. — Die Nothſchlang iſt über alles 
Geſchütz. — Noth lehrt auch den Lahmen tanzen. — Noth 
lehrt alte Weiber ſpringen. — Noth dringt ängſtlich zu 


fhwigen. u 
5) Die Ungewißheit. Ungelegte Eyer find unge: 


wiſſe Hühner. — Sn ungewiſſen Dingen kann man keinen 


gewiſſen Fuß ſetzen. — Die Würfel fallen Einem nicht nach 
Wunſch, wenn er ſchon darein bläſt. Es iſt noch nicht auf den 
Mühlen, was zu Oſtern gemahlen werden fol. 

6) Die anftectende Kraft des Beyſpieles, 


der Geſellſchaft. Bey Wollen lernt man faufen, bey : 


Krämern Eaufen, bey Krummen hinfen. — Wer mit Kagen 
jagt, fängt gern Maufe. — Wer unter Wölfen ift, muß mit 
ihnen heulen. — Ein Schalk madt den andern. 


f 
| 





— —⸗ 
85 


, 7) Den Argwohn. Argwohn betrügt den: Mann. 
— Argwohn riet den Braten, ehe dag Kalb gefchlachtet ift. 
8) Aufklärung, die zu fpatfommt., Die Reue 


iſt ein hinkender Bothe, und kommt hinten nach. 


4. 


Das dere am Menfhen, das fein Inneres 
} vervrath. 


Die deutſchen Sprichwörter find gute Anthrovologen; 
denn fie find richtige Phyfiognomen, evrathen das Snnere 
ausdem YAeußern. 

1) Grundfatz der Phyſignomik. Wovon das Herz 
vol, davon gehn Mund und Augen über. — Das Angeficht 
it der größte Verrather. — Das Angeficht verrath den Mann. 
— Das Angeficht weifets aus. — Alle Glieder am Menfchen 
find Zungen. — Das Angefiht macht die Rechnung. — Die 
Natur Tape nichts unbezeichnet. — Die Natur hangt überall 
ihr Schild aus. — Sch fehe an dem Neſt wohl, was Wogel 
on ift. — Man fieht an den Federn wohl, was Vogel 
er if f 
2) Das Auge. Man fieht es dir am Auge an. — 
Das Auge, des Herzens Zung. — Ein unreines Auge ift eines 


unreinen Herzens Zeuge. — Die Scham ift in den Augen: — 
Der Schuldiat garkt 
3) Die Spur bes Fleißes. Walzender Stein wird 


nicht moofig. — Gebrauchter Schlüfel ift immer blank. 

4) Der Klang, die Nede. Eine Blafe mit drey Erb: 
fen macht mehr Gerauich, als eine volle. — Volle Faffer Elin- 
gen nicht. — Die Nereverrath das Herz. — Was der Mann 
Fann, zeigt feine Red’ an. — Wan hört an den Worten wohl, 
was Kaufmannſchaft er treibt. 

5) Die Geberde des Liftigen. Der Schwanz 
zeugt von dem Zuchfe. 
- 6) Zeihen der innern Leerheit. Ein leerer 
Sad fteht nicht aufrecht. 

7) Verftellung. Aufdem Marfte fern man Kg Leu: 
te beifer Eennen, als im Tempel. 

8) Die Flucht. Flühtig Mann, ſchuldig Mann. — 
Dem Schuldigen wackelt das Mäntlein. 

9) Schrecken und Muthloſigkeit des Schul— 
digen Die Schuld tödtet den Mann. — Dem Schuldigen 


86 a 
Yäuft die Kate bald den Rüden binauf. — Dem Schuldigen 


erfchreckt eine Maus. — Der Schufdige fürchtet fi vor einem. 


raufhenden Blatt. — Das Gerücht tödtet den Mann. 
.10) 9 orheit. Die Narren bedürfen keiner Schelle: 
Mien’ und Geberde verrathen fie. ; 
11) $urihtfamEeit. Der Furchtſame trägt fein Ge— 
müth im Angeficht. 
12) Geſellſchaft. Gefellfhaft mahlt Einen am beiten. 
15) Liebe und Raufd. Liebe und Rauſch fehaut 
zum Senfter raus. *) 
14) Die Röthe. Wenn Kinder roth werden, haben 
fie was angeftellt. 





j s. 
Der Werth und Unwerth menſchlicher Dinge. 


Die deutſchen Sprichwörter ſind gute Anthropologen; 
denn fie Eennen den Werth der menſchlichen Dinge. 

1) Den Werth der Arbeit. Arbeitsfhweig an 
Händen hat mehr Ehre, als ein goldner Ring am Finger. — 
Mer darnad ringe, dem gelingts. — Arbeit gewinnt Feuer 
aus den Steinen. — Siegen kommt nicht vom Liegen. — 
Es fallen feine Spane, man baue fie denn. — Wer den Kern 
Haben will, muß zuerſt die Schale brechen. 

2), Den Werth der Erfahrung; fie macht wit- 
319, fie lehrt auch durch Verluſt, durch Leiden, und durch Leis 
den am beften. Niemand weiß beſſer, wo ihn der Schuh 
drückt, als der ihn am Fuße bat. — Es hinkt Keiner an des 
Andern Fuß. — Ein unerfahiner Mann ift ein ungefalgenes 
Kraut. — Man fiehts an den Scherben, was der Topf ge— 
wejen iſt. — Den Brunnen fhaßt man erit, wenn er fein 
Maler mehr gibt. — Wenn der Befen verkehrt it, fo ſieht 
man erft, wozu er gedient. — Gebranng Kind fürchtet das 
Feuer. — Wer ſich einmahl verbrennt hat, bläſt hernach in 
die Suppe. — Wenn Einem das Waſſer ins Maul vinnt, fo 
wird er wohl fhwimmen lernen. — Harte Streide lehren 

wohl **) — Blaue Mahl’ helfen für Unfall. 


— 


Ein bayeriſches Sprichwort. 


2%) EM Lateiner kurz und wohlflingend : qua — do» 


87 


5) Den Werth des Lebens. Todte Hunde beiffen 
nicht. — Beſſer ein lebender Hund, als ein todter Löwe. 

4) Den Werth des guten Nabmens. Guter 
Nahme ift ein reiches Erbtheil. — Guter Nahme ift ein ſchö— 
nes Heirathgut. | 

5) Den Werthderanhaltendenliebung. Mib 
einem Sifcherbuben von neun Jahren ift es beffer über den Rhein 
fahren, ald mit einem Doctor von fiebzig Sahren. — Sing, 
fo lernft du fingen, — Dan fchlaft fich nicht gelehrt. — Wan 
bricht die Kunft nicht vom Zaune. — Es fallt Eein Gelehrter 
vom Himmel. — Es Fann oft Einer, wag er nicht weiß. — 
Die Bücher geben Eeine Handgriffe. — Es fallt Eein Baum 
von einem Streiche. — Oft ſchießen trifft das Ziel. — Es 
wird Fein Meifter geboren. — Geräth der erſte Wurf nicht, 
fo fallt die Birn vom andern. — Hans Ohnefleiß wird nim— 
mer weis. — Biel Streih’ machen den Stodfifh weih. — 
Bon vielen Streihen wird der-Stodfiih lind. — Öteter 
Tropf höhlet den Stein. 

6) Den Werth der Gefundheit. Der Geſunde 
weiß nicht, wie reich er ift. 

7) Den Werth des Alten. Alte Freunde, alten 
Mein, und alte Schwerter foll man nicht vertaufhen. 

8) Den Werth des häuslichen Lebens. Der 
eigne Herd iſt Goldes werth: ift er glei arın, halt er doch 
warn. — Eigen Teuer Eoht wohl. — Das Schneckenleben 
ift das befte. — Willſt es haben gemach, fo bleib unter Dach. 

9) Den Werth der Erfenntnif, der Belehr- 
jamEeit. Wer Kopf bat, der hat ein Ehrenamt. — Das 
Dintenfaß fteht auf dem Tifch des Kaifers. 

195 Den Werth des Reichthums. Die Habe 
ift wie der Haber. 

11) Den Werth des Beyfalls der Menge 
Unter’ Blinden ift ein Cinaugiger Konig. 

12) Den Werth der Beharrung, der Vollen— 
dung. Es hilft nicht, wohl fpannen; man muß auch abfdie= 
Gen. — Wer unterwegs erliegt, von dem fingt man Eein 
Siegeslied. — Wer baut, muß den Thurm big zum Knopfe 
führen. — Garn richten, fängt nicht Wögel, fondern zuziehen. 
— Der Nachdruck thut's. — Man muß die Angel einwerfen, 
und den Fiſch herausziehen. 

15) Den Werth der Weisheit. Wo Fein Sal 
im Haus iſt, da mangelt es am beften Gewürz. 


s 


88 


14) Den Werth des Sriedens. Beſſer ein Ey 
im Frieden, als ein Ochs im Kriege. — Friede düngt den 
Adler. 

15) Den Werth a Kunſt, des Gewerbes. 
Ein Handwerk, eine täglihe Gilt. — Ein Handwerk hat ei: 
nen golonen Boden. — Kunft ift gut über Feld zu tragen. — 
Es ift ein fein Ding um einen Mann, der etwas kann. — 
Kunft fiſcht nirgend umfonft. — Kunſt ift ein guter Zehrpfen— 
nig; man träge nicht fchwer daran. — Ein Handwerfsmann 
kann einen Nenntherrn auszehren. 

16) Den Werth des Frühaufſtehens. Mor— 
genſtund hat Gold im Mund. 

17) Den Werth des Mittelftand ed. Zwi— 
fhen Armuth und Reichthum ift das befte Leben, 

18) Den Werth der Kindlidfeit und Ein- 
falt. Gott muß feinen Himmel mit Kindern und Albernen 
füllen. — Beſſer albern und feft, als ſchön und Eraus. 

19)- Den Werth des freundliden Wortes. 
—J und Harfen lauten wohl, eine freundliche Rede noch 

eſſer 


Die Sprichwörter kennen auch den Unwerth 
der Dinge 3. B. 

1) Des ungeladenen Gaſtes. Ungebethene Gä— 
ſte ſetzt man ‚hinter den Feuerherd. 

2) Des weilenden Gaſtes. Dreytägiger Gaſt iſt 
eine Laſt. 

3) Des SEI GEF ALGEN: Almanns Sreund, Jeder— 

manns Ged. 

4) Des Angebo chenen. Angebothene Waare gilt 





6. 
Unterfhied des Alters, und des Vermögens. 


Die deutfchen Sprihworter find gute Anthropologen ; 
fie fennen nicht nur den Menfchen, fondern auch die Leute. 
Diefe unterfcheiden fi) noch befonderd auf zweyerley 
Beife, Ein Unterfchied ift an ihnen, ein anderer um ihnen, 
Jener ift der Unterfchied des Alters, hieler des Vermö— 
gens, der — 


— 





80 
A. Der Unterſchied des Alters. 


ä) Das junge Alter \ 

4) tragt die Zukunft in ſich. Diegrößten Bau: 
me im Lande waren einmahl ſchwache Reislein. 

2) Sit weichl ich· Junges Vögelein, weiches Schnd: 
belein. 

3) Schon. Sung genug, ſchön genug. 

4) Früh-klug: unge Ganfe wollen die alten. zur 
Tranfe führen. — Sunge Pferde wollen den Bereiter abrich— 
ten. — Das Ey will klüger ſeyn, als die Henne. — Die 
Hähnlein ioplien dem Hahn vorfrabn. 

5) Schnell:fangend, leihbt nahahmend. 
Sugend fängt wie Zunder, — Wie die Alten fungen, fo 
zwitfchern die Jungen. 

6) Blindeverfhwenderifh. Wüßte der Junge, 
was der Alte bedürfte, fo würde er oft den Seckel zulaſſen. 
r 7) Untühtig zur Wirthſchaftlichkeit. Ein 
junger Mann muß viermahl verderben, ehe er haufen (haus: 
\ halten) lernt. 

8) Unvorfidhtig. Junge Leute ftoffen überall an, 
wie blinde Roſſe. 

9) Ueber-reitzbar zur Thorheit. _ Ein Junge 
muß fieben Sahre nacheinander narren; und wenn er eine 
Stunde daran verfäaumt, fo muß er die Narrenyahre wieder 
von Neuem anfangen. 

10) Zuht:bedürftig. An jungen Baumen, wenn 
-fie gerade wachlen follen, muß man immer etwas abbauen. 

17) Gern-trotzig. Jungen Stieren wachſen Hör⸗ 


ner. 

12) Solt nicht zu früh gebilbet werden. 
Früher Wis, baldiger Aberwitz — unge Füllen zu früh 
—— nicht. — Jung ein Engel, alt ein Teufel. 
— Jung und weife fißen nicht auf, einem Stuhle. — Kin— 
dern ziemen kindiſche Geberden. IR { 

13) Soll nit vor der Zeit gu ffenttigen 
Uemtern gelaffen werden Wer mit grünem Holze 
einfeuert, bringt mehr Rauch als Hiße ins Haus. — Wer 
mit jungen Ochſen pflüget, macht krumme Furchen. — Neue 
Weine find für, haben aber viele Hefen. 

14) Sollaber fhomgar nicht verachtet wer- 
den. Wenn die Kinderichuhe zerbrochen find, fo legt man 
Stiefel an. — Jung an Fahren, Eann alt an Verſtand feyn. 


g90 


Mangel an Jahren iſt ein Fehler, der ſich mit jedem Tage 
verbeſſert. 

15) Soll ſich durch Mäßigkeit, Arbeitfam- 
keit und Sparfamfeit auszeichnen. Die Jungen follen 
zum Tifhe einen hungrigen Magen, und einen müden Yeib 
zu Bette tragen. — Langſam zum Beutel, burtig zum Hut, 
hilft manch jungem Blut. 

16) Sollfid feine eigenfte Zierde nicht 
ranben Lafjen. Drey Dinge zieren die Jugend: Witz 
im Kopfe, Verſchwiegenheit auf der Zunge, Schamröthe 
im Geſicht. 

17) Soll für daß Eommende Alter forgen: 
Willſt du in der Sugend dem alten Manne nicht Zehrung, 
Wegfteuer und Krüdengeld jchaffen, fo geh im Alter betteln. 


b) Das hohe Alter: 

1) Seine Ankunft. Das Alter ſchleicht dem Mene 
fhen auf dem Zuße nah. — Das Alter ſchleicht herein, eb 
man's gewahr wird, 

2), Gaben. 

Die Babe zu rathen. Das Alter gehört in den 
Kath. — Dan Eann dem Alter vor:laufen, aber nicht vor— 
rathen. — Alter Wein, gefunder Wen. — Alter Mann, 
guter Math. 

Körperlide Munterfeit und Stärfe Ein 
alter Adler ift itarker, als eine junge Krähe. — Ein alter 
Backſtein dauert langer, als ein neuer. 

3) Die Gebrechen. 2 

Krankhaftigkeit. Das Alter iſt auch eine Krank— 
heit. — Das Alter iſt eine Krankheit, daran man ſterben 
muß. — Das Alter hat den Kalender im Leib. — Das 
Alter ift ein Spital, das alle Krankheiten aufnimmt. — 
Das Alter erfahre alle Tage eine neue Zeitung. 

Shmwähen, abnehmende Kräfte Wenn es 
will Abend werden, fo verliert die Sonne ihren higenden 
Schein. — Alte Kirchen haben dunkle Gläſer. — Wer feine 
Augen im Futeral tragt, Eann viel überfehen. 

Shwasghaftigfeit. Alte Faller rinnen gern. — 
Alte Röhren tröpfeln gern. 

Unbelehrſamkeit. Alte Bäume find bog zu biegen. 
— Alte Hunde jind bös zu bändigen, — Man muß den Al: 
ten ihre Weife laffen. 


gr 


Kargheit. Zealter, je farger. — Wer den Alten 
zum Geben ermahnt, gibt dein Zodten eine Arzney. 
Thorheit. Für Ihorbeit hilft Eein Alter, für den 
Tod Fein Kraut. — Mander Graufopf ſteckt noch in der Bu— 
benhaut, und geht fein Lebtag in Kinderſchuhen. 
Liſtigkeit. Alte Leute, alte Ranke. — Alter Fuchs, 
alte Lift. 
Mürrifh Wefen. Alte Leute find wunderlich: das 
nimmt ihnen Niemand, denn die Hauen und Schaufeln. 
Sung feyn wollen. Mander will jung feyn, und 
bat ſchon fiebzigmahl DOftereyer gegeſſen. — Zanztein Alter, 
fo macht er großen Staub. 
Gefübhllofigkeit. Wenns auf dem Berg reift, ift 
im Ihale alles erfroven. — Wer altet, der Ealtet. 
Heiratbh der Alten. Wer mit fechzig Jahren eine 
junge Srau heirathet, ladet den Zoo zu Salt. — Heirath 
der Alten ift ein Ladfehreiben an den Todtengraber. — Es iſt 
nicht Ihön, einen Zuß im Grabe haben, und den andern im 
Hochzeitshauſe. 
Die ſchwerſten Bürden. Alt und arm ſeyn, ſind 
zwey ſchwere Bürden; man hatt’ an einer genug zu tragen. 
4) ©Segnungen des hohen Alters. Keuſche 
Ssugend, Lebensbalfam des Alterd. — Kunit it des Alters 
Zehrpfennig. — Wohlgerathene Kinder, de3 Alters Stab. 
5) Das Kunftftüd des Alters. Das Alter macht 
aus Blumen Wachs. 


6) $ugend und das hohe Alter. - 
1) Keiner ift fo alı, der nicht noch ein Jahr leben will; 
Keiner fo jung, der nicht heut noch fterben kann. 
2) Die Alten find der Jungen Spott. 
3) Beſſer gutes Alter, als böfe Jugend. — Beſſer alt 
mit Ehren, als jung mit Schande. 
’ 4) Das Alter foll der Jugend Borbild; die Jugend 
des Alterd Stütze feyn. 
5) Der Müfiggang in der Jugend bringe die ſchwerſte 
Arbeit im Alter. 
6) Schwere Arbeit in der Zugend ift fanfte Ruhe im 
Alter. 3 
, 7) Die Zungen follen bey den Alten die Ohren braus 
den, nicht das Maul. 


8) Die Zugend fol erwerben; das Alter mag davon 
ehren. 


972 


9) Zwey Dinge felten findin aller Welt: ein After, der 
sticht Yiebt und fpart das Geld; ein Junger, der ſich nicht für 
mweife halt. 
10) Was die Alten gebaut, Eönnen die Jungen nicht uns _ 
ter Dach erhalten. 

11): Wer in der Fugend die Fuße ſpart, hat im Alter 
ruhige Beine. 

12) Beſſer in der Jugend gelitten, denn im Alter. 

13) Ein Alter ſieht beſſer hinter ſich, denn ein Junger 
vor ſich. 

14) Das Alter hilft für Thorheit nicht; Jugend hat den 
Verſtand nicht. 


B. Der Unterſchied des Vermögens. 
N 


a) Die Armen. 
Sie find ı) reih an Erfindung. Meue Fünde 
- Fommen von armen Leuten. — Armuth der Künfte Mutter. 
— Armuth lehrt geigen. — Armuth fludiert. — Armuth ift 
liſtig, fängt auch einen Fuchs. — Der hungert, findet den 
Doctorhut. — Armuth hat viel zu Herren gemacht. — Ar: 
muth hat Städte gebaut. — War’ Armuth nicht, fo war Feine 


Kunft. 

2) Ihre Weisheit gilt niht. Es verdirbt viel 
Weisheit in eines armen Mannes Taſche. 

3) Sie find veradtet. Es iſt Feine Sünde, denn 
arın feyn. — An die Armuth wifcht —— die Schuhe. 
— Arme Leute kennt Niemand. — Arme Leute gehören hin— 
ter die Thüur. 

4) Sie genießen wenig. Wenig baar Geld macht 
genau zehren — Arme Leute Fochen dünne Suppen. — Be: 
Eommt der Arme ein Stüd Brot, fo reißt es. ihm der Hund 
aus der Hand. — Armer Leute Säfte gehn früh nach Haus. 
x 5) Sie werden gedrückt. Elend it unbegraben 
todt. — Armuth hat einen Stein mehr als andere Leute, — 
Das Unglück triffe nur die Armen. ; 

6) Sie find ohne Heimath. Die armen Leute 
find aud in ihrem eigenen Haufe nicht daheim. 

7) zum Glücke — fallen fie nit hoc. Fuß⸗ 
ſchämel fallen etwa um, aber nicht hoch. 

8) Und ſchlafen wohl. er — Betten liegt 
man wohl. 

9)9) Sind auch ſicher vor RR HR Gift fin- 
bet man nit in armer Leute Küchen, 


» 95 


RAN Bon den Armen müß man wohl unterfheiden die 
Steig: Bettler, die arbeiten könnten, und nicht wollen, 
denn diefe find unerfattlid. Bettelſack fagt nie: ic 
babe genug. — Der Bettelfack wird- nie voll. — Der Bet: 
telfack hat einen langen Zettel; man trägt aller Welt Garn 
darein, 

11) Unverfhamt. Es erſchrickt Fein Bettler vor 
einem großen Stück. — Betteley ſchmeckt wohl einem unver- 
fchamten Maul. — Kein Bettler fagt, es ift zu viel, 

12) Reich, Bettler faften felten. — Es ift nichts reis 
cher, als der Vettel. — Der Bettler hat voll auf, ohne Sorg 
und Arbeit. 

13) Bettler-Marime. Viel Handwerk in der Welt, 
Betteln das beite. 

14) Beftändigfeit im Amte. Sobald Einem der 
Bettelfack in. der Hand erwarmet, fo legt erihn nimmer ab. 

15) Neben= Handwerk. Die Armuth findet auf 
ungefehrten Banfen. — Am Tag ein Bettler, zu Nachts ein 
Dieb. 

16) Bettler-Gemählde. Der Bettler treibt das 
goldne faule Handwerk; dabey er ſechs Tage feyert, und den 
fiebenten vor der Kirche fißt: — . Der Bettler bat Fett und 
Mahl, Haus und Hof, Kiſten und Kaften bey andern Leuten, 

17) Bettler-Neid. Es neidet ein Bettler den an- 
dern. 

18) Bettler:Feind. Die Bettler find den Hunden 
feind, und die Hunde den Bettlern *) 

19) Gotrlofe Bettler. Gottlofe Bettler geben gern 
Verräther, Mordbrenner, und Meucelmörbder. 

“ 20) Bettler-Abkunft. Der Vater ein Schlem— 
mer, der Sohn ein Bettler. 


b) Die Reihen. " 
1) Sie find hoch in ihrem Sinne. Es ft nichts 
Stolzeres, als eine volle Taſche. — Geld fahrt auf hohen- 
Sdlitten, Armuth geht zu Fuß. — Wo Gold redet, da gilt 
al andere Rede nicht. — Der Reiche redet eitel Zentners 


worte. — Des Neihen Wort ai; denn es ift mit Gold ge— 
füttert. 





*) Denn fie find eines bandwerte⸗ leben beyde » von der 
Gunſt —* DERER: 


* 


94 


2) Glauben an die Allmacht, und an den 
Adel des Geldes. Baar Geld ift die Lofung. — Schimm: 
lig Geld macht edel. — Das liebe Geld Fann Alles. — Es 
ift überall nur um das liebe Geld zu thun. 

» 3) Geben nicht viel gute Worte. Geld im 
Seckel dußet den Wirth. 

4) Sind angefeben, bey wenig Kunft und 
Tugend. Man gibt mehr um einen Heller Kunft in Gold 
gefaßt, ald um einen Zentner im Zwilchſack. — Hält id 
Geld, ich wäre fromm genug. 

5) Haben nicht nothwendig feine Gitten. 
Es ift ein Zwilchſack nie feiden gewerden ob er wohl voll 
Geld if. 

6) Haben manderiey Zuflüffe Aus viel Beu- 
teln ift gut Geld zählen. 

7) Geben nidt gern. Das Geld hat Podagra’s 
Art: wo's ift, da bleibt's. } 

8) Lieben Eöftlihe Tafeln Wer viel Pfeffer 
bat, pfeffert auch fein Gemüs. 

9) Sind arm am Geifte. Reichthum und Schnup⸗ 
ven fallen meiftens auf die Schwaden. 

10) Können aud die ungeredteften Pro 
zeffe gewinnen. Eine Hand voll Gold ift ſchwerer, denn 
ein Sad vol Recht und Wahrheit. 

11) Shr wahrer Schatz. Almofen ift der Keichen 
befter Schatz. 

12) Ein beiferes Nicht-Geben. Beſſer nichts 
geben, als geraubtes Almofen. 





3. Weltkunde. 


Die deutſchen Sprichwörter ſind Weltkenner, ſie 
kennen den Weltlauf und das Schickſal, Ebbe und 
Zluth der Dinge, Glück und Unglück. 


1. 
; Der Beltlauf. 


Sie Eennen den Weltlauf, das ift, 
1) die Geſchichte der Wahrheit. Die Wahr: 
heit BEN Eeine Herberg. — Die Wahrheit hat Dinte im 


u 


9 
Geſicht. — Die Wahrheit wird mit Tüchern behängt, wie die 
Altare in der Faften. — Mit der Wahrheit fpielt man alle 
Mole den Eharfreytag. — Zur Begräbniß der Mahrbeit ges 
hören viele Schaufeln. — Das Seil, womt man die Wahr: 
beit aus dem Brunnen zieht, ift ſchon lange zerbroden. — 
Wenn man die Wahrheit auf großer Herren Tiſch bringen 
will, muß man viel füße Brühlein daran machen. 

2) Lohn der fhweren Arbeit. Die Roſſe, die 
den Haber bauen, freflen am wenigften davon. — Die Efel 
tragen das Korn in die Mühle, und befommen die Spreu. 

5) Dauer des Beyfalls. Nichts alters eher, als 
Lob und Ehr. i 

4) Wohlgefütterter Müfiggang. Dem Mü: 
Bigganger gehören zwey Brote; denn er hatte fonft nichts zu 
thun, wenn er nicht des Leibes pflegte. 

5) Beredfamfeit des Reichthums. Neiche leute 

jind überall daheim. — Wenn das Gold redet, fo fchweigt 
alle Welt. — Groß Geld, groß Glaub’. 
j 6) Die Fleinere Zahl der Guten. Die braven 
Leute find dünn gefaet, und figen weitvon einander. — Das 
Unfraut wuchert beffer, als der Weisen. — Es Eommen auf 
jeden Edelſtein viele taujend Kiefelfteine. 

7) Zugendlob. Fromme Leute lobt Sedermann, und 
laßt fie betteln gahn (gehen). 

8) Anſehen, Verahtung. Wenn der Wagen 
aufrecht ftebt, fo figt Jedermann darauf; fällt er, fo flieht 
Sedermann davon. 

9) Sieg des Goldes. Ein Quintlein Gold wiegt 
mehr, als ein Zentner Gerechtigkeit. — Eine Unze Gunft 
und ein Quintel Gold wiegt mehr, als ganze Schiffe und 
Magen voll Recht. — Geld ift Königinn, Tugend und Kunft 
ihre Schüſſelwäſcherinn. 

10), Geld ausleihen. Dem Leiher geht man ent: 
gehen bis vors Thor; dem Forderer fehlägt man die Thür von 
Meitem zu. — Den Leiher ſucht man viele Meilen auf; den 
Zorderer wirft man die Stiege heranter. 

11) Gewalt, Redt. Die Gewaltigen handeln mit 
Geld, die Schwachen mit Nedt. 

12) Gerehtigfeit. Kleine Diebe hängt man, vor 
großen zieht man den Hut ab. — Große Diebe henken die 
Eleinen. 

15) Stück ohne Verſtand. Es brinat ben Nar— 
ven fein eigen Glück um. | 


» e2 


96 


14) Liebe ohne Beftand. Wenn das Feuer im 
der. Küche ausgeht, fo löſcht es auch in dem Herzen aus, 

15) Ball wohne Hülfe. Wer da liegt ,) der liegt; 

‚ ihm hilft Niemand wieder auf. — Wer liegt, über den läuft 
alle Welt hin. 

16) Bewirtbung. Man empfängt die Saite freunds 
ih mit Mund und Hand, und mit Herzen, wie Gott wohl 
weiß. 

17) Unglaube. Die Welt glaubt 2 bis ihr das 
Waſſer in’s Maul rinnt. Die Welt glaubt nicht, bis ihr 
der Glaube in die Hande kommt (bis ed handgreiflich wird). 

18) Druck der Guten. Wenn es Glück regner, 
figen fromme Leute im Schnee. 

19) Tapferkeit und Life. Wo die Löwenhaut nicht 
hinreiht, da Enüpft man ben Zuchspelz daran: " 


3 ha: 
Das Schickfal— 


Sie kennen die Schickfale der Menſchen: 

1) Des Künftlers,. Hohſteiger fallen gernz gute 
Schwimmer ertrinken gern. J 

2) Des Sinkenden,- Einer Wand, die fallen will, 
gibs. Sedermann ein Stößlein. 

3) Des füßen Herrn. Wer Jedermanng Freund 
ſeyn will, muß Jedermanns Narr feyn. — Kunde, die Se: 
dermanns Geſellen find, hat man nicht gern. 

4, Des Niedern, Gemeinen. Wer fih wie 
Koth ans Rad hangt, den laßt man wie Koch am Nabe banz 
gen, bis ihn das Nad wie Koth wegwirft. 

/ 5), Des Spielers. Es fpielen fi) eher gehn arm, 
denn Einer reih. — Die Karte gibts nicht. 

6) Des Biedermanns. Biedermanns Erbe Tiegt 
ın allen Landen. | 
. 7) Des Furchtloſen, Tapfern. Wer dem Un— 

glücke unter die Augen gebt, ben fürchtet es; wer es fürchtet, 
den jaget es. 

:8) Des ee rigen und des Filzen. Der 
Milde * ſich reich, der Geitz nimmt ſich arm. 

9) Des Schwachen. Stauden können den Eichen 
feinen Trotz biethen. — Hügel werfen bie, Berge nicht um. 

10) 


97 


10) Des Wohlthätigen. Wer den Leuten aufhilft, 
dem greift man gern an ſeine Bürde. — Offne Hand macht 
offne Hand. — Wer dem Andern den Arm unterlegt, den läßt 
man nicht leicht fallen. — Wer dem Andern ein Kiffen unter- 
legt, findet anderswo ein Bett, < 

11) Des Buhlers. Buhler bauen felten hohe Hau= 
fer, 

12) Des witzigen Knechtes. Einem wißigen 
Knechte müſſen auch die Edelleute dienen. 

15) Des Frommen und des Böſen. Dem From— 
men legt 8 ein Kiſſen unter, dem Schalke zwey: 

14) Des Leckerbaften. Aus dem reichen Schlecker 
wird ein armer Leder. 

15) Des gehorſamen Dieners, Mer auf Gnade 
dient, den lohnt man mit Barmberzigfeit. 

16) Des Vielgefheiden. Gefcheide Hündlein 
* der Wolf ins Holz. — Geſcheide Hahnen frißt der Fuchs 


17) Des Weifen, Es thut Fein Weiſer eine Eleine 
Thorheit. Bi: 
18) Des Stehlers, Werfindet, eheverloren wird, 
ftirbt, eb er Eranf wird, 
\ 19) Des Geehrten, Kein Kranz fhüßt vor Kopfr 
wehe. 
20) Des Streithitzigen. Biflige Hunde haben 
zerbiffene Ohren, Böſe Hunde haben zerriffen Fell. 
21) DesNeuen und Abgenützten.. Sftder Löf⸗ 
ir neu, fo braucht ihn der Koch: iſt er alt, fo wirft er ihn in 
das Feuer. — Iſt der Schild neu, fo hängt man ihn an die 
Wand; wird er alt, fo ſtößt man ihn unter die Banf, 
22) Des Fremden. Wenn ein fremdes Hühnlein in 
den Korb Eommt, fo beiffen eg die alten Hühner wieder aus, 
25) des Ohbnmädtigen, Sit der Löwe todt, fo raus 
fen ihm die Hafen den Bart aus, 





67 


Die Ebbe und Fluth menſchlicher Dinge, 
' Die deutfchen Sprichwörter Fennen das Loos — die 
Ebbe und Flurh menſchlicher ge 
Sailers Sprichw. 


f 


98 


1) Brechlichkeit des menſchlichen Befises. Gut und 
Leben bangen an einem Zwirnsfaden. — Es hangt an einem 
Geidenfaden. 

2) EitelEeitder menſchlichen Hoffnungen. Die Braut 
ftirbt, ehe fie der Brautigaın zur Kirche führe. — Wer weiß, 
was der Abend bringt? — Es wird noch viel gefchehen, bis man 
den Löffel zum Munde bringt. — Die Kuh ftirbt auf dem Wer 
ge, ehe man fie in den Stall bringt. — Bis das Gras nad: 
wacht, mittlerweile ftirdt das Pferd. — Es find noch nicht 
Ale ſchlafen gegangen, die heut eine böfe Nacht haben follen. 
— 68 ijt noch nicht Allerheiligen Abend. 

3) Das Verfeben. Es ift ein Ueberfehen in allen 
Spielen. £ 

4) Unfiherheit des Starken. Es ift Keiner fo 
ſtark, er findet —5 Stärkern. 

5) Der Wechſel. Eines treibt das Andere, — Es 
weht nicht immer ein Wind. — Es ſteht auf der Spitze. — 
Was du ſiehſt, ift wie ein Schatten an der Wand. 

6) DasGelingen und Miflingen. Wagen ge: 
winnt, Wagen verliert. 

7) Ungewißbeit der Zufunft. Sch weiß wohl, . 
was ich babe, aber ich weiß nicht, was ich überfomme, 





4, 4 
Stück, Unglück 


Die deutfhen Sprichwörter find unerſchöpflich in 
Zeihnungen des Glücks und Unglücks, und in vernünf— 
tigen —— wie wir uns in Hinſicht auf beyde verhalten 
ſollen. 

Das Glück. Gluckt es Einem, fo glückt es Hunder⸗ 
ten nicht. — Das Glück hat Flügel. — Dem das Slüd pfeift, 
der tanzet wohl. — Das Glück muf den Mann, nicht der 
Mann das Glück fuhen. — Das Glud ift ein Geber und ein 
Nehmer. — Glück läßt fih finden, behalten ift Kunft. — 
Mittelglüdf, das beite. — Groß Glück, groß Gefahr. — Glück 
ohne Mangel, nicht ohne Angel. — Dem Glück ift niemand 
ftark genug. — Wem das Glüf zu wohl will, den machts zum 
Narren. — Wer das Glück hat, der führt die Braut heim. 
— Das Glücksrad geht um — Das Glück it gläſern. — 
Glück und Glas, wie bald bricht das? — Groß Gurk halt 


"95 


nicht Tang Farb. — Gut Glück gebiert Narren. — Schnell 
Glück, ſchnell Unfall. — Ander Mann, ander Glück. — Dar: 
nach fih Einer ſchickt, darnach es ihm glückt. — Das Glück 
it blind, und made blind. — Das Glüd ſchenkt nichts, Teihet 
nur. — Das Recht ift des Wachenden, das Glück des Schla- 
fenden. — Wem das Glück nicht wohl will, der bricht das Bein 
auf ebner Erde. — Des Glücks Gewalt, hat Mond's Geſtalt. 
— Es kommt Manchem das Glück vor die Thür; wenn er fie 
nur aufthat, ehe es weiter lauft. — Es kauft Einer vom Anz 
dern die Waare, aber das Glüc dazu kann Keiner mitEaufen. 
— Das Glüd lauft Einem ins Haus, dem Anderen daraus, 
— Auf und ab tanzt das Glück wie ein Ball. — Jetzt auf, 
je&t ab, dann wieder auf, das tft des Glücks gemeiner Lauf, 
— Kommt einmahl Glück; es Fommen fünf Sturmminde dar- 
nad. — Wagen hat Glück. — Mo das Glück anfegt, da reg= 
net es Glück. — Iſt dir ein Glück befchert, fo gaucfelt es quer- 
feld ein, — Wer fein Glück hat, dem verbrennt das Brot im 
Dfen. — Wer vor zwanzig Jahren nicht [hön wird, vor drey— 
Fig nicht ftark, vor vierzig nicht Hug, vor fünfzig nicht reich, 
der ınag feines Glücks wohl erwägen ; e3 ift an ihm alle Hoff 
nung verloren. - ——— 


Unglück. Das Unglück bat breite Füße. — Das Un— 
glück blüht ihm vor der Thür. — Beym Unglück iſt feyern das 
Beſte. — Selten kommt Ein Unglück allein. — Man darf 
dem Unglück keinen Bothen ſchicken; es kommt von ſelbſt, und 
zu früh ins Haus. — Es führt Einer ſein Unglück ſelbſt ins 
Haus. — Ein Unglück, kein Unglück. — Ein vermeſſener 
Menſch macht ſich ſeibſt viel Unglück. — Ein zänkiſcher Menſch 
richtet nur Unglück an. — Ein Unglück, das andre bringt auf 
dem Rück. — Das Unglück kommt ungebethen. — Wer Un: 
glück gekoſtet hat, der weiß, wie es Andern ſchmeckt. 


Glück und Unglück. Glück und Unglück wandern 
auf einem Steig. — Glück und Unglück find zwey Nachbarn. 
— Glück und Unglück tragen einander auf dem Rüden. — 
er Fein Unglück gehabt hat, weiß von Feinem Glücke zu far 
gen. — Des Einen Glück, des Andern Unglück. — Glück und 
Unglück ift le Morgen jedermanns Frühſtück. 


— — —— — 


7 * 


109 
| ı. I 
Religions-Staats-Jamilienfunde, 





A Nehgionskunde. 


Die ältern deutſchen Sprichwörter find eine lebendige 
Tradition deg religiöſen Sinnes unferer Vorältern; 
fie überliefern den Sinn für das Göttliche, gleihfam von Mund 
zu Mund, mit dem Unterſchiede; in einigen ift Religion 
überhaupt, in einigen hriftlihe Religiom insbefondere, 
in andern katholiſche Religion in ihren mandyerley Eins 
richtungen, Gebräuchen ꝛc. bald ausgeſprochen, bald voraus: 

eſetzt. 
eu i Die deutfchen Sprichwörter waren auch fo vernünftig, 
daß ihnen Religion und Tugend Eines war. 

Es wird meinen Lefern lieb feyn, die Religion, die jeßt 
aus fo vielen Gemüthern im eilenden Sluge zu ſchwinden fcheint, 
in den Sprüchen der Vorzeit noch firirt zu finden. 





—— 
Religion‘. 


Die deutfchen Sprichwörter find Feine Utheiften, fondern 
vielmehr treffliche Keligionslebrer. Denn 

Sie fetzen 1) oben an, was oben an fteht, 
wir mögen es fetzen, wie und wo wir wollen: 
Gott und die Religion. Ehe du Gott ſucheſt, muß dich 
Gott fhon gefunden haben. — Alles mit Gott. — Mit Gott 
den Anfang. — Die Erde Fann nicht gegen den Himmel po— 
den. — Was man in Gottes Nahmen anfängt, das geht in 
Gottes Nahmen hinaus. — Gott Laßt ſich allenthalben fin- 
den. 





*) Der Reichthum religiöfer Sprichwörter ift unerfchöpflich, 
und ihre Lauterkeit Höchft merfwürdig; aber beyde weifen 
offenbar auf Eine Quelle, die ſogleich genannt werden fol. 
und ſchon die hier angeführten find nach Farb und Ge- 
Halt, nach Wort und Geift, Daraus genommen. 


101 


Sie finden 2) Alles in dem Einen Gott: Alle 
Melt lebt Eines Gottes, aber niht Eines Menfchen. — Wir 
alle tragen Güter von unferm Herr: Gott zu Lehen. — Bey 
Gott ift Rath und That. — Wo alle Menihenhand zu Eurz 
iſt, da iſt Gotteshand noch lang genug. — Gott verſüßet den 
Waſſerkrug, und würzet den Haberbrey. — Gott iſt der Ar— 
men Vormund. — Einer fohlaft, und fein Ne fängt: Gott 
gibts im Schlafe. 

Sie verfünden 5) Gottes Allwiffenbeit, 
Allmabht, Alteinfluf. Eh man ein Wörtlein ſpricht, 
weiß Gott, was uns gebridt. — Gott ſieht in das Herz, der 
Menſch auf das Aug. — Kein Ort ohn' Ohr, kein Winkel ohn” 
Aug, Feine Nacht ohne Licht, Fein Wald ohne Zeugen. — Der 
Buſch hat Ohren, das Feld har Augen. — Das ganze fchöne 
Gemwölb Gottes ſteht feft, und hat doch Eeine Pfeiler. — Wo 
Gore nicht zu Rath Haft, da bleibt nichts, wenns gleich in tau— 
fend Schlöffern bewahrt ware. -— Gott laßt fi) keinen Baum 
in den Himmel wachſen. — Wider Gott hilft Feine Macht. — 
Wo Gott vorangeht, da mag ihm Fein Riegel im Wege fteben. 
— Gott laßt fi) feine Uhr von feinem Menſchen ftellen. — 
Gottes Zeiger geht langſam, aber richtig. — Gottes Rath 
ſchläft nicht. — Gottes Rechnung fehlt nit. — Gott rech— 
net anders als die Menfcben. — Gott ift der rechte Kriegs⸗ 
mann. Der Sieg iſt Gottes. 

Sie predigen 4) einen gütigen, heiligen, 
gerehten Gott, und maden insbefondere auf 
die Grundgeſetze der göttliden Weltregierung 
aufmerfjam,. Bey Gott gilt der Bauer fo viel als der Jun— 
ker. — Wo Einigkeit ift, da wohnt Gott. — Gottes Furcht 
lebet lang. — Die Aeltern können ihren Erben Haus und Hof 
binterlaffen; aber ein gutes Weib befhert Gott. — Gott hilft 
dem Fleiß. — Wenn Gott Einen ftrafen will, fo thut er ihm 
die Augen zu. — Gott begegnete dir überall, wenn du ihn 
grüßen möchteſt. — Gott grüßet alleWelt, aber Wenige dan- 
Een ihm. — Den Menfchen gibt man mit Geben, Gott mit 
Nehmen und Danfen. — Des Menichen Barmherzigkeit geht 
über feinen Nächſten, Gottes Barmherzigkeit über alle Welt. 
— Wenn Gott hilft, fo macht er dir auch deinen Feind zum 
Freunde. — Das Gute leidet Noth, aber nicht den Tod. — 
Wenn man lange anfchreibt, fo rechnet man zuleßt ab. — 
Wenn die Birn zeitig ift, fo fallt fie ab. — Wenn die Ruthe 
ausgedient hat, fo muß fie in den Ofen. — Gott bleibt nicht 
aus, wenn er gleich verzieht. — Gott fieht durch die Finger, 


102 


aber nicht immer. — Untreue trifft zuleßt.ihren eigenen Herrn. 


— Einen zeitigen Dieb erläuft ein hinfender Scherg. — Gold 
geht durch alle Thüren, ausgenommen die Himmelsthür. — 
Wer Gott zum Freund hat, den lachen alle Kreaturen an. 
Sie verbannen 5) durch Religion alle un: 
nütze Sorgen und Furchten. Wer. Gott vertraut, 


hat wohl gebaut. — Der alte Gott lebet noch. — Gott ver: _ 


laßt die Seinen nicht. — Gott befcheret über Naht. — Laß 
‚Gottes Waſſer über Gottes’Land laufen. — Der frommen 
Menſchen Sorgen nimmt Gert aufıfih. — Gott gibt nicht 
mehr Sroft alsKleider. — Laß Gott rathen. — Gibft du, jo 
vbeſchert Gott wieder. — Gort laßt alle Jahre eine neue Welt 
werden. — Es iſt droben, der den Ader vertheilt. — Was 
Gott beſchert, iſt unverwehrt. — Biſt du in Gott, fo fürchte 
Feine Noth. — Gottes Gnad erfüllt die Welt. — Gott hat 
mehr, als er je gab. — Gottes Hand it immer. offen, und im- 
mer voll. — Es ſteht bey Gott. — Es liegt in Gottes Hand. 
— Die Hoffnung ifbiunfer, „der Ausgang Gottes. — Das Heil 
ſteht im Gottes Hand: — Wir alle find in Gottes Hand. — 
Gott muß ſchicken, wenn's foll-glüden. 

Sie Lehren6) uns aus ReligionGutes thun 
und Böſes meiden Frommer Manny, hilft, wo er kann. 
— Man ſoll mit unſerm Herr Gott norlieb nehmen. — Trink 
und iß, Gottes nicht vergiß. — Trink und iß, des Armen 
nicht vergiß. — Wer Prieſter, Weib und Alter nicht in Ehren 
hat, der ſchändet Gott. — Wer Prieſter, Weib und Alter nicht 
in Ehren hat, den ſchändet Gott. — Thu wohl, und ſchau 
nicht um; das iſt Gott angenehm... ,4..0 ur; 

Siefaffen 7) in der kindlichen Furcht Got— 
tes alle Religion, alle Tugend, alle Weisheit 
zufammen. ‚Die Furcht des Herrn. tft, ein gefegneter Gar— 

en; die fchönften Olumenund Fruchte wachjen darin. — Wer 


Gott fürchtet, hat nichts anders zu fürchten. — Der Zucht 


des Heren mangelt. nichts. — Wer Gott fürchtet, über den ut 
niemand, — Liebe Gott den Herrn, und thu, was du willſt. 
—Sie warnen 8) vor aller Gotthoſigkeit. Bey 
den Sottlofen hat man gewiffePoft in. die Hölle. —, Blas dem 
Gottlofen jein Feuer nicht auf, daß du nicht mit verbrenneft. 
— Der ottlofe iſt wie ein Wetter, das über ihn bingeht, und 
nicht mehr ift. — Gottes Schal, alle, Welt Schal. ,.  - 
Endlich: ,fetzen fiewie, dieReligion, fo aud 

die wahre Andacht, die nichts als der lebendige 
Athem der Religion ift, oben an. Lang Mundwerf, 


1953 


ſchlechter Gottesdienft. — Nicht der Ort, das Herz macht das 
Geberd. — Das Gebeth will das Herz ganz und un haben. 
— Der Srommen Gebeth ſcherzt niht. — Das Gebeth made 
der Witwe; einen Wal um ihr Hauslein. — Die kurzen Stoß⸗ 
gebethlein ‚find die beiten. — ‚Kurzes Gebeth, tiefe Andacht. 
— Gott ſchlaft nicht, daß du ihn mit viel Worten erft aufwec— 
‚Een müßteſt. — Noth lehrt bethen. — Sorgen treibt zum 
Gebeth, Gebeth vertreibt die Sorgen, — Gebeth iſt ein Dop— 
pelſchlüſſel, (er ſchließt das Herz des Menſchen und die Pforte 
des Himmels auf). — Das Bebeth, des Betrübten ift ein lieb: 
licher Befang in Gottes Ohr. — Das Gebeth des Armen dringt 
durch die Wolken, — Des D Demütbigen Gebeth geht. durch den 
Kinmel; — Zum rechten Gebeth gehören ein ‚aut reifen, 
heifige Hände, und ein frommes Herz. ei 


Iomhl; 





* 
Chriftlige NReligiom. * 


a) Die heiligen Schriften der' Ehriften. 

Wie die heiligen Schriften in Kirchen und’ Haͤuſern gele- 
fen, erklärt wurden, fo drang das Ferment der göttlihen 
Wahrheit immer tiefer in die Gemüther, und von da in dag 
Leben, und indie Sprichwörter ein. Und, da in den heiligen 
Schriften ſelbſt Spridwörter, 5. B. die des Könias Salomo 
zc. enthalten jind; da die Lehre Chrifti viele ſprichwörtliche Re— 
densarten in ſich hat, da fi die Lehren des Evangeliums leicht 
in Sprichwörter umbilden laffen; da Kirhenvdter und Prediger 
wirklich viele ſinnvolle Sprüche in die Gemeinen gebracht ha⸗ 
ben; du die Wahrheit im heilen Lichte geſchaut, auch im Volke 
Sprüche erzeugen muß; da in den Hütten der Leidenden, und 
in den Herzen gottfeliger Mutter gewiß die ſinnreichſten Sprü— 
che ſind geboren worden: ſo läßt ſich wohl begreifen, wie viel 
die deutſchen Sprichwörter auch an Sinn und Geiſt dem Chri⸗ 
ſtenthume zu verdanken haben werden. 

So iſt der Spruch Salomos VIII. Die Weis: 
beit fpielt auf dem Erdenrunde, — offenbar zum 
Bolksfpeihworte unter den Ehriften geworden. Die Welt 
üſt unfers Herr-Goſtt's Spielkarte. — Und die 
Sprüche Salomos von der Gottesfurcht und beſonders der 
Spruch: Gottesfurcht aller Weisheit Anfang, — 
was mögen ſie in chriſtlichen Gemeinen, in Familien in Bil— 


104 


dung des zarten Kindergefchlechtes gewirfet haben? Auch ver- 

dient bemerkt zu werden, daß von Salomos Sprüchen nicht 
nur der große Snhalt und Geift, fondern mit Inhalt 
und Geift zugleih die Charaftere der Sprichwörter 
in viele Sprüde der Sfraeliten, und der Chriften übergegangen 


feyn. 

’ Salomo's Sprüche zeichnen ſich durch Anm utb, und durdy 
EindringlidEeit aus. Und gerade die Anmuth, und die 
Eindringlichfeit find das wahre Mufterbild der Sprichwör— 
ter, das er felbit in zwey Sprüchen aufitellt; denn nad) ihm 
haben die Sprüche der Weiſen eine Schönheit und An— 
mutb, wie goldene Aepfel in filbernen Schalen, und eine 
Kraft und EindringlidEeit, wie fharfe Spieße und 
Nägel (Sprihw. XXV. ı1. Predig. XII. 9.) 

So find einzelne biblifhe Ereigniffe Univerfaldharaftere 
geworden, 5%. Betrug bat Fafobs Stimme und Efaus 
Hand. — An Höfengibtesmehr Achitophel, LEN: 
— Leber des Gottlofen Haus freut Gott Schwefel aus. 
Der Gottfeligen Thränen find der Öottlofen Sündfluth und 
rothes Meer, darin fie erfaufen. 

So ift, um die Epoche des eigentlichen Chriſtenthums zu 
berühren, der Spruch des heil. Paulus: Die Menſchen 

pflanzen und waffern: der aber, der das Gedei- 
ben gibt, ift Gott, — zum Sprichworte chriſtlicher Völ— 
Fer geworden. Die Arbeit ift unfer, das Gedeihen Gottes. — 
Die ‚Arbeit ift des Menſchen, die Sorge Gottes. 

So haben die Lehren Ehrifti von der Beftandigfeit 
im Guten, und von der Zuverfiht auf Gott die Geſtalt 
zweyer Sprichwörter angenommen. Leg die Hand an den 
Pflug, und fieh nicht mehr um. — Wirf im Nahmen Gottes 
das Netz aus. 


——9 Geiſt des Chriſtenthums. 

Da die tiefſinnigen Sprüche nur tm Gebiethe der $ Innig⸗ 
keit erzeugt werden, und der Geiſt des Chriſtenthums darin be— 
ſteht, daß das Gemüth des Menſchen von Außen ab: und nad) 
Innern ein-, und von da zu Gott hin-gewandt, und in diefer 
Richtung gehalten werde; kurz, da es eigentlich Chriſtus iſt, 
der innige, gottſelige, himmliſche Gemüther bildet: ſo mag es 
von ſelbſt einleuchten, was für himmliſche Lehr: und Kraft— 
fprüche der Geift des Chriftenthums ın hellen, reinen, freyen, 
groben Gemüthern möge ausgeboren haben. Davon im fünf- 


/ 


105 


ten Hauptſtücke eine merkwürdige Probe, aufdieder Leſer ſchon 
einmahl verwiefen ward. 


c) Die Grüße und die Wünſche derChriften. 

Wie das Ehriftenthum die Sitten, und das äußere Leben 

des Menſchen bumanifirte, fo mußte es vorher das Gemüth 

des Menſchen, und mit dem Gemüthe die Gedanken, die 

Triebfedern, und mit den Zriebfedern die Neigungen 
und Wünfche divinifirt haben. 

Jetzt hat die Cultur faſt alle Herzlichfeit, und mit der 
Herzlichkeit fait das Wort von Gott aus unfern (fo genannten 
oder jich fo nennenden) gebildeten Zirfeln verfcheuchet. Wir 
haben jegt eine fo feine Gefelligfeit, fo feine und harmoniſche 
Gefellihaften, fo genußreihe Verfammlungen, daß darin ein 
Laut von Bott als Sünde wider die Reinheit der Sitte — 
als ein Störer der Harmonie, und des Genußes mit Verachtung 
beftrafet, oder wenigftens.ald Mangel an gutem Gefchmade 
leife geahndet würde. , Olim non sic, und in frommen 
Familien, in Dörfern, in Hütten ift es noch nicht verſchwunden, 
was ehemahls herrfchend war, Gott in alle Grüße, Wünfce, 
Reden nicht einzuflehten, denn er war fhon darin: 
fondern den Nahmen Gottes überall anzurufen, die Güte Got: 
tes überall zu preifen, mit ihm Alles anzufangen, fortzufesen 
und zu vollenden. —. 

Das war die fhöne Chriftenfitte, das zeigen nod) die 
Wünſche. Gott helf euh! (beym Niefen). — Gott gefegne 
es euch! (beym Eifen), — Gott grüße euh! (beym Wiederſe— 
ben). — Gott gebe feine Gnad dazu! (bey guten Unterneh: 
mungen). — Gott behüthe euch! (beym Abfchiede). — Gott 
gebe euch einen guten Morgen, einen guten Tag, einen guten 
Abend! (wenn die Menfchen einander zu verfchiedenen Zeiten 
begegnen). — Gott vergelt.es div, Gott bezahl es dir zu tau— 
ſend Mahl! (bey Empfangung einer Gabe). — Dass Walt 
Gott! abey ungewiffen Ausgangen). 


dc) Sprichwörter, die das Chriſtenthum vor: 
ausfetzen. A 

Unzählige der alten deutfchen Sprichwörter fegen, mie 
das ganzeChriftenthum, fo auch einzelne chriſtliche Lehren, 
einzelne S chriftftellen, einzelne hriftihe Einrihtrun- 
gen voraus. 

1) Refpect vor Gottes Wort. Ein Wort Gottes 
iſt größer als drey Welten, — Es läßt jih mit Gottes Wort 


106 


nicht ſtückeln, noch flicken. — Gottes Wort, das befte Sai— 
tenfpiel. — Es ift nicht alle Rede ein Evangelium... 0% 
2) Gottes Wort und Glaube. Wort und Glau— 
be find —— zuſammen gegeben: Eeines ſoll ſich von dem 
andern ſcheiden laſſen. 

3) Adelsbrief des Chriſten. Chriſten werden 
nicht geboren, ſondern wiedergeboren. ) 

2) Predigt. Eine gute Predigt muß nicht zu breite 
Treffen haben, das Tuch daran muß noch zu fehen feyn. — 
Gute Exempel, halbe Prediger. — Predigt hören faumee nicht, 
Almoſen geben armet nicht, unrecht Gut wuchert nicht, Got: 
tes Wort trüget nicht. - * 


5) Prediger, die Gutes lehren, Boͤſes ehun. 


Die Zimmerleute bauen gute Archen für Wenige: aber fie fel- 
ber ertrinken lieber mit den Dielen: — 

6) Dad Neih Gottes: Das Reich Gottes halt 
nicht Paucker und Beiger, (Fommt ohne Geraͤuſch, und geht 
ftitl, wie die Natur.) — Mit Leib, Blut und Gut fißt man 
in * Kaiſers Reich; mit Glaub und Gewiſſen in Gottes 
Reihe ’ 
7) Chriftengebeth. "Der Gläubigen Water unfer, 
und heiffe Thranen find wohl zu fürchten. — Das Gebeth des 
Ehriften ift seine allmächtige Kaiferinn. 

8) Almofen geben, und das geld bauen. 
—9 —* feiner? Erde it gut auf Wucher leihen: fie zahlen 
vehih) —9 — WW 

9Die evangeliſchen Erzählungen von Stil— 
lung des Sturms, Matth. XIV., und vonder Brot— 
vermebrung, Mark. VII. 6. 8. Gott iſt mit im Schiffe. 
— 'Chriftus laßt uns wohl finfen, aber nicht ertrinfen. — 
Unfer Herr Gott richtet viel Handwerke auf ein Mahl aus, 
ohne Menfchenhülfe pflüget, ſäet, ärndet, driſcht, mahlet, 
badet er. a 

10) Amen, das Lieblingswort Chrifti. 
Amen iſt des, lieben Gottes, großes ‚Siegel. 

11) Der große Sabbat. Gott verfalzet ung dier 
ſes Leben, daß wir, ung nach dem heiligen Seyerabend ‚fehnen. 

12), St. Peter. Hat mirs Gott bejchert, fo nimmt 
mirs St. Peter nicht. - 

13) Judas der Verrather Von Judas Kuf 
it ein groß Stud bey Herren: Dienern zu Hof geblieben. 





*) Das Sprichwort bezieht fih offenbar auf Job. III. 3. 


107. 


’ 14) Chriftmonath. Die Fefte der Edelfeute fallen 
felten im Chriſtmonathe. 5 
15) Die Schriftlehre von guten und böfen 
Engeln; von Satan und Holle. *) Von dem Weib: 
rauch thus ‚dem Teufel der "Kopf wehe. — Das Geberh iſt 
ein Rauchwerk, das dem Teufel Kopfweh macht. — Der Teu— 
fel iſt unſers Herrn Gottes Affe. — Der Prieiter Zankerey, 
des Teufels Jubiley. — Wer Krieg predigt, iſt des Teufels 
Feldprediger. — Wird Krieg, fo macht der Teufel die Holle 
weiter. — Wer im Galop reitet, fahrt im Trabe zum Teufel. 
— Läſſeſt du den Teufel bis zum Weihbrunnenkeffet: fo fegt 
er. fih auf. den Hochaltar. — Der arbeiter in des Teufels 
Werkſtatt, wer Zank und, Hader anrichtet. — Wer Zwietracht 
fäet, arbeiter für des Teufels Scheune. — Müfiggang ift des 
- Zeufels Orden, Arbeit iſt Gottes Stand. — Eigenwöll' brennt 
in der Höll. — Politiſch iſt engliſch reden, und teuflifch meiz 
nen. — Wenn der Teufel Eranf it, fo will er. ein Mönch 
werden : ifE er wieder gefund, fo bleibe er, was er war, — 
Die Aemter find Gottes, die Perfonen (manchmahl) des 
Teufels 
16) Eine ſprichwörtliche Redensart, die aus dem Chri— 
Renglauben an die Unfterblichkeit geboren, und in Bayern 
ſehr einheimifch ift, kann ich nicht verfhweigen, Wenn z. 8. 
in Winterabenden in meines Waters Haufe die Nachbarn zus 
fanmenfamen, und das Gefprach fih auf Verſtorbene lenkte, 
fo ſetzten ſie, fo oft, ein Todter in die Erzählung kam, dag 
Einjhiebjet bey; Er iſt in der Wahrheit, wir in 
derLuüge, — und fuhren dann in der Geſhichte wieder 
weiter, N Ta a“ 4 
‘ 17) Noch eine andere fprichwörtliche Redensart gehört 
hierher; Wenn in irgend einem Hauſe Jemand ſtirbt, und 
die Verwandten des Verſtorbenen das erſte Mahl wieder zu 
ihren Nachbarn Fommen, fo fange fich das Gefprach ſo an: 
Der liebe Gott ift bey uns eingefehrt. 


e) Chronologifhe Sprichwoͤrter. 
Die deutfhen Sprichwörter [ehren nicht nur Religion 
und Chriſtenthum; einige davon find im firengften Sin— 


— 


*) Einige Ausleger haben ſich in unſern Tagen den Kopf 
jaͤmmerlich zerbrochen, um den Teufel aus der Schrift 
„zu bannen, aber fie haben noch ein großes Stüd Arbeit; 
‚denn der Zeufel iſt in unzählige Sprichwoͤrter gefahren, 
wie dee Augenfchein lehrer. 


3 





108 


ne chronologiſch; denn fie verratbeir die Zeit ihres Ur f pruns 
ges, und den Sinn ihrer Erfinder. 3. ®. „Mars ift ein 
Ketzer, er halt nicht viel von guten Werken.“ *) 


- 


Je 


Einrichtungen, Gebraude der Fatholifhen Re 
A ligion. 7 


Ablaß. Auf folder Kirchweih gibt man ſolchen Abe 


laß. 

ö Die Beihtanftalt. Wer recht beichtet, dem gibt 
man rechte Buße- — Beicht made leicht. Ganz befennt, 
halb gebüßt. — Zu folder Beicht gehört folhe Abfolution. 
oO Monftranze Er ift eine ſchöne Monftranz, wenn 
nur. ein Heiligthum darin ware, (Gin fon Gefiht ohne Tu: 
gend.) — Er ıft ein Bild ohne Gnade. (Anfpielung auf die 
Gnadenbilder . . ein bayerifhes Sprichwort). — Es iſt nicht 
alles Heilthum, was die Bauern Füffen. (Heilthum, ftatt Hei: 
ligthum.) 
Klöſter, Abteyen. Miele Stimmen machen den 
Abt. — Wenn der Abt Würfel gibt, To fpielen die Brüder. 
— Die Kappe macht Keinen zum Mönd. — Gott ift der 
Herr, der Abt ein Mind. — War’ Holzhauen ein Orden, 
waren nicht fo viel Mönche geworden. **) 

Das Eredo in der Meffe. Man denkt fein, wie 
des Pilatus im Credo. — Er gehört zu uns, wie der Pon— 
tius ing Credo. | 

Das heilige Srab. Es hüthet Niemand das hei: 
lige Grab umfonft. a | 
. „ Kirdenfaften und Kirchenandachten. Walſche 
Andacht, und deutfche Falten gelten eine Bohne. . . 

— Wiel Wallfahrten. Wer das erſte Mahl nad 
Kom zieht, ſucht einen Schalf, zum zweyten Mahle findet 





*) Dies Sprichwort fehreibt ſich offenbar aus den Zeiten der 
Keformation her, und deutet uüzweydeutig anf den Streit 
über Glauben und gute Werke, und fein Erfinder war 
ohne Zweifel Einer von denen, die für die auten Werke 
firitten. 


”*) Sehlerder Einzelnen mögen dem großen Geifte des Gan— 
zen nichts anhaben. 


109 


er ihn, zum dritten Mahle bringt ev ihn mit fich *) nad 
Haus. - 
Faſtnacht, Faſten, DOftern. Halt Faſtnacht, daß 
du gute Faſten und fröhliche Oſtern halten kannſt. — | 
Kirche, Kapelle. Wo unfer Herr eine Kirche bat, 
da hat der Teufel eine Kapelle. | Fi: 
Kirche, Keld, Prieiter. Finſtere Kirchen, lichte 
Herzen, hölzerne Kelche, goldne Priefter. 
Kirhweihfeft. Es ift kein Dörflein fo Elein; es 
wird darin des Sahres einmahl Kirchweih' gehalten. 
Krummftab. Unter den Krummſtab ift gut woh- 
nen. 
Das Magnificat (der Tobgefang Marit, den wir 
in der Veſper fingen), Mancher hört das Gras wachen, 
und will das Magnificat verbeffern, 
| Prafenzgelder in Ötiftern. Groß Prafenz 
macht andächtige Priefter (macht nicht). AR 
St. Martinsfeft. Wem Gott reichlich gibt, der 
foll nicht täglich St. Martins Abend halten. 
Das Fegfeuer. Wem die Heirath übel geräth, 
der hat das Fegfeuer fein Leben lang im Haus. 
Franziskaner-Aermel. Mancer hat ein weites 
Gewiſſen, wie Sranzisfaner = Nermel. | 
‚ Weihbrunnen. Biel Hand’ und wenig Herzen gibt 
man zu Hof für Weihbrunnen. 


4. 
Die Religion von ihrer moraliſchen Seite. 


a) Die Lehre von dem Gewiffen, 

Die Untrüglidhfeir des Gewiſſens. Das Ge 
wiffen it des Menfchen Gott. — Dem Gewilfen Eann man 
Eeinen Affen drehen. — Ein gut Gewiffen ik ein Iebendiger 
Zeug im Herzen, — Ein gut Gewiffen it beffer, alg hundert 
Zeugen. | | 

Dasrihtende Gewiſſen. Das Gewiffen iſt des 
Menſchen Schuldenbud. 





**, Dies finnvolle Sprichwort wird dem Herzoge Georg von 
Bayern zugefchrieben. f 


110 


Das warnende Gewiffen. Das Gewiffen ift ein 
guter Haushund, der die Diebe wacker anbellt — (die Sünde 
verfheudt). 

ae rvafk des Gewiſſens, zu — und 
zu betrüben. Ein gut Gewiſſen iſt der Himmel, ein bö⸗ 
ſes die Hölle. — Ein rein Gewiſſen tft am jeder Er der 
beite Biffen. — Es träumt einem Schuldigen bald vom Teu— 
fel. — Ein böfes Gewiffen bat Wolfszähne, (frißt alle Freu— 
de des Menfchen. — Bös Gewiſſen, böſer Gaft. — Böſe 
Augen und bös Sewiffen können das Licht nit leiden. — 
Ein bös Gewiffen flöhe durch einen eifernen Berg, wenns durch— 
könnte. 

Weites Gewiffen. Böſe Buben haben weite Ge 
wiffen; man möchte junge Hunde hindurch beuteln. 

Die Rube des Gewiffens. Es ſchlaͤft Einer 
fanfter in einem guten Gewiffen, als'in der ganzen Haut. — 
Auf Erde ift nichts ohne Furcht, alg ein gut-Gewiffen. 


b) Allgemeine Tugendfehre. 

‚Kein Anfang des Guten, als von Innen 
heraus. Das Zaften wie der Faſter. — Der Feyertag wie 
der Feyrer. — Das Almofen wie der Geber. — Das Gebeth 
wie der Bether. — Die Frucht wie der Bauın. — Das Werk 
wie der Meifter. 

Kein Anfang des Guten ohne Buße. Ohne 
Um =Eehren, Eein Recht = laufen. 

Kein Anfang des Guten ohne Ertödtung 
des Egoismus. Du mußt dem Teufel die Herberge auf 
Eunden, wenn Gott bey dir einfehren fol. 

"Kein Anfang des Guten ohne Gottes Önaäde. 
Wenn Gott nicht den verlornen Groſchen fucht, von felbit geht 
er nicht wieder in den Saäckel. — Wo Gott den Knopf nie 
macht, da halt Fein Bund. 

Die Lauterfeit des Guten. Gerechte thun das 
Rechte recht. Ä 

ie SHönbeit des Guten. Die Tugend hat 
eine ewige Jugend. 

Die SeligEeit des Guteih Dem Frommen ift. 
wohl. — Eines frommen Mannes kann man viel Bemrpen. 
— Bey Srommen ift man überall daheim. 

Die Sicherheit des Guten. Unſchuld bie beite 
Baſtey. — Ein’ Gerechter ift Gottes Augapfel. __ 


111 


Die Öefeligkeit des Öuten Wo Tauben ſind, 
da fliegen auch Tauben zu. 
Die Zuverläßigkeit des Guten Wenn alle 
Menſchen fromm wären, fo dürfte man keine Thür noch Thor 
zufchließen. -— Für treue Hande macht man fein Schloß, und 
feinen Schlüſſel. 
Das Andenfen des Guten. Die Sitten des 
Gerechten laffen allezeit einen guten Geruch zurück. 
Den Adeldes Guten. Tugendreich ift.wohk 
geboren. — Gut ift hoch-= geboren. ya 
Die Beftändigfeit des Guten, Beſtändigkeit 
halt Farb. 
. * 
Wie die deutichen Sprichwörter das Sute, fo Fennen jie 
auch das Bofe, 
a. wie ed werde. Das Böſe lehrt jich felber. 
b. wie esende. Die Sünde büßt fi felbft. — Die 
Sünden gehen mit Lachen ein, mit Weinen wieder aus. 
c. wie Fleine Fehler größere nach ſich zieben. 
Kleine Löchlein mahen das Schiff vol ABaffer. 
d. wie aud die beiten Menſchen fo gebrechlich 
feyen. Es it Fein Fuhrmann fo gut, er fährt bisweilen 
aus dem Gleiſe. g Ah 


c) - Befondere Tugendlehren. 

Bonder Nahftenliebe Wenn du einen Nack— 
ten fiehft, fo glaube, es-fey ein Loch in deinem Strumpfe. — 
Ein: nimm bin ift beffer, als zehn: Gott helfdir. — 
Wenn Einer in großer Gefahr ift, fo joll man ihn zuerft ret— 
ten, und hernach fragen, wie er darein gerathen fey: 

Von der Armenpflege. Arne Gaftefendet uns 
Gott zu. 

Bonder Dankbarkeit. Bor dem Baum, davon 
man Schatten bat, foll man ſich neigen. 

Bon der Arbeitfamfeit und Frömmigkeit. 
Sey fromm, ald wenn du heute noch fterben würdeft, und 
arbeitfam, als wenn du.morgen noch leben würdeſt. 

Bon der Nachgiebigkeit. Zu viel Recht ift 
Unrecht. NER 4 

Bon der Berföhnlidkeit. Wenn dudem Nach— 
ber un Hand reichft, fo hat dir Gott bie feine ſchon zuvor 
gereicht. 


x 


142 


Von der Freygebigkeit. Des Gottloſen Ein— 
trag ift ein Ausgeben, des Gottſeligen Ausgeben ein Eintrag. 
— Was du dem Nachbar in den Garten wirfſt, das wuchert 
für dich in dem Garten Gottes. 

Von der Geduld. Das Kreuz wohlgefaßt, iſt halb 
getragen. 

Von der Mäßigkeit und Gaſtfreundlich— 
keit. Mit dem frommen Mann geht Gott und die Armuth 
zu Tiſche. 

Von der Genügſamkeit. Nur der hat genug, 
wer fihs genug feyn laßt. | 

Bon der Treue Wo Treue Wurzel ſchlägt, da 
macht Gottes Segen einen Baum daraus. 

Bon ver Demuth. Wer fi in feinem Bufen fpie- 
gelt, bedarf Feines andern Spiegels. — Ihu Gutes, und 
ſchweig dazu; Andere mögens fagen. 

Bon Liebe und Gehorfam gegen Obrigkei— 
ten. Cine Hand wäſcht die andere, aber das Geſicht wäſcht 
man mit beyden Händen. (Halt den guten Auf der Obrigkeit 
im ganzen Lande rein, joviel du kannſt.) 


d) Zugendmittel, 

Bewahre zuerft dein Herz. Es iſt böfe, Feuer 
in Schooß tragen. 

Um dein Herz zu bewahren, bewahre deine 
Einbildungsfraft. Man darf den Teufel nicht über 
die Thür mahlen, er kommt wohl jelber ins Haus. 

Um deine Einbildungsfraft zu bewahren, 
bewabre dein Aug. Was das Aug nicht fiebt, befchwert - 
das Herz nit (nicht). 

Widerfteh den wiedberbommenden Reitzen 
zum Böfen. Laß die Vögel dir über dein Kopfe fliegen: 
wenn fie nur nicht auffigen, und niften auf dem Kovfe. 
Folge nicht den Vielen. Das viele unrecht 
Gehen, macht den Weg nicht vet. 

Bleib nie ftille ftehen. Wer ſich täglich beſ— 
fert, kommt endlih auf einen guten Acer, und an ein fchon 
Getreid. — 
Beſinne dich vor Gott, ehe du etwas unter— 
nimmft. Wer etwas thun will, der ſehe auf Gottes Uhr, 
ob die vechte Stunde für ihn geſchlagen habe. 


Seh 


113 


Geh den böfen Gefellen ang dem Wege, 
An böſer Waare ift nichts zu gewinnen. — Ein Schalk macht 
den andern. 

Selbſtprüfe dich. Das Meiſte rede mit dir ſelbſt. 

Verläugne dich. Wo die Natur ausgeht, da gehet 
Gott ein. 

Beherrſche die Zunge. Das Stücklein Fleiſch— 
das hinter den Zähnen ſteckt, thut dem Reiche Gottes mehr 
Schaden als alle Tyrannen. 


2. Staatskunde. 


1. 


Hof, Hofleben. 


Hof-Gaben. Zu Hof iſt viel Händereichens und 
wenig Herzens. 

Hof-⸗Art. Gold auf den Hoſen, und Feines im Beu— 
tel, ift Hof: Art. 

Aufwartungam Hofe. Zu Hofe hohlt man ſich 
wohl Futter, aber Beine gibt man nicht zu Hof. * 
: Unverftand am Hofe. Die Ejel bat man bey 
Hofe nur zum Sacktragen. — Es iſt gut, Hofgaul und 
Hofmaul ſeyn, aber Hofeſel ſeyn J eitel Muh und Arbeit. 

Mangelam Appetit. Der Kod hat viel zu fchaf- 
fen, bis er großen Herren ein Ding fo gut macht, als des 
Schmids Morgenmahl. 

Schlafloſe Nächte. Pflaumfeder und Purpurbett 
laſſen nicht ſchlafen. 

Aufwand. Herrlichkeit darf viel. 

Berfuhungen am Hofe. Wie Petrus nach Hof 
Fam, verlaugnete er feinen Herrn. 

Plage des Hoflebens. Lang bey Hof, lang zur 


u 


Hol. 


*) Albert, Erzbifchof und Churfuͤrſt zu Mainz, hatte dies 
Wort im Wunde, Wenn er einen feiner Diener lange 
fteben ſah, jagte er: " „Sege dich nieder, Beine gibt man 
nicht bey Hof.” 


Sailers Spridiw. 8 


114 


Schickſale bes nee am Hofe. 
Sein Steigen. Se höher der Affe fteigt, je mehr er den 
H. zeigt. 

‚Sein Shwanfen Schwanken kommt vor dem 
alle. — Menig Kopf, viel Schwindel. 

Sein Stürzen. Wenn der Baum fällt, ſo ſammelt 
jedermann Holz. 

Urtheil des Fleinen Mannes von dem 
Großen. Mander vauft den todten Löwen beym Bart, 
der nicht dag Herz hatte, ihn bey lebendigem Leib anzufchauen. 

Herablaffung der Hohen. Gruß Eommt von 


Hof. 


ER 
Bonden Großen der Erde. 


Die Publicitdt des Negenten. Wer hoch Rebe, 
den a weit. 

Die Unantaftbarfeit des Thrones. Die 
Füße follen in den Schuhen bleiben, und nicht auf den Herrn— 
ftuhl fteigen wollen. — Man zäumet wohl das Roß, aber 
nicht den Reiter. 

Mildes Regiment. Freundliche Regierung ift eine 
Senne, die alle Herzen erfreuk. 

Selbiterniedrigung, aber nur unter dem 
Allerhöchſten, unter Gott. Gott kann den hoben 
Baumen leichtli die Aefte fiugen. 

Bepfpielder Fürſten. Wenn der Fürſt feinen 
Unterthanen einen Apfel nimmt, fo nehmen ihm feine Diener 
den ganzen Baum. 

Zwiftder Großen. Penn die Herren vaufen, 
müffen die Unterthbanen Haar laſſen. 

Fehler der Großen. Herren bleiben Herren, wenn 
fie aud bis zum Mittag fchlafen. — Wenn fi die Fürften 
'an einem Fuße ftoßen, fo muffen die Unterthanen binfen. — 
Der Herren Sünd', der Bauern Buß‘. 

Unbeftand der fürftlihen Gnade. Schönem 
Wetter und Fürftenlacheln ift nicht zu trauen. 

Leiden der Großen. Es hilft Feine Krone fürs 


Hauptweh. 


* 


115 


x Nahfolger. Die Eünftigen Herren machen die vori- 
gen fromm. — Die aufgehende Sonne hat mehr Anbether, 
als die untergehende. 
Gewalt. Wenn Gewalt zum Herrn wird, fo muß 
Geredtigkeit Knecht feyn. 

Vemter - Bertheilung. Herren Dienft erbet 
nicht. — Daß Roß gehört an den Wagen, der Ochs an den 
Pflug. — Gunft ift blind. 

Kriegs- Weisheit. Mit Vielen fol man die Fein— 
de fchlagen, mit Wenigen zu Rathe gehen. — Furchtbarer ift 
ein Haufe Hirfchen, die ein Löwe anführe, ala ein Haufe Lö: 
wen, die ein Hirſch anführt. — Es ift ein Haus bald anges 
zündet, aber ſchwer gelöſcht. h 


2 


Os 
Bild des guten Kegenten. 


Weisheit. Auf das Zepter gehört ein Auge. . 

Volksliebe. Wenn der Fürft Fein Ohr hatte, die 
Untertbanen zu hören, fo hate er keinen Kopf, fie zu regie— 
ven. ' 

Klugheit und Friedensfinn Wenn Gott ein 
Land fegnet, fo gibt er ihm einen Elugen ‚Fürften, und einen 
Yangen Srieden. f 

Selbſt-regieren. Wenn die Füße den Kopf re: 
gierten, fo ging’s über und über. 

Sicherung der Majeftät. Die den Fürſten ver: 
führen, vergiften den Brunnen des Landes. 

Schutz der Wiffenfhaftund Achtung des 
Gelehrten. Der Züri kann in einem Tage hundert Kit: 
ter machen, in hundert Jahren Feinen Gelehrten. *) 

8 * 





*) Diefen Spruch baf Kaifer Sieamund, als fi5 Georg 
iscellus, der Rechte Doctor, der jüngft ein adelid 
appen von ihm erhalten hatte, in der Synode zu Ba— 

- fel auf die Nitterbanf feste, fo ausgedrüdt: Ihr thut 
unweislich, daß ihr die Ritterfchaft der Gelehreheit vors 
ziehe. Wiſſet ihe nicht, daß ich in einem Tage Taufend 
adeln, und zu Rittern machen fann : aber fo mächtig 
bin ich nicht, daß ich in tauſend Jahren einen Gelehr⸗ 
ten machen koͤnnte. 


J— 


116 


——Nichtachtung der ſchiefen Urtheile. Der 
Mond leuchtet doch den Pilgern durch den Wald, wenn ihn 
gleich die Hunde in den Dörfern und Städten anbellen. 

= Wenig Gefetze. Mit wenigen Öefegen regiert man 
wohl. — Biel Gefeg, viel Uebertretung. — Viel Geboth, 
wenig gute Wer”, 

— MBenige, aber weife, bewahrte Käthe, Viel 
Köche verfalzen den Brey. — Wo viel Hirten, da wird übel 
gehüthet. 

‚> &orge für die öffentlide Erziehung. Der 
Kaifer ıft aller Xeltern Vormund. 

Die Schatzkammer. Des Fürften Schag liegt am 
fiherften in des Volks Handen. 


4. 
Das Recht und ſein Loos. 


Geſchriebenes Recht. Es iſt ein dünnes, breites 
Meg: die Mücken bleiben darin hängen, die Hummeln bre— 
hen durch. — Es ift eine große Glocke: wenn nur der Schwen- 
gel nicht ſo leicht herunterfiele! 

Der ſchwerſte Prozeß. Es iſt böſe rechten, wo 
Gewalt Richter iſt. — Wo Gewalt Recht hat, da hat Recht 
keine Gewalt. 

Schmales Recht. Schmieren macht linde Haͤnde, 
und ein ſchmales Recht. 

Gerechte Anwalde. Gut Recht darf guter Hülfe. 

Unrechte Auslegung des rechten Rechtes. 
Geld erklärt das Recht und die Gloſſe. — Man muß man— 
chem Nechtsgelehrten güldne Lichter anzüunden, wenn er das 
Recht finden fol. — Ein Loth Gold wiegt mehr, als ein 
ganzer Wohlfack voll Red. 

Das fpitzige Recht. Eng Recht ift ein weit Un: 
seht. — Streng Recht, groß Unrecht. 

Rechtshandel. Sn einem einzigen Rechtshandel 


‚stecken mehr Drangfale, als in zehn agygtifchen Landplagen. 


Die Ungewißheit des Rechtens. Rechten il 
Kriegen : von beyden weiß Gott das Ende. 
Zwey Rechte. Fauſtrecht gilt mehr als Kopfrecht. 


117 


Uneigennützigkeit der Senatoren. Laß den 
Eigenmann hinter den Ofen, willſt du als Gemeindsmann 
in den Rath gehen. 

Untreue Verwaltung. Kein Amt fo gering “ 

iſt des — werth. 


2 — 

Das deutſche Recht in Sprichwörtern. 

Friedrich Eiſenhart, Lehrer der Rechte zu Helm⸗ 
ſtadt, hat Grundſätze der ——— Rechte in Sprichwortern, 
durch Anmerkungen erläutert, herausgegeben. Aus diejer 
Sammlung aeen die denkwürdigſten hierher verpflanzt wer⸗ 
den. 

Willkuhr bricht Landrecht. — Alte Gewohnheit iſt ſtäͤr⸗ 
ker, als Brief und Siegel. — Hundert Jahre Unrecht, iſt 
keine Stunde Recht. — Mifbraud iſt keine Gewohnheit (fein 
Recht, in Gewohnheit fundirt). — Landesweiſe iſt Landes- 
ehre: du mußt Recht finden, nicht Recht bringen. — Stiehlt 
mein Vater, jo hängt Ein Dieb (man foll den Kindern die 
Verbrechen und Strafen der Aeltern nicht zur Laſt legen. ).- — 
Anwerbung macht keine Verbindung. — Iſt der Finger berin- 
get, jo iſt die Sungflau bedinget. (Alte Verlodungsfitte). — 
Heimlich Verlobniß, ſtiftet keine Ede — Alle Freyer reich, 

alle Gefangene arm. — Heurathen ins Blut, chut ſelten gut. 
— Der Taufſtei (beider. (das Ehehinderniß, dag: mit der 
geiftlichen Berwandtichaft verknüpft. wird). — Dieden Mann 
trauet, trauet die Schuld. — Leib an Leib, Gurt an, Gut. 
(Gemeinfhaft der Güter zwifchen den Gheleuten.). — . Die 
Hand,, die den Eid. aufnimmt, kann ihn aud) erlaffen.. — 
Der Eid ift ein End alles Haders. — Der Teufel ift Feinen 
Schwur zu halten fhuldig., —. — ungen Eid thut Gott leid. 
- — Der Argwohn iſt ein Schall. Venn man mit Laugnen 
Eönnte davon kommen, fo würde Sıumand gehangen. — Be: 
Eennen briht den Hals. — Man hängt, Keinen, man 
habe ihn denn. — Wo nichts ift, da hat der Kaiſer fein Recht 
verloren. — Handwerksfachen gehen vor den Rath. — Man 
muß nicht einen Altar bedecken, und den andern entblößen. 
— Wer niht thun kann, was die Leute verdrüßt, gibt einen 
Schulzen ab. — So weit die Flur geht, fo weit gebt auch 
das Gericht. — Der Tod hebt Alles auf. — Mer ertappt 


118 


wird, muß das Bad austrinken. — Von Hören und Sagen 
wird Mancher aufs Maul gefchlagen. — Wenn man unter die 
Hunde wirft, welchen e3 trifft, der ſchreyt. — Es gilt mir 
gleihr ob mich eine H. lobt, oder ein Shelm ſchilt. — Ein 
Nachbar ift dem andern einen Brand ſchuldig. — Wer recht 
ſchwöret, bethet veht. — Schwarz auf weiß fcheidet die Zeus 
te. — Briefe find bejfer denn Zeugen. — Laß dich in Fein 
Compromiß: ‚du verlierit die Sad), das iſt gewiß. — Es ift 
beffer ein magerer Vergleich, als ein feiftes Urtheil. — Eines 
Mannes Red, eine halbe Red: ; man verhör’ fie alle beed. — 
Wenn der Kaiſer ſtirbt, fegt fi der König in den Sattel. — 
Gnade geht vor Recht. — Man hangt Keinen zweymahl. — 
Kommt es bey dem Wolfe zur Heide, und bey dem Diebe 
zum Eide, ſo haben gewonnen Spiel beyde. — Das Geſicht 
verräth ihn. — Wer einmahl fliehlt, heist allemahl Dieb. — 
Gleich fuchet fih, gleich finder fih. — Wie der Wirth, fo 
befcheret Gott die Gaͤſte. — Treuer Herr, treuer Knecht. — 
Kirchenbuße ift Eein Staubbefen. — Ein Priefter lebt ein Jahr 
nad feinem Tode. (Spur des’ Sterbequartals.) — Wo der 
Pflug hingebt, da geht auch der Zehend hin. — Wer die 
Kirche hat, der hat auch den Kirchhof. — Mit St. Peter 
vit gut Bandeln. — Studentenzut ift zollfrey. — Wer Yan 
desherr ft, dem gebührt die Randeshuldigung. — Ein jeder Herr 
iſt Kaifer in feinem Lande. — Ein jeder Biſchof ift Pabit in 
ſeiner Kirche. — Wer eine Stiefmutter hat, der bat auch ei- 
nen Stiefdater. — Wer die meiiten Stimmen hat, der hat 
das meiſte Recht. — Kirchengut hat eiferne Zähne. — 
Mobhin der Died mit dem Strang, dahin gehöre der Hirſch 
mit deih-Zarg (Jagdrecht und peinfihes Gericht gehören zu— 
-fammen). — Dem und, mein Halb (Sitte, das Gefundene‘ 
zu theiten). — Jahr und Tag if die rechte Gewähr. — Wi: 
der- Willen Eann man Einem wohl etwas nehmen, aber nicht 
geben. — Wo Einer fein Gut findet, da fpriht er es an. — 
Wen der Kaiſer adelt, der genießt auch des Kaifers Adel. — 
Frey Mani, frey Gut. — Rittersweib hat Rittersrecht. — 
Brauwerk ift Eeine Kaufmannſchaft. (Die Brauer Fönnen auf 
die Rechte der Kaufleute Feinen Anfpruch machen). — Bürger 
und Bauer ſcheidet nichts denn die Mauer. — Einmahl Bür- 
germeifter, allzeit Bürgermeifter. — Stinkende Haute geben 
die befte Beute. (Gilt von dem Roth: und Weißgärber-Hand— 
werke.) — Meifters Sohn dringt das Recht mit fih. — Wenn 
der Bauer nit muß, fo vegt er weder Hand nod Fuß. — 


119 | 


Man foll lieber Zehn ehrlich machen, als Einen zum Schelm, 
(Die Beraubung der Ehre fol felten feyn.) — Keine Mutter 
trägt einen Baflard. — Die Mutter fagt es, der Water glaubt 
es, ein Narr zweifelt daran. (Wider die rechtmäßige Geburt 
gilt Fein leerer Zweifel. — Pfand gibt Land. — Die dlte- 
ften Briefe gehen vor. (Die älteften Pfandverfhreibungen.) 
— Wenn die Füße gebunden find, fo läuft die Zunge am 
meiften. (Der Gefangene hat eine eigene Beredfamfeit, um 
wieder frey zu werden.) Sequeſter machen leere Neſter. — 
Kauf und Badenitrei find ungleih. — Man gibt nicht viel 
Geldes um ein Ey. — Das But löſet feinen Herrn. — Die 
Miefe geht indas Heu am St. Georgentag. — Wer will wohl 
und ſelig fterben, laß fein Gut den rechten Erben, —. &o 
viel Mund, fo viel Pfund. (Bertheilung des Erbes nad) der 
Zahl der Erben.) — Langft Leib, längſt Gut. (Der überle— 
bende Ehegatte behält, wo Feine Kinder find, das ganze Ver: 
mögen.) — Wer den Kopf bat, fcheert den Bart. (Der über— 
lebende Ehegatte befommt das übergebliebene Gut.) — Glei— 
he Brüder, gleihe Kappen. — Die Schulden find der nächſte 
Erb. — Narrenfpiel will Raum haben. — Wer Einen erwür: 
get, darf Zehn ermorden. (Erdarf nidt, im Sinne des Ge: 
wiffens; aber in Hinfiht der Strafe hat er dag Leben gleicher: 


maffen verwirkt). — Vom Drohen flirbt man nicht... — 
Tauſch ift Fein Raub. -- Den Dieb fol man benfen, die 
Hur ertränken. (Die Kindesmörderinn.) — Stehlen und 


Sackaufheben ift Eins wie das Andere. — Der Hebler iſt 
fo gut als der Stehler. — Mitgeftoblen, mitgehenkt, mitge- 
gangen, mitgehangen. — ©elegenheit macht Diebe. — Was 
Einer trunfen fündigt, dad muß er nüchtern büßen. — Ge: 
danken find zollfrey. — Wernichts im Beutel hat, muß mit der 
Haut bezahlen. — Anweifung ift Feine Zahlung. — Berdien- 
ter Lohn fchreyet vor Gott im Himmel. — Sduldbezahlen 
macht Hauptgeld. — Gottes Allmadt ift allemahl ausgenom- 
men. — (Unvorbergefehbenen Schaden darf Niemand erjeßen. 
— Getauſcht ift getaufht. — Wer das Aug nit aufthut, 
der thu den Beutel auf. / 


1 


120 
3. Familienkunde. 
1. 


Haustafel für den Mann. 


Heirathe das Weib, nicht die Geſtalt. Das 
iſt ſchwer zu hüthen, was Jedermann gefällt. — Schöne 
Weiber ſind Irrlichter, verführen die Leute bey hellem Tage. 
Heirathe das Weib, nicht das Geld: Nährt 
ein Weib den Mann, fo muß er ihr Spielmann feyn. 
—Sieh auf Öleihheit. Es nimmt Fein junges Weib 
einen alten Mann um Gottes Willen. — Wer freyen will, 
der nehme feines Gleichen. — Gleich und gleich gefellt ſich 
ern. 
; Gibdie Hand Eeiner Leichtſinnigen. Wei- 
ber , die fters am Fenfter ftehen, und Aecker, die außer der 
Landwehre liegen, find fhwer zu hüthen. — ‚Eine Birn und 
eine Frau, die viel Geraufch machen, find nicht viel werth. 

Keiner Herrfhfüdtigen Wenn Weiber regie— 
ven, fteigen die Stühle auf die Bänke. — Eın blinder Mann, 
ein armer Mann; doc iſt der eın viel arnırer Mann, der 
fein Weib nit bezwingen kann. 
is Keiner Habfühtigen. Wenn ein Weib Geſchenke 
nimmt, fo bat fie fich felbit verfauft. a 

"Keiner Säuferinn. Trunken Weib, gemein Leib. . 

Keiner Widerfprederin. Widerbellen ift Hunds— 
Tugend; aber im Haufe ihur fie den Ohren weh. 

Keiner, die nicht felbft will. Gezwungene Lie: 
be, und gefärbte Schönheit halten die Farbe nicht. 

Keiner, die nicht haushalten Fann. Der Frau 
Augen Eochen wohl, die der Magd nicht. 

Ehre dein Weib. Wer fein Weib fehlagt, fchlagt 
ihr drey Feyertage, und fich drey Fafttage. — Der Mann 
Bat def keine Ehre, daß er fein Weib ſchlägt. — Wer fein 
Weib ſchlägt, ſchlägt mit feiner rechten Hand feine linke. — 
Mer das Weib einmahl ſchlägt, ſchlägt es mehrmahl. 

Folge dem böfen Rathe des Weibes nit. 
Sn böfen Räthen ift das Weis des Mannes Maänninn. 

Traue dem liftigen Anfhlage des Weibes 
nicht. Das Weib iſt ein Geſchwinddoctor; fie hat eine Lift 
erfunden , fo oft fie auf die Erde ſieht. 


124 


’ Bring deine Verwandten nıdt in Ge- 
ſchrey. Wenn ih mir die Nafe abſchneide, fo befchimpfe ich 
ſelbſt mein Gefidt. 

Entzweye dih mit deinen Verwandten 
nicht. Se beffer der Bein ift, je fharfer der Eflig daraus 
wird. — Se näher Blutöfreundfihaft, je bitterer Feindfchaft, 

Nimm fie nıht leicht in dein Haus auf. 
Schwager find nie beffere Freunde, als wenn jie weit von eins 

ander fißen. 

Befinne did vor ber zweyten Heirath. Wenn 

die Kinder eine Stiefmutter haben, fo haben fte auch einen 

Stiefväter, — Die zweyten Frauen, der erften Kinder Die: 

binnen. (Manchmahl). 


* 


R 
Haustafel für die Frau. 


Der ſchönſte Hausrath. Ein frommes Weib ge— 
winnt dem Manne das Herz ab. Ein frommes Weib 
herrſcht über ihren Mann mit lauter — — — Ein from: 
mes Weib kann man mit Gold nicht aufwiegen, 

Die Haus-Ehre. Die Haus-Ehre liegt am Weibe. 

Der ſchönſte Weiberroef. Kein Kleid ſteht dem 
Meibe ihöner, als das Schweigen. — Wenn der Mann zürnt, 
fo it Schweigen die beite Antwort des Weibes. 

Gern daheim feyn. Das Weib und ein Ofen fol: 

len zu Haufe bleiben. 
Hausfriede. Der Hausfriede kommt von der Haus⸗ 
frau. 
j Seine Geſchenke. Ein Weib, das gibt, biethet ihre 
Ehre feil. — Ein Weib, dad nimmt, verkauft ihre Ehre. 

Der Hausfegen. Der Hausfegen beiteht ın Bier: 
in einem gnädigen Bott, in einen gefunden Leib, in einem 
tugendfamen Weib, in einem feligen Tod. 





Re 9 
Haustafel für die Weltern. 


Beherrfhung der Leidenfhaften. Oft effen 


die Aeltern Holzapfel, davon den Kindern die Zähne ftumpf 
werden. 


122 


Aufſicht. Auf der Mutter Schooß werden die Kin— 
der groß. — 52*8 

Ernſt. Mit Ueberſehen und Ueberhören ſchlagen die 
Kinder ihre Aeltern (d. h. wenn die Aeltern zu nachſichtig 
ſind, fo werden die Kinder grob, wild gegen die Aeltern.) — 
Beffer, die Kinder bitten dich, als du fie. — Beſſer, die Kin— 
der weinen, als du. — Barmberzige Mütter ziehn grindige 
Töchter. — Des Vaters Strafe ıft die rechte Liebe. 

Pflege der Eindlihen Liebe. Ein Kind ‚das 
feine Mutter verachtet, hat einen flinfenden Athem. — Xel: 
tern verachten, ilt ein Stud von einem gottlofen Menfhen. 
— Mer Aeltern ehret, den ehret Gott wieder. 

rübe Gottesfurdt. Gute Bäume tragen zeitig. 

— Die Aeltern find wohl die Röhren, die den Kindern alles 
Gute zuführen, aber der Brunn iſt Gott. » | 

Zühtigung. Se lieber das Kind, deſto fihärfer die 
Ruthe. — Wer feine Kinder zärtelt, fest fie ins leichte Schiff. 

Brehung des Eigenfinnes Gibt man dem 
Kinde eines Fingers lang nah, fo will3 eine Spanne haben. 
— Mer den Aeltern nicht folgt, muß dem Scharfrichter fol: 
en. — 
Keine Verzärtelung. Daheim erzogen Kind, iſt 
in der Fremde wie ein Rind. 

Ordnung und Maß in Speiſe. Kein Vielfraß 
wird geboren, ſondern erzogen. 

Nicht zu frühe Bildung. Aus kindiſchen Kindern 
werden weiſe Leute. — Vorwitz macht Jungfrauen theuer. 

Kein böses Beyſpiel. Hat der Fuchs geſtohlen, 
fo ftiehlt das Füchslein aud). 

Arbeitfamfeit und Sparfamfeit. Wer in 
jeder Woche einen blauen Montag, und einen grünen Donnere 
ftag macht, befcheidet feinen Kindern den Betteljtab und den 
Gemeinkaften. 

Schickſal der beften Erziehung. Ein gut ers 
zogen Kind ift eine Rechnung ohne Probe. 

Ausfichten der Aeltern. EsEann eh’ ein Vater 
zehn Kinder ernähren, als zehm Kinder einen: Vater. 

Mutter:-Sorgen. Große Kinder, große Sorgen. 

Berforgung der Kinder Merheirathe deinen 
Sohn, wenn du willft; deine Tochter, wenn du Fannft. 





123 
4. 
Haustafel für den Hausvater. 


Grund der guten Haushaltung. Lafß Gott - 
mit dir haushalten. 

? Wachſamkeit. Ein rechter Hausvater iſt der erſte 
auf, und der letzte nieder. 

Die vier Pfennige Zur Haushaltung gehören 
vier Pfennige: Ein Nothpfennig, ein Zehrpfennig, ein Eh— 
renpfennig, und ein Wehrpfennig. 

Achtung des treuen Dieners. Ein treuer Die— 
ner iſt ein verborgener Schatz im Hauſe. — Was man einem 
treuen Diener gibt, it Alles zu wenig. — Was ınan einem 
Untreuen gibt, ift Alles zu viel. 

Richtige Bezahlung. Wer richtig zahlt, dem dient 
man auch hinter dem Nuüden. 

Mehr als Lohn. Gaben haben Sporn zur Arbeit 
und Treue. 

Feyerabend. Ruh' iſt der Arbeiter Taglohn. 

Eine Thür. Eine Hinterthür verderbt das Haus. 

Reinlichkeit. Zur Neinlichkeit gibts Eein beffereg 
Snftrument, als Menfchenbeine. 

Ueberall dabey und voran feyn. . Kein Mift 
düngt den Ader beffer, als den der Herr mit feinen Fußen 
dahinträgt. — Des Herrn Auge düngt den Acker. — Des 
Herrn Fuß macht das Pferd feiſt. — Wer nicht über ſeine 
Arbeiter wacht, der läßt ihnen ſeinen Beutel offen. 

Sorge für Schuldentilgung. Wer feine Schul- 
. den bezahlt/ legt ein Kapital an. — Der Wolf frißt kein 


Ziel. 
Schonung der Pferde. Wer mehr hinter die 
Roſſe, als vor fie legt, der kann nicht lang fahren. 
Der Hausherr und der Knecht. Ein Hausherr 
von Linden, und ein Knecht von Eichen find gut im Haufe. 
- Ernftrund Strafe Wer das Böfe nicht ſtraft, 
ladet es zu Haus. 


124 
ID. 
—— — und — 


i. Kehren der — 


| t 





Die Lehren der Klugheit nehmen das größte Feld in dem Ge— 
biethe dentſcher Sprichwoͤrter ein, und beweiſen ſowohl 
durch ihren Reichthum, als durch ihre Wahrheit und Klar⸗ 
heit, daß das Beywort: Klug, 3. B. m; 

Die flugen Sprüche, der Dee fi 
Die Eluge deutfhe Nation, } 
nicht übertrieben fey. 


138 9 a: as 
- Von der Ueberfegfamfeit, 


Weberteg e8 zuvor, Habe Rath vor der That. — 
Bor:Sorge verhüthet Nach Sorge. — Der Heute ſoll nich 
nicht beiffen. 

Prüfe zuvor. Man ‚gibt Eeinen Heller um ‚einen 
Zopf, ehe man daran fchlägt, wie er Elinge. 

Sey bedächtlich inAllem. Sagnicht Aßes, was . 
du weißt, wiffe nicht alles, was du liefeft, glaube nicht alles, 
was du höreſt, thu nicht alles, was du Fannft.. - . 

Geh dem Raufdigen aus dem Wege. Ge 
mach ing Dorf, die Bauern find trunfen. — Einenr vollen 
Manne. weicht ein Zuder Heu aus. 

Ueberlege es genau, Geyein Schnee im Rathen, 
ein Vogel in Thaten. — Wer einen großen Sprung thun will, 
geht hinter ſich. 

Sehy nicht fo nergehlig, Zum Verlieren iſt nichts 
beſſers als das Vergeſſen. 

Denk vor der That daran, daß du ihre, Sol: 
aen tragen mußt. Du baft den Brey gekocht, iß ihn 
aus, — Selbſt eingebrockt, felbit ausgegeifen. — Das Künf: 
lein, das du angelegt, mußt du abſpinnen. — Willſt du fanft 
Tiegen, fo bett’ dir gut. 


125 


Miß zuerft deine Kräfte. Ein Mann ift des 

andern wertb: zwey find des Einen Meifter, drey des Ei— 
nen Tod. . 
Wäge deine Kräfte, ehe du etwas unter 
nimmft. Haft du Feine Pfeile im Köcher, fo wag dich nicht 
unter die Schügen. — Biſt du kahl, fo bode mit keinem Wide 
der, 

Verſuche nicht, was über deine Kräfte ift. 
Es foll Keiner fliegen, e3 feyn ihm denn die Federn gewachlen. 

Sey vorfihtigim Geldausleihen. Geliehe— 
nes Gold wird Bley, wenn man's wieder fordert. — Ein Pfund 
Sorgen bezahlt nicht ein Quentchen Borgen. — Leihen macht 
Sreundichaft, wieder Fordern Feindſchaft. 

Sep vorfibtig im Steigen. Wer eine Leiter 
binauffteigen will, muß bey der unterften Sproſſe anfangen. 

Sey vorfihtig im Brieffhhreiben. Geſchrie— 
ben ift gefchrieben: Feine Kuh leckt es ab, Feine Krähe Fragt 
es aus. | 

Sey wohlbedahtlih im Ausführen. Haſt du 
es wohl gemifcht, fo Fart es wohl. 

Sey vorfidtig im Annehmen. WWohlfeiler ift 
erkaufen, als erbitten. — Es ift Feine theurere Suppe, als die 
man umfonft ißt. 

Sey vorſichtig im Kaufe. Wer einkauft, bat 
hundert Augen nöthig, wer verkauft, hat an einem genug. 


R, 
Bondem Niht-Trauen. 


Traue dem Scheine nit. Trau nicht den la— 
chenden Wirthen, und den weinenden Bettlern. — Es fchlafen 
nicht alle, die die. Augen zubaben. — Es find nicht alle Säger, 
die Hörnlein tragen. 

Traue niht dem Urtheile deines Herzens, 
Man muß andere leute mit dev Krammerurtheile meflen, nicht 
mit der Hauselle. h 

Zrauenidt den ſchönen Worten des Eigen— 
I Wenn der Fuchs predigt, fo nehmt die Gänſe in 

t. 
Traue nicht. Neuen Freunden, und einem alten Hau— 
fe iſt nicht wohl zu trauen. 


+ 


126 


Traue ber Naht nit. Wenn du des Nachts 
veiteft, fo nimm einen Schimmel, er dient dir zur Latern. 

Traue niht auf die Feinheit deiner An: 
fhläage, nob auf das Verborgenſeyn deiner 
Zwecke. Es wird nichts fo vein gefponnen: es Eommt zuleßt 
an die Sonnen. Ä 

Traue dem Schleicher nit. Hüthe dich vor 
dem Schleicher, der Raufcher thut dir nichts. 

Traue dem Reitze der Gewohnheit nicht. 
- Der Krug geht fo lange zum Waffer, bis er zerbricht. 

Traue der Ausſöhnung nicht. Verſöhnter Feind: 
fhaft, und gefliekter Freundſchaft ift nicht zu trauen. | 

Traue den Schmeideleyen des Glüückes 
nicht. Wenn das Gluck dir Küchlein backt, fo will es dich faf- 
fen und erdrücken. — Wen das Glück verderben will, den zär— 
telt es wie eine Mutter. — Wen das Gluck zartelt, dem will 
es einen Strict um den Hals werfen. ; 

Zraue dir jelber nicht. Sn feiner eigenen Sache 
ift niemand gefcheid genug. 

Traue hibt dem Auge des Weibes. Weiber: 
aug iſt ein Feuerfpiegel — (verbrennt das Herz des Mannes. 
Uritque videndo foemina. Virgilius.) 

Traue der Wolluft nicht. Wolluſt ift eine ver=- 
deckte Angel. 

Traue dem Reitze nicht. Die Flucht fiegt. 

Traue dem ſüßen Worte nicht. Schöne Worte 
füllen den Sad nit. — Reden und halten ift zweyerley. 

Zrauedem Spiele nicht. Kart aus der Hand; 
dann magft dur gewinnen. — Spielen ift Eeine Kunft, fondern 
aufhören. j 

Traue nidht der Gunft der Mädtigen. Auf 
Heren Gunft nicht bau’, noch gutem Wetter trau’. — Herven- 
gunft und Lerchenfang, Elinget wohl und währt nicht Tang. 

Traue der Zukunft nice. Aneiner alten Schuld 
nimmt man Haberftroh. — Beſſer ein Vogel in der Hand, als 
‚zehn über Land. 

Traue nicht der Goldmacherey. Zur Aldhimey 
ſechs Stüc gehören: Tag und Nacht laboriren, das Feuer ohn’ 
Unterlaß fhüren, Rauch und Dampf fpüren, fich felber infici= 
ven, und endlich den Betrug mit fehwerem Herzen fpüren. 





127 
3. 
Bon der Maͤßigung. 


Halt überall dasrehte Maf. Zu wenig und 
zu viel, verderbet alles Spiel. — Zu wenig und zu viel, iſt 
aller Narren Ziel. 

Sey mäßig. Beſſer ohne Abendeffen zu Bette gehen, 
als mit Schulden auffteben. 

Nicht zu viel. Zu viel&org zerbricht das Glas. — 
Zu viel Säcke des Efeld Untergang. 

Steig nicht zu hoch. Werden Schwindel hat, darf 
kein Schieferdecker werden. 

Uebertreib's nicht. Gelindes Feuer macht fühes 
Malz. — Wenn man das Armbruft überfpannt, fo zerfpringts 
gern. — Wenn man die Saiten zu hoc) ſpannt, fo fprine 
gen fie. 

—Sehy niht zu nieder in deinem Streben. 
Mer nur über einen Staffel will, Eommt nie über die Stiege. 

Sey nicht überfpyannt in den Wünfden, 
Man Eann nit alle krummen Hölzer gerad machen. — Man 
muß manch ajtigen Block ungeipalten laſſen. — Man muß 
nicht alle Berge eben machen wollen. 

Drange dich nicht zu den Gefahren. Weit 
davon, iſt gut für den Schuß. 

Laß dich nicht von dem Mittelweg. Eh on 
das Licht zu hoch, fo löfcht es der Wind; zu nieder, fo Iöfchen 
es die Kind’. 

Uebereile nichts. Eilen bridt den Hals. — Wer 
zu früh kommt, Fommt auch unrecht. — Was bald anfliegt, 
fliegt bald ab, was früh zeitig wird, faulet bald. — Zähe 
Sprünge geratben jelten. 


4. 
Bonder Arbeitfamkeit. 
Thu's. Wünfher und Wolter find Feine guten 
Haushalter. 
Thu's ſelber. Befehlen thuts nicht. — Selbſt an— 


gegriffen, thuts. — Wo der Mann nicht ſelbſt kommt, da wird 
ihm ſein Kopf nicht wohl gezwagt. 


128 


Thu Das Deine. Helft euch felbft, o hilft euch 
Gott. 
Thu Eines, und das ganz. Bauſt ein Haus, ſo 
machs vollends aus. 
Thu's mit Eifer. Wer auf die Bank trachtet, der 
kommt bald. darauf. — Angle, wilift du Fifche haben. — Ger 
winn will Züße haben. — Wer nad einem goldenen Tagen 
trachtet, der befommt doch wohl ein Rad davon. 

Geh früh zur Arbeit. Bey Zeiten auf die Zaune, 
fo trounen die Windeln. 

Verachte Eeinen Kunftvortheit. Vortheil 
macht bald Feyerabend. — Ein jedes Ding hat ſeinen Hand— 
griff. — Es gehört Kunſt zum Aepfelbraten. 

Geb täglich mit friſchenKräften zurArbeit. 
Wetzen hält im Maͤhen nit auf. - 

DingeMitarbeiter, wo es noth thut. Viele 
Hände machen bald Seyerabend. — Viele Hände machen leich- 
te Bürden. — 

Sporne die Arbeiter. Beſſer ein fauler Dieb, als 
ein fauler Knecht. (er. ſchadet dir nicht fo viel.) — Wer mit 
faulen Leuten haushält, dem gnade Gott! 

Wähle dir tauglide Gehülfen, taualide 
Werkzeuge. Wer mit Narren zu Acker geht, egget mit 
Gäuchen zu. 

Unterlaß nid, die —J— Voranſtalt zu 
treffen. Man muß zuvor eine Grube machen; wenn man 
den Wolf fangen will. 

Arbeite, folang du kannſt. Greifgu, ebe dir 

die Hände gebunden find. 
Sey anhaltend in der Arbeit. Was ein Streid) 
nicht kann, das thun zwey. — Treibs, fo gehts. — Fleiß 
rührt den Mörtel. — Arm:fhmalz ehuts. — MWorte machen 
den Kohl nicht fett. — Wenn die Magd mit Schüffeln fpielt, 
werden fie langſam gefpühlt. — Wenn der Zimmermann lang 
ums Holz fpazieren gebt, fallt Eein Spann davon. = 

Sey nit ſchläfrig in deinem Kreife Ein 
ſchlafender Fuchs fängt Fein Huhn. — Das Glück hilft denen 
nicht, die fich felbft nicht helfen. 

Bürde niht zuvielauf — den Fleifigen, 
Willige Noffe fol man nicht übertreiben. 

Arbeite, und leide, Aa alle Stauden will fliehen, 
fommt in feinen Wald. 
Er: 


129 


Erwirb's felber. Wer auf eines Andern Schuhe 
wartet, bis er todt ift, der muß barfuß gehen, 

Lerne Nahgeben. Nachgeben ftillt viel Kriege. : 

Stets vorwarts. Kannſt du nit auf den Berg, 
fo bleib doch nicht ım Thal. 





5. 
Bon der Sparfamfeit. 


Arbeite und fpare. Arbeiten und Sparen wird zu= 
fehends reich. 4 * 
—Sey ſparſam. Auf Sparen folgt Haben. — Spa— 
ren iſt der beſte Zoll herein. — Wenn du im Sommer die 
Kleider zerreiſſeſt, ſo gehe im Winter nackend. — Wer keinen 

Pfennig achtet, wird keines Gulden Herr. 
Sey ſparſam in Allem. Am Zapfen fparen, und 
zum Spuntlod hinaus laſſen, fparet nicht. 


6. 
Von dem Verhalten in Hinfiht auf Zeit. 


Geh zu der Zeir in die Schule. Ein Tag des 
andern Lehrmeifter. — Ein Tag des andern Schulfnabe. 
Ergreif die Gelegenbeit, den Augenblick 
Fiſche, wenn du bey Waſſer, trinke, wenn du bey Brunnen 
biſt. — Zu feiner Zeit gilt ein Trunk Waffer ein Glas Wein, 
ein Heller einen Gulden. — Zeit, Ebbe, und Fluth, war- 
ten auf niemand. — Mad’ Heu, wann die Sonne fceint. 
— Man foll herbften, fo lang Herbft Zeit ift. — Wenn das 
Eiſen glüht, fol mans fhmieden. — Es Eommt Manchem ein 
Glück vor die Thür, wenn er nur,die Thür aufthate. — Man 
muß den Vögeln richten, wenn fie im Striche find, —, Wer 
tanzen will, der ziehe auf, wenn man pfeift. — Man muß die 
Waͤſche aufhängen, wenn es ſchön ift. 

Geh früh genug. Cs ift zu lang geharrt, wenn Eis 
nem das Dach über dem Kopfe zufammenbrennt, 

Sieh auf das Ende Mad Blättern fallen Baus 
me. — Behalt eine gute Karte auf den legten Stich. — Be 
halt ein gutes Blatt auf die legte Leſe. 

Sailers Sprichw, 9 


150 


Lobe nicht vor dem Ende. Anden Enden erkennt 
man die Nath. — Das Ende bewährt alle Dinge. — Schrey 
nicht Juhe, bis du über den Zaun biſt. — Es iſt noch nicht 

aller Tage Abend. — Am Ende kennt man das Gewand— 

Lerne warten. Zeit bringt Roſen. — Zeit verrath 
und henkt den Dieb. 

Sieh dich um, wo es noch Zeit iſt. Wenn man 
gefallen iſt, beſieht man das Plätzchen zu ſpät. — Man jagt 
die Katze zu ſpät von dem Speck, wenn er gefreſſen iſt. 

Bedenk die Flüchtigkeit der Zeit. Die Zeit 
iſt an keinen Pfahl gebunden. 

Laß nie auf dich warten. Wem's allzeit zu früh 
dünkt, der Eommt gewißlich zu fpat. 

Laß die Vergangenheit vergangen feyn. 
Menn ein Ding gefchehen ift, fo foll man das Beſte dazu re: 
den. — Es ift gefcheben ; was foll man viel dazu fagen? — 
Hin laß hin feyn; es leiht dir Fein Zud mehr was darauf. — 
Gefchehene Dinge leiden feinen Rath. 

Höre zu rechter Zeit auf. Man fol Eein gut 
Liedlein ausſingen. 


F Ts : j 
Bon der Herrfhaft über Worte 

Beherrfhe deine Zunge. Es fol Einer neun 
Mahl ein Wort im Munde umkehren, eh ersausfagt. — Wei: 
fe Leute haben ihren Mund im Herzen. } 

—Behalt das Geheimniß bey dir. Das Geheim— 
niß iſt dein Gefangener, ſo lang du es nicht offenbarſt; ſobald 
du es offenbarſt, biſt du ſein Gefangener. — Was über zwey 
Herzen kommt, kommt aus. — Was Einem zu eng, das iſt 
Dreyen zu weit: das dritte Haupt trage ſchwer daran. 

Geitze niht mit auten Worten. Gute: bricht 
Einem Fein Bein. — Was fihader ein gutes Wort ?' darf mans 
doch nicht Faufen. ie 

—Sey langſam im Ratben. Schneller Rath viel 
Reuen hat: 

Meiſtere den Meiſter nicht. Es iſt keine Kunſt, 
ein Ding tadeln; nachthun thats — wer es könnte. 
Wiederhohle dich nit. Ein Ding, oft gefagt, 
but den Ohren web. 


134 


Ar Meide alle Großſprecherey. Große Worte, und 
nichts dahinter. — Verkauf die Bärenhaut nicht eher, als bis 
du den Bären gefangen haſt. 

Mäßige dich im Scherze. Wenn der Scherz am 
beiten it, ſoll man aufhören. 

tege fein Gewicht auf das, was die Nach— 
barn in der Schenke fagen. DieWeinreden haben ih— 
ven Werth nur beym Wein. 

Läſtere nit. Einem ungewaſchenen Maul iſt ns 
glück zum Ziele geſteckt. 

Verliere nicht viel Worte an rohe Men— 
ſchen. Grobe Side muß man nit mit Seiden zunähen. 
Achte nicht das Geſchrey ohne That. Hunde, 
die viel bellen, beiſſen wenig. 

Achte nicht das leereßefhwdtz Es gehn viel 
Reden in einen Wollſack. 

Laß dih fremde Reden nicht Eranfen. Ein 
Wort iſt kein Pfeil. 

Laß die Leute reden. Der müßte viel Mehl ha— 
ben, der alle Mauler verkleiben wollte, 

Machs reht, und dann Fümmere dich um 
Feime Rezenfion. Weram Wege baut, hat viele Meifter, 

- Zadle anAndern nidt, was manan dir fel: 
bertadeln Eönnte. Wer Ölasfenfter hat, „muß fi in 

Acht nehmen, wenn er ın feines Nachbars Haus Steine wirft, 

Shone, wenn du willft gefhonet feyn. 
Rühr den Ais*) niht an; man thut dir ſonſt den deinen auf. 

Meide das unnöthige Fragen. Wer viel fragt, 
geht weit irr. 


. — — 


8. 


Bon bem Verhalten in Hinſicht auf Shabın, 
Unglück, Schmerz. 


Lerne viel verfhmerzen imUnglücke. Wenn 
man einen Wagen ınit Eyer umwirft, kann man die ganze 
Zahl nicht mehr zufammenbringen, 





*) Gefhwür, Blutſchwaͤren. 


152 


gerne leiden. Leib und meid, bift du gefcheid. — 
Man muß ausder North eine Tugend machen. — Stärke wächſt 
im Geduldgarten am beften. 

Lerne dih in deine Lage fügen Was muß 
feyn, da ſchick dich drein. — Richt's Maul nach der Taſche. — 
Mun muß fich nad) der Decken ſtrecken. — Wer niht Kalk hat, 
muß mit Leim mauern., 

Achte geringen Berluft niht bey großem 
Gewinne Wenn man einen Lachs fängt, Eann man wohl 
die. Angel verlieren. ii 

Scheue Eleine Ausgaben nicht, um große zu 
erfparen. Es ift ein guter Gulden, der hundert erjpart. 
— (68 ift ein guter Prennig, der einen Gulden erjpart. 

Ertrag einen geringen Berluft, um einem 
großen zu entkommen. Veſſer ein Schäolein, dann ein 
Schaden. — Wer einen Wolf zum Gevatter hat, der ſchenke 
ihm unter dem Mantel einen Hund ins Kindbert. 

gerne, ehe dudurdh eigenen Schaden Flug 
wirft. In anderer Leute Küchen ift gut Eochen. — Es ıft 
gut, den Schnitt an fremdem Tuche fernen. — Wer fid ar 
einem Anvdern fpiegelt, der fpiegelt fich fanft. 

Sey klug vor dem Schaden. Eshilft nicht, daß 
man den Stall fihlieft, wenn die Kuh heraus ıft. — Es ift zu 
lang gewartet, daß man den Brunnen dedet, wenn das Kınd 
ertrunfen ift. OR 

Bergrößere den Fleinen Schaden nicht. Aus 
einem Schadlein fol man feinen Schaden machen. 

Bereitedih in guten Tagen auf ſchlimme. 
Bey fhonem Wetter muß man den Mantel mitnehmen. 

Saffe did in den Tagen der Moth. Laß dir 
fein Unglüc über die Knie gehen. 


0. 
Vermifchte Lehren. 
Wirf dich nicht weg. Wer ſich zum Eſel macht, 
auf dem will jedermann reiten. — Eſel will jedermann rei— 


ten. 
Schone deinen gutenNahmen. Verlorne Ehr' 


kehrt nimmermehr. 


135 


Wechle nicht. Drey Veränderungen eines Wohnort 
tes, find jo gut, als eine Feuersbrunft. 

Sey nicht unnadhbarlıd. Mit den Nachbarn hebt 
man Zaun’ und Scheunen auf. 

Sey aub dem Freunde nicht laftig. Den 
Freund joll man nie mic dem Munde küſſen, daß ihm das Herz 
darüber wehe thue. i 

Zögere im Geben nicht. Gib bald, fowirdder 
Dank alt. — Wer mit der abe zaubert, hat den Dank ſchon 
eingenommen. 

Verachte nicht die Sitte des Landes. Man 
muß den Stein nad) der Schnur, und nicht die Schnur nach 
dem Stein richten. 

Geh zu keinem Mit Rechten und 
Kriegen gewinnt niemand viel. 

Geh niht zum Kleinen. Der Schmid beſchlägt 
die Pferde beffer, denn das Schmidlein. — Man Fauft leich- 
ter dem Herrn, als dem Knechte ab. — Man zehrt beijer bey 
dem Wirth, als dem Wirthlein. 

Bleib nie lang als Gaſt. - Wenn der Gaft am 
liebften it, fol er geben. 

Miſch dich nicht inenge Verhaltnifie. Wer 
fih zwifhen Stroh und Feuer legt, der brennt fi) gern. — 
Wer feinen Finger zwifchen Angel und Thür ſteckt, der klemmt 
ſich gern. 

Mifh dich niht unter die Raͤthe. Wo man 
iffet, da mag man zugeben. — Wo man rathſchlägt oder Geld 
zahle, da fol man von geben... 

Haltdıh fernvon den Großen. In der Nähe 
der Gewaltigen muß die Wahrheit oder die Freundichaft dran. 
— Mit großen Herrn ift nicht gut Kirfchen eflen; fie ſchießen 
gern mid Steinen zu, und werfen die Stiel’ Einem an den 
Kopf. — Hüthe did vor Herrn und Königen: Sie haben lan— 
ge Arıne. 

Ueberlogs wohl, ehe du in die Ötadt ziehft. 
Der Steinweg ift heiß. 

Verachte Feinen Auslander. Senfeitd des Ba— 
ches gibt es auch Leute. 

Halt nihts für Elug, was unweiſe ift. Beſ— 
fer arm mit Ehre, als reih mit Schande. — Belfer mit Schar 
den Elug werden, ald mit Schande. 


454 
2. Kunde der Erziehung. 


- 

1) Das lebendige Wort bildet. Man Ternt 
mehr mit Ohren, als mit Augen, 

2) Das Mufterleben bildet. Mohl vorgeben 
macht wohl nachgehen. 

3) Liebe bildet. Wären die Fice nicht lieb: wer 
wirde fie erziehen“ e 

4) Das Anfeben des Veteran bildet. Die 
Alten müſſen die Sungen lehren. 

5) Reine Srundfätze, und reine Benfviele 
bilden. Die Kinder muß man in faubern Waſſern baden — 
nicht in Miſtlachen. 

6) Die Zucht bildet. Zuſprechen iſt halb Werk; 
Vormachen und Strafen wetzet den Verſtand. 

7) Entfernung des Schadlichen bildet. Kin— 
der laßt man nicht Brot ſchneiden: fie würden ſich mit dem 
Meffer nur Schaden thun. ° x 

8) Lebre ohne Lernen bildet nicht. Der Papft 
iſt — 9 Schuler geweſen. 

)Leſen ohne Begriff bilder nicht. Wer 
viel lief und nichts bebäft, wer viel jagt, und nichts‘ fängt, 
die haben beyde Muh’ zum Rohn. 

10) Lernen ohne Fortlernen bildet nit. 
Mer ausgelernt jeyn will, muß im Grabe liegen, 

m Säule ohne Hausübung bildet nicht. 
Man lernt eher eine Sprache in der Küche, als in der Schu: 
fe, — Uebung, der befte Schulmeiſter. 

12) Lehre ohne Talent bildet nicht. Es muß 
ein gerades Holz feyn, das man drehen kann, fonft ift Cifen 
und Arbeit verloren. — Lehre ift nur Dlasbalgy der die Jun: 
fen dev Natur brennen mad. 

135) Bloße Lebre bildet mie Lehre iſt eine 
gute Arzney, aber für unfre Natur zu ſchwach (fie bringts nur 
dahin, daß man der Tugend die UP gibt, aber nit das 
Herz). 

14) Charlatanerie bildet nicht. Sm Studie: 
ren und Lernen ſteckt viel Rauch. 


15) Zu ſchnelle Kopfbildung verbifdet. Aus 


—* Kindern werden Becken! "7. örüpigtäe Kinder wer: 
den frühe Tölpel. 

- 16) Eine Studier nie verbildet ganz. Es 
heißt auch ſtudiert, wenn man das Geld perthan hat. — 


En EEE 


135 


Manchen hat feine Kunft taufend Thaler gekoftet, und er 
würde viel gewinnen, wenn ihm Einer zehn Pfennige darum’ 
übe. Ir 
? 17) Srofe Talente bilden fi felber. Wer 
eine Fackel im Hirn hat, Teuchtet heller, als das Wachslicht: 
leın auf der Schulbanf. HUB 
18) Lohn der fhlehten Erziehung. Erzieheſt 
du dir einen Raben: fo wird er dir zum Dank die Augen aus 
graben. DE 5 19 ‚rag 


Vuiwi7 32 Yan gnwe mt min dee 
Die deutfchen Sprichwörter find gute Aerzte; denn fie 
verfehreiben lauter geprüfte Nezepte. er —— 

1) Sein felbit Arzt feyn. Wer alt werden will, 
thu frühe dazu. — Werde jung alt, fo bleibt du lang alt. 

2) Früh fhlafen geben. Eine Stunde Schlaf 
vor Mitternacht it fo gut, als zwey hernach. — Früh ſchla— 
— früh aufſtehen, ſchließt vielen Krankheiten die 
Thuͤr zu. 

3. Mäßigkeit. Dreymahl am Tiſche getrunken, iſt 
das Geſündeſte. — Wenn der Wein zu wild wird, fo ſchlag 
ihn mis. ver Wafferftange, damit er dich nicht fehlage. — 
Schmaufereyen, der Aerzte Commenthureyen. — Kurze Abend» 
mahlzeit macht lange Lebenszeit. — Der thut einem Alten 
Eein Unrecht, der ihm das Abendeffen ftiehlt. — Drey Dinge 
find gefund: wenig effe dein Mund, übe dich alle Stund, 
Lauf nicht wie ein Hund. — Ein mäßig Frühſtück, gut Ge: 
würz zum Abendeffen. 

4) Gute Verdauung. Wilft du das Mahl wohl 
verdauen, fo laß die Armen miteflen. j 

5) Bewegung, Arbeitfamkeit. Nah Faulheit 
folgt Krankheit, 

-6) Beberrfhung des Zorneg, befonders am 

Tiſche. Afterred und Zorn gehören nicht über Tifh. 

7) Duldfamfeit. Geduld ift das befte Pflaiter fur 
alle Schwären. 

8) Der Arzt der Aerzte. Mit Gott iſt gut arz— 
neyen. RR 

9) Wahl des Arztes, Es hat nicht jeder Arzt die 
recht e Hand zum Heilen, | 


136 


10) Selbſtbeobachtung vor der Krankheit 
und Gelaſſenſeyn beym Geneſen. Die Krankhei— 
ten kommen zu Pferd und mit Extrapoſt, und gehen zu Fuß 
mit Schneckenſchritten wieder weg. 

11) Lebenseſſenz für Gemüthskranke. Ein 
guter BI, ein guter Arzt. 

12) Arzney fürdie Alten. Die Alten müffen. fid) 
ihre Starke in der Kanne, im Bette, und hinter dem Ofen 
ſuchen. — Ein guter Trunk macht Alte jung. 

15) Werth der Hausmittel, Mor dem Hollun: 
der foll man den Hut abziehen, und vor dem Wacholder das 
Knie, biegen. 

14) Gebraud des Pfeffers.- Der Pfeffer hilft 
dem Mann auf’s Pferd, dem Weibe unter die Erd’. 

15) Der'letzte Arzt. Der legte und ficherfte Arzt 
iſt Wetter Knochenmann; er heilet alle Krankheiten. 





Viertes Hauptftück. 


Bon den deutjchen fprihmwörtlichen Redens⸗ 


arten. 





Spꝛichworter und ſprichwörtliche Redensarten ſind Blüthen 
Eines Stammes, ſind Kinder Eines Hauſes. Und es iſt 
mir, als wenn ſich das Genie des deutſchen Sinnes, und der 
deutſchen Sprache in dieſen wenigſtens eben ſo kraͤftig aus— 
ſpräche, als in jenen. Oft erſcheinen mir die ſprichwörtlichen 
Redensarten fogar als das ſchönſte Product der Volks— 
poeſie; find wirklich nicht ſelten mahleriſcher als die Sprich— 
wörter, und fo mannigfaltig, fo launig, fo beiffend wie die. 
Das fie an das Niedere ftreifen, ift ihnen natürlich; denn fie 
wollen Werktags : Poefie feyn. Hier eine Eleine Gallerie fol- 
cher Gemählde, oder treffender Züge. 

Der VBerfhwender. Sein Geld ſchreyt immer : 
laß mich aus. — Sein Geld ift eine H***, will immer nur 
unter fremden Leuten feyn. — Er hält heute Haus, als ob 
man ihms gebothen hätte, übermorgen zu verderben. — E3 
ift Zeit, daß er flirbt; denn da it Leben und Gut miteinan- 


der aufgegangen. — Er hat dad Seine dur) die Gurgel ge— 


jagt. — Ihm ift ein fteinern Haus durch den Bauch gefah- 

ven. — Haus und Hof ift ihm in Wein ertrunfen. — Er 

hat ausgejponnen. — Er hat Feyerabend gemacht. — Er hat 

fein Gut auf naffe Waare gelegt. — Da ift weder Stumpf 

* Stiel überblieben. — Die Kerze iſt auf dem Nagel ver— 
vannt. _ 

Der Genaue, Filzige.. Es ift bofe nachähren, 
wo er gejchnitten hat. — Er it feines Mauls Stiefvater. — 
Er iſt der Mäuler Stiefvater. — Es fällt ihm ein Blutstro- 
pfen vom Herzen, fo’ oft er einen Heller ausgibt. — Es gibt 
Alles an ihn, nur die Hande nicht. — Er fieht gern tanzen, 


N aber mit den Zahnen nicht. — Sein Gut heißt ihn nicht: 


Ders. — Er fühe gern mit den Zahnen tanzen, wenns nur 


138. — 


nicht über ſeinen Brotkorb und Weinfaß ginge. — Seine 
Gulden ſind ſeine Meiſter, wie ſieben Hund eines Haſen. — 
Er hat nur zwey Hände, eine zum Nebmen, die andere zum 
Behalten ; die dritte, die zum Geben, fehlt ihn ganz und gar. 
— In Bayern fagt man: er hat die Hand zugehabt, 
wie er auf die Welt Fam. 

Der Snhofpitale. Er hat gern Säfte, wenn man 
den Tiſch in eines andern Winkel feßet. — Sparmund hält 
bier Haus. — Es ift eine Kirhweih, wo man feinen Raud- 
geſehen. — Er fingt vom Wohlleben bey einer Waſſerſuppe. 
— (Er ſagt von großem Hecht ob einem Brey. 

Der Lugner. Er verkauft Winde, ſchleift glatte, 
breite Worte, tragt den Athem feil, redet aus der Lunge, nicht 
aus dem Herzen, — Was er fagt, hat er von ſich felbſt ges 
hört. — Er lügt, daß ſich die Balken biegen. — Er fagt kei? 
ne Wahrheit, fie -entrinnt‘ ihm dern. — Hätte er an ber. er— 
ſten Lüge ſterben follen, er wäre längſt todt. — Er Lüge einen: 
ganzen Tag, und ſtünde auf einem Fuß dazu. 

Der Heber- witzige, ber! Allwiifende, ber 
Greßkünitler. Seine Spitzen ftehen allenthalben herz 
aus, wie em Haſpel im Sack. — Er hört's Gras'wachfen 
und die Mücken an der Wand nießen. — Er kann einer Gans 
ein Hufeiſen aufſchlagen, jeder Laus eine Stelze machen. — 
Er will überall den fünften Zipfel am: Sacke haben. — Er) 
bat ein Buch, darin Alles ſteht. — Er weiß auj’jeden Hafen 
einen Deckel, und. für jede Flaſche einen Zapfen zu finden. —' 
Er, kann hundert Gulden in einem Wesftein vernahen. 

Der WVielſeitige. Er Eoche in einer Pfanne zweyer— 
ley Brey. — Er mahlet aus. einem Tıegel wei und fchwarz. 
— Er blaͤſt kalt und warın aus einem Munde. — Er ſegelt 
mit allen Winden. — Er ift.inv alle Sättel geredt. 

DerFurchtſame. Er fürchtet fi vor feinem Schat⸗ 
ten. — Er zZappelt wie ein Fiſchim Garn. — Seine Bruſt 
iſt mit einem Haſenbalg gefüttert, — Er iſt gewiß einmahl 
von einer Schlange gebiſſen worden, weil er ſich vor jedem 
Wurme fürchtet. 

Der von Noth Ausgezehrte. "Der Tod ſieht 
ihm zu den Augen heraus. — Er ſieht aus, als wenn man 
ihm gen Himmel geläutet hätte, — Stünde fein Angefiht 
an einer Küchenthuͤr: e8 Fame Fein Hund in die Küche. — 
Er follte und vom Faſten predigen: ihm glaubte man. — 
Er fieht aus, als war’ ex pen drey ange am Galgen gehen 
gen, / 


“ 158 


Der beftohene Richter. Man bat feine Zunge 
an eine goldene Kette gelegt. — Man hat ihm ein ſilbernes 
Schloß vor das Maul geſchlagen. — Ihn hat der ſuͤberne 
Schlag gerührt. — Es liegt ihm ein Joachims- Thaler auf 
der Zunge. 

Der ſchlechte Rechner. Er ißt das Korn, das 
noch nicht * iſt. — Er ladet, ehe die Kuh kalbet, die 
Gaͤſte auf den SI skopf. — Er verkauft die Barnhaut, ehe 
der Bar gefchoffen ift. ; 

Der Wild-Trotzige. Stünde fein Antlis am 
Himmel; die Bauern würden zum Wetter Iauten. — Er fiebt 
wie ein Wald voll Teufel. — Er fieht wie ein Ochs/ der dem 
Metzger entronnen iſt. 

Der Schnellentzündbare. Er iſt ein wenig zu 
heiß gebadet, er ift bald im Harniſch. — Er ift leicht aus dem 
Sattel gehoben. — Bey ihm ift gleich Feuer im Dad. » — 
Er ift ein Fleines Häfele, lauft bald über. 

Der thörichte Arbeiter. Er dörret Schnee im 
Dfen. Er kühlet Wein im Glühofen. — Er brennt das 
Meer aus. — Er ſchickt den Hund nah Bratwürften. — 
Er jagt dem Wolf das gefreffene Schaf ab. — Er gründet 
einen Felſen auf ein Rohr. — Er baut feine Feſtungen ale 
in der Luft. 

Derlintühtige zum Gewinnen. Er ſolte her 
ein Dorf verzehren, als ein Haus gewinnen. 

Derkangfame. Erift gut um den Tod zu Bea eh 

Der Shwadhfinnige. Er bringt Feihe —— 
auf. — Er hat dag Schießpulver nicht erfunden. — Er ift 
kein Herenmeifter. — Er baut Eeinen Thurn. 

Der unerfabrne Junge. Erift noch) hinter den 
Ohren naf. — Die Butter ſchmilzt ihm ned im Munde. — 
Es ift ihm das Gelbe noch nicht von dem Schnabel gewifcht. 

Der Unbildſame. An ihm iſt Hovf und Mal; ver: 
foren. — An ihm ift Kryſam und Zauf verloren. — Sch weiß 
nicht, ob er geboren fey. — Er weiß von vornen nicht, ob er 
rückwärts Tebe. 

Der ähwerbegreifende Man PR. es ihm vor- 
kauen, wie einem jungen Kindlein. ae 

Der Größprahlende Wäre feine Zunge ein 
Spieß ‚ er thate mehr Wunder, als Andere zehn. Wenn 
die Worte Leute ſchlügen, ſo wäre er ein tapferer Mann. 

Das ſuperklugeKind, Er will jones Waters Lied: 
Jein nicht fingen, 


140 


Der Finftere Er ſieht fo fauer, daß, wenn er im 
eine füße Milch fähe, fie verfäuerte. — Er fieht aus, als wenn 
er den Prozeß verfpielt hatte. 

Der Eritifhe Gefelt. Draußen bat er hundert 
Augen, daheim ift er ein Maulwurf. 

Der Schwerbefehrlihe. Es ſteckt ihm in der 
Haut: war’ es in Kleidern, fo möchte man’ berabwafchen. 

Derbhitzige Sprecher. Er gibt Wort um Schläge. 

Der Glücklie ohne Berdienft. Er hat mehr 
Glücks dann Redts. 

Der Unfahige.- Er ift des Holzes nicht, da man 
folhe Bilder ausfhniget. — Er Eann feinen Hund unter dem 
Dfen bervorloden. — Er ift weder zu fieden, noch zu braten. 

Derzur Ausführuna Gewandte, Er weiß dem 
Dinge Hand und Füße zu geben. 

Der liftige Betrüger. Er bat fein Maul mit 
Honig, und feine Hände mit Voaelleim gejalbet. — Es find 
faule Fiſche, womit er auf den Markt reift. 

Der Raubfühtige. Er nahm es audy Gott von 
den Füßen. — Er nähm ed vom Altar. — Er nahm es von 
den Todten. 

Der Stolgdrohende in Schenken: Sch wollte 
dem Teufel eine Sprige vor die Nafe halten, daß ihm die 
ganze weite Welt zu eng, werden follte. 

Der Eluge Kramer, Er richtet den Schragen ger 
gen den Markt. 

DerlUnglücklide, der noch unglüeklicher 
ward. Er iſt von dem Roſt in die Gluth gefallen, von dein 
Regen in die Traufe gekommen, dem Regen entlaufen, und 
in das Waffer gefallen. | 

Der glücklih davon kam. Der hat einen guten 
Engel gehabt. 

Der. Ungeniefbare. Er ift weder gefalzen noch 
geihmalzen. 

Derdarnad Ringende. Ihm träumt auch des 
Nachts davon. — Es kommt ihm auch im Schlafe für. 
2 Der Unbeſtimmte. Er ift weder Zleifh noch 

i 

Der Profane. Er läuft zum Tiſche, wie eine S— 
zum Troge. 

Der Hoffärtige. Wäre Hoffart eine Kunſt, ſo 
waͤre er längſt Doctor. — Röche Hoffart wohl, ſo wäre er 
lauter Biſam. 


148 


Der Narr. Wäre er einem Hafen fo ähnlich als ei— 
nem Narren: die Hunde hatten ihn langit zerriffen. 

Der Kalte bey fremdem Schaden. Es ift ihm 
fein Spiel zu hoch, weıl er nur Zufchauer ift. 

Der Freygebige auffremde Koiten. Er läßt 
gern Wein aus anderer Leute Fäſſern. — Er zahlt gern Geld 
aus anderer Leute Säckeln. 

Der mit Alter und Erfahrung prahlt. Er 
denft länger als feine Mutter. — Er denkt noch, daß St. 
Peter in die Schule gegangen ift. — Er denkt drey Meilen 
binter Gott. 

Der Schuldner. Er ift niemand ſchuldig als jeder⸗ 
mann. — Er iſt lange hier geweſen, und kennt keine Gaſſe, 
darin er nicht ſchuldig iſt. — Sollte er jedermann bezahlen: 
es blieb ihm die Afche auf dem Herd, und der Löffel im Korb 
nicht. 

hr Der Shalf. -Wenn er Tädhelt, fo hüthet man ſich 
vor ihm. — Und wenn er lat, fo lauft. man von ihm, 

Der Viel-thätige außer feinem Kreife. 
Er hat immer neu Werg an der Kunfel. — Er hat ſtets Jun— 
ge und Eyer. — Er ift Zunftmeifter, es bat ihn aber nie= 
mand erwählt. — Er bat viel zu regieren in anderer Leute 
Häuſern. 

Der Stolze, der Prätenſionen macht. Wenn 
er redet, ſo kräht der Hahn auf dem Kirchthurm. — Er meint, 
es müſſe das Pflaſter vor ihm aufſtehen. — Er meint, was 
er im Sinn habe, das ſchlagen alle Glocken. 

Der Glückliche. Schlügeerdas Glück vornen bins 
aus: es lief’ hinten wieder,berein. — Würfe er einen Kreus 
zer aufs Dach, es fiel ihm ein Batzen wieder herab., 

Der Vor-laute. Er lobet den Tag vor dem Abend, 
er fhreyet Zube, ehe er über dem Zaun iſt. — Er fliegt, ebe 
ihm die Federn gewachfen find. | 

Der Tugendlehrer ohne Tugend. Er ift ein 
fhones Schild am Wirthshaufe ; mahnet Andere einzukehren, 
und bleibt felbft draußen. — Er ift ein ſchöner Bildftod an 
Straße, weiſet Andern den Weg, und gebt ihn ſelbſt 
nicht. 

Der Vielgeprüfte. Manch ſaurer Wind hat ihn 
angewehet. 

Der Mann im Gedränge. Er ift zwifchen Kegel 
und Ziel gekommen. — Er ift zwifhen Hammer und Ambos 


142% 


gekommen. — Er kann weder a 106 genejen. — Er 
ftebt zwiſchen Thür und ‚Angel, 

Der Sanfte. Er biffe nicht, wenn man ihm audy 
die Finger ins Maul ſteckte. 

Der Leichtbewegliche. Mit einem Haͤrlein zöge 
man ihn dazu. 


Der Uebelgelittene. Man reift ER um ihn, 
en Char: 


wie um die Marterwoche. — Man fucht ihn, wie 
freytag. 
1 D or u Er heifchet die Schläge, wie 
ein Pferd fein Sutter. 

Der Unachtſame. Es muß ein Rad über fein Bein 
laufen, wenn er davanıdenfen fol. 
Der Faule. Er will lauter rothe Tage im Kalender 
haben. — Er bohret gern dünne Bretter. — Er hat ein faus 
les Bein im Rüden. \ 

Den. Sette, Dicke. Er gebt drey Heller, und 
ſchnaubt ſieben Batzen. 


Zer Undankbare. Er wiſcht das Maul, und geht 


davon. 

Der Verlegene. Er hat einen Wolf geſehen. — 
Er ſieht wie ein geſtochenes Kalb. 
Der furchtfam zögernde Geſchäftsmann. Er 
gebt, wie, eine Katze um den heiſſen Pr 

Der kahle Sein: Selbft: Ent-fhuldiger. 


Er möchte fich gern decken, aber die Decke iſt zu ſchmal, und. 


der Mantel zu Eurz. 

Der Bielverfpreder, der wenig halt, Er 
befteht auf feinem Worte, wie die Butter an der Sonne. 

Der Stillfrohe. Er bat einen Lautenſchläger 
im Bufen. 

Der Gefdickte. Er hätt's mit Einem Worte aus: 


gerichtet. — Er fpringt ohne Stegreif in den Sattel. us 


den Nitterzeiten.) 

Der Ungeſchiekte Er weiß weder Wort noch 
Weiſe. (Kennt weder den Tert, noch die Mielovie des Lie: 
des.) — Er weiß feinen Nahmen nicht. — Es iſt Fein Körn- 
lein Salz in ıhm. 

— Der Unbandige und. Unverjtandige. Er but 
beyde Schuh voll Kalbfleifch. 

Der Alternde. Er bat fhon viel Ditereyer aegef- 
fen. — Er denft viel Charfreytage., — Er ift oft in der Faſt— 
nacht gegangen. 


108, 


Der Greis. Er ruft den Vieren: beb auf! — 
Der Zod fuhr ihn. — Er gebt auf der Grube. 

Der ſich ſelbſt beſchädiget. Er haut fich.felber 
in den Backen. — Die Schneide iſt ihm in die Finger ge⸗ 
gangen. 

Der Stille. Er geht leiſe, er fürchtet, er trete in 
ein Glas. — Er will Frau Leiſetritt ſeyn. 

Der Unnützkthatige. Er trägt, Waſſer in den 
Rhein, Holz in den Buſch. 9 

Der Betrogene. Er muß das Lehrgeld geben. 

Der Sorgenfreye, der fein Gut nicht 
verfhloß. Es fteht hier Alles offen, wie eines Fürften 
Kuͤche. 

Der wenig hat, und das Wenige wohl be— 
wahrt. Er bat nur Ein Auge: Ein Aug iſt lieb. — Er 
bat nicht mehr dann die Tochter; fie ift ihm Tieb. 

Der Ungläubige, Er glaubt nicht ehe: die Hei— 
ligen zeihnen denn. 

Der Eingebildete. Er ſtinkt von eignem Dünfel. 

Der Nichtgeachtete. Er treibt die Hunde aus, 
und lauft felbit mit. 

Der Taugenichts. Er ift fo nütz in der Welt, wie 
der Roſt am Eifen. 

Der Sefühllofe. Er hat im May nie die Vögel 
fingen hören. 

Der Arme. Er hat weder zu beiffen noch zu brocken. 
— Es iſt ihm nie gut predigen (weil er ſtets ungejtillten Hun— 
ger hat). 

Der zu früh Gebildete. Er bat zu früh anges 
fangen zu fingen ;. er wird ſich bald verfungen haben. 

Der Thor. Er hatimmer zu wenig Waffer, die ibm 
die Mühle ftellt, oder zu viel, die fie ihm zerreißt. 

Der Schlecker. Er it ein verwöhnt's Maul. 

. Der die lateinifhen Schulen nit beſucht, 
oder wenigftensnichtvollendet hat. Erift ein 
deutfcher Michel. — Seine Amme verftand fo viel Latein, 
ald er. — Sein Hund hat einmahl in der neunten Schu— 
le beruntergefhaut; Er ift aber nicht fo hoch hinaufgekom— 
men. 
Der Zäartling Man follte eine Glocke über ihn 
giehen laflen, daß ihn Fein rauhes Luftlein anwehte. 


14% 


Derfalide Tugendfreund. Er jagt die Na- 
tur zum Senfter hinaus, und Taßt fie bey der Hausthüre wie: _ 
der herein. 

Der Oberflächliche. Er lauft darüber, wie der 
Hahn über heiffe Kohlen. 

Der gefhlagene Knecht. Der Rüd’ muß ihm 
noch ſo weich werden, als der Bauch. 

Der böfe Ehemann. Er hat ihr einen Teufel her= 
ausgefchlagen, und dafür zehn hinein. 


13 


145 





Fuͤnftes Hauptftück, 


Bon den Denkſpruͤchen, und tiefſinnigen 
ri der Deutſchen. 





J. 
Scharfſinnige, kluge deutſche Sprüche. 


— 

Fulius Wilhelm Zinkgräfen hat im Jahre 1644 
zu Leiden bey Franz Hegern teutſche Apophtegma- 
ta, das iſt, der Teutſchen f[harffinnige, Eluge 
Sprüche, in zwey Theilen herausgegeben ; Sohann Leonard 
Weidner hat fie mit einem dritten vermehrt. Daraus habe ich 
die zu meinem Vorhaben paffendften gewählt; denn e8 war als 
lerdings eine Wahl nicht überflüßig. 


1. Von Pabft und Bifchöfen. 


Pabſt Adrian VI., geboren zu Utrecht, obehenn bes 
Kaifers Karl V. Dermeiliet, Zion fol man nicht mit Be 
und Blut bauen *). 

Chriftian, der zweyte Erzbiſchof zu Maynz , aufge⸗ 
fordert, in den Krieg zu ziehen. Eines Bifchofes Amt ift, 
Gottes Wort ehren, nicht Eriegen; denn der Herr Ehriftus 
bat den Apoftel Petrus befohlen, das Schwert einzufteden. 

Albreht, Markgraf von Brandenburg, Erzbifchof zu 
Maynz. Das menſchliche Herz ift wie ein Mühlftein auf 
einer Mühle. Wenn man Korn darauf ſchüttet, fo läuft er 


) Er wollte feine Verwandten nicht beſerh zu Kicchen- 
ämtern. 


Suilers Sprichw. Yin 10 


146 


herum, zevreibt, zermalmet und macht es zu Mehl. Sit aber. 


fein Korn vorhanden , fo läuft der Stein gleichwohl herum, 
und zerreibt fich ſelbſt, daß er Eleiner und ſchmäler wird. 
Dietrih, Erzbifhof von Köln, zum Kaifer Sig— 
mund, der ihn fragte, welher Weg ihn in den Himmel führte. 
Das ift der rechte Weg: wenn du dein Leben fo führeft, wie 
du zu thun verheiflen haft, als dich der Stein, das Podagra 
und andere Krankheiten plagten. 
 Sohamnes, Bifhof zu Meiffen. Wenn ich die Bibel 
Iefe, fo finde ich darin ein anderes Chriftenthbum, und ein an- 
deres Leben, als man heutiges Tages führt. 
&t. Ulr ich, Bifhof zu Augsburg. Wenn man die 
heilige Schrift zu fehr drückt, fo drückt man, anſtatt Milch, 
Blut heraus, L 





2. Don Kaiferm und Fürſten ꝛc. 


Raifer Karl der Große, wider den Lurus eines 
Bifchofes, der firh ein goldenes mit Edelfteinen befegtes Kreuz 
machen ließ. Die des armen Ehrifti Kreuz, alfo tragen, und 
gern dem Kaifer gleich feyn wollen, tragen wenig Sorge für 
ihre, Schafe. 

Alser die Schule zu Paris befudte, und 
fand, daß die Bürger: und Bauernföhne die 
der Adelihben ubertrafen. Zu den Erftern: 
Mohlan, ihr Jünglinge! fahrt fort, wie ihr angefangen ; id) 
will euch vor Andern werth halten, will aus euch Stiftsher— 
ven, Biſchöfe und Pabite machen; ihr follt Land und, Leute 
regieren, und zu dieſer meiner Nechten fisen. — Zu den 
Letztern: Ihr Zärtlinge, die ihr mit gefräufelten Haaren 
Berumpieht, und euch auf eurer Aeltern Reichthum, Ehre-und 
Stand verlaflet, dem Müßiggange und der Wolluft nahhangt, 
meinen Befehl_ nicht achtet:-ihr feyd mir nicht gut genug; 
euch follen diefe Armen vorgezogemwerden., Dod, wenn ihr 
es den Fleißigen gleich thun werdet, will ich auch wegen eures 
Standes auf euch fehen. 

Zu den Hofleuten, die von Venedig feide: 
ne Kleider kauften, die fie durd feine Veran: 
ftaltung) auf der Sagd zereiffen, und dann 
bey dem Dfen verbrennen mußten. Ihr läppifchen 
Leute, weſſen Kleid iſt nun nützer, das UNE: das mich ei- 





147 
nen Schilling gekoftet, oder das eure, auf das ihr euer ganz 
zes väterliches Erbe verwandt habt? 

Kaiſer Ludwig, der Fromme, wenn er Einem 
ein Amt auftrug. Sieh zu, was du thuſt, du biſt keines 
—Menſchen, du biſt Gottes Diener; er iſt Jedermanns Gott, 
und hat uns dazu erhöhet, daß wir die Armen wider die Ge— 
“ waltigen f[hügen, nicht daf wir und mit ihrem Schweiß und 
Blut bereichern follen. . 

Kaifer Ludwig, der Zwepte. ‚Wer den’ Reich⸗ 
thum verachtet, iſt reicher, als der ihn beſitzet. 

Kaiſer Ludwig, der Dritte. Wider den Feind 
fol man viele Hände brauden, aber wenig Köpfe (wenig 
“ Köpfe, aber nit: wenig Kopf.) 

Kaifer Dtto, der Große. Drohmorte find nur 
Worte, und ftehen deßhalb weifen Fürften übel an, als die 
mit Thaten fprechen, und font wohl wiffen follten, daß der 
Sieg nit in ihrer, fondern in Gottes Hand fteht. — Thun 
wir das Unſere, fo wird Gott das Seine thun. 

Derfelbe bey einem Beftehungsverfude. 
Die Deutfchen Erienen mit’ Eiſen, nicht mit Gold. 

Kaifer Otto, der: Zweyte. Friede mit den Men- 
fhen, Krieg mit den Laftern. 

Kaifer Heinrich, der Sehste: Den Menfhen 
nügen.ift göttlich , fhaden teuffifch: 

—Kaiſer Rudolph, der Erfte. Pakt um Gottes 
willen Sedermann zu mir fommen; denn ich bin nicht zu dem 
Ende zum Kaiferthume berufen, daß ich mich in einen Kaften 
eingefchloffen halte, fondern Allen, die meiner Hülfe bedür— 
fen, fie unverweilt widerfahren laffe. — Sein Land wohlres 
gieren ift eine größere Kunft, als die Gränzen deffelben er- 
weitern. — Meine Strenge hat mid manchmahl gereuet, 
aber meine Güte nie. 

Als Ottofar Böhmen und Mähren als ta 
benvon ihm empfing. Der König in Böhmen hat oft 
meinen grauen Rock verfpottet: jeßt ift es Zeit, daß der graue 
Kock feiner wieder fpotte; der Deutſchen Lob befteht in guter 
Rüſtung, nicht in ftolgen, prächtigen Kleidern. 

Kaifer Adolph (aus dem Geſchlechte der Grafen 
von Naflau). Das Gemüth made reich: beſſer ein Mann 
ohne Geld, als Geld ohne Mann. 

> Katfer Albredt, der Erfte. Dreperlen Leute 
ſind mir vor andern werth: Züchtige Weiber, gottesfürgtige 
Geiſtliche ‚ tapfere Kriegsleute. x 

10 


145 


Kaifer Ludwig, der Vierte, Herzog aus Bay: 
ern. Man fol nah ſolchem Reichthum trachten, den Einer 
ftets bey fich tragen , und der ihm dureh Eeine Gewalt, dur 
feinen Unfall entriffen werden Fann. 

Sriedrih der Schöne, Herzog von Defterreich, 
als er 1523 von Ludwig dem Bayer überwunden, und nad) 
dem Schloſſe Trausnig geführt ward. Es heißt wohl Traus— 
nig; denn ıch hätte es nicht getrauet, daß ich heut folcherge- 
ftalt hineingeführt werden foll, 

Kaifer Sigmund, als einige Pralaten auf dem 
Eoncilium zu Koftnig fagten, man müffe die Reformation 
von den Minoriten anfangen. Mein, man muß den Anfang 
machen mit den Majoriten und großen Hanfen. 

Als fih ein Lebelthäter fürreinen Bürger 
von Dfen ausgab. Auch meine Hand, wenn fie verfault, 
fol —— werden. 

Kaifer Sriedrid, der Dritte, gefragt, welche 
aus feinen Räthen ihm die liebften feyen. Die Gott den Herrn 
mehr fürdten, als mid). 

Vonden Regenten, die nicht auf Gerech— 

figfeit halten. Die find denen’ glei, die die fauende 
Sucht haben. 
Kaifer Marimilian, der Erfte, als Semand 
den Reim: als Adam hackt', und Eva fpann, wo war damahls 
der Edelmann? in feinem Hofe an die Wand fchrieb, fchrieb 
der Kaifer darunter: Sch bin ein Mann, wie ein anderer _ 
Mann, nur daß mir Gott die Ehre gann. 

MWiderden Müfßiggang Das Stilleſitzen und 
der Mußiggang verderbt adeliche, tapfere Leiber, wie der a 
das Eifen. 

Wider vier Habſucht. Wenn ein Regent das Geid 
lieb bekommt, ſo macht es aus einem König glei) einen 
©claven. | 

Bon der alten Sins zwifhen Bolt 
und Volk. Wenn man bayerifches und öfterreichifches Blut 
iu einem Topfe fieden wollte: ich glaube ‚ 'eines würde das 
andere a machen. 

Als Einer fih beflagte'wegen Hobntieder, 
die auf ihn gemadt wurden. Nimm dich folcher Lie: 
der nicht an; wie fie gefhwind Eommen, fo vergehen fie auch 
geſchwind wieder; ; fie währen nicht fo lang als das Lied: Chriſt 
iſt erſtanden. 


149 


Als das Schloß zu Inſpruck nicht nad fei- 
nem Wunſche erbaut ward. Sie machen nichts, was 
mir gefällt: ich will mir wohl ein beſſeres Haus bauen laſſen. 
(Er ließ ſich noch am ſelbigen Tage einen Sarg machen, den 
er fünf Jahre mit ſich herum führte.) 

Als manihm kurz vor feinem Tode ſagte: 
er folle jetzt tbun, was einem No een 
Kaifer ziemt. Das babe ich vorlangit gethan, fonft ware 
es wohl zu lang gewartet. 

Kaifer Karl V., als ihm in Paris große Schäße 
von Gold und Silber gezeigt worden, mit dem Worte: Dies 
allein wäre eines Königreiches werth. Ich habe: zu Augsburg 
einen Weber, der könnte diefe Dinge mit barem Gelde aus: 
zahlen. ‚(Den Fugger meynend.) 

Bon dem vollfommenen Kriegsheere. Zu 
einem vollfommenen Kriegsheere nehme ich gern das Haupt 
von den Stalienern, Hande und Arme von den Spaniern, 
das Herz von den Deutihen, Beine und Füße von den übri⸗ 
gen Völkern. 

Kaiſer Ferdinand J. von ſeinem Bruder, Kaifer 
Karl. Mein Bruder ift nicht leicht auf den Efel zu bringen; 
wenn er aber einmahl darauf kommt, fo ift er nicht leicht wies 
der herabzubringen. 

Als man ibm feinen Aufwand für feine 
Gemahlinn vorwarf. Befler, Koften auf feinen Ehe: 
gatten wenden, als auf Buhlerey. 

Als ihm auf der Reiſe von Prag nach Frank— 
furt mehrere Trabanten ſtarben. Der Tod reiſet 
auch mit ung, iſt im Vor: und Nachzuge bey uns: es wird 
alſo nöthig ſeyn, daß wir uns zu einem feligen Ende rüften. 

Saifer Marimilian, der Zweyte, zu König 
Heinrich dem Dritten., Könige beherrfchen die Leiber der Un: 
terthanen, nicht die Gewiflen. Die fi unterftehen, auch die 
Gewiffen zu meiftern, fallen Gott, dem Herrn in fein Amt, 
greifen den Himmel an, und verlieren darüber oft das Regi— 
ment auf Erbe. 

Ehurfürft Qudwig, der Gütige, Pfalzgraf 
bey Rhein, ließ vor feinem Zode alle Snftrumente feines erb- 
lichen Eigenthums revidiren, und alles Unbillige darin aus 
ftreihen; denn, fagte er: Sch will lieber in Armuth fterben, 
als mich mit einem ungerechten Gute beladen. 


150 


Herzog Cafimir, der Churpfalz Vormund. Es iſt 
beſſer, wir binden unſere Pferde an des Feindes Zaun, als 
daß der Feind ſeine Pferde binde an unſern Zaun. 

Als die Veltliner-Reben in feinem Gebie— 
108 Eeinen gleihguten Wein bradten Es iſt 
das vornehmfte Stück vergeffen worden, die Sonne zwiſchen 
den engen veltlinischen Bergen. 

—Herzog Rihard von Simmern, als man ihn 
tadelte, daß er der Kinderlehre beygwohnte, neben dem Pfar: 
rer ftand, und Kindern SPreife austheilte. Wenn ein Furft 
rechtfchaffene Unterthanen im Lande ziehen will, fo muß er 
von der Jugend anfangen, und ſelbſt mit auffehen. 

Ludwig, der Aeltere, Herzog in Bayern, im 
Kriege. Sch führe Eeinen Mörderkrieg, fondern einen Fürs 
ſtenkrieg⸗ wider die Unſchuldigen habe ich nichts. 

In feiner Gefangenfhaft zum Markgrafen. 
Mein Leib ift in eurer Gewalt, aber niht mein Gemüth. 

Churfürft Sriedrid, der Zweyte, Herzog im 
Sachſen, ald er den Bifchof von Magdeburg mit Krieg über: 

ziehen wollte, und diefer fagte: er wolle feiner Kirche und des 
Öehethes: pflegen, der Churfürft möge gleihwohl Fommen, 
bat er den Zug eingeftelle. Ich bin viel zu ſchwach wider den 
zu Eriegen, der Gott zu einem Kriegsgehülfen hat. 
Friedrich, der Weife, Churfürſt zu: Sachſen. 
Bauernleben it das ſeligſte Leben; denn dieſen wäachft Alles, 
die andern Stände müſſens Eaufen. — Bey und Herrenfann 
man ſich wohl warmen , aber auch verbrennen. — Die ung 
am nächſten nachgeben , find am meiſten zu fürchten; denn fie 
treten Einem am eriten die. Schuhe aus. — Fürſtenbriefe fol 
man zwey⸗ dreymahl leſen, weil fie weislich gefchrieben feyn : 
um wieviel: mehr die Bibel, darein Gott feine Weisheit ſchrei— 
ben laſſen? 

Churfürft Auguſt in Sachſen. Man foll die 
Aemter und Dienfte mit Leuten verſehen, nicht die Leute mit 
YAemtern und Dienften. 

Chathbarina, geborne Herzoginn von Meckelburg. 

Ich will an: Chriitus, und am Saume feines Kleides hangen 
Bein, wie eine Klette am Node, die ſich eher zerreiffen, als 
davon abreiflen laßt. 

Markgraf Georg von Brandenburg. Got— 
tes Wort wär' nicht ſo ſchwer, wenn der Eigennutz nicht war”. 

Herzog ulr ich von Würtemberg, als viele 
Deutſche die —2 der Spanier nachäfften. Fremde Kleider 


157 


bringen fremde Sitten, fremde Sitten fremde Völker und 
neue Säfte, und die neuen Bafte vertreiben die alten Ein 
wohner. 

Graf Moritz von Aldenburg, Stiftsdechant zu 
Bremen 1420, iterbend, und die rechte Hand ausftredend. 
Dies ift die Hand, die von den Unfchuldigen Feine Geſchenke 
genommen, nody Semanden Gewalt oder Leids zugefügt hat. 

Sobann Albredt, Graf zu Solms, als einige 
- Engländer feidene mit Gold nnd Edelgefteinen gefticfte Strüm— 
pfe anhatten. Es ware nur Schade, daß diefe Leute mit fol: 
hen Strümpfen nicht auf dem Kopfe geben könnten. 

—Johann, Graf zu Nafau, Stifter der Schule zu 
Herborn: Wer ftirbt, ehe er ſtirbt, der ſtirbt nicht, wenn er 
ftirbt. 


3. Don Lehrern, Predigern ıc. 


ı) Sobannes Geiler von Kaifersberg, Prediger im 
Straßburg. 


Bondem Menfhenleben.. Diefe Welt it ein 
großer Fluß, über den je Einer dem Andern überhelfen fol: 
e3 währt nicht lange, und iſt nur eine Ueberfahrt. 

Bonder Hurtigkeit zum Bdfen, und Lang— 
famfeit zum Guten. Wiffet ihr nicht, daß ein Stein 
im Augenblick den Berg hinabrollt, da man ihn in einem 
ganzen Tage nicht wieder hinaufwälzen kann? jenes iſt der 
Natur gemäß, dieſes der Natur zuwider. 

Von der Reformation. Es iſt a Se daß 
das Reformiren fo viel Wefens, auch des Pabſtes Geheiß felbft 
bedarf, da zum Deformiren Zeder für fih allein Macht habe. 

Bon dem überfeinen Begrifffpalten Wer 
zu feinen Faden fpinnt, dem bricht er leichtlich. 

Von den Knedten, die bey allen Iuftigen 
Seften, die die Zeit bringt, mitmachen. Segli- 
cher “Zeit ihr Recht, Macht manchen armen Knecht. 

Von dem Zulaufe des Volkes zu Predig 
ten, und dem Beichtſtuhle. Es iſt kein Kleid ſo fey— 
ertäglich geweſen, es iſt endlich ein Alltagskleid daraus wor: 
den. 


152 


Bon einem neugewahlten Bifhofe. Weber 
ein. Jahr wollen wir. feben, ob er zu loben, oder zu fchelten 


fe 
er Bonneuerwalten Fürftbifhöfen. So bald 
fie zu Fürften werden , fo werden fie ſtumm, blind und lahm. 
Stumm, weil fie für fi) Eeinen Beſcheid geben, fondern durch 
ihre Räthe; blind, weil fie Feine Bittfchrift Iefen, fondern der 
Kanzler; lahm, weil fie fich felbft nicht mehr an- und aus- 
kleiden, weil fie nicht mehr zur Kirche geben, fondern fahren. 
Bon Belübden. Man fol Niemanden zu einem 
Gelübde bereden, denn es Fann nicht Jedermann mit den Ad— 
Iern fliegen, nocdy mit den Riefen laufen, — Wennein Schub 


wohlgemadt, und gutes Leder ift, fo ift er doch nicht gleich Se=. 


dermanns Fuß gerecht. — Man muß Jedem laffen, nachdem 
er Adern hat. 

Bon dem Veriren und Scherzen. Wer viel 
ſchwenkt, wirft gern um. 

Von dem Weltlaufe. Friede macht Reichthum, 
Reichthum macht Uebermuth, Uebermuth bringt Krieg, Krieg 
bringt Armuth, Armuth macht Demuth, Demuth macht wies 
der Friede, 

Bon der Adelfuht: Es ıft gut, daß Chriftus ges 
Jagt ‚ er fey ein Weinftocf, und ein Säemann; hätte er ge: 
fagt, id bin ein Junker, wehe uns gemeinen Sauter! i 

Bon der Leib espflege. MWir-follen des Leibes 
achten und pflegen, wie ein Hinfender feiner Krücke, deren er 
lieber gar entbehren möchte. 

Bon der Verführung, Eine einzige übellautende 
Pfeife verderbt die ganze Orgel; ein böfer Bube die ganze 
@emeinde. 

Bon dem Lebens: und Sterbens-Gemiffen. 
Ein großes Bauholz kann ein Knabe auf dem Waffer mit dem 
Seile fortziehen, auf den Ufer Fein Mann aufheben. (Un— 
fere Sünden, die und im Hinunterfhwimmen auf dem Lebens: 
ſtromme fo leicht waren, müffen uns eine ſchwere Laſt wer: 
den, wenn wir an den Scheideſtrom kommen.) 

Bon der Leidenfhaft, die jede Befriediz 
gung bungriger macht. Feuer wird mit Schwefel nicht 
gelöſcht. 

Bon den Stolzen. Eine Fackel, die aufrecht ge⸗ 
tragen wird, feuchtet minder hell, als die man gegen die Erde 
nieterträgt. 


153 


Bon Entheiligung des Sonntages. Feyer— 
tag ift Fülltag worden, Sabbathtag Sauftag. 

Wider den Ahnenftolz; Sch glaube, dein Kern 
werde nicht ohne Spreuer gewachfen fenn. 

Wider den fleinen Propheten, der ſich 
groß, und in feiner Heimath für verachtet 
hielt. Es gilt der Pfennig nirgend mehr, als wo er ge 
münzt iſt. 

Wider einen leeren Schwätzer. Eine Blaſe 
mit drey Erbſen macht mehr Geräuſch, als eine volle. 

Bon Falſchen. Die Sade der Zweyzüngigen ift 
nichts als Za und Nein: Ja im Verfpreden, Nein im Hal- 
ten. 

Bondem Undanfe Die Sau frift die Eicheln 
unter dem Baume auf, und ſieht nicht einmahl über ſich, wo 
fie herfommen. 

Zu einem Shmahfüdhtigen. Sch habe mehr 
Dhren zu hören, als du Mauls zu ſchmähen. 

Von der Auffihe des Regenten. Wasin der 
Sonne ſteht, zeitiget viel eher. 

Von der Freyheit, die der Mann dem Wei: 
be geftattet. Es ift Eein Pferd fo gut, oder fo vorfichtig: 
wenn man es nicht ſtets im Zaume halt, ift Gefahr daben. 

Bondem Wahne der Alten, noch recht lang 
zu leben. Es ift wohl gefhehen, daß Einer, der die höch— 
fte Staffel der Stiege erreicht hat, nit wieder herabgegan— 
gen, fondern gefallen ıft. 

Bon denen, die allem Uebel bevorfommen 
wollen. Wer alle Löcher vermachet, fängt am wenigiten; 
denn er ftopft wohl auch die Löcher zu, durch die die Fiſche 
bereinfommen, 

Bon den Öloffenmadern. Sie weifen von einer 
Gloſſe zur andern, die fih dann reimen, wie eine Fauft auf 
‚ein Aug; fie gleichen denen, die das Geſinde in den eriten 
April um einen Wetzſtein ſchicken, weldyes dann anftatt des 
Wetzſteins nichts als Spott heimbringet. 

Bon VBerführbaren Man follte fih wi laf: 
fen, aber nicht verweifen. 

Wider die Apologeten verbothener Con- 
tracte. Das Waffer wird fo lang durd die Afche gefeigt, 
und durchgegoffen, bis gar Lauge daraus wird. 

Zu denen, die night mitder Sprade heraus 
wollten. Heraus damit, du darfft ja keinen Zoll geben. 


4 

Von den Erben. Sie machen es mit ihren verftors 
benen Freunden, wie die Trinker mit ihren Gläſern. Wenn ei— 
nes bricht, ſo ſchreyen ſie alle darüber, werfen aber doch her— 
nach die Stücke zum Fenſter hinaus. 

Von der Verführung frommer Weiber. Die 
ganzen und beiten Käfe werden gemeiniglic von den Mäufen 
angebiffen. 

Ueber das Mutterwort: ih ſehe nichts Bö— 
ſes an meiner Tochter. Wollt ihr denn warten, bis ihr 
ſie Böſes thun ſehet? Da ‚außer eure Aufficht viel zu fpat kom— 
men. . 

Die Taglatzu nich "Kaum bat eine angefangen, 
fo geht fie fhon mit einer andern fchwanger. 


Als ıbm der Rath fagen ließ: er folle 


bringen, was. fih gebührt, und die Rathsherren 

im Frieden laffen. Das ift eben, als wenn Einer. zum 
Scherer fagte; treib dein Handwerk, aber geh der Leute 
müßig. 

Bom Reid werden. Wie die Henne Fein Ey in ein 
Neſt legt, wo fie nicht zuvor eines darin findet: fo fammelt 
Keiner Schaäße, der Eeinen Anfang zum Neichthume hat. 
Das Strebennah Reichthum. Die reich wer- 
den wollen, müſſen große Diligenz, und Eleine Confeienz ha— 
ben; 

Bon der Peft. Die Peſtilenz ift eine ſchnelle Die— 
nerinn der Providenz; ift wie ein Zunfe in einer Scheuer, den 
Eann man Anfangs mit einem Fuße austreten, aber wenn man 
zu lange wartet, bis Feuer daraus wird, dann ift nicht mehr 
zu wehren. — Einen Armen, der — einen Bauern, der 
edel worden, ſoll man wie die Peſt flieben, 

Bon dem böfen Gefinde. Ein faul Holz ins 
Feuer gelegt, macht einen böfen Geruch: ein heillofes Gefind 
im Haus ein böfes Gerücht. 

BomWerfalte ber Ordnung. Die Strafer müf: 
fen fich heutiges Tages mehr fürchten, als die Uebertreter. 

Bon der weifenGorrection. Wer einen Klitter 
auf dem Papiere ausfragen will, thut es nicht fogleich, weil 
er noch naß, und das Papier noch weich ut; und nicht zu fpat, 
damit er fich nicht gar in das Papier hineinfere. 

Von dem hoben Alter. Ein abgebauener Mayen, 
ins Waffer geftelt, bleibt noch eine Weile grün, aber nicht 
lang: ſo hilft Arzney und — den — Leuten ein wenig, 
aber nicht viel. 





/ 


155 
2) Celtes, der erfte deutſche Poet. 


Von der Dichtkunſt. Poeſie iſt eine gortliche Be: 

wegung des Gemüthes. 

VonLebenserleichterung. Schlaf, Wein, Phi— 
loſophie, und ein guter Freund ſind eine Erleichterung, und 
gleichſam ein Fuhrmann des Lebens. 

Von der Tugend. Die Tugend iſt wie ein Schwamm 
und wie ein Kieſelſtein; jener zieht ſich zuſammen, wenn man 
ihn drückt, dieſer gibt Feuer, wenn man ihn ſchlägt. 

Bon den fünf Sinnen. Die fünf Sinne find 
Thüren des Verftandes ; die Augen Feniter des Gemüthes. 

Bon den ungebildeten Großen. ie find eine 
Drgel, die nicht Yfeift, wenn ihr nicht ein Anderer einblaft. 

Bonder Decenz des Philoſophen. Es fteht 
' einem Philofophen wohl an, den Bofen mißfallen. 

Bondem Weine Wein und Vers, je älter, je 
köſtlicher fie werden. 

Bon der Thorheit. Eslebt unſer Feiner, dem nicht 
eine Thorheit begegnet ift. ; 

Bon den Masken. Die ihre Religion, Gottesfurde 
und Philoſophie durch beſondere Trachten an den Tag geben 
wollen, gleichen den Faßnachtputzen. 

Bon dem nichtgeachteten Primat. Die Tu— 
gend iſt wie ein Oehl; man ſchütte es ins Waſſer oder fonft 
wohin; überall ſchwimmt es oben: — 

Bon Aufklärung. An verſtändigen Leuten fol man 
merken, wie ein Tag den andern lehre. ' 

Auf die Sruge, worin das Wefen des Men- 
fhen beſtehe. Nehmet den Menfhen Vernunft und Re: 
de, fo werden ſie nichts übrig haben. 

Auf die Frage: welde die rechte, wahre 
Molluft fey. Die, auf welche Feine Nachreue folgt. 

Auf die Frage, warum er nidt nad grofien 
Gütern trahte, In großen Haufern ſtecken große Sor— 
gen, und: wer forgt, der hat nicht, was er hat. 


3) Der Urheber der Reformation in Deutfd: 
; land. *) 


Wider die, die Tieber Gloffen, als den Text 
lefen. Beffer mit eigenen als mit fremden Augen fefen. 
7 *) Hier find nur ſolche Sprüche gewählt, die bende Theile 
mit gleichem Jntereffe lefen werden. 


156 


Bon ber Jugend. Sie ift wie ein Moſt, der ſich 
nicht halten laßt, er muß vergahren und überlaufen. 

I Bon der Erziehung Man muß fo ſtrafen, daß 
immer der Apfel bey der Ruthe liege. 

Als Jemand behauptete: Wer ſagt, daß 
Wucher Sünde ſey, der hat kein Geld. Wer ſagt, 
daß Wucher keine Sünde ſey, der hat keinen Gott. 

Die drey Stände. Der Hausſtand mehret und näh— 
ret; der weltliche Stand dem Böſen ſteuert und wehret; der 
geiſtliche Stand unterrichtet und lehret. 

Bonden Theologen. Es iſt ein großer Unterfchied 
zwifchen einem Theologo crucis und einem Theologo glo- 
riae; diefer fagt bald ja, bald nein, jener redet vund von der 
Sache, wie fie an ſich ſelber fey. 

Bon der Lüge. Alle Lügen find krumm, gerade ift 
Feine, wie die Schlangen auch. 

Sein Lieblingsreim. Wie einer Tiefet in der Bir 
bel, fo fteht in feinem Haus der Bibel. 

Was den Gottesgelehrten bilde. Drey Dinge 
machen den Theologen; die Sinnigfeit, das Gebeth, und die 
Anfechtung. (Meditatio, oratio, tentatio.) 


Bon der Obrigkeit. Sie fol drey Aemter und. 


drey Nahmen führen; fie fol helfen, nahren, wehren , und 
aljo heiffen: Heiland, Water, Netter. 

Als Jemand das natürlihe Recht ru ibmee, 
Es iſt wahr, aber darin liege der Fehler, daß Jeder wähnt, das 
natürliche Hecht ſtecke eben in feinem Kopfe. 

Als ihm Jemand in die Rede fiel. Zwey Eön- 
nen wohl miteinander fingen, aber nicht reden. 

Bondem Weltgeifte. Die Welt ift ein Diftel: 
Eopf; wo man denfelben hinkehrt, ſo kehrt er die Stacheln über 
ſich. — Die Welt iſt ein umgewandter Decalogus. — Die 
Welt iſt ein trunkner Bauer; hebt man ihn von einer Seite in 
den Sattel: ſo fällt er auf der andern wieder herab. 

Noch einige Sprüche, die ihm ugßefſchrieben 
werden. Des Todes Schrecken iſt der Tod im Tode. — Der 
erſparte Pfennig iſt kedlicher als der erworbene. — Geld iſt 
unfruchtbare Waare, heckt nicht wieder Geld. — Afterreden 
iſt nichts anders, als in Gottes Gericht greifen. — Lüge iſt 
ein Schneeball, wird deſto größer, je länger man ſie fortwälzt. 
— Eines einzigen frommen Mannes haben oft ganze Länder 
genoffen. — Was im Himmel fallt, üt teufliſch, was auf Er⸗ 
de, menſchlich. — Es iſt kein Irrthum ſo groß, der nicht ſeine 





157 


Zuhörer hat. — Die Schlange ift der große Difputirer: wo 
fie mit dem Kopfe hinein kann, da kriecht fie bald mit dem 
ganzen Leibe nad. — Seine Kunft bergen Fönnen, ift eine 
Kunft aller Künſte. — Der Teufel kann wohl leiden, daß Chris 
ftus über die Zunge gebe, wenn nur er (der Teufel) unten lies 
ge, — Gottes Wunder erben nicht. | 
Bon einem großen Luftgarten. SParadiefes 
genug, wenn nur die Sünde nicht wäre. 

Himmel und Hölle. Die Hölle muß viel faurer 
verdient werden, als der Himmel; und der Teufel hat größere 
Martyrer als unfer Herr Bott. 


4) Johannes Staupitz. 


Sch habe Gott fo oft Befferung meiner felbft gelobt, und 
hange doch noch dem Böſen an; daraus fehe ich, daß die Bef- 
ferung ein lautere3 Werk Gottes ſeyn müffe. *) 


5) Sebaſtian Frank, von der Word, 


Bon Gott. Gott ift ein unausfprechliches Seufzen, 
im Grunde der Seele gelegen. 

Ehriftus und die Welt. Chriftus ift der Welt Wi> 
derchrift: der Welt Herrfchaft und Freyheit die größte Knecht: 
ſchaft und Gefängniß. 

Vom Gebethe. Der Mund bethet nicht, iſt nur Dot: 
metſch des bethenden Herzens. 

Bon Erkenntniß. Die Erkenntniß Gottes und ſei— 
ner ſelbſt ſind die zwey Angel, in denen die Thür des Himmels 

eht. 
Geſchichte. In Hiſtorien findet man alle Lehren und 
Geſetze lebendig, in Lehren und Geſetzen alle Hiftorie todt. 

Bucher. Der einzige rechte Gebrauch der Bücher ift der, 
daß wir ein Zeugniß unfers Herzens darın fuchen. 

Melt: Weisheit. Auch die weltliche Weisheit ift eine 
Gabe Sottes; nur muß man fie nicht gen Himmel zu ®ott füh— 
ven, fondern mit ihr auf Erde bey irdifchen Dingen bfeiben. 

Gemüth. Man läuft nit mit den Füßen aus der 
Welt, fondern mit dem Gemüthe. 

Nühternheit. Ich bin des Irrens und Fehlgreifens 
an allen Menſchen fo gewohnt, daß ich Feinen darum haffe, 


*) Das hebt die andere Lehre nicht auf: „Menſch! fen im 
Kleinen treu, damit dir Großes anvertraut werdg,“ 


158 


fondern mich felbft und mein Elend in ihnen erkenne und ber 
weine. | f 

Der bloße Buchſtabe der Schriftohne Geift. 
Der Schriftbuchſtabe iſt das Schwert des Widerchriſts. 

Die Auslegung. Es wird nichts fo recht geſagt oder 
geſchrieben, daß es nicht der Teufel für ſich auslegen könne. 

Geringe Ehriftenzahl. Es iſt kein Wunder, daß 
fo wenige Chriften find, denn alle Welt hängt noch an den Crea» 
turen. Wer nun Gott dem Herrn den Leib nicht vertraut, wie 
follte er ihm die Seele vertrauen? 
Sein Meifterfprucd. Gott ift wunderbarlich: was 
er niht um Gute gibt, das gibter am Muthe; waser nicht 
auf den Tiſch gibt, das gibt er in den Mund; was er nicht 
am Bette gibt, das gibt er am Schlafe. 


6) Livius Sind, von Grätz. 


Von den oben aus und nirgend an. Die hoch 
oben auswollen und nirgend ankommen, ſind wie Raketten, die 
in die Höhe fahren, und weder den Himmel erreichen, noch wies 
der auf die Erde Eommen, fondern in der Luft zerfnallen. 

Bon der Eitelkeit. Die größte Eitelkeit ift die Ei— 
telfeit der Gedanken, die nichts find, als wachende Traume. . 

BonGefundheitsregeln. Die befte Gefundheits- 
vegel iſt die, welche der höchfte Arzt felber ausgeſprochen: im 
Schweiße deines Angefichts follft du dein Brot effen. 

Bon dem Wohlleben. Wie das überzuckerte Gift 
wohl. mundet, aber hernach ‚übel fchlundet: fo das zeitliche 
Wolleben; eg leibet wohl und feelet übel. 

.. Bon»Shriftauslegungen. Wie jeder Menſch 
der befte Dolmetfcher feiner Worte ift: fo wird wohl auch der: 
heilige Geift der. befte Ausleger der heiligen Schrift ſeyn, dol- 
metfchen können, was er ſelber eingegeben hat. 

VBonPraht und Aufwand. Wergroßen Aufwand 
macht, muß entweder ein fürftliches Gut, oder fürftliche Schul— 
den haben. 

> Bon großen Thorheiten. - Die größten Thoren 
find die, welche fich felber weife zu feyn dünken. 

Bon der deutſchen Sprache. Das befte Deutich 
ift, was vom Herzen gebt. 

Bon dem Gebetbe. Das befte Gebeth. ift das, 
worin man Gott am wenigften vorfchreibt ; denn er weiß beffer, 
als wir felber, was ung nuß und noth ift. Me 


159 


Bon zierlihen Kleidern. Am fhönften Eleiden 
gute Sitten. ‘ : Be 

Bon der Unfähigkeit des Menſchen, ſich 
felbft zu rathen. Unfere Augen fehen eben Alles, nur fi 

felber nicht. 

VBaterlandsliebe. Wenn das Vaterland im Brait: 
de fteht, find alle Stände fchuldig löſchen zu helfen. — Wenn 
wir in einem Schiffe fißen, das verfinfen will: fo müflen wir 
alle rudern. 

Als ein Knabe feinem Vater, der die Ruthe in 
der Hand hielt, zulief. Wir große Kinder folten von 
dieſem Eleinen lernen ‚da wir, je mehr uns unfer hunmlifche 
Bater züchtiget, defto mehr von ihm laufen. 

Wider die Obenaus inSachen der Religion. 
Weit fehlen die, welche nicht durch die Thür, welche Chriftus 
- ift, in den Himmel hinein wollen, fondern oben zum Dache 
hinein, und ın Gottes Rath fteigen. 

Die Wurzel alles Böſen. Der Menfch iſt Got- 
tes, nicht fein felbft eigen. Sobald er nur fein Eigenes ſucht, 
fallt er ab von dem, deſſen er ift. 

Als man eine leibeigene Perfon nöthigen 
wollte, die Religion ihres Herrn anzunehmen. 
Sie 9 wohl ſein Leibeigen ſeyn, aber ſein Seeleigen iſt ſie 
doch nicht. 

9 Als Semand bey jeder Nede feine Seele 
verpfandete. Der Menſch muß ein überaus großer Lügner 
fepn, weil ihm fo fehr bang ift, wir glauben ihm nicht. 


7) Henningus Boden, ein Zurift. 


" Ein Gefeß ohne Vollziehung ift eine Glocke ohne Schwen= 
gel. R 
8) Reuchlin von Pforzheim! 

Vondem Drucke. Wenn dem Volke die Ziegel ge- 
doppelt werden, dann Fommt Mofes. | 

Von den Allzverähtern.. Die find den Mücen 
gleih, die alle Dinge verunveinigen, und felbft nichts nüße 
find. ; 

Bon Candidaten der Rechtskunde. Im er: 
ften Jahre Eönnen fie ſtracks alle Rechtshändel ſchlichten; im 
zweyten fangen fie an zu zweifeln; im dritten fehen fie, daß 
fie nichts wiffen; im vierten fangen fie erft an zu fernen, 


160 


9) Doctor Ferarius zu Marpurg. 
(Ein Jahr vor feinem Tode, ald er mit einer Leiche ging, 
ſagte er zu feinem Nachbar). Wir müffen alle daran, und iſt 
nur das der Unterfchied, daß einer ein Paar Schuhe oder ein 
Kleid. mehr zerreiffe, als der andere. 


10) Philippus Appian, Arzt und Mathematiker. 


Wir müffen fludieren und arbeiten, als wollten wir ewig 
leben; müffen aber leben und betben, als-wollen wir heut fter- 
ben. 


11) Herman Witefind, ein Mathematiker. 


Bondem Tode desMenfhen. DasElend ſtirbt 
nur, der Menſch nicht. 


12) Doctor Hieronymus Schurf. 
Das verkehrt die Kirchenlehre, daß die Zuhörer immer 
etwas Meues hören, und die Lehrer immer etwas Neues vor: 
bringen wollen. 


15) Johannes Schneidemin, ein Juriſt. 


Bon der VBorfhnelle ım Urtbeile. Wer zum 
Urtbeile eilt, der eilt zur Reue. Mae 

ZIdeal des guten Juriſten. Er muß haben das 
Kiffen, ohne welches er ein dummes Vieh, und das Ge— 
wiffen, ohne welches er ein Teufel ware, 

An einen angehenden Hofmann. Laß dir den 
Zeufelsglauben empfohlen feyn. Denn, wie diefe glauben und 
zittern, fo mag ein Eluger Hofınann der Verbeiffung des Hofes 
zwar glauben, aber mit Furcht und Vorſicht. 


14) Franz Balduin, ein Juriſt. 
Hiſtorie und Surifterey muß man miteinander vermäh- 
len,; denn diefe ift ohne jene ein Lahıner ohne. Krücke, ein Blin- 
der ohne Führer. 
15) Abraham Buchh e er, Hiftorikus, in feiner Krank: 
eit. 


Ich habe das Mittel gefunden zwifchen Seyn und Richt: 
feyn — das Werden. Sch werde, was ich nicht bin, und warın 
ich nicht-fegn werde, dann werde ich erſt vecht ſeyn. 

16) D. 


161 


16), Ds Michael Lingels heim, Churpfaͤlziſcher Rath, 
Unfer Leben iſt nichts anders, als Lernen und Vergeffen. 
17) D. Janus Gruterus, Profeſſor zu, Heidelberg. 


Von Machiavell: Jedermann ſchilt ihn, und jedermann 
praktizirt ihn. ER * 

Bon Trachten und Sitten. Man fol ſich gemei— 
ner Trachten, und befonderer Sitten befleifen. 

Bon dem Leſen der Geſchichtbücher. Privat— 

perſonen iſt es eine Kurzweil, Fürſten und Herren eine Noth— 
durft. 
' Bon den Reifen der Deutfben nad Sta: 
- tien. Die Deutſchen bringen von Stalien gemeiniglich ein 
dreyfaches Unheil nach Haus; Leeren Sedel, Eranfen Leib, bö— 
ſes Sewiffen. 

Bon dem Unverftande einiger Srommen. 
Fromme Leute müffen täglich Lehrgeld geben. 


—* 18) Niklas Reußner— 


Neid und Unfreundlichfeit find unſterblich, Freundſchaft 
‚und Liebe gläſern. 


19) Heinrih Strohband, Burggraf zu Thorn. 


Vor zwey Dingen ſoll man ſich hüthen, vor falſchem 
Wahne, der iſt ein Feind der Erkenntniß der Wahrheit, und 
eine Mutter aller Verirrung und Blindheit; vor dem ’Eigen- 
nutze, der iſt eine Peſt der Geſetze, und ein Unterdrücker der 
Frommen; beyde zuſammen der Untergang des gemeinen Wes 
fens. 


20) Theophraft ar ae hlırs, 


(Als er zu fpat zum Kranfen gerufen ward, ber bereits 
das heilige Abendmahl empfangen hatte.) Hat er diefen Arzt 
gefucht, fo darf er mein nicht mehr. 


21) Albrebt Dürer 


BVBonKunft unv®iffenfhaft. Ein Menfh ohne 
Bildung ift ein Spiegel ohne Politur ; wie diefer Feinen-Schein 
von ſich gibt, fo ift jener zu nichts nütz. * 
Ueber die Prädeſtination, an Spitzköpfe, 
die fagten, er Eönne es nicht verftehen, wenn 

Sailers Sprichw. 11 ehe 


162 i 


man es ihm auch fagte. Wenn ihrs fagen Fönntet, ich 
wollt es auch verftehen Eönnen. 
Bon Gemählden. Gemählde mit Farben Tiebe ich 


nicht, fondern die mit einer Farbe gemacht find; denn daran 
erſcheints am meiſten, was Einer kann. 
22) Euricius Cordus, Profeffor von Heidelberg. 


Ein Arzt hat brey Angefihter: ein englifches, wenn er zu 
dem Kranken gerufen wird; ein göttliches, wenn er ihn gefund 
macht; ein teufliiches, wenn er feine Bezahlung fordert. 


25) Philipp Ho finann, der Rechte Profeffor. 

Sch habe in Durchfehung der Rechtshändel fo viel ger 
lernt: Wo böfe Worte, da ift auch gemeiniglich böſe Sade. 

24) Lukas Kronacher, Mahler. 

Heuchler find heilige Schälke. 

25) un ifto ph Bau RE ein Rathsherr in Freins⸗ 
eim. 

Kon dem Acker- und Meinkäne Das befte 

Bergwerk ift, wo man nur ein Paar Schuh tief gräbt. 
26) An ton Tucher, Rathsherr in Nürnberg. 


: (Als ihn Kaifer Ferdinand J. fragte, wie er eine fo große 
Menge Bürger in Ordnung halten Eönnte.) Mit guten Wor⸗ 
ten, und harten Strafen. 


27) Gerhard Bontius, Arzt und Profeſſor zu Leyden. 


Wie die Menge der Aerzte den Kranken unter die Erde 
bringt: ſo verdunkelt die Menge der Ausleger den Text. — 
Den Gelehrten wäre gut predigen ‚ wenn man ihnen nur den 
Glauben zugleich in das Herz predigen Eönnte. — In den en» 
gen —— der neuen Mode wohnt ein weites Gewiſſen. 


28) Kaſpar Peucer. 


Drey Sünden jerftören drey Regimente: Gottloſi gkeit 
das geiſtliche, Ungerechtigkeit das weltliche, Ueppigkeit das 
8 Kommen alle drey zuſammen, ſo machen ſie das 
Garaus. 


163 
29 Kornelius Agrippavon Mettesheim.n 


(Wider den Hohmutb einiger Re 
Unfere Priefter vermeinen ın den Himmel zu fteigen dur 
eben das Mittel, dur welches Lucifer aus dem Himmel ges 
ftojfen ward. 


30) Arzt Ratzenberger. 


(Als man ihm rieth, im Galenus ſtatt in der Bibel zu 
leſen.) Ich bin nicht auf Galeni Nahmen getauft: Galenus 
kann wohl geſund, aber nicht ſelig machen. 


31) Doctor Horneck, Arzt in Frankfurt. 


Auf die Frage, welche Apotheke in Frankfurt die befte 
fey). Die deutiche Apotheke iſt die befte. (Gefunde Kot, 
und gute Diät heilen viele Kranke eher, als die lateinifche 
- Apotheke.) \ 


52) Doctor Wegelin. 


; (Bon feinem Freunde, einem Theologen, der für einen 
guten Metaphyſikus galt.) Beſſer, er ware ein Metabiblifus. 


33) Lorenz; Zinfgraf. 


Bon den neuen Weltereigniffen. Alte Ko 
mödien, neue Komodianten, Rs 

Bon der beften Mufif. Es it. feine fchönere 
Mufik, ald wenn Herz und Mund tbereinftimmen. 
— Kein Prozeß. Wer einen Prozeß um eine Henne 
hat, fol lieber ein Ey dafür nehmen, und die Sache gut feyn 
laſſen. 
—Kriegstalent. (Ein Gelehrter und ein Kriegsmann 
können wohl in Einem Sattel fißen. a 

Von Verachtung desFeindes. Die ihren Feind 
verachten, handeln thöricht ; denn, wenn fie ihn überwinden, 
fo ift es ihnen Feine Ehre, den Geringen überwunden zu ha— 
ben; liegen fie aber unten, fo ift e8 ihnen defto ſchändlicher, 


> von einem .Geringen überwunden zu fepn. 


Bon großen Gefahren. Ben grefen Gefahren 
muß man die Gelegenheit nicht erwarten, fendern machen. 


34) Leonhard Weidner. 


Schöne Rocken, oder Spinnräder machen die faulen 
Mägde nicht luſtig zum Spinnen: vergoldete Bücher faule 
4, = 


164 


Studenten nicht fleißig zum Lernen. — Wer mit jungen -Bei- 
nen den Berg nicht erreicht, wird ihn fchwerlich mit den alten 
erfteigen. — Wer bey Hof will Gunit haben, muß, wenn 
man ihn fragt, ob das Wafler Berg auflaufe, ſtracks fagen : 
es jey droben, er habe es fehen laufen. 





II. 
Tiefſinnige Sprüche der Deutſchen. 


WVon den gemeinen deutſchen Sprichwörtern entfernen 
ſich am meiſten die tiefſinnigen Sprüche der Deutſchen. Aber 
ſie ſind doch nur Söhne des Einen Geiſtes. Denn der Wahr— 
heitsſinn wird nothwendig Tiefſinn in den innigen, reinen, 
hellſchauenden Gemüthern. Auch ſind ſowohl in den Sprich— 
wörtern, als in den Denkſprüchen, beſonders in jenen von 
Geiler, Frank von der Wörd, Livius von Grätz 
2c. viele tiefſinnige Sprüche angeführt worden. Aber bier 
follten fie eine eigene Stelle einnehmen. Sch befchranfe 
mich ındeffen bloß auf Einen deutfhen Mann, der uns die 
ältefte, und die befte Philofophie aufbehalten bat, auf 3 os, 
bannes Taulerus, und aud bey ihm nur auf einige 
Perlen, vie aus der Tiefe feines Geiftes heraufgehohlt, 
in feinen Schriften hell glänzen. | 
Daß die Fülle der Religion die Heimath, der In— 
balt, das Leben feiner Sprüde jey, wird Niemanden 
auffallen Eönnen, der weiß, daß Sinn für Gott und Ewig— 
feit der veigentlihe Tieffinn des Menſchen fey, und daß 
die tiefften Tiefen nur von einem veligiöfen Gemüthe 
durchdrungen werden Fönnen. 

Se inniger des Menfchen Gemüth, defto tiefer der 
Einn; je tiefer der Sinn, deſto madhtiger der Ausdrud. 
Uniere kleinen Geifter, die in ihrem Flachſinne den Tieffinn 
der Religion nicht Eennen, und nur auf Wortitelzen ſich hoch 
zu heben wiffen, beweifen beydes, daß ihre Sprache an inne 
rer Fülle gerade fo arım fey, als ihr Gemüth. 

Dem Sprachforſcher, der die Weisheit mitforfcht, 
wird es nicht unerwartet ſeyn, gerade da die Fraftigfte Spra— 
che zu finden, wo der tiefe Blick daheim ift. Aber das wird 
manchem Lefer unerwartet feyn, da, wo er etwa nur erhabes 


165 


ne Gedanken von Gott erwartet hätte, nebenbey die tiefen 
Seen von dem, was Natur, Wefen, Menſchheit, 
Ewigkeit feyn, finden zu müffen. Doch das ift ja Charafs 
ter aller wahren Philofophie, daß fie den Menfchen, indem 
fie ihn zu Gott erhebt, zugleih in allem dem orientirt, 
was die Seher aller Zeiten von der Natur, der Menfchheit, 
der Ewigkeit geahnet haben. Tolle, lege, ama. 





1. Der Menſch. 


Der Menſch (ſeine Vernunft). Die rechte Ver— 
nunft, die ſucht Gott, und fernet ſich von allen Creaturen, 
ſie ſeyen leiblich oder geiſtlich. Und, wer zu dieſer Vernunft 
kommt, der iſt ein rechter vernünftiger Menſch, deſſen Ver— 
nunft vom göttlichen Lichte durchleuchtet iſt. — Wer Vernunft 
ſchilt, der thut ihr gar unrecht. Denn alle Creaturen begeh— 
ren des Lebens. So denn die Vernunft erkennt, daß alle 
zeitlichen Dinge tödtlich ſeyn, und allein Gott ihr Leben iſt: 
ſo muß ſie ſich von Natur zu Gott kehren; denn ſie begehrt 
von Natur des Lebens. Und es iſt der Natur viel natürli— 
cher, daß ſie ſich kehrt zu Gott, denn zu den Creaturen. 
Denn alle Creaturen mögen ſie nicht erfüllen, ſondern Gott 
allein. Und darum iſt es natürlicher, daß ſie ſich kehrt zu 
dem, der ihr gibt, denn zu dem, der ihr nimmt. — Deſſen 
Vernunft mit mannigfaltigen Dingen umgeht, der kommt 
nimmer zum rechten Lichte, in dem fich alle göttlihe Wahr: 
. heit offenbaret. Denn das Licht iſt einfaltig, und darum will 
es aud) einen einfältigen Grund haben, daß es in ihm feinen 
Schein auswerfe. 

Der Menſch (feine Gabe). Die edelfte Gabe, die 
der Menfch geben Fann, iſt, daß er fich felbft gibt, und mit 
fih gibt er Gott alle Dinge. Denn der Menſch ift alle Din- 
ge: darum bedarf er niht mehr zu geben, als fich felbit. 

\ Der Menfc (feine Sreyheit). Freyheit ift die wah— 
re Lauterkeit, dig da fucht Emigkeit. — Freyheit ift ein abger 
fhieden Weſen, das da Gett ift, oder Gott anhängt. — 
Freyheit iſt fo edel, daß fie Niemand gibt, als Sort der Va— 
ter. Denn ſie ift eine Kraft, die da fließt ohne Mittel aus 
Gott dein Vater in die Seele. — Göttliche Freyheit entfpringt 
aus wahrer Demuth, und endet in Demuth, und in Geduld, 
und in allen Tugenden, und in Gott, — Rechte Freyheit ıft 


166 


ein Vermögen aller Tugend, und ein Laffen aller Untugend«, 
— Es iſt billig, daß die mit Zeitlichem beladen find, die Frey⸗ 
beit fhelten, denn fie haben fie nit. Und was man nicht, 
bat, das mag man nicht [oben. 

Der Menfc (feine Duplicität). Der Menſch iſt ge⸗ 
ſchaffen von Zeit und Ewigkeit, von Zeit ie dem Leibe, von 
Eivigkeit nah dem Geift. Nun neigt fich jedes Ding nad, 
feinem Urfprung. Weil der Leib gefchaffen ift von der Erde, 
und von der Zeit, darum neigt er fich auf irdiſche, zeitliche 
Dinge, und ſucht darin ſeine Luſt. Weil der Geiſt aus Gott 
gefloſſen, geſchaffen iſt von der Ewigkeit, darum neigt er ſich 
zu Gott, zur Ewigkeit. — Der Menſch iſt zuſammengelegt 
von Zeit und von Ewigkeit. Wenn denn der Menſch erha— 
ben wird mit den wberften Kraften aus Zeit in Ewigfeit : fo 
wird er unbeweglich nad) den oberften Kräften (denn Ewigkeit 
iſt unbeweglih) und beweget doch die nie niederften Kräfte 
mach der Zeit. 

Dev Menſch (feine Unlauterkeit). wi die Sinne 
fich ausfehren, fo faffen fie die Ulnlauterkeit in fi), und wenn: 
fie wieder. eingezogen werden, fo bringen fie das Linlautere mit. 
mut fich herein. — Wer ſich auskehrt, und den Sinnen dient, 
der thut dem gleich, der feinen lieben. Freund laßt, und ſei⸗ 
nem Feinde dient. i 

Der Menfd (feine Pauterfeit). Gott ift in fich felbſt 
unbeweglich, und bewegt doch alle Dinge; alſo iſt ein laute— 
res Gemüth unbeweglich, und beweget doch mit Gott alle 
Dinge. — Wie Gott alle Dinge in ſich begreift: alſo begreift 
ein lauterer Menfch alle Tugend in einer einfaltigen Liebe. — 
Der Menich kommt wohl in der Zeit dazu, daß die Creatu— 
ven nichts. mehr finden in ihm zu tödten: aber dazu mag er 
nit kommen, daß Gott nichts mehr finde in ihm zu tödten. 

Der Menſch (fein Nieder: und Aufwartsfehen). Zeit: 
liche Dinge find von Natur ſchwer: darum ziehen fie alle We- 
ge das Gemüth nieder, das mit ihnen befümmert iſt. Aber, 
wer zeitlicher Dinge ledig ift, der hat alle Wege ein aufdrin⸗ 
gendes Gemüth zu Gott. 

Der Menſch (ſein Sof). Der Leib fol feyn ein Knecht 
der Seele, die Geele eine —— des Geiſtes, der Geiſt 
ein Anſtarren Gottes. *) 


— — — 


*) Dieſer Spruch hat auch die Form eines Spruches, die 
) Bu ers ph Boyn gie und das Ges 
ſchloſſen ſeyn in ſich ſelber; die andern haben, 


167 
Der Menſch (feine Größe). Wenn fid) der Menſch 


kehrt von der Zeit, und den Creaturen in Ewigkeit, und in 
Gott: fo hat er auch ein Wirken in Gott und in Ewigkeit, 
und fo machet er aus Zeit Ewigkeit, aus: der Greatur Gott 
(einen göttlihen Menfden). : a Arche 
Der Menfc (feine himmliſche Kunft). „Der: Menſch 
muß fih mit großem Ernft bewahren, daß nichts von Außen. 
in ihn falle, neh fhlage, das ein Mittel (eine Scheidewand. 
zwiihen Gett und ihm) mache. *) — Alle Lehren und ans 
dere Kunfte nehmen unterweilen eine Ruhe, fie hören etwa 
auf: aber diefe himmlifche Kunft will die Zeit. des Menſchen 
ganz haben, fie ift ganz da, oder nicht. — Man muß fich 
nicht felber meinen, fondern Gott allein, der in allen Din— 
gen, in allen Zeiten, und an.allen Orten. iſt, in dem We— 
nigiten als in dem Meiften; denn Er ift weder größer noch 
weniger, Er ift Alles in Allem. ns I 8 
Der Menfd (feine Lehrftücke). Drey Dinge lerne 
wohl. 1) Sey allzeit ein anfahender Menſch; das: benimmt 
dir alle Tragheit. 2) Sey allzeit Gott heimlich (vertvaut): 
fo bleibt du in Freuden eines guten Gewiffens.. 5, Nimm 
alle Dinge mis gleichem Muthe von Gott: fo biſt du allzeit 
im Frieden. wu q N 
Der Menfch (ſeine wiederhohlte Uebung). Wir müf- 
fen unfere Werke oft erneuern, damit wir mit mandem Zus 
kehr den wahrhaften, wefentlichen Kehr zu Gott erlangen, — 
Gott ift uns allzeit nahe, und. gleih nahe: aber wir find ihm 
nicht gleich nahe, und haben. viel Mittel. ‚Darum follen. wir 
uns.naher und naher, durch alle Mittel, in ihn dringen. >» 
Der Menfch (feine. Tugend). Der Menſch ſoll fi 
fo lang in QTugend üben, bis Tugend fein Wefen wird. — 
In einem guten, Menfchen werden alle Dinge getragen in ih— 
ren Urfprung. —J— 
Der Menſch (feine Wahrheit). Alle Menſchen mös 
gen betrogen werden, nur der nicht, in dem der himmliſche 
Vater gebiert fein ewiges Wort. 


' 





‚ wenn nicht alle die. Form, doch. wenigfteng den Sinn 
und Geift eines Sprudes. Denu, da fie aus einem 
zufammenhängenden Werke ausgehoben find, fo wollte 
2 ihnen diefe Wrfprünglichkeit ihres Dafepns nicht 
nehmen, 


*) Diefes inwendige Leben will feinen Spielgang dulden. 


168 


Der Menſch (feine Dreyzahl). Dieſe drey ſtehen 
in einem Puncte: in Ewigkeit feyn, in SrnIg Per 
feyn, in Lauterkeit des Wefens feyn. 

Der Menſch (fein Fall). Bleibt der Menſch 4 
ſich — und beſitzet ſich in feinem natürlichen Adel mit Eis 
genheit ſo faͤllt er, und wird aus einem Menſchen ein 

‚eufel. Darum iſt die Sünde fo böfe, Denn fie machet 
aus: einem Enger einen Teufel, und mägges einen — 
teufliſch. 

Der Menſch (feine Buße). Buße ift eine fefte eisige: 
Abkehr des Gemuͤthes von allem, was wider Gott iſt, und 
eine liebliche Zufehr zu Gott, und allen göttlihen Dingen. — 
Kein- Flachsreislein verbrennt fo ſchnell im Gluthofen, als: 
die Sünde dem Bußfertigen vergeben ift. Denn zwiſchen Gott 
und dem Bußfertigen iſt keine Zeit, kein Mittel. 

Der Menſch (feine Freude). So wenig die Todten: 
fich freuen mögen, fo wenig mag fih ein Sünder freuen; denn 
der Grund,’ da die: rechte Freude ausſpringt, der iſt todt, und 
darum mag er ſich nicht freuen. Aber in den Menſchen, die 
in rechter Lauterkeit lebem iſt der Brunnen aller Wonne und 
Freude offen. Denn das ewige Wort, davon alle Engel und» 
Heilige Freude und Wonne haben, das ſpricht ſich in ihnen, 
wie in den Heiligen im Himmelreich aus. —Waren fie nicht 
noch mit dein Teibe beladen: fo hatten: fe pt Freude, wie 
die um Himmel 

Der Minis (feine Demuth). Der Grund whter 
Demith wird geboren von innen )’ und nicht von außen. — 

Wahre Demuth: ift eine ſtarke Burg, die Niemand gewin:' 
sien fan: man Rinne. wohl daran, aber? fie ift nicht ‚zu ger 
winnen. —D ar 

Der Meafch (feine Ger). Leiden gleicht einer 
Zıotte. Wenn die Traube getrottet wird, fo fließt aus ihr, 
was in ihr iſt. Iſt fie iüß,'fo gibt fie füßen ; fauer, gibt fie 
fauren Wein. Wird der Menſch mit Leiden gedrückt, fo flieht 
aus ihm, was in ihm ift, aus dem Qugendhaften göttliche 
Süßigkeit. 

Der Menſch (ſeine Zartheit). Es iſt Niemand ſo 
heilig, daß er fo lauter bliebe in dem Auskehren, als ih dem 
Einfehren, — Es ift gar Elein, was dem Tautern Auge wehe 
—*— noch viel kleiner it. das, was den Innern Menſchen ver; 

eBet. 





Selb ſiſucht, 


109 


Der Menfd (feine Nahrung). Was der Menfch ißt 
und trinkt, das foll in dem heiligen Geift (im Dienft der Liebe) 
verzehret. werden. . . Und das find recht geiftlihe Menfchens 
Ihr Effen ift Gott lieber, denn anderer Leute Faften, und 
wer jie fpeifet, fpeifet Gott felbft. 

Der Menſch (fein höchſtes Gut). Kennen und * 
haben iſt gut, aber die Vereinigung mit Gott iſt das Beſte. 
— Das Beſte gehört allen Menſchen zu, und Gott will es 
allen geben, wenn ſie es nur nehmen wollten. 

Der Menſch (fein Verſtehen). Wer Gott verſteht, 
der verſteht alle Dinge. — Ein göttlicher Menſch verfteht, in 
einem lautern SInnebleiben, in Gott alle Dinge. — Wenn 
die Sonne aufgeht, fo verwandelt fie alle Lichter in ihr Licht, 
daß kein Licht mehr iſt, als ihr Licht; denn ſie iſt über alle 
Lichter: darum, wenn fie aufgeht, müſſen alle Lichter unter: 
gehen, und fie leuchtet alfein mit ihrem Lichte. — Alſo ift es 
auch in einer lautern Seele. Wenn die görtlihe Sonne in 
ihr aufgeht, fo verwandelt fie alle Fichter in ihr Licht, daß da 
fein Licht mehr da ift, denn das göttliche Licht. Denn Gott 
ift ein Licht über alle Lichter. — Wer die Wahrheit bloß 
verfteht, der bedarf Fein Gleichniß. Da nun ein lauterer 
Menſch aller Dinge bloß ift, die der Wahrheit nicht gleich 
find, fo verfteht er die Wahrheit bloß, und daran iſt es ihm 
genug. 


2. Gott. ie 


Was Gott Spricht, das ift Leben. — Gott ift der Seele 
Himmelreich. Wenn fie dann alle Dinge laßt, und Gott 
allein anhängt, fo gewinnt fie Gott mit Gewalt. — Das iſt 
Natur Gottes, daß er ſich gemeinfamet der Seele, die feiner 
empfänglich ift. — Gott hat alle Dinge dazu geordnet, daß 
fie folen Weg und Handleitung zu ihm feyn, und er will al: 
fein das End und Ziel feyn. — Die Creatur blendet, Gott 
macht fehend. — Es ift Niemand gut, als Gott: darum ift 
nicht3 gut , es gefchehe denn in Gott, und nichts gefchieht in 
Gott, es gefchehe denn in der Ordnung. 
| Gnade Gottes. Gnade ift ein Licht, das Gott in 
ſich felbit jchöpfet, und in die Seele gießt, und lie Seele dar 
mit zieht von Leiblichfeit in Geiftlichkeit, von Mannigfaltigkeit 


170 


in Einfalt, von Zeit in Ewigkeit. — Gottes Gaben unter: 
feheiden ſich nicht nach, dem Geber, fondern nah dem Neh— 
mer. \ 

Das Werk Gottes Das Werk, das Gott in eis 
ner Tautern Seele wirket, das ift viel edler, als die Werke, 
bie Gott je gewirfet hat in Zeit und Ewigkeit. 


3. Natur. 


Urfprünglihe Natur. Was die Natur unlauter 
macht, das ift ein Gebrechen. der Natur, und nit die Natur 
ſelbſt. Denn die Natur ift geihaffen zum Guten. — Dar⸗ 
um ift die Sünde mehr wider,die Natur, als von der Natur. 
— Die Sünde zerftört die Natur, und entjeßet fievon ihrem 
Adel. — Wenn alfo Jemand zur rechten Natur will kommen, 
fo muß es mit Tugenden gefhehen, und nicht mit Untugenden. 
— Tugend feßet die Natur, Untugend entfeßet fie. — Zus 
gend ordner die Natur, und führt fie in ihren vechten Urfprung, 
und zu ihrem rechten Weſen. 

Natur, wie fie jetzt iſt. Natur liebt und meint 
ſich alle Wege ſelber. — Was auf ſich ſelbſt gekehrt iſt, und 
ſich ſelbſt meint, das iſt ein Werk der Natur. — Das natür— 
liche Bild iſt gekehrt auf die Natur: und das Bild hat die 
Natur von Adams Fall. — Des Engels Bild iſt gekehrt von 
der Natur in Gott: und das Bild haben wir von Chriſtus. — 
Wenn man die Natur ſchilt, ſo iſt die Natur nach Adams, 
und nach Lucifers Gleichheit gemeint. — Wenn man die Nas 
tur lobt, fo gilt es der Natur nach engliſcher Gleichheit. 





4. Chriftus. 


R Das macht uns allernächft Gott im Himmelreih , daß 
wir ihm allernächſt folgen auf dem Ervreich. — Sft der Menſch 
Eines mit Chriſtus, fo hat er Ein Wirken mit Chriftus. — 

Ehriftus ift das Ziel. aller Menfchen, und wer dem Ziel aller: 
nächſt Eommt, der ift Gott am allernächſten. — Die mit den 
Leiden unfers Herrn umgehen, die gehen nicht, fondern fie Tau: 
fen zu Gott, als der fie mit Schwertern jagt; fie ftehen nim— 
mer ſtill, und gehen nicht hinter fih, fondern laufen alle We: 
ge ohne Unterlaß für fid. . .. Und Iebten fie bis zum jüng— 


171 


ften Tag, fo müßten fie allzeit Tanfen, und hörten nimmer 
auf; denn fie führen ſich nicht felber, fondern Gott führt fie. 
— Nimmer mag der Menfch den Lüften vecht abſterben, als 
in den Leiden unſers Herrn. Und, wenn der Menfch den leib- 
lichen Lüften erftirbt: fo fteht in ihm auf... eine göttliche 
Luft, die alle Teiblichen Lüfte übertrifft, und die Luft sagt den 
Menihen zu dem Ziele, das Chriftus ift. — Predigen it 
nichts anders, ald die Menfchen, die von Gott entfernt find, 
und das ewige Wort nicht hören können, zu Gott führen, daß 

e wieder hören können das ewige Wort. — Die Menfchen 
müffen das dußere Wort hören, damit fie zu dem innern Wors- 
te Eommen, das Gott fpricht in dem Wefen der Seele. 


5. Selbft-Bekenntniß. 


Ich fage öffentlich, und ihr follt mir auch glauben: Daß 
mid) weder meine Kappe noch Platte, weder mein Klofter noch 
heilige Geſellſchaft heilig und felig mat. Es muß etwas 
anders feyn, wenn ich felig werden foll, nähnı 
Gh: ein heiliger Grund, der ganz ledig und um: 
befeifen ift von allen Ereaturen. ” 


I 
l 





172 





Seäftes Hauptftück, 


Bon Verhuͤthung des Mißverſtandes und Miß⸗ 
Drauches g gemeiner dDeutfcher Sprichwörter und 
| fprihwörtlicher Medensarten, | 





Deutfcher Siun legt aus, was deutfher Sinn hineingelegt. 


Sn, was in den voranftehenden Betrachtungen von dem 
Bepräge , und dem Inhalte genreiner deuticher Sprichwörter 
und fprihwörtlicher Redensarten, über ihren Sinn und Geift 
klar genug ans Licht hervortrat; auch fhon die Stellung der 


Sprichwörter, und die Auffchriften, die ihnen gegeben wur: 


den, follten vem Mifverftande und dem Mifbraude, 
dem fie wie alles Andere unterworfen find, vorbauen können. 
Indeſſen dürften ein Paar freundliche Erinnerungen über 
Verhüthung des Mifverftandes und Mißbrauches 
deutſcher Sprichwörter nicht überflüßig, und für den Leſer, 
der mit mir hier angelangt iſt, kein unbedeutender —— 
ſeyn. 


Sprichwörter, die nur die Sitte mahlen, können deß— 
bald den Sitten nicht zur Regel dienen. Als Sittenge— 
mählde find fie wahr; alg Sittenregeln müßten fie 
falfch feyn, wenn fie die Sitten der Böſen mahlen, und könn— 
ten auch noch falſch ſeyn, wenn fie die Sitten der Guten mah— 
Ien. &o darakterifiven fie die Menfchen, wie fie find, ohne 
fie uns als Mufter zur Nachahmung aufzuftellen. 3. ©, 

Müller, Schäfer, Kein Müller hat Waffer, Eein 
Schäfer Weide genug. 

Bader und Scherer, Sn den Badſtuben, und bey 
den Scherern erfährt man allzeit etwas Neues. 


173 


Soldaten. Soldaten Finnen Bürgern und Bauern 
viel unmögliche Dinge lehren. 

Die luftrige Waare. H. — — und Buben fpres 
chen immer von ihrer Ehre. R * 

Die Hochſtehenden. Ein hoher Baum fängt viel” 
Wind. 
Die Gottlofen. Ein Gottlofer gäb um alle Pfarre 
herren im Lande nicht ein altes Paar Schuhe. 

Nun diefe Gemählde find wahr, infofern fie mahlen, 
was geſchieht: aber fie lehren nicht, daß wir den Eigennuß des 
Einen, die Schwaßhaftigkeit des Andern, die Gewaltthätigs 
keit des Dritten, das Selbitloben des Vierten, das Windfan- 
gen. des Fünften, das profane Leben des Sechften ung zum 
Muiter nehmen follen. 

Dasſelbe gilt von gewiffen Marimen, die den Sitten 
der Menihen zum Grunde liegen, 5. B. 

. Lichter Tag, lihte Augen. So rechtfertigen fi 
die Betrüger, wenn fie fi) durch Betrug bereichert haben: er 
hatte den Betrug wohl wahrnehmen können, warum bat er 
die Augen nicht aufgethban ? — Aber, wer Nege ausitellt zum 
Fange, wie follte der am Zange unſchuldig ſeyn? Pferdhand- 
ler, Krämer führen diefen Spruch gern im Munde, und dag 
ift allein fhon Widerlegung genug. 

Ein gutes Mahl ift des Henkens werth. 
Diefer Spruch wird leider! als Sittengemäbhlde nur zu 
oft wahr ; denn Viele hat gemacht, und Viele made täglich 
noch — der Bauh zu Schelmen. Aber Sittenregel kann 
dies Wort nie werden. Denn das Leben ift ja mehr .als 
Speife, und Rechtſchaffenheit mehr als das Leben. 

Man foll fihb an einen fhönen Galgen 
benfen, wenn man fih henken will. Gibt es denn 
einen ſchönen Galgen? Sit doch Fein Tod ſchön, als den du 
für Religion, Tugend, Vaterland ftirbft, oder wenigftens durch 
ftille Ergebung verfhönerit. — Dies Sprichwort ftraft übri- 
gens die Wohlüftigen, die fih an häßliche Dirnen hängen, und 
in der Eurgen Luft den frühen Tod finden. — Diefer Tod ift 
eine Art Selbftmord, und aller Selbftmord, im Auge der Ver- 
nunft, Wahn: oder Unjinn. 

2. 
Es gibt Sprichwoͤrter, die nicht einmahl als Sitten- 


gemahlde gewifler Elaffen von Menfchen angefehen werden 
Eönnen , fondern nur als Porträte des Einzelnen, 3. B. 


174 


Ich kin Gott einen Tod Waldig; den zahl ich ihm, wann er 
will. 

So kann die Ergebenheit des Heiligen, ſo kann 
aber auch die ſtolze Todesverachtung des Profanen 
fprehen. Welchen Sinn der Sprecher mit dem Worte ver: 
bunden habe, muß der Ton, der re und Mann, 
der e8 ausfpricht, entfcheiden. 


Pi: 3 


Sprichwörter, dienurdie Natur, den Weltlauf, 
das Schickſal verkünden, geben uns eben deßwegen, weil 
ſie nur Natur, Weltlauf, Schickſal verkünden, kei— 
ne Geſetze für den freythätigen Willen, keine Pflicht 
für unſer Daſeyn, kein Urbild für unſere Nachbildung fie 
wollen nur Wahrheit darſtellen, Erfenntniß der Wahr: 
heit fördern. Deßhalb wurden auch im dristen Hauptitücke 
die Sprichwörter nach dieſem Geſichtspuncte geſondert. An— 
ders kündigt ſich uns Natur, Menſchheit, Weltlauf, 
Schickſal, Klugheit; anders en Tugen r 
Weisheit an. 

Indeſſen tragen auch jene Sprichwörter. ‚die. ®. die 
Natur schildern, und-bloße Naturgemahlde zu fern 
foheinen, wenn fie auch Fein eigentliches Sittengeboth 
ausſprechen, doc) meiftentheilg eine Warnung, eine Er: 
mabnung, wie im Schoße verborgen, mit ich. 

Z. B. die zwey Sprichwörter: Es tröpfelteh’vor 7 
regnet. — Man fiebts an der Afche noch, wo der 
Topf geftanden, find Naturgemahlde, und lehren zus 
nächſt nichts, ald, daß überall Kleines Worbothe des Größern 
ſey, und daß die Leidenfchaften ‚ wenn fie auch zurücktreten, 
‚Spuren ihrer Ausbrüche zurückaffen. Aber eben diefe Lehren 
ermahnen den Unadhtfamen , in dem Kleinen dag Große 
vorauszufehen, warnen den Leichtfinnigen, die Leidenſchaf— 
ten nicht über das Ufer treten zu laffen ; weil fie, auch zurück- 
tretend, fo viel Schlamm und Verwüſtung zurückaffen. 

So feinen die zwey andern Sprichwörter: Bier 
und Brot maht Backen roth. — Bridt ein 
Ring, fo bricht die ganze Kette, bloße Naturges 
mählde zu.feyn; aber fie heben ven Zeigefinger auf, und rufen 
in Familien, und außer denfelben: Zieh gefunde, kräf— 
tige Nahrung den Lecfkerbiffen vor; und: Halt 
feft an der Eintradt; denn mit ihr dert eißt 
der ———— des Ganzen. 


175 


So liegt in dem Naturgemahlde.: der ſchönſte Affe 
ift ein häßlich Ding, ein Wink, daß es um alle Nach— 
' dffung etwas Haßliches ſey, und zugleich eine Eraftige Wars 
nung vor aller Nahaffung. Dies gilt auch von den Sprich 
wörtern , die den Weltlauf befhreiben. 3. B. So lang 
der ödlitten im Lauf, fißt Jeder .gern darauf. 
— Es ertrinfen mebr im Becher, alsin der Do— 
nau. — Jenes erzählt bloß ein Fragment aus der Mens 
fehengefchichte, und winkt höchſtens noch auf die zahlreichen 
Befuche, die in dem Haufe des Glüclichen, fo lang die Kuche 
raucht, gemacht werden ; dieſes warnet ſchon zugleich vor 
unbeberrfchter Trinkluſt. se 


4. 


Sprichwörter, die bloße Klugheitsregeln find, 
Eönnen defhalb nie als Sittenregeln betrachtet werden. Zwar 
ift auch die Klugheitsregel fittlich, wenn fie ein Dürfen 
für fi) hat, wenn das Mittel, das fie zum guten Zwece ans 
räth, nicht böſe ift. Aber die Sittenregel führt nicht etwa 
ein Dürfen, fie führt auh ein Sollen mit ſich. 3>%. 
Wernihts zu zanken hat, der nehme ein Weib. 
— Es liegt ein Eiuger Rath darin, nahmlich diefer: Nimm 
Keine zum Weibe, die an der Zankfucht Eranfelt; denn dieſe 
Sucht iſt unter allen Suchten, die den Eheftand zum Wehes 
ftand machen, wohl die ſchlimmſte. . Aber es liegt Feine Sit— 
tenregel darin. Man Fan nicht fagen, es fey Pflicht bey je— 
dem Weibe einen Fond von Zanffucht voraus zu ſetzen, oder 
den Eheftand als eine Zankſchule anzufehen; indem jenes das 
weibliche Geſchlecht entehrte, dies die Beftimmung der Ehe 
aufhöbe. 


5. 


Sprichwörter, die bloß die Laune, die neckende, oder 

bittere erfunden haben kann, ſind auch nur als Geburten der 
Laune zu betrachten. Unſere Sprache hat einen großen Reich— 
thum an ſolchen Sprichwörtern, beſonders die mit ſpitzigen, ein⸗ 
greifenden Stacheln gegen das Fraueng eſchlecht, oder ge— 
gen das männliche, oder gegen beyde gerichtet find. 3. B. 
Kein Mann ohne Wolfszahn, kein Roß ohne Tücke, 
kein Weib ohne Teufel. — In dieſem Sprichworte kom⸗ 
men wir Maͤnner ſchlimm genug davon; aber die guten Frauen 
noch ſchlimmer. Da wäre. es lächerlich, nach ſtrenger Wahr⸗ 


175 


beit zu fragen; dent es ift Laune, die das Wort erfand, und 
die Wahrheit, die: darin liegt, ift die: Viele Männer Tiegen 
an Härte,an Gewaltthätigkeit, viele Weiber an 
böfer Lift, an Schadenfreude Franf Aber biefe 
Wahrheit wird dadurdy wie begraben, daß, was von Eini— 
‚gen wahr feyn mag, von Allen ausgeſprochen, und was bier 
‚und da in geringen Portionen vorkommen mag, im höchſten 
Mafftabe bejahet wird. Denn der Wolf ift ja das Sinnbild 
wilder Gewaltthätigkeit, der Teufel das’ der ſchaden— 
Froben Lift. Daß das tückiſche Roß zwiſchen Mann und Weib 
in Mitte fteht, erinnert uns wieder an den fhon gerügten 
Spottgeiſt des deutſchen Sprichwortes. 


6. 


Wenn viele Sprichwörter nur die bittere Laune, die 
eigentlich [hwarze Stunde der Sterblichen, eingegeben haben 
Tann, fo fehlt es nicht an foldhen , die Kinder der fröhlichen 
Laune, und bloße Scherze zur Unterhaltung der geielligen 
Laune find, und aud) als joldye beurtheilt feyn wollen. Da 
würde man ſich denn gröblich verfehlen, wenn man Sprich: 
wörter diefes Geiftes in eine logifhe Schraube legen woll- 
te. 3. 8. Unfere Weiber foden uns bünne Ha— 
- Yerfuppen, und brocken uns dicke Worte drein. 
— Das kann der luftige Kopf in einer guten Gefellfhaft zu 
Srauen, die die beften Haushalterinnen, und die trefflichften 
Gattinnen find, fagen, und am ficherfien zu diefen, ohne fie 
zu befeidigen; denn er will fie nur zum Widerfpruche reigen, 

odurch Leben in die Gefellfchaft Fommt. Es wird auch un- 
ter- den Frauen ſchon einen Cicero pro domo sua geben, 
der mit gleiher Münze bezahlt. 3.8: Wir Weiber müſ— 
fen Worte in die Suppenfhüffel brocken; weil 
uns die Männer das Fett in Gläfern vertrine 
fen. — ©o wird das Gleichgewicht wieder hergeftellt. 

Unter bloß feherzende Sprichwörter gehören auch noch 
unzählige. 3. B. Weiber find verfchwiegen; denn ſie ver: 
ſchweigen alles, was fie nit wiffen. — — Im Weiberkramm 
findet fi immer etwas, das feil ift. u. f. w. 


- 


is 


Wenn viele gemeine Sprichwörter das Wahre, das fie 
'ausfprehen, übertreiben: fo thun fie es nicht, um die 
Menſchen zur Nachahmung des Uebertriebenen zu reißen, fon= 

dern 


17? 
dern bloß um fie aufmerffam und, vorfichtig zu maden. 3.8. 
Bürgen muß man würgen. NA a 
i Diefe Lehre ift alsein Rath der Klugheit wahr und wich— 
tig, fo bald man fie von der Uebertreibung frey macht; denn, 
wenn du fie von dem Mantel der Hpperbel entfleideft: fo 
fteht die nackte Wahrheit da: Sey vorfihtig, wenn du dich für 
Andere verpfändeft, es könnte dih Gut, Ehre, Leben Eoften, 
wenn du hierin blind zu Werke giengeft. Der Geift der 
Hyperbel maht lebendig, Fann man auch hier fagen, 
und der Bucftabe tödtet. Weberhaupt kann, wie das 
Motto diefes Hauptftückes fagt, nur nüchterner deutfher Sinn 
vernünftig auslegen, was nüchterner deuticher Sinn vernünf- 
tig hineingelegt hat. Wenn die Eluge Mutter dem rafchen 
Vater, der im Puncte ſteht, Bürgfchaft zu leiften, ins Ohr 
fagt: Bürgen muß man würgen: fo verfteht es der 
Hausvater gewiß nicht fo, als wenn ihn fein Weib, im Tale, 
daß er fih für den Nachbar verpfanderte, würgen laffen wollte, 
Die deutfhen Sprichwörter find gute Pfeilihügen ; fie tragen 
etwas zu hoch an, um defto ficherer den Mittelpunct zu tref⸗ 
fen. 
8. 


Die deutſchen Sprichwörter machen ſich kein Gewiſſen 
daraus, das, was manchmahl, und vielleicht öfters zutrifft, 
allemahl eintreffen zu laſſen; ſie lieben (wie die großen 
Rechner runde Zahlen) runde Ausdrücke, und ver— 
fehen fich zu der Vernunft der Deutihen, daß fich bey ihnen 
die Ausnahme von _felbft veriiehen werde, 3: ©. Gehor: 
fam und Geduld wachſen nihtim Weibergarten. 
Daß fie nicht immer darın wachen, geſtehen die Grauen 
wohl jelber ein; daß fie manchmahl darin wachfen, bekennen 
die Ehrenmäanner gern. uG 

Daffelbe gilt aud von den Sprihmwörtern: Verfpres 
henift adelidh, halten bauerifh, — Pfennig: 
falbe fhmiert wohl zu Hofe. Der wahre Edel-Mann 
halt wohl auch, was er verfpricht, und der edle Hof-Mann ift 
auch hierin Mann, daß er die Ducatenfalbe verfhmäht, alfo 
wohl au die lumpichte Pfennigfalbe. 


J 
9. fi 
Sprichwörter, die weder als Klugheitsregeln, noch 


als Sittenregeln allgemein anwendbar find), und doch 


eine Allgemeinheit auszufprechen ſcheinen, wollen nur von 
Sailers Spridw. 12 


278 i 


der Seite aufgefaflet ſeyn, von welcher fie Wahrheit und 
Anwendbarkeit haben. 3.8. Wie man did grüßt, fo 
follft du danken. — Nach firenger Allgemeinheit aufge: 
griffen, ift diefes Sprichwort weder wahr noch anwendbar. 
Denn esift z. ©. weder fittlih noch Elug, grobe, ſtolze 
Anreden mit groben, ftolgen Antworten erwiedern. Aber es 
Tiegt doch Wahrheit darin, die ein edles Gemulh Leicht finden 
wird, die Wahrheit: Man fol Ernft mit Ernft, Freundlich⸗ 
keit mit Freundlichkeit, Güte mit Gute, Klugheit mit Klug- 
‚beit, Anftand mit Anftand erwiedern. 


10, 


Sprichwörter, die die fublimften Lehren der Religion fo 
fehr popularıjiven , und in fo niedere Bilder faffen, daß ein 
Schwacher daran Anftof nehmen, und ein Profaner darüber 
lachen könnte, wollen als brauch bare Handheben zur 
Anfaffung des Unſinnlichen angefehen feyn, und fo- 
wohl der Schwache, der Aergerniß nähme, als der Starke, 
der feine Starke im Spotten bewiefe, beyde thäten nicht wohl 
daran. Denn das Bild iſt ja nirgend die Sache, am aller- 
wenigiten in dem Gebiethe des Heiligthumes. Vielmehr ha— 
ben Sprichwörter diefer Art viel Verdienft, weil fie den Ge— 
danken an Gott fo leicht anfaßbar machen für Mindergebil- 
dete. 

3. B. Gott ſchreibt Alles auf, Laßt nichts unbezahlt. 
— Gott iſt ein reicher Wirth, der Einem wohl die Zeche bor- 
gen Eann. — Gott läßt fih Feinen flachfernen Bart flechten. 
— Gott im Himmel borgt und langer, als die Fugger auf 
Erde thun. — Gott laßt fich nicht auf den Arm mahlen. — 
Du mußt eim quter Kergenmacder ſeyn, wenn du Gott eine 
wächlerne Nafe machen willit. — Du Fannft Gott Feinen 
blauen Dunft vor die Augen machen. — Schneid nicht Rie⸗ 
men aus Gottes Wort: fie könnten dich leicht zu Tode gei— 
bein. — Gott muß große Ohren, und ein leiſes Gehör haben. 
— Wer fann Gott zwingen, daß er tanze, wie wir pfeifen ? 

Allerdings Eönnen einige diefer Sprichwörter zarte Ob: 
ven beleidigen, z. B. das legte aus den angeführten, aber 
der Kern ift gut; und felbft die Hülle hat für eine gewiſſe 
Klaſſe von Menſchen, in gewiſſen Augenblicken etwas Ange— 
meſſenes. Indeſſen muß man bekennen, daß ſich zu den 
Sprichwörtern, die den Gedanken an Gott in nıedere Bil— 
der foffen, gleich wieder unzählige andere finden, die entwes 


179 


ber dag gebildete Gefühl lieblich anſprechen, oder durch wißige 
Zuſammenſtellung gefallen. ; 

3. B. Den Menfhen hält man bey dem Rocke, Gott 
bey feinem Worte. — Gott greift Einen gern an, wo es ihm 
am weheiten thut. — Gott gebühren drey NR. und drey ©: 
Rache, Ruhm, Riten, Sorgen, Segnen, Seligmachen. — 
Der fahrt fanft, den Gottes Gnade tragt. — Hats nicht von 
Gott den Anfang, fo nimmts gewiß den Krebsgang. — Miß— 
trauen, Unbarmberzigkeit, Gottesvergiß und Todesvergiß find 
vier Pferde, die den Geißwagen führen durch die ganze Melt. 
— Gott ift allein unfer Gott und Herr, wir find alle feine 
Bauern. — Der Gottlofen Gut Fommt wie ein wildes-Waf- 
fer, raufcht wie ein wildes Waſſer wieder fort, und verfiegt 
zulegt wie wildes Wafler. — Gotts walts, ift aller Bitte 
Mutter. — Muß made die Noth, den Willen Gott. — Was 
Gott uns gönnt, verweht Fein Wind. — Es it etwas Gro- 
es, Gottes Wort, und ein Stück Brot haben. — Die Leute 
£önnen argneyen, von Gott kommt das Gedeihen, 


11. 


Deutfhen Sprichwörtern, die auch darin deutſche 
Sprichwörter find, daß fie den Großen die Wahrheit frey 
fagen, wie den Kleinen, muß man diefe Freymüthigkeit für 
fein crimen laesae Majestatis anrechnen; denn jie wollen 
dur Ermahnen retten. ie zielen auch niht auf den Gro- 
fen, fondern auf die Großen überhaupt. 3. B. Ein Fürft 
ift ein feltfam Wildpret im Himmel, wie ein Hirfch in eineg 
armen Mannes Kühe. — Dadurch wollen fie keinen Auf: 
ruhr predigen, fondern nur die Gefahren für Tugend und Se— 
ligfeit, die an Höfen, wie überall zu Haufe find, fehildern, 


12, 


Andere Sprichwörter find Nothbehelfe, womit fih 
die lauen Ehriften entfchuldigen oder tröften. Und Nothbe— 
belfe find Eein Evangelium. Schöner hat fie beleuchtet und 
berichtigt *). — Da hätte Bott viel zu thun, wenn er Al: 
les fo genau nehmen wollte. — Wer kann Alles halten, was 
in der Bibel fteht ? 





*) Sprichwörter, womit ſich laue Chriften behelfen, Nürn: 
berg bey Rau, 1802. j 
12 


180 


O I 


Es find auch noch einige fprichwörtliche Redensarten tm 
Umlaufe, die geradezu unchriftlic find: Ich will. dire 
wohl vergeben, aber gleihwohl gedenken. — Ih will. 
dirs verzeihen, aber vergeffen kann ich dirs nicht. 


N 14. 

Es Eoınmen in den Sammlungen deutſcher Sprichwör— 
ter viele vor, denen man den Schmutz, die Rohheit, 
und den Zottengeift ihrer Erfinder anfieht ; ich babe fie 
aber aus diefer Sammlung um fo mehr ausgefchloffen, als fie 
ſich felber von jeder gebildeten Geſellſchaft ausichließen.. Da: - 
bey möchte denn doch die Rohheit der alten Sprichwörter noch 
etwas zum Woraus baden vor der feinen Schlüpfrigkeit der 
neuen. 


15. 


Ein anderer Vorwurf, den die gebildete Welt den ge: 
meinen, deutichen Sprihmwörtern macht, daß fie oft durch 
‚das Trivinle den Geſchmack und die feine Sitte beleidigen, 
bat weniger zu bedeuten. Denn man muß von dem Gemei: 
nen nicht fordern, daß ed ungemein (ausgefucht) fey- 
Und, oft macht die Kraft und die Derbheit wieder-gut, was es 
durch Gemeinheit verliert, oder nur zu verlieren ſcheint. Es 
haben überdem manche Sprichworter, Die. der Gemeinheit und 

Trivialitdt befhuldigt- werden, einen Stachel, den Feine Fein⸗ 
be erſetzen könnte, 
Z. B. Wenn das — den Stolz des — 
den günſtige Umſtände gehoben haben, ſtrafen will, ſagt es: 
Wenn die Laus in den Grind kommt, ſo hebt ſie den Hintern 
in die Höhe, und wird ſtolz. — Wenn man eine Preisfrage 
aufgäbe, und dein, der. den Stolz der neugeadelten Gemein— 
beit für das deutfche Volk mahlte,- hundert Dukaten, verfprd> 
he: ich denke, das eben genannte Sprichwort hätte den Preis ' 
verdient. 

Ein anderes, das die ‚grobe Liederlichkeit, und die ‚lies 
derliche Grobheit fhifdern will, fast rund heraus: Wenn. man 
die Sau fißelt, fo legt fie fi) in den Dred. — Sc) denke, 
man follte der Volkspoeſie biefe * * —* zur 
Sünde anrechnen. It je] ' 


181 
16. 

In diefen Betrachtungen Tiegen nachftehende Negeln, 
die den Mifverftand und Mißbrauch der deutſchen Sprichwör— 
ter verhüthen Eönnen, 

1. Bermenge in den deutihen Sprichwörtern die Sit— 
tengemählde nicht mit den Sittenregeln. Jene fa: 
gen, was die Menfchen thum, diefe was fie thun follen. 

II. Bermenge alfo au den Weltlauf nicht mit der 
Pflicht. Ein Anderes it der Inbegriff deſſen, was geſchieht, 
ein Anderes, was gefhehen foll. 

II. Bermenge eben fo wenig die Natur mit der 
Freyheit. Sene wirkt mit Nothwendigfeit, ohne Bewußt⸗ 
feyn und Abfiht, diefe mit Bewußtjeyn, Befonnenheit, Ab— 
ſicht. | 
9 IV. Vermenge nit das Schicffal mit der Liebe. 
Jenes fallt mit der Nothwendigfeit, diefe mit der Freyheit in 
Eines zufammen. 

V. Unterfcheide die Klugheitslehren vonden Tu— 
gendlehren. Sene lehren, wie man zum Zwece kommen 
fann , diefe, was man fi zum Zwecke fegen foll. 

VI. Sude in dem, was nur Scherz und Laune feyn 
will, nicht firenge Wahrheit. Sene wollen nur gefellige 
Unterhaltung, diefe Nichtigkeit des Sinnes, und Volligkeit 
der Annahme. 

VI. Fordere von Sprihwortern, die auf Feine ALT: 
gemeinbeit des Sinnes Anipruh machen, Feine Allge— 
meinheit in der Anwendung. Sprichwörter wollen auch nicht 
in Reih und Glied fehten, wie die Syſteme. 

VII. Lege überhaupt Eein Sprichwort in die Iogifche 
Schraube , oder dialektifhe Preffe: fondern fih auf 
den Accent der Rede, der den Sinn des Sprichwortes be: 
ſtimmt, auf die Umftände, die ihn auslegen, und auf 
die VBerhaltniffe, die ihn außer Zweifel fetzen. 
Kurz: fen du ein Deutſcher an Sinn und Geift, um den Sinn 
und Geift des deutſchen Sprichwortes zu faſſen. 





Nachleſe 


von bayeriſchen Sprichwörtern, und ſprichwörtlichen 
Redensarten. 





— 


Keine Mayr, Pfarrer zu Buch bey Hohenlinden, vor: 
dem Negens in dem SPriejterhaufe der gemeinfam Tebenden 
Kleriker in Landshut, hat, neben andern gelehrten Arbeiten, 
auch eine vortrefflihe Sammlung bayerifher Sprichwörter 
gemacht. Er theilte mir zum freyen Gebrauche mit, was er 
davon noch in Handen hatte. | 

Daß viele bayerfche Sprichwörter auch in andern deut: 
fihen Landen einheimifch find, daß nicht wenige ſich nur durch 
das Gepräge der bayerıfhen Mundart unterfcheiden; daß def: 
ungeadhtet die bäyerifchen Gegenden einige Sprichwörter für 
fi eigen haben, wie die fhweizerifchen ꝛc.; daß manche durch) 
Provinzialausdrücke für die Ausländer unverftändlich feyn mö— 
gen, ift ohne weitere Erörterung Elar genug. 

Hier wählte ich aus der Mayerſchen Handfchrift zur Nach- 
leſe nur folche, die in der voranftehenden Sammlung fehlen. 

Abſicht. Gut meinen bringt Weinen. — Man mäftet 
das Schwein nicht um feinetwegen. — Alter. Die alten 
Geiſe lecken au noch Salz. — Was alt ift, brummt gern, 

Amt. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Wer: 
ftand. \ 

Armuth. Die Armen belfen alle, daß Fein Neicher 
falle. — Arme Leute haben nicht weit heim. — Er kann auf 
fein grünes Zweig kommen. 

Aufmerkfamfeit. Er fpannt, wie ein Häftelma— 
er. 

Ausland. Es ift überall gut Brot effen. — Die Welt 
ift nirgend mit Bretern verfchlagen. 

Bauer Wenn man den Bauer bittet, fo wird er 
um eine Spanne länger. 

* Begierde. Es wäſſert ihm das Maul darnach. — 
Es ſind ihm die Zähne lang darnach. — Er iſt darauf, wie 


183 


der Fuchs auf die Henne. — Es ſticht ihm gewaltig in die Au⸗ 


gen. — Der Teufel feyert nicht. 

Drobung. Ware! Sch will dir zeigen, wo Barthlmä 
den Moft hohlt. — Ich will ihms hinter die Ohren fehreis 
ben. 

Dummbeit. ErFann nit fünf zahlen. — Er bringt 
Feinen neuen Glauben auf. 

Ermunterung. ‚Er wird dich nicht freflen. — Er 
wird dir Fein Loch in den Kopf reden. 

Erziehung, die ftrenge. Es it Fein Schlag ver: 
foren, außer der darneben geht. — Es ift Fein Streich umfonft, 
auf der daneben gegangen... — Was der Hanfel gewohnt, laßt 
der Hans nicht. N 

Fehler. Eine gefcheide Henne verlegt au) bisweilen 
ein Ey. — Wird der Prediger auf der Kanzel irr. 

Srage Sedem Narren ift eine Frage erlaubt. ; 

Sriedfertigkeit, Geduldige Schafe gehen viel in 
einen Stall. 

Fröhlichkeit. Luftig gelebt und felig geftorben, heißt 
dem Teufel die Rechnung verdorben. 

Furcht. Katz aus dem Haus, rührt fi die Maus. — 
Die Furcht maht Füße. — Er geht durch wie eın Holländer, 
— Er ift ein Hafenfuß. 

Gebeth. Berhen laßt fich nicht nöthen. 

Gedanfen. Er dichter wie ein Karpf im Vogelhäusl. 

Gefahr. Das Waffer hat keine Balken. — Was an 
ben Galgen gehört, ertrinft nicht. 

Beitz Er iſt ein Spanndrenner, ein Schmarn, ein 


Sparmunkes. — Er findet die Laus um den Balg. 


Geld. Mo Geld ift, va ift der Teufel, wo Feines ift, 
da ift er zwey Mahl. — Er hat Geld, wie ein Sautreiber. 


— Der hat Baßen. 


Gerechtigkeit. Gerechtigkeit hat eine wachferne Na> 
fe; man Fann fie drehn, wie man will. 

Sefellfhaft. Ein böfer Gefell führt den andern in 
die HOW. — Viele Hande machen der Arbeit bald ein Ende. 

Gefundbeit. Eſſen und Trinken halt Leib und Seel’ 
zufammen. — Früh nieder und früh auf, verlängert den Les 
beuglauf. — Er ſteckt in Feiner guten Haut. 

Gewiffen. Ein gut Gewiffen iſt ein guter Bruſtfleck. 
— Er hat ein Gewiflen, wie ein Schergenhaus; Eann viel un: 
terbringen, 


434 


Gewohnheit. Gewohnheit ift wie ein eifern Pfaib. 
(Hemd.) — Gewohn’s Mull, gewohn’s, fagte der Bader, und 
kehrte ‚mit der Kaß den Ofen rein. (Mull: fo viel als Kas.) 
Glück. Wem das Glück wohl will, dem Falbert ein 
Ochs. — Wen’s Glück in die Höhe hebt, den will’s werfen. 
Gott. Wenn Gottwill, grünt ein Befenftiel. — Gott 
muß man nicht einreden. — An Gottes Segen ift Alles gele- 
RE 
r Gruß. Leerer Gruß gebt barfuf. 
Habfuht. Bey ihm heißt's; Alles her, mein Fiſch. 
.. Hduslihkeit. Was beſſer ift, als eine Laus, das 
trag mit nah Haus. — Auf Gott trau, ‚arbeit nicht lau, und 
leb genau. 
Heiratben. Heirathen ift nicht Kappentauſchen. — 
Heirath in Eil’, bereut man mit Weit. 
Hinderniffe. Es läßt fih nicht über dag Knie ab: 
brechen. — Da fteht der Ochs am Berg. 
Hoffnung. 3 hat der Legte noch nicht gefchieben. 
— Wer weiß, wen der Vater den Schimmel fchenft. — Der 
ift zwifchen zwey Stühlen niedergefeffen. — Es kommt nichts 
Beſſeres nad). 
Kaufen. Darnah Waar, darnach Geld. 
Kinder. Kinder und Fackeln (unge Schweine) haben 
immer leere Sadeln. 
j Klugheit. Man Eauft Feine Kat im Sad. — Leid 
und. meid, fo Eommft durch die Leu. — Man muß nicht Alles 
auf Ein Schiff packen. — Uebergeben heißt nimmer leben. 
— Kunſt. Zum Reiten gehören mehr als zwey Stiefel, 
— Se ſchwerer die Kunit, je mehr Pfufcher. - 
gaben. Manchem gehen vor Lachen die Augen über. 
Lernen. Daskernen hat Fein Narr erfunden. — Er 
ftudiert bis in den Hals; in den Kopf gebt nichts hinein. 
„Liebes, Lieben und Bethen, läßt fih nicht nöthen. — 
Alte Liebe roftet nicht. — Bon der Liebe Eann man nicht Teben. 
— Klopft die Noth an, fo thut die Liebe die Thür auf. 
Lob. Man lobt ihn über den Schellenfönig. 
Lohn. Umfonft ift der Tod. 

Lüge, Wer gern lügt, der ftiehlt gern. — Der gäbe 
einen f&hlechten Zigeuner ab, er Fönnte nicht wahr fagen. — 
Es ift das zehnte Wort nicht wahr. — Der Meiner und der 
Lügner find zwey Brüder. | 

Mangel Wenn es Brey regnet, fo bat man Eeine 
Schüffel. 





183 


Maäßigkeit. Wenn’s Mafı vol it, fo laͤuft's über. 
— Daseite Lied macht durch die Zange müd, 

Mittel. Mancher fucht einen Pfennig, und verbrennt 
dabey drey Kreuger-Kerzen, — Wald mir den Pelz, und mad) 
ihn nicht naß. 

Muth, Ruüftigkeit. Es iſt ihm Eein Graben zu breit. 
— Er iſt Eurz angebunden. — Er nimmt fich Fein Blatt vors 
Maul. — Er fangt den Teufel auf freyem Feld. 

Nachſicht. Man muß zuweilen ein Auge zudrücken. 

Narr. Mo drey find, muß einer den Narren abgeben. 
— Lauter Narren brauchen nicht reitern. 

Noth. Kommt man aus der Noth, fo kommt der Tod. 
— Die Noth zankt gern. — Er iſt ein Mothnagel. 

Prahler. Ein guter Prahler, ein fehlechter Zahler. 
— Das fhledhtefte Rad am Wagen fnarrt am meilten. 

Prozep. Wer zu viel Korn bat, der ftelle fih Mäuſe 
ein; und wer zu viel Geld hat, fange Prozeß an. 

Sharfjinn Er bat eine feine Nafe. — Er hatden 
Qunten gerochen. — Er hat ein verſchlagenes Koͤpfel. 
Schaden. Verluſt ift gut wiver's Lachen, — Er hat 
fic) die-Nafe verbrannt, 

Schwelger Er it wie Zahaus auf alfen Kirchwei— 
ben. — Bey ihm heißt's;: Alles verfreffen vor dem End, macht 
richtiges Teftament. — Er lebt in Saus und Braus,' was der 
Brief vermag. 

Schein. Es fſind nicht alle Heilige, die zur Kirche gehn. 

— Manche halt man für fett, und fie find nur geſchwollen. 
— Der Schein trügt, der Spiegel lügt. 

Schwatzer. Der hat's Maul am redten Ort. — 
Sein Maul wird froh feyn, wenn’s Naht wird. — Sein Re— 
den hat Feine Heimath. — Er hält überall einen Stander— 
ling. 

Selbftfenntnif. Nimm dich felber bey der Nafe. 

Sonderling. Er iſt ein wunderlicher Heiling. 
Unſer Herr Gott hat wunderliche Koſtgänger. 

Sor gen. Sorgen und Jahr machen graue Haar’. — 
Kommt der Tag, fo bringt der Tag. 

Spottreden. (Er glanzt wie der Karfunfel im Ofen- 
loch. — Er ift reih von Haus, hat aber feine Heimath ver- 
geffen. — Er bat einen verfchlagenen Kopf — ift über die 
Stiege herabgefallen. — Er hat's Griß wie’s fauer Bier, 
(Man reißt fih nicht um ihn.) 





186° 


Stillſeyn. Er iſt ſo ſtill „als wenn ihn der Hund 
gebiffen hatte. 

Stolz. Grobheit und Stof; wachfen auf Einem Holz. 
— Er fpannt die Seiten hoch. — Er fpielt den großen Hans 
fen. — Er fteigt daher wie der Godel im Werg. (Hahn.) 

Wenn der Stolze gedemüthiget wird: fo 
fagt das Volk. Er hat feinen Mann gefunden. — Der 
bat ihm’s unter die Nafe gerieben. — Der bat ihn auf die 
Finger geklopft. — Der has ihm Die Slügel geftugt. — Jetzt 
läßt er die Flügel ſinken. — Best gibt er’s wohlfeiler. — 
Segt hangt er die Ohren. — Jetzt fihaut er drein wie St. 
Meph. a 

Tod. DerZod muß eine Ausrede haben. — Er hat fei» 
nen Theil getrunfen. — Er hat feinen Löffel weggeworfen. — 
Es thut ihm Eein Zahn mehr weh. (Das fagt man auch von 
einem zahnlofen Alten.) — Er hört den Gukuck nicht mehr 
ſchreyen. 

Tragheit; Er wartet, bis ihm die gebratenen Vögel 
in's Maul fliegen. 

ZrinEluft. Ich mag das Waffer niht in Schuhen, 
vielweniger im Magen. — Dem Waſſer ift nicht zu trauen; es 
reißt den Mühlgang weg. 

Uebung. Spinnen lernt man mit Spinnen. 

Uebereilung. Es gebt bey ihm Rips, Raps. 

Unglück Das if ein Nagel zu feinem Sarg. — 
er den Balg verliert, muß auch den Schwanz drein geben. 

Ungefbickt. Er fpannt den Wagen vor die Pferde, 
— Er zaumt dad Roß beym Schwanz auf. — Er fallt mit 
der Thür ind Haus. — Ungeſchickt erfpart ſich viel Arbeit. 

Unverftäandig. Grverfteht den Leimen, fol ein Haf— 
ner werden. — Es fehlt ibm, wo man die Ochfen hinfchlagt. 

Bergeffen. Was man nicht im Kopf hat, muß man 
in den Füßen haben. 

Verlegenheit. Da ift guter Rath theuer. — Da 
weiß man nicht, iſts Gick oder Gack, Wift oder Hott. 

Berfhwiegenheit. Er hat die Mauljperr. — Er 
taugt zu einem Beichtvater. 

Verſprechen. Er verfpricht goldene Berge, und ift 
feinen Heller werth. 

Verſtand. Er ift nicht aufden Kopf gefallen. — Er 
bat Brig im Kopf. ? 

Voreiligkeit. Er ift zu früh an den Dupfen ge: 
fommen. 


Mr 187 

Borfehen. Beffer vorfeben, als nachſehen. — Man 
muß die alten Schuh nicht wegwerfen, ehe man neue hat. — 
Unverhofft Eommt oft. — Wer fein Bett macht am Morgen, 
braucht den ganzen Tag nicht dafür zu forgen. 

Bortheil. Wortheil trifft zwey Fliegen auf einen . 
Schlag. 

Borwand Wenn man den Hund fchlagen will, fo hat 
ers Sleifh aus dem Hafen geftohlen. 

Wagen. Der Waghals bricht den Hals. 

- Meib. Drey Weiber, drey Gänſe, drey Aenten machen 
einen Sahrmarkt. — Wo der Teufel nit hin Fann, fchict er - 
ein altes Weib. R 

Wiſſen. Biel Wiffen macht Kopfweh. — Was man 
nicht weiß, macht Einem nicht heiß. — Wer’s wiffen foll,- er— 
fährt's am legten. 

Zanf. ie leben wie Hund und Kaß. 

Zu fpat. Wo ich hinkomme, ift die Kirchweih' fchon 
vorbey. 

Zwang. Zwang halt nicht lang. — Es hilft Fein Sit: 
tern für den Froſt. — Da heißt's: Friß Vogel oder ftirb. 





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Hauptinhalt, 





Sprichwoͤrter⸗ Buch. 


Die Weisheit auf der Gaſſe 


oder 
Sinn und Geift deutſcher Sprichwörter, 
* 
Seite 
J. Von den Sprichwörtern der Nationen 1 


II. Von dem Gepräge des deutſchen Sprichwortes 
III. Von dem Inhalte deutſcher Sprichwörter 66 
Allgemeiner Inhalt 


66 
Beſonderer Inhalt 69 
ı. Natur- Menſchen- Weltkunde 60 
2. Religions- Staats- Familienkunde 76 
3. Klugheits⸗ Erziehungs- und Arznehkunde 79 
IV. Von deutſchen ſprichwörtlichen Redensarten 137 
V. Von den Denkſprüchen, und tiefſinnigen Sprüchen 
der Deutſchen 145 
VI. Von Verhüthung des Mißverſtandes und Mißbrau— 
ches der Sprichwörter 172 


Zugabe: Vayrifhe Sprichwörter. 


Sprüde- Bud). 


Goldförner der Weisheit und Tugend. 


* 

Seite 

I. Selectae Jani Anisii sententide, senariis expres- 

sae. $ 

Auserlefene Denkſprüche des Abtes Janus Anifius in 

Verſen. 9 
II. Ludovici Vivis symbola sapientiae. 

Des Ludwig Vivis Sprüche der Weisheit a 


Ill. Ex ejusdemL. V. introductione ad sapientiam. 
Aus der Einleitung zur Weisheit vom nähmlichen Ver: 
faffer L. V. 45 
(Mit geringen Aenderungen.) 
IV. Sententiae S. Martini Bracarensis Episcopi ad 
Mitonem regem. 
Sprüche des h. Biſchofs Martin F Bracar, an den 
König Mito. 59 


Syrüide- Bud. 





Goldkoͤrner 
der Weisheit und Tugend, 





Zur Unterhaltung für edle Seelen, 


um 


Vor 
5 M. Sailer ⸗ 





Dritte verbeſſerte Auflage. 





Sailers Spruͤche. 4 


Inhalt. 





| 


1. Select Jani Anisii Sententiæ Senariis express=. 
Auserlefene Denkiprühe des Abtes Janus Anijius in 
DBerfen. 
il. Ludovici Vivis Symbola Sapientiz. 
Des Ludwig Vivis Sprüche der Weisheit. 
Ill. Ex ejusdem L. V. introductione ad Sapientiam. 
Aus der Einleitung zur Weisheit vom nähmlichen Verfafe 
fer L. V. (Mit geringen Uenderungen.) | 
IV. Sententiae S. Martini Bracarensis Kpiacopi ad Mi- 
tonem Regem. | 
Sprüche des’heil. Bifchofs Martin von Bracar an den Kir 
nig Mito. 











Gewidmet 
dem blühenden Alter; 
(Denn was der Knabe lernt, das ahnet der Jungling- 


und. verſteht einft ber Mann, und übt der beilere 
Menſch.) 


und aus 
eh blühenden Chor denen beſonders, 


die mit beſonderem Eifer, nach Rechtthun und — eyn 
ringen. 





| Mh ‚ Far und brauchbar, Tiebe Juͤnglinge! find die 
Sprüche der Weisheit, die ich zur Uebung eures Fleißes, nicht 
fo faft gefammelt, als nur Ir außgewählet habe. 


Die Achtung für eure Unſchuld, und die Sorge für eure 
künftige Beſtimmung haben mich in der Auswahl geleitet. 


Einige ſind aus unſerer heiligen Religion, die übrigen aus 
der geſunden Vernunft genommen. Einige Lehrſtücke kom— 
men unter allerley Geſtalten vor — weil ſie wichtig find, und 
öfters, weil fie ihrer Wichtigkeit wegen, — zu oft kommes 

koͤnnen. 


F s 


Die latemiſchen Sprüche ins meiſtentheils kurg kraft⸗ 
voll, ei Ihr werdet daraus die zwey Vorzüge 
ber Tateinifhen Sprache noch beffer Eennen lernen: fie kann 
Vieles mit wenig Worten, und dieß Viele nahdruck 
ſam ſagen. Ihr werdet aber nicht bloß die Eigenheiten der _ 
lateiniſchen Sprache beifer kennen lernen; ihr ſollet vor allem 
zum Nachſinnen über die e Wehrheit, d die in der Schale liegt, 
gereißet, u und. im Naghdenten geübet werden, 2 


nd 341% vs Bere) 


Weßhan —3— fa ciniſhen Spyruche — *2 — 
get, bald umfchrieben, "bald erläutert, bald anger 
wandt... bald näher deſtimnot. MD chte das —— 
* * anf md das! —— Kr und‘ ch feyn ! 

LITE a B ya ern ni 

— — eure ——— ich, werden euch. die 
nabere Anleitung geben, wie ihr zuerjt das Latein in eure Spras 
che überfegen, und dannden Sinn des Lateins mir dem Sinne 


Bes Deutſchen, das er demfelben, ABER, iſt, yergle 
Yen, ſollet, IE m Anh u su bi sid ade! IR ah d 


un "Js rl 


Wohl mir, wenn Ba — aus hier DENE Ho 
boſſer einfehen-Iernet,' was euch eure Lehrer immer und Immer 
einſchärfen, daß Schamhaftigkeitys@ittfamkeit, Stillefeyn, 
Wahrhaftigkeit, Arbeitsluſt, Gehorſam, Lernbegierbe, Un⸗ 
faul, und, — deiße am Gebethe — die fi nften Blütpen 
eyves | bfühenten, ‚Alters A. „Der Seit, des Garten erhalz 
te u und ‚feane, iefe Stütgen. — daß ſie ein, die Gonfen 


deuchte bringen, an denen fd eure Miwelt lade, und un 
1 


; r 
großen Xerndetag, und in der Ewigkeit noch die Luft alfer Gu⸗ 
ten ſeyn werden, Amen. 


ATTeE ae Ser: 9 EIIEHER — 
= a * * 


ag Die Iateinifhen Verſe 2 

Ro 0 | 
find von einem. ‚frommen , gelehrten Abten, Janus Ani⸗ 
ſius, verfaſſet, und. dem, Cordinal Mendoza, gewidmet wor⸗ 
den. Im Jahre 1561 bat fie Simon. Roth von Neustrin- 
gen in Bayern in deutſche Reime überfeßt, und zu Die 
Iingen bey Sebald Mayr drucen laſſen. Die Lehrreichſten er⸗ 
ſcheinen alſo jetzt in Dillingen das zweyte Mahl, nur in einem 
andern Kleide, und mit andern Lettern. 


a 


Die Euren, oft rätpfelhaften lateiniſchen Sprüde 
N. 1. 

‚find aus dem ſchönen, geiftreihen Satellitium entlehnt, 
das von dem befannten Verfaſſer größtentheils aus dem claſ— 
fifhen Auctoren für eine Eöniglihe Prinzeffinn gefammelt, 
und ihr auch geweihet — zu Lyon im Jahre 1556 nachgedruckt 
ward. Es mwehet wahrhaftig der beffere Geift des claffifchen 
Alterthums darin, und die Sprüche find nad) Salomo's Bey⸗ 
ſpiel, fcharfgefpiste Nägel, die ins Mark dringen follen. 


Die Sprüche 
N. III. 
find in des nahmlichen Verfaſſers introductio ad veram 
sapientiam enthalten, gehen mehr ins Einzelne, ſind auch 
leichter zu verſtehen, und mehr Vorſchriften als Sprüche. 


Die Sprüde x 

N. IV © " 
babe ich aus bes heiligen Martini „Bracarensis Episco- 
pi fittlihen Vorſchriften an den König Mito, und feinen 
Marimen überfeket, Sie find in Mündhen im Sabre 1639 
fammt den zwey fhönen Abhandlungen de tranquillitate 
animi, und de vera sapientia, deren jene den gelehrtem . 
und frommen Wigo, und diefe den H. Chonter Biſchof Euche— 
rius zum Werfaffer haben, bey Niklas Heinrich gedruckt wor- 
1 | Kr 





Eu: 


\ 
SelektAr Japı Anisii Senrentiae , Senariis ex- 
pressac, 


Yuserlefone — des Abtes Janus ‚Anis in 
Verfen. 





‚Ja disce, quod te faciat meliorem in dies, 
Mas dich ftet3 beſſer macht, 
Das lern', und thu vor Allem. 


2. Mens pura centum gratior tauris Deo. 
Dein Herz ſey rein! Dieß Opfer will der ORT 
Das lieblihfte aus Allen. 


Virtute nihil propius Bess hae eoelo est iter. 
Die Tugend ift das Göttlichfte nach Gott — 

Ein Strahl aus Ihm, 

Die Bahn zu Ihm. 


4. Et justus, et sapiens vir est similis Deo.' 
Rechtthun und Weifefeyn — 
Pragt Gottesbild noch tiefer ein, 
Pragt Gottes Bild noch fhöner aus, 


5. Sit consciehtia instar mille testium. 
' Statt bunderttaufend Zeugen ſey 
Dir Einer — dein Gewiffen. 


6, Ut est gravis virtus, ita sors levissima. 
Es rollı, wie Wagenrad, das Glück: 
Die Tugend fteht, wıe Berge, feit. 


7. Vita malos, ni vis malus quoque fieri, 
Wie Peſtilenz iſt jeder Böſe: 
Fleuch! ſonſt verpeſtet dich ſein Hauch. 

8. Nimius sui amor, radix malorum est omnium. 
Entwurzle du die Eigenliebe 
Dann liegt der ganze Sündenbaum, zu Boden. 


3 


10 


0: Sapientia est medieina lanquorum omnium. wu 
Der Arzt, der alle Krankheit heilt,- 
Iſt nicht ein Weifer nur — die Weisheit felbft. 


10. Dietum impie in Deum malum est vanum ae 
attox. _ 
‘> Ein tolTes Laſter iſt die Gottestäfterung, 
Zufammengefeßt aus eitler Müh und wilden Trotz. 


+2. Prae se ipso amabit veritatem vir bonus +0, 
Der Gute liebt das Wahre, - 
Und liebt es mehr als fich. 


12. Vitio careto, recfa güisquis praecipis. 
Der erfte Lehrer fey dein Wandel,. . A 7 
Dein Wort, deriwentel — — 
Sey, was du lehreſt — gut. 


13. Ingenui animi et celsi est, Eh miserrimos. 
Der Armen Vater feyn — 
Die ſchönſte Ahnenprobe! 


14. Si corpori anima praeest, animam cura prius. h 
Der Geift ift Herr, der Leib nur Knecht im. Hauſe * 
Drum gib zuerſt dem Herrn das Seine. 


15. Pulcherrima res est veritäs, orta a Dem. 
Die Wahrheit — Gottes Kind: DE RE RBN ER 
Ihr gleiht an Schöne — nichts. g 4 A 


16. Cupis esse beatus?, ‚sustine, abstine. 4.) 0» ? 
Zu Freuden führt das. Leiden, u <; 20 41 
Und Miſſen zum Genießen. R F 

03200 1507 i 

17. Nil abditum diu est: ‚male facere abstine 

Ans Licht kommt Alles noch: HD iQ 


Drum ſcheue Dich vor dem, was ſihiſchen it. 


ı8. Quid interest, ditem aniinopem mori ———— 
Wenn dich der Tod in feine Arme faßt 
Dann faßt er di: arm oder reich — 
Das gilt ihm gleich. 


19. Lätere conscientiam nequit scelus. { 
Das Lafter decke dich mit taufend Deren: , 
Durch tauſend Deden dringt das Auge des Gewiſſens. 


Li 3 


20. Adversa prosunt saep&,»nam recti adrännent.e 
Dir nüßt das Leiden — denn are) EL 
Es ſpricht mit Kraft an's Herz: fen guet, nn. 


2ı. Mens dubii animi, facile gradu depellitur. 
Wo Wanfelmuth, LAU 
Da it der Fall nicht fern. 34: 


22. Lingquamque, ‚ventremque, yenereimgue ‚eomiprime. 
Drey Sclaven lea’ in Eifenbande: 
Den.Zrieb nad Füllerley, Die Zung und Fleiſches Luft; 


23. Virtute fultus, vel ruat' cöelum, haud time, 
er fih auf Tugend ftügt, "der zirters nicht, 
Wenn auch des Himmel! Veſte bricht. ' 


24. Nom gratia ad pedcandum te ulla flexerit. 
Um aller Welt Ganft — ' 
Vergib der Wahrheit, und dem Rechte — min v 


25. Sero ultio gravissima venit impio. 
Die Rache weilet nur — 
Und ſammelt fih, und fammelt fich, 
Und ſchlaͤgt und-triffe mit voller Kraft den Sünder; 


26. Primas cave cupidinis foveas faces, 
Die, Lieb” — eim fabrlich. Ding: 
Bewache du den erften Funken; , 
Sonſt tödtet dich die Flamme. 


27. Prudenter agito: viderit Deus nosteä! 
Thu jeder, was er kann und foll: 
Das Uebrige macht Mutter Furfiht wohl. 


28. Sit linqua nata gratiae, et bonis dictis, 
Dein Wort fey wahr und gut, und mild — 
Der Liebe Ebenbild! 


29. Simplex amico amicus'esto, et — 
Sey deines Freundes Freund 
Und fey’3 vonganzem Herzen. 


30. Quod vivitur, vita est, probe si-V vivitur. 
Der Böſe ſcheint zu uͤben nur: 
Der Gute lebt allein. 


12 


3ı. Sapienti honestas lexest, libido lex est malls. 
Das Gute nur, gebeut dem "Reifen: ; 
Die Luft allein, dent Böſen. } 


32. Superare fortunam potest, potens pati. 
er leiden kann, 
Kann Glü und Unglück überwinden. 


35- Opinio animum saepius quam res premit, 
Dein Wahn ift dein Defpot: 
Er drückt dich oöfters, als der Druck von außen... 


34. Prudens si, aberras recta, hominum esimiserrimus, 
Mit Wiffen Böfes thun — . 
Das größte Menſchenweh' auf Erde! 


55. Ne crastino sperans, quod.omiseris hodie. 
Heut ungethan — bleibt's morgen auch, uf. 


36, Ut perfruare dulci, amari aliquid feras. 
Bor Süß kommt Bitter, 
Der Leidenskelch vor Himmelsluſt. > 


37. Frugalitas viaticum vitae optimum. 
Wer wenig zehrt, hat viel zu zehren. 


38. Vt sol, modesta liberalitas nitet. 
Die Großmuth obne Prunk, glänzt pie mild, 
Wie's Sonnenlicht. 


39. Quisque in malo alieno, in suo nemo sapit. 
Der Menfh — ein Thor für ſich, für Andere Eiug, 
Hat Rath für jedermann, nur nicht für fich. 


40. Dies bene acta aevi instar est longissimi, 


Ein Tag, ganz. gut gelebt, 
Hat „hundert Jahre“ Werth. 


41. Juventa bene instituta tibicen senii est. 
Frommſeyn ın jungen Jahren — 
Schaͤfft Sreudenöhl für alte Tage. 
42. Quid stultius quam verti in hora saepius? 
Der Thorheit Siegel 
Iſt Unbeftand in Sinn und Neigung. 


43. Sine mente cani, aetati sunt opprobria, 
Ein graues Haar mit Unverſtand, 
Ein Pasquil auf die Menſchheit! 


44. 


45: 


46. 


47. 


45. 


49. 


51. 


‚52. 


53° 


54. 


fe) 


'Cani latranti praeda facile elabitur. 


Sm Bellen fallt dem Hunde 
Die Beute aus dem Munde, 


Jactura nulla gravior est quam temporis, 
Die Zeit dahin, ‚der größte Schag dahın. 
Verluſt der Zeit — Verluſt der Ewigkeit. 


Rebus modus eoncentus est suavissimus. 
Das rehte Maß in Mlem— 
Die heblichite Mufik. 


Haustus facile amor, cum labore — 
Schnell bindet fih das Seil der Liebe: nur 
Mit Todes Muh entrinnjt du wieder, 


Ira impotens furor est, suique —— atrox. 
Der Zorn iſt lahme Wurh, 
Und wird ſein Henker ohn Erbarmen, 


Non cujas, sed quis est, expedit te ostendere. 
Dein Mund erzähle nicht, wober du biſt, 
Dein Wandel fpreche, was du biſt. 


Trudunt malo mali malum, boni bono. 
Das Böfe drangt der böfe Mann mit Böſem fort, 
Der gute Mann mit Gutem. 


Metiri iniquum es commodo suo Omnia. 
Die befte Wage trügt, wenn Eigennuß 
Das Zunglein an der Wage neigt. 


Enitere esse opinione probatior. 
Sey immer befler, ald du fcheinft. 
Sey immer beffer, als der Bere glaubt. 


Communitati hominum debemus plurimum, 
Der Menfhheit Schuldner ift der Menſch: 
Er tragt die ganze Schuld nie ab. 


Nil supra vires statuit homini Deus, 
Was Gott auf deine Schulter legt, 
Kann deine Schulter tragen. 


55. Sic vive, tanquam omnis supremus sit dies, 


So lebe jeden Tag, 
Als ware er dein Sterbetag. 


14 


56. 


57° 


58 


e 


59: 


60. 


61, 


02. 


63 


64. 


65. 


66. 


67. 


Aequanimitas dit aerumnae. maxima Ban * 
Ein gleicher Muth — 
Das beſte Loos in ſchlimmen Tagen. 


Sunt“mane'amici, 'vespere aversi mali. 
Die Böfen'nennen fih am Morgen Freunde: 
Der Abend töft den Morgenbund.- ©. 


Oratiöiindex animi certissimus, : =: 

Ein Herz, und viel Verrätherl ni: 
Geberde, Miene, Blick und Gang berrathen viel: 
Das Herzens⸗ Wort am meiſten! 


Et verba et: opera foeda sunt venalia. 
Der feile Mund, dierfeile Hand 
Iſt von Natur geprägt — mit Scham und San. 


Nil videt mens veritate pulcrius. Mn 


"Die fhönfte Schönheit fieht, 


Wer „Wahrheit“ ſieht. 
Si non parentem fers homo,‘ quem alium feres? | 


Erträat der Sohn den Vater nicht: REKEN 
Wie wird der Menſch den Menſchen tragen 2 "N 


Ineptius nihil est, quam inepta effundere. 
Ausfhütien muß der Thor den Strom. 

Der Thorheit. Denn die Weisheit fehlet ihm, 

Und Weisheit ward, den Strom in [ih verſchlingen. 


Omni aspide improba mulier lethalior. 


Die Erde trägt man) giftig Ihier —  , 
Das giftigfte: „ein böfes Weib‘. 


Condimentum cibi esto fames, potus sitis. 
Den beten Koch beſchreibt man nicht aus fremdem Lande: 
Ihn bat der Hungrige in fi. 
De se exigit, quod in aliis ira expetit, 
Der Zorn will Andern fhaden, 

Und fchadet ſich. 

Mulcet superba lene verbum pectora. 
Ein lindes Wort etwaffnet ſchnell 

Den harten Sinn des Stolzen. 

Qui possidet se, non qui opes, dives est. 
Mer fich befißt, ift veich genug, 

er nur viel Geld, iſt bettelarm. 


; 5 


68. Cauda⸗et capite mendacium graviter ferit. 
Die Lig — ein Drache; 
Er fchlägt mit Kopf und Schwanz, 
Und trifft mit jedem Schlag. 


69. Sapientia:animo splendet, ut oculis pain 
as Sonnenlicht dem Auge, 
Sit Weisheit dem Gemüthe. 


70, Senex inops spectaculum est fristisstnunm, 
Das graue, Haar des Armen — 
Ein Schaufptel zum Exbarmen! Bi 


71. Dies diei index, supremus omnaium, 
Ein Tag enthüllt den andern, 
Der lebte — alle. 


73. Dulcis labor fit, praemii certus sui, 
Der fichre Arbeitslohn: wir Ä 
Gibt neue Schwingungskraft der müden Hand, 


73. Aurum ignis examinat, amicum tempora, 
Das Feuer prüft das Geht, 
Die Zeit — den Freund: 


74. Opinio imperat homini imperio gravi. 
Der Wahn gebeut dem lan 
Mir eiferner Gewalt, 


75. Ut umdra, sicest oratio, ————— 


Das ——— ein Schatten an der Band — 
Stets wandelbar. b 


76. Virus. dilutum nectare assentatio est. 
Den Todesbecher reiht die Schmeicheley, 
Und überfchmiert den Hand mit Ööttertranf, 


Convitia hominum turpium, laudes puta, 
Der Böſen Läjterung 
Iſt Lobgefang — dem Guten, 


78. Facuhdus est comes viae compendium, 
Ein Reisgefpann, beredt und froh dabey — 
Macht aus vier Meilen zwey. 


Ex — bono bona opera nascitur. 
Ein weiſer Rath 
Zeugt gute That. 


77 


79. 


26 


go. Sine mente dives, aureo aries est velere, 
Viel Geld und Fein Verftand dazu — 
Ein Schaf in geldner Wolle, 3 
$ı. Infirmo eunt pede consilia hominis inopis, 
Auf ſchwachen Beinen geht der Nath des Dürftigen ;. 
Ein leifes Windchen weht ihn um. . 
82. Tanti' aestima te, quantus es, nisi ‚desipis. 


Sich mist der Weife nah dem Seyn: 
Das Narren Maß ift Schein vom Schein. 


83. Beneficii cito senescunt gratiae, 
Oft wächſet ſchon im erften Jahr' 
Dem Danfe — graues Haar. 

84. Cui credere debeas, quid et quantum vide. 
Schau fiebenmahl, und öfters noch, rt 
Wem, was, wie viel zu trauen ſey! 


85- Non laede quemquam; nam ira senescit tardius, 
Verwunde niher - 
Gereitzter Zorn ftirbt lange nicht. 
86. In animo egestas atque opes hominum Sedent, 
Nicht aufer dir, nicht um dich her, Inigk 
‘ Sn dir, in dir darin — 
Wohnt Reichthum oder Durft. 


87.. Armatur sero galeä saucium caput. 
Bor Wunde fhügen — Fann der Helm? 
Die Wunde heilen — Fann er nicht. 

98. Infestius nihil alteri est, quam homini homo, 
Des Menſchen erfter Feind — der Menſch. 


89. Injuriam inferre est ferae, ferre est viri, 
Verwunden kann das Thier: 
Der Mann den Schmerz der Wunde dulden, 


90. Diversa studia odere cuncti, amant sua. 
*. Der Künftler liebt nur feine KRunft — —— 


Und fih in ih. y 
ı. Aerugout aes, ita invidia est praecordia. 


Am Eiſen frißs dev Roſt, 
Der, Neid am Herzen. 


92. 


1? 
92. Cote aurım, et auro probatur optime, 


Der Prüfftein prüft das Gold: 
Das Gold den Menfchen. 


3. Nil tam celere, quod non amantisit morae, —— 
Die fhnellfte Ele — » 
Der Liede — lange Weile; 


94. Desunt egeno multa, avaro omnia. B 
\ Kiel fehlt der Armuth, u 
Dem Geige — Alles. RER 


95. Nos saepe fallunt nostra, recti Imagine, 
Das Meine taufchet mich, das Deine dich:“ 
Es ift nicht vecht, und ſcheint Doch recht.‘ 


96, Fortuna vitri modo nitet ac frangitur. J 


Was iſt das Glück? — Es glänzt wie Glas, 
Und bricht wie Glas. ’ 


97. Monet sequentem, qui antecesserit. dies. „,,7 
Ein- Tag des andern Lehrer: — 
Ein Tag des andern Schüler. J 


98. Oratione hominem aestimo, non — — 
Die Rede zeigt den Mann, 
Der Bart und Mantel nicht. 


99. Spes praemü levat laborum sarcinam, 
Die Hoffnung trägt dem Träger 
Die größte Laft. 


ı00. Matura modicum, Lin; immensum. n, cupit,, , 
Die Luft ift — Nimmerfatt, 
Genügſam — die‘ Natur, — 

101. Felicitas mortalibus ı ratissima, — BER 
Ein Menfh — und, feligsfepn aD rat 
Die erite Seltenheit auf Erde! 


ı02. Quae olet lucernam, ea olet papyrus optime. 
Des Weifen Lampe 
Gibt feinem Buch — den lieblichſten Gerud. 

103. Vis mole praeceps it sua, expers consilü. 


Blind ftürzt die blinde Macht, ohn' ale Feindes Müh; 
Ihr' eigne Laſt zertrümmert fie, 


Sailers Spruͤche. —— 2 


38 


104. Minae et metus nihil integrum vitae movent. 
Der Bdfe kann dem Guten droh'n: 
Den Guten ſchrecken, Eann er nicht. 


105. Plus scire quam loqui enitere, quisquis sapis. 
Den nennt die Weisheit weife, der 
Viel weiß, mehr thut, und wenig fpricht. 
"106. Dolere nil, rigidi animi est, mollis nimis. 
Zu weich, ift weibifih. 
Zu hart, ift hölzern. 


/ } St Zn 
107. Amentia est deterrima invidi, 
„Hier wohnt der Neid:“ 
So ſteht geſchrieben auf dem erſten Platz 
Sm großen Narrenhaus. ’ 
108. Ingens labor mendacis, omnia fingere. 
Der Lügner hat ein ſchweres Tagewerf ; 
Muß immer Lug und Trug vereinen, und 
Für Lug und Trug gibt's Feine Kitte. 
Se vincere, optima omnium victoria est. 
Der fhönfte Lorberkranz — 
- Dem Selbftbefieger! 
. Mortalis homo, mortalibus ne confidito, 
Du fterbli unter Sterblichen, 
Verlaß dich nicht auf Sterbliche. 
Nil optimum pulcrumque sero discitur, 
Zu grau zum Lernen — ift fein Haar; 
Nur fey die Lehre Hut und wahr. - 
112. Curat prius se, deinde rem, quisquis,sapit, 
Du biſt an dir das Befte: 
Leib, Decke, Ehre, Geld ift weniger als du: 
Sorg erit für dich, für's Uebrige hernach. 


ılle 


Quod non potes vitare, fortiter feras. 
Was nicht die Fleine Kraft vermag zu meiden, 
Das Eann der große Muth erleiden. 


BEN Modestus esto aeque in jocis ac seriis. 
Nie fehle dir Befcheidenheit im Scherz und Ernſt — 
Das Brot bey jedem Mahle. 


113.. 


115 


. 


210. 


MI YA 


118. 


110» 


120. 


ı21. 


122, 


123. 


124. 


8 


Secreta amici conde thesauri loco, 
Was dir dein Freund vertraut, | 
Sey dir wie Schaß im Herzen hinterlegt! f 


Plus quam labor, desidia corpus conficit. 
Die Arbeit zehrt am Leibes Kraft: 
Der Mufligaang noch mehr. 


Virtus relicta tristitiam animo parit. 
Wer von der Tugend fceidet, 
Der gibt den Scheidebrief der Freude. 


Plenum theatrum est vir bonus viro bono. 
Dem Guten füllt der Gute 
Den ganzen Schauplaß aus. 


Qui adversa nescit, prorsus homo miserrimus est, 
Recht elend ift der Menfe, 
Der nichts um's Elend weiß. 


Exigua res fit maxima, data tempore, 
Das Eleinfte Ding an feinem Ort — 
Thut große Wunderdinge. 


Felix, alieno periculo quisquis sapis! 
Mer weife ift, gewinnt und lernet überall: 
Des Nachbars Ihorheit made ihn weife, 
Und fremde Armuth reich. 


Bona ut a bonis oriuntur, ita mala a mälie; 
Der gute Baum bringt gute Frucht: 
Der fchlechte, ſchlechte 


Leve est dare consilium, arduum se.noscere. 
Wer Andern rath, ſchwimmt abwärts mit dem Strom: 
Wer ſich erforfcht, ſchwimmt aufwärts gen den Strom. 


Hostis timendus, quamlibet pusillus est, 


Verachte nie den Eleinen Feind: 


125. 


126. 


Ein Eleiner Feind kann großen Schaden thun. 


Non fers apes, non mel profecto linxeris. 
Wer Honig will, muß auch die Biene dulden. 
Kein Aerndetanz, wo Eeine Saat, 


Est ‚servitus cupidinis durissima, 
Kein Sclavendienft — fd felavifch, wie 3 
Der blinden Liebe Selavendienft. 


2# 


20. 


RR 


127, 


228. 


129. 


150. 


131. 


Cum naufrago fac connatet viaticum. * 
Sud dir ein Reiſegeld, das nach zerbrochnem Schiff” 
Uns Land mit dir noch fhwimmen Eann. “ 

Die Neifegeld heißt: Gottesfurge. 

Impune peccans omnium est miserrimus, 

Wer Böſes, ungeftraft, auf Böſes hauft, 

Der trägt, bey Subelfang und Klang, 

Der reichfte Leidens - Quell in fi. 


Maledicta dissimula, atque vives hilarius. 
Laß manches Läfterwort — die Luft verwehn: 


Dann magft du heitre Tage fehn. 


Contempta tempore, saepe crescit gloria. 
Der Ehre Dunft — mit, großem Sinn verſchmäht, 
Pflanzt beffre Lorberreifer. 

Honesta egestas pompa inani pulchrior. 

Gut feyn und arm dabey — ift fohöner als. 

Der fhönfte Slitterftaat des Thoren. 


132. Alias mora molesta: est fallens molestior. 


Wer harren muß, bat viel Verdruß: 
Noch mehr, wer nichts erharrt. 


Ipsis neque hostibus feceris injuriam. 
Mas Unrecht ift, ift ewig — Unrecht: ' 
Thu's auch am Feinde nicht. 


Largissimis affluit opibus nitida fides. 
Mer Treu und Glauben bat, 
Hat Geld genug 


nr ⸗ 


. N . —9 % 
. Fortuna quo arridet magis, magis time. | 


Der Weife wacht 
Nie mehr, als wenn das Glück ihm lacht. 


. Nil poenitendum feceris, consulto agens. 


Geht reifer Sinn den Thaten ftets voran: 


So geht die Reue nie den Thaten nad). 


137. 


Est poenitudo sponsionis Filia. 
Viel Neue arndet, 
Wer viel Verfprechen ſäet. 


138. 


139. 


140. 


‚141. 


142. 


143. 


144, 
145. 
146, 
147. 


143. 


149. 


21 


Non vis tua edi consilia, ne proferas. 
Soll dein Geheimniß ein Geheimniß bleiben? 
So halt es du zuerft geheim. 4 


Frustra expetuntur, quae impetrari non queunt. 
Laß unverlangt, was unerreichbar ift. 


Persaepe, quae serunt alii, alii metunt. 
Es ift die Hand, die fü, 
Nicht allemal die Hand, die mäht. 


Nil rege justo pulcrius sol aspicit.' 

Ein guter Fürſt — das Köftlichfte auf Erde: , 
Sein Zepter ift Gerechtigkeit, \ 

Geſetz fein Thron, Volfsliebe feine Burg. 


Frustra sapiens sapit, ipse sibi si non sapit. 
Wozu das Licht in deiner Lampe, 
Wenn es im Dunkel dir nicht Teuchter ? 


Amore crescunt imperia, ruunt metu. 
Die Liebe baut das Reich, die Furcht zerſtört's. 


Amittes maxima, minima si contempseris. 
Das Große wird’8 durch Kleine: 
Mer Kleines nicht bewahrt, hauft Großes nie. 


Delibera tarde, perage quam ocissime. 
Sn Ueberlfegen — eile nit: 
Sn Handeln — zogre nicht. 


Scire et sapere, viaticum in vita optimum, 
Nicht wiffen nur, auch weife fern — - 
Das befte Erbetheil für deine Kinder! 


Audire vis bene: abstine male dicere. 
Um frey von Lafterung zu feyn, 
Sey du zuerft Eein Lafterer. 


Lite abstine, nam vincens, multum amiseris. 
Der Weife meidet Zehd’ und Zank, 
Denn aller Sieg ift Niederlag’ 

Und der Gewinnft — Berluft. 


Praestat mori, quam vivere turpiter. 
Das Schredlichite, der Tod — 

Sit nicht fo ſchrecklich für den Guten, ale 
Ein Leben wider Pflicht, _ r 


1 \ 


2 


250. 


151. 


152. 


256. 


157. 


158. 


359. 


‚260. 


261, 


Si urget necessitas, pericla periclo adi. 
&x 9 

Im Nothgedränge wird 

Gefahr beſieget durch Gefahr. 
Omni harmonia vox est amici dulcior. 


So lieblich tönt kein Saitenſpiel, 
Wie Freundes-Stimm’ in Freuͤndes-Ohr. 


Grave decipi ab alio est, a se gravissimum. 
Betrogen feyn von Andern — gräbt ins Herze tief: 


Noch tiefer: Selbftbetrug. 


Nulla invidiam et avaritiam requies fovet. 
Wo Neid und Geitz, da feine Ruh’. 


Si sors te evehit, prioris es vitae memor. 
Wenn du die höh're Stuf’ erftiegen haft, 
So den: ich flieg don unten auf. 


. Ad gratiam oratio, laqueus est melleus. 


Nur reden, was gefällt, ift füß wie Honigfeim: 
Sm Honig liegt der Tod. 


Poena gravi ipsum uleiscitur sese scelus. 
Die Sünde — rächet ſich 
Am Sünder fürdterlid. 


‚In supplicem qui saevit, saevior fera est, 


Wer graufam drückt den lebenden, 
Der tragt im Menſchenleib' — ein Tiegerherz. 


Moeror voluptatem usque sectatur comes. 
Zrabant der Wolluſt — Bitterkeit. 


Felix is est, peccare qui minimum potest, 
Ohnmächtig zum Böſen feyn — 
Macht feliger als alle Erdenmadt. 


Habeto opes: haberi ab illis praecave. 
Befige du dein Geld und Gut: 
Dein Geld und Gut — nit did). 


Audere plus, loqui minus fortis viri est. 
Der Tapfre läßt für fih — die Thaten fprechen, 
Der feige Prabler — nur, die Worte. 


162. 


163. 


164. 
265, 
166. 
167. 


168. 


171, 


172. 


073: 


28 


Metire censu impensam et arca, si sapis. 
Was ift fhon da? Wie viel kommt noch herein? 
So fragt die Klugheit: dann erft gibt fie aus. 


Agenda meditare, acta mox examina. 

Zwey Fragen find dem Weifen heilig: 

Die erfte vor der That: Was foll ich thun? 
Die zweyte nad) der Thar: Iſt's wohl gethan?. 


Curiosius aliena scrutari abstine. _ 
Stets ſchau in dir, und deinem Kreis umber: 


-Dann lauerft du nie auf mid), und nie auf Andere. 


Vitato ut hostem temeipsum, si es malus. 
Der Böſe hüthe fih vor feinem eriten Feinde: 
Sein erfter Feind — ift Er. 

Hi vera dicunt: ebrii, fatui, pueri. 

Der Raufh, das Kind, der Wahnfinn — 

Drey fichere Wahrfager. 

Beneficia senescunt, virent injuriae, 

Die Wohlthat fpricht: ich Altre bald, 

Das Unrecht: Tange bleib’ ich frifh und jung. 
E re sapientis est, negligere rem in loco, 
Der Weife läßt den Stein. an feinem Orte ruhn, 
Den er nicht heben kann: 

Die Thoren rütteln dran. 


. Nil suavius, quam audire vera ac dicere. 


Die Wahrheit treu gefagt, und gern gehört — 
Das Lieblichfte im Nebel Lande. 


. Subito in periculo consilium rapidum valet, 


Sn fihneller Noch gilt ſchneller Kath. 


Invito et id, quod est facile, difficile fit. 
Die Luft macht Schweres leicht, 
Unluſt macht Leichtes fhwer. 


Par est lucrum damno, improbis partum modis. 
Gewinnft mit Sünde — fein Gewinhft: 

Verluſt vielmehr, Verluit des Allerbeften. 

Id optimum est, quod.fit vetustate melius. 

Mas Feine Zeit zerftört, kein Grab verfchlingt, 

Was ewig:gut und ewig-fhon, und ewig-wahr .. 


24 


174. 


175. 


176. 


— 


177. 
178 
170. 
180. 
181. 


182 


183. 


384. 


Sm Schoof ber Ewigkeit ſich ganz enthüllt, 
Das ſey dein höchſtes Gut! N 


Nullus gravior hostis, quam amicus subdolus, 
Ein falfcher Freund r 
Dein ärgfter Feind. 

Necessitas rerum omnium potentissima, 

Die Noth bricht Eifen. ie 
Vindicta felix, potuisse ignoscere, 

Nur Eine Rache macht dich ſelig — 


Die Rache heißt: Verziehen haben, . 
Wie Gott verzeibt. 


Ni servum ineptum vis, cum eo abstine a jocis, 
Dein Diener wird dein Herr, k 
Wenn du mit ihm — nur Kurzweil treibft. 


Obest nihil, bis dici, quod bene dicis, 
Die Wiederhohlung fhader nicht, 
Wenn du nur Gutes wiederhohleft, 


In cor malum Sapientiae haud aditus patet. 
In veine Herzen ſenkt — die Weisheit fi) herab: 
Wer Unrecht thut, hat ihr den Weg verbaut. 


Non tam rei quam animo debetur gratia. 
Das Herz des Gebers macht die Gabe Dankes-werth: 
Die Gabe nicht das Herz. 


= 


Non verba mulcent dulcia, quem torquet fames. 
Der Hunger hat Fein Ohr für ſchöne Worte: 
Nur Speife ftilfee ihn. 


Peccare bis id ipsum haud sapientis est viri. 
Pie ſtößt der weife Mann 

An Einem Steine fih — das zweyte Mahl. 

Nox consilium gignit, dies operam exigit, 
Zum Ueberlegen taugt die ftille Nacht, 

Das Licht des Tages zum Vollführen. 


Manum cedenti da, viam monstra libens, 


- Gern reich dem Fallenden die Hand, 


Bern zeig dem Irrenden den Weg. 


1306. 


187. 


191. 


192. 


193- 


194. 


1095. 


Heißt zweymahl fiegen. 


Arey Dinge find ſehr hart zu — 2 


25 


5. Mores latentes tempus educit foras, 


Die Zeit enthüllt, 

Mas Kunft verhüfft + 1 
Das Snnerfte verrath fich durch das Yeußere. 
Audire nihil est surdius nolentibus. 


Nicht hören wollen — macht auch taub; 
Und diefe Taubheit heilt Eein Arzt. 


Populum, ignem, aquam cohibere difficillimum 
est, 


Das Waffer, Seuer, Volk. ; 


„ Ut quisque loquitur ore, ita audit auribus. 


Wie deine Zunge fpricht, fo horcht dein Ohr. 


. Divinus animus morte non corrumpitur. 


Der Tod Eann nur den Leib aus Erde, tödten: 
Den Geiſt aus Bott, erreicht Fein Todespfeil, 


Non fruitur haeres tertius turpi luero. 


Manch zeitlich Gut läßt fih dur Sünd' erwerben, 
Kommt aber felten, an den dritten Erben. 


Furentem amicum fer, sedatum corrige. 
Ergrimmt dein Sreund: fo trag ihn mit Geduld; 
Set fi die Wuth : fo firafe feine Schuld. 


Incuria est opulentiae dulcis soror. 
Des Reichthums Schweſter — 
Heißt: Unbeſonnenheit. 


Ut anchora navem, ita stabilit regnum aequitas. 
Der Anker halt das Schiff, 


Gerechtigkeit das Reich — im Grunde feft. 


Domesticorum inimicitiae gravissimae, 
Ein Haus, viel fhwere Kriege, 
Wenn Zanf und Spalt die Glieder trennt, 


Si cesseris, dum viceris, bis viceris. 
Recht-haben und aus Großmuth nur, ara laf: 
en — 


26 


196. Sermo omnibus, sapientia at paucis datur. 
Woran gebrichts den Sterblichen? 
An Worten nirgend: 
An Weisheit überall. 


197. Nil sanctius quam inter malos bene vivere. 
Im Feuer unverbrannt — 
Sm Chor der Böſen gut, 
Iſt nur der Heilige. 
198. Nihil ab irato fortiter fieri-potest. 
Nichts Männlich thus der Mann im Zorne. 


199. Fit sponte similis somnolentus mortuo. 
Gern ift der Schläfrige ein Bild des Todes. 


zoo. Fit arte mite, quidquid est ortum rude. 


Die Kunft gibt "politur : : 
Den rohen Stoff — die ſchaffende Natur. 


201. Si recte feceris, comitem habebis Deum, 
Geh immer auf der Bahn des Guten: 
Dann geht der Belte flets mit dir. 


202. Vis magna legis, judicem si habeat bonum. 
Viel Gutes fhaffer das Gefer, 
Wenn gute Richter das Gefe beleben. 


203. Immane corpus est, sed absque corde plebs. 
Das Volk, ein Ungeheur von Leibes-Groͤße: 
Ihm fehler nichts als der — Verftand, 


204, Praesente vi, lex robur amittet suum, 
Mo die Gewaltfamfeit ins Reben tritt, 
Da ſchlägt die Todesſtunde des Gefeges. 


205. Ita aurum homines, ut implicant ie alites, 
Der Vogel bleibt am Nese, 
Der Menfh am Gofde bangen, 


206. Oculis, voluptatis ministris, impera, 
Die böſe Luft gebeut dem Auge; 
Gebiethe du dem Auge; 
Dann magft du aud der böfen Luft gebiethen. 


207. Tranquillitas ubi adest, procellas prospice, 


Das Meer ift fchlafend auch ein Meer: 
Drum fey die Stile dir — des Sturmes Botbe- 


208. 


209. 


210. 


211. 


212, 


213. 


27 
N 
Cum nullo convenit, qui a sese dissidet. 
Uneins mit fi, uneing mit aller Welt. 


Ea stude facere juvenis, quae probes senex. 
Das fol der Küngling thun, und das alleın, 


Was ihm, als Greife noch, wird edel feyn. 


Medicina corporis, animae esto puritas. 
Halt deine Seele rein und ftill: 
Dann ift fie deinem Leib’ — ein guter Arzt. 


Cum lin gua aberrat, vera saepe nunciat. 
Der Zunge Stottern “ 
Verraͤth gar oft des Herzens Grund. 


'Aetatis est flos somnium brevissimum, 


Der Jugend Blüthe — 
Ein Eurger Traum der Nacht. 


Luxus corpus conficit, animum multo magis. 
Schafft, deutfches Vaterland, den Lurus fort — 
Den Mörder deiner Kinder! 

Er fpannt die Sehnen ab, 


Er faugt das Mark aus den Gebeinen, 


Und frißt am Ende — dir das Herz! 


25 





Bi.a a 


Ludov. Vivis Symbola Sapientiae, 


Des Ludwig Vivis Spräde der Weisheit. 





1. Scopus vitae Christus. 

Die Eigenliebe bezieht Alles auf fi, der Chrift Alles 
auf Chriftus, Er will ein Ebenbild Ehrifti werden, wie 
Chriftus ein Ebenbild des Vaters war. Ehriftus Reich — 
fein Zweck! 


2, Pax Christi, 

Der wahre Friebe ift eine Gabe unfers Herrn: : er beugt 
die Sinne unter die Vernunft, und die Vernunft unter 
feinen heiligen Geift. Der Wille des Menfchen folgt dem 
Zuge feines Herrn, 


$ Unum necessarium, 
Eines ift nothiwendig, — Gottes Willen Eennen, adj 
ten, thun. Ä 


‚4. Omnia proposuit labori Deus. 

Wo des Menfchen Hand ehrlich arbeitet, da fegnet Got⸗ 
tes Hand reichlich. O Menſch! fey treu in dem, was dir 
der Herr ſchon anvertraut hat; dann gibt Er dir, was du 
noch nicht haft. Bon Einer Güte, die nicht müde wird 
zu geben, und durch eine Treue, die immer empfangen 
Fann, und jede Gabe wohl anwenden mag, Eommt Alles 
Gute in ar Welt. 


5. Splendor summus non intuendus. 
Der höchſte Glanz ift nicht für unfer Auge — forfihe 
nicht in den unerforfohlichen Tiefen der Gottheit, fordern 
bethe an, und ahme dem nad, den bu anbetheit. 


29 


6. Quod Deo, et’Homini (placeat,) 
Was der Herr thut, das ift wohlgethan — im Auge 
— guten — Des Herrn Wille — iſt des Knech— 
tes Sinn. 


7. Bonis omnia in bonum, 
Dem Guten wird Alles zum Guten — dur die All: 
Liebe des Beſten. 


8. Deo imperium, homini consortium, 
Greif Gott nicht in die Rechte feiner Regierung ein, 
und kränke deinen Bruder nicht in dem Re dein 
Bruder zu ſeyn — ein Menfch wie du, 


9. Animo corpus fulciendum, 
Wird dein Knie laf, und deine — matt: fo örte 
‚den finkenden Leib der Geift, und den finkenden Geift der 
Glaube — and Beffere, das unmwandelbar, und unüber— 
en Kurz: die Religion flüge den Geift, der peit 
den Lei 


10. Faciem ne aperias, manum per frontem ne > dueito, 

Heilig fey dir dag heilige Roth der Scham! Die Farbe 
der Scham ift die Farbe der Unſchuld. Weh dem Höllen- 
hauch, der fie von der Wange verfheuher! 


11. Bona ad bene faciendum. 
Das Gute ift de, zum Saccethun⸗ u Gabe zum 
Geben. . 


12. Fotentiorem in te ne ädinittito, 
Laß feinen Maächtigern,. als du bift, in dein Haug hers 
ein. Leidenſchaft, und jede bbſe Angewöhnung find mas 
tiger, als du: darum laß fie nicht in bein Ger herein, 


13. Comoedia. vita humana, 

Das Menfchlenleben — ein Schauſpiei. Jedet re 
nur eine Weile. Dann tritt er ab, und macht -einein an« 
dern Spieler Plaß. Spiele du deine Rolle gut; um alles 
Uebrige fey unbekümmert. 


14, Inter spinas calceatus. 
Zritt nie unbeſchuhet auf die Dornenpfade; wandfe 
behuthfam unter deinen Feinden ; bewaffne hie zum vor⸗ 
aus auf die Tage der Leiden. 


18 


. 


19 


22. 


Exilium inter malos. 

Unter ſchlimmen Menfhen leben mäffen, heißt ins 
Elend verjagt feyn. Das rechte Elend ift nihe im Win: 
£el außer deinem Vaterlande; es * in Mitte böſer Men— 
ſchen — für den Guten. 


Lupus mendacio tempus. 
Die Lüge wird nicht alt; die Zeit frißt ſie, wie der Wolf 
das Schaf. 


Magnus ope minorum. 


Der Große iſt es durch die Kleinen — gilt nur von der 
aͤußerlichen und zeitlichen Größe. Denn innere, ewige 
Größe iſt, was ſie iſt, durch den Größten. 


Scopulus in undis (esto). 
Dein Geiſt ſey unentweglich in Leiden und in Freu 
den, ein Fels im — 


Non refert qua, sed quo. 

Es kommt bey dem Pilgerleben nicht auf die — 
an, von denen du kommeſt, oder durch die du reiſeſt, ſon— 
dern auf den Zielpunct, wohin du veifeft. 

Man Eann und fol überall rechtſchaffen handeln. Gut: 
ſeyn fey überall dein Zweck! \ 


. In voluptate dorsum, non faciem. 


Sieh immer auf das, was die fortgehenbe Wolluſt 
zurück läßt, und nie auf das, was die kommende verheißt. 


Sie verheißt Paradies, und gibt Hölle. 


Virtus citra fortunam valida. 

Die Tugend bat eine eigne Macht und Herrlichkeit, 
und bat fie auch alsdenn noch, wenn alle zeitlihe Macht 
und ——— dahin iſt; und hat ſie auch alsdenn noch, 
Ein alle wide Macht und Herrlichkeit wider ſie los⸗ 

rmet. 


Felicitas unica, intus nil strepere. 
Geräufchlofe Stile im Innerſten — das rechte Men: 
fhenwohl auf Erde! 4 


. Oculum in metam! 


Washernadt 
Hinaus mit dem Blicke auf das Ende! Sieh auf die 
Zufunft, damit dich die Gegenwart mit ihren Reitzen 
nicht hinterlifte, mis ihren Laſten nicht unterdrüde, 


& 


24. Nullus sine linea dies. 
Immer vorwärts, und um immer vorwärts zu kom 


men, nur nie file geftanden ! 


25. Ne a pudendo vincaris hoste., 
Laß Eeinen niedern Feind über dich fiegen. Sey alſo 
Eein Sclave der Wolluft, des Zornes, des Geldgeiges, der 
Trunkenheit, ver Eitelkeit. Denn dieß Alles ift dein Feind, 
und ift nieder, unedel. 


26. Harmonia interna, 
Die rechte Mufif ift im Menfchen darin. _ 
Wo Einklang des Herzens mit dem heiligen Gefeke, 
da die rechte Harmonie zwifchen Gott und dem Men 
ſchen, da die ſchönſte Mufik, 


27. Ne bis puer. 
Sey wenigftens im grauen Alter weije. 
Sonft bift du, das zweyte Mahl in den Stand der Uns 
mündigfeit getreten. 


38. Diarii omnes. 
Wir Menfchen find eitel Mein Kinder 
von etlihen Stunden, geben ſchnell vorüber. 


29. Dacoecus, accipe oculatus, 
Denfe nicht an die Wohlthat, die du Andern erweifeft, 
denfe an bie, welche du von Andern empfangeſt. 


30. Ex usu, non collatione fortuna aestimatur. 
Miß dein zeitlihes Wermögen nicht nad dem, maß 
Andere haben: fondern nad) dem, was du bedarfit. 


‚31, Virtus instar omnium. - 
Gutſeyn beffer als Alles, und ein Erfaß für Altes. 
Denn, wenn Gott für uns, wer wider uns ? 


32. Foris Argus, domi talpa. 
Es gibt Menfchen, die hundert Augen für fremde Feh— 
ler haben, und Feines für eigene. 
Sey du lieber ein Argus für deine Fehler, die du ver⸗ 
beffern folft, und ein Maulwurf für fremde — 
die du nicht heilen kannſt. 


33. Magnum hospitium magni hospitis. . 
Verachte aud die niedere Hütte nicht, im der ein ho⸗ 
her Abkömmling wohnt. Der Gaſt adelt das Haus, der 


© 
” 


Geiſt — den Leib Sets — den Temp el. 
. Gottes Tempel. —— p Denn wir ſind 


ii Veritas temporis filia ER RR 
Die Wahrheit — ein Kind der Zeit. Und Über -jede 
Wahrheit, die noch im Grabe liegt, hat: Gottes Finger 

die Grabfihrift gezeichnet: Meut oder morgen ftehe ic) 


** Grabe auf⸗ und ſinge late — mein großes Halle: 
ujah! 


35. Bellum cum vitiis. 
Ein Krieg iſt uns allen gebothen, und faſſet in ſich den 
ganzen Beruf des Erdelebens . s.. der Krieg des Guten 
. wider das Bofe, des Lichtes wider die ‚Sinfemip, der Per 
ligen Liebe gegen die Eıgenliebe. 


36. Froenum in lingua. 
Der Zaum gehört für die Zunge — — 
— Die Geiſſel auf den Rücken des Thoren. 
37. Non quam diu, sed quam bene. 
Wer recht thut, hat lang genug gelebt. 
38. Sans intus et exterius. | 
J— a ——— im geſunden Leibe! — Dieſer 
unſch umfaſſet Zeit und Ewigkeit — das 
des Menfhen .. game DER 
39. Mendaci non creditur, et jurato. — 
Selbſt der Eidſchwur findet keinen Glauben im Munde 
Ho des Lügners. 
40. Satis hoc, contento. “ 
Auch as Wenige " genug, für den, der nie mehr - 
verlanget. nal 
41. Murus aheneus — sana conscientia. _ 
Ein gutes —— die rechte ae des Mens 
ſchen . 33 
42. AL tibi venerabilis, 
® ‚gabe Ehrfurcht vor dir Be: are, Gottes Bild in 
ir! 
43. Fastigio caput — 


Neige dich vor dem Höhern, und beuge dich tief vor 
dem Beſſern. Ehre, dem Ehre gebührt. 


— 


44. Fi- 


44. 


45 


. 


I 33 
Fideli nullae serae. 
Keim Schloß für eine freue Hand, i 
Alle Schage der Erde. waren <= auch: unbewahrt = = vor 
ihr ficher. ip nt 
Misericordia venalis, ein. 


Ein theures Erbarmen, das nit vom Elende gewecker 
werden kann, ſondern mit Geld gekauft werden muß, und 


nur von dem Meiftbiethenden erkauft wird. 


46. 


47. 


43. 


Majores superbus, minores moestüs spectat. 

Der, Stolz jieht aufwärts zu den Grbfern, um fi 
böber zu ſchwingen; 

Der Kummer — abwärts zu den Geringern, um fich 
in ihrer Mitte zu tröften. 


Parvo fames constat, magno fastidium. 

Der Hunger läßt fih mit geringen Koften ftillen; aber 
um durch wohlbejeste Tafeln ſich Ekel, und Graͤuſen und 
Tod zu ſchaffen, dazu gehört viel Aufwand — und noch 
mehr Thorheit. 


Quod invenisse pigeat, ne quaeras. 
Wozu finden wollen, was der Mühe des Suchens nice 


lohnt? 


49. 


50. 


AB, 


Veritati splendor comes. 
Die Wahrheit verräth fih am Lichtſtrahle; denn das 
Licht ift ihr Geſelle. 


Ebrietas nec madida, nec sicca. 

Es gibt einen zweyfachen Rauſch? einen naſſen von 
Wein, und andern berauſchenden Getränken; einen trocke— 
nen, von den herrſchenden Leidenſchaften. Die Weisheit 
warnet vor beyden, und der s.Ktuge laßt fi) vor BRD 
warnen. 


Justitia gratuita. 

Es ift ungerecht, nur um des Lohnes willen gerecht 
feyn. Denn wer bloß um des Lohnes willen recht thut, ver 
wird um des Lohnes willen auch Unrecht thun. Der Lohn 
it fein Gott, und Lohnſucht feine ganze Gerechtigkeit. 
Tantum scis, quantum operaris. 

Wer das Sure, das er Fennt, auch thut, der weiß erft 
recht, was gut iſt. Und deßwegen fey das Rechtthun der 
Maßſtab deines rechten Wiſſens. 


Satlers Sprüde. 3 


34 | v 


53. Suspicionibus securis. - 
Nähre den Argwohn nit: baue ihm fogfeich mit dem 
Schwerte den Kopf entzweps Denn diefe Art von Ziver- 
gen erwächſt in — Ei 


54. Extorquet quies. 
Was die Gewalt nicht erftürmen —* das erobert die 
ſtille, ruhige Größe — ohne Zwang. 


55. Malum occultum perniciosissimüm. 
Die Peft, die im Geheimen ſchleicht, verpeftet ungekannt 
— nur deſto mehr. Darum iſt es Wohlthat, fie bey den 
Pflegern der öffentlichen Geſundheit anzugeben. Aber 
hüthe dich, daß du nicht etwa den weiſen Arzt ar Peſti⸗ 
lenz anklageſt. 


56. Maximae opes, prodesse. 
Wohlthun — der beſte Reichthum. au die Wohlthas 
ten bilden eine Leibwache um den Wohlthäter, und [hs 
zen ihn in den Tagen der Mouth, 


57. Cogitatum quis coget? Vis veritatis. 
Der Gedanfe ift ein Sreygeborner; er Fennt Feinen 
Zwang, ald den der Wahrheit, — und ben des- heiligen 
Gefeges, denn auch dieß ift Wahrheit. \ 


58. Blandum imperium imperiosum, 
Die Milde im Gebiether, gebiethet am meiften. 


59. Fortuna nimis 'blanda, hamata 
Die Schmeicheley des Glückes ift ein verfteckter Anger 
für dich: der forgenlofe Anbiß tödtet. ... 


60, Sal vitae amicitia. 
Freundſchaft — eine Würze des Lebens, macht auch das 
Ungenießbare genießbar, und das Schmackhafte noch 
ſchmackhafter. 


61. Temporis parcus dispensator. 
Haushalte mit der Zeit, geige mit Augenblieken, ver- 
ewige den flüchtigen Zeitpunkt, 


62. Domitrix omnium, patientia. 
4 Die Geduld bändigt das Unbändigſte — — — das 
trotzige Menfchenherz. 


EEE 


68. 


64. 


65. 


78. 


35 


Tibicen fortunae virtus. | 

Was der Pfeiler im Gebäude, das ift die & Tugend im 
Glücke. Sie allein, fteht feſt, und ftüßet das wunfende 
Glück — und halt am Ende, wenn alles Glück N iſt, 
dich noch. 


Non extorquebis amari. 

Mienen, Geberden, Worte magft du erzwingen; die 
Liebe des Herzens erzwinget kein Zwang. Das wen Bu 
diget — wen es will, - 


Oculos in pectus! 

Das Auge auf die Bruft! * zuerſt Bid ſelbſt ken⸗ 
nen. Sn dir drückt ſich die ganze Menſchheit ab. Wer ſich 
erkennt, erkennt den Menſchen ... wo er ihn ſieht, +» 
in ſich und Andern, 


Magnum satellitium amor. 


Liebe des Volkes, die ficherfte Leibwache des Bären 


. Miserrimum, — pendere. 


Das Traurigfte im Menfchenfeben ift: ——— Furcht 
und Hoffnung ſchweben. 


Immodica imbecilla. 

Wo Eein Maß, da Eein Beſtand. Jede überfpannte. 
Größe, ruht auf fteilen Felſenſpitzen — das nächſte Wind» 
ben ftürzt fie in den Abgrund herab, und die Trümmer 
zerſchlagen Menſchen, Thiere, Huütten. 


Confid e-recte agens. 


Zuverficht gedeiht nur im Garten des Rechtthuns. 


. Vieit vim virtus. 


Gewalt fieget über Gewalt; die Tugend aber — 
tiget auch die ſiegende Gewalt, 


‚ Praesidium iA RN 


Unfhuld fhüst mehr als Aller Dei denn 
Gott iſt mit ihr, und wer unter Gottes Schutze wohnet, 
der wohnet ſicher. 

Stulta de alienis superbia. 

Der Thor nur prahlt mit fremden Gute. Alfo ift aller 
Stolz Thorheit; denn alles Gut iſt — im Bande, em⸗ 
pfangen. 


& 


35 


73. Pertuso dolio nihil infunde, 


4 


77 


78 


. 


7% 


90. 


8ı. 


Gib dem Verfhmender Fein Geld, vertraue dem 
Schwager fein Geheimnif, überlaß dein Herz Feiner Lei⸗ 
denſchaft; denn alle drey ſind Be los. 


Fasces, fasces. 
Große Würden, große Blirden. Kein Gold drückt ſo 
ſchwer, als das der Königs-Krone. Es glänzt nur für 


unſere Augen, drückt nr das Haupt deflen, ver fie tragt. | 
‘Ne ferrum igni. | 


Gib dem Zornigen Fein Schwert i in die Hand; denn er 
kann es nicht regieren. 


Hospes, ne curiosus, 
Sich in die Geſchäfte des Hauſes mengen — gehört 
nit zum Gaſtrechte. 


Cujus poenitebit, taedeat; cujus pudebit, pigeat. 

Mas Reue und S Scham zeuget, das iſt Böſe; was nie 
gereuende Luſt gewährt, und ein Wohlſeyn zeuget, deſſen 
ſich der Reinſte nicht zu ſchämen bat, das ıft gut. Das 
Gute thun, und das Böſe meiden — darin befteht die 
ganze Gerechtigkeit, 


Difficilis gloriae custodia. 

Es iſt leichter den Ruhm erwerben, als den Ermorbes 
nen zu bewahren. Beſchneide du ihm die Flügel: fonft 
fleugt er davon; d. i. werde du immer Ehr: würdiger, 
und fieh nicht auf den Dunft der Ehre. 


Et pilo sua umbra. 

Auch ein Hürden bat feinen Schatten. Nichts ift fo 
geringe, das div nicht nüßen, oder nicht ſchaden Fann. . 
Mendacio comites tenebrae, 

Alle Lüge ift ein Nachtvogel — und Sinfterniß fein Ge⸗ 
fpann. 


Praecipitis consilii assecla Poenitentia, 
Mer ohne Ueberlegung zu Werke gebt, geht nieallein; 
denn Reue ift fein Gefährte. 


82. Tene certum in incerto, 


Ringe nach der Tugend, denn diefe fteht feft in Mitte 
des Flühtigen. Ehre den Geift im Menfchen, denn diefer 
ift unfterblich im Sterbligen. Halt dich ganz an Bott 


83. 


84. 


& 


86. 
87. 


88. 


89. 


90. | 


91. 


92, 


37 


allein, denn fein it der unſterbliche Geiſt des Menſchen, 
und die unſterbliche Tugend iſt ſein Geſchenk. 


Voluptas malorum esca. 

Blinde Luſt — die einzige Lockſpeiſe des Böſen. Denn 
das Gute treibt nur die Guten; der heilige Geiſt — die 
Kinder Gottes. 


Magnes amoris amor. 
Liebe weckt Liebe. Liebe zieht an; Haß ſtößt zurüd, 


Publica persona privatam depone. 

Als eine öffentliche Perfon gehört du nicht dir, fons 
dern dem gemeinfamen Wohl Aller, zu. Darum vergif 
nur nicht, daß du eine öffentliche Perfon bift; dann han⸗ 
delſt du gewiß edel. Denn nur der Unedle ſuchet ſeinen 
Nutzen, der Edle den Nutzen ſeines Volkes. 


Oculus vitae sapientia. 
Die Weisheit — des Lebens Leuchte. Ohne Weisheit 
ift alles Menfhenthun bloßes Tappen im Finſtern. 


Antidotum vitae patientia. 
Die Geduld — der befte — denn leben 
heißt — leiden müſſen. 


Fortitudo in fortunam, non in homines. 

Der Selbſtüberwinder iſt ein Held. Menſchen tödten 
kann auch ein Thier; ſich ſelbſt — nur der edle 
Mann. 


Bopulo cede, non pare. 
Ausweichen dem Pobel muß man; denken wie der Poö⸗— 


bel, das darf man nicht. Wer zum Pöbel gehört, denkt 


wieder Pöbel; der Weife weichet zuerft dem Pöbel aus 
— am Ende weifet er ihn zurecht. 


Fidens, non confidens. 

Nie ey dein Herz ohne Hoffnung; aber beine Hoff- 
nung ſey ſtets ohne Frevel und Troß. 
Amicus, ut non alius. 

Liebe deinen Freund, als wenn er nie dein Feind wer’ 
den Fönnte. 
Inimicus, ut non idem. 


Liebe deinen Feind, als wenn er jeden Augenblick dein 
Freund werden könnte. 


»8 


93 


9. 


\ 


3% 


ws. 


6. 


nad] 


97: 


Virtutis radices altae. 

Die Tugend fteht feit, denn fie hat 5* Burj im 
Mittelpuncte der Ewigkeit. Die Güter der Zeit hängen 
nur an der Oberfläche, und wanfen hin und ber, und 


werden von der Zeit verfhlungen, die fie gebahr. 


Expende. 

Wiegs, dann wags, ſagt dag, deutſche Sprichwort. 
Nicht der Schein, nicht das Hörenſagen, nicht die Men— 
‚ge der Urtheilenden, nicht. deine Neigung: fondern das 
Bewicht der Sache ſey für deinen Verſtand überwiegend 
zum Urtheile, und nur ein folches Urtheil fey für deinen 
Willen überwiegend zur Handlung. 


Ora virtute obdura, non metu. 

Seh rechtſchaffen; dann ſchweigt vielleicht die Läſte— 
rung von ſelbſt. Durch Drohen und ke laͤßt fie 
ſich den Mund nicht ſperren. 


Pflanze und pflege den Baum; dann biſt du es werth, 
einſt von fe: ner A au * 


— Wetas, | 
Schnell iſt aller Flug des Menſchenlebens; am — 4 


ſchnellſten fleugt der Frühling des Lebens davon. N 


Auctoritas rerum igerendanum telum. 

Nicht das, was du bift, fondern das, was du im Auge 
bes Volkes bift, — das wirkt aufjdas Volk. Nicht du, 
„Dein Anſehen nur, wirkt in dir auf Andere. . 


—— minister (esto).. ® | 
Brauche das Gute, das dein Zeitalter Sir aniberi, und, | 


"Suavissimüs post laboxem fructus. 


Gute mit auszureiffen. 


100. Vive,'ut post'vivas. 


duide das Böſe, das du nicht rg — —— das 


Sie in der Zeit: "dann biſt du es neh in der HEnig 
— zu enden, 


101. Cukaniae morbi rs — = 


Mor dem — J— der Läſterung sihke es kein Be 
woahrungsmittel. 


2] 


102. Tota vita nnus dies. 
Wie Ein Tag, fo ‚fliegen hundert le wie hundert, 
fo das ganze Leben dahin. Das ganze Menfhenleben — 
Ein Tag. 


103. Quod vides, non diu. 

Mas man mit dem Auge des beibes ſehen kann, wäh: 
ret nicht lange. Denn dieſe Welt vergeht mit allen ihren 
Geſtalten, und die ehenden Augen mit dieſer Welt, weil 
fie zu dieſer Welt gehören. a. Auge des — währt 
ewig, denn es gehört für das E Ewige. RR ; 


104. Virtutis umbra gloria. 
Wahre Ehre ift nur der Schatten wahrer Tugend, 
Warum balgeit du dich alfo nur um den Schatten, und 
willſt die Sache, den Körper nicht? Und wiffe: ohne Tus 
gend ift alle Ehre — nicht einmahl ein Schatten der Turs 
gend — ift nur Schatten des Schattens ein eitel Ge⸗ 
ſpenſt deiner Einbildungskraft. 


} 
105. Quod paravit virtus, retinebis, 


Wuchere mit deiner Tugend. Denn- da ne ee 
und Zins — unfterblich wie Gott, 


106. Quod commodarit fortuna, collet,‘ 

Glückes Güter — gelehnte Güter. Was bir der Strom 
der Zeit in deine Hütte einwarf, das. nimmt der Strom 
der Zeit wieder mit, fich fort. Steh nur du feſt, damit er 

dich nicht mit forzreiffe. 


107. Quod mutuavit natura, repetet. 
Leibes Güter — fterbliche Güter. Die Natur gab fie 
dir, und nimmt AN wieder. Die Hülle des Geiſtes modert 

im Grabe. — Doch nur die Hülle, 


108. In virtute oculi et manus. 

Es ift nicht genug, wiffen, was gutift; man muß auch 
bag Gute thun. Die, Tugend hat ein Auge, und eine 
Hand, das Auge zum Sehen, die Hand zum Thun. Bey- 
des, das Auge der Tugend, und die Hand der Tugend ma— 
hen die rechte Weisheit aus. 


109. Multi nimium, nemo satis, 
Viele Diener der unerfättlihen Begierde haben zuviel, 
und doch hat Feiner genug; fie haben zuviel, wenn fie 


«“D 


mehr haben, als bie ratur bedarf; Feiner hat genug, 
‚denn für die Begierde ift nichts genug. 


210. Nätura quis pauper? 
Brot, Waffer und Decke fchafft die Natur dem Arbei- 
tenden genug; und mehr ald Brot, Waffer und Decke 
bedarf die Natur des Menfhen, zum zeitlichen Leben nicht. 

Die Armuth wird alfo nicht fowohl von der Natur, als 

non der Begierde des Menfhen kommen. 


) 


yıı. Velle instar omnium. 
nu Gott ſieht den Willen. Iſt dein Wille gut, und vein- 
gut, und Eraftvoll: dann. adelt er alles, was er ausrich— 
ten Fann, und hat aud den Werth deſſen, was er nicht 
ausrichten kann, und doch ausrichten will, in fi. 


312. Nocere, diabolicum, prodesse divinum. 
Die Luft zu ſchaden Eommt aus ver Hölle, die Puff zu 
nüßen, aus dem Himmel, Die Liebe — Gottes Bild, die 
Schadenfreude — ‚Satans Charakter! 


Yı3. AR äRt yivere, disge mori. 

8 tft Eine und diefelbe Kunft, recht zu (eben * recht 
zu ſterben. Denn Gutfeyn, Rechtthun, und auf Gott 
er ift das Eine Nothwendige im Leben und Ster⸗ 

en. — 


314. Veraci creditur et mentienti. 

Die Wahrhaftigkeit fteht durch fich felbft in fo großem 
Anfehen, daß der Wahrhaftige auch Glauben fande, wenn 
er Unwahrbeit. fagte. Sage du immer die Wahrheit, da- 

mit du immer würdig bift, Glauben au — 


115. Invidia vipera. 

Der Neid ift Gift und —5 bildet ein wildes Ot— 

terngezüchte — aus dem edlen Menſchengeſchlechte. 
116. Deus dux. 

Die ganze Übrige Natur wandelt ihren Pfad unter dem 
Jeitenden Auge Gottes — fiber: fol der freye Wille auch 
fiher wandeln; fo muß er ſtets unter dem leitenden Auge 
— wandeln. Denn nur unter diefem Auge ift fichere 

ahn. 


117. Gloria vento dienten 
" —— ⸗ iſt Wind, und wird vom Winde ver: 
rängt. 


41 


218. Ne feceris, quod factum nolis, 
Die Reue kann die That nicht ungethan machen. Aber 
der Weiſe kommt der Reue bevor, und unterlaßt die That, 
die ihn gereuen kann. 


119. Odiosus, modo immerito. 
Gehaffet werden — das fürchtet ber Gute nit. Gef. 
 fenswerth feyn — das flieht ev mehr, als alles Andere. 


120. Sine querela. 
Klage nicht, und gib Andern nicht Stoff zum Klagen. 


121. Thesaurus, gratia boni. 
Es ift ein & liher Schatz, bey guten Menfihen einen 
Danf zu Gutem haben. Darum thue ihnen Gutes, und 
fordere Feinen Dank dafür: dann halt du immer einen 
Dank zu Gutem — einen Helm in der Todesnoth. 


ı22. Ne nimium scrutare. 
Zu viel Honig tödtet— zu viel Forſchen — lahmet dir 
Kopf und Herz, und Hand; den Kopf zum ruhigen Ber 
obachten, das Herz zum mannlichen Empfinden, die Hand 
zum großmüthigen Gebeh. 


123. Stipendium peccati mors, 
Der Tod ift der Sünde Gold, und wird dem zen: 
ten eine Meugeburt zum fehgen Leben. 


124. Turpe gigantem in navo. 

Ein ftolges, troßiges, hunmelftirmenbes Gemüth in 

einem niedern, ſchwächlichen, fterblichen Körper — ein 
ſenkelrechtes Schwert in einer Sichelſcheide. 


125. 2 Nescis, quid serus vesper vehat. 
Verzweiflung und frevelbafte Sicherheit taugen beyde 
nidts. Denn die Morgenitunde. weiß ne nicht, was 
die Abendftunde bringet. 


ı26. Linquas ne praescinde, sed cave. 

Der Thor möchte allen übrigen Menfhen die Zungen 
ausfchneiden, damit fie ihn nicht mehr ftrafen Eönnten. 
Der Weife begnügt fi, ihnen ſo wenig Stoff zur Lafter 
sung zu geben, als er Fann, 


Fr) 


4 


127. Ut t verax, ne suspicax. F 
Sage den Argwohn aus deinem —— dann kann 
Wahrheit und Wahrhaftigkeit Herberge — Wo 
viel Wahn, da wenig Wahrheit. 


nal; 


128. Opinione quis dives. 
—Miſſeſt du -die Bedurfniſſe deines Lebens nach dem 
ii . Bahue: fo bift du, mitten im größten Ueberfluffe, arm. 
Denn der Wahn will immer Ei — als der — 
wirklich bat, und haben kann. 


329. Malus potentiae custos metus. 
Die Zurht allein — eine ohnmächtige BWäcterinn der 
Macht. Wenn die Liebe mitwacher: dann ıft die Macht 
fiber bewachet. ; 


190. Optima cibus invidiae. 

Der Zahn des Meides nagt am Trefflichen Die Liebe 
und der Neid fehen beyde das Beſſere, aber ihr Wefen it 
zweyerley. Die Liebe findet den — im Beſſern, der 
Neid die Hölle, 


su —— modo tutius. 
Fruͤhe genug, wenn gut genug. Der Herbſt — 
genug, wenn er nur viele und gute Früchte bringt. 


IN 


132. Bonorum rector, malorum victor. . 

In glücklichen Tagen mußt du regieren, in trüben 
Stunden mußt du flreiten: regieren, damit dich die Luit- 
nicht zum Sclaven; ftreiten, damit dich die Unfuft nicht 

r noch elender mache, als du wirklich bift. 


133: Injuria oblivione uleiscenda. 

Aud die Großmuth rächt das Unrecht — aber nur mit 
Vergeſſenheit, und mit neuen Wohlthaten, Sie haufet 
heiſſe Kohlen auf dein Haupte des Elenden, daß er es 

nicht mehr erleiden möge, ein Feind’ zu feyn, und umkeh— 
re, und EIERN vor dem’ er und a: 
verzeih! 


134. Precibus emtum, carum. | 
Erbethen — ift oft theuer erfauft. Den; wenn bir 
der Eigennuß den Finger gibt: fo will er dafür deine 
Hand haben, UN Un 


45 


255. Ne lingua mente celerior. 

Der Gedanke ift feiner Natur. nad, fönenteedftin: er 
durchfleugt in einem Momente, Himmel und Erde.» Und 
doch ſpringt das Wort deiner Zunge - fo oftdem Gedan— 
fen vor. D, laß das Wort nie mehr dem- Gedanken vor— 
fpringen. Die Zunge ſey nur Werkzeug des Verſtandes! 


136. Satis relicturo. 
Wozu immer mehr; da du Alles verlaſſen mußt? 
Das Sınmermehr gelte nur von ‚dem edlen, reinen Sins 
ne; denn diefen nimmft du mit in die beflere Welt. 
Und vom edlem, reinem Sinne haft du nie ‚au viel, 


437. Nemo se judice absolvitur. 

Es iſt ein Richter in: dit, und fpricht ‚im n Mabmen 
Gottes: du haft Unrecht gethan, wenn du Unrecht ge— 
than haft. Mit Gelde beitechen laßt er fich nicht. Aber 
deine Leidenſchaft kann ihn überfchreyen ; deine Eigen 
liebe kann feine Ausfprüche vadbrechen, und deine: Un— 
vernunft kann ihn läſtern. 


138. Innocens nec casum. 
Der Gerechte ift getroft wie-ein muthiger Böse. Ihn 
ſchreckt kein Leiden; ihn verwirrt Fein Zufall. Alles ſah 
das allfehende Auge; Alles ordnete die allbeftimmende 
Macht. 
139. Mente Deo defixus. 
Nur im Mittelpuncte aller Ruhe findet unſer Geiſt 
ſeine Ruhe. Außer ſeinem Mittelpuncte ſchwanket er hin 
und her. Dieſer Mittelpunct aller Ruhe — iſt unſer 
Gott. Außer ihm Fein Heil. Um in Gott zu ruͤhen, nä— 
here dich ihm. Um dich Ihm zu nähern, entferne dich von 
dem Ungoͤttlichen. Denn da, wo ich mich verlaſſen, da 
habe ich meinen Gott gefunden, ſpricht der Heilige. 


su 
140. Pauper egens, non carens. 


Nicht haben macht nicht arm; verlangen und nis 
haben, das macht arm. 


N IE rEr —2 


141. Ubi terror, ibigtimor. 
Wer nur gefürchtet feyn, * n⸗ Ge⸗ 
walt gründen will, wird ſelbſt nie furchtlos werden kön— 
nen. Furchtbar macht furchtfam. — 


1% 


44 


142. Alienis lacrymis cautior. 

Fremde Thränen erſparen dir die deinen, wenn du, 
von fremder Noth belehrt, die Quelle der eigenen, in dir 
verſtopfeſt. 

143. Alieno risu laetior. _ 

Fremde Freude machet dich einer eigenen werth, wenn 
du dich neidlos mitfreueft, und der Quelle aller wahren 
Freude, muthig nachgehſt. Ä 


144. Quodvis videri, esto. 


Sehy, was du fiheinen willft. Denn, wenn bu das 
Seyn in bir haft, fo wird dir für das Erſte der rechte 
Schein nicht fehlen, weil das Licht feinen Glanz, und 
das Feuer feine Wärme haben muß; für das Zweyte 


wirft du vor Tauter Seyn, nicht Zeit finden, dich um 


den bloßen Schein zu bekümmern. 


245. Cor canum in juvenili corpore, 
Sünglinge an Sahren! werdet Männer an Ver— 
fland, und wenn es möglih ware, — — — Greife! 
Glaubt es aber nicht, jhon zu ſeyn. 


146. Pedica nimia fiducia, 

Zu viel Vertrauen — eine Zußangel. Zu viel Miße 

trauen — aud eine. Zu viel ift überall zu viel. 
147. Ingratitudo multis immerentibus nocua. 

Der Undan it eine Landplage; — denn fie plagt auch 
den Unfchuldigen. gehn Arme werden abgewiefen, um ei— 
nes Undanfbaren willen, Sort mit diefer Landplage aus 
dem Lande. 


148. Nocens metuit poenam, 
Wo Sünde, da Furcht vor Strafe... und wenn fie 
ſiich nicht immer reget, fo ift fie doch da, und wird ein— 
mahl mit Riefenkraft aufiteben, und den Sünder peini: 
gen... eine Vor:Strafe, bis die Strafe felbit eintrifft. 
149. Caede, modo doce. ae 5 
Der Weife unterwirft fih au harten Streichen ; denn 
er jieht die Liebe, die durch Schläge unterweifet, und durch 
bittere Wahrheit beſſert. | 


— — — — — 


! 





48 


HIT, 
Ex ejusdem L. V. introductione ad Sapientiam, 


Aus der Einleitung zur — vom nähmlichen Ver⸗ 
faffer 2. | 


ie geringen —— 





= Magnus erroris magister, populus. 

Das Volk hat viele Köpfe, und viele Irrthümer. Der 
breite Weg führt zum Verderben, der fchmale zum Leben. 
Einer ift euer Lehrer, fagt Chriſtus; ven ya ſpricht 
der Vater vom Himmel herab. 


2. Vox populi, vox Dei. 
Einer betrüget nicht Alle, Alle nicht Ein! Wenn die 
gefunde Vernunft durch das Wolf fpricht, fo fpricht Gott 
durch das Wolf. 


3. Eligenda est optima vitae ratio: electam consuetu- 
do reddet suavissimam. 
Nicht ftöre dich das Bittere in der Wahl des Beſten. 
Denn das Bitterſte wird durch Gewohnheit ſüſſe. 


4. Animus divinitus datus, Angelis et Deo similis: 
unde censetur homo, 

Nicht der Leib aus Erde, fondern der Geift nad) Got⸗ 

Ki geihaffen — mad im aba. ri den Menjchen 


5. Pietas in. Deum et homines, omnis virtus. 
Gott um feinetwilfen, und den Menfchen um Gottes 
willen lieben — das ift die Tugend, und die ganze Zur 
gend des Menfchen. 


6. Gloria, bene audire de virtute, 
Wahre Ehre — das Echo wahrer Tugend. 


46 


7."Nobilitas, a bohis prognatum, similem parentum 
se praebere, . 
Gute Aeltern und gute Sitten haben, das macht adelig 
und edel. 


8- Corpus nil aliud, quam ——— et mancipium 
animi. 
Der Leib des Menfchen if, feiner Beſtimmung nad, nur 
Hide und Sclave des Geiſtes. 


9. Vita, peregrinatio. 

| Der Menfchengeift ift bier nicht zu Anl, — nur 
im Auslande, und — reiſet in ſein Land heim. Das Le— 
ben des Weiſen iſt nur eine Pilgerreiſe, fein Tod Voll⸗ 
endung der Reife, und Eintritt in das Vaterland. 


ı0. Divitiae et vestimenta in usum tantum. 
Das Kleid zur Dede, das Geld zum Gebraudhe. 


a1, Usum non adjuvant immensae opes sed oppri- 


munt, ut navem ingentia onera. 

Zu ſchwer⸗ Laſten verſenken das Schiff, Reichthum das 
Herz in tauſend Sorgen und Lüſten, daß es untergeht 
unter den Fluthen der Thorheit ꝛc. N 


3% Aurum, si non utare, a coeno non differt ,, ‚nisi 
quod magis angit ejus custodia. 
Nimm dem Golde feine Brauchbarkeit, und feinen wirf- 


lihen Gebraud zum Guten, fo ſinkt esım Auge des Weiz, 


fen in die Claffe des Erdenkoths herab. Weil aber dag 
träge „Goldhüthen“ noch über dieß das Menſchenherz 
mit Höllenangft peiniget, und von der Liebe des Beſſern 
abhalt: jo kommt das Gold, im Auge des Weifen, noch 
unter dem Erdenkothe zu ftehen, . 


15. Utile indumentum excogitavit necessitas, pretiosum 
luxus, elegans vanitas. 
Eine fhüßende, Decke erfand die Nothdurft, Eoftbare 


feider fchuf der Lurus, den Kleiderpug — gebar bie Eis 


telkeit. 


ı4. Ex eo, quod infirmitatem nostram arguit, hono- 


rem Captant. 
Der Beweis unferer Schwache gab dem Ehtgeige Stoff 


und Nahrung. Unedler Wetteifer, einander am Kleir . 


dung zu übertreffen ! 








25» 


44 


Idem omnium parens Deus. 

Unfer Geift iſt edler Abfunft. Ein ee Aller 
Gott, und der eine Gott für Alte, iſt zuch der SEE Vater 
für Alle. 


Sequi debet honor, ı non expeti. 

Der Gute thut das Gute nicht, um der Ehre wegen, 
fondern die Ehre folgt dem Guten von Rechtswegen. 
Die Ehre it der Eifenfeilenftaub, folgt dem Zuge des 


Magnets, und der Magnet ſelbſt ift der Gute, und ‚dad 
Gute, daser thut. 


. Honor incertus, vagus, iniquus, momentaneus. 


Die Ehre, nicht in fo fern fievon Menfchen verdient, fone 
bern in wie fern fie ausgefpendet wird, iſt ungewiß, uns 
ftet, ungerecht „ und ein Kind des Augenblids, wie alle 
Werbe der menschlichen Leidenfhaften. 


In hospitio pulcro hospes deformis. 
Eine haͤßliche Seele in einem fehönen Leibe — entweihet 


das Haus, und beflecket den Gaſt — ſich felbjt immer- 
mehr. 


Res maxime non viribus nervorum, sed ingenii 
geruntur. 
Große Seelen, große Ihaten ; 
Große Leiber, große Gräber. 


20, Maxima mala, vitia; his proxima, inscitia, stu- 


223. 


por, dementia. 
-Das erfte und größte Hebel — die Sünde; Dummpeit 


erſt das zweyte. 


Nec malum faciendum, nec simile malo. 
Der Weiſe meidet das Böſe, und den Schein des Bö— 
ſen; das ahe iminer, das zweyte, ſo gut er Fann, 


Corpus. nec dominus nec socius animi, sed 
mancipium 

Du bift, nicht einmahl meines Gleichen, noch viel weni⸗ 
ger darfſt du mein Oberherr ſeyn; du unter mir, — der 
Natur nach; du zweymahl unter mir, deiner Natur nach, 
und meinem Herrſchafts Rechte nach — ſpricht der Geiſt 
zum Leibe — in guten, weiſen Menfchen. i 


48 


23. 


94. 


Quo curatius corpus, hoc animus neglectior. 


Die weichliche ——— — eine gefährliche Seelen⸗ 
krankheit. 


Mundicies carporis ad valetudinem et ingenium 
confert. 

Keinlichkeit ftdrEt den Leib, und weckt den Geiſt, und 
halt Leib und Geiſt munter. 


25. Varietas ciborum homini pestilens, pestilentior 


. 


condimentorum. 
Zweyerley Giftmiſchereyen herrſchen in großen Küchen. 
Das Mancherley der Speiſen, upd * mehr das Dune 


cherley der Wurze — tödtet. 


26. Naturae si des necessaria, delectakun, et — 


27. 


28. 


29. 


tanquam propriis; sin superflua, debilitatur et af- 
ligitur tanquam alienis. 

Das Maf von Speil und Trank und Schlaf, das die 
Natur zu ihrer Erhaltung bedarf, erquicet und ſtärket 
die Natur; was ihr aber über das Bedurfnif gereichet 
wird, drücket und ſchwächet die Natur. 


Non ad lusum aut nugas. 


Scherz und Spiel iſt nicht unſere — 


Conditi ad seria. 
Nüchternheit, Zerechtigkeit, und Gottſeligkeit iſt un— 
ſere Beſtimmung auf Erde. 


Morbos corporis, ne morbis animi curaveris. 
Menn fi der Kranke der Ungeduld, dem Kummer und 

der Verzagtheit überlaft: fo it es, als wollteer die Ge: 

brechen des Leibes mit Gebrechen der Seele heilen. Und 


das follt’ er nicht. ki 


30. Absint aremissionibuset refectionibus animi arro- 


gantia, contentio, rixa, invidia, cupiditas. 

Deine Erhohlung fey Erhohlung der geſchwächten Kräf⸗ 
te — zur Arbeit, alſo keine Erſchöpfung; ſey Stärkung 
zum Guten, alſo keine Entweihung der Seele Au Stoly ı 

Zanf, Neid, und Lüſternheit. 


31. Ne fel infundas in id mel, quod cupis esse quam 


duleissimum. 
Die Sünde verwandelt den Honig in Gift, bie Erhoh- 
lung in Zerrüttung. 


= 
J 


32. Vita, vigilia. 

& lange du ſchlaͤfſt, lebeſt du nit ; der Menſch le⸗ 
bet nur, wenner wachet. Lebe lange; denn unnöthiger 
Schlaf ift ein langer Tod, und tödter noch mehr, d. i. 
ſchwächet Leib und Seele. 


33. Hic ordo naturae inhomine, ut corpus —— ani- 
‚mo, animus menti, mens Deo. 
Das ift die rechte Ordnung in der menfchlichen Natur, 
‚daß der Leibdem Willen, ver Wille der Vernunft, die 
Vernunft Gott unterthänig jey. Heilige Ordnung, wo 
find ich dich! 
34. Nulla simolatio diuturna. 

Die Verftellung ift ein gewaltfamer Zuftand, unb was 
gewaltfam ift, dauert nicht lange. Wir werden der Schraus 
be, die unfer Herz preßt, müde, und werfen fie bald weg 
— und jede Verſtellung ift eine ſolche Schraube. 


35- Quo plura commendabis memoriae, hoc custodiet 
omnia fidelius. 
. Mebung erweitert die Gedachtnißkraft. Das Gedächt— 
niß — ein wunderbares Gefäß; je mehr du hineinlegeit, 
defto mehr Eann es behalten. 


36. Vinum memoriae mors. 
Der Bein zerrüttet das Gedächtniß — made ftupid. 


37. Semper illa tria homini meditanda: quomodobe- 
ne sapiat, bene dicat, bene agat. 
Das fey der Inhalt deines Nachſinnens: wie Fann ich 
recht denken, recht reden, recht handeln?! 
Diefe Rechts = Selehrfamfeit ift die vornehmfte. 


38. Cubitum iturus, lege aliquid dignum, quod memo- 
riae mandetur, et de quo salubre sit, per quietem 
somniare, ut etiam nocturnis visis discas, et fias 
melior. 

Lege dich nie fehlafen, außer in Geſellſchaft eines wür- | 
digen Gedanken ; vieleicht webt er fih in deinen Traum, 
und macht dich — auch traumend, weiſer. 


39. Amicus Dei, legibus Dei obtemperat. 
Gottes Freund thut Gottes Willen, und wer Gottes 
Willen thut, ift Gottes Freund. 


Sailers Sprüde. 4 


50 


; 40. 


41. 


42. 


44. 


45. 


Multi potuissent ad sapientiam pervenire, ni jam 
putassent se pervenisse, 

Mancher hatte noch in die Vorkammer, oder garin das 
geheimfte Gabinet der Weisheit Fommen Eönnen, wenn 
er nicht geglaubt hatte: ich bin fehon darin. Der Wahn, 
weiſe zu feyn, ift Thorheit, und macht noch) thorichter. 


Fortunae muneribus expleri, quid aliud quampe- 
ditem multis sarcinis obtui ? 

Zeitlihe Güter find für das Gemüth, das himmelan 
gebt, was ſchwere Gepäde für den ir 
den muthigen Fortgang. 


Praestantissima rerum universarum virtus , neque 
dono ab hominibus datur, neque accipitur ; idcir- 
co a Deo petenda. 

Menfhen Eönnen menfhliche Gaben geben: göttliche 
gibt nur Gott. Die Tugend ift ein göttlihber Sinn, 
und eben deßwegen eine gottliche Gabe. 


Amor nostri viriles enervat animos. 
Eigenliebe entnervt den Muth des Mannes, daß ihn 
Kleinigkeiten reißen, und Kleinigkeiten ſchrecken. 


Nec Daemones aliis suppliciis sunt miserrimi, quam 
superbia, invidia, odio, ira. 

Hoffart, Neid, Haß, Zorn — ſind für den Satan die 
Hölle der Hölle: ſie können alſo in dem he 


fein Paradies herftellen. 


Qui iratum se ad speculum vidit, non sine caussa 
dicituf se non agnovisse. 

Der Zorn verfinftert den Verſtand, empört die Neis 
gungen, vüttelt das Blut, verdreht das Auge, entftellt das 


Geſicht, erfhüttert den Körper, — wandelt den ganzen 


46. 


Menfhen in ein Ihier. Das Bild des Zornigen ift — 
Fein Menfchenbild mehr, — iſt das Bild ver thierifhen 
Muth, ift das Bild des Thieres in uns. 


Religionem Christi nosse perfecta est sapientia, 
juxta hanc vivere, perfecta virtus. 

Die Religion Chrifti Fennen, und die Religion Chriſti 
üben — das iſt die rechte Weisheit, und die rechte Zus, 
gend. 





a7. 


54 


Vita Christitestatur probitatemejus; miracula om- 
nipotentiam divinitatis, lex coelestem sapientiam. 

Das Leben Chriſti — ein Spiegel der Heiligkeit, die 
Wunder ein Spiegel der Allmacht, die Lehre ein Spiegel 


— derhimmlifhen Weisheit. Schau du ſtets in dieſen 


48. 


Spiegel, damit du in die Geſtalt der Weisheit und Hei— 


ligfeit verfläret werdeit. 
Px probitate accedit exemplum ad imitandum, ex 


»atıctoritate vis ad obediendum, ex sapientia fides 


ad credendum. 


Die Weisheit fordert Glauben, die Allmacht Gehor⸗ 
ſam, die Heiligkeit Nachahmung. SH 


49. Probitas amoremeliciat, majestas cultum, sapien- 


50. 


51. 


52. 


54. 


35° 


tia fidem. 

Es vereinigt fih in Chrifto die höchite Liebe, die hoch: 
fie Majeftät, und die höchſte Weisheit. Der Liebe gebührt 
Liebe, Anbethung der Majeſtät, Glaube der'Weisheit. 


Nemo vere novit, qui non sic vivit, ut novit, 

Wer die —— nicht a der kennet ſie nicht 
recht. 
Verus Dei eultus; animum in illius transfökmat 
simulacrum. — 

Die wahre Gottes Verehrung verklart uns in Gottes 
Geftalt — von Klarheit zur Klarheit, 
In divinis multo libentissime, 

Mer Gott liebt, bon keinen Umgang fo lieb — als mit 
Gott. 


Deus in ochlitissiings recessibus arbiter, testis, ju- 


- dex omnium, etiam cogitationum tuarum. 


Das Allergeheimſte lieg offen vor Gottes Auge a Er 
fieht Gedanken, forfhet Nieren, prüfet Herzen. 


De Deo.ne quid temere. 

Was du von Gott ſprichſt, ſey ein Wort der Anbethung 
und der Liebe. Ehre Ihn lieber mit Stillſchweigen, als 
mit einem Worte, das einem Gottesverehrer nicht ziemte. 
Sacris intersis attente, ac pie. 

Nice dein Körper bloß fey in der Kirche; auch. dein 
auch dein Verſtand fey da — und unterwerfe ſich der höch— 
ften Wahrpeit; auch dein Herz, und vor allen dein Herz 
fen da, und unterwerfe fich dev Ale Heiligkeit. 


52 


506. 


57. 


53: 


Nil exordire, non invocato prius numine. 

Dein Leben fey ein Buch, und der erfte, und der.mitts 
lere, und der legte Buchſtabe — fey Gott! 
Venerare divos, 

Verehre die Heiligen, denn fie find Gottes Freunde, 
und du ehreit Gott in ihnen. 


Cum oras, totus et animo etmente, et cogitatione 
et vultu in hoc sis, ut omnia secum consentiant, 
et excellentissime respondeant actioni. 

Wenn du betheft, fo fey — Herz und Veritand, und 
Mund und Geberde Ein Gebeth, Eine Handlung, die 
edelite des edeliten Theils ın der menſchlichen Natur, 


59. Nil verius datur Christo, quam quod egenis datur. 


as du um Ehriftuswillen den Armen gibit, das gibft 
du ihm felbft, und du Eannit Ihm eigentlich nichts geben ; 
(denn Er hat fhon Alles) ald was du Ihm ın ven Ar— 
men gibfl. . 


60, Si in Citharaedo turpe est, aliud ipsumore, aliud 


.61. 


62. 


fides ejus sonare, multo estturpius, cum Deo psal- 
limus, aliud linguam dicere, aliud animum cogi- 
tare. 

Wenn der Zithernfpieler anders fpielt, und anders fingt, 
fo its ein Mißlaut in unferm Ohr; denn es erwartet 
Einklang zwifchen Zithernlaus und Menfchenftimme. 
Wenn der Ton des Herzens mit dev Stimme des Bethen- 
den nicht harmonirt: ſo iſts Mißlaut in Gottes Ohr. 
Denn er will zuerft das Herz — und dann in Allem Harz 
monie des Herzens mit Wort und That. Ts 
Magistrum parentis loco habe. 

Ehre und liebe den Lehrer wie den Vater, denn er ver- 
tritt Batersitelle an dir. 
Sumturus cibum , recordare omnipotentiae Dei, 
qui omniacondidit, sapientiae ac benignitatis, qui 
ea sustinet, mansuetudinis etclementiae, quietiam 


inimicos suos pascit. | 

Wenn der Leib zu Tifche figt, fo denfe der Geift an Gott, 
deifen Allmacht alle Dinge erihaffen hat, deffen Güte und 
Weisheit alle Dinge erhält, deffen Liebe und Langmuth 


auch ſeine Feinde ſpeiſet. 





63. 


64. 


553 


Ad mensam sini omnia pura, sancta, qualis ille 
est, inter cujus munera versaris. 

Sen auch am Tiſche heilig, wie der * beiten Gaben 
du genießeft! 


Eum ne locum — in fratrem contamines, 
ubi tu largam Patris in te lenitatem percipis. 

Laß auch den armen Bruder miteſſen, denn fieh! du le— 
beft ja auch nur von der Freygebigkeit deines und feines 
Herrn. Sieh du nicht fheel auf den Bruder, wo unferd 
Vater Auge fo mild auf uns Alle blicket. 


65. Et fronset pectus crucis nota exterius muniendum, 


interius vero piis precibus et sanctis meditatıo- 
nıbus, & 

Bewaffne Stirn und Bruft — von aufen mit den Kreus 
jeszeichen, und von innen mit heiligem Gebethe und from— 
men Betrachtungen. Denn Ehriitus ftarb für uns Sün— 
der am Kreuze, und heilig ift ung das Zeichen feines To— 
des, und der lebendige Glaube an Son ift unfer ſtärk— 
fies Panier. 


66. Concordiam invexit Deus, discordiam diabolus. 


67. 


Eintracht Eommtvon Gott, Zwietracht von dem Teufel. 
Halt du es mit Gott, und halt es nicht mit dem Teufel. 


Longissimae et obscurissimae in animo humano 
latebrae: quae humana aciesin tantam oe 
penetrabit? 0 

Ein Abgrund ift das Menſchenherz: kein Menfchen: 
auge kann ihn durchgründen: Sieh, wo du fehen Fannft, 
und bitte um Licht, auch da zu fehen, wo du jegt noch nicht 
ſehen Eannft. 


68. Ama omnem hominem; quia si ipse indignus est, 


— ames, ama, quia Deus dignus, cui pareas. 

Liebe jeden. Menfchen — um Gottes ı willen ; denn wenn 
der Menfch deiner Liebe nicht ih ift, fo iſt Gott deines 
Gehorſams würdig. 


69. Netibisit turpe, fratrem illum habere, quem Deus 


non dedignatur filium. 
Wen Gott unter feine Kinder zählt, den foll der Menſch 
auch unter feine Brüder zählen, 


84 


yo. 


7: 


- 


72, 


74. 


75. 


77: 


78. 


Bellum,, quod verbum loquitur, ——— est, ⸗ 


ni necessitas necessarium reddat. 
Wenn der Krieg nicht Nothwehre ift, fo iſt er feine 
Sache für Menſchen, fondern für Thiere. 


'Misericordi misericordia. 


Berzeih deinem Mitknechte; denn fieh, du bedarfit Zi 
Verzeihung von deinem und feinem Herrn, und der vers 
zeiht, wie du verzeihft. 


Solem e mundo, qui amicitiam tollit. 
Die Welt ohne Sonne — das Leben ohne Freundfchaft. 


Duratura inter bonos duntaxat, amicitia. 
Nur die Freundfchaits » Bande, die die Tugend in der 
Zeit Enupfet, find unauflosbar — auch in der Emigfeit. 
i I 


Vita suspicacibus assidua mors. 


Argwohn zeuget Furcht, und Zurcht verwandelt das Le— 


ben in eın ftete3 Sterben. | 


Sit.tibi inter homines modestia, et moderatio in 
untverso COrpore, praecique in oculis acore toto, 

Eingejogenheit — gehe mit dir unter die Leute. Sie 
drücke dem Leibe — das Bild der ftillen, beitern , from— 
men Seele ein, und dieß Bild ftrahle bejonders aus dem 
Auge, und aus dem, ganzen Antlige! 


Solum humanae fäciei tegumentum decorum, mo« 
destia et verecundia. 

Das eine hiebliche Gewand — das dem, Angefichte des 
Menfchen ziemt, beißt: Scham und Modeſtie. — 


Risus non exeat in cachinum, multo minus in ir- 
risum. 

Sanft ift auch das Fachen des fanften Gemüthes. Die 
Tugend Fennt nur ein Lacheln ; das erſchükternde Lachen, 
und noch mehr das fpottende Lachen ift ihr durchaus fremde. 


Desperanda illius — quem desiit pudere ma- 
lefacere. 


Shamfofigfeit— bie unheilbarſte Seelenkrankheit. 


— — —— — — — 


79. 


80. 


81. 


82 


84» 


85. 


86. 


87. 


93 


Oculi quieti, manus ne gesticulatrices. 
Ruh’ im Auge, Milde in der Geberde, und Kunſtlo⸗ 
ſigkeit in der Bewegung der Hand. 


Seni adsurge, reveritus aetatem, rerum usum, et 
prudentiam. 

Ehre den Greifen, und in dem Greifen die Erfahrung, 
die Klugheit, und die Tugend, Krone — die grauen Haare. 


Neminem contemnito, non vultu, non verbo, non 
facto. 

Rein fey dein Blick, dein Wort, deine Geberde , und 
deine That — von Verachtung. Menn ein Menfh den 
Menſchen verachtet, ſo verachtet er den Schöpfer des Men— 
ſchen, und ſich im Menſchen; denn er iſt auch ein Menſch. 


Magistratibus honorem. 

Fürchte Gott, und ehre die Obrigkeit; denn alle obrig⸗ 
Feitliche Gewalt ift von Gott, und wer ihr widerfteht, wi— 
derfteht Gott. 


. Convicium convicio regerere, est lutum luto pur- 


are. 
Schimpfwort mit Schimpfwort erwiedern, heißt: 
fhwarzes Pech mit fhwarzem Peche weiß wafden. 


Minitari, muliercularum. 


Eitel Drohen — Weiber: Rache. 


Facundiam caninam ne exerceas. 
Bellen und Beifen — laß dem Geſchlechte der Hunde 
über. 


Nec sis nimius percunctator. 
Smmerfragen, und Nimmerweife werden — ſind ei- 
nerley. 


Rebus ostende te scire, non verbis. 
Die Worte zeugen nur, daß dudie Sprache; weife Tha— 
ten, daß du die Weisheit inne haft. 


88. Acrior semper in te judex, quam in alios. 


Strenge gegen dich, milde gegen Andere. 


80 
89. 


90. 


Ol. 


92: 


93- 


95: 


96 


” 


Laborat aliquando veritas, nunquam opprimitur. 
Die Nebel können die Sonne nur verdunfeln, aber nicht 


zernichten. Mancherley Drückungen leidet bie Wahrheit, 
aber Unterdrückung — leidet fie nicht. 


Mendacium ex homine diabolum facit. 


Lüge nicht ; denn der Satan ift der Vater der Lüge, 
und die Lügner find feine Kinder. 


Qui facile in seriis jurat, in jocis jurabit; qui in 
jocis, et in mendacio. 

Zuerſt ſchwört der Beichtfinn ohne Noth, dann aus 
Scherze, und endlich falfch. 


'Verum vero consentiens;- falsum nec vero nec 


falso. 
Wahres hängt mit Wahrem zufammen; Falſches we⸗ 
der mit Wahrem, noch mit Falſchem. 
Wo Wahrheit, da Einheit und Friede, 
Wo Füge, da Vielheit und Kriege. 
Crede te illi maxime carum, a quo amice repre- 
henderis, 
Wo dein Seind fchmeichelt, da ftraft dich dein Freund. 


Darum fey dir das Tadeln des Freundes werther, ald das 
Liebkoſen des Feindes. 


. Miserum illum, qui admonitorem, cum eget, non 


habet. 

Der Süngling obne Auffihe — ein unbandiges Pferd 
ohne Zaun umd Gebiß. Wehe dem Pferde, und dem 
Jünglinge aud) ! 


Ex bestiis maxime exitiabiles inter feras invidia, 
inter mansuetas adulatio. 

Die Naturgeſchichte theilt ihre Thiere in wilde und 
zahme, die Sistenlehre wuh. Das Schadlichite unter den 
Wilden heißt: Neid, unter den Zahmen: Schmeicheley. 


Mortuus num plus referes de fama, quam pictura 
Apelilis laudata ? 

Was bar das Gemählde des Appeles Davon, daf es die 
Kunſtkenner bis an die Sterne erheben? Gerade fo viel, 


als du im Sarge liegend — vom Menfchen + Lobe haben 
wirft, 





97. 


98. 


99. 


109. 


301. 


102. 


103. 


87 


Minores tecomem, majores reverentem, paresfa- 
cilem inveniant. 

Sedem das Seine, Ehre dem Höhern, Milde dem Nie: 
dern, Gefalligkeit deines Gleichen, Liebe Allen. 
Iram retinere atrocis, ignoscere generosi, benefa- 
cere divini animi. 

Rache nehmen ift thieriſch, verzeihen menfchlich. = groß- 
müthig, dem Feinde wohlthun göttlich. 


Eris in homines talis, qualem cupis Christum er- 
ga te. 9 

Wie du wünſcheſt, daß Chriſtus dir verzeihen, dir ge— 
ben ſoll: ſo gib und verzeih du Andern. Sey du Chri— 
ſtus-Bild gegen Andere, wie Chriſtus „Bild des Vaters“ 
gegen dich. 


Superbus mitibus discors, superbis multo magis. 
Der Hochmuth macht dich uneins mit dem Demüthigen, 
noch mehr mitdeu Hochmüthigen, am meiften mit dir felbft. 


Lex eorum, quibus pater est Adam, ut laborent, 
quibus mater Eva, ut adfligantur. _ 

Arbeit und Plage — unfer Erb: und Stamm: Gut auf 
Erde. 


Tanquam in acie armati. 


Es find fo viele Feinde um dich her, und in dir, daß 
du nie aus der Waffenrüftung treten darfft. 


Ut dies unus humanae vitae praeferendus estlon- 
gissimae aetati corvi, ita dies unus ex religione 
actus, hoc est, divinae vitae, toti aeternitati sine 
religione anteponendus. 


Ein Tag des Menfchen = Lebens gilt mehr als das laͤng⸗ 


fe Naben: Leben. So hat ein Tag des “göttlichen Le- 


304. 


bens mehr Werth, als eine ganze Ewigkeit ohne Religion, 
ohne göttliches Leben. 


Haec est vita aeterna, ut cognoscamus patrem, 
et quem misit, Jesum Christum. Hic est cursus 
absolutae sapientiae, cujus est primus gradus nos- 
se se, postremus nosse Deum. 

Die Erkenntniß des Waters, und feines Sohnes Zefu 


Chriſti, die unfer ganzes Weſen befeelet und neu fchaffet, 


iſt das rechte, ewige Leben, und der Inbegriff aller Weisheit; 
denn das iſt alle Weisheit — — fi) Eennen, und Gott, 


55 


105. Domini Jesu! accipe spiritum meum. 

Mit diefem Worte ftarb Stephanus, dasift, legte fei- 
nen Geift in die Hand feines Herren. Und der Herr 
nahm den Geift freundlich zu fih, derer zuvor durch himm⸗ 
Lifche Lehren, himmlifche Krafte, und heiße Leiden gerei— 
nigt hatte, Reinfter! reinige auch meinen Geift, damit 
ic) ihn einft getroft in deine Hand legen kann. 





59 


IV. 


Sententiae S, Martini Bracarensis Episcopi ad 
Mitonem Regem, 


Sprüche des heil. Bifhofs Martin von Bracar an den 
König Mito. 





I. No temutes, sed potius aptes tempori: sicut ma- 
nus eadem est, et cum in palmam extenditur, et 
cum in pugnum adstringitur, 

Laß die Zeit fih immer andern: nur bein guter Sinn 
ändere fich nicht. Füge dich in die Zeit, aber andere dich 
nit. Bleibt doc) die Hand auch immer diefelbe, fie mag 
fih zu einer Fauft ballen, oder zu einer Flache ausbreiten. 


12 


. Lauda parce, vitupera parcius. 
Sparfam im Loben, Earg im Tabdeln. 


‚58. Nil magnum in rebus humanis, nisi animus magna 
despiciens. 
Es iſt nichts Großes in dem Kreife menfchlicher Dinge, 
als das Gemüth des Menfchen, daß alle zeitliche Größe 
verſchmähen kann — in Anficht der ewigen. 


4. Ne Dominum velis esse notum adomo, sed domum 
a Domino. 
Fern fen die Pracht von deinem Haufe. Sey du felbft 
das befte Hausgerath in deinem Haufe. Das Haus neh— 
me feinen Ruhm von dir, du nicht vom Haufe. 


J 
5. Occultator virtutum, sicut alii vitiorum. 


Wirf du über deine Tugenden einen Schleyer, wie andere 
über ihre Lafter, 


60 


6. Tam sancta tibi sit in dicendo veritas, ut nihil in- 
tersit, affirmes an jures. 
So heilig fen dir die Wahrheit, ald wenn jedes Ja, je— 
bes Nein deines Mundes ein Eidfhwur ware. 


7. Bona consuetudo destruere debet, quod mala ex- 
struxit. 

Was du dir gegen Pflicht angewöhnet haft, deflen mußt 
du dich aus Pflidt wieder entwöhnen . . und dann wird 
die Aernte des Böſen durch die Aernte des Guten verdrängt 
werden. 


8. Non quam multis placeas, sed ut optimis, vide. 
Frage nie: gefalle ich Vielen, fondern immer: gefalle 
ich den Seiten? 


9. Oratorem teputa, sitibi anteomnes, quod opor- 
tet, persuaseris. 
Dann halte dich für einen guten Redner, wenn du zuerft 
did zum Rechtthun beredet halt. 


10. Maenarum virium est, negligere laedentem. 
Es gehört eine große Krart dazu — ſich wehethun zu 
laffen, ohne umzufehen, wer wehe thue. 


11. Monstro similis est avaritiasenum; quidenim stul- 
tius est, Quam via deficiente viaticum augere? 

Der Geiß im Greifenalter — ein Ebenteuer. Denn, 
wozu das Neifegeld vermehren wollen — am Ende der 
Reiſe? 


* 


12. Quid dulcius quam habere amicum, cum quo au- 
deas ut tecum, de omnibus loqui? 
— Mit wem du von allen Dingen fo freymüthig reden 
kannſt, wie mit dir ſelbſt, der iſt dein Freund — und 
was iſt lieblicher als einen ſolchen Freund haben? 


13. Nondum es felix, si te Ks nondum deriserit. 
Du bift noch nicht vecht glückſelig, fo Tange dich der 
Haufe Eennt, und noch nicht ausgezifcher hat. 





6 1. 


14. Non petas, quod negaturus esses, non neges, quod 
petiturus esses. 
Begehre nicht von Andern, was du an ihrer Stelle 
abfchlagen, und fchlage ihnen “Br ws was du an ihrer 
Stelle begehren würdeſt. 


15. Pacem cum hominibus, Bella cum vitiis, 
Friede — mit Menfchen. 
Krieg — mit Laſtern. 


16. Quae sunt maximae divitiae? non desiderare di- 
vıtıas. 

Der größte Reichthum des Menfchen — ift das Ger 
müth, das groß genug ift, Feinen Reichthum zu vers 
langen. 

ı7. Nullum conscium peccatorum tuorum magis timu- 
eris, quam temetipsum; alium potes effugere, te 
autem nunquam. 

Fürchte feinen Zeugen deiner Sünden fo fehr — als 
did ; denn Andern magft du entfliehen, aber dir kannſt 
du ewig nicht entfliehen. 


ı8. Quid est, dare beneficium ? Deum imitari, 
Wohtthun — beißt Gott nadhahmen. 


ı9. Dissensio ab alioincipiat, ate reconciliatio. 
Die Trennung fange von einem Andern — die Wie: 
derumarimung von dir an. 


20. Cunctis esto benignus, nemini blandus, paucis fa- 
miliaris, omnibus aequus, 
Die rechte Liebe ift gerecht gegen Alle, vertraut mit 
Wenigen, jehmeichlerifch gegen Keinen. 


2ı. Testimonium veritati, non amicitiae redde. 

Denn dein Freund ein anderes Zeugniß von dir for— 
dert, als die Wahrheit erlaubet: fo zeuge du für die 
Wahrheit, und zeuge nicht für deinen Freund. Denn 
das iſt dein Beruf auf Erde, ein Zeuge der Wahrheit zu 
feyn. 

. Locum tenet innocentiae proximum confessio. 

Der Unfhuld. gebührt die erſte Stelle; der Demuth, 
die ihre Schuld befennt, die zweyte. 


62 
23. Tran, dieturus es, antequam alũs, dixeris 
tibı 
Rede zuerſt mit dir ſelbſt, ehe du mit Andern zu reden 
beginnſt. 


24. Nullum putaveris locum sine teste. 
Ueberall wenigſtens Ein Zeuge; denn Gottes Auge ſi ſieht 
überall, und zeuget überall, warnet und ermahnet überall, 
belohnet und ſtrafet überall. 


J 


Syrüde. 
mit und ohne Gloſſe. 


— 


Zur 
Unterhaltung fuͤr die Edlen im Lande. 


Von 
J. M. Sailer, 





Dritte verbeſſerte Auflage. 


Bun 


Sprüche mit und ohne Gloſſen. 
"Erftes Hundert. 


Zweytes Hundert. 


Zugabe: Halbes Hundert. 





N 


BTuR.e ec DR. 


; t — m R 


N, Sprüche, die ich zundchft für einen: Eleinen Kreis bes 
flimmt, und im Jahre 1799. der Sreundfchaft in den Schoof 
gelegt hatte, und die jeßt das drittemahl an das: Tageslicht 
hervortreten, haben nicht alle die Kürze, die Fülle, und dag 
Schnelleund Sichertreffende, das den einfilbigen Bliß bezeich- 
net. Aber Wahrheit, und Elare Wahrheit, und eine Wahrheit, 
die Geift und Gemüth u leer laſſen — mer in allen 
Sprüchen feyn. 

Die Gloſſe iſt Stoffe ; * —* gern hier den 
druck eines Spruches verſtärken, dort den Sinn eines: andern 
beſtimmen, berichtigen, oder erweitern, oder was ſonſt die 
Gloſſe kann. 

Oft ſpricht der Menſch, oft ber a, am öfteften der 
Ehrift. Möchte nur alles, was der Menfch, der Bürger, der 
Chriſt fpricht, fo wie es den Charakter. der Wahrheit hat, 
auch den Accent der Wahrheit haben, der die Herzen 
öffnet, und die Geifter verwundet. 

Bald Fam der Spruch aus der Vormwelt, bald aus der 
Mitwelt, mandhmahl flieg er aus meiner Seele auf; doch 
eignet fich der Herausgeber auch das nicht zu, was ihm etwa 
die Rubrik jueignen dürfte. Denn, wenn bie Zunfen auch 

Sailers Sprüche. 5 


in ihm aufſprühten, wer gab ihm Kieſel und Stahl, und wer 
ſchlug an den Kiefel? : 

Die Mannigfaltigfeit der Sprüche ſchickt ſich vecht für 
das menfhliche Leben, in welchem Ereigniffe auf Ereigniſſe, 
Fluthen auf Fluchen ftoßen. ' 

Und, wenn Einheit darin iſt, ſo zeigt ſich auch hierin 
das Bild Gottes im Menſchen, dasin Allem die Ein: 
beit fuchet, und in feinem Originale: wohl audy findet. 

Hier und da ward nicht ſo faft Rückſicht, als Hinfiht 
auf unſere Zeit genommen; . denn mas. anders hätte der 
nahfte Blick in feiner Zeit. fehen Eönnen, als feine 
Zeit? Aber wie hölgern müßte der Zeitgenoſſe ſeyn, der in 
feimer Zeit nichts ie als Zeitliches, keinen Wiederftraht 
bes: Ewigen? 

Diefe RER RG zur ae für die Edlen 
‚im Lande beſtimmt. Wer gehört denn'aber unter die Edlen? 
Jeder der ſich durch Geift; und Leben erhebt über das Thier 
— im Thiere und im Menfchen. 





Sp ruͤche und. Stoffen, 


Erftes Hundert. | 

DIR auf Heerftraßen lagert fich die Wahrheit, — 

* Drum ſieht ſie ſo zertreten aus. 

5 2. — * 
Sein Schickſal bildet ſich der Menſch ſelbſt. 

* Und: feinen Menſchen bildet ſich das Schickſal. Se 
umarmen fih denn doch Frenheit, und Nothwen- 
digkeit, a J 

3. 
Schickſal iſt dem Weiſen, in feiner menſchlichen Spra- 


che, (und eine andere hat er nicht) unwandelbarer Wille der 
unwandelbaren Liebe. 


* Und dieſe Liebe iſt ſelbſt die höchſte Freyheit, und hat 
Reſpect für den freyen Willen des Menſchen, und will 
nur ein freyes Opfer von dem Freygebornen. 

4. 2640 

Erfahrung beſchneidet die üppigen Geſchoſſe des Be— 

griffes. 
* Und der Begriff ſtellet die Gewächſe der Erfahrung in 
Reihen, ordnet ſie nach dem Geſetze der Einheit, und 


bildet ſich daraus neue Entwürfe zu neuen Verſuchen, 
die neue Erfahrungen geben. 


63 


5. 


Weder die Erfahrung noch der Begriff heben die Nacht, 
die über der Tiefe des menſchlichen Bewußtſeyns hängt. 


* Die Nacht hebt ſich nur — wenn das Licht des Tages 
aufgegangen ift. Und das Tageslicht ift aufgegangen 
da, wo ſich der Menfch bewußt wird — Gottes i in Gott, 
und Gottes im Univerſum. 


HE. 
Innigkeit wuchert mit dem Kapital, Ausbreitung‘ mie 
den Zinfen. 
* Darum mwurzelt das Gute fo. feft in fi, um Eraftig 
zu wirken außer * 
u 
Es gibt, einen Tieffinn, der daneben gräbt. 
*und eine Einfalt, die den Himmel erobert. 
> No Br | 
GER S ‘ 8. EN 1 a 
Es ift ein Negale der Wahrheit, im Erliegen noch zu 
fiegen. 
* Und. die gerechte Strafe ber Bien noch im &iegen zu 
unterliegen. 


9. 
Dem Schatten der Tugend obidet nur der — ——— 
der Achtung. 
* Die Schattengröße zerfällt einſt ganz, und dann iſt 
auch der Schatten der Achtung dahin. 


10. 


Grohmuth als Schild vor dem Haufe, und Groß— 
muth als Sebietherinn im Haufe, find —— Son⸗ 
nen: eine gemahlte, und das Original. 


*Jene Teuchtet nicht und waͤrmet nicht, und belebet 
niicht: dieſe iſt Quelle des Lichtes, der Wärme, des Les 
bens. 


69 
11. 
Man Eann auf dem Katheder fitzen, ER in das a 
haus gehören. 
* Anders fetzen die Menſchen, anders die Wahrheit. 
—— 
Zaͤhle die Thaten, nicht die [hönen Worte. 


* Zaͤhle die Thaten nicht, fondern wäge fie. 
Wäge nicht den Leib der Thaten, fondern ben Geiſt 
der Liebe, aus dem ſie kommen. 


15. 
Unter allen iften find die gefährlicäften und zahlreich: 
ſten — die Eigenwilliften. 
ig Vieleicht Eam diefe einzige Secte bisher ungeftempelt 
durch, und ift doch, wo nicht die Secte aller Secten, 
doch in jeder Secte einheimifd. 


Selbft im Egoiften ift der Eigenwille der eigentliche 
Egoiſt. 


14. 


Wer den Bundesſinn nicht im Herzen hat, pl. die Bun 
desworte nicht in den Mund nehmen. 


* Denn er entweibet fie, und fie verdammen ihn. — 68 
iſt übrigens hier nur der göttliche Bund gemeint. Hebr. 
VIul. 10. 11. 

15. 


er die Lehre von der Zucht trennet, ober die Zucht 
von der Lehre, trennet, was Gott vereint. 


* Der erſte macht Schwaͤtzer ohne That, der zweyte Thaͤ⸗ 
ter ohne Geiſt. f 
16. 


Die eisheit hat Feine Geftalt in Gott, und mancher: 

ley Geftalten außer Gott. 
* Und, weil wir die Weisheit ohne Geftalt nicht fehen 
Eonnten, und fie doch von ung Menſchen gefehen, und 


geltebet feyn wollte, darum lief fie fi) in mandherley 
Geftalten, und in der Fülle der Zeit in Menfcpenge- 
ſtalt fehen. 


—8* 17. 


Dar Schatz liegt verborgen in der Tiefe des Ackers wer 
Alles daran gibt, um ihn zu finden, der —— am beſten 


*Er liegt verborgen, ber Geiſt im —— das Wort 
‚im Fleiſche, Gott im Menſchen, das —J der Welt in 
Ehriftus. 


18. 


‚Prüfen macht den demüthigen Forſcher wiffen, das 
Gute in Liebe thun — den Wilfenden weife, Weisheit den 
Zhätigen gottgefäl Llig, Öottgefälligkeit den Weifen gott- 
felig. 


* Darum bringe du alle Biere unter Einheit, aber nicht 
auf. dem Papiere, fondern in dir felber. 


1 0. 


Die Leiter des Himmels bat fieben Sproffen: 
1. Hören und prüfen, 

2. Prüfen und glauben, 

3. Glauben und Yieben, 

4. Lieben und thun, . 

5. Thun und Leiden, 

6. Leiden und Ötreiten, 

7. Streiten und Siegen bis zum Triumphe, bis zur 

Vollendung. 


= Denn iſt ber Sieg Triumph, und der Sieger vollen: 
det, jo bedarf er der Leiter nicht mehr. 


20. 


Die wahre Weisheit it in Gott, Eommt von Gott, 
führt zu Gott, und ruht in Gott. 


* Darum macht fie auch lauter Gottes Freunde, und wo 
fie einkehrt, da hat Gott Herberge genommen, 


%- 


21. 
ESott hat alle Schäge der Ewigkeit der Willenstreue ge⸗ 
gen Wahr.und Gut — in die Hand gelegt. —— 
* Darum bewache dieſe Fundgrube, wie dein Leben — 
und mehr als dein zeitliches Leben; denn ſie hat einen 

ewigen Werth, und wird das ewige Leben. 


22. 


Der gemeinfte Beweis von dein Daſeyn des Bro: 
tes, und der Speife iſt — der Hunger in allen thierifchen 
Naturen. aa 

* Non dem Seyn Gottes — der Hunger nach Shin, der 

fi in allen guten Gemüthern bewegt. Und: der Hun— 
ger ift weifer als viele Weife; denn er fragt nad) kei: 
nem Beweife, aveift zu und genießt. 


23. 


Die Wiffenfhaften haben den Beruf, Mütter gefunder 
Senntniffe, reiner Gefinnungen und edler Thaten zu werden. 


* Sind oft nur Spielwerke für uns Kinder — Puppen, 
die nicht gebaren können. 
24. 
Man fol die Weisheit nie in die Hoͤrſaͤle einfperren. 


* Man Eönnte e8 auch nicht, wenn man wollte; denn 
was fi) ganz einfpeeren ließe, ware nur Spinngewe- 
be — an ber Statue der Weisheit, nicht die Weis: 
beit felbft. 


25. 


Die falfche Münze erhäft ſich nicht ewig im Courfe ; ir- 
gend ein Münzmeifter entdecket, und fcheidet fie aus. 
* Und die ränfevolle Politik kommt früh oder fpat auf 


den Pranger. Die rechte Stunde, die nicht ausbleibt, 
das ift die Nemeſis, ftellt fie darauf. 


26. 
Der Maßftab der Engelwelt taugt nicht für unfere Mens 
ſchenwelt. 

*Außer als Ideal, und als Ideal mehr zur Schätzung 
unſers —* Erbes, als zur — *— unſers 
jetzigen Aufenthaltes. 

27. 


Die Geduld des ernften, gottvertrauenden Kaͤmpfers 
mit ſich ſelbſt, ift die höchfte Geduld. 


* Und diefe Gedufd mit ſich felbft gilt mehr vor Gott, 
als alle Thätigfeitsmanier in und aufer fi, und al: 
les Weltbaumeiftern im Sturmſchritte. 


28. 


Das Menſchenherz iſt ein Acer, auf dem immer etwas 
Unkraut unter dem Weigen, bis zur Aernde, mit fort wächſt. 


* Daran aber ift der Weisen unfhuldig; denn das Un— 
kraut wachft nicht aus dem Weigen, fondern unter 
dem Weitzen, aus der Zwifchenfaat des Feindes auf. 


29. 


Das Chriſtenthum lehrt und verheißt, bewirket und voll: 
endet die Vereinigung des Menſchen mit Gott. 


* Der Buch ſtabe des Chriſtenthums lehrt, und verheißt 
ſie; der Geiſt bes —5 bewirket und vollen- 
det fie. 


‚30. 


Dein Vaterland ift die-erfte Uebungsſchule, die bir die 
Providenz anweiſet. 


* Wehe dem Zöglinge, ber ihr ohne, bäheren Beruf aug 
der Schule lauft! Zweymahl wehe dem Baterlunde, 
das ſeine beſſern Zöglinge von ſich ſtößt! 


* 31, 
Die Sefege find Ketten für die unbandige Sinnlich— 
feit, die gebandiget feyn muß — und Flügel für den Geiſt, 
auf denen er fih in das Land der Wahrheit erfhwingt, 


73 
* Wenn einmahl: die Sinnlichkeit frey wird, indem fie 
alle Ketten abwirft, jo wird der Geift von ihr zu gleis 
cher Zeit in Eifen und Bande geſchlagen. 
en 32. | 
Die Schlafſucht iſt ein Worbothe des tödtlichen Schlages 
* Sm menfchlichen Leibe und im Staate, im Staate und 
in der Kirche. lee 
r 2 33. 

Die Wohlfahrt der Völker verdorrt in allen ihren 
Zweigen, wenn ihre Wurzel kränkelt, und ihre Hütherinn 
fhlummert. 

* Und ihre Wurzel heißt Gerechtigkeit; ihre Hütherinn, 

— 
34. 

Die Mauer nach der Bleyſchnur, und nicht die 
nach der Mauer. 
und doch wollen braufende Köpfe, und noch mehr gäh— 

vende Herzen die klare ewige Wahrheit nach fi bil- 

den ; da fie doch fi) nach der klaren, ewigen Wahrheit 
bilden follten. 


35. 


Das — das auch die höchſten Freuden der Erde 
zurück laſſen, beweiſet am meiſten wider den Werth dieſer 
Freuden. 


* Und am meiſten für den Adel des menſchlichen Geiſtes. 
| 36. * 
Nie gab es einen ſeligen Böſewicht. 


* Und kann Feinen geben, weil zweymahl zwey nothwen⸗ 
dig vier, und Unordnung nothwendig elend macht. 
37 
Der Ehriftenpfad gebt von dem Glauben durch Liebe 
zum Schauen — und führt ficher. 


* Der Unglaube träumt fich einen Pfad, der vom Wiſſen 
durch Wiffen zum Wiffen geben fol — und fommt we 


ra 


der zum Schauen, ‚noch zum Gfauben, weder zur Liebe, 
noch Kam & —J 


38. 


Den ——— im Menſchen beobachten, iſt greß; den 
Menſchen in ſich ſelbſt beobachten, das iſt größer. 


* Und dieſes Menſchen Bıößen mit feſtem Blicke an— 
ſchauen, und dieſen Anblick nicht verlieren, auch wenn 
man beſſer wird, das iſt das größte — in I dem Gebie: 
the der Beobachtungen. 


39. 
— Wer Wiffenfhaft und Kunft nicht ehret, ift.des Men: 
ſchenkopfes, der ihm auf.dem Rumpfe figt, nicht werth. 


* Wem aber Religion nicht die höchſte Wiffenfchaft, und 
die Kunſt aller Rune ift, der ift noch nicht „Men ch 
geworden. 


4 


40. 


‚Wer den Kopf zum Senfter hinaus auf den Marktplatz 
der Welt firecfet, dem erfcheint fie anders, als der fie nur aus 
ben Druckerpreſſen ftudiert. 

* Wie muß fie erft dem erfcheinen, der auf dem Markt: 

plaße felbit mitkauft, und mit verkauft, und ſich bey 
Kauf und VBerfauf, Zeit nimmt, den Markiplag, den 
Verkehr der Handelsleute, und [ich LER in Aue 
genſchein zu nehmen? 


41. 
Die ſich gern machen, und nicht von der Stelle 


wollen, die müffen als Würfel durch die Welt, und da bedarfs 
viel Stoßens und Werfens, bis fie hindurd, und am Siele 


find. 


* Einige werden durch mancherley Uebungen und Er- 
fahrungen, befonders durch Lei den zu Kugeln 
gegründet, und die 5 leicht u die Welt. 


* 42. 


"Wie: der. — ſch reiben, ſo lernet der — gut⸗ 
Ps, 


75 


* Durch Glaube an die Vorſchrift/ durch HSamdfuüh- 
rung des Meiſters, und durch Selbftübung — 
(treue. Nachbildung.) 

. ! ; ER 43. ' 
Deine Nerve ift nicht bein Geift, und dein Geiſt iſt nicht 
bein. Gott, und dein Gott iſt kein Gebilde deines Gedanken. 
* Traue alfo auch deinen frömmften Gefühlen nicht, 
‚bis fie ſich in Licht, Liebe und Leben verklären, 
fr 44, 
Hiernieden ift die Region des Werdeng, denn brüben 
Jiegt das Vaterland des Seyns, der Vollendung. 


* Zum Werden paßt die Pilgerfahrt des Glaubens, zur 
Vollendung das Daheimfeyn des Schauens. 


45. 


Eifet, lieben Kinder, von dem Getümmel der Eitelkeit, 
die nichts gibt, zum ftilen Genuffe dev Wahrheit, die Alles 
gibt — 


* Eilet von der Gtiefmutter zu eurer rechten Mutter 
beim: fo ruft auf allen Gaffen die rechte Mutter, vie 
Weisheit, die von oben ift, 
46. 
Das Morgenroth ift mehr werth, als die Nachtlampe, 
* Drum ſchlafe bey Naht, und fieh am frühen Morgen 
zur Arbeit auf. Doch, wenn Pflicht oder Begeifterung 


zum Wachen ruft, fo führt auch die Nachtlampe Gold 
um Munde. 


i 47. Rn 
Die Kirche iſt ein Vor: und Zwiſchengebäude zwiſchen der 
ewigen, und der zeitlichen Melt. 
* Ohne dieß Zwifchengebdude verldre ſich die ewige Welt 
aus unferm Auge, und die zeitliche ihre Bedeutung. 
: ji 48. 44 4 * 
Die Schminke des Helden iſt der Todesſchweiß, der ſeine 
Stirne netzt — im Kampfe für Wahrheit und Gerechtigkeit. 


76 


* Seine Anwartſchaft iſt die Krone, die für die Zeit 
zu ſchön, nur im Schooße der Ewigkeit ihre Herrlich- 
keit entfalten Fann... Für Zeitungshelden ift die pas 
pierne Krone gut genug — bis fie die Motte frißt. 


v 49. ’ 
Jede Selbſterhöhung trägt eine Erniedrigung deines 
Selbſtes im Hinterhalte. 
* Und fie rückt früher aus dem Hinterhalte hervor, als 
du waͤhnſt. 
6060. 
Die Weisheit des Lebens hat nur drey Worte: Was 
hernach? — wenn überlegt werden fol; Jetzt, nicht 


hernach — wenn gehandelt werben fell; nur vorwärts 
— wenn gehandelt ift. 


* Und dieſe drey Worte ſind da, wo Weisheit das Leben 
beherrſcht, nicht Worte, ſondern Thaten; denn Worte 
ſprechen kann auch der Thor. 
51. 
Richte dir taͤglich dein Sterbekiſſen zurecht. 
*Durch Reht:und Wohlthun, und durch Zuverſicht auf 


eine Liebe, die nicht ſterben kann, weil ſie ewig/ weil 
ſie Gott ſelber iſt. 


— 52. \ 

—— iſt nicht aus Gott. 

* Denn Gott iſt ein Geiſt, und ſucht Anbether, die ihn 
ohne Angſt, im Geiſte anbethen; iſt die Liebe, und 
— freye und en Geber. 

in 53. 

Die Sünde aller, falſchen Philoſophie ift vie Sünde, 

ſich Ideale zu ſchaffen. ie 

* Und im Brüten über die Ideale Feine Wahrheit gelten 


m‘ laſſen, als die fie felbft aus dem E des regierenden 
— nei DM: 


?@ 


54, 


Wer das Leben des Glaubens der Liebe, und der Zuver⸗ 
fiht Myftik, und Myſtik Unfinn nennen, hat eine neue 
Läfterung ‚der alten Wahrheit erfunden, 


-* Denn er verfetzert die Gottfeligkeit, und [hdn- 
det feine eigne Vernunft. 
55, 
Der Faden führt zum Knaͤul. 
Thu nur das Auge auf, um jenen nicht zu überfeben, 
und geb ihm fleißig nad, bis du diefen gefunden haft. 
| 50% 


Wenn man getrunken hat, fo — man dem innen 
ven Rüden zu. 


* Nur der Undankvare thut dieß, denn der Dankbare 
blickt fegnend zur Quelle auf; indem fein Mund aus 
dem Friſchen trinkt, und wendet die erneuerte Lebens- 
kraft zur Ehre der Quelle an— und dieß Ye der höch⸗ 
fte Dan. 


m 57. 

Gott if, wo er wirft, der Menfchengeift, wo er liebt. 
* Die Liebe gibt ung alfo auch eine Art Allgegenwart. 
Und: der Gottliebende — alſo in Gott, und ın 
ihın. 

3 y —— 
Gib Gott das Gute, der Hölle das Böſe zurüd. 

* Zenes durd Dank, diefes durch Widerftand. 

50. Ri 


Was dein Erankes Auge heilet, oder das Sefhiuffene zum 
Sehen aufſchließt, ift jo mohlthätig, als das Licht, das es 
erleuchtet. 


* Darum weifet ung das Evangelium an den Einen Era 
löſer, der zugleich das. Franke Geiftesauge heilet, 
das gefchloffene öffnet, und Licht zum Sehen ſchenket, 


\ 


60, 
Bekümmere dich nicht um das Patb im * PAR 
es ift der Schmelzer nabe.. 
* Auch Eommt das Gold im Ge ih um; was es 
° verliert, iſt nur Schlacke. a 
61. 
Noth und Tod thun lauter große Dinge. 


* Gott thut ‚große Dinge durch die Noth, und durch 

ſich. Durch die Noth, indem Er feime Hülfe anbahnt, 
durch ſich, indem Er Hülfe ſchafft; durch die Noth, 
indem ſie die gegebenen Kräfte zuſammenrafft, durch 
1) indem neue a — 


Die Klugheit 3* zwey Augen, Eines iſt bie : Sefhiäte, 
das Andere die Erfahrung. 


* Oft fiehe der Seher mit‘ —* Bogen den Schalf nicht, 
der’ in feinem Herzen ſchläft — Rue ſchläft, fondern 
hinter dem Vorhange lauert. 

| 65: 

"Die Were ift ein Theater, auf dem immer neue Schau: 

fpieler, auftreren, und lauter alte Luft: und Trauerfpiele auf: 


Rn in andern Kleidern, und mit andern Geberden.' 


Indeſſen find alle Schäufpiele, die hier gefpielt werden, 
das die mit fünf Aufzügen, nur der erite Act des grö— 
fern Schaufpiels, deſſen legter Acı noch im Schooße 
der EROBERN: liegt, ı und erſt da aufgeführt wird, 


64% 


Den Ziegen geben wir nicht Ziegen, fondern höhere 
Weſen, Menfhen zu Hirten: follen Menſchen nicht auch ein 
höheres Weſen zum Hirten haben? 


* Der Atheismus, d. i. die Thorheit, die im Herzen 
fprigt: es iſt Fein Gott, verwandelt alſo die 
Menſchengeſellſchaft in ‚eine Herde zweyfüßiger Thiere 
— ohne Hirten. 


79 
65. J 
Ehre den Finger Gottes, wo er ſich regt. 
* Die Wahrheit in jedem Laut von ihr, 
die Tugend in jeder Spur von ihr, 
die Lreberin jedein Funken von ihr, 
9 = Bott in jedem Worte Gottes. 
Ken nur Fleiſch und Blut zur Ehe treibt, der ehelichet 
auch gleich die Neue mit. 997 EM 
* Und das, was er mitehelihet, währt meifteng ſo lan⸗ 
ge, als die Ehe ſelbſt. 
67. 4 
Es hat Jeder feinen Stab, auf den er ſich ſtützt, 


der ihm wenigftens einmahl im Leben die Hand durch: 
bohrt, wenn es nicht der rechte Stab iſt. — Der rechte 
Stab ift Gott allein: wer auf Ihn fi) ſtützt, wanfer 
nicht, wenn aud Berge weihen. 9... 
Der Menfh kann fih vor Gott nicht verbergen, aber 
Gott vor ſich. | 

* Das Erfte kann der Menſch nit; weil Gott ein 
Licht ift, das Alles erleuchtet, und ein Auge, das Alles 
durchſchaut. Das Zweyte Fann der Menfch, weil er 

die Sinfternig mehr lieben Fann, als das Licht. 


69. 


Jedes Leiden iſt eine Leiter zum Himmelanfteigen, denn 
fie reiht wirklich von der Erde, auf der e8 geboren ward, big 
zum Hummel, in deſſen Segnungen e8 fich verliert. 

* Gern zöge ung der Vater zu fich, aber ber Fünfſinnen— 

menfch fieht in dem Leiden nur die Geißel, und fieht 
vor lauter Geißelfurcht die Leiter nicht. ac 


u 
760. 
Drey Jüng er folgten dem Herrn nach bis an den 
Olivenberg, einer bis auf Golgatha: der mit ihm am Kreu⸗ 
ze ſtürbe — mar Feiner. 


* Darum machte der große Sterbende am Kreuze noch 
einen feiner Mitgefreugigten zu feinem Zünger; damit 
doh Ein Jünger mit Ihm am Kreuze ftürbe. 

ER 
Entziehe dich auch der heiligften Flamme, wenn fie: be— 
ginnt, den Herd zu verbrennen. 
*Denn fie foll länger brennen, um des Nachbars willen, 


um deſſen willen, dem zu Ehre ſie brennet — und auch 
um deinetwillen. 


9 RE 
Wer fih mit ———— Augen der veidenſchaft anver⸗ 


traut, tragt unbewußt alle Brücken hinter ſich ab, und läßt 
nicht Ein Joch ſtehen — zur leichtern Rückkehr. 


* Er muß alſo entweder im fremden Lande erhungern, 
oder im Strome untergehen, wenn — nit eine h ö⸗ 
bere Hand rettet. 


73. ⸗ 


Ich verſtehe die Theorie des Bleihgersictes, alfe- = ich 
ein Ehiltänzer ein Fehlſchluß“, dem jedes Auge ſeinen Feh⸗ 
ler anſi eht. 

* Dieſen Fehlſchluß begehen die, welche durch die bloße 
Theorie des Guten, ohne ſonderliche Mühe, und ohne 
andere Hülfe gut werden wollen. Und dieſem Fehl— 
ſchluſſe ſehen Augen, die ſich die hellſten zu ſeyn er 
nen, ſeinen Fehler nicht an. 

Die — der jungen Weit gegen das Alterthum 
iſt Undanf gegen die Vorwelt, und eine Aufforderung an die 
Nachwelt, die ältere Welt an der jüngern zu rächen — durch 
ähnliche Intoleranz. 

* Richtet nicht, würde auch bier die Weisheit ſprechen; 


denn -wie du richteft, fo wirft du gerichtet werden. 
75. Der 


31 
75. 
Der harte, verſchloſſene Mann iſt, wie der Gott des 


Unglaubigen; geht nie aus ſeinem Dunkel heraus, erhört Fein 
Gebeth, und- laßt Feine Stimme von fi hören. 


* Sey du, wie der Gott der Ehrüten, offönbare dein 
göttliches Leben, thu Gutes, und erhöre das Flehen 
der Armen. ; 


x “or 


76. 
Wenn die Menfhen aus ihren Berhhäuien: Mörder 
gruben machen, und den Mörder vom iAnbeginn mit 


fih bineinnehmen : fo BB er mit ihnen, aud in ihren Beth 
haufern. 


*Und er gehört in die Bethhäuſer fo Weniag‘ als in den 
— des —— N 


— 7. 2) ai 
Der lite ift ein Mittelpunct, um den fich eine IR 
bes —— * die 208 Gute angiet, und 205 se zurück⸗ 
ſtößt . 


Es Pr gut in kcha Ebhlen wohnen, und ich mög: 
te mit Petrus darin eine Hütte Dada 


ALLTEITE "77 N BIER la R 
Wem ſich die. Mahrheit in, feinem Asniriee Spreigime 
mer verdeutfchet,. der kann viele Buͤcherſale entbepren, 


* Das nimmt aber den Buͤchern, und Bücherſaͤlen nichts 
an ihrem Werthe; denn gerade die beſten Bücher wei— 
fr in, Diefes Sprechzimmer, und machen: den Leſer ie 
big/ diefen Dolmetſch an nerllehen, ln ya 
‚near dont mas) #4 min 


79. 


Wes bie Weisheit nicht bindet, das, ii die Zhorheit 
bald auf. % 


* Oder eg fault, * freie — von A aus⸗ 
einander. 


Sailers Sprüche. 6 


80. 


‚Die falfhe Perle verlifht vor der Sterbeferze, die Ma: 
re blißet da erft recht ins Auge. 
* Alfo ift der Tod nicht nur der .befte Profeffor Mora: 
lium, fondern auch der befte Juwelier. 
1, 603 —— * 
Der Menſch, ein Amphibium zwiſchen Engel und Thier. 
* Wenn der Engel in der Hülle des Thieres ausgebildet 


worden, dann geht das Thier unter die Erde, und der 
Engel in ſeine — 


82. 


Un der: Schwelle des Heiligthums find drey Geſetze mit 
goldenen Buchſtaben eingegraben : 
1. Das wahre Wohlſeyn haftet nur im Innerſten. 
2. Gott nur gibt es. 
„3 DM, Menſch macht ſich deffen nur, fähig und werth. 
vr Wenn dieß an.der Schwelle des Heiligthumes, was 
muß darin, im Heiligthume felbft zu lefen, oder viele 
i mehr zu ſchauen, zu thun und zu genießen ſeyn? 
83. — 
Begriff und S Sinntichkeit, Verftand und —— die 
werden —2 Freunde. 
A; Denn fie Teben als gute Kameraden unter Einem Da- 
— und Bu mit einander Me — * 


84. 


— mu die Mage feyn, ION ie die’ Schioere ber 
. Körper richtig beftimmen kann; außer dem darfft du der Nei- 
gung des Züngleing nicht trauen. 


*So kommt das Gerechtſeyn vor dem Fehtſengen⸗ und 
das Gutſeyn vor dem Verbeſſern. 
—— ‚85. 


Wenn die Re im n Herjen aufgeht, fo bat fie die Re— 
gion des Kopfes bald durchgefchienen. 


65 


* Weil Eeine Nechte mehr von dem Herzen aufſteigen, 
und die des Kopfes bald weichen müffen, ſobald fie kei⸗ 
ne Berftärkung mehr. aus dem Herzen erhalten, 


86. 
Jeder Sokrates hat lag Bene: ; jebes Verdienft 
Wolken gegen fich. 


* Aber der OBERE R- Fann dem Sokrates, und die 
Wolken dem DBerdienfte nichts. anhaben. 


87. 


Fer die unermeßliche Liebe — Gott nad) dem Kleinen: 
Gefichtsfreife feines Auges mißt, der mißt die allerleuchtende 
Sonne nad) ihrem Strahlenbildchen in ſeinem Handringe. 


* Und diefes Gleichniß hinkt erfi noch gewaltia; denn 
was ift das Sonnenlicht gegen das Urlicht, die Sonne 
gegen den, der der Schöpfer aller Sonnen, und das 
Leben des Univerfums it? 


88. 


So lange Unfhuld und Tugend in und wohnen, fo Kir 
haben wir den Simmel in uns, 


* Sobald wir die Pfade der Qugend nur verlaffen wols 
len, fo entftebt in uns ein Fegefeuer; wenn wir 
fie aber wirklich verlaſſen haben, ſo iſt in uns die le: 
bendige Hölle neh 


ve: 


89. 
Gott will Anbether i im Geifte, und in der Wahrheit; der 
Geiſt fehlte unter Juden, die Wahrheit unter Heiden: dafam 
Chriſtus, und vereinigte Geift und Wahrheit in Einem. 


* Wenn Geift und Wahrheit die Seele des Chriften ik: 
fo müffen unter denen, die Ben beiffen, miele Su: 
ben und Heiden feyn. 


90. 


- Die menfhliche Vernunft hat das Ihre wohlgethan, wenn 
fie untenab die finnlihen Triebe beberrfcht, und obenauf zu 
Gott weifet, und fobald Gott den Mund aufthut, ſchweigen, 

horchen, und ſich belehren laſſen kann. 


J 


34 


* Wenn aber die Vernunft die fünf Sinne herrſchen läßt, 
und dafür Gott einen Plan der Üeltregierung vor: 
legt, und ſpricht: So muß es feyn, dann ift fie 
Unvernunft geworden... / 


91. 


ı Wenn das Unrecht der Welt Eoloffalifh wird, fo ftürgt 
ed von eigener Schmere aufammpn ;; und! diefes Zufammen- 
ſtürzen ift ein Vorſpiel des Weltgerichtes.* 


* Darum erlaube du dir Fein Unrecht, auch das geringite 
nicht. Denn es wird überfhnell ein Koloß, Und der 
Koloß zerdrückt fih und dic). ER 

N 92. ; 

} Sefus ftand. bey den Pharifaern auf der Lifte der Keger, 

bey den Sadduzäern in dem Regifter der Schwärmer, bey der 

Hofparthey unter der Rubrik dev Wolfsverführers Und Jeſus 

war doc) gerade das aͤußerſte Gegentheil von allem, was Irr— 

lehrer, Schwärmer und Volksverführer heiffen Fann. 


* Die Lifte, das Regifter, und bie Rubrik ift alfo er 
Vie Sache. 


MNichts, als die Hoͤllenfahrt der Selbfterfenntnig bahnt 
uns den Weg. zur Himmelfahrt der Gotteserkenntniß. 


* Man muß die Linie des Abfalls von Gott Vacetiſch | 
gemeffen haben, ehe man die Linie zur Wiedervereiniz 
gung mit — durchlaufen kann. 


944. — 
Ab eh ta bi iſt BSlödfinn, Shwärmerey — 
Wahnfinn — Fanatismus — Unfinn. = 


* Es gibt aber auch einen Unglauben, der Bloͤd⸗ 
Mahn: und Unfinn iſt, und für 


a I ’ 
Ho Sinn a wird. . 
Tief⸗ f | 3 


85 


95. 

Die Weisheit weifer von Außen nad Innen, 

von der Figur zur Wahrheit, vom Scheine zum Seyn, vom. 

Wiffen zum Thun, von der Vielheit zur Einheit, von dem 

Vergänglihen zum Unvergänglichen, von der Zeit zur Emwig- 
keit. 


* Aber nur den, der ſich weiſen läßt. 


96. 


Die Weisheit weifet nicht nur, ‚fie führe auch durd 
Kampf zum Siege, durh Glauben zum Schauen, dur Er— 
niedrigung zur Verherrlichung, durch Aufopferung um Genufe 
Te, durdy Sterben zum Leben. 


* Auch nur den, der fih führen Laßt. 


97: 
Die Wahrheit hat ein großes Tagewerk: zuerft erbellet 
und reiniget fie, dann ſtärket und erhöhet jie, endlich einiget 
und bejeliget fie. 
* Und eine Wahrheit, die die ſes kann, muß wohl die 
Wahrheit feyn, die Alles Eann ? 


9. 


Zreude theilt fih gern mit, und if fo ſchwer in * zu 
verſchließen, als Kummer. 


* Doch verſchüttet ſich der feinſte Saft bey Audgiepung 
des Herzens fehr leicht. 


99. 

Sm Schooße der Erde wachſen die Keime, belebet 
von der Sonne, und genähret vom Lebensfafte, der, wie 
der Licheftrahl, feine Kraft von Oben hat, und fein Werk un-> 
ſichtbar treibt, bis die Zrüchte gereifet find. 


*So wachſen alle Güter der Ewigkeit in der Mutter: 
erde des menfchlichen Herzens. 


86 


£ 100. 
Ein neuer fcharfer Effig von einem guten alten Weis 
ME — 


* ift der todte Buchltabe der Wahrheit — wenn ber 
Beift davon geflogen ift. Und wohl den Kindern des 
Tages, wenn der Buchftabe ohne Geift — nicht gar 
zum Schwerte wird, das fie tödtet! 


87 





Sprüde und Gloſſen. 





Zweytes Hundert. 


1.Beffer ift beffer. 


Säine Bildergalerien find Eöftlich: aber züchtige Sünglinge 
und ſchamhafte Töchter im Lande find Eöftlicher, als alle Bil— 
dergalerien aller Welt. 


* Dennder gute Menſch ift felbit das lebendige Bild 
des Guten; das fchönfte Gemählde — nur Schein des 
Scheines. 


2. Gut und Wohl. 


Was den Lauf der Tugend ſperrt, wird eine Hemmkette 
der Seligkeit. 


* Die Sünde iſt nicht nur der Freude; ſie iſt 
die Mutter alles Elends, des Todes und der Hölle. 


3. Der Böſe verfolgtden Guten. 


Sey du nur Daniel: die Löwengrube für ie — wird 
6) ſchon finden. 


* Und in der Löwengrube der Friede Gottes und feine 
Machthand. 


4. Gott rettet den VBerfolgten. 


Der Gerechte tritt aus der Cöwengrube — fo froh und 
heiter heraus, wie der Brautigam aus der Brautfammer ; 


* denn fein Gott war mit ihn. 
5. Nicht alle®uten fterben eines frühenTodes. 


Sn der Regel ſchneidet man die reifften Früchte am er= 
ften ein: aber nad) einer andern Pegel laͤßt man auch manche 
veife Staude zum Samentragen ſtehen. 


* 


88 * 
6. Schminke iſt nicht das Geſicht felbft. 


Firniß der Menſchenliebe iſt nicht ſie, die Göttliche 
ſelbſt. 


7. Schminke verderbt das Geſicht. 


Heucheley, die Menfchentiebe vorfpiegelt, wo fie nicht ift, 
macht die Seele noch häßlicher, als fie ohne Liebe ſchon war. 


8. Wahre Aufklärung - — wahres But. 


Mer das Licht laͤſtert, ift ein Sreund der Nacht, oder ein 
Kind, das nicht weiß, was es ‚hut. 


* Das Licht in der Kama iſt ein Schreckensbothe fiir den 


Dieb; denn es macht den Einbruch geräbrlig für ihn, 
und jetoit fein Leben unſicher. 


2 Falſche Aufkla ſrung — wahres eben, 


Wer — empfiehlt, oder durch Talglichter 
das große Tagsgeſtirn entbehrlich machen will, iſt ein Feind 
des Lichtes, oder ein Wahnſinniger, der zwiſchen Tag und 
Nacht keinen Unterſchied mehr zu machen weiß. 


10. Die Wohrheit bat mankerley Herbergen, 


Bey Einigen wohnt fein Gedaͤcht niſſe, beyAndern 
im Berftanpde, bey Wenigenim Herzen, bey den Wenig- 
ften im Herzen und im Leben. Die erften lernen, die 
zwepten Denken, die dritten Lie ben das Wahre, die vier- 
ten thun es auch. 


11. Es gibt noch etwas Befferes. 


Die Auserwählten befigen die Wahrheit nicht, fondern 
bie Wahrheit befiger fie — wohnt nicht nur in ihrem Verftan- 
de, Herzen und Leben, fondern iſt das Licht im Verſtande, 
die m. im Willen, die Röniginn im Leben. 


12. Meide den [leeren MWörterkram. 


Denn Wörter ohne Gedanken, und Gedanken ohne Wahr: 
heit find Schatten ohne Leiber, Leiber ohne Seelen. 


* Und Seelen ohne’ deit lebendigen Geift, der den Men: 
ſchen im Menſchen mad. 


89.. 
43. Der Zufammenbang, 


Das iſt die befte Schule, die uns zum Seyn umd, 
Leben, und das iſt das befte Senn. und Leben, dad 
und zum ewigen Seyn und Leben vorbereitet. 


* Denn Gste ift ſelbſt die Ewigkeit, und göttliches Leben 
ift das ewige Leben. 


14. Unfere Beftimmung. 


Der Menſch ift feinem höchſten Berufe nah Zur 
fhauer, Zeuge, Ausleger, Nachahmer der göttlie 
hen Weisheit, die fih ihm überall offenbarer. 


* Aber er Eann diefen Beruf nicht erfüllen, ehe ihm die 
Thorheit feines eigenen Herzens anfhaulich 
geworden, und er davon genefen ijt« " 


15. Entweder, Oder. 


Wer die unaufbellbare Finſterniß, die um die heilige Wahr⸗ 
beit umberliegt, aufhellen will, muß entweder unglaubig an 
das Licht, oder abergläubifd an die Finſterniß werden. 


* Dder den Aufhellungsverfuch aufgeben und glauben, 
wo er nicht ſehen, und anbethen lernen, wo er nicht 
durchſchauen kann. 


106. Nüuüchternheit. 


Unſer Wiſſen verhält ſich zu unſerm Nichtwiſſen wie dag 
Waſſer in unſerm Hausbrunnen zum Waſſer im Weltmeere, 
oder, wie das Licht in unſerer Nachtlampe zum Lichtmeere in 
der Sonne. 


* Wenn dich dieſe Betrachtung noch nicht nüchtern macht: 
ſo frage dich, wie ſich das Wiſſen in der Zeit zum Schauen 
in der Ewigkeit verhalte. Dieſe Frage ſoll dir den 
Rauſch vertreiben. En, ih 


17. Lerne feben. ' 
Ein gerader Blif auf die Natur, ein tiefer Blick in 
die Bibel, Tradition und Kirche, und ein demüthiger Blick in 
uns-mag viel Wahres einfehen. s 


* Viel Wahres. Denn das Wahre wird nur durch 
die Selbftoffenbarung des Wahren erfannt. 


9 
18. Die erfte Epoche unfers Studierens. 

Es währet lange, und Eoftet viel Mühe, bis die Köpfe 
der Studierenden fo recht in Die Tiefen der gelehrten Worte 
und Begriffe hinein Eommen. 
* Und Biele Eommen nicht hinein, denn fie Ereifen nur 

auf der Oberflache. 
19. Die zweyte Epoche. 

Es währt nochlänger, und Eoftet, wo nicht mehr Mühe, 
doch mehr Opfer und Selbſtſucht, bis die Köpfe aus dem Las 
Byrinthe der Worte und Begriffe wieder heraus, und zum 
eignen, freyen, hellen Unblicke der Wahrheit hindurch kom⸗ 
men. 

# Und es Eommen die Wenigften hindurch, denn die Mei— 
ften halten das Labyrinth für die Wahrheit“ 


20. Geſchichte der Wißbegierde. 

Es ift Teicht, die Wißbegierde zu reißen, ſchwer fie zu 
fixiren, noch fhwerer fie zu befriedigen, un möglich fiein 
ber Sättigungsfülle zu erhalten. ' 
ke + Wenn das Lettere bey einem Wiſſer wirklich eintreffe: 

fo wäre e8 Krankheit oder Traum oder Wahns 
ſinn. 
21. Das beſte Stärkungsmittel des Gedädt: 
niſſes. 
Was wir lieben, wird eins mit uns, und bleibt in 
uns; das Uebrige berührt nur die Oberfläche, und geht vorüber. 


* Darum liebe du die Wahrheit über Alles: dann vers 
giffeft du fie ewig nicht. 
22. Menſchliches Bild des Gdttliden. 


Allwiffenbeit it das Auge, Güte das Her, 
Wahrheit der Mund, Allmacht die Hand Gottes. — 
* Am beften ıft dieß Bild,da verftanden, wo der Verſte— 
bende —— Glaube, Zuverfidht, Liebe, An— 
bethung geworden. 


9 


— iſt beſſer, als das — a u s⸗ 
chöpfen. 


Der Hirt auf dem Felde, ein Menſch, erforſcht nicht die 
Rathſchlüſſe im Cabinette ſeines Fürſten, der auch Menſch iſt: 
und ich, Menſch, will Gottes Weltregierung ergründen? 


* Was der höchſte Regent feinen Freunden ſelbſt offen— 
bart, das verkünden feine Freun de, und glauben die 
Weiſen, und die Anbethung verliert nichts dabey. 


24. Eine Frage an Menſchen. 
” Wenn wir den Menfhen, den wir fehen], nicht lieben, 
wie werden wir Gott lieben, den wir nicht fehen ? 
25. Eine Frage an Chriften. 
Wenn wirden Chriſten, den wirfehen, nicht lieben, wie 
werden wir Ehriftum lieben, den wir nicht fehen ? 
26. Eine Frage an Menfdben und Ehriften. 


MWenn wir die Sprache des Gewiſſens, die ſich vernehm⸗ 
lich ankündet, nicht achten, wie. werden wir die leifſen Regun— 
gen des göttlichen Geiftes verftehen ? 


27. Der rn im Anblicke der Eisge- 
gebirge. 

So wenig ein Menfhenwort: Werdet fließend 

wie Wadhs, diefe Eismaffen fi ſchmelzen kann, ſo wenig kann 


mein Wort: Menſchen, werdet gut, die verdorbene Men— 
ſchenmaſſe gut machen. 


28. Anders ſpricht der Herr. 


Ein Wort aus Gottes Munde, und das Eisgebirge des 
Menſchenherzens iſt aufgethan. 


* Dann fließen die Thränen der Reue, dann beweget 
ſich Zuverſſicht, dann zündet ſich die Liebe an — 
und der Menſch iſt neugeboren. 


29. Der Engel im Staubgewande. 


Der Geiſt des Menſchen iſt ein Fremdling, den es ſtets 
nach dem Lichte ſeiner Heimath dürſtet, und der immer mit 
den Finſterniſſen ſeines hieſigen Wohnortes zu kämpfen hat — — 


92 


* Bis er das Staubgemand abgeftreifet, und; in, feiner 
Heimath — das Lichtgewand angezogen haben wird. 


| 30. Der Engel im Staubgewande, 


Der Geift des Menfchen ift ein Edler aus einem ‚guten 
Haufe, der nah dem Inhalte feines Stammbriefes, nur im 
Guten Ruhe fuhen fol, und nach dem Gewichte feiner Nei— 
gung, die Ruhe im Unedlen finden will. 


* Und darın Fann er die Ruhe nicht finden. Er darf 
fie alfo auch darin nicht finden wollen. Dieß Wol: 
len ift feine Sünde und fein Elend. Bon beyden 
frey macht ihn nur der Sohn des Haufes. 


31. Was gute Schützen made. 


Wer Muth genug hat, in allen ſeinen Handlungen auf 
ben rechten Punct zu zielen, bat auch Gegen genug, den rech— 
ten Punct zu treffen. 


* Denn hier iſt gezielt und getroffen Eines. 


32. Bier Dinge, die der reife Schriftfteller 
weiß. _ t 

Der ſeltene Mann weiß, wo er ſteht; weiß, daß der Bo« 
den unter ihm feſt iſt; weiß, was er auf den feſten Boden 
bauen will, und weiß, daß, wenn Andere ſtünden, wo er ſteht, 
und bauen wollten, was er will, ſie feſtſtünden, und nicht ver— 
lieren könnten — nur gewinnen müßten — in allen ihren 
Bauten. | 


35: Die zwey Geſchwiſter. 
Unwiffenheit fchlaft unbewaffnet unter einem Baume, 
im Sande, wo es Räuber gibt: Irrthum lauft dem Srelichte 
nad), und thus Niefenfchritte — aber in Morafte. 
* Heil dem, der die Schlafende wecet, undden Sin— 
kenden aus den Sümpfen auf die feſte Bahn zurück— 
| 34. Bon Gott — zu Gott. 


Das Band der edlen Freundſchaft geht von Gott aus, 
und aufdie Erde herab; bindet da feine Kinder zufammen ; acht 


* 


93 


wieder heim, Enüpft fie alle noch fefter an Gott, und halt fie 
dafelbft ewig unter ſich, und mit Gott vereint, 


* Das ift Sinn und Geift der Kirche Chriffi. 


35. Necept: wiemanam fiherften ein großer 
Mann werden ann. 


Thu Gutes wie. ein Mann, und laf dich laͤſtern wie ein 

Held, und der Zeiten Strom,..oder vielmehr die ftromlenfende 
Allmacht wird di) groß machen in der Zeit, daß du als 
groß leu hteft, wenigftens außer dem —* der Zeit; 
in dem Hafen der Ewigkeit. 


36. Diev Schwerter auf — Zunge. 


Der Verleumder verwundet ſein eigenes Gewiſſen, 
die Ehre des Unſchuldigen, dener läſtert, und das Ge— 
wiſſen des En en, den er zum Mitlaͤſtern verführet 


37. Des Chriften Sinn und Sprade. 


Mein Re — gottfelig: und genügfam feyn; 

Mein Ruhm — der Herr, der mich gerecht macht, und ges 
recht ſpricht; 

BAR Mahtı— das Gebeth voll Zuverfiht und Erge⸗ 
ung; 

Mein Erbe — der Himmel; 

Mein Ein und Alles— der im Himmel wohnt, und 

Alles in Allem ſeyn wird. 


58. Der Spiegel ohne Falſch. 


Der Menfch, fich ſelbſt gelaffen, ift oder wird gar bald 
eine: Eleine Welt, voll Angenlug ai und Hoffart des 
Menfchen. 


* Diefe "Heine Melt ift aber nie erfchaffen von Gstt; 
fie ift in die Schöpfung Gottes auf andern Wegen erft 
neben eingekommen. 


59. Die Demuth des Philoſophen. 


Wo mich das geringe Licht, das in mirleuchtet, im _ 
Dunfel läßt, da folgeich dankbar dem höhern, das mid im 
Lande der Dämmerung beſuchet. 


* Denn dieſes ift Geſchenk, wie jenes. 


94 
40. Der Stolz des Philoſophanten. 


©ott Fann mir nichts offenbaren, ald was meine Ver: 
nunft controflliren fann. 


* Die Gloſſe fteht Nr. 41. 


\ 


41. Der Unfinn des Bettlers. 


Der reihfte Mann im Lande Eann mir nichts geben, 
was nicht fhon indem HIEDIEN Ak meiner Habe als vorraͤ⸗ 
thig bezeichnet ift. 


42. Das Buch an feinen Rezenfenten. 


Die Meiften rihten mich nach fih — die Wenigften nach 
mir: wer richtet mich denn nach der W abrheit? 


45. Sep nit blind gegen die Elare Schrift des 
Menſchengeſichtes; denn 


Der Finger der Wahrheit hat dem Menſchen ſein Atte— 
ſtat in das Geſicht geſchrieben: dem, der die Hand I 
Wahrheit lefen Eann! 


44. Traue nicht jedem ng 
zuge; denn 
Der fchlechtefte Menfch kann ſich ein gutes Schild von 


dem Hofmahler mahlen laffen, und aushängen — auf einige 
IUTER: 


45. Das Gewiſſe. 


Da, wo der Menſch nicht Zeit hat ſich zu verſtellen, und 
aus dem Herzen handelt, ſpricht, oder auch nur drein ſieht: 
da iſt es Wahrheit, was ſeine Zunge, feine That, fein Ge— 
fit fpreden. | 

46. Menſch, ſey kein Affe! 

Nach ⸗gelallt, ift kindiſch, 

Nach-gekünſtelt, iſt höfiſch, 

Nach-gezwungen, iſt knechtiſch, 

Nach-gebethet, iſt ſclaviſch. 





98 
47. Sey wahr im Auge der Wahrheit! 
Der höchften Wahrheit gefällt das unreine Opfer ber 
Lüge nicht; gefällt ihr in Feiner Sache: aber in Sachen der 
Religion ift es ihr ein Gräuel aller Gräuel. 
48. Auch die Lügen der Politik find Lügen. 
So wenig der gefunde Leib einer Arzney, fo wenig be 
darf eine gerechte, weife Regierung der falfchen Politik. 
* nd wie die unnöthigen Arzneyen den gefunden Leib 
krank machen: fo die Lügen der Politik den Staat. 
49. Der Unterfdied. 
Shen ift die Mythe, die den höchften Ring der Natür- 
Fette unten am Throne des Jupiters anſchließt; ſchöner noch 
das Evangelium Chrifti, das alle Ringe der Naturkette nie= 
derleget in die Hand des Vaters, die ſich nur nad) dem Gebe: 
the der heiligen Liebe beweget. 


50. Geift und Bemüth. 


Die Erforfchung der Natur gewährt ihren Eingemeihten 
ein demüthiges, und ein anbethendes Wiffen ; ein demüthiges 
in Hinfiht auf Natur, die für die höchſte Wiffenfchaft noch 
genug Geheimniffe übrig behält; ein anbethendes in Hinficht 
auf Gott, der das Leben alles Lebens, alfo aub der Na 
tur iſt. 

51. 

Jede Secte hat als Secte das Succeſſionspulver im 
Leibe. | 

* Und hat es gleich bey ihrem Entftehen eingenommen. 

| 52. 

Alle enge und ftrenge, Gemüthsgeftalt bindet den 
freyen, und hemmt den milden Ginndes Evangeliums 
in ung, und außer uns. 

* Denn, wo der Geift des Herrn, da ift Freyheit. 

J 53. 
Wo der Geiſt des Herrn, da iſt Freyheit. 
* Aber des Geiſtes, nicht des Fleiſches. 


54, 
"Führe deine Brüder zu ihrem Vater durch Daritellung 
des Wahren, * 
* Denn das Lehren bauet viel. 
55. 
Führe deine Brüder zu ihrem Vater durch das Voran— 
gehen im Guten. 
0% Denn das Leben bauet noch mehr. 


56. 
Führe deine Brüder zu ihrem Vater durch Fürbitte, 
um alles Wahre und Gute. 


* Denn dad Gebeth bauet da, wo Lehre und Les 
ben nicht bauen. konnten. 


57. 


Führe beine Brider zu ihrem Vater — durch Wach— 
ſamkeit. 


* Denn das wachende Auge hilft bewahren, was 
Kane Leben und Geber) gebauet haben. 


58. 
pr die Menfgen durch Liebe zur Liebe. 


* Denn die Liebe baut und bewahret das Wahre und 

Gute durch Lehre, Leben, Gebeth, Wachſam— 
 Beit, und durch taufend andere Erfindungen ihres uns 

re Genius. 


50. 
Chriftus im Herzen, und das Kreuz auf dem Rücken ! 
* Das ift der Wahlfpruh des Geduldigen: Chriftus 
im Herzen macht das belaftete Herz leichter, und die 
aftene eg geringer. 
-60. 


Der Slaubean Gott ift das Ohr, dasauffeine Stim- 
me borchet, das Auge, das auf feine Winke ſchaut, die 3 un⸗ 
ge, die ſeine Wunder verkündet, die Hand, die feine Befeh⸗ 
le ausrichtet, die Schulter, die ſeine Vurde tragt. 

* Und 





x 


€ 
FE 


“ Und das Herz, daß ſi pi in Liebe allen feinen Züprun- 
gen unterwirft. 


m 


4 5 * 5%, 
is Eu Ar ! EN 
61. { RW, 


FR 
Wenn du alle Bänder und Meere — Weitipeie n nur 
auf. der: Land: und Seekarte haſt; ſo haſt du von an Rändern 
und Meeren — nichts. Bar mariasdr 


* Wenn du alle Religion, Zugend, Weisheit und Se⸗ 
ugkeit nur auf der Landkarte deines Denkens baftj: fo 
haft du von alter Religion, Tugend, — und Se: 
— — we 3 

62% J 182 13 $ 

Fleiſch zeuget PETE der Verſtand Bari bie Phan⸗ 

taſie Ideale, die Vernunft Ideen. 

* Gottes Geiſt geiſtige Menſchen. 

rg — 


Es gibt noch Menſchen, die wie. Maria glauben, wie 
Simeon hoffen, und wie‘ Johaunes heben. nme moon 


* Denn dag Gute ſtirbt/ auch im Rande EN Bo nicht 
aus. + 2 N} 13H sn 


64. 


Es gibt noch Larven der Vernunft ohne Vernunft, dar⸗ 
ven der Heiligkeit ohne Beiligkeit, Larven dei Bröptig eit opne 
innere Sreude und Freudefaͤhigkeit. 


„.* Denn die drey unedlen G eſchlechter ber PR 
zäer, Pharifäer und Epikureer:find leider! 
auch noch nicht ausgeftorben, und fterben fo bald nicht 
aus. . 


DUBTET EHE 


H 65 


hd 


* — dieſe A on fan mich vor: — 
des Schwindels nicht — noch weniger dem wir 
lichen in mir befiegen."- 

Sailers Sprüche. 7 


90 
EN. ‚66. * 
Das Geſetz gebeut mir klar und beſtimmt: fülle die Kluft 
aus, die zwiſchen dir und dem Guten liegt. 
* Aber das Geſetz allein gibt mir weder Kraft noch Muth, 
Vie Kluft wirklich auszufüllen. Das Gefeg ift alfo auch 
eine Art Demonftration wie Nr. 65. — 
Ein anderes iſt Vernunft-Licht, und ein anderes Ver: 
nunft: Wahn. 
* Den Vernunft: Wa hnmuß ich offenbar gefangen neb- 
. men, um das Vernunft-Licht in mir ungehinderg 
leuchten zu laſſen. 2 


— 


Gt 


’ « 
— is 


BIETET TE un ' ‘ ‚ 
Ein anderes ift das Licht meiner Vernunft, und ein ans 
deres das Licht — der höchften Vernunft — Gottes. 
* Wenn ih nun den Bernunftwahn fon gefangen neh- 
men muß, um das Licht meinen Bernunft in mir leuch⸗ 
teen zu.laffen: werde ich nicht auch denfelben Vernunfts 
wahn gefangen nehmen müſſen, um das höhere Licht 
Gottes in mir leuchten zu laſſen? 
. irren? ar, | * 69. . h . . 8 
Das Evangelium ohne Leiden gehört für den Himmel; 
das Leiden ohne Evangelium für die Hölle; das Evangelium 
mit Leiden hierher auf die Erde — i 
* Unfer Evangelium ift.alfo ohne die Paßion nicht ganz. 
na u BEE 


76. 
Zür böſe Menſchen find Leiden eine unſichtbare Ge— 
walt, die ſie nahe am Rande des Abgrundes niederwirft, daß 
ſie die Augen aufthun, ehe ſie hinunterſtürzen. 
und umkehren, ehe fie — drunten liegen. 
| 71. tnäsd, 
gFur gute Menfchen find-Leiden ein Verh au mitD or: 
nen, den die Liebe gemacht. hat; damit ihre Lieblinge ſich nicht 
mehr fo leicht aus dem Mutterſchooße verlaufen. ' 


i 99 
* Und wer ift fo feft im Guten, daß er diefer Verzaͤunung, 
bier im Lande der Verirrungen, nicht mehr bedünfe ? 
N  i 
Auch die Geiftesiwiege, der‘ Leib, fey dir heilig! 
* Um des Zöglings, der darin erzogen wird, um deſ— 
fen, der ihn hineingelegt hat, und um dr Nach barn 


wegen, die den Zögling ohne Wiege 38 anfaſſen 
koͤnnten. 


73. 


Se ich Beulen im Antlige der Wahrheit, deſto mehr 
Reitze Für ihren Sreund, der fie am Königsblicke erkennt. 


* Er möhte ſie gern auch für die lieben, Bei ſie ge⸗ 
ſchlagen haben. 


z4. 


Der Atheismus iſt im Felde der —— was die Anar⸗ 
chie im Felde der Politik. 


* Jener ſetzt die blinde Nothwendigkeit auf den Thron, 
dieſe die blinde Rat; beyde wollen feinen Res 
genten haben. 


75. 
Der Menfch ift Gottes. 


* Darum, wenn er fich ſelbſt fucht, faͤllt er von dem ab, 
deſſen er iſt. 


76. 
Sammle die Broſamen. — 


* Denn ſie werden einſt zum Brothauſe für Dürftige. _ 
Vielleicht für dich felber, und die Don. 


77. 
Auch auf mag geht es, bey edlen om dem 
Himmel zu. 
* Und gerade auf Holzwegen am ſicherſten. 


7% 


109 
J | 

Unfer Baumeiſter ift Chriftus, ſpricht der Chriſt. 

* Denn er baut zuerft der Wahrheit eine Wohnung im 
Menſchen, und hernach dem Menfchen eine Wohnung 
in feiner Herrlichkeit. 

79 

Ein Gemädht ſprach zum Töpfer: du haſt mih nicht 
gemacht; ein zweytes: du fiebft mich nicht; ein drit- 
tes: warum haft du mi fo gemacht? n 

* Das erfte fagt der Gottesldugner, das zweyte ber Sun: 
der in geheim, das dritte, der Gottes Wege meiftert. 

80. | 
Alles ift Elar für den Menfchen, wenn Alles rein ift im 
Menſchen. 

* Dieß kann der Gute in der Zeit ahnen, der Reine in 

der Ewigkeit erfahren. 
Bar 81. 

Der Brief, den dir dein Freund vor Fahren fchrieb, wird 
eine Reliquie für dein Herz, fo bald du feinen Tod inne 
wirft. J— 

* Und die Reliquie ehreſt du herüben — bis zum Wie— 

derſehen drüben. 

82. 

Es wird auch dieſer Sturm vorüberſtürmen. 

* Denn unſer Gott ſchläft nicht, und hat auch für den 
Sturm ein Machtwort, das Stille gebeut, und ſpricht 
ed aus — zu feiner Zeit. 

; 83. 

Der Geiß ift hinter dem Gelde, wie der Jäger hinter 

* Aber die Hoͤlle mit allen ihren Wehen ift auch hinter 
dein Geiße, wie der Jäger hinter dem Wilde. 


64. 


Vergäangliches muß vergehen, damit das Unvergäng» 
liche feine Unvergänglichkeit darthun kann. 


* Das iſt die Aufſchrift an der Tafel der Ewigkeit über 
alle Ruinen der Zeit. 


85. 


Die Wahrheit ift der * und wer ſie Pi muß zum 
Kerne durchdringen. 


* Aber um manchen ih liegen fo viele und dichte Scha⸗ 
len herum, daß fich viele die Zähne ausbeiffen , ehe fie 
zum Kerne kommen. 


86. 
Die Erde ift Gottes Pflanzftätte für den Himmel. 
* Und der Himmel Säugame für die Erbe. 
N ar | 
Seder Goliath findet feinen David — zu feiner Zeit. 
* Und an feinem Orte, denn oftift auch da ein Goliath, 
wo wir den David fuchen. 
/ 88. sn 
Reichthum an fi, — verdammt Eeinen Befißer. 


* Denn Gott ift ja der allerreichfte, und hat felbft die 
größten Reichthümer in feine drey Neiche, der Natur, 
der Sittlichkeit, der Seligkeit — gelegt. 


89. 
Viele Schaͤtze, 
Diele Nege — 
* Kür die Begierde, die darn ach geitzet, fih davon 
fangen laßt, daran hängen bleibt, und darin flirbt. 
90. 
Wenn der Reiche arm wird, fo bat er weiter nichts als 
den Kamehl- Rüden verloren. — 


* Kann defto leichter durch das Nadelöhr hindurch kom⸗ 
men — wenn er will. Denn die Armuch bat oft 


02 


einen Kamehl-Rücken anderer Art, da, wo der Wille 
fih nad) gottlofen Selbſthülfen ausftreekt. 
Le ran ine 
ai Prozeſſe ſind das Waſſer, das den Abvocaten ihre Mühle 
veibt 


* Und das Waffer, das das Kabı bes Eigennuges treibt, 
kommt meiſtens auch aus der Quelle des Eigennutzes. 
92. 


——— ſind —— Medhdethe * ſich 
daran. 


* Oft wird die Stange * dem Scwtdenker — * — 


Bit Ungefehenen — die er noch dazu für Machbecher 
alt, 


- — 
Beſſer mit der Hand an ſeine Bruſt ſchlagen, als mit 
dem Finger auf Andere deuten. 


* Denn vein Fingerdeuten beffert in BER ER: und 
verſchlimmert in Dir Vieles. - 
04: . 
Ausgeblafene Kerzen —* ug, 0b fie gleich nimmer 


leuchten. — 


* Dein € EN — fie auf 4 so dem @uten, 
wo. du ai "ib mehr. — 


05. 


Wo alle —— kurz, da er Gottes Hand * 
lang genug. 


* Und ſie langt ſchon hervor aus der Wolke — es fehlt 
nur nod die Glaubenshand, die fie anfapte! 
f 1 96. 3 ’ 


Die Kleider find nätzlihe Decken dem Weifen, 
Kaufwaare dem Krämer, anielneuge b dein Kinde, Eis 
telfeitsfram dem Thoren. 


* Das find die Fäne und eiesen — den Menſchen. 


' 


— 


105. 


— — ———, — 


Das an kommt nicht, um — zu Blei 
ben, fondern um Zag zu machen. 

* Die Erkenntniffe der Zeit ſind nicht da, um zu bleiben, 
ſondern um dem vollen Tage der Ewigkeit Platz zu ma⸗ 
chen. 

gps 
Die Pinjelftriche kommen nicht auf die Leinwand, um 
einzelne Striche zu bleiben, fondern um ein ganzes Gemählde 
zu maden. 
* Die Tugendkeime ſproſſen im Menſchen nicht, um Kei⸗ 
„me zu bleiben, fondern, um die Tugend: —— —* 
N se zu mahen, 
+ — rg; — 
Das ſind die —— Schriftleſer, die ih * Sen der 
verwandelt werden. 
* Denn’ der Zweck der "Bulchftaben: Schrift ift, aus ben 
Menſchen sr — bes altes 
u —— J 
uch eg 1) Ver It; ü 
— Friede, dreude — in F 
Eommen von Gott; RT 2 
kommen durch Chriftus ; 
wurzeln im Innerſten des Menſchen; 
blühen im Innern und im RR 
reifen bier; 
werden vollendet dort: 


* Der befte Wein am Ende. 





allg Ares an — —— ic 
bar at A 
2 mr 8 u; 8 a * —— 
133 N RER TEE Klubs nnd in 


Brofamen. 
ar Ein Datbe Hundert kleiner 53 


tod) c { 73 ar as 
EN 


* 
1985690 ? 
— — na 


Rn Re 4 PO ⸗ Menſchen. —J * 


Mi ‚ Teenie der Hausrater vor ber ! Yäusthlir ſtehend, fi ch 
von Morgen gegen Abend, und von Abend gegen Motgen um⸗ 
wendet, und infein Haus geht/ und ſich nieberlegt: fo ift das Ler 
ben aha er ſieht ſich um in der Welt, legt 1 nie= 


der — und 


>» 


Moden u 2, Eine unbekannte Sünde. N a > * 


Waer das geſunde Gefühl des Wahren, Guten, Schö— 
nen durch ein Idol der Vernunft, hinter das ſich die Seldft- 
fucht verſteckt, chikaniret: der pefinbiget fih am Wahren, Su: 
ten, Schönen — wenn gleich ie ganze aelehrte ni den 
Sünder und fein Idol dafür aufiden Altar ſetzte. 


Br Bothſchafter. nur tig; sit 


Wenn Gott, der Hert, ſich zur Hülfe aufmacht, ſo ‚ge: 
ben ihm zwey Engel voran, und zwey nach: jene heißen Des 
muth und Vertrauen; diefe Dank, daß er. half, und 
beilige Sucht, daß wir fein Auge nicht beleidigen. 


4. Auch ein Mepertorium. 


Haft du den Frieden indir verloren: io imache geſchwind 
wieder — ſeine Stelle in deinem Herzen rein; und ſieh! er 
kommt und nimmt ſie wieder ein. 


5. Ein Rath, brauchbar in jedem Falle. 


Haſt du den Sinn der Kinder Gottes lebendig in dir, 
ſo ſetze dich an ihre Tafel, und iß dich ſatt: wo nicht, ſo ſammle 
dir Bro amen, die von ihrem Tiſche fallen, und ſtille die Yun 
gersnoth. 


106 
6. Der kurze Proceß. 


Wenn deine Sinnlichkeit ein Vieh, und deine Ver⸗ 
nunftein © ott feyn will: fo ſchlachte du ın dir nur die Selbft- 
ſucht, die Viehesluſt und Götterehre genießen will, und.es wird 
die Sinnli chkeit der aaa und die Vernunft Gott ges 
horchen. 


7. Danken und Bade n. 


Wenn die Frühlingsfonhe ſcheint, fo treibt fie die gute 
Saat aus der Erde, undlodet auchdie giftigen Schlan— 
Be aus ihren Höhlen hervor., Danke du Gott für den 
Wachsthum der guten Saat, und made, daß bie Aur 
gen, den Garten Gottes nicht verwüften. 


8. Sreunde und Sein De 


Wer die gute Saat zertritt, oder den Sdemann ktäge 
it e ein Feind des Gartens; wer. aber den Garten nur vor der 
Schlangenbrut bewahren will, ift ein Freund — Gottes und 
feines Gartens. 3 


9. Einft — jetzt. 


0 Der- Glaube bes Herzens, das Bekenntniß 
des Mundes, und das Thatbekenntniß des Lebens ın Ei- 
nem Apoſtel des Chriſtenthums — wirken mehr, als. hundert 
Beweife für das Ehriftenthum in hundert Menſchen — mit 
todtem Glauben, mit lahmen Bekenntniſſe, und einem heid— 
niſchen Leben. 


10. An eine Blume. 


Lang erzog dich Gott in einem Blumentopfe, der im 
——— Beete ſtand: jetzt ward der Zaun niedergerif- 
fen, der Blumentopf zerſchlagen, und du in das freye Feld 
gefegt, um den Geruch des Lebens überall zu verbreiten. 


11. Das jüngfte Gericht. 


Jüngſt trat die Wahrheit in einen großen lichten Saal 
— fie nannten ihn den Chriſtentempel — um Bericht zu hal: 
ten. Da fie ein Slammenauge bat, fo war die Scheidung 
mit Einem Blicke in die. Herzen vorüber. , Hierher, zunachft 
an den Altar, fprach fie, die einen Tebendigen Chriſtus 
haben. Zurück, zunächſt an die Zempelthür, die einen to de 


fr? 


106 


ten Chriftus haben. Hinaus * Tempel ‚die * keinen 
— haben. a 
Die ‚erfie Klaſſe. —— 
Die Beſten unter denen, die einen lebendigen Chritus 
hatten, lebten nicht mehr fi, fondern Gott, und was in ihnen 
lebte, waren nicht mehr ſie ſelber, ſondern Chriftus. Er war 
das Licht in ihrer Vernunft, die Greundfichkeit in ihrem Auge, 
die Flamme in ihrem Gemüthe ‚das Leben in. ‚Ibrem, ‚geben. 


Die zwehte alaſſe. 3 I UUB I HU 9 


Die einen todten Chriſtus hatten, fahen in die heiß 
gen Bücher hinein, hörten det Predigt zu, Kopie eh 
mancherley Gebethe mit den Andern. Aber ihre‘ Sefnnung 
und ihr Wandel: ließen wenigfteng., Feine un ehhenide 
Yenderung fpüren. Es war-faft, als wenn fie nicht ‚gefehen, 
nicht gehört, nicht geſprochen hätten. Chriftus war nur ein 
kalter Begriff in ihrem Kopfe, oder ein nichts bedeutender Laut 
in ihrem Munde, Eein Tebendiger Geiſt in ihrem Herzen, keine 
Seele in ihrem Leben. 


Die dritte Klaſſe. 


Die gar keinen Chriſtus hatten, kannten weder ſeinen 
Buchftaben, noch feinen Geiſt. Was fie in fich hatten, war 
Weltgeiſt; was fie an fi ſchautrugen, war Weltge- 
ftalt; was fie außer fich bauten, war fonieder, wieder Welt 
9, eift, und fo vergänglich, wie die Beltgeftalt. 


Zwey Mittelflaffen. 


Nach der großen Scheidung blieb noch ein vermifchter Hau⸗ 
fe in dem Tempel zurück. Einige waren eben imllebergans 
ae von der zweyten zur erften Klaffe, Andere im Rückfal— 
Te von der erften zur zweyten. Die Wahrheit lagert fie in 
Mitte zwifchen der erften und zweyten Klafle, doch fo, daß jene 
näber zum Altare, diefe naher zur Tempeltbür hin: 
rückten. 

— Wahrheit ‚ wie heißt die Stelle, die bein - 
durchſchauender Blick mir nicht erſt anweiſet, fondern ſchon an⸗ 
gewieſen hat? 


12. Drey Stimmen. 


Die Eine Weisheit hat drey Stimmen. ine fchreyet 
auf der Gaſſe fo laut, daß fie jedermann hören Fann; die 


107 


andere. tonet fo Yeife im Heiligthume, daß fie nur der 
GSottfelige vernimmt ; die dritte donnerrin der Weltgefhich- 
te fo ſchauerlich, daß die Völker der Erde daroberzittern. Von 
allen dreyen liegen in unfern heiligen Schriften, als einem At- 
chive der Weisheit, die ſchönſten Zeugniffe, in der Kirche 
Gottes Siegel und Bewährung einer jeden. 


15. Der Menfh der Erde. 


0 Die: Erze.. in. der ‚Erde begraben — empfangen fein 

Licht. Die Pflanzen auf der Oberfläche der Erde empfan— 

gen Licht, aber fehen es nicht, umd können ſich desfelben nicht 

‚freuen Die Thiere empfangen es, ſehen es, und werden 

deflen froh, Der Menfd empfangt das Licht, fieht es, 
kann fich deffen freuen, und noch darüber nachfinnen, wo e8 

‚berfomme. Hier Tiegt-die Wurzel des Adels, den die jetzige 

Menſchheit vor den übrigen Gefchöpfen dev Erde no d hat... 


14. Der Menih des Himmels. 


Der Menſch Fann nicht nur das Richt der Sonne em- 
»fangen, feben, genießen, und über deſſen Urfprung nachſin— 
nen. In ihm kann auch der Funke einer höhern Son— 
ne, den er in ſich trägt, durch das Wehen aus dem Lande 
der Ewigkeit angefacht, kann Flamme, Sonne werden, und 
den irdiſchen Menſchen in einen himmliſchen verklären. Dann 
iſt die heilige Ruine des Ur-Menſchen wieder verwandelt — in 
das lebendige Gottesbild. 


15. Zieh Die Schuhe aus, denn hier iſt heilige 
ur * Staͤtte. N 


Die Seher Gottes fahen in Gott das Wefen aller 
Weſen, faben den Unermeflihen, und betheten an. 
7 Die Seher Gottesfahenin Gott den Heiligenal- - 
les Heiligen, fahen in ihn die Wahrheit, die Liebe, die 
Schönheit, und jubelten. 

Sm erften Blicke ricfen fie aus: Gott ift der Allum— 
faffende x.: Alles leber in Gott: in ihm Icben, we: 
ben und find wir alle. Im zweyten Blick fangen fie 
Iobpreifend : Gott iftder In nwohnen de; Er vohnt in ſei— 
nen Kindern allen, der Heilige in feinen Heiliger. — 

Entheiligt den Tempel Gottes nicht: und dir ſeyd ihr! 


108 
16. Das wichtigſte Datum unfers Lebens. 


Sobald das wahre Licht mit fiegender Macht in uns 
ſcheinet: fo beleuchtet e8 die Bahn Gottes zu uns, und die un- 
fere zu Gott. 

Von diefem Zeitpuncte an fernen wir, Gott und uns, 
Chriſtus und Chriſti Geift, das Leben und die Welt, Zeit und 

Ewigkeit verftehen. 

Bon diefer Zeit an datirt fi in ung das Bruftans 
fhlagen im Angeſichte der ewigen Gerechtigkeit, und das 
fih Anlehnen an die ewige Liebe (Demuth und a 


fight). 

Von dieſer Zeit an nimmt die Wahrheit ſelber He⸗ 
berg in uns, und mit ihr Friede und Freude, und Gerech⸗ 
tigkeit. 
WVron dieſer Zeit an iſt die heilige Liebe in uns geboren, 
‚und mit ihr dev Himmel, und mit dem Himmel das höchfte 
But. 


17. Die ewige, die geitlide, die Eine Bafis. 


„Altes ift Sottes. Bott ift der Eine inAl— 
lem: abbangigfeynvon dem Einen unab han— 
gigen, ift unfer Wefen.“ 

Dieß Gefühl des Nichtigen ohne Gott, und außer Gott, 
ift die Demuth des Seraphs im Lichte des Himmels und die 
Demut) des Menſchen im Staube der Erde. 

Und diefe Demuth hat eine ewige Baſis: Altes ife 
Gottes. 

Demuth hat aber auch eine zeitliche Baſis: „Wir an 
gefündigt, und wir haben Gnade gefunden.’ Dieß = 
der Sünde, die unfer, und der Huld, die Gottes it, macht 
die Demuth des Menfchen biernieden aus. - Denn drüben flie- 
Bet fie ir Eins zufammen mit der Demuth des Seraphs und 
aller Heligen: Alles ift Gottes. Und dieß iſt die Eine 
Demuth, die Perle des. himmliſchen, die. Grazie bes 
irdiſchen Lebens — die Wahrheit in jedem. 


— 18. Die Feuerprobe. 


Wen Freundſchaft bloß einen zeitlichen Lebenskeim Bat, 
fo hält fiedie Seuerprobe nicht aus, — Alles bat fich verflüch- 
figet, undnun ıft auch erfchienen, was fie ſtets war — Nichts. 
Iſt fie abe aus der Ewigkeit geboren, fo Eann fie zwar der 
Yäuterung nicht entbehren; allein fie gebt aus der fchmelzen- 


J 
109 


den Gluth im neuen Glanze hervor ’ denn nur die Schlacke 
hat ſie zurückgelaſſen. 


19. Die Wahlfahrt der Chriſten. 


Wir pilgern alle nach dem gelobten Lande: — dazu iſt 
uns eine genaue Charte, ein ficherer Führer, und 
ein tühtiger Reiſeſtab gegeben. Die Landcharte nach 
den zuverläßigften alten und neuen Entdeckungen gemadt, it 
die heilige Schrift. Aber das gelobte Land ift fienicht; 
denn das gelobte Land kann nur das ewige Leben ſeyn. 
Sie ift auch nicht der Führer felber; denn der ift Chris 
ftuß, der die Bahn in das gelobte Land vor uns gebrochen bat, 
und uns an der Hand hinein geleitet. Sie ift auch nicht der» 
Reiſeſtab; denn der ift der himmlifhe Muth, den ung 
das Benfpiel frommer Mitpilger, die Zufprüche der Kirche, und 
die Subelgefänge der Heiligen einflößen. Sie kann auch nice 
für uns wallfahrten: das müffen wir ſchon felber thun. Aber 
fie weifet doc an den Führer; fie, beichreibet uns den Reis 
feftab wie das gelobte Land; fie ermuntert zum muthigen 
MWallen; fie ift ein freundliches Geſchenk des Führers, 
und ein Wert feines Geiſtes. 


20. Der große Lehrftuhl. 


Drer Lehrſtuhl Ehrifti ift fo weitund fo groß, als die ganze 
En Es ift Fein Menfchenherz, in das er nicht Feuer fenden 
ann 

Seine Funken fahren überall umher, und fangen allents 
halben. — euer zu fenden in das Menfcenherz, das war der 
Beift feiner Erfcheinung auf Erde; Feuer zu fenden in jes 
des Menfchen: Herz, das ift der en, Sinn feines Herr⸗ 
ſchens zur Rechten des Vaters. 


21. Die dreyfache Beſtimmung. 


Das Erdre ich, in dem die Keime der Ewigkeit Menſch 
wurden, warft du. Die Gärtnerinn, bieden Menfchen: 
wir in ihrer Entwidelung beyſteht, daß fie Engel werden, 

iſt du. 
Ihre Mit: md Vorfängerinn im Chore der 
Auserwählten — wirft du werden — im Lande der vollſtimmi— 
gen, ewigen Harmonie. — 


22. Die vmagifhe Shönheitshrunnen. 


Der vertraute Umgang des Gemüthes mit dem ewigen" 


Lichte, weihet zum Kampfe wider. die Finſterniß; im. Kampfe 
wider die Finfterniß geht dem Auge des Geiftes göttliches Licht 
auf, im göttlichen Fichte wird veine Liebe geboren; veine Liebe 
ſchaffet Tautere Freude, lautere Freude gießt neues, himmli— 
ſches Leben in die Seele; neues, himmliſches Leben verſchönert 
das Gemüth, und die Hülle des Gemüthes, den Leib. 


25. Der Machtſpruch. 


—Geiſtiſt der Herr: das iſt der Machtſpruch des 
Chriſten. Iſt er der Herr, fo darf er zu jedem aus ung fpre= 
hen: Gib mir dein Herz! Iſt er Geiſt, fo kann er uns alle. 
mit Licht, Liebe, Leben durchdringen. Weil er der Herr ift, fe“ 
find. wir alle fein. Weil er Geift ift, fo ift er unſer. Als 
Herr iſt er über uns, als Geiſt in uns. 


i. Religion und Wiffenigaft. 


Die en ift das Auge, das der ewigen 
Sonne demüthig zufchauet, wie fie, allerleuchtend, Strahlen 
ihres Lichtes ausfender in die ferniten Negionen des Univer- 
fums. Religion aber ift der Brennpunct felber, in dem die 
Strahlen fid fanmeln und zünden, daß das göttliche Feuer 
— aufbrennt, und neue Sonnen ſchaffet, und“ neue 

elten. 


"25. Die RE EN oder die Tafel der 
Weisheit. 


1. Es ift uoh Ewiges im Menfcen. - 

11. Das Emige ift zwar in das Zeitliche eingeftefen, 
und vom Zeitlichen umgeben, aber von dem Zeillichen unzer⸗ 
ſtörbar. 
III. Dieß Ewige iſt von der Urquelle des Lichtes, des 
Lebens abgeſchnitten: kann aber wieder mit ihr vereinigt wer: 
den. 


die Selbftfucht. 

V. Was das Ewige in ung wieder mit ber Urgibne ver⸗ 
einigt, iſt die heilige Liebe, 

VI. Was das Ewige in uns mit der heiligen Liebe au 
fet, iſt der Geift Gottes. 


IV. Was das Ewige in ung von der Urquelle trennt, ift 


11t 


vH Der Macht bat, das Ewige in ung mit dem wa 
Gottes zu taufen, ift Chriftus. 


26. Sinn diefer Blätter. 


Das Wort Gottes iſt das Brot für die hungerige Menfch- 
beit. Dieß Brot-ift fhon gegeben, und wird immer neu 
gegeben: es darf nur getheilt, und dargereicht werden 
nach den Bedürfniffen der Hungrigen. Nun gibt es Zerglies 
derer, die durch Zergliederung das Nährkräftige des göttlis 
chen Wortes entkräften. Diefe Entkräftung beißt FOREN h ö⸗ 
here Auslegung... 

Es gibt aber auch, Ausfpender, die ed durch Thei⸗ 
lung, und Darreichung den Hungrigen genießbar machen. 

Spende du den Kindern Gottes Broſamen, die den Hun⸗ 
ger ſtillen, keine Auslegungen, die dem Kinde das Brot, und 
dem Brote die N zu nähren, den Geiſt des Brotes weg⸗ 


ſtehlen 


. Die Horen. ; 
Ag dieß ann Leben hat goldene Stunden 
Aber nur da, wo Religion und Liebe freye Ergiefung 
finden, fhlagt das goldene Stündden; binde dur ibm den 
ſchnellen Flügel , fonft fliegt es unwiederbringlich davon. 


28. Die Unrube in der Ihr. 


Der menfchliche Wille fol von fich abfallen, um in Gott 
zu ruhen; nun ift er von Gott abgefallen, um in fi zu ru— 
ben: und dieß ift die Quelle aller feiner Unruhe. 


29. Das Eden, 


Wo Seelen in Seelen Tefen; da fängt das, — 
an — aus der Erde hervorzukommen; wo fie einander vers 
ftehen, da geminnt es eine Geftalt ; wo fie ewige Treue 
einander zutrauen müffen, da Eommt es unter Dach; wo ſie 
die zeitlichen Hüllen abſtreifen, da verwandelt es ſich in eine 
ewige Hütte. 


30. Das ſchönſte Saitenfpiel. 


Jede gute ‚Familie ift eine Harfe Davids zum Robe des 
Einen Menfchenvaters, Auch die jüngſte Saite ftimmt früh 
zur Harmonie mit ein — und Flingt gerade um fo Fieblis 


212 ü 


—— weniger ſie von dem im diuger der — noch argesuit 
fen iſt. 


at. Das Ja. 


Wenn der Ewige Ja fagt, fo fieht es im Zeitlihen da. 
Denn Gott ift das große, das einzige Ja im Univerfum, 
die Einheit vor den Nullen, Ki in den Ziffern der, 
Endlichkeit. — 


52. Die einzige. Siherbeit. 


„Die ewige Liebe hat ein allfehendes Auge, vor 
dem alle Nacht Tag ift; eine allwaltende Hand, die 
herrlich durch - und felig hinaus: führt; einen allume 
faffenden Schooß, in dem fie ihre Lieblinge tragt durch 
Flur und Flamme, und ar daß ihnen Feine Ei, und feine 
Gewalt fchade. 


33. An Menfäen, die noch Pflanzen find. 


Die Pflanze faugt den van des Himmels, und ben 
Saft der Erde ein, lebt im Lichte und in der Luft Gottes 
— und kennt Himmel und Erde, Licht und Luft nit, und 
Den nid der dieß Alles gemacht hat. | 
Alfo nur ein Pflangenleben lebet ihr — Men- 
ſchen ohne Gott; indem ihr wie,die Pflanzen von den Gaben 
Gottes lebet, und wie die Pflanzen, ohne Gefühl des Dankes 
gegen die Eine Quelle aller Gaben — vegetirt. 
Shämet euch des a und werdet — 
Menſchen! 


34. An einen Selbſtgenugſamen. 


Wenn deine Stunde ſchlägt, fo werden dir neue Anficy- 
ten, neue Einfichten, neue Ausfichten gegeben; Gegenwart, 
Vergangenheit, Zukunft erfheinen dir im neuen Lichte, und 
ganz anders — — — du wirft neu geboren. u 


35. Die unerläflihe Bedingung. 


Die Weihung des Gemüthes für den Dienft der Ewig- 
£eit kann fo wenig ohne das göttlihe Salböhl geſchehen, als 
der Eintritt des Menſchen in das Leben der Zeit une ge 


Pr 


J Die 


36. Die Geſchichte. 


Wenn der Geiſt Gottes in ein Menſchenherz einkehren 
ſoll, ſo zerbricht er zu erſt die eiſernen Thore des ſelbſtgerech— 
ten Stolzes; dann erregt er einen allgewaltigen Hunger und 
Durſt nach dem Ewigen. 

Endlich kommt er felbft nah — und bringt Licht, Lies 
be, Leben mit — und fpeif und tranft damit die Berl ade 
tende Seele. 

99 re 37. An die Dabei ci en 


Wenn die — eure gerechte Sache nicht ſtüt⸗ 
zen, fo müſſet ihr ſie ſich allein wehren — und zu Gott 
ſchreyen laſſen. Wer ſie kennt und liebt, mag auch mit- 
ſchreyen — nachdem er fruchtlos und fruchtlos 
das S a verfucht bat, ihr aufzubelfen. 

Die gerechte made ftirde nicht. Und, wenn man jie am 
Freytage begrübe, am Sonntage ftände fie init dem erſten Sone 
nenftrahle-vom Grabe auf, 


38. An die Drückenden. 


Shr Drüder des, Gerechten! was wollt ihr mit all 
eurem Drucke! Gott Eönnet ihr ihm nit vauben, und 
euren argen Sinn Fönnet ihr ihm nicht in fein Herz pflanzen 
— und. alles Lebrige, was ihr fonft noch könnet, ſchadet 
ihm nicht, erhebt ihn nur über Ba und erden —— 
als ihr nicht ſeyd. 

39. Andacht PN ‚Andacht. 
Es gibt eine Andacht, die die Welt mit, ins Gebeth 
nimmt — um Zeitliches bittet. — 


Es gibt aber auch eine Andacht, die die Welt ausfchließt: 
Diefe ift eine rein: him mliſche, jene eine him m⸗ 


liſcheirdiſche. 
40. Werth des Neuen. 
Freyheit it uns anerſchaffen, Selaverey ange⸗ 
boren: wir müſſen alſo neu geboren werden, um wieder 
ſuey zu go 
Der u Ha Altar, 
Die —J Freundſchaft hat eine göttliche und menſch⸗ 


liche Seite: nad) jener iſt ſie ein Altar, auf dem wir unfere 
Sailers Sprüche. 8 


114 


beſten Gelübde für, und mit einander opfern; nach dieſer ein 
Brief, durch den wir unſere ſchönſten Aus ſichte n, Freu— 
den, Leiden mittheilen. s 


42. Wer ıft der befte — unfers Iapı 
bunderts 


Der befte Padagog unfers, und aller Jahrhunderte iſt 
das „Mutter herz,“ das durch Winke aufklärt, durch 
Vorbildung des Guten nachbildet, durch Liebe zur Li e⸗ 
be erzieht, und in Liebe bewahrt, . — mas Liebe er: 
zogen bat. 


43. Das Loos der menſchlichen Tugend. 


Sobald du, o Menſch! deinen zertretenden Fuß don ber 
Begierde weghebeft, und das aufblidende Auge von Sort weg: 
wendeft: fo bift du in ber Hand des’Böfen. 


+44. Der höchſte Menſchenadel. 


Zwey Blicke ſcheiden den Menſchen von dem Thiere: der 
Blick in ſich hi nein, und der, Blick zum Alleinguten bins 
auf. Hat jener Wahrheit, und dieſer Einfalt, und bey— 
de Ein Leben: fo iſt der hoͤchſte Menſchenadel errungen. 


i5. Wasift das Lafter? 


. Ein Eurjer Tanz auf einem fhmalen &tege, unter dem 
— Tod und Hölle auf dich Tauern, und ehe du es ahneft, dich 
in ihrem Schooße begraben. 


46. Die Einheit in Zwepyen. 


Es iſt eine zweyfache Hölle, eine im Abgrunde des böfen 
Gemüthes, noch gewaltfam verfhloffene bis ihr 
der Tod Luft macht; die andere, bie fich ſchon in ausgebro- 
chener lichterloher Flamme offenbaret. 


47. Die Natur, und der Menſch. 


Die Natur hat ein Bildungs = der Menſch ein Einbil⸗ 
dungsvermögen. Die Natur bildet Steine, Pflanzen, Thiere, 
Menfchen; der Menfch bilder ſich hinein! in Wahres und Gu⸗ 
tes, in Falſches und Böſes. Und worin er ſich gebildet hat, 
darin lebt er auch, und worin er.lebt, das wird er auch — 
Himmel oder Erde, Engel oder Thier. 

Menſch! bewahre beige Einbiwungen, und du haſt dich 
ſelbſt bewahret! 


115 


48; Kannſt au; mir beine — — —— 
mnicht nennen? 


Nicht nennen, aber andeuten. 
Die ewige Liebe iſt, 
In sr ich lauter Licht, Be * 
Ihren Schatten ih der Sonnenwelt, * 
Ihres Schattens Schatten auf der Erde, 
Ihren Strahl in der EHEM, 
Ihr Ebenbild in Ehriftus. 
Das ift meine Anſchauung. 


49. Was iſt dag Kreuz im Blicke Gotteit 


Sterbe-Gtätte des alten, 
Geburts-Stätte des neuen Menfchen. 


50. Was ift die Zuverfidht? 


ı Sie ift die Ueberlegenheit des Geiftes, der einen Fuß 
in die ewige Welt ſetzend — mit dem andern Fuße dieſe zeit: 
liche Welt zertritt — da, wo fie mit ihren Neißen, oder Schrec— 
fen zur Disharmonie mit der ewigen verfuchet. ‚ 


51. Gibt es. vielerleyg Ehriften? 


Dreyerley. Einige find Kinder der Hiftorie, die ans 
dern — Kinder Gottes. Jene haben die Geſchichte Jefu 
auswendig gelernt ; diefe find felbft eine lebendige Geſchichte 
Jeſu geworden. Jene find Buchftabe, diefe Geift vom 
Beifte erzeugt. Zwifchen diefen Beyden wallet noch eine drit- 
—* die den Uebergang vom Buchſtaben zum Geiſte 
uchet. 


52. Das ewige Evangelium. 


Hingegebenheit des ganzen Gemüthes an Gott allein — 
Iſt Religion, 
Iſt alle Religion, 
Iſt ewige Religion. 
Die hriftliche Religion ift alfo die Hingegebenheit des 
ganzen Gemüthes an Gott — in Ehriftus. 


53. Die Berbeiffung. 


Die Ewigkeit des Schauens und des Genuffes geht nur 
da auf, wo die Meinu ngen und Neigungen der Zeit 


116 ' 


untergehen; und untergehend — der Einen Wahrheit, 
und der alleinigen Liebe Platz machen. 


54. Die Sternwarte des Chriſtenn 170 


Drey Dinge erwarte id für mic) von meinem Goit! 
1. Daß Er mich in dieſem Leben hebe und trage 


durch das Leben. 
2. Daß Er mir, am Abhange des, ‚Leben, die Hand unter 


den Kopf lege und halte. 
3. Daß Er meinen entfeffelten Geift in feine Heimath auf: 


MEN und darin ——— — ewig. 


v4 
‚“ + 4 u of 


Der 


chriſtliche Monath. 


Betrachtungen und Gebethe. 





Gedanken 
über das 
chriſtliche Leben 


heiligen Apoſtel Paulus, 





Ein 
Andachtsbuch für alle Chriſten 
auf jeden Tag des Monaths, 


von 


Sohann Michael Sailer, 


Biſchof von Germanikopolis, Domprobft und Condiutor des Bisthums 
Regensburg. 


Zweyte viel verinehrte Ausgabe. 


— u > << em — 
Gratz, ı827. 
Sm Verlage der Herausgeber 
der neuen wohlfeilen Bibliothek für Eatholifche Seelenforger 
und Religionsfreunde. 





Seiner Majeftat, 
dem Allerdurchlauchtigften, Großmächtigſten 


König von Bayern 


a Wi, 


Allergnadigften König und Herrn, 


Da diefe Schrift, der Hriftliche Monath, 
ihr Dafeyn verdankt den Wünſchen umd wieder: 
hohlten Ermunterungen, die Eure Majeftät, 
noch als Kronprinz, durch mancherley Drgane 
mie zukommen und an mein Herz anſchlagen 
ließen: fo fol fie von Rechtswegen Allerhöchſt 
Shrem erhabenen Nahmen befonders gewidmet 
ſeyn, um fo mehr, ald König Ludwia von 


Bayern die Religion , deren Gründung 


amd Förderung Suhalt und Zweck des riftli- 
hen Monaths ift, wie für Die höchfte Angelegenheit 
des menfchlichen Lebens, fo auch, vereint mit 
der Gerechtigkeit, für die Stüße des Thro— 
nes halten, den Eure Majeftat fo eben be 
ftiegen haben, 

Gott erhalte den König! 


1. 
Der 
chriſtliche Monath. 
Betrachtungen 


und 


Gebethe 
auf jeden Tag des Monaths. 





Brett 


Der chriſtliche Monath fol weiter nichts, als die 
chriftlichen Gefinnungen, da wo fie einer Weckung 
oder Belebung bedürfen, täglich wecken und beleben 
durch Betrachtungen und Gebethe, die den vornehm⸗ 
fien Inhalt der göttlichen Weisheitälehre je 
dem finnigen Gemüthe Furz darlegen „test. seits 
prägen und mächtig in's Leben hervorrufen. 
Die göttliche Weisheitslehre fol mir und meinen 
lieben Mitpilgern das tägliche Himmelsbrot werden, 
das und auf dem Wege zur Ewigkeit ſtärket, bis 
wir an unferm erfehnten Ziele angelangt ſeyn werden. 


Der Ausdruck: göttliche Weisheit 
Ichre, ſteht nicht zufällig da; er iſt forgfam ges 
mwählet: denn ich glaubte nur dadurch Licht und 
Intereffe in die einzelnen Betrachtungen bringen zu 
Eönnen, daß ich alle Lehren des Ehriftenthbums, 
die hier zum Nachfinnen und zur Beherzigung dar- 
gelegt werden, als fo viele Auszirüche der Einfen 


VIII 


göttlichen Weisheit, (die in Jeſus Chriſtus 
Menſch geworden, und in der Zeitenfülle zu ung ges 
redet hat), in einer fich felbft fchaffenden Ordnung, 
wie aus dem Munde diefer Weisheit hervorgehen 
ließe. 


Offenbar fee ich Leſer voraus, die [nebft gutem 
Willen hinreichende Bildung des Verftan- 
des mitbringen: für diefe fchrieb ich; diefen wird 
Drdnung, Sufammenbang, Licht willfoms 
men ſeyn. 


Immer die alte Wahrheit, und doch flet3 in 
neuem Ölanze fich verflärend: — da3 war mein 
£ooswort, das mein Augenmerk, das meis 
ne Abficht; und: die alte Wahrheit (weil fie 
die ewige ifl) in neuem Ölanze fich verfläs 
vend, die foll erleuchten, entzunden, ums 
wandeln jedes empfanglide Gemüth, 
umbilden die Sitten, und walten im Le 
ben. Dazu gebe das Gedeihen, der es allein ges 
ben Tann ! 


IX 





Berzeihniß des Inhaltes. 





Seite 


Dedication. 
Der hriftliche Monath. 


Vorwort an den Lefer. 


Einleitung. 
Sprüche Salomons. 
Die Weisheit ald Aufgabe, ald Gottesgabe und als Be— 
lohnung für den Menfchen. : : — 


Inhalt und Eintheilung des chriſtlichen Monaths. 


Erſtes Hauptſtück. 
Bon Erweckung der hriftlihen Geſinnung. 


I. Die Beftimmung des Menfchen. R 

II. Abfall des Menfchen von feiner Beflimmung, oder das 
herrfchende Böfe im Menfchen. , 

III. Der treue Fortfchritt des Menfchen auf der Bahr —9 — 
Beſtimmung, oder das herrſchende Gute im Menſchen. 

IV. Von der Umkehr- und Rückkehr zu Gott, vonder Sinnes- 
und Lebensänderung. n 

V. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in im FR und 
zweyten Erforderniffe. R 

VI. Die Umkehr und Rüdkehr zu Gott in —— dritten Er⸗ 
forderniffe: Anerkenntniß der Sünde, 


16 


36 


Seite 


VII. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem vierten Er— 
forderniffe: Unterhaltung der lebendigen Gefühle der 
Scham, der Reue und des Sehnens nach Erlöfung. 


VIII. Fortfegung: von der Gemüthsfaffung, die man fonft 
mit den Worten: Reu und Leid bezeichnet. 


IX. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem fünften Er— 
forderniffe: der überwiegende Ernft zur wirklichen Rück— 
tehr zu Gott. » s s k 5 


X. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem fechsten Erfor⸗ 
derniſſe, das iſt: von dem Dienſte der heiligen Kirche bey 
dieſem großen Werke, und von Benutzung desſelben. 


XI. Wie ſich die Bekehrung als wahr erprobe, bewähre. . 


XII. Ausführliche Erwägung deffen, was bisher nur mehr 
berührt als erforfcht werden Eonnte — vom Glauben, Liebe, 
Hoffnung ; vorerft von dem Glauben, und zwar von dem 
Weſen des chriftlichen Glaubens. . ‚ i 


XIII. Bon dem Chriftenglauben. . 

XIV. Wie der Chriftenglaube eine gegründete, ehe) aus= 
dauernde Gewißheit gewinnen könne. h 

XV. Fortfegung: Von der Gewißheit deö Glaubens. 

XVI. Der Glaube eine Gabe Gottes. 


XVII. Bon den Stufengängen und Uebungen des Chriftens 
glaubens. . ; ; y ; — 


XVIII. Von der chriſtlichen Hoffnung: was ſie im Gemüthe 
des Menſchen vorausſetze, und woran fie ſich halte.. 


XIX, Die Wahrzeichen und die Proben der — — Hoff⸗ 
nung. — 


XX. Würde, Schönheit, Seligkeit eines chriſtlichen Gemü— 
thes, in welchem das große Drey des heiligen Paulus: 
Glaube, Hoffnung, Liebe, Leben und Herrfchaft gewon= 
nen hat. \ i h 2 F 


40 


45 


97 


64 


69 
74 


81 
89 
96 


103 


109 


116 


123 


xI 
©eite 
Zweytes Hauptftück. 
Bon Erneuerung der hriftlihen Gefinnung. 
XXI. Bon Erneuerung der hriftlichen Gefinnung überhaupt. 134 
XXI. Bon den Mitteln zur Erneuerung der chriftlichen Ge— 


finnung. i : ö x R . 441 
XXIII. Bon Erneuerung der Geige Gefinnung durch die 
Sonntagsfeyer. h R { . 450 


XXIV. Bon Erneuerung der Seiftichen ale durch die 
hochfeſtlichen Tage in der katholiſchen Kirche. . 4159 
XXV. Bon der Erneuerung der riftlichen Gefinnung durch 
den öftern Empfang der heiligen Sacramente. Fenelons 
Herzensergießungen über das allerheiligfte Sacrament 
des Altars. . i R t { s 4168 


Drittes Hauptſtück. 
Ueber Offenbarung derchriſtlichen Geſinnung. 
XXVI. Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Er— 


füllung der Pflichten überhaupt, und insbeſondere der 
ehelichen Pflichten. Fenehon über die Ehe. . 2 ‚1182 


XXVI. Bon Offenbarung der chriftlichen Gefinnung in Erzie= 
bung der Kinder. Ein Bild chriftlicher Erziehung in den 


Aeltern, der alte Tobias. ; 192 
XXVIII. Bon Offenbarung der chriftlichen Seffinüng in Er⸗ 
füllung der Amts- und Berufspflichten. . L 200 
XXIX. Bon Offenbarung der chriftlichen Gefinnung im Ver⸗ 
halten bey Reichthum, Armuth und Mittelſtand. 208 
XXX. Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Freu— 
den und Leiden des gegenwärtigen Lebens. 214 


XXXI. Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in — 
Vorbereitung zum Tode. 
Einige Worte aus dem Gebiethe echter Philoſophie in 
Hinſicht auf die Vorbereitung zum Tode. . i 224 
Schlußbetrachtung aus dem zwölften Buche des heiligen 
Franz von Sales von der Liebe Gottes: Geift aller 
früheren Betradhtungen. . ; : 26 
Rückblick auf das Ganze. 246 


XII 


Seite. 


Gedanken über daschriſtliche Leben. 


Einleitung des Herausgebers.. 

Vorrede des Verfaffers. 

Vorgebeth. 

J. Von der ——3 des Sheiften. 

II. Bon der Selbftkenntniß. 

III. Bom Glauben und von der Erkenntniß Sottes. 
IV. Bon der Furcht Gottes, . — 
V. Vom jüngften Gerichte. — 
VI. Vom Paradieſe.. 


VII. Von der Vermeidung der Sünde. ö i 


VIII. Bon der Standhaftigkeit. _ 

IX. Bon dem Verlangen nad) Vollkommenheit. 
X. Bon der Reinheit des Gewiſſens.. 

XI. Bon der Abtödtung. 


XII. Bon der Demuth. A - : . 
XIII. Bon den guten Werfen. " : 
XILV. Bon der Verachtung der Welt. F 


“XV. Bon der Sorge für dein Heil. . 
XVI. Vom Umgange . 3 . k ‘ 
XVII. Bon ber Geduld. A 

XVIII. Bon der Beobachtung der Gebothe Gottes. 
XIX. Vom guten Beyſpiele.. — 
XX. Bon den Verſuchungen.. 
XXI. Von der Gegenwart Gottes. . P . 
XXI Bon der Nächftenliebe. R 


XXIII. Bon der Liebe Gottes. ⸗ 

XXIV. Vom Gebethe.. — 
XXV. Von der Wohlthat der Gnade. 
XXVI. Von der Andacht. —F 
XXVII. Vom Vertrauen auf Gott. . 5 N 


XXVIII. Bon der Reinheit der Abficht. 


XXIX. Bon der Liebe Jeſu Chrifti für die Menjchen. 


XXX. Bon der Nachahmung Sefu Chriſti. 
XXXI. Bon der Anwendung der Zeit. & . 
Schlußgebeth. . 


266 
267 
272 
273 
275 
277 
279 
280 
282 
284 
285 
287 
288 
290 
291 
293 
294 
296 
298 
299 
301 
303 
504 
306 
507 
509 
310 
312 
313 
315 
317 
318 
320 
322 


Einleitung. 





Salomon: Sprüche. 
VIL Kapitel 


Ce 

Ich „Weisheit, wohne, wo Rath und verſtändige Gedanken ſind. 
V. 12. 

Durch mich regieren die Könige, und die, welche Geſetze geben, 
beſchließen was Recht iſt, durch mich. V. 15. 

Ich war das Beſitzthum des Herrn im Anfange ſeiner Wege; noch 
ehe er etwas machte, war ich da. V. 22. 

So horchet denn , meine Kinder, mir zu! Selig, die auf meinen 
Wegen beharren! Gelig, der mich höret und täglich wachet 
vor meiner Thüre, und wartet an den Pfoften derfelben. 

Wer mid findet, hat das Leben gefunden, und empfangen das 
Heil von dem Herrn. Wer fi) aber an mir verfündiget , 
bat feine Seele verwundet; Alle, die mich haflen, Lieben den 
Tod. V. 32 — 36. 





DE uispeie ſuchen, und da fuchen, wo allein fie ge- 
funden werden Eann, ift die erfte Aufgabe des Men: 
fhen, der einmahl aus dem Traume des Lebens erwacht ift, 
und des Truges, der ihn bisher gefangen hielt, gewahr wird. 
Denn, wer ſich immer wieder einiwiegen läßt, in den Schlums 
mer des Wahnes, wird früh oder ſpät in den Todesfchlummer 
verfinfen müſſen, ehe er das wahre Licht erblickt, ehe er das 
rechte Leben gefunden haben wird. 

Weisheit finden ift für die Suchenden die Edft- 
lihfte Gabe des Herrn; denn, wem fie nicht gefchenft 
wird, oder wer fie ald GefchenE nicht annehmen will, der Fann 
ihrer nicht theilhaftig werden, der muß zu feiner Thorheit 

Sailer , d. chriſtl. Monath. er 


2 Einleitung 


fprechen: meine Weisheit bift du! und an ihrer Handleitung zu 

Grunde geben, 

Der Führung der Weisheit gehorchen mit Eindlicher Treue, 
ift der Snbegriff aller Tugenden; denn, wer der 
Weisheit gehorcht, der gehorcht Gott felber. 

Bey dem Ziele aller Führungen der Weisheit anlangen, 
beißt recht eigentlich: in der Heimath des Friedens, des 
ewigen Lebens gelandet haben; denn wie der Herr das 
Ziel aller Führungen iſt, wie er der ſicherſte Weg aller Wal: 
Ienden ift: fo kann auch nur er der böchfte Lohn aller Ge— 
borchenden feyn. 

Lieber Nachbar! wer du immer bift, und mit mir Wahr: 
beit fuchen und finden, der gefundenen gehorchen, und das Ziel 
ihrer Verheißungen erreichen willſt, komm und lies, und wandle 
mit mir. 

Nochmahls: wandle mit mir, aber nur auf den Wegen 
der Weisheit. Was heißt aber auf den Wegen der Weisheit 
wandeln anders, ald die Weisheitinfih aufnehmen, 
die Weisheit in fich fefthalten, und die Weisheit 
in feinem ganzen Leben offenbaren? 

Die ewige Weisheit, von der allein hier die Rede feyn 
kann, ift uns in Jeſus Chriftus erfchienen; die Weisheit 
infih aufnehmen, in fich fefthalten, und im 
ganzen Leben offenbaren: beißt alfo: dergeftalt mit 
Jeſus Chriftus, mit feiner Lehre, und mit feinem Geiſte Eines 
werden , daß (um die finnreichfte Spradye der Schrift, und 
zunächft die des heiligen Johannes, des Jüngers, den der 
Herr lieb hatte, zu reden) er in und, und wir in ihm Ieben. 
Wenn wir diefes gegenfeitige Leben, das Leben Chrifti in uns, 
und unfer Leben in Ehriftus, in unfre Spradye überfeßen: fo 
ift ed genau dad, was man mit einem Worte chriftlidye 
Gefinnung beißt. Die chriſtliche Geſinnung ift daher aus: 
fehließlich der Gegenſtand unferer Eünftigen Betrachtungen. 

Sn Hinſicht auf die hriftliche Gefinnung find drey Fras 
— die unſere ganze Theilnahme in Anſpruch zu nehmen werth 
ind: 

Erſtens, wie ſie im Menſchen entſtehe? 
Zweytens, wie ſie im Menſchen beſtehe? 
Drittens, wie ſie im Menſchenund durch den 

Menſchen ſich offenbare? 

Das Ganze unſerer folgenden Betrachtungen zerfällt alſo 
in drey Haupttheile; wovon der erfte das Werden 
der chriftlichen Gefinnung; der zweyte das Beſtehen ber 


3 
chriftlichen Gefinnung; der dritte die Offenbarung der 
ehriftlichen Gefinnung zum ©egenftande hat. Demnad) ergibt 
fi von felbft die folgende Eintheilung in drey Hauptftüde : 
1. Son Erwerfung der hriftlihen Gefinnung. 
I. Bon Erneuerung der hriftlichen Gefinnung. 


11. Son Erweifung und Darftellung der dhrift- 
lihen Gefinnung. 


— IE — ——— _ — 


Erſtes Hauptſtück. 


Bon Erweckung der chriſtlichen Geſin— 
nung. 


J. 


Das erfte Wort, das die Weisheit zu ihren Kindern ſpricht, 
kann Eein anderes feyn, ald: das Erfte zuerft. Und das 
Erſte, was ift es denn? Menſch! lerne deine Beftim- 
mung fennen! Denn, von biefer Erkenntniß geht dir ein Licht 
auf, ohne das du keinen fichern Schritt durch das Leben thun 
Eannft. . 





Erfter Bag. 
Bon der Beflimmung des Menſchen, des Chriften. 
Schriftftellen 


1. Go ſchuf den Menfchen ſich zum Bilde, zum Bilde 
Gottes ſchuf Er ihn. 1. Mof. I. 27. 

2. Und nun ſpricht Gott der Herr: Ich habe dich er- 
Schaffen Sakob ich habe dich gebildet Sfrael! Fürchte dich nicht, 
ich habe did) erlöfet, und bey deinem Nahmen gerufen. Mein 
bift du! Sa, wenn du durch's Waffer geheft, bin ich bey dir, 
daß die Ströme dich nicht erfäufen. Wenn du durch's Feuer 





*) Die erften vier Betrachtungen find um ihres höchftwichtigen 
und allbefaffenden Inhaltes willen in gedrängter Sprache ver= 
faßt, und nehmen die ernfte Aufmertfamfeit, und das tieffte 
Nachſinnen des Leſers in Anfpruh , um erfaßt zu werden. 
Die übrigen Betrachtungen find mehr Entfaltung und An— 
wendung deffen , was in den vier erften theils zum Grunde ge— 
legt, theils angedeutet worden. Es Eonnte alfo ungleich mehr 
Klarheit in die Darftellung der Wahrheit, und mehr Leben in 
die Beherzigung derfelben, wie der Augenfchein zeigen wird, 
gebracht werden. 


5 


geheſt, befommft du Fein Brandmahl, und die Flamme wird 
dicy nicht verfengen. Dennidy, der Herr, bin dein Gott; ich 
der Heilige Sfrael3, ich dein Erretter. Weil du fo theuer biſt 
in meinen Augen, wirft du fo hoc) geachtet; und ich habe dich 
lieb. — Fürchte did) nicht , denn ich bin bey dir. Von Often 
will icdy deinen Samen herbeybringen, und von Werten her will 
ich didy verfammeln. Ich fpreche zum Norden: gib ber! und 
zum Süden: halte nicyt zurück! bringe meine Söhne von fer- 
ne ber, und meine Töchter von den Enden der Erde, alle, die 
nach meinem Nahmen genannt find , meinen Nahmen anrufen: 
zu meiner Verherrlichung habe ich fie erfchaffen, gebildet, ges 
madıt. Sfai. XL. 1 — 7. 

3. So bat Gott die Welt geliebt, daß er feinen eingebor- 
nen Sohn dahingegeben; damit Alle, die an ihn glauben, nicht 
verloren gehen, fondern das ewige Leben haben. Soh. III. 17. 

4. Was aus Geift ift, das ift Geift. Joh. Ill. 6. 

5, Geprieſen fey Gott und der Vater unfers Herrn Je— 
fir ChHrifti, der ung gefegnet mit allen geiftlichen Segnungen , 
mit himmlifchen Gaben durch Ehriftus , wie er uns denn erwäh— 
let hat durd) denfelben vor Anbeginn der Welt, daß wir feyn 
follten heilig und unbeflecft vor ihm; wie er uns voll Liebe be: 
ſtimmt bat zu feiner Kındfchaft durdy Jeſus Chriſtus, nad) 
dem Wohlgefallen feines Willens, zum Preife feiner herrlichen 
Önade; womit er uns fidy angenehm gemacht hat durch den 
Geliebten, durc) welchen wir Erlöfung erhalten. Ephef. 1.1 — 7. 

6. Sein Geſchöpf find wir, und gefchaffen durch Chris 
ſtus Sefus zu guten Werfen; wozu und Gott vorbereitet, 
daß wir darin-wandeln. Epheſ. II. 10. 

7, Er ift für Alle geftorben, damit Alle, die da leben, nicht 
ſich felbft leben, fondern dem, der für fie geftorben und aufer- 
weckt ift. 2. Kor. V. 15. i 


Betradhtung. 


Sobald im Menfchen das Auge der Vernunft, 
im Ehriften das Auge des Glaubens erwacht iſt; fo 
fieht ihm feine Beftimmung, feine Erwählung klar vor 
Augen. | 

Die Beſtimmung des Mtenfchen erhellet vorerft aus 
feinem Urfprunge: Gott hat ihn erfchaffen, und 
- bat ihn nach feinem Ebenbilde gefhaffen ; lichthell und 


6 


lauter, heilig und felig , herrlich und unfterblich follte 
er fegn wie Gott. Gottes Bild — der Menſch! 
da iff mit einem Worte Alles gefagt, 

Die Bellimmung des Menfchen erhellet ung noch 
deutlicher aus dem Aufmande, den die ewige Er» 
barmung gemacht hat, um den gefallenen Menſchen 
wieder aufzurichten, das verwifchte Ebenbild feines Urs 
fprunge3 in ihm zu erneuern, und ihn von Irrthum, 
‚Sünde und Tod zu erlöfen. Was Gott durch Iſaias zu 
Sfrael fprach: Fürchte dich nicht; Ich habe 
dich erlöfet, Habe dich beydeinem Nahmen 
gerufen: Mein bift du: Dieß Wort, voll uns 
ausfprechlicher Sußigkeit, diefer Ausdrud der höchſten 
Zärtlichfeie , gilt vonder unfterblichen Seele eines je⸗ 
den Menfchen: Ich rufe dich bey deinem Rah» 
men; und der Nahme, den ich dir geges 
ben habe, beißt: Mein bift du! 

Diefen Nahmen: Mein bift du, hat Gott als 
Schöpfer der Seele des erften Menfchen gegeben, und 
als Erlöfer wieder erneuert: Mein bift du! 

’ Der Menfch fol alfo ein Spiegel feyn, in wels 
them die Macht des Schöpfers, und die Huld des 
Erlöfers fich abbilden, und im Abbilde wiederglängen. 

Um deutlichffen werden wir die Beflimmung des 
Menfchen einfehen, wenn uns erft die felige Emigfeit 
den Gang der göttlichen Führungen mit ei— 
nem jeden aus ung, enthullen wird. Dann werden wir 
fbauen, mas wir jest glauben: daß der Menfch 
das zartefie Augenmerk der ewigen Liebe, daß Gott 
unfer Führer, daß die felige Anfchauung Gottes das 
Ziel aller feiner Führungen iff. Dann werden wir ge- 
nießen, was wir jest vernehmen — im Worte 
des Herrn. Der Herr fpricht, und jeder Gläubige darf 
e3 fich. feyn laffen, als wenn der Herr in fein Inner: 
fies ſpräche; denn er fpricht e5 dach: Menfch, dein 


7 


Gott, dein Schöpfer binih: meinen Nabs 
men folft du anrufen, meinen Nahmen folft du 
verherrlichen: das ift deine Beſtimmung. 

Meinen Nahmen verherrlichen folft du da- 
durch, daß du vor mir wandelft in Liebe, heilig und 
unbefledt: das ift deine Erwählung vor Beginn der 
Welt. 
Menfh!dein Gott, dein Erlöſer bin ich: 
. meinen Nahmen folft du anrufen, meinen Nah— 
men follft du verherrlichen: denn ich habe dich fo geliebt, 
daß ich meinen Eingebornen, wie für Die ganze Welt, 
fo auch für dich dahingegeben. Sieh! er hat fein Blut 
für die Sünden der Welt, alfo auch für deine Sunden 
geopfert; damit du von der Sünde und ihrem Fluche 
erlöfet, damit die Frucht der Erlöfung in dir gedeihend, 
an dir fichtbar, und durch dich an Andern wirkfam wers 
den folle. Das ift deine Beſtimmung. 

Menfch! dein Gott, dein höchſtes Gut 
bin ih: meinen Nahmen follft du anrufen, meis 
nen Nahmen folft du verherrlichen; denn ich kann 
dir den guten, den heiligen Geift nicht vorenthalten ; 
durch ihn folft du tüchtig werden Gottes Keich zu fehen, 
durch ihn folft du ein’ erneuertes Bild deines Schöpfers 
unter Menſchen, durch ihn ein ‚neugebornes Kind deis 
nes Vaters , durch ihn folft du Geift vom Geifte wer: 
den. Das ift deine Beſtimmung. 

Menfch! Dein ganzes Heilbinih, umd 
außer mir ift feines: meinen Nahmen follft du an— 
rufen, meinen Rahmen follft du verherrlichen; denn 
ich habe dich neu gefchaffen zu guten Werken, da- 
mit du in guten Werken wandelnd, nur dem lebeſt, 
der für dich geftorben und erweder if. Das ift deine 
Beflimmung, deine Ermwählung. 

Menfch! wie ich dein Urfprung bin, fo bin 
ich Dein letztes Ziel; und wie ich dein höchftes 
Ziel, fo bin ich auch dein Führer zum Ziele: 


8 


meinen Nahmen follft du anrufen, meinen Nah⸗ 
men verherrlichen,, dadurch, daß du allen meinen Fühs 
rungen gehorcheft, willig, treu, ausharrend , bis du in 
deinem Urſprunge dein letztes Ziel, und in mir deine 
Beflimmung gefunden haben wirft. 

Dieß lehrt uns das Wort des Herrn; dieß iſt die 
Beftimmung des Menfchen, und diefe Beftimmung 
des Menfchen ift wahrhaftig groß und herrlich, und 
fo groß, fo berrlih, daß mit ihr Feine andere Be» 
ſtimmung irgend eines andern Geſchöpfes auf Erden in 
Bergleichung fommen kann; und diefe Größe, diefe 
Herrlichkeit unfrer Beſtimmung drückt fich gleich bey 
dem erften Eintritte des Tauflings in die heilige Kir, 
che, in der Zaufhandlung ſelbſt am fehönften aus. 
Denn, indem mir auf den einigen hochheiligen Rah— 
men des Vaters, des Sohnes, des heiligen Geiftes ges 
tauft werden, legen wir eben dadurch im AUngefichte 
der Kirche das Zeugniß ab, daß wir nur Gott allein 
angehören wollen , und ftellen gleichfam vor Himmel 
und Erde eine öffentliche Urkunde aus , daß in unfern 
Öefinnungen nichts berrfchend , und an unferm Leben 
nichts offenbar werden folle, als was gut und goftge- 
fallig iſt, nichts, als was den Nahmen Gottes an ung 
und durch uns verherrlichet, nichts, als was der Apos 
ftel allen Chriſten wünfcht: die Gnade unfers Herrn, 
die Liebe Gottes, und die Gemeinfchaft des heiligen 
Geiftes ſey mit euch Allen! II, Kor. XII. 13. 


Gebeth. 


Deinen Nahmen, Bater, zu verherrlichen,, dein 
Reich, das Keich des Kichtes „ der. Liebe, des 
Lebens auszubreiten „deinen Willen zu vollbrin- 
gen bin ich da ; darum bethe ich, wie Chriſtus, 
dein eingeborner Sohn. vorbethend, mich nachbe- 
then lehrte: Unſer Bater, der du in. den Him— 


9 


meln biſt; dein Nahme werde geheiliget — durch 
mich und die Meinen alle; dein Reich werde 
ausgebreitet, durch mich und die Meinen alle; 
dein Wille werde vollbracht auf Erden, wie ihn 
die Engel im Himmel vollbringen, werde voll- 
bracht durch mich und die Meinen alle. Die feli- 
ge Heiligung deines Nahmens , die nie ruhende 
Ausbreitung deines Neiches, die treue VBolibrin- - 
gung deines Millens ift es, Vater! was wir 
dir geloben, und um was wir zu deiner Gü— 
te bitten, durch deinen Sohn, im heiligen 
Geifte. Amen, 





II, 


Die Beftimmung des Menſchen ift mir recht klar ge— 
worden ; ich fehe ‘ein, was ich feyn foll, was aus mir werden 
Eann. Uber noh weiß ih nicht, was ih wirklich 
bin, wie ich werden kann, was ich feyn foll. Alfo mein näch— 
fles Tagewerk wird wohl feyn, zu erforfchen den Buftand mei: 
nes Selbftes, und den ſicherſten Weg zu meiner Beftimmung. 
’ Um den Zuftand meines Selbftes Eennen zu lernen, werde 

ich im Lichte prüfen müflen das, was in mir vorherrfcht, B ö- 
ſes oder Gutes. 





Zwenter Tag. 


Abfall des Menfchen von feiner Beſtimmung, oder 
das herrfchende Böſe im Menfchen. 


Shriftftellen 


1. Wi wiſſen, daß das Geſeßtz geiftlich iſt; ich aber bin 
fleiſchlich, unter die Sünde verkauft. Denn ich weiß nicht, 


10 


was id) thue: denn ich thue nicht, was ich will, fondern was 
ich haffe, das thue ich. Wenn ich aber thue, was ich nicht 
will; fo flimme ich dadurdy felbft ein, daß das Geſetz gut fey. 
Demnach thue nicyt ich das Böfe, fondern die Sünde, die in 
mir wohnet , thut ed. Denn id) weiß, daß in mir, das ift, ın 
in meinem $Sleifche, nichts Gutes wohnet. Guted wollen 
liegt mir nahe; aber das Gute vollbringen finde ich nicht. 
Denn dad Öute, das ich will, das thue ich nicht; fondern 
das Böſe, das ich nicht will, das thue ich. Wenn ich aber 
thue, was ich nicht will, fo thue es nicht mehr ich, fondern 
die Sünde, die in mir. wohnet, die thut ed. Sc) finde alſo, 
» indem ich das Gute thun will, das Geſetz in mir, daß mir 
das Böſe anhängt. Denn icy habe Wohlgefallen an Gottes 
Geſetz nad) dem innern Menfcyen; aber in meinen Gliedern 
fehe ich ein anderes Geſetz, welches dem Gefege meines Beiftes 
entgegenfampft, und mic) unter dem Geſetze der Sünde ge: 
fangen halt. Röm. VII. 14 — 23. 

2. Das ift das Bericht , daß die Menfchen, da das Licht 
in die Welt Fam, die Finiterniffe mehr liebten als das Licht; 
denn ihre Werke waren böfe. Joh. III. 19. 

3. Aus dem Herzen Fommen böje Gedanken, Mordthaten, 
Ehebrüche, Surereyen , Diebftähle, falfche Zeugniffe,, Läſte— 
rungen ; diefe Dinge find es, die den Menfchen verunreinigen. 
Matth. XV. 19. 20. 

4. Dffenbar find die Werke des Fleifches : Hurerey, Uns 
reinigkeit , Geilheit, Unzucht, Abgötterey, Zauberey, Feind: 
fhaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Eiferfucht, Spaltungen , 
Haß, Völlerey, Schwelgerey u. d. gl., von welchen id) euch 
voraudfage, und fchon vorausgefagt habe, daß die, welche fol= 
ches thun, das Reich Gottes nicht ererben. Sal. V. 19 — 21. 

5. Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ıft. 
So jemand die Welt lieb hat, in dem ift die Liebe des Va— 
terd nicht. Denn alles, was in der Welt ift, nähmlich des 
Sleifches Luft, und der Augen Luft, und boffärtiges Leben, 
it nicht vom Water , fondern von der Welt; und die Weltver: 
geht mit ihrer Luft; wer aber den Willen Gottes thut, der 
‚bleibt in Ewigfeit. I. Joh. I. 15 — 17. 

6. Wir wiffen, daß wir aus Gott find, und die Welt im 
Argen liegt. 1. Joh. V. 19. 

7. Ihr waret todt, durch eure Üebertretungen und Sün— 
den. Ihr waret ohne Chriftus, ohne Hoffnung, ohne Gott 
in der Welt, Ihr waret entfremdet von dem Leben aus Gott, 
Epbef. II, 1. 12. IV, 18. 


11 
Betradhtung. 


In den angeführten Schriftftellen ift das Böſe 
im. böfen Menfchen nach dem Leben gemahlt. — Ich 
will die Züge desfelben mit feſtem Blicke anfchauen , 
und dann in mir nachfehen, wie tief die Wurzel der 
Sünde in mir eingefenft-, wie groß der Baum des 
ganzen fittlichen Werderbens in mir gewachfen , und wie 
verwüftend die Früchte feyen, die fich daran ge: 
zeitiget haben. 

Gottes Bild, Gottes erneuertes Bild 
durch Chriſtus, Gottes erneuertes Bild in heiliger 
Liebe fol ich feyn, bis ich einft Gottes verfläars 
tes Ebenbild in Heiliger Liebe,inungebemms 
ter Anfhauung der Wahrheit von Anges 
fiht zu Angefidht, in voller Theilnahme 
an der göttlihen Natur, und im lauters 
ften Mirgenuffe des ewigen Lebens ſeyn 
werde. Das ift meine Beftimmung. 

Sede Abweichung von diefer meiner Beftimmung, 
jede Entzweyung meines Willens mit dem göttlichen, 
jede Schwächung der herrfchenden Liebe zu Öott, jes 
de Abkehr des Gemüthes von dem unmandelbaren 
Gute zu den wandelbaren Gütern, jeder Ungehorſam 
gegen den gebiethenden Willen des Heiligen ift Suns 
de, Der Abfall von meiner Beftimmung , der ent: 
fhiedene Aufruhr gegen Gottes Gefeß, die Trens 
nung von Gott, die Aufhebung, die Aus 
fhließung der berifchenden Liebe gegen Gott, die 
Ertödtung des Lebens aus Gott, ift, was ſchon 
das Wort fagt, tödlihe Sünde. Der Hang zum 
Böſen, der, nach dem Abfalle des erftien Menfchen, 
auf uns, feine Nachfommen, als Erbtheil mit der 
menfchlichen Natur gefommen ift, heißt nach, dem 
Ausdruce des Apofteld , die inwohnende Sünde, 
und wird, info fern wir zu ihren Bewegungen mit 


12 


Bewußtſeyn und Zuftimmung des Willens Fa fagen 
— Quelle aller wirklichen Uebertretungen der. güttlis. 
chen Gebothe. 

So lange diefe inmohnende Sünde in uns 
herrſcht, thut fie alles einzelne Böſe in uns und 
durch uns. Wir billigen zwar, und manchmahl wol⸗ 
len wir auch das Gute, ‘aber fie, die inmohnende 
Sünde, volbringt, unter unſerm Zuſehen, und bey 
unferm fchwachen Widerftande, oder gar bey voller 
Hingebung unferes Willens, das Böſe. Go lange 
diefe inmohnende Sunde in uns herrfcht, find wir wie 
Sclaven unter die Sünde verfauft, billigen das 
Beffere und thun das Schlechtere; find wir Oefans 
gene an das Joch der Sünde gebunden, indem 
wir zwar ein ſchwaches Wohlgefallen an dem Geſetze 
des Gemüthes haben, aber von dem Geſetze der Glie⸗ 
der, d. i. von dem Geſetze der herrfchenden Sinnlich— 
feit getrieben, das Geſetz des Gemüthes übertreten. 
Es fehlt uns in diefem Zuftande nicht an Licht, das 
uns den gefahrvollen Pfad, auf dem wir einhergehen, 
beleuchtet, und den entgegengefeßten, den wir betre= 
ten folen, erhellet. Uber gerade das macht unfere 
Verdammung aus, daß mir den Finfterniffen des Hers 
zens hingegeben, da$ Angenehbme, das uns durch 
die finftre Begierde in der locdendften Geftalt 
verheißen wird, mehr lieben, als das Unangeneh— 
me, das uns durch das bimmlifche Licht auferlegt 
wird. » Der Ungehorfam gegen das Licht iſt unfre 
Sunde, und, woraus der Ungehorſam gegen das 
Licht ſtammt, die Vorliebe zu den Finfternife 
fen iſt eigentlidy dag, was in der Sünde die Sünde 
ausmachr. 

Dieſe Vorliebe zu den Finfterniffen hat aber 
ihren Wohnfis in dem Herzen, das von dem wahren 
Gott abgewandt, fich felbft fein Gott wird, fich felbft 
zum Mittelpuncte aller feiner Strebungen macht, fets 


15 


ne Ehre und in aller, Ehre fich felbft, feine Luft und 
in aller Luſt fich felbft, fein Gut und in allem Gute 
fich felbft fucht, findet und liebt. Darin lebet, und 
daraus fließet alles Böſe; aus dem Herzen kommen 
böfe Gedanken, Mordthaten, Ehebruch, Hurerey, 
Diebftahl, falfche Zeugniffe, Lafterungen, Das Herz, 
von Gott ab- und zu fich hingefehret, iſt alfo das 
Grundbofe und die Wurzel alles übrigen Bofen. 
Und das, fagt Ehriftus , verunreiniget den Menfchen. 
Und das, fagt Paulus, ift es, was uns von allem 
Erbtheile an dem Keiche Gottes ausfchließt. Und das, 
fagt Johannes, ift die Liebe der Welt, die mit 
der Liebe des Baters nicht beftehen kann. lind das 
iſt, fagt derfelbe Johannes , der eigentliche Welts 
. geift, der fich in drey Öefalten, Augenluft, 
Sleifhestuft, und Lebenshoffart offenbart, 
und in jeder verganglich ift, und in jeder ein Feind 
Gottes, und ein Widerchrift. Und das, fagt derfels 
be Johannes , ift das Arge, in dem die Welt Liegt. 
Und das, fagt Paulus, it der Abgrund der 
Gottlofigfeit, die alles wahre Leben aus Gott 
ertödtet, und Die Menfchen ohne Ehriftus , ohne Gott 
in der Welt umbertreibt. 

Wenn ich von Diefem fchauerlichen Gemählde 
“ des Böfen in mein Herz hineinfehe, und darin for 
fihe; was fehe ich in mir? 

(Der ungebefferte Sunder mwirde , erleuchtet von 

dem Geifte des Lichtes, und parteylos in fich 

forfchend, das erbliden, was hier gefchrieben 
ſteht:) 

Vorerſt erblicke ich in mir die Wurzel der Sün⸗ 
de, jene unſelige Fertigkeit, Gott, das höchſte un» 
wandelbare Gut, das allein — ſchön, weife, felig 
macht, aus Aug’ und Gemüth zu laffen, und dafür 
das vergängliche Gut, das durch falfchen Glanz blens 
det, und fein wahres Nicht durch Lüge deckt, fchnell 


14 


in's Aug’ und Herz zu faffen, und feft im Auge und 
Herzen zu behalten. 

Sch fehe in mir die Wurzel der Sünde, jene, 
faft eiferne Gewohnheit, dem Lichte, das mich zu 
Gott zurückweifet, den Rücken zu fehren, und dem 
gewaltigen Keize der Sinnenluft und Eitelfeit des Les 
bens, der mich von dem ernften Gedanken an den 
ewigen Kathfchluß, an den heiligen Willen, und an 
dag heilige Reich Gottes ab und zu fich Hinzieht, 
Herz und Willen hinzugeben. 

Was fehe ich in mir? Ich fehe aus Ddiefer gif: 
tigen Wurzel hervorfproffen, und immer mehr Wachs⸗ 
thum gewinnen, den Trieb anders zu fcheinen, und 
anders zu ſeyn, und in dem Triebe Falfchheit, 
Heucheley, Lücke; — ich fehe, aus dieſer giftie 
gen Wurzel hervorfproffen, und immer mehr Wachsthum 
gewinnen, den Trieb, Güter der Erde in Befis zu 
bringen, und den Befig theils zu ſichern, theils zu 
vergrößern, und in dem Zriebe Lift, Züge, Ge 
malt, Unrecht; — ich ſehe aus Diefer giftigen 
Wurzel hervorfproffen, und immer mehr Wachsthum 
gewinnen, den Trieb, zu genießen und das ganze 
Dafeyn in einen Lebensgenuß zu verwandeln, und in 
dem Triebe Leppigfeit, Schwelgerey, Selbſt—⸗ 
fhbandung und Hinopferung des Höhern 
im Dienfte des Ginnlichen. 

Was fehe ich in mir? Ich fehe an diefem Baus 
me des fittlichen Verderbens hängen die .bitterften 
Früchte: Erfhöpfung des Leibes, Verfin 
fterung des Verftandes, Zerrüttung des 
Gedadhtniffes, Sram, Ueberdruß, Läh⸗ 
mung des freyen Willens, Unfriede im 
Gemiffen und im Herzen, Ohnmacht, die 
ihrem Bruder , dem Tode winkt. 

Und diefe bittern Früchte, und diefer gan» 
se Baum des Verderbens, und dieſe giftige 


15 


Wurzel, aus der Baum und Früchte hervorgemach» 
fen find, was follen fie denn? 

Was anders, als mich vorerfi zurückweiſen, 
und dann zurücknöthigen ‚zu dem Öott, von dem ich 
abgefallen bin; zu dem Gott, der mich durch die 
bittern Früchte des Abfalls zu fich zurückruft; zu dem 
Sott, der mir durch das Licht, das mein Inner— 
fies erleuchtet, die Zurückführung zu fich gleichfam 
verbürgt bat. 


Bei ei 


Dank dir, du unſer Herr und unfer Gott! 
Dank dir, du alldurchfchauendes Auge! Dank 
dir, du allerleuchtendes Licht! Dank dir dafür, 
daß ich, durch den Bliß deines Auges anfgeweckt 
aus meinem Schlummer, und erleuchtet durch 
dein Licht, die Beftimmung meines Mefens 
und Dafeyns, und die unzahligen Abweichun— 
gen von dieſer Beflimmung, Sünden und 
Schwächen, in diefem deimen. Lichte habe Een- 
nen lernen. O! laß dieß dein Licht immer tie= 
fer und tiefer in die geheimfte Stätte meines 
Gewiflens und Herzens eindringen; damit die 
verborgenften Sünden aus ihren Minfeln her- 
vortretend,, meinem Blicke fo wenig als dem 
deinigen entfliehen. Eünnen. Laß mich mit mir 
vertraut werden , daß ich mid) erkenne, nicht wie 
id) vor mir erfheine, jonderu wie ich vor dir 
bin; nicht wie.mich meine oder fremde Kigenliebe 
ſchildert, jondern wie mich dein Nichterauge 
durchſchauet. Bor dir will ich den Abgrund des 
Böfen in mir erforfchen ; die Lauterkeit deines 
Mejens joll mir die Unlauterkeit des meinen, 
deine Wahrhaftigkeit ſoll meine Lügenhaftigkeit, 
die Heiligkeit deines Geſetzes die Zahl und Die 


16 


Größe meiner Uebertretungen, deine Schönheit 
meine Haßlichfeit — offenbaren , bis ich, unfähig 
mich aus mir felbft zu reinigen und zu beffern, 
mid) gedrungen fühle , zu dir zu rufen Tag und 
Naht: Herr!reinige mid von mir, 
und verwandle mich in Das Bild von 
dir, durch Jeſum Chriftum, deinen Sohn, un: 
fern Herrn. Amen. | 





III, 


Was mir bisher einleuchtend wie der helle Tag geworben, 
das ift die Beftimmung des Menfchen und die Abweichung 
davon: ich weiß , was der Menſch feyn ſoll; ich weiß, was der 
Sünder ift. Ich habe die Sünde, die den Knecht der Sünde 
beherrfcht, genau .erforfht, und zwar vorerft -in ihrer giftigen 
Wurzel, aus der allein alles einzelne Böſe Eeimt ; dann an dem 
großen Baumedes fittlichen Verderbens, der daraus erwachlen 
iſt; endlih an den bittern Früchten, die daran zur Reife 
gekommen find und kommen werden. 

Nun muß ich wohl auch das Gute, dasim Guten herrfchend 
ift, und im Böfen Eeine Etätte finden kann, Eennen lernen. Der 
du der allein Gute bift, Iehre mich Tennen, was dir ähnlich 


iſt! 





Dritter Tag. 


Der treue Fortſchritt des Menfchen auf der Bahn 
feiner Beftimmung, oder das bherrfchende Gute im 
Menſchen. 


Schriftſtellen. 


1. Wi wiſſen, daß die Trübſal Geduld, Geduld Bewäh: 








rung, Bewährung Hoffnung wirfet, die Hoffnung aber nicht | 
zu 


17 


zu Schanden werben laßt; denn die Liebe Gottes iftin unfern 
Herzen ausgegoffen durd) den heiligen Geift, der uns gegeben 
ift. Röm. V.3 — 5. 

2. Sn Ehriftus Zefus gilt weder Sudenthum noch Heiden- 
thum, fondern die neue Schöpfung. Gal. VL. 15. 

3, In Chriftus Jeſus gilt weder Sudenthum nod) Heidens 
tbum, fondern der Glaube, thätig if Liebe. Gal. V. 6. 

4. Die Frucht des Geiftes iſt: Liebe, Freude, Friede, 
Geduld, Freundlicykeit, Güte, Langmuth, Sanfımuth, Glau: 
be, Befcheidenheit , Enthaltfamkeit, Keufcyheit. Gal. V. 22.23. 

5. Raffet ung Gutes thun, ohne darın müde zu werden; 
denn zu feiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nur 
nicht ermatten. al. VI 9. 

6. Da uns allen feine göttliche Kraft, die zum Leben und 
zur Gottſeligkeit dient, gefchenft ift, durch die Erfenntniß deffen, 
der uns berufen hat durdy feine Herrliczkeit und Macht; durch 
welchen er uns die größten und köſtlichſten Verheißungen ge— 
ſchenkt hat; damit ihr dadurd) der göttlichen Natur theilhaftig 
werden follet, indem ihr die verderblichen Lüfte der Welt flie- 
bet: fo wendet nun auch allen Fleiß an, umd zeiget bey eurem 
Glauben Tugend, bey der Tugend Erkenntniß, bey der Erfennts 
niß Enthaltfamfeit, bey der Enthaltfamfeit Geduld , bey der 
Geduld Sottfeligkeit, bey der Sottfeligkeit Bruderlisbe , bey der 
Bruderliebe Menfcyenliebe,. II. Petr, I. 3 — 7. 

7: Kindlein! laffet euch nicht verführen: wer recht thut, 
der ift gerecht, wie audy Er (Ehriftus) gerecht ift — — — 
Seder, der aus Gott geboren ift, thut Feine Sünde, I, Joh. 
1.7 & 


‚Betrabhtung. 


Wohl die meiften Menfchen gehen mit verbunde: 
nen Augen durch das Leben; kennen nicht ihren Ur— 
fprung, nicht ihr Ziel, nicht den geraden Weg 
dahin, taumeln alfo nur und tappen, bis fie 
links oder rechts irgend ein Abgrund verfchlingt, 

Unter diefe Zaumler will ich nicht gehören. 
ich will das Auge, das mir der Herr aufgethan hat, 
offen behalten; und da ich das berrfchende Böſe 
fchon erforfcht Habe; fo will ich auch dem herrfchenden 

Sailer, d. chriſtl. Monath. 2 


18 


Guten nachforfehen, bis ich es erkannt haben wer⸗ 
de. Die Apoftel des Herrn, von feinem Geiſte ange: 
wehet, Petrus, Paulus und Johannes, haben das 
Gute im Lichte erkannt, haben es in fich felber al3 in» 
wohnend angefchaut, haben es in den angeführten 
Stellen Elar befchrieben. Was fagt und lehrt uns die: 
fe Befchreibung? Wer Wahres reden, Gutes thun, 
Gerechtigkeit üben, Gaben fpenden will, muß vorerſt 
ſelber wahrhaftig fepn, aut feyn, —— gü- 
tig feyn, muß ein gefunder Baum ſeyn, um 
gefunde Früchte zu bringen. Nur der Wahre 
haftige fpricht aus der Wahrheit, nur der Gute 
thut Gutes, nur der Gerechte, was recht ift, nur 
der Gütige öffnet die Hand zum Geben. Was nun 
aber den Falfchen wahrhaftig, den Verkehrten aufrichs 
tig, was den Böſen gut, den Ungerechten gerecht, den 
Harten freygebig, den Franken Baum gefund macht, 
das ift die Liebe, die der heilige Geift in dem Her: 
zen des Menfchen ausgießt. Diefe Liebe, von dem hei- 
ligen Geiſte, der fie ausgießt, die heilige genannt, 
ift felbft das Gute, und faßt alles einzelne Gute, alle 
andern Tugenden in fich ; ift felbft das Gute, und macht 
den ganzen innern Menfchen gut; ift felbft das Gute, 
. und offenbart fich in lauter guten Werken. Diefe drey 
Kennzeichen des Guten find die fprechendften für jeden, 
der ihre Sprache verfteht. 


I, 


Die Liebe Gottes und des Näachften 
ift felbft das Gute, und faßt allesübrige 
Gute in fi. Denn fie ift das, was der Herr ge 
bothen hat, und ift der eine Inbegriff aller Gebothe: 
du folft den Herrn deinen Gott lieben aus deinem gan= 
zen Herzen, aus deiner ganzen Seele, und aus deinem 
ganzen Gemüthe, Dieß ift das größte und erſte Geboth. 
Das andere aber iſt ihm gleich : du follft deinen Nach: 


19 


ften lieben, wie dich felbfl. An diefen zwehyen Gebo- 
then hängt das ganze Gefeb und die Propheten. Matth. 
XXI. 37 — 40. 

Gott ift die Liebe, und will geliebt ſeyn 
von uns Allen, und will geliebt ſeyn aus ganzem 
Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Ges 
müthe, und hat dieſes ſein Wollen zum erſten und 
größten Gebothe gemacht, und kann, weil er die Lie— 
be ſelbſt iſt, nichts als Liebe gebiethen, nichts als 
Liebe belohnen, Die Liebe muß alſo das Gute ſeyn, 
das wahrhaft gut, das Gottähnlich, das Gott 
gefällig, und das, weil das Feuer der heiligen 
Liebe nur von dem heiligen Geifte wie ein Feuerftrom 
im Herzen ausgegoffen werden Tann, Gottes Werk if. 

O, du heilige Liebe, wie ſchön biſt du! fo ſchön 
wie Gott felber! Sein Bild, fein Wohlgefallen, fein 
Werk feh’ ich an dir! Nun begreife ich, daß du alle 
andere Tugenden in dir faffeft, und faffen mußt. Denn, 
wie die Sonne der Mittelpunct aller Strahlen iſt, die 
von ihr ausgehen, fo bift du der Mittelpunct aller gu— 
ten Handlungen, die von dir ihr Licht, ihr Leben neh— 
men. Nun begreife ich, daß du alles andere Gute noth= 
wendig in dir faffef. Denn von dir fagt Paulus, 
was er im tieffien Grunde erfannt hat: daß du bift eine 
neue Schöpfung ©ottes, daß du bift das rechte 
Glaubensleben im Menſchen, daß du bift die 
Eine und vielgeftaltige Frucht des Gei— 
ſtes, mit welcher Friede und Freude, Geduld und 
Freundlichkeit, Gute und Langmuth, Sanftmuth und 
Befcheidenheit, Enthaltfamfeit und Keufchheit in das 
Herz kommen — lauter Früchte desfelben Geiftes. Du 
bift, wie Petrus fchreibet, die fchönfte Theilnahme an 
der göttlichen Natur, und mit dir fommt Erkenntniß 
und Geiſtesſtärke, Gottfeligkeit und Bruderliebe, Ente 
baltfamfeit und Geduld in das Herz. — 

2 


20 


2. 


Die Liebe Gottes und des Rächſten 
ift felbft das Gute, und macht den ganzen 
innern Menfchen gut. 

Per Gott liebt, aus ganzem Herzen, aus gans 
zer Seele, aus ganzem Gemüthe liebet, kann eben 
deßwegen weder fich felbft, noch die Welt aus ganzem 
Herzen, aus ganzer Seele, au ganzem Gemüthe lie: 
ben; ift alfo rein von Hoffart und Herrſchſucht; 
die das ch des Menfchen zu ihrem Gott macht; ift 
rein von Eigennutz und Geiz, der das Gut der 
Erde zu feinem Gott macht; ift rein von aller Ge— 
nußfucht, die die Sinnen und Fleiſchesluſt zu ihrem 
Gott macht. Wer Gott aus ganzem Herzen, aus gan: 
zer Seele, aus ganzem Gemüthe liebt, bleibt nicht nur 
rein von allem Bofen; er iſt auch thätig zu allem Gu⸗ 
ten, flieht ganz im Dienfte feined Gottes; der ganze 
innere Menfch fteht im Dienfte Gottes; die Ver: 
nunft frage nur nad) Gott, der ihre Wahrheit; der 
Wille fragt nur nach Gott, der fein Geſetz; das Ger 
müth fragt nur nach Gott, der feine Schönheit und 
fein höchſtes Gut geworden ift. In Gottes Licht denkt 
und ſchaut, in Gottes Liebe bethbet an und rus 
bet, in Gottes Leben wirft und waltet der innere 
Menfch. Die Liebe ift das Gute, und macht den gan- 
zen innern Menfchen gut; denn fie bewachet und zugelt 
und feffelt die Begierlichfeit, daß fie feinen Auf 
uhr wider Gottes Drdnung geltend machen kann; fie 
unterjochet die Sinnlichkeit dem Geifte, und den Geift 
unterwirft fie Gott, dem Water aller Geifter. Und, 
wo die Sinnlichkeit ihr Joch tragt, meil fie muß, 
und der Geift das feine, weil er will: da regiert wahr- 
haftig Gott felber im Menſchen. Denn, wo die Liebe 
regiert , da regiert Gott felber, und wo Gott regiert, 
daft Gerechtigkeit, Friede, Freude im hei— 


21 


Ligen Geifte, da iſt der ganze innere Menfch ‚gut, 
gut wie die Liebe „ gut wie Öott. 


3. 

Die Liebe Gottes und des Nächſten 
iſt felbft das Gute, und offenbart ſich 
durch lauter gute Werfe im Angeficdhte 
derKirche und im Auge der Welt, ift, nad) 
dem Worte Chrifti, der gute Baum, der 
feine Gefundheitdurd lauter gute Früde 
te fund thut. Matth. VIL 17. ; ift die ungetrübte 
Brunnenquelle, die ſtets reines, frifches Waffer fpene 
det; ift das heilige nie erlöfchende Feuer, das durch 
fein Licht erhellet, durch feine Gluth erwarmt, und 
durch feine Flamme entzündet, was fich erhellen, er: 
wärmen, entzunden laßt. Wenn die Hand Almoſen 
dem Dürftigen darreicht: fo ift es die unfichtbare Liebe, 
die im Sichtbaren die Hand zum Geben vffnet. Wenn 
fich die Hande falten, die Augen heben, die Zunge 
ſich beweget zum außern Gebethe: fo ift es die unfichts 
bare Liebe, die aus fich bethend, im Sichtbaren Zuns 
ge, Augen, Hände — zu ihren Dolmetfchern macht, 
Wenn der Ehrift feinen Leib in Zucht nimmt, und durch 
Abbruch in Speife und Trank, fich zu den fehweren 
Proben der Enthalifamkeit vorübet: fo ift es die uns 
fichtbare Liebe, die im Innern fich opfernd nach dem 
Wohlgefallen Gottes, auch das außere Dpfer, das 
- Saften weihet, heiliget und Gott angenehm macht. Hier 
zeiget fich fonnenflar, was es Großes ſey um die wahre 
Kechtfchaffenheit des Menfchen! Die guten Werke kom— 
men alle aus dem guten Willen: der gute Wille ift 
die heilige Liebe: die heilige Liebe ift das rechte 
‚ gottgefallige Leben des Glaubens: die Glaus 
bensleben it Frucht des heiligen Geiftes, ift wahre 
baftig eine neue Schöpfung. Denn nur die ſchö— 
pferifche Macht des Herrn, nur der Geift Gottes kann 


22 


folche Wunder thun im Menfchen. Doch »darf der - 


Menſch dabey nicht müßig feyn, er ift unermüdlich in 
dem, was fein ifl. Die Schupfung ift Öottes; 
des Menſchen Tagewerk heißt: in Einftimmung 
mit der fchöpferifhen Macht Gottes nur 
Gutes thbun, und unermüdlich feyn im Gu⸗ 
testhbun. Denn jede gute That ift ihm eine Ausfaat 
auf den Tag der Garben, und wer unermüdlich iffim 
Ausfaen, dem wird die Ewigkeit eine lautere Ernte 


ſeyn. 
Gebeth. 


Dein Eingeborner, Vater! hat uns dich ſelbſt 
als Muſter, das wir in uns nachbilden und an 
uns offenbaren ſollen, aufgeſtellt, indem er ſag— 
te: Seyd vollkommen, wie euer Vater 
im Himmel vollkommen iſt, Math. V. 48.; 
liebet eure Feinde; ſegnet die, welche euch flu— 
chen; thut Gutes denen, die euch haſſen; bethet 
für die, welche euch läſtern und verfolgen; da— 
mit ihr Kinder des himmliſchen Vaters ſeyd, 
der feine Sonne über Gute und Bofe aufgehen, 
und über Ungerechte wie uber Gerechte regnen 
laßt. Matth. V. 44. 45. Did, Bater, nach— 
ahmen, dich in Liebe nahahmen, und in die 
fer Nachahmung beharren, und durch diefe Nach- 
ahmung dir immer aleicher werden, das ift die 
Bollfommenheit, die uns Sefus als unfer 
Gefeßgeber zur höchſten Richtſchnur vor unfre 
Augen hingeſtellt, und als dein Ebenbild in ſei— 
nem Leben vorgemacht hat. Laß diefe Voll— 
kommenheit ftets als ungetrübtern Spiegel vor 
meinem Blicke ftehen; damit ic) darin vor jeder 

andlung meine Pfliht, und mac jeder 

andlung meine Uebertretung oder Erfül- 


25 


lung der Pflicht lefen kann. Aber nicht nur Hin- 
einſchauen in dieſen ungetrübten Spiegel, in 
dieſes Gesetz der wahren himmliſchen 
Freyheit laß mid; Bater! fende mir auch Geift 
und Leben in mein Gemuth, daß ich nicht das 
Bild des Thieres, fondern das Bild Chrifti 
in meinen Handlungen darftelle, und durch fort: 
fhreitende Nachahmung deines Sohnes ein treu: 
es Abbild des Vaters werde. 





IV, 


Gott und meine Beitimmung. Gott, und der Abfall von 
Gott, das herrfchende Böfe. Gott, und die Nachahmung Gottes, 
das herrfchende Gute, fteht heil vor meinem Blick. Die Weisheit 
bat mir dieß Alles enthüllt. Nun habe ich Eein dringenderes Bes 
dürfniß, als fie, die Weisheit , zu fragen, wieder Böſe gut 
werden fann, und die Antwort aus ihrem Munde zu vernehs 
men, und den Sinn der Antwort in That zu verwandeln. 

Göttliche Weisheit! Lehre mich das Geheimniß der Sinnesänz 
derung vorerfi verftehen, dann aus Erfahrung inne werden. 


Renten Ba 


Bon der Um-und Rück-Kehr zu Gott, von der Sin» 
nesanderung. 


Shriftftellen 


4, Sput Buße! das Himmelreich ift nahe gelommen. Gebet 
zu, daß ihr rechtfchaffene Früchte der Buße bringet. Die Art 
ift den Bäumen fchon an die Wurzel gelegt; der Baum, der 
nicht gute Früchte bringt, wird ausgehauen , und in’d Feuer 
geworfen. Ich taufe eud) mit Waffer zur Buße; der aber nad) 
mir Eommt, ift mächtiger als ich, und wird mit dem heiligen 


24 


Geiſte und mit Feuer taufen; ich bin nicht werth, ihm die 
Scyuhe nachzutragen. Matth. III. 2, 8. 10. 11. 

2. ©elig find, die da nach der Gerechtigkeit hungert und 
dürftet, denn fie werden fatt werden. Matth. V. 6. 

3. Als er noch weit entfernt war, fah ihn fein Water, 
und erbarmte fich, und eilte ihm entgegen, und fiel ihm um ben 
Hals, und küßte ihn. Luk. XV. 11 — 32. 

4, Sc) (Jeſus) fende dic) unter die Heiden, aufzuthun 
ihre Augen, daß fie fi) befehren von der Finfterniß zum 
Lichte, und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfan— 
gen Vergebung der Sünden, und das Erbe mit denen, die ge- 
beiliget werden durd) den Glauben an mic). Apoftelgefcy. XXVL. 
18. 
5. Gott, der reich ift an Barmberzigfeit, hat durdy feine 
große Liebe und, die wir in den Sünden erftorben waren, mit 
Chriſtus lebendig gemacht, mit ihm auferweckt , in das himmli- 
ſche Wefen verfeßt; denn aus Gnaden feyd ihr felig geworden, 
Ephef. II. 4 — 6. 

6. Nehmet hin den heiligen Geift: welchen ihr die Sün— 
den erlaffet, denen find fie erlaffen; und welchen ihr fie behal: 
tet , denen find fie behalten. Joh. XX. 22. 23. 

7. Wahrlich, id) fage euch, wenn ihr nicht umfehret und 


werdet wie die Kindlein: fo werdet ihr nicht in das Himmel— 


reich Eommen; wer ſich nun felbft erniedrigt, wie dieß Kind, 
der ift der größte im Himmelreich. Matth. XVIII. 3. 4, 


Betradhtung. 


Wo Sünde, da iſt Finfterniß. Denn alle 
Sünde wird im Finftern geboren, und der Sünder 
kennt nicht einmahl die Sünde, die doch in ihm les 
bet. Selbft das Licht in ihm iſt Finfterniß geworden: 
wie follte er fehen? Demnach ift vor dem Blicke des 
Sünders verborgen fo wie die Sünde, die feinen Ab— 
fal und feine Entfernung von Gott ausmacht, alfo auch 
die Sinnesänderung, wodurch er feine Umkehr 
Re Rückkehr zu Gott anfängt, fortfegt und vollens 

et. 

Der Sünder foll ein ganz anderer, fol ein 
ganz neuer Menfch werden, neu in Öefinnung und 


Zu 


25 


Leben; der Lügner fol wahrhaftig, der Gottloſe gott: 
felig , der Ungerechte gerecht, der Habfüchtige freyges 
big, der Stolze demüthig, der Frdifchgefinnte fol 
himmliſch gefinnt, der Thiermenfch ein Menſch des 
Geiftes werden. Wie kann er das? Er weiß es nicht. 
Bekehrt fol er werden, von der Finfterniß zum Lich» 
te; erweckt foll er werden aus dem Tode zum Leben: 
wie fann er das? Er weiß es nicht. Was er nicht 
weiß, das weiß die wahre Weisheit, und die fagt es 
ihm, / 
Umfehr, das ift das Wort des Herrn, Umkehr 
auf dem Wege des DWerderbens ift der Anfang aller 
Sinnesanderung, aller Buße. Denn wer auf der Bahn 
der Ungerechtigkeit und Sottlofigkeit immer weiter forte 
geht, muß immer ungercchter, gottlofer werden, wird 
. alfo nie ftille ſtehn, noch weniger den entgegengefesten 
Meg einfchlagen. Und doch muß der entgegengefeste 
eg eingefchlagen, Umkehr muß verfucht, Umfehr muß 
bewirkt werden , wenn der Sünder gerecht werden foll. 
Der Sünder, in leeren Einbildungen von fich felbft 
eingewiegt, muß von diefen ertraumten Höhen herunters 
fleigen, muß zu ſich kommen, muß, in der Sprache 
des Evangeliums, ein Kindlein werden, wenn er 
den Pfad in das himmlifche Reich foll antreten können; 
muß ein Kindiein werden, das, fern von Anmafßung 
und Dünkel, glauben, hoffen, lieben fann. Wenn 
ihr nicht umkehret und werdet mie die Kinds 
lein, fo könnet ihr nicht eingehen in das 
Himmelreich. Umkehr ift alfo norhwendig. Wer 
fich erniedrigt, wie dieß Kind, der ift der 
Größte im bimmlifchen Keiche. Die Selbfts 
erniedrigung des Sunders ift alfo das Morgenroth al: 
les Heiles. Sich felbft erniedrigen um feiner Sünden 
willen kann aber der Sünder nicht ; wenn er nicht neue 
Augen befommen hat, in fich die Sünde, und in der 
Sünde fein Elend zu ſchauen; wenn er nicht ein neues 


26 


Herz bekommen hat, fein Elend zu fühlen; wenn er 
nicht neuen Muth in’s Herz befommen hat, umyus 
fehren aufden Wege des Verderbens, auf dem We⸗ 
ge der bisherigen Selbſterhöhung. Einer iſt es, der 
das verfchloffene Geiftesauge aufthut; Einer, der ein 
neues Herz ſchaffet; Einer, der neuen Muth verleihet 
— göttlichen Ernft zur Umkehr. Umkehr ift alfo noth» 
wendig, und fann nur durch den, welcher Macht hat, 
die Augen des Geiftes aufzuthun, neue Herzen zu fchaf- 
fen, und fie mit göttlichem Ernfte zu waffnen, wirks 
lich werden. 

‘ Umkehr ift aber erfi der Anfang der Ginnesän« 
derung; mas fol noch werden ? Die Umkehr — muß 
eine Rückkehr zu Gott werden; die Rückkehr zu 
Gott muß vollftändig werden, Wie fann das? 

Umkehr iff eine Wegwendung, eine Ummendung 
des ganzen innern Menfchen von der Sünde und ihrem 
verführerifchen Wefen ; Rückkehr ift die beharrende Hin 
wendung des ganzen innern Menfchen zu Gott; ift die 
Wiederkehr des verirrten Sohnes zu feinem Water, der 
dem Wiedergefundenen entgegeneilt, den Keufinnigen 
in feine Arme fchließt, dem nach Vergebung Schmad)» 
tenden den Kuß der Verfühnung darreicht, den King 
der Sreundfchaft an feinen Finger fteft, die Lumpen 
des Bettlers mit dem ſchönſten Feperkleide des Sohnes 
austaufchet, und in feinem Wiederfommen die Aufer- 
ftehung aus dem Zode feyert: Bringetdas Maſt— 
falb ber und fchlachtet es, und laßt ung 
effen und fröhlich feyn: denn dDiefer mein 
Sohn war todt und ift wieder lebendig 
geworden, warverloren, und ift wieder gs 
funden worden. Luk. XV. 11 — 24. 

Diefe Um- und Rückkehr zu Gott, diefe voll 
ftardige Sinnesanderung , und nur diefe iff 1.) die rechte 
Erneuerung des Menfchen in Sinn und Leben, ift wah— 
re Gottgefälligkeit des innern und außern Mens 


uch 
fchen, ifi die Gerechtigkeit, die vor Öott 
gilt, und denen zu Theil wird, die einen lebendigen 
Hunger und Durft nach Gerechtigkeit haben , die Chris 
ftus felig preifet; weil diefer Hunger und Durft nad) 
- Öerechtigfeit nur von Gott fommen, und nur in Gott 
volle Sättigung finden fann, und finden wird. Wie 
das gewaltige Triebrad in der thierifchen Haushaltung 
des Menfchen, der Hunger und Durft, die Kräfte des 
Verftandes und des Leibes in Bewegung fest, und Feine 
Ruhe eintreten laßt, bis Speife und Trank , bi$ Sät- 
tigung des finnlichen Bedürniſſes gefunden iſt: fo regt 
fidy in der geiffigen Haushaltung des Menfchen, dem 
das Keich Öottes in und mit der Sinnesanderung nahe 
gekommen , ein gemaltiges Sehnen, ein Hunger und 
Durft nach himmliſcher Speife; nach edlerem Tranfe, 
der nicht ruhen fann , big das Bedürfniß nach Öerech: 
tigkeit geftillt feygn wird, bis der Öott, der den Huns 
ger und Durft nach Gerechtigkeit entzundet hat, den» 
felben auch gefattiget haben wird. 

Diefe vollftäandige Sinnesänderung ift 2.) fo offen» 
bar das Werk der ewigen Erbarmung, daß, wie Chri- 
fius nur durch göttliche Macht aus dem Tode erwecket 
und in das himmlifche Wefen verfeßt werden Fonnte, 
fo auch der Sünder nur durch göttliche Macht aus 
dem Tode des Geiftes zum Leben des Geiftes aufer- 
wecet und in's himmlifche Wefen verfest werden Fann. 
Deßhalb nennt der Apoftel jede wahre Befehrung des 
Sünders eine Mitaufermwecfung aus dem Tode, 
eine Mitverfetzung in den Himmel — mit Chris 
fius. Wie Gott zu allem Guten der eigentliche er» 
fte Beweger ift; fo muß er wohl auch der erfte 
Bemweger zum Anfange, zur Fortfegung und Voll 
endung der Sinnesänderung ſeyn. 

Diefe vollftandige Sinnesanderung iſt 3.) die 
rechte Feuer-und Geiftestaufe, womit Chri— 
flus tauftl, Es ift Feuer, was den innerften Sinn 


28 


des Menfchen neu fchaffet, neu bildet; es iſt Geiſt, 
was den thieriſchen Menſchen in einen geiſtigen Men: 
ſchen verwandelt. Johannes konnte wohl Buße predi⸗ 
gen, konnte auch durch ſeine Taufe am Jordan zur 
Buße einweihen; aber das Werk der Umwandlung 
ſeiner Zuhörer in neue, himmliſche Weſen konnte er 
nicht zu Stande bringen; dazu mußte Einer aus dem 
Himmel kommen, der mit Geiſt und Feuer taufte, 
Jeſus Chriſtus. 

Dieſe vollſtändige Sinnesänderung hat 4.) zum 
unverkennbaren Siegel den Frieden aus Gott, 
und den Wandel vor Gott. Den Frieden 
aus Gott; denn, wen immer der Vater in ſeine 
Arme ſchließt, wen Er neu kleidet, wen Er als ſei— 
nen wiedergefundenen Sohn anſieht: dem iſt aller Uns 
dank, alle Untreue vergeben. Zu wen Chriſtus durch 
Die Kirche fpricht: Sey getroft, mein Sohn! 
die Sünde tft dir verziehen: dem iſt fie auch 
verziehen, dem ift, mas auf Erden gelöfet ward, auch 
im Himmel gelöfet., Der Friede Gottes, geflüst auf 
das Zeugniß der Wahrheit: Gottes Kind bift 
du, Gottes Erbe wirftdu, kehret in fein Herz. 

Die vollfiandige Sinnesänderung beftatiget fich 
aber nicht nur durch den Frieden aus Gott; fie bes 
ftatiget fich auch, durch den Wandel vor Bott. 
Denn, wie der, den Gott gerecht gemacht hat, durch 
Liebe in Gott lebet, fo wandelt er auch durch den 
Gehorſam aus Liebe vor Gott, Die Kückfehr zum 
Bater fpiegelt fih in allen Handlungen des wiederges 
fundenen Sohnes : jeder Schritt iff vor Gott gethan. 


En Bat BE SE 205,7 
Deine verirrten Kinder, Vater! mußten ver- 


zweifeln, wenn es Eeine Rückkehr zu dir gabe, 
oder wenn du die Nückkehrenden noch zurückſto— 





29 


fen könnteſt. Berzweifeln müßten fie, wenn 
du fie nicht in deine Arme ſchlößeſt, du fie nicht 
in das weiße Gewand der Gerechtigkeit Eleide- 
teft, du ihnen den Friedenskuß, Kindesrecht, 
und Kindestheil verweigerteftz — das Eannft du 
nicht — und darin liegt unfer Heil. 

Vielmehr fiehft du jedem deiner verirrten 
- Söhne mit Langmuth nad) ladeſt ihn freundlich) 
zur Miederkehr , nöthigeft ihn Durch Keiden zurück, 
legeft ihm Muth zur Umkehr und Kückkehr in’s 
Herz, und wenn er, die Thranen der Scham 
und Neue im Auge, und Schmerz und Zuverficht 
im Gemüthe, zu Dir zurückkehrt; jo kannſt du fein 
Kommen nicht abwarten, eileft dem noch Fernen 
entgegen, und fällſt ihm da, wo du ihn friffit, 
um den Hals, und fchenkeft ihm deine Baterhuld, 
und den Kuß der Berfohnung, und das Gewand 
der Gerechtigkeit, und das verlorne Kinderrecht, 
und ſprichſt: Nun habe ich meinen Sohn wieder, 
und er feinen Vater, und von nun an gibt es 
feine Trennung mehr. 

Pater! auch ich bin eines deiner verirrten 
Kinder! Laß auch mich diefes Wort hören: Nun 
habe id) meinen Sohn wieder, und er feinen 
Dater, und von nun an gibt es Feine Trennung | 
mehr! Amen, 





V. 


Bisher lehrte mich die chriftliche Weisheit die Beftim- 
mung des Menfchen ‚den Ab fall desfelben oder das Böfe, das 
Gute und die Umkehr von dem Böfen, und die Rüdkehr zu dem 
Guten kennen. Da nun aber die Umkehr von dem Böfen, und 
die Rückehr zu dem Guten für den Menfchen als Sünder die 


30 


Hauptfache iſt: fo wird es für mich und meines Gleichen äußerſt 
wohlthätig feyn, diefe Hauptfache in ihren einzelnen Erfordernif- 
fen völliger zu betrachten , genauer zu erwägen, und näher an das 
Herz zu legen, als es bisher gefchehen Eonnte. Dieß fol der In— 
halt nachftehender Betrachtungen 5 — 11. feyn. . 





Fünfter Tag. 


Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem erften 
und zweyten Erforderniffe, 


Schriftftellen 


1. Baeehret euch, und thut Buße von allen euern Sün— 
den, und es wird euch die Sünde nicht mehr zum Unheile ſeyn. 
Werfet von euch hinweg alle eure Uebertretungen, und machet 
euch ein neues Herz und einen neuen Geift — — denn Ich, 
fpricht der Herr, will nicht den Tod des Sterbenden, fondern, 
daß ihr umkehren und leben follet. Ey. XVIII. 30.— 32. 

2. Bekehre uns zu dir, o Herr! und wir werden zu dir 
befehret werden, Ser. Thern. V. 21. 

3. Befehre du mid) , und id) werde befehrt werden; denn 
du bift der Herr, mein Gott. Ser. XXXI. 18. 

4, Er fchlug aber in fidy und fprady: Wie viele Taglöhner 
hat mein Vater, die Brot übrig haben, und ich muß hier ver: 
bungern. Sch will mich aufmachen und zu meinem Water ge: 
ben, und will zu ihm fagen: Water, ich habe mich an Gott 
verfündiget undan dir! Luk. XV. 17. 18. . 


Setradhtung 


Was unfere Sprahe Buße, Befferung, 
Sinnesäanderung, Umkehr und Rückkehr 
zu Gott, im befannteften Ausdrucke der Bibel und 
der Kirche: Bekehrung nennet, fordert einen une 
gewohnten, überwiegenden Ernft, der allem Leichtfins 
ne ein Ende zu machen, und einem ganz neuen Leben 
den Anfang zu geben im Stande if. Nun find aber 


31 


die Menfchen in dem Gefchafte ihrer fogenannten Bef- 
ferung gerade fo leihtfinnig, wie im Gündigen 
felbfl. Sie wollen, und wollen nicht. Daher kommt 
es, daß fie Jahr aus Fahr ein Buße thun, und nie 
beffer werden; daß fie die alten Sünden befennen 
und neue begehen, ja die Buße felbfi, als Miß⸗ 
brauch des angebothenen Heilmittelö, eine neue Suns 
de werde, 

Vergeffend, was Andere thun, will ich in dies 
fer bedeutendften Angelegenheit bloß auf mid fe 
ben, und auf dag, was mir zum Frieden dienet, Ver» 
geffend alles, was nicht zu diefem Ziele führer, will 
ich meine Befehrung jest zu meinem einzigen Aus 
genmerfe machen, und die göttliche Lehre von der 
Befehrung des Herzens und des Lebens fo anfehen, 
als wenn fie nicht nur für mich zunachft, fon 
dern als wenn fie für mich allein aus dem Him- 
mel gefommen ware, 

Was unfere Sprache Buße, Befferung, Sin— 
nesänderung, Umkehr und Rückkehr zu Gott, Be 
fehrung nennet, fordert von mir einen ungewohn⸗ 
ten, überwiegenden Ernft: 

1. zum Stillftehen auf dem Wege der 
Sünde, zum Erforfchen meines Innerften, 
zum Durchforfchen meiner Sünde. 

»Einmahl mußt du, foricht die Wahrheit zu 
mir und in mir, einmahl mußt du auf der Bahn 
des Bofen ftillhbalten, wenn du nicht von dein 
Abgrunde übereilet und verfchlungen werden ſollſt; ein» 
mahl mußt du in dein Gewiffen hineinfehen, 
und anfchauen deine Sünden, und durchſchau— 
en deine Sundhaftigkeit, wenn du davon erlöfet wer: 
den ſollſt.« 

Das: Erfenne dich felbft, iſt wahrhaftig 
ein göttlicher Ausfpruch, und dieß Sid; felbft erfen- 
nen der erfte Schritt auf der Bahn des Heils. Aber 


32 


tie werde ich mit einem ungewohnten, überwiegenden 
Ernfte mein inneres und außeres Leben durchforfchen, 
wie werde ich meine Sünden fehen können, fehen 
wollen, da eben die herrfchende Gelbftfucht meine 
Stunde ift, — da die herrfchende Selbfifucht fich in 
ihrer Schandlichfeit fehen laffen will, — da Die 
herrfchende GSelbfifucht mir das Auge verfchließt, 
daß ich meine wahre Geftalt nicht fehen fann? Wie 
werde ich das Bofe, das Finſterniß ift, und fich in 
Finfterniß verhüllt, in meinem finftern Gemüthe 
mit einem Auge, das von der Sünde Anfangs ge 
blendet, dann gefchloffen ward, fehen, durchfehen 
können, — menn der heilige Geift die zahllofen 
Blendwerke in mir nicht zerffört, ‚mein Auge nicht 
aufthut, mein unheiliges Wefen mir nicht vor das 
Auge ruft, und die Abgründe des Böſen nicht auf 
reißet vor meinem Blicke? | 
Die Befferung fordert alfo von mir 

2. einen ungewohnten , überwiegenden Ernſt 
zum Gebethe um göttliche Erleuchtung 
meines verfinfterfen Gemüthes und meines verdufter- 
ten Gewiſſens, ohne die feine lebendige Ers 
fenntniß der Sünde und Sundhaftigkeit 
werden fann. *) 

»So fomm (die erwachende Gewiſſensangſt treibt, 
nöthiget mich zum ©ebethe, und ich Fann diefer Rö— 
thigung nicht mehr mwiderftehen), fo komm denn, heilis 
ger Geift! und Teuchte, nicht wie ein vorlibereilender 
Blitz, in die Nacht des in mir waltenden Böfen hin, 
ein, leuchte wie eine bleibende Sonne über das tiefe 
Verderben meines Innerften. Laß dein Eicht re 

über 


*) Deßhalb wird in allen unfern Katechismen die Anrufung 
des heiligen Geiftesdaserfte Stück genannt, 
womit die Vorbereitung zur Beicht-und Buße anfängt. 


353 


über das, was mich freibt und drangt, uber die 
finftere Begierde nad) Luſt, nach Habe, nad 
‚Ehre. Laß dein Licht leuchten über die Tücke meis 
nes Herzens, über feine grundböfe Kunftfertigkeit, die 
Gebothe Gottes recht Flein, und die Frepheit des Flei⸗ 
ſches recht groß zu machen; über den Stolz meines 
Gemüthes in Mitte des Lafters, der Armuth, des Elends; 
über den Stolz, der das Geſetz entkräfter, und die 
Uebertretung befchönigetz über die taufend Selbſt— 
betrüge, womit idy mich fromm lüge bey aller Got: 
tesvergefjenheit, womit ich mich gut lüge bey allen 
Regungen des Neides und der Schadenfreude, womit 
ich mich ruhig lüge bey allem meinen Kriege mit mir 
felber, womit ich mich gottfelig lüge bey aller Gott— 
loſigkeit. 
- Laß dein Licht leuchten über das Gute, das ich 
thun wollte und nicht vollbracht habe, uber das Gute, 
das ich nicht einmahl thun wollte, über dag Gute, 
das ich thun wollte, wirklich that, aber mit unlautern 
Abfichten trubte; über das Böſe, das ich mwachend 
und mit Vorſatz verubte, über das Bofe, das ich mie 
im Traume neben einfommen ließ, über das Böſe, das 
ich liebte, ohne es vollbringen zu können. 

Zaß dein Licht leuchten über die Quelle alles ein« 
zelnen Bofen, d. i. uber meine unendliche Selbftfucht, 
die fih in Allem fuchet, die fich in Allem findet, 
und die fich in allem Suchen und Finden vor dem Aus 
ge des Gewiſſens — verbirgt — , die deßhalb Selbft- 
ſucht heißt, weil fie fi in Allem zu fuchen weiß, 

Laß dein Licht leuchten über die Tragheit des 
Geiftes, da, wo ich mich für Andere in Bewegung fete 
zen follte; über die Feigheit des Geiſtes, da, wo 
ich für die Wahrheit, Gerechtigkeit vor Andern fprechen, 
handeln follte, über die Falfchheit des Geiſtes, da, 
wo ich, flatt mich zu — mich dafür ſelig 
ſpreche. 


Sailer, d. chriſtl. Monath. 3 


Laß dein Licht leuchten über all meinen Un dank, 

Mißtrauen und Untreue — Undanf bey den 
Gaben, die mir von oben zufloßen; Mißtrauen bey 
den mancherley Errettungen, die fich mir darbos 
then; Untreue bey den Gelübden, die ich fo oft ere 
neuert , und fo oft gebrochen habe. 
Laß dein Licht leuchten über den Wechfel des 
Trotzes und der Verzagtheit in meinem Hers 
zen, des Ernſtes und des Leichtfinnes; uber die Willigs 
feit des Geiſtes, und über die Schwache des Fleifches, 
über das Uebergewicht der Gewohnheit, und über die 
Ohnmacht des Vorſatzes.« 

Dieß Gebeth um den heiligen Geift foll von nun 
an mein erſtes Gebeth werden, und in jeder les 
bung der Andacht mein vorzügliches Gebeth bleiben. 
Denn, mie folite ich, ohne helle, reine Augen, die 
under Gottes anfchauen Fonnen, und wie helle, reine 
Augen befommen, ohne Erleuchtung des heiligen Gei— 
fies? Und, wie für die Erleuchtung des heiligen Geis 
ſtes empfänglich werden ohne Geberh ? 


Zwey Kirchengebethe, 
die hieher gehören. 


1 


Gott „ deſſen Allmacht und Barmherzigkeit ohne 
Grenzen find! Du haft einft deinem —— 
Volke im ſtarren Felſen eine lebendige Waſſer— 
quelle eröffnet: o! laß auch in dem Felſengrun— 
de unſers Herzens eine reichliche Thränenquelle 
entſpringen, daß wir unſere Sünden erkennen, 
beweinen, und durch deine Erbarmungen Verge— 
bung derſelben, und ewiges Leben zu erlangen tüch— 
fig werden durch Jeſum Chriſtum unjern Herrn. 


35 


2: 


Bott! der du Feinen, der in Demuth und 
Bertrauen zu Dir fi) nahet, verwirfft , fondern 
vielmehr dem größten Sunder, feiner Buße we- 
gen, Eraft deiner frommen Erbarmungen, Berge: 
bung und Freude angedeihen Laffeft, ſieh mit dem 
Blicke deiner Gnade auf unfer leben, das wir 
in Demuth dir darbringen, herab, und erleuchte 
nnfre Herzen, Daß wir von unfrer Schwachheit 
geheilet, ftarf werden Deine Gebothe zu erfüllen 
durd Sefum Chriftum, deinen Sohn, unfern 
Herrn. Amen. ; 





VI 
Sechster Tag. 


Fortfetzung. 


- Bon den Erforderniffen zur Herzens- und Lebensan« 
derung, und zwar vom dritten, daS heißt: von der 
Anerfenntniß meiner Günde, 


Schriftftellem. 


1. Mein Vergehen habe ich vor dir befannt, habe mein Un» 
recht nicht vor dır verborgen. Sch babe es ausgefprochen: 
meine Ungerechtigfeit will ich wider mid) befennen vor dem 
Herrn, und du haft mir verziehen die ©ottlofigkeit meiner 
Sünde. Pf. XXXL 5.6. 

2 €3 find viele Geifeln für den Sünder; aber ben, 
welcher auf den Herrn hoffet, wird die Barmherzigkeit (mie 
eine Zufluchtsftätte) umgeben. Pf. XXXL. 10. 

3. Es ift Feine Gefundheit in meinem Leibe vor dem An- 
gefichte deines Zornes, Fein Friede in meinen Öebeinen vor 
dem Angefichte meiner Sünde, Denn meine Sünden gehen 

% 


5 


36 


über mein Haupt, wie eine fenege Loft find fie mir zu ſchwer 
geworden. Pf. XXXVI. 

4. Schaffe in mir — ein reines Herz, und erneuere 
in mir den guten Geiſt! Pf. L. 12. 

5. Ein zerfchlagener Geift ift das rechte Opfer vor Gott, 
ein zermalmetes und demüthiges Herz, verſchmähe nicht, o 
Gott! Pf. L. 19. 

6. Wenn wir ung felbft richteten, fo würden wir nicht 
gerichtet werden. I. Kor. XI. 31. 


Betrachtung. 


Es iſt zur Beſſerung nicht genug, daß ich mit er» 
leuchtetem Auge mein inneres und äußeres Leben durch» 
forfche; nicht genug, daß ich meine Sunde wirklich 
erkenne: ich muß fie auch in ihrer Größe und Aus— 
breitung, in ihrer Schandlidhfeit und Ver 
wuftung, in ihrem Urfprunge und in ihrer Voll⸗ 
endung erforfchen, ermagen, anerfennen lernen. Denn 
fonft reißen mich die Zerftreuungen des Lebens, die 
Freuden der Zeit, die Drangniffe der Geſchäfte, und die 
Bedurfniffe des Leibes wieder aus mir hinaus, und das 
Bild der Sunde ſchwindet mir wieder, ehe ich, es durch» 
ſchaut, gefchmweige ehe ich fie, die Sünde felber, über: 
wunden babe. 

Die Befferung fordert alfo von mir 

3. einen ungewöhnlichen, überwiegenden Ernft zum 
wirflichenAnerfennen meiner Sunde und Suͤnd— 
haftigfeit nach Größe und Ausbreitung, nad) Schand» 
lichkeit und Schädlichkeit, nach Urfprung und Vollen- 
dung des Böſen. 

Das Anertennen der Sünde befteht aber darin : 
daß ich fie 
erſtens vor dem Gerichtshofe meines Gewiſſens „in 
mir und wider mich, befenne; daß ich fie 
zweytens vor dem Richterſtuhl⸗ Gottes, vor Gottes 
Auge befenne, 


37 


Sch befenne meine Sünde vor mir, in wiefern ich 
fie in mir erfenne, und vor mir eingeftebe. 

Ich befenne meine Sünde vor Gott, in wie fern ich 
fie, anerfannt und auch nicht anerkannt, vor Gottes 
Auge als Sünde anfehe, und als Sünde eingeftehe. Ers 
fannt, und nicht erkannt; denn unzählige Süne 
den find da, wo ic) fie, wie im Traume beging, nie 
helle genug in mein Bewußtſeyn hervorgetreten; ungahs 
lige Sünden, die in mein helles Bewußtfeyn famen, 
da, wo Ich fie beging, haben fich almählig aus meinem 
Bewußifegn wieder verloren. Wenn ich alfo vor mir 
die Sünde befenne, infofern die Spur davon noch in 
meinem Bewußtfeyn geblieben: fo befenne ich vor Gott 
die Sunden alle, die befannten und unbefanns 
ten, d.i. die von mir hell erkannt, und die mir felber 
noch verborgen find. 

»Gott! fo groß, fo ausgebreitet, fo fchandlich, fo 
verwüftend ift die Sünde fehon in meinem Auge, ift die 
Sünde fhon, fo weit ich fie erfenne: wie groß, wie 
ausgebreitet, wie fchändlich, wie verwüftend muß die 
Sünde in ihrem dunkeln Keiche, im ihren geheis 
men Bewegungen feyn, die nur vor deinem Blicke offen 
da liegen? Schon fo tief befleft in meinem Auge, wie 
unrein muß ich vor dem reinften Blicke, vor dem all: 
durchfchauenden Auge feyn ?« 

Diefes zweyfache Befenntniß der Sünde muß aber 
fein bloßes Wort ſeyn, muß aus dem Herzen, foms 
men, und im Herzen bleiben , fonft ift es fein Aners 
fennen. Die Sünde, fprach David, die Sünde 
fteht Tag und Nacht vor mir. 

Wenn ich alfo meine Sünden anerkennen, wenn 
ich fie befennen fol vor mir und vor Gott, und beken⸗ 
nen foll aus dem Herzen, und auf die Dauer: fo. muß 
in mir feyn _ 

1. ein lebendiges Gefühl meiner Slünde; 


38 


2. ein lebendiges Gefühl meiner Sundhaftig 
keit, meines Hanges zum Böſen; 

3. ein [ebendiges Gefühl der Uebermacht und 
Herrfchaft der Sünde und der Sundhaftigkeit, 
die nach Größe und Ausbreitung, nach Schänds 
lichkeit und Schädlichfeit, nach Urfprung und 
Vollendung betrachtet, gleichfam eine ganze Welt 
des Böſen — ausmacht. 

Wenn nun aber dieß lebendige Gefühl meiner Süns 
de, meiner Sündhaftigkeit und ihrer Herrfchaft in mir 
ift: fo wird aus dem zweyfachen Bekenntniffe der Sün⸗ 
de vor mir und vor Gott leicht hervorgehen ein drittes 
Bekenntniß vor dem Manne Öottes, der mir 
fein Ohr, fein Herz und feine Hand dars 
beut, um mich aus dem Abgrunde der Sünde und 
der Sundhaftigfeit herauszureißen. Denn, was follte 
mich noch hindern, die Sünde, die nich fo unrein und 
elend gemacht hat, die mich‘ mit ihrem Gewichte faft 
zerdrückt, die ich vor mir, vor meinem Gott fo laut 
ausgefprochen habe, nun auch in das offene Herz 
eines Paulus, eines Johannes auszufchütten ? 

° Sobald alfo dieß Gefühl der Sunde und Gunds 
baftigfeit und ihrer Herrfchaft in mir Leben und Bes 
ftand gewonnen haben wird; dann Fann es nicht fehs 
len: es wird die Anerkennung der Sünde und Gunds 
baftigkeit und ihrer Herrfchaft bald auch eine voll: 
ftändige Anerkennung, das Befenntniß der Sunde 
wird ein vollftandiges Bekenntniß werden 

vor mit, 

vor Gott, 

vor einem vertrauten Herzens = Geiftese 

Gemwiffend e $reunde, durch den mir Ehriftus 
Licht, Rath, Hülfe und Erlöfung darbeut; den mir 
Chriſtus durch die Kirche angemwiefen und al verfraus 
enswürdig erklart hat, 


39 
Ben Bientiöh 


Das Durchforſchen meines Gewiffens, das Er: 
Eennen und Bekennen meiner Sünde vor dir, 
o mein Gott! ift eine Art von Selbſtgericht, 
das ich in mir und über mic) halten fol vor 
Deinem Auge, das alldurchfchauend und hei- 
lig ift. Dieß Selbftgeriht will ih) nun über mic) 
ergehen laffen Tag und Nacht — vor Deinem 
Auge, Bater! das mid zur Buße ruft, um 
mich felig machen zu können; vor Deinem Au— 
ge, das mit Mohlgefallen herniederfhaut auf 
Alle, die einen demüthigen Sinn und ein zerfchla= 
genes Herz zu dir bringen. 

Sa, Bater! nachdem du, nach der Fulle 
deiner Erbarmungen, dem findigen Menfchenge- 
jchlechte in deinem Sohne, Chriſtus Jeſus, eis 
nen Erlöfer, Mittler und Heiland geſchenkt haft: 
fo ift das Selbftgericht, das Bekennen meiner 
Sünden vor dir, und vor deiner Kirche, ein leiche 
tes, liebliches Geſchäft; ſüß ift die Thräne, die 
Bergebung der Sünde erfleht; getroft rufe ich 
mit David, als fich fein Herz in Neue, fein 
Mund in den glühenden Bußpfalm gelofet hatte: 

Gott! erbarme did mein, nad) dei- 
ner großen Barmherzigkeit, und tilge 
meine Sünde nad der Fülle deiner Er— 
barmungen. Waſche mihb noch mehr 
von meinem Unrecht, und reinige mid 
von meiner Sünde. P.L. 3. 4. Und nicht 
der Prophet Nathan, Chriftus felbft ſpricht 
mich los von. meiner Sünde. Dafür dankt dir, 
Vater! mein erquicktes Gebein, und mein ganzes. 
Mefen ewig. 


40 


VII. 
Siebenter Tag. 


Sortfetzung. 


Bon den mweitern Erforderniffen zur Sinnes⸗ und Le⸗ 

bensänderung, und zwar vom vierten, das heißt: von 

der interhaltung der lebendigen Öefüuhle der 

Scham, der Keue und des Sehnen: nah Ers 
löſung. 


Schriftſtellen. 


1. D.: Zöllner ftand von Ferne, und wollte auch nicht ein 
mahl feine Augen gen Himmel aufheben, fondern ſchlug an 
feine Bruft, und ſprach: o Gott! fey mir Sünder gnädig. 
Eu, XVIIL. 13. | 

2. Der Herr wandte ſich um, und fah den Petrus an, und 
Petrus erinnerte ſich der Nede des Herrn, wie er zu ihm ges 
fagt habe: Che der Hahn krähet, wirft du mich drey Mahl 
verlängnen; und Petrus ging hinaus, und weinte bitterlic. 
Luk, XXII. 61. 62. 

3. Und er fprach zu Sefu: Herr! gedenfe meiner, wann 
du in dein Reich Eommen wirft. Und Sefus ſprach zu ihm: 
ZUR noch follft du bey mir im Paradiefe feyn. Luk. XXIII. 

2, 43, 

4. Er (Judas) ſprach: Ich habe gefündiget, daß ich un— 
ſchuldiges Blut verrathen habe. Sie aber fagten: Was geht 
und das an? Da fieh du zu. Und da er die Silberlinge im 
den Zempel weggeworfen hatte, machte er ſich davon, und 
im Hingehen erhenkte er fih an einem Stricke. Matth. 
XXVIL 45, 


Betrachtung. 


Wenn ich überwiegenden Muth habe, meine Sun 
de zu erkennen, anzuerkennen, und zu befennen; was 
fol ich nun weiter? 

Wenn ich im Lichte Gottes, das mein Gemifs 
fen, mein Herz, mein Zeben durchleuchtet, meine Guns 


En 


41 


de und Sundhaftigkeit in ihrem Urfprunge und Bollens 
dung, in ihrer Größe und Ausbreitung, in ihrer Schänd— 
lichkeit und Schädlichfeit von dem erften Augenblice 
des erwachenden Vernunftfunfens bis auf diefe Stunde 
durchgeforfcht hatte; wenn meine Lebertretungen 
des Gefeges in ihrer Menge, die für mich zahllog, 
in ihrer Öröße, die für mich unmeßbar, in ihrer 
Ausbreitung, die für mich unbegrenzbar, in ihrer 
Schändlichfeit, die für mich unanfchaubar, in 
ihrer Bermwuftung, die für mich unnennbar , vor 
meinem Blicke da ftänden: wie follte ich 
die Berdammungen des Gewiſſens, 
die Drohungen des Geſetzes, 
die Schreckniffe der Zukunft, 
die Schulden der Vergangenheit, 
die Laſten der Öegenwart, 
die Gerichte der Öerechtigkeit, 
die Bergeltungen der Ewigkeit, 
die fich in und mit der Sünde zugleich in mir anfuns 
den würden, aushalten können; ohne von Scham, 
von Keue, ohne von dem Wunfche nach Erlöfung 
von Sünde und Sündhaftigfeit durchdrungen zu mers 
den? 
Die Befferung fordert alfo von mir 
4. einen ungewohnten, überwiegenden Ernft zur 
Unterhaltung der lebendigen Gefühle der Scham, 
der Reue in Hinficht auf Sünde und Sundhaftigs 
keit, des Sehnens nach Erlöfung von der Sunde, 
Selig, deffen Herz von Scham durchdrungen, defs 
fen Geift von Reue zermmalmet, deffen Auge von der Zah» 
te des heißen Schmerzen$ geneßet ift! Selig; denn dies 
fe Thrane ift Wahrheit, dieſe Thrane ift Weiffagung 
der Fommenden Erlöofung von der Sünde, 
Diefe Thrane ft Wahrheit: denn der Menfch, 
der fich felbft ennt, fieht in feiner Zugend Sünde: wie 
follte er in feiner Stunde was anders als Sünde fehen, 


42 


in der Sunde was anders als Untreue und Undank, 
was anders als Stoff zur Selbftanflage, zur Selbſtver⸗ 
dammung ? f 

Die Thräne iſt Wahrheit: denn er ift was 
er ficht, und er fieht was er if. Er iſt Sünder, und 
fiept in fi den Sünder. 

Die Thrane ift Weiffagung der fommenden 
Erlöfung von der Herrfihaft der Sünde: denn wer ein- 
mahl dahin gefommen ift, daß er vor fich felber 
errötben, fich felber verdammen, fich felber tief 
erniedrigen kann; wer einmahl dahin gefommen 
ift, daß er das Schändliche und das Verwüſtende der 
Sünde im hellen Lichte anfchauen, den edlen durchglüs 
henden Schmerz darüber, daß er ein Sünder ift und 
ſich als Sünder erfennt, empfinden Tann; wer einmahl 


dahin gefommen ift, daß er feine Sünde in allen ihren - 


Folgen zernichten zu können wünfchet, weil er fie doch 


nicht ungefchehen machen Fann:... o! der wird nun 


auch bald dahin Fommen, daß er die Sünde von gan 
zem Herzen haſſen kannz meil fie fo fchandlich iff, 
daß er die Sunde von ganzem Herzen verabfcheuen 
kann; weil fie gerade fo verwüftend als fchandlich ift, 
daß er den großen Entjchluß faffen fann, die 
Sünde in allen ihren Kegungen zu befämpfen; 
weil fie lauter Schande, Verwüſtung und Tod if. 
Bin ich einmahl bis dahin durchgedrungen, daß 
mein Innerftes mit Scham und Reue, mit Schmerz 
und Haß gegen die Sünde, mit lebendigem Seh— 
nen, ihrer los zu erden, und mit dem ernflen Ent: 
ſchluſſe, fie in allen ihren Kegungen zu verfolgen, 
erfüllet ift: dann flieht mein Fuß vor der Pforte 
des Heils, dann hat meine Zunge fein Wort, als: 
Herr! ſey mir armen Sünder gnädig! 


dann meint mein Auge die Zahre deg reuvollen 


Petrus, die, bitter und füß, das Morgenroth 
der Sündenvergebung ankündet; dann iſt mein Herz 


43 


ein lauter Bußpfalm, dann ift mein Leben eine laus 
tere Kampfrüftung wider die Sünde, dann firedt fich 
mein ganzes Gemüth aus nach Gnade, nach Erlös 
ung. 

Diefe Faffung des Gemüthes, die man fonft mit 
dem Worte Keufinn, Reufinnigfeit bezeichnet, 
die aber nicht bloß Reue und Scham, fondern auch 
Schmerz und Haß gegen die Sünde, überdem ein 
lebendiges Sehnen, ihrer los zu merden, und den 
ernften Entſchluß, fie in allen ihren Regungen zu vers 
folgen, in ſich faßt, dieſe Saffung des Gemüthes hat 
Ehriftus in jenem Zöllner, deffen ſchon genanns 
te Worte: Herr! fey mir armen Sünder gnadig! — 
die Worte fhon fo vieler taufend zerſchlagenen Herzen 
wurden, unübertrefflich ſchön gemahlet. 

Erftens: Der Zöllner ſteht in der Ferne, Dieß 
finnbildet fein. tiefes Gefühl eigener Unwürdigfeit, 
Nur Sünde fieht er in fih, das ift: Entfernung von 
Gott. Wie dürfte er es wagen, fi) dem Heiligen zu 
nahen, der Unheilige? 

Zweytens: Öetrauet er fich nicht, fein Auge 
gen Himmel aufzuheben. Dieß finnbildet fein tiefes 
Schamgefuhl. Er blieft auf feine vermeinte Tu> 
gend, um fich den Anblick der Sünde zu mildern. Die 
Seele blidt in ſich — darf nicht auffchauen zu der 
ewigen Gerechtigkeit. 

Drittens: Er fchlagt an feine Bruſt. Dieß 
finnbildet feine Keue. Wie die Hand auf die Bruft, 
fo ſchlägt im Innern die Allgewalt der Sünde auf die 
Seele, bi$ fie wie zerfchlagen if. 

Viertens: In diefem Gefühle feiner Unmwürdig- 
feit, der Scham, der Neue, weiß er fich vor fich fels 
ber und vor dem allverfchlingenden Abgrunde der Sün— 
de nicht anders zu‘ retten, als daß er fich wirft in 
die Arme der Gnade: »Herr! fey mir armen Sun: 
der gnädig !« 


Gebet). 


Da fid) die Sünder in der Sünde, und die Reu— 
müthigen in der Neue auf mancherley Meife täu— 
chen: fo flehe ich zu dir, Vater der Lichter! um 
Licht, daß ich einfehe die Täuſchungen der Sün— 
de und die Taufchungen der Neue. Auch Judas 
berenete es, daß er unfchuldiges Blut verrathen 
hatte — und ſammt diefer Neue, ging er hin, 
und' erbenkte ſich — verzweiflend an Gnade und 
Erbarmung. Dagegen, als unfer Erlöfer, dein 
Eingeborner, feinen Jünger Petrus, der ihn 
drey Mahl verlaugnete, angeblickt, und mit dem 
Blige der Erbarmung ihm das Herz durchſchnit— 
ten hatte: da floß die Thrane der Rene aus dem 
Auge des Beſchämten, und diefe Thräne faud 
Gnade; weil in ihr die Reue — mit Vertrauen, 
und Reue und Vertrauen mit dem Ernfte der 
Befferung verfchwiftert waren. Auch das vers 
tranende Mort des einen Mitgekreuzigten: Ge— 
denfe meiner — in deinem Reiche, fand 
Gnade und die Anweifung auf eine Stelle im 
Daradiefe: Heute noch follft du mit mir 
im Paradieſe fenn. Und der zurück Eehren- 
de Sohn, mit Thranen der Reue und des Ver— 
trauens überronnen, fand in den Armen des lie— 
benden Baters Gnade, Berzeihung, Friede, Le: 
ben. Und der in Demuth und Reue und Scham 
verfunfene Zollmer ging gerechtfertiget — in 
fein Haus. 

Diefe Beyfpiele md Sleichniffe frei- 
ben mic mit freundlicher Gewalt von der Ge— 
rechtigkeit zur Barmherzigkeit, von dem Gott, 
der mein Richter ift, zu dem Gott, der mein 
Dater ift, zu dir, mein Gott! der du die Kie- 


45 


be felbft bift, und Taufer Erbarmungen in 
deinem Sohne geoffenbaret haft. 

Bor dir liege id), und rufe um nichts als 
Gnade; — denn ich weiß, daß du ein zerfchla- 
genes Herz, in dem fih Neue und Zuverficht und 
Sehnen nach Erlöfung vereinigen, nicht verſchmä— 
hen Eannft. 


VIH. 
Achter Tag. 


Tortfetzung. 


Von dem vierten ‚Erforderniffe zur Bekehrung, das 
it: von der Gemüthsfaſſung, die man fonft 
mit den Worten Keu und Leid bezeichnet. 


Schriftftellen 


£; Ds Evangeliums fchäme ich mid) nicht; denn es iſt eine 
Kraft Gotted zum Heile für Alle, die daran glauben. Röm. 
I. 16 


2. Sn dem Evangelium ovffenbaret ſich die Gerechtigkeit 
Gottes, die aus Ölauben in Glauben geht, wie es gefchrieben 
ſteht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben. Röm. J. 17. 

* Das Evangelium bar einen unerfchöpflichen Reichthum 
von Verheißungen, und das rechte Maß von Forderungen 
in ſich, davon die bedeutendften Zeugniffe in der Betrach- 
tung vorkommen. 


Betradhtung. 


Die Faffung des Gemüthes, die Chriſtus in dem 
Ferneſtehen, gefenften Blicke, Bruftanfchlagen und 
Gnaderufen des Zöllners ausfprady, iſt gerade die, in 
der ich feyn muß, wenn mir das Evangelium Chriſti 


46 


die angenehmſte Bothſchaft ſeyn fol mit allen feis 
nen Berheißungen, und nit abſchrecken fol mit 
allen feinen Forderungen. 

Die Verheißungen des Evangeliums find 
die: 

Kommet alle her zu mir, die ihr mühfelig und 
beladen ſeyd: Ich will euch erquicken. Matth. 
XI. 28. 

So hat Gott die Welt geliebt, daß er feinen 
eingebornen Sohn gab; damit Alle, die an ihn glau— 
ben, das ewige Leben haben. Joh. II. 16. 

Bon diefem (Chriftus) zeugen alle Propheten, 
daß durch feinen Rahmen Alle, die an ihn glauben, 
ae der Sünde empfangen follen. Apo- 
fielg. X 

Diefen Chriſtus) iſt der Stein, den ihr Bau— 
leute zwar verworfen habt, der aber dadurch zum Eds 
ftein geworden iſt. Es ıft in feinem Andern Heil; 
es ift Fein anderer Nahme den Menſchen gegeben, in 
dem fie felig werden ſollen. Apoftelg. IV. 11. ı2. 

Meine Kindlein! Dieß fchreibe ich euch, daß ihr 
nicht mehr fündiget. Wenn aber Jemand fündigen folls 
te, fo ift Jefus Chriſtus der Gerechte, der fir uns 
bey dem Water fpricht. Er ift das Sühnopfer 
für unfere Sünden, und nicht nur für unfere- Süns 
den: er ift das Sühnopfer für die ganze Welt. I. Joh. 
I, 1. 2. 

Wenn ihr, die ihr böfe ſeyd, euern Kindern gu— 
te Gaben geben koönnet: wie viel mehr wird der Water 
im Himmel (der Alleingute) denen, die ihn bitten, den 
guten Geift geben? Luk. XL, 13. 

Sohn! Tochter! die Sünde iff dir vergeben: fun» 
dige nicht mehr! Dieß war wohl das liebfte Wort 
Jeſu, das er, unter Sundern wandernd, am öfteflen 
ausfprach, 





* 


Ueber einen Sünder, der Buße thut, wird grö—⸗ 
Gere Freude im Himmel ſeyn, als über neun und 
neungig Öerechte, die Feiner Buße mehr bedürfen. Luk. 
XV. 7. 

Dieſe Verheißungen gewinnen allerdings ein eru— 
ſtes Anſehen, wenn wir fie mit den Forderungen 
des Evangeliums, die eben auch lauter Liebe find, und 
weiter nichts al3 den Sinn der Verheißungen näher 
beflimmen ſollen, verbinden: 

MWahrlich, wahrlich, fage ich euch: es fey denn, 
daß Jemand vonNeuem geboren werde, außer: 
dem Fann er das Reich Gottes nicht fehen; nur was 
vom Geifte Gottes geboren ift, das ift Geiſt. Joh. 
III. 3,6; 

In Chriftus gilt nichts, als die neue Schu» 
pfung; in Chriſtus gilt nichts, als die neue Lies 
be, die neue Wirffamfeit des Glaubens. Sal. V, 6. 
VI. 15. 

Wer den Geiſt Chriſti nicht hat, der iſt nicht 
ſein. Röm. VIII. 9. 

Die Früchte des Geiſtes ſind: Liebe, Freude, 
Friede, Geduld, Freundlichkeit, Sanftmuth, Keufch- 
et — — 

: Die Ehrifto angehören, die kreuzigen ihr Fleifch, 
fammt den Lüften und Begierden desfelben. Sal. V. 
22 — 24. 

Nur die haben ein wahres Leben in fich, die durch 
den Geift die Werfe des Fleifches ertödtet haben: nur 
die find Kinder Gottes, die der Geift Gottes treibt. 
Kom. VIIL 13. 14. 

Nur die gehören zur Herde Chrifti, die feine 
Stimme hören, die feinen Ruf verftehen, die fich durch 
ihn führen laffen, die ihn fennen, und ihm nachfols 
gen. Joh. X, 4. | 

Die find feine Jünger, die einander lieb haben. 
Joh. XII, 35. Die find feine Reben, die an ihm 


48 


bangen, und an ihm hangend Frucht bringen. Joh. 
XV. 4. 

Die im Lichte wandeln, wie Gott im Lichte iſt, 
die haben Gemeinſchaft unter einander, die reiniget das 
Blut Chriſti, ſeines Sohnes, die macht es rein von 
aller Sünde. I. Joh. I. >. 

Nur die find frey, die die Wahrheit, die der 
Sohn des Haufes, die der Geift Gottes frey machet. 
Joh. VIII. 32. 36. 

Das Evangelium Ehrifti, wie es fich in diefen 
und unzähligen andern Stellen fund thut, ift alfo 
Wahrheit und Liebe zugleich; Liebe, indem 
es Allen, die zu Gott umfehren wollen, Önade, ewis 
ges Leben anbeut; — Wahrheit, indem fie Feine 
— Gottes anerkennet, als die den Geiſt Gottes 
aben. 

Es ſind in dieſer allerwichtigſten Angelegenheit der 
Umkehr und Rückkehr zu Gott, unzählige Irrungen 
und Täuſchungen dadurch entfianden, daß man 
das Evangelium Chrifti fpaltete. 

Unfer Gott ift die Liebe und die Wahrheit; 
unfer Chriftus das fchönfte, gleichendfte, vollkommen- 
fie Ebenbild der Liebe und der Wahrheit; unfer 
Evangelium Liebe und Wahrheit zugleich. 

Die Jrrungen, Taufchungen beftanden darin: Eis 
nige wollten fich, mit einem todten Glauben an Chris 
ſtus tröften, und hielten fich ſchon für gerecht; bloß 
weil fie an eine fremde Gerechtigkeit außer ihnen glaub— 
ten, da doch die Ungerechtigkeit noch in ihrem Her: 
zen thronte, und in ihren Öliedern herrfchte. Sie be> 
ruhigten fich damit, daß Ehriftus für die Menfchheit 
geftorben fey, ob fie gleich noch für die Sünde leb— 
ten. So ward das heilige Sterben Ehrifti ein Dede 
mantel ihres unheiligen Lebens, 

Andere wollten Früchte bringen, ob fie gleich 


von dem Fruchtflamme Ehriftus getrennt waren; wolle 
ten, 





— 


\ 49 
ten, ohne fi von dem Geifte Chriſti neue Lebens» 
kraft zu hohlen, ſich ſelber zu einem gerechten Le» 
ben neufihaffen, und tröfteten fich bey dem tiefen Ger 
fühle ihrer fchmweren Sünden mit einem halben Wol- 
len, der Sünde los zu werden; waren noch Knechte 
der Sünde, und wollten Kinder Gottes heißen. 

Ganz anders die wahren Jünger Ehrifii! Ge: 
zogen von der ewigen Liebe, ermunter‘t von den 
Berheißungen Chriſti, getrieben von dem Gefühle 
ihrer Sünden und Sündhaftigkeit, flanden fie mit 
dem verlornen Sohne auf, verließen die Stätte 
ihres Elendes, eilten im Vertrauen auf die allerbar- 
mende Liebe, an der Hand Ehrifti zum Vater zurück, 
empfingen in feinen Armen den Friedenskuß, fpra- 
chen mit Findlicher Stimme das erfte Mahl wieder das 
Wort aus: »mein Vater!« und huldigten und ges 
Iobten ihm unter den werdenden Gefühlen des Dan: 
kes, der Liebe neuen Gehorfam, neues Leben; und 
gingen neugefchaffen zu guten Werken, und gefalbet 
mit Troft, Friede und Freude an ihr Tagewerk, zu 
verfünden die Liebe deffen, der fie von Sün— 
den gereiniget, und dem zu leben, der fich für fie in 
den Tod gegeben hat. 

Diefe große Umanderung, die in dem Innern 
und Aeußern deffen, der von Finfterniß zum Lichte 
befehret, nach dem Urtheile der Gerechtigkeit ein Bes 
Eehrter heißen kann, vorgegangen ift und vorgehen 
mußte, verdient den großen Nahmen, den ihr die 
heiligen Schriften beylegen, den Nahmen: neue 
Schupfung Ehrifti, neue Geburt aus Gott, 
neue Ummandlung durch den heiligen Geift, 

Sie ift eine neue Schöpfung. Denn wie 
durch das Machtwort der erfien Schüpfung Seyn 
und Leben hervorging, wo Fein Seyn und fein Leben 
war: fo fritt in dem Neugebefferten ſtatt des irdifchen 
Sinnes, flatt des viehifchen Lebens ein neuer himm- 

Sailer, d. chriſtl. Monath. 4 j 


50 


lifcher Sinn, ein neues -göttliches Leben hervor durch 
das Machtwort Ehrifti. 

Sie iff eine neue Zeugung, eine neue 
Geburt aus Gott. Denn wie der äußere Menfch 
im Mutterleibe gebildet, und an dieſe fichtbare, zeits 


liche Welt geboren werden mußte, um in Ddiefer - 


Welt und für diefe Welt leben zu fünnen: fo muß 
der innere Menfh an die unfichtbare, ewige Welt 
geboren werden , um in ihr und für fie leben zu 
fünnen. 

Sie iff eine Ummandlung dur) den Geift 
Gottes. Denn wie follte der Menfch von der Vers 
Fehrtheit feines Herzens! von dem Webergemwichte des 
Hanges zum Böſen erlöfet werden , wenn nicht 
eine vollftandige Erneuerung, eine Art Verwand⸗ 
lung in ihm vorginge? 

Der Sünder ift mit einer drepfachen Kette an die 
Sünde gebunden, Die erfte Kette ift die Natur, 
die Welt außer ihm. Hierher gehören ale Eindrücs 
fe, ale Bepfpiele, alle Reize des Böſen, die 
von außen in ihn kommen. Dieß ift die Kette der 
außern Welt. Die zweyte Kette ift die thierifche 
Luſt an der Sünde, die in feinem Körper wurzelt, 
und zur eifernen Gewohnheit geworden ift — die Kette 
des Leibes, der Sinnenluft. 

Die dritte Kette ift die Neigung der Seele, 
der Wille des Fleifches, der die einzelnen böfen Ges 
danken, die einzelnen böfen Begierden in dem Sün⸗ 
der erzeuget, unterhält, befriediget, und die Regun⸗ 
gen des Gewiſſens unterdrudt, — Dieß ift die eigent: 
liche Kette des Laſters. 

Diefe drepfache Kette ift alfo eine drepfache 
Uebermacht. 

Wenn nun der Sünder frey werden ſoll, ſo 
muß dieſe dreyfache Kette zerſprenget, dieſe drey— 
fache Uebermacht durch eine höhere Macht, die über 





51 


dem Menfchen if, und die rechte Uebermacht iſt, 
ubermunden werden. / 

D, du göttliche Uebermacht, rette du mich; denn 
du allein kannſt mid) retten, 

Fa wahrhaftig, die Uebermacht! zur Zerfprengung 
der drepfachen Kette, womit der Sünder gebunden 
ift, Fann nicht in dem an die Sünde verfauften Mten- 
fchen gefunden werden; fie muß außer ihm gefucht, 
fie kann nur in Gott, in Ehriffus, in dem Geiſte 
Ehrifti gefunden werden. Es muß alfo etwas Neues 
im Menfchen werden, eine Erneuerung, eine Um— 
wandlung gefchehen ; wenn der Sclave der Welt, der 
Sclave des Leibes, der eigentliche Sclave der Sunde 
frey werden follte. 4 

Der Sohn, fagt Ehriftus felbft, macht frey, 
die Wahrheit macht frey. 

Wer nun Ddiefe Freyheit erkämpft und erflehet, 
hat das höchfte Gut dieſes Lebens flehend erkäm— 
pfet, oder was Eines ift, kämpfend erflehet. 


Sitrhengebethe 
F 


Gott, vor dem alle Herzen offen da liegen, 
dem das verborgendfte Regen des Millens eine 
laute Sprache, und Eein Geheimniß geheim ift: 
fpende uns deine befte Gabe, den heiligen Geift, 
und reinige Dadurch alle Gedanken unfers Her— 
zens; damit wir tüchtig und würdig werden Did) 
vollEommen zu lieben und zu preifen. Ä 


2. 


Mir bitten dih, o Herr! fuche unfer Ge— 
wiffen heim, und reinige e8; damit, wenn Je— 


fus Chriſtus, dein Sohn, unfer ‚Herr nachkommt, 
A 


52 


er in und eine für ihn (bereitete Wohnung fin- 
den möge, | | N N 


a | 
Laß, o Herr! das Feuer des heiligen Gei- 
ftes uns Herz und Nieren durchdringen; damit 
wir. mit keuſchem Leibe dir dienen, und mit rei- 
nem Herzen dir gefallen. | 





5 IX, 
Neunter Tag. 


Sortfetzung. 


Bon den Erforderniffen zur Sinnes- und Lebensän- 
derung. ‘Das fünfte heißt: Der überwiegende 
Ernft zur wirklichen Rückkehr zu Gott. 


Schriftftellen 


Der Vater ſprach zu ſeinen Knechten: Bringet das beſte 
Kleid heraus, und zieht ihn an, und ſteckt ihm einen Ring an 
feine Sand und Schuhe an die Füße. Und führer das gemä- 
ftete Kalb heran, und fchlachtet es; und wir wollen effen und 
fröhlid) feyn, denn diefer mein Sohn war todt, und nun.lebt 
er wieder; er war verloren, und ift gefunden worden, Lu, 
XV. 22, 23.24. : 


Betrachtung. 


Wie die Bekehrung des Sünders ohne Gottes 
neuſchaffende Gnade nicht zu Stande kommen kann: 
ſo kann ſte auch ohne Einſtimmung des menſchlichen 
Willens mit dem göttlichen nicht vollbracht werden. 

Die wahre Beſſerung fordert alſo von mir: 





53 


5. einen ungewohnten „ überwiegenden Ernſt zur 
wirklichen Rückkehr zu Öott, nach den Verheifun- 
gen und Forderungen des Evangeliums, 

Die wahre Befferung fest voraus einen unger 
wohnten, überwiegenden Ernſt, der das Evange 
lium Chriſti nicht fpaltet, der den gans 
zen Chriftus haben will, der Feinen falſchen 
Troſt in das Herz aufnehmen, DieÖnade der Ver: 
gebung und der Keinigung von Sünden in 
Zuverfiht und Liebe empfangen, der Eeie 
ne Befferung ohne Erneuerung des Gin 
nes und Lebens, ohne den heiligen Geiſt, 
— Guten neufchaffet, gelten laffen 
will 

Mo diefe Rückkehr des Verirrten vollbracht iſt, 
da wird es nicht an Friede, an Geelenjubel, an 
Geiftesfreude fehlen können. Es wird eine Freude, 
wie im Haufe des Vaters , dem der geliebte Sohn 
aus dem Tode erwecet, und miedergefchenft wor— 
den ware. Und dieß ift der Geſichtspunct, den 
Ehriftus in feinem Meiftergemählde von der Buße, 
das alle Kaphaele übertrifft, beſonders herausgehoben 


hat. 

»Laßt uns fröhlich ſeyn; denn diefer 
meinSohn war todt, und iftwieder lebens 
dig gemorden.« Luk. XV. 24. 

Es ift mir, als wenn diefe Darftellung fur uns 
noch die allerfaßlichfte wäre. Das Göttliche 
fann eben nur durch Bilder angedeutet werden. 

Die Männer Gottes, die Propheten des alten 
und die Apoftel de neuen Bundes, wenn fie das 
Hochfie, die Bekehrung des Sünders, mahlen wol 
ten, verglichen fie, wie e$ uns ſchon die vorangehende 
Betrachtung dargelegt hat, mit der Schöpfung 
der Welt: der Gebefferte ift ihnen ein neues Geſchöpf 
der göttlichen Huld; verglichen fie mit der Zeugung 


54 


und Geburt des Menfchen: der Gebefferte ift ihnen 
Gottes Kind, neu gezeugt, neu geboren aus Gott; 
verglichen fie mit der Umwandlung der Dinge in 
der Natur: der Gebefferte hat den alten Menſchen aus- 
gezogen, und den neuen angezogen ; hat ein neues 
Herz, ein neues Auge, ein neues Gehör, einen neus 
en Berftand empfangen; Alles ift in ihm neu gemwors 
den. Endlich, als wenn fie gleichfam mit ſich unzus 


Ffrieden wären, daß fie die Wahrheit noch nicht deuts 
Vicher dargeftellt hatten, griffen fie zum letzten Bilde, - 


das Chriſtus in jene Licht - und Sinn »volle Parabel 
gekleidet hatte: der Sünder ift todt, iſt cine 
geiftliche Leiche, liegt in der Gruft des Laſters, und 
die Befehrung ift eine Neubelebung, eine Aufers 
wectung von dem Tode: der Bekehrte ift ein Neu⸗ 
erftandener von dem Tode, 
| Bey diefem lebten Bilde will ich verweilen. Und 
o, daß alle Schein » Ehriften, alle Halb - Chriften mit 
mir dabey verweilten! »Eine Auferwedung zum neuen 
geiftlichen ‚Leben ift die Bekehrung des Mtenfchen.« 

Das neue geiftliche Leben ift das Leben des 
Glaubens, der Liebe, der Hoffnung : diefes geiftliche 
Leben ift ein ewiges, weil es der Tod nicht zerſtö— 
ren kann; indem der Glaube in ein Schauen, das 
Hoffen in einHaben, die Liebe, aus dem Zuſtan— 
de des Kampfes, des Entbehrens, des Leidens, in 
den Zuftand deg$ Sieges, des Genuffes, der 
Ruhe übergeht. Man Fann alfo fagen: Die Bekeh— 
rung des Sünders ift eine Auferwecfung zum ewigen 
Leben. 

Das neue geiftliche Leben iſt ein göttliches 


Leben; denn es ift ein Leben der Liebe im neuen ı 


Lichte, ein Leben nach der Wahrheit. Run ift 
Gott ein Geift, ift die Liebe, iſt die Wahrbeit felber. 
Man darf alfo fagen: Die wahre Befehrung des 


58 


- Menfchen ift eine Auferweckung zum göttlichen, ewi⸗ 
gen Leben. | 
Dieß ift wohl auch die Urſache, warum Chriſtus 
den Ausſpruch that: »Wer an mich glaubt, 
ſtirbt nicht: wer an mich glaubt, ift von 
dem Tode zum Leben hinubergegangen.« 
Wenn nun aber die Bekehrung des Sünders, von 
Geiten Gottes betrachtet, eine Auferweckung von den 
Zodten ift: fo ift es klar — (laffet uns die großen, bes 
deutenden Lehren, die in dieſer Lehre mitgegeben find, 
recht in’3 Auge und zu Herzen faffen !) — 
Erſtens: daß die herrfchende Sünde ein wah- 
rer Tod des Geiftes, eine Aufhebung des göttlichen 
ewigen Lebens im Menfchen fey. »Wer Gott von 
ganzem Herzen liebt, hat das göttliche, ewige Leben; 
wer von Gott abgefalen ift, hat das göttliche, ewige 
£eben verloren.a Der Abfall von Gott ift alfo ein 
wahrer Geiftestod. 
Wenn die Bekehrung des Sünders eine Aufers 
weckung von dem Tode ift; fo ift es Elar, 
Zweytens: daß die wahre Befferung nur erſt 
alsdann vollbracht fey, wenn die Rückkehr des geifte 
lich» Zodten aus dem Tode des Geiſtes in das göftli- 
che, ewige Leben zu Stande gebracht if. Es muß 
die gebiethende Liebe Gottes aus dem Grabe wieder 
erſtanden ſeyn; es muß neues, göttliches, ewiges Le⸗ 
ben da, wo zuvor ein übertünchtes Grab, oder nackte 
Verweſung war, eingetreten feyn. 
Wenn die Bekehrung des Sünders eine Aufer- 
weckung von dem Tode ift-; fo ift es Elar, 
Drittens: daß Die wahre Buße des Sünders 
ohne den neubelebenden Geiſt Gottes gerade fo un» 
möglich iſt, als die Schöpfung ohne ſchöpferiſchen 
Geiſt. Gott hat das ewige Leben in ſich, feine Kin— 
der alle aus ihm, durch ihn, in ihm. Kur das ewi⸗ 
ge Leben ift albelebend. Nur der Allbelebende Tann 


56 


vom Tode erwecken. Nun aber iſt es der Geift Gots 
tes, der der Allbelebende heißt, und was er 
heißt, auch iſt. Alfo Feine Befferung ohne den all; 
belebenden Geift Gottes, Feine Belebung ohne das 
Leben, 

Wenn die Befehrung des GSunders eine Aufer⸗ 
wecung vom Tode ift; fo iſt es endlich auch Elar, 

Vierten: daß ale diejenigen, die den Sün— 
der durch die in ihm wohnende Kraft allein beffern, 
oder ohne innere Befferung Zroft für den ungebeffer- 
ten bereiten wollen, weiter nicht3 thun können, als 
die Leiche mit Blumen ſchmücken, oder den Geruch 


der Verwefung für ein Zeichen des Lebens ausgeben. 


G ebeth. 


Gott , der du (nach dem ſinnvollen Zeugniſſe 
des von dir erleuchteten Jüngers der Liebe), 
das Licht, die Liebe und das Leben ſelber biſt, 
und Allen, die an dich glauben, und denen du 
Macht gegeben haſt, deine Kinder zu werden, 
durch deinen Eingebornen im heiligen Geiſte, 
Licht, Liebe und Leben mittheileſt, daß ſie Ei— 
nes mit dir bleiben und vor dir wandeln können: 
verleihe uns jenes Maß von Licht, Liebe und 
Leben, deſſen wir bedürfen, um in unverrückter 
Treue dir anzuhangen, und deine Gebothe mit 
Beharrung in Gehorfam und Ergebenheit — zu 
vollbringen, — 





X. 
Zehnter Tag. 
Die Dienfte der heiligen Kirche bey der Bekehrung 


des Sünders, das ift: von dem fechften Erfor- 
— derniſſe zur Befehrung. 


Schläftistellen. 


fr Get bin und unterweifet ale Völker, und taufet fie im 
Nahmen des Waters und des Sohnes und des heiligen Gei- 
ſtes, und lehret fie Alles halten, was ich euch befohlen ha— 
be. Matth. XXVIII. 19. 20. 

2. Nehmet hin den heiligen Geift: denen ihr die Sünden 
nachlaffen werdet, denen find fie nachgelaffen; denen ihr 
fie behalten werdet, denen find fie behalten. Joh. AX. 
27, 25, Ü 

3. Wenn wir die Sünde befennen, fo ift er fo treu 
und gerecht, daß er uns die Sünden vergeben, und uns von 
aller Ungerechtigkeit reinigen wird. I. Joh. 1. 9. 

4. Johannes fagte: Thut Buße, denn das Neid) 
der Himmeln ift nahe gekommen, Matth. III. 2. 

5. Dann fing Sefus an zu predigen, und zu fprechen: 
hut Buße, dad Neich der Himmeln ift nahe gekommen. 
Matth. IV. 17. 


Betredtung 


Wenn die Befehrung im Geifterreiche das 
ift, was die Erweckung eines Todten im Reiche der 
Natur wäre: fo Fann zwar das, was nur Öotte? 
Werk feyn Fann, nie des Menfchen Werl werden. 
Aber, da Gott durch Menfchen wirfet, da Gott durch 
die Kirche Ehrifti fo viel Großes wirket: fo wird bey 
dem Werke aller Werke, bey der Befehrung des 
Sünders, die Kirche Ehrifti dem Sündergefchlechte 
wohl auch die wichtigften Dienfte thun. 


58 


Wie heißen nun die wichtigften Dienfte, 
die die Kirche Ehrifti bey dem Werke aller Werke, 
bey der Befehrung des Sünders thun kann, und in 
ihren erleuchteten Dienern wirklich thut ? 

Die Kirche Chriſti halt vorerft dem Freds 
ler, der feinem Gewiſſen, feinem Gott entlaufen iſt, 
und nun in dem Eabprinthe der Sünde außer fich 
und außer dem Wege zu Gott umberirrt, die Tas 
fel des Gefetzes vor. »Unſeliger, du bift ohne 
Gott in der Welt! du haft das Geboth deines 
Herrn übertreten!« Die Kirche Gottes verfündet 
alfo das Geſetz Gottes nach allen feinen Forderungen, 
nach allen feinen Drohungen durch ihre Diener, Die 
Ehriftenlehrer , durch Prieſter, Seelenforger , Pre⸗ 
diger. 

Nach allen feinen Forderungen: »Du 
font, du fonft, du ſollſt Gott lieben über Alles, den 
Nächſten wie dich felber.« 

Nach allen feinen Drohungen: »Allen, die 
der Wahrheit nicht gehorchen, dafür aber der linges 
rechtigkeit gehorchen, Ungnade und Zorn; Allen, 
die Böfes hun, Trubfal und Augſt.« Kom. 
I. 8. 9. 

»Dann wird er zu denen, die zur Linken flehen, 
fagen: Gebet hinweg von mir, ihr Verfluchten! in 
das ewige Feuer, das dem Zeufel und feinen Engeln 
bereitet ift.« Matth. XXV. 41, 

Die Kirche Ehrifti verkündet 

Zweytens: nach dem Benfpiele und im Geiſte 
Ehrifti allen Sundern die unbedingte Rothwen— 
digkeit der Sinnesänderung; fie ruft auf 
Gaſſen, in Tempeln, in Häufern: 

»Wenn ihr euern Sinn nicht ändert, fo werdet 
ihr Ale zu Grunde gehn! Kein Heil außer der Rück- 
Eehr zu Gott !« 


[4 


59 


Ale Predigten der Chriffenlehrer An Sünder 
find alfo nothwendig Bußpredigten. 

Dem Kranken ift die Hülfe des Arztes unen t⸗ 
behrlich, weil fich die zerrüttete Natur nicht felber 
berftelen Fann. Aber der Arzt kann nicht beilen, 
wenn fich der Kranke dem Heilungsgefchäfte nicht uns 
terwirft. 

Die Kirche Chriſti verkündet 

Drittens: Gnade, Erbarmung, ewi 
ges Zeben, denen, die fich erlöfen laffen wollen. 
Die Kirche Ehrifti fordert von den Eahmen nicht, 
daß fie gehen follen, denn das Efunnen fie nicht; 
aber daS fordert fie, daß fie fich heilen laffen follen, 
und geheilt und flehend auf feftem Fuße, mit uns 
verructer Zreue auf der Bahn der Wahrheit wandeln. 

Das ift die Ordnung des Heiles, die ewig iſt, 
wie die ewige Wahrheit, Gott felber. Das ift Die 
Drdnung des Heileg: entweder bift du noch im 
Haufe deines Vaters, Gottes; fo fieh auf fein Aus 
ge, bleib auf deiner Stätte, und fey felig in 
Bollbringung feines Willens; oder du haft in einem 
Augenblicke des Unfinnes das Haus deines Vaters vers 
laſſen: fo kehre um, und ruhe nicht, bis du das 
Haus deines Waters wiedergefunden haft, und in feis 
nen Umarmungen Heil und Leben. 

Dieß iff die ‘ewige Ordnung, lauter Wahrheit 
und Gnade. Diefe Ordnung des Heiles herzuftellen 
fam Chriftus. Suchen mas verloren, felig mas 
hen mas unfelig iſt, — das war feine Sendung, 
das mar fein Leben, fein Zod, das ift jetzt noch feine 
Herrlichteit, 

Die Kirche Chriffi, nicht. “zufrieden, das Ge— 
fetz, die Rothwendigkeit der Sinnes— 
anderung, und Gnade, Erbarmung, emwis 
ges Leben Allen zu verfünden,, will 


60. 


Viertens: dem einzelnen Günder, der 
blind iſt, und feine Sünde nicht fehen kann, das 
Auge öffnen, die Sünde in feinem Innerſten auffu= 
chen, und an das Licht hervorführen; will dem Sün—⸗ 
der , der feine Sunde und fein Elend liebt, Haß, 
Keue, Scham in die Geele legen; will dem Ver: 
zweiflenden in Ehriftus einen Heiland, mill dem 
Schwachen in Chriſtus einen Starken, der Sünde, 
Tod und Hölle meiftern kann; will dem Werzagenden 
in Gott — den Vater, in dem Vater lauter Lie: 
be offenbaren, will den Ringenden in dem Entfchluffe: 
Sch will aufftehen, und zu meinem Vater zurüd- 
kehren — flärfen; mil den Aufftehenden wie an der 
Hand zum Vaterherzen hinführen; will dem Vertrau⸗ 
enden das Troſtwort Chriſti in die Seele rufen: 
Sohn, dir ift die Sünde vergeben, will den Reuge— 
fchaffenen auf der neuen Lebensbahn mit Wort, Bey: 
fpiel, Kraft. begleiten, bis der Engel im Pilgerge- 
wande den Staub der Erde abfehüttelt, und den Flug 
in feine Heimath vollendet haben wird. 

Diefen letztgenannten göttlichen Dienft thut die 
Kirche Chriſti nicht durch Prediger, die Allen das 
allgemeine Evangelium verfünden, fondern durch 
Gewiffens = Herzens » Öeiftes Freunde, die den allges 
meinen Neichthum des Evangeliums dem einzel: 
nen Sünder verkünden, ihn auf feine Verirrungen 
aufmerffam machen, ihn fein Innerſtes durchforfchen, 
ihn feine Sünde erkennen, befennen, verabfcheuen , 
ihn Erlöfung von der Sünde fuchen, und Erlöfung 

don der Sünde, das ift, Önade, Vergebung, neuen 
Sinn, ewiges Leben finden lehren. 

Die im Nahmen Chriſti und der Kirche diefe gött— 
lichen Dienfte thun, heißen Beicht-Väter, weil 
fie mit vaterlicher Milde dem Befennenden Herz und 
Ohr leihen; beißen Väter in Chriſtus, weil fie 





61 


den Kinderfinn in dem ausgearteten Gefchlechte wies 
der aufwecken. 

‚Die wahre Befferung fordert alfo von mir 

6, einen ungewohnten, überwiegenden Ernſt, die 
Anftalten des Heiles, die mir in der Kirche Chris 
ſti geöffnet find, als folche anzuerfenen, und von 
ihnen den beften Gebrauch zu machen. 

Sch werde mir alfo aus den Dienern Chriſti und 
der Kirche, die fie zur Geelenpflege bevollmächtiget 
hat, mit offerem Auge den wahlen, dem ich es zu— 
trauen kann, daß er Liebe, Weisheit, Geduld genug 
beſttze, mich im Geiſte Petrus, Paulus, Johannes mei— 
ne Thorheit, mein Elend, d. i. meine Sünden er 
fennen; und Gott in Ehriftus, und in ihn Friede, 
Freude und ewiges Leben finden zu lehren. ch werde, 
wenn ich gewählt, gefunden haben werde, vor ihm Ges 
wiffen und Herz auffchließen, und nachdem ich mich 
nicht geſchämt habe zu fündigen, mich nicht ſchä⸗ 
men, vor dem als Sünder zu erſcheinen, der mich im 
Nahmen Chriſti in die Arme meines Vaters zurückfüh— 
ven, und den Engeln ein neues Jubelfeſt an der Wier 
derkunft eines Verirrten bereiten wird. 

Ich werde mich nicht auf etliche Aug erblickt, 
fondern wenn er anders nicht vor mir der Erde entrifs 
fen wird, feiner Führung auf immer anvertrauen, 
feiner Suhrung auf im mer treu bleiben ; bis ich nach) ab» 
geftreifter Hülle der Zeitlichfeit gar feiner Führung 
mehr bedürfen merde. 

Das Band der Freundfchaft, das die Ergies 
ßungen meines Innerſten vor ihm, und ſeine Theilnah⸗ 
me an meiner ewigen Angelegenheit, knüpfen wird, 
- fol nicht mehr brechen; hienieden nicht, meil * 
in die Ewigkeit hinüber reicht; drüben nicht, weil es 
drüben für die Kinder Gottes feinen Riß und Eeinen 
Bruch mehr gibt... 


.62 


Jetzt verftehe ich erft recht, warum das, was die 
heiligen Schriften eine neue Schöpfung Chriſti, 
eine neue, Öeburt aus Gott, eine Berwand- 
lung aus einem finnlichen in einen geiftli- 
chen Menfchen, eine Auferftehung vom Los 
de nennen, in der Sprache der Kirche mit allem 
Grunde »Sacrament der Buße« genennet wird, 
Wahrhaftig, wenn der Geift Chrifii durch die Kirche 
und ihre Diener in der; Befferung des Mtenfchen fo 
große Dinge thut, wenn die Eine unfichtbare Gnade 


Gottes durch fichtbare Zeichen fo Eräftig wirket — bey 


der Befferung des Sunders: fo iſt diefe Beſſerung 
wahrhaft ein »Sacrament Chrifti, das Sacra— 


ment der Buße.« Es gehet das Werk Gottes durch. 


Menfchenhände, ift aber Gottes Werk. 

Sehet an das Lehrbild, das uns die Fruchtbar- 
feit der Erde gibt! Der Himmel wickelt Gottes Ser 
gen gar zart und Fünftlich ein: er geht durch des 
Menfchen Hand, kommt aber doch von Öott... So 
auch in der Buße des Menfchen. Ehriftus, die- Kir— 
che wickelt Gottes Gnade zart und freundlich ein. 

Das Heil gebt durch Menfhenhände, fommt uhr 
doch von Gott. 

Wohl das ſchönſte Schaufpiel für Engel, die es 
fhauen fünnen! Die glaubige Seele befennt , be: 
reut, verflucht die Sünde, gelobet Befferung und er— 
greift die Erbarmungen Ehriftt. 

Chriſtus reiniget die befledfte, heilet die Fran- 
fe, flärket die fchwache, und beruhiget die ängflige 
Seele. 

Der Diener Chriſti und der Kirche 
fpricht fie los von der Sünde, belehret und entlaßt 
fie im Frieden. 

So ift e3 denn dad Geheimnif der Ver 
ſöhnung, das in der Befehrung des, Sünders of— 
fenbar wird! Und die durch die Hoffart und den 


63 


Ungehorfam des erfien Menfchen die Sünde und 
der Tod in die Welt eintraten, und wie durch die 
Erniedrigung und den Gehorfam des zweyten 
beffern Adams Gerechtigkeit und Leben in die Melt 
famen: fo miederhohlet fich diefe Örundlehre des Heis 
les in jeder Befehrung des Sünders, indem er durch 
Demuth und Gehorfam, die ihn Ehrifto und der 
Kirche unterwerfen, Gerechtigkeit und Leben findet. 

Diefer hohe Geift des Chriſtenthums athmet in 
den alteften Kirchengebethen , die um nichts fu dringend, 
als um Gnade, Gerechtigkeit, Demuth, Liebe zu 
flehen wiffen. 


Kirchengebeth 
um Demuth. 


Gott „, der du widerſtehſt den Hoffartigen, und 
Gnade verleiheft den Demüthigen: ſchenke uns 
die Tugend der wahren Demuth, deren Geftalt 
und Vorbild dein Eingeborner den Gläubigen in 
fid) dargeftellt hat; damit wir nie durch Selbft- 
Erhöhung deine ftrafende Gerechtigkeit heraus- 
fordern, fondern vielmehr durd) Selbft - Ernie: 
drigung die Gefchenke deiner Gnade empfangen 
mögen. 


Kirchengebeth. 
um Liebe. 


Gott, der du denen, die dich lieben, Al— 
les zum Guten kehreſt: ſenke den unwandelba— 
ren Zug der Liebe zu dir tief in unſere Herzen 
ein; damit das heilige Sehnen, durch deine Ein— 
ſprechung empfangen, durch Feine Verſuchung 
erjchuttert werde. 


64 
XI, 
Eilft e r Dag. 
Wie fidy die Bekehrung als wahr erprobe, bemwähre. | 
Shriftftellen 


S 

1. Indem Zachäus fo da ftand, ſprach er zum Herrn: Sieh, 
Herr! die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und wo 
ich fonft etwas durdy Betrug an mich gebradyt habe, das gebe 
ich vierfach zurück. Luk. XIX. 8 

2, Eben darum fage ic) dir: weil fie fo fehr Tiebet, müf- 
fen ihr viel Sünden erlaffen feyn; wen aber wenig erlaffen ift, 
der liebt wenig. Luk. VII. 47. 

3. Bringet nur tüchtige Früchte der Buße, Matth. 
III. 8. 

4, Raffet uns alfo Öntt lieben, weil Gott und zuvor ge: 
liebt bat. 1. Joh. IV. 19. 


Betrachtung. 


Wenn die Beſſerung des Menſchen eine wahre 

iſt, muß ſie ſich auch bewähren, als wahr dar— 
ſtellen. — 
Die vollſtändige Sinnesänderung muß ſich er: 
weiſen durch eine vollſtändige Lebensänderung. 
Die wahre Vefferung muß erfcheinen im Leben, als 
das, was fie im Innern if. 

Im Innern ift fie Glaube, Liebe, Hoffnung, *) 
die, neu bergeftellt, wieder ein Ganzes ausmachen, 
wieder die Dberherrfchaft erreicht haben. Der 
Glaube fieht in Gott lauter Huld, die die Sünden 
vergeben und getilgt hat, und halt fich an Ihn, als 

wenn 


Y 





*) Was hier bloß angedeutet ift, wird in nachfolgenden Be: 
trachtungen ausführlich behandelt. 


65 


. wenn er fichtbar wäre; die Liebe fieht in Soft lauter 
Schönbeit, und will nichts als lieben den, der zu» 
vor geliebt hat, will fchön feyn im Auge Gottes, des 
Keinften ; die Zuverficht fieht in Gott nichts als ew i⸗ 
ges Leben, und ruhet in Gott, weil ihr in ihm 
ewiges Leben hinterlegt iſt. 

Wenn die wahre Befferung im Innern Glaube, Lies 
be, Hoffnung ift: fo if fie im Innern auch Gottfes 
ligkeit, Menfchenliebe, Selbftbeherrfchung. 
Glaubend an die ewige Wahrheit, liebend die ewige 
Schönheit, trauend auf die ewige. Seligfeit, kann 
das Gemuth nicht anders, als in Gott felig fepn. 

Wenn das Gemüth in Gott felig ift: fo kann es 
nicht anders, als diefe Seligkeit mit feines Gleichen 
theilen wollen, die Menfchen lieben. 

Wenn das Gemüth in Gott felig ift: fo muß e3 
die Eigenliebe, die nur in fich felig feyn will, vom 
Throne geftoßen haben, und fie in Banden gefchloffen 
— bewachen, felbft » beherrfchend ſeyn. 

Wenn die wahre Befferung im Innern Öottfelig> 
feit ift: fo wird fie im äußern Leben denfelben Gott 
verkünden , wird Gott, der im Geifte wohnet, am Lei⸗ 
be fragen, in Handlungen preifen. Das Leben des 
Gebefferten wird ein lauterer Gottesdienft, feine 
Geduld ein Fauteres Dankopfer fen. 

Wenn die wahre Befferung im Innern Menſchen⸗ 
liebe ift: fo wird fie im Aeußern ein ſtetes Rechtthun, 
ein freudiges Geben, ein funfllofes Schaufpiel 
der Freundlichkeit, der Milde, der flilen Erbarmung, 
des Mitleides, der Nachgiebigkeit, der Sanftmuth, der 
Geduld, der "Mitfreude feyn. 

Menn die wahre Befferung im Innern Selbſtbe⸗ 
herrfchung iſt: fo wird fie im Yeußern Genügfamfeit, 
Befcheidenhbeit, Mäßigkeit, Nüchternheit, 
Keufhheit — ſeyn; denn der rege Trieb nad) Has 
be, nach Ehre, nach Luſt iſt es, der ** werden 

Sailer, d. chriſtl. Monath. 


66 


muß, und nur durch Weherrfchung des Triebes nach 
Keichthum Fann ich genugfam, nur durch Veherr- 
fehung des Triebes nach Ehre kann ich demüthig, 
befcheiden, nur durch Beherrſchung des Triebes 
nach Sinnenluft kann ich ma ig, feufch fen. 

Alfo nur ein unbeflecftes, heiliges Leben ift die 
fihere Bewährung, die zuverläffige Probe, 
daß die Sinnesänderung Feine Taufchung, daß die Befe 
ferung nichts halbes, fondern ein Ganzes und das 
echte, gottgefällige Öanze fey. 

Wie follte ich aber die volltändige Sinnesänderung 
durch eine volftändige Eebensänderung mir fel- 
ber und Andern ermweifen fünnen, wenn ich nicht im 
Geifte der Buße beharre? 

Denn die Sünde iff wie ein wilder, braufender 
Waldſtrom, der, aus feinen Ufern tretend, das Land 
weit umher überfehwemmt, und, zurückgetreten in fei= 
ne Ufer, nichts als Schlamm und Verwüſtung zurück⸗ 


laßt. Ä 

Nenn alfo auch die Sünde ihre Oberherrfchaft 
durch die Sinnesanderung verloren hat: fo bleiben doch 
Spuren ihrer Verwüſtung im Öeifte, im Leibe, im Wirs 
Pungsfreife des Menfchen zurück. Diefe Spuren Fons 
nen nur durch fortdauernde Buße getilgt wers 
den; diefe fortdauernde Buße ift ein ftetes Leben 
im Geifte, und ein ſtetes Kampfen wider das 
Fleifh. Im Geiſte leben beißt das Gemüth nie 
außer Verbindung mit Gott, mit Chriſtus, mit der 
Ewigkeit fommen laffen. 

Wider das Fleiſch Fämpfen heißt jede Ber 
wegung des Herzens wider das Gewiſſen, wider den hei» 
ligen Geift unterdrücken, un die Uebermacht des Gei⸗ 
ſtes geltend machen, 

»Sleifch ift der Menfch — und Geift: 

Daher die Zwietracht fleußt ; 

"Die führen flarfen Streit 

Zu aller Zeit.« 


67 


Wer nun zur wahren Ginnesänderung durchges 
drungen ift, und fie im Leben bewähren will, muß 
vorerft fich zur Quelle alles Guten erheben, fich daraus 
neue Öeifteskraft hohlen, und dann mit diefer neuen 
Geiftestraft den Streit des Geiftes wider das Fleifch in 
feinem Gemüthe fo entfcheiden, daß das Geſetz des Ges 
müthes wider das Geſetz der Glieder das Feld behaupte, 

Wenn einmahl diefer_Sieg in mir beharrend 
und vollftandig feyn wird: dann lebe nicht mehr ich, 
Ehriftus lebet in mir, fein Geift, fein himmlifches, fein 
göttliches Leben, 

Die wahre Sinnesanderung , die fich als vollftans 
dige Lebensanderung erweifen fol, fordert alfo von mir 

7, einen ungewohnten, überwiegenden Ernft, im Geis 
fie der Buße, das ift: des Gebethes und des Kam- 
pfes zu beharren. 
Denn, fobald mein Geiftesblick Gottes Ges 
both außer Acht, und die Geiftesmacht, immer 
ſchwächer werdend, endlich der Begierde freyen Spiel: 
raum laßt: fo wird die gebundene Kiefenkraft der Be: 
gierde fiegend hervorbrechen, und das Geſetz der Ölie- 
der über das des Gemüthes die Oberhand behaupten, 
die Sunde ihren verlaffenen Thron wieder einnehmen, 
und die letzten Dinge ärger als die erflen werden. 
Diefe Aenderung, Befferung des Sinnes und des 
Lebens heißt in unfern heiligen Schriften 
1. Gnade, Begnadigung, 
2. Rechtfertigung, Gerechtmachung, 
3. Heiligung; 

und was fie heißt, das iſt fie. 

Sie it Gnade: denn, wenn der Geift Gottes das 
Innerſte des Menfchen nicht lichthell, frey, neulebendig 
und felig machte: wie follte der in Finſterniß, Knecht- 
fchaft, Tod und Hölle verfunfene Menfchen-Geift zum 
Lichte, zur $repheit, zur Lauterfeit, zum himmlifchen 
Leben neu geboren werden Fünnen ? 

5 * 


68 


Sie Rechtfertigung, Gerechtmachung: 
Gott, der Öerechte, macht gerecht, und den er gerecht 
macht, der iſt gerecht. Gott vergibt die Sunde, und 
dem er fie vergibt, Dem ift fie vergeben, der ift rein, 

Sie ift Heiligung: die Heiligkeit felber ift 
Gott; Annäherung zur Heiligkeit, Heiligung, das iſt 
das neue Leben des Neugebefferten. 

Mas die Menfchen trennen, ift bey Gott Eines, 
und wird in jedem Menſchen, der von der Gottlofige 

keit zur Gottfeligkeit überfchreitet, Eines. 
Was der Dunkel der Menſchen verwirret, dag ent: 
wirret die Erfahrung der Kinder Gottes. - 

Selig die Kinder Gottes: denn der Geifl 
Gottes treibt fie, und Vergebung, Liebe, ewiges Le: 
ben ift ihnen mit Gottes Kindfchaft gegeben. / 


BGebeth: 


Du „unſer Herr und Gott! der du uns zuvor 
geliebet haft, und von denen, die deine Gnade 
aus dem Abgrunde der Sünde rettete, nichts for: 
derft als Gegenliebe, dankbare Gegenliebe: o, 
ſchenke uns auch diefe Gabe noch, daß wir in der 
dankbaren Begenliebe beharren — bis an’s Ende. 
Denn nur diefe dankbare, beharrende Gegenliebe 
ift es, die würdige Früchte der Buße bringt; in- 
ih fie das ganze Leben zu Einem Dantopfer 
weihet. | 
Schenke uns auch diefe Gabe noch; denn nur 
die dankbare, beharrende Gegenliebe ift es, Die 
nie mit der Pflicht market, fondern, lieber zu viel . 
als zu wenig ſchenkend, das Fremde vierfah 
zurück, und Die Halfte der Güter den Armen gibt. 
Schenke uns auch diefe Gabe noch; denn nur. 
die dankbare, beharrende Gegenliebe glaubt nie 


09 


genug lieben, nie genug danken zu können; weil 
ihr fo viele Sunden erlaffen find. | 

Schenke uns auch diefe Gabe noch ; denn nur 
die dankbare, beharrende Gegenliebe wird nie 
müde, Wergerniffe aufzuheben, Befhadigungen 
zu vergüten, Verſäumniſſe und Zeitverlufte durch 
gute Werke hereinzubringen, bis die Stunde des 
Feyerabends ſchlägt. 





XII. 


Es ſind bisher da, wo die Lehre von der Bekehrung 
in's Licht geſetzt, und nad ihrer: Wichtigkeit und Anwendbarkeit 
dargeftellt ward, nothwendig immer auch die drey Kleinodien die= 
fes Lebens: Glaube, Liebe, Hoffnung mit zur Sprade 
gekommen. Allein, das Evangelium von dem Glauben, der in 
Liebe thätig, in Hoffnung felig ift, Eonnte bisher doch mehr be= 
zührt, als vom Grunde aus betrachtet werden. Nun ift es Zeit, 
den tiefen Grund des Glaubens, der in Liebe thätig und in 
Hoffnung felig iſt, zu erforfchen; weil diefer Glaube, recht vers 
ftanden und, in feinem Lichte betrachtet, die ganze Fülle der chriſt⸗ 
lichen Weisheit ausmad)et. 

Afo: vorerft von dem Weſen des Glaubens, dann von 
feiner Thätigkeit in Liebe, endlich von feiner Seligkeit 
in Hoffnung. 


Zwolfter Tag. 
Bon dem Wefen des chriftlichen Glaubens. 


Shriftftellem 


4. et erfenne ich Stückwerk; dann aber werde ich erkennen, 
fo wie id) erkannt werde. Nun aber bleiben diefe drey: Glau— 
be, Hoffnung, Liebe... I. Kor. XIII. 12. 13. 

2. Der Öerechte wird aus dem Ölauben leben.« Röm. I, 17. 


20 


Betrachtung. 


Die heilige Geſchichte ſpricht ſehr deutlich aus, 
was der Glaube des Chriſten, nach ſeiner Weſenheit 
betrachtet, in den früheſten Zeiten war. 

Die Chriſten, die das Maß dieſes Nahmens aus- 
füllten, trugen in ſich: 

» 1. eine Ueberzeugung, die fo gewiß mar, daß 
fie allen Zweifel, die fo feft war, daß fie alles Schwan» 
fen, die fo lebendig war, daß fie allen Tod auss 
fchloß, und fich ihr Herz und ihr Leben unterwarf; 
2. die gemwiffe, feſte, lebendige Ueberzeugung: 
daß Gott, der Vater, das menfchliche Sefchlecht durch ° 
feinen Sohn Jefus Chriſtus im heiligen Geifte heilig und 
felig machen wolle, und machen werde. 

Diefer heilige Wille Gottes, diefer ewige Kath 
ſchluß Gottes, diefes felige Reich Gottes war der 
vornehmfte Inhalt ihrer gemwiffen, feften, lebendigen 
Ueberzeugung. 

Und eben diefe gewiſſe, fefte, lebendige Ueberzeu- 
gung von Gott und Gottes heiligem Willen, von Gott 
und Gottes ewigem Rathſchluſſe, von Gott und Got⸗ 
tes feligem Reiche — heißt in den beiligen Schriften 
Glaube. | 

Der Chriftenglaube hatte alfo al$ Glaube, und 
als chriftlicher Glaube, feine unverfennbaren — 
mahle. 

Der Glaube zeichnete ſich al$ Glaube aus durch 
Gemwißbeit, durch Feftigfeit, durch Leben» 
digkeit. | 

Der Glaube zeichnete fih aus durch Gemiß- 
beit: »Ich weiß, ih bin gewiß, an wen 
ich glaube,« konnten mit Paulus die erften Ehriften 
rufen. 

Ohne Gemißheit hatte ihre Vernunft Feinen Kur 
hepunct in Chriſtus, und in dem Evangelium von Chris 


71 


flus finden Fonnen; fie waren von Meinung zu Meie 
nung, von Lehre zu Lehre umbergeirrt, wie Kinder von 
Spiel zu Spiel; fie hatten nur Fabeln um Fabeln auss 
getaufcht, wie die unſteten Schwäßer des Tages. 

Der Glaube zeichnete ſich aus durch Feſtigkeit, 
das ift, durch eine Gewißheit, die Beftand und Daner 
in fi) trug, und durch feine neue Unterfuchung, durch 
feine neue Erfahrung erfchüttert wurde. Ohne Feftig- 
feit des Glaubens hätten fie Gut, Ehre, Leben für dag 
Bekenntniß Chrifti daranzugeben nicht einmahl wagen 
können; da fie doch, in der Fülle der feften Gemwiß- 
heit, gar nichts zu wagen brauchten. Ohne Feftigkeit 
des Glaubens hatte ihre Vernunft den gefundenen Kus 
hepunct in Chriftus, und in dem Evangelium von Ehris 
ſtus nicht behaupten können. 

Der Ölaube zeichnete fich aus durch Lebendig- 
keit. Die Ueberzeugung ward ein inneres, — neues 
Leben, und das neue, innere Leben beherrfchte die 
geheimften Regungen des Herzens, und regierte das öf— 
fentliche Thun, erzeugte Zuverficht, Liebe, That, und 
verwandelte den alten Menfchen, vol Haß, Neid, 
- Zorn, — in einen neuen Menfchen, reich) an Gute, 
Milde, Geduld. Ohne diefe Lebendigkeit der Ueber— 
zeugung hätte der Wille der Ehriften feinen Ruhepunct 
‘in Ehriftus, und in dem Evangelium von Chriſtus ges 
winnen und behaupten Fünnen. 

Der Glaube, als Chriftenglaube, zeichnete fich durch 
Inhalt aus, wie ihn Paulus fo kurz und fo klar aus 
ſprach: Gott in Ehriftus das ewige Leben 
der Menfchheit. Dadurch unterfchied fich der 
Ehriftenglaube vun dem Glauben der Jfraeliten, 
die Chriſtum nur in dem Dunkel der Weiffagungen und 
in dem Buchftaben der Verheißung erbliden konnten; 
dadurch unterfchied fich der Ehriftenglaube von dem Glaus 
ben der übrigen Welt, die Gott in Ehriftus we⸗ 
der in dem Dunkel der Verheißung, noch in dem Lich— 


72 


te der Erfcheinung erfannte. Diefer Inhalt des Glaus 
bens war denn auch das Geheimniß aller Ge— 
hbeimniffe, war das Geheimniß, das vor Anles 
gung der Welt i in Gott verborgen war, — (Ephef. 
IL, 9. 10. Kol. I, 26.) — das aber durch die Kirche 
Ehrifti in aller Welt offenbar werden follte, und 
offenbar geworden iſt: »Durch Ehriftus fol Himmel 
und Erde, Engel und Menfch, das Dbere und das 
Untere Eined werden unter dem Einen Haupte — 

Chriſtus. « 1 

Wenn nun aber der Chriſtenglaube, als Glaube, | 
und al$ Ehriftenglaube, fo große Vorzüge hatte: 
fo kann man fich nimmer darob verwundern, daß die 
Ehriften in ihrem Glauben 

1. Die böchfte Önade Gottes, 

2. die wichtigfte Hebung ihres Lebens, 

3. das fchönfte, das feligfte Loos ihres Da- 

ſeyns ... fanden. 

Der Glaube mußte ihnen die höchſte Gnade Gottes 
ſeyn; denn entweder mit den Juden im blinden Aber⸗ 
glauben verfunfen, oder mit den Heiden im gleich 
blinden Unglauben vergraben, oder mit den 
Weifen der Zeit von flolger, falfcher Weisheit 
verdüftert und geblaher, wie hätten fie das Licht 
der Welt in dem verfchmäheten Ehriftug 
erkennen follen; wenn ihnen die ewige Liebe den Strahl 
des Lichtes nicht vor ihren Augen hatte leuchten laffen ; 
wenn ihnen, die * Liebe das geſchloſſene Auge nicht 
hätte aufthun wollen? 

Der Glaube war ihnen die wichtigſte uebung 
des Lebens; denn was heißt an Gott in Chri— 
ftus glauben andere, als: »Alles, was Chriftus als 
eine Offenbarung der ewigen Wahrheit, als eine 
Verheißung der ewigen Liebe, als Enthüllung 
der ewigen Schönheit lehrte und in feiner Kirche nieder» 
legte, alles diefes fol mir Leuchte meiner Vernunft, 


73 


Triebfeder meines Willens, Leben meines Les 
bens — werden. Gott in Ehriftus will ich meine Vers 
nunft unterwerfen, um an die ewige Wahrheit glauben 
zu können; Öott in Ehriftus will ich allen meinen freyen 
Willen unterwerfen, um die ewige Schönheit lieben zu 
können; Gott in Chriſtus will ich mein ganzes Herz 
unterwerfen, um auf die ewige Liebe frauen zu können.« 
Mahrhaftig, eine Hebung; denn es ift eine Uer 
bung des ganzen innern Menfchen. Wahrhafs 
tig eine wichtige Hebung; denn es ift die Uns 
terwerfung der Vernunft, des Willens, des Herzens 
unter die ewige Wahrheit, Schönheit, Liebe. Wahrhafr 
tig, die wichtigfte Hebung; denn nur durch dies 
fe Hebung kann Vernunft, Wille und Herz des Menſchen 
einen feften Haltungspunct gewinnen und behaupten. 
Der Ölaube war den Ehriflen das feligfte 
£005 ihres Daſeyns. Im Glauben ging ihnen ein, 
neues Licht, und in dem Lichte die ewige Welt 
auf; im Glauben ward ihnen mit dem Lichte eine heis 
lige $lamme gegeben, die fie zum himmlifchen Le⸗ 
ben entzundete, und in himmlifche Wefen ummandelte; 
im Glauben ward ihnen eine fichere Handleitung 
durch das Leben, eine ſtete Ermunterung zum 
Guten , eine herzſtärkende LZabung in den Stunden 
der Ermattung, eine feſte Beruhigung in den Stür- 
men der Zeit, eine tröftende Ausficht im Leiden, 
ein frober lLebergang aus dem Lande der Dam» 
merung in das Land der ewigen Klarheit, zugefichert, 
bereitet , gefchentt. 


Gebeth. 


Gott, du haft durch das Mort, das Fleiſch 
geworden, ein neues Licht über die Melt aus: 


*) Umfhreibung des Kirchengebethes in der zwenten Meffe am 
Weihnachtsfeſte. Ar ſ 


4 


74 


gegoffen: o! laß dieß Licht auch in uns und au 
ung leuchten mit ftets neuer Kraft; damit wir an 
dein Wort glauben, und in deinem Lichte vor dir 
wandeln mögen. Vermehre in uns Allen diefes 
Licht, und offenbare die Macht desfelben immer 
mehr; damit all’ das, was durch den Glauben 
im Gemüthe erglänget, in unferm Thun und Laf- 
fen wiederglange; bis wir von Klarheit zu Klar: 
heit in dein Ebenbild verwandelt ſeyn werden, 
durch Sefum Chriſtum unfern Herrn. Amen. 





XII. 


Nach der einfachen Darftellung, was Glaube den erften Chri— 
fin war, die in der voranftehenden Betrachtung gegeben ward, 
müffen die übrigen treffenden Abbildungen von dem Glauben und 
die rührenden Herzensergießungen über denfelben, die fonft noch 
in unfern heiligen Schriften vorfommen , in einer neuen Fülle von 
Klarheit und Lieblichkeit erfcheinen;, wenn wir anders ein offenes 
Gemüth zur Anfhauung und Beherzigung der Wahrheit mit- 
bringen. . 

Sch wieberhohle demnach die Frage: Was ift Chriftenglaus 
be, und lafje die heilige Schrift darauf antworten. 





Dreyzehbnter Tag. 
Sortfetzung von dem Ehriftenglauben. 
Schriftſtellen. 

.D hne Glauben ift es unmöglich / Gott zu gefallen. Hebr. 


2, Der Glaube ift Fefthaltung, Grundlegung deffen, was 
gehofft werden Fann. Hebr. XL. 1. 


75 


3. Bey Chriſtus Jeſus.. gilt nichts ald der Glaube, 
wirkfam durch Liebe. Gal. V. 6. 

4. Wie der Leib ohne Geiſi todt iſt, ſo iſt auch der Glaube 
ohne Berfe todt. Jak. II. 26, 

5. (Moyſes) Diet fid) an den, den er nicht fah, als ſähe 

er * Hebr. XI. 

6. Kämpfe den Kampf des Glaubens. I. Tim. VI. 12. 

7. Ergreife das ewige Leben. I. Tim. VI. 12, 

8. Was aus Gott geboren ift, überwindet die Melt, und 
der der die Welt überwindet, ift unfer Glaube. I. 
Sob. V. 


n.e:er0 Dh un. 


Was ift Ölaube? 


Glaube ift 

. die unerlaßlihe Bedingung, ohne Die 
fein Menſch Gott gefallen kann. Ehe Enoch hinweg⸗ 
genommen ward, hatte er das Zeugniß gehabt, daß er 
Gott wohlgefällig war. Ohne Glaube aber iſt es un 
möglich Gottes Wohlgefallen zu erlangen. Denn 
wer zu Gott hintritt, der muß erſt glau— 
ben, daß Öott ift, und daß Gott denen, 
die ihn ſuchen, ein Bergelter ift, Hebr. 
XI. 5. 6. B 

Dhne Glaube ift Fein Wohlgefallen Gottes am 
Menfchen; denn Glaube ift der erfte Keim des bus 
hern, gottähnlichen Lebens, er ift die erfie Bewegung 
des innern Menfchen zu Gott. 

Ohne Glaube ift Fein Wohlgefallen Gottes am 
Menſchen; denn fo lange die Ueberzeugung, — daß 
‚Gott if, und daß er die ewige Vergeltung ift für Alle, 
"die ihn fuchen, — nicht Gewißheit, Feſtigkeit und Le⸗ 
bendigkeit hat: ſo lange iſt nichts im Menſchen, das 
dem Blicke des Heiligen gefallen könnte. 

Ohne Glaube iſt kein Wohlgefallen Gottes am 
Menſchen; denn der Glaube iſt die erfte aller goft- 


26: 


gefaligen Richtungen, die das Menfchenherz zu Gott 
nehmen kann; die erfie, weil ohne fie weder Liebe noch 
Zuverficht werden Fann. 


Was ift Glaube? 


Glaube ift 

2. die eigentliche Grundfefte der Hoffnung, Hebr. 
XI. 1.; deutlicher: die wirkliche Grundlegung aller 
Hoffnung auf Öott. Denn wie follte ohne fefte 
Ueberzeugung: Gott ift, und Gott ift Vergelter Aller, 
die ihn fuchen, — in mir die Hoffnung geboren 
werden Fünnen , daß Öott auch mein Gott, daß Öott 
auch für mich das ewige Heil feyn wird ? 

Wenn der Menfch ift wie feine Hoffnung, flark 
oder ſchwach wie fie: fo muß er feyn wie fein Glaube. 
Denn die Hoffnung des Menfchen ift wie fein Glaube, 
ift wie die Grundfeſte, auf der er fieht, ſtark wie die 
fe, oder morfch wie fie, 


Was iſt Glaube? 


Glaube ift | 

3. das, was fich durch Liebe thätig erweifet, Gal. 
V.6.; ift das, was durch Liebe den Menſchen neu 
fhaffet, Gal. VI. 15., ift das, was durch Liebe, 
durch: Neufchaffung des Menſchen, fih vor Ehriftug 
geltend, und allein geltend macht. Sal. V. 
6. VL ı5. Hier ift der wahre Prüfftein des 
wahren Glaubens angegeben; hier ift alle Täu— 
fehung ausgefchloffen; hier liegt die göttliche Wahre 
heitslehre offen da; bier iſt Aufſchluß für jes 
des Herz, das noch nicht zum Frieden durchgedrungen 
ft. Entweder ift dein Glaube ganz todt, oder er hat 
‚ein Zeben. Iſt dein Ölaube ganz todt: fo bift du 
ohne Glaube in der Welt; denn ein todter Glaube, ift 
fein Glaube, wie ıhn das Ehriftenthum lehret, fordert, 
felig preifet. Hat aber dein Glaube ein Leben: fo 


77 


bat er entweder ein wahres oder ein falfches. Hat er 
ein falfches: fo verbirgfi du das Böſe in dir, und 
legeft das Feigenblatt des Glaubens darauf, lügeſt 
dich gerecht, billig, gütig, demüthig, ob du-gleich eine | 
reiche Ernte der Ungerechtigkeit, der Unbilligkeit, des 
Haffes, des Stolzes in dir wahrnehmen könnteſt. Die⸗ 
fer falfche Glaube ift ein bloßer Munds, ein bloßer 
Schein, ein blofer Heuchler » Ölaube. Hat 
dein Glaube ein wahres Leben: fo ift dieſes entwes 
der ſchwach, oder fiegend ſtark. Hat dein Glaube ein 
ſchwaches Leben: fo wird er dich zur Liebe we 
nigſtens ermuntern, wenn er gleich dich zur Liebe neus 
zufchaffen nicht vermag; fo wird er feine Thätigkeit durch 
Anfange der Liebe beweifen, wenn ex gleich noch nicht 
im Stande iff, der Liebe die Herrfchaft, das Ueber— 
gewicht zu verfchaffen. Hat dein Glaube ein wa h⸗ 
tes ſiegendes Leben in dir: fo wird er nicht nach» 
laffen zu wirken, bis er dich in einen neuen Menfchen 
vertvandelt haben wird. 


Was ift Glaube? 


Glaube ift 

4. die Seele aller guten Werfe. Jak. J. II. 
Die guten Werfe, die in das Auge fallen, find nur der 
Leib; aber was den Leib befeelet, ift der Glaube. Der 
Glaube, in Liebe thatig, ift das Leben aller guten Hande 
lungen. Und, wenn der Glaube, in Liebe thatig, den 
Menfchen innerlich heilig machet: fo machet derfelbe 
Glaube durch gute Werke, die er befeelet, den Mens 
ſchen, der innerlich heilig iff, auch außerlich in den Au⸗ 
gen der Kirche und aller ehrliebenden Menfchen gerecht. 
Er thut, was recht iſt, weil er das Gute liebt; und 
er liebt das Gute, weil er Gott liebt; und er liebt 
Gott, weil in ihm der Glaube an Gott ein inneres Les 
ben gewonnen, und den Menfchen zur Liebe neu ge: 


fchaffen hat. 


28 
Was iſt Slaube? 


Glaube ift 
5. jene Stärke des Öeiftes, die fih an Gon, 
den Unſichtbaren, ſo feſt anhält, als wenn er ſichtbar 
wäre. Hebr. XI. 27. Moyſes hielt ſich an den, den er 
nicht ſah, ſo feſt, als ſähe er ihn. 

Dieſes Sichanhalten an Gott, und zwar 
dieſes fo feſt Anhalten, als ob der Unſichtbare ſicht— 
bar wäre, iſt Glaube. 

Gott iſt dem ſtunlichen Menſchen unſichtbar, 
ferne, abweſend. Und doch muß der unſichtba⸗ 
re, ferne, abmwefende Gott dem Menfchen gleichfam 
fihtbar, nahe, gegenwärtig feyn; wenn der 
Geift des Menfchen zu Gott fprechen, vor Gott 
wandeln fol. ' 

Was mir nun den unfichtbaren Gott fichtbar, 
was mir den fernen nahe, was mir den abmwefenden 
gegenwärtig madt, das ift mein Glaube. ni 

Glaube ift alfo das Anfaffen des Unfichtbas 
ren, als ob er fichtbar ware; ft Wergegenmwärtis 
gung Gottes in meinem Innerften. Diefe ſchöne Bes 
fohreibung des Glaubens ift deßhalb fo wichtig; weil. | 
fie au$ der Erfahrung aller Heiligen genoms 
men ift, .und fie jeder Schwache in fich felbft wahr 
finden muß; denn fo lange du dich an Öott anhältſt, 
als wenn du ihn ſäheſt: fo lange biſt du wie Mo⸗ 
ſes, Paulus, Johannes, ſtärker als alle Reize 
zu allem Böſen. 


Was iſt Glaube? 


Glaube iſt 
6. Ergreifung des ewigen Lebens. I. Lie 
.. VI ı2. Wenn fich die Seele hingibt der Luſt 
der Sinne: fo ergreift fie das zeitliche -Leben, in zeit 
licher Sinnenluſt; wenn fie fi) hingibt dem Zauber 


7 
79 


der Ehre, ſo ergreift ſie das zeitliche Leben, im Ge⸗ 
nuße zeitlicher Ehre; wenn ſie ſich hingibt den Gütern 
der Erde, fo ergreift fie das zeitliche Leben, in Ans 
bänglichfeit an zeitliche Güter, Wenn fie fich losreißt 
von der Luft der Sinne, von den Schmeichelegen der 
Ehre, von den Reizen des Reichthums; wenn fie fi) 
erhebt zu dem Gott, der das Leben alles Lebens if, 
der das ewige Leben in fich hat, und für alle die 
Seinen das ewige Leben ift: fo ergreift fie Gott, und 
in Gott das ewige eben; Glaube ift Ergreifung des 
ewigen Lebens, 


Was ift Glaube? 


Glaube ift 
7: der gute Kampf, der gefampft werden muß, 
I. Zimoth. VI. 12.— und ausgefampft, den ganzen 
Kuhm des Ehriften ausmacht. II. Timoth. IV. 7. 
Glaube ift Kampf, ift guter Kampf, iſt not h⸗ 
mendiger Kampf, ift in feiner Vollendung der gan» 
3e Chriſtenruhm. 

Der Glaube ift Kampf; denn wie follte der 
Menfch, den das zeitliche mit Gewalt an fich ziehet, 
das ewige Leben ergreifen können, ohne fich dem Ans 
dringen des zeitlichen zu mwiderfegen, ohne fich dage- 
gen zu wehren? Go gewiß alfo der Ölaube eine Erz 
greifung des ewigen Lebens ift, fo gewiß muß er ein 
Geiſteskampf, ein Widerftand gegen das zeitliche feyn. 

Der Glaube ift ein guter Kampf; denn er ift 
vein Kampf für das ewige Leben wider das zeitliche, 
ein Kampf für das Göttliche wider das Ungöttliche, ein 
‚Kampf für das Licht wider. die Kinfterniß, ein Kampf 
für alles Heilige wider alles IUnheilige, — alfo ein 
guter Kampf, ein bimmlifcher Kampf. 

Der Ölaube ift ein Kampf, der gefampfet werden 
muß; denn, wenn ſich der höhere Menfch in uns 
nicht mwehret gegen das Niedere: fo muß das Niedere 


\ 


80 


herrfchend , und ‚durch die Herrfchaft des niedern Leo 
bens am Ende alles höhere Leben getüdtet werden. _ 
Der Ölaube ift als vollendeter Kampf der ganze 
Ruhm des Ehriften. »Ich habe einen guten Kampf 
gefampft, habe den Lauf vollendet, habe Treue und 
Glauben aufrecht erhalten.« Dieß iſt das Zeugniß, 
das fih Paulus, und mit ihm 5 vollendete Käm⸗ 
pfer geben kann. 
Was iſt Glaube? 
Glaube iſt 
8. der Weltüberwinder; denn wie wäre er ſonſt 
ein guter Kampf, wenn er der Welt den Sieg über 
ſein Herz in Händen ließe? Unſer Johannes hat es 
am ſchönſten geſagt: Alles, was aus Gott geboren 


iſt, überwindet die Welt: Unſer Glaube iſt der Sieg, 


der die Welt überwunden hat. J. Joh. V. 4. 


Der Glaube iſt alfo ein ſiegender Ueberwin—⸗ | 
der, ift ein fiegender Weltubermwinder, ifi ein fies | 
gender Weltüberwinder mit der Giegesfraft, | 


die aus Gott geboren if. 


Die Welt, die überwunden werden muß, ift Aus | 
genluft, Fleifchesluft und Lebenshoffart. Was die Welt | 


überwindet, ift Glaube; was aber den Ölauben zum 
Ueberwinder macht, ift feine Geburt aus Gott. 


Glaube ift alfo die göttliche Kraft, die ung 


zu Weltüberwindern macht. Die Glaubenskraft ift 


göttlich nach ihrer Abkunft, göttlich nach ihrem 
Zwecke, göttlich nach ihren Wirtungen. Gie 
Fommt von Gott, und kommt, um uns zu Kindern 


Gottes: neu zu fchaffen, und fchaffet ung wirklich | 


Dazu. 
GG ebeth 
Bon dem alle gute Gabe kommt, dır, das Gu— 


te ſelbſt! verleihe uns den Glauben an dich, 


und 


81 


und an den du gefandt haft, Sefum Chriftum, 
Deinen Do ‚ unfern Herrn. Berleihe uns je- 
nen Glauben, ohne den Dir Fein Menſch gefal- 
len kann; der die Hoffnung auf dich gründet und 
fefthalt ; der, in Liebe thatig, uns zu deinem 
Ebenbilde umfchafft; der das Herz heiliget vor 
deinem Auge, und in lauter, guten Merken aus- 
ſtrömend, uns Alle gerecht in den Augen der 
Kirche und der Melt darftellt; der uns fo feft 
an dich anhalten lehrt, als wenn wir dich ſähen; 
der das ewige Leben in der Zeit ergreift, und 
durch die Maht des Emwigen das Zeitliche 
überwindet, durch Sefum Chriftum , unfern 


Herrn. 





XIV. 


Das war der Chriſtenglaube in der erſten Zeit, ſo groß, 
fo feſt in der Ueberzeugung, fo lebendig im Gemüthe und Wandel, 
fo ausdauernd in der Wirkfamkeit: wer mwünfchte fich nicht dieß 
Glaubenslicht und diefen Glaubensmuth ? 


Bierzehbnter Vaog. 


Wie der Ehriftenglaube eine folche gegründete, fefte, 
ausdauernde Gemißheit erhalte. 


/ Ä ShrYiftftellen 


1. dor forfchet in den Schriften, weil ihr glaubet, ewiged 
Leben darin zu finden. Und fie find es eben, die von mir 


Zeugniß geben. Joh. V. 39. 


| 


2. Die Kircye des lebendigen Gottes ift das Haus Gottes, 


‚ der Pfeiler und das Fundament der Wahrheit. I, Timoth. 


III. 15. 
Sailer, d. chriſtl. Monath. 6 


82 


3. Und id) fage dir, daß du Petrus (ein Feld) bift, und 
auf diefen Felſen will ich meine Kircye bauen, und die Pforten 
der Hölle werden fie nicht _überwältigen. Und icy will dir die 
Schlüffel des Neicdyes der Himmel geben, und was du auf 
Erden binden wirft, wird auch in den Himmeln gebunden feyn, 
und was du Auf Erden Iöfen wirft, wird auch in den Himmeln 
gelöfet feyn. Matth. XVI. 18 — 19. 

4. Mir ift gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Er- 
den. Darum geher hin und Iehret alle Völker, und taufer fie 
in dem Nahmen des Vaters, des Sohnes und des heiligen 
Geiſtes, und Iehret fie halten alles, was id) euch befohlen 
babe; und fieh! Ich bin bey eud, alle Tage bis an’s Ende der 
Melt. Marth. XXVIIL 18 —20. 

/ 5. Ein Leib und Ein Geift, wie ihr denn auch zu Einer 
Hoffnung berufen feyd. Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, 
Ein Gott und Vater Aller, der da iſt über Alle, und durch 
Alles, und in ung Alten. Ephef. IV.4— 6, j 


Berradtung' 


Die Gewißheit des Glaubens iſt zweyfach, eine 
menfchliche und eine göttliche. Die göttliche Fann 
nur von Gott Fommen, und ift eben deßwegen Gabe, 
Gnade. Zuerft von der menfchlichen. 

Die menfchliche Gewißheit beruhet auf den Grün—⸗ 
den der Ueberzeugung, die dem Glaubenden felbft ge- 
wiß und feft feyn müffen, und fonft auch die Be: 
weggrunde heißen, welche die Lehre glaubwürdig, 
und den Menfchen glaubmwilig machen Founnen. 

Die Grunde der Ueberzeugung liegen in 
der Gefchichte der Offenbarung; liegen in der 
Vernunft, die, in der Gefchichte forfchend, fich 
nicht erwehren Fann, fie felbft glaubwürdig, und den 
Inhalt derfelben Gottes würdig zu finden; liegen in 
dem Herzen, das fich nicht erwehren kann, fich 
mit der Vernunft der anerkannten Wahrheit zu erges 
ben ; liegen endlih in dem Leben des Menfchen, 
oder in der treuen Ausübung der erfannten Wahrheit. 


63 


1, 


Gründe der Ueberzeugung, die in der Gefchichte der 
Dffenbarung liegen. 


Die Gefchichte der Offenbarung hat drey Theile. 
Der erfte Theil iſt die Gefchichte Jeſu Chriſti, und 
hat den Sinn: »Nachdem fih Gottin der Bor: 
zeit Durch Propheten geoffenbart hatte, 
offenbarte er fichtin der Fülle der Zeiten 
durch Ehriftus.« 

Der zwehte Theil ift die Gefchichte der Ayo: 
fiel, und hat den Sinn: »Was Gott dur 
Ehriftus geoffenbart hatte, da3 legten 
Die erften Freunde Ehrifti, al$ feine Bo: 
then, durch Predigten, durh Schriften, 
durch Einrichtungen in der Kirche Chris 
fti nieder.« 

Der dritte Theil if die Gefchichte der Kirche, 
und hat den Sinn: »Was die Bothen Chri- 
ftiinden Schooß der Kirche niedergelegt 
hatten, das bewahrte und pflanztedie Kir: 
che Ehrifti bis auf unfere Zeiten fort, 
fo,Ddaß wir es von ihr empfangen, und 
in unfer Innerftes aufnehmen fünnen.« 

Das Wort Gottes, an das. mir glauben, 
hat alfo 
1. feinen Urfprung in Öott, 

II. feinen göttlichen Spreder in Chriftus , 

III. feine HeroLlde in den Apofteln Jeſu Chriſti, 

IV. fein Fortpflanzungss und Erhaltung 
Werkzeug in der chriftlichen Kirche, 

Demnach lage in der Gefchichte Jeſu die Ge— 
ſchichte der. chriftlichen Dffenbarung, in der Gefchichte 
der Apoftel die Gefchichte der erfien Ausbreitung, und 
in der Öefchichte der Kirche, die Gefchichte der Forts 
| Ä 6* 


84 


pflanzung und Erhaltung deffen, was Chriſtus ver⸗ 
kündet, und feine erſten Bothen ausgebreitet haben. 

Die Kirche Gottes, die uns Gottes Wort ver- 
kündet, beißt nach ihrem vollftandigen Charakter , der 
fie überall erfennbar und für helle, reine Augen uns 
verfennbar macht, heißt, was fie ift, und zwar 

1. die chriftliche Kirche; weil fie von Chri⸗ 
ſtus geftiftet ward; heißt 

2. die fatholifche Kirche; weil fie von Chris 
ſtus beftimmt ift, in alle Welt ausgebreitet zu werden, 
und in diefer Ausbreitung alleKechtgläubigen aller Völ— 
fer und aller Zeiten zu umfaffen: »Gehet hin und 
lebret alle Völker, und taufet fie im Nahmen des Va: 
ters , des Sohnes und des heiligen Geiftes, und lehret 
fie. halten Alles, was ich euch anbefohlen habe; und fieh ! 
ic) bin bey euch alle Tage bis der Weltlauf zu Ende ift.« 
Matıh. XXVIIL ı9. 20. ; — heißt 

3. die Römiſch katholiſche Kirche, in fo 
fern die Farholifche Kirche, um zu beftehen, einen 
fihtbaren Mittelpunct der Einheit bedarf, und laut 
der apoftolifchen Tradition, (die uns fo heilig ift als 
die Schrift,) diefen Mittelpunet der Einheit in dem 
Bifchofe zu Rom, als Nachfolger Perri und als Stell: 
vertreter Chriſti, erhalten hat und behalt; heißt 

4.die Eine, heilige, apoftolifche Kirche: 
die Eine; meil fie, fo wie den Einen Stifter Chris 
ſtus, und den Einen fichtbaren Mittelpunct in 
dem Bifchofe zu Kom hat, fo auch dadurch die 
Einheit der göttlichen Heilslehre bewahrt, nach) der 
Verheißung des Fa und Amen: »Und ich fage dir 
(Simon Petrus) : dab du Petrus (Fels, Felfenftein) 
bit, und auf diefen Felſen will ich meine Kirche bauen, 
und die Pforten der Hölle werden fie nicht. überwaltis 
gen, Matth. XVI. ı8.;5« die heilige; meil fie durch 
die Lehre, die fie: bewahret, durch die Sacramente 
Ehrifti, die fie fpendet, und durch den Gottesdienſt, 


85 


den fie entrichtet, ihre Ölieder Heiligen fann, und 
unzählige ſchon geheiliget hat, wirklich noch 
hbeiliget, und heiligen wird, bis zum Welten» 
de; die apoftolifche; weil fie mit der Lehre Ehris 
ſti, den Sacramenten und dem Öottesdienfte, auch die - 
Reihe der Biſchöfe von den apoflolifchen Zeiten 
ableitet. 


2 


Gründe der Ueberzeugung, die in der prüfenden, ur⸗ 
theilenden Vernunft liegen. 


Wenn die Vernunft demüthig genug iff, die 
Gefchichte der chriftlichen Dffenbarung um Rath zu 
fragen; nüchtern genug, die Geſchichte ausreden zu 
laffen; felig genug, den hohen Sinn der Geſchichte 
in ihrem wefentlichen Inhalte zu verftehen; part ey— 
los genug, ihn zu prüfen; und rein genug, um über 
ihn urtheilen zu können: fo wird fie nicht umhin Fon» 
nen,anzubethen, und anbethbend auszurufen: 
Wahrhaftig , hier it Goftes Wort, Gottes 
Kraft, Gottes Heil! Goftes Wort in den Lehr 
ren Jeſu, Gottes Kraft in den Thaten Jeſu, Got⸗ 
tes Heil in den Schickſalen und Anftalten 
Jeſu. — Die Lehren, die Thaten, die Schickfale, 
die Anftalten Jeſu, find überdem ein fo ſchönes, fo 
erhbabenes, fo wohlthbatiges Ganze, daßman 
feinen Urfprung auf Erden nicht finden fann. Und dieß 
ſchöne, erhabene, wohlthätige Ganze, trägt fo offen- 
bar das Gepräge höherer Weisheit, höherer Kraft, 
höherer Liebe, daß man fich mit Petrus vereinigen, 
und mit ihm befennen muß: »Wahrhaftig, du 
haft Worte des ewigen Lebens 

Diefen Ausfpruch hat die prüfende Vernunft ge: 
‚than in Gelehrten und Ungelehrten, von dem Philos 
fopben Juftinus und der Purpurframerinn Lydia 
bis auf unfere Zeiten herab. 


86 


Diefen Ausſbiuch hat auch die Vernunft in mir 
gethan. 
Ich kann mit Huguftinus und Fenelon 
Ban 
Was ich glaube, nahm ich aus: der Hand der 

Kirche Ehrifti; 

II. Was ich glaube, nahm die Kirche Ehrifti aus 
der Hand der Apoſtel; 
III. Was ich glaube, nahmen die Apoſtel aus der 

Hand Chriſti; 

IV. Was ich glaube, nahm Chriſtus aus dem Va⸗ 
terherzen Gottes. 

Die Kirche hat mir überliefert, was ſie von den 
Apoſteln, was die Apoſtel von Chriſtus, was Chri⸗ 
ſtus von dem Vater empfangen hatte. 

Was ich als Offenbarung der ewigen Wahr- 
heit, was ich als Verheißung der ewigen Liebe, 
was ich als Enthüllung der ewigen Schönheit ans» 
nehme, .ift aller Annahme würdig. 

Was ih als Gottes Wort annehme, ift 
wirklich Gottes Wort, — — Gottes Wort, aufbes 
wahrt in und von der Kirche Ehrifti; Gottes Wort, 
niedergelegt in den Schooß der Kirche von den 
Apofteln Jeſu Chriſti; Gottes Wort, ausgefpros 
chen von Chriſtus; Gottes Wort, genommen aus 
dem Vaterherzen ottes, 

Mein Glaube gewinnt alfo in dem Maße Ge . 
wißheit und Feſtigkeit, in welchem es mir nach reifer, 
vollendeter Prüfung Flar wird: 

a. Daß fich Gott durch Chriſtus geoffenba- 
vet; daß derfelbe Gott, der ehemahls durch die Pros 
pheten gefprochen, in der Zulle der Zeit durch fei= 
nen Sohn geredet hat. Davon überzeugen mich der 
Inhalt der Lehre Jeſu, der Geiſt des Lebens Fer 
fu, die Wunder und Weiffagungen Jeſu, der 
3ufammenhang der Lehre Jefu mit den Erwartun— 


87 


gen der Vorzeit, mit den Ausfprüchen der Prophe⸗ 
ten, mit den Bedurfniffen der: Menfchheit. 

Mein Glaube gewinnt in dem Maße an Ge- 
wißheit und Feftigkeit , in welchem es mir Flar wird: 

b. Was eigentlich Gott durch Chriſtus geredet 
hat. Davon überzeugen mich ausführlich die hei— 
ligen Schriften der Ffraeliten und Ehriften,; im Kurs 
zen das fogenannte Glaubensbefenntniß der Apoftel, 
das, von wen es immer berrühren mag, an Alter, 
an Inhalt, an Würde apoflolifch if; am be 
ftimmteften der Eine, heilige, fich ftet3 
gleiche Glaube der Fatholifchen, apoftolifchen Kirche. 

Mein Glaube gewinnt an Gemwißheit und Feſtig⸗ 
feit in dem Maße, in welchem ich 

c. die Pfliht, an die Offenbarung Gottes 
durch Ehriftus zu glauben, in meinem Innerſten 
anerfenne. 

Diefe Glaubenspflicht iff mir gerade fo ges 
wiß, als gewiß es mir if: daß Gott und was 
Gott geoffenbaret habe. 

Was Gott offenbaret, ift die lauterfte 
Wahrheit, und eine Wahrheit, die Ale, die daran 
glauben und darnach leben, weife, heilig, fe 
lig macht. 

Gott, der lauter Licht und Wahrbeit ift, Gott 
ift alfo der KRuhepunct meines Glaubens, fo unwan⸗ 
delbar wie Gott felber. 

— — est begreife ich, was dem Völker— 
apoftel vorgeſchwebt haben mochte, als er an die 
Epheſer fchrieb : 

»Seyd forgfam, die Einigkeit des Geiftes durch 
das Band des Friedens feſtzuhalten. Ihr feyd ja 
Ein Leib und Ein Geift, feyd berufen zu Ei 
ner Hoffnung; es ift für euch Ale Ein Herr, 
Ein Glaube, Eine Laufe, Ein Gott und 
Vater Aller, erhaben über Ale, wirkſam durch 


88 


Alles, und in und Allen; jedem aus uns iſt die 
Gnade gegeben nach dem Maße, wie uns Chriftus 
beſchenkt hat.« 

Der Eine Leib iſt die Kirche; der Eine Geiſt 
ift die Liebe, — ausgegoffen durch den göttlichen 
Geift, der alle lebendigen Glieder der Kirche durch 
dringt; der Eine Herr ift der Sohn Gottes, 
Jeſus Ehriftus, der uns durch fein Blut erlöfet 
und fich zum Eigenthum erfauft,hat; der Eine Ölaus 
be ift die Hebereinftimmung aller Kirchenglies 
der in Einerley Wahrheit, und zu Einem Befenntniffe; 
die Eine Taufe ift das Symbol der Aufnahme 
aller Junger Jefu in die Kirche, das fichtbare 
Zeichen ihrer Einverleibung in den geiftlichen Leib, 
deffen Haupt Ehriftus if. So knüpft fih denn in 
der Kirche Alles an den Einen Gott und Vater, der 
uns durch Ehriftus im heiligen Geifte zur Taufe, 
zum Glauben, zur Hoffnung, zur Liebe, zum ewis 
gen Leben berufen hat, 


Gebeth. 


Ja, Vater, erhaben über Alles, wirkſam 
durch Alles und in uns Allen! 

Wie du einſt Juden und Heiden zu Ei- 
nem Leibe ımd zu Einem Beifte berufen 
haft, daß fie in Einem Glauben den Einen 
Herrn anbethen, die Eine Taufe und Vergebung 
der Sünden empfangen, und von Einer Liebe 
befeelet, reih an Früchten guter Merke, und reif 
zum ewigen Leben werden mochten: fo laß auch 
in uns die Gnade Chrifti wirkfam werden, daß 
wir mit Petrus glauben, mit Paulus hoffen, 
mit Tohannes lieben, und zur Ehre deines hei— 
ligen Nahmens nichts als qute Werke ausfaen, 
und die Frucht der Gerechtigkeit, das ewige 


89 


Leben, ernten mögen durch Jeſum Chriſtum, 
deinen Sohn, unſern Herrn. Amen. 


— 


XV. 


Fünfzehnter Tag. 
Fortſetzung. 
Von der Gewißheit des Glaubens. 
Schriftſtellen. 


1. Wie ſolltet ihr glauben Eönnen, da ihr einer von dem 
andern Ehre nehmet, und die Ehre , die von Gott allein 
kommt, nicht fuchet? Joh. V. 44. 

2. Wahrlich, id) fage euch: wenn ihr euch nicht befehret, 
und fo werdet wie diefe Kleinen da, fo werdet ihr in das 
Himmelreich nicht eingehen. Matth. XVIII. 3. 

3. Meine Lehre ift nicht von mir , fondern von dem, der 
mich gefandt hat. Will jemand den Willen deffen, der mich 
geſandt hat, thun: fo wird er von meiner Lehre inne werden, 
‚ob fie nf * ſey, oder ob ich aus mir ſelber rede. Joh. 


VII. 16. 
4. Sc tue, Ba Huf mir doch von meinem Unglau- 
ben, Mark. IX. 


Betradbtung. 


1. 
Die Gründe des Glaubens, die im Herzen liegen. 


Auf das Herz kommt es bey dem Glauben 
ganz beſonders an; denn im Herzen finden ſich die 
maãchtigſten Hinderniffe des Glaubens, und Die 
Imüffen zuvor weggeraumt werden, wenn wir glauben 


90 

folen. Im Herzen liegen die Eraftigften Antriebe 
zum Ölauben, und. die müffen zuvor rege werden, 
wenn wir glauben follen. 

Es müffen vorerft die mächtigften Hinderniffe aus 

dem Wege geraumt werden. Viele der gelehrten, 
vornehmen, angefehenen Jfraeliten konnten an Fefus 
nicht glauben, weil fie nur ihre eigene Ehre fuch- 
ten; und glauben heißt: Gott die Ehre geben; glau— 
ben heißt: Gottes Wort im Worte Chriſti anerfens 
nen. »Wir find die bewährten Führer des Volkes; 
was foll uns diefer neue Sprecher da? Wir find die 
eifen der Nation; was foll dieſer Unſtudierte da ? 
Mir find die Großen, die Mächtigen, Reichen in Je— 
rufalem; was foll diefer hülflofe, arme Kleinfladter 
da ?« 
Es lag ihnen alfo daran, das Licht Jeſu zu 
verdunfeln, um das ihre geltend, fiegend zu machen. 
Sie fonnten nicht an ihn glauben, weil fie nur an 
ſich glaubten. 

Wenn wir alfo an Ehriftus glauben follen : fo 
müſſen wir nicht Chriftum in unfere Schule neh- 
men, fondern zu Chriſtus in feine Schule gehen 
wollen, nicht uns felbjt , fondern die Wahrheit allein 
verberrlichen wollen. Kann doch Fein Kind der Mut: 
ter glauben, wenn es klüger feyn will, als die Mutter : 


wie folten wir an das Evangelium Ehrifti glauben 


fonnen, fo lange wir mweifer feyn wollen, als das 
Evangelium Ehrifti? Wie folten wir an Chriſtus glaus 
ben fönnen, wenn wir die Quelle des Unglaubens, 
die in ung iſt, nicht verſtopfen, die alte Gewohnheit, 
unferm Dünfel allein zu glauben, nicht überwinden ? 

Wie folter ihr der Wahrheit huldigen können, 
fprach Chriſtus, da ihr einander Weihrauch ſtreuet und 
fireuen laffet? Die Ehre, die von Gott fommt, die 


fuchet ihr nicht: darum könnet ihr an den nicht glau— 


91 


ben, der feinem Vater allein die Ehre PM Joh. 
V. 44. 

Ein großes Hinderniß des Glaubens iſt alſo 
die Sucht, ſich vor Andern weiſe nennen und keine 
Weisheit, als ſeine eigene, gelten zu laſſen. 
| Eine andere eben fo allgemeine Quelle des Un 
glaubens, die tief in dem Herzen des Menfchen fits 
zet, ift ihie AUnhanglichfeit an Reichthum, 
on Wolluft, an Weltfreude; welde Anhäng- 
(lichkeit das Auge verblendet, daß es Gott in Ehris 
ſtus nicht fehen fann, und das Gemüth verhärtet, 
daß es Gott in Ehriftus nicht fuchen mag. Das Sa⸗ 
menkorn der Wahrheit, fagt Ehriftus, wird von den 
ftechenden Weltforgen gedrangt, wird von dem irdi⸗ 
ſchen Sinne erſtickt, daß es feine Fruchtähre werden 
Tann. Matth. XI. 22. 

Ein großes Hinderniß des Glaubens ift alfo der 
thieriſche Sinn des Menfchen, der das, was 
des Geiftes iſt, nicht faffen Fann. 

Wenn wir alfo an Ehriftus glauben follen, muf- 
fen wir in uns zuvor Die zwey mächtiaften Hinders 
niffe de$ Glaubens, den Stolz, der Feines Got- 
tes , Peiner Wahrheit bedarf, meil er ſich felbit 
Wahrheit, Gott, Ales ſeyn will, — und die herr- 
fchende Liebe zu den Gütern der Erde, und zu den 
Lüften der Sinnlichkeit — überwunden, gleichfam aus 
der Seele gejagt haben; damit für die Wahrheit leere, 
reine Stätte werden fünne. Das Herz muß alfo glaub» 
willig feyn, ehe die Vernunft glauben kann. 

So wurzelt die Ueberzeugung im Herzen. 

Aber es müffen fich im Herzen überdem noch be— 
fondere, Eraftige Antriebe regen, wenn fie ung zum 
Blauben treiben follen. Es muß die himmlifche 
Schönheit des Lebens Jeſu, feine Milde und Liebe, 
feine Demuth und Heiterkeit, feine Ergebung in alle 
Sührungen des himmlifchen Vaters, und feine Aufs 









02 


opferung zum Beften der Mienfchen; e3 muß die himm⸗ 
lifche Weisheit feiner Lehren, es muß das Macht- 
wort feiner großen Thaten, es muß das Göttli—⸗ 


che, das feine Laufbahn von feinem Eintritte in die 


Welt bis zum Austritte begleitet, e& muß die Hat | 


m onie feiner erfien Jünger mit dem Öeifte ihres Meis 


ſters, es muß das herrliche Auffeimen des neuen | 
Keiches unter Schlägen , Verfolgungen , Ertödtungen, | 
— mein Herz ergreifen, und »Öott, in Chriſtus 
offenbar«, meinem Blicke in unübertrefflicher Lies 


benswürdigkeit darftellen — — — — wenn die Vers 
nunft, von dem Herzen beflügelt, die ewige Wahrs 


beit in Chriftus anfaffen, wenn ſich der ganze innere 
Menfch der ewigen Wahrheit in Ehriflus erge⸗ 


ben fol; denn das heißt glauben, den ganzen in- 
nern Menfchen Dingeben der ' ewigen Wahrheit in 
Ehriftus. 

Glaube ift nicht bloß Sache der Vernunft, e3 
ift auch Sache des Herzens. Das Herz muß das 
Schöne, Große, Erhabene, Himmlifche, Göttliche in 
Ehriftus fühlen ; wenn Herz und Vernunft fich an ihn 
ergeben, das beißt, glauben follen. 


Im Herzen müffen alfo die Zriebfedern, 
die den vernünftigen Menfchen zum Glauben treiben | 
folen , und deßhalb Zriebfedern heißen, angelegt | 


werden, 


Diefe Stimmung des Herzens zum Glauben | 


ift eben das, was Ehriftus den Kinderfinn, und 


einige Schriftfteller unferer Zeit das findlicfe Ges | 


mutb nennen. 
»Wenn ihr nicht. umfehret und werdet wie die 
Kinder, fo Fünnet ihr nicht in das Keich des Him— 


mels eingehen —« das heißt: ihr könnet nicht glaus | 
ben, hoffen, lieben, fünnet nicht fromm und ſelig 


werden. 





05 


Der Berfiand, der Alles begreifen will, kann 
‚nicht glauben an Gott, den Emigunbegreiflichen ; 
die Vernunft, die Alles aus und durch fich wiffen 
will, fann nicht glauben an Gott, den Feine Er: 
kenntniß ausmeffen Tann, als nur die feine. 

Armer Menfh! du mußt Gott felber feyn, um 
won Gott eine allerfhöpfende Wiffenfchaft zu haben; 
du mußt der Allwiffende feyn, um von dem Allwif 
'fenden Alles zu wiffen. 

Kann doh ein Menfchenfind — nicht bes 
‚greifen, was fein Vater, der auch Menfch iſt, denke, 
wolle, thue. Aber, was das Kind nicht begreifen 
Tann, das fann es dem Vater glauben, und durch. 
Glauben und Gehorfam wird e3 nach und nach vers 
ftehen lernen, was der Vater thue und wolle. So 
lernet das Kind verftehen. Ziebend den Vater, 
glaubt es an fein Wort, liebend gehorcht es feis 
mem Gebothe, und indem es dem Worte glaubt und 
dem Gebothe gehorcht, lernt es den großen Sinn 
des Vaters verfiehen. 

Wenn nun ein Menfchenfind nur durch Glaube 
und Gehorfam den Sinn feines Vaters, der weiter 
nichts als Menſch ift, verftehen lernen kann: wie 
folte ein Menſch den Sinn des himmlifchen Vaters 
werftehen lernen können ohne Glaube und Gehorfam ? 
Mas nun in uns gern glaubet und willig gehorchet „ 
Das ift das Findliche Gemüth, das ift das Herz, das 
uns glaubwillig und glaubensfahig macht, 
| So liegen die Gründe der Ueberzeugung im 
Herzen. 
| Daraus erhellet aber auch ſchon, 


2. 

















Daß die Gründe der Ueberzeugung in dem Les 
ben des Menfchen liegen müffen. Denn, wenn das 
kindliche Gemüth willig glaubet und gern gehor—⸗ 


94 


chet: fo iftes eben der Gehurfam, das Leben, 
mas uns Die verborgene Weisheit auffchließen, mas 
die Ueberzeugung neu grunden wird. Jeder Unbefan— 
gene, der lefen, denken, verftehen kann, wird z. 8. 
in dem Evangelium des heiligen Johannes Vieles fin» 
den, das offenbar das Geprage des Wahren, Gro—⸗ 
Ben trägt, wenn er gleich auch Manches finden follte, 
was ihm noch dunkel, rathfelhaft if. Nun fagt For 
hannes zu ihm, was einft Chriftus zu feinen Zeitges 
noffen: 

»Thu den Willen Gottes , der dir in meiner 
»Lehre Elar ift: dann wird dir Elar werden, was dir 
»noch dunkel iſt; — Thu was dir jebt ſchon als 
»güttlich einleuchiet, und es wird dir bald das Gans 
»ze meiner Lehre als göttlich einleuchten.« 

Dder mit den Worten Ehrifti: 

»Meine Lehre ift nicht meine Lehre, fie iſt die 
»Lehre deffen, der mich gefandt hat, Will jemand 
ge Willen thun, fo wird er inne werden, ob Ddiefe 
»Lehre von Gott ſey, oder ob ich von mir felber rede.< 
%ob, VIL 16. ı7. 

Menn fich nun mein Ginn und Leben nach dem 
neubildet, was mir in der £chre Chrifti fogleich 
als göttlich einleuchtet: fo wird mir aus meinem neu» 
en eben ein neues Licht geboren werden, und in 
diefem neuen Lichte wird ſich mir die ganze RR 
Jeſu als eine göttliche enthüllen. 

So liegt ein Grund der Ueberzeugung im eo 
Leben, in der Ausübung. Wer treu im Kleinen if, 
dem wird Großes anvertraut. 

Wer bergan fteigt, dem thut fich auf jeder er: 
tungenen Höhe eine neue Ausſicht auf. Wer dem Lichte 
nachgehet, entfommt allmahlig dem finftern Walde; 
wer der Finfterniß nachgehet, verftrickt fich immer tie 
fer in die Labyrinthe des Lebens, und verfinfet endlich 
in der Nacht des Todes, 


05 


»Lebe wie Jefus lebte, und du wirft glauben, 
was Jefus lehrte.« 

Gehorche der erfannten Wahrheit, und dieß dein 
Gehorchen wird dir das Auge rein, immer reiner wa— 
fchen, daß du hineinzublicten in die geheime Führung 
Gottes vermögen wirft. 


5.006 ED. 


Wiederhohlen muß ich auch heute die Bitte: 
Mark. IX. 25. Sch glaube, Herr! Hilf mir im 
GStreite wider meinen Unglauben. Sa immer 
wiederhohlen muß ich Diefelbe Bitte. Denn der 
Unglaube, ic) fühle es, fteckt tief in meinem 
Herzen und in meinem Leben, treibt Wurzeln im 
Herzen, und bringt Früchte im Leben. 

Reiß fie aus, Allmächtiger, jene Wurzeln 
und ertödte diefe Früchte, 

Mo das Eindlihe Gemüth ſich zum Glauben 
willig neiget: da empört fich der Stolz wider 
das Kicht von oben, und will nur fich, feinem 
Dinkel glauben, will felbft Gott feyn, und will 
in fih die Duelle aller Dffenbarung finden. 
Schenke mir, Water, ein Findlihes Gemüth, 
und beuge den flolzen Nacken unter das Soc 
des Glaubens. Mo das fromme Gemüth ſich in 
den Gehorſam gegen feinen höchften Gebiether 
eingeübet hat; da gehorcht e8 auch dem Wor— 
te, das es noch nicht begreift, und glaubt, wo 
es nicht fieht, erfüllt deinen Millen, Water, 
und wird durch Erfüllung inne, daß die Lehre 
deines Sohnes Wahrheit, deine Wahrheit fen. 

Laß mic) fiegen im Kampfe wider den Un: 
glauben, der das Gemüth finfter , und das Le— 
ben Gott-los macht: dann haft du mir. das 
Licht und die Macht des Glaubens geſchenkt. 


06 
XVI. 


Bisher ward die menſchliche Seite des Glaubens hervor: 
gehoben. 

Sn der Gefhidhte, in der Bernunft, in dem Her— 
zen, und in dem Leben des Menfchen liegen Gründe, wodurch 
die Weberzeugung von der hriftlihen Offenbarung angebah— 
net, gegründet, geftärket werden Eann. r 

Aber der Glaube, der den Menfchen heilig, felig macht , ift 
ein göttlicher Glaube; wir find alfo bey der Frage: 

Wäie kann der Menfch zur göttlichen Lebendigkeit des Blau: 
bens gelangen. 


Schzebhbnter Bag. 
Der Glaube, eine Gabe Gottes. 


Schriftftellen 


1. Selig biſt du, Simon, Jonasſohn; denn Fleiſch und 
Blut hat dir das nicht geoffenbaret, ſondern mein Vater in 
den Himmeln. Matth. XVI. 17. 

2, Das ift das Werk Gottes, daß ihr an den glaubet, 
denn * geſandt hat. Joh. VI. 29 

3. Wie der Rebzweig aus ſich Fibſt keine Frucht bringen 

kann, wenn er nicht am Rebſtocke bleibt: ſo auch ihr nicht, 
wenn jr nicht in mir bleibet. Joh. XV, 4. 

. Wer euc) höret, böret mic), und wer euch verach— 
tet, ar mich: wer aber mich verachtet, — den, 
der mich geſandt hat. Luk. X. 16. 


Betrachtung. 


Wenn der Glaube den finſtern, bbſen Menſchen 
in einen erleuchteten, guten, ſeligen Menſchen um: 
fhaffen fol: fo muß der Glaube eine übermenfchs 
liche, eine fchöpferifche, eine göttliche Kraft ſeyn. 


— — — — — 


Denn 





97 


Denn eine Kraft, die den alten Menſchen in einen neuen 
zu verwandeln im Stande ift, fann nicht in dem Ber 
ftande, der von böfen Neigungen verfinftert ift, nicht 
in dem Willen, der von böfen Neigungen wie ger 
lahmer, nicht im Herzen liegen, das von böfen eis 
gungen abwärts gefehret, fall um alles Gefühl des 
Höhern gefommen ift.... fie muß alfo gegeben, 
und weil der Mienfch als Sünder ihrer unwerth ift, ge= 
fchenft werden, und fie fann als eine göttliche Kraft 
nur von Bott gegeben, nur von Gott gefchenft 
werden. 

Der Ölaube iſt alfo, von feiner göttlichen Seite 
betrachtet, Gottes Gnadengabe. *) » 

Diefe göttliche Kraft ward in den erfien Zeiten des 
Ehriftenthums den auserwählten Jüngern Jeſu durch die 
Ausgießung des heiligen Geiftes geſchenkt, als fie im 
Gebethe, in£iebe,in Eintracht nach dem Wor⸗ 
te beharreten. (Apoftelg. II.) 

Diefe göttliche Kraft ward dem Cornelius und der 
Lydia, ward unzahligen andern aus den Juden und Heis 
den gefchenft, als die Apoftel Jeſu, fchon felbft erfül- 
let und durchdrungen von dem Öeifte der Wahrheit, aus 
der Fülle diefes ihres lebendigen Glaubens an das Volk 
fprachen, und derfelbe heilige Geift, der die Sprechen» 
den belebte, auch den Hörenden das Herz aufthat: 
daß fie auf das Wort achteten, es zu Herzen faßten, 
es im Herzen behielten, und im Herzen und Leben 
fruchtbar werden ließen. 

Diefe göttliche Kraft ward unzähligen Menfchen 
auf eine ähnliche Weife gefchenkt, wie fie zu Theil 





”) Dephalb heißt es fehr richtig in unfern beften Katechismen: 
Der Glaube ift Gottes Geſchenk und Lit, wodurd 
der Menfch erleuchtet, feft beyftimmt und anhängt allem, 
was als Glaubenswahrheit von Gott geoffenbart ift, und 
von der Kirche vorgetragen wird, 


Sailer, d. chriſtl. Monath, 7 


08 


ward dem Kammerer der Königinn Candaces, als er 
in Efaias las, als ihm Philippus das Wort des Pro- 
pheten dolmetfchte, als ihm der Geift des Herrn das 
Herz rührte, daß er verftand, glaubte, -be 
Ffannte und getauft ward. 

Diefe und ahnlicye Ereigniffe miederhohlten fich von 
den Tagen Ehrifti bis auf die unfern unzählige Mahle, 
und wiederhohlen fich noch diefe Stunde, 

Aber alle diefe und ahnliche Ereigniffe haben bey 
den einzelnen Unterfchieden doch dieß Eine gemein: 

Ueberall iſt es Gottes Wort, das fo oder ans 
ders in die Seele fallt. 

Ueberall ift es Gottes Geift, der das Herz auf: 
fchließt zum Auffaffen, zum Bewahren, zum a 
- gen des göttlichen Wortes. 

Ueberall ift eö der Sinn Chrifti, der in den 
Menfchen geboren, erzogen, ausgebildet werden muß; 
wenn er ein Ehrift, wenn er heilig und felig wer: 
den fol. 

Ueberal ift ed Gott, der den Menfchen zie— 
het, und des Menfhen Wille, der dem Zuge 
folget. 

Ueberall ift e$ Gnade Gottes, die den irrge- 
gangenen Menfchen zurücruft, und Gehorfam des 
Menfchen, der dem Rufe folget. 

Ueberall ift e5 der Himmel, der Sonnenmwars 
me und Regen auf die Erde fendet, und die Erde, 
die die Einflüffe des Himmels aufnimmt, und den 
Keim des neuen Gewächfes bervortreibt. 

Dieß iſt denn auch das Eine große Werk, zu defs 
fen Vollendung die Kirche Chriſti eingefeßt ift, und dauern . 
wird bis an’3 Ende der Welt. ; 

Denn das ift die Beſtimmung der chriftlichen ka⸗ 
tholiſchen Kirche: bis an’s Ende be Welt foll fie dauern, 
und immer neue Zeugen Ehrifti ausfenden in alle Welt, 
die vom heiligen Öeifte belebt, und mit 





99 


himmliſchem Feuer getauft, das Wort des 
Herrn verkünden; wobey denn derſelbe Geiſt Got— 
tes nicht müde wird, ihrem Worte Zeugniß zu geben, 
die Herzen zu öffnen, und die Verirrten zur Herde Chris 
fit zurückzuführen, bi$ voll geworden feyn wird die Zahl 
der Heiligen Goͤttes. 

Ob alfo gleih Der Geiſt wehet, wo er will, 
und in diefem Sinne der Wege Gottes unendlich viele 
find: fo ift doch überall bey den verfchiedenften Wegen 
der Eine Weg, der eigentlich zu Gott führt, Diefer: 

»Das Wort Gottes wird al3 Samenforn des ewie 
gen Lebens ausgeftreut; der Glaube faßt es auf, bewahrt 
es, und macht es fruchtbar. Was aber das Samenkorn 
durch Menfchenhande ausftreuet, und dem Glauben im 
Menfchenherzen Leben und Segen verleihet, ift der Geift 
Gottes, der auf taufend Weifen das Herz rühret, big 
er e3 herumhohlen und zum Tempel der ewigen Liebe 
weihen fann; was der Rührung Gottes endlich gehor> 
chet, ift die Treue des menfchlichen Willens, die flatt 
dem Zuge von oben zu widerfichen, fich ihm bins» 
gibt.« 

Demnach laßt fich Feine beffere Anleitung, wie man 
zur göttlichen Glaubenskraft gelangen Fünne, geben, 
als die: 

»Sey treu in dem, was dir gegeben iſt; ftrecs 
fe dich aus nach dem, was vorwärts liegt; vers 
achte nicht, laftere nicht, fondern benuße fo 
demuthig al3 dankbar die Anftalten zum Heile, die dir 
in der Kirche Chriſti offen ftehen. Laß dir (fo lehren 
mit Auguſtinus die erleuchteten Väter der Kirche) laß dir 
die Kirche eine Mutter feyn: dann wird Gott dein Vater, 
Ehriftus dein Erlöfer, der heilige Geift dein Tröfter, und 
das Evangelium eine Schule des Lebens feyn.« 

»Wo ein Petrus fpricht, da fen du Cornelius; mo 
ein Paulus, da fey du Lydia; wo ein Johannes, da 
fey du fein Polyfarpus; und, wenn du feinen Petrus, 

7 * 


100 


Paulus, Johannes findeft: * ir den Waffer des 
Lebens, das etwa durd) eine hölzerne Röhre fließt, um 
der Duelle willen die Achtung nicht, und trink davon, 
und ſtärke dich zur ferneren Lebensreife. Denn der 
Gott, welcher das Wort Chriſti und die Sacramente 
des neuen Bundes in feiner Kirche für dich aufbewahrt 
hat — bis auf diefe Stunde, derfelbe Gott gibt dir 
deutlich zu verfiehen, daß er auch dir durch diefelben 
Heilmittel dasfelbe Heil — das ewige Leben angedeihen 
laffen wolle.« 

»Mie du Gottes Wort höreft, fo lies und 
betrachte es auch. In jedem freyen Augenblide 
forfche befonders in der Gefchichte Jeſu, wie fie 
uns die Evangeliften befchrieben haben, wie fie uns 
die Kirche aufbewahrt, und in jeder neuen Verkündung 
neu darlegt. In diefer heiligen Gefchichte wird dein 
Slaube Kicht, Leben, Liebe finden. Darum laß fie 
dir drey Mahl heilig feyn. Sprich mit den Weifeften 
deiner Zeit, fo wie der chriftlichen Vorzeit: 

Ja wahrhaftig, das, was Matthäus, Markus, 
Lufas, Fohannes von Jeſus Ehriftusg erzählen, 


fol mir drey Mahl heilig ſeyn. Es fol mir heilig. 


feyn . 
erftens: als Gefchichte, als gefchehene Offen⸗ 
barung des Göttlichen im Menfchlichen : 

»Gott in Ehriftus, der Vater im Soh⸗ 
ne, das Wort Fleiſch.« Dieſe Offenbarung ifl 
mir göttlich, ift mir eine gefchehene, ift mir als 
Thatfache heilig. 

Was Matthäus, Markus, Lukas, Kohannes von 
Ehriftus erzählen, fol mir heilig fun 

zweytens: als ein Vor- und Mufterbild 
deffen, was in jedem Kinde Gottes gefchehen foll, 
gefchehen wird. 

Die Gefchichte Chrifti hat zwey Theile: der erſte 


IE EEE EL —— 





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101 


geht von der Krippe bi zum Kreuze; der zweyte vom 
Kreuze bis zum Throne Gottes. E 

Diefe Gefchichte ift aber im Grunde die Gefchich> 
te aller Kinder Gottes. Sie folgen ihrem Chriſtus nach 
auf dem Kreuzwege, und fie theilen nachher mit 
ihm die Herrlichfeit des ewigen Lebens. Gekreus 
ziget mit ihm, werden fie mit ihm verherrlicher. 

Was Matthäus, Markus, Lukas, Johannes von 
Ehriftus erzählen, foll mir heilig feyn 

drittens: als Abgrund der ewigen Liebe, 
als Geheimnifß der Geheimniffe, in fo fern 
die Erfcheinung Chriſti auf Erden rückwärts und vors 
warts in die Ewigkeit eingreift, und als ein Wunder 
aller Wunder von dem Verftande nicht begriffen, von 
der Gottfeligkeit nicht bezweifelt, von dem reinen Hers 
zen nicht entbehrt werden Fann. 

Wie follten mir die einzelnen Wunder, die ein: 
zelnen Weiffagungen anftößig fepn Fünnen? Sind fie 
‚doch nur Lichtfirahlen der Sonne. Und ich bin ja 
im Blicke auf die Sonne der Lichtftrahlen fehon fo 
gewohnt, daß ich mich an feinem mehr ärgern Fann, 
Sie find ja Licht, fie find Segen, fie find Ges 
ſchenke. 

Was ſollte ich die Lichtſtrahlen an der Erde meſ—⸗ 
fen wollen? Was follte ich die Segnungen der ewir 
gen Liebe mit dem Falten Theilungsmefjer des Falten 
Begriffes fpalten wollen? Was follte ih Geſchenke 
meiftern ? In dem Sinne ift mir die Gefchichte Jes 
fu drey Mahl heilig. In der erften Anficht kann 
ih glauben, in der zweyten hoffen, in der drits 
ten anbethen und lieben« 

Arme Menfchen, die feines aus diefen dreyen 
fünnen ! 

»Wo du immer Gottes Wort höreft oder liefeft, 
da verwandle es in ein Gebeth des Herzens, und 
verfiegle das Gebeth mit dem Gelübde aller Gelüb— 


102 


de, deinem Gott: allein anzugehören, und ihm treu zu 
feyn ewig. | 

Und dein Glaube wird neue Stärke gewinnen zum 
Kampfe wider das Böſe, und neues Licht in der Fin- 


fterniß, um die rechte Bahn .nie zu verfehlen — bis 


anbricht der Tag der Emigkeit.« 
Bine Eee 


Wenn alle gute Gabe, und alles vollkommene 
Geſchenk von oben kommt, herniederfteigend vom 
Vater der Lichter: Sak I 17. jo wende ic) mich, 
da der Glaube wohl auch eine gute Gabe, ein 
vollkommnes Geſchenk ift, zu dir, Vater der 
Kichter! und flehe um die Meisheit, die mir feh- 
let; denn der rechte Glaube ift Doch die Meis- 
heit dieſes Lebens. 

Gib fie mir, diefes Auge des Lebens, die— 
fe unentbehrlihhe Leuchte unfers Hierfeyns — Die 
Meisheit, die von der Melt als Thorheit be: 
hohnlachet wird. 

Sa, Bater! niht um Schäaße der Erde fle- 
he ich jeßt; um das Kleinod des Himmels, um 
die Meisheit flehe ich, die bienieden Glaube 
heißt, und ſich droben in Schauen der Mahr- 
heit verwandelt, und flehe mit Zuverficht; denn 
du gibft mir ja aus deiner unerichöpflichen Ful- 
le — und gibft reichli, um was wir vertranend 
flehen , und rückeſt deine Gabe Niemanden vor; 
— und flehe, bis, mir das Morgenroth der Er- 
hörung glanzet, mit Beharrung, umd laffe 
dich nicht, bis dur mich gefegnet haben wirft. 


nt TE TEE EEE U ——— — —— EEE — — —— 








105 


XVII. 


Siebzehnter Tag 


Bon den Stufengängen und Uebungen des Chriſten⸗ 
glaubens. 


Schriftftellen 


1. Dos Reich der Himmel gleicht einem Senfkorne, das ein 
Menfd nahm, und ſäete es auf ſeinen Acker. Es iſt zwar 
das Kleinſte unter allen Samen; wenn es aber aufwächſt, ſo 
iſt es das groͤßte unter den Gartengewächſen, und wird eine 
Staude, daß die Vögel der Luft kommen, und niſten unter 
ihren —— Matth. XIII. 31. 32, 
2. Was aus Gott geboren ift, überwindet die Welt, und die 
Ciegestraft, die die Welt überwindet, ıft unfer Glaube. 1. 
Yy 2 
SR 3. Durch das Evangelium offenbart ſich die —— 
Gottes, die aus Glauben in Glauben geht. Roͤm. J. 17 


Setradhtung. 
1. 


Wie viele Zeiträume der Chriſtenglaube zu durchlaus 
fen habe. 


Auguftinus, und mit ihm alle erleuchteten Kirchen: 
lehrer unterfcheiden dreyerley Zeiträume im Wachsthur 
me des Glaubens. 

Anfangs glauben wir, ohne auch recht zu vers 
fiehen , wa$ wir glauben. So nehmen wir das Wort 
Jeſu: »Wer aus Gott ift, hört Gottes Worte — Ans 
fangs glaubend an. Aber wir verftehen doch nicht 
recht, was das heiße: aus Gott ſeyn, Öottes 
Wort hören, Nachher durch Leiden aufge 

c 


104 


Elart, durch mancherley Führungen Gottes erleuchs 
tet, lernen wir auch verftehen, was wir glauben. End- 
lich geht ung in unferm Innerſten eine ungeahnete Thur 
auf; es fleht lebendig da vor unfern Augen, was es 
heiße, aus Gott feyn, denn wir find aus Öott; 
was es heiße, Gottes Wort hören, denn wir 
hören Gottes Wort. Wir verftehen nicht bloß, was 
mir glauben, wir fehen im Gemählde der Erfahrung , 
was mir verffanden haben. 

So lange wir redlich glauben, ohne recht zu vers 
“ fiehen, was wir glauben, find wir in dem Kindes- 
alter des Slaubens: wir glauben, ohne zu 
verfteben. Wenn wir beginnen zu verftehen, was 
wir glauben, dann treten wir in die Jugendjahs 
re des Ölaubens: wir verftehen, was wir glaus 
ben. Endlich rucden wir in das Mannesalter 
des Glaubens, wenn wir in uns lebendig erfahren, was 
Andere aus Erfahrung erzählt haben; wenn wir mit 
reinen Augen des Gemüthes anfchauen das, was wir 
Anfangs geglaubt und nicht verftanden, nachher geglaubt 
und verfianden haben. 

Nah dem finnvollen Öleichniffe Chrifti von der 
Senfftaude verhält es fich mit dem Glauben wie mit ei- 
nem Samenforne, das wurzeln muß, das wachs 
fen muß, und das Frucht bringen muf. 

So hat der Ehriftenglaube dreyerley Altersftufen : 
die der Unmündigkeit, die der Jugend, Die 
der Mannheit. Im erſten Alter find wir Glaus 
bige, im zweyten Berftändige, im dritten 
S eher. 

Sp hat der Glaube dreyerley Perioden: in der 
erfien ſchlägt er tiefe, immer tiefere Wurzeln ; in der 
zweyten wächſt er zwar allmahlig aber immer herrlicher 
empor; in der dritten bringt er die erfehnte, Liebliche 
Frucht, woran ſich Engel und Menfchen ergeben. 


105 
2. 
Was Glaubensubung fep. 


A. 


Die eigenfte Uebung des Glaubens iſt die: 
Sid, losmachen von den vergänglichen Dingen, und 
in fi fammeln; fich losmachen von fich, und ere 
heben zu Gott; im Auge Gottes fich vergegenwärti⸗ 
gen die Offenbarungen durch Chriſtus, und fich ihnen 
‘ganz hingeben mit Vernunft und Willen, — ans 
erkennen die höchſte Wahrheit in allen Offenbarun⸗ 
gen Gottes — — das heißt eigentlich »„Blaubenss 
ubung« Der Ölaube ift Gebeth. 

Der Ölaube über fich in jeder Erneuerung des Vor⸗ 
faßes: Gott zu verherrlichen durch Gehorfam gegen alle 
feine Gebothe, durch Ergebuna in alle feine Füh— 
rungen, durch feftes Anhalten an feine Verhei— 
gungen. Der Ölaube it Gehorfam, Erges 
bung® ®ertrauen, Zuverfidt. 

Der Glaube übet fich durch jeden ernften, anhal- 
tenden Widerſtand gegen die Keize des Bofen. Der 
Glaube ift Selbftherrfcher über Luft und Sünde. 

Der Glaube übet fich in jedem ernften, anhals 
tenden Widerflande gegen die Anfälle der Ungeduld, der 
mürrifchen Laune, der Menfchenfurcht. Der Glaube 
ift Geduld, Heiterkeit, furchtlofes Feſt— 
fteben gegen die Drohungen der Welt, ift Selbft- 
herrfcher über Unluf und Sünde. 

Der Glaube übet fich in jedem ernften, anhals 
tenden Widerftande gegen die natürliche Tragheit. Der 
Ölaube ift Selbftermannung, GSelbftauf 
weckung der fehlafenden Krafte, ift Selbfthert- 
ſcher uber Geifiesträgheit und Sünde. 

Der Ölaube übet fich durch ernften, anhaltenden 
Widerftand gegen die Eingebungen der Eigenliebe., Der 


. 


106 


Glaube it Selbftaufopferung aller eigenfuchtis 
gen Triebe, ift Selbftherrfcher uber Eigenfucht 
und Sünde. 

‚Der Glaube übet fih im Erfüllen aller Pflichten, 
die ihm Menfche, Nächſten-, Brüderliebe auflegen kann; 
er lehret, tröftet, fegnet, flärfet, pfleget wie Chriſtus. 
Der Glaube ift Liebe, ift Selbftherrfcher über 
Haß, Kalte, parteyifche Menfchenliebe. 

Der Glaube übet fih in Gelaffenheit bey 
ſchwerdrückenden Leiden, beugt die Schultern unter die 
Laſt, gibt die Glieder des Leibes hin, wenn fie die Ver- 
folgung an’s Kreuz fchlägt, erträgt auch das Gefühl 
des Verlaffenfegns, und legt den Geift in die Hand des 
Vaters. Der- Ölaube it Todesubermwinder, if 
vollendeter Selbftherrfcher über Sünde und 
Tod, 

Dieß ift die eigentliche Glaubensübung. 


B. 


Man nennt aber noch etwas Glaubendübung. 
Wenn die Gläubigen die Lehren Ehrifti, in kur— 
se Sätze gefaßt, als Dffenbarung Gottes, als 
göttliche Wahrheit anerfennen, und als Wahrheit befens 
nen: fo beißt auch diefes »Glaubensact,« Ölau- 
bensubung, und verdient dieſen ſchönen Nahmen; wenn 
bey diefem Befenntniffe 

1. das Herz wirklich vor fpreht, 

2. daS Leben nach fpricht, 

3. der Mund nur mit ſpricht. 

Zur Weckung der Andacht ſtehen in unfern Lehr— 
und Gebethbüchern einige Weiſen ſolcher Glaubensbes 
kenntniſſe, die als Buchſtaben nur Buchſtaben ſind, und 
nur Buchſtaben ſeyn können. Aber ſobald das bethen— 
de Chriſtenvolk Geiſt und Leben hineinlegt, ſo ſind ſie 
wahre, lebendige Glaubensaete. 


107 


Auch diefe Glaubensübung will ich mir empfohlen 
ſeyn laſſen, und aus Geift und Herz bethend mit der 
chriftlichen Gemeinde, Geiſt und Leben hineintragen, 
daß fie wahre, lebendige Slaubensacte werden. 


Gebet b. 
(Glaubensact.) 


Gbött! du biſt, als das allervollkommenſte We— 
‚fen, der Abgrund aller Wahrheit, nur von dir 
allein durchſchaubar, nur von dir allein durchs 
fhauet. 

| Du bift, als der vollfommenfte Geift, der 
Allwifjende, der das Mefen aller Dinge durch- 
ſchauet, die Herzen durchfieht; vor. dem jede Nacht 
Tag, jede Finſterniß Licht iſt; vor dem feine 
Bergangenheit und Feine Zukunft, fondern Alles 
lauter Gegenwart ift. 

Bor dir befteht Feine Lüge, Feine Täuſchung; 
vor deinem Blicke Tiegen alle Berborgenheiten 
offen da, alle Heucheley in ihrer Blöße; alle 
Decken find vor deinem Angefihte — Nichts. 

Du bift in allen deinen Dffenbarungen die 
Mahrhbaftigkeit felber. All dein Mort ift 
Mahrbeit, wie du felbft. 

Sp wenig beine Ullwiffenheit getauscht wer— 
den Fan, jo wenig Fann Deine Wahrhaftigkeit 
taufchen. Ä 

Diefe deine Allwiffenheit und Mahrhaftig- 
keit haben fich befonders in Ehriftus verherrlicht ; 
denn er, das ewige Mort, in der Zeit Fleifch 
geworden, hat, wie durch Munderthaten 
deine aa jo durch Meiffagungen 
deine Allwiffenheit, und durch alle feine Leh— 


108 


ren deine Wahrhaftigkeit au's Licht hervor- 
gezogen. 

And alle Wahrheit, die dein Eingeborner aus 
deinem Schooße ſelber mitgebracht, und feinen 
Apofteln, und durch fie feiner Kirche anvertrauet, 
und durch fie und in ihr bewahret hat. — 

Alle diefe Wahrheit nehme ich mit voller 
Einftimmung meines Geiftes und Gemüthes als 
dein Mort an, und will in diefem Glauben, 
ver heilig und felig macht Alle, die ihr Herz 
— 9 ſich darnach bilden laſſen, leben und 

erben. | 
An alle diefe Mahrheit glaube ich, mein 
Gott! weil es dein Mort ift, das die Eine, hei- 
lige, allgemeine Kirche als dein Wort bewahret 
hat, und uns ald Glaubenswahrheit Fund thut; 
weil es dein Mort ift, das Mort des Allwif- 
fenden, der nicht getaufcht werden, das Mort des 
Mahrhaftigen, der nicht täuſchen kann. Darin 
wurzelt , darin ruhet die Gewißheit, die Feftig- 
keit, und die Beftandigkeit meines Glaubens. 

Bewahre, Vater! diefen Glauben, und Tag 
ihn wirkſam in Liebe, fruchtbar in guten: 
Merken, und felig in Hoffnung werden Durch) 
Edler Ehriftum, deinen Sohn, unfern Herrn. 

men, | 


XVII. 


Die menfchliche und göttliche Gewißheit des hriftlichen Glau— 
bens, fo wie die Stufengänge und Uebungen desfelben , ftehen klar 
vor unfern Augen. Nun fol uns eben fo Elar werden , daß der 
riftlihe Glaube wirffam in Liebe, und felig in Hoff: 
nung fey. Da wir aber ſchon in ber dritten Betrachtung gefehen 


109 


haben, daß 1. die Liebe Gottes und des Nächften felbft das Gute 
ift, und alles übrige Gute in ſich faßt; felbft das Gute ift, und den 
ganzen innern Menfchen gut macht; felbft das Gute ift, und ſich 
durch Lauter gute Werke offenbaret; daß 2. eben diefe Liebe Got- 
tes und des Nächſten nichts anders ift und nichts anders feyn kann, 
als das gottgefällige Glaubensleben; daß in den Augen Got— 
tes nichts gilt, nichts Werth hat, als der Glaube in Liebe 
wirkſam, nichts gilt als diefe neue Schöpfung: fo bedarf 
es 3. Eeiner weitern Erörterung, daß der hriftliche Glaube, wie 
er felbft eine göttliche Lebenskraft ift, alfo auch Eeine höhere, bef= 
fere Wirkfamkeit haben kann, als die Wirffamfeit in Liebe. 
Denn diefe Wirkfamkeit ift felbft das Gute, und faßt alles übrige 
Gute in ſich, ift felbft das Gute, und macht den ganzen innern 
Menſchen gut, ift felbft das Gute, und thut fich durch lauter gute 
Werke Eund. Es übriget alfo zur völligen Einfiht nur noch die 
lihthelle Darftellung, was die chriſtliche Hoffnung fey, und daß 
der Glaube, der in Liebe thätig ift, mothwendig auch in 
Hoffnung felig fey. 





Achtzehnter Tag. 


Bon der chriftlichen Hoffnung: was fie im Gemüs 
the des Menfchen vorausfege, und woran fie fi 
halte. 


Shriftftellenm 


1. P aulus: Wir wiſſen, daß Trübſal Geduld, Geduld Be: 
währung, Bewährung Hoffnung erzeuget, die Hoffnung aber 
nicht zu Schanden werden läßt; weil die Liebe gegen Gott in 
unfern Herzen ausgegoffen ift durdy den heiligen Geift, der uns 
gegeben worden. Röm. V. 3— 5. 

‚2. Petrus: Der Öott und Vater unferd Herrn Jeſu 
Chriſti fey dafür gepriefen, daß er uns, nad) feiner großen 
Barmherzigkeit, durdy die Auferftehung Jeſu von den Todten 
neu geboren hat zur lebendigen Hoffnung auf die Erbfdyaft, 
die im Himmel für uns aufgehoben ift, die nicyt verderbt, nicht 
befleskt , nicht welE werden kann. J. Petr. L 3. 4. 


110 


3, Sohbannes: Ihr Alferliebften! nun find wir Gottes 
Kinder, und was wir feyn werden, iſt noch nicht erfchienen. 
Das wiffen wir, daß, wenn e3 erfcheinen wird, wir ihm gleidy 
feyn werden; denn wir werden ihn fehen, wie er ift, Und 
jeder, der diefe Hoffnung auf hat, heiliget ſich, wie er 
auch heilig iſt. 1. Joh. Ill. 2. 3 


Betrahiuns. 


Unterfchted zwifchen Hoffnung und Hoffnung. 


Ein Anderes iſt die Hoffnung des Sünders, 
der zwar noch der Sünde Dienet, aber ihrer doch 
[03 werden möchte, und um Vergebung flehet; ein Ans 
deres Die Hoffnung des Ehriften, der als folcher 
fhon neu geboren ift zum bimmlifchen Sinne 
und Leben. Allerdings muß der undantbare Sohn, 
wenn er zum verlaffenen Vater zurückkehren fol, es feie 
ner Liebe zutrauen fünnen, daß er ihn wieder auf: 
nehmen, und in feine Bater-Arme fihließen werde. Sonft 
würde er, außer dem väterlichen Haufe, eine Beute des 
Hungers, und ein Raub des Todes werden. Aber, 
wenn der Sohn mirflich das Haus feines Waters wies 
der betreten, in den Armen feines Waters den Kuß der 
Liebe ſchon empfangen hat: dann ift die Hoffnung des 
Sünders in die Hoffnung des Sohnes übergegangen; 
der Vater hat ausgefprochen das Wort: Alles Meis 
ne ift dein; Du bift mein Sohn, du mein 
Erbe wieder. 

Der Öerettete fühlt fchon in fich den Sinn des wies 
der aufgenommenen Sohnes, und diefer Sinn ift: 

i. froblocktender Glaube an die erprobte Bas 
terhuld, 

9..neues Vertrauen auf die erprobte Vater: 
huld, 

3. neue dankbare Liebe gegen den, der zuvor 
geliebt hat ; eine Liebe, die fich durch freudigen 

Gehorſam erproben wird. 


111 


Dieß Vertrauen des wieder aufgenommenen Soh> 
nes iſt eigentlich das, was unfere heiligen Schriften 
Hoffnung der Ehriften nennen. 

Zwar ift das Vertrauen auf die Huld des Erbars 
mers, das fich in jedem zur Buße erweckten Sünder 
beweget, und das ihn zum Vater zurücführt, auch 
Gabe Gottes, ift ein guttlicher Leitfaden, 
der den Verirrten aus dem Irrgarten der Sünde in das 
Haus des Vaters zurücleitet, Uber es iſt doch nicht 
das Vertrauen, das, unter den Umarmungen der 
ervigen Siebe geboren, den Frieden der Kinder Gottes 
mit fich führet. 

Senes Vertrauen it Borbothe der vollen Bef- 
ferung, die erſt werden foll; diefes ift Siegel der 
ſchon vollbrachten Befferung. 

Jenes Vertrauen ift Handleiter zu dem entge— 
geneilenden Water; Ddiefes ift der Ring der Ausfoh>» 
nung und des Friedens , den der Vater dem wiederger 
fundenen Sohne zum Beweiſe feiner Liebe an den Fin- 
ger ſteckt. 

Jenes ift ein freundliches Treiben, das zum 
verlaffenen Vaterherzen zurückbringt; diefes ift ein fe 
lige3 Ruhen an dem wieder gefundenen Vaters 
herzen. | 

Jenes ift mit Scham, *) der begangenen Sün— 
de wegen, und Hunger und Durft nad) Beffe 
rung , diefes mit Dank und dem Gefühle der uber» 
wundenen Sünde und des gebefferten Sinnes verbunden. 

Jenes ift Anerkennung der ewigen Liebe vor 
der vollen Rückkehr zu ihr; diefes ıft Anerkennung. der 
ewigen Liebe in und nach der Rückkehr zu ihr. 


*) Au der Gebefferte trägt in fich noch ein Gefühl der Scham, 
das die täglichen Fehltritte in ihm erregen. 


112 


Diefer Unterfchied ift jedem wahren Chriſten 
wichtig, und von ihm anerfannt. Denn unzahlige fo- 
genannte Ehriften taufchen fich mit falfcher Hoffnung 
des ewigen Heiles; fie haben noch nicht einmahl dag 
Vertrauen eines — Sünders, und tröſten ſich 
ſchon mit der Zuverſicht eines Heiligen. 

Um dieſer Täuſchung noch kräftiger zu begegnen, 
wollen wir mit allem Fleiße erwägen: 

J. was die chriſtliche Hoffnung vorausſetze, 
I. woran fie fi) halte, 

II. was fie für Wahrzeichen habe, 

IV. wodurch fie fich erfrifche, belebe. 

Was die hriftliche Hoffnung voraus 
fetze. Die: chriftliche Hoffnung fetzt voraus, 
daß das Gemüth, das ſich von Gott abgewendet hat, 
wieder zu Gott zurückgewandt; daß ficy der Enechtifche 
Sinn, der lichtfcheu und gottesfcheu den Menſchen ims 


mer weiter von der Quelle des Lichtes entfernt, aug 


dem Herzen verbannt, und der Findliche Sinn gegen 
Gott wieder hergeftellt; daß die Feſſel der Knechtfchaft, 
womit die Sünde den Sünder gebunden hat, gelöfet ; 
daß die große Umanderung des Sinnes und des Lebens 
ſchon vollbracht fey... Denn das ift die Eine gros 
Ge Kluft zwifchen den Kindern Gottes und den Kins 
dern der Welt, wie fie Johannes einander entgegen febt. 
Diefe haben die Selbftfucht zu ihrem Gott gemacht, und 
indem fie der Sleifchesluft, der Augenluft, 
der Lebenshoffart (der Welt) dienen, dienen fie 
nur fich felber. Jene aber haben die Selbftfucht, und 
mit diefer die Fleifchesluft, die Augenluft, die Lebens⸗ 
hoffart (die Welt) überwunden, und thun den Willen 
des Vaters; fie müffen alfo zum Findlichen Sinne ge- 
gen den Vater zurückgekehrt, oder wie der heilige Pau: 

lus fih ausdrude, neu geboren fepn. 
Die chriftliche Hoffnung ift alfo nie ohne jenen 
Glauben, der nach Johannes der Weltuberwinder ift. Nur 
der 


113 ° 


der Weltuberwinder bat die Hoffnung des 
Chriften in fih. Wer alfo fich oder Andere mit fo 
genannter chriftlicher Hoffnung fveifet, da wo der 
eltgeift noch regiert, der fpeifet fich oder Andere 
mit. Dunft. Denn die Ehriftenhoffnung muß gebo— 
ren ſeyn, ehe fie leben fann. Nun wird fie aber 
nur mit dem kindlichen Sinne, deffen Beftand- 
theil fie ift, geboren; und der Findliche Sinn kann 
in dem Sünder , der ein Knecht der Sünde iff, ohne 
Ertödtung des Enechtifchen Sinnes nicht geboren 
werden. Die Geburt der chriftiichen Hoffnung fest 
alfo die Ertödtung des Enechtifchen Sinnes, das ift, 
volle Befferung des Ginnes und Lebens, vor: 
aus.» Deßmwegen wird die Ehriften - Hoffnung dem 
heiligen Geifte zugefchrieben; weil fie nur in 
einem reinen Herzen wohnen, und Die Reinheit 
des Herzens ohne den Geift Gottes, der das Un— 
reine rein macht, nicht errungen werden Tann. 

Woran fich die chriftliche Hoffnung halte, 

Gott ift die Liebe: das iſt es, was die 
chriftliche Hoffnung anfaßt, feftbalt, und mworan fie 
fi) allein halt. Und zwar nicht ein Gedanfe an 
Gott, fondern Gott felber; nicht ein Wort von 
Gott, fondern Gott felber; und Gott als die 
Liebe, wie fie in und durch Ehriftus ung 
Sündern erfohienen ift.,. Gott, die Liebe, in Chri— 
ftus offenbar. Das ift der Anfangspunct, das 
it der Mittelpunct, das if der Endpunct, 
das ift der Eine, das der ganze, das der ewir 
ge Haltungspunct der dhriftlichen Hoffnung. 
Denn nur Öott, die allmachtige Liebe, kann 
die unendlichen, die ewigen Bedürfniffe des menſch⸗ 
lichen Herzens befriedigen, Nur Gott, die Liebe, 
die lauter Seligkeit ift, lauter, Geligfeit ver: 
heißt, lauter Seligkeit fchaffet, wird: in allen 
Sailer , d. chriſtl. Monath. 8 


114 


feinen Kindern die Erwartungen des ewigen Lebens 
in feiner Herrlichfeit und Vollendung erfüllen. Deß- 
wegen heißt unfer Gott der treue Gott. Er iſt 
Sa und Amen in allen feinen Verheißungen, 

Bon ihm kommt Vergebung der Sünde, 
von ihm Geifteskraft zur Befampfung und Bes 
fiegung aller Sünde, von ihn Troft in allen Leis 
den der Zeit, von ihm Weisheit in allem Dunkel 
des Lebens, von ihm Erlöfung aus allen Nöthen, 
von ihm Friede, Freude, Gerechtigkeit, 
Herrlichkeit, 

Alfo Gott die Liebe, die lauter Allmacht 
und lauter Treue , lauter Erbarmung und Geligkeit 
ift, das ift das heilige Element des heiligen Geh» - 
nens, das erft Hoffnung i ft, dann Zuverficht 
wird, und endlich feliger Genuß im Reiche 
Gottes werden wird. 


Gebeth. 


Guade und Herrlichkeit, die zwey lieb— 
lichſten Worte, die zwey ſchönſten Bildniſſe, 
die zwey tröſtendſten Verheißungen des neuen 
Bundes, ſtehen jetzt in der reizendſten Geſtalt 
vor meinem Auge. Ja, Gnade und Herrlich— 
keit: Gnade, die den Sünder rein, gerecht 
macht; Herrlichkeit, die den Reinen, den 
Gerechten krönet — | 

Das find die göttlichen Zufagen, die des 
Menfchen Herz aus dem Staube heben und be: 
feligen können. 

Ergriffen von der hohen Bedeutung diefer 
Zufagen,, muß ich anerkennen die Mahrheit des: 
is ‚ was Sohannes bezeugte: Durch Moyſes 

am das Geſetz, durd Jeſus Ehriftus 
— Önade und Wahrheit, Sob. J. 17. 


115 


Aufgenommen nun mit den Kindern Gottes, 
die hiemieden nod) pilgern, indenneuen Bund, 
theilhaftig gemadt der Gnade, entgegenhar: 
rend der Herrlichkeit, was kann ich anders 
als aufblicken zu dir, göttlicher Erlöſer! auf: 
blicken voll Dank und Sehnen, und rufen mit 
allen Heiligen im Himmel und auf Erde: Laß 
— mit Macht Eommen dein Reich, das Reich 
der Gnade und der Herrlichkeit! Zwar aus 
deiner Gnadenfülle habe ich fchon empfangen, 
und empfange täglich, was ich bedurfte und be- 
darf, um rein von dem Böſen und ſtark zum Gu— 
ten, und geduldig in der Trübſal zu werden; 
felbft au aus der Fülle der Herrlichkeit 
find mir, wie die Ernftlinge des Geiftes, fo 
auch die Erftlinge der Herrlichkeit zu Theil gewor- 
den. Aber deine Erlöften fehnen fi nad) der Ful- 
leder Gnade, und nach der Fulle der Herrlichleit, 
damit fie durch jene hienieden vollendet, Die: 
fer wirdig und drüben theilhaftig werden kön— 
nen. Sa, wir fehnen uns nad) der rechten Hei- 
math des Geiſtes, wo Feine Nacht mehr ift, 
und wo es alfo Feiner Nachtlampe mehr bedarf, 
und auch Feiner Tageslampe; weil du felbft der 
Tag bift, weil du die Genoffen deines Reiches 
Alle überftrahleft, und Licht und Herrlichkeit 
mit ihnen theileft. Wornach wir uns nun feh- 
nen, das erwarten wir auch, und erwarten e8 
von dir, und erwarten es mit Zuverficht ; denn 
du bift ja die Fülle aller Gnade und aller Herr- 
lichkeit ; und dein Mort ift Wahrheit und 
deine Verheißung das Sicherſte. Amen, 


— — 


ar 


116 
XIX, 


Neunzehbnter Tag. 


Sortfetgung 
Bon der Chriffenhoffnung. 


Die Wahrzeichen und die Proben (Bewährung) der- 


felben. 
Schriftftellen 


1. D. Friede Gottes, der allen DVerftand überfteigt , mö— 
ge eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Chrifte 
Sefu. Phil. IV. 7. 

2. Der Gott der Hoffnung erfülle euch im Glauben mit 
Allem, was Freude und Friede heißt; damit ihr überflüffig 
reich werdet an Hoffnung, und in der Kraft des heiligen Gei- 
fies. Nom. XV. 13. 

3. Sn Hoffnung find wir ſchon erlöfet. Denn, went 
wir e8 fehen, fo wäre das Hoffen zu Ende. Denn wer was 
Cald Gegeben) fieht, der hat es nicht mehr zu hoffen; fo lan— 
ge wir aber nicht fehen, fo hoffen wir und erwarten es mit 
Geduld. Rom. VIII. 24—25. 


Betradtung, 


Erftes Kennzeichen : 

R Wo chriftliche Hoffnung, da ift Friede aus 
oft, 

Diefer Friede ift ein wahrer Friede, und ift 
ein Friede aus Gott. 

Ein wahrer Friede: das Gemwiffen, das 
uns bisher im Nahmen Gottes anflagte, verdammte, 
firafte, klagt uns jebt nicht mehr an, verdammt und 
firaft nicht mehr. Es wiederhallee im Innern die 
Stimme: Die Sünde ift dir vergeben, die 


117 


Herrſchaft der Sunde ift in dir getib 
get; — und diefe Stimme ift Wahrheit; denn der 
findliche Geift, der in das Innere zurückgekehrt iſt, 
bemweifet deutlich genug, daß der Enechtifche Sinn, 
die Herrfchaft der Sünde, daraus verbannt if. 

Diefer Friede ift ein Friede aus Gott: 
denn wie die Kinder Gottes nur der Geift Gottes 
treibt, fo gibt nur der Geift Gottes, wie Paulus 
lehret, unferm Geiſte das Zeugniß, daß wir 
Kinder Gottes find. Kom. VII. 16. 

Es fchredt uns Feine Vergangenheit mehr; denn 
die Sunde, die fie uns fo ſchwarz machte, hat die 
Stätte raumen müffen, Vorher, ehe die Sünde ihre 
Stätte räumte, war nur Gott uns nahe, wir aber 
waren ihm ferne; jeßt find wir ihm nicht etwa nur 
nahe geworden; fein Geift ift die Seele unferer 
Seele geworden. Gottes Geift treibt uns jet, 
Gottes Geift zeuget jest in uns, 

Gottes Geift treibt ung — nur zum Öuten, 
denn Er ift der Geift des Alleinguten ; Gottes Geift 
zeuget in uns nur das Zeugniß der Wahrheit: 
»Gott ift dein Gott — du ewig fein; Gott ift 
dein Bater — du fein Kind;« denn er iſt der 
Geift der Wahrheit. 

Zweyhtes Keungeichen: 

Wo chriftliche Hoffnung , da iff zuverfichtliche 
Erwartung des ewigen Lebens, in feiner Herrlichkeit 
und Vollendung. Wo Hoffnung iſt, da iſt Erwar- 
tung desemwigen Lebens in feiner Herr 
lichkeit, in feiner Vollendung; denn derfels 
be Geift, der uns bezeuget: mir find Gottes Kin: 
der, der verbürget ung auch: wir werden 
Gottes Erben feyn, Rom, VIU. ı7. Deßhalb 
heißt der heilige Geift auch das Unterpfand der 
Herrlichkeit, die fih an den Kindern Gottes offen- 
baren wird. 


118 


»Meine Lieben! wir find nun Gottes Kinder: 
was mir aber ſeyn werden, das ift. noch nicht ers 
fchienen. Wir wiffen aber, daß wir Ihm gleich ſeyn 
werden, daß wir Ihn fehen werden, wie Er iſt.« J. 
Joh. III. 2. 

Wo Hoffnung des Chriſten iſt, da iſt zuver⸗ 
ſichtliche Erwartung des ewigen Lebens in ſei⸗ 
ner Herrlichkeit. Die Hoffnung fteigt, bis fie Zu» 
verficht wird; als Zuverficht führt fie die Sprache 
der Gewißheit: »Ich weiß, an wen ich glaube... 
Hinterlegt ift mir die Krone der Öerechtigfeit, wel» 
che mir der Herr auffeßen wird, Er, der gerechte 
Kichter an jenem Tage.« II. Tim. IV. 8. 

Als Zuverfiht ruhet fie in Gott. Gottes 
Liebe, Gottes Treue ift der Anker, aufdem fie fich 
flüget in allen Stürmen des Lebens.’ 

er der Hoffnung einen andern Anker beylegt, 
als die Treue Gottes, kennt die Hoffnung des 
Ehriften nicht. 

Einige neue Mahler haben die Hoffnung auf 
der Tugend, als ihrem Anker, ruhen laffen. Aber 
diefe Mahler verftanden das Geheimnifß nicht. 
Tugend hat der Ehrift , aber fein Anker it Gott. 
Wer nur auf feiner Tugend ruhet, der hat eine 
brechliche Stütze. Ruben kann der Menfch nur in 
einem etvigen unmandelbaren Kuhepuncte, und der ift 
— Gott allein, 

Drittes Kennzeichen: 

Wo chriftliche Hoffnung iſt, da iſt eine nie ver- 
ſiegende Quelle des treuen Fleißes, des fros 
ben Mutbhes, der ftillen Geduld in allen 
Arbeiten, die verrichtet, in allen Laſten, die getragen, 
in allen Verfuchungen, die überwunden, in allen Leis 
den des Lebens, die überfianden feyn müffen. Und 
eben dieſer treue Fleiß, dieſer frohe Muth, diefe flille 


119 


Geduld ift ed, was die Hoffnung bewahret, als 
wahr darftellt. 

Die Hoffnung wird nie müde, Gutes zu thun; 
denn fie pflüget, fie jaet dem Lage der Garben, und 
weiß, daß der Herr der Ernte das Gedeihen geben 
wird. 

Die Hoffnung wird nie mude, ſchwere Laſten 
zu tragen; denn fie weiß, daß Gott ihr feine Hand 
unterlegt. | / 
Die Hoffnung wird nie müde, zu Fampfen wis 
der alle Keize des Böfen; denn fie weiß, daß fie Ihn 
einft fehen wird, wie er ift, und um ihn zu fehen, 
wie er ift, ihr Auge rein ſeyn müffe, wie er rein 
if. 1. Joh. IIL 2. 3. 

Die Hoffnung wird nie inlide, von einem Pro- 
befeuer der Leiden in das andere überzugehen ; denn fie 
weiß, daß, wenn das Feuer im Schmelzofen iff, der 
Schmelzer nicht fern feyn Fann. Die Zukunft, und 
felbft der Tod ſchreckt fie nicht; denn fie weiß, daß 
dem ottliebenden ale Dinge zum Velten gereichen 
müffen. 

»Dir, o ewige Liebe! habe ich mich einmal, 
übergeben ; dir will ich mich laffen , in Leid und 
Freude, im Leben und Sterben, in Zeit und Ewig—⸗ 
feite.... Das ift das Herzens- Wort der chriftlie 
chen Hoffnung , das ihr Gebeth, das ihre Seligkeit. 

Wenn nun aber die chriftliche Hoffnung eine zur 
verfichtliche Erwartung des ewigen Lebens ift, wie ihr 
zweytes Wahrzeichen ausfagt; wenn fie eben deßwegen 
eine nie verfiegende Quelle des frohen Muthes und des 
fraftigen Zroftes ift, was ihr drittes Wahrzeichen auss 
macht: fo ift eg aufer Zweifel, daß der wahre Chri—⸗ 
ftenglaube , der in Liebe wirkſam ift, eben auch felig 
in Hoffnung ſeyn müffe, wie Paulus fagt: Seyd 
frob in Hoffnung, 


120 
Woran fich die chriſtliche Hoffnung er 
frifde | 


Da nun die Hoffnung ihrem Wefen nach nichts 
iſt, als der lebendige Athen des Gebethes in Erfafe 
fung der güttlichen Verheißungen, er bewege fich ent— 
weder im Heiligtbume des Gemüthes, oder 
hinter dem ®Pfluge des Lebens, oder in froms 
men Berfammlungen der Chriften, vder wo immer: 
ſo fann nur das, was die heilige Flamme des Ge: 
betbes anmwehet, auch das. Leben der Hoffnung aufs 
frifchen. 

Leiden legen die beften Keifer auf den Herd, 

zur Unterhaltung der Gluth. Der durchgelittene Mann 
iſt der Mann der Zuverficht. 
— Beyſpiele der Öottfeligfeit, die in un— 
fern Brüdern leuchten, können die flerbende Flamme 
wieder anfachen. Hoffnung weckt Hoffnung , Licht 
zundet Licht an. 

VBertraute Geſpräche zmwifchen mahren 
Freunden, die wahre Ehriften find, Fünnen den mate 
ten. Sunfen der Hoffnung neu beleben. Gott ift in 
ihrer Mitte, wie follte da das Herz in diefer Gefell 
fchaft des Muthes, verzagen können? 

Unermwartet große Ereigniffe, die uns 
aus großen Leiden erretten, find wie eine Hand der 
Almacht, die aus den Wolken bricht, auf die Erde 
bernieder reicht , den Mlenfchen anfaßt, und die Hoffe 
nung in ihm ſtärket. 

Der Anblick eines Gterbenden kann 
dur; den Moder der Verwefung den Geiſt wecken, 
ſich nad) den Düften des Paradiefes zu fehnen. Ein 
Kreuz auf dem Kirchhofe, ein Spruch auf dem 
Grabfteine unferer Lieben, kann uns von der Erde 
in den Himmel heben; denn da ift die Hoffnung 


121 


daheim, zwar nicht als Hoffnung, fondern als ewis 
ges Leben. ' 
Unter den Zeugniffen von der ewigen Lies 
be, die in der heiligen Schrift vorfommen, find mir 
zur Belebung der Hoffnung die Fräftigften: 
Efaias: »Die Mutter kann ihres Säuglings nicht 
vergeſſen, und wenn fie feiner vergäße ; fo vers 
geffe ich deiner nicht, fpricht der Herr.« 
Chriftus: »So fehr hat Gott die Welt geliebt, 
daß er feinen Eingebornen dahingab.« | 
Paulus: Der feines Eingebornen nicht gefchonet, 
foll Era ung mit ihm nicht Alles geſchenkt ha— 
ben ?« 
Johannes: »Öott ift die Liebe.s 


Gebeth. 
Heimweh nach der feligen Ewigkeit.) *) 


D, du feligfte Mohnftatte in der heiligen 
Stadt, die da droben ift! D, du lichtheller 
Bag der Ewigkeit, den Feine Nacht verdunkelt! 
Die höchfte Wahrheit felbft ift deine Sonne, 
ihr Licht deine unvergangliche Heiterkeit. — Du 
Tag der Freude, der Sicherheit, du Eenneft 
un Mechfel, du bift ewig Ein und derfelbe 
a 


0 „daß auch mir dieſer Tag ſchon aufge— 
gangen ware, daß auch für mich alles Zeitliche 
Thon fein Ende genommen hatte! Den Heiligen, 
(die bey Sefus daheim find) leuchtet dieſer Tag 
ſchon mit ewiger Klarheit. Wir aber, dienod) 
auf Erden pilgern, wir fehen ihn nur fo von: 
fern, nur wie im Spiegel: einzelne Strahlen 


) Nachfolgung Ehrifti III. B. 48. Hauptftüd, 


122 


brechen von dem Tage der Ewigkeit durch, und 
fallen in unfere Nacht herunter. 

Nur die Bürger des Himmels wiffen es, 
was der Tag der Ewigkeit für ein Freudentag 
ſey; wir Pilger der Erde außer dem. Bater: 
ande thun es durch unfer Seufzen Fund, wie 
bitter und peinlich das Leben auf Erden jey. 

Mahrhaftig, Furz und nebeliht, voll Angft 
und Schmerz find die Tage dieſer Zeit. Der 
Menfch, von Sünden befleckt, von Leidenſchaf— 
ten befangen, von Furcht gefeffelt, von Sor— 
gen umbhergeworfen, von den Begierden. nad) 
Allem , was glanzet, neu erfcheint, und ſonder— 
bar klingt, zerftreut, von Irrthümern umla- 
gert, von Arbeiten abgemattet, von Berfuchun- 
gen niedergedrückt, im Ueberfluſſe von Luft ent- 
nervt, und in Dürftigkeit und Mangel von Un- - 
luft gefoltert — lebt ein Xeben, das mehr Tod 
als Leben ift. 

Ach! wann werde ich von dieſem Knechts— 
Kan „ von diefem Sündendienfte erlöfet ſeyn? 

ann fallen alle diefe Ketten von mir, wann 
werde ich die wahre Freyheit von allem Drucke 
des Leibes und der Seele genießen Eönnen ? 
Mann Eommet er denn einmahl, der wahre Frie- 
de, ein Friede von. innen und von außen, der 
kom ewig heiter und umwandelbar ift vor 
D “ \ 


„Guter Sefus, wann werde ich dich fehen 
können, die Herrlichkeit deines Reiches ſchauen 
können? 

Wann wirſt du mir Alles in Allem, wann 
werde ich bey dir in deinem Reiche ſeyn, das 
von Ewigkeit deinen Geliebten zubereitet iſt? 
Bis mir dieſes Ferne nahe, bis dieſes Zu— 
künftige Gegenwart ſeyn wird, ſende du dei— 


123 


nen Troſt, in mein Elend herab, mildere 
du meine Pilgernoth, ſchenke mir jeden Tag 
ein neues Maß deines heiligen Geiftes; damit 
fein Licht mir leuchte in der Nacht des Lebens, 
damit fein Feuer mein Herz reinige, durchglühe 
und erfülle mit Liebe, und mich tüchtig mache, 
das ewige Leben in Zuverficht zu ergreifen, tich- 
tig, mic) jeßt ſchon in die Chöre der Engel zu 
mengen, und dich in ihrer Gefelljchaft zu lo— 
ben, zu preifen, und Dich preifend — die Bür- 
de des Lebens muthiger zu tragen , bis fie mir 
abgenommen, und meine Pilgertrauer in Hei- 
mathöfreude verwandelt feyn wird. 





XX, 


Zwanzigfter Va. 


Wurde, Schönheit, Seligkeit eines chriftlichen Ges 

müthes, in weldyem das große Drey des heiligen 

Paulus: Glaube, Hoffnung, Liebe — Leben und Herr- 
fchaft gewonnen hat. 


Schriftſtellen. 


1. Wi aber, die wir dem Tage (als Kinder des Lichtes) 
angehören, find nüchtern, und haben den Panzer des Glau— 
bens und der Liſebe angezogen, und die Hoffnung zur 
Seligfeit ung als Helm aufgefegt. 1. Theſſ. V. & 

2. Darum ergreifet die ganze Rüſtung Gottes ; damit ihr 
am böfen Tage widerftehen, und wenn ihr Alles vollendet ha— 
bet, noch feſt da ftehen könnet. Stehet alfo, und gürtet die 
Wahrheit an eure Lenden, und laffet euch die Gerechtigkeit 
als Panzer anlegen, und ziehet Schuhe an eure Füße; da= 
mit ihr zur Bothſchaft des Friedens immer vorbereitet feyd. 


124 


Sn Alfen (Angriffen) nehmer den Ölauben zum Schilde, mit 
welchem ihr alle feurigen Pfeile des Böſen auslöfchen Eönner. 
Zum Helme machet die Hoffnung des Heiles, und ergreifet 
das Wort Gottes, dieß rechte Geiftes- Scywert.. Friede 
fey mit den Brüdern, und Liebe mit: Ölauben, von 
Gott, dem Vater, und Jeſus Chriftus, dem Herrn. Epheſ. 
VI. 13 — 12. 235, 


Betrachtung. 


Da es viele Menſchen gibt, die Gott ſuchen, 
und einige, die ihn von ganzem Herzen ſuchen: ſo 
wird es wohl auch unter den vielen, die Gott ſuchen, 
einige geben, die ihn gefunden haben. 

Wer nun einmahl Gott und in Gott 

das Leben alles Lebens, 

die Wahrheit aller Wahrheit, 

das höchſte Gut, 

die hoöchſte Schönheit, 

die höchſte Seligkeit 
gefunden hat; wer einmahl ſein ganzes Gemüth 
an Gott ergeben hat; wer einmahl in Gott le— 
ben, vor Gottes Auge wandeln gelernt hat: von 
dem Fann man fagen: fein Gemüth iſt in gerader, 
ununterbrochener Richtung zu Gott, Denn Gott 
ift fein vertrautefter Gedanfe, Gottes Reich fein 
ſchönſter Wunfch, Gottes Gefes fein liebftes Augen— 
mer, Gottes Friede fein feligftes eben geworden, 

Sein Gemüth ift in gerader, fleter Richtung 
zu Gott; denn das Auge feiner Vernunft fchauet nur 
auf Gott. Gott iſt ihm die hböchfte Wahrheit, . 
und alles andere Wahre ift ihm nur ein Strahl aus 
diefer ewigen Wahrheitsfonne. 

Sein Gemütlth iſt in gerader, fleter Kichtung zu 
Gott; denn’ Gott ift der Ruhepunet feiner höch— 
fin Wünfche und Erwartungen. Gott ift ihm die 
höchfte Liebe, die höchſte Geligfeit, von 


125 


der er nichts als Seligkeit erwarten kann; jede gufe 
Gabe und jede wahre Freude ift ihm nur A usfluß 
aus diefem Einen, ewigen Meere der Liebe, aus dies 
fer Einen, ewigen Urquelle aller Seligkeit. 

Sein Gemüth iſt in gerader, feter Richtung au 
Gott; denn fein tiefſtes Sehnen geht nur auf Öott. 
Die böchfte Heiligkeit ift ihm die höchfte Schön» 
heit, und die höchfte Schönheit ift ihm Gott; nach 
Gott firecket fich fein ganzes Wefen aus, nach Vers 
einigung mit Öoit durfiet fein ganzes Gemüth, 
und jedes Schöne, jedes Gute ift ihın nur ein Ab 
bild von diefem Einen, ewigen Urbilde alles Gu— 
ten, alles Schunen. 

Gein ganzes Gemüth hat alfo nur Eine, und 
eine gerade,und eine ununterbrochene Kichtung 
zu Gott, und diefe Eine Richtung des ganzen Ge: 
müthes zu Gott iſt Glaube, it Hoffnung, ift 
Liebe. 

Diefe Eine Richtung des ganzen innern Men: 
fehen zu Gott if Glaube, in fo fern der Menſch 
mit feiner Vernunft nur in Gott, der die hüchfte 
Mahrheit iſt, volle Säattigung feines Bedürf- 
niffes nach Wahrheit finden kann, und in Gott wirk⸗ 
lich die höchſte Wahrheit anerkennt, und dieſe höch— 
fie Wahrheit in allen Offenbarungen Gottes aner⸗ 
fennt, verebret, anbethet. 

Diefe Eine Richtung des ganzen innern Men: 
ſchen it Hoffnung, in fo fern der Menſch mit feis 
nem unendlichen Durfte nach Seligkeit nur in Gott, 
der lauter Liebe und Geligkeit ift, und nichts als 
Seligkeit verheißen, und nichts als Geligkeit in 
alle empfangliche Gefäße ausftrömen fann, volle 
Sättigung feiner beften Wünfche finden kann, und 
in Gott wirklich die höchſte Liebe und Seligkeit an⸗ 
erkennt, und dieſe höchſte Liebe und Seligkeit in als 
len Berheißungen Gottes anerfennt, verehret, anbethet. 


1200 


Dieſe Eine Kichtung des ganzen innern Mens 
ſchen zu Gott ift Liebe, info fern der Menfch mit 
feinem unaustilgbaren - Bedürfniffe nah) Schönheit 
nur in Gott die höchſte Schünheit finden kann, und 
in Gott, der die höchfte Heiligkeit iſt, wirklich die 
höchfte Schönheit anerkennt, und diefe höchſte Schön⸗ 
heit in allen Führungen Gottes anerkennt, verehret, 
anbethet, 

Diefe Eine Richtung des ganzen innern Men⸗ 
ſchen zu Gott ift in dem Ehriften die Eine Rich— 
tung zu Chriſtus; denn Ehriftus ift dem Ehri- 
fien die Füle der göttlichen DOffenbarungen, 
die Fülle der göttlichen Berheißungen, die Fülle 
der göttlichen Führungen, 

Chrift iff, laut der evangelifchen und apoſto— 
lifchen Zeugniffe, der, dem die höchſte Wahrheit, 
Liebe, Schönheit — Gott in Chriflus offenbar, 
anfchaubar, gentießbar, geworden ift. Chrift 
ift der, der den Gott feines Herzens in Ehriftus und . 
durch, Ehriftus gefunden hat. 

Diefe Eine Richtung hatten offenbar die erſten 
Jünger Chriſti, nachdem fie der Geift ihres gött— 
lichen Freundes erleuchtet, entzündet, zu neuen Mens 
ſchen umgefchaffen hatte. 


Gott war ihnen in Chriftus als die höchfle 


Wahrheit offenbar geworden: daran hing ihr 
Ölaube. 

Gott war ihnen in Chriſtus als die höchfte Lies 
be, als die höchſte Seligkeit öffeuber geworden: 
daran hing ihre Zuverſicht. 

Gott war ihnen in Chriſtus als die höchſte Hei⸗ 
ligkeit, als die höchſte Schönheit erſchienen: dar⸗ 
an hing ihre Liebe. 

Ihr Inneres, oder —— ihr Innerſtes war 
lauter Glaube, — wirkſam durch Liebe, 
ſelig in —— 


127 


oder: ihr Innerfles war lauter Liebe, aus 
gehend vom Glauben , feftftehend in Hoff 
nung; 

oder: ihre Innerftes war lauter Zuverſicht 
in Liebe, durch Glauben; 

oder: ihr Innerftes hing glaubend, liebend, 
boffend an Öott; 

oder: ihr Innerfies fand in Ehriftus Gott, 
und in Gott Licht, Liebe, Leben. Licht, an das 
es glaubte, Liebe, auf die es traute, Leben, 
in dem es liebend ruhete. 

Worte mögen wechfeln, die Sache ift Eine und 
diefelbe. 

Dieß haben die wahren, erleuchteten Chriften 
aller Zeit eingefehen, gefühlt, in fih er fah— 
ren, ausgefprochen, im Leben dargeftellt, 

Statt vieler Zeugniffe fiehe hier nur das Eins 
zige: 

»Jetzt iſt unſer Erkennen nur Stückwerk; 
einſt aber wird unſer Erkennen ſo vollkommen, ſo 
beſchaffen ſeyn, wie wir (von Gott) erkannt werden. 
Doch auch jetzt ſchon und für immer haben einen 
entſcheidenden, bleibenden Werth: Glaube, Hoffnung, 
Liebe. Dieß iſt das große, bleibende Drey.« I. Cor. 
XIII. ı2. 13. 

Dieß bleibende große Drey wird in dem Se: 
müthe des Menfchen als ein Ganzes geboren, 
als ein Ganzes erzogen, als ein Ganzes forts 
gebildet. 

Wie in dem Keime eines Gewächfes das gans 
je Gewächs liegt, und das ganze Gewächs fich 
allmahlig enthüllet: fo das Eine im Mens 
ſchen, das drey verfchiedene Seiten hat, und daher 
drey verfchiedene Nahmen befommt, — Hoff⸗ 
nung, Liebe heißt. 

Entweder — oder: 


128 


Entweder hat der innere Menſch ſchon eine 
feſte, entſcheidende, ſiegende Richtung zu Gott ge⸗ 
wonnen, oder noch nicht gewonnen, 

Im erften Sale ift das höhere, güttliche Leben 
in ihm geboren, das Innere des Menfchen ift glau- 
bend, liebend, hoffend — neu lebendig geworden. 
Diefes höhere Leben ift offenbar Eines; ob «3 
gleich in Hinficht auf die Dffenbarungen der 
Wahrheit Glaube, in Hinfiht auf die Mittheis 
lungen der emigen Liebe Zuverficht, in Hins 
fiht auf die Enthüllung der ewigen Schönheit 
Liebe beißt. 

Im zwehten Falle, wenn der innere Menſch 
noch Feine fefle, entfcheidende , fiegende Richtung 
zu Gott gewonnen hat: fo fehlt ihm oſſenbar noch 
das höhere Leben , fein Inneres. ift noch nicht neu 
lebendig gemorden, 

Das Eine höhere Leben, das fich bald als 
Glaube, bald als Zuverfiht, bald als Liebe offens 
bart, ift ihm noch fremde. 

Wo alfo Glaube, Hoffnung, Liebe eine bleie 
bende Gemüthsfaffung geworden: da ift Glaube, 
Hoffnung, Liebe ein Leben, ein höheres Le 
ben, ein göttliches Leben. 

Glaube, Hoffnung, Liebe ift ein Leben, et 
mas , das fich in ung bewegt, fein todter Begriff von 
Gott, Fein bloßer Gedanfe an Gott — ein Leben. 

Glaube, Hoffnung, Liebe ift ein höheres Le 
ben. Der außerliche Menfch ift mit feinen Gedans 
fen, Begierden, Wünfchen bey finnlichen,, angenehs 
men, irdifchen Dingen; der innere Menſch, der an 
Gott glaubt, auf Ihn traut, Ihm in Liebe anhangt, 
ift mit feinen Gedanken, Wünfchen und Strebungen, 
bey der höchften Wahrheit, Liebe, Schönheit, lebt 
ein höheres Leben, 

Glau⸗ 


129 


Glaube, Hoffnung, Liebe, ift ein göttliches 
Leben; mie Gott lauter Wahrheit, Liebe, Schönheit 
ift: fo wird der Menfch, der an Gott glaubt, auf ihn 
traut, ihm in Liebe anhängt, ein Bild der Wahrheit, 
Liebe, Schönheit ; fein Leben ift ein göttliches Les 
ben, das man göttlich im Nachbilde nennen darf, ' 

Glaube, Hoffnung, Liebe, it Ein und das— 
felbe Leben. 

Die Rofe hat nur Ein Leben — das Leben eis 
ner ſchönen Blume, ob fie fich gleich durch Glieder 
bau, Wohlgeruch und Farbe auszeichnet, Was 
den Saft aus der Erde hohlt, was die Blätter ents 
bullet, was das Ganze fo ſchön und lieblich macht, 
ift Ein und dasfelbe Pflanzenleben. 

So ift auch dus, was die höchfte Wahrheit, 
Liebe, Schonheit — Gott findet, und das In— 
nerfte darnach bildet, Ein höheres Menſchenleben. 

Dieß Eine höhere Leben des Menfchen hat denn 
auch feine unverfennbaren Merkmahle. 

Wo Glaube, Hoffnung, Liebe, als ein höheres 
Leben daheim ift: da ift der Menfch eben darum ein 
innerlicher, inniger Menſch; ein innerlicher, 
weil er innerhalb feiner, ein inniger, weil er 
in fich wohnet, Seine Gedanken, Begierden, Wün- 
fhe laufen nicht mehr in aller Welt fo blind und wild 
umber; er fammelt fih in fich, er halt fih in 
fich, er redet gern mit fich felber, und in fi) 
mit Öott. Innigkeit ift das Merkzeichen des 
Einen höhern Lebens, das Glaube, Liebe, Hoffnung 
heißt. 

Im Mittelpunete feines Weſens, da ift die hei- 
lige Stätte, wo er feinen Öott finden,lieben, 
anbethben, genießen kann; da ift das geheimi- 
fte Rubeplätzchen, wo der Ölaubende, Hoffen- 
de, Liebende am liebften wohnet; da hält er feinen 
Sabbath; da ſchlägt ihm die Feyerflunde; da ſchaut 

Sailer, d. chriſtl. Monath. 9 


150 


er die offene Mahrbeit: da glühen feine Vorſätze; da 
umfaffet er die Menfchen, feine Brüder , in Öott; da 
ift fein Himmel, feine Emigfeit, fein Gott. | 

Deßhalb hieß es oben: das Innere, oder bef 
fer, das Innerfte des Menfchen ift es, was an Gott 
glaubt, auf Gott traut, Gott in Liebe umfaßt. Denn 
Gottes Reich Tann nur im Innerften des Mens 
fohen, in dem Mittelpuncte feines Weſens, Wurzel 
affen. 

Pat Wo Glaube, Hoffnung, Liebe daheim ift: da keh⸗ 
ren die Menfchen zur Einfalt zurück, die ihnen die hüch- - 
fie Weisheit und Geligfeit wird. 

Zur Einfalt Fehret zurück die Vernunft des 
Menfchen — aus dem Labyrinthe unzahliger Meinuns 
gen: Gott ift ihm die Wahrheit felber. 

Zur Einfalt Fehret zurüd fein ganzes Herz, 
fein Wille, fein Durft nad) Seligfeit, Fehrt 
zurück — aus dem Öetriebe unzähliger Neigungen, die 
ihn zerreißen, aus dem Irrſaale unzähliger Freuden, 
die ihn peinigen: Gott iſt ihm die Liebe, die Schön 
beit, die Seligkeit felber, 

Zur Einfalt kehret zurück auch fein iußeres 
Leben: tauſend Abmege, taufend Umwege meidet er: 
weil er. auf der Einen geraden Bahn bleibt; taufend 
Gefchäfte erfpart er fich, weil er das Seine thut, 
weil er nur das Seine thut, weil er da$ Seine ganz 
thut, 

Zur Einfalt kehret zurück auch ſein Wort: ſein 
Ja iſt ja, fein Nein iſt nein; und dieß Ja, dieß Nein 
erfpart ihm viele müßige Worte, viele 5* Ge⸗ 
ſchwätze, unzählige Lügen. 

Zur Einfalt kehret zurück mit dem Worte auch 
feine Geberde. Ruhig in ſich hat er keine Uns 
tube; ffille in fih, hat er feine Vielgeſchäftigkeit; 
treu in feinem Tagwerke, hat er Feine Werlorenheit 


151 


feines Herzens in Dingen, die ihm nichts angehen — 
in feinen Geberden zu offenbaren. 

Wo Glaube, Hoffnung, Liebe daheim iſt: da hat 
das Gemüth des Menfchen feine rechte Würde, Schun: 
heit und Oeligfeit gefunden, die es bey allmahligem 
Wachsthume immer mehr vervulllommnen, und endlich 
vollenden werden. Denn was iſt würdiger, er- 
babener, als der Menfchengeift, der fich zum hochs 
erhabenen Wefen erhoben hat, und daran fich feft hals 
ten kann? Was ift ſchöner als ein Gemüth, das von 
dem Lichte des Glaubens erheller, von dem Strah- 
fe der Liebe verflaret, und von der feften Hand der 
Zuverficht durch das Leben getragen wird? 

er ift feliger als der Ehrift, der in Gott, in 
Ehriftus, glaubend, hoffend, liebend die Befriedigung 
feiner höchſten Bedürfniffe theils fchon gefunden hat, 
theils in Ruhe erwarten Fann ? 

Wenn nun aber Glaube, Hoffnung, Liebe fo 
große Dinge thun; wenn fie im Innern der köſt— 
lichſte Schatz (das göftliche Leben felber), und im 
Aeußern die ebene, gerade, richtige Bahn des 
Menfchen find: wer ſollte nicht Alles: daran geben, 
um jenen köſtlichen Schatz, um jene richtige Bahn 
zu finden ? 

Sm Fühnen Trauen 

Und Glauben fängt fie an, 

Die ſchmale Ehriftenbahn, 

Und geht, nach Gottes Wort, 

Sn fliler Liebe fort, 

Und endet felig dort 

Im hellen Schauen. 


BGehbec he 


Sa, dir, mein Herr und Gott! dir verdanke ich 
es im Jubel meiner Seelel, daß ich die ſchmale 
9 


132 


Chriftenbahn, die hier im kühnen Glanben und 
Bertrauen anfängt, die nad der Richtſchnur 
deines Mortes in ftiller Liebe fortichreitet, 
- amd im hellen Schauen endet, unter unzähligen 
Irr-, Um: und Abwegen gefunden habe. Sch ge- 
ag habe ? Nein; nicht ich-habe fie gefun— 
en, die Schmale Chriſtenbahn; du, Vater und 
Fuhrer! du haft die richtig und ficher zum Zwecke 
ührende Ehriftenbahn von Ewigkeit für mic) er- 
unden, für mich auserfehen; du haft fie für mic) 
——— durch Jeſum Chriſtum, deinen Einge— 
ornen; du haſt mich durch die mächtigen Antrie— 
be deines heiligen Geiſtes auf dieſe Bahn hin— 
geſtellt; du haſt mich durch die Ermahnung und 
Stärkung deiner heiligen Kirche darauf feſt gehal- 
ten; dur haft mich durch Lichtzuflüffe und Tröſtun— 

gen aller Urt darauf fortgeführt bis hierher; du 
haft mich geleitet, und geleiteft mich noch ferner 
an deiner Hand, geleiteft mich fo lange, bis ich 
meinen Gang und mein Xeben zugleich vollendet 
haben werde; bis ich „ im Anblicke des verklar- 
ten Zieles der zurückgelegten Ehriftenbahn, mit 
allen Heiligen ausrufen werden 

Hallelujah! 

Im kühnen Trauen 

Und Glauben fing ſie an, 

Die ſchmale Chriſtenbahn, 

Und ging nach deinem Wort 

In ſtiller Liebe fort. J 

Nun endet fie, die Glanubensbahn, 

Sm hellen Schauen, ! 

Sm heilen Schauen! 

Hallelujah ! 


Fr — = 


153 





Zweytes Hauptſtück. 


Von Erneuerung der BEN Gefin 
nung. 


I 





Lieber Leſer! nachdem die allerwichtigfte Leh- 
re des Ehriftenthums, von der Gründung der 
chriftlihen Geſinnung, ſchon zwanzig Tage in 
Anfpruch genommen hat, und für die zwey an— 
dern Hauptftücke, von. der Erneuerung und 
Dffenbarung der riftlihen Gefinnung, nur 
noch zehn — eilf Tage ubrig find: jo fand ſich 
der Verfaſſer, unfahig die Monathbstage zu 
vermehren, genöthiget, die Betra * ngen 
zu verlängern, 


Laß Dir Ddiefen häuslichen Uebelftand der 
Schrift nicht mißfallen. Denn wenn, wie ic) 
hoffen darf, deine Ueberzeugung an Feftigkeit, 
und deine Entfchließung zum Beffern am Ernfte 
gewonnen hat: fo ift der fcheinbare er für 
dich und mich reiner Gewinn. 


N 


134 " 


XXI. 


Die Befehrung des Sünders zu Gott in ihren Grundgefegen 
und in ihren einzelnen Erforderniffen, fo wie die Kleinodien des 
Lebens: Glaube, Hoffnung , Liebe, habe ich, ‚geleitet von dem 
Lichte der chriftlichen Weisheit, Tennen gelernt. 

Glaube, Hoffnung, Liebe, ift allerdings im Innern des 
Menſchen das wahre, geiftliche Leben, und die Quelle aller guten 
Thaten nad) Außen. Allein dieß wahre, geiftliche Leben bedarf 
einer ftetigen Erneuerung, wenn es nicht ſchwach werben, und am 
Ende fterben fol. Die Erneuerung des wahren, geiftlichen Lebens 
in ung ift alfo fo wichtig für die Erhaltung, als die Bekeh— 
zung für die Gründung desfelben, 





‚Ein und zwanzigfter ag. 


Von Erneuerung der dhriftlihen Geſin— 
nung: wa3 chriftliche Geſinnung ſey, und daß 
| ihre Erneuerung nothwendig ſey. 


Shriftftellem 


1. O bgleich unſer äußere Menſch der Zerftörung hingegeben 

iſt: ſo wird doch der innere Menſch von Tag zu Tag erneuert. 

II. Kor. IV, 16, 

6 2. Laſſet euch im Geiſte eures Gemüthes erneuern. Epheſ. 
23. 

3. Ziehet aus den alten Menfchen- mit feinen Weiſen, 
und leget an den neuen Menfchen, der durch Erfenntniß er= 
zug iſt nach dem Bilde deffen, der ihn erfchaffen hat. Koloff. 

. 9: 10. 

4, Wenn ihr nun mit Chriftus auferftanden feyd ; fo fu: 
chet was droben ift, wo Ehriftus ift, der zur Nechten Gottes 
fißet. Was droben ift, habet im Sinne, nicht was auf Er- 
den. Kol. Il. 1, 2. . 

5. Unſer Wandel ift im Himmel, woher. wir auch den 
‚zum erwarten, unfern Herrn Sefus Chriftus. Philipp. 

. 20. 


155 


6. Brüder! ich bilde mir nicht ein, es ergriffen zu ha⸗ 
ben; aber Eines thue ich: ich vergeffe, was hinter mir Tiegt, 
und free mich nacdy dem aus, was vor mir liegt. Dem 
vorgeftecften Ziele eile ic zu, dem Siegespreife der himmliſchen 
Berufung Gottes in Chrifto Jeſu. So viel nun unfer voll 
Fommen find, laffet uns alfo gefinnet feyn: und wenn ihr an— 
beres Sinnes feyd, fo wird euch Gott aud) diefes offenbaren. 
Nur in dem, wozu wir ſchon gelanget find, laffet uns gleich— 
— und nach derſelben Richtſchnur wandeln. Philipp. 

.13 — 10. 

7. Sammelt euch keine Schätze auf Erden, wo Roſt und 
Motte freſſen, und wo Diebe ausgraben und ſtehlen. Sam— 
melt euch Schätze für den Himmel, wo weder Roſt noch Mot⸗ 
te verzehren, und wo Diebe nicht ausgraben und ſtehlen. 
Denn wo dein Schatz iſt, da iſt auch dein Herz. Matth. 

VI. 19—21. 

8. Er fprady zu ihnen: Ihr feyd von unten her; ich aber 
bin von oben herab. Ihr feyd von diefer Welt; ich aber bin 
nicht von diefer Welt. Joh. VIII, 23, 


Betrachtung. 


Wenn die chriſtliche Geſinnung in dem Sünder 
nur durch Bekehrung von der Finſterniß zum Lich— 
te gegründet, und die gegründete nur durch ihre ſtetige 
Erneuerung erhalten werden kann: fo wird es zur 
richtigern Einficht nicht unwichtig feyn, die Befchaf: 
fenbeit der chriftlichen Gefinnung noch ein Mahl, 
und die Nothwendigkeit ihrer Erneuerung fo 
flar wie möglich in’s Auge zu faffen. 

Gefinnung des Mtenfchen ift (wie es fehon das 
Wort: Sinnen, Öefinnung, Öefinntfepn, 
andeutet) eine Richtung des innern Ginnes, und weil 
der innere Sinn dem Gemüthe inwohnt, eine Richtung 
feines Gemüthes auf einen beſtimmten Gegenfland; if 
eine Richtung , die nicht blindlings, fondern mit Ber 
wußtſeyn und aus Abficht genommen wird; ift eine Kich- 
tung, die nicht mit augenblicflichen Handlungen fehwin- 
det, fondern beharret. 


136 


Gefinnung des Menfchen ift alfo die unabfichtliche 
und beharrende Richtung feines Gemüthes auf ein wah⸗ 
res oder feheinbares Gut, das ihn für ſich eingenoms 
men. hat. | 
Das menfchliche Gemüth Fann eine zweyfache 
Richtung nehmen: zu den zeitlichen, vergangs 
lichen Dingen hin, zu den Gütern und Freuden 
diefer Welt, oder zu den ewigen, göttlichen 
Dingen, zu den Gütern und Freuden des Himmels. 
Das Gemüth ift, oder wird jedes Mahl, wie feine Kichs 


” tung: irdifch in der erfien, bimmlifch in der 


zwepten Richtung; daher unterfcheiden wir in uns eine 
zweyfache Öefinnung, eine irdifche und eine 
überirdifche Geſinnung: die erſtere heißt im 
verkürzten Ausdrude irdifcher, die zwmente uber- 
irdifcher oder auch himmliſcher Sinn eines 
Menfchen. 

Der irdifche Sinn iſt die Richtung des menfchlie 
chen Gemüthes, und weil das Gemüth allen übrigen 
Kräften gebiethet, die Kichtifng des ganzen Menfchen 
auf bloß vergangliche Dinge, und fomit zu den eiteln, 
nichtigen Gütern diefer Welt hin; eine Richtung, durch 
welche der ganze Menfch allmahlig vereitelt, *) und für 
Gott und göttliche Dinge, für die einzig wahren Schät- 
se des unfterblichen Geiſtes, unempfänglich wird, Der 
finnliche Menfh nimmt nicht auf, mas vom Gei- 





*) Was Chriftus durch Paulus ausſprach, und durch Auguftinus 
und andere geiftreiche Männer in der Kirche wiederhohlt :: 
temporalia sint in usu, aeterna in desiderio,, das Zeit: 
liche ift uns zum Gebraude, das Ewige zum Seh: 
nen und zum Genuffe gegeben; dieß gründet den 
Unterfchied zwifchen irdifcher und himmlifcher Gefinnung. 
Arbeiten folft du, o Menich! im Zeitlichen, gebraus 
hen follft du'das Zeitliche: aber in deinem Gemüthe rege 
dich das Heimmehe nad) dem Ewigen, bis es fich dir zum 
Genuſſe dargibt, Dann haft du dem Leibe gegeben, was 
fein ift, und dem Geifte, was fein ift. Der Zeit das Ihre, 
und der Ewigkeit auch. 


1357 


x 


fie Gottes kommt; denn es iſt ihm Thorheit, und er 
kann es nicht verſtehen, weil es geiftig gefaßt werden 
muß. Nicht nur unempfänglic) für Gott und alle gütts 
lichen Dinge ift aber diefer irdifche Sinn, fondern er wird 
auch eine reichhaltige und unerfchöpfliche Quelle deg 
Bofen in allen Beziehungen und Öeftalten des menfch» 
lichen Eebens ; denn er ift das Herz, aus dem böſe Ges 
danken, Mordthaten, Ehebrüche, Hurereyen, Diebfiähe 
le, falfche Zeugniffe, Lafterungen zc. hervorgehen. Deß⸗ 
halb muß vor Allem aus diefes Herz gereiniget, und ihm 
eine andere Richtung gegeben werden; wenn der Menfch 
gut werden und gut bleiben fol. 

Diefe andere Richtung , welche ihm gegeben wer» 
den fol, ift die Richtung des menfchlichen Gemüthes, 
und Kraft des herrfchenden Gemüthes, die Richtung des 
ganzen Menfchen zu Gott und göttlichen Dingen hin; 
eine Wegmwendung von der Welt und allen ihren Schät- 
zen, und eine Hinmwendung zu Gott und allen göttlichen 
Dingen. Und gerade diefe Eigenfchaften find es, durch 
welche die Öefinnung des Ehriften von der Geſinnung 
des Heiden oder des bloßen Weltmenfchen fich unters 
fcheidet, durch welche alfo der Charakter des Ehriften 
fih Fund gibt, und erft recht bewähret. 

»Die Öefinnung der Weltleute und jene der Chris 
fien, fpricht Makarius, ift in fich gar fehr verfchieden : 
den Erftern flößt der Geift des Frrthums — Luft und 
Geſchmack am Jrdifchen ein; in den Zweyten aber lebt 
ein ganz anderer Geiſt, ein ganz anderer Sinn, eine 
ganz andere Neigung: fie leben in einer andern Welt, 
in einer andern Heimath; ihr Gemüth flieht im Bun⸗ 
‚de mit Gottes Geift, und der Feind ift unter ihren 
Füßen.« 

Die chriſtliche Geſinnung iſt das fortwährende Les 
ben, und die wahrhafte Offenbarung des Glaubens, 
welcher Gott in Ehriftus auffaffet; der Hoffnung, 
welche Gott in Ehriftus feft halt, und auf ihn in allen 


138 


Stürmen des Lebens vertraut; der Liebe, welche Gott 
in Chriſtus anhangt, und in ihm volle Befeligung fin» 
det. In der chriftlichen Gefinnung leuchtet demnach, das 
Licht des lebendigen Glaubens , ermweifet ſich die Kraft 
der. zuverfichtlichen Hoffnung, und wird wahrnehmbar 
das Feuer der göttlichen Liebe. In der chriftlichen Ges 
finnung ift die Einfult in der Abfiht, und die Eauters 
keit in der Liebe, durch welche der Mtenfch, mie auf 
zwey Flügeln, über das Irdifche emporgehoben wird; 
die Einfalt, welche nur das Eine fuchet, und daher 
nur nach Gott hinzielet; die Lauterfeit, welche Gott 
nur Gottes wegen fuchet, alfo nur Gott finden, nur 
Gott genießen will, 

Allein, die Einfalt und die Lauterfeit de Gemü⸗ 
thes verfchwindet gar bald, wo dasfelbe nicht genau bes 
wachet, forgfaltig gepfleget, und in der Richtung zu 
Gott und göttlichen Dingen immer wieder befeſtiget 
wird. »Mein Sohn! fagt der gottfelige Thomas von 
Kempen, in diefem Leben bift du nie vor Angriff ficher. 
So lange du lebeft, haft du der Wehr und Waffen nüs 
thig, womit fich der Geift gegen die Sunde ſchützen und 
wehren kann. Du mwohneft unter Feinden, und links 
und rechts ſtürmen Werfuchungen auf dich los. Wenn 
du alfo dein Herz nicht fo geftellt haft, daß es feft ruhet 
in Gott allein ; wenn dein Wille nicht bereit ift, alles 
Widrige um Gottes Willen zu erdulden: fo wirft du die 
Hitze des Kampfes nicht aushalten, und die Siegespals 
me der Geligen nie erreichen.« 

Wir dürfen alfo, fo gut und rein unfere Öefin- 
nung immer feyn mag, ihr ohne flete Erneuerung und 
Wiederbelebung ihres Geiftes Feinen Beftand zutrauen; 
denn unftet ifk des Menfchen Herz, und der Veranders 
lichfeit unterworfen; auch der befte Menfch wird ficher« 
lih ein anderer, fält in ein fremdes Element, 
wofern er fich nicht felbft beherrfcht, und fein Sinnen 
und Trachten flet$ auf den Herrn hinwendet. Darum 


139 


fagt fo wahr und der ernfihaften Beherzigung würdig 
der fo eben genannte Verfaffer der Nachfolge Chriſti: 
»Mein Sohn! traue deinem eigenen Herzen nicht; denn 
jest ift es fo, und gleich darauf wieder anders. Go 
lange du lebeſt, wirft du, auch gegen deinen Willen, 
der Veränderlichkeit unterworfen feyn; bald freudig, 
bald traurig, bald ſtille, bald ſtürmiſch; jet voll Ans 
dacht, und gleich darauf dürr und froden, wie eine 
Sandwüfte; jest fleißig, dann träge; dießmahl voll 
Ernft, ein andermahl leichtfinnig-und ausgelaſſen. Wer 
aber im Geifte wohl geubt iſt, und die rechte Weiss 
heit befiset, der hat bey all’ diefer Weranderlichkeit feis 
nes Herzens einen unveränderlichen Standpunct, heftet 
feinen Blick nicht auf die Empfindung , welche Fommt 
und geht, oder auf die mancherley Seiten, von denen 
der Wind bold fo, bald anders herweht, fondern richs 
tet alle feine Gedanfen und Abfichten zu dem Einen 
wahren und beften Zielpunct hin« 

Die Fefthaltung diefes unveranderlichen Standpuncs 
tes im Sande der Veranderlichkeit, und die flete Hinwen- 
dung aller Gedanfen und Abfichten auf den Einen 
wahren Zielpunct, iſt die öftere Erneuerung des 
Vorſatzes, die abfichtliche Sammlung des Gemüthes von 
allen Zerftreuungen, und die Hinhaltung desfelben zur 
Einen Quelle alles Wahren und Guten zu Gott. Ohne 
eine folche, oft wiederkehrende, allmahlig der Stetigkeit 
fich nähernde Erneuerung des Vorfaßes würden wir Gott 
bald aus Sinn und Andenken verlieren, und die chrifts 
liche: Gefinnung unvermerft bald wieder in eine bloß 
weltliche und fleifchliche fi) ummandeln. Denn der 
ganze Kampf des Feindes gegen uns, fchreibt Dderfelbe 
geiftreiche Makarius, ift dahin gerichtet, daß unfer Ges 
müth vom Andenfen und der Liebe Gottes abgezogen 
werden möge; und um Diefes leichter und gemiffer zu 
‚ bewirken, unterfchiebt er unfern Sinnen irdifche Lüfte 
und Reize, und wendet ale Mühe daran, unfere Weis 


140 


gungen und unfer Herz von dem einzigen und wahren 
und ‚höchften Gute auf andere, bloß eingebildete, nicht 
wahrhaft beftehende Güter hinzulenfen. "Alle guten Wer: 
ke des Menfchen fücht der Verworfene zu befleden und 
zu verderben, und fein ganzes boshaftes Beftreben geht 
dahin aus, überall, wo er treue Beobachtung des Ge⸗ 
fees bemerkt, dieß lautere Streben durch geheime Auf- 
regung des Triebes nach eitler Ehre, oder kühnen Selbſt⸗ 
vertrauens zu bemafeln; damit, das äußere gute Werk 
von Innen verdorben werde, zumahl es nimmer einzig 
um Gottes Willen, aus reiner Abficht gefchieht.« 
»So lange, wir-den innern Menfchen nicht gang 
gereiniget haben, können wir nie fagen: Wir find heis 
lig und vollfommen ,. und flehen feft auf dem Wege 
der Tugend und der Öottfeligkeit. Denn nicht. jede 
Enthaltung vom Böſen ift fihon eine volle Entledis 
gung und Reinigung; fondern dazu wird erfordert, 
daß die innerften, und verborgenften Winkel unſerer 
Seele und unferes Gewiſſens mit allem Fleiße von 
jeglicher Beflefung gereiniget werden. Kehre alfo ein, 
wer du immer bift, in die tiefen und weiten Abgrune 
de, wo deine Gedanken hin und ber fchweifen ; kehre 
ein in dein von der Sünde umfangenes und gefeffeltes 
Herz, und fchaue in dem Innerften deiner Seele, und 
in den verborgenften Winkeln deines Herzens, unter 
einem Haufen wild auffteigender Gedanken, die herums 
fehleichende Schlange, welche alle deine Seelenkräfte 
vergiftet, und fo allmahlig dir den Tod bringt. Erſt, 
nachdem du. fie, die nie ruhende Vergifterinn, vollends 
ertüdtet haben wirft, magft du dich deiner Reinheit vor 
Gott freuen. Bevor aber diefes gefchehen iſt, wirf 
dich nieder vor Gott im Gefühle der innigften Der 
muth, und bitte als Sünder um Önade, um Ber 
gebung, um Keinigung, und um. fernere Kein: 
bewahrung.« Injdı? 


141 


Bikei:pse:tih 


Herr! reinige mich von den verborgenen Sün— 
den. Laß das Licht des Blaubens immer heller 
und heller in mir leuchten; Damit ich die tieffte 
und verborgenfte Wurzel des Böen erblicken 
lerne; vermehre die. Kraft der Hoffnung, damit 
id) mit ihr die reizendften Lockungen der Sünde 
zu überwaltigen vermoge; entzinde immer mehr 
das heilige Feuer der Liebe, Damit mein Gemüth 
von jeder Makel irdifcher Abfichten und Neigun— 
gen gereiniget, ſtets inniger mit dir vereiniget 
und Deines Geiftes und Lebens, deiner Lauter: 
keit und Herrlichkeit immer mehr und mehr theil- 
haftig werde. Amen. 





XXI. 


Worin die Gefinnung des Chriften von der des Weltmen⸗ 
ſchen ſich unterfcheide ; daß fie, um als chriftliche Gefinnung in der 
Welt zu beftehen, einer fteten Erneuerung bebürfe ; und daß diefe 
Erneuerung der guten Gefinnung ohne die wiederhohlte Erwedung 
des Entfchluffes, von der Welt fich weg, und zu Gott hinzumen- 
den, ohne öftere Erweckung des guten Vorfages , nit Sinn und 
Beftand Habe; und daß ohne fie Fein Guter im Guten beharren 
möge, haben wir gefehen. Es entfteht nun die Frage: wie die 
&riftliche Gefinnung erneuert werden Eönne. 





142 


Zwey und zwanzigfter Tag. 
Bon der echten Weife, die chriffliche Gefinnung zu 


erneuern, 


Schriftftellen. 


1 D, Menſch Tebt nicht allein vom Brote, fondern von 
Bi das aus dem Munde Gottes kommt. Meatth. 
V. . 

2. Sefus fagte zu ihm (dem Verfucher): Weiche von 
mir Satan! Es fteht gefchrieben: Den Herrn, deinen Gott, 
fouft du anbethen, und ihm allein dienen. Matth. IV. 10. 

3. Wachet und bethet, daß ihr. nicht in Verſuchung fal— 
let. Der Geift ift zwar willig, das Fleiſch aber ift fchwach. 
Matth. XXVI. 41. 

4. Wachet alfo und bethet ohne Unterlaß; damit ihr wür— 
dig geachtet werdet, zu entfliehen allen dem, was da Fommen 
wird, und zu beftehen vor dem Sohne des Menfchen. Luk, 
XXI. 30. u 

5. E3 fommt die Zeit, und fie ift [yon da, wo die wah— 
ren Anbether Gott im Geifte und in der Wahrheit anbethen 
werden; denn der Vater fuchet folcye, die ihn alfo anbethen. 
Gott ift ein Geift; die ihn anbethen, müffen ihn im Geifte 
und in der Wahrheit anbethen. Joh. IV. 23. 24. 

6. Ihr möget nun effen, oder trinken, oder fonft etwas 
tbun: fo thut Alles zur Ehre Gottes. I. Kor. X. 31. 

7. Alles ift gut, was Gott gefchaffen hat, und nichts 
verwerflic), was mit Dankſagung genoffen wird; denn es wird 
geheiliget durch das Wort Gottes, und durdy dag Geberh. I. 
Zim. IV. 4. 5, | 

8. Alle verharrten einmüthig im Gebethe, fammt den 
Meibern und Maria, der Mutter Jeſu, und fammt feinen 
Brüdern, Apoftelg. I. 14. | 

9. Zäglicy verharrten fie einmüthig im Tempel, ‚brachen 
das Brot in den Häufern hin und ber, und genoffen die Spei— 
fe mit Fröhlichkeit und Einfalt des Herzens. Apoftelg. II, 46. 

10. Und indem fie fo betheten, — wurden Alle mit bem 
heiligen Geiſte erfüllet, und verkündigten das Wort Gottes mit 
Srepmütbigkeit, Apoftelg. IV. 31. 


143 


Betrachtung. 


Die chriſtliche Geſinnung beſteht in beharrender 
Wegwendung des Gemüthes von den eitlen und nichti— 
gen Dingen, und in beharrender Hinwendung des Ges 
müthes zu Gott und Öottes Dffenbarungen; befteht alfo 
erfiens: in der Anfaffung, Feſthaltung und 
Liebgeminnung Öottes und güftlicher Dinge; zwey⸗ 
tens: in der Offenbarung des angefaßten, feftgehaltes 
nen und liebgewonnenen göttlichen Lebens. 

Die chriftliche Sefinnung erneuern heißt alfo 
nicht3 anders, und kann nichts anders ſeyn als: bes 
leben und bethätigen die Anfaffung, die Feſthal— 
tung und die Liebgewinnung Gottes und gottlicher 
Dinge. 

Das Anfaffen Gottes und göftlicher Dinge 
belebet und bethätiget fich durh Anhborung des 
göttlihen Wortes, und durch Lefung der 
heiligen Schriften. 

Das Fefthalten Gottes und göftlicher Dinge 
belebet: und bethätiget fih durch fiegreihen 
Kampf wideralleslingöttliche, und durch 
ernfte Befeftigung der hriftlihen Hoff 
nung. 

Das Liebgemwinnen Gottes und goftlicher 
Dinge belchet und bethätiget fich durch öftere Er wä— 
gung der unausforfchlichen Liebe, mit der und Gott 
zuvor geliebet hat; eine Erwägung, die feine andere 
Abficht hat, als durch Wahrnehmung der göttlichen 
Liebe Öegenliebe zu erwecken, und fo das Gemüth hins 
zuziehen zu Gott, der höchſten Schönheit und Liebenss 
würdigfeit, zur Urquelle wie alles Wahren und Guten, 
fo auch alles Schönen und Liebenswürdigen in der Nas 
tur und im ganzen AM” der Dinge. 

Das Lefen der heiligen Schriften wird aber den 
chriftlichen Glauben nur dann "beleben: wenn dasfelbe 


144 


in dem Geifte gefchieht, in welchem fie find verfafiet 
worden; wenn Liebe zur reinen Wahrheit uns zum Le⸗ 
fen in diefen Schriften treibt, und wenn unfere Auf» 
merkſamkeit auf daS Heilfame der Lehre, nicht auf die 
Art des Ausdruckes gerichtet if. Mit Demuth, Eine 
falt und Treue wollen die heiligen Schriften geles 
fen werden; mit Demuth, damit der menfchliche 
Berfiand, fern die göttliche Wahrheit zu meiſtern, 
derfelben Wahrheit ſich unterwerfe; mit Einfalt, 
damit nichts in die heiligen Lehren hineingelegt, fonz 
dern fie aufgefaßt und zu Gemüthe geführet werden, wie 
fie find; mit Treue, damit gewiffenhaft befolget wers 
den ihre heilfamen Ermahnungen. Die Worte bey Gi» 
rachsfohn VII. 9.: Verachte nicht, was die 
Weifen reden, fondern richte dich nach ihr 
ren Sprüchen. Halte dich nicht für Flüs 
ger als die Alten, — follen uns bey. der Betrach- 
tung der heiligen Schriften leiten; und Die Probe, 
daß mir recht gelefen und recht betrachtet haben, wird 
die feyn,daß wir unsam Ende mit David auszurufen ges 
trieben fühlen: Lobet den Herrn alle Heiden, ' 
preifet ibn alle Volker; denn feine Er 
barmungen haben fich neu beftätiget über 
uns, und die Wahrheit des Herrn bleibt 
ewig! Pfalm. CXVI. Jedes göttliche Wort, welches 
wir hören, lefen vder betrachten, ift doch nur einer der 
Lichtfirahlen aus der ewigen Sonne unfterblicher See- 
len, welche die Augen des Geiftes erleuchten, und für 
die Anfchauung Gottes und göftlicher Dinge tüchtiger 
machen follen. 

Der anhaltende, muthvolle Kampf gegen Die 
außern und innern Feinde des Guten belebet die chrift- 
liche Gefinnung , die Feinen andern Beruf und Fein 
anderes Tagewerk hat, als das Keich der Sünde zu 
zerflören, und das Reich Gottes zu gründen, die Uns 
ordnung aufzuheben, und die Ordnung Öottes im * 

en 


145 


ſchen herzuftelfen. Diefer Kampf iff gegen die Macht 
der Hölle, und mit ihr gegen alle ‚übrigen | Feinde deg 
Guten gerichtet; wo aber diefe zuruckgedrängt werden, 
da findet der Himmel Kaum, und breitet ſich im innern 
und äußern Leben des Menfchen aus. Darum fols 
len wir ſtets umgurten die Lenden unfes 
res Gemüthes, ftet$ nüchtern fepn, und 
unfere Hoffnung auf die Önade fetzen, 
die uns angebothen wird auf den Tag der 
Offenbarung Jefu Ehrifti; als gehorfa 
me Kinder follen wir nicht mehr den Lü— 
ften dienen, welchen wir in unferer frü— 
bern Unmiffenheit ergeben waren, fon 
dern heilig in unferm ganzen Wandel 
werden, wie er heilig iſt; zumahl, ge 
fhrieben ſteht: Ihr follt Heilig ſeyn, 
denn ich bin heilig. I. Pet. I. 13 — ı6. 

Die Liebgemwinnung Gottes und göttlicher Dinge 
erhalt neues Leben durch vertrautern Umgang mit 
Gott; indem wir unfer Gemüth zu Gott erheben, und 
vor Sort reden laffen, fo wie Gottes Sprache in uns 
ferm Innerften vernehmen. Durch den Kampf gegen 
die fündhaften Neigungen wird das Herz im Guten be: 
feftiget; durch das Lefen und Betrachten der heiligen 
Schriften und anderer geiftreichen Bücher werden die 
Keifer berbeggefchafft zur Unterhaltung des heiligen 
Feuers, das durch glaubenvolles Gebeth immer wieder 
angefacht werden foll , und bey frommen Chriften 
wirklich angefacht wird. 

Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe des 
Chriften, welche die mefentlichen Beftandtheile aller 
chriftlichen Geſinnung und fie felber find, beftehen nicht 
ohne Innigkeit, (ohne ſtete Sammlung des Gemüthes 
aus den mannigfaltigen Zerfireuungen) und ohne forts 
währende Andacht, (ohne immer erneuerten Aufſchwung 
des Gemüthes zu Gott). Beyde, Innigkeit und Ans 

Sailer, d. chriſtl. Monath. 10 


146 


dacht, find zwey nothwendige Eigenfchaften des Ge- 
beths, und das Gebeth ift die Seele der wahren 
Gottfeligkeit, folglich das wirkſamſte Mittel zur Er: 
neuerung der chriftlichen Gefinnung, ja felbfi Die 
chriffliche Geſtnnung in ihrer lebhafteflen und anmus 
thigften Erfcheinung. 

Wie wir aber durch Innigkeit und Andacht die 
chriftliche Oefinnung täglich erwecen und beleben, 
und durch öftere Uebungen der Gottſeligkeit in der 
Bereinigung mit Gott in Chriſtus, oder im Beſitze 
und Genuffe des ewigen Lebens, befefliget werden 
können und ſollen: wollen wir nach, der Anleitung ei> 
nes Mannes, der als Kenner des chrichlichen Sinnes 
und Wandels allgemein anerkannt ift, ermagen. Denn, 
wenn wir über die Wiffenfchaft die Gelehrten, uber 
die Kunft die Kunfkler, über die Amtsklugheit die Ge— 
fchaftsmänner am liebften fprechen hören: warum foll» 
ten wir nicht, wenn von Uebungen in der Öottfeligkeit 
die Rede ift, folche vernehmen, welche fich als die 
verfrauteften Freunde derfelben bewahrt haben ? Laßt 
und demnach aus dem angeführten Grunde, zum 
Schluffe der heutigen Betrachtung, ung recht ernftlich 
zu Gemüthe führen, was das neunzehnte Hauptflud 
des erften Buches von der Nachfolgung Chrifti enthalt. 


Von den Uebungen der Gottſeligkeit. 


1. »Das Leben des Gottſeligen muß mit allen 
Tugenden geziert fepyn, damit. er im Innern genau 
das fey, was er im Aeußern zu feyn fcheint. Und 
nicht nur das: es fol in feinem Innern noch weit 
mehr Gutes ſeyn, als im Aeußern erfcheinet. 
Denn der uns in das Innere ſchauet, ift Gott, 
zu dem wir überall in tieffter Ehrfurcht auffchauen,, vor 
deffen Angeficht wir überall rein, wie die Engel, 
wandeln follen. Jeden Tag follen wir unfere erfte 
Entfchließung erneuern, und uns zu neuem Eis 


147 


fer erwecken laffen, als wenn wir erft heute uns zu 
Gott befehret hatten; jeden Tag follen wir zu Ihm 
rufen: Steh du, lieber Herr und Gott, ſteh du mir 
bey — in meinem Vorhaben, und in deinem heiligen 
Dienfte! Stärke dumich, daß ich heute einmahl 
recht anfange; denn Alles, was ich bisher gethan 
habe, ift nichts. | 

2. Wie unfer Vorſatz, fo ift der Lauf unfrer 
Befferung. And, wer immer noch beffer werden will, 
darf nie trage — muß immer fehr fleißig feyn. Wenn 
nun aber der, welcher einen flarfen Vorſatz gefaffet 
hat, doch wieder im Guten ſchwach wird: was muß 
aus dem werden, Der fich felten, oder nur fo halb 
und halb, (noch ſchwankend zwifhen Wollen und 
Kichtwollen) etwas Gutes vorfeßet? Es gefchieht ine 
deffen auf mancherley Weiſe, daß wir unſerm Vorſatz 
untreu werden, und felten können wir auch nur eine 
geringe Uebung im Guten unterlaffen, ohne uns felbft 
Schaden zu thun. Die Öerechten wollen übrigens in 
ihren Vorſätzen lieber unter dem Kegimente der Gna= 
de, als unter dem Einfluffe ihrer eigenen Weisheit 
fiehen. Gott allein ift es auch, auf den fie ſtets vers 
trauen in Allem, was fie unternehmen. Denn, der 
Menſch denfrs, aber Gottlenkt's. (Law 
fen wollen mag der Menfch;) aher das Laufen 
ſelbſt — fleht nicht immer in feiner Gewalt. 

3. Wenn du deine Andachtsubung hier und da 
aus goftfeligen Abfichten, oder um deinen Brüdern 
nüglich zu ſeyn, unterlaffeft: fo Fannft du den Faden, 
den du abgebrochen haft , leicht wieder anfuupfen. 
Aber, wenn du aus lleberdruß oder aus Nachläffigkeit 
von deinen Uebungen abgeheft: fo ift es ſchon fehr ges 
fehlt, und du wirft es bald empfinden müffen, daß 
e3 dir auch gefchadet habe. Wir dürfen wohl nach all 
unfern Vermögen vorwärts trachtene mir werden 
doch oft genug, bey geringen Anftößen, 3 urück bleis 

10 


4 


148 


ben. (Unſere Vorſätze ſollen aber nie ins Allgemeine 
laufen, ſondern) fie müffen immer auf etwas Be: 
ftimmtes gerichtet ſeyn, und vor Allem gegen das, 
was fich al$ das mächtigfte Hinderniß uns in den 
eg gelegt bat. Unſer Inneres und Aeußeres follen 
wir firenge dDurchforfchen und gewiffenhaft 0 rd» 
nen; denn das innere und das Aeußere — wenn es 
genau erforfchet und geordnet iſt, hilft ung auf dem 
Wege zum Guten weiter fort. 

4. Wenn du dich nicht:immer in dir fammeln 
(oder vielmehr dich nicht immer in dir fefthalten) kannſt: 
fo fammle dich doch hier und da, (je vfter , je beffer,) 
wenigftens einmahl im Tage, am frühen Morgen, 
oder am Abende. Am Morgen erwecde dich zu einem 
guten Vorſatze; am Abende durchforfche deinen Wandel, 
wie den Tag über deine Gedanken, deine Worte, deis 
ne Handlungen befchaffen geweſen ſeyn; denn vielleicht 
haft du darin öfter wider Gott und wider deinen Nach» 
ften gefündiget. Rüſte dich, mie ein Kriegsmann, ges 
gen die tücifchen Angriffe des Teufels. Beſiege den 
unbezahmten Geluft nach Speife und Trank, und du 
wirft dir dadurch den Sieg über die Luft des Fleifches 
ſchon gar fehr erleichtert haben. Sey nie ganz müßig; 
fondern lies, oder fchreib , oder bethe , oder betrachte, 
oder arbeite etwas zum Nußen der Gemeine. Doch 
bey leiblichen Uebungen‘ mußt du befonders vorfich- 
tig zu Werke gehen; es find nicht alle foLche Uebuns 
gen allen Menfchen im gleichen Maße anzu— 
rathen. 

5. Was nicht gemeinfame lebung iſt, das 
fielle Andern nicht zur Schau aus; denn, was eine bes 
fondere Uebung und für dich allein ift, das will, 
deiner. eigenen Gicherheit wegen, im Stillen geübet 
(geheim gehalten) ſeyn. Du mußt aber defhalb nicht 
träge zu gemeinfamen und vorfchnell zu beſon⸗ 
dern Uebungen werden, Erfi, wann du die Pflichten, 


149 
melche du mit Andern gemein haft, genau und freu 
erfullet ba dann gehörft du ganz dein, und magft, 
wenn noch Zeit vorrathig iſt, dich dem Triebe deiner 
befondern Andacht überlaffen. Es taugt nicht jede Uebung 
für ale Menfchen, und nicht alle Menſchen für einellebung. 
Diefe iſt jenem, jene diefem — angemeffen. Auch find, 
nach Unterfchied der Zeit, einige Uebungen anziehender 
für uns, al$ andere; einige an Fefltagen, andere an 
gemeinen Tagen ſchmackhafter. Anderer Uebun— 
gen bedürfen wir in den Stunden der Verfuchung, ans 
derer in den Tagen des Friedens und der Kuhe. Andere 
Gedanken find uns wilfommen, wenn uns ein Hers 
zeleid die Flügel bindet; andere, wenn wir in $reus 
de vor dem Herrn fanft "dahinfchweben, 

6. An den vornehmften Fefltagen des Jahres ſol⸗ 
len unſere guten Uebungen neues Leben gewinnen, und 
die Fürbitten der Heiligen mit mehr Inbrunſt anges 
flehet werden. Unfere guten Entfchließungen follten ims 
mer fo, von einem Fefte zum andern hin, gefaßt wers 
den, gerade als wenn wir das nächſte Feft nicht mehr 
auf Erden, fondern in dem Himmel begehen, und das 
felbft fchon den ewigen Feſttag (mit allen Freun- 
den Gottes) mitfegern würden. Eben deßwegen follten 
wir uns auf die Tage der öffentlichen Andacht ſor g— 
fam vorbereiten; follten fie mit mehr Andacht zus 
bringen; follten alles Gute, das uns obliegt, weit ges 
nauer in Ausübung bringen — alö an andern Zagen; 
indem es ung zu Gemüthe feyn füllte, daß wir in Kurs 
zem den Lohn für unfer Tagwerk von dem Herrn ems 
pfangen werden. 

7. Und, menn der Herr den Zahltag für uns 
weiter Dinausfchiebt , fo dürfen wir nur Denken: wir 
wären zum Feſte noch nicht hbinlanglich 
gefhmückt gewefen, noch nicht würdig, an der 
großen Herrlichkeit Theil zu nehmen, welche zur ber 
flimmten Zeit fid) an uns offenbaren wird; wir müß—⸗ 
fen uns alfo zum Heimgange noch beffer vorbereiten. 


— 


150 


O, ſelig, ſagt der frohe Bothſchafter Lukas, ſelig der 
Knecht, den der Herr bey ſeiner Ankunft wird wachend 
finden! Ich ſage: er wird ihn mit Vollmacht über 
alle feine Güter ſetzen.« 


Gebeth. 


Ja „ du unſer Herr und Gott! du ſtehe uns 
bey in Bollbringung des großen Tagewerkes, 
das du uns mit unferm Daſeyn auferlegt haft. 
Belebe du täglich in uns, durch Einwirkung dei- 
nes heiligen Geiftes, das Leben des Glaubens, 
der Hoffuung und der Liebe, und verleihe uns, 
daß hierdurch unfere hriftliche Geſinnung nicht nur 
nie ſchwächer, fondern immer mit frifcher Kraft 
ausgerüftet werde; laß uns täglich im Sinne des 
Apoſtels, Phil. IT. 13. mit Herz und Mund fpre- 
en: »Wir vergeffen , was hinter uns ift, und 
ftrecken nach dem uns aus, was vor uns liegt. 
Dem vorgejteckten Ziele eilen wir zu, dem Sie— 
gespreife der himmlifhen Berufung Gottes in 
Ehrifto Jeſu. Diefem Ziele führe uns du entge- 
‚gen, und täglich naher, bis wir es erreicht ha— 
ben werden.« Amen. 





XXI, 


Wenn dem Chriften jeder Tag — ein Tag des Herrn 
iſt, an dem fich feine Andacht neu belebet, und die Lobpreifung 
Gottes mit erneuerter Kraft ihm aus Herz und Lippen ftrömet: 
fo wird ganz befonders der Sonntag, der Tag des Herrn, ihm 
ein Tag bes Herren feyn, zur Unbethung geweiht 


151 
unddurh Belebung hriftliher Gefinnungen ges 
feyertwerden follen. 





\ 


. Dreyundzwanzigfter Tag. 


Bon Erneuerung der chriftlichen Gefinnung durch die 
Geyer des Sonntags. 


Shriftftellem 


T; Senke ‚ den Sabbath zu heiligen. Sechs Tage follft 
du arbeiten und thun, was du zu thun haft. Der fiebente Tag 
ift der Sabbath des Heren, deined Gottes; an diefem Tage 
fol nidyt arbeiten weder du, noch dein Sohn, noch deine Toch— 
ter, noch dein Knecht, nod) deine Magd; noch dein Vieh, 
noch der Fremdling, welcher in deiner Stadt wohnet, Denn 
in ſechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde, dad Meer 
und- Alles, was darin ift, gefchaffen; am fiebenten Tage hat 
er geruhet: deßhalb hat der Herr den Sabbath gefegnet und 
ihn geheiliget. II. Moyſ. XX. 8— 11. 

2. Shr faftet um zu zanken, um zu vaufen und euch 
ruchloß mit Zäuften zu fchlagen? Faftet lieber nicht, wie ihr 
es bis auf den heutigen Tag thatet, fo daß man euer Gefchrey 
bis in die Höhe höret! Sft das die Faſte, die idy mir wählte ? 
da3 ein Tag, an dem ein Menfd) feine Seele demüthiget? 
Iſt's damit gethan, daß er wie Binfen ſich krümmet, in einen 
Sad Eriecht, und ſich mit Afche voll ftreuet ? Das wollet ihr 
eine Faſte, das einen dem Herrn wohlgefälligen Zag heißen ? 
Sft die Faſte, die ich mir gewählet habe, nicht vielmehr die, 
daß ihr eud) die Feffeln der Gottlofigkeit ablöfet , die fchweren 
Laften abftellet, den Bedrückten freylaffet, und jedes Zoch zer: 
trümmert? Iſt's nicht die, daß du mit dem Hungrigen dein 
Brot theilen, daß du den verftoßenen Armen in dein Haus 
aufnehmen, wenn du Einen nadend fiehft, ıhm Eleiden, und 
dich deinem eigenen Fleiſche (deinem Bruder) nicht entziehen 
ſollſt? Dann wird dein Licht gleicd) dem Morgen hervorbrechen ; 
dann wird dein Heil fcyleunig grünen; dann wird deine Ge: 
vechtigfeit vor dir hergeben, und die DerrlichEeit der Herrn dich 
aufnehmen. Dann wird auf dein Rufen der Herr dich erhö— 
ren, dann wird auf dein Schreyen er fagen: Hier bin ich! 
Wenn du aus deiner Mitte das Zoch, das Fingerzeigen, das 


152 


fehnöde Geplauder abgefchafft; wenn du dem Hungrigen bein 
Herz geöffnet, und die fchmachtende Seele gelabet haben wirft: 
ja, dann wird im Dunkel dein Licht aufgehen ; dann wird dei: 
ne Mitternacht zum Mittage werden ; dann wird der Herr, 
dein Gott, did) immerfort leiten, wird in der Dürre deine 
©eele fättigen, wird deine Gebeine ftärfen, und du wirft ei- 
nem gewäfferten Garten, einer Quelle gleichen, deren Waffer 
nie verfieget. Da wird durd) did) angebauet werden, was 
lange wüfte gelegen; du wirft die Grundfefte vieler Geſchlechter 
aufführen; du wirft heißen der Ausbefferer der Riſſe, der Wie: 
derherfteller der Wege, daß man da wohnen kann. Wenn du 
am Sabbathe deinen, Gang ändereft, und an diefem mir heiligen 
Zage nicht thueft, was deine Luft ift, fondern fagft: Der 
Sabbath ift die Wonne des Herrn, ift ihm heilig, ift ehrwür— 
dig; wenn du ihn denn fo ehreft, daß du an demfelben nicht 
deinen Wegen nachwandelſt, nicht deine Luft befriedigeft und 
nicht mehr deine Reden führeft: dann wirft du im Herrn dic) 
freuen , und ich will dich über alle Höhen der Erde erheben und 
didy mit dem Erbgute deines Vaters Jacob ſpeiſen. Sieh! 
das er der Mund ded Herrn geredet, Jeſaias LVIII. 
4 — 14. 

3. Ich, der Herr, bin euer Gott: haltet euch) an meine 
Verordnungen und befolget fie. Heiliget meine Gabbathe; 
fie folen ein Zeichen der Vereinigung zwifchen mir und eudy 
feyn; dadurch follet ihr zu erkennen geben, daß ic) der Herr 
euer Gott fey. Ezech. XX. 19. 20. 

4. Ölaubet doc) nicht, ich fen gefommen, das Geſetz 
oder die Propheten aufzuheben. Nicht, um fie aufzuheben, 
bin ich gefommen , fondern um fie zu erfüllen. Matth. 
V. 17. 

5. Der Sohn des Menſchen iſt auch des Sabbaths Herr. 
Eur. van 5: ' 

6. Der Geift iſt's, der Iebendig macht: das Fleifch nußt 
nichts. Joh. VI. 64. 


Betradhtung. 


Wenn die chriffliche Geſtnnung erneuert und 
ſtets mehr befeftiget werden fol: fo muß, wie wir fchon 
Plar genug erkannt haben, das menfchliche Gemüth 
vorerft von Allem , was gewöhnlich zur Zerftreuung bey» 


155 


trägt, und den irdifchen Sinn in Anfpruch nimmt, zus 
rücfgerufen und befreyet, und dann du Gott und gütts 
lichen Dingen bingewendet, und mit ihnen befreundet 
werden. Beydes will und fol die Feyer des Sonnta—⸗ 
ges bewirken, und deßhalb ift e3 diefer Tag, an dem 
die chriftliche Gefinnung vorzüglich belebet werden fol; 
denn dazu ift er eingefeßt, daß durch feine Feher der 
Glaube, die Hoffnung und die Liebe des Ehriften neu 
aufgefrifcht, und die Empfanglichfeit für Gott und 
göttliche Dinge ſtets erhöhet und erweitert werde. 

Bey der wirklichen Sonntagsfeyer (dasfelbe gilt 
von jedem andern Feyertage) find nun zwey Dinge 
wohl zu unterfcheiden und zu beberzigen : 

Erftens: das Ruhen von Enechtlicher Arbeit und 
jeglicher Anftrengung , die bloß auf die Zwede des ir- 
difchen Lebens Bezug hat; " 

Zweytens: die Befchaftigung des Geiſtes 
mit Gott und göttlichen Dingen, die Theilnahme an 
den feyerlichen Handlungen des innern und aus 
Gern Gottesdienftes, welche die eigentlichen 
Gefchäfte des Sonntages find. Das Erflere, Das 
Ausruhen von Fnechtlicher Arbeit, fol zur Samms 
lung des Gemüthes begtragen, und ift eine Bedingung, 
ohne welche der Menfch nie recht zu fich Fommen, nie 
zu jener Innigfeit gelangen würde, ohne welche Fein 
wahrhaft gottfeliges Leben beftehen Fann. Das Zweyte, 
die Befchäftigung mit Gott und göttlichen Dingen, 
ift die eigentliche Aufgabe der Sonntagsfeyer; indem an 
diefem Tage alles Heilige und Erhabene, was die Re— 
ligion in fi) faßt, von feiner anfchaulichften Seite 
dem Ehriften zu Gemüthe geführt werden fol; damit 
der Ölaube , die Hoffnung und die Liebe des Chriften 
belebt, und hierdurch die chriftliche Gefinnung , fo mie 
auf eine vorzugliche Weife erneuert, alfo auch befräfe 
tiget und befeftiget werde. 


154 


Denn, wa3 am. Sonntage dem Gemüthe des 
Ehriften befonder3 nahe tritt, ift die Auferftehung 
des Herrn, der, wie Paulus Kom. IV. 25. fihreibt, 
unferer Sünden wegen zum Zode überliefert, und: unſe— 
rer Gerechtmachung wegen aus den Todten erweder 
worden ifl. Größeres, Höheres, Seligeres hat der 
Ehrift nicht zu feyern, als das ewige Leben in 
dem erftandenen Erlöfer. Wir haben in 
Jeſus einenlebendigen hohenpPrieſter, eis 
nen lebendigen Weltheiland, der, als der 
Erftgeborne aus den Todten, uns durdy 
feinen heiligen Geift gerecht macdhet, und 
mit fih auf den Thron der Herrlichkeit 
fetzet zur Ehre des Vaters, 

Das ift der große Inhalt der Sonntagsfeyer. 
Das: Jeſus lebt und ſtirbt nicht mehr; Je— 
fu$ lebt und wir mit ibm — das hebt unfern 
Glauben, das befeftiget unfre Zuverficht, das zündet 
unfre Liebe, daS belebet den innerften Sinn des Chri— 
ften. Hat doch der Ölaube an die Auferftehung Chri⸗ 
ſti, durch die Apoftel verfündet, die jüdifche und heid- 
nifche Welt zu Einem lebendigen Haufe Gottes umge: 
wandelt: folte denn nicht auch der Sonntag, als 
eine lebendige, in jeder Woche und an jedem 
erften Wochentage wiederkehrende und die Welt durch» 
hallende Predigt von der Auferftehung des Herrn , das» 
felbe Wunder der Gnade in ‘den Herzen der Ehriften 
erneuern funnen? — — 

Wenn aber die Sonntagsfeyer alle anflrengenden 
Arbeiten des Leibes, fo wie auch alle geiftigen Geſchäf— 
fe, die nur eine irdifche Beziehung haben, und die Rich» 
tung des Gemüthes zu göttlichen Dingen hemmen und 
ftören, nach) dem Buchftaben des Gebothes ausſchließt: 
fo fol dadurch nicht bloß dem Korper Ruhe und Ers 
hohlung verfchaffet werden; obgleich auch diefe Ruhe und 
Erhohlung zu den Wohlthaten gehört, welche die Sonn: 


155 


tagsfeyer dem menfchlichen Sefchlechte, ja felbft den 
Zhieren, gewähren will :.fondern der eigentliche Zweck 
der vorgefchriebenen Ruhe liegt höher, und ift fein ans 
derer, als den Menfchengeift von allen irdifchen Sor⸗ 
gen los- und für himmlifhe Dinge an =» zufpannen. 
Die rechte Feyer will den Menfchen, als 
Bürger der Welt, dem Dienfte der Welt 
vollends entziehen; damit Derfelbe 
Menſch, als Bürgereiner höhern, beffern 
Melt, ganz und ungetheilt dem Herrn 
feinem Gott dienen.möge. Ich fage: ganz 
und ungetheilt; denn der Menfh kann nicht 
ziweyen Herren zugleich, nicht Gott und dem Mam⸗ 
mon dienen; er kann fein Herz nicht theilen: wo der 
Schatz iſt, da ift das Herz, und mit dem Herzen der 
ganze Menfch. So lange demnach irdifche Sorgen das 
Herz ausfüllen , hat es feine Empfänglichkeit für Gott 
und für göttliche Dinge. 

Diefe Wahrheit wird leider! | in unfern Tagen auf 
eine höchſt traurige Weife beftätiget ; denn, wo der Gonns 
tag aus was immer für Urfachen, wenn nicht zu eis 
nem gänzlichen Werktage, doch, was noch viel ver⸗ 
derblicher ft, zu einem bloßen £ufttage geworden 
ift: da verwildern die Menfchen immer mehr und mehr 
und verlieren allmahlig den Sinn für dag Ewige 
Unmiffenheit in den höchſten und mwichtigften Angelegens 
heiten der Mienfchheit gewinnt in Städten und Dör⸗ 
fern überall die Oberhand ; die Gefinnung wird heid- 
nifch, Gott-los, das Leben ganz roh und ungefittet, 
und die Bande der Drdnung im Familien» und im 
bürgerlichen Leben verlieren immer mehr an Haltung 
und Feftigkeit. Die raufchenden Wergnügungen, die 
wechfelnden Luftpartien aler Art, die auf den Sonn— 
tag verlegt werden, verfcheuchen den Ernft der chriftlis 
chen Öefinnung mweit-mehr, als es an den Tagen der 
Arbeit durch Arbeit nicht wohl gefchshen kann, und, 


156 


nachdem man den Sonntag bereits zum Zufttage ers 
niedriget hat: fo ift es eine unausbleibliche Folge, daß 
er nun auch zu einem privilegirten Sünden 
tag herab gemwiürdiget werde. 

So tritt oder wird vielmehr geftußen der Tag des 
Herrn aus feiner urfprüunglichen Beſtimmung; denn, 
da er den göttlichen Beruf hatte , die chriftliche Ge— 
finnung zu beleben: fo fieht er fich jest verurtheilt zum 
fehandlichen Frohndienfte, die chriftliche Geſin— 
nung zu ertödten, 

Penn ich nun den heiligen Ernft erwäge, der in 
dem Gebothe der Sonntagsfeyer ausgefprochen iſt; wenn 
ich den Geift des Gebothes zu Herzen faffe, der fein 
anderer ift, als den Leib von anſtrengender Arbeit 
frey, und dadurch der Seele Luft zu machen, daß 
fie fich der göttlichen, ewigen Angelegenheit ungeftört 
widmen Fünne; wenn ich die verderblichen Folgen, die 
mit Entheiligung des Sonntags verknüpft find, erwä— 
ge: fo Fann ich nicht umhin, neue Entfchlüffe in diefer 
Hinficht zu faffen. Auch ich habe bisher am Sonntage 
die Sabbathsruhe nicht in dem Sinne mir heilig feyn 
laffen, wie das Geboth der ewigen Weisheit will, daß 
wir an diefem Tage ruben follen. Denn, wenn auch 
nicht mit Förperlichen Arbeiten, babe ich mich doch mit 
mancherley Öefchäften abgegeben, welche die Seele von 
Gott hinwegziehen, und das Herz, wo nicht mit ganz 
eiteln Dingen, doch mit folchen ausfüllen, welche das 
Leben der wahren Andacht hemmen und fchwächen. 
Wenn ich an folchen Tagen nur der Wiffenfchaft, oder 
der Kunſt, oder der Politik lebe: fo ift das Geborh 
des Herrn nicht erfüllt, ob ich mic) gleich von jeder 
Fnechtlichen Arbeit enthalten habe ; zumahl die Wiffene 
fibaft, die Kunft, die Politif den Menfchen dergeftalt 
in Anfpruch nehmen und fo ausfüllen können, daß für 
die Religion Feine Empfänglichkeit, Feine Neigung, 
Feine Kraft, und Feine Zeit mehr übrig bleibt. 


157 


Sechs Lage mögen für Dinge verwendet werden, 
die Feinen Beftand und fihon gar feinen ewigen 
Werth haben, oder doch zur GStillung unferer zeitlie 
chen Bedürfniffe nöthig, oder wenigſtens dienlich find: 
ift es denn zu viel gefordert, daß nach dem alten Bun⸗ 
de der fiebente, und nach dem neuen der erfte Tag , der 
Sonntag, der als das erfte, ältefte und bedeus 
tendfte Ehriftenfeft angefehen werden muß, und zus 
folge göttlicher Einfeßung der Sag des Herrn if, 
an welchem Priefter und Volk in Einem Geifte ver: 
fammelt, ‚gemeinfchaftlich ihren Glauben beleben , ihre 
Hoffnung ſtärken, ihre Liebe entzunden, und fomit die 
chriftliche Gefinnung in jeder Hinficht erneuern kön— 
nen, wo nicht ausfchließlih, doch vorzugsmweife zur 
Ordnung und Sicherung unferer ewigen Angelegen hei— 
ten verwendet werde ? Sollten denn Ehriften fo tief fin» 
en Eönnen, daß auch. diefer äußerſt wichtige, und der 
Fever des ewigen Lebens gewidmete Tag für die nichti= 
gen Gegenftände diefer Welt mißbraucht würde ? Wels 
che Thorheit könnte größer ſeyn, als die, daß mir für 
das Unwichtige und Vergängliche alle Zeit, und 
für das Höchfte, das Heiligfte der ganzen Menfchheit, 
für das unfterbliche Leben der Seele, gar feine Zeit 
verwendeten? — 


Gebeth. 


Halte, o Herr, mein Gott! dieſe größte und 
verderblichfte der Thorheiten doch jtets fern von 
mir, und laß mich die weile Abficht der Ruhe 
von allen irdiſchen Sorgen und Gefchaften , die 
dem Sabbathsgebothe zu Grunde liegt, immer 
mehr erkennen und beherzigenz damit ich den ho— 
hen Zweck des Sonntages nie aus den Augen 
verlieren möge, 


158 


Indeſſen haft Du, o Herr! nicht Ruhe ge- 
bothen der Ruhe wegen; denn Du liebft nicht 
den Müßiggang, und wirkft ſelbſt immer fort; 
Du willft den Menfchen nur von allen irdischen 
Sorgen und Arbeiten losmachen, um ihn für die 
Angelegenheiten einer andern Melt in Bewegung 
zu feßen; Du entzieheft ihn der Zeit, um ihn 
ganz hinzuwenden zur Ewigkeit. Deßhalb ift 
Dir dienen, und Dem ewigem Heile des 
menfhlihen Geſchlechtes dienen, er 
nerley; weil unfre Heligung dein Mille, und 
die Bollbringung dieſes deines Millens der ans 
genehmfte Dienft ift, den wir Deiner Maje- 
ftät erweifen können. Daher die rechte Sonn 
tagsfeyer den Ehriften felbft heiliget, indem fie 
ihn deinem Dienfte weihet. Und Alles, das dei— 
ne Kirche zur Heiligung des Sonntags ordnet, _ 
fol nur dazu mitwirken, daß die echte Geſin— 
nung des Chriften neugeweckt und nengeftarkt 
werde. Diefen und Eeinen andern Zweck haben 
a) das heilige Opfer, b) die gemeinfamen & e= 
bethe der Kirche, c) die Predigten umd 
Ghriftenlehren, und d) die Sacramente, 
die an diefem Tage gefpendet und empfangen 
werden. 

Bon num an foll es mir alfo eine der wid) 
figften Angelegenheiten feyn, dem göttlichen Sinne 
der Sonntagsfeger immer mehr nachzufor— 
fhen und nachzuleben, bis ich denfelben er- 
forſcht und erreicht haben werde. An jedem 
Sonntage will ich deßhalb bey dem Hochamte 
und der Predigt zugegen ſeyn, mitopfernd, 
mitanbethend und mithorchend auf das 
Mort des Herrn; das fchwahe Leben meiner 
Andacht foll durch die flammende Andacht der 
Gemeine entziindet werden, und, von dem Gan— 


159 


zen belebet, auf Belebung des Ganzen dankbar 
zurückwirken, bis die einzelnen Feuerfunken zu: 
fammenfchlagen, und ein großes Flammenmeer ge— 
bildet haben werden — zur Ehre Gottes und 
zum Segen der Ehriftenheit. 3 

Dieß ift mein Gebeth, dieß mein Entſchluß! 
Herr, Du haſt ihn mir eingegeben; der du das 
Wollen gegeben haſt, o, gib mir auch das 
Vollbringen! Amen. RR 





XXIV. 


Die Feyer des Sonntags trägt zur Erneuerung, und zur 
Befeftigung der hriftlichen Gefinnung bey; indem fie das Gemüth 
von irdifhen Gefchäften und Sorgen weg, und zum Göttlichen 
und Emwigen hinwendet. Das Göttlihe und Ewige immer 
mehr zu erfaffen und feftzuhalten, oder mit den Wundern der Er— 
barmungen Gottes ftets inniger vertraut zu werden, das ift die 
Eine Aufgabe, wie der chriftlichen Sonntagsfeyer, fo auch der ans 
bern hohen Feſttage des Herrn, feiner hochbeanadigten Mutter, 
feiner Apoftel, und der übrigen Heiligen Gottes. Alle Chriften, 
welche diefelbe nach der Abficht der Eatholifhen Kirche feyern, 
haben diefes Eine Ziel im Auge, und ringen bemfelben muthig 
entgegen. g 





Bierundzwanzigfter Tag. 


Bon Erneuerung der chriftlichen Gefinnung durch die 
Geyer der übrigen Fefltage des Jahres, 


Schriftftellen 


1. m Anfange war das Wort, und das Mort war bey 
Gott und Gott, war das Wort. Dasfelbe war im Anfange 


160 


bey Gott. Alles ıft durch dasfelbe gemacht, und ohne das— 
felbe ift nicht$ ‚gemacht, ‚was gemacht iſt. In Ihm. war das 
Leben, und das Leben war das Licht der Menfchen. Und das 
Licht Teuchtete in der Finfterniß; aber die Zinfterniß bat es 
nicht beariffen. Joh. I. 1 —5. 

2. Und. das Wort ift. Fleifch, gemorden und hat unter ung 
gewohnet; wir fahen feine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des 
Eingebornen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Joh. I. 14. 

3. Aus feiner Fülle haben wir Alle empfangen Gnade 
über Gnade. Joh. I. 16. 

4. Es ift die Gnade Gottes unfers Heilandes allen Men- 
ſchen erfchienen, und lehret uns, die Gottloſigkeit und die 
weltlichen Lüfte verläugnen, und nüchtern, gerecht und gott— 
felig in diefer Welt leben, und entgegenharren der feligen 
Hoffnung und Erfcheinung der Herrlichkeit des großen Gottes 
und unferd Deilandes Jeſu Ehriftt, welcher ſich felber für ung 
bingegeben; damit er uns erlöfete von aller Ungerechtigkeit und 
ung reinigte zu feinem eigenthümlichen Wolfe, das eifrig ın 
guten Werfen wäre. Zit. II. 11 — 14. 

5, Der Engel Fam zu ihr hin (zu Marta der Zungfrau, 
welche mit Joſeph verlobet war), und ſprach: Sey gegrüßt du 
Hochbegnadigte,, der Herr ift mit dir, du Geſegnete unter 
den Weibern! Du haft Gnade gefunden bey Gott. Sieh, 
du wirft empfangen in deinem Leibe, und einen Sohn gebären, 
und feinen Nahmen follft du Sefus heißen. © Diefer wird 
groß feyn, und Sohn des Höchften genannt werden, Gott 
der Herr wird ihm den Thron feines Vaters Davids geben, 
und Er wird König feyn über das Haus Jakobs in alle 
Ewigkeit. Und feines Reichs wird Eein Ende feyn. Luk. I. 
28. 530 — 35, 

6. Bey Gott it Fein Ding unmöglich. Maria ſprach: 
Sieh die. Magd des Herrn! mir gefchehenad) deinem Worte. 
Luk. 37. 36: 

7. Was ſuchet ihr den Lebendigen unter den Todten? 
Er a nicht bier, fondern er ift auferitanden. Luk. XXIV. 
8. Jeſus ftand inihrer Mitte, und fpracdy zu ihnen: Der 
Sriede fey mit Euch! Ich bin’s! Fürchtet euch nicht. Luk. 
XXIV. 36. | 

9. Dann fehle Er ihnen den Sinn auf, daß fie die 
Schrift verftänden, und fprady zu ihnen: Alfo fteht ed ge— 
fehrieben , und alfo mußte Chriftus leiden, und von dem Tode 
wieder auferftehen am dritten Zage, Und nun muß in oa 

aD: 


161 


Nahmen Buße und Vergebung ber Sünden geprediget werben 
von Serufalem angefangen. Ihr nun feyd Zeugen davon. 
Ich fende die Verheißung meines Vaters in euch herab, Bleibt 
in der Stadt, bis ihr mit Kraft aus der Höhe angethamn wer⸗ 
det. Ruf. XXIV. 45— 49. 
10, As nun der Pfingfttag eintrat, waren Alle einmüs 
tbig am nähmlicyen Orte beyfammen,  Apoftelg. I. 
114. Und Alle wurden voll, heiligen Geiftes, und fingen 
an in fremden Sprachen zu reden, fo wie e3 ihnen der heilige 
Geift in den Mund legte. Apoftelg. II. 4. 

12. Durdy die Hände der Apoftel aber gefchahen viele 
Zeichen und Wunder unter dem Wolke. Apoſtelg. V. 12. 

13. Nach diefem fah id) eine große Schar, die Niemand 
zählen Eonnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern 
und Sprachen. Sie ftanden vor dem Throne und vor dem 
Lamme , angethan mit weißen Kleidern, und hatten Palmen 
in ihren Händen. Dieſe find es, die aus der großen Zrübfal 
Famen, und ihre Kleider gewafchen;, und fie weiß gemacht ha— 
ben im Blute des Lammes. Das Lamm in der Mitte des Thro— 
nes wird fie weiden, und zu den Quellen der lebendigen Waf: 
fer führen: und Gott wird alle Thranen abrifchen, £ von ihren 
Augen, le Sob. VII. 9. 14, 17. 


Betrachtung. 


Möchte es mir vergönnt ſeyn, in den tiefen Sinn 
einzudringen, welcher jedem feſtlichen Tage der chriſtli— 
chen Kirche zum Grunde liegt! Zu dem Ende will ich 
öfters überdenken und erwägen, was die oben angeführ⸗ 
ten Stellen aus den heiligen Schriften andeuten; und 
will darnach ringen, die hohen Abfichten zu erreichen, 
welche die Kirche an diefen Tagen allen ihren Ölaubi» 
gen vor die Augen fiellt. Das foll ich, das will ich. 

Ich fol, ich will am hochheiligen Weihnachtsfes 
fte mit ehrfurchtsvoller Anbethung mir zu Gemüthe füh— 
ten, wie das ewige Wort Fleifch geworden ſey; damit 
das Fleifch, die menfchliche Natur, der Herrlichfeit Got⸗ 
tes wieder theilhaftig werde; mie der Eingeborne des 
Vaters vom Himmel auf die Erde herab gefummen ſey, 
um die Bewohner. diefer Erde wieder zum Himmel em- 

Sailer, d. chriſtl. Monath. 11 ? 


162 


porzurichten; wie Gott Menſch geworden, und in Als 
lem, die Sunde ausgenommen, dem Menfchen gleich 
geworden fey; damit die Menfchen durch ihn Gott ähn⸗ 
lich werden möchten. 

Ih fol, ich will tiefanbethend betrachten, daß 
wir Chriften Gott nicht bloß in der Natur und der 
wunderbaren Einrichtung und den Staunen erregenden 
Erfeheinungen derfelben zu fuchen haben, wie etwa die 
Heiden z ich will mit frohem Herzen erwägen, daß er, 
der -Herr unfer Gott und Water, nicht bloß durch Die 
Weifen und Propheten der Vorzeit zu ung res 
de, mie einft zu den Juden: fondern wie er fo gnadig 
und freundlich, und. für uns Menſchen fo menfchlich ers 
fchienen ſey in Chriſtus, und wir in Chriſtus die Fül— 
le aller Gnaden und aller Wahrheiten haben. 

Allein, ich fol und will auch nicht vergeffen, will 
mir vielmehr tief einprägen., wozu Gott fo menfchlich, 
fo freundlich in Chriſtus erfchienen ſey; ich fol, ich will 
ernftlich bedenken die Worte des Apoſtels, welche die 
Abficht diefer wunderbaren Erfcheinung mir an's Herz 
legen wollen: Die Önade und die Freund: 
lichkeit Sottes.ift uns in Chriſtus erfdhie 
nen,um uns in Zucht gu nehmen, und das 
zu und zu vermögen, daß mir alles um 
göttliheWefen, alle weltlichen Lüſte ver- 
laugnen,und ein nüchternes, gerechtes und 
gottfeliges Leben führen. Denn, wenn ich 
der göttlichen Herrlichkeit theilhaftig werden, ja wenn 
ih auch nur die Herrlichkeit des Waters voll Gnade 
und Wahrheit in Jeſus Ehriftus wahrhaft fchauen, vers 
ehren und liebgewinnen fol: fo muß ich vorerfi von 
allem ungottlichen Weſen gereiniget worden feyn. Aus 
meinem innern und äußern Leben muß alfo entfernt 
werden jede Bewegung der Ehr⸗ und Herrfchfucht, der 
Eitelfeit und Hoffart des Lebens, der Unmäßigkeit und 
Unzucht, der Habfucht, der Feindfchaft, des Neides, 


163 


des Zornes, der Rache, der Lift und Gemwaltthatigkeit; 
von diefem und allen andern Ausgeburten der Hölle fol 
meine Seele vorerft gereiniget und befreyet feyn; denn 
diefe Erfcheinungen des ungottlichen Willens vertragen 
fich nicht mit der Herrlichfeit des Vaters voll Gnade 
und Wahrheit in Ehriftus. Deßwegen will ich vor dem 
jedesmahligen Weihnachtsfefte, und wann mich fonft 
ein guter Geift dazu treibt, den Worten des Taufers 
Fohannes Gehör geben: Thut Buße! denn das 
Himmelreich ift nahe gefommen. Bereitet 
den Weg des Herrn, machet feine Fußſtei— 
geeben. Matth. III. 2. 3. 

Ich will, geftärft von der Gnade Chriſti, nicht 
nur mein inneres und äußeres Leben reinigen von als 
lem ungöttlichen Wefen, fondern es auch zu zieren trach> 
ten mit dem Schmude jeder Tugend, der Züchtige 
keit, Keuſchheit, Mäßigkeit, Eingezogen- 
heit, Gerechtigkeit, Billigkeit, Güte, 
Großmuth, Aufopferung für Andere, und 
wahren Gottſeligkeit; denn Gott iſt in Chri— 
ſtus fo menſchenfreundlich und erſchienen, um uns in 
Zucht zu nehmen, d. i. um uns zu erziehen und 
heranzubilden zur wahren Menſchheit, zu einem hö⸗— 
hern und beſſern, zu einem vollkommenen und ſeligen, 
d. i. zu einem göttlichen Leben. Das fol ich, 
das will ich. 

Sch will aber auch mit Zudverficht der Herr- 
Lichkeit entgegen fehen, in der einft Chriftus erfcheinen 
ıwird, und fo in meinem Geifte eine dreyfache Ankunft 
Chriſti feyern: die Ankunft im Fleifche, die ges 
\fchehen ift, die Ankunft im Innerften eines 
jeden Chriften, die gefchehen fol, und die Ans 
Zunft am Ende der Lage, die gefchehen wird; 
und, folgend der Ermahnung des heiligen Leo, Gott 
dem Vater durch feinen Sohn im heiligen Geifte Dank 
fagen, daß er aus überſchwänglicher Liebe ſich unſer 

11 





164 


erbarmet, und in Fülle der Erbarmung ung aus dem 
Tode der Sünde zu neuen Wefen umgefchaffen hat. 
In Erinnerung an diefe unausdenfliche Wohlthat der 
göttlichen Liebe will ich den alten Menfchen mit allen 
feinen Werken immer mehr ausziehen, und mit der 
Kraft des neuen Menfchen angethän, allen Gelüſten 
des Fleifches mwiderftehen. Anerkennend die hohe Würs 
de des Chriften, der göttlichen Natur theilhaftig zu 
fepn und immer mehr zu werden „ will ich mich vor 
jedem Wiederverfinfen in’ den Staub der Erde zu be 
wahren trachten,, und. nie vergeffen, unter welchem 
Haupte, und von welchem Leibe ich ein Glied, und 
wie ich ‚von der Macht der Finfterniß befreyet, und in 
das Lichtreich Gottes emporgehoben bin, 

Wie Fönnte ich aber die wunderbare Geburt des 
Weltheilandes in fliller Anbethung betrachten... ohne zu= 
gleich an diejenige erinnert zu werden, durch welche er 
geboren ward? Wie den göttlichen Sohn im Geiſte und 
in der Wahrheit anbethen, ohne die heilige Jungfrau 
zu verehren, die Gott als die Gefegnete vor allen ihres 
Gefchlechtes auseroren bat, die Mutter feines Einges 
boriten zu werden? 

MWahrhaftig, alle Wunder der ‚göttlichen Liebe, die 
an ihr geſchehen ſind, und die uns an beſondern Ges 
dächtnißtagen in’s Andenken gebracht werden, fordern 
und auf, Gott, der fo große Dinge an ihr gethan hat, 
zu 'preifen, und fie felbft, befonders durch Nachahmung 
ihrer Tugenden, zu verehren. Glaube und Demuth, 
Gehorfam und Ergebung, Innigkeit und Andacht — 
das war ihr Leben: und diefem ihren Vorbilde nachzus 
leben, fey unfere Verehrung! Dadurch werden fich eben 
jene Öefinnungen in uns nähren und feftigen, die fie 
bey verfchiedenen Anlaffen auf eine fo erhebende und 
anmuthige Weife an den Zag' gelegt hat ; die fie in der. 
Antwort auf den Gruß des Engels fo kurz ausgedruckt: 
Siehe! ih bin die Magd des Herinz e$ 


165 


gefchehe mir, wie du yeah und vor ihrer 
ehrwürdigen Baſe Elifabeth in der Fülle hoher Begei⸗ 
ſterung ausgeſprochen hatte: Hoch erhebet meine 
Seele den Herten, und mein Öeift froh— 
locket in Gott, meinemHeilande! ꝛc. Luk. 
1, 38 —55. 

Hier leuchtet es mir aber auch ein, daß jede wah- 
re Verehrung der jungfräulichen Mutter auf ihren gött- 
lichen Sohn, durch den fie fo ehrwürdig für jeden Chris 
fen geworden, ſich bezieht, und jede gottgefällige 
Nachahmung ihrer Tugenden uns vermögen wird, mit 
Chriſtus vertrauter und inniger bereiniget ‘zu werden. 
Hat er ja Telbft zu jenem Weibe, das feine Mutter fo: 
felig gepriefen, das große Wort gefprochen: Viel— 
mehr felig find die, welche das Wort Öokts 
tes hören und bewahren. Luk. XI. 22. 

Und auch Maria wird gerade deßhalb befonders 
gepriefen ; weil fie ale Gottes Worte fo treu in ihrem 
Herzen bewahret hatte. Luk. IL 19. 

Folgend dem Beyſpiele der Hochbegnadigten, will 
ich den Lebensgang, das Leiden und die Verherrlichung 
ihres göttlichen Sohnes im Gemüthe bewahren; mil 
die Gefchichte des Herrn an mir fich erneuern laffen ; 
will mit ihm leiden und fterben, vom Tode erftehen, und 
zum Himmel auffahren lernen; indem ich mit der hos 
hen Bedeutung der übrigen feftlichen Tage, des großen 
Donnerstages, des heiligen Freytages, des jubelvolen 
Oſter⸗ und Auffahrtstages mich vertraut mache, und 
in diefer ganzen Feyer die Mutterhand der Kirche mich 
leiten laffe. Das foll ich, das will ich. 

Am heiligen Pfingftfeite fol ich, will ich mit den 
erften Jüngern Zefu im Gebethe verharren, um des Geis 
fies empfanglich zu werden, den Ehriftus allen Glaubis 
gen verbeißen, und über die Apoftel an diefem Tage 
wirklich ausgegoffen hatte; ich foll, ich will mein Ger 
müth vorbereiten und auffchließen für den heiligen 


s 


166 


Geift, der allein in's göttliche Reich einweihet; ins 
dem er an Alles erinnert, was Chriſtus gelehret, und 
in alle Wahrheit führer. 

"Die Wirkungen diefes Geiftes in den Füngern Jefu 
leuchten vorzüglich aus der Macht ihres Wortes 
von Ehriftus al$ dem Heile der Welt, aus dein himm⸗ 
lifhen Muthe, fich für den Nahmen Chriſti und 
feine Kirche zu opfern, und aus den Zeichen und Wun⸗ 
dern hervor, welche der Herr durch die Hande der Apo⸗ 
fiel gewirft hatte. Diefe follen der Gegenfland meiner 
Betrachtung und Beherzigung feyn an den feftlichen Tas 
gen, welche dem Andenken und der Verehrung der Apo« 
ftel gewidmet find; da foll ich, da mwill ich immer mehr 
einfeben lernen, wie Gott das Thoörichte vor der 
Welt erwahlet babe, um die Weifen, das 
Schwache erwahlet habe, um das Starte 
zu befhämen, und das Öeringe vor der 
Welt, und das VBerachtete, und das da 
nicht3 ift, erwählet babe, um zu nidts 
zu machen, was Etwas iſt; damit Fein Menſch 
vor Gott fih rühme, fondern wer fid 
rühmet, des Herrn ſich rühmen möge. I Kor. 
I. 27 — 31. 

Mit Dank und inniger Rührung ſoll ich, will ich 
betrachten, wie durch die Gaben des heiligen Geiſtes, 
die ſich in den Apoſteln, und durch die Apoſtel auf ihre 
Nachfolger ergoſſen haben, auch wir Mitbürger 
der Heiligen und Hausgenoſſen Gottes 
geworden ſeyen, Epheſ. II. 19 — 22., erbauet 
auf den Grund der Apoſtel und der Pros 
pheten; wovon der Ecfftein Jeſus Ehri- 
ftus ift, Durch welchen das ganze Gebäu— 
de zufammen gehalten wird, und empor 
wächft zu einem heiligen Tempeliu dem 
Herrn;dem auch mir als fo viele Wohnuns 
gen Gottes mit eingebauet werden, wenn 


167 


wir anders Entfchloffenheit und Beharrlichkeit genug 
haben, dem Benfpiele diefer Heiligen nachzufolgen, wels 
che ung als Mufter des chriftlichen Heldenmuthes, und 
als Vorbilder jeder Tugend vor die Augen gehalten 
werden. 

Mit den Apoſteln unfer3 Herrn, diefen erſten 
‚Gründern und Ausbreitern des Reiches Chriſti auf Er⸗ 
den, iſt mir das Andenken an alle Heilige Got— 
tes, einzeln und im Ganzen betrachtek, lieb und werth. 
Jeder Auserwählte in der triumphirenden Kirche iſt 
doch nur ein anderer Spiegel, in dem ſich die Önas 
de des Herrn, und die Treue feiner Freunde anders und 
wieder anders abbilden; ift doch nur ein anderer 
Laut des Einen ewigen Wortes, das in unfer Pils 
gerland heruntertönet, und uns fo oder anders zu Hers 
zen fpricht: »Seyd treu, wie mir waren, und ihr wers 
det felig, wie wir find — in dem einen Herrn, der 
uns Ale zu fih ruft und führt. Auf diefe Weife 
werden mir alle Fefttage des Kirchenjahres nur als ein 
einziger Fefttag der ewigen Liebe erfcheinen, die nur 
auf verfchiedene Weife den Menfchen fich offenbaret; 
und alle werden mich zur Öegenliebe erweden, und 
die einzig wahre Feyer aller diefer Tage fol ſeyn: der 
lebendige in Gott mwurzelnde Entfhluß, mein Herz 
diefer ewigen Liebe, welche in Jefus Chriftus und in 
dem Leben aller vollendeten Ehriften fo freundlich und 
fo herrlich fich offenbaret, zum heiligen Dienfte ganz 
und auf immer zu ergeben. 


G 2:0 ;:a fu 


Dieß ift mein ernftlicher Wille, und dieß mein 
fefter Entfchluß am heutigen Tage. Du haft mir 
ihn eingegeben, o Herr! denn er iſt eine noth- 
wendige Holge jener Gefinnung, welche du durd) 
Einwirkung deines heiligen Geiftes in den erften 


163 


Tagen diefes Monaths in: mir gewecket haft. 
Gib, o Herr! daß durch eine, foldhe Feyer aller 
—— Dage im Laufe des Jahres dieſe Ge— 
innung in mir ſtets wieder neu gewecket, bele— 
bet, geſtärket und ſo befeſtiget werde, daß ſie 
allzeit die allein herrſchende Stimmung meines 
Gemüthes ſey. Amen. 


— XXV. 


Alle Feſttage in der chriſtlichen Kirche- find Offenbarungen 
der ewigen Liebe, und haben zur Abſicht: Liebe zu wecken, zu bes 
leben und zu unterhalten, und zwar eine Liebe, weldye den Mens 
Shen von Innen aus nöthiget, fi) gang in den Dienft des Aller- 
beiligften zu ergeben, und daher ein dreyfaches Opfer dem Herrn 
darzubringen : 

Das Opfer der Vernunft, durch den Glauben an bie 
Wahrheiten der göttlichen DOffenbarungen ; 

Das Dpfer des Willens, durch einen unbedingten Ge: 
horſam gegen die göttlichen Gefege, der alle Begierden, Wünſche, 
Neigungen und Hoffnungen des Menfchen dem einmahl erkannten 
göttlihen Willen unterwirft; N 

Das Opfer des Gemüthes und aller Kräfte 
der Seele und des Leibes, durch eine getreue Erfüllung als 
ler Pflichten. 

‚Wenn wir die Feſttage des Herrn. und feiner Heiligen in 
diefem Geifte feyern: fo wird fich durch eben diefe Feyer die hrift- 
lihe Gefinnung erneuern ; indem wir neuerdings an die ewige Lies 
be uns ergeben , und im Angefichte Gottes wieder geloben,, nad) 
der Sprache des Apofteld I. Kor. VI. 20. Gott an unferm 
Leibe und in unferm Geifte zu tragen. Allein, ein 
foldyes Gelübde Tann der Menſch nicht aus fi, er Tann es nur ° 
mit Gott erfüllen, d. i.: unterflügt durch eine Gnade, die von 
Oben durch die Sacramente ‚Chrifti zu uns fommt. 





169 
Fünf und zwanzigfter Tag. 


Bon Erneuerung der chriftlichen Gefinnung durch wies 
derhohlte und würdige Empfangung der heil. Sacras 
mente der Buße und des Altars. 


Shriftftellem 

1. Wien denen, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, 
Kinder Gottes zu werden; denen nähmlich, die an feinen 
Nahmen glauben, die nidyt aus dem Blute, nicht aus dem 
Millen des Fleifches, nicdyt aus dem Willen de3 Mannes, fone 
dern aus Gott geboren find. Soh. I. 12. 13. 

2. Wahrlich, wahrlidy, ic) fage dir: wenn Jemand nicht 
wieder geboren ift aus dem Waffer und dem heiligen Geifte: fo 
fann er nicht in das Neid) Gottes fommen. Was aus dem 
Fleiſche geboren ift, das ift Fleiſch; was aber aus dem Geiſte 
geboren ift, das ıft Geift. Joh. IH. 5. 6. 

3. Betrübet nicht den heiligen Geift, mit weldyem ihr 
verfiegelt feyd auf den Tag der Erlöfung. Epheſ. IV. 30. 

4. Die Liebe Gottes ift ausgegoffen in unfere Herzen 
durd) den Geiſt, weldyer ung gegeben worden ift. Röm. V. 5, 

5. Bleibet in der Stadt, bis ihr mit Kraft aus der Höhe 
angethan feyn werdet. Luk. XXIV. 49. 
6. Wenn.ihr. nicht effet das Fleiſch des Menfchenfohng, 
und nicht trinfet fein Blut: fo habt ihr Fein Leben in euch. 

er mein Fleiſch ißt, und mein Blut trinft, der bat das 

ewige. Leben, ‚und ich werde ihn am jüngften Tage auferwecen. 
Denn mein Fleiſch iſt wahrhaftig eine Speife, und mein Blut 
wahrhaftig ein Trank. Wer mein Fleiſch ift, und mein Blur 
trinft , ‚der bleibt in mir, und idy in ihm. Wie mid) der Va— 
ter, der das Leben aus ſich hat, gefendet, und ich durch den 
Vater lebe: fo wird aud) der, weldyer mich ißt, durch mid) 
leben. Joh. VI. 54— 58, 

7. Wenn der Ruchlofe Buße thut über alle feine Sün- 
den, die.er begangen bat, und alle meine Gebothe beobadıtet, 
und Recht und ©erechtigfeit ausübet: fo wird er leben und. 
nicht fterben, und aller feiner Sünden, die er verübt hat, will 
‚ich nicht mehr gedenken, Ezech, XVIII. 21. 22. 


170 


8. Sagen wir: wir haben Feine S Sünde; fo betriegen wir 
uns felbft, und die Wahrheit ift nicht in uns. Bekennen wir 
aber unfere Sünden; fo ift er getreu und gerecht, daß er un— 
fere Sünden vergibt, und und von aller Untugend reiniget. 
Sagen wir aber: wir haben nicht gefündiget; fo machen wir 
m zum Lügner, und fein Wort ift nicht in und. 1. Joh. 

% 8— 10. 

9. Ich fchreibe euch dieſes, damit ihr ‚nicht ſündiget; 
doc) , wenn Jemand fündiget: fo haben wir einen Fürſprecher 
bey dem Vater, Sefum Chriftum, den Gerechten. Und dies 
fer ift die Verföhnung für unfere Sünden; doch nicht allein 
für die unſern, ſondern für die Sünden der ganzen Welt. 
I: Joh. II. 1. 2. 

RN Als Sefus fie fah, fprach er: Gehet hin, und zeiget 
euch den Prieſtern! Und es geld daß, indem fie hingingen, 
fie rein wurden. Luk. XVII. 

11. Nehmet hin den Geilhin Geiſt. Weldyen ihr die 
Sünden nachlaffet, denen find fie nachgelaffen ; welchen ihr fie 
behaltet, denen find fie behalten. Joh. XX. 22. 23. 

12. Was ihr immer auf Erden binden werdet, das wird 
aud) im Himmel gebunden feyn; und was ihr immer auf Er- 
den Töfen werdet, das wird auch im Himmel gelöfer ſeyn. 
Matth. XVIII. 18, 

13. Sft Jemand unter euch Eranf, fo rufe er die Priefter 
der Kirche, und fie follen über ihn bethen, und ihm mit Oehl 
falben im Nahmen des Herrn: und das Gebeth des Glaubens 
wird den Kranfen retten, und der Herr wird ihn erleichtern , 
und wenn er in Sünden if, werden fie ihm nachgelaffen wer= 
den. Jak. V. 14. 15. 

14. Wie mich mein Vater geſendet hat, ſende ich euch. 
Und indem er dieß ſagte, hauchte er ſie an, und ſprach: Neh— 
met hin den heiligen Geiſt. Joh. XX. 21. 22. 

15. Derohalben ermahne ich dich, daß du die Gnadenga⸗ 
be Gottes wieder erweckeſt, die durd) Auflegung meiner Hände 
in dir if. Denn Gott hat und nicht den Beift der Furchtſam— 
Eeit gegeben, fondern den Geiſt der Kraft und der Liebe, und 
der Nüchternheit. Il. Zimoth. I. 6. 7. 

16. Der Menfd) wird feinen Water und feine Mutter ver: 
laſſen, und feinem Weibe anhangen: und es werden zwey in 
Einem Fleiſche ſeyn. Dieß iſt ein großes Sacrament; ich 
ſage aber: in mn und ber Kirche, Ephef. V. 31. 32. 


171 


Betrahtung. 


Daß der fich felbft gelaffene Menſch aus fich un- 
vermögend fey, die chriftliche Gefinnung,, die ihn des 
erwigen Lebens empfänglich und wert) macht, in fich 
zu erwecken, zu flarfen und feft zu halten, ift aus dem 
Buchftaben und dem Geifte des Ehriftenthums klar, 
und unter Chriften allgemein anerfannt. Der Urfprung, 
die Stärfung und die Fefthaltung einer folchen Gefins 
nung gehört offenbar unter die Gaben, welche vom 
Himmel herabfommen, vom Vater des Lichtes, bey 
dem Feine Veränderung, und nicht einmahl ein Schats 
ten des Wechfel3 Statt findet, der ung aus freyem 
Willen durch das Wort der Wahrheit zu neuen Ges 
fchöpfen und zu Gliedern feines Keiches umbildet. Jak. 
I. 17. 18. Denn die chriftliche Öefinnung hat Wer 
fen, Beftand und Offenbarung nur in und von der göftlie 
chen Liebe, die nicht aus Fleifch und Blut geboren, ‘ 
fondern vom Geifte Gottes in unfere Herzen ausges 
goffen wird. Rom. V. 5. Ob aber gleich die Wirs 
tungen Öottes unermeßlich und unbegreiflich find, fo 
lehren ung doch die heiligen Schriften 

erftens: daß Gott unmittelbar und unfichtbarer 
Weiſe auf den Menfchen einwirfe, um ihn aus’ feinem 
Todesfchlummer zu wecen, und den Aufwachenden zu 
beleben; denn der Geift wehet, wo er will, und du 
böreft feinen Laut; aber du weißt nicht, woher er kom⸗ 
me, und wohin er gehe Joh. III. 8.5 fie lehren 
zweytens: daß er, der Allwirkende, nicht bloß 
unmittelbar und unfichtbarer Weife, fondern auch mits 
telbar und durch fichtbare Zeichen auf den Menfchen 
einmwirfe, und in dem einftimmenden Gemüthe desfels 
ben göttliches Leben erzeuge und flarfe, oder was Eis 
nes ift, chriftliche Sefinnung erwecke und belebe, 
Die fichtbaren Zeichen, durch die Gott auf den 
Menfhen wirft, und im Menfchen chriftliche Geſin⸗ 


172 


nung erwedt und flarket, heißen Sacramente, wel 
che nicht nur al$ Symbole (Sinnbilder) die übers 
finnliche Wirkſamkeit der göttlichen Gnade dem Gemüs 
the finnlich anfchaubar machen, nicht nur als Pfander 
das göttliche Wohlwollen und die göttlichen Gnaden 
ung zufichern: fondern auch als Eraftige Zeichen die 
beiligmachende Gnade in fich faffen, al$ Zeichen, in 
welchen und durch welche der Geifi Gottes im Mens 
fhen innerlich bewirfet, was fie äuß erl ich ans 
deuten, und die ewige Erbarmung mittheilet, was 
fie als Zeichen vorbilden, und was der Menfh - 
bedarf, um ein Ehrift, und fomit des ewigen Lebens 
theilhaftig zu werden. Durch diefe Fraftigen Zeichen 
wecfet der Geift Gottes den Menfchen aus dem Tode 
des Geiftes zum göttlichen Leben auf; durch diefe Eräfr 
tigen Zeichen erneuert Gott das göttliche Leben, da es 
finft oder erlifcht, im Menfchen wieder, durch dieſe 
fraftigen Zeichen flarfet Gott das göttliche Leben im 
Menſchen zur Erfüllung aller Pflichten, und zur geduls 
digen Ertragung aller Leiden. Nicht ohne tiefen Sinn 
und hohe Bedeutung werden daher die Sactamente Chri— 
ſti eingetheilt in Sacramente der Todten, die 
neues, göttliches Leben in die durch Sünde erfiorbene 
Dienfchheit bringen, und in Sacramente dert 
bendigen, die das göttliche Leben in denen, die aug 
dem Zode des Geiftes ſchon erwect find, vermehren, 

Nun wollen wirzwerft erwägen, wie göttliche 
menfchlich alle Sacramente Ehrifti den Bedürfniffen 
der Menfchheit zu Hülfe kommen; und dann, mie 
durch miederhohlte Empfangung der Sacramente der 
Buße und des Altarz die chriftliche Gefinnung erneuert 
erde, * 

Die Sacramente Chriſti find ganz auf die Bedürf- 
niffe der Menfchheit in ihrem gegenwärtigen Zuſtande 
berechnet; denn durch die Taufe wird der Menfch aus 
dem Reiche der Zinfterniß, in welches er durch die Sün- 


173 


de der Menfchheit (Erbfünde), oder auch durch felbfts 
begangene Sünden hinuntergefunfen war, wieder in das 
Keich Gottes aufgenommen, und zu einem lebendigen 
Gliede der flreitenden Kirche umgefchaffen; durch die 
Firmung wird der noch ſchwache Kämpfer der flrei- 
tenden Kirche geſtärket; und das in ihm ſchon erzeug: 
te göttliche Leben gehoben und gefräftiget; durch die 
heilige Communion wird das göttliche Leben im 
Menſchen bemwahret, und der Bollendung naher gebracht; 
indem der Ehrift mit dem Ir» und Allteben, mit Gott 
in Chriſtus, vereiniget wird; durch die Buße mwird 
der Unſelige, welcher fich durch herrfchende Sunde von 
Gott weggewendet hat, wieder zu Gott hingemwendet, 
und die Sunde fammt ihren Folgen getilgetz durch die 
letzte Deblung mird der Kranfe zur Ertragung 
aller Leiden, die mit der Krankheit verbunden find, ger 
ftärfet, zum Uebergange aus dem gegenwärtigen in das 
künftige Leben befähiget, und mit neuen Geiftesfräften 
zum Eingange in die triumpbhirende Kirche auf 
gerüftet ; durch die Prieftermweihe mwerden aus der 
Zahl der Gläubigen die Werkzeuge ausgehoben, geord- 
net und gebeiliget, welche Gott: zur Erweckung und Er» 
neuerung des göttlichen Lebens auserfehen hat; durch 
das Sacrament der Ehe wird die Vereinigung der 
Gefchlechter geheiliget; damit durch die natürliche Zeus 
gung die Gemeinde der Heiligen in den Kindern fort- 
gepflanzt, und fo fort Erde und Himmel neu bevölkert 
werden, ' 

Ale Sacramente des neuen Bundes haben dem- 
nach Diefelbe hohe Beftimmung , das ewige Heil des 
Menfchen zu gründen und zu fördern — Önaden zu 
fpenden, welche ihn heiligen. Jedoch find die Sacra— 
mente der Buße und des Altar zufolge ihrer 
göttlichen Einfeßung recht eigentlich dazu beflimmt, durch 
ihre Wiederhohlung jede Unlauterfeit aus dem Herzen 
des Menfchen auszutilgen, und jede Schwachheit durch 


174 


eine neue Fülle der göttlichen Kraft zu heben. Diefe 
zwey Sacramente find es, durch welche das zweyfache 
under der ewigen Erbarmung: die geiftige Wiederges 
burt, und die fortgehende Erneuerung und Kraftigung 
des wiedergebornen Lebens, in der Menfchheit ſtets wies 
der gewirkt werden fol; fie find jene Önadenmittel, durch 
deren würdigen und mwiederhohlten Gebrauch nicht: nur 
chriftliche Zugend, fondern auch wahre. Heiligung des 
Menfchen gefördert, und fomit die rechte Erneuerung 
der chriſt lichen Geſinnung erzielet wird. Wenn der 
Menſch immer neue Sünden begehet, wie denn auch 
ſelbſt der Gerechte des Tages ſieben Mahl fällt, und ſie⸗ 
ben Mahl ſich wieder aufrichtet, der Ruchloſe aber im 
Böſen verſinkt, Sprichw. XXIV. 10.: fo bedarf der 
Gefallene immer wieder der Gnade ſeines Herrn, die 
ihn wieder aufrichte und nicht im Böſen verſinken laſ— 
ſe, bedarf der Entſündigung, bedarf der Buße. Die 
öftere Empfangung dieſes Sacramentes iſt alſo dem Mens 
ſchen als Sünder ſtets heilſam; indem derſelbe dadurch 
immer wieder zu ſich und zur Erkenntniß ſeiner ſelbſt, 
zur wahren Reue über ſeine Sünden, und zum ernſtlichen 
Vorſatze der Beſſerung, zur gänzlichen Wegwendung 
feines Gemüthes von der Sünde, und zu volfommes 
ner Hinwendung nach Dben gelangen, und nicht weni- 
ger auch zur Vergütung des durch die Sunde geftifter 
ten Unrechts, wie zur Befefligung des begonnenen Gu— 
ten, getrieben werden fann. Denn die. unerlaßlichen. 
Handlungen, wovon die Wirkfamfeit des Sacramentes 
der Buße im Sünder abhängt, find die Reue, der 
Borfatz, das Sündenbefenntniß, und die 
Tilgung der Sündenfolgen. Unmöglich aber 
fann der Menſch die Keue über feine Sünden mwieders 
hohlen, unmöglich feine Sünden mit zerfchlagenem Here 
zen befennen, und den Forderungen der Gerechtigkeit 
genug thun, ohne daß die chriftliche Gefinnung in ihm 
jedes Mahl ein neues und fefteres Leben gewinne, - 


175 


Diefe Gnade ift es, welche nach Chryſoſtomus die 
Erbarmungen Öottes dem Sünder zuleitet, welche Bals 
fam in das zerknirfchte, und Freude in das betrübte 
Herz bringet, welche den Sünder von dem ganzlichen 
Untergange rettet, und mit neuer Zuverficht erfüllet, die 
zerrütteren Kräfte wieder herftellet, und mit der übers 
fhwanglichen Macht des Herrn uns ausrüftet. 

»D Buße! ruft diefer große Kirchenlehrer begeis 
fiert aus, was fol ich Neues von dir fagen? Du lös 
feft das gebundene, und bindeft das zugellofe Leben ; 
du fanftigeft jeglichen Schmerz, heileft jegliche Kranke 
heit, durchleuchteft jegliche Finfterniß, und erinuthigeft 
ſelbſt die Verzweiflung. Glänzender als Gold, und 
heller leuchtend als die Sonne bift du über jede Sünde, 
über jede Unvollfommenbeit, und über jede Verzweiflung 
erhaben; bift ein guter Acer, ein fegenbringender Weinzs 
berg, ein gefunder Baum, durch deren Früchte die Sün— 
der im göttlichen Leben allmählig wieder erftarfen.« Deß⸗ 
wegen wurden von jeher fromme Ehriften zur öfteren Ems 
pfangung des Sacramentes der Buße felbft ſchon durch 
den Geift der Frömmigkeit hingetrieben. 

Indeffen find alle Gnaden nur einzelne Ströme, 
welche aus der Einen Önadenquelle hervorfließen; nur 
einzelne Strahlen, die aus der Einen Sonne hervors 
leuchten. Diefe Eine Gnadenquelle, diefe Eine Sons» 
ne ift Jefus Ehriftus, in welchem die Menfchenfreunds 
lichkeit Gottes allen Menfchen erfcheint, und das ewis 
ge Licht in der Finfterniß aufgehet. Denn, wer Chris 
fium bat, hat in ihm und durch ihn alle Gnaden: er 
ift die Gnade der Önaden; er ift der Wein- 
fiod, Job. XV. ı —7., und wir find die Reben, die 
feine Früchte tragen, wenn fie nicht in ihm bleiben, 
und viele Früchte tragen, wenn fie in ihm bleiben, und 
er in ihnen; er iſt das Brot des Lebens, Joh. VI. 
48 — 60., welches vom Himmel herabfam, und feinen 
fierben laßt, der davon ißt; ein Brot, welches für die 


176 


Emigfeit belebet, und ewig belebet. Dieſes Brot ift das 
Sleifch und das Blut, mit welchem wir gefpeifet und 
getranfet werden durch das Sacrament des Altars; zu 
deffen wiederhohlter Empfangung jeden befonnenen Chris 
fien ſchon das Gefühl feiner einenen Schwäche und.der 
geiftigen Kraftlofigkeit antreiben folte. Denn die in» 
nigfte Vereinigung der Gläubigen mit Ehriftus, der Fül- 
le alles Lebens, ıft die Abficht der heiligen Communion. 
Deßhalb hat in der frühern Kirche alles Volk aus den 
Handen des Vriefters die Communion empfangen ; Prie— 
fter und Volk haben an Einem Lifche das lebendige 
Brot des Himmels genoffen. Diefe Vereinigung im 
Auge, ermahnet der heilige Ambrofius V. 8. von: den 
Sacramenten 4. Cap. feine Gläubige, täglich die hei— 
lige Kommunion zu empfangen; aber auch fo zu leben, 
daß fie würdig feyn und bleiben, folches zu thun, ftet3 
bedenfend, wie das Heiligfte nur Heiligen gebühre. Durch 
diefe mwiederhohlte Vereinigung der Ehriften mit Ehris 
ſtus werden auch die geiftigen Bedurfniffe des Menfchen 
alle befriediget, fo weit es in den Tagen unfrer Pilger» 
fahrt hienteden gefchehen kann; der Friede Gottes in 
die Herzen ausgegoffen, und das Reich des Himmels 
auf Erden gegründe. Denn wer mein Fleiſch 
ift, und mein Blur trinkt, der bleibt in 
mir, und ich in ihm, fpricht Chriſtus; wenn 
ihr aber in mir bleibet, undich in eud: 
dann werdetihr vollflommen mitmir Er 
nes, und der Herrlichkeit theilhaftig wer- 
den, welche der Vater mir gegeben hat. 
Jenes Sleifcheffen und Bluttrinken heißt der Lehre des 
heiligen Auguftinus zufolge, (26. Abhandlung. über 
Johannes,) nicht anders, als in Ehrifto bleiben, 
und Chriftum bleibend in fih bewahren. 
Es fol nähmlich die würdige Empfangung dieſes Sa⸗ 
cramentes auch im empfangenden Menſchen bewirken, 


was laut der heiligen Worte der Conſecration an * 
un 


177 


und Wein gefchah; fie fol den Menſchen gleichfam 
ummandeln in Ehriftus, fo zwar, daß nur die Geſtal⸗ 
ten vom alten Menſchen übrig bleiben, innerhalb den 
felben aber Chriftus im Menſchen eine neue Öeftalt 
gewinne ; indem nicht mehr der alte Menſch, fondern, 
im Sinne des Apoftels, Chriflus allein im neuen 
Menfchen lebet. 

Aus Diefer Abficht wird die öftere Kommunion 
von allen meifen und frommen Chriften empfohlen ; 
aber eine Kommunion, mie fie feyn follte, melcher 
die Selbfivrüfung, die wahre Buße, vorausgehen muß; 
damit der Leib Ehrifti von jeder andern Speiſe unters 
fchieden werde, und der Menfch, flatt durch den Ge» 
nuß des Allerheiligften des ewigen Lebens theilhaftig zu 
werden, fich nicht Tod und Gericht Hineineffe, tie 
ung der Apoſtel I. Kor. XL. 26 — 3ı. ermahnet und 
warnet: »So oft ihr diefes Brot effet und diefen Kelch 
trinket, folt ihr den Tod des Herrn verfündigen, bis 
er kommt. Wer nun unmürdig Diefes Brot ißt oder 
den Kelch des Herrn trinkt, der verfündiget fich an 
dem Leibe, und an dem Blute des Herrn. Es prufe 
ſich alfo der Menfch ſeibſt, und dann effe er von 
diefem Brote und trinfe von diefem Kelche; denn wer 
unwürdig ißt und trinkt, der ift und trinkt fich felbft 
das Gericht hinein; weil er den Leib des Herrn nicht 
unterfcheidet. Daher Fommt es, daß viele ſchwach 
und frank unter euch find, und viele fchlafen ; denn 
wenn wir uns felber richteten, fo würden wir nicht 
gerichtet werden.s 


Gebeth. 


Ich will mich alſo ſelbſt prüfen, ſelbſt richten, 

o Herr! damit ich nicht gerichtet werde. Ich 

will auch den Werth und die Abſichten der Gna— 

denmittel in deiner Kirche ſorgſam erwägen; 
Sailer, d. chriſtl. Monath. 12 


178 


will vor deinem Auge alles aus dem Mege räu— 
men, was ihrer heilfamen Wirkſamkeit hinder- 
lich ſeyn Eönnte; will mich unter den Einflüffen 
deines heiligen Geiftes zum würdigen Gebrauche 
derjelben vorbereiten; damit fie mir nicht zum 
tiefern Falle, fondern zur Auferftehung , nicht 
zur Berdammung, fondern zur Heiligung und 
zur Sicherung des ewigen Heiles gereichen , wel: 
cher der einzige Zweck ihrer Einfeßung und die 
Frucht ihres würdigen Gebrauches ift, 





* Hieher paſſen Fenelons Herzensergießungen über das 
beilige Sacrament des Altars, die an Tiefe des Sinnes, und 
an Fülle der Andacht wohl nicht ihres Gleichen haben. 


Sn dem heiligen Geheimniffe des Altars, wo er alle Schäße 
feiner &iebe verborgen hat, will ich Jeſum anbethen ! Lauter Lie— 
be erblicke ich hier, lauter Güte, lauter Erbarmung. Ad), was 
haft du vor, lieber Herr! daß du deine ewige Majeftät dergeftalt 
verbirgft? Warum gibft du fie dem Undanke gefühllofer Seelen, 
dem Spotte roher Menfchen Preis? O, ich begreife es! Du thuft 
dasaus Liebe, weildu ung fücheft, um dich uns ganz zu fchenken. Und 
auf welche Weife fchenkeft du dich uns? Unter der Geftalt der ge= 
mwöhnlichften Speife, des alltäglichen Brotes. O Brot des Les 
bens! o Fleifch meines Erlöfers! Made mich hungern nad) bir: 
Nur du folft fortan mich nähren! 

O ewiges Wort, ewige Wahrheit, ewige Liebe! Du Haft dich 
verborgen unter diefem Fleifche, und verbirgft nun dieß Fleifch 
unter der finnfälligen Hülle des Brotes. O verborgener Gott! 
auch ich will, verborgen mit dir, leben dein göttliches Leben. Un— 
ter alle Schwachheit und Armfeligkeit meiner Natur, unter die 
ganze Unmwürdigkeit meiner Geele will ich Sefum verbergen, will 
felber das Sacrament feiner Liebe werden. Aeußerlich wird als 
desfelben grobe Hülle das gebrechliche Gefchöpf erfcheinen, im Ins 
nern aber wird wohnen der Herr der Herrlichkeit. Das äußerli— 
he Brot, dieß Hinfällige Gefhöpf, wird gebrochen werden, und 
allen Unfällen ausgejegt bleiben; aber in ihm lebt Sefus, unver: 


179 
Vegbar und unſterblich, ungetheilt und unmandelbar. So belebt 
von ihm, lebe auch ich nur für ihn, und er lebt gang in mir. 

Bis jest, o Herr! habe ich mich noch nicht genährt von 
deiner Wahrheit; mit dem Sinnlichen der Religion habe ich mich 
begnügt, mit äußerer Gottesdienftlichfeit, mit dem Scheine ge— 
viffer auffallenden Zugenden, mit dem Siege fiber meine Neigun— 
gen, da wo er das Bild fiheinbarer Vollkommenheit vollenden 
mußte. Das ift aber nur der grobe Schleyer des Sacraments: 
wo ift nun der innere Gehalt und Kern desfelben? die eigentliche, 
überwefentliche Wahrheit felber, erfaßt und dargeftelt im Leben, wo 
ift fie? Ah! ich habe mich um fie nicht bekümmert; einzig auf 
Ordnung des Aeußeren bedacht, habe ich das Innere verfäumt 
und vergefjen. Die Anbethung im Geifte und in der Wahrheit, 
die durch Ertödtung alles eignen Willens die ausfchließende Herr— 
fchaft Gottes in mir begründen follte, ift mir noch faft ganz unbe: 
Eannt geblieben. Mein Mund hat, was an diefem Cacramente 
äußerlich und finnlich ift, genoffenz aber mein Herz ift nicht ge= 
nährt worden von der wefentlihen Wahrheit, Ich diene dir, mein 
Gott! aber nach eigener Art und Wahl, nach dem Dünfen meiner 
Weisheit, die vor dir Thorheit ift. Ich liebe dich, aber mehr 
meines Nutzens, als deiner Ehre wegen. Sch trachte, dich zu ver= 
herrlichen; aber mit einem Eifer, dev noch nicht nach deinen ver— 
borgenen Abfichten fich befcheiden, und in deren Tiefe rückhaltslos 
fid) verfenfen gelernt Hat. Dienen möchte ich dir wohl; aber ohne 
aus mir felbft zu gehen, und fehr fürchte ich mich, mir felber 
zu erfterben. Manchmahl wähne ich mich zu den größten Opfern 
fähig und bereit; und kaum fegeft du mich mit dem geringften Uns 
fall auf die Probe, fo erliege ich vor Betrübnig und Unmuth. 

O Liebe! laß dich nicht zurückſtoßen durch mein Elend, mei— 
ne Unmwürdigfeit. Du willft unter die verächtliche Hülle meiner 
Schwachheit deine geheime Gottesfraft verbergen , willft mich zum 
Geheimniß deiner Gnade machen, meinen eignen Glauben zu üben, 
und den ber Andern. So gebe ich mich denn ganz dir hin mit all 
meinem Elende. Sch vermag nichts, aber du vermagft Alles; mid 
Eümmert meine Schwadhheit nicht, da ich deine Allmacht mir fo 
nahe fühle. 

Ewiges Wort! fey du in mir ſchwachem Gefchöpf, wie dort 
unter den Geftalten des Brotes. Rede, o göttliche Wort! und 
meine Seele wird fchmweigen, dich zu vernefmen. Das einfache 

12 


180 


Wort, das die Welt erſchuf, redet zu feinem Gefchöpfe, und mas 
es fpricht, wird in dieſem verwirkticht ; ja, ein neues Geſchöpf 
Schafft es fich, wie es einft die Welt fchuf. 

So fehweige denn, meine Seele! vernimm nichts mehr von 
der Erde, vernimm von bir felbft nichts mehr; das ift das rechte 
Stillfehweigen der geiftigen Vernichtung. Laß das Wort, das 
Zleifch geworden, in. dir reden! O was wird es dir für große 
Dinge fagen! In ihm allein ift ja alle Wahrheit. Welch ein Une 
terfchied gmwifchen der Sprache des Gefchöpfes, das in verhallenden 
Lauten einige Töne der Wahrheit ausipricht, die nicht einmahl 
fein eigen , die von der Gottheit entlehnt find, — wel ein Uns 

“ terfchied zwifchen diefer Sprache, und der Sprache des Wortes, 
das ba ift der Sohn Gottes! Diefer ift felbft, was er ſpricht, die 
wefentliche Wahrheit ; und er ſpricht fie nicht aus, wie wir Menz 
fchen fie ausfprechen ; er läßt fie nicht im einzelnen, abgeriffenen 
Gedanken vor dem Auge unferes Geiftes vorübergehen: er trägt 
fie gang und lauter in den Grund unferes Wefens ein; er einvers 
leibt die Wahrheit uns und uns ber Wahrheit, wir felbft find 
dann zur göttlihen Wahrheit geworden. Dann leben und weben 
wir in der Wahrheit nicht mehr durch die Stärke der Vernunft— 
ſchlüſſe und der Wiſſenſchaft, fondern durch die Einfalt der Liebe. 
Dann ift alles Andere nur mehr Schatten und Lüge für uns. Ueber— 
flüffig werden dann die Nachforſchungen und Beweife, die in’s 
Einzelne gehen : bie Liebe prägt ung die Wahrheit ganz und auf 
ein Mahl in die Seele. Ineinem einzigen Blide find wir von dem 
Nichts der Gefchöpfe, von dem Al des Schöpfers durddrungen , 
durchſchauert. Ein folder Blick entfcheidet Alles, reißt Alles das 
hin, und läßt dem Geifte nichts mehr. Maf fieht fortan nur die Eine 
Wahrheit; alles Andere ift verfchwunden. 


O unfinnige, ärgervolle Welt! ich kann, ich mag dic nun 
nicht mehr ſehen, nicht mehr hören. O Eigenliebe! wie ſchaudre 
ich vor dir! Und doch muß ich mich felbft noch mit Geduld tragen, 
wie Sefus den Judas ertrug. Nunmehr geht Alles an meinen 
Blicken vorüber, nichts rührt, nichts bewegt mich mehr. Kein Ges 
ſchäft für mic) fortan, als das einzige, in dem gegenwärtigen Aus 
genblicke Gottes Willen zu erfüllen und zu bethen, daß fein Wille 
gefchehe auf der Erde, wie im „Simmel. 

Das, o Zefus! ift wahre Anbethung, iſt der Gottesdienft, 
den du verlangit. Wie Leicht ift es nicht, durch äußere Gebräude, 


181 


durch Lobpreifungen der Lippen dich verehren, aber wie wenige 
find, die die innere, wahre Verehrung dir zollen! Gieht man doch 
faft überall nichts als eine Religion bloß in Bild und Geftalt, 
bloß Zudenthum. Mit dem Verſtande möchte man wohl deine Wahr 
beit erfaffen und befigen; aber das Herz ihr hingeben, von ihr bes 
Teffen zu werden, das will man nicht. Alle verlangen, theilhafe 
tig zu werden deines Opfers; aber wer ift bereit, fich ſelbſt zu 
opfern mit dir? Und doch — wer nicht ganz in dich fich verliert, 
wird niemahls dich ganz in fich finden, wird nie ganz Eines mit 
dir feyn. 

O verborgener Gott! wie wenig kennen die Menfchen dich ! 
D Liebe! wie Wenige wiffen, was „lieben“ heißt! Lehre du mich 
lieben, und du haft mir in Einer Wahrheit alle Wahrheit ge= 
lebt ! & 

(Oeuvres spirituelles de Fenelon. Entretiens affectils 
N. XI. et XVI.) 


— > Ko u — 


Drittes Hauptſtück. 
Bon Offenbarungichriſtlicher Geſinnung. 


XXVI. 


Was die chriſtliche Geſinnung offenbart (im Aeußern dar: 
ſtellt), das iſt es auch, was ſie er weiſet, bewähret und 

verkläret. Fortdauernde Offenbarung des Guten iſt alſo 
nothwendig fortdauernde Erweiſung, Bewährung und Ver: 
Elärung des Guten.» 

Was aber das Einleuchtendfte ift, und doch nicht zu oft in 
Erinnerung gebracht werden Eann, ift: 

Die gute Gefinnung des Chriften muß vorerft felbft zu 
Leben gefommen und bey Leben geblieben feyn, wenn 
fie fi) fol offenbaren Eönnen. Denn, wie Sefuslehret, der gu— 
te Baum trägt gute Früchte, nicht die guten Früchte tra— 
gen den guten Baum; die Früchte wachfen auf Bäumen, nicht 
die Bäume auf Früchten. Alfo die Erweckung und Belebung der 
Hriftlichen Gefinnung gehet voran; damit die Offenbarung derfelben 
in guten Werfen und durd gute Werke mit = und nad)= gehen 
kann. 





Sechsundzwanzigſter Tag. 


Bon Dffenbarung der chriftlichen Gefinnung in 
Erfüllung der Pflichten überhaupt, und der ehelichen 
insbeſondere. 


Seen, 
Mi die, welche da8 Geſetz nur hören, find gerecht 


vor Gott, fondern die das Geſetz volibringen, werden ge— 
vechtfertiget werden. Röm. IL, 13. 


183 


2, Seyd nicht bloß Hörer, die ſich felbft betriegen, fon: 
dern Thäter des Wortes. Denn, wenn Semand bloß Hörer 
und nicht Ihäter des Wortes ift: fo gleicht.er einem Manne, 
der fein Teiblicyes Angeficht im Spiegel befcyaut, und, wenn 
er es befcdjauet bat, hinweggehet und fogleicd) wieder vergißt, 
wie er ausfah. Wer aber das vollfommene Geſetz der Frey- 
beit durchſchauet und dabey verharret, der iſt Eein vergeflicher 
Hörer, fondern ein Thäter. Ein foldyer wird in feinem Thun 
felig feyn. Jak. I. 22 —25. 

3. Was hilft's, wenn Jemand fagt, er habe den Glau— 
ben, wenn er die Werke nicht hat? Kann der Glaube ihn fer 
lig machen ? — — Wohl möchte Semand fagen: Du haft den 
Glauben, id) aber habe die Werke; zeige mir deinen Glauben 
ohne Werke, und ich will dir meinen Glauben aus meinen 
Merken zeigen, — — — Denn gleicywie der Leib ohne den 
Geiſt todt ift, fo ift auch) der Ölaube ohne die Werfe todt. 
Saf. II. 14. 18. 26. 

4. Wenn euere Gerechtigkeit nicht größer feyn wird, als 
die ber Schriftgelehrten und Phariſäer, fo werdet ihr nicht 
in das Himmelreich eingehen. Matth. V. 20. 

5. Aus ihren Früchten werdet ihr fie erkennen. Nicht 
jeder , der zu mir fagt: Derr, Herr! wird eingeben in das 
Himmelreich; fondern wer den Willen meines Waters hut, 
der wird eingehen in dad Himmelreich. Matıh. VII. 20. 21, 

6. So fehet nun zu, Brüder, wie ihr vorfichtig wandelt, 
nicht ald Unweife, fondern als Weife. Benützet die Zeit, denn 
die Tage find böfe. Seyd nidyt unverftändig, fondern Iernet 
verftehen, was Gottes Wille fey. Ephef. V. 15 — 17. 

7. Ötellet eud) diefer Welt nidyt gleid) , fondern laſſet 
euch umwandeln durd) Erneuerung euered Sinnes, fo daß 
ihr prüfet, was Gottes Wille, was gut, wohlgefällig und 
vollfommen fey. Nom. XII. 2. 

8. Unterwerfet euch einander in der Furcht Chrifti. Die 
Meiber feyen ihren Männern untertban, wie dem Herrn; 
denn der Mann ift das Haupt des Weibes, fo wıe Chriftus das 
Haupt der Gemeinde ift, Er, der Heiland feines Leibes. Wie 
die Gemeinde fich Chrifto unterwirft, fo follen ſich auch die 
Weiber ihren Männern in Allem unterwerfen, Ihr Männer, 
liebet euere Weiber, fo wie auch Ehriftus die Gemeinde gelie= 
bet und fid) felbft für fie hingegeben bat, um fie zu heiligen ; 
indem er fie reinigte durd) das Wafferbad im Worte des Les 
bens, um ſich eine herrliche Gemeinde darzuftellen, ohne Flec— 
fen, ohne Runzel oder etwas dergleichen, fondern daß fie hei— 


184 


lig und unbefleckt ſey. Alſo follen die Manner ihre eigenen 
Weiber lieben, wie ihre eigenen Leiber. Wer fein Weib liebt, 
liebt ſich ſelbſt. Niemand haft fein eigenes Fleifch, fondern 
nährt und pflegt es, wie aud) Ehriftus feine Gemeinde. — — 
Liebet alfo ein jeglicher fein Weib, das Weib aber ihren Mann. 
Ephel. V. 21 — 29. 33, 

9: Der Mann leifte dem Weibe die fchuldige Pflicht, 
gleicher Weife auch dad Weib dem Manne. Das Weib hat 
Eeine Gewalt über ihren Leib, fondern der Mann; gleicyer Weife 
bat der Mann feine Gewalt über feinen Leib, fondern das 
Meib. Entziehet euch alfo einander nicht, aufier auf einige 
Zeit, des Gebethes wegen; dann kommet wieder zufammen, 
damit der Satan eud) nicht der Unenthaltfamteit wegen ver- 
ſuche. I. Kor, VIL 3 — 5, 


Betrachtung. 


Der Geiſt der chriſtlichen Gefinnung iſt die Lies 
be gegen Gott, wie fie Jeſus Chriftus als das Ges 
both allee Gebothe, als die Summe und Wefenbheit 
aller Geſetze mit den Worten ausgefprochen hat: 
Du follft den Herrn deinen Öott lieben 
aus deinem ganzen Herzen, aus Deiner 
ganzen Geele, au deinem ganzen ©» 
müthe; dieß ift daS größte und erfte Ge 
both. Das andere aber ift diefem gleid: 
Du follft deinen Nächften lieben wie did) 
felbft. An diefen zwey Gebothen hängt 
das Ganze Gefetz und die Propheten. 
Matth. XXI 37 — 40. 

Wo Ddiefe Liebe herrſcht, da wird der ganze 
Menfch zu Gott hingemwendet, und zur Erfüllung des 
göttlichen Willens innerlich getrieben, und fo fraftig 
getrieben, daß er in gleicher Gefinnung mit Chriſtus, 
nach aller Wahrheit fagen kann: Den Willen 
meines Vatersthun, das ift meine Speife, 

Dieſe Liebe, aus Gott geboren und in Gott 
ruhend, fchließt alles Höfe vom Menfchen aus, und 


185 


erzeugt in ihm alles übrige Gute; ich fage, alles 
übrige Gute: denn fie iſt ſelbſt das Gute, ja 
das Befte im Menfchen, wie der Jünger der Liebe 
lehrt: Jeder, der aus Gott geboren ift, 
thbutfeine Sunde; denn fein Same bleibt 
in ihm, und er fann nicht fündigen, weil 
er aus Gott geboren ift. Dadurch offen» 
baren fich die Kinder Öottes,und die Kin— 
der des Teufels. Wer nit recht thut, 
der ift nicht aus Gott, und wer feinen 
Bruder nicht liebt, der iftnicht aus Gott. 
I, 30h. III. 9. 10. 

Wo alfo die chriftliche Geſinnung vorherrfchend 
ift, da ift auch eine durchgängige KRechtfchaffenheit 
im Thun und Laffen, in Sitten und Geberden wahr: 
nehmbar ; indem das innere Leben im außern fich 
offenbart, und das göttliche Leben nur durch folche 
Handlungen fich offenbaren kann, welche dem götte 
lichen Willen , folglich allen göttlichen Gefegen ges 
mäß find. Die Liebe ift ja felbft und bleibt, was fie 
iſt, die Allerfüllerinn des Geſetzes; und die gemwiffen« 
hafte Erfüllung aller Geſetze bewahret die heilige Lies 
be, und ift der zuverlaffigfte Beweis der chriftlichen 
Geſinnung. 

Das iſt die Liebe zu Gott, daß wir 
feine Gebothe halten, und feine. Gebothe 
find nicht fh wer. J. Joh. V. 3. Liebet ihr 
mich, fo haltet meine Gebothe: wer meis 
ne Gebothe hat und fie halt, der ift es, 
der. mich liebet. Joh. XIV. 15. 2ı. Die gottlis 
che Liebe, von der die heiligen Schriften reden, ift 
es alfo, welche ale Handlungen des Menfchen, fo 
wie alle Abfichten und alle Triebfedern desfelben, 
nach dem göttlichen Willen ordnet, und deßhalb noth⸗ 
‚wendig durch vollkommene Ordnung im aus 
‘Bern Leben, folglich durch eine Gerechtigkeit ſich ofe 


186 


fenbart, die nicht bloß in den Augen der Welt, 
fondern felbft vor den Augen Gottes beftehet und fos 
mit einen ewigen Werth hat. 

Wie aber die göttliche Liebe volfommene Ord— 
nung in den Menfchen bringt und im Mtenfchen be- 
wahret: fo bringt fie auch vollfommene Ordnung in 
die menfchliche Gefelfchaft, und bemwahret fie darin, 
Sie ift es, welche die häuslichen, bürgerli 
hen und firhlichen Vereine, von welchen zeite 
liches Wohl und ewiges Heil des menfchlichen Ge— 
fchlechtes abhangt, nad) dem Willen Öottes, und 
zum Wohlgefallen Gottes bildet. 

Unter den häuslichen Vereinen ift die Ehe der 
erfte und michtigfte Verein: der erſte, weil er allen 
andern Verbindungen vorgehet; der wichtigfte, weil er 
die Grundlage aller übrigen ift. 

Da die Ehe eine Vereinigung zweyer Menfchen 
ift, die den Zrieben und Bedürfniffen,, welche in der 
Gefchlechtsverfchiedenheit liegen, entfpricht: fo faßt fie 
die Vereinigung der Leiber in ſich. Allein diefer Ver— 
einigung der Leiber geht die Vereinigung der Gemü— 
ther voraus, und dieſe leßtere ift die Liebe, oder das 
Werk der Liebe. Die Ehe ift alfo Fein Zufammen- 
friet der Thiere bloß thierifcher Bedürfniſſe wegen, 
fondern eine Vereinigung der Menſchen aus höheren 
Sweden, nahmlich zur Fortpflanzung des menfchlichen 
Gefchlechtes; eine Wereinigung, die, wenn fie echter 
Art ift, aus Liebe entfpringt, durch Liebe erhalten 
und geleitet und in der Liebe vollendet wird. 

Die Ehe, als Werk der chriftlichen Liebe und _ 
als unverfennbare Darftellung der chriftlichen Geſin— 
nung , zeichnet ſich von andern unftarthaften Vereini— 
gungen der Perfonen verfchtiedenen Geſchlechtes da— 
durch aus, daß fie dem Einen Manne nur Ein 
Meib, und dem Einen Weibe nur Einen Mann ers 
laubt, die Vereinigung zwifchen bepden Iebenslänglich 


187 


macht, und dadurch den Gefchlechtstrieb auf Einen 
Gegenſtand befchranft, und durch eine göttliche Ends 
abficht die Befriedigung desfelben heiliget. Eben dieſe 
Bereinigung des Mannes mit bloß Einem Weibe, und 
die lebenslängliche Unauflosbarfeit derfelben, vereint 
mit dem hohen Zwecke, welcher ihr zum Grunde liegt, 
ift der offenbarfte Beweis von dem Worherrfchen der 
chriftlichen Oefinnung. Denn wo fie immer nicht 
vorherrfchend werden Fonnte: da zeigen fich Ausfchweie 
fungen des Gefchlechtötriebes aller Art; es tritt hervor 
die freche Wolluft in ganzlicher oder doch willführlicher 
Ungebundenheit, und der hohe, heilige Zweck, wel⸗ 
cher der Ehe, zufolge ihrer göttlichen Einfegung, zum 
Grunde liegt, verliert fi) ganz aus den Augen der 
Menfchen. Wo dagegen die chriftliche Gefinnung fich 
vorherrfchend zeigt: da leitet und regelt fie, wie alle 
andern, fo auch die Triebe der verfchiedenen Geſchlech— 
ter; und die Achtung oder Verachtung, die Heilig: 
haltung oder Entheiligung der Ehe ift der gultigfte 
Beweis von dem Dafeyn, oder von dem Nichtdafenn 
chriftlicher Gefinnung, alfo von dem Blühen oder 
Verwelken der chriftlichen Keligion in den Herzen der 
Menfchen und ganzer Völker. Die Gefchichte der 
Menfchheit bewähret diefe Ausfage durch unzählige 
Belege. 

Die chriftliche Gefinnung offenbart fich aber in 
der Ehe vorzugsmeife 

1. durch die wechfelfeitige Treue und 

2. durch die mwechfelfeitige Liebe der 
Verehelichten, fo zwar, daß man mit Wahrheit 
fagen kann: wie die Treue und die Liebe der Ver: 
ehelichten, fo ift auch die chriftliche Gefinnung derfels 
ben; denn, wo die chriftliche Öefinnung mangelt, da 
mangelt mit ihr auch die Treue und die Liebe unter 
den Verehelichten; wo hingegen die chrifiliche Geſin— 
nung berrfchet, und beyde Theile beherrſchet, da tritt 


188 


auch die eheliche Treue und Liebe in ihrer Kraft und 
Schönheit hervor. 

Alle Eigenfchaften der ehelichen Treue und Lie— 
be find demnach fo viele Bewahrungen der Einen 
chriftlichen Öefinnung. Offenbarung und Bewährung 
der chriftlichen Geſinnung iſt alfo ganz gewiß jene 
Willensſtärke der Verehelichten , Fraft welcher fie außer 
der ehelichen Beymohnung jede Befriedigung der Ge— 
fehlechtsluft fich verbiethen, und jegliche Begierde dar⸗ 
nach unterdrücen. 

Dffenbarung und Bewahrung der chriſtlichen Ge⸗ 
ſinnung iſt alfo auch jene Willensſtärke der Verehelich— 
ten, kraft welcher ſie in der ehelichen Beywohnung den 
Zweck der Ehe nie aus dem Auge verlieren, und 
außer der ehelichen Beywohnung den Gefchlechtstrieb 
fo beherrfehen, daß fie in jeder Hinficht das Bild 
der Züchtigfeit an fich fragen, und alle leichtfertigen 
Heußerungen in Mienen, Geberden und Handlungen 
ſowohl im flillen häuslichen, als im öffentlichen Les 
ben forgfaltig meiden, und, fern von jeder Schams 
lofigfeit und Ausgelaffenheit, den Geift der Sittlich— 
keit, und die Würde des fittlichen (fchönften) Anſtan⸗ 
des in ihrer ganzen Aeußerlichfeit Fund thun. 

Dffenbarung und Bewahrung der chriftlichen Ges 
finnung ift es: wenn der Mann als Haupt das Weib 
regiert, wie Ehriftus die Kirche, und das Weib dem 
Manne gehorcht, wie die Kirche Chriſto, alfo die 
großmüthige Liebe des Mannes, welcher das Weib 
leitet, fchüßet und pfleget, und der :hrerbiethige Ge- 
horfam des Weibes, welches den Wünfchen und Abs 
fichten des Liebenden Mannes huldiget, die ſchönſte 
Einheit in der Ehe darftellen. Denn nur wo chriftliche 
Gefinnung im Gemüthe des Mannes und des Weiz 
bes iſt; da zeiget fich diefe felige Eintracht, welche 
das Leben der Verehelichten immer mehr verfüßet und 
veredelt, und fie zu eigentlichen Werkzeugen Gottes 


189 


in Fortpflanzung des menfchlichen Gefchlechtes bilder 
und emporhebet. 

Die chriftliche Gefinnung im ehelichen Leben ofe 
fenbart und bewahrt ſich auf eine vorzügliche Weiſe 
— endlich auch dadurch: daß fie nicht nur den Leib 

vor Entweihung durch Ehebruch und jede andere ver— 
bothene Wolluſt, fondern auch das ganze Gebieth der 
 Einbildungsfraft vor den Luflzugen, die von 
fremden Öeftalten angeregt, von dem Zauber der finns 
lichen £iebe ausgemahlet, und von unbeherrfchter Sehn— 
fucht unterhalten werden, rein bewahrt, und ſomit nes 
ben dem äußern Tempel auch den innern beilig halt, 
Dazu gehört ein ftätiges Wachen, Bethen und 
Kämpfen gegen die leifefte Regung jeder unzuchtis 
gen Begierde; und dieſe Stätigkeit im Wachen, Ber 
then und Kämpfen, moher anders als von der heilis 
gen Liebe, die als Seele aller chriftlichen Gefinnung 
nur thatig für göttliche Dinge, und wider alles Uns» 
göttliche Fampfrüftig machen kann? 


Gebeth. 


Laß „o Herr! das Bild der ewigen Gerechtig— 
£eit allen Menfchen und das Urbild, nach wel: 
chem Du die Ehe ins menfchliche Leben einges 
führet haft, allen Berehelichten ftets belle in 
die Augen leuchten, Daß fie, hinblickend ei 
dasfelbe, alles Unrechte meiden, und das Gefa 
ihres Leibes in Ehre und in Heiligung bewah— 
ren lernen, fern von jeglicher Luft der zügelloſen 
Sinnlichkeit, die herrfchet bey den Heiden, 
welche Gott nicht Eennen. Laß fie die Morte 
des Apoftels recht oft und tief zu Gemüthe füh— 
ren. 1. Sheffal. IV.2—4.: Shrwiffet, wel 
he Vorſchriften ich euch gegeben habe 
durch den Herrn Jeſus. Denn das iſt 


190 


der Wille Gottes, euere Heiligung, 
daß ihr euch von Hurerey enthaltet, 
und jeder aus euch feinen Leibin Ehre 
und Heiligung zu erhalten wiſſe. Dazu 
ſende uns deinen heiligen Geiſt, damit Seele 
und Leib dein Tempel werden, dir geweiht und 
heilig wie du. Amen. 





* Hiermit ſtimmt genau zuſammen, was Fenelon von 
der Ehe fo wahr als Elar ausfpricht, 


Schon beym Urfprunge des Menfchengefchlechtes, bevor nod) 
dasfelbe verderbt worden, in der volllommnen Unfchuld des Para= 
diefes ward die Ehe eingefegt. Sie ftellt uns die heilige Einigung 
des Sohnes Gottes mit der Kirche, feiner Braut, dar. Jeſuͤs 
Ghriftus hat fie, die Ehe, heiligen wollen durch feine Gegenwart 
bey der Hochzeit zu Cana, wo er fein erftes Wunder wirkte. Er 
hat durch diefes Sacrament die Fülle des Segens über die Quelle 
unferes irdifchen Dafeyns ausfpenden wollen ; damit diejenigen, 
die zu diefem Stande fich verbinden, Feine andere Abſicht haben 
follen, als Kinder zu befommen, nicht ſowohl um welche zu haben, 
als um fie Gott zu ſchenken, — ſolche Kinder, die ihrem himmli⸗ 
Then Water ähnlich find. 

Die Ehe verknüpft die zwey Perfonen mit einem unauflös= 
lihen Bande, das nur der Tod zu trennen vermag. ©o hat es 
Gottes Geift zum Beften der Menfchen georbnet, um die Unbeftän= 
digkeit, die Verwirrung zurüd zu drängen, die aus der Auflös— 
barkeit des Ehebundes entftehen, und die Ordnung und Stätigkeit 
ber Familien zerrütten würden, ohne welche die Erziehung der 
Kinder nicht gedeihen Fann. Durch diefe Unauflösbarkeit wird die 
Ehe zu einem ſchweren Joche für die Mehrzahl der Menſchen, welche 
leichtfinnig, unbefländig und voll Fehler find. Jede der beyden 
Ehehälften bringt ihre Unvolllommenpheiten , ihre Mängel mit; oft 
finden fich entgegengefeste Charaktere, unverträgliche Eigenheiten 
und Launen zufammen ; es verfchwindet allmählig die gegenfeitige 
Gefälligkeit ; und endlich wird man, durch die Nothwendigkeit des 
fräten Zufammenfeyns , Zuſammenwirkens, , einander läftig und über: 
drüßig. Darum iſt eine große Gnade vonnöthen, und eine treue 


191 


' Bewahrung diefer Gnade, um das. Joch der Ehe ohne Ungebuld 
;zu tragen. Wer es nur auf fich nimmt, um feine Sinnlichkeit, 
| feine Gemädhlichkeit darin zu befriedigen, wird fich bald betrogen 
| fühlen; er wird unglüdlich ſeyn, und feine Gefährtinn unglüdlich 
ı machen. Denn die Ehe ift ein Stand der Drangfale und einer 
\fehr peinlichen Unterwürfigkeit ; und darum foll, wer fih von 
\ Gott dazu berufen glaubt, fi) im Geifte der Buße darauf vorbe= 
‚reiten. Nur die Gnade des Sacramentes erleichtert diefes Soch, und 
\verleihet Kraft, fich demfelben geduldig zu unterziehen; nur dur 
\ fie vermögen die zwey Ehegenofjen einander zu ertragen, und zu un= 
\terftügen in wechlelfeitiger Liebe. 


Ihr Männer, liebet eure Frauen, wie Sefus Chriftus feine 
Kirche geliebt, die er mit feinem Blute gewafchen hat, und die 
ınun der Gegenſtand feines Wohlgefallens if. Betrachtet eure 
Gattinnen wie euer anderes Selbſt, was fie ja auch find , da in 
der Ehe zwey Perfonen nur Eine werden. Behandelt fie mit 
Nachſicht und Schonung, leitet fie mit Milde und Zärtlichkeit 
durch den fanften Zügel der Ueberzeugung , 1:9d, nad) des Apo= 
ſtels Mahnung, eingedent der Schwachheit ihres Gefchlechtes. 
Theilet ihnen in freundlicher Vertraulichkeit eure Angelegenheiten 
tmit, die ja auch die ihrigen werden in diefer innigen Vereinigung. 
Gewöhnet fie fo an die häuslichen Arbeiten, an vie Hleinlichen Ge— 
ſchäfte der Haushaltung, und feget fie in den Stand, ihre Kin— 
\der mit Ernft und Klugheit in der Furcht Gottes zu erziehen. 


Shr Frauen Hingegen, liebet und ehret eure Männer, wie 
die Kirche Iefum Chriftum , ihren Bräutigam, liebet und ehret. 
"Betrachtet in euern Männern Chriftum, den Herrn, felber. Seyd 
ihnen in Gott unterthan, als euern Oberhäuptern, die euch hie= 
ınieden an Gottes Statt vorfiehen. Trachtet durch euer fanftes, 
gefälliges, fittfames Wefen ihres Zutrauens fiets würdiger zu wer— 
tden, und durch Liebreiche Sorgfalt ihnen die Bürde des Lebens zu 
verleichtern. Fliehet nicht bloß mit Abfchen Alles, was einer Un— 
(treue ähnlich fehen könnte; fondern vermeidet auch mit möglichfter 
(Sorgfalt fogar den fernften Schatten deflen, was das Vertrauen 
iin diefer heiligen Verbindung zu ftören geeignet wäre, Begegnet 
veinander mit folder Einfalt und Züchtigkeit, daß bey dem Einen 
und dem Andern auch der leifefte Gedanke des Mißtrauens fern 
(gehalten werde. Endlich möge der Eheftand, weit entfernt dem 


192 


Fleiſche eine verberbliche Freyheit einzuräumen, euch vielmehr. dazu 
dienen, das Fleiſch dem Geifte defto leichter zu unterwerfen. 

Und weil denn Kinder die Früchte gefegneter Ehen find ; fo 
bitte ich zu Gott, daß er euch Kinder fchenke , jedoch Kinder, 
welche unter der Zahl feiner Heiligen gehören, und die einft de 
Troſt euers Alters werden mögen. 

(Oeuvres de Fenelon. Tom. VII, Divers sentiments 
et avis chretiens. N. L. du mariage.) | 





\ XXVI, 


Die nähmliche chriftliche Gefinnung, die fih in allen Ber: 
hältniffen des Lebens als fittlihe Ordnung, als Gerech— 
tigkeit, und in ehelihen Verhältniffen ale beharrende 
Treue und Liebe zwifchen Mann und Weib bewähret und ver— 
kläret, dieſelbe Gefinnung offenbaret und verherrlichet fih auch 
durch vernünftige Erziehung und Führung der Kinder zum Gegen 
der Welt. 


3 
— — — — 


Siebenundzwanzigſter Tag. 


Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Er⸗ 
| ziehung der Kinder. 


* 


Schriftſtellen. 


1. Wei die Aeltern gerecht waren, unterrichteten ſie ihre 
Tochter im Geſetz Moyſis. Dan. XIII. 3. 

2. Ihr Väter! reizet eure Kinder nicht zum Zorne, 
fondern erziehet fie in der Zucht, und in der Ermahnung des 
Herrn. Epheſ. VI. 4. 
3. Erbittert euere Kinder nicht, damit fie nicht muthlos 
werden. Kolof. III. 21. 

4. Mein Sohn! höre die Ermahnungen deines Vaters, 
und verachte die Gebothe deiner Mutter nicht; damit dein 


Haupt⸗ 


195 
A und dein Hals mit Eöftlichem Schmucke gezieret werde. 
Sprichw. I. 8. 9. 

5, Laffet uns die lobwürdigen Männer, und unfere Vä— 

ter in ihren Geſchlechtern rühmen. Sirachsſohn XLIV. 1. 
6. Raffet die Kleinen zu mir Fommen, und wehret ihnen 
das nicht; denn für folcye ift das Himmelveich. Mark. X, 14. 
7. Wenn ihr eudy nicht befehret, und werdet wie die 


Kinder, fo Eönnes ihr nicht in's Reich Gottes Eommen. 
Mat, XVII. 3, 


Betrachtung. 


Die heilige Liebe, welche als herrſchende Geſin— 
nung die Verehelichten beſeelet, zeigt ſich beſonders 
wirkſam in Bildung ihrer Kinder; und ihre Thätig— 
keit findet keinen Ruhepunct, bis ſie in denſelben das 
göttliche Ebenbild erblicken, nach dem der erſte Menſch 
geſchaffen worden, d. i. bis ihre Abkömmlinge, die 
fie aus der Hand des Vaters im Himmel erhalten 
' hatten, diefem ihren Vater, wo nicht glich, doch 
recht ahnlich fehen. 

Ohnehin ift es die chriftliche Öefinnung, aus 
welcher alle wahre fittliche Bildung hervorgeht, und 
außer welcher nur Mißbildungen und Berbildungen une 
ter den Menfchen gefunden werden. Wo aber die chrift: 

liche Sefinnung ſich zur Herrfchaft emporgehoben hat, 
und ihr bimmlifches Bildungstalent entfalten kann: 
da wird vorerft der ganze innere Menfch, die Vers 
nunft, der Wille und das Gemüth gebildet, und als 
Früchte diefer Bildung auch am äußern Menfchen die 
Mäßigkeit, Nüchternheit, Keufchheit, Geduld und als 
les, was fonft noch Zugend heißt, von innen berauss 
und angebildet. Es ift alfo die chriftliche Gefinnung, 
welche die Verehelichten tüchtig und würdig macht, die 
Vater⸗ und Mutterftele an ihren Kindern zu vertreten 
und Drgane zu werden, durch welche das geiftige 
Leben entwicelt und erzogen wird in denjenigen, die 
Sailer, d. chriſtl. Monath. 15 


194 


durch fie das natürliche Leben von Gott erhalten 
hatten. 

Die heilige Liebe, diefes Mark jeder chriftlichen 
Öefinnung, ift und bleibt im Grunde doch die eigent- 
liche Erzieherinn der Menſchheit; indem fie die zarte 
Knofpe des Menfchenmwefens vom erften Momente an, 
wo fie in die Welt eintritt, gleichfam in die Arme 
nimmt, heget und pfleget, flarket und bis zu dem 
Puncte begleitet, wo fie fähig wird, fich felbft durch 
das Leben zu führen, 

Von jeher hat, wer von der heiligen Liebe begei— 
ftert, alfo von chriftlicher Gefinnung durchdrungen war, 
da, wo fi) der Anlaß darboth, und fein ubriger 
Nflichtenfreis es erlaubte, mit uneigennüßigem und uns 
verdroffenem Eifer der Entwicdelung und Bildung der 
jungen Mtenfchheit fich gewidmet; und jede wohlge- 
lungene Erziehung war, iſt und wird ſtets fegn Die 
Frucht der heiligen Liebe, als Erzieherinn der Menſch⸗— 
‚heit betrachtet. Wo die heilige Liebe nicht iſt, oder 
nicht mehr ift: da ſinket oder verfinfet auch die Ers 
ztehung im Familien» und im öffentlichen Leben; was 
die Gefchichte der neuern Zeit auf eine nur zu mans 
nigfaltige und traurige Weife anfchaulich macht. 

Die heilige Liebe, als Erzieherinn der jungen 
Menfchheit, fängt das große Werk der Menfchenbil- 
dung ſtets bey feinem rechten Anfange an; indem fie 
vorerft das Böſe, welches in jedem ihrer Zöglinge, 
wenn nicht fchon in einiger Entmwicelung, doch wenig» 
ſtens dem Keime nach vorhanden ift, mit unerbittlis 
cher Strenge bewachet, unterdrückt und zerftöret, und 
dann die jchlummernden Anlagen zur Weisheit und 
Zugend durch Ernft und Milde wet, und ihr Wachs» 
thum durch Lehre, Benfpiel und Zucht fördert. 

Wenn nun die heilige Liebe jeden Menfchen gleich» 
fam zum Erzieher der jungen Menſchheit umfchafft, um 
wie viel mehr diel Xeltern, welchen die Erhaltung , die 


195 


Bildung und die Verforgung ihrer Kinder zunachfi von 
Gott übertragen wird? Die Xeltern find die unmittels 
barften, die natürlichffen und auch die wirffamften Dr> 
gane, durch welche die heilige Liebe erziehend auf die 
‚junge Menfchheit einwirkt. 

Diefe Liebe ift es, welche 3. B. die Mutter ans 
reget, und von innen aus nöthiget, ihr Kind zu wars 
ten, zu nähren, zu reinigen, zu bewahren und zu flärs 
‚Zen, und den unzähligen Sorgen und Mühſeligkeiten, 
die mit der erſten Kinderpflege nothwendig verbunden 
find, mit voller Wiligkeit und in ſtätiger Milde fich zu 
unterziehen. 

Die chriftliche Geſinnung iſt es, welche auch der 
fanfteften und zärtlichften Mutter jenen heiligen Ernft 
eirflößt, welcher das Böſe in allen Öeftalten, in denen 
es im Kinde fich reget, und am Kinde fich äußert, be> 
kämpft und unterdrückt, und von den erften Jahren an 
das noch unerfahrene Gefhopf an eine Lebensordnung 
gewohnt, durch welche das Wohl und Heil feines gan- 
zen Fünftigen Dafeyns bedingt wird, 

Die chriftliche Geſinnung iff es, welche der Muts 
ter die Anweifung gibt, durch Offenbarung ihrer eige— 
nen Andacht vor den Augen des Kindes die religiöfen 
Gefühle in demfelben, fo früh wie möglich, zu weden, 
und die Pflanze des Glaubens an Ehriftus, an die Lau— 
' terfeit feiner Gefinnung, und an die vollendete Heiligs 
feit feines Lebens in dem weichen Zöglinge forgfam zu 
‚pflegen; damit der Unglaube an unferm göttlichen Er: 
löfer, diefe reichhaltige Quelle alles Böfen, welcher in 
der Welt fo allgewaltig um fich greift, im Herzen des 
Kindes nie Wurzel faffen, nie mit aufwachfen Fünne. 

Die chriftliche Geſinnung ift es, melche die Mut— 
ter lehret, mit der häuslichen Andacht den Gottesdienft 
der Kirche, und mit dem häuslichen Unterrichte die Wohle 
that der öffentlichen Schule vereinbaren ; fo wie das früh 
auffproffende Unkraut früh genug wahrnehmen, und 

15° 


196 


mit unnachgiebigem Ernfte ausjäten; 3.8. Eigenfinn, 
Kechthaberey, Neid, Eiferfucht, Zorn, Rache, Stolz 
und Eitelfeit, welche nur zu frühe fich regen in den 
jungen Gemüthern ; aber nicht zu frühe unterdrückt und 
ausgetilgt werden können. 

Die chriftliche Öefinnung in der Mutter iſt e$, 
welche das ſchon erweckte Gefühl der Andacht in den 
Kindern zu erneuern, zu erhöhen und zu flärfen weiß; 
indem’ fie diefelben mit den Önadenmitteln befannt macht, 
welche Jeſus Chriſtus durch feine Kirche uns darbiethet, 
und die für jeden Ehriften heilfchaffend find... Die 
erfte Beicht, die erfte Communion der Kinder find 
die mwichtigften Handlungen, worauf die Mutter ihre 
Lieblinge vorbereitet, und die fchönften Feſte, die das 
ganze Haus mitfeyert. 

Die chriftliche Gefinnung iſt es endlich, melche 
die fromme Mutter zur Heldinn macht im großen Kam: 
pfe wider die große Welt, der feine Aeußerlichkeit 
und glanzender Lebensgenuß Alles, Gottesfurcht, Ans 
dacht des Herzens und Erfenntniß der Wahrheit fo viel 
als Nichts iſt; wider die gottlofe Welt,der Ehri» 
ſtus und fein Evangelium Xergerniß, und der gebiethen- 
de Sinn für Keufchheit und Gerechtigkeit Unfinn heißt ; 
wider die lufttrunfene Welt, die allen Ernſt 
des Lebens als Thorheit verſcheuchet, und den blinden 
Taumel von Lufipartie zur Zuftpartie für höchftes Les 
bensglück anfteht, und zur Zagesordnung macht. Wenn 
die Mutter ihre Kinder gegen die Einflüffe diefer drey— 
fachen Welt gefichert haben wird: dann ziemt ihrem 
Haupte die Mutterfrone. | 

Wie die chriftliche Liebe die Mutter zur eigents 
lichen Erzieherinn bildet: fo macht fie auch den Vater 
zum Bormann, zum Mitgehülfen und zum 
Unterftützer der mütterlichen Bildungen an feinen 
Kindern. Sein kluger Kath, das Mufterbild feines 
Lebens, feine Klarheit in Belehrung, fein milder Ernſt 


197 


in Züchtigung, der fliegende Ausdruck des väterlichen 
Anſehens, felbft die Macht feines fprechenden Blices, 
und feines noch beredtern Schweigens — geben dem 
fonft fchwächern Muttermorte die Waffe der Unwider⸗ 


ſtehlichkeit; der fleife Kopf ift dem Sohne gebeugt, der 
Eigenſtnn der Tochter gebrochen — die Erziehung fehreis 
tet ungehemmt voran. 


0 alfo chriftliche —— in den Aeltern 


herrſcht, und nur wo ſie herrſchet: da gedeiht die rechte 


Menſchenbildung in den Kindern. Was die Lie⸗ 
be, lehrend und thuend , in den Erftern vorbildet, das 
bildet die Liebe, gehorchend und vertrauend, in den Ans 
dern nach. 

Die Kinder zeigen in ihren Gefichtern die Züge der 
eltern, in ihrem Leben die Tugenden der Xeltern; 
Nächſtenliebe und Selbftbeherrichung, Fleiß im Erwers 
be, Mäßigkeit im Genuffe, Sparfamfeit im Gebraus 


che des Erworbenen, Oottfeligkeit und Genügſamkeit 
in Allem werden fich von den Aeltern auf die Kinder vers 


erben, und fich fpiegeln in den Erben. 

Endlich, wie der chriſtliche Sinn in den 
Aeltern beharrt: fo. wird auch der Findliche Sinn 
gegen die Aeltern in den Kindern beharren. 

So lange 3. B. die Aeltern ihre Ehrfurcht gegen 


‚ Gott bewahren: fo lange werden auch die zartfühlenden 
Kinder ihre Ehrfurcht gegen die Aeltern fefthalten ; zu— 


mahl fie in denfelben Gott ſelbſt erbliden, ehren und 
dankbar anerkennen werden, mie ihre Aeltern Gottes 
Vaterftelle an ihnen vertreten. Wo aber die Ehrfurcht 
gegen Gott aus den Herzen der Aeltern gemwichen ift: da 
wird auch aus den Herzen der Kinder die Ehrfurcht ges 
gen ihre Aeltern weichen. Wo chriftliche Gefinnung in 
den Herzen, und in dem Betragen der Aeltern gegen ihre 
Kinder herrſcht: da zeiget fi auch Gehorfam und Uns 


‚ terwürfigkeit im Betragen der Kinder gegen ihre Ueltern, 
als ihre natürlichen Vorſteher und Gebiether, als Stell- 


198 


vertreter der höchften Macht und Weisheit. Wo hinge- 
gen die chriftliche Gefinnung in den eltern erlofchen 
ift: da wird bald auch Feine Spur derfelben in ihren 
Kindern wahrzunehmen feyn, fondern eine Achtungslos 
figfeit und Kälte gegen ihre Aeltern eintreten, welche 
der Wiederfchein ihrer Achtungslofigfeit und Kälte ger 
gen Gott if. Und das ift leider das Bild unfrer Tage, 
Denn, wenn wir die jeßige Jugend betrachten: fo zeis 
get ſich nur zu vielfaltig, daß nicht ſowohl chriftliche 
Geſinnung, als vielmehr Willführ, Laune und Welte 
geiſt ihre Bildung beherrfcht haben; und wir werden die 
Worte Ehrifti (Matth. IX, 37. 38.) auch in diefer Bes 
ziehung treffend finden:z Die Ernte ift groß, 
der Arbeiter aber find wenige Bittet 
daher den Herrn der Ernte, daß er Arbei— 
ter in feine Ernte fende. 


Gebet 


3a, wir bitten dich, o Herr! werke auf in den 
Herzen der Aeltern und Aller, denen die Bildung 
der Jugend in die Hande gelegt ift, den rift- 
lihen Sinn; entzunde in ihnen das Fener deiner 
Liebe, daß fie, von ihr getrieben, das göttliche 


Bild in ihren Zöglingen von jo vielen Makeln, 


die es entftellen, reinigen, und nad) feiner ur- 
fprünglichen Herrlichkeit wieder herzuftellen trad)- 
ten; daß fie nicht nur Pfleger des thierifchen, 
irdifchen, fondern auch Bildner des geiftigen, un— 
fterblihen Lebens werden mögen. Amen, 





Vater Tobias, 
Ein Mufter aus der alten Welt für unfre neuen Erzieher. 


Als der alte Tobias ſich dem Tode nahe fühlte, rief er feis 
nen Sohn zu fi, und ſprach zu ihm: Höre, mein Sohn! die 








199 


"Worte meines Mundes, und bewahre fie wie eine Grundfefte in 
I deinem Herzen. Wenn der Herr meine Seele zu fi) genommen 
| haben wird :'fo begrabe du meinen Leib, und vernadjläffige deine 
Mutter nicht. Halte fie in Ehren alle Tage deines Lebens, thu, 
was ihr mwohlgefällig ift, und betrübe fie nicht. Bedenke, mein 
‘Sohn! wie viele und große Gefahren fie deinetwegen ausgeftan- 
den, als fie dich unter ihrem Herzen trug. Wenn fie geftorben 
ſeyn wird, fo begrabe fie neben mir. 

Sohn! dein Leben lang fey des Herrn, unferes Gottes, eins 
gedenk; fey wachfam, und willige ja in eine Sünde, in Feine 
 Uebertretung ber Gebothe des Herrn, unferes Gottes, ein. 

Bon deiner Habe gib Almofen, und wende von keinem Ars 
men bein Angefiht ab; denn fo wird es gefchehen, daß auch das 
Angeſicht des Herrn fih nie von bir abwenden wird. Sey batm= 
herzig nach dem Maße deines Vermögens; Haft du viel: fo gib 

reichlich; haft du wenig: fo theile auch das Wenige gern mit den 
Armen. Das Almofen, reichlich gefpendet, gewähret große Zuver= 
| | Al vor dem Herrn zu erfcheinen. 

Hüthe dich, mein Sohn! vor aller Unkeuſchheit; ehre dein 
Weib, und fchau auf Feine Fremde. Laß in deinem Herzen, in 
' deinen Worten und Geberden nie Hoffart und Uebermuth herrfchen. 
Denn hiervon hat alles Verderben feinen Anfang genommen. 

Wer irgend eine Arbeit für dich verrichtet hat, gib ihm den 
Arbeitslohn, und den Lohn, des Taglöhners laß nicht übernachten 
bey dir. 

Sieh wohl zu , daß du nie etwas einem Andern thueft, das 
du von einem Andern dir nicht gethan wünfchteft. 

Dein Brot iß mit den Hungrigen und Armen, und mit den 
Kleidern von dir bedecke die Nadten. 

Gib Almofen von deinem Brote und Weine bey ben Begräb- 
niffen der Frommen; in Gefellfhaft. der Gottlofen aber iß und 
trink nicht davon. 

Rathes erhohle dich immer bey einem weiſen Manne. 

Lobe Gott zu jeder Zeit, und bitte ihn, daß er leite deine 
Pfade, und alle deine Rathſchläge auf ihn gegründet bleiben. 

Ich habe dir, mein Sohn! noch dieſes zu ſagen: Zu Rages 
in Medien hab' ich ehemahls, als du noch ein kleines Kind warſt, 
dem Gabelus zwölf Talente Silbers gegeben, und habe ſeine Hand— 
ſchrift bey mir. Sieh, wie du zu ihm kommen, das erwähnte 


200 


Silber von. ihm erhalten, und ihm feine Handſchrift zurückſtellen 
könneſt. ur 

Fürchte dich nicht, mein Sohn! wir führen zwar ein armes 
Leben; doch befisen wir viel Güter, wenn wir Gott fürchten, uns 
von aller Sünde fern halten, und Gutes thun. Tob. IV. 2—25. 





XXVIII. 


Der Wirkungskreis der chriſtlichen Geſinnung weitet und 
erhöhet ſich immer mehr. Wie fie im häuslichen Leben zufrie— 
dene Ehen ſtiftet, gute Aeltern und treffliche Erzieher bildet: ſo 
weiß fie auch in dem größern Vereine des öffentlichen Lebens 
das Ganze zu erhalten und zu beglücken; indem fie, als Eeele deö 
großen Leibes, der Staat, und des andern, der Kirche heißt ; jes 
des einzelne Glied belebt, und in beyden Verhältniffen weife Vor» 
fteher und gut gefinnte Beamten in höhern und niedern Kreifen 
bildet. 





Abt und zwanzigfter Tag 


Bon Dffenbarung der chriftliden Öefinnung in Ers 
fülung der Amts- und Berufspflichten in großen und 
kleinen Wirkungsfreifen, 


Shriftftellem 


1. Voeiſchieden ſind die Gnadengaben, jedoch iſt nur Ein 
Geiſt. Verſchieden ſind die Verrichtungen, jedoch iſt nur Ein 
Herr. Verſchieden find die Wirkungen, jedoch nur Ein Gott, 
der Alles in Allem wirket. Einem Seglicyen wird der Geift ger 
geben, daß er fi) zum gemeinen Nutzen offenbare. — Alles 
wirker Ein und derfelde Geift, der einem Jeden befonders zus 
tbeilet, wie er will, Denn, gleichwie der Leib ein Ganzes 
iſt, obwohl er viele Glieder hat: fo machen alle Glieder des 
Leibes, obgleich ihrer viele find, doc) nur Einen Leib aus. So 
ft ed auch in Chriſtus. Wir find alle, Juden oder Heiden, 


201 


Sclaven ober Freye, in Einem Geiſte zu Einem Leibe getauft, 
und Alle mie Einem Geifte getränft. I, Kor. XIL 4— 7. 
2. Hat Semand ein Amt, der bleibe bey feinem Amte, 
Mer lehret, der bleibe bey der Lehre; wer ermahnet, der bleie 
be beym Ermahnen ; wer Andern mittheilet, thue es in Ein- 
falt. Iſt Semand Vorſteher, der fey es mit Sorgfalt; wer 
Darmherzigfeit übt, übe fie mit Freudigfeit. — Seyd nicht 
träge im Dienfteifer; feyd inbrünftig im Guten; dienet dem 
Herrn. Röm. XILE'6— 8. 11. 
00.3. Ihr Knechte! gehorchet dem Herrn mit Aufrichtigfeit 
des Herzens, wie Chrifto, — nicht ald Augendiener, um nur 
den Menfchen zu gefallen, fondern ald Knechte Chrifti, die 
Gottes Willen thun von Herzen. Ihr Herren! thut dasfelbe 
gegen fie, und laffet das Drohen. Ihr wiffer ja, daß auch 
ihr , wie fie, einen Herrn im Himmel habet, bey dem Eein 

Anfehen der Perfon gilt, Ephef. VI. 5. 6. 9. 

4. Die Weisheit. hat den Vorzug vor der Macht, der 
Weiſe vor dem Starken. Darum höret, ihr Könige! Merket 
auf und lernet, ihr Richter der Erde! Hierher eure Ohren, 
ihr, die ihr über fo Wiele herrfchet, und fo gern die Völker une 
ter euc) feht. Won dem Herrn habt ihr eure Herrfchaft em— 
pfangen; von dem Höchſten habt ihr euere Gewalt. , Diefer 
wird euch über euer Betragen und: euere Rathſchläge zur Nee 
chenſchaft ziehen. Ihr feyd die Diener feines Reiches. Weil 
ihr unrecht gerichtet, das Geſetz der Gerechtigkeit nicht beob« 
achtet, Gottes Willen nicht gethan: fo wird er ſchrecklich und 
plöglicy über eud) Eommen; denn die, welche Gewalt haben, 
werden fcharf gerichtet. Bud) der Weish. VI. 1—6. 

5. Mer it wohl der getreue ‚und Fluge Knecht, den 

ſein Herr über das Gefinde gefegt hat, um demfelben zur rech— 
ten Zeit die Nahrung zu reichen? Gelig ift er, wenn der 
Herr bey feiner Ankunft ihn fo handelnd finden wird. Matt. 
XXIV. 45. 46, 
6. Weidet die euch anvertraute Herde Gottes, und war 
det über fie, nicht aus Zwang, fondern freywillig, nach 
Gottes Willen; nicht um ſchändlichen Gewinnes willen , fone 
dern aus veiner Abficht; nicht als gebiethende Herrſcher über 
die Auserwählten, fondern ald Worbilder der Merde. Dan 
werdet ihr, wenn der Oberhirt erfcheint, die unvermwelkliche 
Krone der Herrlichkeit empfangen. Ihr Sünger! feyd Untere 
than den Lelteften. Ueberhaupt ſeyd Alle einander unterthan, 
und ſchmücket euch mit Demuth; denn Gott widerfteher den 


202 
Hoffärtigen, den Pengc aber gibt er Gnade. l Petr. 


2— 


V. 
7 Adıtet Alle ; liebet die Brüder; fürchtet Gott; ehret 
den König! I. Petr. IL. 17. 


Betradhtung. 


Wie der Eine Gott in der Schöpfung, Erhaltung 
und Regierung der Welt nichts offenbaren Tann, als fich 
felbft — das, was er ift, die ewige, heilige, Licht und 
Leben ausfirömende Liebe: ſo Fonnte er auch in der 
neuen Schöpfung, in der Erlöfung des menfchlichen 
Geſchlechtes, nichts offenbaren, als fich ſelbſt — dies 
felbe ewige, heilige, Licht und Leben ausftrömende Liebe. 

Liebe ift alfo der Anfangs» und der Ends 
punct, Liebe der Mittelpunct allr Werke, als 
ler ührungen Gottes, 

Und wie Gott die Liebe ift, fo foll der 
Menſch Gottes Ebenbild — Liebe werden, fo fol 
der Ehrift Gottes Ebenbild — Liebe feyn. Wenn nun 
diefe Liebe, die dag Geſetz aller Geſetze if, Matth. XXI. 
36—40. fo allgemein wäre, als die menfchliche Geſell— 
ſchaft: fo wurde jedes Menfchenwefen in feiner Lage, an 
feiner Stelle, in feinem Berufe Sort den Herrn im 
Bilde darfellen, 

Und überall, wo fie, Diefe Liebe, wirklich herrſcht, 
es ſey in dem bürgerlichen oder in dem Firchlichen Vers 
eine, da. ift jedes Amt, jede Stelle, jeder Beruf eine 
Dffenbarung Gottes; überall leuchtet und glänzet herz 
vor — das göttliche Ebenbild im Menfchen. 

Diefe Liebe, als Mittelpunct und Umfang aller 
chriftlichen Gefinnungen, iſt der Geift des weiſen und 
gerechten Regenten und feiner Staatsbeamten, ift die 
Seele des lichthellen, frommen Bifchofs und feiner Pries 
fterfchaft. 

Der Regent, von der heiligen Liebe durchdrungen, 
vergißt nie, worin feine hüchfle Macht gegrüns 








203 


det, und wozu fie ihm anvertraut fey, und ubt 
fie deßhalb über feine Untergebene, wie ein guter Bas 
fer die väterliche Gewalt über feine Kinder, aus. Ein 
ſolcher Regent ift nie waife gelaffen von der erhabenen 
und erhebenden Weberzeugung, daß er die Kegentens 
' Macht von Hott erhalten habe, und zwar zur Verwirk⸗ 
lichung göttlicher Zwecke, fomit zur Vollbringung defs 
fen, was wahrhaft gut ift; alfo nicht nur zur Schützung, 
ſondern auch zur Erziehung feiner Völker. 
Wenn nach der Lehre des Apoftels, Kom. XII. 4. 
jede Obrigkeit von Gott geordnet, und eine Dienerinn 
' Gottes zum Beften der Menfchen iſt; und wenn, wie 
der höchfte Regent, fo auch jeder untergeordnete Beams 
\ te des Staates im Sinne der Obrigkeit als Diener Got» 
tes zum Beften der Menfchen handeln fol: fo ift es ganz 
gewiß, daß, wie Fein chriftlicher Regent, fo auch fein 
chriſtlicher Staatsbeamter von einem andern Grundſatze 
‚ geleitet werden folle, als von demjenigen, welcher allen 
chriſtlichen Geſetzen und Anftalten zum Grunde liegt, 
d. irn, von der heiligen Liebe, ’ 
Bon diefer heiligen Liebe geleitet, werden der Re⸗ 
gent und jeder Staatsbeamte nicht bloß auf Reichthum 
und Macht hinzielen, fondern ſtets von dem erhabenen 
Sefichtspuncte der Menfchheit aus ihre Staatds und 
‚ Amt3-Handlungen beftimmen laffen; werden nicht nur 
Gelehrte und Künftler, nicht nur Handwerker , Lands 
bauer und Wehrmänner, fondern vor Allem aus Mens 
ſchen zu bilden fuchen, welche in den verfchiedenen 
Geſchlechtern, Abftufungen, Ständen und Berufsars 
ten der Menfchheit dem Urbilde gleichen, nach dein fie 
von Gott ift erfchaffen worden; Menfchen, die nicht 
bloß heißen, fondern in Wahrheit find: Eben« 
bilder Gottes. 

Wenn nun der einzelne Menfch nur in Verbindung 
mit der Menfchheit, und diefe nur in Verbindung mit 
Gott beftehen, und die ihr als Ziel vorgefteckte Volle 


204 


kommenheit erreichen kann: fo wird die chriftliche Ges 
finnung den Regenten von innen aus nöthigen, ein 
zwepfaches Band feftzuhalten, die Gerechtigkeit 


nähmlich , durch welche die Mienfchheit in dem Mens 
fen, und die Keligiofitat, durch welche die 


Menfchheit in Gott befteht, und diefes Doppelband als 
ler wahren Weisheit auch das höchſte Augenmerk der 
Staatsweisheit ſeyn laſſen, von welchem aus alle 
Kegierungs » Marimen beftimmt und befolget werden 
ſollen. 

Deßwegen wird in denſelben nie Willkühr oder 
Parteylichkeit Raum finden, ſondern alle Gebothe oder 


Verbothe nur auf ſolche Dinge ſich beziehen, welche der 


ewigen Ordnung, durch die das wahre Wohl der Menſch⸗ 


heit: und des: einzelnen Menfchen berbeygefuhrt wird, 
wenn nicht unmittelbar entfprechend, doch mittelbar zus ° 


träglich find. 
Die chriftliche Oefinnung wird dem Regenten nie 


geftatten,, den Menfchen bloß als Mittel für das Wohl 


Anderer zu gebrauchen ; fondern ihn vielmehr antreiben, 


jeden Menfchen als Selbftzwed zu achten, und jede Ge⸗ 
fellfchaft in ihren Rechten zu fehüsen, Denn nur das 
durch, daß Menfchen und menfdliche Sefellfchaften als 
fo viele einzelne Ganze gefchüget werden, können alle 
Theile des Ganzen, und das Ganze in feinen Theilen 


gefchüßet, und das heilige Band, wodurch der 


Menſch innerlich mit fich Eines wird, und auch außers 
lich Menfchen an Menfchen fi knüpfen, unverlegt ers 
halten werden. 

Die chriftliche Geſinnung wird den Regenten ers 
muthigen, jedes Unrecht mit unerbittlicher Strenge zu 
zerftören , und gegen die Srevler, die den Umſturz der 
Ordnung für nichts halten, das Schwert, das ihm Gott 
in die Hand gegeben bat, ohne Anfehen der Perfon zu 
führen. 





205 


N Nicht minder wird die chrifiliche Gefinnung den 
Regenten ſpornen, der leidenden und niedergedrückten 
Menſchheit aufzuhelfen; die Anlagen, welche in ihr lie⸗ 
gen, ſorgfältig zu entwickeln und zu bilden; mas ewig 
and ſchlechthin Recht iſt, in allen Beziehungen des 
menſchlichen Lebens zu verwirklichen, und fo eigentlich 
Water und Hirt des Volkes, mit andern Worten: Stifs 
ter und Erhalter ihres irdifchen Wohlftandes zu werden 
und zu bleiben. 

/ Weil aber der leidenden Menſchheit Feine Erleich- 
terung, den Unterdrückten Feine Erhebung, den Gebun— 
denen feine Befreyung, und ihren höhern Anlagen kei— 
ne wahre Entwicklung und Fortbildung zufommen kann 
— ohne Entwiclung und Forıbildung der Religion: fo 
wird der Regent und der Staatsbeamte, wofern chrift- 
liche Liebe fie befeelet, die Religion nie als bloßen Kapp- 
zaum anfehen, durch welchen der wilde Theil des Bols 
kes gehalten werden Fann, fondern vielmehr als das 
tallerwichtigfte und unintbehrlichlte Bildungsmittel der 
Menſchen; ja nicht nur als Bildungsmittel, fondern 
als das volfommenfie und befeligendfte Leben der Menfch» 
| heit. 





Die chriftliche Öefinnung offenbaret fi alfo im 
Regenten und Staatsbeamten als jenen guten Geift, der 
(fie antreibt, vor allen Dingen das Keich Gottes und 
desſelben Gerechtigkeit zu fuchen, und auf Gott als den 
Ihöchften Regenten ein fefte$ und unverrücktes Vertrauen 
zu ſetzen, das fie in allen Stürmen des Lebens ruhig 
ıund muthvoll erhält, und in den ſchwierigſten Worfäls 
len als Eraftige Schüßer, und als unermüdliche Wohle 
(thater der Volker hervorhebet, 

Wie die chriftliche Gefinnung gute Kegenten und 
Itreffliche Staatsbeamten: fo bildet fie auch würdige Bis 
ſchoͤfe und Priefter, als fo viele Mitarbeiter Gottes in 
(Erleuchtung, Heiligung und Befeligung unferes Ges 
ſchlechtes. Sie ift es, die Bifchöfe und Prieſter inners 





206 


ich an Ehriftus, deffen Stelle fie vertreten, und 
außerlich an den Leib Chrifti, an die Kirche, an 
den Zempel Gottes, den fie bauen, anfchließt. Gie 
ift es, die in jedem Geiftlichen die ihm angemiefene 
Stelle treu bewahrt und ganz ausfüllt. Sie ift es, 
die geiftlih- Öeiftliche erziehet, welche durch 
Anhänglichkeit an Ehriftus und die Kirche das Bild 
der Ordnung in der Kirche, und durch Untermürs 
figkeit gegen den König und feine Statthalter das Bild 
der Drdnung im Staate darfiellen. 

Die chriftliche Gefinnung bleibt nicht dabey fiehen, 
daß fie das Zepter des Regenten, und den Hirtenſtab 
der Kirchenvorfteher mit Milde und Schonung 
ummindet; fie ftiftet au) zmwifchen den Herrfchaften und 
der dienenden Klaffe ein freundliches Bündniß, fo daß 
die Befehlenden in ihren Dienern Genoffen desfelben 
Glaubens, Kinder desfelben Waters, Erben desfelben 
Himmels hochadhten, und die Gehorchenden in ihren 
Gebiethern Chriſtum felbft verehren. 

Bey dieſer Mannigfaltigkeit der Aemter, der Bes 
rufsmweifen, der Stufen und Stellen im bürgerlichen und 
Kirchen » Vereine ift aber doch Eine Perle, die fie 
Alle beiliget, und in Allem wiederglänzt. Dieſe Perle 
ift die Treue, die Paulus von den Dienern Chriſti 
und Vermwaltern der Geheimniffe Gottes fordert, die der 
ewige Gefetzgeber uns Allen an jeder Stelle, die 
wir einnehmen, und in jedem Amte, das uns anver- 
traut iff, zur Pflicht macht, und mworuber uns 
Ale der ewige Richter. zur aa 57 DIE N zie⸗ 
hen wird. 

»Sey freu in dem, was dir anvertraut iſt, es ſey 
viel oder wenig, groß oder Plein ; wuchere mit deinem 
Talente; ackere auf deinem Felde; fchneide ein in deis ) 
ner Ernte; arbeite mit der Kraft, die dir gefchenkt, laß .' 
leuchten das Licht, das dir gegeben iſt; bewahre was 
du haft«e — das ift das Eine göttliche Evanges 





207 


lium fur alle Aemter, alle Stellen, von Oben big 
‚Unten; und überall, two fich die chriftliche Gefinnung 
‚ am vollfommenften ausfpricht, da ftellt fie ſich als volls 
ıendete Treue dar. 

Uns Allen ift gefagt, was der Erfte und Letzte, der 
todt war und lebet, dem Bifchofe zu Smyrna fchreiben 
läßt, das iſt uns Allen geſagt: »Sey treu big in 
den Tod, und ich will dir die Krone des 
Lebens geben. Dff. IL 10. 


Gebeth. 


Dein Mille, dein Rathſchluß, o Gott! unſer 
aller Vater! iſt es, daß das zeitliche Wohl und 
das ewige Heil nicht nur einzelner Menfchen, fon- 
dern ganzer Volker, von der Meisheit und Ge— 
rechtigkeit ihrer Regenten, und von dem apofto- 
Tischen Sinne und Mandel ihrer Kirchenvorjteher 
abhängig feyn follte, 

Die größte Segensfülle würde fich ausgie- 
Ben uber die Nationen, wenn ihre Führer in den 
WUngelegenheiten des Staates und der Kirche von 
der chriftlichen Geſinnung durchdrungen, und von 
dem «Geifte der Eintracht befeelet waren. 
Darum flehen wir zu dir, von dem alle Ge— 
walt, und alle gute Gabe kommt. Entzünde, ent- 
zünde das Feuer der Kiebe zu dir in den Herzen 
aller Gebiethenden; damit fie, in deinem Kichte 
wandelnd, das, was in allen Berhaltniffen gut 
und recht ift, helle erkennen, und mit ungebeng- 
tem Muthe vollbringen, und durd Ordnung und 
Eintracht, die fie handhaben, dein Ebenbild dar- 
Stellen, und dein Keich auf Erde ausbreiten. Um 
dieſe Gnade bitten wir für das Mohl der Völ— 
‚fer in dem Nahmen deines Sohnes, durd den 
das Licht in die Finfternig leuchtet, der Allen, 


208 


die es aufnehmen, Macht gibt, deine Kinder , 
und, wenn du fie berufejt, nach deinem Wohl— 
gefallen auch Deine Stellvertreter auf Erde zu 
werden ; indem fie ji der Stelle, wo fie ftehen, 
von dir gefeßt, die Weisheit und Güte, die 
Heiligkeit und Gerechtigkeit, die in dir wohnet, 
und von dir auf fie überfließt, vor ihren Unter: 
gebenen “offenbaren, und Durch ihr Borbild 
> durch ihre Wurde deinen Nahmen verherr- 
ichen. 

Aber nicht nur für die, welche im Gebiethe 
des Staates und der Kirche die erjten Plätze 


einnehmen: für Alle, fie mögen nad) oben oder. 


nach unten, oder in der Mitte ftehen, — für 
uns Alle bitten wir, und bitten um das Eine: 
Gib uns die Perle jedes Berufes, lehre uns 
treu fenn in dem, was du uns anvertraut 
haft, treu feyun in dem Gegebenen. 





XXIX, 


Der Ehrift zeigt ſich als Chrift in dem häuslichen, Bürgers 
lichen , kirchlichen Vereine; überall glänget die Perle des Chriften- 
thums , die ungetrübte, beharrende Sreuein dem, was ihm ges 
geben ift, hervor. 

Sie lehrt ihn auch, in alle Umftände des Lebens ſich fügen, 
und von jedem Schidfale zmedmäßigen, und eben deßhalb guten 

' Gebraudy machen. Reichthum, Armuth nnd Mittelftand ift ihm 
weiter nichts, als ein Ruf feines Herrn, den Willen der 
böchften Weisheit in jeder Lage, und in allem Wechfel des Lebens 
anzuerkennen und zu vollbringen. 


— — — — 


Neun 


Neunundzwanzigfter Sag. 


Bon Offenbarung der chriftlichen Öefinnung im Vers 
halten bey Keichthum, Armuth und im Mittelftande. 


Schriftftellen 


1. I pri, ic) fage euch: es ift fchwer, daß ein Reicher 
in’s Himmelreich eingebe. Leichter wird ein Kamehl durch ein 
Navdelöhr gehen, als daß ein Reicher in's Himmelreich eingeht. 
Matth. XIX. 23. 24. 

2. Es war Fein Dürftiger unter ihnen; indem Alle, wel— 
che Güter oder Häufer hatten, fie verkauften, und den Werth 
des Verfauften brachten, und zu den Füßen der Apoftel hinleg- 
ten; wovon Jedem, fo viel er nöthig hatte, zugetheilt wurde, 
Apoftelg. IV. 32. 34, 35. 

3. Ihr kennet ja die Gnade unfers Herrn Sefu Chrifti; 
wie er, da er reich war, um euretwillen arm wurde; damit 
ihr durch feine Armuth reich würdet, II. Kor. VIIL. 9. 

4. Die Füchſe haben Gruben, und die Vögel unter dem 
Himmel Nefter; der Sohn des Menfchen aber hat nicht, wo 
er fein Haupt niederlege. Luk. IX. 58. 

5. Ich habe gelernet, micy mit dem, was ic) habe, zu 
begnügen. Ich Fann entbehren, und kann Ueberfluß haben. 
Ueberaͤll und in Allem bin ich geübet , ſowohl fatt zu feyn, als 
zu bungern ; ſowohl Weberfluß zu haben, ald Mangel zu leiden. 
eh vermag id) durc den, der mic) ftarf macht, Philipp, 

V. 11- 13. 


Betrachtung. 


Die chriſtliche Geſtnnung offenbaret ſich in allen 
Verhältniſſen und Zuſtänden des menſchlichen Lebens 
auf zweyfache Weiſe: dadurch nähmlich, daß ſte 1) 
entfernt und ausſchließt, was der höchſten Beſtimmung 
des Menſchen, d. i. der Vereinigung desſelben mit Gott 
in Chriſtus, widerſpricht; und daß fie und 2) von in» 
nen aus anweiſet und antreibt, von jedem Zuftande, in 

Sailer, d. hrifil,. Monath, 14 


210 
dem wir uns befinden, einen Gebrauch zu machen, der 
gottgefalig und dem Menſchen beilfam ift. 

Die chriftliche Gefinnung iſt es, welche die Ge— 
fahren und die nachtheiligen Folgen, die fich faft im— 
mer mit dem Keichthume verbinden, fernhalt, und dems 
nach Sünden, welche die Reichen gervöhrtlich begeben, 
vermeiden lehret. 

Sie mehret dem Stolze, der, auf ungemiffe 
Keichthümer fich verlaffend, mit Uebermuth und Ver— 
achtung auf Andere hinabfchaut ; fie widerfteht der 
Unmäßigfeit und Schmwelgerey, der Wol—⸗ 
luft und der Arbeit und Pflicht fheuenden 
Bequemlichfeitsliebe, der Ueppigfeit, 
dem Zurusin allen feinen Öeftalten, und der Ans 
hänglichkeit an irdifche Güter, die ein wahrer 
Gösendienft it, und das ewige Leben nicht auffoms 
men laßt. Denn die chriftliche Geſinnung ift es, mwels 


che den Sinn des Menfchen von der Welt und ihren 


Schätzen megziehet, und dem Herzen für Gott ges 
ſchaffen, feinen Schatz auf Erde, fondern im Him⸗ 
mel anmweifet das höchſte Gut; fie ift ed, die uns von 
innen aus treibt, Alles zu thun und zu laffen, was 
uns der Apoftel, I. Zim. VI. 17 — 19. zu thun und 
zu laffen auffordert: Den Keichen diefer Welt 
gebiethe: fie follen nicht übermüthigſeyn, 
und nicht vertrauen auf den ungemiffen 
Keihthbum, fondern auf den lebendigen 
Gott, der uns Alles zum Öenuffe reich 
lich darreichet; fie follen Gutes thun, 
reich werden an guten Werfen, gern ge 
ben und mittheilen; ſich Schätze fammeln 
als eine gute Grundlagefür die Zukunft, 
Damit fie das ewige Leben ergreifen. 

Die chrifiliche Gefinnung iſt es, die, nicht zus 
frieden , den Reichthum für die Zugend unfchadlich 
und gefahrlos gemacht zu haben, ihn auch zur reich- 


211 
haltigen Segensquelle macht; indem fie mit deinfels 


ben die Hungrigen fpeifet, Die Nackten Fleidet, die 


Fremden beherbergt, und jeder andern ſchreyenden 


Sülfsbedürftigkeit, ja felbft der verfchamten Armuth, 


zu Hulfe eilt. 

Sie, die chriftliche Öefinnung, iſt es, die im 
dürftigen Menfchen nicht den Menfchen, fondern 
. Menfchen Ehriftum felbft erquickt, fpeifet, trankt, 
leidet. 

Sie iſt es, die nicht bloß die Bedürfniffe der 
Gegenwart im Auge hat, fondern felbft für die 
Bedürfniffe Eommender Jahrhunderte forget; ins 
dem fie‘ die zeitlichen Gaben Gottes als ein Kapital 
anleget, welches Zinfen für die Nahmwelt und die 
Emwigfeit trägt. Die Zinfen für die Nachwelt 
pflanzen fich , unter dem Schutze der Öefete, und dem 
Auge der wachenden Providenz, als fromme, weiſe 
Stiftungen auf die zufünftige Menfchheit fort, und 
fördern noch in den fpateften Enkeln die Keime der Res 
ligion und Tpgend, der Kunft und Wiffenfchaft; fpens 
den Gefundheit unter den Kranken, Sättigung unter 
den Hungrigen und Erquidung den Betagten ꝛc. aus, 
So veremwiget fich der Segen des Reichthums in der 


Zeit, und täglich erneuert fich die Wahrheit des Wor⸗ 


tes, das der Herr ausfprah: WVerfaufet, was 
ihr befitzet und gebet Almofen; machet 
euch Beutel, die nicht veralten, und er 
nen Schatz im Himmel, der nicht verge— 
bet, wo fein Dieb dazu fommt, und Feine 
Motte verzehret. Denn wo euer Schatz 
ift, da wird auch euer Herz ſeyn. Luk. XIL 
33. 34- { 

Bon der chriftlichen Gefinnung belebt, haben 
unfere Vorältern wirklich derley Schäße angelegt; 
Schäge, welche jetzt noch als Troft- und Hülfsquels 
len für Arme und Kranfe, für Wittwen, Waifen, 

14 


212 


Findlinge, als Unterftugungsmittel für Wiffenfchaften 
und Künfte, als Fortpflanzungsmittel für Religion 
und Zugend zu betrachten find; Schäße, deren Zin— 
fen ein großer Theil der jegigen Menfchheit die Erhal: 
tung des natürlichen Lebens, und fo Viele unter ung 
das geiftige und fittliche Leben zu verdanfen haben ; 
Schäbe endlich, an welchen die Gegenwart zehren 
muß, wofern fie nicht verhungern, und geiffiger, mie 
feiblicher Weife, ſterben fol, 
Wie die chriftliche Gefinnung den Keihthum 
für Weisheit und Tugend unfchadlich, und fogar zur 
GSegensquelle für Andere zu machen weiß: fo ift fie es 
auch , die die Bürde der Armuth leichtert, und dem 
Duürftigen an äußern Gütern einen Reichthum an 
Muth, Frobfinn und Heiterfeit in den Schooß leget; 
fie Tehret ihn, auf die Vorfehung trauen, und wirft 
üne £ebensforgen auf den, der, die Sperlinge näh— 
rend und die Lilien Fleidend, des Menfchen nicht ver: 
geffen kann; fie macht ihn zufrieden mit den Bros 
famen, die für ihn vom Zifche berunsgrfallen , den 
der große Hausvater täglich für alle feine Wefen deckt, 
fo wie mit dem einfachen Gewande, das feine 
Blöße verhüllet, eingedenf des großen Wortes: Wenn 
wir Speife und Decke haben, fo find wir 
damit zufrieden. 
 Wahrhaftig ! ſolche Wunder mirfet nur 
der Geift Ehrifii in feinen Gläubigen; folde 
Scaufpiele für Himmel und Erde führt nur die 
Macht der Liebe auf. Hier ein Reicher, demuüthig, 
befcheiden, mäßig, fich und fein Gut vpfernd für ans 
dere, und nur vertrauend auf den lebendigen Bott; 
dort ein Dürftiger, froh, dankbar, felig in Gott — 
bey Mangel und Drud. Der Reiche ift als Ehrift 
nur Haushälter mit den Öaben feines Herrn; der 
Arme bleibt ala Ehrift fern von fündhafter Selbfthül- 
fe, und von arbeitfcheuer Betteley, lebt von jedem 


| 


215 


Morte Gottes , von jeder Gabe feines Nachbars, und 
tragt mit Zuverfiht und Geduld — die Bürde der 
Armuth, bis fie ihm die allmachtige Hand, die fie 
ihm aufgeladen hat, von feinen Schultern nimmt. 

Falt dem Ehriften das fchönfte Loos des goldenen 
Mittelftandes: fo fühlt er den Werth desfelben, 
und preifet danfbar die Gnade, von den fiechenden 
Dornern des Ueberflußes, und von den drückenden Sors 
gen des Mangels frey zu ſeyn; fein heiteres Auge 
wirft nie einen neidifchen Blid auf den hohen Pals 
laft des Keichen, nie einen verachtenden auf die 
niedere Hutte des Dürftigen ; fein Gemüth meidet fich 
in Betrachtung des Emwigen, und ringe darnad), ſtets 
noch unabhängiger vom Zeitlichen zu merden. 

Auch diefen feligen Mittelftand zwifchen Reich: 
thum und Armfeyn erhalt, ſchmücket und veredelt die 
Eine bimmlifche Liebe, deren Feuer nie erlifiht 
in den Seelen ‘der Öerechten. 


Gebeth. 


So reinige denn, o Herr! unſer Innerſtes 
von allen irdiſchen Schlacken durch dieß dein 
heiliges Feuer, das Liebe iſt und Liebe anzun- 
det in allen empfänglichen Herzen, und verleihe 
uns, daß wir, rein von Eigenwille und Selbſt— 
ſucht, nur Diener deines Willens werden. Dein 
Beier Anhauch befeele und unterftüße unfere 
ntfchlüffe, Abſichten und Handlungen; damit 
fie nur von “Dir ausgehen, und uur in Dir 
ihren Ende: und Ruhepunct haben. Amen, 


XXX, 


Wenn die hriftliche Gefinnung den Reichthum zur Segens⸗ 
quelle der Menschheit, und die Armuth zum Reihthum umfchafft, 
auch dem Mittelftande eigenen Segen gewährt: fo erhält fie nicht 
weniger in glücklichen und in unglüdlichen Tagen, in Zagen der 
Sreude und in Tagen des Leidens, die Seele gleihmüthig; 
indem fie diefelbe im fläten Vertrauen auf Gott, in fläter Liebe - 
und Lobpreifung Gottes, gründet und übet. 





Dreyßigſter Tag. 


Bon Dffenbarung der chriftlichen Gefinnung in den 
Tagen der Freude und des Leidens. 


Schriftftellen 


1. Wi wiſſen auch, daß denen, welche Gott lieben, alle 
Dinge zum Beſten dienen, den Heiligen nähmlich, die nach 
dem Nathfchluffe Gottes berufen find. Röm. VIII. 28. 

2. Die Zeit ift Eurg: daher bleibet nichts übrig, ald daß 
die, fo Weiber haben, feyen, als hätten fie Feine, und die 
da weinen, als weinten fie nicht, und die fich freuen, als 
freuten fie fich nicht, und die da Faufen, als befäßen fie nichts, 
und die diefe Welt genießen, ald genößen fie diefelbe nicht; 
denn die Geſtalt diefer Welt vergeht. I. Kor, VII. 29-31. 

3. Sreuet euch, Brüder! ich fage euch's noch ein Mahl, 
freuet euch: euere Milde werde allen Menfchen bekannt; der 
Herr ift nahe. Kümmert euch um nichts; fondern in allen 
Dingen Iaffet euer Anliegen im Gebethe und Flehen mit Dank— 
fagung vor Gott Fund. werden; und der Friede Gottes, der 
alle Begriffe überfteiget, bewahre eure Herzen und Gedanken 
in Chriſto Jeſu. Philip. IV. 4— 7. 

4. Wir rühmen uns der Hoffnung, die Herrlichkeit ber 
Kinder Gottes zu erlangen, Aber nicht nur dieß, fondern 
auch der Trübſal rühmen wir uns; weil wir wiffen, daß Trüb— 
fal Geduld wirket, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber 
Hoffnung, Hoffnung aber nicht zu Schanden macht; denn die 





215 


Liebe Gottes ift in unfern Herzen ausgegoffen durch den heit: 
gen Geiſt, der ung gegeben ift. Kom, V.2—5. 

5 Chriſtus mußte leiden, und fo in feine Herrlichkeit ein» 
geben, Luk. XXIV. 26. So müffen auch wir durdy viele 
Zrübfale hindurch in das Reich Gottes eingehen. Apoftelgefch, 
XIV. 21. E 

6. Wenn aud) unfer äußere Menſch aufgerieben wird; 
fo wird dod) der innere von Tag zu Tag erneuert; denn unfere 
gegenwärtige Trübfal, die augenblicklich und leicht ift,, verfchafft 
uns eine unermeßliche, ewige, Alles überwiegende Herrlichkeit; 
indem wir nicht auf das Sichtbare ſehen, fondern auf das Uns 
ſichtbare; denn das Sichtbare ift zeitlich, dad Unſichtbare aber 
ift ewig. II. Kor. IV. 16 — 18, 

7. Jede Züchtigung feheint, fo Tange fie währet, nicht 
Freude, fondern Traurigkeit zu feyn; aber in der Folge ges 
währt fie denen, die durch fie geübet werden, eine freudenvolle 
Srucht der Gerechtigkeit. Hebr. XII. 11. 


Betradtung. 


Zwey Zuftande des irdifchen Lebens, die auf 
die fittliche Stimmung und Verſtimmung des Menſchen 
den bedeutendften Einfluß haben, find Freude und 
Leiden; .aber auch beyde weiß die chirfiliche Gefins 
nung in Quellen des Heild umzuwandeln ,„ und umzu⸗ 
‚wandeln — durch mweife Benußung derfelben. Und ger 
rade diefe Benutzung iſt es, durch die fich der Geift 
des Chriftenthums fo unverkennbar von dem Geifte. 
der Welt unterfcheidet. 

Die Tage der Freude fieht der Chriftlichgefinnte 
als fo viele Gaben -feines Herrn an, in deffen Diens 
fie er fleht; fieht in jeder Gabe den Einen Geber, 
und in dem Geber die lauterfte Liebe, die ihn nur 
zur Gegenliebe, zum Danke, zum Vorſatze: Ich 
will Andern geben, wie Gott mir gegeben 
bat, und zur genauern Bewahrung des Herzens fpor= 
net; damit ihn die vorübergehende Freude nicht von 
der ewigen Quelle aller Seligfeit entferne. Nie gibt 
er fi bey glücklichen Ereigniffen an die Reize des 


216 


Berganglichen hin ; fondern erhebt fich über alles 
Zeitliche in. das Gebieth des Emwigen, und wird in 
eine ähnliche Stimmung ‚verfeßt, mie ‚die war, welche 
aus. der. prophetifchen Sängerinn in den feligften Mo— 
menten ihres Lebens fprach, Luk. J. 46 — 55.: 
Hoch erhebet meine Seele den Herrn, mein 
Geift frohlocketin Gott, meinem Heilans 
der denn er hat hberabgefehen auf die Rie— 
drigfeit feiner Magd, er hat Großes 
an-mir gethban,heiligift fein Rahmez; ſei— 
ne Barmherzigkeit geht von Geſchlecht 
zu Geſchlecht auf die, welde ihn fürchten. 
Er zerftrewet die Hoffärtigen in ihres 
Herzens Ginn, fkürgetdie Mächtigen, 
und erhöhet die Niedrigen. Er gibt den 
Durftigen Güter im Ueberfluß, und die 
Reichen laßt er leer ausgehen. 

Indem nun aber die frohen Tage den Öottfeli- 
gen nur noch demüthiger, dankbarer, andächtiger, 
wachfamer und fertiger zum Recht⸗ und Wohlihun 
machen; laffen fich die, Kinder der Welt, tie fie 
Fohannes nennt, beraufcht von dem Becher der Sreus 
de, von einem Labyrinth der taufchenden Sünde in 
den. andern hineinziehen, und taumeln, ohne Gott 
und außer dem Rückweg zu Gott, ohne Zuverficht 
und ohne Rettung — durch das Leben, bis fie. die 
Hand der Verzweiflung und’ des Todes ergreift. Ihr 
ganzes Leben ift ein Traum von unermeßlichen Schät⸗ 
zen; davon fie recht eigentlich erſt in der Ewigkeit ers 
wachen, und erwachend, fich das erſte Mahl arm finden, 
und nackt und leer an allem Guten, und preiögegeben 
der Schande und dem Sammer ohne Ende. 

Mehr als die frohen , glücklichen Tage nüben den 
Ehriftlichgefinnten die Tage des Leidens und des Drucs 
tes aller Art. Denn fie reißen die feinften Bande, 
welche die Seele noch an die Erde heften, entzwep, 


217 


und verleihen ihr einen ganz eigenen Schwung zu Gott 


und göttlichen Dingen hinauf, Defwegen haben alle 


freyen und geiftreichen Männer die Tage der Zrubfal 
denen der zerfireuenden Luft vorgezogen, zumahl nur 


auf dem königlichen Wege des Kreuzes der Sohn 
Gottes uns voraus und in feine Herrlichkeit eingegans 
gen ift, und wir wohl auch auf feinem andern, als 
auf diefem Wege, an feinen Tugenden, an feinen 


Verdienſten, und an feiner Qerherrlichung Antheil neh⸗ 


men fonnen, 

Der Sohn Gottes hat gelitten, lehret 
mit der ganzen Kirche der heilige Eyprian, um auß 
uns Söhne Gottes zu madhen; und der 
Sohn des Menfchen follte das Leiden vers 
ſchmähen, und nidt auf dem Wege des 
Kreuzes in der Tugend befeftiget und 
vollendet werden wollen? 

Fa, wahrhaftig! das Kreuz, Chriſto im Geiſte 


| Chrifti nachgetragen,, feftiget und vollendet in uns dag 


Gute, Denn, wie Gluf und Wohlfegn auch verftans 
dige Männer bethören fann, daß fie in Handlung 
und Geberde fic) als würdige Zöglinge des Jrrenhaus 
ſes darftellen ; auch gute Manner aufblähen Fann, 
daß fie, in den Höhen eitler Einbildungen verloren, 


des Sturzes und Unterganges kaum mehr fich erwehe 


ren -mögen ; auch geachtete Männer verführen Fann, 
daß fie fich mit Schande bededen, und der allgemeinen 
Berachtung preis geben: fo ift es die Zuchtfchule der 
Trübſal, die Verſtand gibt den Unmündigen, demüthts 
get die Hochfahrenden , reiniget die Befleckten, und 
erreget ein Heimweh nach der Ewigkeit in de— 
nen, die in Zeit und Vergänglichkeit verſunken ſind. 
Das £etere verdient noch naher angeblickt zu werden, 

Ungeachtet der vielen Drangfale und bangen 
Beforgniffe verfchiedener Art, mit welchen das gegen» 


wärtige Leben überall umgeben ift, fühlen wir: gleich» 


218 


- wohl eine fo große Anhanglichkeit an dasfelbe: wie 


würde es erft feyn , wenn diefes Leben, frey von Drangs 


fal, wonnevol dahin flüge? Wie wäre alsdann an 
eine Sehnfucht nach dem ewigen Leben auch nur zu 
denfen ? Allein durch die drangenden Unruhen des ger 
genwärtigen Lebens werden wir an die Ruhe des ewi» 
gen erinnert, und zur Sehnſucht darnach angeregt; die 
Zaften der Gegenwart treiben uns, fo vor dem Herrn 
zu wallen, daß wir aus diefem Fummer- und forgens 
vollen Zeben in ein ruhiges und feliges hinüberzugehen 
hoffen dürfen ; denn jedes Leiden diefer Zeit iſt vergänge 
lih, und unverganglich die Freude, welche in der 
Ewigkeit daraus erwächft für die, welche in Geduld 
und guten Werfen ausharren. Wehe aber Allen, ruft 
der heilige Bernhard, wehe Allen, welche das Kreuz 
Ehrifti tragen, ohne Ehrifto nachzufolgen, d. i. ohne 
gefinnt zu feyn, wie Chriſtus gefinnet war! Wehe 
Allen, welche Theil nehmen an dem Leiden Ehrifti, 
ohne an der Demuth zer Öottergebenheit Ehrifti An⸗ 
theil genommen zu haben ! 

So ift e3 denn doch nur die heilige Liebe, Fäm- 
pfend und fiegeud in den Herzen der Gläubigen, 
welche das Ilnglü in Glück, das Unheil in Heil, 
und jegliches Leiden in eine Freudenquele umzumans 
deln vermag, nach dem Worte des Apoftels: Wir wifs 
fen, daß denen, welche Gott lieben, alle 
Dinge zum Beften dienen, Rom. VII. 28, 
Auch das haben die Leiden für fich ; daß fie die Fer 
ftigfeit und Lauterfeit des chriftlicden Sinnes prüfen 
und bewähren, wie das Gold im Feuer geprüft und ges 
lautert wird. 

Das durch Trübſal geläuterte Gold der chriftlis 
chen Liebe fpricht fich mit hoher Macht in den Briefen 
des heiligen Paulus aus, befonders an zwey Stellen: 
„Mas wird uns feheiden von der Liebe Ehrifti? Trüb» 
fal oder Angſt? Hunger oder Blöße ? Gefahr oder 


— — — — — 


219 
Berfolgung, oder das Schwert? Bey allem dem übers 


winden wir durch den, welcher und geliebet hat; denn 


ich bin verfichert, daß weder Tod noch Leben, weder 
Engel noch Fürften, weder Mächte noch Stärfe, wes 


der Gegenwart noch Zukunft, weder Höhe noch Tiefe, 
ja daß Fein einziges Gefchöpf ung zu feheiden vermöge 


von der Liebe Gottes, die da ift in Ehrifto Jefu, une 
ferm Herrn,« Rom. VII 35 — 39. Und 

»Von allen Seiten werden wir bedrängt, aber 
wir ängſtigen ung nicht; werden in die Enge getrieben, 
aber verzagen nicht; werden verfolgt, aber doch nicht 
verlaffen; werden zu Boden geworfen , fommen aber 
doch nicht um. Immer tragen wir das Sterben es 
fu an unferm Leibe umher , damit auch das Leben Fer 
fu an unferm Leibe offenbar werde; lebend werden wir 
in den Tod Hingegeben um Jeſu willen, damit dag 
Leben Jefu an unferm flerblichen Leibe offenbar werde. 
So ift denn der Tod wirkſam in ung, das Leben 
aber in euch,« I. Kor. IV. 8 — 12. 

ie der große Apoftel haben auch fo viele ans 
dere Bekenner und Blutzeugen Ehrifli, in den Gtuns 
den des qualvollften Leidens , ihre beharrende und durch 
Drangfale aller Art nur erhöhte Liebe zu Gott in Chris 
ſtus vor Freunden und Feinden der Wahrheit ausges 


ı Tprochen, und das Zeugniß des Mundes mit dem 


Seugniffe des Lebens und des Todes verfiegelt... Wie 
aber, felbft auf der höchften Stufe, welche das menſch⸗ 
liche Leiden erfteigen kann, wobey der. Nichtchrift der 
Verzweiflung ſich in die Arme zu merfen verfucht feyn 
wurde, der Ehrift fich erhebe, und die gottfelige Stims 
mung feines Gemüthes offenbar werden laffe, bat die 
Nachfolgung Chriſti im fünfzigften ‘Kapitel des dritten 
Buches in einem geiftreichen Gebethe gezeigt; womit 
wir die heutige Betrachtung fchließen wollen, 


220 
Gebeth 


„Mein Gott und Herr! Heiliger Bater! Dir 
ſey Lob und Preis jeßt und in alle Ewigkeit; 
denn wie Du wolltest, fo geſchah's, und 
was Du thuft, ift Alles wohl gethan. In 
Dir ſuche dein: Kuecht feine. Freude, nicht in 
fih, und in einem andern Gefchöpfe; dem Du 
allein. bift die wahre Freude, Du meine Hoff: 
nung und Krone „Du meine Ehre und Seligkeit. 
Mas hat Doch dein Sucht, das. er nicht von 
Dir empfangen, und auch ohne fein Verdienſt 
empfangen hatte? Dein ift Alles, was Du ges 
geben, und was Du gethan haft. Arm bin ich, 
und Plage und Mühe wuhs mit mir von 
Tugend auf. »Dft habe ich tiefen Kummer im 
Herzen, und. Thranen im Auge; oft machen 
mich’ herannahende Leiden uneins mit mir, 
Mein ganzes Herz ſehnt ſich jeßt Doch nur 
nah Einer Freude — fie heißt Ruhe und 
Friede Sch flehe um Eine Gnade. zu 
Dir — fie heißt Ruhe ud Friede deiner 
Kinder, die in deinem Lichte, und auf. der 
Meide deines Troſtes wandeln. Wenn Du 
mir Diefen Frieden, Diefe.beilige Freude 
jpendeft: o, dann wird die Seele deines Die— 
ners — zu deinem Lobe geweiht—lauter Lob— 
geſang jeyn. Aber, wenn id) Dich aus dem 
Herzen, dein Licht aus dem Auge verliere, 
wie es oft gefchieht : Daun: bin ich ohnmächtig; 
Fann nicht mehr auf dem Wege deiner Gebothe 
fo munter fortlaufen; muß nur hinfinfen 
auf meine Knie, und an meine Bruſt fchlagen, 
Dann ift es in meinem Herzen-ganz anders, 
als es geftern und vorgeftern war; da noch 
Dein Licht über meinem Haupte glanzte, da 








221 


mich noch der Schatten deiner Flügel vor 
den eindringenden Verſuchungen ſchützte. | 
Bater, geredter, ewig alles Lo: 
‚bes wurdiger Vater! Sie ift gekommen, 
die Prüfungs = Stunde für deinen Knecht. 
Vater, ewig aller Liebe würdiger Ba 
ter! Es ift billig und recht, daß dein Knecht in 
' diefer Stunde etwas um Deinetwillen leide. 
 Bater, ewigallerAnbethung würdiger 
Vater! Sie ift gekommen, die Stunde, die 
Du von Ewigkeit ber voraus fahlt, die Du 
kommen ließeſt; damit dein Knecht im Aeußerli— 
den auf eine Furze Zeit unterliege, im In— 
wendigen aber fih ftets aufrecht halte — 
aufrecht vor Dir, in deinem heiligen Ange! Ei: 
ne Enrze Meile joll dein Knecht von Menfchen 
‚ geringe geachtet, erniedriget, in den 
Staub gedrücet, und von Leiden und Schwad)- 
heiten gleichſam zu Staube zermalmet 
werden; Damit er, wenn das Morgenroth deines 
Lichtes anbricht, mit Dir wieder herrlich aufer- 
ſtehen, und in dem himmlischen Baterlande neu 
' verherrlichet werden möge. Water, heiliger 
 Bater! Du haft es fo geordnet, dein Mille 
hat es fo gebothen; und es ift gefchehen, was 
Du geordnet, was Du gebothen haft. 
| Denn dein Freund fieht es als eine Gnade 
an, in diefer Melt um deines Nahmens 
willen fih drücken und Drangen zu laffen, 
ſo oft, und durch wen er immer gedrückt und 
gedrängt werden mag. Denn aller Druck und 
Drang fteht unter deiner Zulaffung. Ohne dei— 
nen Rathſchluß, ohne deine Vorſehung, und ohne 
Urfache aefchieht doch nichts auf Erde. Und ic) 
kann (mit David) fagen: Herr! es ift gut 
für mid, Daß du mid gedemüthiget 





* 


22 


haſt; damit ich deine gerechten Füh— 
rungen kennen lerne und alle hochmü— 
thigen Anſchläge, alle Anmaßungen 
meines eitlen Herzens, (durd deine Macht 
zertrummert ,) — — wegwerfe. Wohl mir, daß 
Schande mein Angefiht bedeckte! Denn das nö— 
thigte mi), mehr bey Dir, als bey Menfchen, 
Troſt zu ſuchen. Sc habe noch etwas ans diefer 
Trübſal gelernet, dieß nahmlich: im heiligen 


Schauer aufzuſchauen zu deinen unerforfchlichen 


Gerichten: denn deine Züchtigung ſchlägt den 
Gerechten wie den Ungerechten 5; aber jeder 
Schlag ift Gerechtigkeit und Liebe. 

Sch danke Dir, daß Du meiner Sünden 
nicht gefhonet, fondern meinen harten Sinn 
mit derben Schlagen weih und mürbe gemacht 
haft; indem Du viele fchmerzhafte Leiden uber 


mich und mich felbft in ein Angftgedrange von 


innen und außen haft Eommen laffen. Es ift 
doch aus allen Dingen unter der Sonne Feines, 
das mich tröften könnte. Du allein, mein Gott} 
Du allein kannſt mich tröften. Du bift der himm— 
lifche Seelen - Arzt, Du ſchlägſt und bei 
left, Du führeſt in Ddie®rube hinab, 
und wieder herauf; deine Hand, die mid) 
züchtiget, ſchwebet noch über mir; und Deine 
eo wird meine (befte) Lehrmeifterinn 
eyn. 

Liebſter Vater! Sieh bier, id) bin in de i— 
ner Hand; tief gebeugt unter deiner Ruthe, 
unterwerfe ich mid) deiner Züchtigung. Schla= 
ge, Tchlage auf meinen Rücken und Nacken zu, 
bis fich mein ftarrfinniger , unbeugfamer Mille 
— endlich ganz an deinen Millen ergeben haben 
wird. Laß nicht ab, an mir zu bilden, bis 
Du mid) zu einem frommen, demüthigen Schu: 








225 


ler 'ausgebidet haben wirft, der Dir auf 
jeden Wink gehorhet — — denn das ift Deine 


Weiſe, die Menſchen zu erziehen. Ich gebe mich 
und all das Meine — ohne Ausnahme in deine 
. Schule; damit Du Alles beffer macheſt, als 


es ift. Denn es ift wahrhaftig befier, bier 


in deine Zucht genommen zu werden, als Dort 


in. der Ewigkeit. Du weißt Alles und Se 
Des, und das Verborgenfte im Gewiffen 
der Menfchen ift unverborgen vor Dir. Was 
Fommen wird, das liegt helle vor deinem Blicke, 
ehe es kommt, und Du haft nicht nothig , daß 
Dir jemand etwas von dem, was auf Erde ges 
fchieht, erzähle oder in Dein Andenken bringe, 
Du weißt, was mir im Guten weiter forthelfe, 
und wie viel die Trübſal beytrage , den Koft 
meiner Sünden auszufegen. Sp mache es denn 


mit mir nad) deinem heiligen Mohlgefallen , 


und fieh mit dem Blicke deiner Gnade — her: 
ab auf mein Leben, das voll Sünden, und in feiner 
ganzen Sündhaftigkeit Dir am beiten bekannt ift. 

Lehre mid, o Herr! das wiffen, was ıd) 
wiſſen, das lieben, was ich Lieben joll; das 
loben , was deinen Benfall, das oben au 


ſetzen, was bey Dir den erften Platz hat; das 


hochachten, was in deinen Augen hochachtungs— 
werth , das verachten, was in deinem Auge 
verahtlih ift. Laß mich nicht nach dem’ blo— 
Gen Augenſchein urtheilen, und auch nicht 
nach dem Horenfagen unerfahrnen Leuten 
irgend ein Urtheil nachſprechen; lehre mich viel- 
mehr das Sichtbare von dem Unfichtbaren, das 
Sinnlihe von dem Beiftigen nad) der Wahr: 
heit unterfcheiden, und vor Allem deinem heili— 
gen Willen überall nachforfhen. Denn der 
Sinn des Menfhentriegt fih oft, und fein 


224 


tel Mahn. Die Freunde der Melt find aber 
unter allen Menſchen am meiften der Täu— 
ſchung preisgegeben ; weil fie nur das Sichtba— 
re lieben (und dieſe Liebe des Sichtbaren über 
das Unſichtbare endurtheilen laſſen). St der 


Menſch deßhalb beffer, weil ihn Andere ho: 


her ſchätzen? Der Falfche betriegt den Falfchen, 


der Eitle den Eitlen, der Blinde den Blinden, 


der Kranke den Kranken — wenn er ihn lobet 
und obenan feget. Ein falſcher Lobſpruch, 
den die EitelEeit ausfpridt, ift weis 
ter nichts, als eine wahre Beſchim— 
pfung Des Menſchen. Kurz: was der 
Menſch in Gottes Augen ift, das ift 
er, und mehr ift er nicht, fagt der de: 
mütbige, heilige Franziscus.« 





XXXL 


Die chriſtliche Gefinnung offenbaret ſich durch Erfüllung aller 
Menfchene aller Standes und Berufspflichten;, offenbaret fich 
durch geduldige Ertragung des Leidens, durch mäßigen Genuß 
der Freude, und durch weife Benugung aller Zuftände des menſch— 
lihen Lebens zu dem Einen 3iele, und zum höchften Zwecke des 


menſchlichen Dafeyns. Allein das Eine Ziel und der höchite Zwed 


des menfchlichen Dafeyns liegt nicht in der Zeit, fondern in ber 
Ewigkeit; und der legte Schritt zu demfelben hin, oder von dem= 
felben hinweg ift der Austritt aus ‚der Eichtbarkeit — der Tod 
heißt. Die gewiffenhafte Vorbereitung auf die Sterbensftunde 
ift daher eine nothwendige Offenbarung der chriftlichen Gefinnung, 
und bewähret diefelbe auf unverfennbare Weife. 


Ein: 


Urtheil, das er für reine Mahrheit halt, ift eis 


Ein und drepßigfter Tag. 


Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Vor⸗ 
bereitung zum Tode. 


* 


Schriftſtellen. 


J SM läßt allen Menfchen Buße predigen; denn er hat 
einen Tag feitgefeßt, an welchem er den Erdkreis mit Gerech— 
tigkeit richten wird durch einen Mann, den er dazu beſtimmt 
und Allen glaubwürdig gemacht hat; indem er ihn von den 
“ONE auferweckte. Apoſtelg. XVIL. 30. 31. 
Ich habe die zuverläffige Hoffnung, daß ich in feinem 
Sic werde zu Schanden werden, fondern daß Chriſtus bey 
all’ meiner Freymüthigkeit, wie allezeit, fo auch jetzt, an mei— 
nem Leibe werde verherrlichet werden, ſey es durch Leben oder 
durch Tod. Denn Chriſtus iſt mein Leben, und Sterben mein 
Gewinn, Ich habe Luſt abzuſcheiden, und bey Chriſto zu ſeyn. 
Philip. I. 20. 21. 23. 
| 3. Chriftus, der Erſtling der —————— iſt vom To— 
de auferſtanden. Wie der Tod durch Einen Menſchen kam: 
ſo kommt auch die Auferſtehung von den Todten durch Einen 
Menſchen. Wie in Adam alle Menſchen ſterben: ſo werden 
in Chriſtus Alle lebendig gemacht werden; ein jeglicher aber in 
ſeiner Ordnung. Der Erſte iſt Chriſtus; dann aber die, wel— 
che Chriſto angehören, und an feine Ankunft geglaubt. haben, 
I. Kor. XV. 20 —23. 

4. Wir wollen eudy nicht in Unwiffenheit Iaffen, Brüder! 
in Hinſicht auf die Entfcylafenen; damit ihr nicht traurig feyd, 
fo wie die Uebrigen, die Eeine Hoffnung haben. Denn, wie 
wir glauben, daß Sefus geftorben und auferftanden ift: fo 
wird Gott aud) jene, wolche in Sefu entfchlafen find, mit ihm 
zur Auferftehung führen. Theff. IV. 12. 13. 

5. Diefes Bermestihe: muf Unverweslichkeit anziehen, und 
dieſes Sterblidye muß Unfterblicyfeit anziehen. Wenn aber 
diefes Werwesliche Unverweslichkeit, und diefed Sterbliche Un 
fterblichfeit angezogen haben wird: dann wird auch erfüllet 
dad Wort, welches gefcyrieben fteht: Werfchlungen ift ber 
Zod im Siege; Tod! wo ift dein Stachel? Grab! wo ift dein 

\ Sieg? Gott fey Dank! Er hat uns den Sieg gegeben durch 
- unfern Herrn Sefus Ehriftus, I, Kor. XV. 55 — 57. 


Sailer, d. chriſtl. Monath. 15 


226 


6. So lange wir in diefer Hütte find, feufzen wir, hart 
gedrückt ; weil wir nicht entEleidet, fondern lieber überfleidet wer- 
den möchten, fo, daß das Sterbliche von dem Leben verfchlun- 
gen würde. Gott aber ift es, der uns dazu bereitet, und ung 
auch das Pfand des Geiſtes gegeben bat, — Darum ftreben 
wir auch , ihn zu gefallen; wir mögen pilgern, oder daheim 
feyn. Denn wir Alle müffen vor dem Richterſtuhle Chriſti 
offenbar werden; damit Jeder empfange, je nachdem er bey 
Leibes:Leben gehandelt hat, es fey Gutes oder Böſes. II. Kor. 
V. 4. 5. 9. 10. 

7. Keiner von uns lebt ſich ſelber, und Keiner ſtirbt ſich 
ſelber. Denn leben wir: ſo leben wir dem Herrn; ſterben wir: 
fo fterben wir dem Herrn. Wir mögen nun leben oder ſter— 
ben: fo find wir des Herrn. Dazu ift Chriftus geftorben und 
wieder auferftanden, dab er über Todte und Lebendige herr— 
fiye. — Wir werden Alle vor den Richterſtuhl Chrifti geftellt 
werden. Nom. XIV, 7 — 10. 


Betrachtung. 


Wie dieſer letzte Tag des Monaths angekommen 
iſt, ſo wird auch der letzte Tag unſeres irdiſchen Lebens 
kommen; und zur unerwarteten Stunde, vielleicht frü— 
her, als wir es erwarten, wird der Ruf an Jeden aus 
uns ergehen: Gib Rechenſchaft von deiner 
Haushaltung! Fn Hinficht auf dieſen Ruf, der 
ung vor den Kichterffuhl der göttlichen Gerechtigkeit for- 
dert, ermahnet uns Jefus Chriftus (Luk. XII. 35,—40.): 
»Umgürtet euere Lenden, und haltet brennende Lichter 
in euern Handen. Seyd Menſchen ähnlich, die auf 
ihren Herrn warten, wenn er von der Hochzeit zurück— 
fehren wird, damit, wenn er fommt und anklopfet, fie 
ihm fogleich aufthun. Selig die Knechte, welche ihr 
Herr, wenn er kommt, wachend findet! — Wenn ein 
Hausvater wüßte, um welche Stunde der Dieb Fame, 
würde er wachen, und nicht einbrechen laffen in fein 
Haus. So feyd auch ihr bereit; denn der Sohn des 
Menfchen wird zu einer Stunde fommen, wo ihr ihn 


— — — u 


— — — 


a 


223 


nicht erwartet. Wachet demnach; denn ihr wiſſet we⸗ 
der den Tag noch die Gtunde.« 

Wenn der göttliche Lehrer ung zur Wachfamkeit 
auffordert: fo will er damit nicht weniger fagen, als 
daß mir uns auf die Ankunft des Herrn vorbereiten, 
und allezeit fo viel als möglich darauf gefaßt halten fols 
len. Seder, der zur Befinnung und geraden Anblick 
der Dinge gefommen ift, wird, diefer Ermahnung des 
göttlichen Zehrers zu folgen, in dem Maße ſich gedruns 
gen fühlen, in welchem er fich Flar und Iebhaft über: 
zeugt halt von der Öemwißheit ſeines Todes, und von der 
ungemwiffen, jedoch bald anrückenden Stunde desfelben, 
von der Gewißheit des darauf folgenden Gerichtes, und 
der ewig feligen oder ewig unfeligen Folge des göttlichen 
Kichterfpruches, Daher die alte Ermahnung: Menfch! 
gedenfe der letzten Dinge, und du wirft 
nimmer fündigen (Sirachsfohn VII. 40.), und das 
vielfagende Wort: Gterblicher! dent an’s Sterben ; 
memento mori. 

Die Ermahnung, daß wir und auf den Tod vor⸗ 
bereiten, und gefaßt halten follen auf die Stunde, die 
uns zum göttlichen Kichterfluhle vorrufen wird, gewinnt 
an Ernft und Wichtigkeit, wenn wir bedenfen, daß un- 
fer Fünftiges Leben nur eine Fortfeßung des gegenmwärs 
tigen fey, und daß mir jenfeit$ gerade das einernten 
werden, was wir hier ausgefaet haben; Gutes, wenn 
wir dem Guten, Bofes, wenn wir dem Bofen gedienet 
haben. Das Samenforn, welches wir in das Herz 
aufnehmen, im Herzen Wurzel faffen und aufwachfen 
laffen, wird dort ausmwachfen, und feine vollendete Frucht 
bringen. »Fleifch und Blut kommen abef nicht in’s 
Reich Gottes, und das Verwesliche kann die Unverwes— 
lichfeit nicht erlangen. Darum, liebe Brüder! feyd feſt 
und unbemweglich ; werdet immer eifriger in dem Werke 
des Herrn; denn ihr wiſſet, daß euere Arbeit in dem 
Herrn nicht vergeblich ſeyn wird.« I. Kor. XV. 50.58. 

15: ° 


228 


Es unterſcheidet ſich der Chriſt von dem Nichtchri⸗ 
ſten, wie durch viele andere Dinge, ſo auch durch den 
Ernſt und den heiligen Eifer, mit welchem er ſich auf 
den Tod vorbereitet. Denn während der Beſte aus den 
Heiden mit ruhiger Gelaſſenheit, und wohl auch mit 
Freude dem Tode entgegenſieht; weil er in ihm nur den 
Befreyer von den irdiſchen Banden erblickt: verlangt 
der Chriſt zwar auch, aufgelöſt zu werden, um bey 

Chriſtus zu ſeyn, erwartet aber nicht ohne Sorgfamfeit 
und Wachfamkeit die Stunde feiner Auflöfung , wohl 
. wiffend , daß Ddiefe nicht nur die irdifchen Banden lö— 
fen, fondern auch uber ewiges Heil oder Unheil entfcheis 
den werde, zumahl auf den Tod das Gericht folgt; wo 
Sedem nad) feinen Werken vergolten, und die Stelle 
zur Kechten oder zur Linken mwird angemwiefen werden. 
Die Sorgfamkfeit und Wachfamfeit hat feinen andern 
Grund, als die Unftätigkeit des menfchlichen Herzens, 
und die Wandelbarfeit des menfchlichen Willens, die 
auch dem quten Menfchen in ihm felbft Feine Sicherheit 
finden laffen, daß er auf dem Wege, der zum ewigen 
Leben führet, und den er wirklich betreten hat, bis an’s 
Ende verharren werde. Diefe Sorgfamkeit ift im Grun- 
de auch Feine andere, als die einer rauf, die an dem 


Hochzeitfehmude nichts fehlen laffen, und dem Brautis . 


gam nach deſſen Wunfch entgegen kommen möchte ; 
oder. die eines treuen Haushalters, der ſich Tag und 
Nacht gefaßt halt, um auf den erſten Ruf: Der Herr 
kommt! ihm das Thor zu Öffnen. Kurz, der Ehrift, 
der feines Nahmens werth iff, möchte mit feinen zwey, 
drey, fünf Talenten fo viel gewonnen haben, daß er einft 
hoffen darf, das Wort des Richters mit feinen Auser: 
wählten zu vernehmen: Gehet ein, ihr guten und ges 
freuen Knechte! in die Wohnungen meines Vaters, wels 
che euch von Ewigkeit bereitet waren. 

Der Ehrift firebet alfo, mit nie ruhendem Ernfte, 
und mit der treueften Gewiffenhaftigfeit auf die unge: 


— — — — — 


229 


wiſſe, jedoch ficher und bald hereinbrechende Zodesftuns 
de fich vorzubereiten, und durch den Ernft und die Ges 
mwiffenhaftigfeit in diefem wichtigen Gefchäfte offenbaret 
fich die chriftliche Gefinnung vorzugsweife. 

Die empfehlungswürdigfte, zweckmäßigſte Weiſe, 
fich zu einem feligen Ende vorzubereiten, ift aber Feine 
andere, als eben die wiederhohlte Erwedung und Ers 
neuerung, Darftellung und Bewährung der chriftlichen 
Gefinnung ſelbſt, wie wir fie in den frühern Zagen Dies 
ſes Monathes betrachtet haben, 

Wenn daher unfere Betrachtungen nicht voruber- 
gegangen find, wie die Zeit, in der fie angeftellt wurs 
den, fondern ihr Inhalt in unfer Gemüth fich einges 
fenkt, und in unfer Fleifch und Blut fich gleichfam ver- 
wandelt bat, d. i. wenn die chriftliche Geſinnung, des 
ren Erweckung und Erneuerung, Offenbarung und Bes 
währung wir durchforfchet haben, in uns wirklich ger 
wecet, ſtets ivieder erneuert, und durch Darftellung in 
allen unfern £ebensverhältniffen wahrhaft, und auf die 
Dauer befeftiget worden ifts fo hatten wir uns nichts zu 
fürchten , wofern ung, wie der leßte Tag des Monaths, 
auch der letste Tag unferes Lebens angefommen mare; 
denn Chriſtus lebte in ung, der Ueberwinder der Sünde 
und des Todes, und wir lebten in Chriſtus, und an 
ung würde und müßte alfo in Erfüllung gehen, was 
Ehriftus (Joh. XIV. 2. 3.) verheißen hat: ch gehe 
hin, euch eine Stätte vorzubereiten; ich werde wieder 
fommen, und euch zu mir nehmen; damit ihr auch feyd, 
wo ich bin. - 

Vereiniget mit dem Kichter, und fchon theilhafs 
tig des ewigen Lebens, haben wir das Gericht nimmer 
zu fürchten. Darum laft ung nur um das Eine Noth» 
mendige befümmert ſeyn: um die echt chriftliche Geſin— 
nung; damit durch öftere Erweckung, Erneuerung und 
Bewährung derfelben Chriſtus in ung eine Geftalt ge 
winnen möge, 


230 


Bee 


D Vater der Erbarmungen, und Gott alles 
Troſtes! du, die ewige Liebe felbft, du wilft 
nicht, daß Semand, der an dich glaubt und auf 
dich vertraut, zu Grunde gehe; du willft uns 
Alle felig haben. Deßwegen haft du ja deinen 
eingebornen Sohn in die Melt geſendet; damit 
Keiner, der an ihn glaubt, verloren gehe, jon- 
dern das ewige Keben erhalte. O! fo gieße denn 
in neuer Fülle deinen heiligen Geift auch am 
Schluſſe diefes Monaths in unfere Herzen aus: 
erwecke , erneuere und befeftige in uns auf's 
Neue den Glauben an dic und deinen Sohn, den 
du gefandt haft, und laß diefen Glauben in Lie- 
be thatig, laß ihn zu einer dauerhaften Gefin- 
nung und That werden! 

Drücke uns auf, und prage uns ftets tiefer 
ein das Siegel des lebendigen Glaubens und der 
heiligen Xiebe; auf daß wir, durch das Feuer 
derfelben von aller Makel der Sunde gereiniget, 
und durch das Blut deines Eingebornen abgewa— 
fchen, einft würdig erfunden werden, aus dieſem 
Leben zu dir heimzukommen, durch Jeſum Ehri- 
ſtum unfern Heren. Amen. 





251 


Noch ein Wort von der Vorbereitung zum Tode; aus dem 
Gebiethe echter Poitofephie Geiſt und Weſen der Dinge. 
I. Th 


Denken wir uns, daß der Same eines unſrer prächtigſten 
Bäume, oder einer unſrer ſchönſten Blumen, Kenntniß hätte von 
der herrlichen Geſtalt, die ihn einſt erwartet, wenn er die Ver— 
wandlung in der Erde überſtanden haben wird: gewiß, er würde 
dann jene glänzende Zukunft nicht fürchten; ob er gleich in ſeinem 
Innern die Wurzeln und die Grundlage der Form, die ihn einſt 
erwartet, noch nicht im Voraus zu empfinden vermöchte. 

Wohlan! der Menſch hat nicht allein in ſich dieſe Wurzel, 


dieſe ſchöpferiſchen Principien ſeiner künftigen Form, die ihn ſei— 


ner eigenthümlichen Natur und Klaſſe nach erwartet; ſondern wenn 
er nur treulich das Ziel verfolgen wollte, wohin ihn die Zeit zu 
führen ſtrebt, und jene Grundlagen, jene Keime nicht in ſich ver— 
derben ließe: würde er unaufhörlich in ſeinem Innern ein leben— 
diges Vorgefühl von dem Zuſtande tragen, der ihn als Siegespal— 
me im Tode erwartet; und jene lebendigen Grundlagen und Kei— 
me würden ihm ein ſo ſprechendes Zeugniß, eine ſo gültige Bürg— 
ſchaft für jenen künftigen Zuſtand ſeyn, daß er gar nicht an dem— 
ſelben zweifeln könnte. 

Weit entfernt demnach, den Tod zu fürdten, würde ihn der 
Menfc mit Freude und fiherer Ruhe kommen fehen; denn übers 
haupt fürchten die Menfchen nur darum den Tod, weil fie nicht 
forgfältig genug find, jene Zeugniffe und Bürgfchaften in ihrem 
Innern zu erhalten oder zu erweden. Die Ungewißheit des Blü- 
bens und Gebdeihens ift es, welche fie quält; ihr geiftiges Princip 
fürdtet den Tod, nicht ihr Eörperliches ; denn diefes kennt ihn 
nit, und hat weder Einfiht darüber, noch Furcht davor; obgleich 
diefe Eörperliche Form, wie jedes thierifche Wefen, Schmerz und 
Gefahren von ſich abzuwehren fudht. 

Bey dem Bilde, das wir vorhin aufftellten, wäre überdieß 
der Vortheil noch ganz auf der Seite des Menfchen; denn zwi— 
{hen dem materiellen Keime und der Blume ift ein ungleich ge= 
tingerer Unterfchied>als zwifchen dem irdifhen Menfchen und dem, 
was er nah dem Tode, bey feinem Aufblühen im Geifte, feyn 
wird. Der Blumenkeim und die Blume find beyde von einer und 
derfelben Subſtanz; dagegen find der Körper des Menfchen und 
fein Geift durch eine abfolute ftrenge Grenzlinie gefchieden. 


732 

Wäre der Tod gar nichts, wie dieß öfter etwas unbedachts 
fam behauptet wird: dann wäre es auch fein Ruhm, ihn, wie 
dieg täglich der Krieger und der Eiferer um Menfchenehre thut, zu 
verachten ; ift aber der Zod etwas: fo hat man ihn auf Eeine 
Weife leichtfinnig anzufehen, und darf ihm nicht, ohne auf ihn 
zu achten, mit Falter Gleichgültigkeit , wie jo viele große Philofo- 
phen gethan haben, und wie es ihre Nachahmer noch täglich thun, 
entgegen gehen. 

Ein wahrer Heldenmuth beym Anblicke des Todes ift der, 
welcher auf dem göttlichen Gefühle unfrer Erhabenheit über diefen 
irdifchen Leib und alle Feinde, denen er zum Aufenthalte dient, 
beruhet; auf der lebendigen Ueberzeugung, daß, wenn man uns 
diefen Leib nimmt, man uns nichts von allen dem nimmf, was 
wir find, und daf wir vielmehr dann einen volllommenen Sieg ers 
ftritten haben; indem nun der Feind, war anders unfer früherer 
Wandel gut, alle Theile unferes Gebieths, welche er uns entreißen 
wollte, auf immer verloren hat. Aus diefen Grunde kann ein 
folher wahre Heldenmuth ſich eigentlih nur bey dem wahrhaft 
Weifen,, oder bey dem wiedergebornen Menfchen finden , während 
jeder andere Heldenmuth, der nicht aus Gott ift, entweder thie= 


riſch oder thöricht ift. 


Der Zod ift der legte, entfcheidende Augenblic unferes Kam— 


pfes; der Augenblid, wo der Feind noch zulegt alle feine Kräfte 
aufbiethet,, und wo auf der andern Seite die Siegerfrone unmit= 
telbar auf uns wartet, Deßhalb Eönnen nur der Blinde und der 
Thor jenen wichtigen Augenblick mit nichtigem, ganz gleichgültigem 
Sinne betrachten : denn er verdient unfere ganze Aufmerkſamkeit, 
wenn wir ihn als einen Kampf; unfer innigftes, wärmftes Ge= 
fühl, wenn wir ihn als den Moment der Befreyung und unferer 
Krönung als Sieger betrachten. 

Aus jenen beyden Gefühlen, davon das eine unfern Blick 
nach unten, in den Schauplag unferer Kämpfe lenkt, das andere 
uns mit inniger Begeifterung erhebt, bildet fich ein drittes Ges 
fühl, welches eine fanfte Mifchung von Ergebung und Hoffnung 
ift; ein Gefühl, welches die Seele des wiedergebornen Menfchen 
in diefer großen Stunde ganz erfüllen, und mächtig aus ihr her= 
vorblicken muß. \ 

Selbſt der Tod des Sokrates, fo bewunderungswürdig und 
herrlich er in den Augen menſchlicher Philofophie erfcheinen muß, 
zeigt mir jenen großen Charakter nicht, nicht jenen nothwendigen Zu— 








253 


ftand des Menfhen, wenn er in jenem wichtigen Augenblicke im 
lesten, entfcheidenden Kampfe mit feinem Feinde ift. 

Sokrates jheint, um mid) fo auszudrüden, in dem Werke, 
das ihm zu thun obliegt, gang fremd; er fcheint feinen Zod nicht 
ſowohl als eine Handlung zu betrachten, wo das, was am Höch— 
ften in ihm ift, auf immer über den Feind triumphiren foll; der 
es fo lange von feiner wahren Atmofphäre entfernt gehalten; ſon— 
dern als eine hiftorifhe Scene, bey der e# genügt, wenn man 
ohne Unruhe und Bewegung von ihre fpriht, und fie nur äußer— 
lich mit kaltem Blute darftellt; während der Tod ein Werk ift, 
welches das Innerſte unferes Wefens in Anfpruh nimmt, und 
durchaus das felbftitändig Thätigſte, Endſcheidendſte unſeres ganzen 
Daſeyns iſt; weil wir mit demſelben die Wurzel unſeres Weſens 
aus der ganzen Tiefe, in die ſie ſich ſeit dem Falle des Menſchen 
verſenkt, und in der ſie ſich nach allen Richtungen mit vielfältigen 
Zweigen ausgebreitet hat, mit Sorgfalt herausziehen ſollen, ohne 
ſie zu beſchädigen, was nicht ſo gar leicht iſt. 

Ja, jener erhabene Act muß zugleich mit dieſem ernſten Ge— 
ſchäfte eine feyerliche Stunde des Dankes gegen den Schöpfer der 
Weſen ſeyn, der uns aus der Wohnung des Verderbens erretten, 
uns ſelbſt bey unſerer Befreyung hülfreich ſeyn, und die Krone des 
Siegers auf unſer Haupt ſetzen will; und dieſe Gefühle ſind ſtark 
und mächtig genug, um ſich lebendig an unſerem Weſen zu äußern. 
Wir bedürfen aber eines ſolchen kräftigen Mittels, um uns in je— 
ner Erfhütterung aufrecht zu erhalten; wir bedürfen der Hoffnung 
eines folchen Genuffes, um dem Schauder jener legten Auflöfung 
das Gleichgewicht zu halten. 

Sa, es ift ein Sieg, deffen man erft * ganz vollbrachtem 
Kampfe vollkommen gewiß wird; und die Sorgloſigkeit eines ©os 
Erates erfcheint mir fogar, ſtatt vortheilhaft, vielmehr leichtfinnig 
und unflug. 

Auf der andern Seite erfcheint hierdurd zugleich das Leben 
in der erhabenften Bedeutung; weil dasfelbe, wenn wir fo glüd- 
lich waren, von ihm berührt zu werden, Macht hat, uns über die 
Vernichtung diefes irdifchen Leibes zu erheben, und uns der Ems 
pfindung unferer £eiden und des Todes felber, in einem erhabene= 
ten, hinreißenderen Gefühle, vergeffen zu laffen, vor welchem Alles, 
was in Beziehung auf unferen vergänglichen Leib flieht, ganz vers 
ſchwindet. 


254 


Der Grund davon liegt darin: daß jene Bewegungen, in⸗ 


dem fie unfer innerftes Wefen erweden, uns aus unferem Leibe 
hinausführen, und daß diefer, fobald er bloß fich felber überlaffen 
ift, eben fo wenig Furcht vor dem Tode hat, als jedes andere 
Thier. Erſt unfer Geift theilt dem Körper, wenn er fih in ihn 
verfenkt, jene von Außen empfangene Kenntnig mit, die derfelbe 
ohne dieß nie haben Eönnte. 

Sobald demnach unfer urfprüngliches Wefen durch irgend 
eine Gemüthsbewegung in eine Region gezogen wird, wo es Eeinen 
od gibt, nimmt es dahin alle feine Kenntniß vom Tode mit fich, 
und läßt der Materie gar Feine zurüd. 

Deßhalb verachten fo viele Menfchen auf Erden den Tod, 
und dieß aus fo gar verfchiedenen Bewegungsgründen. Stolz, Fröm— 
migkeit, Wuth, Scham, das Streben fih dem Triumphgepränge 
eines Feindes zu entziehen, Freundfchaft, alle möglichen Borurthei= 
le und Tugenden, Eönnen uns aus dem Gefängniffe der Materie 
emporheben, und überlaffen diefes den Gefegen feiner eigenen Träg— 
beit und Bewußtlofigkeit. Hieraus wird uns die Unerfchrodenheit 
des Kriegers, die ruhige Dingebung der Märtyrer aller Religionen, 
die Ruhe fo vieler Selbftmörder, die Sitte, fi) mit den Todten 
lebendig zu verbrennen und zu begraben u. f. f. begreiflicd), denn 
ohne dieß wäre man nicht im Stande, den Widerfprud zu löfen, 
in welchem bey den meiften jener Handlungen die Gelbftverläug- 
aung, womit die Menfchen ihr eigenes Leben aufopfern, mit der 
natürlichen Liebe zum Leben fteht. 

Es ift deßhalb gewiß, daß wir uns aller unferer erhabenen 
Vorrechte bedienen müſſen, wenn uns.anders der Tod das werden 
fol , was er uns feyn muß, und wenn wir in jenem großen Mo— 
mente die wunderbare Milde unferes Gottes ganz erkennen wollen. 
Sn der That, lenken wir unfer Auge auf diefe Wunder der gött— 
lihen Güte und Freygebigkeit: fo erblicken wir eine unendliche 
Mengevon Schägen, welche wohl fähig wären, unfer ganzes We— 
fen mit höchſter Bewunderung zu erfüllen, die uns aber durch Ge= 
wohnheit fo natürlich geworden find, daß fie uns felbft gar nicht 
mehr in Erftaunen fegen. 

Sene Schäge find der herrliche Erſatz, der nicht allein den 
Schreden unferes Todes, fondern felbft denen unferer jegigen Exi— 
fieng das Gleichgewicht halten foll; denn anftatt des Zuftandes der 
gänzlichen Erftarrung und Gerinnung, in welchem Wir uns körper— 
lich, dem Gefege der Zeit gemäß, befinden, erwartet uns ein Zus 





1 
\ 
N 


235 


fand geiftiger Beweglichkeit und Klarheit, der uns fähig macht, 
uns in die Regionen aller Sphären zu erheben; ſtatt der Finfters 
niffe und quälenden Ungewißheiten, die uns hier täglich beengen, 
ein vollfommenes, unaufhörliches und grengenlofes Licht ; flatt die— 
fer langfamen, abgebrochenen, rohen und ohnmächtigen oder felbft 
verderblichen Worte, die unfer Herz und unfer Mund ohne Aufhö— 
ren gebären, wird uns dort ein lebendiges, mächtig wirkendes, 
unwandelbares Wort gegeben, welches ein Schrecken alles Böſen, 
aller Unordnung feyn wird; ein Wort, das in unferem Wefen, wie 
das ewige Wort in allen Welten, Leben und unausgefestes Wirken 
ſchaffen wird. 


\ 


236 





Schlußbetrachtungen, 


oder 


Geiſt aller — Betrachtungen. 


Aus dem zwölften Buche des h. Franz von Sales von ber Lie— 
be Gottes, von Gilbert überfegt.) 


Es gibt Seelen, die große Entwürfe mit ſich umher⸗ 
tragen, dem Herrn außerordentliche Dienfte erweifen , 
und ganz ungewöhnliche Leiden für ihn ertragen wol— 
len; doch find dieß Dienfte und Leiden, wozu die Öes 
legenheit für den Augenblicd nicht da ift, und auch viel- 
leicht nie fommen wird. Da glauben denn ſolche See— 
len Wunder, was fur große Liebe fie hegen; allein fehr 
oft irren fie gewaltig, was daraus fund wird, daß fie 
in ihren Wünfchen große Fünftige Kreuze auf fich neh— 
men; indeß fie die gegenwärtigen, weit geringern, mit 
großer Aengftlichkeit fliehen. Eine große Verfuchung 
ift dieß: daß ınan in der Einbildung fo tapfer, in der 
Wirklichfeit aber fo feige ift. 

Gott bewahre uns vor derley eingebildetem Eifer, 
der oft im Hintergrunde unfers Herzens eine geheime 
und eitle Achtung unfer felbft unterhält! Große Wers 
fe find nicht immer auf unferm Wege; aber zu jeder 
Stunde ergibt fidy Gelegenheit, geringe Werfe auf vors 
treffliche Weife, das heißt, mit großer Liebe zu thun. 
Betrachten wir nur einen frommen Menfihen, der eis 
nem armen vorübergehenden Wanderer ein Glas Wafs 
fer reicht. Wenig thut er dem Anfcheine nach; allein 
die Abficht, die Sanftmuth, die Liebe, womit er fein 





237 


Werk belebt, ift fo vortrefflich, daß er dieß einfache 


Waſſer in ein Waſſer des Lebens, und zwar des ewi⸗ 


gen Lebens ummandelt, 
Die Honigbienen faugen in den Kelchen der Lilien, 


der Schwertblumen und der Roſen; doch geminnen fie, 
nicht minder Honig auf den Fleinen Blümlein des Ross 
marins und des Thymians; ja fie fammeln dafelbft 


nicht nur mehr, fondern auch beffern Honig; weil in 
diefen Fleinen Gefäßen der Honig mehr zufammenge: 
drangt ift, und folglich ſich auch beffer erhalt. So 
wird auch fürwahr in den niedrigen und geringern Wer> 
fen der Frömmigkeit die Liebe gewöhnlich nicht nur öf— 
ter, fondern aud) demütbiger, und folglich nützlicher 
und beiliger geübt. 

Verträglichkeit gegen die Launen Anderer, fanftes 
Dulden der rohen und verdrießlichen Gewohnheiten des 
Nächſten, fo manche Siege über unfere eigenen Launen 
und £eidenfchaften, Entfagungen unferer geringern Weis 
gungen, Ueberwindung unferes Widerwillens und unfes 
rer Abneigungen, herzliches und fanfmüthiges Geftänd» 


niß unferer Fehler, unaufhorliche Mühe, die wir uns 


geben , unfere Seele ruhig zu erhalten, Liebe unferer 
Erniedrigung, gutmüthige und freundliche Annahme des 


Tadels und der Verachtung, die über unfern Stand, uns 
‚ ‚fer Eeben, unfern Umgang und unfere Handlungen ers 
geht: dieß Alles ift unferen Seelen weit heilfamer, als 


wir uns denken fünnen, wenn anders die heilige Liebe 
daruber fchaltet, 

Unfer Heiland pflegte, wie die Alten uns hinter- 
ließen, den Seinigen oft zu fagen: Seyd gute Wechs⸗ 
ler und Münzmwardeine. Wenn ein Thaler nicht 
vom echten Silber iſt, wenn er fein volles Gewicht nicht 
hat, und das echte Gepräge ihn fehlt: fo verwirft man 
ihn als nicht gangbar; und wenn ein Werk nicht von 


' guter Art, wenn es nicht mit der heiligen Liebe geprägt, 


und die Abficht desfelben nicht fromm ift: nimmer kann 


258 


e3 dann in die Anzahl der guten Werke aufgenommen 
werden. Faſte ich z. B. in der Abficht, zu fparen: fo 


ift mein Faften nicht von guter Art. Faſte ich aus Mas 


figfeit, und hege irgend eine fehwere Sünde in meiner 


Seele : fo fehlt diefem Werke das Gewicht ; denn die 


Liebe ertheilt das Gewicht Allem, was wir thun. Faſte 
ich bloß des Umganges wegen; weil etwa meine Ges 
fahrten deßgleichen thun: fo ift dieß Werk nicht mit 
dem Stempel einer annehnbaren Abficht geprägt. Faſte 
ich aber im Geiſte der Maßigfeit, bin dabey im Stans 
de der Gnade Gottes, und habe die Abficht, der gött— 
lichen Majeſtät durch die Maßigkeit zu gefallen: dann 
ift dieß Werk eine vollgultige, annehmbare Münze, und 
geeignet, den Schaß der Liebe zu vermehren. 

Gar trefflich werden geringere Werke verrichtet, 
wenn man fie mit großer Reinheit der Abficht, und mit 
einem feften Willen thut, Gott zu gefallen ; und gar 
ſehr beiligen fie uns in diefem Falle. Es gibt Leute, 
die viel efjen, und dabeh immer mager, dürr umd 
fihmächtig find; meil ihre Verdauungskraft nicht gut 
if. Andere dagegen effen wenig, und find dabey immer 
wohl beleibt und ſtark; weil ihr Magen gut ift. Auf 
diefelbe Weife gibt es Seelen, die viele gute Werke 
‚thun, und dabey wenig an Liebe zunehmen; weil fie dies 
felben Falt, nachläffig, oder mehr aus natürlichem Ans 
triebe und aus Neigung, al$ aus gottlicher Einfloßung 
und mit himmliſchem Eifer thun; umgefehrt dagegen 
thun Andere gar nicht viel, doch was fie thun, thun 
fie mit fo heiligem Willen * ſo reiner Abſicht, daß 
ſte dadurch gar ſehr an Liebe zunehmen; fie haben wes 
nig Zalente empfangen, aber fie verwenden folche fo 
treu, daß der Herr fie in reichlichem Mafe dafür bes 
lohnt. 

»Was immer ihr thuet, ihr möget reden oder han= 
deln: thut Alles, im Rahmen unferes Herrn Jefu Chris 
ſti.« — »Ihr möget effen oder trinken, oder fonft etwas 


239 


thun: thut Alles zur Ehre Gottes.« Alfo der große 
Weltapoftel, deffen Worte, wie der heilige Thomas 
fpricht, der fie erflart, hinreichend in Erfüllung gebracht 
werden, wenn die heilige £iebe ung innemwohnt. Denn, 


haben wir dann auch nicht bey jedem einzelnen Werke 
die ausdrückliche und ganz befondere Meinung, es für 
Gott zu verrichten: fo ift dennoch diefe Meinung ſchon 





ſtillſchweigend in der Liebe enthalten, durch die wir mit 
Gott vereiniget find, und kraft welcher wir, was im» 
mer wir Gutes thun fünnen, der göttlichen Güte e$ mit 
uns felbft geweiht haben. Es iſt eben nicht nothwendig, 
daß ein Kind, das in dem Haufe feines Vaters wohnt, 
und unter deſſen Gewalt fteht, erkläre, daß Alles, was 
es ermerbe, feines Vaters Eigenthum ſeyn foll;. denn ges 
hört das Kınd felbft dem Vater: fo gehört mit demfel: 
ben ihm auch Alles an, was von demfelben abhangt. 
Eben fo genügt es auch, daß wir Kinder Öottes aus 
Liebe feyn; denn als folche haben wir ja Alles, was wir 
tbun, im Seife dieſes Findlichen Sinnes gethan, und 
gänzlich zu ſeinem Dienſte beſtimmt. 

Es bleibt alfo ausgemacht, daß, wie der Oehl— 


baum, der in der Nähe der Rebe gepflanzt wird, ihr 
ſeinen Wohlgeſchmack ertheilt, auch die Liebe, wenn fie 
mit andern Tugenden zufammentrifft, ihnen ihre Voll— 
kommenheit mitiheilt. Pfropft man aber die Rebe gar 
auf den Dehlbaum: fo theilt er ihr nicht bloß feinen 
Geſchmack, fondern auch feine Safte mit. So follen 


wir ung denn nicht begnügen, die Liebe in uns zu ha> 
ben, und nebfi ihr Tugenden zu üben: fondern thun 
wir, was immer wir thun mögen, durch fie und für 


fie; auf daß alle unfere Werfe ihr angeeignet werden 
können; weil fie ihr von rechtswegen angehören. 


Wenn ein Mahler dem Schuler die Hand fuhrt: 


fo wird der Strich, den beyde alfo vereint führen, vor= 
züglich dem Mahler zugefchrieben; denn hat auch der 
ee durch Die Bewegung feiner Hand, und durch 


240 


die Anwendung des Pinfels dazu beygefragen: fo verz 
einigfe gleichwohl der Meifter feine eigene Bewegung 
dDergeftalt mit der Bewegung des Schülers, daß das 
Schöne, was in dem Zuge liegt, ganz vorzüglich ihm 
angehört; wiewohl man dabey nicht unterläßt, auch den 
Schüler zu loben, daß er feine Bewegung der Bewe— 
gung des Meifters fo gelehrig und gefchmeidig anfügte. 
Wie vortrefflich find die Zugendwerfe, wenn die gött— 
liche Liebe ihre heilige Bewegung ihnen einpragt, nahm: 
lich, wenn fie der Grund ift, weßhalb fie verrichtet were 
den. Doch gefchieht dieß auf verfchiedene Weiſe. 
Eine ganz befondere Vollkommenheit ergießt der 
Beweggrund der heiligen Liebe über die fügendlichen 
Handlungen derjenigen, die fich auf ausfchließende Wei: 
fe Gott geweiht haben, ihm auf immer zu dienen. Dieß 


find die Bifchöfe und Priefter, die durch die facramens 


talifche Weihe einen geiftlichen, und zwar unauslofchlis 
chen Charafter erhielten, und, gleich gezeichneten Zeibs 


eigenen, dem Dienfte Gottes für immer geweiht find; 


dDeßgleichen die Drdensleute, die durch ihre einfachen 
oder feyerlichen Gelübde, gleich lebendigen und vernünfe 
tigen Brandopfern, Gott dem Herrn geopfert werden. 
Dahin gehören auch Ale, die fich frommen Con» 
gregationen einverleiben, welche der Ehre Gottes beftan- 
dig geweiht find; ferner Alle, die abſichtlich große und 
feyerliche Vorſätze faſſen, den Willen Gottes zu befol: 


gen, und in diefer Hinficht Jährlich einige Tage in geifle 


licher Einfamfeit zubringen, dafelbft ihre Seele durch 
dazu geeignete Uebungen zur gänzlichen Aenderung ihres 
£ebens zu ermuntern; welche heilige Uebungen bey den 


Chriften der erften Zeiten fehr gewöhnlich waren, pas 


terhin aber vernachlaffiget wurden. — — 

Ich weiß freylich, daß Einige der Meinung find: 
diefe allgemeine Aufopferung unfer felbft dehne ihre Kraft 
und ihren Einfluß nicht bis auf Handlungen aus, die 


wir nach der Hand thun, aufer, in fo fern wir bey der | 


Ber: 








241 


Berrichtung derfelben insbefondere- durch den Beweg— 


' grund der Liebe wirken, und folche der Ehre Gottes 


insbefondere weihen. Nichts deſto minder befennen 
Alle mit dem heiligen Bonavenfura, den auch jeder 


hierüber mit Lob und Beyfall anführt, daß, wenn 


ein Menfch befchloffen hat, den Armen Gott zu Lies 
be hundert Thaler zu ſchenken, diefe fromme Spende, 
— menn er fie auch nicht unmittelbar nad) feinem 
Entfchluffe, fondern dann austheilt, warn es ihm ge— 
legen ift, und wenn er auch dabey zerfireut und feis 
nes frühern Verſprechens eben nicht insbefondere eins 
gedenk ift, — dennoch ganz aus Liebe geſchieht; da 


| fie aus dem erfien Vorſatze herfließg, zu dem die hei— 


lige Liebe den Menfchen angeregt hatte. 

Nun frage ich aber: was findet wohl zwifchen 
zwey Menfchen, deren einer dem Allerhöchften hune 
dert Thaler, der andere alle feine Werke opfert, für 
ein anderer Unterfchied Statt, als daß der Eine 


eine Summe Geldes, der Andere eine Summe Übers 


fe opfert ? Wie follte alfo die Summe aller einzelnen 


Werke, die diefer opfert, nicht eben fo fehr aus ſei— 


ner erfien Aufopferung herfließen, als die Vertheilung 
der hunden Thaler von dem erften Vorfaße des An» 
dern herſtammt? Wie follte der, der das Geld lange 


nach feinem Verfpredyen austheilt,’ des Vorzuges ſei— 


nes erften Verſprechens genießen; und der Andere, 
der feine Werke opfert, feiner erften Abficht verluftig 
werden? — Wer alfo der göttlichen Güte fich freys 
willig und heilig als £eibeigenen hingab, der hat ihr 
alle feine Werke und Handlungen bhingegeben, da er 
fich felbft ihr gemeiht hat. | 
Diefer Wahrheit zufolge follte Jeglicher in feie 


nem Leben mwenigftens Ein Mahl fich auf einige Zeit 


ernftlich in die geiftliche Einfamfeit begeben, und da— 

felbft feine Seele von allen feinen Sünden reinigen, 

um dann einen feften und ernfilichen Entſchluß zu 
Sailer, d. chriſtl. Monath. 16, 


x 


242 


faffen, ganz nach dem göttlichen Wohlgefallen zu 
leben; dann aber ale Jahre wenigftens Ein Mahl 
fein Gewiffen muftern, und feinen erften Vorſatz ers 
neuern. 

Der heilige Bonaventura behauptet: daß ein 
Menſch, der eine fo große Neigung und Gewohn⸗ 
heit erwarb, Gutes zu thun, daß er es oft ohne be; 
fondere Aufmerffamfeit thut, darum nicht minder 
durch folche Handlungen für den Tag der Öarben 
ausfae und ernte; da diefelben durch die heilige Lies 
be veredelt werden, Der fie al$ der Urquelle und Haupt- 
wurzel diefer glücflichen Gewohnheit, Leichtigkeit und 
Schnelligkeit entfpringen, 

Wenn die Pfauhenne brütet und weiße Gegen» 
ftande vor ſich bat, fo werden ihre Küchlein alle 
weiß. Wenn zur Zeit, wo mir irgend ein gutes 
Werk befchließen oder einen Stand wählen, unfere 
Abfichten in der Liebe Gottes gegründet find: fo er: 
halten alle Handlungen, die hiernach erfolgen, ihren 
Werth und ihren Adel von der heiligen Liebe, der 
fie entfpringen. Denn offenbar hängen die Handluns 
gen, die zu meinem Stande gehören oder für das 
gute Werk erforderlich find, von dieſer Men Wahl 
und dem erften Entfchluffe ab, den ich gefaßt habe. 

Jedoch follen wir hierbey nicht ftehen bleiben; 
fondern wenn wir bedeutende Fortfchritte auf dein es 
ge der Heiligung machen wollen, müffen wir es nicht 
dabey bewenden laffen, daß mir im Anfange unferer 
Befehrung , und dann jedes Jahr, Gott dem Herrn 
unfer Leben und alle unfere Handlungen uberhaupt 
weihen : wir müffen fie ihm überdieß jeden Tag (am 
Morgen und unter Tags, je öfter defto beffer) opfern; 
denn durch diefe tägliche Erneuerung unferer Hinges 
bung erhalten ale unfere Handlungen neue Liebess 
Traft und Starke; da unfer Herz durch neue Verei⸗ 


245° 


nigung mit der göftlichen Güte immer mehr geheilis 
get wird. 

Ueberdieß follen wir jeden Tag etliche Mahle 
unfer Leben durch feurige Schußgebethe, durch Erhe⸗ 
bung unferes Herzens und innerliche Einfamkeit desfel> 
ben, der göttlichen Liebe widmen; denn da folche 
heilige Uebungen unfer Gemüth unabläffig zu Gott 
emporheben, ziehen fie auch alle unfere Handlungen 

nach. Und, wie follte fich’3 auch nur denten laffen, 
daß eine Seele, die mit jedem Augenblide zur gott: 
lichen Güte auffeufzt und unaufhorlih in Worte der 
Liebe ausbricht, um ihr Herz beftandig in dem Hers 
zen des himmlifchen Waters zu erhalten, nicht alle 
ihre guten Werfe in Gott und für Gott verrichtete ? 

Jene, die da ſprach: »Mein Öeliebter ift ganz 
mein, und ich bin ganz fein. Mein Gott und Alles! 
O Jeſu! du bift mein Leben; o, wer gibt mir, daß 
ich mir felbft erfterbe, um nur dir allein zu leben ! 
O, wer da liebte, wer immer fortfchritte; o, mer fich 
felbft erftärbe, wer nur für Gott lebte und in Gott 
wäre! D Gott, was nicht du felbft bift, das iſt mir 
nichts !« — opferte fie nicht unablaffig alle ihre Hand» 
lungen dieſem himmlifchen Bräutigam? Glückſelig 
die Seele, die einmahl fich felbft ablegte, und den 
Handen Gottes fich übergab! Nur auffeufzen darf fie 
zu Gott, und mit ihren innerlichen Augen zu ihm 
aufbliden, um ihre Hingebung und Aufopferung zu 
erneuern und zu befräftigen, denn dieſer Seufzer be— 
theuert, daß fie nichts will, als Gott, und was fie Got» 
tes wegen verlangt, und daß fie fich felbft und auch 
nicht3 auf Erden liebt, außer in Gott und um Got: 
tes willen. 

Diefe Uebung des beftandigen Auffeufzens zu 
Gott ift demnach fehr geeignet, alle unfere Werke zur 
heiligen Liebe zu führen; zumahl aber ift fie mehr als 
hinreichend für die geringern und gewöhnlichen Hand» 

16 2 


244 


lungen unferes Lebens. Wollen wir aber bey außere 
ordentlichen , erhabenen und michtigen Ereigniffen gro= 
fen Gewinn erzielen ; fo märe folgende Weife hierzu 

fehr zweckmäßig und erfprießlich, 4 

Erheben mir bey folchen Vorfallen unfer Herz und 
Gemüth zu Gott, und dringen wir mit aufmerffamer 
Betrachtung bis in die hochheilige und glorreiche Ewig— 
feit ein. Schauen wir dann in derfelben, wie zart- 
lich die güttliche Güte uns liebte, und mie forglich 
fie ale Mittel zu unferem Heile, ale Öelegenheiten 
zu unfern Fortfchritten in ihrer heiligen Liebe, zumahl 
aber. die gegenwärtige, vorbereitet hat, das Gute zu 
thun, das fich uns darftellt, oder das Uebel zu lei— 
den, das uns widerfährt. Und haben mir dieß ges 
than : dann breiten wir, gleichnißweife gefprochen, 
die Arme unferer Einwilligung aus, und umfangen mir 
lebend , glühend, und in inbrünſtigem Liebeseifer das 
Gute, das fih zu thun ergibt, oder das Uebel, das 
wir leiden folen; und dieß zwar darum, weil Gott 
es ewiglich gewollt hat, und damit wir ihm gefallen 
und feiner Vorſehung gehorchen. 

Alfo that der große heilige Carolus Borromaus, 
als fein Bisthum von der Peft befallen ward. Groß- 
müthig erhob er feinen Muth in Gott, faßte die 
Ewigkeit in's Auge, und betrachtete mit Aufmerkfamkeit, 
wie in der Anordnung der göttlihen Vorſehung Ddiefe 
Zuchtrutbe feinem Wolfe bereitet und beftimmt war; 
und wie in diefer Zuchtigung die nahmliche Vorſe— 
bung angeordnet hatte, daß er den Betrübten mit 
liebevoller und herzlicher Sorgfalt beyſtehen, helfen und 
fie tröften follte; da er zu Diefer Zeit der geiftliche 
Vater, Hirt und Bifchof feines Kirchenfprengels wäre. 
Er flellte fi) demnach die Größe der Leiden, Arbeis 
ten und Gefahren vor, denen er fich deßfalls unterzies 
ben mußte, brachte fih im Geiſte dem göttlichen 
Wohlgefalen als ein Opfer dar, küßte mit Zärtlich⸗ 





245 


feit das ihm beffimmte Kreuz, und rief im Grunde feis 
nes Herzens, gleich dem heiligen Andreas: »O heili- 
ge Trübſal! wie lieblich bift du, da du aus dem lieb» 
reichen Schooße des Waters der ewigen Erbarmungen 
ausgingeft, der von Ewigkeit dich wollte, und diefem 
‚ geliebten Wolfe, und mir dich beftimmte! DO Kreuz, 
dich will mein Herz, da das Herz meines Gottes dich 
gewollt hat! O Kreuz, dich liebt meine Seele, und 
umfängt dich mit ſeiner ganzen Liebe!« 

Alſo ſollen wir bey den größten Ereigniffen, und 
bey den bitterffen — — uns benehmen, die uns 
begegnen können. Sind aber ſolche Trübſale von lan- 
ger Dauer, ſo müſſen wir dieſe Uebungen von Zeit zu 
Zeit, ja ſehr oft wiederhohlen, um dadurch unſere Vers 
einigung mit dem göttlichen Willen und Wohlgefallen 
am fo nüßlicher fortzufegen, und Diefe zwar Furze 
aber ganz göttliche Betheurung mit feinem Sohne aus» 
fprechen: »Ja, 0 ewiger Vater! ich will es von gan— 
zem Herzen; denn alfo war es mwohlgefallig vor dir!« 
— D, mein lieber Theotimus, wie große Schäße find 
in diefer Uebung verborgen ! 


246 
Rückblick 
über das Ganze 





Der Monath mit feinen Dreyßig — Ein und, 
dreyßig — Betrachtungen liegt nun hinter mir. Soll 
ich Den gemachten Weg nicht noch ein Mahl zurüd- 
legen ? | ; 
Was wollte ich? An jedem Monathstage machte 
ich es mir zur Pflicht, darnach zu ringen, daß ich für 
die Führungen der ewigen Weisheit, die in Jefus 
Ehriftus Menfch geworden iſt, und in der Zeiten Fülle 
zu uns geredet hat, empfänglicher, und mit den 
Lehren, Öefetzen und Heilsanftalten derfels 
ben vertrauter werden möchte. In dieſer Abficht ftellte 
ich vorerft die Frage an mih: Wozu bift du 
da? welches ift deine Beftimmung? die 
- Beftimmung des Menfchen und des Chri— 
ften? Die Weisheit, welche das Befisthum des 
Herrn im Anfange feiner Wege war, antwortete auf 
diefe Frage: Du bift zum Bilde Öottes ge 
ſchaffen, o Menfh ! und beftimmt, den 
Nahmen des Herrn anzurufen und zu ver: 
herrlichen, und in der Anfhauung des 
Herrn felig zu werden. Aus deinem Ur 
fprunge, aus deiner Erlöfung, und aus 
deinem Biele gebt hervor, daß du ein 
Spiegel ſeyn folleft, indem die Machtdes 
Baters, die Weisheit des Sohnes und 
die Liebe des heiligen Geiftes fich abbils 
den und verflären, 

Darnach verglich ich den Zuftand, in dem ich 
mich gegenwärtig befinde, mit dem, in welchem ich 
feyn ſollte; und es ergab fich, leider! nur al zu deutlich, 





247 


daß ich ganz und gar nicht derjenige fey, der ich 
ſeyn follte. Denn flatt in meinem innern und äußern 
Leben den Glanz des göttlichen Ebenbildes zu erfchau- 
en, finde ich in meinem Gemüthe die Sunde inwohs : 
nend, als eine giftige Wurzel; daraus der Baum 
des Böſen hervorwächſt, der die bitterfien Früchte 
trägt. Sch finde, wie die inwohnende Sünde mit faft 
unmiderftehlicher Gewalt von Gott mich wegreißet, ge- 
gen Gottes Geſetz mich in Aufruhr bringet, das heilige 
Feuer der Liebe in meinem Herzen auszulöfchen droht, 
und das Leben aus Gott, wo nicht vertilget, Doch Ders 
geftalt hemmet und bindet, daß faft Feine Spuren von 
feinem Daſeyn wahrnehmbar find ; ja ich finde da; wo 
die göttlichen Eigenfchaften wieder glanzen follten, die 
haflichfien Wirkungen der Sünde: Verfinfterung 
des VBerftandes, Lähmung des Willens, 
Zerrüttung des Gedadtniffes, Gram, 
Ueberdruß, Unfrieden des Herzens, Erw 
fhöpfung des Eeibes, und an der Gtätte 
Des ewigen Lebens das gräßliche Bild des 
Todes Mit der Lauterfeit des göttlichen Ebenbil- 
des ftehet die Unlauterfeit meines Gemüthes; mit der 
Wahrhaftigkeit Gottes die Lügenhaftigkeit meiner Sees 
le, die Falfıhheit, die Heucheley, und die mancherley 
Zucfen der Sünde; mit der Heiligkeit des göttlichen 
Geſetzes die Zahl und die Größe meiner Webertretuns 
gen; und mit der ewigen, Schönheit die häßliche Ge- 
ftalt des Lafters in ſchrecklichem Widerfpruche. So 
bin ich, in dem Lichte befehen, in welchem mich 
Gott fchaut. 

Bon diefem fchauerlichen und häßlichen Anblics 
fe, lenkte ich, o Herr, mein Gott! das Auge meines 
Geiftes abfichtlich und mit Gewalt hinweg , um es hins 
zumenden auf das liebliche Bild des Öuten, das in 
mir herrfchen folte, und betrachtete (am dritten Tage), 
was diel Falfchheit in Wahrhaftigkeit, die Bosheit in 


248 


Gutſeyn, die Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit, die Vers 
£ehrtheit in Geradheit, die Krankheit in Gefundheit 
umzumandeln im Stande feyn könnte; und lernte in 
diefer Betrachtung die Liebe Gottes aus gans 
zem Herzen, aus ganzer Geele, aus gans 
zem Gemüthe und allen Kräften, und die 
NRächſtenliebe, an Lebhaftigkeit und Tha 
tigfeit der Selbftliebe gleich, als das 
Eine Gute fennen, aus dem alle anderen guten Ge⸗ 
finnungen und Handlungen hervorwachfen, wie aus der 
Wurzel des guten Baumes der ganze Baum hervor⸗ 
wächft, welcher feine Gefundheit durch lauter gute 
Früchte an den Tag legt. Ja ich erkannte, mie fie, 
die heilige Liebe, Quell-und Mittelpunct 
aller Tugenden, und fomit der Sonne gleich fep, 
welche Duell: und Mittelpunct aller Lichtftrablen ift. 

Aus der Vergleichung des Böfen, welches in 
mir iſt, mit dem Guten , welches in mir feyn follte, 
aber leider noch nicht ift, leuchtefe mir die Nothwens 
digkeit und die hohe Wichtigkeit wahrer Buße in die 
Augen ; und ich fah ein (am vierten Tage), wie der 
Urfprung der heiligen Liebe, und in und 
mit derfelben die innere Umwandlung und 
außere Umgeftaltung des böfen Mer 
[hen in einen wahrhaftguten lediglid, 
und allein durh Buße möglich ſey; eine 
Umwandlung und Umgeſtaltung, durch welche der 
Menfch vor Gott wieder gerecht und. mohlgefallig 
wird ; indem er, von der Sünde fchlechthin abgewens 
det, eine ausfchließliche Richtung zum Ewig⸗ und 
Allein s Guten erhalt; eine Veränderung des ganzen 
Menfchen alfo, welche im Innern den Frieden 
aus Gott, und im Aeußern den Wandel vor 
Gott zur nothwendigen Folge hat. 

Das erfie Erforderniß zu Ddiefer Umkehr und 
Rückkehr zu Gott iff, wie ich am fünften Tage Deuts 











24g | 


licher als je einfehen lernte, ein uberwiegender 
Ernft, welcher alem Leichtfinn, der im Sünder 


herrſchet, ein Ende macht; ein beiliger Ernft, 


tvelcher geeignet ift, einem ganz neuen Leben den An— 


fang zu geben: -weil er einerfeits zum Stilleftehen auf 
dem Wege der Sünde, zum Eriorfchen des Jnner- 


' fen, und zum Durchforfchen der Sünde, andererfeits 


zum Gebethe um Erleuchtung des verfinfterten Gemü⸗ 
thes, und des verdüfterten Gemwiffens, ohne die feine 


lebendige Erfenntniß der Sünde und der Sundhaftig: 
keit möglich ift, anfpornetz zum Gebethe um den heie 


ligen Geift, ohne deffen Erleuchtung und . Führung 
der Menfch den Urfprung und die allfeitige Verzwei— 
gung, die Schändlichfeit und die Schadlichfeit der 
Sünde niemahls zu erfennen vermag. 

‚Das zweyte nicht weniger nothwendige Erforder: 
niß zur wahren Buße iſt, wie mich die Betrachtung 


des fechften Tages überzeugte: 


1. Die Anerfenntniß der Sünde und 


der Sündhaftigkeit nah Größe und Aus, 
breitung, nah Schändlidyfeit und Schä d⸗ 


lichkeit, nach Urſprung, Wachsſthum und 


Vollendung — vor dem Gerichtshofe 


meines Gewiſſens; 
2. Die Bekenntniß der anerkannten 


Sünde und Sündhaftigkeit innerlich vor 


dem Kichterftuhle,und dem alldurdfchaus 
enden Auge Öottes; 

3: Die Befenntnif der anerfannten 
Sünde und Gündhaftigfeit aufßerlid 
vor dem Stellvertreter Chrifti, den er in 
feiner Kirche dem Sünder anweifet, und durch den 
er ihm Licht, Kath, Hülfe und Erlöfung anbeut. 
Sch erkannte die Nothwendigkeit jener Ans 
erfenntniß, und DdDiefer zweyfachen Be 


kenntniß meiner Sünde und meiner Sündhaftigs 


250 


feit, um nicht wieder von den Zerftreuungen des Le- 
beng , und von der Macht der mancherley Reize und 
KReisungen des Bofen in den alten Zufland des Vers 
derbens hinabgezogen zu werden. Die Anerfenntniß 
und Bekenntniß aber darf nicht bloß in Worten 
befteben, fondern fol aus dem Herzen fom 
men, und im Herzen verbleiben, und fomit die 
Sünde, um mit David zu reden, Tag und Naht 
vor dem Sünder ftehen. 

Wie aus der lebhaften Anerfenntniß 
und der gemwiffenhaften Befenntniß der 
Sunde, Sham, Reue und Sehnſucht nach 
Erlöfung, d. i. nach Befreygung von der Sünde und 
ihren Folgen nothwendig hervorgehen, warum und 
wie Diefe Gefühle erweckt, unterhalten und immer 
trieder erneuert werden follen, zeigte mir die Betrach— 
tung des fiebenten Tages, die mich antrieb, von Dir, 
v Gott! dem gerechten Richter, zu Dir, o 
Gott! dem lieber und huldvollen Vater, 
von Deiner Gerechtigkeit, zu Deiner Er 
barmung mich zutrauungsvoll hinzumenden. Ans 
gezogen von Deiner Menfchenfreundlichkeit, o Gott! 
unfer Vater in Jeſus Chriſtus, ermuntert von den 
Berheißungen Deines Sohnes, getrieben von dem 
lebhaften Gefühle der Sunde und der Sundhaftigfeit, 
fonnte und wollte ich nicht langer mehr faumen, die 
Stätte meines Elendes zu verlaffen, und an der 
Hand Ehrifti, im Vertrauen auf Deine allerbarmen- 
de Liebe, gleich dem verlornen Sohne, in deine offe- 
nen DVaterarme zurüczufehren. Da trat es mir recht 
bel vor das Auge, (am achten Tage), mie, fern 
vom todten Glauben an Ehriftug, und er 
nem unthatigen Vertrauen auf fremde Ge 
rechtigfeit, aber auch gleich fern von bloß ei: 
genmäcdhtigem Wollen und Streben, die 
Immwandlung des böfen Menfchen in einen guten 


251 


* 


durch den heiligen Geiſt zu Stande gebracht werde, 
eine neue Geburt aus Gott, eine neue Schöpfung, 
worin ſich zugleich — die Wirkſamkeit der göttlichen 
Gnade, und die Thätigkeit des menſchlichen Willens 
in lieblichſte Harmonie offenbaren. Wahrhaft! auch 


bier wecket Gott vom Tode auf, auch hier tritt der 


Neuerwecte in das Keben ein. Gott belebet, und 
der belebte Menfch führt ein göttliches Leben, 
das Leben des chriftlichen Glaubens, der chriftlichen 
Hoffnung, und der chriſtlichen Liebe. Dieß wunder— 
bare Werk ſtrahlte mir (am neunten Tage) mit neuer 
Klarheit in's Auge, als ich den Sinn der Worte Je⸗ 
fu: Laßt uns fröhlich ſeyn; denn dieſer 
mein Sohn war todt, und ift wieder le— 
bendig geworden, Luk. XV. 24, in den väterlis 
chen Umarmungen und in dem Friedensfuffe, die dem 
geretteten Sohne zu Theil wurden, fühlen lernte. 
Diefes wunderbare Werk bringt Gott in der chrift- 
lichen Kirche durch Menſchen zu Stande, die er durch 
die Vorfteher derfelben zu Diefem wichtigen Gefchafte 
fendet, und mit Vollmacht rüftet. Ihr göttlicher Beruf 
ift Fein anderer, als in dem Falten Sünder das Eis 
zu fchmelzen, den Verirrten auf den Pfad des Lich» 
tes zu mweifen, den Erweckten in das Geheimniß eines 


' zerfnirfchten Herzens einzuleiten, den Keuvollen in 


Zuverficht und im Befferungsernfte zu befefligen, dem 
aufrichtigen Befenner feiner Sunde Ohr und Herz zu 


Öffnen, und den nach Gnade und Gerechtigkeit Dürs 


fienden von Schuld und Strafe loszubinden D! 
felig,, wer diefe Entfündigungs- und Befferunganftalt, 


die Chriſtus eingefebt hat, anerkennt, und darin Heil 


und Leben findet, und durch eigene Erfahrung beftati: 
get, daß die Sünde, die durh Hochmuth 
und Ungehorfam in- die Welt gefommen 
war, nur durh Demuth und Gehorfam 


252 


aus der Welt verbannt werden fann, Die 
war der Inhalt der zehnten Betrachtung. 

Wie der Baum, er fey gefund oder krank, an 
ſeinen Früchten ſich zu erkennen gibt; ſo bewährt ih 
auch die wahre Sinnesanderung durch eine vollftandige 
Lebensänderung, d. i. durch eine ganzliche Beſ— 
ferung des Menfchen in feinem Thun und Laffen; 
diefe ganzliche Befferung zeigt im Aeufern, was im 
Innern vorgegangen ift, flellet dar — die wieder 
erfampfte Oberberrfchaft des Glaubens, 
der Hoffnung und der Xiebe, oder die wahre 
Gottfeligfeit. Durch Ausübung aller chriftlichen 
Tugenden bewährt fich am ficherfien die vorgegangene 
innere Begnadigung, Kechfertigung und Heiligung des 
früheren Sünders. Diefes zu erfennen und zu bes 
berzigen, verlieh mir Deine Gnade am eilften Tage. 

Im gleichen Lichte fah ich ein (am zwölften Tas 
ge), daß der chriftliche Glaube, als fefte, gewiſſe 
und lebendige Weberzeugung:. daß Du, Gott und 
Vater des menfchlichen Gefchlechtes ! durch Deinen 
Sohn, Jeſus Chriftus, im heiligen Geifte heilig und 
felig machen mwolleft und machen mwerdeft alle Men: 
fihen, welche das ihnen angebothene Heil nicht von 
fich floßen, — von dem Aberglauben der Ju— 
den, und von dem ftolzen Wahne der vor 
geblihen Weltweifen fich gar fehr unterfcheide, 
Ich lernte einfehen,, daß ich Gott in Chriſtus meine 
Bernunft zu unterwerfen habe, um an die ewige 
Wahrheit glauben; Gott in Chriſtus meinen 
freyven Willen zu unterwerfen habe, um Die 
ewige Schünheitlieben; Gott in Chriſtus mein 
ganzes Herz zu unterwerfen habe, um auf die ewis 
ge Liebe vertrauen zu fünnen. 

Am dregzehnten Tage durchblickte ich von Deinem 
Geifte, mein Herr und Gott! geleitet, die heiligen 
Schriften, und erkannte den chriſtlichen lauben, al$ 








255 


denerften Keim des göttlichen Lebens im Menfchen, 
als die Grundbedingung Deines Wohlgefallens an uns; 


als Grundfefte der Hoffnung und der eigentlichen Geis 
- ftesftärfe des Menfchen ; als die Seele aller guten Wers 
ke, als eine himmlifche Macht, welche den ruhmwür— 
digſten Kampf mit der Sünde und den Mächten der 
Finſterniß beftehet, ja als eine Siegeskraft, melde, 
aus der Emigkeit ffammend, die Welt überwindet. . In 


Deinem Lichte, mein Herr und Gott, fah ich (am vier— 


zehnten Tage) den himmlifchen Urfprung, die muth— 
volle Verkündigung , die Ausbreitung, Erhaltung und 


Fortpflanzung des chriftlichen Glaubens in der katholi— 
fehen Kirche; und die reiffte Erwägung überzeugte mich 
vonden Dffenbarungenderemwigen Wahr: 
heit, von den Verheißungen der emigen 
Liebe, von den Enthullungen der emwigen 
Schönheit, aufeine Weife, gegen welche die de— 
müthige und nüchterne Vernunft nichts einzuwenden 


hat; indem fich vielmehr der jedem Menſchen verliehes 
ne Wahrheitsfinn genöthiget fühlet, auszurufen: Wahr- 


baftig, hier in der Kirche, die Jeſus Chriſtus geftiftet 
bat, findet man Gottes Wortinihren Lehren, 
Gottes Kraft in ihren Thaten, Gottes 
Heilinihren Anftalten und Scidfalen, 


Lehren, Thaten, Anftalten und Schickfale bilden ein 


fo ſchönes, erhabenes und wohlthatiges Ganze, daß im 
Anbliefe desfelben jedes reine und parteylofe Gemüth 
mit Petrus und Allen, die feines Geiftes find, beken— 
nen muß und wird: Hierift das ewige Leben! 

Die mächtigſten Hinderniffe des chriftlichen Glau— 
bens find aber der St ol z des menfc;lichen Dünfels, mwels 
cher Feines Gottes und feiner Wahrheit, die höher ift als 
er, zu bedürfen wahnet, da er fich felbft genug iſt, und 
alles Wahre aus fich nimmt ; und dievorherrfchen: 
de Lüſternheit, oder die Liebezu den Gütern 
der Sinnlichfeit, die auf der Erde Friechend, mie die. 


254 


Thiere des Feldes, fich nicht zu dem Lichte des Him— 
mels erheben fann. Daß diefe Hinderniffe im Herzen 
liegen, und tie fie aus dem Herzen vertilgt werden kön⸗ 
nen, bielt mir anfchaulich vor die Augen die Betrachs 
tung des fünfzehnten Tages. Sie zeigte mir die Noths 
mwendigfeit des reinen, demüthigen Kinderfinnes, und 
die Wahrheit der Worte Ehrifti: Wenn ihr nicht 
werdet, wie die Kinder;fo werdet ihr fer 
nen Antheilam Reiche Öottes haben. 

Die göttliche Kraft des chriftlichen Glaubens, 
welche den alten Menfchen in einen neuen umzuwandeln 
vermag, liegt aber weder im Verſtande, der von 
böfen Neigungen verfinftert, noch im Wile 
len, der von böfen Neigungen gelähmet, noch im 
Herzen, das von böſen Kegungen abwärts gekehrt, 
um alles Gefühl des Höhern gefommen iſt: fondern 
fie war und iſt, wo fie immer zum Vorſchein fam und 
kommt, ein Gefchenf des heiligen Öeiftes, 
der die Verfünder des göttlichen Wortes erleuchtet und 
belebt, und das Herz der Zuhörer zum Auffaffen , zum 
Bewahren, und zum Vollbringen desfelben göttlichen 
Wortes auffchließet, und unterffüßet. Die Kraft des 


chriftlichen Glaubens äußert fih nur, wo Gott den 


Menfchen ziehet, und der Wille des Menfchen dem 
göttlichen Zuge folge. Diefe reichhaltige Wahrheit 
betrachtete ich am fechzehnten Tage, wodurch ich auch 
einfehen lernte, daß es Fein zuverlaffigeres Mittel ges 
be, die göttliche Glaubensfraft zu erhalten, als die ges 
wiffenhafte Folgfamkeit in Hinficht auf das göttliche 
Wort, und die treue Benußung aller Önaden, 
die Gott in der chriftlichen Kirche fo reichlich ausſpen— 
det. Denn, fo oft das vernommene Wort Gottes in ein 
Gebeth des Herzen; umgewandelt, und das Gelubde der 
Gelübde wieder erneuert wird, das Gelübde nahmlich: 
Gottalleinanzugehören,undihmemwig treu 
zu feyn, gewinnt der Glaube ſtets wieder neue Star: 








255 


fe zum Kampfe gegen das Böſe, und neues Licht zur 
Verſcheuchung der Finfterniß, bis zum Anbruche jenes 
hellen Tages der Ewigkeit, auf welchen feine Nacht 
mehr folgen wird. 

| Allein der chriftliche Glaube bat auch ein Kins 
desalter, wo wir glauben, ohne noch zu verftehen; 
ein Jugendalter, wo wir zum Verftändniffe deffen 
gelangen, was wir glauben; ein Mannesalter, 
wo mir lebendig erfahren, was wir früher bloß ger 
glaubt, und mit reinen Augen des Gemüthes fchauen, 
was wir früher ohne Verſtändniß, fpater mit immer 
wachſendem Verftändniffe, geglaubt haben. Diefes 
zeigte mir die Betrachtung des fiebzehnten Tages, wo— 
bey eg mir im neuen Lichte anfchaulich ward, mie das 
Wachsthum der Erfenntniß durch die öftere, nicht bloß 
vermeintliche, fondern wahrhaftige, nicht 
bloß mechanifche, fondern geiftige Uebung des 
Glaubens befördert werde. Auch fah ich ein, daß 
dieſe Glaubensubung in einem ftet3 zunehmenden Sams 
meln, und Losmachen des Gemüthes von der Welt 
und dem eignen Selbft, und in Erhebung zu Öott 
beſteht, welche eine neue Belebung der Anerfennts 
ıniß Öottes, des Gehorſams gegen Gott, 
und des Vertrauens auf Gott in Ehre 
ſtus zur Folge hat. 

Wie aber der fo geübte Ehriftenglaube in Liebe 
thätig, und in der Hoffnung felig werde; wie 
die aus dem chriftlichen Glauben hervorgehende Hoff« 
nung «ne andere im Sünder, der noch auf dem 
Wege zur volftandigen Bekehrung mwallet, und eine 
andere ſey im Gerechten, der das Werk der 
Befehrung fchon vollbracht hat; was ferner die chrift: 
liche Hoffnung vorausfege, worauf fie fich ftüße, durch 
welche Kennzeichen fie fich offenbare, und durch wel: 
cherleyg Mittel fie fich erfrifche und belebe, gabft Du 
mir, o Herr! zu erfennen am achtzehnten Tage. 


256 


Am neunzehnten Lage mar es, wo ich, unfer 
deiner Zeitung, die wefentlichen Kennzeichen der chrifts 
lichen Hoffnung anfchauen lernte: den Frieden 
aus Gott; die zuverfihtlihe Erwartung 
des ewigen Lebens in feiner Herrlichkeit 
und Bollendung; den freuen Fleiß und 
froben Muth bey Me Arbeiten und Sor—⸗ 
gen des Lebens; die ftille und aushar— 
rende Geduld in lUeberwindung aller 
Berfuchungen, und in llebertragung aller 
Leiden. Dieß find die Kennzeichen einer Hoffnung, 
die durch Leiden, durch Benfpiele der Öottfeligfeit , 
durch vertraute Geſpräche zwifchen Chriften, durch 
vielauffchließende Ereigniffe, durch den Anblid eines 
Sterbenden , durch Betrachtung der Kreuze auf dem 
Kirchhofe ꝛc. ſtets mehr befeftiget und erfrifchet wer— 
den Tann. 

Daß im Innerften des Menſchen durch Glaube, 
Hoffnung und Liebe, als die Eine, gerade und une 
unterbrochene Richtung zur Urquelle alles Wahren, 
Guten und Schönen hin, das Keich Gottes Wurzel 
faffe, und fich entfalte, und daß in diefer Entfaltung 
die Würde, die Schönheit, und die Selig— 
keit des chriftlichen Gemüthes einzig beſtehe, ließeft 
Du, die Wahrheit ſelbſt, mir belle in die Augen 
leuchten in der Betrachtung des zwanzigſten Tages. 

Glaube, Hoffnung und Liebe find demnach, bey 
aller Dreyheit, doch nur Ein Ganges, und das 
Eine Ganze die Seele jener Gefinnung, welche werth 
ift, die chriftliche zu heißen; die, wofern der 
Menfch bis an’s Ende darin ftandhaft. bleiben fol, 
einer üftern, täglichen, ja faft ftündlichen Erneuerung 
bedarf. Diefe Erneuerung gefchieht, fo oft der Vor—⸗ 
ſatz gegen die Keize des Boͤſen zu fampfen, und im 
Kampfe dagegen auszuhalten, wieder gefaffet wird, 

wie 





257 
tie mich lehrte die Betrachtung am ein und swangigs 
fien Tage. 

Ich forfchte nach den vorzuglichen Mitteln zur 
Erneuerung der chriftlichen Gefinnung, und fand 

(am zwey und zmwanzigften Tage), wie Vieles hierzu 
" beytrage das Gebeth, das Lefen geiftlicher 
Schriften, und die ernftlide Erwägung 
und Ueberlegung ihres Inhaltes; die ge 
hbeime Verehrung Öottes in der Gtille 
des Gemüthes, und in der einfamen Kam— 
mer; die laute Öottesverehrung vor den 
Unfrigen, oder allen denen, die ung zus 
nachft und gewöhnlich umgeben; und wie 
demzufolge Fein wahrer Chriſt je unterlaffen werde, 
täglich diefer Mittel fich zu bedienen, um feine goft- 
felige Gefinnung zu erneuern, und darin fich zu befes 
ſtigen. 

Die Nothwendigkeit der öftern Erneuerung und 
Befeſtigung der chriſtlichen Geſinnungen führten einige 
Worte von Makarius noch näher und tiefer mir zu 
Gemüthe, und folgend dieſer Ermahnung, lernte ich 
einſehen (am drey und zwanzigſten Tage), wie zur Er— 
neuerung und Befeſtigung der chriſtlichen Geſtnnung 

die Feyer des Sonntags in der katholiſchen Kirche be— 
nutzet werden könne, und benutzet werden ſolle; ich 
ward überzeugt, daß der Zweck der Sonntagsfeyer nur 
dann erreicht fey, wenn das Gemüth des Menſchen 

an diefem Tage von der irdifchen Welt hinweg, und 
zu ewigen Dingen hingemwendet, und mit ihnen neu 
befreundet worden ift. 

| Allein nicht nur der Sonntag, fondern auch Die 

übrigen hoch = fefilichen Tage der Kirche, wie die 

Fefttage des Herrn, der göttlichen Mutter, der Apo» 

ſtel und aller Heiligen find aus derfelben Abficht ein— 

geſetzt, und werden im Geifte der Kirche nur von jes 

Sailer , d. chriſtl. Monath. 17 





258 


nen Ehriften gefenert, welche an diefen Tagen neue 
Belebung und Beftarfung in ihrem chriftlichen Sinn 


und Wandel gewinnen, wie mich die Betrachtung am 
vier und. zwanzigften Tage Fennen lehrte; wobey mir 


recht klar ward, daß alle feftlichen Tage in der Fathos 


lifchen Kirche als ein einziger Feſttag zu betrach- 
ten feyen, nähmlich: als Fefttag der ewigen 


Liebe, welche in Ehriftus und allen Heiligen Gots - 


tes fo freundlich fich geoffenbaret hat, und zur Ges 
genliebe ale unverdorbenen Gemüther auffordert und 
aufwecket; zu einer Gegenliebe, welche den Lieben- 
den innerlich antreibet und nöthiget, fich ganz in den 
Dienft derfelben ewigen Liebe zu ergeben, und ein dreys 
faches Opfer, das Opfer der Vernunft, das 
Dpfer des Willens, das Dpfer des Gr 
müthes mit allen feinen untergeordneten Kräften 
der Seele und des Leibes dem Allerheiligfien, dem 
Herrn und Vater Aller, auf eine wohlgefällige und 
lebendige Weife darzubringen, 

Wie uns zur Darbringung diefes Opfers Gottes 
Gnade befähiget und ſtützet, eine Gnade, welche in 


der chriftlichen Kirche durch die heiligen Sacramente 


in glaubige und empfangliche Herzen gefpendet wird, 
betrachtete ich am fünf und zwanzigften Tage, wo mir 
der erhabene Endzweck aller Sacramente Ehrifti, be⸗ 
fonders aber die heilfamen Wirkungen des öftern Ems 
yfanges der Buß⸗- und Altarsfacramente anfchaulich 


ward, und in ınir den Entfchluß neuerdings rege machte, - 


den Ermahnungen der heiligen Vater und anderer 
geiftreichen Manner folgend, diefe Önadengaben des 
Herrn nach Abficht ihrer göttlichen Einfegung vfter zu 
benußen. 

Die einmahl erweckte, erneuerte und durch üftere 
Erneuerung befeftigte Gefinnung des wahren Ehriften 
offenbaret fich nothivendig im Leben, und wird erft 





259 


durch Erfüllung aller Pflichten volfommen bewähret. 


. Die, daß nahmlich. die volftandige Öerechtigkeit in 


allem Thun und Laffen, und insbefondere die Treue 
und die gegenfeitige Liebe der Berehelichten der zuver— 


läſſige Wiederfchein der chriftlichen Gefinnung fep, 


lernte ich am fechs und zwanzigſten Tage einfeben. 

Diefelbe chriftliche Gefinnung, die tugendhafte 
und gottfelige Ehen ftiftet, bildet auch fromme, edle 
Väter und Mutter, die das Reich Gottes, welches 
fie in fich felbft tragen, in ihren Kindern gründen 
und pflegen, wie mich die Betrachtung des fieben und 
zwanzigften Tages überzeugte. 

Doh nicht nur Vater und Mütter, fondern 
felbft Regenten, Bifchöfe und Priefter bildet die 
chriftliche Gefinnung, und bildet fie fo, mie fie die 
Menfchheit wünfchet und bedarf, um bienieden ru: 
big und glücklich, und jenfeit$ ewig felig zu werden. 


Dieß fab ich helle ein in der Betrachtung des acht 
und zmanzigften Tages. 


Die chriftliche Gefinnung übet auch jeden Men— 


ſchen in der großen Kunft, fich in feine jedesmahlige 


Lage zu fügen, und von allen Zuftänden des menſch— 
lichen Lebens den beften, das ift, den zweckmäßigen 
Gebraudy zu machen. Ind, gerade das weife Ver— 


halten bey Keichthum , bey Armuth, bey mittelmaßia 


gen Vermögenszuftanden; die Maßigung und Enthalts 
famfeit in den Tagen der Freude; die Geduld und 
gelaffene Ergebung in die Leitungen und Kügungen der 
göttlichen Vorficht in den Tagen der Noth, der Unge— 
mißheit, find es; modurch die chriftliche Geſinnung 
von jeder unchriftlichen fich unterfcheidet, wie mich 
lehrte die Betrachtung des neun und ziwanzigften, auch 
die des drepfigften Tages. 

Ale diefe Betrachtungen und Mebungen , was 


' haben fie denn aber für einen andern Zweck, als uns 


Au» 


260 


mit dem ewigen Leben, oder mit Gott: in Chriftus 
innigft zu befreunden und zu vereinigen; damit, wenn 
einft der letzte Tag unferes irdiſchen Dafeyns anlanz 
get, wir hoffen dürfen, unfer Glaube werde in volls 
Fommenes Schauen , unfer Hoffen in freudenreichen 
Beſitz, unfere Liebe in ewige Vollendung übergehen, 
und bierdurch der höchſte und legte Zweck alles chrifte 
lichen Sinnes und Ötrebens erreicht werden; wie ich 
erfannte am letzten Tage des Monaths. 

Die Erwecfung der chriftlichen Geſinnung 
ift Anfang; die Erneuerung der chriftlichen Ge: 
finnung if Fortgang; die vollftändige Verwirklichung 
der chriftlichen Gefinnung iſt Vollendung der 
wahren Weisheit, und fomit Offenbarung und Dar- 
ſtellung jenes ewigen Kathfchluffes, nach welchem die 
Menschheit ihre verlorene Wurde wieder erreichen, und 
zum Beſitze ihres höchſten und vollendeten Gutes, 
zur Heiligkeit umd Seligkeit in Chriſtus, und durch 
Chriſtus, unfern Herrn und Heiland, den Einen 
Mittler zwifchen ‚Gott und den Menfchen, der fich 
ſelbſt zum Löfegelde für Ale hingegeben hat, gelangen 
Tann. 8 

F 


Gebet h. 


Das Licht deiner ewigen Weisheit ift mir, anf- 
gegangen, o Herr! Sanft und milde ließeſt Du 
es jeden Tag des verfloffenen Monathes die Au-⸗ 
gen meines Geiftes berühren. Sch habe, aufges 
wecket durch dieſes Licht, und geſtärket durch 
mannigfaltige Mirkfamkeit deiner Gnade, den 
feften Entfchluß gefaßt und unzahlige Mahle erneu= 
ert, ftets nur dem Lichte der ewigen Meisheit, 
deinem heiligen Ratbihluffe zu folgen, und zu 


261 


deiner Verberrlihung, zur Verwirklichung dei- 
nes Keihes auf Erden als williges und Ddienft- 
bares Merkzeug deinem heiligen Geifte mich hin- 
zugeben. 
WVollende, o Herr! im Berlaufe des Sab- 
res, und im Berlaufe meines ganzen noch übrigen 
Lebens, was Du in mir angefangen haft. Keite 
mich durch deine Meisheit; Halte mic in Schran- 
Ten durch deine Gerechtigkeit; tröfte mich durch 
Die Difenbarımgen deiner unendlichen Liebe und 
Barmherzigkeit; ſtärke und beſchütze mich durch 
die Macht deines heiligen Geiſtes. Meine Ge— 
danken, meine Worte, meine Werke, meine 
Freuden und meine Leiden ſollen nur einzelne 
Strahlen der Einen Opferflamme ſeyn, welche 
Du nun in meinem Herzen angezündet haft. Von 
Diefer heiligen Opferflamme innerlich erleuchtet 
und erwarmet, werde ich künftig bey allen 2: 
lafien deine Liebe mir vergegenwartigen, Die 
Munder deiner Weisheit verfundigen, und mn 


von Dir reden, nad) deinem heiligen Willen hau— 


deln, und zu deiner Berherrlichung leiden. Mit 
Dir in Jeſus Chriftus aeeiniget, werde ich un 
terwürfig gegen meine Dberen, freundlich und 


' Liebevoll gegen meine Untergebenen , treu geaen 


meine Freunde, und nachſichtig gegen weine 
Feinde mich erweifen. Bon deinem Geifte ‚be 
lebt, und durch deine heitigen Liebesflammen ge— 
reiniget, werde ih das wilde Feuer jeder Lei 
denfchaft zu ertödten, den Geiz durch Wohl— 
thatigkeit, die Molluft durch Selbſtverläugnung, 
den Zorn durch Sanftmuth, die Lauigkeit Durch 
Andacht zu überwinden, und Flug in Unteruch 
mungen, muthig in Gefahren, geduldig in Wi— 


Derwartigkeiten, demüthig im Wohlſtande, und 


202 


maßig im Gennffe, jeden Tag auf den Testen 
meines Xebens mich vorzubereiten, und dem Zu— 
ae deiner Gnade ftets folgend, auf dem Mege 
Deines Geſetzes mein ewiges Heil zu fichern ſtre— 
ben. Gib, o Herr! was mir noch mangelt, 
und was id bin und habe, fol ewig Deine 
Huld und Gute preifen, Amen, 








II. 


Gedanken 
über dasſchriſtliche Leben, 


vom 


BEILIaEW ART TEL paulus. 








Ein 
Andachtsbuch für alle Ehriften, 


auf 


alle Sage bes Manache.‘\ 


in — — 


* 


»Du ſollſt den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Her— 
»zen, aus deiner ganzen Seele, und aus deinem ganzen Ges 
„müthe.t — 

Dieß ift das größte und erfte Geboth. / 

Das andere aber ift diefem gleich: 

»Du ſollſt deinen Nächften lieben , wie dich ſelbſt.« — 
Ein, größeres Geboth, als diefes , gibt es nicht. 


— — 


N — 


—— — 





— — — —⏑⏑.1⏑OO ——— — — — 


Einleitung des Herausgebers. 





| m Fahre ızı ı erhielt Anton Briaffon, Buch» 
händler in yon, ein Privilegium gegen den Rach— 
druck des Andachtsbuches: »Der Geift des hei: 
Ligen Paulus« — und zwar bey Strafe der Con- 
fiscation, und einer Geldbuße von taufend Livres; und 

im Jahre ı7ı2 murde bereit3 die vierte Aufla- 
ge vergriffen; gewiß ein fprechenderes Zeugniß für 
den innern Werth dieſes Büchleins, als die erfauften 
| £obhudeleyen in den Eiteraturblättern unferer Zeit, 
die doch dem verdienftlofen Werke feinen Beyfal vers 
bürgen können. Die ewigen Örundwahrheiten der 
chriftlichen Religion, die und der heilige Paulus in 
dem ſchmuckloſen Kleide der Einfalt lehret, find aber 
auch von fo goftlicher Natur, daß der mit Glauben, 
Liebe und Hoffnung bethende Menfch, Befonnenheit 
im Ölüde, Troſt im Unglüde, und bimmlifchen 
Balfam für die Leiden des Gemüthes darin finden 
Tann. Hier ift von feinem Glanze in den Ausdrücz 
ten die Rede; von Feiner gemählten, kunſtreichen 
Sprache, die durch mahlerifche Worte taufchet , und 
die Ginne befiicht; von feiner gelehrten Sprache, 
die man nur im Beſitze der nöthigen Vorkenntniſſe 
verſtehen kann; von feinem Doppelfinne, den die 
Spitzfindigkeit nach Belieben auslegen würde: — fons 






266 


dern einleuchtend für den Gelehrten, wie für den Un— 
gelehrten , erftreckt fih der mwohlthätige Einfluß diefer 
heiligen Wahrheiten auf alle vernünftigen Wefen, 
und auf ale Zeiten der Welt. ’ 
Der Herausgeber hat in feinem Leben ſchon fo 
manche fchwere Heimfuchung erduldet, und Fein irdis 
ſches Mittel hat ihn getröftet, und die philofophis 
ſchen Lehrſätze aller Seften haben weder feine Thräs 
nen getrod'net, noch Balſam in die offenen Wunden 
geträufelt; ein goftvertrauender Blick in dieſes froms 
me Büchlein aber war hinreichend, das vor Gram 


brechende Herz mit geiffiger Kraft zu ſtärken; damit 


es lebe und trage nach den heiligen Rathſchlüſſen des 
ewigen Gottes! Darum mwünfchet der Herausgeber, 
daß diefes Büchlein in den Händen eines jeden from: 
men Chriften feyn möge; damit es ihn lehre, leite, 
trofte, und in den Bedrangniffen des Lebens nicht ver- 
laffe ; darum hat er es in unfere liebe deutfche Mut— 
terfprache umgewandelt, daß es dem Öeringften uns 
ferer deutfchen Brüder ein troftender , rathender Engel 
werden, ihn durch die Irrpfade des wechfelnden Le— 
ben$ geleiten, und gereiniget von fündhaften Schwä» 
chen durch die Pforten des Grabes in die Unfterbliche 
Feit nach der Gnade und Barmherzigkeit Gottes eins 
führen möge! 





Vorrede des Berfaffers. 


— 


Da nach der Meinung des heiligen Paulus (2. 
Tim. 3, 16.) nihts nüßlicher und geeigneter if, 
als die heilige Schrift uns zu lehren, wie wir 
uns ſelbſt nberwinden, beffern, in den Pflich- 
ten der riftlihen Gerechtigkeit unterrichten, 
und in der Uebung guter Merke benehmen fol- 
Ien; und da wir nach dem Epangelium Eein 
' Bud) haben, das uns die Xehre Sefu Chrifti 
fo gut darſtellet, als dieſer Apoftel: fo Eonnte 
ic) ohne Zweifel nichts Befferes thun, als den 
Geiſt feiner Briefe zu fammeln, und ihn den 
heiligen Seelen mitzutheilen , die zum Gelbft: 
leſen nicht Muße haben, und in diefer Bleinen 
Sammlung nit nur das finden werden, was 
ihnen eine Sehnfucht einfloßet, an ihrer Ver— 
vollkommmung zu arbeiten, fondern auch, was 
fie in dieſem glücklichen Stande erhalten kann, 
durch die Ausdauer: indem fie täglich bey fid) 
ſelbſt diefen Geift des heiligen Paulus erneu: - 
ern, der von Eifer und Begierbe brannte, für 
die Verherrlichung Jeſu Chrifti, und für fein 
eigenes Heil, 


a ee TE ee 





268 


Er alfo ift es, nad Sefum Chriftum, (ı. 
Kor. 11, 1.) den wir fir das Muſter unjers 
Kebens uud Benehmens wählen follen; weil er 
uns räth, ihm nachzuahmen, wie er ihm nach— 
ahmte in dem feinigen (1. Kor. 7, 7.); und 
der Eeine größere Luft wußte, als zu 
fehen, daß alle Gläubigen ihm glichen. Er fol 
unfer Meifter ſeyn im geiftigen Leben; weil 
Gott dieſe Eigenfchaft mit jener des Fürften 
der Apoſtel in feiner Perſon verbunden bat, 
(2. Tim. 1, 11.) und weil uns dieſer große 
Mann in feinen Schriften fo erhabene Bor: 
ſchriften dazu gibt, indem er uns den wahren 
Meg zeigt, den wir wandeln follen, ohne Furcht 
uns zu verirrem. | 


Es Scheint, daß er die Zeit, in der wir 
leben, voraus ſah; 2. Dim. 4, 3.) da er fich 
beklagt, daß die meiften Chriſten die heilige 
Lchre nicht mehr vertragen, fondern um in ihrem 
unchriftlichen Leben fortzufahren , fih Lehrer 
und Leiter wahlen, die ihren bofen Lüften ge— 
fällig frohnen, und durch ihre Reden, flatt fie 
zu belehren, nur ihren Ohren fchmeicheln, 


Bon ganz anderer Art ift der heilige Pau: 
Ins; (2. Kor. 10, 10.) obgleich) er nicht Die 
Feinheit befißt, die man ihm wünſchen mochte, 
fo darf ich doch eine gute Aufnahme fir ihn 
hoffen; weil diefer, der uns lehret, derſelbe ift, 


209 


den Jeſus Chriftus ſelbſt unterrichten wollte: 
indem er ihn, nach einem Rufe befonderer Art, 
bis in den dritten Himmel erhob, @. Kor. ı2, 
4.) und deſſen Lehre um jo mächtiger ift, weil fie 
ſchmucklos iſt, und weder Fünftlicher Ueberre— 
dung, noch philoſophiſcher Grübeleyen bedarf, 
um Eingang zu finden in unſern Geiſt. (1. Cor. 
RER) VORREN, 


Seine Erhabenheit und fein Scharffinn dür— 
fen Dich nicht entmuthigen, Da ich Dich in Diefer 
Heinen Sammlung, die man einen Abriß der 
ganzen Moral des heiligen Paulus nennen Fan, 
damit vertraut machte. (1. Kor. 3, 2.) Und wie 
einft der göttliche Meifter fo viele Güte und Will— 

fährigkeit für feine Schüler hatte, daß er mit 
ihnen in der weifeften Herablaffung umging; 
(Theſſ. 2, 7.) fo wirft du auch bier es finden. 
Hier findeft du auserlefene Gedanken , angemeffen 
dem Stande, wozu dich Gott berufen hat, 
‚er fey nun, was immer für einer. Sch gebe dir 
num feine Worte, ohne etwas daran geandert zu 
haben, außer einigen fehr wenigen Stellen, die 
ich durch eine Art von Umfchreibung erklären 
mußte, um fie verftändlicher zu machen, und außer 
(einigen Morten, die ich hinzufügte, um in den 
Vortrag eine verbindende edankenfolge zu 
bringen. 


| Wähle dir täglich einen Eleinen Augenblick, 
nm Dich von allen andern Dingen los zu machen, 


| 


270 


nm die Lehren des göttlichen Meifters zu hören, 
und fie in deinem Herzen aufzunehmen mit der 
tiefften Ehrfurcht. Denn wie Gott mit wenigen 
Morten Großes erfchaffet ; fo jagt dir auch fein 
Nachfolger Paulus herrlide Dinge mit wenig 
Morten. 


Verweile vorzigli bey der Anwendung, 
die jeden Tag ſchließt, und Die beynahe ganz 
aus dieſem Apoſtel oder aus dem Evangelium ge- 
nommen ift, um dir zum genanen Auszuge deſſen 
zu dienen, was du gelefen haft; weil das Nad)- 
denfen über diefe drey Betrachtungen gewiß ge- 
eignet feyn wird, Dich zur Vollkommenheit zu füh- 
ren; deßwegen habe ich den Gegenftand jo einge- 
theilt, daß er dich über alle Stufen oder Mege 
des geiftigen Lebens führt. Die erften Stufen 
geleiten Dich auf den reinigenden Weg, ge: 
eignet für die Seelen, welche erft beginnen, fi) 
der Ausübung der Tugend zu weihen. Dann 


folget der erleuchtende Meg für jene, die 
hierin fchon einige Fortfchritte gemacht haben; end- 


lich der mit Gott vereinigende Weg für 


alle, die fchon weit voran find. Auch hab’ ich 


fie fo geordnet, daß fie zur zehntagigen einfamen 


Andacht dienen; in diefem Falle wird der Vor— 


| 


| 


trag, von drey Tagen auf einen Bag genommen, 
(zwey Morgens, und einen Abends), hinreichen- | 


den Stoff zur Erbauung in diefen zehn Lagen 





271 
geben, ohne nöthig zu haben, den Geift mit lan- 
gem Leſen zu ermüden, das ihn öfter trübet als 
erhellet. (Zim. A, 15.) Endlich, um mit unferm 
Apoftel zu fohliegen: Denke oft nad über diefe 
Lehren, und mögen fie dich fortwährend be- 
ſchäftigen; damit dein Fortſchreiten in der Voll— 
kommenheit Jedermann offenbar werde] 





Hprz®ebeth 


Mein Gott! ich bitte dich, den Geift, wel- 
chem dein hochbeglückter Apoſtel Paulus gedient 
hat, in mir zu entzinden ; damit ich), — von Die- 
ſem Geijte erfüllt, das zu lieben ftrebe, was er 
geliebt, und Das zu uben, was er gelehrt hat, 
durch unfern Herrn Jeſum Ehriftum, Amen! — 


I. 
Don der Beſtimmung des Ehriften. 


1. Nichts iſt vermögender ung zu Öott zu erheben, 
als die Betrachtung, daß wir feine Gefchupfe find, neu 
gefhaffen durch Jeſum Ehriftum zu guten Werfen, 
wozu uns Gott vorbereitet hat, daß wir darin wan— 
deln follen. (Eph. 2, 10.) Und Jeſus Chriſtus iſt für 
uns nur geftorben, damit wir nicht nur uns felbft, fon- 
dern dem leben, der für uns geftorben und auferftans 
den ift. (2. Kur. 5, 15.) 

2, Gott hat ung vorberbeffimmt, uns durch Je— 
fum Ehriftum als feine Kinder anzunehmen, nach dem 
Wohlgefallen feines Willens , zum Preife feiner berrli= 
chen Gnade, womit er uns begnadiget hat in feinem 
geliebten Sohne, in welchem wir die Erlofung haben 
durch) fein Blut, und die Vergebung unferer Sünden, 
nach dem Reichthume feiner Gnade, welche er über 
uns in Fülle ausgegoffen hat. (Eph. 1, 5- 6. 7.) 

3. Er hat ung felig gemacht, nicht um der Werfe 
der Öerechtigkeit willen, die wir gethan; fondern nach 
feiner Barmherzigkeit durch die Taufe, worin unfere | 
See⸗ 


273 


Seelen von ihren Sünden gereintget und ernettert wur— 
den durch den heiligen Geift, den wir dort empfangen 
haben, und den er reichlich über uns ausgegoffen durch 
Jeſum Chriftum unfern Heiland; damit wir gerechtfers 
tiget durch feine Gnade, feine Erben werden, und das 
etvige Leben hoffen mögen. (Lit. 3, 5. 6. 7.) 

Weil Jeſus Chriftus der Weg ift, der zum wah— 
ren Leben, (Joh. ı4, 6.) unferm lebten Ziele führer: 
fo fehließe dich ihm an, fo fell als du die Verficherung 
wünfcheft, dahin zu gelangen; indem du dich niemahls 
davon entferneft, welches Hinderniß fich auch) entgegen» 
feßen möge. (Rom. 8, 3.) Denn, fo du auch noch fo 
wenig von ihm dich trenneſt, wirft du niemahls das 
hin gelangen. 


Be Biest) 


Mein Gott! die Gnade, die du mir erwie— 
fen haft, mid von Ewigkeit an in der Abficht 
auszuerſehen, mich zum Ehriftenthume zu beru- 
fen, ift fo groß, daß ich nicht im Stande bin,. 
fie würdig zu erkennen; denn ohne fie bin ich im 
Grunde nichts. Deßwegen, mein Gott! da ich 
durch fie ganz dir mich weihe, genehmige, daß 
ich in ihr mic) heilige, dergeftalt, daß ich dir 
tren diene, daß ich nichts als dich denfe, daß 
ich nur für dich handle, daß ich von einer fo er- 
habenen Beftimmung nicht abweiche; für dich al- 
lein bin ich, du allein wirft einft meine Beloh- 
nung ſeyn in Diefer Melt, und in der Ewigkeit. 





I. 
Bon der Selbftkenntniß. | 


| ı. Räthſelhafte Beftimmung des Menfchen! Denn, 
fo ich mich felbft betrachte, habe ich nicht Urfache, mich 
Saiter, d. chriſti. Monath. 18 


neh 
274 


zu erniedrigen? (Röm. 7, 21.) Indem ich, als ins 
nerer Menfch, an dem Gebothe Jefu Chriſti Wohlges 
fallen habe, fühle ich in mir ein anderes Gefeg, welches 
dem Geſetze meines Geiftes entgegenfämpft, und mich 
unter dem Öefeße der Sunde gefangen halt. (Rum, 23, 
24.) Wer wird mich nun erlöfen von dem Leibe dies 
fes fchimpflichen Todes? Ach! ich bin fo ſchwach, daß 
mir die Kraft dazu gebricht; nur die Gnade Gottes als 
lein fann es an mir vollbringen. (1. Kor. ı5, 20.) 

2. Sch weiß, daß in mir, das heißt in meinem 
Sleifche, das Gute nicht wohnet; (Röm. 7, 18.) denn 
wahrlich, ich habe den Willen, das Gute zu thun; aber 
ich finde in mir fein Mittel, es zu volbringen, und dies 
fe Sehnfucht vollfommen zu flillen. Und daher kommt 
es, daß ich das Öute nicht thue, das ich will, fondern 
das Böſe, das ich nicht will. (Gal. 6, 3.) Derjenige 
ift alfo fehr unglücklich, und betriegt fich felbft, der nichts 
ift, jedoch fich einbildet, er fey etwas, 

3. Was haft du wohl, das du nicht vun Gott ems 
pfangen hätteft? Haft du es aber empfangen, warum 
ruhmft du dich, als ware es dir nicht gegeben worden ? 
(1. Kor. 4, 7.) Und wenn wir nicht fähig find, einen 
guten Gedanfen aus uns felbft zu bilden, fondern alle - 
unfere Züchtigkeit von Gott fommt: (2. Kor. 3, 5.) 
"werden wir wagen zu glauben, daß wir etwas Großes 
ausführen können; da wir nicht fahig find, die gering- 
fie Sache zu vollbringen. 

Da man fich felbft Fennen muß, bevor man Gott - 
fennt: fo fen bemüht, dich felbft zu Tennen, und du 
wirft demüthiger werden. Und mie Gott den Demüthis 
gen fich wohlgefällig mittheilt, wird er auch von dir fich 
erkennen laffen. Sprich alfo oft mit dem heiligen Aus 
guftinus: Mein Gott! erweife mir diefe Gunft, daß 
ich dich Fenne, und daß ich mich Fenne! — (Lib. ı. 


sol. c. ı.) 


m Es 6.6 BD: 

Herr! ich Fann die Fügung deines gottlichen 
Millens in meiner Führung nicht beffer erfen- 
nen, als an der Neigung, die ic) habe, mic) 
jelbjt zu lobpreifen; du haft mir einen Leib ge- 
geben, der mir große Urfache gibt, mic) zu er- 
niedrigen, da ich durch feine Natur fo vielen 
Schwachen und Unordnungen unterworfen bin , 
und eine Seele, von fo vielen Zeidenfchaften be- 
herrſcht, daß fie dein Bild, weldes du in fie 
eingegraben haft, zu vertilgen fcheinen. Erwei- 
fe mir demnach die Gnade, mic) in dem Ent: 
ſchluſſe zu ſtärken, den ich hiermit faffe : nicht 
mehr dem Fleifhe und Blute, fondern dem Gei— 
hi zu leben, um dir nur mehr im Geifte und 
n der Wahrheit zu leben. 


— — — 


III. 
Vom Glauben, und von der Erkenntniß Gottes: 


| 1. Mein Gerechter lebt aus dem Glauben, fagt 

Gott, und wenn er davon abweicht: fo werde ich Feinen 
Gefallen an ihm haben. (Hebr. 10, 38.) Wahrlich, 
. ohne Glauben ift es unmöglich, Gott zu gefallen: Denn 
wer fich ihm nähert, muß glauben, daß ein Gott iſt, 
und daß er diejenigen belohnt, die ihn fuchen. (Hebr. 
5, 1.) Was Fannft du hoffen, ohne den Glauben, da 
er die Stüße der Dinge iſt, die wir hoffen, und die 
offenbare Gemwißheit derjenigen, die wir nicht fehen, und 
durch ihn die Gerechtigkeit Gottes fich ohne Unterfchied 
‚ über Alle ausbreitet, und über ale diejenigen , fo an ihr 
glauben. (Köm. 3, 22.) 

18 * 


Di 


276 


2. Was man von Gott wiffen kann, ift dir bes 
kannt, und Gott hat es dir geoffenbaret; (Rom. ı, 19) 
denn feine unfichtbare Größe kennen die Menfchen durd) 
die fichtbaren Dinge, die er auf der Welt als Zeugen 
feiner erwigen Kraft und Gottheit erfchaffen hat. (Röm. 
1,20.) Da aber unfer Geift zu ſchwach iſt, fie begreifen 
zu können: fo begnüge dich, aufzurufen: O Tiefe des 
Keichthbums , der Weisheit, und der Erkenntniß Got—⸗ 
tes! Wie unbegreiflich find feine Öerichte, wie uner> 
forfchlich feine Wege! (Rom. 11, 33.) 

3. Der fleifchlichgefinnte Menfch, und wer nur 
menfchliche Empfindungen hat, findet an den Wirfungen 
des Geiftes Gottes Fein Gefallen; (2. Kor. 2, 14.) denn 
fie feinen ihm eine Thorheit, und er Fann fie nicht ver- 
ſtehen; weil man geiftig darüber urtheilen muß, und 
weil fie fich nur durch den Geift Gottes unterfcheiden. 
(1. Zim. 3, 15.) Folge alfo diefem Geifte: damit du 
mwiffeft, wie du dich im Haufe Gottes zu benehmen has 
beft, das die Kirche des lebendigen Gottes ift, die Saus 
le und Stüße der Wahrheit, und vermeide die leeren 
und nichtigen Neuerungen der Lehrfate, die nur immer 
mehr und mehr die Öottlofigkeit verflärken. (1. Tim, 
2, 16.) 

Bitte den Vater der Herrlichkeit, daß er dir feis 
nem Geift und feine Weisheit verleihe, und feine Erkennt: 
niß dir auffchließe; indem er dich je mehr und mehr 
im Glauben flärfet. (Epb. ı, 17.) Und danke ihm für 
die ertviefene Gnade, dich zum Chriftenthume berufen 
zu haben, betheuernd, lieber taufend Mahl zu fterben, 
als die Lehre der chriftlichen Kirche nicht auf das Ge: 


nauefte zu befolgen, 
A A Del Ace A 


- Mein Gott! der du mic) zum Chriften mad)- 
teft, um dich zu erkennen und zu Lieben, mache, 
wenn es dir gefällt, durch deine Güte, daß ih 


277 


nun, da ich die Mohlthat genieße, dich Durch 
den Blauben zu kennen, , die Lehren desfelben fo 
gut befolgen könne, dag ich niemahls mich von 
Diefem Glauben trenne, und ihn bis zum legten 
Augenblicke meines Lebens bewahre; damit ic) 
ankommen dürfe in dem Drte deiner Mohnung, 
um dich dort zu Schauen, nicht mehr unter dem 
Scleyer des Glaubens, fondern von Angeficht 
zu Mngefiht, und dort die Schönheiten deiner 
Größe und deiner Herrlichkeit zu bewundern ! 


IV. 
Don der Furcht Gottes. 


1. Iſt etwas in dir, deffen du verſichert feyn 
fannft? Denn, ob du dir gleich Feiner Schuld bes 
wußt bift: fo bift du darum doch nicht gerechtfertiger ; 
denn der dich richtet, daS ift der Herr. (1. Kor. 4, 
4.) einige dich alfo von aller Befleckung des Flei— 
ſches und des Geiſtes, und volbringe das Werk dei— 
ner Heiligung in der Furcht Gottes. (2. Kor. 7, ı.) 

| 2. Eine gottgefällige Traurigkeit bewirket Sinnes— 
änderung zum Heile; aber die Traurigkeit nad) dem 
Sinne der Welt, bemwirfet, als eine menfchliche Lei— 
denfchaft, den od; indem fie den Sünder zur Vers 
zweiflung bringt. (2. Kor. 7, ı0. 11.) Denn fieh! 
welch' eine größere Sorgfalt für dein Heil hat diefe 
gottgefällige Traurigkeit in dir bewirket; und mie fehr 
hat fie deinen Eifer, recht zu handeln, und die Kurcht 
‚ vor dem Zorne Gottes, erhöht? Wäre auch die Zahl 
der Gläubigen, wie der Sand am Meere: fo werden 
' deren doch nur fehr Wenige felig werden, 


. 


278 


3. Ach! wie Viele gehen täglich zu Grunde; und 
fiehft du aufrecht durch den Glauben: fo fey nicht 
ftols, fondern fürchte dich. Denn, hat Gott der Iſraeli— 
ten, dieſer natürlichen Zweige des geheimen Oehlbau— 
mes, nicht geſchont; weil fie ihn nicht hören wollten: 
fo möchte er auch deiner nicht fehonen. Go fieh denn 
die Güte und Strenge Gottes : feine Strenge gegen 
die Gefallenen, feine Güte gegen dich; wenn anders 
du des Standes, in welchen er dich gefeßt hat, dich 
nicht unwürdig bemweifeft, fonft wirft du eben fo abge- 
hauen, wie die Anderen. (2. Kor. 7, 22.) 

Hüthe dich, dein Herz gegen die Stimme ots 
tes, die in deinem Innern fpricht, gleich den Ffraelis 
ten in der Wüſte, zu verhärten (Hebr. 3, 7.); und 
je ficherer du dich glaubefk, deſto mehr fürchte zu fals 
len; indem du zu viel auf dich baueft, und daß Gott, 
der deine Einbildung fieht, feine Gnade nicht von dir 
abwende, ohne deren Beyſtand du unfehlbar verloren 


geheft. 
SB. b et 


Mein Gott! verbreife in mir deinen Geift 
der Furcht, der mic) abhalte dich zu beleidigen, 
und mic meine Sünden mehr als alle Uebel die— 
ſes Lebens fürdten made. Diefe einzige Be— 
trachtung zerknirſche mein Herz, und laffe mid) 
deinen Benftand immer nachdrücklicher anrufen, fo 
oft ſich die mindefte Gelegenheit: zeiget, irgend 
einen Fehler zu begeben: fie diene mir als ein 
Mittel gegen meine Schwachen, um zu überwin- 
a was meinem Heile fih könnte entgegen: 

elfen, \ 


—— a — 


- V. 
Vom jüngften Gerichte. 


ı. Gott hat ſich einen Tag vorbehalten, wo wir 
Alle vor dem Richterfiuhle Jeſu Chriſti erfcheinen müſ— 
fen; damit Jeder empfange, je nachdem er gehandelt: 
der Lohn für Gutes, die Strafe für Böſes; (2. Kor. 
5, 10.) da der Herr das im Finftern Verborgene an’s 
Licht bringen, und die Anfchläge der Herzen offenba- 
ren wird (1. Kor. 4, 5.); und dann wird einem Je 
den fein Lob werden von Gott für die guten Werke, 
die er gethan bat. Sey alfo ergriffen von diefem 
furchtbaren Tage, und bemühe dich ihn deinem Geifte 
einzuprägen. (1. Kor. 5, 11.) 

2. Jeſus Chriſtus wird vom Himmel herab, offen- 
bar werden mit den Engeln feiner Macht, in Feuer: 
flanımen Rache zu nehmen an denen, die Gott nicht 
kennen, und dem Evangelio unfers Herrn Jefu Chris 
fti nicht gehorchen (1. Theſſ. 2, 7.); welche dann mit 
dem ewigen Verderben geftraft werden, vor dem Herrn, 
wenn er kommt in der Glorie feiner Macht, um fich 
zu verherrlichen in feinen Heiligen, und bewundert zu 
werden von allen Gläubigen. (1. Zhefl. 2, 10.) 

3. Bey Gott gilt Fein Anfehen der Perfon (Rum. 
2, 11.); und er wird das ewige Leben denen geben, 
welche mit Beharrlichkeit in dem guten Werke nad) 
Herrlichkeit und Ehre und Unfterblichkeit trachten ; de— 
nen aber, die widerſpänſtig und der. Wahrheit unge: 
horſam, der Ungerechtigkeit aber ergeben find, Ungna— 
de und Zorn, Trübſal und Angft werden über dieje— 
nigen fommen, die Böſes thun; Herrlichkeit aber, und 
Ehre und Frieden werden jene belohnen, die Gutes 
thun, und der Tugend folgen. (Rom. 2,7. 8.9. 10.) 
Denke oft an diefen ſchrecklichen Tag, der dich über: 


280 


rafchen Tann, da du feiner am wenigften gedenkeſt; 
und mwillft du bey diefem Gerichte nicht gerichtet wer» 
den: fo mußt du ihm zuvorfommen; indem du dich 
zum Voraus felbft richteft, (1. Kor. aı, 31.) 


Gebe ih 


O furchtbarer Richter! wenn die Himmel 
nicht rein find vor deinen Augen, und du ſelbſt 
an deinen Engeln zu tadeln fandeft: wie fehr 
muß ic) Dein Gericht fürchten, der ich fo vielen 
Dergehungen unterworfen bin? Erweife mir die 
Gnade, ihm zuvorzukommen; indem. ich . mic) 
jelbft richte in meinen Worten, Werken und Ge- 
denken, ohne mir zu fchmeicheln; und mich felbft 
ftrafe dur) Die Buße, um den Leiden zuvorzu— 
kommen, die ich im andern Xeben dulden muß- 
fe, und mic) würdig zu machen, in die Zahl der 
Gebenedeyten von deinem himmlischen Vater be: 
rufen zu werden, | 


DER 
Dom PDaradiefe, 


ı. Entfernt vom Aufenthalte der Seligen, ohne 
andere Hoffnungen durch den Glauben an Jefum Ehris 
fium , als für diefes Leben und die gegenwärtigen Gü—⸗ 
ter, würden wir die elendeften Weſen der Welt ſeyn. 
(1. Kor. 15, 19.) Deßwegen feufzen wir ohne Aufhos 
ren nach dieſer himmlifchen Behaufung, voll Sehn⸗ 
fucht, mit Unfterblichfeit bekleidet zu werden. (2. Kor, 
5, 2.) Denn wir mwiffen, daß, wenn diefes irdifche 
Haug, welches wir bewohnen, zerfiört wird, Gott ung 


251 


ein anderes bauen wird, das nicht von Menſchenhänden 

gemacht, fondern ewig iff, in dem Himmel, (2. Kor. 
1) 

’ 2. Eilen wir alfo, in dieſe ewige Ruhe einzuge- 
hen (Hebr. 4, 11.); weil die Leiden und Trübſale dies 
fes Lebens, Die augenblicflich und leicht find, ung die 
ewige Dauer einer unermeßlichen Herrlichkeit verfchaf- 
fen. (2. Kor. 4, 17.) Denn jeßt fehauen wir die Din- 
ge durch einen Spiegel in dunfeln Bildern; einft aber, 
wie fie wirklich find, und von Angeficht zu Angeficht. 
(1. Kor. 13, ı2.) Go wie wir die Dinge gegenwär— 
tig nur unvollfommen kennen, werden wir fie dann ken— 
nen, wie Gott uns felbft gefannt hat. 

3, Und wenn bis diefe Stunde, alle Wefen die 

Zeit Diefer Herrlichkeit erwarten, feufzend und leidend 
wie ein gebarendes Weib: fo find fie nicht die Einzigen 
in der Erwartung, fondern auch wir felbft, die wir die 
Erftlinge des Geiſtes haben, feufzen innerlich in ung 

nach der Erfüllung der Aufnahme der Kinder Gottes, 
nahmlich nach der Unfterblichkeit, die ung von der Knecht: 
fchaft des Elends und des Todes befreyen wird. (Rom. 
8, 22. 23.) Dann werden wir fehen, was fein Aus» 
ge gefehen, hören, was Fein Ohr gehöret, und begrei= 
fen, was Fein menfchlicher Verftand begreifen konnte, 

im Öenuffe deffen, was Öott denen bereitet hat, die 
ihn lieben. (2. Kor. 2, 9.) 

Bitte Gott, daß er die Augen deines Herzens er» 
leuchte; damit du erfenneft, welches die Hoffnung deis 
ner Berufung fey, und von weldy’ überfchwänglicher 
Herrlichkeit das Erbtheil feiner Heiligen, um dich auf: 
zumuntern, defto mehr Gutes zu thun; damit du fie 
einſt befigen mögeft. (Ephef. ı , 18.) 


Be be dB, 


1 O mein Gott! wann werde ich befreyet ſeyn 
aus dieſem Kerker meines Keibes, um mich der 





232 


Seligkeit zu erfreuen, dich ewig zu befißen? Zer— 
brich die Bande, welche meine Seele auf der 
Erde gefangen halten, um ihr die Freyheit dei- 
ner Kinder zu geben; damit fie die Lieder der 
Liebe fingen am Drte deiner Herrlichkeit. Nein, 
‚Gott! meine Seele wird Eeine Ruhe haben: fie 
wird ſich immer fehnen, bis fie mit dir vereint 
ift, mit dir ihrem Mittelpuncte, und höchſtem 
Glücke für alle Ewigkeit ! 





VII 
Bon der Vermeidung der Sunde. 


1. Bedenke, daß derjenige, der das Geſetz Moyz 
fes übertreten hatte, ohne alle Önade flerben mußte. 
ie viel härtere Strafe, meineft du, wird der verdies 
nen, welcher den Sohn Gottes mit Füßen tritt, das 
Blut des neuen Bundes, wodurch er geheiliget iſt, uns 
rein achtet (Hebr. 10, 28. 29.), und fo Jefum Chris 
ftum durch feine Sunden von Neuem kreuziget? (Hebr. 
6, 6.) Verdient ein folcher nicht, daß Gott fich an 
ihm räche nach der Strenge feiner Öerechtigkeit? (Hebr. 
10, 30.) 

2. Weißt du nicht, daß unfere Leiber Glieder Jeſu 
Ehrifti find? Sollſt du nun die Glieder Ehrifti neh» 
men, und fie zu feilen Gliedern machen? Das fey 
fern! (1. Kor. 6, 15.) 

Weiße du auch nicht, daß unfer Leib ein Tempel 
des heiligen Geiftes ift, der in uns iff, den wir von 
Sort empfangen haben, und daß mir uns nicht felbft 
gehören? Denn wir find um einen theuern Preis erfauft 
worden,"durch das Blut Jeſu Ehrifti. (1. Kor. 6, 19. 
20.) Verherrliche und trage alfo Gott in deinem £eis 


283 


be; inden du die Sünde flieheft, welche die Keinheit 
desfelben, fo wie auch jene der Seele befledet ! 

3. Wir wiffen, daß Gottes Urtheil gerecht ift über 
die, welche fich der Sünde hingeben; und du felbft, der 
du jene, welche folches thun, richteft, und es felbft 
thuft: meinft du denn, daß du dem Gerichte Gottes 
entrinnen werdeft? Oder verachteft dur den Keichthum 
feiner Güte, Geduld und Langmuth? Bedenfeft du nicht, 
daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? Und gleichwohl 
häufeft du dir felbft, durch deinen verftodten Sinn und 
dein unbußfertiges Herz, eine Sule von Zorn auf den 
Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Ger 
richts Gottes? (Rom. 2, 2. 3. 4. 5.) 

Da jene, welche fündigen, den Sohn Gottes für 
fich felbft von Neuem Ereuzigen (Hebr. 6, 6.), und ihn 
auch noch dem öffentlichen Spotte ausfeßen: fo fühle 
'innige Reue, in diefes Unglück geſtürzt zu ſeyn, und 
erinnere dich, daß es ſchrecklich iff, in die Hande des 
lebendigen Gottes zu fallen (Hebr. 10, 31.), und dies 
fer einzige Gedanke wird hinreichend feyn, dich zu ver» 
hindern, fünftighin irgend ein Verbrechen zu begehen. 


Bue-bieitch 


' Mein Gott! indem ich meine Undanfbarkeit 

aegen deine Güte betrachte, fühle ich die außer: 
fte Beſchämung, did) fo fehr beleidiget zu ha— 
ben, nad) fo vielen von dir empfangenen Wohl— 
thaten. Sch habe dich verlafjen, ic) befenne es, 
meinen ungeregelten Begierden zu folgen, und 
dieſe beyden Fehltritte find ohne die Beyhülfe 
Deiner Gnade nicht wieder gut zu machen; um 
die ich mit wahrhaft zerfuirfchtem Herzen dich 
wieder bitte. Möge dieſe einzige Betrachtung mir 
eben jo fehr Haß gegen die Sünde, als ich ihr 
zugethan war, und eine heilige Zuverfiht auf 


284 


deine Berzeihung einflößen; auf daß ich nach 
deinem Willen Deiner göttlichen Gegenwart mic) 
wieder erfreuen dürfe! 


VIII. 
Don der Standhaftigkeit. 


1. Nichts von dem, was man für Gott thut, bleibt 
unbelohnt ; daher fey feft und unbeweglich in beftandis 
ger Uebung guter Werke! (1. Kor. ı5, 58.) Sey ims 
mer brünftig im Geifte (Rum. ı2, 11.); erinnere dich, 
daß du Gott dieneft, und wie du dem irdifchen Mens 
ſchen gleicheft, fo gleiche auch dem himmlifchen Mens 
ſchen; denn es ift gewiß, daß Fleifch und Blut dag 
Reich Gottes, und das Verwesliche die Unverweslichkeit 
nicht erlangen könne! (ı. Kor. 15, 49. 50.) 


2. Darum richte wieder auf die laßen Hande, und - 


die miden Knie, faffe Muth, und wandle geraden Lrits 
tes mit deinen Füßen einher; damit du nicht hinfeft und 
ausgleiteft, fondern vielmehr gefund werdet! Strebe 
nach Frieden mit Jedermann, und bewahre die Hei- 
ligfeit, ohne welche ie den Herrn fchauen wird! 
(Hebr. 12, ı2. 13. 14.) 

3. Schüttle — ab die Laſt, welche auf dir 
liegt, und die Sünde, die dich von allen Seiten ums 
gibt; fehreite mit Geduld auf der angewiefenen Laufbahn 
fort (Hebr. ı2, ı.), und kämpfe treu nach deiner Be- 
flimmung; indem du aufblicfeft auf Jeſum, den Anfans 
ger und Vollender des Ölaubens! Du mußt immer 
denfelben Eifer bis zum Ende deines Lebens beweifen ; 
damit deine Hoffnung fich erfülle (Hebr. 6, ı1.), und 
daß du nicht träge, fondern Nachfolger derer werdeft, 


255 


die durch Glauben und Geduld die güttlichen Verhei— 
gungen erben. 

Prüfe die Feftigkeit deines Entfchlußes zur Webers 
fieigung aller Hinderniffe, die fich der Tugend entgegen 
fielen; und ob du Kraft genug habeft, fie unter allen 
Verhältniſſen zu üben! Faſſe Muth, und wiffe, daß 
nur diejenigen felig werden, die bis an's Ende behars 
ren! (Matth. 24, 13.) 


Gebeth. 


Mein Gott! ich weiß, daß mein Heil nur 
von der Ausdauer in deiner Gnade abhängt, die 
ich nicht durch meine eigenen Verdienſte erhalten 
kaͤnn; weil fie lediglich nur von deiner Barm— 
herzigkeit Eommt. Verleihe mir, mein Gott! fo 
große Sorafalt, daß ich nicht nur dieſes Glück 
genießen, fondern auch mein ganzes Leben bins 
durch erhalten, und in einer geprüften Tugend 
bis zum Ende ausdauern möge, um die Krone 
der Unfterblichkeit zu erlangen , Die du deinen ge— 
treuen Dienern verheißen haft! | 


IX. 
Bon dem Berlangen nach Vollkommenheit. 


ı. Niemand kann in diefen Stand ohne große Mü⸗ 
he gelangen, und ſeitdem du den Glauben durch die 
Taufe empfingeft,, hatteft du volfommener Meiſter in 
der Tugend werden follen; indeffen ſcheineſt du felbft noch 
Unterricht in den Anfangsgründen zu bedürfen, womit 
man von Gott zu fprechen beginnt; und gleich einem 
Kinde, haft du Milch nöthiger, als Fräftige Speife, 


286 


(Hebr. 5, ı2. 13.) Wem man-aber noch Milch ge 
ben muß, der iſt noch unempfänglich für die Lehre von 
der Gerechtigkeit; denn er ift noch ein Kind. 

"2. Weißt dur nicht, daß Alle laufen, die in der 
Kennbahn laufen, daß aber nur Einer den Preis des 
Laufens gewinnt? (1. Kor. 10, 25.) Laufe daher fo, 
daß du den Preis davon trägſt; und um dahin zu ges 
langen, vergiß, was hinter dir ift, und ſtrecke dich nach 
dem aus, was vor dir liegt; und firenge deine Kräfte 
an, das Ziel deiner Laufbahn zu ergreifen, und den 
Siegespreis der himmlifchen Berufung Gottes in Chris 
ſto Iefu zu empfangen. (Phil. 3, 13. 14.) 

3. Willſt du volllommen werden, fo liebe! Denn 
wenn du alle Sprachen der Menſchen und Engeln res 
deteſt, wenn du weiffagen könnteſt, und alle Geheims 
niffe wüßteft, und befaßeft alle Wiffenfchaft von den 
göttlichen Dingen , und wäre dein Glaube fo groß, 
daß er Berge verfeßen könnte; und wenn du alle deine 
Habe den Armen fpendeteft, und deinen Leib in Vers 
theidigung des Glaubens zum Verbrennen bingäbeft ; 
hätteft aber die Liebe. nicht: fo nützet dir Alles nichts 
(1. Kor. 13, 1.2. 3.); nur fie ift der trefflichfie Weg, 
um zu deiner Bolkommenheit zu gelangen. (1. Kor. 
12, 31.) We 

‘ Gott will, daß du vollfommen feyeft (Matth. 5, 
48.); weil er dieß will: fo hoffe, daß er feinen Willen 
an dir erfüllen wird. Lebe daher fo, daß du täglich 
mehr und mehr an Gnade zunehmeft (ı. Zim. 4, 1.); 
damit für diefen glucflichen Zuftand in dir nichts mehr 
zu wünſchen übrig bleibe! 


Bere h—. 


Gott! da nichts vortheilhafter ift, als durch 
die hriftlihe Vollkommenheit uns dir ahnlich 
zu machen: fo zertheile gnädig in mir die Fin: 





287 


fterniffe, welche mich verhindern, die Lehrſätze 
des Evangeliums, Die Neize der Tugend, die 
Haßlichkeit des Lafters, und die Unordnungen 
der Melt zu erkennen; damit ich Eunftighin nur 
mehr dasjenige liebe, was mic) in diefen glück- 
lichen Zuftand bringen kann, nahmlid) : die Ue— 
bung der Tugend und der Buße! 


X. 
Von der Reinheit des Gewiſſens. 


1. Alle Chriſten find Gottes Tempel, und der Geiſt 
Gottes wohnet in ihnen, wenn fie feine Gnade befißen. 
Wenn nun Jemand Gottes Tempel verdirbt, den wird 
Gott verderben; denn der Tempel Öottes ift heilig, und 
fann nichts Unreines dulden. (1. Kor. 3, 16. 17.) 

2, Denfe darauf, vor Gott und den Menfchen ein 
gutes Gewiffen zu haben (Apoftelg. 14, ı9.); und er= 
innere dich, daß in einem großen Haufe nicht bloß gol- 
dene und filberne Gefaße, fondern auch hölzerne und ir» 
dene find, und zwar einige zur Ehre, andere zur Un⸗ 
ehre; und daß du ein Gefaß zur Ehre, geheiliget und 
' brauchbar dem Herrn, zu allen guten Werfen tüchtig 
feyn wirft, wenn du Sorge trägſt, die Reinheit des 
£eibes und der Seele zu bewahren. (2. Tit.2,20. 21.) 

3. Wir find weder Schuldner des Fleifches, noch 
ihm unterworfen, um nach dem Fleifche zu leben. Denn 
wenn du nach dem Fleifche lebeſt: fo wirft du flerben; 
wenn du aber durch den Geift die Werke des Fleifches 
tödteſt: fo wirft du leben! (Kom. 8, 13.) 

Lebe daher fo, daß nach dem Keichthume der Gna⸗ 
de Jeſu Ehrifti dein innerer Menfch geſtärkt werde 
durch feinen heiligen Geiſt; daß Jeſus Chriſtus durch 


288 


den Glauben wohne in deinem Herzen, und daß du in 
der Liebe feft gemwurzelt und gegründet feyn mögeft, um 
die Unſchuld zu bewahren! (Ephef. 3, 16. ı7.) 
Wie einem Franken Körper die Speifen feinen Nut⸗ 
zen bringen : fo wird dir auch, was du immer. thun müs 
geft, nichts nüßen, ohne die Keinheit des Gemiffens, 
deffen geringfter Flecken dir eben fo große Uebel brins 
gen, al3 große Güter entziehen kann. Bedenfe alfo, zur 


Erhaltung desfelben, daß nur jene würdig find, Gott 


zu ſchauen, die reines Herzens find | (Matth. 5, 8.) 


B:e be kb 


Gott der Keinheit! der du diefe Tugend fo 
fehr liebeft, daß du nicht den mindeften Fiecken 
in den Seelen dulden kannſt, reinige dergeftalt 
die meinige, daß fie frey und rein von den Kei- 
denfchaften der Melt, nichts dulde, als dich; fie 
vergeffe ganzlich die Freuden der Erde, und den- 
fe nur an die Monnen des Himmels; damit fie 
dieſe einft, fi) erhaltend in dieſem glückfeligen 
Zuftande, ewiglich befißen könne! 


XI. 
Von der Abtödtung. 
1. Kreuzige deinen irdiſchen Leib (Kol. 3, 5.); 
denn die Chriſto angehören, haben ihr Fleiſch ſammt 


den Lüſten und Begierden gekreuziget. Und wenn du 
im Geiſte lebſt: ſo wandle auch im Geiſte (Gal. 5, 


EEE 


24. 25.); denn das Reich Gottes befteht nicht im Ef» 


fen und Trinken, fondern in Gerechtigkeit und Friede 
und Freude im heiligen Geiftel (Rom. 14, 17.) 
' 2. 


“289 


2. Um deine Begierde, dich zu Freuzigen, zu ers 
hoöhen, blide auf Jefum, der auf Erden dein glück⸗ 
liches und fehmerzlofes Leben wählen fonnte, und den⸗ 

‚noch den Tod am Kreuze dulden wollte, und der Schmach 
nicht achtete, nun aber zur Kechten auf dem Throne Gots 
tes fißet, und denke aufmerffam an ihn, der fo viel 
iderfpruch von Sündern gegen fich erduldete, damit 
du in der Geduld nicht ermüdeft, und dein Muth nicht 
ſinke; denn noch haft du im Kampfe gegen die Sünde 

nicht bis auf’3 Blut widerfianden. (Hebr. ı2, 2. 3.4.) 

3. Alle, die fich auf dem Kampföplage üben, 
enthalten ſich von Allem: und fie thun's, um eine ver- 
gängliche Krone zu empfangen; wir aber in der Hoff: 
nung einer unverganglichen, (1. Kor. 9, 25.) Ber: 
liere alfo nicht den Muth; fondern, wenn auch dein 
-außerer Menfch aufgerieben wird: fo wird dein innes 
rer von Tag zu Tag erneuert; und wenn du das Ster⸗ 
ben Jefu immer an deinem Leibe umher trägft: fo 
ſey verfichert, daß er es ift, der in dir lebt, und dir 
bepfteht in deinen Mühen! (2. Kor. 4, 16.) 

Wil du aber Jefum Ehriftum angehören: fo 
freuzige dein Fleiſch ſammt den Lüften und Begierden; 
indem du Alles entferneſt, was im Stande ift, das 
Fleifch gegen den Geift zu empören! (Gal. 5, 24.) 
Kreuzige auch deine Neigungen und Wünfche; damit 
fie nur nach den Eingebungen der Vernunft und der 
Gnade wirken! 


Gebeth. 


Mein ſauftmüthiger Jeſu! ich bitte dich, 
um der Verdienſte deines Leidens willen, um 
den muthigen Entſchluß, mich vollkommen mit 
dir zu kreuzigen; indem ich ſtrenge meine Lüſte 
tödte, und daß nichts in mir ſey, was nicht 
zum Opfer diene, um alles Unrechte meines Le— 

Sailer, d. chriſtl. Monath. 19 


290 


bens wieder gut zu machen, — und was nicht 
die Schmerzen tragen will, womit du mich ftra- 
fen möchteft; damit ih, wohl gereiniget durch 
diefen Weg, an deiner Herrlichkeit im Himmel, 
mit dir mich erfreuen könne! — 





XII. 
Von der Demuth. 


1. Fliehe den eitlen Ruhm, und laß dich nicht 
von Gedanken der Eitelfeit hinreißen; fondern deine 
Gedanken feyen demüthig, und dünke dich nicht Flug 
in deinen eigenen Augen! (Rom. ı2, 16.) Erinnere 
dich, daß Gott das Geringe vor der Welt, und dag 
Verachtete, und das da nichts ift, erwahlt hat; das 
mit er zu nicht3 mache, was etwas ift; damit fich fein 
Menfch vor Gott rühme! (ı. Kor. 1, 28. 29. 31.) 

2. Die Gnade Gottes, unſers Heilandes, ift als 
len Menfchen erfchienen, und lehret uns, daß wir die 
Gottlofigfeit und die weltlichen Lüfte verlaugnen, und 
vielmehr enthaltfam leben, und die Güter und Würs 
den der Welt mit Vorſicht gebrauchen ſollen, gerecht 
und gottfelig. (Zit. 2, 11. ı2.) 

3. Thu nichts aus ÖStreitfucht und eitler Ehre, 
fondern in Demuth! Achte die Andern höher als dich 
felbft, und fieh mehr auf ihren Augen, als auf den 
deinigen! Denn fo folft du gefinnet feyn, wie Je⸗ 
fus Ehriftus gefinnet war, welcher, obwohl er 
göttlicher Natur war, es nicht wie eine Beute zur Schau 


trug, daß er Gott gleich war, fondern fich felbft ent 


äußerte , Knechtögeftalt annahm, und den Menfchen 
gleich ward, und an Geberden wie ein Menfch erfuns 
den, und er erniedrigte fich felbft, und ward gehorfam 


291 


bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze, — (Philip. 
27 34.7.) 

Uebe diefe Tugend gegen Gott, gegen den Näch— 
fen, und gegen dich ſelbſt! Wenn man dich lobt: fo 
gib Gott die Ehre, und verlange feinen Ruf unter den 
Menfchen ! Ä 

In der Betrachtung deiner Niedrigleit dulde ſtand— 
haft erniedrigendes Begegnen, und wenn du wirft wie 
' ein Kind, fo kannſt du in das Himmelreich eingehen ! 
(Matıh. 18, 3.) 


Bere re 


Mein Erlöfer! da du nur auf die Melt ge- 
kommen bift, Heilung unferer Munden zu brin- 
gen, und da es nichts Gefahrlicheres gibt, als den 
Hochmuth: fo flehe ich dich an, bey dem aroßen 
Vorbilde, das du mir gegeben haft , in mein Herz 
Liebe der erniedrigenden Begegnung zu legen, und 
den Munfch, vor den Menfchen gedemüthiget zu 
ſeyn, und daß es mic) erfreue, fie in deiner Nach- 
eiferung und aus Liebe zu Dir zu dulden; damit 
ic) in dieſer Melt neue Gnaden erwerbe, die mich 
des Ruhmes in der Ewigkeit würdig machen! — 


XII, 
Bon den guten Werken. 


1. Was der Dienfch faet, das wird er auch ern» 
ten. Wer auf fein Fleiſch faet, wird vom Fleifche Vers 
derben ernten; wer aber auf den Geift fäet, wird vom 
Geifte ewiges Leben ernten. Laffet uns Gutes thun, 
ohne mude zu werden; denn eine Zeit wird fommen, in 


292 


der uns Gott für unfere guten Werke belohnen wird! 
(Sal. 6, 8.9.) 

2. Das Keich Gottes befteht nicht in Worten, 
fondern in der Tugend, in der Wirkfamkeit des Geiftes 
Gottes, und in guten Werken. (1. Kor. 5, ı0.) Sey 
alfo feft und unerfchütterlich im Glauben und im Dien⸗ 
fien Oottes; (1. Kor. 5, ı8.) aber füge gute Werke 
hinzu, und mwiffe, daß er nicht fo ungerecht ift, die 
Werke der Barmherzigkeit zu vergeffen, die du in ſei— 
nem Nahmen gethan haft, und die du noch täglich an deis 
nem Nächften übeft. (Hebr. 7, 10.) 

3. Wenn du irgend guten Willen für deine Brüs 
der, die Armen, haft: fo führe ihn aus nach deinem 
Vermögen; iſt nur der Wille zu geben groß, Gott nimmt 
ihn wohlgefällig auf, und begnügt fi) mit dem, was 
du geben kannſt, und verlangt nicht, was du nicht haft; 
denn er will nicht, daß du nothleiden folft , um Ane 
dern Erleichterung zu verfchaffen, fondern es foll einis 
ge Gleichheit unter den Armen und Keichen feyn. Für 
diefe Zeit foll dein Ueberfluß dem Mangel jener abhels 
fen, und der geiftige Ueberfluß diefer fol deinen geiftis 
gen Mangel ergänzen. (2. Kor. 8, ı2. 13. 14.) 


Züchtige deinen Leib durch die Strenge der Buße; 


damit du nicht unter dem Borwande, Andern Gutes zu 
thun, dich felbft verdammeft! — (1. Kor. 10, 27.) 


BEER 


Allmäachtiger Gott] der du mich zu deinem 
Ruhme erſchaffen haft, leite anadig alle meine 
Handlungen nad) deinem Gefallen; damit, wie 
du mich erleuchtet haft mit dem Lichte des Glau- 
bens, das Licht der Vernunft aus meinen Wer— 
Een wiederfcheine, und aus meinem Lebenswan— 


- 


del, und daß meine Handlungen Feinen andern - 


Zweck, als dir zu gehorchen, und zu gefallen, 


293 


und Beinen andern Lohn in diefem Leben haben 
mögen, als das innere Bewußtſeyn, fie zum 
Beſten meines Nachften, und zu deinem Ruhme 
gethan zu haben. — 





er 
Don der Verachtung der Melt. 


1. Die Welt ift fo was Geringes, daß fie nichts 
hat, was uns vollkommen befriedigen könnte. (1. Lim. 
6, 7.) Wir haben nichts in die Welt hereingebracht, 
als wir in ihr anfamen; und wir werden nicht3 mit uns 
nehmen, wenn wir einft aus ihr hinausgehen. Wir 
haben bier feine bleibende Stätte, fondern wir fuchen 
die zufünftige, welche der Himmel iſt; (Hebr. 13, 14.) 
indem wir auf diefer Welt Pilgern gleichen, die fort= 
wandern, bis fie anfommen an dem Drte, wohin fie 
gehen. (2. Kor. 5, 6.) 

2. Um bier glücklich zu leben, begnüge dich mit 
Dingen, die nur nothwendig find, um dich zu nähren 
und zu Pleiden. Denn die reich werden wollen, fallen 
leicht in Verſuchung, und in die Fallftricke des Böſen, 
und in viele thorichte und fehädliche Begierden, wel» 
che fie in Elend und Verderben fürzen. Denn die Wur— 
zel alles Böſen ıft der Geiz, wodurch viele, die fich ihm 
ergaben, den Glauben verloren, und aufhörten Chris 
fen zu ſeyn, fobald fie in der Welt groß zu werden an⸗ 
fingen. (1. Zim. 6, 8. 9. ı0.) 

3. Kein Kampfer für Gott mengt fich in Gefchaf- 
te dieſes Lebens; damit er dem gefalle, dem er fich er> 
geben hat. (2 Tim. 2, 4.) Wenn du alfo mit Jefu 
Ehrifto durch die Taufe dem Treiben der Welt ab- 
geftorben bift: warum mollteft du dich ihr unterwerfen, 


294 


und ihre Saßungen befolgen? (Col. 2, 20.) Ind 
wenn du nun mit Chriſtus auferffanden bift: fo 
fuche, was im Himmel ift, wo Ehriftus zur Rech: 
ten Gottes fißt; — was droben ift, habe im Sinne, 
nicht was auf Erden iſt; weil wir den Geift nicht von 
der Welt, fondern den Geift aus Gott empfangen ha- 
ben. (Col, 3, ı.) 

Könnteft du es wagen, dich der Welt hinzugeben, 
(1. Kor. 7, 31.) nachdem Jeſus Chriſtus ſich 
hingegeben hat, dich von der Sünde der Welt zu erlös 
fen, der dich den Haß Fennen lehrte, den er gegen jene 
hat, die ihr folgen, und die Gefahren, die in ihr find? 
(Joh. 15, 19.) Bitte ihn alfo um die Gnade, fie zu 
vermeiden, um dich enger mit deinem göttlichen Erlös 
fer zu vereinen ! 


GSebeth 


Mein Gott! in welder Blindheit habe ich 
bisher gelebt! Sch fehe ein, daß ih mic), in- 
dem ich die Satzungen der Melt befolgte, vom 
Mege meines Heiles verirrt habe , um den Trug— 
bildern der Eitelkeit nachzurennen! So will ic) 
denn auf ewig den Herrlichkeiten und Ergetzun— 
gen der Melt entfagen, um ganz dir anzugehd- 
ren, — Mein Geift, dem es Elar -wird, daß 
nichts in der Melt ift, was vermögend ware, 
ihn zu befriedigen, fuche Eunftighin nur Dich; 
denn du allein kannſt ihm die wahren Freuden 
in dieſem und im andern Leben verjchaffen) — 


XV, 
Bon der Sorge für dein Heil. 


1. Unfehlbar würdeſt du die wahre Gerechtigkeit 
erfüllen, wenn du nicht mehr nach dem Fleifche, fons 


295 


dern nach dem Geifte wandeltefl. Denn die nach dem 
Fleifche wandeln, find fleifchlich gefinnt; die aber nach 
dem Geifte wandeln, find geiffig gefinnt, und denken 
nur an ihr Heil; und es ift unmöglich, daß diejenigen 
felig werden, die nach dem Fleifche wandeln, weil fie 
Gott, dem Schöpfer ihres Heiles, nicht gefallen Füns 
nen. (Röm. 8, 4. 6. 8.; Hebr. 2, ı0.) 

2. Wirke alfo dein Heil mit Furcht und Zittern. 
Denn ich fürchte, daß, wie Eva, die von der Arglift 
der Schlange betrogen wurde, dein Geift verderben, und 
die chriftliche Einfalt verlieren möge; weil der Satan 
oft als ein Engel des Lichtes erfcheint. (Phil. 2, ı2. 14.) 
Wandle alfo im Geifte, und du wirft die Lüſte deines 
Fleifches nicht volbringen. Denn das Fleifch gelüftet 
wider den Geiſt, und den Geift wider das Fleifch ; wo⸗ 
durch es oft gefchieht, daß man das Öute nicht mit der 
gewünfchten Leichtigkeit thut. (Sal. 5, 16. 17.) 

3. Wie alle Lafter die Früchte des Fleifches find, 
das uns verdirbt, find die Früchte des Geiftes: Liebe, 
Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Lang- 
muth, Sanftmuth, Glauben, Befcheidenheit, Enthalt- 
famfeit, Keufchheit, die alle zu unfern Heile beytras 
gen. Die aber Ehrifto angehören, Ereuzigen ihr Fleifch 
fammt den Lüften und Begierden. Wenn du alfo durch 
den Geift lebft, fo handle immer durch den Geift. Die 
ift Das einzige Mittel, felig zu werden. (Öal. 5, 22. 
23: 24. 25.) 

Was mußt du nicht alles thun, um felig zu wers 
den, da Jeſus Ehriftus dafür geftorben ift, um dich heis 
lig zu machen, ohne Makel, ohne Vorwurf vor Gott ? 
(Col. ı, 22.) Denn was nüßte es den Menfchen, 
wenn er die ganze Welt gewänne, an feiner Seele abec 
für eine ganze Ewigkeit Schaden litte? (Matth. 16, 16.) 
Genieße alfo die Güter diefer Welt, als genößeft du fie 
nicht. (1. Kor. 7, 31.) 


Gebethh. 


Mein Gott! weil es unmöglich iſt, mein 
Heil zu wirken, und zugleich die Satzungen der 
Welt zu befolgen: ſo laß mich mein Gemüth, 
aus Liebe zu dir, gänzlich von ihr abwenden; 
von Allem, was ich außerdem auf der Erde lie— 
be, wenn auch dieſes Losmachen mir Blut und 
Leben koſten ſollte; flöße mir Muth genug ein, 
dir das Opfer ſtandhaft bringen zu können; da— 
mit ich nichts ſo ſehr liebe als dich, und nur 
nod an meinem Heile feſthalte, welches das ein— 
zig Nothwendige in dieſem vergänglihen Leben 
it, um das ewige Leben zu erlangen. 





XVI. 
Vom Umgange. 


1. Unterhalte dich immer mit guten Geſprächen; 
denn nichts verdirbt gute Sitten mehr, als böſe Geſprä⸗ 
che. (1. Kor. 15, 33.) Sinne auf Alles, was zur ges 
meinfchaftlichen Erbauung dienen Fann ; indem du freunds 
lich bift gegen Jedermann, um Zank und unnützen Streit 
zu vermeiden. (2. Zim. 2, 24.) Wenn man aber eins 
ander beißt: fo iff zu befürchten, daß man fich zu Grunde 
richtet und aufreibt, (Gal. 5, 15.) 

2. Wenn du redeft, fo fprich nichts, was deinen 
Zuhörern nicht Wohlwollen mittheilt, die Bitterkeit des 
Gemüthes, alles Leidenfchaftliche, jeden Unmwillen, alles 
Geſchrey, alle üble Nachrede, und alle Bosheit von dir 
verbannend. (Eph. 4, 3.) 

Deine Rede fen allezeit Lieblich, und mit dem Sale 
ze der Klugheit gewürzt; damit du wiffeft, wie du Jes 


297 


den zu antworten habeſt: (Col, 4, 6.) vermifche fie 
mit Pfalmen, Lobgefangen und geiftlichen Liedern, um 
zu zeigen, daß deine Unterhaltung mehr dem Himmel, als 
der Erde angehöre. (Ephef. 6, 19.5 Phil. 8, 20.) 

3 Liebet einander wie Brüder, und ehret einans 
der; erfraget eure Fehler, und vergebet einander, wenn 
Jemand Klage hat wider den Andern, wie Öott euch 
vergeben hat. (Rom. 11, 10.) In deinen Worten fey 
weder Unzüchtigkeit, noch Thorheit, noch Poffenhaftes, 
was fich mit der Heiligkeit deiner Berufung durchaus 
nicht verträgt. (Eph. 5, 4.) Freue dich im Herrn, 
doch leuchte GSittfamfeit in deiner Freude vor den Ans 
dern, (Phil. 4, 4.) 

Prüfe dein Herz, und fieh, ob du in deinen Ges 
fprachen die Menfchen mehr dem Fleifche, als dem Geis 
fie nach betrachteft. (2. Kor. 5, 16.) So du Welche fens 
neft, die Jeſum anders lieben als du, oder als Jeſus 
dich liebt: fo fliehe fie; denn die Einfamfeit wird dir 
immer nüßlicher ſeyn, weil du verfichert feyn darfft, ihn 
dort zu befißen. 


@'ebet.h. 


Mein Gott] zu deinen Füßen erkenne ic), 
wie fehr ich von dem mich entfernt habe, was 
du von mir erwarteft. Du bift das Ziel meiner 
Seele, und nur in dir fol fie alle ihre Freude 
fuchen; und doch habe ich fie nur im Kreife der 
Menfchen gefucht. Erweife mir die Gnade, mich 
ganz davon loszumachen, oder daß ich darin dic) 
nie wieder beleidige, noch meinen Nachften durch 
wenig fittfame oder wenig liebvolle Reden, ſon— 
dern daß vielmehr meine Worte nur zu deiner 
Verherrlichung dienen, und dazu auch Diejeni- 
en zu vermögen, mit denen ic) mich unter: 

alte, 


XVII. 
Von der Geduld. 


ı. Betrachte Jeſum Chriſtum in deinem Leiden, 
da es gefchrieben fleht, daß Alle, welche gottfelig leben 
wollen, fich müffen gefaßt machen, viel zu dulden. (2. 
Zim. 3, 12.) Es ift aber auch eine große Wahrheit, 
daß, wenn wir mit ihm dulden, wir auch mit ihm her⸗ 
fhen werden; und find wir mit ihm geftorben: fo wer» 
den wir auch mit ihm in feiner Herrlichkeit leben. (z. 
Tim. 2, 11.) Moyſes, der diefe Wahrheit Fannte, 
wollte lieber mit dem Wolfe Gottes Ungemach leiden, 
als die zeitlichen Freuden der Sunde genießen; indem 
er die Schmach Ehrifti für großern Reichthum, als die 
Schätze Egyptens, achtete; denn er fah auf die Beloh— 
nung hinaus. (Hebr, 11, 25. 26.) 

2. Geduld ift dir noth; damit du den Willen Got: 
tes erfülleft, und die Verheißung erlangeft, mit feiner 
Hülfe in den Kampf geheft, der dich erwartet. (Hebr, 
10, 36.) 

Darum rache dich nicht, fondern laß den Zorn 
vorüubergehen ; denn es ſteht gefchrieben: Mein ift die 
Rache, ich werde vergelten, fpricht der Herr. Laß 
dich vom Böſen nicht überwinden, fondern überwinde 
du das Böſe durch das Gute. (Rom. ı2, 19. 21.) 

3. Wen der Herr lieb hat, den züchtiget er; er 
zuchtiget jeden Sohn, den er aufnimmt: harre alfo aus 
unter feiner Züchfigung. Gott verfahrt mit dir, wie 
mit feinem Rinde; denn wo ift ein Sohn, den der Bas 
ter nicht zuchtiget? Wenn du aber ohne Züchtigung 
bliebefi, welcher alle Kinder theilhaftig geworden: fo 
wareft du ja fein rechtmäßiges Kind! 

Und wenn du vor deinem leiblichen Water Ehrfurcht 
gehabt haft, da er dich zuchtigte: wie vielmehr follen wir 


209 


ung nicht dem Water der Öeifter unterwerfen ; damit wir 
leben? Unſere Väter züchtigten ung wenige Tage, nad) 
ihrem Gutdünken: Gott aber züchtigt und zu unferm 
Beften; damit wir feine Heiligung erlangen. (Hebr. ı2, 
6. 7. 8. 9. 10.) 

Lobpreife Gott, den Vater aller Tröſtung, der den 
Troſt in dem Maße vermehrt, als unfere Leiden fich vers 
größern. (1. Kor. ı, 3.) Rühme dich deiner Trübfa- 
le; weil fie Geduld wirken, Geduld aber Bewahrung, 
Bewährung aber Hoffnung; ohne welche wir in den Mühs 
feligfeiten diefes Lebens huchfl elend waren. (Rum. 5, 
3.5 1. Kor. 15, 19.) 


1 Bu ae 2 


Mein anbethungswürdiger Sefus! weil du 
willft, daß ich mein Kreuz dir nachtrage: fo bit- 
te ic) dich demüthig um die Gnade, die Glück— 
feligkeit einzufehen, die darin liegt, mit dir Trub- 
fale zu dulden; dag ich geduldig die Betrübniffe 
ertrage, die du mir ſendeſt nad) deinem Millen ; 
daß ich fie als ein Eoftbares Geſchenk von dir 
betrachte, und als eine fihere Bürgfchaft , daß 
ich für deine Nachfolgung in den Leiden wahrend 
diefes Lebens, dich in deiner Herrlichkeit, die 
ganze Ewigkeit hindurch, begleiten darf. 


XVIII. 
Von der Beobachtung der Gebothe Gottes. 


1. Wohl gibt es Menſchen, die ohne Geſetz ge: 
fundiget haben, fie werden auch ohne Gefeß verloren ge: 
ben, verurtheilt wegen Lebertretung des Geſetzes der Nas 


300 


tur. And die unter dem Geſetze gefündiget haben, und 
dieß zu ihrem Geſchäfte machen, werden durch das Ges 
fe gerichtet, und feiner Uebertretung wegen geftraft were 
den. Denn nicht die Hörer des Geſetzes find gerecht vor 
Gott, fondern die Thäter des Öefeges werden gerechtfertis 
get werden. (Rom, 2, ı2. 13.) 

2. Verſchmähe alfo denjenigen nicht, der zu dir 
fpricht. Denn, fo jene dem göttlichen Gerichte nicht 
entgingen, die Moyſes verfchmaheten, der auf Erden 
zu ihnen redete; wie viel weniger du, wenn du dich von 
dem. abmwendefl, der zu dir vom Himmel herab redete, 
(Hebr. 12, 25.) wenn du feine Öefeße empfängft, ges 
denfend deffen, was gefchrieben ſteht: Werflucht fey 
Feder, der nicht Alles erfüllt, was im Buche des Ges 
feßes gefchrieben fleht, daß er es thue. — 

3. Wer feinen Naächften liebt, hat das Gefeß er: 
füllt. Denn die Gebothe: Du folft nicht ehebrechen, 
du follft nicht tödten, du folft nicht fehlen, du follft 
Fein falfches Zeugniß geben, laß dich nicht gelüften nach 
dem, mas deines Nachften ift, — und was es immer 
für Gebothe gibt, die find alle in diefem Worte zufams 
mengefaßt: Du follft .. Nächſten lieben wie dich _ 
feld! (Kom. 13, 8. 9. ı0.) 

Die Liebe thut dem grächffen nichts Böfes, Go 
iſt nun die Liebe die Erfüllung des Gefeßes. 

Bitte Gott um Verzeihung, daß du ihm fo wenig 
gehorfam warſt, da es nur an dir lag, es zu hun; ins 
dem er dir immer die Mittel dazu aab, und faffe einen 
feften Entfchluß, feinen Anordnungen pünctlicher nach» 
zufommen, und dieß zu thun, lediglich der Liebe wil— 
len, welche der einzige Endzweck des Gebothes iſt. Cı. 
Sim, 1:5) 


® e.b.e-t 


Mein Gott! ich befenne es, du bift mein. 
Herr und Gebiether, und ich unterwerfe mich auf 


501 


ewig deiner glorreichen Herrſchaft. Stehe mir 
mit deiner Gnade bey in der Erfüllung deiner 
Gebothe, und fodann befehle mir nach deinem 
Millen. 

Flöße in meine Seele jene geiftige Monne, 
welche dein Geboth jo ſüß und Tiebenswürdig 
macht; damit ich es nicht bloß mit Morten Io- 
be, jondern auch in meinen Merken erfülle; in: 
dem ich Dir, jo lange ich noch lebe, fo treu die: 
ne, daß ich einft den Lohn dafür in der Herr- 
lichfeit empfangen möge. 


XIX, 
Vom guten Benfpiele. 


1. Wer die Liebe hat, fucht nicht feinen eigenen 
Vortheil, fondern was nüßlich ift dem Heile des Näch— 
ften. (2. Kor. 10, 14.) Denn wir müffen Gott ein 
Mohlgeruch Ehrifti ſeyn, fowohl unter denen, die felig 
werden, als unter denen, die verloren gehen; diefen find 
mir oft ein Geruch des Todes durch das böſe Bepfpiel, 
das wir ihnen geben; jenen aber ein Geruch des Lebens 
durch das Gute, welches wir in ihrer Gegenwart thun, 
(2. Kor, 2, 15. 16.) 

2. Alles fcheint ung erlaubt, aber nicht Alles er— 
bauet; (ı. Kor. 10, 23.) denn, fo wir und auf folche 
Weiſe an den Brüdern verfündigen, und durch bofes Bey⸗ 
fpiel ihr fchwaches Gemiffen verlegen, verfündigen wir 
uns an Jefu Chriſto. Verhüthe alfo, daß dir Niemand 
übel nachrede; daher mußt du das Gute nicht bloß vor 
‚Gott, fondern auch vor den Menfchen thun, (2. Kor, 
8, 20. 21.) 


302 


3. Heillofe und leere Geſchwätze meide; denn es 
macht fie nur immer noch gottlofer. (2. Tim. 2, 16.) 
Sm Gegentheile, Bruder! was wahr iff, was ehrbar, 
was gerecht, was heilig, was liebenswürdig, was rühm⸗ 
lich, wenn irgend eine Tugend, wenn irgend eine löb— 
liche That ift, — dem firebe nach, daß deine Liebe und 
Erfenntniß mehr und mehr zunehme, fo, daß du prüs 
feft, was das Beſte fey; und alfo lauter und ohne Ta⸗ 
del fepeft auf den Tag Ehrifti. (Phil. ı, 9. 10.) 

Fühle Befchamung, nicht nur über die Richtbe— 
folgung des guten Beyſpiels, welches die Heiligen dir 
gegeben haben, fondern auch uber das Ueble, das du den 
Rächſten durch Aergerniß zugefügt haft, und nach Kräf— 
ten zu vermeiden fireben mußt, verhüthend, daß nicht 
das Ueble, fo du ihnen angethan, auf dich felbfi zurüde 
fale, (Rom. 14, 13.) 


Br 


Mein Gott! du willft, dag meine guten Mer- 
te den Menjchennur zur Erbauung, dir aber zum 
Ruhme erſcheinen; verleihe mir alſo guadig die volle 
Fommene Kenntniß meiner Natur, und meines Ge— 
müthes , die fi) Durch meine Handlungen außern, 
um fie ſtets im Zügel zu halten. Ueberlaß mich nicht 
der Vorliebe nad) übertriebener Einfachheit; aber 
auch nicht unbedingt dem Strome der Welt, wel 
cher, meinen Beift zerftreuend, mich auch nach Au— 
Ben zerftreuen könnte; damit mein in jeder Bezies 
hung wohlgeorduetes Leben denjenigen zum Vor— 
bilde diene, mit welchen ich lebe. 


303 


XX. 
Von den Verſuchungen. 


ı. Zieh an die Waffenrüſtung Gottes; damit du 
beſtehen könnteſt gegen die liftigen Anfälle des Böſen; 
denn, fo Jemand auch Fampfet: fo wird er doch nicht ges 
kröoͤnt, wenn er nicht recht gefampft hat. (Eph.6, 3ı.) 
Bon allen Seiten werden wir bedrängt, aber wir angftis 
gen ung nicht; mir werden in die Enge getrieben, aber 
wir verzagen nicht; mir werden verfolgt, aber doch nicht 
verlaffen ; wir werden zu Boden geworfen, kommen aber 
doch nicht um ; deßwegen dürfen wir den Muth nicht vers 
lieren, (2. Kor. 4, 8. 9. 16.) 

2. Gott iſt getreu; er wird dich nicht über deine 
Kräfte verfuchen,, fondern aus der Berfuchung felbft noch 
Bortheil ziehen laffen ; damit du fie ertragen Fünneft, (1. 
Kor. 10, 13.) Denn wir haben feinen hohen Priefter, 
der mit unfern Schwachheiten nicht Mitleiden haben Eünns 
te, fondern einen, der in allen Stüden, fo wie wir, vers 
fucht worden ; doch ohne Sünde. (Hebr. 4, 15.) 

3. Wir wiffen auch, daß denen, die Gott lieben, 
alle Dinge zum Beften dienen, die nach dem Vorſatze zu 
Heiligen berufen find. (Rum. 8, 28.) Wenn du alfo ir- 
gend eine Verfuchung leideft: fo laß dir an feiner Gnade 
genügen; denn die Tugend erflarket in der Schwachheit, 
und eben dann, wenn wir uns für ſchwächer halten, find 
wir flarfer als jemahls. (2. Kor. ı2, 9. ı0.) Wenn 
Gott für uns iſt, mer ift wider uns? (Rom. 8, 3ı.) 

Bitte den Gott des Friedens, daß er den Satan 
unter deinen Füßen zertrete, und daß die Gnade Fefu 
Ehrifti immer mit dir fey; denn mit diefem Beyftande 
wirft du muthig gegen alle Feinde deines Heiles Fampfen. 
(Rom, 16, 20.) Sey jedoch auf deiner Huth, und bes 


504 


the andachtig, daß du nicht in Verfuchung faleft. 
(Matt. 26, 41.) 


Gebet 


Mein Gott! Tag mich deine Macht gewahr 
werden, um mich von den Verſuchungen meiner 
Feinde zu befreyen. Zerfireue die Berirrungen 
meines Geiftes, vertheidige mich durch deine Gna— 
de gegen die Flammen meiner unfeligen Begierdenz 
Damit ich niemahls von ihren gewaltigen Angriffen 
befieget werde, und dir beffer dienen könne, mit 
dem Leibe und dem Beifte. Gib nicht zu, daß Die 


—— — —— 


böfen Geiſter mic) überwinden, oder daß fie gegen 


mein Heil mich überreden, damit du immer Der 
Fer meines Geiſtes und meines Herzens blei- 
[4 Wozu - i 


XXL 
Bon der Gegenwart Gottes. 


1; Irre dich nicht, Gott laßt Seiner nicht ſpotten; 
mweil er das Geheimfte in unfern Herzen Fennt, und weil 
Fein Wefen für ihn unfichtbar ift. (Gal. 6,7.) Kein Ge⸗ 
fchöpf if vor feinem Angefichte verborgen; Alles ift nackt 
und offenbar vor den Augen deffen, welchem wir Rech» 
nung ablegen müffen von unfern Handlungen. (Heb. 
4, 13.) 

2. Verſuche dich felbft, ob du im Glauben fteheft, 
prüfe dich felbft; oder erfennft du nicht an dir felbft, daß 
Jeſus Chriftus in dir ift? Du müßteſt nur ganz verwerfs 
lich feyn. (2. Kor. 13, 5.) Denn du bift der Tempel 
des lebendigen Gottes, wie Gott felbft fpricht: Im ih— 

nen 


— — 


305 


nen will ich wohnen , in ihnen will ich wandeln, 
ihr Gott will ich feyn, und fie follen mein Bolt 
fepn ! (2. Kor. 6, 16.) 

3. Wenn nun Gott in allen Dingen iff, und 
in ung Allen, wenn Alles durch ihn ift, und Alles 


für ihn ift, und Alles in ihm if, und wenn daher das Ver: 


borgene deines Herzens ihm offenbar wird: fo falle vor 
ihn auf dein Angeficht nieder, und befenne, daß er 
in dir ift, und thu nichts, was feiner unwürdig wä— 
re; denn alles Tadelnswerthe wird offenbar vor feinem 
£ichte, wie vor dem Lichte des Tages alles offenbar 
wird, was die Nacht verhüllt hatte, (Eph. 4,6. Röm. 
13, 36. 1. Kor. 5, 10. Eph. 5, 13.) 

Trage oft im Munde und im Herzen diefe Wor: 
te: Sch muß heilig ſeyn, und tadellos in der Gegen- 
wart Gottes, der mich ſieht, — und die wird das 
wahre Mittel ſeyn, dich bey deiner Pflicht zu erhalten, 
entweder indem es deiner Tragheit abhilft,, oder dich 
hindert, irgend ein Verbrechen zu begeben. 


Gebeth. 


Mein Gott! ich bitte dich um die Gnade, 
in deiner Gegenwart fo zu leben, daß ich nie 
mich davon entferne, daß ich ſtets mit Dir verei— 
niget bleibe, und du mit mir durch das Band ei- 
ner vollfommenen Liebe, welches mich fortwah- 
rend deiner gedenken, mit dir gehen und hau— 
deln laßt, und in deiner guttlichen Gegenwart; 
indem ich mein einziges Vergnügen darin finde, 
Dir zu gefallen, damit ich defien mich einjt im 
Himmel erfreuen möge! 


Sailer, d. chriſtl. Monath, 20 


306 
XXII. 
Von der Nächſtenliebe. 


1. Strebe nach Friede mit Jedermann und nach 
der Heiligung, ohne welche Niemand den Herrn fchaus 
en wird, und fieh nicht fo faft auf das Deinige, als 
auf den Nusen des Andern, (Heb. ı2, 14. Phil, 
2,4.) Liebe fie mit herzlicher Bruderliebe, und kom⸗ 
me ihnen mit Beweiſen von Achtung zuvor, ertrage 
aus Liebe ihre Fehler, und alfo wirft du das Geſetz 
Ehrifti erfüllen. (Rom, ı2, 10. Öal, 6, 2.) 

2, Öleichwie wir an Einem Leibe viele Glieder, 
alle Glieder aber nicht diefelbe Verrichtung haben; 
alfo find wir, fo viel unfer find, Ein Leib in Chriſto; 
(Röm. ı2, 4. 5.) jeder Einzelne aber ift des Andern 
Mitglied, damit feine Spaltung im Leibe ſey, fondern 
die Glieder einträchtig für einander forgen ; wenn daher 
Ein Glied leidet, fo leiden alle Glieder mit, und wenn 
Ein Glied verherrlichet wird, fo freuen fich alle Glie⸗ 
der mit, (1. Kor. 12, 25. 26.) 

3. Du liebft deinen Rächſten wahrhaft, wenn 
du fchwach bift mit dem Schwachen, und wenn du 
Allen Alles biſt, um fie Alle felig zu machen; (1. 
Kor. 20, 22.) wenn du dich freueft mit den Sröplichen 
und weineft mit den Weinenden; (Rom. ı2, 15.) 
wenn du mit aller Demuth und Sanftmuth und Lang» 
muth fie ertrageft in Liebe; (Eph. 4, 2.) wenn du 
nicht Böſes mit Böſem vergelteft, fondern Allen Gus 
tes erweifeft, um die. Einigkeit des Geiftes durch das 
Band des Friedens zu bewahren; (1. Th. 5, 15.) 
weil Feiner von uns fo fehr für fich felbft, als für die 
Andern leben fol. (Röm. 14, 6.) 

Faffe den feften Entfchluß, nach der Liebe zu 
fireben ; r il — infofern dein Herz eins iſt mit den 
Herzen der Andern, — du num denfelben Gedanken, 


307 


dasfelbe Verlangen, und feinen Streit um Ehre und 
Güter haben, fondern im Gegentheile ihnen davon 
eben fo viel, und mehr als dir ſelbſt, wünfchen wirft. 
(1. Kor. ı, 14.) 


Gebeth 


Mein Sefus! du mein Vorbild , wornach 
id mein Leben richten fol, laß mich Theil ha- 
ben an der Liebe, womit du uns geliebt haft, 
da du noch auf der Erde lebteft, und wodurch ich 
über die Andern mic) niemahls erpeben werde; 
damit ich an ihnen vielmehr alle die Pflichten ei- 
ner vollfommenen Liebe erfülle : indem ic) dene 
felben in allen ihren geiftigen und Eorperlichen Nö— 
then behülfli bin, und am Tage des Gerichtes 
das füge Mort zu hören verdiene: Komm, von 
meinen DBater Gefegneter! denn was du dem 
Geringften meiner Bruder gethan Haft, das 
haft Du mir gethan. 





XXI. 
Bon der. Liebe Gottes. 


1. Gelobt fey Gott, deffen Liebe ausgegoffen ift 
in unfern Herzen, durch den heiligen Geift, der uns 
gegeben ift, und der gewollt hat, daß die Beftimmung 
und Erfulung feiner Gebothe fey: ihn zu lieben. 
(Rom. 5, 5.51. Th. ı, 5.) Diefe Liebe muß aber rein 
und frey von jeder Neigung feyn , welche das Ges 
wiſſen, wenn auch noch fo wenig, verlegen, und dem 
Glauben an anerfannte Wahrheiten, fo wie an das 
gegebene Wort, ganz darnad) zu leben, könnte entges 
gen wirken. 

20-'° 


308 


2. Sehne dich immer nach Gott, und habe 
Luft abzufcheiden, und bey ihm zu ſeyn; das iſt ein 
Zeichen, daß du ihn liebeft. (Phil. ı, 25.) Aber das 
iſt ein größeres Zeichen, wenn du täglich in der Sor⸗ 
ge firbfi, feinen Ruhm zu vermehren, indem du nur 
für ihn wirkeſt; und wenn du aus Liebe für ihn die 
Ehren der Welt für Thorheiten, (1. Kor. 15, 31.5 1. 
Kor. ı, 20.) die Reichthümer für Kaub, und die Ach- 
tung der Menfchen nur für Täuſchung half. (Phil. 


8. 

2 Du liebft Gott wahrhaftig, wenn dir aus Lies 
be für ihn wohlgefällig erfcheinen, die Gebrechen deis 
nes Leibes, Leiden, Vorwürfe, Armuth, Verfolguns 
gen, und Unterdrudungen, die er über dich kommen 
läßt: (1. Kor. ı2, 20.) wohl wiffend, daß denen, 
die Gott lieben, ale Dinge zum Beſten dienen, die 
nach feinem Vorſatze zur Heiligung berufen find. Hand: 
fe daher fo, daß weder Leben noch Tod, weder Engel 
noch Fürften,, weder Tugenden, weder Gegenwart, noch 
Zukunft, noch Stärke, weder Höhe, noch Tiefe, 
noch irgend ein anderes Gefchöpf dich zu fcheiden vers 
möge von der Liebe Gottes, die da ift in Ehrifto Jeſu 
unferm Herrn. (Rum. 8, 28. 39.) Was du immer 
thun mögeft, thu es zur größern Ehre Gottes. Da: 
durch wird deine volfommene Liebe an den Tag kom— 
men, wozu du verbunden bift, und die Vernunft, das 
Borbild Jeſu Ehrifti und der Heiligen, und die Gnas 
de möge dich zu diefem Ziele führen! (1. Kor. 10, 31.) 


Gebeth. 


Mein Gott! ſcheide mich gnädig von den 
übrigen Weſen; damit du der einzige Gegenſtand 
meiner Liebe biſt, und daß ich etwas Anderes 
außer dir, nur aus Liebe zu dir liebe! Ver— 
leihe mir, mein Gott! das Feuer deines heiligen 


309 


Beiftes, welches mein Herz mit diefer vollkom- 
menen Liebe entzinde, umd meinen Eifer nur zu 
deinem Ruhme entflamme , deffen Bermehrung 
auf diefer Erde mein Befisthum werden möge 
in dem andern Keben! — 


XXIV, 
Vom Gebethe. 


1. Bethe ohne Unterlaß, was dir auch widerfah— 
re; ſey Gott dankbar für Alles: denn das iſt Gottes 
Wille in Ehriffo Jeſu an euch Alle. (1. Theſſ. 5, 17» 
18.) Löfche nicht aus den Geift des Glaubens und der 
Liebe: denn der Geift, den du empfangen haft iſt nicht 
ein Geift der Knechtfchaft, daß du dich fürchten. müß- 
teft ; fondern den Geift der Kindfchaft haft du empfan- 
gen, Hi welchem wir rufen: Unfer Vater! (Röm. 
8, 15. | 

2. Es ift derfelbe Geiſt, der in unferer Schwach» 
heit ung zu Hülfe kommt, und der uns bethen lehrt; 
denn mir twiffen nicht, was wir bethen follen, mie e$ 
fich gebührt; der Geiſt aber fürbittet felbft für uns mit 
unausfprechlichen Geufzern, und der die Herzen for- 
fhet, weiß, was det Geift verlangt, der für uns 
bittet, und der eines ift mit dem göttlichen Willen. 
(Rom. 26. 27.) 

3. Kümmere dich um nicht? , fondern in allen 
Dingen laf dein Anliegen im Gebete und Flehen mit 
Dankfagung vor Gott fund werden; (Phil. 4, 6.) in⸗ 
dem du ihn vor Allen bitteft, daß er dich erfülle mit der 
Erfenntniß feines Willens, in aller Weisheit und geie 
fliger Einficht; damit du Gottes würdig, und ihm in 
Alem wohlgefällig wandelt, an allen guten Werken 


310 


fruchtbar ſeyſt, (1. Col. 1,9. 10.) und in der Erkenutniß 
Gottes wachfeft, und halte aus im Gebethe, ohne 
den Muth zu verlieren. (Col. 4, 2.) 

Gott will, daß du ihm ein Zobopfer bringeft, das 
ift, die Srucht der Lippen, welche feinen Nahmen preis 
fen ; fammle alfo die böchfte Aufmerkfamfeit im Ges 
bethe, um jede Beranlaffung zur Zerſtreuung zu vers 
meiden; dadurch wirft du im Gebethe dich mit ihm 
vereinigen. (Heb. 13, 15.) 


Gebeth. 


Mein Gott! ich weiß aus Erfahrung, daß 
der Geift ftark ift, und das Fleiſch ſchwach, 
und daß du mir das Bethen angeordnet haft, 
diefen Hebeln abzubelfen: erweife mir die Gnade, 
ein jo großes Unternehmen würdig auszuführen, 
und lehre mich, wie man bethen muß! Entzünde 
Daher meine Seele mit deiner göttlihen Liebe; 
damit mein Geiſt, voll Reinheit und Eifer, nicht 
Zerftreuungen anheimfallen , fondern deſto leich— 
fer erringen möge, was du für mic) als noth- 
wendig erachteft! 


XXV. 
Von der Wohlthat der Gnade. 


1. Alle Menſchen haben geſündiget, und erman⸗ 
geln des Ruhmes vor Gott, und werden ohne Verdienſt 
gerecht gemacht, durch ſeine Gnade, durch die Erlö— 
fung, die durch Chriſtum Jeſum geſchehen iſt. (Rom. 
3, 23.) Durch dieſe Gnade hat Gott nach feinem Wils 
len in uns das hohe Verlangen nach guten Werfen her⸗ 


511 


vorgebracht, und die Stärke, fie vollfommen auszuuben; 
(Phil. 2, 13.) und diefe Gnade iſt es, die uns aus 
der Knechtfchaft in die Kindfchaft Gottes geführt hat, 
und die Macht uns gibt, ihn unfern Vater zu nennen, 
(Rom. 3, 13.) 

2. Diefe Gnade ift es, die auch dich wieder er> 
wecet bat, der du todt wareft Durch deine Webertretuns 
gen und Sünden, in welchen du gelebt haft nach dem 
Sinne diefer Welt, nady den Eingebungen des Bofen ; 
indem du den Willen deines Fleifches und der Weis 
gungen vollbrachteft. Gott aber, der reich ift an Barm— 
herzigkeit, vermög feiner großen Liebe, womit er dich 
geliebt, hat auch dich, da du todt wareft in Sünden, 
mit Ehrifto lebendig gemacht; durch feine Gnade bift 
du felig geworden. (Ephef. 2, ı. 3. 4- 5. 8.) 

3. Diefe Vortheile fommen nicht von dir, Güte 
tes Geſchenk find fie. Da du nun durdy Gottes Gna— 
de bift, was dubift, fo hüthe dich , daß fie an dir nicht 
vergeblich fey, (ı. Kor. 15, 10.) und unterſtütze feine 
Entwürfe in allen Unternehmungen, indem du trach- 
teft, durch gute Werke dahin mitzuwirken. (Rom. 6,1.) 

Erinnere dich, daß du diefen Schab in einem 
fehr gebrechlichen Gefäße tragft, die große Gefahr, ihn 
zu verlieren, wenn du nicht auf deiner Huth bift; weil 
deine Feinde Alles thun, um ihn dir zu entreißen. Ber 
mühe dich alſo, in diefem gluclichen Stande dich zu 
erhalten; indem du einen nüßlichen Gebrauch davon 


macheft. (2. Kor. 4, 7.) 
Gebeth. 


Mein Gott! da ich die Mohlthat erfeune, 
dich zu befißen, fo laß die Sünde in mir jo 
fterben, daß ich Eein anderes Leben, als das Le- 
ben der Gnade habe, und daß ich es fo gut be- 
wahre, daß ich niemahls durch irgend ein Ver: 


312 5 

brechen von dir mich frenne , fondern vielmehr fo 
genau damit verbunden bleibe, daß nicht - fo faft 
ich lebe, als du jelbft in mir lebeft, mit Eeinen 
andern Gefinnungen, ald mit den deinigen ; da- 
mitich, auf der Erde ſchon, durch die Gnade mit 
dir vereint, es einft nocd) weit mehr im Him- 


fi 


mel durch die Herrlichkeit jeyn werde! 


VENREVE 
Bon der Andacht. 


1, Uebe dich in der Öottfeligkeit, und folge nicht 
den Öefinnungen derjenigen, welche die Wahrheit nicht 
Tennen, die da meinen, Gottfeligkeit fey ein Gewerbe. 
(1. Zim. 4,7.) Ein großer Gewinn ift freplich die 
Goftfeligkeit mit Genügſamkeit. (1. Tim. 6, 5. 6.) 

2. Halte feft an der Gnade, wodurch du Gott 
mit Ehrerbiethung und bheiligem Schauer auf eine 
wohlgefällige Weife dienen Fannfl. Denn unfer Gott 
iſt ein verzehrendes Feuer, das den gegen feine Gnade 
Andankbaren vernichten wird, das aber auch das Welt: 
liche in dir zerftören Fan, wenn du dic) ihm wahrhaft 
hingibſt. (Heb. ı2‘, 28.) 

3: Ich befchmwöre dich alfo, um der Erbarmuns 
gen Gottes willen, daß du dich ihm als ein lebendiges, 
bheiliges, Gott gefaliges Opfer darbringft: das ift der 
vernunftige und geiffige Gottesdienft, den du ihm 
ſchuldig biſt. Stelle dich diefer Welt nicht gleich, fon» 
dern laß dich umwandeln durch die Erneuerung deines 
Sinnes, damit du prüfeft, was Gottes Wille, was 
gut, wohlgefalig und vollflommen ſey. Bor Allem 
aber erinnere dich in deinem Benehmen , daß du nicht 
weifer ſeyn wolleſt, ald es fich geziemt, und nicht zu 





313 


tief in die Geheimniffe der Keligion dringeft, fondern 
fie mit Mäßigung übeft; damit deine Andacht, wohl 
geordnet ſey. (Röm. ı2, 1. 2. 3.) 

7 Richte deine Andacht fo ein, daß du nicht mehr 
thuft, als Gott von dir. verlanget; aber auch, daß 
du fo viel thuſt, als er verlangt, und nicht weniger. 
Denn es gibt Dinge, die Gott von ung nicht mill, 
und es gibt andere, die er will und erwartet, um 
zu erfüllen, was wir von ihm bitten; fo daß deine Ans 
dacht deinen Verhaltniffen angemeffen, und von der 
Klugheit angeordnet fey. (2. Kor, 8, 11.) 


Gebeth. 


Mein Gott! nichts ift dir wohlgefalliger , 
als die Neigung, Dir zu dienen: erweife mir 
alfo die Gnade, mich immer fefter an deinen 
Dienft zu binden; damit ich immer mehr mid) 
über das irdifche und vergängliche Leben zum 
himmlifhen und geiftigen Leben emporfchwinge, 
verachtend alle menschlichen Ruckfichten, um ein= 
zig und allein nur dir anzugehören! Nimm aus 
meinem Herzen, was dir darin mißfakkt, und be- 
fonders den Geift des Hochmuthes, der nur in 
den Augen der Melt glanzen will: damit mein 
ganzes Funftiges DBeftreben nur dein Wohlgefal- 
len jey! — | 





XXVII. 
Vom Vertrauen auf Gott. 


1. Tritt zu Gott mit aufrichtigem Herzen, in 
vollem Vertrauen, mit einem Herzen, gereiniget von 


314 


den Sünden, deren dein Gemiffen fich ſchuldig fühlte, 
und halte unveränderlich feſt am Befenntniffe deiner 
Hoffnung; (Heb. 10, 22. 23.) denn treu iſt der, der 
ung die Verheißung gegeben hat, und Alles vermagft 
du durch den, der dich ſtark macht. (Phil. 4, 13.) 
2. Lerne verftehen,, was des Herrn Wille ift, 
und verfuche ihn nicht, wie die Juden in der Wüfte, 
die durch Schlangen umkamen. (Eph. 5, ı7.) Mure 
re nicht gegen ihn, wie Einige von ihnen murreten, und 
durch. den Würgengel umkamen. (ı. Kor. 10,9.) 
Dein Wandel fey ohne Geiz; begnüge dich mit dem, 
was du haft, denn er hat gefagt: »Ich will dich nicht 
verlaffen, ich will dich nicht verfaumen.« Du kannſt 
alfo getroft fagen: »Der Herr ift mein Helfer! Ich 
fürchte nichts. Was kann mir ein Menfch thun %« — 
(Hebr. 13, 5.) 
| 3. Sey daher muthig, und ſtärke dich durch Je⸗ 
fum Chriſtum, und baue auf feine Kraft, und auf die 
Macht feines Schußes. (Hebr. 6, 10.) Denn, wenn 
er auch nach der Schwachheit des Fleifches, der er 
ſich unterwarf , gefreuziget ward, fo kam er doch durch 
die Macht Gottes, und obgleich auch mir ſchwach 
find, fo werden wir doch leben wie er, durch diefelbe 
Macht. Kümmere dich alfo um nichts, fondern in 
allen Köthen laß dein Anliegen im Gebethe und Fle: 
hen mit Danffagung für Alles, was dir begegnen 
mag, vor Gott Fund werden. (2. Kor. 13, 4. Phil. 
Fühle Schmerz darüber, daß du fo oft, in Bes 
zug auf dich, an der Güte Gottes gezweifelt haft, 
und betrübt wareft über ein erduldetesg Uebel, oder über 
ein entzogenes Gut, das vielleicht die Urfache deines 
Verderbens geworden wäre, und vertraue auf feine gütts 
liche Vorſicht, mweldhe weiß, was zu deinem Heften 
it. (Heb. ı2, 5.) 


315 
Gebeth. 


Herr! der du ſo gnädig ſorgeſt für die Ge— 
ringſten deiner Geſchöpfe, ich werfe mich ganz in 
deine Arme, und bitte nur, daß du mich ganz 
erfüllen mögeft mit deinem göttlichen Millen ! 
Sc überlaffe Alles deiner göttlichen Meisheit, 
die nad) meinen Nothen , nicht nad) meinen Wün— 
Then verfahren möge. Um die einzige Gnade bit- 
te ic) Dich, daß du in Feiner Lage mic) verlaffeft, 
und mir die nöthige Kraft ſchenkeſt, um nie- 
mahls zu unterliegen! — 


XXVII. 
Von der Reinheit der Abſicht. 


1. Hüthe dich, denen zu gleichen, die in ihrem 
Antlitze einen gewiſſen Schein von Frömmigkeit tra⸗ 
gen, und fie nicht im Herzen haben; (2. Kor. 5,2.) 
und wenn du dich ruhmeft, fo ruhme dich des Herrn, 
indem du ihm den Kuhn deiner Handlungen bringeft. 
Denn nicht wer fich felbft lobt, ift bewahrt, fondern 
der, den der Herr lobt, und feines Beyfalles wuürdis 
get. (2. Kor. 10, 17. 18.) 

2. Wenn du in fleifchlichen Gefinnungen, und 
in der falfchen Klugheit der Welt lebeft, und in dei— 
nen Handlungen dich mehr um dich felbft, al um 
Gott bemüheft : fo fannft du ihm unmöglich gefallen ; 
wenn du Menfchen zu gefallen fucheft, fo kannſt du 
Chriſti Diener nicht feyn; (Röm. 8,7. 18.) wer vom 
Geifte Chriſti nicht befeelt iff, der gehört ihm auch 
nicht an, und fucht weniger die Sache feines Erlöfers, 
als feinen eigenen Vortheil. (Gal. 1, 10. Phil. 2, 21.) 


316 


3. Das Einzige, deffen wir und ruhmen dürfen, 
ift das Zeugniß unſers Gemwiffens: daß mir in der 
Welt, in der Einfalt des Herzens und Aufrichtigkeit 
vor Gott, gelebt haben ; daß wir uns nicht der Klug» 
heit des Fleifches bedienten, fondern den Eingebungen 
der Gnade Gottes folgten. Denn die fleifchliche Ges 
finnung führt zur Sünde und zum ewigen Tode; die 
geiftige Gefinnung aber bringt Leben und Frieden, 
(Rom. 8, 6.) 

Laß die Welt reden, und thu deine Pflicht; 
wenn du Feine Kücfichten weder auf andere Menfchen, 
noch auf dich felbft in deinen Handlungen zeigeſt, fo 
werden fie Gott wohlgefälliger feyn. Wenn du wüß— 
teft, was es darum fey, Gott zu gefallen, ſo würdeſt 
du Fein anderes Vergnügen in diefem Leben mehr fu: 


chen. (1. Theſſ. 2, 4.) 


Gebeth. 


Herr! der du willft, daß ich mit aufrichti- 
gem Herzen dir diene, erfülle es gnadig mit 
einem Geifte, entfernt von Hochmuth, Prunklie— 
be und eitler Meltgröße, voll Liebe und Nei— 
gung für meinen Nachften; gib, daß ich Belei— 
digungen ohne ein Gefühl der Rache dulde, daß 
ich der Abtodfung und Buße mich weihe, als ein 
Feind aller Vergnügungen, außer dem Vergnü— 
gen, Dir zu dienen. Meine Andacht ſey den 
Menfchen nur in fo weit befannt, als meine 
Pflicht, fie zu erbauen, es erfordert , mein 
Hanptbeftreben aber — dir zu gefallen! — 


317 
XXIX. 
Bon der Liebe Jeſu Ehrifti für die Menfchen. 


1. Wahrlich es gibt nicht? Größeres, als Die 
Liebe Jeſu Chrifti, der für uns Gottloſe zu „einer 
Zeit geftorben ift, da wir noch inder Schwachheit und 
Unfähigkeit lebten, das Gute zu thun. Dieß aber 
ift wunderbar; denn es. wird faum Jemand gefunden 
werden , der flerben möchte, um einen Öerechten zu 
retten. Gott aber beweifet die Größe feiner Liebe da— 
durch, daß Chriſtus für uns geftorben iſt, zur Zeit, 
da wir noch Sünder waren. — (Rom. 5, 6. 7. 8.) 

2. Wenn er nun für ung, da wir noch Sün⸗ 
der waren, geftorben ift: um fo mehr werden wir als 
fo. jest, da wir durch fein Blut gerecht gemacht find, 
durch ihn vom Zorne Gottes errettet werden, Denn 
wenn mir, da wir noch Feinde waren , mit Gott ver: 
fühnet wurden durch den Tod feines Sohnes: um fo 
mehr werden wir, da wir nun verfühnet find, durch 
fein Leben felig werden, welches die Gnade if. (Kom. 
5, 9. 10.) Für ung ift er ja arm geworden, um uns 


Alle mit feinen Schäßen zu bereichern. (2. Kor. 8, 9.) 


3. Ihm genügte es nicht, uns einmahl felig zu 
machen, noch täglich macht er ung felig, indem er uns 
aufborlich für uns bittet. Einen folchen hohen Prie- 
fier mußten wir auch haben, der da heilig wäre, uns 
fhuldig, unbefleeft, nicht aus der Zahl der Sünder, 
und höher als der Himmel; der nicht, wie jene ho— 
hen Priefter, täglich nöthig hätte, zuerft für feine eiges 
nen, und dann für des Volkes Sünden zu opfern. 
Denn das hat er ein für alle Mahl gethban, da 
er fich felbft opferte. Denn das Geſetz ſtellt Menfchen 
zu Prieflern auf, die mit Schwachheiten behaftet find; 
aber jenes eidliche Wort, welches erft nach dem Ge- 


feße ausgefprochen ward, fest Jeſum Chriftum zum 


318 


ewig volfommenen Priefter ein. (Heb. 7, 25. 26. 
27. 28.) 

Wie man nicht leben kann ohne GSelbftliebe, 
oder ohne die Liebe Jeſu; fo wähle die eine oder die 
andere zu deinem Führer. (1. Kor. 5, 13.) Aber vers 
gif nicht, daß du gegen Jefum Chriftum lebeſt, 
wenn du nicht für ihn lebefl. Werbanne alfo deine 
Selbftliebe, und nur die Liebe Jeſu erfülle dich ; dar 
mit du ihm gleich werdefl, (2. Kor. 3, 18.) | 


Gebeth. 


Mein liebenswürdigſter Jeſus! wie viel haſt 
du gethan, um mich zu erlöſen, und zu dir zu 
erheben! Vom Augenblicke deiner Empfängniß 
an haft du an meinem Heile gewirkt. Du haft 
für mid) gedaht, als wäre ich allein auf der 
Erde geweſen. Welche Güte! du haft mic iu 
deinem Evangelium unterrichtet, und endlich dein 
Blut für mid) vergoffen! Ach, mein Gott! da 
alle diefe Mohlthaten eben fo viele Gründe 
find, die mich zu taufend Dankfbezeigungen ver— 
pflichten: fo laß mich in ihrer Erkennung ohne 
Rückhalt Dir bingeben, wie du dich hingegeben 
haft für mich! 


XXX, 
Bon der Nachahmung Sefu Ehrifti. 
1. Willft du Jeſum Chrifftum recht nachahmen, 
fo ziehe ihn fo an, daß du gleiche Gefinnung mit 


ihm haft, (Rom. 13, 14.) und trachte, deine Werke 
nach feinem Vorbilde zu vervolfommnen, und mit ihm 


319 


zu leben ; damit Ai ganz nach feinem Bilde umgewan⸗ 
delt twerdeft. (2. Kor. 3, ı8.) Denn das unordentliche 
Leben ift eben fo dem Leben Jeſu Ehrifti entgegen, 
wie das Lafter der Tugend, die Nacht dem Tag, und 
der Tod dem Leben. (2. Kor. 6, 14.) 

2, Die Liebe Chriſti muß dich fo durchdringen, 
daß du nur Ein Herz mit ihm bift, und daß du nies 
mahls von ihm dich trenneſt, was dir auch begegnen 
möge. (2. Kor. 5, 14.) Öedenfe, daß er nur auf 
die Welt Fam, ung zu lehren, aller Gottlofigteit zu 
entfagen, allen Lüften der Welt, und nückiern, ges 
recht und fromm zu leben; und obwohl er Gottes 
Sohn war, fo hat er doch durch Erduldung feiner Lei— 
den Gehorfam gelehret, um uns ein Mufter der Pflicht: 
erfülung zu binterlaffen. (Rom, 8, 6. Tit ı, 32.) 

3. Täufche dich nicht, denn Gott will, daß Al- 
le, die er auserfehen, und vorherbeflimmt hat, dem 
Bilde feines Sohnes, dem Erfigebornen, in Erduldun 
gen gleichen, wenn fie ihm in den Himmel folgen 
wollen. (Rom. 8, 29.) So fey nun Gottes Nachfols 
ger, als fein liebes Kind, und liebe deinen Naächften, 
wie dich Jeſus Chriſtus geliebt, und für dich fich Hinz 
gegeben hat; zur Gabe und zum Opfer, Öott zum 
lieblichen Seruch. Wer ihm alfo nicht folgen, wer un— 
fern Herrn Jefum Ehriftum nicht lieben will, der muß 
die Folgen feiner Verirrungen tragen. (Eph. 5, ı.) 

Erfenne deinen bisherigen Irrthum, als fey die 
Nachahmung Jeſu Chrifti zu mühſam; indem du 
nicht verfennen Fannft, daß die Kraft und die Önade, 
ihm zu folgen, von ihm dir verliehen if, der alle 
Hinderniffe der Tugend binweggeräaumt hat. So du 
es alfo nicht thuft, wirft du auch Fein wahrer Chriſt 
ſeyn. 


320 
Gebeth. 


Mein ſüßer Erlöſer! du biſt das Vorbild 
zur Richtung meines Lebens, verleihe mir die 
Gnade, es vollkommen darnach zu führen, und 
mir dein Bild ſo lebhaft einzuprägen, daß ich 
dir gänzlich gleiche in der Demuth, Liebe, Ab— 
tödtung, und im Gehorſame; daß ich, wie du, 
in den Willen deines Vaters mich ergebe, in 
Trübſalen, und in dem Kreuze, das er mir 
fenden wird; damit ich, mir felbft und allen 
Weſen abjterbend , wieder auferftchen kann mit 
dir in deiner Herrlichkeit! 


XXXI. 
Von der Anwendung der Zeit. 


1. Die Zeit iſt kurz, daher müſſen die, fo dieſe 
Welt genießen, thun, als genößen ſie dieſelbe nicht; 
denn die Geſtalt dieſer Welt vergeht. (1. Kor. 7, 29. 31.) 
Feder Mitarbeiter mit Gott an deinem Heile, muß dich 
alfo ermahnen , daß du die Gnade Gottes nicht vergeb- 
lich mögeft empfangen haben. (2. Kor. 6, 1.) Denn 
er fagt durch feinen Propheten, da er von der Zeit 
fpricht,, in der wir leben: »Zur Zeit der Gnade erhöre 
ich dich, und am Tage des Heiles helfe ich Dir.« 
Sieh! jest ift die Zeit der Gnade; fieh! jetzt ift der 
Tag des Heiles. (2. Kor. 6, 1. 2.) 

2. Saume nicht Gutes zu thun; denn die 
Stunde ift da, vom Schlafe aufzuftehen; denn uns 
fer Heil nähert fih von Tag zu Tag. Die Nacht 
ift vergangen, und der Tag ift angebrochen. Go lege 
nun ab die Werke der Finfternig, und- ziehe an die 

| Waf⸗ 








321 


Waffen des Lichtes, wandle in der Ehrbarfeit, fo lang 
es noch Tag ift, und fliehe Alles, was gegen die Zu- 
gend iſt; ziehe vielmehr unfern Herrn Jeſum Ehriftum 
an, und treibe die Pflege des Leibes nicht bis zur Er- 
regung böſer Lüfte. (Rom. 13, 11. 12. 13.) 

3. Thu alfo Jedermann Gutes, fo lange du Zeit 
haft, wache, fehe feft im Glauben, (Sal. 6, ı0.) 
fey männlich und ſtark, handle mit Klugheit, nicht 
al3 Unweiſer, fondern als Weifer, wuchere mit der 
Zeit, benüge fie fo viel als möglich; denn die Tage 
find böfe und voll widriger Zufälle, welche dir oft die 
Mittel rauben, an deinem Heile zu arbeiten. (Eph. 
5,15. 16.) un 

Denke nach, wie viel Zeit du verloren, die du 
nicht für Gott und dein Heil verwendet haft. Betrach- 
fe dein Alter, und fieh, wie viele Jahre unnütz vers 
floffen find, bisweilen felbft mit Beleidigungen Got» 
tes, Mache diefen Verluſt wieder gut, indem du 
Fünftighin nur mehr für ihn lebeſt. — (Col. 3, 9.) 


Gebeth. 


D großer Gott! der du mich erfchaffen 
haft zu Deinem Kuhme zu leben, und an mei- 
nem Seile zu arbeiten ; ich fehe nun ein, wie 
weit ih von deiner Abficht mich entfernt habe. 
Depwegen bitte ich did um Werzeihung, daß 
ih fo ſpät angefangen habe, did zu lieben, 
und für deine Mohlthaten dankbar zu fenn. 
Gib, mein Gott! daß ich künftighin, bedau— 
ernd die unglücklicher Meife im Spiele, im Auf- 
wande, und in Ausfchweifungen, in der An— 
haufung vergänglicher Güter, oder im Erfterben 
weltlicher, fheinbarer Murden verlorene Zeit, 
den Reſt meines Lebens deinem Dienfte weibe ! 


Sailer , d. chriſtl. Monath, 21 


Sählufgebeth. 


Gott des Erbarmens! deffen Mort alle 
Dinge erfchaffen hat; ich bitte dich in aller De- 
muth um einen Strahl der göttlihen Meisheit, 
die du bey dir haft im Himmel! Stoße mic) 
nicht aus der Zahl deiner Kinder, nimm mic) 
auf ald deinen Diener und dein Gefhöpf, als 
einen ſchwachen, fterblihen Menfchen , unfahig, 
deine heiligen Gebothe aus mir felbft zu. be- 
greifen. Sende mir vom Himmel, von deinem 
alterhöchften Throne , deine göttliche Meisheit , 
damit fie mir beyftehe und beywirke; und daß 
ich durch ihre heiligen Eingebungen deinen Dil- 


— 


len erkenne, um ihn zu erfüllen: daß ſie mich 


leite in allen meinen Merfen nach deinen Anz 


ordnungen,, Daß fie mid) erhalte durch ihre 

Machte, und dag ich fo aluckli werde, in al 

Rn Handlungen. meines Lebens dir zu gefallen! 
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RENNER, 2 * 








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