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THE LIBRARY OF THE
UNIVERSITY OF
NORTH CAROLINA
AT CHAPEL HILL
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DIALECTIC AND PHILANTHROPIC
SOCIETIES
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Deutſdes —
Soprtuͤhwo rter—
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Sprüdbebud.
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Lehr: Lefe; und Unterhaltungsbud)
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Sobann Mid. Sailer,
Öffentl. Lehrer der Moral: und Paftoraltheologie a. d. E. Bayer’-
fchen Ludwig - Marimilians » Univerjität zu Landshut.
In zwey Abtheilungen.
I. Sprichwörterbuch: Die Weisheit auf der Gaſſe,
oder Sinn und Geiſt deutſcher Sprichwörter.
II. Sprüche-Buch: Goldkörner der Weisheit und
Tugend. — Sprüche mit und ohne Gloſſe.
Zweyte verbeſſerte Auflage.
Grätz, 1819.
Im Verlage der Herausgeber
ver neuen wohlfeilen Bibliothek für katholiſche —
und Religionsfreunde.
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Svprichworter— Buch.
Die
Weisheit auf der Saffe,
oder
Sinn und Geift deutfder Sprichwörter.
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Ein Lehrbuch für ung Deutfce.
Eine Ruhebanf für Gelehrte,
Bon
3 M. Sailer.
3mwepyteverbefferte Auflage.
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Anden Zefer.
»
1. die deutſche Sprache Eennt, weiß wohl, daß fie einen
Reichthum befist, der in Erftaunen fegßen muß — die Srem-
den, und die Einheimifhen, denen er lichthell vor das Auge
tritt. Diefer Reichthum ift zweyfach, wie Seele und Leib, ein
Reichthum in Gedanken, Gefühlen, Anfhauungen,
Saunen, Wahrheiten, bie die deutfche Sprache bezeich-
net, und ein Reichthum in Bezeichnungen und Bezeide
nungsweifen, in Ausdrücken und Manieren.
Diefer doppelte Reichthum liegt wohl auch in den bef-
fern deutichen Werken des Tages offenbar da, wird aud von
guten Schriftftellern mit jedem Tage vermehrt, aber er wur-
zelt nicht darin; denn wir finden ihn in den älteften Schrif⸗
ten der Deutfchen, und er ift Alter, als die deutſchen Schriften.
felber.
Diefer zweyfache Reichthum entging keinem unferer ge=
weihten Sprachforſcher: aber er mußte doch dem trefflichen
Heniſch befonders eingeleuchtet haben; weil er feinem Verſu⸗
he, ein deutſches Wörterbuch der beften Art zu liefern, den
VI. Borrene
N a I a vo PETE.
omindfen Titel gegeben hat: Thesaurus —— et sa-
pientiae germanicae. *)
Diefer zweyfache Reichthum hat mich befonders überra-
fhet, indem ich das Gemeingut unferer Nation, die deut-
ſchen Sprichwörter, zu fEudieren, mancherley Anläffe und An-
triebe **) fand. Mit jedem Tage, der mich mit ihrem Sinn
und Geifte näher befreundete, wiederhohlte fi) das Urtheil des
erften Augenblices :-, „„Alfo bift du denn ‚doch einmahl in eine
Gegend gerathen, wo du nicht über Mangel und Dürre
Hagendarfft. Unermeßlih find ja die Schätze der
Wahrheit und der Darftellung, die vor dir lie
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EL (dar — «
— es war le bloß, der. Awepfadhe Reichthum, der
wich anzog, es war noch weit ‚mehr, der Charakter des Sprich⸗
wortes, der. mich, feffekte. 8, ‚gibt alfo Lehren, muß
te ich. zu: mir.fagen, deren Wahrheit ploͤtzlich trifft, deren
Gewißheitſchnell einleuchtet, ‚deren inwohnende Klar:
beit alleweitere Erklärung überflüffig macht, ‚deren a n w e Nds
barkeit fo kunſtlos ald ausgebreitet iſt.⸗ u ; '
Bey Diefen Wahrnehmungen mußte fi in mir der Sinn
für die Wahrheit und— Klarheit, für die Schönheit
und Anwendbarkeit des Sprichwortes gleihfam unbewußt,
und von ſich felbft, eiärl Und obgleich Beruf und Schick⸗
A ab sraeh) si
*) Deutfche Sprach und — Weisheit. Thesaurus linguae et sa-
pientiae germanicae. Studio Georgii Henischii, B. Medici-
nae Doetoris, et Mathematici Augustani MDCXVL Augu-
stae Vindelicorum,
*) Ein Anlaß und Antrieb fteht ſchon in der Vernunftleb-
ve für Menſchen, wie fie find. IIIte Ausgabe 1819. I.
Hauptſt. ©. 76,
Borrede vll
fat dies Teichte und liebe Studium unzählige Mahl unterbra-
chen: fo Eehrte ich doch unzahlıge Mahl wieder zu ihm zurüc.
Und die Früchte diefes Studiums leget die Schrift, zu der ich
jeßt vorrede, meinem deutfchen Vaterlande vor.
Die reihen Samınlungen der Sprichwörter von fo vielen
fleifigen Mannern *), fo wie auch ein Paar Handfchriften von
Sreunden, haben mir diefe Arbeit fehr erleichtert, und ich will
ihnen gern alles Verdienft ungefhmalert überlaffen, wenn: fich
eines auf diefem Wege erwerben laßt. Denn die belle Ans
fhbauung der Wahrheit, die mir die Sprichwörter, und
das Forſchen darüber eröffnet: haben, und die Stimmung
des Gemüthes, die Aus der hellen Anfchauung hervorging,
ift wohl die ſchönſte Belohnung, die in irgend einem Fache dem
treuen Fleiße werden Fann.
Sch weiß auch zum Voraus, daß die biedern Leſer, die
nähmlich, welche nichts zu fuchen, und nichts zu verfechten ha—
ben, als fie, die Wahrheit, dasfelbe Gefühl, das mid m.
— * kann, mit mir theilen werden.
Das Se * „Wir Deutſche ſind noch Genoſſen der
Einen Spradem dies Eine Band bindet uns noch Alle. Das
Gemeingut der alten Weisheit, ‚und des alten Wortes — ift
uns unverfehrt bis auf diefe Stunde geblieben.’
Das Befüht. „Was Fein Kolof, was Eein Marmor
retten Eonnte, hat uns ein Sprihwort, dad von Mund zu
Mund ging, aufbewahrt.“
non
.*) Sebaftian Frank, Johannes Agricola, Chriſtophorus Leh⸗
mann, Georg Schottelius, Wilhelm Zinfgräfen, Leonhard
SL Friedrich Koeber, Km ri iB.710. 764
\
vin Vorrede.
Das Gefühl. „Wenn, wie Julius Cäſar Scaliger rich—
tig bemerkt, die Sprichworter der Spanier ſich durch Scharf ſin—
nigkeit, dieder IufceödurhBeriedfamEeit, die der Gal—
Vier durch Annehbmlidfort empfehlen: fo zeichnen ſich die
Sprichwörter der Deutſchen durch eine Kraft (impetus) aus,
die —* der — — in Bi —*— ge * geht.“
Das Gefühl. „Die Wohehee und aloarheit des deut⸗
ſchen Sprichwortes überſteigt den Glauben, ſo wie die Zahl und
Mannigfaltigkeit der deutſchen Sprichwörter die Rechnung der
Meiſten. Man möchte meinen, die deutſche Vernunft hätte,
von den fruheſten Zeiten bis zu uns herab, nichts gethan, als
58 gemacht: ſo * unſer Vaterland daran. “u
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Das Gef ühl. if Säufen; ae)
und die Mühungen der Gelehrten thun Vieles, und thun es mit
großem Aufwande, und manchmahl mit nicht Eleinem Geräus
ſche. Aber es geht ‚ ungefehen und ungeachtet, viel Weisheit
und Klugheit im Lande ie von Mund. au Mund.“
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Das Gefühl. „Wenn die großen- Männer, die die
Graͤnzen der Wiffen fchafterweitern, und durch Runftund
Poefie die Welt verfehönern,' Kronen und Lorbeer verdienen:
ſo Fann man der Volksweisheit die Krone, und der Volkspoeſie
den Lorbeer nicht verfagen, ohne ungerecht zu ſeyn.“
— Das Gefühl. „Was jüngftvondeutfhen Volks—
buüch ern geſagt ward, gilt vorzüglich von deutſchen Sprichwör⸗
tern; nachdem wir einen inwendigen Geiſt in allen Ständen
wohnend, und gleich einem ſchlackenloſen Metallkönig durch alle
Verunreinigung von Zeit und Gelegenheit durchblickend, aner⸗
kannt; wird auch die Idee naher ung befreundet, daß im alls
gemeinen Gedankenkreiſe die unterften Regionen aud) etwas gel:
ten möchten, und daß ber große Literaturſtaat fein
Borrede IX
Hals der Gemeinen babe, in bem die Nation
* beib it⸗ unmittelbar repräſentire.“
Das Gefüpt. Doch dies alles ſoll in der Schrift
ſelbſt deutlich genug geſagt werden. — Hier nur noch das,
was der Leſer zum Voraus wiſſen muß, um ſich keine falſchen
Erwartungen, und dem Verfaſſer Beine fremde Abfiht zu er:
ſchaffen.
Natürlich wird der Leſer in den gemeinen Sprichwörtern
auf viele alte Bekannte ſtoßen; aber ich kann ihm zum
Voraus die Verſicherung geben, daß er viele neue Bekannt—
ſchaften machen, und die alten nicht ohne Freude erneuern
werde, wenn er dieſe Schrift durchleſen mag.
Sollte er Rückweiſungen auf das Eine Große der
Menſchheit, und auf manches andere Vielbedeutende darin fin—
den, die er nicht geſucht hätte: ſo wünſche er ſich Glück dazu,
ein Deutſcher zu ſeyn (denn erdacht habe ich kein Sprichwort),
und werde ein deutſcher Mann nach der ganzen Fülle des
großen Sinnes.
Ob die Edlen, in derer Händen die Bildung des deut—
ſchen Volkes liegt, fie tragen einen Chorrock, oder eine Staats:
uniform, oder Feines aus beyden, in diefem Verfuche etwas fin-
den werden, das ihnen die Bildung der Jugend, und die Bil:
dung des Volkes erleichtern mag, fey ihrem Urtheile überlaffen.
Mich wenigftens haben die Sprichwörter auch in diefer Hinficht,
und in diefer ganz befonders, nicht Teer ausgehen laffen.
Da für den denfenden Mann wohl nichts Peinlicheres feyn
kann, als eine Erklärung der Sprichwörter zu lefen, und doch,
bey der unbeftrittenen Klarheit der meiften, manches für Mans
de einer Sinnbeftimmung bedurfte: fo fuchte der Verfaffer
X Borrede
durch freye'Elaffification, dur kurze Auffohriften,
durch allgemeine Betrahtungen über ven Urfprung,
und das Gepräge des S prihwortes, dem doppelten Intereffe
der Kürze und der spe u Huülfe zu kommen.
Wenn in dieſer Schift Meechatug mit Belehrung glei-
J Schritt hält, oder'ihr gar voranzulaufen ſcheint: fo wird
fi der Ernft an feinem Orte wieder einftellen; und wenn auch
nicht: fo würde ja der Gewinn, der auf die Seite des wac—
kern, froben Gemüthes fiele, gewiß Fein Verluſt — Fein
Berluft befonders in unter Tagen wi avıla
N —— ,
Schließlich wunſcht⸗ ich, daß der Leſerd den —
Inhalt fleißig durchſähe, ehe er zu leſen anfinge; damit er vor
der Hausthür ſtehend, keinen andern Schlüſſel in die Hand
nahme, als der am beſten ra — — * >
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€ rftes Hauptftück. Von den Sprichwörtern ber Nas
tionen.
1. Bon dem gemeinfamen Urfprunge der Sprichwörter verfchies
dener Nationen. ©eite 1ı—ı4
2. Bon dem nächften Entfiehungsgrunde einzelner Sprich⸗
wörter. 14—16
3 Bon den tieffinnigen Sprüchen, die bey allen gebildeten
Kationen einheimifh find. 16-17
4. Bon dem Unterfchiede zwifchen Woehrheit — Wahrheit in
den Sprichwoͤrtern und Spruͤchen des Volks. 17=19
5. Bon fprihwörtlichen Redensarten. 19
6. Von dem Unterfchiede — Sprichwoͤrtern und Denk⸗
ſpruͤchen. 20
Zweytes Hauptſtück. Von dem Geprdge des deutſchen
Sprichwortes.
1—2 Das deutſche Sprichwort verfinnlichet, und ſtellt das All⸗
gemeine im Beſondern dar. 22—25
3-9 Rimme das Befondere vom menfchlichen Leibe, von den Er⸗
eigniffen des Haufes, aus aller Welt, von der Zeit. 25—31
9—ı7 Liebt das Negligee, die Kürze, den Reim, neugefchaffene
Worte, Einfachheit und Mannigfaltigkeit. 3137
18—46 Hat Ueberfluß an Wis, ift änigmatifch, naiv, Fühne
—maͤhleriſch, verſchmaͤht nicht die leichten Wortfpiele,
fchliegt Paradoxie nicht aus, haft das Unbeſtimmte, liebt
die Dreyzahl, kann fatyrifch, pifant, Fräftig, derbe ſeyn,
ſcherzt auch mitunter. 38—53
47— 56 Iſt furz in Steigerungen, originell in Berfleinerungen,
fpricht gern in Diminutiven, in der erften Perfon, auch
XII Inhalt.
in der zweyten, und in der Mehrzahl, wie große Herren, _
weiß zu befchränfen und auszjudehnen. Seite 53—59
57273 Gibt Wollen und Sprade — dem todten Stoffe, weiß
zu fragen, fann gebiethen, reſpectirt überall die Munds
art des Volkes, verräth die Provinz und auch die Stadt
ihrer Heimath, ehrt edle Nahmen, überliefert das Bild
der vergangenen Welt, bat viel Dunkel von den Verhält»
niffen des Orts, iſt von mehr als einer Seite chronolo-
giſch. 60—65
Drittes Hauptftück Bon beutfhen Sprichwörtern ,
ihrem Inhalte nad). un
Allgemeiner Inhalt.
127 Sie find Reliquien des alten deutſchen Sinne. 66-69
Befonderer Inhalt,
1. Ratur- Menfhen- Welt-Kunde,
3. Raturfunde. Sie fennen
1) die Macht und Kraft der Natur, 69-71
2) den Nexus rerum, 71—74
3) die Folgen der Dinge, 74—76
2, Menfhenfunde, Die Speichwörter find gute Anthropolo-
gen. Sie fennen;
1) Die glänzende und die ſchwache Seite des Menſchen. 76—79
2) Die Neigungen und Leidenfhaften der Menfchen. 79—83
A. Neigungen überhaupt, 30
B. Beſondere Neignngen, 80—81
C. Leidenſchaften, r 81—83
D. Die Eigenliebe, 83—34
3) Die mancherley Zuftände des Menfchen. 834—85
4) Das Innere ang dem Arußern. 85—86
5) Den Werth und Unwerth der Dinge, 86—88
6) Den Unterfchied des Alters und Vermögens, 83—93
A, Der Unterfchied des Alters.
a) Das junge Alter, 3990
b) Das hohe Alter, 90—91
e) Die Jugend und das hohe Alter. 91-92
B. Der Unterfhied des Vermögens.
a) Die Armen. 92—93
b) Die Reichen, 93—94
Ignhaut. XI
3 Weltkunde. Die deutſchen Sprichwoͤrter kennen
‚.3) Den Weltlauf. Seite 94-06
2) Das Schidfal. 96-97
3) Die Ebbe und Fluth menſchlicher Dinge. 97—98
4) Glüd und Unglüd, 98—100
11. Religions: Staats- Familienfunde
a. Religionstunde
ı) Religion. 100-102
2) Ehriftlihe Keligion. —
Die heiligen Schriften der Chriſten. 4032104
Geiſt des Chriſtenthums. 104 - 105
e Wuͤnſche der Chriſten. ..105
d) Sprichwörter, die das Chriſtenthum vorausfegen. 105—106
e) Chronologifche Sprichwörter. 106—108
3) Einrichtungen , Gebräuche der Fatholifchen Reli—
gion. 168—109
45) Die Religion von ihrer moraliſchen Seite. 409
a) Die Lehre von dem Gewiſſen. "269-110
b) Allgemeine Zugendlehre. 110-111
ec) Befondere Tugendlehre, 1n1—112
d) Zugendmittel, alz—ıı3
a, Staatsfunde, Ne
1) Hof, Hofleben, 113-114
2) Bon den Großen der Erde. 114—115
3) Bild des guten Kegenten, 115—116
4) Das Recht und fein Loos. 116-117
5) Das deutfhe Recht in Sprichwoͤrtern. 117—119
3. Zamilienfunde. Adonuf
3) Haustafel für den Mann, 120 - 121
2) — — fuͤr die Frau. 221
3) — — für die Aeltern. 121—ı122
4) — — fürden Hausvater. 122—125
111. Klugheits- Erziehungs» und Arznenfunde,
a. Lehren der Klugheit,
1) Ueberlegſamkeit. 124—125
2) Nicht trauen. 125—126
xIV | Inhali—
3) Maͤßigung. Br Seite 127
4). Arbeitfamfeit. — 127-129
5) Sparfamfeit. u 129
6) Verhalten in Hinfiht auf Zeit. __ 129--130
7) Herefchaft über Worte. In: Ka nee
8) Verhalten in Hinſicht auf . "age
9) Vermifchte Lehren. - 3ipilsit 132-134
2. Erziehungsfunde, udn, 33
3. Arzneykunde. 135—136
Viertes Hauptftück Don deutfehen Prihmörttißhen
„Redensarten. | nr „137144
Sünftes Hauptftück. Von den Dent heichen Ben
fir innigen Sprüchen ber Deutſchen. —
hiinslenunedd (3
I. Scharffinnige, kluge deutfche Spruͤche. 145
1) Von Papſt und Biſchoͤfen. .445—146
2) Bon Kaifern und Fürftens 7: on nojgitait 46151
3) Von Lehrern, Prediger ze. u. ou aidıY ——————
m. Tieffinnige Sprüche der Deutſchen. DREIER EEE FESTE
1) Der Menſch. ——— —* 60
2) Gott. —E— NN —— 170
3) Natur. g nuieiana¶
4) Chriſtus. dor ape-ıyı
5) Selbfibefenntniß. ‚dB 17 m nad; 171
Sehftes Hauptftück, Bon Vahuthung des Mißver⸗
ſtandes und Mißbrauches der ‚Spridwörter,.. 172—181
Zugabe. Bayeriſche Sprichwörter. EIER —
Erftes Hauptſtuͤck
von den Sprihwdrtern der Nationen,
1. Bon dem gemeinfamen Urfprunge der Sprichwör⸗
ter verfchiedener Nationen,
Epicharmus.
Von der goͤttlichen Vernunft wied geboren die menſchliche.
Ms der gelehrte, fpeculierende Kopf des Menfchen
vermag -und nicht vermag, das bezeugen, unter vielen andern
Zeugen, die Syfteme, die, fobald der Gedanke, wie aus
einem tiefen Schlafe, erwacht, und die Fermentation der Geir
fter die Linie der ftehenden Meinungen durchbrochen bat, mit
mehr oder weniger Geiftesfhwung in die alte Welt eintreten,
und eine neue ankünden. Einige fallen wohl auch wie Schnee>
flocen im Janner vom Himmel, und werden wie Schneefloc-
fen im Märze wieder zu Waffer. — Andere Eönnen auf län—
gere Lebensdauer Anſpruch machen, weil fie mehr Lebensgeift
in fi haben. Was nun in den Syſtemen den Zahn der Zeit
wirklich überlebt, kann nur durdy eine fpätere Zeit als übers
lebend dargethan, und nachher durch klärere Darftellung, und
weitere Anwendung dem Gemeingute der öffentlichen Erkennt
niß einverleibt werden; bis dahin hat es für die Vielen
Fein entjcheidendes Lebenszeichen, weil es nur von den Weni—
gen begriffen werden Eann.
Was der gefunde Kopf des Menfchen vermag, bezeugen
unter vielem andern Zeugen — die Sprichwörter, in de—
nen ein Schag von Weisheit und Klugheit hinterlegt ift, dem
der Zahn der Zeit nichts anhaben Fann, der fih im jedem
Menfchenfopfe verjängt, in jedem Menfchenherzen neu aus—
fpricht, und der Eeine Bewährung dur die Zeit bedarf.
Sailers Sprichw. 1 !
Dazu kommt noch dad Auffallende, daß die Sprich—
wörter aller Nationen der Erde in mancherley Lehre und Lehr:
weife wunderbar zufammen treffen, und ſich in diefer wunder—
baren Harmonie erhalten; indeffen die Syſteme auch in dem—
felben Lande, und in demfelben Fahrzehende einander
rüftig befriegen, und fi faft nur durch die Geburt eines neuen,
das aus den Ruinen des Alten hervorgeht, einige Weile im
Andenken erhalten fonnen. Es muß alfo ein Etwas, und
ein und dasfelbe Etwas feyn, das allen Sprihwörtern
aller Nationen, alfo au denen der Deutfchen zum Grunde
liegt, und dies Etwas, died Eine wird wohl fo ausgedrückt
werden konnen: „Es gibt eine Wahrheit, die die Natur und
„die Vernunft in aller Menjchen Herz gefehrieben, und in aller
„Menſchen Mund, gelegt hat.‘
Diefe Einheit der Wahrheit fchließt aber nicht aus —
weder die Berfihiedenheit der Geprage, noch die Verſchie—
denheit der Entwickelungsmittel in verfihiedenen Zei—
ten, Weltgegenden, Nationen. So iſt es unwiderfprechlich,
daß, fo wie die ganze europäifche Bildung dem Chriftenthume
ihr Beites zu verdanken hat, fo auch mit dem Chriftenthume
ein neuer Geift der Wahrheit, eine neue Fülle des Lichtes in
Deutfhland, und fo fort in die Sprüche der deutihen Nation
gekommen fey. Davon an feinem Orte Bepipiele genug.
Alſo: „res gibt Eine Wahrheit bey allem Wed:
ſel des Gepräges, das in mancherley Sprichwörtern man-
cherley, und bey allem Unterſchiede der Entwickelung,
die der Menfhenvernunft zu Theil geworden iſt.“ Und:
wenn es Eine Wahrheit gibt, die in alle Men:
ſchenherzen gefhrieben, und im aller Mund ges
legt. ift: fo muß es wohl aud einen Gemeinfinn der
Menſchen für die Eine Wahrheit, ein sensorium com-
mune, einen sensus communis natur, einen sensus ve-
ri, geben, den man allgemeine Menfchenvernunft, allgemeis
nen Menfcdenverftand, allgemeinen Menfchenfinn, allgemei=
nes Mahrheitsgefühl, fo oder anders, nannte und nennt.
Dieſe Ueberzeugung von der Einen Wahrheit, und dies Ge—
fühl fir die Eine Wahrheit, diefer Gemeinfinn leitete wohl
auch die beffern Sammler der Sprichwörter, und unter ans
dern bat fie. Sebaftian Frank deutlich ausgefprochen in feinem
Bude: „Sprichwörter, ſchön, weife, herrlich
„ehugreden und Hofffpräd, darinnender als
‚ten und Nahfommenen, aller Nationen und
„Sprachen große Vernunft und Klugheyt. Was
-
In 7
jpauh zu ewiger und zeitlider Weisheyt, Tu:
„zent, Zucht, Kunft, HDausbaltung und Wefen
„dienet, gefpürst und begriffen wurd. Zufams
„mendragen in etlich taujend Inn luſtig, höff—
„hich, Teuſch bekfurzt, beſchrieben und ausgele—
get. Inder Vorrede gibt er den Unterſchied zwiſchen Spriche
wörtern, Gefegen und Lehren fehr richtig an.
Die Alten haben nad ihm die Summe eines ganzen
Handels, des Gefeges, einer langen Sentenz als den Kern in
ein enges Sprüdlein, inein verborgenes Grifflein
gefaßt, dabey mehr zu verftehen gegeben, als deutlich ausge—
drücdtwird. Sn Geſetz und Lehre, behauptet er, wer:
de mit vielen Worten gleihfam entfaltet, was in den rech—
ten, natürliden Sprihwörtern abgekürzt, in eine Summe
begriffen, und als ein feltfamer Fund wie in Figur und Tro—
pus vorgelegt wird.
Die große Weisheit aller Weifen, feßt er bey, fey in
folhe Sprihmwörter, die die Griechen Apophthegmata, die
Sateiner Proyerbia nennen, als in einen verfchloffenen Ka—
flen eingelegt. Es fey auch unter allen Lehren, Menfchenurs
theilen und Sentenzen nichts Wahreres noch Gewifferes, als
die Sprichibörter, die die Erfahrung gelehrt, aud die Na—
tur und Vernunft in aller Menfchen Herzen und Mund
gefchrieben und gelegt hat. Es fey in zwey oder drey Worten ,
eine ganze Predigt begriffen, davon recht und nach der Länge
zu reden, viel taufend Worte und SPapierblätter nicht genug
wären. Die Alten hatten wichtige, mächtige, große Urtheile
in ein facit oder summa summarum fließen wollen.
Diefe Uebergeugung von der Einen Wahrheit, und
dies Gefühl für die Eine Wahrheit, diefer Gemeinfinn
bat fih au in unfern Tagen, die an Gahrung und Gäh—
rungsftoff Eeinen Mangel haben, bey der Mehrzahl unverfehre
erhalten. — Sch fage bey der Mehrzahl. Denn, daß man
in vielen Schriften, die auf Wiffenihaft, Syſtem ꝛc. Anfpruch
machten, den gefunden Menfchenveritand, die gefunde Mens
fhenvernunft, den Gemeinfinn der-Menfchheit ꝛc. lächerlich
gemacht, und verfchrien hat, ift fehr natürlich.
Es mußte ja der Widerſpruch, in den fid) die Syſteme
gegen die gemeine Anficht gefeßt hatten, zernichter, und die
Trägheit derer, die ſich gegen die Pfeile der Spfteme hinter
dem Bollwerke des gefunden DBerftandes verſchanzten, gezüch—
tiget werden. Und, wenn der Gemeinfinn (sensus commu-
nis) auf den tollen Einfall gerathen wäre, Syſteme bauen
1 *
4
zu wollen, das ſich die Speculation als ein Regale vorbehat-
ten hatte: fo wäre der Tadel nicht ganz ungerecht, Aber ich
denke, Jedem das Seine — ift das höchſte Gefer der Ges
zechtigfeit, das man überall Eennt, aber nicht überall befolgt.
Gebet der Speculation, was ihrer,
Dem Gemeinfinne der Menfchheit, was fein ift.
Es bat auch zu allen Zeiten unter wahren Gelehrten
Edelfteine gegeben, die dem Gemeinfinne volle Geredtig--
keit widerfahren ließen. Und dies waren gerade die, welche
fharfiihtig genug waren, den Spftemen auf den Grund zu
fehen, und gewandt genug, ber Speculation den Puls fühlen
zu Eönnen. |
Einer aus ihnen hat auch von dem Gemeinfinn (sensus
communis, sensus veri, recti, pulcri) die erfchöpfendite
‚ und finnreichfte Erklärung gegeben, dieſe nähmlich: „Der
sensus communis befteht in einem alle Schlüffe praveniven=
den Sa und Amen zu allem, was göttlich, tugendlich, und
wohllautend ift; und das darum, weil die Weisheit, die auf
allen Gaſſen, und in Societäten unfichtbar gegenwärtig iſt,
lege communis assistentie, im Gewiffen der Menſchen zu
allem Guten mitwirkt.“ *)
Ausführlicher ftellte derfelbe Verfaſſer in feiner Schrift**)
Das Wefen des Gemeinfinnes dar.
Daß dieſer Gemeinfinn der Menfchheit für die Cine
Wahrheit nichts anders fey, als der Eine und derfelbe Ver—
nunftinftinct, der den Menfchen von dem Thiere fon»
dert, indem er ihn über das Thier erhebt ... . darauf kamen
die Forſcher bald. Denn, da fie fi) nicht verhehlen Eonnten,
daß z. B. viele Sprüche der Deutſchen jenen der Griechen und
Roͤmer ꝛc. ſo ähnlich ſeyen, wie ein Funke dem andern: fo
mußten ſie ſich auch eingeſtehen, daß alle dieſe Funken Kin—
der Einer Sonne ſeyen. Da nun die Menſchenvernunft
nicht griechiſch, nicht lateiniſch, nicht deutſch iſt, ſondern Ver—
nunft ſchlechtweg; da nur die Sprache griechiſch, römiſch,
deutſch, aber die Wahrheit, die die verſchiedenen Sprachen aus—
- drücken, nicht griechiſch, römiſch, deutſch, fondern Eine iſt:
fo mußten fie feftfegen: „Ein Vernunft: Inftincs,
„Sine Vernunft, Eine Wahrheit.“
*) DHettingers Reden nach dem allgemeinen Wahrheitsgefühs
le, ater Theil S. 1065. Tübingen bey Frank, 1759.
**) Inquisitio in sensum communem st rationem , nee nor
utriusque Regulas. Tubing® 1753-
6
Dem zufolge waren ihnen die einſtimmigen Sprichwör—
ter der Nationen, fo viele Spiegel der Einen Vernunft, die
fie alle gebildet hatte. Die Vernunft fviegelt fih in den
Sprüchen vernünftiger Menfchen, wie überhaupt die Gedans
ten in der Sprache. *) Bey diefer Erklärung blieben die mei>
ften Forfcher fteben, und merften nicht, daß fie auf halben
Wege ftehen geblieben find.
Die Eine Wahrheit in fo vielen Sprichwörtern aller ge=
bildeten Nationen weifet allerdings auf die Eine Vernunft.
Aber, was it denn diefe Eine Vernunft? Wie Fommt es denn,
daß die Menfchen, die fih durch Klima, durch Regierungs—
form, durch Sprache, durch taufend widerfprechende Meinuns
. gen unteriheiden, in fo vielen Sprüchen zufammen treffen ?
— Diefe Frage, die alle wahren Philofophen zur weitern Nach-
forfhung getrieben, und mit ihr befchaftiget hat, entging dem
Ariftotele3 nicht; und au im Plutarch bemegte fie
ſich. Erasmus führt ihre merkwürdigen Meinungen an.
Aristoteles hält dafür: „Die Sprichwörter feyen
nichts anders, als die Reliquien jener alten Philofophie, die
fih in der Vorzeit aus den Auinen der menfchlichen Dinge.
gerettet haben. Man fol fie dephalb nicht oberflächlich anfe-
ben, fondern mit erıtitem Fleiße unterfuchen ; denn es lägen
unter diefer Afche Funken der alten Weisheit verborgen,
die zur Auffindung der Wahrheit noch fharffinniger war, als
die jpatere Philoſophie.“ ’
Plutarch glaubt: „Die Sprüche der Alten feyen den
Myſterien ähnlich, in denen die erhabenften Gegenftande durch
Eleinliche, oft Lächerliche Ceremonien angedeutet wurden. Sn
den Hüllen kurzer Sentenzen verbargen die Alten, was die
Fürſten der Philofophen in großen Schriften enthüllten.“
Daß beyde Männer der Wahrheit recht nahe gefommen
feyen , wird fidy fogleich ergeben. Diefe Frage, die fich hier
zunächſt auf das Eine Wahre in fo vielen Sprüchen befchränet,
bat ein Philofoph, der nie Zeit fand, unter dem Mantel der
Philofophie zu fpielen, weil ihm der Geift der Wahrheit Eeine
lieg, in ihrer Allgemeinheit aufgefaßt, und mit der eriten
GründlichEeit gelöfet, in feinen Ouvres philosophiques,
ou demonstration de l’existence de Dieu, & Amster-
dam 1731.
) Les langues sent le miroir de l'es prit humain. Leibniz,
I
—
Nachdem er gezeigt hatte, daß der Menſch die Idee
des Unendlichen in fih hat (L); daß er durch die Idee des
Unendlichen das Endlihe erkennt (LI); daß die Ideen des
Menſchen univerfal, ewig und unmandelbar find (LIL); daß
der Menſch, ungeachtet aller diefer Ideen, in feiner. Erfennt-
niß ſchwach, ungewiß , beſchränkt, unvollEommen , und voll
Taͤuſchungen ift (LIT); daß die Ideen des Menfchen die un—
wandelbaren Negeln feines Urtheiles find (LIV): enthüllt er
das Wefen deffen, was jeder feine Vernunft nennt (LV—LX)
auf eine fo tieffinnige und zugleich einleuchtende Weiſe, daf
ich fagen muß: das Tieffte, was unfere beften Philofophen
in den Tegten drenfig Jahren über Vernunft leife ahnten,
oder laut ausfprachen, babe die Klarheit und Wahrheit diefer
Darftellung noch nicht entbehrlih machen fonnen. Der Aus
genſchein wird den Leer überzeugen, wenn er ın den Sinn
nachftehender Betrachtungen, die bloß Ueberfetzung find,
eingedrungen ſeyn wird,
LV. N
„Wahrhaftig, meine Vernunft ift in mir; denn wenn
ich fie finden will, muß ih von Außen zurück, und in mich
feibft hineingehen. Aber die höhere Vernunft, die mich, wenn
ich es bedarf, gleichfant zur Vernunft bringt, bey der ich mich
Raths erhohle, ift nicht meine Vernunft, ift nicht ein Theil
von mir. Denn diefe Regel ift vollEommen und unwandelbar,
ih hingegen bin wandelbar und unvollfommen, Wenn id
auf Erummen Wegen gehe, fo verliert fie nıe die gerade Rich—
tung. Wenn ich wieder auf den rechten Weg Fomme, fo ift
fie e8 nicht, die fich felber zurecht weifet; ſie iſt es vielmehr,
die mich durch ihre Uebermacht wieder zurücruft und zurück
weifet, ohne je felber von dem rechten Wege auszugleiten.
Es ıft ein innerer Lehrmeifter, ein-Gebiether, der macht, daß
ich ſchweige, daß ich vede, daß ich glaube, daß ich zweifle, daß
ich meine Fehler befenne, oder meine gefaßten Urtheile be—
baupte. Wenn ic) ‚ihn höre, fo werde ih in der Wahrheit
unterrichtet; wenn ich mir felber Gehör gebe, fo führe ich.
mich felber irre. Diefer Lehrer ift allenthalben, und feine
Stimme laßt fih hören von einem Weltende zum andern, laßt:
fih hören in allen Menfchen, wie in mir. Indem er mich ın
Sranfreich zurechtweifet, fo ift er e8 auch, der die andern Men—
ſchen in China, in Sapan, in Mexiko, in Peru, durch den—
felben Grundton der Wahrheit zurecht weiſet.
LE
„Zwey Menfchen , die ſich einander nie gefehen, einan-
der.nie reden gehört, nie mit einem dritten Manne Verkehr
hatten, der ihnen gemeinfame Begriffe hätte beybringen kön—
nen, veden an den zwey entgegengefeßten Enden der Erde von
gewiffen Wahrheiten fo einftimmig, als wenn fie ji) mitein-
ander verabredet hätten. Man weiß auf der einen Hälfte
des Erdbodens gewiß, was die Bewohner, der andern auf ge-
wiffe Lehrfragen antworten werden. Menfchen aus allen Län—
dern und Zeiten, wie auch immer ihre Erziehung beichaffen
feyn mochte, finden fih durch eine unbefiegbare Nöthigung
getrieben, von gewiſſen Dingen gleich zu denken, und auch
gleih zu reden. Der Lehrmeifter, der uns unaufhörlich uns
terweifet, macht, daß wir Alle auf einerley Weife denfen,
Sobald wir unfere Urtheile übereilen, ohne feine Stimme,
mit Mißtrauen auf uns, zuvor vernommen zu haben: fo den=
- Een und fprechen wir Tauter abentheuerlihe Traume.
- AO gehört dasjenige, was ung am meiften eigen, und
der Fond unfers Wefens zu ſeyn ſcheint, ich fage, unfere eiges
ne Vernunft gehört ung am alferwenigften an, und wir mufz
fen fie ganz vorzüglich als ein Lehngut anfehen. Wir nehmen
ohne Unterlaß alle Augenblicke eine Vernunft, die über uns ift,
in uns ein; wie wir alle Augenblicke Luft einathmen, welche.
ein fremder Körper ift, oder wie wir die Körper um uns ſehen
— nur durh Hülfe des Sonnenlichtes, deffen Strahlen un—
fern Augen nicht angehören. . “
Dicieſe höhere Vernunft beherrfcht, bis auf einen gewif-
fen Punct, mit unbedingter Gewalt alle, auch) die unverftän:
digften Menfchen ; indem fie macht, daß fie, auch wider ihren
Willen, in gewiffen Stücken miteinander überein kommen.
Diefe höhere Vernunft it es,.die macht, daß der Wilde in
Canada viele Dinge fo anfieht, wie. der Philofoph in Athen
und in Rom. Es iſt das Werk diefer höheren Vernunft, daß
die Chinefen in der Geometrie faft auf diefelben Lehrfäge ge—
Eommen find, wie die Europäer, da fie doc) fo weit von ein—
ander entfernt, einander ynbefannt geblieben find. Ihr Werk
ift e8, daß in Japan, wifin Frankreich, zweymahl zwey vier
macht, und inan Feine Urfache hat zu fürchten, daß die Völ—
Eer bierein je ibre Ueberzeugung ändern werben. hr Werf
ift es, daß die Menfchen noch in diefen Tagen von vielen Din—
gen nicht anders denfen, als wie die Menfchen vor vier tau—
ſend Jahren gedacht haben. Ihr Werk ift ed, daß auch die
Menfhen, die einander feindfelig beneiden, und unverföhnlic
haſſen, von vielen Dingen einerley Gedanken haben.
Sie ift es, die die Menfchen aller Zahrhunderte, und
aller Weltgegenden, wie mit einer Kette, in dem Mittelpunc-
te gewiffer unmwandelbarer Regeln, die deßwegen die erften
Grundfäße heißen, zuſammenhält, ungeachtet der unendlid
vielen Varianten von Meinungen, die von ihren Leidenfchafs
ten, von ihren Zerftreuungen, von ihren Einbildungen bers
rühren in Sachen, die weniger Klarheit für fih haben. Ihr
Einfluß ift es, daß Menſchen, fo verderbr fie auch feyn mö—
gen, doch nicht vor aller Welt Augen dem Lafter den Nahmen
der Tugend beylegen: fondern ſich genöthiget fühlen, wenig-
‚ftens den Schein auszuhängen, daß fie gerecht, aufrichtig,
mäßig, wohlthätig feyn, um die Achtung Anderer für fich zu
gewinnen. So weit wird man es nie bringen, daß man ges
radezu hochachten kann, was man hodhadıten will, geradezu
verachten Eann, was man verachten will. Diefe ewige Bar—
rieve der Wahrheit und Gerechtigfeit zu überwältigen — das
vermag feines Menfchen Gewalt.
Der innere Lehrmeifter, den man Vernunft nennet,
wehret fih dagegen mit Vorwürfen, die feine unbedingte
Macht ausfprechen. Er leidet es nicht, und er weiß, die
ſchamloſeſte Toliheit der Menfchen zu befchränken. Von fo
vielen Jahrhunderten ber, in denen das Lafter-den Oberherrn
fpiefte, bat die Tugend gleichwohl noch den Nahmen QTugend
behalten, und das Beſitzthum diefes ihres Nahmens werden
ihr auch ihre frechſten und brutaliten Feinde nicht rauben
Eönnen. Daher koͤmmt es, daß das Pafter, ob es glei) in
der Welt triumphirt, fih doch genothiget findet, unter der.
Larve der Heucheley, oder der falfhen Rechtſchaffenheit ſich zu
verbergen, um nur einige Achtung fich zu erlügen, auf die es
Verzicht thun müßte, wenn es fi) im feiner wahren Geftalt
zeigen würde. And fo ift es feldft das Lafter, fo ſchamlos es
auch feyn mag, das wider feinen Willen der Tugend huld i—
gen muß; indem eg ſich mit dev Schönheit der Tugend ſchmückt,
um die Ehre zu empfangen, die man ihr nicht verfagen kann.
Alferdings tadelt man auch tugendhafte Menfhen, und fie
find biernieden nie tadelfrey, um ihrer Unoollkommenheiten
- Willen. Aber aud) die böfeften Menjchen Eonnen nicht voll-
Eommen auslöfchen in fi felber — die dee der wahren
Tugend.
Noh bat kein Menſch auf Erde gelebt, der fich oder
Andere hätte überreden, und in allem Ernſte vor der Welt
9
zu behaupten Muth genug in ſich finden Fönnen: ein Be:
trüger verdiene mehr Hochachtung als der ehr—
liche Mann;undesfeyehrenwerther, ein fhnell-
aufbraufender, boshafter Menſch zu feyn, als
fich felbft zu maßigen, und Öutes zu than.
LVII. — —
„Der innere und Univerſal-Lehrmeiſter ſpricht alſo im—
mer und überall eine und dieſelbe Wahrheit aus. Wir ſelber
ſind dieſe Lehrmeiſter nicht. Es iſt wahr, wir reden oft ohne
ihn zu hören, und überſchreyen ihn ſogar. Aber alsdann ir—
ren wir, und betrügen uns ſelbſt, und verſtehen uns nicht.
Wir fürchten uns ſogar davor, ſehen zu müſſen, daß wir uns
ſelbſt betrogen haben; wir ſtopfen unſre Ohren zu, um durch
feine Lehr- und Strafreden nicht gedemüthigt zu werden. Es
iſt außer allem Zweifel: der Menſch, der ſich fürchtet, durch
dieſe unwandelbare Vernunft beſtraft zu werden, und der ſich
immer verirret, ſo oft er ihr nicht folget, der Menſch, ſage
ich, kann dieſe volllommene Vernunft, dieſe unwandelbare,
dieſe Univerſalvernunft, die ihn wider ſeinen Willen ſtraft,
nicht ſelber ſeyn. |
Ueberall finden wir gleichfam zwey Prinzipien in ung:
eines gibt, das andere empfängt; eines fehler, das andere
macht den Fehler gut; eines täuſchet fi, das andere weiſet
es zurecht; das eine, von feiner Meigung überwältiget,
fpringt von der geraden Bahn ab das andere lenft es wieder
ein. Diefe Erfahrung, ſchlecht aufgegriffen, und unrecht ver-
ftanden, erzeugte den Irrthum der Marcioniten und Ma-
nichaer. N
Seder findet in fich eine Vernunft, die eingefcehranft und
unterwürfig ift, die Fehlfchritte thut, fobald fie fih von jener
_ voliitandigen Unterwürfigkeit losfagt, und die nie wieder zu=
vecht Eommt, bis’ fie fich wieder ergibt unter das Joch jener
andern Vernunft, die die höhere, die unmwandelbare, die Uni-
verſalvernunft iſt. So trägt denn Alles in uns das Gepräge
einer unterwürfigen, befhranften, fih leicht
ubereibenden, geborgten Vernunft, einer Ver—
nunft, die fietS der höhern bedarf, die fie jeden Augenblick
ins rechte Geleis zurücbringe. Alle Menfchen find vernünf-
tig durch Eine und diefelbe Vernunft, die ſich ihnen in ver:
fchiedenen Stufen mittheilt. Es gibt der Menfchen einige,
die wahrhaft weife find. Aber die Weisheit, aus ber fie ſchö—
10
pfen als der Quelle, und die fie zu dem — was fie find,
iſt eine Na
LVIII.
„Wo iſt fie nun aber dieſe Weisheit, dieſe Univerſal—
Bernunft, die über alle beſchränkte und unvollkommene
Bernunft des menfhlihen Gefchlechtes erhaben ift? Wo
iſt es, diefes Drakel, das nie fchweigt, und wider das alle eitlen
Borurtheile der Völker nichts vermögen ? Wo ift diefe Eine
Vernunft, bey der die unfere jtets ſich Raths zu erhohlen bes
darf, und die und bevorfommt ; indem fie in ung das Verlan—
gen erwedt, ihre Stimme zu vernehmen? Wo iſt es, diefes
lebendige Licht, das alle Menfchen, die da in die Welt kom⸗
men, erleuchtet? Wo iſt dies lautere und liebliche Licht, das
nicht nur die offenen: Augen. erleuchtet, fondern auch die ver—
verichloffenen öffnet ; das die kranken Augen heilet, das fogar
Augen verleiht denen, ‚die keine haben, es zu ſehen; das ende
lich ein Sehnen erreget, ‚von, feinen Lichtftrahlen erleuchtet zu
werden, und es dahin bringt, daß es auch die lieben müſſen,
die ſich ſcheuen, es zu ſehen? — Alle Augen ſehen es, und
fie würden nichts ſehen, wenn fie dasſelbe Licht nicht ſähen;
indem nur allein feine lautern Lichtftrahlen — alle Dinge fight:
bar machen. . Wie die fihtbare Sonne alle Körper beleuchtet,
fo erleuchtet dieſe unſichtbare Sonne der Geiſterwelt alles;
was ein Geiftesauge bat.
Das Teiblihe Auge des Menfchen if nicht das Licht fel-
ber; im ‚Gegentheil, es empfängt jeden Augenblick das Licht
von den Strahlen der Sonne, Auf eben diefelbe Weife ift
meine Vernunft nit die Urvernunft, ift nicht die allgemeine,
die unwandelbare Wahrheit, ift nur das Gefäß, durch welches
das urfprüngliche Licht gehet; iſt nur das Ange, welches da⸗
von erleuchtet wird. ;
Zar’ wahrhaftig fie.ift, fie ift die Geiflesfenne, die
die Geifter ungleich mehr. erleuchtet, als die Sonne der Welt
die Körper. Diefe Geifterfonne gibt ung Alles zufammen,
ihr Licht, und die Liebe zum Lichte, die es brunftig fucht.
Wo diefe Sonne der Wahrheit leuchtet, da ift Eein
Schatten, und fie leuchtet auf beyden Halbfugeln der Erde
zugleich... Sie leuchtet über uns bey Nacht wie bey Tag.
Nicht von außen verbreitet fie ihre Strahlen ; in einem jeden
aus uns wohnet fie; Fein Menfch Eann dem andern ihre ©trab:
len verbauen; jeder fieht fiesgleich , in welchem Winkel ver
Welt er verborgen feyn mag. Kein Menfh bat je nöthig,
11
dem andern zu ſagen: Bruder! ziehe 2% zurück, damit ich
diefe Sonne fehen kann; du raubeftAnir ihre Strahlen; du
nimmft mir die Portion Licht hinweg, die für mich beſtimmt
iſt. Diefe Sonne geht nie unter, und duldet Feine Wolken,
als die unfere Leidenfhaften geftaltet haben. „Es ift ein
Tag ohne Schatten. Sie leuchtet den Wilden in ih—
ven tiefften, dunkeliten Höhlen. Nur kranke Augen find es,
die fich vor ihrem Lichte zufchließen, und doch ift Eeim Menfch
fo blind,» der nicht noch wandelt in dem Scheine: eines dun—
Eeln Lichtes , das ihm von diefer innern Leuchte des Gewiſ—
ſens ubrig geblieben iſt. „Dies Univerfalliht enthüllet und
ftellet unfern Gemüthern alle Gegenftande dar, und wir Fön:
neu ohne feine Hülfe über nichts urtheilen; fo wie wir die
Körper der Erde nur duch) Hülfe des Sonnenlichtes unterfcheis
den können,
- LIX. *
„Die Menſchen können wohl auch zu uns reden, um.
uns zu unterweifen, aber wir können ıbnen nicht glauben,
außer in fo fern wir zwifchen dem, was fie uns fagen, und
zwifchen dem, was diefer innere Lehrmeifter fpricht, eine ent—
fheidende Harmonie wahrnehmen, Wenn fie. alle ihre Ver—
nunftſchlüſſe erihöpft haben, fo muß man immer wieder zu
ihm zurückkommen, und von ihm die Entſcheidung hohlen. —
Wenn uns Jemand fagte: ein Theil iſt fo groß wie das Ganz
ze, deffen Theil er ift, fo würden wir uns des Lachens nicht
erwehren Eörinen, und er würde fich verachtlih machen, anftatt
uns zu überzeugen. ’
Sm Grunde unfers Wefens müflen wir den in-
nern Lehrmeifter zu Rathe ziehen, und nur dadurd, daß wir
diefen unfern innern Lehrmeifter zu Rathe ziehen, fo nur und
nit anders Fönnen wir das Wahre, was man uns lehren
will, wahr finden. Es iſt alfo, vechr eigentlich zu reden, nur
Ein wahrer Lehrmeiſter, der Alles lehrt, und ohne den wir
nichts lernen. Alle anderen Yehrmeifter, Eonnen nur in diefe
innerfte Schule hineinführen, aber, der, darin lehrt, ift Er
allein. Da empfangen wir, was wir nicht haben ; da Ternen
wir, was wir nicht wiffen; da finden wir wieder, was wir durch
Vergeſſenheit verloren hatten ; bier, in diefem innerften Fond
unfers Selbſtes, bewahrt Er gewifle Kenntniffe, die darin
verborgen liegen, und erwachen, wenn wir ihrer bedürfen.
Daſelbſt werfen wir die Lüge weg , die wir ehevor geglaubt
hatten,
S
12
Nicht wir Eönnen endurtheilen über dieſen Lehrmeiſter;
Er ift es, der in höchſter Inſtanz das entfheidende Urtheil
über uns ausfpricht — in allen Dingen. Dies it ein ganz
uneigennügiger Richter, und erhaben über und. Wir können
das Gehör verftopfen, und ihm nicht zuhören, aber wenn wir
ibn hören, fo Eönnen wir ihm nicht widerfprehen. Nichts
gleihtweniger einem Menfchen als diefer unfichtbare Lehrer,
der ihn unterweifet, der mit folder Strenge und Vollmacht
richtet. So ift denn unfere befchränfte, ungewiffe und mans
aelhafte Vernunft nichts anders, als eine qugenbliclihe In-
fpiration der erften, höchſten, unwandelbaren Vernunft, die
ſich in ungleihem Maffe allen vernünftigen Wefen mittheilt.
LX.
Man Eann nicht fangen, daß der Menſch felbft die Quelle
der Gedanken fey, die er nicht hatte. Es Laßt ſich noch weni—
ger behaupten, daß der Menich feine Gedanken von Andern
empfange. Denn das, was von Außen Eommt, kann er nicht
als wahr annehmen, ohne es in feinem innerften Fond als
wahr zu finden; indenrer in fi mit den Prinzipien der Ver—
nunftzu Mathe gehen muß, um inne zu werden, ob das, was
man ibm ſagt, nicht mit ihr im Widerfpruche ſtehe. Alfo
diefe innere Schule ift die wahre Schule, im welcher der
Menſch empfängt, was er fih nicht geben, noch von Andern
erwarten kann, die felbft von dem Gegebenen Leben müffen,
wie er. ;
Es gibt alfo eine doppelte Vernunft, gleihfam zwey
Vernunften, die ih in mir finde. Eine bin ich felbft,
die andere ift über mir. Die Vernunft, die ich felbft bin,
it fehr unvollfommen, fie laßt fich leicht einnehmen, übereilt
ſich gern, ift hingegeben dem Loofe, fidy felbft zu täuſchen, ift
veränderlich, ift eigenfinnig, it unmwiffend, iſt beſchränkt. End—
lih, was fie hat, ift nit ihr Eigenthum, ift Lehngut. Die
andere Vernunft ift allen Menſchen gemein, und über alle
Menfchen unendlich erhaben. Sie ift vollendet, ewig, un-
wandelbar, ftets fertig, fih an allen Orten mitzutbeilen, und
alle Geifter, die irregegangen find, zurecht zu weifen. End:
Lich ift fie unfähig, je erfhöpft, oder getheilt zu werden, ob
fie fi gleich Allen, die nur wollen, mittheilt. Wo ift fie nun
diefe vollkommene Vernunft, die fo nahe bey mir, und fo ver—
fchieden von mir iſt? Wo ift fie? Ste muß doch ein wirffiches
Weſen, Fein Hirngefpinnft feyn. Denn das Nichts Eann
nicht vollfommen feyn, noch die unvollfommenen Wefen voll:
‘ 15
kommen machen. Wo iſt ſie, dieſe hochſte Vernunft? — Iſt
/
fie nicht der Gott felber, den ich fuche 9°
Was Fenelon , mit allen Weifen aller Zeiten, in den
voranſtehenden Betrachtungen lehrte, ift kurz dieſes:
1. „Es iſt eine höchſte, eine unwandelbare, eine
Univerſal-Vernunft, die das Licht und das Leben auf
ſich, und in ſich hat.
UI. Und dieſe höchſte, unwandelbare Univerſal-Ver—
nunft, die das Licht und das Leben aus ſich, und in ſich hat,
iſt auch das Licht und Leben, das ſich in allen wahren Erkennt—
niffen aller vernünftigen Wefen aller Zeiten und Gegenden
offenbaret. ;
III. Es ift alfo auch das, was der Menfch feine Were
nunft nennt, in fo fern fie das Wahre erkennt, eine Of⸗
fenbarung.der höchſten, der unwandelbaren, der Univerfal«
Dernunft, eine Offenbarung Gottes. Was bier in feiner
Allgemeinheit angedeutet ift, laßt fih mit derjelden Richtigkeit
auch auf das einftimmige Wahre in den Sprichwörtern aller
Kationen anwenden.
IV. Das Eine Wahre in den Sprichwörtern der Natio-
nen. weifet alfo nicht bloß auf den Einen Vernunftin-
ftinet in den verſchiedenen Menfchen ; weifet nicht bloß auf
die Eine Bernunft in allen Menfchen, die nicht gries
chiſch, lateiniſch, deutſch ze. fondern die Menſchen- Ver—
nunft iſt; fie weiſet auch auf die Eine höchſte, auf die un-
wandelbare, auf die Univerſal-Vernunft, die Gott iz die
das Licht und Leben aus fi, und in fich hat, und die fich in
jeder wahren Erfenntniß aller erfennenden Wefen fpiegelt.
V. Die Zorfcher, die die Bahn der Unterfuchung voll-
enden, werden alfo zu jenen drey Refultaten: Ein Vernunft:
inftinet, Eine Vernunft, Eine Wahrheit, noch dag vierte
binzufegen: Ein VBernunftinftinct, Eine Ver
nunft, Eine Wahrheit, Ein Bott, der die höchſte
Wahrheit, der die höchſte Vernunft ift.
VI. Demnad ift es Elar, daß die gefunde, allgemeine
Menfchen : Bernunft, der Gemeinfinn, ohne jene höchſte, un—
wandelbare, Univerfal : Vernunft (die das Licht aus fih und
in fih hat) Nichts ſey, d. i. weder Vernunft, noch geiund,
noch allgemein fey. — Im Vorbeygehen fey es mir erlaubt,
meiner Zeit ein Wörtchen ing Ohr zu fagen, das nicht ferne
liegt. Worausgefegt, dab ale Menfchen: Vernunft, in ie
fern fie das Wahre erkennt, eine Offenbarung der höchſten Ver—
nunft, der höchſten Wahrheit ift: fo würden die, welde aus
14
ſtolzer Vorliebe für ihre eigene Vernunft, alle höhere Of:
fenbarung verwerfen, ſich lieber ins Auge ſchneiden laſſen, ala
daf fie diefe Sprache wiederhohlen follteny wenn fie, anders
wüßten, wie fehr fie durch diefes finnlofe Erheben ihrer eiges
nen Vernunft über alle höhere Offenbarung, ihre Unwiſſen—
heit documentirten; wenn fie wüßten, daß fhon-das, was
ih meine Vernunft nenne, was an 9 geſund,
was in ihrer Erkenntniß wahr ift, Offenbarung
der höchften Vernunft, nicht mein Eigenthum,
fondern Licht aus dem höchſten Lichte ſey.
VII. Diefe höchſte, dieſe unwandelbare Univerſal-Ver—
nunft, die ſich in aller wahren Erkenntniß aller erkennenden
Weſen offenbaret, die ſich in dem allgemeinen Wahrheitsge—
fühle zu erkennen gibt, davon die Sprichwörter aller Natio—
nen ihr Wahres haben, nennt Salomo mit Recht die Weis—
beit, die auf der Gaffe predigt, und gibt ihr dieſen
Nahmen in feinen Sprihwortern, die felber lauter Prediger
der Weisheit auf der Gaſſe find. Sprichw. J. 20— 23,
„Die Weisheit predigt draußen; fie laßt ihre Stimme hören
auf den Gaſſen; fie ruft an den Eden, mitten unter dem
Volke an den Thoren, und lehret fie: Ihr Alberne! wie lang
wollt ihr albern feyn 7 Wer alfo die Spridworter der Was
tionen , in fo fern fie Weisheitsfehren find, auf ihre Weis-
beitsquelle zurückführen wollte, müßte fagen: Die Sprichwör—
ter find ein Spiegel der Menfhen:- Vernunft, dıe fie
gebildet hat, und ein Spiegel der höchſten, ewig unwan—
delbaren Univerfal:Bernunft, die fie der Menfchens
Vernunft eingegeben hat,
Eben dierangeführte Stelle aus Salomo, die den Titel
diefer Schrift: Die Weisheit auf der Gaffe, oder:
Sinn und Geiſt deutfher Spridwörter %, vers
anlaßt hat, erklärt ihn auch am beiten, |
2: Bon dem nächſten Entfiehungsgrunde einzelner
Sprichwörter.
Was ein Held von ſeinen Siegen kühn genug ſagte:
Veni, vidi, vici, ich kam, ſah, und ſchlug — den Feind,
das bezeichnet genau den nachften Entftehungsgrund der. eins
zelnen Sprichwörter. Einer ſah, fühlte, ſprach — und
das Sprichwort war geboren. Erfah das Ereigniß, fühl:
\ 15
te die Wahrheit, ſprach aus, was er fühlte. Sein Nach—
bar hörte das Wort, fühlte mit — das Wahre, bewährte den
Fund, und ſprach dasfelbe Wort bey ähnlichen Anläſſen nad.
4
So ward das Wort — ein Sprichwort. Denn Sprid-
wort in engfter Bedeutung ift ein Wort, dasin aller-Leus
te Mund it; ein Wort, das von Vielen in einerley
Verſtand bey mancherley Anläffen wiederhohlet wird. Wie
fi) der elektrifhe Schlag der ganzen gefchloffenen Reihe der
Berbundenen mittbeilet: fo trifft die Wahrheit des Sprich:
wortes mit ihrem Blige ale Gemütber, denen fie ſich in wies
derfommenden, oder ähnlichen Ereigniffen offenbarer — wie
im Wiederſcheine.
Daß viele Sprichwörter von einer Nation zur. andern
gewandert feyen, verfteht ſich von ſelbſt. Schon Eberhardus
Tappius Lunensis hat das Einerlep in den Sprichwör—
tern der Römer, der Griechen und der Deutfchen dargelegt in
feinem‘ Werfe: Germanicorum adagiorum cum latinis
ac gracis collatorum Centuriæ septem, ex libera ar-
gentina in ædibus Wendelimi Rihelii MDXXXIX.
In diefen fieben hundert Sprichwörtern Eommen viele
deutfche vor, denen man die römische oder griechifche Abkunft
anſieht. Wenn z. B. der Grieche jagt: „Ein Gott und viele
Freunde, fagt der Deutihe: Man mag fi) wohl Eines Got-
tes, aber man kann fih nicht Eines Menſchen ernähren,‘
Wenn der Grieche jagt: „Wer einen fremden Hund ernährt,
‚ dem bleibt nichts ald der Strid in der Hand,’ fo fagt der
Deutfhe: „An anderer Leute Kindern, und an fremden Hun—
den hat man das Brot verloren.‘ So fand fi) dasfelbe
Sprichwort: „Böſe Raben, böfe Eyer ‚+ fihon bey den No:
mern: „mali corvi malum ovum,‘“ und bey den Griechen:
„RUHE HOCRKOS xarov wor.“ Menn der Grieche, und der
Homer fagen: „Du Fommft nah dem Seite,’ fagt der Deut-
fhe: „Du Eommit, wenn der Ablaß ſchon gegeben iſt.“ Daß
die Sprichwörter des weiſeſten Königs in Sfrael durch Ueber-
fegung und Auslegung der heiligen Schrift längſt zu deutfchen
geworden feyn, bedarf eben fo wenig einer Erinnerung. Was
man in der Schrift lieft, hört man auf der Gafle: — „Der
Saule wendet fih im Bette, wie die Thüre in der Angel.’ —
„Die Motte frißt am Gewande, der Wurm am Holje, der
Gram am Herzen des Mannes.’ — „Die grauen Haare —
eine Ehrenfrone: auf dem Wege der Tugend wird fie gefuns
den.“ —
“0
Hier ift aber nur von den erften Entfteben, nicht
von der Verpflanzung der Sprichwörter die Nede: bar
son im dritten Hauptſtücke von den religibſen Sprichwörtern
dev Deutfhen. Wenn wir alfo zunachft auf die Entftehung
des einzelnen Sprichwortes fehen, fo iſt es offenbar, daß
es fein Dafeyn zu verdanken hat — dem weckenden Ans
taffe und der fprechenden Vernunft. Denn ver Lo—
gos ift wejentlich fprechend, e8 mag von Gott, oder von dem
Menfchen die Rede feyn. Gehen wir aber zugleich auf den
naͤchſten, und auf den legten Grund des Sprichwortes, fo if
e3 der Anlaß, die Menfhen: Vernunft, und die Ur—
Kernunft, was dem Sprichworke das Daſeyn verlieh. Kein
Sprichwort ohne Sprecher. Was im Menſchen ſpricht, iſt
Vernunft, was im Univerſum — Gott.
3. Don tieffirmigen Sprüchen, die bey allen gebilde>
ten Nationen einheimifch find.
Bon den gemeinen Sprichwörtern unterfcheiden fich tiefe
finnige Sprüche, die Haman die geflügelten nannte, die
zu tief find, um je ein Spridwort ım Munde Aller zu wer—
den. Woher Eommen denn aber diefe tieffinnigen Eprüche ?
Die Antwort liegt nahe. Das Tiefe der Sprüche bat die—
felde Quelle wie das Wahre der Sprichwörter. Und, wer
den inneriten Menfchen in fich Eennt, dem wird der Eine
Urfprung des Wahrbeitsfinnes und des Tieffin-
nes nicht mehr rathfelhaft feyn Eönnen.
„Jedes Menfchen Seele, der es gegeben ift, die Wahr:
heit in ihrem eigenen Lichte zu ſchauen, hat, ſobald fie aus
der Anſchauung in das Leben zurückkehrt, einen Sprud aus
der unfihtbaren Welt an die fihtbare geboren. Denn fie will
das Gefchaute feithalten, und in einem bleibenden Denkbilde
feftbalten, fpricht es alfo in einem geflügelten Spruche aus,
der das Denkbild ihrer Anihauung ift.“ Das it alfo- die
Geburtsftätre aller tieffinnigen Sprüche. Diefe gehe i—
me Geburtsftätte tieffinniger Sprüche kennt aber nur
der, dem das Gebieth der Innigkeit nicht mehr fremve ift,
d. b. der den inneriten Menfhen im Menſchen Eennt. Denn
in diefem Gebiethe ift die Anfhauung der Wahrheit
daheim. Hier, wo die Sinnlichkeit der Vernunft, die Vers
nunft der Hoͤchſten gehorcht, hier, wo das Wort der —
Ver⸗
17
Vernunft vernommen werden Fan, alfo die eigentliche menſch—
liche Bernunft, das Vernehmen der Wahrheit, zu
Haufe ift, bier ift das Licht, in dem fih die Wahrheit felber
zu erkennen gibt; bier iſt Anfhauung der Wahrheit, hier ift
Sefthaltung des Angefhauten, bier Geiftesfpruch voll Tiefjinn
und Klarheit. Daher Fommt es denn auch, daß, wie ſich in
der Folge an einem auffallenden Beyſpiele zeigen wird‘, die
tiefinnigften Sprüde unferer Nation von Menfchen herrüh—
ven, bie in dem Gebiethe der Innigkeit fefte Herberge gefun-
den hatten.
Da nun aber der Sinnen: Menfch, und der bloße
Begriffs: Menfc die Heimath des geiftigen Menſchen,
die Innigkeit, nicht kennen? fo ift es an der Tagesordnung,
daß fie fie Tätern, und mit gehaßigen Nahmen verfchregen ,
womit fie ihre Armuth an innerer Anfhauung vorfich-
tig zu decken wiffen. Es ift Ein Wunder, daf der Sinnen:
menfc jene Geburtsftätte, und was darin geboren wird, Un—
finn, der Begriffsmenſch Wahnfinn nennt. Aber der
innige, in fi, uno in ftiller Anfhauung lebende Mann weiß,
daß es Mahrheit und Leben it; was er anfchaut, und ein
Bild der Wahrheit und des Lebens, was er ausfpricht.
Beyſpiele tieffinniger Sprüche finden fich, bey alfen
Schrifiitellern, die tief — genug in fih eingedrungen find.
Denn das Gold Tiegt nur in den Eingeweiden der Erde, nicht
auf der Oberfläche. 3. B.
Ben ©eneca: Bonus Vir sine Deo nemo est,
Gut ohne Bott ift Keiner. — In unoquoque virorum bo-
norum habitat Deus. In jedem guten Manne wohnet
Gott.
Bey Cicero: Nemo magnus sine aliquo afflatu
divino unquam fuit, Nie gab es einen großen Mann,
den nicht Gottes Anwehen dazu gemacht hatte.
4. Unterfchied zwifhen Wahrheit und Wahrheit
in den Sprichwörtern und Sprüchen der Völker.
Die Sprichwörter, die Sprüche find ald Gefäße anzu-
ſehen, in denen die Wahrheit liegt. Nun ift die Wahrbeit
zweyfach. Entweder iſt fie eine ewige, unbedingte, nothwen⸗
dige, allgemeine, oder eine zeitliche, bedingte, zufällige, be—
ſondere. Ewige, unbedingte, nothwendige, allgemeine Wahr—
Sailers Sprichw. 2
18
heit. thut. fih. in jenen Sprichwörtern Fund, die die Geſetze
der Religion, die Gefege der Tugend, die Geſetze der
Natur enthüllen, oder vorausfegen, - Zeitliche, bedingte,
zufällige, befondere Wahrheit thut ſich in den Sprichwörtern
Fund, die die Ereigniſſe des Tages erzählen, die nur den
Inhalt einzelner Beobachtungen , Erfahrungen, Begebenhei—
ten-ausdrüden. Jene ſind wahr, weil fie nicht falſch ſeyn
Eönnen; find wahr, weil fie ewig wahr geweſen find, wahr
find. und wahr bleiben ‚werden; diefe find wahr, wenn fie
wahr find, und bleiben wahr, in fo fern das Verhältniß
der Dinge, dag fie eingegeben bat, unverändert bleibt, oder
wiederfehrt; A —
Ewige, unbedingte, nothwendige, allgemeine Wahrheit
haben viele lateiniſche Sprüche, die Vivis in ſeinem Sa-
tellitium gefammelt, sth J
3. B. Bono viro ‚Deus lex est, malo cupiditas.
Den Guten regiert Gott, den Böſen ſeine Begierde. (Dies
iſt eine ewige, unbedingte, nothwendige, allgemeine Wahr⸗
heit. Denn die Herrſchaft der Begierde macht den Böſen
zum Böſen, die Herrſchaft des göttlichen Geiſtes den Guten
zum Guten). —D— ig |
.. Ebrietas, ‚nec.madida nec ‚sicca, ;Eeinen Rauſch!
Keinen von Wein, keinen von der Leidenfchaft. (Dieſe Sit:
tenregel iſt allgemein und nothwendig. Denn aller: Taumel
iſt wider die Befonnenbheit). a ; ig
Oculus vit, Sapientia,— Die Weisheit iſt das
Auge deö Lebens (denn, ohne, fies iſt Unſer Leben. eine lautere
Nacht. Nur durch ſie kommen wir aus, Srrwifhen und, Täu—
fhungen, aus der Nacht der Einbildungen in den Tag der
Elaren Anihauung)eis : *
Extorquet quies, Die Ruhe erzwingt's. (Was Fein
Sturm der Leidenschaft erftürmen: kann, das mag die Ruhe
des Weifen, mit dem flillen Machtgebothe der Wahrheit,
erobern).
NMagnes amoris amor. Wo Liebe anflopft, da macht
Liebe auf. | ig Fa
"Veritas temporis-filla, lupus mendacio tempus.
Die Zeit bringt die Wahrheit an das Licht, und verſchlingt
die Lüge. a shit ur
Nxilium inter malos. Unter Böſen leben müſſen,
iſt die rechte Landesverweiſung. Ak
Ne ferrum igni. Gib dem Zorne: fein Schwert in
die Hand. Bern
3
Pertuso dolio aihil infunde. Dem Faſſe mit durch—
ſchlagenem Boden ſollſt du nichts anvertrauen. (Laß keine
Leidenſchaft herrſchend werden, denn jede iſt unerſättlich).
Satis relicturo. Laß dir jest genug ſeyn, was du haft,
indem du einft Alles verlaffen mußt. er.
Zeitliche, bedingte, zufällige, befondere Wahrheit Fün-
det fih in Sprichwörtern an:
Schenfen beißt.angeln, (wenn. der Eigennuß,
oder die Wolluft, oder die Herrſchſucht fchenkt). ’
Ungleihde Shüffeln machen fheele Augen
(wenn nicht reine Gemüther zu Tiſche fisen. Dem alten
Vater gönnet die Tochter, wohl eine beffere Schüſſel; fie ſelbſt
bat fie ihm bereitet).
Die Gabe macht das Kind ftill, den Rich—
ter blind, (wenn diefer das Geld mehr liebt, als das Recht,
jenes nicht zu peinlihe Schmerzen leider, oder zu weit um Ei—
genfinne vorgerücdt it).
Geld ift gute Waare, gilt Winter und
Sommer, (man Eann, damit alles Eaufen, was 1) Waare
ift, 2) auf.den Markt Eommt, oder Marktpreis bat. Denn
die Waare, die einen Herzenspreis hat, kannſt du mir um
Geld nicht abfaufen). E
Der Sparer muß einen Zehrer haben, (Er
muß eben nicht, bat ihn aber fait immer). s
5. Bon fprichwortlihen Redensarten in allen gebilde-
‚ ten- Spraden.-
Kon Sprihwörtern unterfheiden fich in allen gebilde=
ten Sprachen die ſprichwörtlichen Nedensarten, in -
denen fih der Genius der Sprade nah Witz, Laune,
Reichthum, Einfalt x. oft noch vollfommener fpiegelt,
ald in den Sprichwörtern felber. Grasmus hat in feinem
klaſſiſchen Werfe von den Sprichwörtern der Griechen und
Römer (Adagiorum chiliades quatuor cum sesquicen-
turia) die ſprichwörtlichen Redensarten der Alten vortrefflich
erläutert. Keine andere Sprache hat ein Werk von gleichem
Gehalte.
+ 2 *
20
6. Bon dem Unterfchiede zwifchen Sprichwoͤrter und
ii Denffprüche.
Won Sprichwörtern und ſprichwörtlichen Res,
densarten unterſcheiden ſich die Denkſprüche berühm—
ter Männer, die fie entweder erzeugt, oder oft im Munde ges
fuhrt haben. —
Die meiſten Sprichwörter ſind Findelkinder: ihr Vater
iſt unbekannt; ſie werden mehr gefunden, als erfunden. Es
kann auch dasſelbe Sprichwort in verſchiedenen Ländern, und
im ſelben Lande unzählige Mahle neu erſtanden oder gefun—
den worden ſeyn, ohne daß darüber ein Streit entſteht, wem
die Ehre der Erfindung gebühre.
Die Denkſprüche führen alle, wie die der Könige, den
Nahmen derer bey ſich, die ſie als Sprüche ihres Geiſtes
zuerft oder öfter ausgeſprochen haben.
Indeſſen ift nicht zu laugnen, daß oft, was urfprüngs
lich ein Denkſpruch war, fich allmählig zu einem Sprichworte
ründete; indem es durch vieler Menfhen Mund ging, und
fi die fiharfen Eden der Erfindung abſtieß. Nicht felten
hatten die Denkſprüche als ſolche ſchon die fprichwörtliche Kür—-
ze und Ründung, bedurfren alfo Feines Zuſchleifens mehr,
3. B. der Sprud: Zur Gott und Vaterland,
21
Zweytes Hauptſtuͤck.
Von deutſchen Sprichwoͤrtern, ihrem Gepraͤge
nach betrachtet.
N. deutfhen Sprihwörter haben ein Gepräge, das fie
kennbar, und einen Inhalt, der fie einer. befondern Bes
trahtung werth macht. Beydes, Geprage und Snhalt, genau
ins Auge gefaßt, werden ung mit dem Sinne und Geifte der
deutfhen Sprichwörter vertraut machen.
A. Bon dem Gepräge überhaupf.
Es verhält fih mit dem Gepräge der deutſchen
Sprihwörter, wie mit den Gefihtsbildungen der Mens
iden. ‚Die Phyfiognomie des Stalieners z. B. ift eine
_ andere, als die des Deutfchen, aber fie find beyde Phyſio—
gnomien des Menſchen.
So hat die Geſtalt des deutfchen Sprichwortes einige
Merkmahle mir ven Sprihwörtern anderer Nationen gemein,
3 B. daß es dem Bedurfniſſe finnlicher Anfchauungen zu
Hülfe Fommt; andere Merfmahle liegen in dem Genius
derdeutfhen Sprache, in der jedesmahligen Stufe der
Bolkseultur, in den Eingebungen des Ereigniffes,
das. dem: Sprichworte fein Dafeyn gab, in den Eigenhei—
ten deffen, der fein Geifteswort zum Sprichworte madte,
und diefe-Merkfinable geben dem deutfchen Sprichworte die
Phyfioanomie des deurfhen Sprichwortes. Wie aber das
Angefiht des deutfchen Mannes das Angefiht eines Mannes,
und das Angefiht des deutfchen Mannes it: fo find in dem
Gepräge des deutihen Spridwortes die gemeinfamen
und die eigenen Merfmahle vereinigt. Beyde Merkmahle
tollen in diefer Abhandlung angegeben werden.
Die alten deutfchen Sprichwörter haben überdem in ih—
rem Gepräge das_hevvorftechende Merkinahl des Alterthums.
Dies wird man ihnen auch laſſen müffen, wenn ihre Wirk:
famfeit in den Volkskreiſen nicht geftort werden foll. Läßt man
doh den alten Schau— und Denkmünzen, den alten
Gemahlden, den alten Kirchenliedern den-Charafter
des Alterthbums: warum nicht auch den alten deutſchen
Spridwörtern? Und es ift mir, als wenn fie zu jeden,
der ihnen einen [uftigen Frack der neuen Zeit an:
nieffen wollte, mit fefter Stirne ſprächen: Laß uns unfe
ve alte Tracht, die Sitte und ©eberde der
grauen Welt!
B. Das Gepräge alter, deutfcher ARCHE,
i.
Das deutfche ae in ift ein Sprichwort, d. bh. es
kommt dem Bebürfniffe nad) finnfihen Anfhauungen, das
dem Wolke als Wolfe eigen, dem Menſchen als finnlich-
vernünftigem Weſen wefentlich ift, dienftfertig zu Hülfe.
Wie das Volk die Dinge lieber in der finnfihen Hülle ſchaut,
als im überfinnlichen Begriffe denkt; lieber die Urſache in ihrer
finnlihen Wirkung auffaßt, als in der überfinnlihen Wirkungs-
Eraft fich vorſtellt: fo drückt das Sprichwort das Leserfinnliche
des Begriffes, das Unanfchauluche der Urfahe am Tiebiten im
Einnliden des Bildes, im Anfchaulichen der Wirkung aus.
Sch weiß wohl, daß wir an deutfchen Sprihwortern Feinen
Mangel haben, die, ohne auf dies Bedürfniß der ſinnli—
chen Anfhauung zu achten, ſich fogleich an den Verftand
wenden; aber ich weiß auch, daß gerade die beiten, Eräftig«
ften Speichivörter die — —— Wahrheit in eine —5
Hülle kleiden.
Das Sprichwort, das üb Bier meine, hat alfe 'eine
Hülle (ein involucrum), eine ſinnliche Schale), und‘ eine
Wahrheit, eine Sentenze, die durch jene Hülle durchſcheint,
die in jener Schale aufgetragen wird Die Wahrheit ift die
Seele, das Bild der Leib des Spruches/, — Seele
und Leib — das Sprichwort.
So iſt z. B. die Wahrheit nachſtehender Säge: a) Er:
vegung der Leidenschaften in Andern ſchadet zuerft: DE der
fie evreget; b) unfere Urtheile, die das Ende der Ereignifie
nicht abwarten, find fchwanfend und ungewiß; c) ein einzi—
23
ger böfer Geſell Eann die ganze Gemeinde verderben; d) die
Zukunft wird’ enthüllen, was’ ın der’ Gegenwart noch verhüllt
it, für den Verſtand des Denkenden faßlich, aber für den
Sinn nicht anſchaulich; wird aber anſchaulich durch die Hülle,
das Bild den Leib, in dem fie erſcheint, z. B. a) Wer
in das Feuer bläſt, dem fliegen die Funken in die Augen. b)
Die Kugel laufe noch; es kann noch mehrere Kegel geben. c)
Ein fauler Apfel ſteckt hundert an — Ein faules Ey verdirbt
den ganzen Küchen. d) Wenn der Schnee vergeht, fo wird
ſichs finden
Was von Sprichwörtern, das gilt auch von fprihwört-
‚lichen Redensarten. So iſt in den abgenügten, 'gemeinften
Heden, vie man auf allen Gaffen, in allen Stuben bören
Fann: „Laß dir darum kein graues Haar wachen, laß
dir darum Feinen Bart wachen, die peinlihe Sorge,
die das Haar: bleithet, und der Kummer, der die Gefell-
ſchaft meidet, und deßhalb den Baaybiet nicht rufen laßt, rich⸗
= Se
2, a
Das deutfche Sprichwort‘ ſpricht zwar nicht felten auch
Allgemeines aus, ohne es im Beſondern darzuſtellen, z. B.
„Die Liebe geht unter ſich, nicht über ſich; Noth hat kein
Geboth; Erfahrung iſt Meiſter; Begierde iſt Kaiſer. — Aber
am liebſten zeigt es das Allgemeine im Befondern, und madt
das Aligemeine im Beſondern anſchaubar. Dies iſt eine der
gemeinſten For men)“ in der die Wahrheit des Spruches
ſich ankindet. JE
Dieſe Form macht bi, Shih vter recht eigentlich zu
Sprichwörtern. Denn, was im Begriffe allgemein il,
wird im Sprichworte Fein Befon deres, aber durch ein Be:
fonderes, und im Befondern finnlid, leichtfaßlich,
a MA anwendbar. Würde das Sprichwort das
Allgemeine’ des Begriffes aufheben: fo würde es an der An—
wendbarfeit auf die einzelnen alle verlieren, das heißt,
fein Spr ihwort mehr feyn. Würde es das Allgemeine
nicht im Befondern darftellen, fo würde es nicht fo Teiht in
Umlauf kommen, nicht fo leiht ein Gemeingut des Vol:
kes werden können, fondern fo ungeEFannt, und fo un:
frubtbarbleiben, wie unzahlige andere Abftractionen,
Allgemeinheiten, die wir Begriffe nennen.
Zivey Dinge find alfo den Sprichwörtern diefer Art wes
fentlich : — muß die Menge das Wort in den Mund neh—
tn
24
X
men, und ſprechen können. Das Sprechen desſelben
Wortes, und das Sprechen vieler Zungen, macht das
Eine Wort zum Sprichworte. 2) die Menge muß ‚das:
ſelbe Wort bey den täglichen Ereigniffen des ‚Lebens wieder
„anwenden, die alte Wahrheit in den neuen Begebenheiten bes
Tages wieder finden Eonnen,
Das Sprichwort muß alfo Befonderes ausdrücen,
damit es Teiht nadgefprochen werden fann, und im Befon:
‚dern. Allgemeines,damit os leicht angewandt werden ann.
So ift die Lehre: Der Arbeit des Menſchen ift der
Segen Gottes hinterlegt, allgemein. in der Zorde:
rung: Seder fol fleißig arbeiten in feinem Kreife,
und allgemein in der, VBerheiffung: Gott gibt daß Ge—
deihen dazu. Dies. Allgemeine geht in dem Sprichworte:
— Der Müh', gibt ‚Gott Schaf und Kühl; — over:
Gott gibt dem Menſchen einen Ochſen, aber nicht. beyden
Hörnern; — oder: Gott befhert die Kuh, gibt aber nicht
das Seil dazu, — nicht verloren, fondern wird nur in einem
Befondern, in den Schafen, Kühen, Ochſen anfchaubar. Es
ift, als wenn das Sprichwort bey dem Anblicfe der Herde in
‚dem Herzenvdes fleißigen, frommen Hauswirthes wäre gebo-
ven worden. Und jo tragen die Sprichwörter diefer. Art die
Muttermahle, die Windeln ihrer Kindheit noch an fih, da
‚die Begriffe, um allgemeine Gefäße des Einzelnen zu werden,
das Einzelne zuruclaffen mußten.
Noch lieblicher tönt ver Spruch, wenn das, Allgemeine
ganz verſchlungen wird von dem Bejondern, und doch das All:
gemeinwahre der Lehre aus dem Beſondern bervorleuchtet.
So ift.in dem Sprichworte: Hechtenzünglein, Barbenmäus
Yein, bringen den Reiter um fein. Gaulein, — welches die
allgemeine Lehre: Wohlleben macht arm, ausdrückt, fo
wohl das: Wohlleben, ald Verarmen der. Wohlleben-
den in einem Befondern angedeutet, und doc) paßt das Sprich-
wort auf.alle Arten des Wohllebens, und auf alle Arten des
Verluſtes. ns et
Dies Sprihwort gibt ung auch zugleih feine und
ähnlicher Sprichwörter Genefis zu verftehen, und. beftätiget
das, was im erften Hauptſtücke von dem nächſten Entite:
bungsgrunde einzelner Sprichwörter geſagt ward. Eine
Thatfache verewigte fi in dem Sprichworte, dazu fie An—
laß gab. Es mufte gerade ein Ritter feyn, der an den Bet—
telftab Eam, und er mußte gerade durch Vorliebe zu EB ftli-
23
hen Fifhfpeifen an den Bettelltab Eommen; damit ge:
rade dies Sprichwort in diefer Geftalt an das Tageslicht
geboren werden: Eonnte.
>
Das deutfche Sprichwort nimmt das Befondere, indem
es das Allgemeine darftellen will, gern von dem Leibe des
Menfchen , der dem Menſchen das nächſte Berfpeug
feiner Thätigfeit, und dem Beobachter das nächſte Feld
feiner Bemerkungen if. Wenn das Sprihwort z. B. die
Nahbarlihfeit, Vertragfamkeit. anempfehlen will, fo
fagt es: „Oft beißt der Zahn die Zunge, und doch bleiben
fie gute Nachbarn; — oder, wenn,es die Nothwendigkeit der
Ordnung predigen will, fo fagt 8: „Der Kopf muß oben,
die Füße unten ſeyn;“ — oder, wenn e3 die Leiden, dievon
ie uk, kommen, kennbar maden will, fo faat
: „Es find Stiche, die nit bluten;“ oder, wenn es die
u n mäßigfeit in Spiel und Erhohlung ftrafen will, ſo
fagt. es: „Es Eoftet auch Beine, wenn man auf Stecken
reitet.“
Unter den Theilen des menſchlichen Körpers it es befon-
ders der Kopf, das Auge, und die Hand, was in ungähligen
Sprihwörtern vorkommt.
Der K epf: Wenn der Kopf wund iſt, verbindet man
vergeblich die Füße. — Wer Mäufe im Kopfe hat, dem muß
man eine Kaße darein fesen. — Die Leute leben Eines Got:
tes, aber nicht Eines Kopfes.
Das Auge: Wem die Augen in der. Jugend ausge:
ftochen find, der ſieht fein Lebtag nichts. — Die Füriten
haben viele Augen, laffen aber nur zwey fehen. — Wer über
fi haut, dem fallen die Späne in die Augen. — Wo der
Dünfel vor Augen liegt, da kann Fein Licht hinein, — Jeder
Menfh hat zwey Pfeile, die heimlich treffen, und tief ver-
wunden. (Augen.) — ul) das Auge nicht ſehen will, fo
beifen weder Licht noh Brill’.
4
Dem deutfhen Sprichworte biethen neben den Gliedern
des menfchlichen Yeibes die täglihen Bedürfniffe und die Er-
eigniffe des Hauſes, des Lanplebens, der Haus: und Feld:
26
wirthſchaft, des Fuhrweſens 2. einen Reichthum des Befon-
dern dar, womit es das Allgemeine andeutet, z. B.
Berluft ftatt des geſuchten Gewinns: Mans
cher geht nach Wolle aus, und kommt gefhoren nad) Haus.
Fleiß des Landmannes: Sol ſich der Acker wohl
Iöfen, fo fol man ihn auch wohl gürten.
Sehlgriff: Es verfäet Mander- feinen, Haber, ehe er
zum Acer kommt.
Heniſch hat in feinem Thesaurus linguae et sa-
pientiae germanicae mehrere Sprichwörter gefammelt, die
vom’ Fuhrwerke geborgt, große Dinge in Eleine Rahmen faſ⸗
fen. 3:8. Wer Gott läßt Fuhrmann ſeyn, deß Fuhrwerk
geht von Statten, als wenn es geſchmieret wäre, — Unjers
Herrgotts Fuhrwerk ehr langſam und wohl. — Wer in der
Belt mit Gottes —52 fortkommen will, kaun nicht alle
Stock und Stein aus der Fahrſtraſſe rädumen; er muß mit Ge—
duld, und gemach fahre, bis er Abends in die Herberg Fommt.
— Bofer Leute Fahrt währt hicht lang; denn Sort ift nicht
beym Fuhrwerke. — Was man mit Unwillen thut, das knar⸗
vet wie ein neuer, ungeſchmierter Wagen.
Die ſinnreiche Hausmutter hat über dem tä glihen
Anblicke ver Hennen, der Eyer viele Sprichwoörter inven⸗
tirt. 3.8. Man wirft nicht mit Eyern nach Sperlingen.
— Hennen, die viel gackern, legen wenig Eyer. — Wenn
Gott die Eyer zerbrechen will, fo ſetzt er Narren darüber. —
Diele Eriegen um das Ey, und Iaffen die Henne fliegen. —
Mer Eyer haben will, muß der Kennen Gadern leiden.
Der Keller bat viele Sprichwörter eingegeben: Man
Elopft jo lang an den Reifen, bis dem Faße der Boden Aus:
fpeingt. — Man trinke wohl aus Einem Faß, aber nicht Alle
aus Einer Kante. — Wenn das Taf rinnt, fo muß man
die Reife treiben. — Kenn dem Faße der Boden ausgeitoffen
ift, fo bleibt die Hefe auch nicht darin. — Wenn nicht viel
im Faße ift, fo kann man aud nicht viel daraus zapfen. —
Wenn der Wein vom Faße abgelaufen ift, fo verlaufen fi)
auch die Tifehfreumde. — Was man ins unfaubere Faß gieft,
das fauert bald.
Desgleichen die Feder: Das Anfehen ift in Federn.
— Die Feder ſchwimmt oben an. — Wenn der Wind in ei—
nen Haufen Federn Kun fo find fie bald jerftreut. — Schö—
ne Federn, ſchöne Vögel. — Vögel von einerley Federn flie:.
gen gern zufammen,
27
Auch die Glocke, die jedes Ohr lauten hört: Glocken
und Thoren lauten beyde gern. — Schafe wiffen der Glocke
Eeinen Klöppel einzuhängen. — Wenn die Glocke an einem
Orte beritet, fo ift jie ganz untüchtig. — Am Ende fieht man,
was die Glocke geichlagen hat. — Wenn fchon die große
Glocke gegoffen iſt, ſo fehlts doch allzeit noch am Klöppel. —
Se höher eine: Glocke hängt, je heller fie Elingt.
—J —X—
Das deutſche Sprichwort ſchließt indeſſen keinen Bil—
derſtoff aus, und wenn es ihn ſchon am liebſten aus den
nabften Kreife hoher: fo iſt doch der pragenden Ver—
nunft bald dieſer, bald jener Stoff der nächſte. Sohohlet
ſie ihn jetzt
aus der Münzſtätte: Die find mit einem Stempel ge>
ſchlagen. — Den will ih mit gleicher Münze bezahlen.
Ein anderes Mahl vom Hofer Negenten und Wächter
müſſen wenig fchlafen. — Fürſten und Aerzten find viele Tod—
te eıne Schande. ‘
Jetzt von dem. Kriege, oder dem Adel: Hoffart ift
allemahl Sünde, fie habe ein Helmlein auf, oder trage ein
Fähnlein.
Ein anderes Mahl aus der nahen Küche, und aus den
fernen Holziertungen in Gebirgen und Waldern: Die
Welt drehet fihhwie der Hut am Bratenwender, und das
Treibholz.
6.
Das deutſche Sprichwort verſchwindet nicht ungern auf
dem Theater der Menſchen, verlieret ſich in dem Thierkreiſe,
oder in dem Pflanzenreiche ꝛc., und legt der Wahrheit das
Gewand der Fabel an, um fie Fraftiger auszufprechen. Da—
durch werden die Sprichwörter ſtachlig, und graben fi tie-
fer in das Herz, feiter ın das Gedächtniß. So wird die Lehre
der Weltgefchichte : Die Großen der Erde haben große Macht,
wohl zu thun , aber auch große Gewalt, wehe zu thun — in
dem altdeutſchen Spricytworte: Die Adler haben gro:
Be Flügel, aber auch fharfe Klauen, Eräftiger, ſtach—
liger, unvergeßlicher.
Sprichwörter diefer Art find defto Iehrreicher und an-
wendbarer, je gefchiekter fie fih von aller Lehre entblö—
Ben, und auf alle Anwendung Verzicht zu thun feheinen.
Denn fie ftehen bloß als naturhiſtoriſche Ihatfachen da, ohne
j /
ı
28
/
eine Beziehung auf Menfchen anzufünden. Und doch blitzt
fie jedem gefunden Kopfe ins Auge. a
Aus dem Thierreiche.
Selbſtrezenſion: Der Kukuck ruft ſich ſelber aus.
Folgen der Dummbett: Machſt du dich ſelbſt zum
Schafe, fo beißen dich die Hunde, (frißt dich der: Wolf).
Menihlihes Fehlen: Es falle wohl ein Pferd,
und bat doch vier Füße.
Halbes Wollen: Die Kate möchte die Fiſche wohl,
fie mag aber die Füße nit negen.
© Die ſchädliche Auffiht: Der Katze iſt der Kaͤſe
befohlen..— Die Katze hüthet den Speck. — Der Wolf hü:
thet das Schaf.
‚Die Uebereilung, die nichts hervorbringt:
Wenn man taufend Hennen überfegte, fo mögen fie in acht
Tagen fein Ey ausbrüten.
Widerftand und Gabe: Die fhlagenden
Kühe geben auh Milch.
Selbftvertheidigung: Sieht doch — —— einen
Biſchof an!
Das Verſchwinden der Geſellen: In eine
leere Scheuer. fommt keine Maus.
Die Publicität: Die Ganfe fohnattern davon. —
Die Hunde bellens im der Stadt aus. — * Sperlinge fin:
gen's auf dem Dache.
Drückung ber Shwadern: Die Täublein müſ⸗
fen Federn laſſen. N
+ nDie Feigheit des Prahlers: Das Löwernmaul
bat ein Haſenherz. X
Lije und Mühe: Lerchen laſſen ſich nicht unterm
Hüthlein fangen. — Ein Lockvogel ſingt den andern ins Garn.
Ungewürzte Speife: Wenn die Maus fatt ift,
fo iſt das Mehl bitter.
— Gleicher Werth: Hunde, die den Hafen ausfpüren,
find fo. gut, als die ihn fangen.
3, Nuhbende Leidenfdaft: Schlafende Hunde ſoll
man nicht aufwecken.
Wechſelweiſe Schonung der Boͤſen: Eine
Krähe beißt der andern Fein Aug aus.
Ahtung für den Veteran: Wennein alter Hund
belt, fol man binausfehen. r
29
Warnung vor einem böfen Menſchen; Das
Hate fhlägt aus; geh ihm nicht zu nahe.
rfabrung madt bedächtig und ernst: Müde Od:
fen treten hart.
Die Arbeiten der Faulen und geihtfinni-
gen: Halb und halb, wie man die Hunde fcheert.
Gleihgültigfeit bey gewiffen Ereigniffen:
Da Eräbet fein Hahn darnad.
Duelle der Snduftrte: Wenn die Kaken Zunge
haben, maufen fie fleißig.
Natürliche Sntoler anz: Zwey Hunde an Einem
Bein vertragen ſich nicht wohl. — Swey Hahnen auf Einem
Miſt vertragen ſich nicht.
* *
*
Am dfteften unter allen Thieren kommen in beiitfihen
Sprihwörtern Hund, Katze, Pferd, O chſein, Efel,
Gans, Hahn, Henne xx. vor; denn der menfelige Ver⸗
ftand ſpiegelt ſich gern in der nachſten Spiegelfläche, und bil—
det feine Töpfe gern aus der nächſten Erde.
Der Efel paradirt in deutfhen Sprichwörtern fait fo
oft, als die Dummheit im menfdlichen Leben. 3. B. Es find
viele Efel, die Feine Säde tragen. — Auf einem Efel will
Sedermann reiten. — Es iſt beifer, den Efel treiben, als
felbft Sad tragen. — Wo man den Ejel Erönt, da iſt Stadt
und Land gehöhnt. — Vom Erahenden Hahn zum Efel gehen,
heißt Einen Gefang hören. — Es it mehr als ein Efel,
die Martin heigen. — Dem Eifel gehört Haberſtroh, dem
Pferde.der Haber. Es kommt Mancher vom Pferde auf den
Eſel. — Ein Eſel frißt keine Feigen:
Nach den zahmen Thieren iſt es der Wolf und der
Fuchs, die in deutſchen Sprichwörtern am öfteſten vorkom—
men; —* fie der Herde, und der Hühnerſteige fo ge—
faͤhrich find, fo oft wieder kommen - oder auch, weil Gewalt
und Lift fih in das Menſchenleben theilen.
‚Der Wolf: Lamm! Lamm! ift des Wolfes Veſper⸗
glocke. — Dem ſchlafenden Wolfe läuft kein Schaf in den
Mund. — Der Wolf frißt auch von gezahlten Schafen. —
Wenn das Schaf geftohlen ift, fo fagt der Schäfer: der Wolf
hat's gethan. — Wenn der Wolf die Gaͤnſe bethen lehrt, fo
frißt er fie zum Lehrgelde.
Der Fuchs: Wenn der Fuchs die Gans lehrt, ſo iſt
ihr Kragen ſein Lehrgeld. — Es iſt ein armer Fuchs, der nur
50
Ein Lo weiß. — Der Fuchs hat PR als eine Höhle. —
Füchfe muß man mit Füchfen fangen.
Beyde: Wolf und Fuchs haben ungleiche Stimm', aber
gleichen Sinn. — Der Fuchs ändert den Balg, und behält
den Schalk; der Wolf ändert das Haar, und bleibt, wie er
war,
Aus der Pflanzenwelt.
2 Die zu viel thun, thun wenig: Zu viel Din
ger düngt nicht wohl.
Sugend und Liebe find night fern: Wenn Heu
und Stroh beyfammen iſt, ſo brennt es gern.
Es muß feyn: Muß, ift ein bitteres Kraut.
Selbft-thbun, Selbit-haben: Selbſt ift ein gu—
tes Kraut, wächſt aber in allen Gärten nicht.
| Blühendes Glück dauert nit: Auf Roſenblat⸗
ter iſt nicht zu bauen.
Alle frifhe Menfhenfraft verdorrt: Das
fhönfte Grün wird aud Heu.
‚ Der BVielgefhaftige rihtet wenig aus: Im—
mer neues Werg am Rocken, gibt wenig Gefpinnft.
Biel Köpf, viel Sinn: Es ift nicht allen Pi
men Eine Rinde gewachfen.
Gewalt fann Eeine Liebe erzwingen: Ge⸗
waltsblumen riechen nicht.
Wie die Zeit in alle Anſchauungen in ung, und in
alle Ereigniffe außer uns verweber ift: fo fpielt fie in deut—
ſchen Sprichwörtern, die, weiter nichts find, als Abbildun—
gen der innern Anfhauungen und äußerer Ereigniffe, feine
gemeine Rolle.
Es währt Fein May fieben Monathe.- — Man muß der
Zeit nicht vorgreifen. — Alles Ding hat feine Zeit. — Die
Zeit hat Flügel. — Heut ift die Zeit. — Man muß der
Zeit die Hand biethen. — Eine Viertelftund Verzug bringt
Jahrs Aufſchub. — Die Zeit iſt des Menſchen Lehrmeiſter.
Es iſt Fein Tag, er bringt feinen Abend mit fih, — Zeit hat
Ehre. — ha Ding will Weile haben (Zeit).
8.
‚© Unter allen VIER. regiert, in deutſchen
Sprihwörtern das heut, morgen amfihrbarften, 3.8:
-
31
Leben, Sterben: Heut an mir, Morgen van dir.
— Heut reich, morgen eine Lei”. — Heut roth, morgen
todt. © 3 Fun Sören
Ehre, Shmadh: Heut oben, morgen unten. —
Heut. groß, morgen klein. — Heut Herr, morgen Knecht:
ee Rechthbum, Armuth: Heut ein Kaufmann, mor—
gen ein Bettelmann. — Heut ein; Zahler, morgen ein Schuld:
ner,
Verſchub der Buße! Wenn Gott ſagt heut, fagt
der: Teufelmorgen. SEITEN. PR rn
Nihtvertrauen auf die Zukunft: Heut: fol
dem Morgen nichts borgen. 0° *
Ueberlegung: Heut und Morgen iſt auch ein Tag.
Das Faſtemn: Heut faften kocht für morgen die Spei—
e . , (+3
—* —* das Heut und Geſtern bildet viele deutſche
Sprichwörter: Heut erfährt man, was man geſtern nicht ge—
wußt hat 20, ꝛc. * |
\
- Das.alte deutfche Sprichwort liebt dag Megligee, die
bequeme Haustracht, und läßt es den Gottſcheden und Colle—
gen über, ſein Verfahren mit der Grammatik auszuſöhnen.
So find ihm z.B. der Artikel der, die, das, die Endſyl—
be e. gar oft zu lang, das h zu weich: defihalbr bleibt dies al—
les weg. Wie der Mann im Schlafroce fih Fein Gewiffen
daraus macht/ daß feine Strümpfe nicht fireng angezogen find:
fo weiß das altdeutfhe Sprichwort nichts um die Hofetiferte
der gebildeten Sprade. 8. B. anftatt: die Ruthe macht Kin—
der gut, fagt eg: Aut madt gut. — Der Artifelidie,
die. Endfylbe Ruthe, Kinder und das h müſſen wegbleiben,
Die Zeitwörter find dem Sprichworte oft gar zu Tange:
darum befchneidet es die Bor-Eilbe. 3. B. Werkftatt darf
Feines Pallaſtes, — ftatt: bedarf.
Ein Grund, warum das altveutfhe Sprichwort ſo wenig
Fleiß sauf die Vollendung des Gepräges verwendet, und fi
‚darin fo viele Verſäumniß zu Schulden Fommen läßt, ift wohl
auhıder, daß es den Urfprung hat — mehr. im Herzen, das
den Sinn gibt, als im Kopfez der ihn nach der Regel der
Sprachlehre herausfleidet. Dies hat das deutfche Sprichwort
mit jenem der alten Römer gemein. Es ift wirklich. ein Sprich—
32
wort der Deutfchen, das fo lautet: „Den Nömern wächſt die
Rede im Herzen, den Griechen im Munde." — Dies haft
ganz auf die meiften alten Sprichwörter unferer Nation: Den
Deutfchen wachfen ihre Sprüche im Herzen. Daher das ver:
faumte Gepräge. — Daß auch Mangelan Sprachbil—
dung in Deutfcland mit unter die Ur ſach en des verſäumten
Gepraͤges gehören, verſteht ſich von ſelbſt.
10.
Brcepy dieſer Vorliebe zur Haustracht iſt es begreiflich, daß
bie Kürze ein weſentliches Merkmahl der deutſchen Sprich—
wörter ſeyn werde. Die Kürze liegt auch in der Beſtimmung
des deutfchen Sprichwortes; dern wie paßt' es fonft zu feinem
Berufe, die Kurrentmünze deutfcher Völker zu werden? Man
fhlägt wohl Kupferpfennige, aber nicht Kupfergulden:
denn wer möchte fie tragen? Was die Schwere der Münze dem
täglichen Werkehre, das ift dem Sprichworte.die Länge. Greis
und Kind, Mann und Weib, Herr und Knecht müffen das
Spridwort in den Mund nehmen, müffen es auf die Reife
des Lebens mit einpacken Fonnen. Wer trägt gern ſchwer auf
einer Zußreife, gefhweige auf einer Gebirgreife? Und das Men:
fchenleben ift für die meilten Menfchen eine Fuß- eine Gebirgs
veife. 3.8. Herz, wo Geld. — Baar Geld kauft. — Baar
Geld lacht. — Nimmer Geld, nimmer Gefel, — Schein
trügt. — Schaum ift Fein Bier. — Krank Fleiſch, krank Beift.
— Bald ift angenehm. — Früh Eh’, früh Weh. — Wie
Haus, fo Saft. — Wie Saft, fo Koft. — Was zahlt, das.
gilt. — Ein Haus, Ein Brand. — Gleich ſucht fih, gleich
find’t fih. — Schade wigiget. — Tollkühn ergreift dag
Glück. — Endaut, Alles gut. — Stille Waffer, tiefe Grün—
de. — Wer fehmiert, der fahrt. — Selbſt ift der Mann.
— Gott-los, Lieb-los. — Neuer Herr, neu Geboth. — Froh
Muth, halb Zehrgeld. — Biel Rühmens, und nichts dahinter.
— Schamroth, die befte Farb.
11.
Kürze und Leben fchaffet fih das deutfche Sprich—
wort durch das Zeitwort, machen, oder bringen, das in
der gegenwärtigen Zeit, und in der dritten Perfon erfcheint.
Gold macht taub. — Glück made blind. — Neid macht
Leid. — Brot macht Backen roch. — Ehre macht Künftter.
— Kunſt macht Narren. — Eins macht keins. — Gut macht
viel Freunde. — Geben macht Leben. — Anſehen en
ER — zeit
—
3
— Zeit macht Heu. — Geld macht den Markt. — Gleich:
beit macht Freundlichkeit: — Zu frey bringt Heu’, — Wahl
bringt-Oual. — Zeit bringt Beſcheid. —
12.
Das Bedürfniß der Kürze bat unzähligen deutſchen
Sprichwörtern die Öeftaltdespraeteriti passivi, oder
wenigftens eine ähnliche gegeben. 3. ©.
Wohl geſeckelt, wohl gehalten. — Friſch gezuct, halb _
gewonnen. — Jung gewohnt, alt gethan. — Wohl gezogen,
nie gelogen. — Ganz befannt, halb gebüßt. — Friſch begon:
nen, halb gewonnen. — Wohl angerennt, halb gefochten. —
Befler unbegonnen, al&unvollendet. — Süß getrunken, fauer
bezahlt. — Erfpart, iſt auch erobert. — Geftochen iſt nicht
gehauen. j
(er)
> 41
‚Wenn fih die Kürze des Ausdrufes mit ber Fülhle
des Inhaltes paaret: ſo iſt der Rernfpruch geboren. Das
ber hat das deutſche Sprihwort den Charakter des Senten:
sidfen. Zuden h. 10. fhon angeführten Behfpielen noch ein
aar:
? Guter Muth, halber Leib. — Ein guter Freund, ein ed⸗
les Kleinod. — Ein Mantı, Eein Mann. — Das Amt zeigt
den Mann. — Gottes Gewalt, und Herren Gefhafte muͤſſen
vorgehen. — Maß trägt aller Tugend Kron. — Der Wille
thut's. — Daheim ift Ein Mann zwey. — Lieb’ um Lich’. —
Klein Gemadh, groß Gemath.
(An großen Höfen iſt wenig, im des Freundes Hütte viel Platz
. fürdid.)
e * 14.
Das deutſche Sprichwort liebt eigene Weiſe ſich
auszudrücken, und eigene Stellungen der Ausdrücke, ſo
wie es ihm das zweyfache Intereſſe der Kür ze und des Naſch⸗
druckes eingibt. 3.8.
Geld, das thut's. — Ihat, die tödtet den Mann. —
Seine Hände heiffen: Greif zul — Trau’ nicht, iſt gut vor
Betrug. — Toll, ift glücdhaftig. -— Unverdroffen, hats dic
genoflen. — Armuth, alle Thür zuthut. — Der Arm’ heißt:
daß Gott erbarm'. — Frau Untreu iſt Königinn bey Hof.
Sailers Sprich, 3
54 ‘
Bey diefer Vorliebe des Sprichwortes zur Kürge, zur
Haustracht, bey diefem Berufe, die Kurrentmünze deut⸗
ſcher Völker zu werden, ift es begreiflih, warum es jo gern
veimet, der Reim mag fchulgerecht feyn oder nicht. Es will fidy
dem Gedachtniffe einpraaen, damit es nicht vergeffen, leicht
bervorgehohlt, leiht angewandt werden Fann. Und
dazu macht es der Reim befonders geſchickt. Man jagt font,
Eleine Dichter nehmen ſich große Rficenzen; das
gilt gewiß von dem Reimtalente des deutfchen Sprichwortes.
Am beften ıft das Sprichwort gelungen, wenn es den Reim
mit der Kürze paart. 3.8. ;
Wahr, Fahr. (Wahrheit bringt Gefahr) — Würden,
Bürden. — Karger, Arger. — Gemein, Unrein. — Nach—
Heu, Weiber-Reu. — Eigenlob, Narrenprod. — Fleiß
bridt Eis. — Fleiß wird wei. — Vol macht tel. — Glück
bat Tück. — Noth fuht Brot. — Beſchert iſt unverwehrt.
— Borgen maht Sorgen. — Kunft macht Gunft. — Neid
thut ſich leid. — Wolluſt hegt Unluſt. — Wer will, thut
viel, — Biel Jahr', viel Gefahr. — Beſſer gerennt, als ver=
brennt. — Bol Mann, faul Mann. — Gleich Blut, gleich
Gluth. — Gleiche Jahre, die beften Paare. — Armer Gaft,
Gottes Kaft’. — Maß befteht, Unmaß vergeht. — Eitel Ehr’,
bös Geſchwär. — Schnell Spiel überfieht viel. — Wer nicht
wirbt, verdirbt. — Hochmuth thut Fein gut. — Hauszank
währt nicht lang. — Eintracht hat große Macht. — Recht—
thun macht fanftruhn, — Junges Blut, fpar dein Gut. —
— Wein hat feinen Schrein ler dringt heraus und fehwaßt).
— Gold’ maht Menfhen hold. — Geld trügt den Held. —
Seyn ift über Schein. — Eigenlieb ift ein Dieb. — Oft,
Weſt, daheim das Beſt'. — Geſchiehts, man fiehts. — Viel
Naſchen macht Ieere Taſchen. — Mir genügt, wie's Gott fügt.
— Müßiggang, der Tugend Untergang. — Angenommene
Weiſ' zerihmilzt wie Eis. — Hilf bey Zeit, ehs kommt weit.
— Was baldıreift, halt nicht fteif. — Müßiggang hat böfen
Nachklang. — Geitz und Ehr' treibtüber Meer. — Garten—
werk Wartewerf, — Böſer Gewinn, fehnel dahin. — Ar—
mutb, ein Schalf, macht fetten Balg. — Des Hirten Noth,
der Schafe Tod. — Ehr und Geld treibtialle Welt... — Fröh—
lich in Ehren kann niemand wehren. — Gewalt und Lügen
nicht lang tügen (taugen). — Der Herren Vitten ift gebier
then. — Der Greis verkehrt nicht feine Weis. — Gott gibt
3%
Teifen Wind, wenn die Schafe geſchoren find *). — Du —
ſter bethe, du Fürft vertrete, du Bauer gaͤte (ausgaͤte das Mir
‚Fraut). — Lautenfunft macht bey Sungfraun Gunſt. — Im—
mer dran, verderbt Roß und Mann. — Zwey harte Stein’
mahlen ſelten klein. — Es iſt keine Hab’, fie geht auf und ab.
— Zwifhen Thür und Wand Iege niemand feine Hand. —
KeinMefler harter fhiert, als wenn ein Knecht Herr wird.
— Sreundfchaft ift mehr. Noth, als Waller und, Brot. —
Hochzeitgehen, Kinderheben iſt ein’ Ehr', macht aber den Sec—
kel leer. — Koſtete jede Lüg' ein Pfund, man löge nicht zu
aller Stund. — Eigen Neft balt wie Mauer fell. — Dem ct
kein Glück befchert, der dei fih wehrt. — Gewalt, Geld. und
Gunſt ſchwaͤcht Recht, Ehr' und Kunft. — Was du haft,
dep bift du Gaſt. — Kein Ort, der nicht verräth den Mord.
— Thor, laß dir machen ein Ohr! — Die Noth bat auch
morgen Brot. — Armuth im Alter wehe thut. — Beſchert
‚Gott den Hafen, fa befchert er au) den Wafen. — EN
Ban mehr, als aller Bege Lehr.
16.
Das alte deutfhe Sprihwort in feiner ‚Vorliebe zur
Haustracht, zur Kürze, zum Reime ꝛc. bat nicht nur. Feinen
Sinn für die Orthodorie der gebildeten Sprache, fondern ift
auch im Befige eines angeerbten Privilegiumg, neue Worte zu
‚erfchaffen, wenn e3 der Nachdruck, die Kürze, die Laune for⸗
dern.
Die deutſchen Sprichwoͤrter ſind unſern jungen Weltre⸗
formatoren ähnlich, die die alten Geſetze mit Fuͤßen treten,
und neue aus dem Aermel ſchütteln. Nur gelingt es den
Sprichwörtern beſſer, der Wahrheit Vorſchub zu thun als
dieſen, der Gerechtigkeit.
Anſtatt zu ſagen: wenn du jedem ohne nähere Priifung
dich und deine Sachen anvertraueft, fo kommſt du mie deiner
Perfon, und mit deinen Sachen zu Schaden, fagt, das Sbrich⸗
wort: Trau-wohl reitet dad Pferd davon.
Anſtatt: die Reichen finden leicht Eingang bey Hof, und
viel Öunft am Hofe, fagt das RNOOEE, Hans: ee
Bor Gnade AR Hof.
) Ein englifhes Sprichwort auf deutſchen Boden wer
pflangt. N
3
36
Anftatt: wo viel Wein wählt, da wird viel Wein ges
krunfen, fagt das Sprichwort: Voll-Land, Toll:Land.
Anftatt: man Eann auf mancherley Weife zum Bettler
werden : Es gehen viele Straßen nah Darbſtätt', und
Mangelburg. erh,
Anitatt; Mancher wird alt, ehe er verftändig. geworden,
fagt das Sprichwort: Mancher greifet, eh’ er weifet.
Anſtatt: den Spuck- und Geſpenſtergeſchichten Tiegt Eis
gennuß oder Verliebtfeyn zu Grunde, fagt das Sprichwort:
Wo's ſpuckt, daliebt oder Diebe fih's. -
Bon den Reformationen: Beſſern ift oft Böſern.
— Beſſern und Böſern fteht in gleiher Wag’. RI:
Bon der Zeit: Zetit Schiefelmann Schickel⸗
mann wohnt an der Straße. n 3
WVon der übertriebenen Sorge: Zu viel Fleiß
und Sorge bricht das criftallene Glas fo gut als Hans Uns
fleiß, und Kunz ohne Sorgen. —
Von dem Witze, der überall Oberwitz ſeyn will: Es
gilt keine andere Waare, wenn Witz bold die feine auslegt.
Von dem Müßiggänger, der an Bettelſtab gera—
then: Faulert muß zerriſſen gehen.
Von der Verbeſſerung: Das Gute ſoll man nicht
übergüten.
Bon der Geduld: Das Unglück muß man über⸗bö—⸗
en.
1 Von dem Blindfolgenden: Der Reuling folgs
jähen Räthen. Ba RE
Bon der Dürftigkeit: Das Mangel:H ol; hängt
ihm vor der Thür.
Bon der Seltenheit des Wenigredens: Spar»
Wort ift bey den Frauen theuer , u
Bon der Wahrheit: W
de Aehnliche Sprichwörter find: ’3 thut nichts — hat
viel ins Grab gelegt. — Eile ſehr — brady den Hals. —
Bon Dankhab’ ſchmalzt man Feine Suppe.
Andere Sprichwörter creiven zwar Eeine neuen Wörter, _
aber fchalten mit den alten nach Belieben. 3. B. — Was
man Gott gibt, das armet nicht, (macht nicht arın). —
Weit geherretund nah befreundet, (es if gut, fern
vom Hofe zu feyn, und gute Zreunde am Hofe zu haben.)
as Allmann fagt, ift gern
37
17.
Das deutfche Sprichwort verbindet mit der Kürze, d. i.
mit der&@infahheit gern vie Mannigfaltigfeit, mit
der Einheit des Sinnes den Reihthum der Darftellung.
Und gerade hierin zeigt fih das Genie des deutſchen
Sprihwortes am deutlihiten. Reichthum, Mans
nıgfaltigfeitaufeiner, Einheit, Einfachheit auf
- der andern Seite find für jedes offene Auge die auffallenditen
Charaktere deutfcher Sprichwörter. Der Verftand gießt ſich
in alle Formen, und prägt ſich in allen Formen aus, und fpie=
gelt jih in allen Gevragen, in allen Formen, und bey dem
unendlihen Reichthume feiner Gepräge, feiner Formen ift es
immer eine fehnell: hervorfpringende Wahrheit, die fih in der
grogen Mannigfaltigfeit als Eine darftellt, und in auffallender
Kürze und Einfachheit darftellt.
So fannft du, ohne weit zu fuchen, von der Einen Leh—
re: fieb auf das Kleine, denn ausdem Kleinen
wird Großes, eine Menge Sprichwörter finden, die gleich-
fan im Wettfampfe mit einander liegen, dasfelbe immer an:
ders, immer fchöner zu fagen: Viele Tröpflein mahen Waf:
fer. — Diele Reglein machen auch naß. — Viele Reislein
machen einen flarfen Befen. — Viele Federlein machen ein
Bett. — Viele Körnlein mahen einen Haufen. — Diele
Glöcklein Elingen auch. — Von Eleinen Fifchlein werden die
Hechte groß. — Viele Schrittlein machen eine Meile. —
Diele Krümlein geben au) Brod.
Daß alte lein ließ ich hier und überall ftehen, weil es
mit zum Gepräge des alten deutfchen Sprichwortes gehört, und
ed tönet gewiß in vielen Ohren lieblicher, als das gen, chen am
Ende der Wörter.
&o hat die Eine Lehre, erforfche dich felbft, unzählige
Ausdrüde: Gud in dein eigen Häfelein. — Greif in den
eigeh Buſen. — Sieh in dein eigen Spiel. — Sieh zus
erft in dein Haus, darnach hinaus. — Kehr vor deiner
Thür — Sieh in deiner Kühe nah. — Schau in die ei-
gene Schüffel. |
So hat die Eine fprichwörtliche Nedensart: Er hat zu
viel gethan, mancherley Ausdrüde: Er hat über die Schnur
gehauen. — Er hat den Efel übergürtet. — Er hat das Lied—
Tein zu body angefangen. — Er hat um eine Note zu hoch ge—
fungen. — Er hat die Armbruft überfpannt, — Er has den
58
Markſtein überſehen. — Der Hund hat ihm das Maß genom⸗
wen. — Er hat zu viel ins Glas gefeben.
So ift die Kraft des Hungers auf, mandherley Meife be-
zeichnet: Hunger und Karren ſtinkt übeLin. die Nafe. — Hunz
ger macht fobe Bohnen ſüß. — Hunger macht aus Brot Leb⸗
kuchen. — Es muß gegeffen feyn, wenn ſchon der Galgen vor
der Thür ſtünde. — Hunger ift der befte Koh. — Hunger iſt
das beite Gewürz. — Hunger treibt hen Wolf aus dem Bufch.
— Hunger treibt den Wolf.über Schnee und Eis. — Hunger
ift ein ſcharf Schwert. — Hungrige Zliegen beiffen ſcharf. —
Hunger iſt ein guter Redner.
So drückt ſich das Selbſtgefühl: ih werde wohl am
meiften dabey zu leiden haben, auf folgende Weiſe
aus: Es wird mir zu den Nägeln ausſchwären. — Die Ruthe
ift für mic) gebunden. — Ich muß das Bad austrinfen. —
Ich muß die gehe bezahlen. — Ich muß das Haar zum Rau⸗
fen hergeben. — Das Spiel ift auf meinen Sedel angefeben.
— Das wird mein Rüden wohl empfinden. — Das muß ih
auseffen. — Es wird über mich ausgehen. — Die Suse wird
aber mich walzen u. f. w.
J
18.
Dem deutſchen Sprichworte fehlt es nicht am Witze.
Denn ſchon der Reichthum, die Mannigfaltigkeit der
Darſtellung, ſetzet Witz voraus. Der Witz zeigt ſich aber am
ſchönſten in neuen, originellen Zuſammenſtellungen, die
durch das Neue überraſchen, und durch das Originelle zum
Naͤchſinnen nöthigen. 3. B.
Von dem Schlafe: Es iſt Fein größerer Wucherer
als der Schlaf, er ſtiehlt ung das Halbtheil des Lebens.“
a Bon dem Worthalten: Man fahtdas Pferd beym
un den Mann bey. feinem Wort.
Bon Frauenliebe: Fürſtengunſt, Frauenlieb und
Roſenblätter, find wie das Aprillenwetter.
Von dem Reihthbume: Reichthum bat Adlerflügel
und ein Haſenherz.
Bonder Sanftmutb:. Ein Gefunder ift gefchieft
zum Gehen, eın Weifer zum Rathen, ein Sanftinüthiger zum
überfommen.
Bon Schulden: Schulden, Alter und Tod Eommen
unangemeldet ins -
»
—
39
Oft gefällt der Witz des Sprichwortes durch Wieder-
hohlung des Einen und Zuſammenſtellung des Vie—
In: Zalfc Lieb, falſch Freund , falſch Waar, falſch Rath,
falſch Geld, finde man jegt in aller Welt.
19.
Wie der Wis des deutſchen I A in Teichten
Gleichungen, fo lebt er inleigten und furzen Gegen—
fätzen.
Lange Haare, Furzer Sinn. — Viel Wort, wenig Herz.
— LangKleider, Eurzer Sinn. — Fette Küchen, mager Erb.
— Fried nährt, Unfried zehrt. — Zunge Reiter, alte Bett:
ler. Lange Sratwürft, Furze Predigt. (lieben die Bauern
em Kirhweihfefte.) — Hochſchwören zeigt tiefe Lügen. —
Mit EurzerKoft halt man am längſten Haus. — Man ändert
fih oft, und beffert fi) felten. — Alte Schuh verwirft man
leicht, alte Sitten fhwerlid. — Se mehr Gefeß, ie wehiger
Recht. — Der Morgen forgt, der Abend verzehrt. — Junger
E pringer, alter Stelzer, — Sunger Schleminer, alter Bett:
ler. — Früh Summet, fpat ein Zilzhut.
20. i
Gelingt es dem Wiße des deutfchen Sprihwortes, die
Gegenſatze in Bilder einzufaſſen, fo iſt fein Eindruck nur noch
B.
tiefer, ſeine Geſtalt lieblicher.
Von Aenderung der Anſichten: Mancher iſt
einem ein Dorn im Auge; könnte er ihn nad) dem Tode
mit den Nägeln wieder ausgtaben, er würde es nicht
fparen.
Bonden Nachbarn: Guter Nachbar, guter Mor:
gen, böſer Nachbar, ewiger Krieg.
Bon mancherley Erwerbmitteln: Mahler
Fönnen nicht -verderben; geräth der Engel nicht, fo mahlen fie
‚einen Teufel.
21.
Oft ift das deutfche Sprichwort wißig genug, ein Bio:
‚graph zu ſeyn. i
So fand ich in einer Sammlung von Sprichwörtern die
ganze Lebensgeſchichte des Neides in einem Sprichworte ausge—
drückt: Der Neid wird zu Hof geboren, auf der Univer fi
tät erzogen, und im Klofter ernährt, bis er endlich im
Spitale fürbe,
46
"22.
In fo fern der Wig des deutſchen Sprihwortes fein Le⸗
ben in Gleichungen hat; wählt er ſich entweder das: wie,
ſo, zur Leibform, (zur Uniform) zumahl fie auch dem’ Be:
dürfniffe der Kürze fo fehr entiprihe: Wie das Vieh, fo der
Stall. — Wie der Dienft,' fo der Diener. — Wie der Vo—
gel, fo das Neft. — Wie bie Frau, fo die Magd; wie ber
Herr, fo der Knecht.
Dder er macht das wie, fo, durch nähere Beſtim—
mungen entbehrlich. 3. B. Bauermdienft, Bauern:
Iobn. — Herrendienft, Herrenlohn. — Gute
Zudt, gute Frucht. — Rauhe Weid', rauhe Leut.
Oft war dem Sprichworte das wie, ſo, nicht kurz und
wohlklingend genug; deßhalb wiederhohlte es das: ſo z. B.
So Geld, fo Waar. — — Vieh, ſo Stall.
23.
Wie der Big des deutfchen Sprichwortes das Gleiche
zufammenftellt, fo findet er auch leicht das Zufammenge-
börige, und deßhalb wird das: gehört zum — daß: iſt
recht für — eine traute Form des deutfchen Sprichwortes.
PR Me Kunft: Es gehört mehr zum Tanz, als rothe
Zur Ritterſchaft: Die Feder gehört auf den Hut,
das Schwert um die Lende, und Muth ins Herz.
Zum Geſchirr: Auf ein hölzern Geſchirr, gehört ein
bölzerner Deckel. — Dies ift der vechte Zapfen zum Loch. —
Dos ift Frumm Holz zum Löffel. — Das ift der rechte, Vogel
für das Neſt.
Jedes zu dem Seinen: Der Bauer hinter den
Pflug, der Eſel in die Mühle, der Schüler in die Schule.
Zum groben Blode: Zum groben Blocde gehört
eine Bauernart.
Zur Schönheit bes Reibes: Zum fehönen Haufe
gehört ein ſchöner Wirth.
Zum Drefhen: Dem Dreſcher gehört ein Flegel in _
die Hand,
Zum harten Brote: Zum harten Brot, zur harten
Nuß, gehören ſcharfe Zähne.
Zur Frömmigkeit: Es gehört viel zur Haushaltung/
aber * mir zur Srömmigfeit,
4
Zufammen: Faule Eyer, und ftinfende Butier ge—
hören zuſammen.
Zu einem ſolchen Kopfe: Auf einen ſolchen Kopf
gehört eine ſolche Lauge.
Maulund Salat: Das ıft ein rechter Salat für
das Maul. — Diſtelkraut ift-dev rechte Salat für den Efel.
24.
| Dem Witze des deutfchen Sprichwortes thut das: Mo,
- da, treffliche Dienfte, wenn es den Zufammenhang, oder den
Widerſpruch Furz und Flar bezeichnen will. 3.
Die Beftehlihkeit des Bofen: Wo es Gold
vor:regnet, da regnet es Laſter nad.
Glück und Hochmuth: Wo Glück aufgeht, da
gebt Demuth unter.
Liebe und Freude: Wo man Liebe fäet, da wächſt
Freude heraus.
Samilienfreude: Wo man Mater und Mutter
ſpricht, da hört man die freundtichften Nahmen.
Beſtechlichkeit des Richters: Wo man mitgol:
denen Büchſen ſchießt, da hat das Recht fein Schloß verloren.
Macht des Geldes: Wo der Pfennig lautet, da
gehen alle Thüren auf.
25.
Der Wiß des deutſchen Sprichwortes Fann dnigmae
tif (räthfelartig) feyn; entweder um den Stachel zu ver-
bergen, bis er im Herzen darin ftecft, oder, um zum Nachjin-
nen zu nöthigen. 3. B.
Bon der Armuth: Armuth hat um einen Sinn
mehr, ald andere Leute. — Armuth hat einen fehften Sinn.
(Die Noth mat erfinderifch.)
Bon der Liebe: Die Liebe neigt ſich auf die Seite,
wo die Tafche hangt. (Ein junges Weib liebt an ihrem alten
Manne das Geld.)
Ungleihe Heirath: Ein alter Mann, ein junges
Weib, zwey gewiffe Kinder. (Hier it dem Sprichworte
der Doppelfinn gelaffen, und der Stachel fteckt in dein: ge:
wiffe Kinder.)
Däs almählige Neifender Saat: Zeit bringt alles
Getreid, nicht der Acer.
Kein Streit mit Dreyen: Behüth und Bott vor
drey Sabelftihen: — fie madhen neun Löcher.
42 ?
DasNuhfommen des Schlechtern: Böfe Kin
der machen den Water fromm.
26.
Oft ift das Raͤthſelhafte dem, der Eeinen Schlüffel
bat, durchaus unverftändlih.
. B. Wo der Rab ſitzt auf dem Dach, und der
Fuchs vor der Thür: dar hüthet fih Roß und Mann dafür.
-— Hier gibt aber der nachſtehende Neim den Schlüſſel:
— Kopf, rother Bart, böſe Art.
27.
Das deutſche Sprichwort iſt nicht bloß räthſelartig;
es will manches Mahl mit Fleiß zweydeutig feyn.
3. B. Das Sprihwort: Graues Haar wächſt auch auf
einem jungen Kopf, — iſt ald Satyre paflend; denn da
ftraft es den, der in Eurzer Zeit viel gelebt, und fich vor dem
Ende des Frühlings den Herbft herbeygeführt hat. Es ift aber
auch in einem guten Sinne wahr; denn wer in den frühen
Sahren Verftand und Tugend zeigt, wird wohl ein edler
Mann, und ein weifer Greis werden,
28.
Der Wis des deutfhen Sprichwortes kann fein und
naiv ſeyn, wenn er wil. Sein und naiv zeichnet das
Sorichwort 3
Die Erftürmer, bie nichts erſtürmen: Das
Etindtein bringt's.
Die Vielſorger, die nichts erſorgen: Laß
die Vögelein ſorgen, die ſchwache Beinlein haben. |
Die Buntfhwätzer: Ein Brieflein ware gut dazu.
Die Verächter der EFleinen Statur an ta:
pfern Menſchen: Männlein hat Mannsherz.
Die luftigen Brüder, die an nichts Unſicht—
bares mehr glauben: Die Welt fpinnt lauter grobes
Bam _ ß
‚Die Gelehrten, die oben anfeyn wollen:
Die Schreibfeder will Kaiferinn bleiben.
k Das Schweigenfönnen: Mit Schweigen verredt
man fih nicht. — Schweigen verantwortet viel. — Zeitige
Dede Fommt wohl.
Die Eintracht: Eintracht trägt ein.
1
s 48
Die Traume: Der Schlaf it ein Betrüger: im
Traume bringt er Gold, beym Erwachen hohlt er’3 wieder.
Die Genügfamfeit des Armen: Es ifk viel
Speife in den Zurchen der Armen. _
Die Mutterliebe: Lieben Kindern gibt man viele
Nahmen.
Die Neigung der Großältern: Es iſt nichts
liebers als Kindes Kind. ,
Die Selbtfuht: Vor einem Schal im Haus kann
man ſich ſchwerlich hüthen.
Die Spaltungen in Staaten und in Kirchen:
Geſpaltene Glocke hat böfen Ton.
20.
Der Wis audy des gemeinen Sprichwortes Eann fo Eühn
mablerifh, und fo mannigfaltig in feinen Schilde:
rungen feyn, daß der, dem fo ein Gemählde plöglich in das
Auge fällt, davor ftille fteben, und ftaunen muß.
So mahlet es die Un möglichkeit: Der will über
feinen Schatten ſpringen *). — Der will auf Sonnenſtrah—
“Ien reiten. — Der will das Waffer aus dem Schnee drüc-
Een , und Schnee behalten. — Zehn Straffenrauber Eönnen
einem Nackten Fein Hemd ausziehen.
50
Der Wis des deutfhen Sprichwortes verſchmähet die
leihten Wortfpiele nidt.
Durch befinnen Eann man’s erfinnen.
Der Bor:-Mund nimmt fo viel, daß dem Nach—
Mund nichts mehr übrig bleibt. — Worforge verhüthet
Nach forge. — Ein Saher gibt Eeinen’ guten Jäger. (Zu
ſchneil fängt nichts.) — Ungebeiffen Für nehmen hat Fein
gut Aufnehmen.
*) Hier und an vielen andern Stellen nahm ich, der Kür
ze und Klarheit wegen, die Benfpiele fomohl aus den
eigentlihden Sprihwörtern, als aus deh fpricd-
wörtliden Redensarten, ob ich gleich legtern
noch einen befondern Platz vorbehielt.
\
44 —
31. | !
Der Wis des deutfchen Sprichwortes geht bis zur Pa-
. sadorie *).
3: ®. a) Der Sieg ift bey dem Ueberwundenen, —
oder: die Zrommen fiegen im Erliegen. — b) Gott läßt
fih nicht er- laufen. — Staupitz bat dieſes Paradoron fo
ausgedruckt: Gott laßt ſich er-ichleihen, aber nicht er-laufen.
Der Sinn ıft der: Laufen und Nennen thut's nicht, aber
ftill harren bringt’s. Dies ıft auch die eigene ſprichwört⸗
liche Form. — c) Die rechten Todten muß man nicht in den
Gräbern fuhen. — (Denn der Tod des Geiſtes iſt der rechte
od.)
32,
Der Wiß des deutfchen Sprichwortes. haft das Unbe—
flimmte, und ift deßhalb, wo es wohl feyn Eann, arithmetiſch,
fpart aber fait immer das, was er fcharf bezeichnen will, ans
Ende 23.8.
Die Tragheit der Knechte: Drey Dinge thun
nichts, ohne gefchlagen zu feyn, die Glocke, ein Efel,
der faule Knedt.
Die Geduld ayf Heifen: Wer glücklich reifen will,
muß vier Sacel mittragen, den erften gefüllt mit Gefund-
heit, den zweyten mit Gold, den dritten mit einem guten
©efährten, den vierten mit Geduld.
Die Befhwerden des Lehramtes: Drey Arbeis
ten find die fchwerften auf Erde: Des Regierenden, der Ger
bahrenden , des Lehrenden **).
Die Volksmaffe: Drey Dinge find nicht aufzuhal—
ten: Waffer, Seuer, Bolfsmaffe.
) Sebaflian Fran? hat die Paradora gefammelt in feiner
wenig befannten Schrift: Paradoxa ducenta octoginta ,
das ift, CCLXXX Wunderred und gleihfam Raͤterſchaft
‘aus der 6, Schrift, fo von allem Fleyſch ungleublich,
und unmar find, doch wider der ganzen Welt Wohn und
——— gewiß und war. Item aller in Gott philoſophi—
tender Ehriften rechte göttliche Philofophei und deutſche
Theologei 2c. ꝛc. 2c. u
°
*) Dies Sprichwort fchreibt fih von Melanchton her, wer
nigflens ſchreibt man es ihn zu.
45
Die Reichtfertigkeit der Tiederlihen Dire
nen: Drey Dinge gucken allweg heraus: Strob im Schuh,
Spindel im Sad, und ein H. im Haus.
Selbſtthun: Selbſt thur’s gar, Heiffen bie,
Hälfte, Bitten ift umfonft.
Die Verfolgung der Wahrheit: Mier gute
Mütter gebahren vier böfe Töchter: Sicherheit — ©efahr,
Reichthum — Hohmuth, Freundlichkeit — Verach—
tung, Wahrheit — Verfolgung.
Der Neid: Kleider frißt die Motte, Herzen die Gore
ge, den Neidhart der Mei.
Sicherheit vor Ungemadh: Laß den Edelleuten
ihr Wildpret, den Bauern ihre Kirchweih, den Hunden ihr
Spiel, fo bleibft du ungerauft.
Die Probe: Das Gold wird probirt durchs Feuer,
die Frau durchs Gold, ber Mann durch die Frau, -
Schlechte Hanvdelfhaft: Wer von dem Schnei⸗
der den Zwirn Fauft, von dem Schmid die Kohle, und vom
Bäder das Korn, der gebt mit feiner Kaufmannſchaft ver:
lor'n.
Ehre des Alten: Alt Freund, alt Wein, alt Gelb,
führt den Preis in aller Welt.
Sugendfeinde: Bey Mufik, Lieb" und Wein, muß
die Jugend verdorben feyn.
Unverborgen: Huften, Rauch und Liebe laſſen ſich
nicht verheimlichen.
Leere Plätze: Soldaten, Waffer und Feuer, wo bie
überhand nehinen, da machen fie wüſte Pläße.
Der Fang: Mit Hunden fängt man die Hafen, mit
Loben die Narren, mit Gold die Frauen,
Das Neue: Neue Schuhe und neue Beamten liegen
härter an, als die alten. Pit
⸗ Der Geitz: Der Geitz und der Bettelſack ſind boden⸗
los.
Frage nicht woher: Den tapfern Mann und den
guten Wein ſoll man nicht nach ſeinem Herkommen fragen.
Drey Uebel: Feuersbrunſt, Waſſerfluth, Weibertück
find über ale Stud.» , ‘
Kein Scherz: Ehre, Glaube und Auge leiden Feinen
etz.
Das Glück: Das Glüuck has Weiberart, Tiebt die
Sugend, und wechſelt gern. N
/
46
ga Holz, Haar und Unglück wachſen über
Nacht. DER
Die Sorge bannen: Die Gorge verfhläft der
Wälſche, verweint der Spanier , verfingt der Franzos, vers
trinft der Deutfche.
Der Tod des Wuherers: Wenn der Wucherer
ftirbt, fo freuen fi vier: der Erbe wegen des Geldes, der
Glöckner wegen der Leiche, der Arıne wegen des wohl- -
feilen rotes, und der Teufel wegen der Seele.
; Das brave Weib: Der Fiſch iſt gern im Waſſer,
der Vogel in der Luft, das brave Weib daheim.
‚Die Veränderung: Wein, Weiber und hohe Wür-
den änbern den. ganzen Menfchen.
: Das unfreundlide Weib: ‚Drey Dinge find läſtig,
ein Wurm.im Ohr, ein Rauch im Aug, ein zänkiſch Weib im
8
Der Dieb: Der Mönch gehört ing Klofter, derFiſch
ins Waffer , der Dieb an den Galgen.
Der Rath: Sm Laufen ſchnell, im Kaufen bedacht⸗
fam, im Rathen langfam.
Geheimniß: Drey Dinge leiden Eeinen Mitgenoß,
Kegiment, Liebe, Geheimniß.
Die Liebe: Dreyen Rathgebern traue nicht leicht: dem
Wein, der Nacht, der Liebe.
Der Menfh: An der Farbe erkennt man das Tuch,
am Gefchmak den Wein, am Geruch die Blume, am Worte
den Mann.
Liebe, Luſt, Arbeit: Liebe, macht Luft, Luft macht.
die Arbeit leicht, Arbeit macht die Zeit Eurz.
Die unwerthbe Mutter: Eine Mühle, bie nicht ums
geht; sein Backofen, der nicht heiß ift, und eine Mutter, die
nicht gern daheim iſt, ſind unwerth.
Jedem das Seine: Der Kirche den Bann, der
Obrigkeit das Schwert, den Aeltern die Ruth'.
Viel Sachen; Narren, Kinder, Affen haben gern
viel Farben.
Fechtkunſt: Wider Gewohnheit, wider Wahrheit
und wider Gewalt iſt bös fechten.
Polizey: Dreyerley fol man aus den Städten hin—
ausführen: Sieche, Todte, Bettler (die noch arbeiten Eönnen).,
Die Frau: Das Alter, das Amt, die Frauen ſoll mar
ebren. — —
47
Die Waffen der Kirche: Die Kirche hat viererley
Waffen, Gottes Wort, Glaube, Gebeth, und Geduld.
Drey Schläfer: Ölaube, Liebe, Treu’, fchlafen lei⸗
der! alle drey.
Sreyer Sprud: Dreyerley Leuten muß man hren
freyen Spruch laſſen, Herren, Kindern, Narren.
Sittliche Rechnungskunſt: Gut verloren,
nichts verloren, Muth verloren, halb verloren, Ehre ver—
Ioren, Alles verforen.
Unmdglidhe Vergeltung: Gott, Xeltern, und
Lehrmeiftern kann man Gleiches nicht vergelten.
55.
Schon die angeführten Beyſpiele zeigen, daß die
Dreyzahl dem deutſchen Sprichworte viel werth iſt; ob es.
gleich auch die Vierzahl nicht verſchmaht. Wenn es aber
zur Drey oder Vierzahl reimen kann, dann hat es den Gipfel
der Volkspoeſie erreiht. 3. B.
Von der Trunfenheit: Affen, rauen, Kinder,
trunfner Mann, fein Ding lang heimlich halten Eann.
Bon jungen Geiſtlichen, die ihren Weltfinn
nur mit dem Chorrocfe decken: Alte Affen, junge
Kae wilde Bären foll niemand ın fein Haus begehren.
Der Herr: Das Wetter Eennt man am Wind, den
Bater am Kınd, den Herin am Gefind.
Der Thor: Den Vogel Eennt man am Gefang, den
Hafen am Klang, den Efel am Ohr, am Wort den Thor.
Was man foll: Alte ehren, Sunge lehren, Weife
fragen, Narren tragen.
Faule Werke; Beichten ohne Neu, Lieben ohne
Zreu’, Geben nur zum Schein, faule Werke ſeyn (find).
Die drey beften Dinge in diefem Leben find:
—— Huld, des Gewiſſens Unſchuld, und des Mannes
eduld.
Bon der Freundſchaft: Freund in der Noth,
Sreund im Tod, Freund hinter dem Rücken, das find
drey ſtarke Brücken.
Allezeit gut: Der Zungen That, der Alten Rath,
der Männer Muth, find allzeit gut.
Bon der Uneinigfeit: Drey Dinge find nimmer
Eins im Haus: Zwey Hahnen, und die Kaß und‘ Maus;
die Schwieger jagt die Schnur hinaus.
48 | |
Der Schwag er: Alte Brücd i ein falbes. Pferb,
ſchnelle That, nicht wohl erwogen, ein Schwager und ein
Erlen-Bogen; wenn bie beſtehn, find lobenswerth.
34.
Der Wis des deutfhen Sprichwortes weiß von den
Zahlen noch auf manderley treffende Weifen Gebrauch
gu machen. ini
3. B. Wer auf drey Heller geboren ift, kommt nicht
auf zwey Pfennige, wenn ihn auch glei alle feine Freunde
dazu hülfen. — . Ein gut Yiedlein darf man dreymahl ſin—
gen. — Wenn Bott fünf fegnet, fo fegnet er auch ſechs. —
Man Eommt mit einem Handwerk weiter, ald mit: taufend
Gulden. — Eine Kuh im Frieden ift. beffer, ald drey im Kriegs
— Gelig, wer feinen Gott alle Tage fieht, und feinen Erb-
herren einmahl im Jahr! — Einer hat es, der Andere hats
gehabt, der Dritte hatt’ e8 gern (das Geld).
1 Pe
Wie das Sprichwort durh Zahlen dem Gedadtniffe _
zu Hülfe Eommt, fo auch durch denfelben Anfangs—
buchſtaben mehrerer Wörter, die es zufammenftellt. 8. B.
Drey W. Drey W. find große Nauber: Wein, Wuür
fel, Weib. — Der: Drey W maden viel Beutel leer:
Würfel, Weiber, Weinbeer'. (Hier ward bloß um des Neimes
wegen die Weinbeere zuleßt gejeßt, da doch der Vorzug offen:
bar. dem Weibe gebührt.) y
Fünf &. Die Hausmutter hat fünf K zu beforgen,
Kinder, Kammer, Küche, Keller, Kleider.
Drey F. Drey 5 find. aller Studenten Reichthum :
friſch, fröhlich und frumm (fromm). Be; 5
WVier F. frifh, fröhlid, fromm und frey, das andere
Gott befohlen ſey.
36.
Das deutſche Sprichwort hat nicht nur Wis und Lau—
no, fondern aud einen fatyrifhen Zahn (eine Spott:
und Straf: Gabe) und kann seht pikant ſeyn, wenn es
will, - S :
- Bon der Kofetterie der alten Weiber: Wenn eim
altes Weib tanzet, fo macht es dem Tode ein Hofredt. —
Ein altes, geiles Weib ift dem Tode ein Zaftnachtsfpiel. 2;
— — —
49
Bon den Diebſtahle: Es iſt ein gutes Handwerk,
lohnt aber übel; es gibt genug, ſo lange Einer lebt.
Von dem Selbſtgeſpräche: Rede nicht mit dir
felber, font Fonnte man fagen: dein Zuhörer ſey ein Narr.
Bon den Erben des Geitzigen: Die Erben des
Beigigen find allmächtig; denn jie Finnen Todte erwecken (die
vergrabenen Thaler).
Von dem Stolze des Einheimiſchen: Der
Kahn weiß fich viel auf feinem. Mifte,
Von den vier Fakultäten: Meuer Theolog muf
eine neue Hölle, neuer Jurift einen neuen Galgen, neuer
Arzt einen neuen Kirchhof, neuer Philofoph eine neue Mar:
venfappe haben. (Man ſieht diefem Sprichworte feinen ſpä—
tern Urfprung an.
Bon dem verarmten Verfhwender: Sein Ma:
gen kocht gut, hat Haus und Hof verdauet. N
Von der Schwiegermutter: Die befte Schwieger
ift, die einen grünen Rod anhat. (Dieim Grabe liegt; auf
deren Grabe Gras wädlt). Ä
Bon Hofſchmeicheleyen: Neue Kegenten Eönnen
eilf Kegel fheiben. — Große Frauen gebären in drey Mo:
nathen.
Bon dem Tanzfühtigen: Er tanzt, bis er. auf
dein Rücken in die Kirche geht. (Zu Grabe getragen wird).
Landsknechte: Landsknecht' und Bäckersſchwein',
wollen allzeit gemaſtet ſeyn.
Matürlihe Beredſamkeit: Es wird Fein Weib
kumm geboren; fienwiffen alle wohl zu reden.
VBerjhweigen des Geheimniſſes: Minner
verfchweigen freinde, Weiber eigene Geheimniffe.
Dank ohne That: Wenn Danfen einen Bagen Fo-
ftete, fo behielt's Mander in feinem Säckel.
Selbſtlob: Die Nachbarn find ihm fern; ey muß ſich
ſelbſt Toben.
-
37.
f Mandes Mahl verfteckt fih die Satyre in gefellige
aune.
: &o ftrafet das Sprichwort auf feine Weife ven Be-
denflihen, der immer zehn Wenn in Bereitfchaft hat:
Wenn die Sonne aufgeht, fo heif Gott dem Reifen am
Zaune! — Wenn es regnet, fo ift der Schnee verdorben.
Sailers Sprichw. ' Rei) nun |
30
Wenn der Himmel einfällt, fo find ale Töpfe und Bäume
verfchlagen. -— Wenn der Himmel einfällt, fo Fonnen die
Vögel Feine Nefter mehr bauen. — Wenn der Himmel eine
fiele, fo bliebe Eein Zaunftecfen ganz.‘
Die Uneinigfeit der Eheleute: Wenn das Weib
die Töpfe briht, und der Mann die Krüge, fo muß es im
Haufe viele Scherben geben.
Die Thorbeit: Wenn er einem Hafen fo ahnlich
wäre, als einem Narren, fo hätten ihn die Hunde längſt zer—
riffen.
Den Nihtmwollenden, der ein NichtEönnen vorgibt:
Die Nachtigall kann nicht fingen. — Die Krüppel Eönnen
nicht hinken.
38.
Die Satyre des deutſchen Sprichwortes hat noch man-
Bere andere Mänieren. Bald erfindet es Krankheit
und Tod, um die Wahrheit ftarf, bleibend und beiffend zu
fagen, z. ®.
Anftatt, in dem Haufe, andem Hofe gibt man nicht
gern, fagt es: Der Schenker iſt geftorben, der Geber hat ein
Bein gebrohen, der Spender hat den Arm verloren, dem Zifchs
decker ıft das Mark in den Anoden erfroren.
Bald ſchafft ed ein neues Wort: Der Herr von Gebe
baufen ift todt.
Bald täufcht es mit ſcheinbaren Gegenſätzen: Die Mut—
ter gibt theuer, die Tochter nicht wohlfeil. — Der Vater ſieht
* u die Mutter thut das Auge zu.
39. kur
Selten ſtreift der Witz des deutſchen Sprichwortes an
die Granze des Ge ſuchten Auch iſt, was etwa dem gebil—
deten Geſchmacke geſucht wäre, dem Volkswitze wie gefunden,
alſo natürlich. Z. B. Wo die Glocke von Leder iſt, und der
Klöppel von N da hört man den Klang nicht
fern.
40. N
Der WiE des deutfchen Sprichwortes weiß fiherzend Ja
und Nein zu vereinigen. 3. B. Er fihlägt es aus, wie der
Bettler das Almofen. — Wir wollen ihn bitten , wie man
dem Efel thut. — Er thut es gern, wie die Bauern in den
Thurn fleigen (in das Gefängniß). — Mander hat fo ein
51
eriges Gewiffen, daß man möchte mit einem Fuder Heu hin-
durchfahren. — Der Zornige hat feine Sinne — big an fünf.
— Ich fürchte mich vor Zehn nit, wenn ich allein bin. —
Er gibt einen auten Kriegsmann ab, aber: hinter dem Ofen.
— Er gibe mit den Munde, aber die Hände haltens feit. —
Es weiß niemand davon, ald die jungen Kinder und alten
Leute. — Du, er.beflern fih, wie die jungen Wälfe. — Gr
wählt, wie die reife Gerfte. — Der Neidhart ift geftorben ,
bat aber viele Brüder binterlaffen. — Es find alle Menfchen
vernunftig „das männliche und. weiblihe Geſchlecht ausges
nommen. j
41. [
Diefe fcherzende Laune des Sprichwortes wird dem Ges
nius des Volkes noch gefälliger, wenn fie zugleich die Kalen:
der: oder Allmanachsſprache vedet. 3. B. anftatt zu fagen,.
das gefhieht gewiß nicht, fagt das Sprihwort: Auf
St. Martini, wann die Störche Fommen, zu Weihnacht in
ber Aernde, zu Pfingiten auf dem Eife.
42.
Die Kalenderfpradhe ſteht dem deutfhen Sprichworte
noch auf mancherley andere Weifen zu Gebothe, wenn es wit:
519 feyn will. 3. B. Der Magd Sonntag ift der Kühe ftil-
‚ Ver Freytag. 2% f
43.
Das deutfhe Sprichwort ann auch derb und kraͤftig
feyn, wie der deutiche Sinn, fagt die Wahrheit fo ftark, daß
fie dem, der noch nicht alles Gefuhl verloren hat, durch Mark
und Bein geht. 3. B.
Bon der Raub: und Mordfudt: „Ein Menfh
fol des Andern Gott feyn, und ift des Andern Wolf ger
worden.’/
Bon der Eigenliebe: Wer fi felber ein Heiligthum
ift, der ift dem Andern ein Gräuel. 2
Von dem Egoiften: Wer fein felbft ift, der ift des
Teufels Knecht. -:
Manchmahl wird die Derbheit für zarte Ohren befeidie
‚gend, z. B. Den Eigennutz, der die Menfchen wegwirft,
fobald fie nicht mehr nüßen, ſchildert ein Sprichwort fo: Noife,
die immer ziehen, hohlt der Shinder. — Wenn die Kuh
nimmer Mil gibt, fo gehört fie unter ben Schlägel.
4
Manchmahl gränzt das Kräftige an das Triviale, z. B.
Man muß mis Gott indie Hand ſpeyen. — Allen
gerade diefes leitet auf die Erfinder des Sprudes, und auf
die Sitte derfelben. Die fihwere Handarbeit zu verrichren
haben, fangen fie damit an, daß jie in die Handefpepyen.
Es wird überbem zu verfiehen gegeben, daß man’ alle Unter-
nehmungen mit Gott anfangen folle; auch, daß man-bethen,
und arbeiten müffe. J
Der patriotiſche Haß gegen die Wanderungsſucht
der Untüchtigen hat manchmahl den. derben Ausdruf hoch ge:
nug gefteigert, z. B. Man treibt den Farren nah Montpelier:
Er Eommt zurüc, und bleibt ein Stier.
Gleiche Derbheit fpricht aus dem Worte: Es fteht tibel,
wenn man einen Menfchen zu Gafte bittet, und dafür ein
Wildſchwein nah Haufe ſchickt. — Und: Kleine Diebe hängt
man an Salgen, die großen an goldene Ketten, — Und:
Wenn die Herren eines Diebes bedürfen, fo nehmen fie ihn
vorn Galgen; wenn fie feiner nicht mehr bedürfen, fo henken
fie ihn wieder daran. — Und: Die Bauern bitten nichts fo
hoch von Gott, als daß ihren Sunfern die Roffe nicht fterben ;
denn fonft würden fie die Bauern mit Spornen reiten.
44.
Oft iſt das deutſche Sprichwort weiter nichts, als eine
Tafel, welche die Beobachtungen der Natur aufbewahrt, und
gefällt bloß durch die unerwartete Zuſammenſtellung
3. f Ein Zaun währt drey Jahre,
9.) Ein Hund überwährt drey Zäune,
7.53 Ein Pferd drey Hunde,
81. CL Ein Menfd drey Pferde, ’
goder durch die vollftandige Enimneration: Zehn Zahr
ein Kind, zwanzig Jahr ein Züngling, dreyßig Jahr
ein Mann, vierzig Jahr wohl gethan, fünfzig Jahr
ftille ſtahn, ſech zig Jahr gehts Alter an, ſiebzig Jahr
ein Greis, acht zig Jahr nimmer weiſ', neunzig Jahr der
Eihost Spott, hundert Jahr Gnade Gott.
neh 3 5 TR |
Oft iſt es unuberfetzbares Wortfpiel, wodurd das
Ba Sprichwort gefellt; indem es lachend eine ftrafende
sahrheit jagt. 3.8. Es Bedarf Feiner Brille, der wohl durch
die Fluger fieht. Ju
I
>
46.
Manchmahl ahmt das Sprichwort einem Naturns oder
Sımfllaute nah, wenn es z. B. die Ungeftümeder
Steigbettler zeichnen will. Trag ber, mehr ber, gebt
mir, mangelt ihr, fo lauten der Bettler Glocken.
} *
ar.
Das fi —— nr die: Steigerung,
wenn es das Worzüglichere ausdrücken will, gernmit „„bef-
fer, wobey es, um kurz zu feyn, das —9 weglaͤßt/ "und
weglaſſen kann, ohne der Klarheit zu vergeben. i
Bon dem lebendigen Worte: Befer-Ein leben⸗
diges Wort, als hundert todte.
Vondemſtrafenden Freunde: Beſſer ein ſauer
ſehender Freund, als ein ſüß lächelnder Feind
Von dem Bedürfniffe: Beſſer ——
zur Zeit, als ein Kelch vol Malvaſier zur Unzeit
— Von dem Werthe des Geldes: efedein gutar
Freund, als Silber und Gold: + Beſſer ohne Geld, als ohne
Freund feyn.
Bondem Werthe'der Tugend: Befler a mit
Ehre, als reich mit Schande.
Bon der Siherheit:Veffer auf dem Bande Art
als auf den Meere veih, u
"Vom Frieden in Dörfern: Beſſer ein bäuerifcher
Sriede, als ein bürgerlicher Krieg.
Kon der Predigt der Wahrheit: Beſſer Undank
mit Wahrheit, als Dank mit Lüge.
Von Erſparung des Undankes: Beſſer der erſte
Undank, als der letzte.
Von der Vollendung: Beſſer unbegonnen, als un⸗
vollendet.
Von der Gewißheit der Habe: Beſſer ein halbes
Ey, als eine leere Schale. — Beſſer ein Sperling in der
Hand, als ein Kranich, der fliegt über Land.
Von dem Mittelſtande: * ein reicher Bauer,
als ein armer Edelmann.
Bon Schonung des fa Ditaldı Beffer, man eſſe
die Milch, als die Kuh, die Trauben, als den Stock.
Wieder fragen: Beſſer zweymahl fragen, als ein=
mahl irre geben.
54
Von dem geringen Schaden: Beſſer ein Senfter aus,
‚als ein Haus ein.
Won der Buffe: Beſſer umkehren, als unrecht geben.
— Befler binter fid, als unrecht vor ſich geben.
Schonung des Mitleidens:; Beſſer ein betrüb-
tes Herj, als zwey.
Selbſtſehen: Beſſer ein Auge-, als zehn Obrens
zeugen.
Bernünftige Ungeftüme: le zur Unzeit,
als nimmermehr.
Y Unverfigtigkeit: Beſſer blind und furchtſam⸗ als
unvorſichtig.
Kein © breit; Beſſer eine alte Schuld als eine
neue Fehde.
M arktangeleg enheit; Veffer "Sheuerkauf als
Nichtsfeil.
Anfhle ägige An ewort: Veſſer freundlich verſagen
als unwillig zugeben.
Nahe Hulfe: Veſere ein Nachbar an der —R
als ein Freund über Land.
Werthedes Wenigen: Beſſer etwas — nichts.
“Me
’ „a8.
u min 331
Das Deutfche ——— hat mancherley Berki eine
zungsweifen; die befannitefte: uf ” den El ri ge:
hr. worden,
Wenn man ſagen will, er Hat wenig Ehre, ober we:
J Verftand, oder wenig Berindgenz.:c fo ſagt dag
Sprichwort: Eine Müde uhrt es auf dem Schwan; über
den Rhein, -
"Zn unfern Bependen drückt man dasfelbe ſchonender und
fehmächer aus: Er kann fein ganzes ‚Vermögen ‚in einem
Schnupftüchlein über das Hausdach hinüberwerfen.
Oft dient das: Wohl auch, zum Ausdrucke der Ver⸗
kleinerung: Es findet: wohl auch ein Blinder ein Hufeifen —
Es finder wohl auch ein blindes Huhn ein Weitzenkorn.
Die geringe Habe: eines Menſchen hat einen beſon⸗
dern, poſſierlichen Ausdruck: Wenn er aufſpringt, ſo regt ſich
all ſein Gut. — Wenn er — ſe ſpringt all *
Habe mit ihm auf.
ar
85
409.
Das deutfche Sprichwort weiß ſich durch die Diminutiven
(befonders in der Endung der Schwaben: und Schweißermund-
art) fieblich zu machen. , Zu den vielen, bey mancherley An
läſſen [yon gegebenen Beyfpielen noch ein Paar: Die Alte wird
lieb gehalten, wenn fie Hellerflein hat. — Großen Zrieden
trennt ein Elein.Säcklein mit Gold.
r 50:
Das deutfche Sprichwort warnet gern vor allem Leber:
triebenen „und da ift ihm das Allyu das paffendfte Wort.
Allzu gute Worte haben wenig Glaubens. — Allzu mild hilft
zur Armuth. — Allzu gemein macht veradhter. — Allzu
ſpitzig ſticht nicht. — Allzu ſtreng zerreißt. — Allzu ſcharf
macht ſchartig. — Allzu weiſe iſt thöricht. — Allzu früh Eommt
auch unrecht. — Allzu viel wiſſen macht Kopfwehe. — Allzu
behend hat oft gefehlt. — Allzu gerecht thut e
51.
In der Einkleidung liebet das deutfche Sprichwort bag
Ich und das Mein hervorzugiehen, da, wo das Sch und dag
Mein die Lehre:befonders heraushebt. So beſchreibt es z. B.
Die Gleichheit der Perſonen: Haſt du ein
Schwan fo habe ich einen Degen.
Die.Öleihhert der Rechte: Mein Pfennig. ift
deines Pfennigs Bruder. =
Die Gleihhert der Waare: Mein Pfeffer ift fo
gut, als dein Syrup. (Ein weitphälifhes Sprichwort.)
Bey uns ſagt man: Mein Pfeffer ift fo gut, als dein
Saffran.
Die bewieſene Vorſicht: Haͤtt' ich den Stein nicht
gezogen, ich hatte das ganze Spiel verloren.
Die üble Laune des Nahbars: „Heut will ich
ihn nicht um feine Tochter bitten.‘
Das Gefühl der Zurückfetzung: Sch hätte
mich gern gewäarmet; aber ich Eonnte richt zum Ofen Eoms
. men.
Die Schlechtigkeit des -Bettlers: Haͤtt' =
dein Geld, und du meine Tugend!
Das geringe Vermögen: Mir ift der Wucher ver-
bothen; denn e3 fehlt mir an der Hauptfumme.
50
Die Nichtachtung des Fäfterwortes bey
dem Bewußtienn der Unfguld: „Wenn ich den Rock
ſchüttle, ſo fällt es ab.
Die Nachgiebigkeit um bes Brotes wegen:
Deß Brot ich eff’, deß Liedlein ich fing’.
Die Marime der Selbftfuht: Das Hempd if
mir naher, als der Rod. |
Die Rebhnung bes Eigenthämers: Sf die
Henne mein, fo gehören mir auch die Eyer.
| Die Drohung: Ich will ihm eine Brille auf die Nafe
ſetzen.
Den Aufwand in ber Kühe: Wo mein Beutel
aufgeht, da rauchet meine Küche.
Die ee Achteſt du mein, A
dein.
Den Entſchluß im Ungtieke: Ich habe BERN
ven unigeworfen, ich will einen Wagen wieder aufrichten!
Die Erfahrungsweisheit: Ich bin wohl che nik
folder Lauge gewafchen.
Den Trotz im Wahne, den Andern zu über:
Teben: Mit deinen Kneches will ich noch Birn und Aepfel
herunterwerfen.
Das Gefühl des Verachteten: Ich ſoll Unter:
knecht und Fußtuch fenn.
Die gewiſſe Erfenntnif: 34 Fönnte Einem wohl
ein Liedlein davon fingen.
- Die Buverfigt desTpätigen: Ich wag's, Gott
vermag’s.
Die Brehtigteit Ber menſchlichen Reden:
Ich meinte, es wäre lauter Eichen, was die Leute fprechen,
nun find es Eaum Linden,
— Das Umbedeutende, das Unwertbe: Ich woll-
te nicht eine Hand darum umkehren. — Ich geb’s um ein Stück
Brot. — Ich werfe darum Feine Nußfchale weg.’ — Ich gebe
Feine taube Nuß dafür. — Es iſt mir eben, als wenn es zu
Rom donnerte. J
Die Unbeftimmtheit: Ich will eine Feder 5
ſen; der will ich folgen. — Sch will gehen, wohin mic die
Süße tragen.
Den Werth des Lebens: Wenn ih todt bin , fo
gilt mir ein Rubenſchnitz fo viel, als ein Ducat. — Wenn ich
fterbe, fo ftirbt die ganze Melt mıt mir.
57
Den ehrlichen —— Schwabenland iſt ein
gut Land, ich will aber nicht wieder heim.
Den Getäufdten, daeram Ziele gu seyn
glaubt: Das Brot iſt mir aus den Zähnen geriffen,
" Den Entſchluß: Sch will mich einmahl daraus reif
fen — Ich will dadurch, und follt ich auch mit dem Kopf dars
‚ in bangen bleiben.
Die unſchickliche Antwort: Ich frage nad Ae—
pfeln, und du antworteft mir von Birnen.
— Glück und gute Winde: Hätt' ih Glück und
guten Wind: ic führe in einem. Schüffelkerb über den
Hein.
S Die‘ Siebe: Wer ihm Leid ehut, greift mir in meine
Augen. — Ich wollte lieber meiner Augen entbehren. — Ich
wollte, mein Herz mir ihm theilen. — Ich habe ihn fo lieb,
wie mein Leben.
Die Befonnenheit: Darnach es mich anfiebt, darz
nach thu ich.
Beſitz und Bere, * in if ein bojer Mangel,
> —* ein Di
52.
Auch das Wiriherricht in deutſchen Sprichwörtern, wie
in ben Titeln der — —— ab in den ——— der Klei⸗
nem ZI
Gleichheit ger Meniceng "MWir * durch ein
Thor in die Kirche. — Wir ziehen Alle an Einem Joche. —
Unſere Kleider ſind von Einerley Faden. — Wir ziehen Alle
Ein Seil. — Ich und du tragen Waſſer an Einer Stange.
—Ungleichheit der Menſchen: Wir haben nicht
Alle Einen Kopf; wir müßten fonft Alle Einen Hut haben.
Erinnerung an die Vergangenheit: Wir
find auch Kinder geweien.
Abweifung ſchwerer Räthſel: Das wollen wir
die Gelehrteniausfechten laffen. °
Derhauszins: Bir wagen oder fchlafen; der Haus:
zins ſchläft doch nicht.
Gemaßigter Bang: Washaben wir zu eilen? Es
jagt uns doch niemand.
Unterfohied ver Talente: Wir Ahnen nicht Alle
Papfi zu Rom werden,
88
53
Das deutſche Sprichwort Tiebet' auch die zweyte Perſon
— befonders, wenn es tadeln, ftrafen will.
Die Einmifhung in fremde Handel: Was
dich nicht brennt, follft du nicht Löfchen wollen. — Du haft
viel zu fhaffen, und wenig iſt dir befohlen. — Du baft viel
zu Ihaffen, und wenig auszurichten. — Du bift ein Hans in
allen Saffen.
Die Herrfhaft des Eigennutzes: Wo du bine
Eommft, wirft du den Wirth daheim finden.
Das Mißlingen: Du fehlteft der Thür’.
Später Widerftand: Leideft du, daß dich Einer
faſſe, ſo —* s, daß er dich zu Boden werfe.
r Spott: Du mußt lange fpotten, bis du mir ein
Ohr abfbotteft,
Die Ungelehrigkeit: Du mußt lange ſehen, bis du
mir etwas abſiehſt.
Beſtrafung der halben Arbeit: Hänge mir die
Thür ein, aber vergiß den Nagel nicht.
Vergeltung: Du follft auch noch Schuh für deine
Füße finden.
Ermahnung zur That: Kannſt du's, fo treib's,
weißt du's, fo üb's.
Perfpectiv für unfleifige Stubenten:
Willſt du nicht mit der Feder ſchreiben lernen, ſo ſchreib mit der
Miſtgabel.
Die Probe: Iſt Einer fromm; theile du nur ein Erb⸗
gut mit ihm, fo ſiehſt du es.
Die Correction: Laß ihn eine Weile faften: fo ver-
gebt ihm das Tanzen.
Unfer Verhältniß zur Erde: Erde — du, von
der Erde iſſeſt du, Erde wirft du.
Erfahrung: Erfahr's, fo weißt du's.
Drohung: Es wird dir im Garten wachfen.
Die Gefihtsfprade: Man fiehts an deiner Nafe,
daß du lügeſt.
Gleiches geſellet ſich gern: Weiſe mir den
Wirth; ich weiſe dir den Gaſt.
Unmögliche Zuſage: Du willſt die mit Einer Tode
ter zwey Eidame machen.
Die Grobheit: Du bift gröber, als Bohnenſtroh.
———
sg
Selbft: Erwerb: Du follft die Füße nicht unter ei-
ned Andern Tiſch fteden. h
Rüge fremder —— Der Narrenfreſſer
kommt, huͤthe dich
Reichthum mit — — Hätte jedermann das
Eeine, fo wäreſt du wohl fo arın als ein Anderer,
Shlehre Waare: Wer dich Eennt, der Eauft dich
nicht. — Es hebe dich auf, wer dich nicht kennt.
54. /
Das Man ft dem deutichen Sprichworte die baemnſt
Form, wenn es verallgemeinen, und in Unbeſtimmt—
heit bleiben will. Hui wohlan! verliert man die Schuhe, fo
behalt man doc) die Füße. — Mean Eann mit Bettlern Feine
Ehr einlegen. — Man Iäutet fo lange in die Meffe, bis fie
Eommt. >" Man hat fich eher verredt, als verſchwiegen. —
Man muß die Leute reden laffen; Ganfe Fonnens nicht. —
Man muß die leute reden laſſen; die Fiſche könnens nicht. —
Man muß mirden Pferden pflügen, die man hat. — Man ißt
nicht Brot zu Kaſe, ſondern Kafe zuBrot. — Mit Geben wu:
chert man am meilten. — Das Schöne laßt man nicht fromm
fepn. — Man möcht es mit den Fingern greifen. — An Kün⸗
ſten trägt iman: ‚nicht fhwer, — Man Elopft immer zu früy
an, wenn ınan Geld einfordert. — Man ich noch am Brey:
— Man überredet oft Einen, daß er tanzet, der lieber weinte,
— Ueber dem Berge drüben findet man auch Leute.
35.
Wenn das 'deutfhe Sprichwort nicht verallgemeinen,
fondern auf Einige beſchränken will, fo braucht ed gern das:
Mander Mancher forgt für die Wiege, eh dus Kind gebo-
ren ift. — Mancher küßt Einen auf den Baden, und ſchlägt
ihn mit der Fauſt in den Naden. — Es mag Mancher leben,
der den Kaifer nicht gejeben hat. — Mander will die Laute
ſchlagen, und weiß feinen Griff. — Nüchtern ift Mancher be-
fheiden, vollungeberdig. — Mancher überfommt eine Madel;
der ganze Rhein wuſche fie ihm nicht ab.
56. |
Wenn das Sprichwort den Sinn der Lehre nicht beſchraͤn⸗
Een, fondern ausdehnen wid, fo fteht ihm dag, wer, der,
ſchicklich zur Hand. Wer mit Hunden ſchläft, ſteht mit Flö—
hen auf. — Wer ſonſt nichts hat, der gibt Aepfel und Birn.
60
— er beym Holzhauer fteht, der. hat einen Span am Kopf
zum Cohn. — Wer aus einem Stein einen Hofenbändel mar
chen will, der hat unnüße Arbeit. — Wer ſäet, der mäbet.
— Wer A fagt, muß wohl auch B fagen. — Wer eine Blus
me mahblet, kann ihr doch den Geruch nicht geben. — Wer in
die Mühle geht, der wird beftäubt. — Wer ein Haus baut,
der bezahlt es. — Wer es kauft, der findet es. — Wer nicht
anfpannt, dem kann man nicht vorſpannen. — Wer feinen
Fuß in des Andern Schuh ftecfen will, muß zuvor das Maß
recht nehmen. — Wer body fteigt, dem ift es nicht übel auge
zudeuten, wenn er hoch fallt. — Wer ſchwere Dinge forfhet,
dem wird's zu ſchwer. — Wer alle Tage feyert, der fraget
nichts na dem Sonntag. — Wer wohl kann nachdenken,
der darf nicht viel nachdenken. — Wer mir gab, der lehrte
mich geben. — Wer nicht Kalk hat, muß mit Reim mauern.
— Mer Brot hat, dem beut man Brot. — Wer wohl thut,
der darf feinen Kranz aushangen. — Wer von fernen Landen
lügt, der lügt mit Gewalt. — Wer in feinem Haus befchnenet
wird, def erbarmt fi auch Gott nit. — Wer Kindern und
Narren die Finger ins Maul fteckt, der ware gern gebiffen. —
Mer des Spiels nicht kann, der foll zufeben, — Wer viel Ener
bat, der macht viel Schalen. — Wer den Zeufel geladen hat,
der muß ihm auch Arbeit geben. — Werden Schalk hinter
ſich läßt, hat eine gute Tagreife gethan. st. in
37. x
Das deutihe Sprichwort Iegt dem, was es eindrücklich
machen fol, ein Wollen bey, und bringt dadurch Leben in
den todten Stoff. 3. B. AlesDing will: vor Rath, dann
That haben. (Bor anftatt vorher, zuvor.) — DieWahrbeit
will an Tag. — Die Welt: will betrogen ſeyn. — Daß
Wetter will feinen Willen und Gang haben. —: Ungeredht
But will zwey Schelme haben, einen, der’s gewinnt, den
andern, der’s verthbut. — Das Waffer will über die Körbe
gehen. — Wem das Gefieder will zu groß werden,. dem fchneis
det die Welt die Federn ab. — Die Erde will Regen. — Das
Zette will allzeit oben ſcwwimmen. — Sedes Ding will ei:
nen Anfang haben. — Gut Ding will Weil haben. — Die
Liebe will wag zu zanken haben. — Weiber und. Roffe wol
len gewartet feyn.
61
58.
Das deutfche Sprichwort legt dem, was es fharf ber
zeichnen will, ein Wort in den Mund.
Der Kable: Kein Haar, fagt der Kahlkopf.
at Diet giftiggewaltfame: Ich komme doch noch ins
Dorf, ſagt der Wolf.
Die Freundſchaft der Böfen: Gleich und gleich
defellt ſich gern, ſpricht der Teufel zum Köhler.
Der Liftigdiebifhe: Wit einer Kunft Eommt man
am beften fort, jagt die Kate zum Fuchs.
Der Edel:Tapfere: Jh will feinen Hund beiffen,
denn ih muß meine Zähne für den Wolf fparen, fagt der
Schafhund.
Die Liebe zur Freyheit: Freyheit geht vor Gold,
fagte die Wachtel, und flog ins Holz.
» Der Wafferfrug: Der Wafferkrug ift nimmer klug,
ſpricht der Wein.
Schläge, die nichts nützen: Wo Fein Zanf ift,
da ift auch Eeine ER nr. der Glöckner, und ſchlug ſeine Hei⸗
ligen.
59.
Dem deutſchen Sprichworte gibt die Frage noch mehr
‚Reben und Nachdruck, beſonders, wenn es rügen, ſtrafen, ver:
kleinern will. So rügt es
den Wahn der Unentbehrfigkeir: er leuchtete,
eh du warſt?
den Rechnungsfehler des — Was hilfts auf
Stelzen gehen, um die Strümpfe zu ſchonen, wenn man dar—
nach gar ins Koth fällt?
den Adelſtolz: Als Adam hackt' und Eva ſpann, wo war
der Edelmann?
A Macht des Geldes: Was kann das liebe Gelb
nicht
die Altmacht: Will's Gott; wer wendet's?
60,
DieAnrede gib dem Sprichworte Gratie und Leben.
2.8. Liebe Ruth’! feyerteft du, ich thate niminer gut. —
Lieber ! laß Bauern auch Leute feyn! — Herr! vertrauet mir,
was ihr wollet, nur keine Heimlichkeit. — 9 Urlaub, N
fa! ich babe ein Bett überfommen.
*
62
61. a
Ueberhaupt gehört der Smperativ mit zu den Liebe
fingsformen des deutfhen Sprihmertes. Che wieg's, dann
wag’s. — Nimms zwiefach, iſt es dir einfach zu lang. —
Denn du tanzen willft, fo.fies zu, welche du bey der Hand
nimmft. — Wurf noh ein Mahl, fo trıffft du. — Warte des
Deinen. — Rüde nicht, wenn du wohl fißeit. — Halt dich
rein, acht dich Elein, — Schilt, daß du noch zu loben Plag
haſt. — Nicht weiter ftred den Fuß, als die Dede gebt.
62.
Das deutfche Sprichwort hat in jeder deutfchen Provinz
feine eigene Mundart, die fein Gepräge vollendet, und feine
‚Heimath Eennbar macht; z. Be die Lehre, daß der gemeinen
Sage immer etwas Wahres zu Grunde liege, drückt man
in Schwaben fo aus: Man fagt felten zur Kuh': du Blaß-
Te, außer fie hat ein Sterele. |
“in den Gegenden, diean die Schweitz gränzen: Man fagt
felten zur Kuh'; du Bläslin, außer jie hat ein Sterlin.
in Bayern: Man fagt felten zur Kuh’; du Blasl, außer
fie hat ein Ster'l.
63.
Daher Eommt auch ein unverfennbarer Unterfchied in den
.. Geprägen der Sprihwdrter. Man kann, wern man fi in
‚den Saınmlungen der Sprichwörter umfieht, dasWarerland
des Sprichwortes oft genug aus der Mundart, fo wie das Als
ter des Sprichwortes aus der größern oder Eleinern Spradrich-
tigeit abnehmen. In diefer Sammlung ftehen ſächſiſche,
ſchwäbiſche, bayerifhe, frankifche Sprichwörter nebeneinander,
wie jeßt die Sachſen, Schwaben, Bayern, Franken in Einem
Kriegsheere dienen. - |
—J 64.
Das deutſche Sprichwort verräth nicht nur die Provinz,
in der es geboren, und in Umlauf iſt, ſondern nennt oft auch
ſogar die Stadt, die Anlaß zur Entſtehung des Sprichwortes
gegeben hat. 3. B. £
ER Bayernfageman: Das Munchnerkind'l kennt
keinen höhern Thurm, als den Frauenthurm.
In Franken: Wenn Nurnberg mein ware, fo würde
ich es in Bamberg verzehren.
65
Am Rhein: Wenn Frankfurt mein wäre, wollt ich es
in Maynz verzehren.
In Meiſſen: Wenn Leipzig mein wäre, wollt ih es
in Sreyberg verzehren.
65.
Das deutfhe Sprichwort verewigt nicht ſelten werthe
Mahmen, und, bringt fie in den Mund der Völker. „Der
treue &cfart warnet jedernann. — Hier geht eszu, wiean
Königs Athur Hofe. — Wer gäbe, fo lange man nähme,
der vergäbe fi) vor Naht, wenn er auch dreyer Fuger *)
But hätte,’ ;
66.
Das deutfche Sprichwort überliefert fo, wie theure Nah—
men, alfoauh dasBilddervergangenen Welt. 3.8.
Hätte ich Wenediger Macht, Augsburger Pracht, Nürnberger
Wis, Straßburger Gefhüß, Ulmer Geld, war’ ich Herr der
ganzen Welt. AL
Oft bewahrt es nur einzelne Ereigniffe auf, und damit
eine große Lehre. a) Oppenheim ging an dem Funfen an,
(Eine Feuersbrunft lehrt viel.) — b) Vergiftete Kirfchen brin-
gen einen Herzog um. **) |
67.
Oft fehildert es die ſtehende Sitte mehrerer Provinzen
z. B. Sachs, Bayer, Schwab und Frank, die lieben all den
Trank. (Sept liebt ihn der Engländer und der Franzos we
nicht noch mehr, doch gewiß eben fo fehr.)
68.
Auch weiß eine jede deutfche Provinz die andere mit Ve—
zirfprüdhen zu neden.
So fagen die Nichtweftphalinger von Weftphalen. Grob
Brot, dünnes Bier, lange Meilen,
i
*) Diefer in ganz Deutfchland, und wohl auch außer Deutfch-
land befannte Rahme Zuger verdiente es, nicht blog
des Vermögens wegen, überall befannt zu fepn.
**) Dies Sprichwort Datirt ih vom Jahre 1291, in welchem
Herzog Frie der ich, Sohn des Markgrafen Dietrichs,
des Weifen, auf dem Schloffe Hirienftein an der Elbe, an
vergifteten Kirfchen ſtarb.
64
So wirft den tapfern Schwaben bie neckende Taune
das ©egentheil vor. Hier jtehn wir Helden, fagt der Froſch
zum Schwaben. — —
Ueber uns Bayern fand ich ein ſeltſames Sprichwort:
Gott ift Eein Baper.
609.
Einige Sprichwörter find bloß in den Orten ihrer Geburt
verftändlich, und werden defwegen nie eigentliche Sprichwörs
‚ter des deutfchen Volkes; fie find zu local, um allgemein
werden zu können.
So ift in einem bayerifchen Marfte das Sprichwort eins
heimisch. Sanct Midhael läßt fih wacker aufs
pfeifen; und Sanct Salvator muß es theuer
begabten. — Das verfteht nun außer dem Orte niemant,
und Eann es niemand verfteben. Der Ort bat zwey Kirchen;
in einer ift St. Salvator, in derandern St Michael Paten,
Mun iſt in der letzten, die die Pfarrkirche it, eine treffliche
Kirchenmuſik; aber die Pfarrkirche hat wenig Einkommen; es
müffen alſo die Koſten für die Muſik aus dem Fonde der Sal—
vatorskirche beſtritten werden. —
70.
Einige Sprichwörter find aus den lateiniſchen Schulen
ausgegangen, und haben fi) unter den Geiftlichen iind Staats»
dienern fortgeerbet. Die lateinifchen Wörter laffen fie aber
nie zur Currentmünze des deutfchen Volkes werden. 3.8.
Wo lex voran, da fraus Gefpan. (Eine Satyre auf.die
fhlechten Advocaten, oder auf die Vervielfältigung der Gefege.)
— Und, Graf Ego bauet wohl, und bat ſchöne Pferde.
BROS Ey
Es gibt deutfche Sprichwörter, bie die ſpätere Zeit ihres
Urfprunges verrathen. '
5 Lotterie: Lotterieloofe find Eingangszettel: ins Armen:
aus. ?
Poſten: Graues. Haar, des Todes Poftillion.
Paſteten: ein einziges ſtinkendes Ey verderbt die
‚ganze Paftete.
0 Die drey Facultäten: Geiftliche reinigen das Ge—
wiffen, Aerzte den Leib, Zuriften den’ Beutel.
Die Meinungen der®elehrten: DieMenfhen
machen Kalender, Gott der Herr das Wetter.
Die
85
Die Freundfhaft: Treundfhaft it für ben Rei—
een eine Gnade, für. den Armen ein Rent, für den Vertriebes
nen ein Vaterland, für den Kranken hofmänniſche Tro—
pfen.
72.
Das deutiche Sprichwort ift noch von einer andern Seite -
chro nologiſch; denn wie die Nation in ihrer Bildung fort—
fohreitet, fo werden auch die Sprichwörter, als ein Spiegel der
Bildung, wie.an Inhalt tiefer, jo am Gepräge feiner. Aber
dann find fie auch weniger Sprichwörter des ungebildeten Vol—
fes, als Sprüche ‚dersgebildeten Einzelnen. Y . sun u. 7
= Bottes DOchn: Wenn die Sterne ein Concert fie:
Ien, fo muß Einer feyn, "der den Chor vegiert, und die Melo-
die erfann. RC HARFRREIT
Die Spitze des Kirchthurms: Unfer Kirchthurm
iſt ein Finger, der gen Himmel zeigt.
Händefalten: Wenn ſich die Hände falten, ſollen
ſich die Gedanken zuſammenhalten. ct
Der Vorfatz: Der Borfatz forihr: ich will dei
Löwen die Zunge aus dem Rachen reifen ; die That bedingt
fih aus, daß ihm zuerft die Zähne ausgebrochen iderden. —
. Einfalt des Gemüthes: Einfalt war by dem An—
fange der Welt, Einfalt wird dey der Welt Ende fe.
Diefe Sprichwoͤrter find acht deutſche, aber fie gehören
nicht unter die gemeinen. ee
Er, EBENE EL.. 2707 Drake
Die deutihen Sprichwoͤrter der neueften Zeit, die in
Schriften und in gebildeten Kreifen curfiren, haben an ein-
heit des Gepräges einen Vorzug, aber aud. an innerer
Leerhbeit.... denn fie haben gelernt, von Gbrt, von der
Keuſchheit, von ver Gerechtigkeit, von dem Chr i-
ftenthbume zu abfirahiren, und nur von Lebensgenuß und
Compagnie zu forechen, und find dadurch ein. Bild der Zeit ges
worden. Die Beyſpiele wird man mir erlaflen,
Sailers Sprichw. s
66
Drittes Hauptftück.
Bon deutfhen Sprichwoͤrtern, ihrem
Juhalte nach betrachtet.
Von dem allgemeinen ANDALE DFG er Sprich⸗
j worter. ai‘
Ä 1.
Inhalt der alten deutſchen Sprichwörter hat ein Ei ne r⸗
ley; und zwar dies Einerley, daß fie deut ſche Sprichwörter
find, und deutſche Spridwörter dem Inhalte nach.
Die alten deutfhen Sprichwörter find
deutfhe Sprichwörter, d.h. fie haben uns noch aufbe-
halten, was in deutfchen Ländern, befonders in Hauptſtädten
fhon dahin ift, oder wenigftens im Dahinſchwinden begriffen
ift, „nen alten deutfhen Sinn.“ Und in diefer Hin—
fiht find mir die Spridwörter Eoftlihe Reliquien des
alten deutſchen Sinnes.
er
Diefer alte deutſche Sinn faßt in fi: —
a) Die ungetrübte Ehrlichkeit, die unge—
faͤlſchte Redlichkeit, befonders im Wortgeben
und Worthalten: *) Ein Mann, fol ein Mann ſeyn.
— EinWort, ein Wort. — Ein Mann, ein Mann. — Deut:
fcher Mann, Ehrenmann. — Ehrlichkeit währt am längſten.
— Frey, — und ohne Scheu. — Es ward aud deutfche
*) Die Achtung für das gegebene Wort ging fo weit, daß
nad Tacitus Einer, der auch nur im Spiele überwunz
den ward, in des Andern Knechtfchaft ging, weil er feine
Freyheit auf das Spiel gefest haste,
5
Treue, deuſcher Handſchlag, deutſches Verſprechen ꝛtſogar
bey andern Völkern zum Sprichworte: Wo de u tſche Trebe
u) deutihem Handſchlag finder. (Hagedorn)
© bJ Die Geradheit, die Dftenheit,' die eine
Tochter und Gefährtinn der Ehrlichkeit iſt: Ge:
radezu iſt der nächſte Weg. — Hierher gehören auch die Re—
densarten: Sch wilf dirs deutſch ſagen. — Er iſt ein alter
Deutſcher. Deut ſch und gerade, dent ſ und Br
blümt ift alſo einerley.
9130) Das Hochgefühl für Recht und Gered-
tigkeit: Recht iſt Recht. Recht muß Recht bleiben. —
Recht wird Recht finden. — Was Rechtes leider nichts Schlech⸗
ted. — Des ungerechten Gutes fol ſich der dritte Erb nicht
freuen.
oo Muth, Tapferkeit in Wertheidnügumg
des Baterlandes. Freyheit ift fo lieb, als ein Aug. —
Freyheit ift fo lieb, als das Leben: — Frepheit ift lieber, als
Aug und, Lesen. — Es ift Fein jharfer Schwert, als das für
die Sreyheit freitet. — Schlag zuvor, darnach ſteck ein —
Dem Feinde mit Gift nachſtellen, ift a — Friſch
daran ſchlägt halb den Mann,
e) Hohgefühlifür eheliche Sreue und Koufch⸗
peit: Mann und Weib find Ein Leid. — Dev Männer Ehre,
der Frauen Ehre. — Der Weiber Schande ;. der Männer
Schande. — Wer eine Hure zur Ehe nimmt, will zum Schel-
me werden,
f) Anerkennung der Würde vor allem Wer—
the;des Guten wer alten Gütern» Beier Gut-los,
als Ehr-los. — Armuth ſchändet nicht. — Armuth it Feine
Unehr', — Recht gethan, iſt wohl gethan. — —— —
iſt viel getban.
g) Einfalt "ohne: Prunf und "Beet:
Worte thuns nicht — Recht und ſchlecht⸗ das Kiert den
Mann. 133613 ırl)jaAr
h) Sobe sdchene vor N Lügen: Aufseine: Lüge
gehört ein Badenftreih. — So ſchreibt Sr. Lukas nicht —
©t. Paulus ſchreibt nicht alſo. tabs:
i) Sinn für Freundſchaft und Treue gegen
Freunde: Freundes Stimme, Gottes Stimme, — Freun—
des Schläge, liede Schläge.
-k) —— vor dem Alter: Km, Alter gebt vor,
30:
nn In
68
1) Achtung der Anverwandten: Niemand (hans
det fein eigen Geſicht. — Niemand ſpeyet in ſeinen eigenen
Bart.
m). A Bebäßhtlidkeie: Bir
—— drüber ſchlafen. — Morgen kommt Tag und *
9 ö } 3. *
11.19
nee, Sprichwörter find befonders auffchließend in
Hinfiht auf alte Sitten, alte Anfichten der Deutfchen.:
So z. B. muß in deutfchen Landern die Srämerey
fo unebrlich gehalten worden ſeyn, als in vielen Augen noch
diefe "Stunde. das Amt des Henkers iſt. Dies ſagt uns ein
Sprichwort: Geb hın, werde.ein Krämer, fagt der Henker
zu feinem Knete. — Dem Kramergeifte thut man aud) nicht
unrecht, wenn man ihn für ehrlos hält. Und, wenn eine
ganze Nation. von dem Krämergeifte befeelt feyn Eönnte (was |
ih für unmöglid halte), fo —* ich ſie für die verdorbenſte
—* müſſen.
Denſelben Abſcheu ob Pro Krämergeifte drücken noch
zwey andere Sprichwörter aus. ‚Eines: An der Hunde Hin-
fen, der Hure Winfen, und der Krämer Schwören, ſoll ſich
Niemand kehren. — Die Geſellſchaft, in der ſich hier die
Krämer befinden, iſt ſehr ſymboliſch. Das an dere: Der
Bettler ſchlägt kein Almoſen, der Bind feine — der
Kramer keine Lüge aus. SIE WER Bi
4.
SR MEE N | nr
Der Inhalt der deutfchen Sprichwörter hat aber auch
ein Mancherley. Um nun dies Mancherley zur leichtern
Ueberficht darzulegen, werde ich die Sprichwörter vorerft Elaf-
fifiziren, und darnech den Reihthum jeder Klaffe mit einigen
Beyipielen andeuten müflen mit einigen Bey—
ſpielen, und nuriandeuten.. -—- Denn, wenn ich auf
Bollftändigkeit in Anführung Der deutfchen Sprichwör⸗
ter ausgehen‘ wollte, fo würde ich meinem Zwecke entgegen
handeln; und, da ich bloß auf den Sinn und Geift des
deutfhen Sprichwortes aufinerkfam machen will, die grio-
Ben Sammlungen, die ſchon in den Bibliotheken teen, mit
noch größern vermehren müffen.
—
Das Mancherley des Inhaltes zeigt ſich auch in
Hinſicht auf deutſche Sprichwörter 1) in eigentlichen
69
Sprigmwörtern, 2) in ſprich wörtlichen Redens—
arten, 3) in Denkſprüchen, 4) in tiefen, ge—
flügelten — —3
6.
In deutſchen Sprichwörtern iſt a) viel Natur- Mens
fhen- und Weltkunde, b) viel Religions: Staats:
und Samilienfunde, c) viel Klugheits- Erzie-
bungs= und Gefundheits- Kunde niedergelegt. "
’ Ts I) J . ur
Das Mancherley der Sprichwörter foll in diefem
Hauptftücke ihrem Inhalte nad) ausführlich dargeftellt ;
von den fprihwörtlichen Redensarten, von Denkſprüchen, von
geflügelten Sprüchen in den folgenden Hauptſtücken
Einiges kurz angezeigt werden. Uebrigens werden die billi—
gen Leſer von der Kunde, die bloß Volks-Kunde iſt, weder
Vollſtaͤndigkeit, noch Wiſſenſchaft zu fordern, billig genug
ſeyn. Die Auffhriften follen nur Hausnumern ſeyn,
die ung das Haus, und Schilde am Haufe, die ung den
ve des Haufes leichter finden laſſen.
ei dem befondern Inhalte deutfcher Sprich⸗
woͤrter.
—2 L.
Natur» Menfhen- Weltkunde.
1. Naturkunde.
Die Natur iſt fo geheim, fo in fi verkchloffen ,. dag
fie Fein Menſch uusforfhen fanıi, und fo offenberzig,
daß fie jedes gefunde Gemüth verfteht
Der gefunde Sinn der Deutfchen bat viel Naturkennt⸗
niß in Sprichwoͤrter niedergelegt, und tiefſte Beioe muß
zu jedem Ausfpruche fagen: Ja, ſo iſt es.
* #+
To
Di⸗ deutſchen Sprichwörter find treffliche Naturphiloſophen.
Denn fie haben 1) die Natur in ihrer Macht und
Kraft erkannt. Sie kennen: %
Die Uebermacht der Natur. Die Natur zieht
ſtärker, denn. fieben Ochfen. — Die Natur weiß ihre Waare
wohl zu verkaufen. — Die Natur iſt Meifter. — Die Natur
bleibt. — Die Aelfter läßt ihr Hüpfen nicht. — Es hilft Erin
Bad am Naben. — Die Fröſche hüpfen dem Bache zu, wenn
man fie ſchon auf ein Pflaumenbett feget. — Der Froſch
hüpft wieder ın den Pfuhl, wenn er auch ſäß' auf goldnem
Stuhl, — Der Froſch läßt das Quaden nicht. — Art von
Art läßt nit. — Die Kaße läßt das Maufen nit, — Das
Unfraut will vom Garten nicht. A:
- Sie kennen die Uebermacht der Natur ins
befondere über Lehre. Lehre ift eine angeftrichene Far—
be, die in Luft und Wetter abfallt; da guckt dann die Natur
äiberall wieder hervor. — Die, Bande,von Wort und von Pa
vier geftrickt, find ſchwach: die Matur zerreißt fie leiht. —
Verkehrte Natur bleibe verkehrt, wenn man gleih ein Loch
in fie predigte, Re als
Sie fennen das Gefetz des Werdensd Man
Tieft Eeine eigen von Dornhecken. — Die Eule het Eeinen
Salfen. — Wie der Vogel ift, fo legt er Ener. — Bös Vo—
2 bös Ey. — Es heckt kein Habe ein,Zeislein. — Keine
aube heckt einen Sperber. 2
Sie kennen die Eigenfhaften und Gränzen
ber Natur. Jeder Vogel fingt feinen Gefang. — Salz
Bann nichts als falgen. — Aus einer Igelshaut macht man
Fein Bruſttuch. — Man macht nicht aus allen Blumen ein
©träuslein. — Ein Mohr Eann wohl ein weiffes Kleid tragen,
aber die fhwarze Haut nicht weiß baden. — Die Büblein ha.
ben Luft zu reiten und zu Eriegen, die Magdlein zu Doden
und zu Wiegen. — Ein Land trägt nicht Alles. — Was ge:
hörnt ift, will immer geitoffen haben. — Was von Hunden
Fommt, bellet gern. — Was von der Henne Eommt, das ga:
ckert. — Feuer hört nicht auf zu brennen, man thue vordag
Holz weg; — Was zum Pflug geboren it, dient nicht zum
Haſenhetzen. — Ein Hahn hat fo. viel Flügel, al3 eın Falk,
und kann doch nicht fo hoch fliegen. — Eine Kuh Eann nicht
auf den Baum fpringen, wie ein Eichhorn. — Ein Ochs Fann
auch auf vier Füßen laufen, wie ein Hirſch, aber nicht fo
ſchnell. — Der Apfel fällt nicht weit vom Baum. — Kaßen:
Ru 71
kinder lernen wohl mauſen. — Die Kitzlein heiſſen alle, wie
ihre Mutter: Geis.
Sie kennen das Geſetz der frühen Bil—
dung: Es krümmt ſich bald, was ein Hafen werden will. —
Es brennt bey Zeiten, was eine Neffel werden will. — Was
eine Roſe werden will, das blühet bald. — Aus Knöpf:
lein -werden Rofen. — Was ein Dorn werden will, das
ftiht. — Das Bäumlein, das gerade wachſen will, (ent
fih nicht zu Boden.
Siekennen das Geſetz des Vergehens, des
Todes: Fürden Tod ift Eein Kraut gewachſen. — Im Holz
wachſen Würmer, die es freffen. — In der Wiege liegt dag
Grab. — Bey jeder Geburt wird eine Leiche angefagt.
Sie Eennen das Verhältniß der Natur zur
Bildung, zur Kunft: Wenn Natur und Kunft die Füße
zufammenfeßen , fo gebt es fort. — Die Natur bringt gutes
Gold, die Kunſt made falfches. — Die Natur muß den er-
ften Stein legen. — Die Natur will geübt feyn ; fonft wırd
fie ſchimmlig. — Was Einer ift, das Fann man aus ihm
nahen. — Was ein Menfch nicht ift, das Fann man aus
ihm nicht berausfriegen. — Es ift ein böſer SE aa darein
man erft ae tragen muß.
Die beutfhen Sprihwörter Eennen -2) den Nexus
rerum, Urfade und Wirkung, und wiffen *
recht anfhaulid zu maden.
Den Nexus rerum überhaupt: '
Wer Unglüd ſäet, will Unglück ärnten. — Es tuchet
ſich, wie man ſpinnt. — Wie das Garn, ſo das Tuch. —
Wie der Markt, fo der Zoll. — Kleine Pferde, kleine Tag:
reifen. — Kleine Böglein, Feine Neftlein. — Wer Eegeln
will, muß auffegen. — Wer miteffen will, muß mitdreſchen.
— Den Sperling ſpeißt man mit einem Mücklein: der Löw
muß auf ein Mahl ein ganzes Schaf haben. — Gut Gruß,
gus Antwort. — Gutes Wort findet guten Ort. — Der
Wein ſchmeckt nad dem Stock.
Den Nexus rerum insbefondere:
Freud und Leid. Sede Freude hat ein Leid auf dein
Rücken. — Freud und Leid find einander zur Ehe gegeben.
- Die Publicität. Bliebe der Wolf im Walde, fo
würde er nicht befchrieen,
[)
72
‚ Einfluß des Willens auf den VBerftand..
Wenn man Einem übel will, fo findet man der Art leicht: ei-
nen Stiel. — Wenn man den Fuchs nicht beiffen will, fo
kann man Feinen Hund finden. — Wer nicht gern arbeitet,
bat bald Feyerabend gemacht. — Wenn man dem Hund die
Haut abftreifen will, fo fagt man: er fey wüthig. — Wenn
man den Hund ſchlagen will, fo hat er Leder gefreffen. —
Der Wolf findet leicht eine Urfache, wenn er das Schaf fref:
fen will. — Man findet leicht einen Iremmel, wenn man
den Hund fchlagen will.
Früh, fpar. Frühwitzige Kinder leben nicht lang;
aber Spätobſt liegt lang. _
Dfenbitze, Brot. Das Brot bafr fih nicht im
Falten Ofen.
Mahl, Tanz. Bor Effen wird kein Tanz. — Wenn
die Sackpfeife nicht voll iſt, fo kirrt fie nicht.
Walfer, Fiſche. In großen Wäſſern fangt man
große Fiſche, in Eleinen Wäſſern fängt man gute Fifche.
Zopf und Topf. Wenn ein Topf auf den andern
fößt, fo brechen beyde.
4 Aſt — Art. Für einen groben Aft gehört eine ſcharfe
it
Mein, Ehre Es ſteckt viel Ehr’ und Freundfchaft
in einem Faß Wein. PR
Wein, Witz, Wo Wein eingehet, da gehet Wig
aus.
i Bett, Schlaf. Willſt du fanft liegen, fo bette dir
weht. | ie) Ya
Gemein, verachtet. Wo die Steige nieder, da
hüpfen alle Hunde drüber. — Laffeft du dir auf die Achfeln
fisen, fo fißt man dir gar auf den Kopf. — Wenn man den
Zeufel in die Kirche laßt, fo will er gar auf den Altar.
Hohes, Niederes, Se höher der Berg, je tiefer
das Ihal.
Gleiche Laft. Gleiche Bürde briht Niemand den
Mücken. . ’
Geſchaͤftigkeit. Wer geichaftig ift, dein macht Je—
dermann zu fhaffen. — Wer gern trägt, dem lader Jeder:
mann auf. R
Der Ackersmann. Wenn ſich der Bauer nicht bückt,
ſo adert,er nicht gut.
Feuer, Raud. Wer Zeuer haben will, muß den
Nauch Leiden,
o-
ca»
Quft und Lieb zu einem Din MWilliges Her;
macht leichte Füße. ae
Aprill, May Aprillvegen bringen Mayblümlein her-
vor.
Kurzes Spiel, Spieler und Nennpferde dauern
nicht lang.
Ehre, Thorheit. Waäͤchſt die Ehre Eslduneniähs,
ſo wächſt die Iherheit Ellenlang.
Wahrheit und Verfolgung. Die Wahrheit har
ein ſchönes Angefiht, aber zerriffene Kleider.
Der Verfolger der Wahrheit. Wer den Andern
jagt, wird auch müde.
Zrinkluft und Lernbegierde. Der Wein redet
ſchlecht Tatein.
Trinkluft und Ungemach. Der Wein iſt gut;
kann aber doch den Mann über die Stiege hinunterwerfen.
Uebermaß und Tollbeit. Voller Kropf, toller
Kopf. - Wollen wir gar austrinfen, fo werden wir. zu
Narren.
Sätigung und Munterfeit. Auf vollem Bauch
ſteht ein fröhlich Haupt.
leines, Großes. Das Feuer fängt vom Funken
an, vom Funken brennt das Haus.
Dünkel, Reue Wer ein Ding mit Dünkel an—
fangt, dem geht's mit Neue aus.
Rüftung, Bang. Mer wilde Kagen fangen will,
muß eiferne Handſchuh haben.
Rath, Hülfe Wem nicht zu rathen ift, dem ift
auch zu helfen. -
Die Confequenz Wer A fagt, der muß auch B
fagen.
Gutes, Böſes. Wenn man Wein ablaßt, fo lau:
fen die Hefen mit.
Sünde, Strafe Mer den Teufel ins Schiff
nunmt, muß ihn auch führen. — Was man Gott nimmt,
das hohlt der Teufel wieder.
Narrheit, Aufwand. Eine Narrheit zu unter>
“halten, Eoftet mehr, als zwey Kinder.
Biel und viel. Wer viel fahrt, muß viel Räder
haben.
Geradheit. Geradezu gibt gute Schüßen.
Bielund wenig. Wer viel feilſchet, hat wenig Geld.
74
Kunft, Dünkel. Wer einen Geſellen bey ſich hat,
hat auch einen Meiſter bey ſich.
Fragen, Geben. Wer viel fragt, der gibt nicht
gern. .
Verfhwendung, Armuth. Wer ſein Bett ver⸗
kauft, muß auf dem Stroh liegen.
Angriff, Gefahr. Wer zuſchlägt, trägt ſein Haupt
eil.
Unmäßigkeit, früher Tod. Wer nicht will alt
werden, der muß ſich jung henken.
Berfäumniß der rechten Stunde. Wer die
Hofe nicht im Sommer bricht, der bricht fie auch) im Winter
nicht.
Geben, Nehmen. Wem man eine Handbreit'gibt,
der nimmt eine Elfenlang.
Alter, Runzel. Die Haut iſt Fein Narr: wenn
fie alt wird, fo rümpft fie ſich. N
Sie find gute Naturpropheten; denn fie
weiffagen rihtig 5) die Folgen der Dinge
Sauger guter Tage. Cs müffen ftarke Beine feyn,
die gute Tage tragen Eönnen. — Gute Tage itehlen das Herz.
— Wenn dem Eſel zu wohl iſt, fo geht er aufs Eis tangen,
und bricht ein Bein.
Fofge des Wohllebens. : Sparmund und libel-
leb Faufen dem Wohl :Ieb fein Haus ab. — Aus gebratenen
Eyern kommen Feine Hühner.
Folge der Kleiderpracht. Beide und Samet am
Leibe ‚ Wöichen das Feuer in der Küche aus.
Solge des blinden Trauens. Wer von der Hoff:
nung lebt, ſtirbt an der Faſten.
Folge des blinden Trotzed. Wer — die
Mauer lauft, muß die Hörner verſtoſſen.
Folgen der Thorbeit. Wenn die Narren zu Mark:
te Eoınmen, fo Iöien die Kramer Geld. — Die Narrenfgel-
len Elingen laut, thun aber ven Ohren weh. — Gibft du
dem Narren die Singer, fo will er die Zauft gar haben. —
Wer Narren und Kindern den Zinger in den Mund fteckt, der
ware gern gebiffen.
Zolge des Müfigganges. Müßiggehen verderbt
den Leib, wie der Roſt das Eifen. — Muüßiggang hat Armuth
im Gefolge. — Müfiggang macht endlich traurige Arbeit. —
Stehende Waſſer werden endlich faul und ſtinkend. — Mü—
25
figgang hat böfen Ausgang. — Die Pferde verftehen die Füße
im Stall. — Ein Müßiger macht ein Dugend böfe Bürger
(fich, feine Kinder und Nachbarn). 8
Folge der Mäßigkeit. Der Mund iſt des Baus
ches Arzt.
Folge der Unmäßigkeit. Der Fraß richtet ſich
mit den Zahnen ſein Grab zu. — Der Mund iſt des Bauches
Henker. — Güſſe bringen Flüſſe. — Es ertrinken mehr im
Glas, als in allen Waſſern. — Wer viel Honig ſchleckt, muß
viel Wermuch freſſen. — Im Auskehricht findet fihs. — Mer
täglich im Wein ſchwimmt, muß endlich darin erſaufen. —
Viel Zucker in der Jugend macht ungeſunde Zähne im Alter:
Folge alles Uebermaßes, aller Ueberſpan—
nung. Zu viel iſt ungeſund. — Wenn man das Liedlein
zu hoch anfängt, fo erliegt man im Singen: — Zu viel zer:
reißt den Sack. — Mittelmaß, die befte Straf.
Golge der Dieberey. Geftohlenes Brot wird noch
im Munde zum Kielelitein.
Folge der Schwatzhaftigfeie. Was man her-
auslügt, kann man- nicht wieder hineinlügen. — Geredt it
geredt; man kanns mit Feinem Schwamm abwifhen. — Wenn
das Wort heraus ift, fo iſt es eines Andern.
Solge des Unglaubens. Wer nicht will glauben,
muß ann Ende fühlen.
Folge ſchlechter Gefellfhaft. Wer fih unter
die Kleyen mifcht, den freffen die Schweine. — Mer mit
Katzen jagt, der fängt gern Mänfe. — Wer unter die Bank
will, den ftöße man bald darunter.
Folge des Schuldenmadens. Wenn ein Haus
hebräiſch veden lernt, fo frißt es der Wucher.
Folge dedfteten Fleißes. Dem fleiffigen Man:
ne guckt ver Hunger wohl ins Fenſter, aber ins Haus darf er
nicht Fommen. —
Folge der Beharrung. Der Geduldige treibt den
Ungeduldigen aug dem Lande.
Endlihe Kolge des Betruges. Wer den Andern
betrügt, der macht einen Sad, darin N ſich felbft wird fan-
‚gen.
Solge des Diebftahls. Wer mehr nimmt, als
er foll, der fpinnt fi) felbft ein Seil.
folge der Willigkeit, Mit willigen Roffen fahrt
der Fuhrmann wohl. Bit;
76
Folge des Ungehorfams. Wer Vater und Mut:
ter nicht hart, muß das Kalbfell hören.
Solge des öffentlihen Widerftandes. Wo
fi die Schafe Hundszähne einſetzen laſſen, da müſſen die
Schäfer eiſerne Handſchuhe anlegen, wenn fie die Schafe mel-
Een, oder fcheren wollen.
Folge des Krieges. Soldatenzahne thun den Bau:
ern wehe. — Krieg ift ein goldener Hammen;: wer damit
fiſcht, fängt nicht viel.
'olg e des Unrechtes. Unrecht Gut ift ein Funke
im Kleiderkaften. — Ein ungerechter Pfennig frißt zehn
andere.
Folge des thörichten Vertrauens Es if
ein albern Schaf, das dem Wolf beichtet.
Pr
2. Menſchenkunde. 7
id. Die glänzende, und die ſchwache Seite des
Menfchen
Die deutſchen Sprichwörter ſind gute Anthropologen;
denn ſie charakteriſiren den Menſchen, wie er iſt, nach dem
Leben, und zwar von der glänzenden Seite:
Den Starken, Der Ambos fräge nad EFeinem
Streich.
Den Tapfern. Kühner Muth, der beſte Harniſch.
Den Großen. Der Adler fängt Feine Fliegen.
Den edlen Edel:-Mann. Edel macht das Ge:
müth, nicht das Geblüt. — Fromm, treu und gi gehört
in des Adels Schild.
Den Gefühligen. Die Glocken Elingen weit anders,
wenn Einem fein Freund ftirbt.
Den Freundlichen. Wenn ein Freund bittet, da
ift Fein Morgen. — Freundes Hülfe reitet nie auf der Och:
ſenpoſt.
Den Beſcheidenen. Wer wohl thut, lobt ſich wohl.
— Das Werk lobt den Meiſter.
Den Aufrichtigen. Bonlautern Brunnen fließen
lautere Waffer.
fiber.
Den Berfhwiegenen, Berborgener Schatz liegt
77
Den Kämpfer für Freyheit, für Vaterland.
Mer für die Freyheit reitet, bat zwanzig Hände, und noch
fo viel —*
Den guten Au ste a er. Ein Ding freundlich aus⸗
legen, iſt eines frommen Gemüthe.
‚Den freyen Mann, Freye Leute, und treue —5
de ſtrafen ins Angeſicht.
Die deutſchen Sprichwörter mahlen eben fo nr bem
Leben den Menfchen von der ſch wachen Seite.
Den Menſchen, wie er iſt. Für ein gut Stück
am Menſchen, muß man fünf böfe — abrechnen. — Es hat
jeder Menfh fein aber. — Es muß ein Feder ein Paar
Narrenſchuh vertreten. ’
- Den Nach-treter. Wenn eine Gans trinkt, fo
trinken alle. — Wenn ein Schaf flieht, fo Taufen alle davon.
Den Nadh:klugen. Wenn die Sache geſchehen iſt,
fo verftehen fie auch die Narren. — Nach der That verfteht
auch der Narr den Rath. — Wenn das Schiff bricht, fo weiß
der Thor, daß nicht vecht gefahren iſt. — Fallt der Wagen,
fo hat er allemahl fünf Räder. — Wenn die Herren vom.
Rathhauſe geben, find fie am klügſten. — Wenn der Regen
vorüber ift, fo nimmft du den Kegenmantel um. — Wenn
das Kind getauft ift, will es jedermann heben. —*
Den Undankbaren. Wenn did Einer'nah Rom
trüge, und feßte dich nur einmahl unſanft nieder, fo wäre
olle Liebe auf ein Mahl verſchüttet.
Den Schmarotzer. Wer Leckerbiſſen Über dvey Gaſ⸗
ſen a der hat gern Gäſte in anderer Leute Häufern.
Den Faulen. Mägde, die aufgeweckt ſagen: Ja,
ja, ſchlafen wieder ein. — Der Faule ſucht einen Herrn, der
ihm in der Woche ſieben Feyertage gibt. — Ein fauler Fuhr⸗
mann ſpannt lieber aus, denn an.
Den Advocaten der ſchlechten Sache. Gute
Worte müffen böfe Waare verkaufen. — Die Wahrheit darf
nicht viel Worte, die Lüge Fann nie genug haben. — Die
Lüge bedarf gelehrter, die Wahrheit einfältiger Leute. —
Die Lüge hängt zufammen, wie —— man kann ihn
ballen.
Den Schwätz er. An Worten ah ungene&tem Zu:
che gebt viel ein. — Es gehen viele Wünfhe in einen Sad.
— er viel ſchwätzt, lügt viel.
Den Großſprech er. Die ſich großer Streiche rüb-
men, ſind ſelten gute Fechter.
Den Günſthing. Wem die Sonne (heine), der
fragt nichts nach den Sternen.
Den Biel: und Großgeſchäftigen. Die viel
anfangen, enden wenig. — Bey viel Kunſt, viel Unmuß. —
Große An-ſchläge haben wenig Nachdruck.
2; Den Verdächtigen. Wenn die Kage einmahl einen
a ‚geftefien bat, fo muß fie immer hören: Katz, vom
Vogeh!
Den Empfindligen, Einen Narren wirft man
bald aus der, Birgr.
Den Eangmeiligen, Der Faule ſpricht: es will
nicht Nacht werden. » ® |
Den Moraliften ohne Moral. Im Glück find,
wir alle. geduldig. — Der Vollbauch lobt das Falten. — Die
—— Jläuten Andern zur Kirche, kommen aber ſelbſt nicht
inein
Den Sein-— und Selbſtfreund. Er iſt eine
Sonnenuhr „Zeigt nur, fo lange die Sonne ſcheint.
Den -faliden Freund. Falſche Freunde find Fir
ſcher, die das Waſſer trüben, ehe ſie angeln. — Siedet der
Topf/ ſo blůhet die Freundſchaft.
Den Brauſekopf. Oben aus, nirgend an.
gi; Den Klopffechter. Wer alle Dinge verflechten
will, darf das Schwert nimmer einiteden.
Den Der Egel läßt nicht nach,
er feh denn voll Bluts.
:° Den Verbündeten. Die Herren fhlagen einander
den. Bal zu,
.
Den Eigenfinnigen. Mer alljeit feinem Kopf
folgt, dem iſt dag Hirn durchgraben.
» Den Abgefallnen. Wenn ein Engel zum Teufel
wird, fo gibts gar einen. böfen Teufel.
Den Gewbd bnlid- veifenden. Er trägt ein deutſch
Kleid. hinaus, und bringt ein walihes nah Haus. — Reiſt
eine Katze nad) Frankreich, fo kommt ein Mausfänger wieder
beim. — Mancher hat mehr Salz in der Fremde gegeffen,
ald daheim, und ift doch ungefalzen wieder gekommen. —
Ein Handwerker, wenn er [hen viel Land durchreiit, ſetzt ſich
doch wieder auf feine Werkitatt.
Den beſtechlichen Rechtsfreund. Das Recht
79
waͤre wohl gut, wenn mans nicht krumm machte. — Die
Leute führen das Recht in der Taſche.
Den Ungeſchickten. Narrenſchiff fahrt aller Hıten
an. — Gibt.man ihm viel Holj, fo macht er viel Späne. —
Ungeſchickt ift zu kurz zu allen Sachen, wenn er gleich auf
einer Leiter ſtünde. — Wenn das Schiff brefthaft ift, fo find
ihm alle Winde zuwider. — Wer zu fruh dem Lehrmeiſter entz
gangen, der ift auf den Wagen zu kurz, und auf den Karren
zu lang.
Den Unwiffenden. Man Fann einem Eſel wohl
den Schwanz verbergen, aber die Ohren laßt er vorguden.
Den Furchtſamen. Es Eommt. mehr Surcht | von
Innen heraus, als von Außen hinein. — Wer ſich vor Fun—
Een fürchtet, der gibt Feinen Schmid ab. — Wer vor einem
Gefpenft erfchriekt, den darf Fein Mann ergreifen.
Den Shuldigen. Der Schuldige hat bisweilen das
Glück, niemahls die Zuverfiht, verborgen zu bleiben.
Den Nihtfhoner des Fremden. Entlehntes Roß
macht kurze Meilen.
Den unedlen Edelmann. Adel, Tadel. -
Den Dummen, der ſich heben will. Die Sup
will auf Stelzen geben.
Den Ruhblofen. Gute Naht, Tugend! Gen ich
ich Geld, fo bin ich Lieb.
Den TaufendEünftlerim bäfgertüßem Ge
wande. Sünfzehn Handwerk, das fechszehnte Betteln. '
"Den eigennützigen Schwörer. Schwören *
des Krämers Gut verkaufen.
Den leichtſinnigen Schuldenmacher. cap die
forgen, die uns borgen. -
Den Unbelehrigen. Die Narrenhaut Hält zwar
Stich, nn fi) aber nicht flicken.
Den aufgeflarten Schalk. Ein Schalf weiß,
wie es dem andern ums Herz ift. — Es fucht Keiner den An—
dern: in einem Sad, er fen denn zuvor darin gefteckt.
\ 2» E» &
DieNeigungen und Leidenfhaftender Menſchen—
Die deutſchen Sprichwörter ſind gute Anthropologen; denn ſie
charakteriſiren die Neigungen, die Leidenſchaften, und
die Quellle aller Leidenſchaften nah dem Leben.
80
Sie mahlen A, die Neigungen überhaupt.
Sie verrebhnet fih gern. Die Augen find wei⸗
ter als der Bauch.
Sie ift blind. Es geht mehr Liebes in die Kirche⸗
als Schönes.
Sie wirft gern ab. Wer dem * ſeinen Wil⸗
len laͤßt, den wirft es aus dem Sattel. — Wenn die Magd
Frau wird, fo jagt ſie den Herrn aus dem Haus““
Sie benebelt die Vernunft. Wer Feuer im
Herzen hat, bekommt Rauch in den Kopf.
B. Die Neigungen insbeſondere.
1) Die Neigungen zum Koſtbaren, zum
Seltenen. Nach braunen Kirſchen fteigt man hoch. — Was
theuer, das lieb. — Nach gelben Birnen und braunen ‚Kits
ſchen fallt: fih Einer den Hals ab. Seltfam, angenehm.
2) Die Neigung zum Verbothenen. Berbor
then Obft ift für. — Wo; ich gern bin, da darf ich nicht hin.
— Geftohlen Waffer ift Malvafier. — sm verbothenen Teiche
ſiſcht man gern. V——
5Die Neigung zum ne Neu Liedlein fingt
* gern. — Das Alte Elappert, das Meue Elingelt, — Neue
Befen kehren wohl. — Wenn ein neuer wg. * ‚io
vergißt man die Alten. du;
».) 14) Die Neigung sum Sremden. 6 Bremp Brot
ſchmecket wohl.
sum 5). Die Gefhtehtsneigung Eu iſt ———
x ſch. Die Liebe lehrt tanzen⸗ — Liebe weiß verborgene
ege.
unſchuldig im Beginn. "gie den Nefteln fänge
man am. zu: fpielen.
"Blind Wer liebt, weiß wohl, was er begebrt,. weiß
* nicht, was es iſt.
Blindfolgſam. Die Siehe bat die Angel eingefchludt.
Keiner Erinnerung dürftig. Liebe hat gut. Ge
dächtniß.
Unraubbar. Lieb' ſtiehlt kein Dieb.
Unſtät. Liebe dauert fo lang; als ein — von
Brot.
Keine Kaufwaate. Liebe findet man nicht anf dem
Markte feil.
"Wird durch Liebe. Eine lebendige Kohle zündet ‚die
andere an.
Pad
81
Kommt durch das Aug. Die Augen find der Lies
be Thür.
Beſticht das Urtheil. Wenn bir die Liebe. ihre
Brillen auffest, fo fiehft du in dem Mohren einen Engel,
Weicht der Gewalt nicht. Die Liebe laßt fih an
einem ſchlechten Faden fangen, aber nicht mis Prügeln vers
treiben.
6) Die De n9 des XTrinfluftigen zur
Herzeröffmung. Der Wein iftein Wahrfager. — Das
Herz im Wein, die Geftalt im Spiegel. — Wenn der Wein
niederfiget, fteigen die Wort’ eınpor.
a mablen C. die Leidenfhaften. }
4) Den Beit,. ß
Seine Armuch. Einem armen Manne mangelt viel,
einem Geißigen Alles. — Der Wolluft fehlt viel, dem Geige
Alles. — Der Geitzige iſt das Roß, das Wein führt, und
Waſſer fauft. ”
Seine Gottloſigkeit, Geiß fucht feinen Himmel
im Koth. — Dem Geisigen iſt Alles ums Geld feil, ſelbſt
ſeine Seele, und ſein Gott. — Das Geld hat ſeinen Gott im
Kaſten. — Wer nur Gold und Silber im Herzen hat, bey
dem wächſt Fein Glaub’, Feine Lieb’, und Feine Hoffnung.
Seine Glenvdigkeit. Sein Gut heißt ihn nicht»
Herr. — Der Geiß iſt feine, Selbit - Stiefmutter. — Der
Geitzige macht ſich feine Fahre zur Hölle ſauer. — Der Geit—
zige muß Hunger leiden, weil der Teufel den Schlüffel zum
SeldEaften hat. — Der Geißige ift- arger als ein Dieb ; der
Dieb ftiehlt dem andern das Geld aus der Tafche, der Geißige
fih felbft das Mark aus den Beinen.
Seine VBerjüngung. Wenn alle Sünden alt wer—
den, wird der Beiß Jung.
Seine thörichte Borfidt. Mancher hat noch eine.
Stunde Weges — zum Todey und ſenn Zehrung, als
hätte er noch hundert Jahre dahin.
2) Den Zorn.
Seine Unvorfihtigkeit, Wer im Zorne bandeft,
geht im Sturm. unter Segel, — Des Zorns Ausgang iſt der
Reue Anfang. — Dem Zorn geht die Neue auf den Socken
na
ii Seine Zerftorungsfraft. Der Zorn wird nit
alt. — Der Zorn bringt: graulihe Säfte mit fih. — Der
tolle Zorn thut mehr Schaden, als drey Drefchflegel. a
Seilers Syridw, 6
82
Mittel dagegen. Zeit ift des Zornes Arzney. — Hat:
ren ift des Zornes Gegengift. — Wenn ER deinen Sohn mit
Füßen treten willft : fo zieh zuvor die Schuhe aus. -
5) Die Rache.
Sieiftfhneltthdtig. Der Rache find die Hände
an das Herz gebunden.
Thutunrecht. Rache ift ein neu Unrecht. — Sn der
Rache wird ein Eleines Recht zum großen Unrecht,
Zieht wieder Rache nah fih. Rache bleibt nicht
ungerochen. — Einer Rache gebührt die andere.
4) Hoffart.
Wäahnt Hohesvon fih. Die Hoffart mißt fi
nad) der langen Elle. — Der Stolz; meint, fein Ey babe all:
zeit zwey Dotter, feine Würfel werfen allzeit achtzehn. —
Er kann große Baume ausreiffen.
Sftwindig. Hofart ift des Dünfels Waſſerſucht. —
‚ Die Luft blaft die Sadpfeifen auf, Hoffart den Narren. —
Leere Kornäbren ſtehen hoch.
- . Maht große Pratenfion. Hoffart meint, Stuhl
und Zänfe follen vor ihr auffteben.
Pe Zragt ſich hoch. Hoffart ſtreckt den Schwanz übers
eſt.
Iſt eine ſchlechte Hauswirthinn. Hoffart und
Armuth halten übel Haus.
Hatihre Freyheit verkauft. Hoffart muß Zwang
leiden.
Macht blind, und bereitet den Sturz vor.
Hoffart kommt vor dem Fall. — Wann Hoffart aufgeht, ſo
geht das Glück unter.
5) Den Neid.
Er geht aufs Ausgezeichnete. Unter der Bank
neidet man Niemand. — Neid kriecht nicht in leere Scheuern.
— Neidhart haßt nur die Tagvögel. — Große Kunſt haſſet
man. — Glück und Ehre haben den Neid zum Gefährten. —
Neider find Lichtpugen, die Andern ihr Licht Töfchen. — Geht
der Wagen wohl, fo hängt fi) der. Neid daran.
Richtet fich felbſt hin. Der Neid ift fein Schind-
meſſer. — Der Neid mag nichts eſſen, außer fein Herz.
Iſt biffig. Neid beißt.
6) Woltuft,
Bringt Reue, Schande, Elend, Tod. Bald
geendet, lang geſchändet. — Kurze Luft, Tange Neue. —
Honig iſt der Müde Tod.
83
Sft unbelehbrfam. Woluft hat Feine Ohren.
Muß mit Gewalt gebändigt werden. Wer
den Lüſten nicht das Meffer an die Kehle fegt, den bringen fie
ums Leben.
7) Berleumdurgsfudht.
Der Verleumder hat den Teufel auf der Zunge, und
der ihm zubört, in den Ohren. — Es ift eine böfe Art, die
die Ehre abhaut, die fie nicht geben Eann, — Falſche Münze
gilt. nichts, weder in der Ausgabe, noch in der Einnahme.
Sie mahlen D. die Mutter aller felbftfü
tigen Meigungen, aller Reidenfhaften, aller
Stunden, aller Thorheiten, alles ſelbſtgemach—
ten Elendes — die Eigenliebe,
Sie tiebt Schmeicheleyen. Die Kage hats ger-
ne, wenn man fie flreichelt. — Wo man die Kage ſtreichelt,
da ift fie gern.
Sie überfhätzt ven Werth des Eigenen.
Lieber Koth ftinfe nicht. — Jedem dünft, daß feine Eule ein
Falk ſey. — Fremdes Feuer ift nicht fo bei, als daheim der
Rauch. — Es ift Eeine Eule, die nicht ſchwüre, fie hätte die
ſchönſten J Zungen. — Dem Storche gefällt fein Klappern wohl.
— Zedem Narren gefällt feine Kappe. — Einem Jeden gefällt
feine Weife wohl: drum it das Land der Narren vol.
Sie verſchläftihren Vortheil nicht. Wer in
Röhren ſitzt, ſchneidet ſich die Pfeifen, wie er will. — Wer
der erſte zum Herde kommt, ſetzt feinen Topf, wohin er will:
— Der erſte beym Feuer fest fih am nächſten.
Sie Eann hart gegen Andere feyn. Es ift in
eines Andern Haut zu ſchneiden, wie in einen Filzhut.
Sie tadelt-an Andere, was fie felberan
fid Ber Ein Efel heißt den Andern Sackträger.
e hat einen unerfättliden Schlund. Wer
viel — dem geht viel ab.
Sie liebt nur den Nutzen im Nachbar. So
lang der Efel,trägs, iſt er dem Müller lied. — Nimmer
Nutz, nimmer lieb,
Sie gibt nur, um zu empfangen. Man heißet
den Ofen nur, damit er wieder erwarme.
Sie läßt die Schuld nie auf fid kommen—
Adam muß eine Eva han, der er zeiht, was er gethan.
Sie ift die Mutter aller Heudeley. Die
Lafter ftehlen der Tugend ihre Kleider. — Es ift Feine Mönchs—
6x
1
[q
84 4
Fappe fo heilig, der Teufel kann drein fhlupfen. — Wenn der
Teufel die Leute betrügen will, fo ift er fhon, wie ein Engel.
— Es geben die Leute der Tugend die Hande, aber nicht das
Herz. — Wenn die Sonne fcheint, und e3 zugleid) veanet: fo
it es in der Hölle Kirchweih. — Honig im Munde, Scher:
ee in ber Hand.
Sieift Duelle aller Ketzerey. Meifter But-
dünkel it aller Ketzerey Wurzel,
—
4
77 ’
Die manderley Zujtande der Menſchen.
Die deutfchen Sprichwörter find gute Anthropologen ;
denn fie charafterifiven mancherley Zuftande, Lagen,
Situationen des Meniden; fie mablen nad dem
Leben
1) Den Geift der Geſelligkeit. Es beißt Fein
Wolf den andern. — Wilde Barn find bey einander gern. —
Es muß ein Falter Winter feyn, wenn ein Wolf den andern
frißt. — (Cine Kräbe fißt gern bey der andern.
2) Die Kraftder Gewohnheit. Beift die Maus
vom Kaͤſe, fo kommt fie wieder. — Wer anbeift, laßt felten
davon. — Laßt der Dieb fein Stehlen, fo Taßf der Hund
fein Bellen.
3) Die Macht der Hoffnung. Die Hoffnung ift
das Geil, an dem wir ung Alle zu Tode ziehen.
4) Die Allgewalt der Noth. Die Noth bricht
Eiſen. — Die Noth hat keinen Feyerabend. — Die Noth
hebt einen Wagen auf. — Die Nothſchlang iſt über alles
Geſchütz. — Noth lehrt auch den Lahmen tanzen. — Noth
lehrt alte Weiber ſpringen. — Noth dringt ängſtlich zu
fhwigen. u
5) Die Ungewißheit. Ungelegte Eyer find unge:
wiſſe Hühner. — Sn ungewiſſen Dingen kann man keinen
gewiſſen Fuß ſetzen. — Die Würfel fallen Einem nicht nach
Wunſch, wenn er ſchon darein bläſt. Es iſt noch nicht auf den
Mühlen, was zu Oſtern gemahlen werden fol.
6) Die anftectende Kraft des Beyſpieles,
der Geſellſchaft. Bey Wollen lernt man faufen, bey :
Krämern Eaufen, bey Krummen hinfen. — Wer mit Kagen
jagt, fängt gern Maufe. — Wer unter Wölfen ift, muß mit
ihnen heulen. — Ein Schalk madt den andern.
f
|
— —⸗
85
, 7) Den Argwohn. Argwohn betrügt den: Mann.
— Argwohn riet den Braten, ehe dag Kalb gefchlachtet ift.
8) Aufklärung, die zu fpatfommt., Die Reue
iſt ein hinkender Bothe, und kommt hinten nach.
4.
Das dere am Menfhen, das fein Inneres
} vervrath.
Die deutſchen Sprichwörter find gute Anthrovologen;
denn fie find richtige Phyfiognomen, evrathen das Snnere
ausdem YAeußern.
1) Grundfatz der Phyſignomik. Wovon das Herz
vol, davon gehn Mund und Augen über. — Das Angeficht
it der größte Verrather. — Das Angeficht verrath den Mann.
— Das Angeficht weifets aus. — Alle Glieder am Menfchen
find Zungen. — Das Angefiht macht die Rechnung. — Die
Natur Tape nichts unbezeichnet. — Die Natur hangt überall
ihr Schild aus. — Sch fehe an dem Neſt wohl, was Wogel
on ift. — Man fieht an den Federn wohl, was Vogel
er if f
2) Das Auge. Man fieht es dir am Auge an. —
Das Auge, des Herzens Zung. — Ein unreines Auge ift eines
unreinen Herzens Zeuge. — Die Scham ift in den Augen: —
Der Schuldiat garkt
3) Die Spur bes Fleißes. Walzender Stein wird
nicht moofig. — Gebrauchter Schlüfel ift immer blank.
4) Der Klang, die Nede. Eine Blafe mit drey Erb:
fen macht mehr Gerauich, als eine volle. — Volle Faffer Elin-
gen nicht. — Die Nereverrath das Herz. — Was der Mann
Fann, zeigt feine Red’ an. — Wan hört an den Worten wohl,
was Kaufmannſchaft er treibt.
5) Die Geberde des Liftigen. Der Schwanz
zeugt von dem Zuchfe.
- 6) Zeihen der innern Leerheit. Ein leerer
Sad fteht nicht aufrecht.
7) Verftellung. Aufdem Marfte fern man Kg Leu:
te beifer Eennen, als im Tempel.
8) Die Flucht. Flühtig Mann, ſchuldig Mann. —
Dem Schuldigen wackelt das Mäntlein.
9) Schrecken und Muthloſigkeit des Schul—
digen Die Schuld tödtet den Mann. — Dem Schuldigen
86 a
Yäuft die Kate bald den Rüden binauf. — Dem Schuldigen
erfchreckt eine Maus. — Der Schufdige fürchtet fi vor einem.
raufhenden Blatt. — Das Gerücht tödtet den Mann.
.10) 9 orheit. Die Narren bedürfen keiner Schelle:
Mien’ und Geberde verrathen fie. ;
11) $urihtfamEeit. Der Furchtſame trägt fein Ge—
müth im Angeficht.
12) Geſellſchaft. Gefellfhaft mahlt Einen am beiten.
15) Liebe und Raufd. Liebe und Rauſch fehaut
zum Senfter raus. *)
14) Die Röthe. Wenn Kinder roth werden, haben
fie was angeftellt.
j s.
Der Werth und Unwerth menſchlicher Dinge.
Die deutſchen Sprichwörter ſind gute Anthropologen;
denn fie Eennen den Werth der menſchlichen Dinge.
1) Den Werth der Arbeit. Arbeitsfhweig an
Händen hat mehr Ehre, als ein goldner Ring am Finger. —
Mer darnad ringe, dem gelingts. — Arbeit gewinnt Feuer
aus den Steinen. — Siegen kommt nicht vom Liegen. —
Es fallen feine Spane, man baue fie denn. — Wer den Kern
Haben will, muß zuerſt die Schale brechen.
2), Den Werth der Erfahrung; fie macht wit-
319, fie lehrt auch durch Verluſt, durch Leiden, und durch Leis
den am beften. Niemand weiß beſſer, wo ihn der Schuh
drückt, als der ihn am Fuße bat. — Es hinkt Keiner an des
Andern Fuß. — Ein unerfahiner Mann ift ein ungefalgenes
Kraut. — Man fiehts an den Scherben, was der Topf ge—
wejen iſt. — Den Brunnen fhaßt man erit, wenn er fein
Maler mehr gibt. — Wenn der Befen verkehrt it, fo ſieht
man erft, wozu er gedient. — Gebranng Kind fürchtet das
Feuer. — Wer ſich einmahl verbrennt hat, bläſt hernach in
die Suppe. — Wenn Einem das Waſſer ins Maul vinnt, fo
wird er wohl fhwimmen lernen. — Harte Streide lehren
wohl **) — Blaue Mahl’ helfen für Unfall.
—
Ein bayeriſches Sprichwort.
2%) EM Lateiner kurz und wohlflingend : qua — do»
87
5) Den Werth des Lebens. Todte Hunde beiffen
nicht. — Beſſer ein lebender Hund, als ein todter Löwe.
4) Den Werth des guten Nabmens. Guter
Nahme ift ein reiches Erbtheil. — Guter Nahme ift ein ſchö—
nes Heirathgut. |
5) Den Werthderanhaltendenliebung. Mib
einem Sifcherbuben von neun Jahren ift es beffer über den Rhein
fahren, ald mit einem Doctor von fiebzig Sahren. — Sing,
fo lernft du fingen, — Dan fchlaft fich nicht gelehrt. — Wan
bricht die Kunft nicht vom Zaune. — Es fallt Eein Gelehrter
vom Himmel. — Es Fann oft Einer, wag er nicht weiß. —
Die Bücher geben Eeine Handgriffe. — Es fallt Eein Baum
von einem Streiche. — Oft ſchießen trifft das Ziel. — Es
wird Fein Meifter geboren. — Geräth der erſte Wurf nicht,
fo fallt die Birn vom andern. — Hans Ohnefleiß wird nim—
mer weis. — Biel Streih’ machen den Stodfifh weih. —
Bon vielen Streihen wird der-Stodfiih lind. — Öteter
Tropf höhlet den Stein.
6) Den Werth der Gefundheit. Der Geſunde
weiß nicht, wie reich er ift.
7) Den Werth des Alten. Alte Freunde, alten
Mein, und alte Schwerter foll man nicht vertaufhen.
8) Den Werth des häuslichen Lebens. Der
eigne Herd iſt Goldes werth: ift er glei arın, halt er doch
warn. — Eigen Teuer Eoht wohl. — Das Schneckenleben
ift das befte. — Willſt es haben gemach, fo bleib unter Dach.
9) Den Werth der Erfenntnif, der Belehr-
jamEeit. Wer Kopf bat, der hat ein Ehrenamt. — Das
Dintenfaß fteht auf dem Tifch des Kaifers.
195 Den Werth des Reichthums. Die Habe
ift wie der Haber.
11) Den Werth des Beyfalls der Menge
Unter’ Blinden ift ein Cinaugiger Konig.
12) Den Werth der Beharrung, der Vollen—
dung. Es hilft nicht, wohl fpannen; man muß auch abfdie=
Gen. — Wer unterwegs erliegt, von dem fingt man Eein
Siegeslied. — Wer baut, muß den Thurm big zum Knopfe
führen. — Garn richten, fängt nicht Wögel, fondern zuziehen.
— Der Nachdruck thut's. — Man muß die Angel einwerfen,
und den Fiſch herausziehen.
15) Den Werth der Weisheit. Wo Fein Sal
im Haus iſt, da mangelt es am beften Gewürz.
s
88
14) Den Werth des Sriedens. Beſſer ein Ey
im Frieden, als ein Ochs im Kriege. — Friede düngt den
Adler.
15) Den Werth a Kunſt, des Gewerbes.
Ein Handwerk, eine täglihe Gilt. — Ein Handwerk hat ei:
nen golonen Boden. — Kunft ift gut über Feld zu tragen. —
Es ift ein fein Ding um einen Mann, der etwas kann. —
Kunft fiſcht nirgend umfonft. — Kunſt ift ein guter Zehrpfen—
nig; man träge nicht fchwer daran. — Ein Handwerfsmann
kann einen Nenntherrn auszehren.
16) Den Werth des Frühaufſtehens. Mor—
genſtund hat Gold im Mund.
17) Den Werth des Mittelftand ed. Zwi—
fhen Armuth und Reichthum ift das befte Leben,
18) Den Werth der Kindlidfeit und Ein-
falt. Gott muß feinen Himmel mit Kindern und Albernen
füllen. — Beſſer albern und feft, als ſchön und Eraus.
19)- Den Werth des freundliden Wortes.
—J und Harfen lauten wohl, eine freundliche Rede noch
eſſer
Die Sprichwörter kennen auch den Unwerth
der Dinge 3. B.
1) Des ungeladenen Gaſtes. Ungebethene Gä—
ſte ſetzt man ‚hinter den Feuerherd.
2) Des weilenden Gaſtes. Dreytägiger Gaſt iſt
eine Laſt.
3) Des SEI GEF ALGEN: Almanns Sreund, Jeder—
manns Ged.
4) Des Angebo chenen. Angebothene Waare gilt
6.
Unterfhied des Alters, und des Vermögens.
Die deutfchen Sprihworter find gute Anthropologen ;
fie fennen nicht nur den Menfchen, fondern auch die Leute.
Diefe unterfcheiden fi) noch befonderd auf zweyerley
Beife, Ein Unterfchied ift an ihnen, ein anderer um ihnen,
Jener ift der Unterfchied des Alters, hieler des Vermö—
gens, der —
—
80
A. Der Unterſchied des Alters.
ä) Das junge Alter \
4) tragt die Zukunft in ſich. Diegrößten Bau:
me im Lande waren einmahl ſchwache Reislein.
2) Sit weichl ich· Junges Vögelein, weiches Schnd:
belein.
3) Schon. Sung genug, ſchön genug.
4) Früh-klug: unge Ganfe wollen die alten. zur
Tranfe führen. — Sunge Pferde wollen den Bereiter abrich—
ten. — Das Ey will klüger ſeyn, als die Henne. — Die
Hähnlein ioplien dem Hahn vorfrabn.
5) Schnell:fangend, leihbt nahahmend.
Sugend fängt wie Zunder, — Wie die Alten fungen, fo
zwitfchern die Jungen.
6) Blindeverfhwenderifh. Wüßte der Junge,
was der Alte bedürfte, fo würde er oft den Seckel zulaſſen.
r 7) Untühtig zur Wirthſchaftlichkeit. Ein
junger Mann muß viermahl verderben, ehe er haufen (haus:
\ halten) lernt.
8) Unvorfidhtig. Junge Leute ftoffen überall an,
wie blinde Roſſe.
9) Ueber-reitzbar zur Thorheit. _ Ein Junge
muß fieben Sahre nacheinander narren; und wenn er eine
Stunde daran verfäaumt, fo muß er die Narrenyahre wieder
von Neuem anfangen.
10) Zuht:bedürftig. An jungen Baumen, wenn
-fie gerade wachlen follen, muß man immer etwas abbauen.
17) Gern-trotzig. Jungen Stieren wachſen Hör⸗
ner.
12) Solt nicht zu früh gebilbet werden.
Früher Wis, baldiger Aberwitz — unge Füllen zu früh
—— nicht. — Jung ein Engel, alt ein Teufel.
— Jung und weife fißen nicht auf, einem Stuhle. — Kin—
dern ziemen kindiſche Geberden. IR {
13) Soll nit vor der Zeit gu ffenttigen
Uemtern gelaffen werden Wer mit grünem Holze
einfeuert, bringt mehr Rauch als Hiße ins Haus. — Wer
mit jungen Ochſen pflüget, macht krumme Furchen. — Neue
Weine find für, haben aber viele Hefen.
14) Sollaber fhomgar nicht verachtet wer-
den. Wenn die Kinderichuhe zerbrochen find, fo legt man
Stiefel an. — Jung an Fahren, Eann alt an Verſtand feyn.
g90
Mangel an Jahren iſt ein Fehler, der ſich mit jedem Tage
verbeſſert.
15) Soll ſich durch Mäßigkeit, Arbeitfam-
keit und Sparfamfeit auszeichnen. Die Jungen follen
zum Tifhe einen hungrigen Magen, und einen müden Yeib
zu Bette tragen. — Langſam zum Beutel, burtig zum Hut,
hilft manch jungem Blut.
16) Sollfid feine eigenfte Zierde nicht
ranben Lafjen. Drey Dinge zieren die Jugend: Witz
im Kopfe, Verſchwiegenheit auf der Zunge, Schamröthe
im Geſicht.
17) Soll für daß Eommende Alter forgen:
Willſt du in der Sugend dem alten Manne nicht Zehrung,
Wegfteuer und Krüdengeld jchaffen, fo geh im Alter betteln.
b) Das hohe Alter:
1) Seine Ankunft. Das Alter ſchleicht dem Mene
fhen auf dem Zuße nah. — Das Alter ſchleicht herein, eb
man's gewahr wird,
2), Gaben.
Die Babe zu rathen. Das Alter gehört in den
Kath. — Dan Eann dem Alter vor:laufen, aber nicht vor—
rathen. — Alter Wein, gefunder Wen. — Alter Mann,
guter Math.
Körperlide Munterfeit und Stärfe Ein
alter Adler ift itarker, als eine junge Krähe. — Ein alter
Backſtein dauert langer, als ein neuer.
3) Die Gebrechen. 2
Krankhaftigkeit. Das Alter iſt auch eine Krank—
heit. — Das Alter iſt eine Krankheit, daran man ſterben
muß. — Das Alter hat den Kalender im Leib. — Das
Alter ift ein Spital, das alle Krankheiten aufnimmt. —
Das Alter erfahre alle Tage eine neue Zeitung.
Shmwähen, abnehmende Kräfte Wenn es
will Abend werden, fo verliert die Sonne ihren higenden
Schein. — Alte Kirchen haben dunkle Gläſer. — Wer feine
Augen im Futeral tragt, Eann viel überfehen.
Shwasghaftigfeit. Alte Faller rinnen gern. —
Alte Röhren tröpfeln gern.
Unbelehrſamkeit. Alte Bäume find bog zu biegen.
— Alte Hunde jind bös zu bändigen, — Man muß den Al:
ten ihre Weife laffen.
gr
Kargheit. Zealter, je farger. — Wer den Alten
zum Geben ermahnt, gibt dein Zodten eine Arzney.
Thorheit. Für Ihorbeit hilft Eein Alter, für den
Tod Fein Kraut. — Mander Graufopf ſteckt noch in der Bu—
benhaut, und geht fein Lebtag in Kinderſchuhen.
Liſtigkeit. Alte Leute, alte Ranke. — Alter Fuchs,
alte Lift.
Mürrifh Wefen. Alte Leute find wunderlich: das
nimmt ihnen Niemand, denn die Hauen und Schaufeln.
Sung feyn wollen. Mander will jung feyn, und
bat ſchon fiebzigmahl DOftereyer gegeſſen. — Zanztein Alter,
fo macht er großen Staub.
Gefübhllofigkeit. Wenns auf dem Berg reift, ift
im Ihale alles erfroven. — Wer altet, der Ealtet.
Heiratbh der Alten. Wer mit fechzig Jahren eine
junge Srau heirathet, ladet den Zoo zu Salt. — Heirath
der Alten ift ein Ladfehreiben an den Todtengraber. — Es iſt
nicht Ihön, einen Zuß im Grabe haben, und den andern im
Hochzeitshauſe.
Die ſchwerſten Bürden. Alt und arm ſeyn, ſind
zwey ſchwere Bürden; man hatt’ an einer genug zu tragen.
4) ©Segnungen des hohen Alters. Keuſche
Ssugend, Lebensbalfam des Alterd. — Kunit it des Alters
Zehrpfennig. — Wohlgerathene Kinder, de3 Alters Stab.
5) Das Kunftftüd des Alters. Das Alter macht
aus Blumen Wachs.
6) $ugend und das hohe Alter. -
1) Keiner ift fo alı, der nicht noch ein Jahr leben will;
Keiner fo jung, der nicht heut noch fterben kann.
2) Die Alten find der Jungen Spott.
3) Beſſer gutes Alter, als böfe Jugend. — Beſſer alt
mit Ehren, als jung mit Schande.
’ 4) Das Alter foll der Jugend Borbild; die Jugend
des Alterd Stütze feyn.
5) Der Müfiggang in der Jugend bringe die ſchwerſte
Arbeit im Alter.
6) Schwere Arbeit in der Zugend ift fanfte Ruhe im
Alter. 3
, 7) Die Zungen follen bey den Alten die Ohren braus
den, nicht das Maul.
8) Die Zugend fol erwerben; das Alter mag davon
ehren.
972
9) Zwey Dinge felten findin aller Welt: ein After, der
sticht Yiebt und fpart das Geld; ein Junger, der ſich nicht für
mweife halt.
10) Was die Alten gebaut, Eönnen die Jungen nicht uns _
ter Dach erhalten.
11): Wer in der Fugend die Fuße ſpart, hat im Alter
ruhige Beine.
12) Beſſer in der Jugend gelitten, denn im Alter.
13) Ein Alter ſieht beſſer hinter ſich, denn ein Junger
vor ſich.
14) Das Alter hilft für Thorheit nicht; Jugend hat den
Verſtand nicht.
B. Der Unterſchied des Vermögens.
N
a) Die Armen.
Sie find ı) reih an Erfindung. Meue Fünde
- Fommen von armen Leuten. — Armuth der Künfte Mutter.
— Armuth lehrt geigen. — Armuth fludiert. — Armuth ift
liſtig, fängt auch einen Fuchs. — Der hungert, findet den
Doctorhut. — Armuth hat viel zu Herren gemacht. — Ar:
muth hat Städte gebaut. — War’ Armuth nicht, fo war Feine
Kunft.
2) Ihre Weisheit gilt niht. Es verdirbt viel
Weisheit in eines armen Mannes Taſche.
3) Sie find veradtet. Es iſt Feine Sünde, denn
arın feyn. — An die Armuth wifcht —— die Schuhe.
— Arme Leute kennt Niemand. — Arme Leute gehören hin—
ter die Thüur.
4) Sie genießen wenig. Wenig baar Geld macht
genau zehren — Arme Leute Fochen dünne Suppen. — Be:
Eommt der Arme ein Stüd Brot, fo reißt es. ihm der Hund
aus der Hand. — Armer Leute Säfte gehn früh nach Haus.
x 5) Sie werden gedrückt. Elend it unbegraben
todt. — Armuth hat einen Stein mehr als andere Leute, —
Das Unglück triffe nur die Armen. ;
6) Sie find ohne Heimath. Die armen Leute
find aud in ihrem eigenen Haufe nicht daheim.
7) zum Glücke — fallen fie nit hoc. Fuß⸗
ſchämel fallen etwa um, aber nicht hoch.
8) Und ſchlafen wohl. er — Betten liegt
man wohl.
9)9) Sind auch ſicher vor RR HR Gift fin-
bet man nit in armer Leute Küchen,
» 95
RAN Bon den Armen müß man wohl unterfheiden die
Steig: Bettler, die arbeiten könnten, und nicht wollen,
denn diefe find unerfattlid. Bettelſack fagt nie: ic
babe genug. — Der Bettelfack wird- nie voll. — Der Bet:
telfack hat einen langen Zettel; man trägt aller Welt Garn
darein,
11) Unverfhamt. Es erſchrickt Fein Bettler vor
einem großen Stück. — Betteley ſchmeckt wohl einem unver-
fchamten Maul. — Kein Bettler fagt, es ift zu viel,
12) Reich, Bettler faften felten. — Es ift nichts reis
cher, als der Vettel. — Der Bettler hat voll auf, ohne Sorg
und Arbeit.
13) Bettler-Marime. Viel Handwerk in der Welt,
Betteln das beite.
14) Beftändigfeit im Amte. Sobald Einem der
Bettelfack in. der Hand erwarmet, fo legt erihn nimmer ab.
15) Neben= Handwerk. Die Armuth findet auf
ungefehrten Banfen. — Am Tag ein Bettler, zu Nachts ein
Dieb.
16) Bettler-Gemählde. Der Bettler treibt das
goldne faule Handwerk; dabey er ſechs Tage feyert, und den
fiebenten vor der Kirche fißt: — . Der Bettler bat Fett und
Mahl, Haus und Hof, Kiſten und Kaften bey andern Leuten,
17) Bettler-Neid. Es neidet ein Bettler den an-
dern.
18) Bettler:Feind. Die Bettler find den Hunden
feind, und die Hunde den Bettlern *)
19) Gotrlofe Bettler. Gottlofe Bettler geben gern
Verräther, Mordbrenner, und Meucelmörbder.
“ 20) Bettler-Abkunft. Der Vater ein Schlem—
mer, der Sohn ein Bettler.
b) Die Reihen. "
1) Sie find hoch in ihrem Sinne. Es ft nichts
Stolzeres, als eine volle Taſche. — Geld fahrt auf hohen-
Sdlitten, Armuth geht zu Fuß. — Wo Gold redet, da gilt
al andere Rede nicht. — Der Reiche redet eitel Zentners
worte. — Des Neihen Wort ai; denn es ift mit Gold ge—
füttert.
*) Denn fie find eines bandwerte⸗ leben beyde » von der
Gunſt —* DERER:
*
94
2) Glauben an die Allmacht, und an den
Adel des Geldes. Baar Geld ift die Lofung. — Schimm:
lig Geld macht edel. — Das liebe Geld Fann Alles. — Es
ift überall nur um das liebe Geld zu thun.
» 3) Geben nicht viel gute Worte. Geld im
Seckel dußet den Wirth.
4) Sind angefeben, bey wenig Kunft und
Tugend. Man gibt mehr um einen Heller Kunft in Gold
gefaßt, ald um einen Zentner im Zwilchſack. — Hält id
Geld, ich wäre fromm genug.
5) Haben nicht nothwendig feine Gitten.
Es ift ein Zwilchſack nie feiden gewerden ob er wohl voll
Geld if.
6) Haben manderiey Zuflüffe Aus viel Beu-
teln ift gut Geld zählen.
7) Geben nidt gern. Das Geld hat Podagra’s
Art: wo's ift, da bleibt's. }
8) Lieben Eöftlihe Tafeln Wer viel Pfeffer
bat, pfeffert auch fein Gemüs.
9) Sind arm am Geifte. Reichthum und Schnup⸗
ven fallen meiftens auf die Schwaden.
10) Können aud die ungeredteften Pro
zeffe gewinnen. Eine Hand voll Gold ift ſchwerer, denn
ein Sad vol Recht und Wahrheit.
11) Shr wahrer Schatz. Almofen ift der Keichen
befter Schatz.
12) Ein beiferes Nicht-Geben. Beſſer nichts
geben, als geraubtes Almofen.
3. Weltkunde.
Die deutſchen Sprichwörter ſind Weltkenner, ſie
kennen den Weltlauf und das Schickſal, Ebbe und
Zluth der Dinge, Glück und Unglück.
1.
; Der Beltlauf.
Sie Eennen den Weltlauf, das ift,
1) die Geſchichte der Wahrheit. Die Wahr:
heit BEN Eeine Herberg. — Die Wahrheit hat Dinte im
u
9
Geſicht. — Die Wahrheit wird mit Tüchern behängt, wie die
Altare in der Faften. — Mit der Wahrheit fpielt man alle
Mole den Eharfreytag. — Zur Begräbniß der Mahrbeit ges
hören viele Schaufeln. — Das Seil, womt man die Wahr:
beit aus dem Brunnen zieht, ift ſchon lange zerbroden. —
Wenn man die Wahrheit auf großer Herren Tiſch bringen
will, muß man viel füße Brühlein daran machen.
2) Lohn der fhweren Arbeit. Die Roſſe, die
den Haber bauen, freflen am wenigften davon. — Die Efel
tragen das Korn in die Mühle, und befommen die Spreu.
5) Dauer des Beyfalls. Nichts alters eher, als
Lob und Ehr. i
4) Wohlgefütterter Müfiggang. Dem Mü:
Bigganger gehören zwey Brote; denn er hatte fonft nichts zu
thun, wenn er nicht des Leibes pflegte.
5) Beredfamfeit des Reichthums. Neiche leute
jind überall daheim. — Wenn das Gold redet, fo fchweigt
alle Welt. — Groß Geld, groß Glaub’.
j 6) Die Fleinere Zahl der Guten. Die braven
Leute find dünn gefaet, und figen weitvon einander. — Das
Unfraut wuchert beffer, als der Weisen. — Es Eommen auf
jeden Edelſtein viele taujend Kiefelfteine.
7) Zugendlob. Fromme Leute lobt Sedermann, und
laßt fie betteln gahn (gehen).
8) Anſehen, Verahtung. Wenn der Wagen
aufrecht ftebt, fo figt Jedermann darauf; fällt er, fo flieht
Sedermann davon.
9) Sieg des Goldes. Ein Quintlein Gold wiegt
mehr, als ein Zentner Gerechtigkeit. — Eine Unze Gunft
und ein Quintel Gold wiegt mehr, als ganze Schiffe und
Magen voll Recht. — Geld ift Königinn, Tugend und Kunft
ihre Schüſſelwäſcherinn.
10), Geld ausleihen. Dem Leiher geht man ent:
gehen bis vors Thor; dem Forderer fehlägt man die Thür von
Meitem zu. — Den Leiher ſucht man viele Meilen auf; den
Zorderer wirft man die Stiege heranter.
11) Gewalt, Redt. Die Gewaltigen handeln mit
Geld, die Schwachen mit Nedt.
12) Gerehtigfeit. Kleine Diebe hängt man, vor
großen zieht man den Hut ab. — Große Diebe henken die
Eleinen.
15) Stück ohne Verſtand. Es brinat ben Nar—
ven fein eigen Glück um. |
» e2
96
14) Liebe ohne Beftand. Wenn das Feuer im
der. Küche ausgeht, fo löſcht es auch in dem Herzen aus,
15) Ball wohne Hülfe. Wer da liegt ,) der liegt;
‚ ihm hilft Niemand wieder auf. — Wer liegt, über den läuft
alle Welt hin.
16) Bewirtbung. Man empfängt die Saite freunds
ih mit Mund und Hand, und mit Herzen, wie Gott wohl
weiß.
17) Unglaube. Die Welt glaubt 2 bis ihr das
Waſſer in’s Maul rinnt. Die Welt glaubt nicht, bis ihr
der Glaube in die Hande kommt (bis ed handgreiflich wird).
18) Druck der Guten. Wenn es Glück regner,
figen fromme Leute im Schnee.
19) Tapferkeit und Life. Wo die Löwenhaut nicht
hinreiht, da Enüpft man ben Zuchspelz daran: "
3 ha:
Das Schickfal—
Sie kennen die Schickfale der Menſchen:
1) Des Künftlers,. Hohſteiger fallen gernz gute
Schwimmer ertrinken gern. J
2) Des Sinkenden,- Einer Wand, die fallen will,
gibs. Sedermann ein Stößlein.
3) Des füßen Herrn. Wer Jedermanng Freund
ſeyn will, muß Jedermanns Narr feyn. — Kunde, die Se:
dermanns Geſellen find, hat man nicht gern.
4, Des Niedern, Gemeinen. Wer fih wie
Koth ans Rad hangt, den laßt man wie Koch am Nabe banz
gen, bis ihn das Nad wie Koth wegwirft.
/ 5), Des Spielers. Es fpielen fi) eher gehn arm,
denn Einer reih. — Die Karte gibts nicht.
6) Des Biedermanns. Biedermanns Erbe Tiegt
ın allen Landen. |
. 7) Des Furchtloſen, Tapfern. Wer dem Un—
glücke unter die Augen gebt, ben fürchtet es; wer es fürchtet,
den jaget es.
:8) Des ee rigen und des Filzen. Der
Milde * ſich reich, der Geitz nimmt ſich arm.
9) Des Schwachen. Stauden können den Eichen
feinen Trotz biethen. — Hügel werfen bie, Berge nicht um.
10)
97
10) Des Wohlthätigen. Wer den Leuten aufhilft,
dem greift man gern an ſeine Bürde. — Offne Hand macht
offne Hand. — Wer dem Andern den Arm unterlegt, den läßt
man nicht leicht fallen. — Wer dem Andern ein Kiffen unter-
legt, findet anderswo ein Bett, <
11) Des Buhlers. Buhler bauen felten hohe Hau=
fer,
12) Des witzigen Knechtes. Einem wißigen
Knechte müſſen auch die Edelleute dienen.
15) Des Frommen und des Böſen. Dem From—
men legt 8 ein Kiſſen unter, dem Schalke zwey:
14) Des Leckerbaften. Aus dem reichen Schlecker
wird ein armer Leder.
15) Des gehorſamen Dieners, Mer auf Gnade
dient, den lohnt man mit Barmberzigfeit.
16) Des Vielgefheiden. Gefcheide Hündlein
* der Wolf ins Holz. — Geſcheide Hahnen frißt der Fuchs
17) Des Weifen, Es thut Fein Weiſer eine Eleine
Thorheit. Bi:
18) Des Stehlers, Werfindet, eheverloren wird,
ftirbt, eb er Eranf wird,
\ 19) Des Geehrten, Kein Kranz fhüßt vor Kopfr
wehe.
20) Des Streithitzigen. Biflige Hunde haben
zerbiffene Ohren, Böſe Hunde haben zerriffen Fell.
21) DesNeuen und Abgenützten.. Sftder Löf⸗
ir neu, fo braucht ihn der Koch: iſt er alt, fo wirft er ihn in
das Feuer. — Iſt der Schild neu, fo hängt man ihn an die
Wand; wird er alt, fo ſtößt man ihn unter die Banf,
22) Des Fremden. Wenn ein fremdes Hühnlein in
den Korb Eommt, fo beiffen eg die alten Hühner wieder aus,
25) des Ohbnmädtigen, Sit der Löwe todt, fo raus
fen ihm die Hafen den Bart aus,
67
Die Ebbe und Fluth menſchlicher Dinge,
' Die deutfchen Sprichwörter Fennen das Loos — die
Ebbe und Flurh menſchlicher ge
Sailers Sprichw.
f
98
1) Brechlichkeit des menſchlichen Befises. Gut und
Leben bangen an einem Zwirnsfaden. — Es hangt an einem
Geidenfaden.
2) EitelEeitder menſchlichen Hoffnungen. Die Braut
ftirbt, ehe fie der Brautigaın zur Kirche führe. — Wer weiß,
was der Abend bringt? — Es wird noch viel gefchehen, bis man
den Löffel zum Munde bringt. — Die Kuh ftirbt auf dem Wer
ge, ehe man fie in den Stall bringt. — Bis das Gras nad:
wacht, mittlerweile ftirdt das Pferd. — Es find noch nicht
Ale ſchlafen gegangen, die heut eine böfe Nacht haben follen.
— 68 ijt noch nicht Allerheiligen Abend.
3) Das Verfeben. Es ift ein Ueberfehen in allen
Spielen. £
4) Unfiherheit des Starken. Es ift Keiner fo
ſtark, er findet —5 Stärkern.
5) Der Wechſel. Eines treibt das Andere, — Es
weht nicht immer ein Wind. — Es ſteht auf der Spitze. —
Was du ſiehſt, ift wie ein Schatten an der Wand.
6) DasGelingen und Miflingen. Wagen ge:
winnt, Wagen verliert.
7) Ungewißbeit der Zufunft. Sch weiß wohl, .
was ich babe, aber ich weiß nicht, was ich überfomme,
4, 4
Stück, Unglück
Die deutfhen Sprichwörter find unerſchöpflich in
Zeihnungen des Glücks und Unglücks, und in vernünf—
tigen —— wie wir uns in Hinſicht auf beyde verhalten
ſollen.
Das Glück. Gluckt es Einem, fo glückt es Hunder⸗
ten nicht. — Das Glück hat Flügel. — Dem das Slüd pfeift,
der tanzet wohl. — Das Glück muf den Mann, nicht der
Mann das Glück fuhen. — Das Glud ift ein Geber und ein
Nehmer. — Glück läßt fih finden, behalten ift Kunft. —
Mittelglüdf, das beite. — Groß Glück, groß Gefahr. — Glück
ohne Mangel, nicht ohne Angel. — Dem Glück ift niemand
ftark genug. — Wem das Glüf zu wohl will, den machts zum
Narren. — Wer das Glück hat, der führt die Braut heim.
— Das Glücksrad geht um — Das Glück it gläſern. —
Glück und Glas, wie bald bricht das? — Groß Gurk halt
"95
nicht Tang Farb. — Gut Glück gebiert Narren. — Schnell
Glück, ſchnell Unfall. — Ander Mann, ander Glück. — Dar:
nach fih Einer ſchickt, darnach es ihm glückt. — Das Glück
it blind, und made blind. — Das Glüd ſchenkt nichts, Teihet
nur. — Das Recht ift des Wachenden, das Glück des Schla-
fenden. — Wem das Glück nicht wohl will, der bricht das Bein
auf ebner Erde. — Des Glücks Gewalt, hat Mond's Geſtalt.
— Es kommt Manchem das Glück vor die Thür; wenn er fie
nur aufthat, ehe es weiter lauft. — Es kauft Einer vom Anz
dern die Waare, aber das Glüc dazu kann Keiner mitEaufen.
— Das Glüd lauft Einem ins Haus, dem Anderen daraus,
— Auf und ab tanzt das Glück wie ein Ball. — Jetzt auf,
je&t ab, dann wieder auf, das tft des Glücks gemeiner Lauf,
— Kommt einmahl Glück; es Fommen fünf Sturmminde dar-
nad. — Wagen hat Glück. — Mo das Glück anfegt, da reg=
net es Glück. — Iſt dir ein Glück befchert, fo gaucfelt es quer-
feld ein, — Wer fein Glück hat, dem verbrennt das Brot im
Dfen. — Wer vor zwanzig Jahren nicht [hön wird, vor drey—
Fig nicht ftark, vor vierzig nicht Hug, vor fünfzig nicht reich,
der ınag feines Glücks wohl erwägen ; e3 ift an ihm alle Hoff
nung verloren. - ———
Unglück. Das Unglück bat breite Füße. — Das Un—
glück blüht ihm vor der Thür. — Beym Unglück iſt feyern das
Beſte. — Selten kommt Ein Unglück allein. — Man darf
dem Unglück keinen Bothen ſchicken; es kommt von ſelbſt, und
zu früh ins Haus. — Es führt Einer ſein Unglück ſelbſt ins
Haus. — Ein Unglück, kein Unglück. — Ein vermeſſener
Menſch macht ſich ſeibſt viel Unglück. — Ein zänkiſcher Menſch
richtet nur Unglück an. — Ein Unglück, das andre bringt auf
dem Rück. — Das Unglück kommt ungebethen. — Wer Un:
glück gekoſtet hat, der weiß, wie es Andern ſchmeckt.
Glück und Unglück. Glück und Unglück wandern
auf einem Steig. — Glück und Unglück find zwey Nachbarn.
— Glück und Unglück tragen einander auf dem Rüden. —
er Fein Unglück gehabt hat, weiß von Feinem Glücke zu far
gen. — Des Einen Glück, des Andern Unglück. — Glück und
Unglück ift le Morgen jedermanns Frühſtück.
— — —— —
7 *
109
| ı. I
Religions-Staats-Jamilienfunde,
A Nehgionskunde.
Die ältern deutſchen Sprichwörter find eine lebendige
Tradition deg religiöſen Sinnes unferer Vorältern;
fie überliefern den Sinn für das Göttliche, gleihfam von Mund
zu Mund, mit dem Unterſchiede; in einigen ift Religion
überhaupt, in einigen hriftlihe Religiom insbefondere,
in andern katholiſche Religion in ihren mandyerley Eins
richtungen, Gebräuchen ꝛc. bald ausgeſprochen, bald voraus:
eſetzt.
eu i Die deutfchen Sprichwörter waren auch fo vernünftig,
daß ihnen Religion und Tugend Eines war.
Es wird meinen Lefern lieb feyn, die Religion, die jeßt
aus fo vielen Gemüthern im eilenden Sluge zu ſchwinden fcheint,
in den Sprüchen der Vorzeit noch firirt zu finden.
——
Religion‘.
Die deutfchen Sprichwörter find Feine Utheiften, fondern
vielmehr treffliche Keligionslebrer. Denn
Sie fetzen 1) oben an, was oben an fteht,
wir mögen es fetzen, wie und wo wir wollen:
Gott und die Religion. Ehe du Gott ſucheſt, muß dich
Gott fhon gefunden haben. — Alles mit Gott. — Mit Gott
den Anfang. — Die Erde Fann nicht gegen den Himmel po—
den. — Was man in Gottes Nahmen anfängt, das geht in
Gottes Nahmen hinaus. — Gott Laßt ſich allenthalben fin-
den.
*) Der Reichthum religiöfer Sprichwörter ift unerfchöpflich,
und ihre Lauterkeit Höchft merfwürdig; aber beyde weifen
offenbar auf Eine Quelle, die ſogleich genannt werden fol.
und ſchon die hier angeführten find nach Farb und Ge-
Halt, nach Wort und Geift, Daraus genommen.
101
Sie finden 2) Alles in dem Einen Gott: Alle
Melt lebt Eines Gottes, aber niht Eines Menfchen. — Wir
alle tragen Güter von unferm Herr: Gott zu Lehen. — Bey
Gott ift Rath und That. — Wo alle Menihenhand zu Eurz
iſt, da iſt Gotteshand noch lang genug. — Gott verſüßet den
Waſſerkrug, und würzet den Haberbrey. — Gott iſt der Ar—
men Vormund. — Einer fohlaft, und fein Ne fängt: Gott
gibts im Schlafe.
Sie verfünden 5) Gottes Allwiffenbeit,
Allmabht, Alteinfluf. Eh man ein Wörtlein ſpricht,
weiß Gott, was uns gebridt. — Gott ſieht in das Herz, der
Menſch auf das Aug. — Kein Ort ohn' Ohr, kein Winkel ohn”
Aug, Feine Nacht ohne Licht, Fein Wald ohne Zeugen. — Der
Buſch hat Ohren, das Feld har Augen. — Das ganze fchöne
Gemwölb Gottes ſteht feft, und hat doch Eeine Pfeiler. — Wo
Gore nicht zu Rath Haft, da bleibt nichts, wenns gleich in tau—
fend Schlöffern bewahrt ware. -— Gott laßt fi) keinen Baum
in den Himmel wachſen. — Wider Gott hilft Feine Macht. —
Wo Gott vorangeht, da mag ihm Fein Riegel im Wege fteben.
— Gott laßt fi) feine Uhr von feinem Menſchen ftellen. —
Gottes Zeiger geht langſam, aber richtig. — Gottes Rath
ſchläft nicht. — Gottes Rechnung fehlt nit. — Gott rech—
net anders als die Menfcben. — Gott ift der rechte Kriegs⸗
mann. Der Sieg iſt Gottes.
Sie predigen 4) einen gütigen, heiligen,
gerehten Gott, und maden insbefondere auf
die Grundgeſetze der göttliden Weltregierung
aufmerfjam,. Bey Gott gilt der Bauer fo viel als der Jun—
ker. — Wo Einigkeit ift, da wohnt Gott. — Gottes Furcht
lebet lang. — Die Aeltern können ihren Erben Haus und Hof
binterlaffen; aber ein gutes Weib befhert Gott. — Gott hilft
dem Fleiß. — Wenn Gott Einen ftrafen will, fo thut er ihm
die Augen zu. — Gott begegnete dir überall, wenn du ihn
grüßen möchteſt. — Gott grüßet alleWelt, aber Wenige dan-
Een ihm. — Den Menfchen gibt man mit Geben, Gott mit
Nehmen und Danfen. — Des Menichen Barmherzigkeit geht
über feinen Nächſten, Gottes Barmherzigkeit über alle Welt.
— Wenn Gott hilft, fo macht er dir auch deinen Feind zum
Freunde. — Das Gute leidet Noth, aber nicht den Tod. —
Wenn man lange anfchreibt, fo rechnet man zuleßt ab. —
Wenn die Birn zeitig ift, fo fallt fie ab. — Wenn die Ruthe
ausgedient hat, fo muß fie in den Ofen. — Gott bleibt nicht
aus, wenn er gleich verzieht. — Gott fieht durch die Finger,
102
aber nicht immer. — Untreue trifft zuleßt.ihren eigenen Herrn.
— Einen zeitigen Dieb erläuft ein hinfender Scherg. — Gold
geht durch alle Thüren, ausgenommen die Himmelsthür. —
Wer Gott zum Freund hat, den lachen alle Kreaturen an.
Sie verbannen 5) durch Religion alle un:
nütze Sorgen und Furchten. Wer. Gott vertraut,
hat wohl gebaut. — Der alte Gott lebet noch. — Gott ver: _
laßt die Seinen nicht. — Gott befcheret über Naht. — Laß
‚Gottes Waſſer über Gottes’Land laufen. — Der frommen
Menſchen Sorgen nimmt Gert aufıfih. — Gott gibt nicht
mehr Sroft alsKleider. — Laß Gott rathen. — Gibft du, jo
vbeſchert Gott wieder. — Gort laßt alle Jahre eine neue Welt
werden. — Es iſt droben, der den Ader vertheilt. — Was
Gott beſchert, iſt unverwehrt. — Biſt du in Gott, fo fürchte
Feine Noth. — Gottes Gnad erfüllt die Welt. — Gott hat
mehr, als er je gab. — Gottes Hand it immer. offen, und im-
mer voll. — Es ſteht bey Gott. — Es liegt in Gottes Hand.
— Die Hoffnung ifbiunfer, „der Ausgang Gottes. — Das Heil
ſteht im Gottes Hand: — Wir alle find in Gottes Hand. —
Gott muß ſchicken, wenn's foll-glüden.
Sie Lehren6) uns aus ReligionGutes thun
und Böſes meiden Frommer Manny, hilft, wo er kann.
— Man ſoll mit unſerm Herr Gott norlieb nehmen. — Trink
und iß, Gottes nicht vergiß. — Trink und iß, des Armen
nicht vergiß. — Wer Prieſter, Weib und Alter nicht in Ehren
hat, der ſchändet Gott. — Wer Prieſter, Weib und Alter nicht
in Ehren hat, den ſchändet Gott. — Thu wohl, und ſchau
nicht um; das iſt Gott angenehm... ,4..0 ur;
Siefaffen 7) in der kindlichen Furcht Got—
tes alle Religion, alle Tugend, alle Weisheit
zufammen. ‚Die Furcht des Herrn. tft, ein gefegneter Gar—
en; die fchönften Olumenund Fruchte wachjen darin. — Wer
Gott fürchtet, hat nichts anders zu fürchten. — Der Zucht
des Heren mangelt. nichts. — Wer Gott fürchtet, über den ut
niemand, — Liebe Gott den Herrn, und thu, was du willſt.
—Sie warnen 8) vor aller Gotthoſigkeit. Bey
den Sottlofen hat man gewiffePoft in. die Hölle. —, Blas dem
Gottlofen jein Feuer nicht auf, daß du nicht mit verbrenneft.
— Der ottlofe iſt wie ein Wetter, das über ihn bingeht, und
nicht mehr ift. — Gottes Schal, alle, Welt Schal. ,. -
Endlich: ,fetzen fiewie, dieReligion, fo aud
die wahre Andacht, die nichts als der lebendige
Athem der Religion ift, oben an. Lang Mundwerf,
1953
ſchlechter Gottesdienft. — Nicht der Ort, das Herz macht das
Geberd. — Das Gebeth will das Herz ganz und un haben.
— Der Srommen Gebeth ſcherzt niht. — Das Gebeth made
der Witwe; einen Wal um ihr Hauslein. — Die kurzen Stoß⸗
gebethlein ‚find die beiten. — ‚Kurzes Gebeth, tiefe Andacht.
— Gott ſchlaft nicht, daß du ihn mit viel Worten erft aufwec—
‚Een müßteſt. — Noth lehrt bethen. — Sorgen treibt zum
Gebeth, Gebeth vertreibt die Sorgen, — Gebeth iſt ein Dop—
pelſchlüſſel, (er ſchließt das Herz des Menſchen und die Pforte
des Himmels auf). — Das Bebeth, des Betrübten ift ein lieb:
licher Befang in Gottes Ohr. — Das Gebeth des Armen dringt
durch die Wolken, — Des D Demütbigen Gebeth geht. durch den
Kinmel; — Zum rechten Gebeth gehören ein ‚aut reifen,
heifige Hände, und ein frommes Herz. ei
Iomhl;
*
Chriftlige NReligiom. *
a) Die heiligen Schriften der' Ehriften.
Wie die heiligen Schriften in Kirchen und’ Haͤuſern gele-
fen, erklärt wurden, fo drang das Ferment der göttlihen
Wahrheit immer tiefer in die Gemüther, und von da in dag
Leben, und indie Sprichwörter ein. Und, da in den heiligen
Schriften ſelbſt Spridwörter, 5. B. die des Könias Salomo
zc. enthalten jind; da die Lehre Chrifti viele ſprichwörtliche Re—
densarten in ſich hat, da fi die Lehren des Evangeliums leicht
in Sprichwörter umbilden laffen; da Kirhenvdter und Prediger
wirklich viele ſinnvolle Sprüche in die Gemeinen gebracht ha⸗
ben; du die Wahrheit im heilen Lichte geſchaut, auch im Volke
Sprüche erzeugen muß; da in den Hütten der Leidenden, und
in den Herzen gottfeliger Mutter gewiß die ſinnreichſten Sprü—
che ſind geboren worden: ſo läßt ſich wohl begreifen, wie viel
die deutſchen Sprichwörter auch an Sinn und Geiſt dem Chri⸗
ſtenthume zu verdanken haben werden.
So iſt der Spruch Salomos VIII. Die Weis:
beit fpielt auf dem Erdenrunde, — offenbar zum
Bolksfpeihworte unter den Ehriften geworden. Die Welt
üſt unfers Herr-Goſtt's Spielkarte. — Und die
Sprüche Salomos von der Gottesfurcht und beſonders der
Spruch: Gottesfurcht aller Weisheit Anfang, —
was mögen ſie in chriſtlichen Gemeinen, in Familien in Bil—
104
dung des zarten Kindergefchlechtes gewirfet haben? Auch ver-
dient bemerkt zu werden, daß von Salomos Sprüchen nicht
nur der große Snhalt und Geift, fondern mit Inhalt
und Geift zugleih die Charaftere der Sprichwörter
in viele Sprüde der Sfraeliten, und der Chriften übergegangen
feyn.
’ Salomo's Sprüche zeichnen ſich durch Anm utb, und durdy
EindringlidEeit aus. Und gerade die Anmuth, und die
Eindringlichfeit find das wahre Mufterbild der Sprichwör—
ter, das er felbit in zwey Sprüchen aufitellt; denn nad) ihm
haben die Sprüche der Weiſen eine Schönheit und An—
mutb, wie goldene Aepfel in filbernen Schalen, und eine
Kraft und EindringlidEeit, wie fharfe Spieße und
Nägel (Sprihw. XXV. ı1. Predig. XII. 9.)
So find einzelne biblifhe Ereigniffe Univerfaldharaftere
geworden, 5%. Betrug bat Fafobs Stimme und Efaus
Hand. — An Höfengibtesmehr Achitophel, LEN:
— Leber des Gottlofen Haus freut Gott Schwefel aus.
Der Gottfeligen Thränen find der Öottlofen Sündfluth und
rothes Meer, darin fie erfaufen.
So ift, um die Epoche des eigentlichen Chriſtenthums zu
berühren, der Spruch des heil. Paulus: Die Menſchen
pflanzen und waffern: der aber, der das Gedei-
ben gibt, ift Gott, — zum Sprichworte chriſtlicher Völ—
Fer geworden. Die Arbeit ift unfer, das Gedeihen Gottes. —
Die ‚Arbeit ift des Menſchen, die Sorge Gottes.
So haben die Lehren Ehrifti von der Beftandigfeit
im Guten, und von der Zuverfiht auf Gott die Geſtalt
zweyer Sprichwörter angenommen. Leg die Hand an den
Pflug, und fieh nicht mehr um. — Wirf im Nahmen Gottes
das Netz aus.
——9 Geiſt des Chriſtenthums.
Da die tiefſinnigen Sprüche nur tm Gebiethe der $ Innig⸗
keit erzeugt werden, und der Geiſt des Chriſtenthums darin be—
ſteht, daß das Gemüth des Menſchen von Außen ab: und nad)
Innern ein-, und von da zu Gott hin-gewandt, und in diefer
Richtung gehalten werde; kurz, da es eigentlich Chriſtus iſt,
der innige, gottſelige, himmliſche Gemüther bildet: ſo mag es
von ſelbſt einleuchten, was für himmliſche Lehr: und Kraft—
fprüche der Geift des Chriftenthums ın hellen, reinen, freyen,
groben Gemüthern möge ausgeboren haben. Davon im fünf-
/
105
ten Hauptſtücke eine merkwürdige Probe, aufdieder Leſer ſchon
einmahl verwiefen ward.
c) Die Grüße und die Wünſche derChriften.
Wie das Ehriftenthum die Sitten, und das äußere Leben
des Menſchen bumanifirte, fo mußte es vorher das Gemüth
des Menſchen, und mit dem Gemüthe die Gedanken, die
Triebfedern, und mit den Zriebfedern die Neigungen
und Wünfche divinifirt haben.
Jetzt hat die Cultur faſt alle Herzlichfeit, und mit der
Herzlichkeit fait das Wort von Gott aus unfern (fo genannten
oder jich fo nennenden) gebildeten Zirfeln verfcheuchet. Wir
haben jegt eine fo feine Gefelligfeit, fo feine und harmoniſche
Gefellihaften, fo genußreihe Verfammlungen, daß darin ein
Laut von Bott als Sünde wider die Reinheit der Sitte —
als ein Störer der Harmonie, und des Genußes mit Verachtung
beftrafet, oder wenigftens.ald Mangel an gutem Gefchmade
leife geahndet würde. , Olim non sic, und in frommen
Familien, in Dörfern, in Hütten ift es noch nicht verſchwunden,
was ehemahls herrfchend war, Gott in alle Grüße, Wünfce,
Reden nicht einzuflehten, denn er war fhon darin:
fondern den Nahmen Gottes überall anzurufen, die Güte Got:
tes überall zu preifen, mit ihm Alles anzufangen, fortzufesen
und zu vollenden. —.
Das war die fhöne Chriftenfitte, das zeigen nod) die
Wünſche. Gott helf euh! (beym Niefen). — Gott gefegne
es euch! (beym Eifen), — Gott grüße euh! (beym Wiederſe—
ben). — Gott gebe feine Gnad dazu! (bey guten Unterneh:
mungen). — Gott behüthe euch! (beym Abfchiede). — Gott
gebe euch einen guten Morgen, einen guten Tag, einen guten
Abend! (wenn die Menfchen einander zu verfchiedenen Zeiten
begegnen). — Gott vergelt.es div, Gott bezahl es dir zu tau—
ſend Mahl! (bey Empfangung einer Gabe). — Dass Walt
Gott! abey ungewiffen Ausgangen).
dc) Sprichwörter, die das Chriſtenthum vor:
ausfetzen. A
Unzählige der alten deutfchen Sprichwörter fegen, mie
das ganzeChriftenthum, fo auch einzelne chriſtliche Lehren,
einzelne S chriftftellen, einzelne hriftihe Einrihtrun-
gen voraus.
1) Refpect vor Gottes Wort. Ein Wort Gottes
iſt größer als drey Welten, — Es läßt jih mit Gottes Wort
106
nicht ſtückeln, noch flicken. — Gottes Wort, das befte Sai—
tenfpiel. — Es ift nicht alle Rede ein Evangelium... 0%
2) Gottes Wort und Glaube. Wort und Glau—
be find —— zuſammen gegeben: Eeines ſoll ſich von dem
andern ſcheiden laſſen.
3) Adelsbrief des Chriſten. Chriſten werden
nicht geboren, ſondern wiedergeboren. )
2) Predigt. Eine gute Predigt muß nicht zu breite
Treffen haben, das Tuch daran muß noch zu fehen feyn. —
Gute Exempel, halbe Prediger. — Predigt hören faumee nicht,
Almoſen geben armet nicht, unrecht Gut wuchert nicht, Got:
tes Wort trüget nicht. - *
5) Prediger, die Gutes lehren, Boͤſes ehun.
Die Zimmerleute bauen gute Archen für Wenige: aber fie fel-
ber ertrinken lieber mit den Dielen: —
6) Dad Neih Gottes: Das Reich Gottes halt
nicht Paucker und Beiger, (Fommt ohne Geraͤuſch, und geht
ftitl, wie die Natur.) — Mit Leib, Blut und Gut fißt man
in * Kaiſers Reich; mit Glaub und Gewiſſen in Gottes
Reihe ’
7) Chriftengebeth. "Der Gläubigen Water unfer,
und heiffe Thranen find wohl zu fürchten. — Das Gebeth des
Ehriften ift seine allmächtige Kaiferinn.
8) Almofen geben, und das geld bauen.
—9 —* feiner? Erde it gut auf Wucher leihen: fie zahlen
vehih) —9 — WW
9Die evangeliſchen Erzählungen von Stil—
lung des Sturms, Matth. XIV., und vonder Brot—
vermebrung, Mark. VII. 6. 8. Gott iſt mit im Schiffe.
— 'Chriftus laßt uns wohl finfen, aber nicht ertrinfen. —
Unfer Herr Gott richtet viel Handwerke auf ein Mahl aus,
ohne Menfchenhülfe pflüget, ſäet, ärndet, driſcht, mahlet,
badet er. a
10) Amen, das Lieblingswort Chrifti.
Amen iſt des, lieben Gottes, großes ‚Siegel.
11) Der große Sabbat. Gott verfalzet ung dier
ſes Leben, daß wir, ung nach dem heiligen Seyerabend ‚fehnen.
12), St. Peter. Hat mirs Gott bejchert, fo nimmt
mirs St. Peter nicht. -
13) Judas der Verrather Von Judas Kuf
it ein groß Stud bey Herren: Dienern zu Hof geblieben.
*) Das Sprichwort bezieht fih offenbar auf Job. III. 3.
107.
’ 14) Chriftmonath. Die Fefte der Edelfeute fallen
felten im Chriſtmonathe. 5
15) Die Schriftlehre von guten und böfen
Engeln; von Satan und Holle. *) Von dem Weib:
rauch thus ‚dem Teufel der "Kopf wehe. — Das Geberh iſt
ein Rauchwerk, das dem Teufel Kopfweh macht. — Der Teu—
fel iſt unſers Herrn Gottes Affe. — Der Prieiter Zankerey,
des Teufels Jubiley. — Wer Krieg predigt, iſt des Teufels
Feldprediger. — Wird Krieg, fo macht der Teufel die Holle
weiter. — Wer im Galop reitet, fahrt im Trabe zum Teufel.
— Läſſeſt du den Teufel bis zum Weihbrunnenkeffet: fo fegt
er. fih auf. den Hochaltar. — Der arbeiter in des Teufels
Werkſtatt, wer Zank und, Hader anrichtet. — Wer Zwietracht
fäet, arbeiter für des Teufels Scheune. — Müfiggang ift des
- Zeufels Orden, Arbeit iſt Gottes Stand. — Eigenwöll' brennt
in der Höll. — Politiſch iſt engliſch reden, und teuflifch meiz
nen. — Wenn der Teufel Eranf it, fo will er. ein Mönch
werden : ifE er wieder gefund, fo bleibe er, was er war, —
Die Aemter find Gottes, die Perfonen (manchmahl) des
Teufels
16) Eine ſprichwörtliche Redensart, die aus dem Chri—
Renglauben an die Unfterblichkeit geboren, und in Bayern
ſehr einheimifch ift, kann ich nicht verfhweigen, Wenn z. 8.
in Winterabenden in meines Waters Haufe die Nachbarn zus
fanmenfamen, und das Gefprach fih auf Verſtorbene lenkte,
fo ſetzten ſie, fo oft, ein Todter in die Erzählung kam, dag
Einjhiebjet bey; Er iſt in der Wahrheit, wir in
derLuüge, — und fuhren dann in der Geſhichte wieder
weiter, N Ta a“ 4
‘ 17) Noch eine andere fprichwörtliche Redensart gehört
hierher; Wenn in irgend einem Hauſe Jemand ſtirbt, und
die Verwandten des Verſtorbenen das erſte Mahl wieder zu
ihren Nachbarn Fommen, fo fange fich das Gefprach ſo an:
Der liebe Gott ift bey uns eingefehrt.
e) Chronologifhe Sprichwoͤrter.
Die deutfhen Sprichwörter [ehren nicht nur Religion
und Chriſtenthum; einige davon find im firengften Sin—
—
*) Einige Ausleger haben ſich in unſern Tagen den Kopf
jaͤmmerlich zerbrochen, um den Teufel aus der Schrift
„zu bannen, aber fie haben noch ein großes Stüd Arbeit;
‚denn der Zeufel iſt in unzählige Sprichwoͤrter gefahren,
wie dee Augenfchein lehrer.
3
108
ne chronologiſch; denn fie verratbeir die Zeit ihres Ur f pruns
ges, und den Sinn ihrer Erfinder. 3. ®. „Mars ift ein
Ketzer, er halt nicht viel von guten Werken.“ *)
-
Je
Einrichtungen, Gebraude der Fatholifhen Re
A ligion. 7
Ablaß. Auf folder Kirchweih gibt man ſolchen Abe
laß.
ö Die Beihtanftalt. Wer recht beichtet, dem gibt
man rechte Buße- — Beicht made leicht. Ganz befennt,
halb gebüßt. — Zu folder Beicht gehört folhe Abfolution.
oO Monftranze Er ift eine ſchöne Monftranz, wenn
nur. ein Heiligthum darin ware, (Gin fon Gefiht ohne Tu:
gend.) — Er ıft ein Bild ohne Gnade. (Anfpielung auf die
Gnadenbilder . . ein bayerifhes Sprichwort). — Es iſt nicht
alles Heilthum, was die Bauern Füffen. (Heilthum, ftatt Hei:
ligthum.)
Klöſter, Abteyen. Miele Stimmen machen den
Abt. — Wenn der Abt Würfel gibt, To fpielen die Brüder.
— Die Kappe macht Keinen zum Mönd. — Gott ift der
Herr, der Abt ein Mind. — War’ Holzhauen ein Orden,
waren nicht fo viel Mönche geworden. **)
Das Eredo in der Meffe. Man denkt fein, wie
des Pilatus im Credo. — Er gehört zu uns, wie der Pon—
tius ing Credo. |
Das heilige Srab. Es hüthet Niemand das hei:
lige Grab umfonft. a |
. „ Kirdenfaften und Kirchenandachten. Walſche
Andacht, und deutfche Falten gelten eine Bohne. . .
— Wiel Wallfahrten. Wer das erſte Mahl nad
Kom zieht, ſucht einen Schalf, zum zweyten Mahle findet
*) Dies Sprichwort fehreibt ſich offenbar aus den Zeiten der
Keformation her, und deutet uüzweydeutig anf den Streit
über Glauben und gute Werke, und fein Erfinder war
ohne Zweifel Einer von denen, die für die auten Werke
firitten.
”*) Sehlerder Einzelnen mögen dem großen Geifte des Gan—
zen nichts anhaben.
109
er ihn, zum dritten Mahle bringt ev ihn mit fich *) nad
Haus. -
Faſtnacht, Faſten, DOftern. Halt Faſtnacht, daß
du gute Faſten und fröhliche Oſtern halten kannſt. — |
Kirche, Kapelle. Wo unfer Herr eine Kirche bat,
da hat der Teufel eine Kapelle. | Fi:
Kirche, Keld, Prieiter. Finſtere Kirchen, lichte
Herzen, hölzerne Kelche, goldne Priefter.
Kirhweihfeft. Es ift kein Dörflein fo Elein; es
wird darin des Sahres einmahl Kirchweih' gehalten.
Krummftab. Unter den Krummſtab ift gut woh-
nen.
Das Magnificat (der Tobgefang Marit, den wir
in der Veſper fingen), Mancher hört das Gras wachen,
und will das Magnificat verbeffern,
| Prafenzgelder in Ötiftern. Groß Prafenz
macht andächtige Priefter (macht nicht). AR
St. Martinsfeft. Wem Gott reichlich gibt, der
foll nicht täglich St. Martins Abend halten.
Das Fegfeuer. Wem die Heirath übel geräth,
der hat das Fegfeuer fein Leben lang im Haus.
Franziskaner-Aermel. Mancer hat ein weites
Gewiſſen, wie Sranzisfaner = Nermel. |
‚ Weihbrunnen. Biel Hand’ und wenig Herzen gibt
man zu Hof für Weihbrunnen.
4.
Die Religion von ihrer moraliſchen Seite.
a) Die Lehre von dem Gewiffen,
Die Untrüglidhfeir des Gewiſſens. Das Ge
wiffen it des Menfchen Gott. — Dem Gewilfen Eann man
Eeinen Affen drehen. — Ein gut Gewiffen ik ein Iebendiger
Zeug im Herzen, — Ein gut Gewiffen it beffer, alg hundert
Zeugen. | |
Dasrihtende Gewiſſen. Das Gewiffen iſt des
Menſchen Schuldenbud.
**, Dies finnvolle Sprichwort wird dem Herzoge Georg von
Bayern zugefchrieben. f
110
Das warnende Gewiffen. Das Gewiffen ift ein
guter Haushund, der die Diebe wacker anbellt — (die Sünde
verfheudt).
ae rvafk des Gewiſſens, zu — und
zu betrüben. Ein gut Gewiſſen iſt der Himmel, ein bö⸗
ſes die Hölle. — Ein rein Gewiſſen tft am jeder Er der
beite Biffen. — Es träumt einem Schuldigen bald vom Teu—
fel. — Ein böfes Gewiffen bat Wolfszähne, (frißt alle Freu—
de des Menfchen. — Bös Gewiſſen, böſer Gaft. — Böſe
Augen und bös Sewiffen können das Licht nit leiden. —
Ein bös Gewiffen flöhe durch einen eifernen Berg, wenns durch—
könnte.
Weites Gewiffen. Böſe Buben haben weite Ge
wiffen; man möchte junge Hunde hindurch beuteln.
Die Rube des Gewiffens. Es ſchlaͤft Einer
fanfter in einem guten Gewiffen, als'in der ganzen Haut. —
Auf Erde ift nichts ohne Furcht, alg ein gut-Gewiffen.
b) Allgemeine Tugendfehre.
‚Kein Anfang des Guten, als von Innen
heraus. Das Zaften wie der Faſter. — Der Feyertag wie
der Feyrer. — Das Almofen wie der Geber. — Das Gebeth
wie der Bether. — Die Frucht wie der Bauın. — Das Werk
wie der Meifter.
Kein Anfang des Guten ohne Buße. Ohne
Um =Eehren, Eein Recht = laufen.
Kein Anfang des Guten ohne Ertödtung
des Egoismus. Du mußt dem Teufel die Herberge auf
Eunden, wenn Gott bey dir einfehren fol.
"Kein Anfang des Guten ohne Gottes Önaäde.
Wenn Gott nicht den verlornen Groſchen fucht, von felbit geht
er nicht wieder in den Saäckel. — Wo Gott den Knopf nie
macht, da halt Fein Bund.
Die Lauterfeit des Guten. Gerechte thun das
Rechte recht. Ä
ie SHönbeit des Guten. Die Tugend hat
eine ewige Jugend.
Die SeligEeit des Guteih Dem Frommen ift.
wohl. — Eines frommen Mannes kann man viel Bemrpen.
— Bey Srommen ift man überall daheim.
Die Sicherheit des Guten. Unſchuld bie beite
Baſtey. — Ein’ Gerechter ift Gottes Augapfel. __
111
Die Öefeligkeit des Öuten Wo Tauben ſind,
da fliegen auch Tauben zu.
Die Zuverläßigkeit des Guten Wenn alle
Menſchen fromm wären, fo dürfte man keine Thür noch Thor
zufchließen. -— Für treue Hande macht man fein Schloß, und
feinen Schlüſſel.
Das Andenfen des Guten. Die Sitten des
Gerechten laffen allezeit einen guten Geruch zurück.
Den Adeldes Guten. Tugendreich ift.wohk
geboren. — Gut ift hoch-= geboren. ya
Die Beftändigfeit des Guten, Beſtändigkeit
halt Farb.
. *
Wie die deutichen Sprichwörter das Sute, fo Fennen jie
auch das Bofe,
a. wie ed werde. Das Böſe lehrt jich felber.
b. wie esende. Die Sünde büßt fi felbft. — Die
Sünden gehen mit Lachen ein, mit Weinen wieder aus.
c. wie Fleine Fehler größere nach ſich zieben.
Kleine Löchlein mahen das Schiff vol ABaffer.
d. wie aud die beiten Menſchen fo gebrechlich
feyen. Es it Fein Fuhrmann fo gut, er fährt bisweilen
aus dem Gleiſe. g Ah
c) - Befondere Tugendlehren.
Bonder Nahftenliebe Wenn du einen Nack—
ten fiehft, fo glaube, es-fey ein Loch in deinem Strumpfe. —
Ein: nimm bin ift beffer, als zehn: Gott helfdir. —
Wenn Einer in großer Gefahr ift, fo joll man ihn zuerft ret—
ten, und hernach fragen, wie er darein gerathen fey:
Von der Armenpflege. Arne Gaftefendet uns
Gott zu.
Bonder Dankbarkeit. Bor dem Baum, davon
man Schatten bat, foll man ſich neigen.
Bon der Arbeitfamfeit und Frömmigkeit.
Sey fromm, ald wenn du heute noch fterben würdeft, und
arbeitfam, als wenn du.morgen noch leben würdeſt.
Bon der Nachgiebigkeit. Zu viel Recht ift
Unrecht. NER 4
Bon der Berföhnlidkeit. Wenn dudem Nach—
ber un Hand reichft, fo hat dir Gott bie feine ſchon zuvor
gereicht.
x
142
Von der Freygebigkeit. Des Gottloſen Ein—
trag ift ein Ausgeben, des Gottſeligen Ausgeben ein Eintrag.
— Was du dem Nachbar in den Garten wirfſt, das wuchert
für dich in dem Garten Gottes.
Von der Geduld. Das Kreuz wohlgefaßt, iſt halb
getragen.
Von der Mäßigkeit und Gaſtfreundlich—
keit. Mit dem frommen Mann geht Gott und die Armuth
zu Tiſche.
Von der Genügſamkeit. Nur der hat genug,
wer fihs genug feyn laßt. |
Bon der Treue Wo Treue Wurzel ſchlägt, da
macht Gottes Segen einen Baum daraus.
Bon ver Demuth. Wer fi in feinem Bufen fpie-
gelt, bedarf Feines andern Spiegels. — Ihu Gutes, und
ſchweig dazu; Andere mögens fagen.
Bon Liebe und Gehorfam gegen Obrigkei—
ten. Cine Hand wäſcht die andere, aber das Geſicht wäſcht
man mit beyden Händen. (Halt den guten Auf der Obrigkeit
im ganzen Lande rein, joviel du kannſt.)
d) Zugendmittel,
Bewahre zuerft dein Herz. Es iſt böfe, Feuer
in Schooß tragen.
Um dein Herz zu bewahren, bewahre deine
Einbildungsfraft. Man darf den Teufel nicht über
die Thür mahlen, er kommt wohl jelber ins Haus.
Um deine Einbildungsfraft zu bewahren,
bewabre dein Aug. Was das Aug nicht fiebt, befchwert -
das Herz nit (nicht).
Widerfteh den wiedberbommenden Reitzen
zum Böfen. Laß die Vögel dir über dein Kopfe fliegen:
wenn fie nur nicht auffigen, und niften auf dem Kovfe.
Folge nicht den Vielen. Das viele unrecht
Gehen, macht den Weg nicht vet.
Bleib nie ftille ftehen. Wer ſich täglich beſ—
fert, kommt endlih auf einen guten Acer, und an ein fchon
Getreid. —
Beſinne dich vor Gott, ehe du etwas unter—
nimmft. Wer etwas thun will, der ſehe auf Gottes Uhr,
ob die vechte Stunde für ihn geſchlagen habe.
Seh
113
Geh den böfen Gefellen ang dem Wege,
An böſer Waare ift nichts zu gewinnen. — Ein Schalk macht
den andern.
Selbſtprüfe dich. Das Meiſte rede mit dir ſelbſt.
Verläugne dich. Wo die Natur ausgeht, da gehet
Gott ein.
Beherrſche die Zunge. Das Stücklein Fleiſch—
das hinter den Zähnen ſteckt, thut dem Reiche Gottes mehr
Schaden als alle Tyrannen.
2. Staatskunde.
1.
Hof, Hofleben.
Hof-Gaben. Zu Hof iſt viel Händereichens und
wenig Herzens.
Hof-⸗Art. Gold auf den Hoſen, und Feines im Beu—
tel, ift Hof: Art.
Aufwartungam Hofe. Zu Hofe hohlt man ſich
wohl Futter, aber Beine gibt man nicht zu Hof. *
: Unverftand am Hofe. Die Ejel bat man bey
Hofe nur zum Sacktragen. — Es iſt gut, Hofgaul und
Hofmaul ſeyn, aber Hofeſel ſeyn J eitel Muh und Arbeit.
Mangelam Appetit. Der Kod hat viel zu fchaf-
fen, bis er großen Herren ein Ding fo gut macht, als des
Schmids Morgenmahl.
Schlafloſe Nächte. Pflaumfeder und Purpurbett
laſſen nicht ſchlafen.
Aufwand. Herrlichkeit darf viel.
Berfuhungen am Hofe. Wie Petrus nach Hof
Fam, verlaugnete er feinen Herrn.
Plage des Hoflebens. Lang bey Hof, lang zur
u
Hol.
*) Albert, Erzbifchof und Churfuͤrſt zu Mainz, hatte dies
Wort im Wunde, Wenn er einen feiner Diener lange
fteben ſah, jagte er: " „Sege dich nieder, Beine gibt man
nicht bey Hof.”
Sailers Spridiw. 8
114
Schickſale bes nee am Hofe.
Sein Steigen. Se höher der Affe fteigt, je mehr er den
H. zeigt.
‚Sein Shwanfen Schwanken kommt vor dem
alle. — Menig Kopf, viel Schwindel.
Sein Stürzen. Wenn der Baum fällt, ſo ſammelt
jedermann Holz.
Urtheil des Fleinen Mannes von dem
Großen. Mander vauft den todten Löwen beym Bart,
der nicht dag Herz hatte, ihn bey lebendigem Leib anzufchauen.
Herablaffung der Hohen. Gruß Eommt von
Hof.
ER
Bonden Großen der Erde.
Die Publicitdt des Negenten. Wer hoch Rebe,
den a weit.
Die Unantaftbarfeit des Thrones. Die
Füße follen in den Schuhen bleiben, und nicht auf den Herrn—
ftuhl fteigen wollen. — Man zäumet wohl das Roß, aber
nicht den Reiter.
Mildes Regiment. Freundliche Regierung ift eine
Senne, die alle Herzen erfreuk.
Selbiterniedrigung, aber nur unter dem
Allerhöchſten, unter Gott. Gott kann den hoben
Baumen leichtli die Aefte fiugen.
Bepfpielder Fürſten. Wenn der Fürſt feinen
Unterthanen einen Apfel nimmt, fo nehmen ihm feine Diener
den ganzen Baum.
Zwiftder Großen. Penn die Herren vaufen,
müffen die Unterthbanen Haar laſſen.
Fehler der Großen. Herren bleiben Herren, wenn
fie aud bis zum Mittag fchlafen. — Wenn fi die Fürften
'an einem Fuße ftoßen, fo muffen die Unterthanen binfen. —
Der Herren Sünd', der Bauern Buß‘.
Unbeftand der fürftlihen Gnade. Schönem
Wetter und Fürftenlacheln ift nicht zu trauen.
Leiden der Großen. Es hilft Feine Krone fürs
Hauptweh.
*
115
x Nahfolger. Die Eünftigen Herren machen die vori-
gen fromm. — Die aufgehende Sonne hat mehr Anbether,
als die untergehende.
Gewalt. Wenn Gewalt zum Herrn wird, fo muß
Geredtigkeit Knecht feyn.
Vemter - Bertheilung. Herren Dienft erbet
nicht. — Daß Roß gehört an den Wagen, der Ochs an den
Pflug. — Gunft ift blind.
Kriegs- Weisheit. Mit Vielen fol man die Fein—
de fchlagen, mit Wenigen zu Rathe gehen. — Furchtbarer ift
ein Haufe Hirfchen, die ein Löwe anführe, ala ein Haufe Lö:
wen, die ein Hirſch anführt. — Es ift ein Haus bald anges
zündet, aber ſchwer gelöſcht. h
2
Os
Bild des guten Kegenten.
Weisheit. Auf das Zepter gehört ein Auge. .
Volksliebe. Wenn der Fürft Fein Ohr hatte, die
Untertbanen zu hören, fo hate er keinen Kopf, fie zu regie—
ven. '
Klugheit und Friedensfinn Wenn Gott ein
Land fegnet, fo gibt er ihm einen Elugen ‚Fürften, und einen
Yangen Srieden. f
Selbſt-regieren. Wenn die Füße den Kopf re:
gierten, fo ging’s über und über.
Sicherung der Majeftät. Die den Fürſten ver:
führen, vergiften den Brunnen des Landes.
Schutz der Wiffenfhaftund Achtung des
Gelehrten. Der Züri kann in einem Tage hundert Kit:
ter machen, in hundert Jahren Feinen Gelehrten. *)
8 *
*) Diefen Spruch baf Kaifer Sieamund, als fi5 Georg
iscellus, der Rechte Doctor, der jüngft ein adelid
appen von ihm erhalten hatte, in der Synode zu Ba—
- fel auf die Nitterbanf feste, fo ausgedrüdt: Ihr thut
unweislich, daß ihr die Ritterfchaft der Gelehreheit vors
ziehe. Wiſſet ihe nicht, daß ich in einem Tage Taufend
adeln, und zu Rittern machen fann : aber fo mächtig
bin ich nicht, daß ich in tauſend Jahren einen Gelehr⸗
ten machen koͤnnte.
J—
116
——Nichtachtung der ſchiefen Urtheile. Der
Mond leuchtet doch den Pilgern durch den Wald, wenn ihn
gleich die Hunde in den Dörfern und Städten anbellen.
= Wenig Gefetze. Mit wenigen Öefegen regiert man
wohl. — Biel Gefeg, viel Uebertretung. — Viel Geboth,
wenig gute Wer”,
— MBenige, aber weife, bewahrte Käthe, Viel
Köche verfalzen den Brey. — Wo viel Hirten, da wird übel
gehüthet.
‚> &orge für die öffentlide Erziehung. Der
Kaifer ıft aller Xeltern Vormund.
Die Schatzkammer. Des Fürften Schag liegt am
fiherften in des Volks Handen.
4.
Das Recht und ſein Loos.
Geſchriebenes Recht. Es iſt ein dünnes, breites
Meg: die Mücken bleiben darin hängen, die Hummeln bre—
hen durch. — Es ift eine große Glocke: wenn nur der Schwen-
gel nicht ſo leicht herunterfiele!
Der ſchwerſte Prozeß. Es iſt böſe rechten, wo
Gewalt Richter iſt. — Wo Gewalt Recht hat, da hat Recht
keine Gewalt.
Schmales Recht. Schmieren macht linde Haͤnde,
und ein ſchmales Recht.
Gerechte Anwalde. Gut Recht darf guter Hülfe.
Unrechte Auslegung des rechten Rechtes.
Geld erklärt das Recht und die Gloſſe. — Man muß man—
chem Nechtsgelehrten güldne Lichter anzüunden, wenn er das
Recht finden fol. — Ein Loth Gold wiegt mehr, als ein
ganzer Wohlfack voll Red.
Das fpitzige Recht. Eng Recht ift ein weit Un:
seht. — Streng Recht, groß Unrecht.
Rechtshandel. Sn einem einzigen Rechtshandel
‚stecken mehr Drangfale, als in zehn agygtifchen Landplagen.
Die Ungewißheit des Rechtens. Rechten il
Kriegen : von beyden weiß Gott das Ende.
Zwey Rechte. Fauſtrecht gilt mehr als Kopfrecht.
117
Uneigennützigkeit der Senatoren. Laß den
Eigenmann hinter den Ofen, willſt du als Gemeindsmann
in den Rath gehen.
Untreue Verwaltung. Kein Amt fo gering “
iſt des — werth.
2 —
Das deutſche Recht in Sprichwörtern.
Friedrich Eiſenhart, Lehrer der Rechte zu Helm⸗
ſtadt, hat Grundſätze der ——— Rechte in Sprichwortern,
durch Anmerkungen erläutert, herausgegeben. Aus diejer
Sammlung aeen die denkwürdigſten hierher verpflanzt wer⸗
den.
Willkuhr bricht Landrecht. — Alte Gewohnheit iſt ſtäͤr⸗
ker, als Brief und Siegel. — Hundert Jahre Unrecht, iſt
keine Stunde Recht. — Mifbraud iſt keine Gewohnheit (fein
Recht, in Gewohnheit fundirt). — Landesweiſe iſt Landes-
ehre: du mußt Recht finden, nicht Recht bringen. — Stiehlt
mein Vater, jo hängt Ein Dieb (man foll den Kindern die
Verbrechen und Strafen der Aeltern nicht zur Laſt legen. ).- —
Anwerbung macht keine Verbindung. — Iſt der Finger berin-
get, jo iſt die Sungflau bedinget. (Alte Verlodungsfitte). —
Heimlich Verlobniß, ſtiftet keine Ede — Alle Freyer reich,
alle Gefangene arm. — Heurathen ins Blut, chut ſelten gut.
— Der Taufſtei (beider. (das Ehehinderniß, dag: mit der
geiftlichen Berwandtichaft verknüpft. wird). — Dieden Mann
trauet, trauet die Schuld. — Leib an Leib, Gurt an, Gut.
(Gemeinfhaft der Güter zwifchen den Gheleuten.). — . Die
Hand,, die den Eid. aufnimmt, kann ihn aud) erlaffen.. —
Der Eid ift ein End alles Haders. — Der Teufel ift Feinen
Schwur zu halten fhuldig., —. — ungen Eid thut Gott leid.
- — Der Argwohn iſt ein Schall. Venn man mit Laugnen
Eönnte davon kommen, fo würde Sıumand gehangen. — Be:
Eennen briht den Hals. — Man hängt, Keinen, man
habe ihn denn. — Wo nichts ift, da hat der Kaiſer fein Recht
verloren. — Handwerksfachen gehen vor den Rath. — Man
muß nicht einen Altar bedecken, und den andern entblößen.
— Wer niht thun kann, was die Leute verdrüßt, gibt einen
Schulzen ab. — So weit die Flur geht, fo weit gebt auch
das Gericht. — Der Tod hebt Alles auf. — Mer ertappt
118
wird, muß das Bad austrinken. — Von Hören und Sagen
wird Mancher aufs Maul gefchlagen. — Wenn man unter die
Hunde wirft, welchen e3 trifft, der ſchreyt. — Es gilt mir
gleihr ob mich eine H. lobt, oder ein Shelm ſchilt. — Ein
Nachbar ift dem andern einen Brand ſchuldig. — Wer recht
ſchwöret, bethet veht. — Schwarz auf weiß fcheidet die Zeus
te. — Briefe find bejfer denn Zeugen. — Laß dich in Fein
Compromiß: ‚du verlierit die Sad), das iſt gewiß. — Es ift
beffer ein magerer Vergleich, als ein feiftes Urtheil. — Eines
Mannes Red, eine halbe Red: ; man verhör’ fie alle beed. —
Wenn der Kaiſer ſtirbt, fegt fi der König in den Sattel. —
Gnade geht vor Recht. — Man hangt Keinen zweymahl. —
Kommt es bey dem Wolfe zur Heide, und bey dem Diebe
zum Eide, ſo haben gewonnen Spiel beyde. — Das Geſicht
verräth ihn. — Wer einmahl fliehlt, heist allemahl Dieb. —
Gleich fuchet fih, gleich finder fih. — Wie der Wirth, fo
befcheret Gott die Gaͤſte. — Treuer Herr, treuer Knecht. —
Kirchenbuße ift Eein Staubbefen. — Ein Priefter lebt ein Jahr
nad feinem Tode. (Spur des’ Sterbequartals.) — Wo der
Pflug hingebt, da geht auch der Zehend hin. — Wer die
Kirche hat, der hat auch den Kirchhof. — Mit St. Peter
vit gut Bandeln. — Studentenzut ift zollfrey. — Wer Yan
desherr ft, dem gebührt die Randeshuldigung. — Ein jeder Herr
iſt Kaifer in feinem Lande. — Ein jeder Biſchof ift Pabit in
ſeiner Kirche. — Wer eine Stiefmutter hat, der bat auch ei-
nen Stiefdater. — Wer die meiiten Stimmen hat, der hat
das meiſte Recht. — Kirchengut hat eiferne Zähne. —
Mobhin der Died mit dem Strang, dahin gehöre der Hirſch
mit deih-Zarg (Jagdrecht und peinfihes Gericht gehören zu—
-fammen). — Dem und, mein Halb (Sitte, das Gefundene‘
zu theiten). — Jahr und Tag if die rechte Gewähr. — Wi:
der- Willen Eann man Einem wohl etwas nehmen, aber nicht
geben. — Wo Einer fein Gut findet, da fpriht er es an. —
Wen der Kaiſer adelt, der genießt auch des Kaifers Adel. —
Frey Mani, frey Gut. — Rittersweib hat Rittersrecht. —
Brauwerk ift Eeine Kaufmannſchaft. (Die Brauer Fönnen auf
die Rechte der Kaufleute Feinen Anfpruch machen). — Bürger
und Bauer ſcheidet nichts denn die Mauer. — Einmahl Bür-
germeifter, allzeit Bürgermeifter. — Stinkende Haute geben
die befte Beute. (Gilt von dem Roth: und Weißgärber-Hand—
werke.) — Meifters Sohn dringt das Recht mit fih. — Wenn
der Bauer nit muß, fo vegt er weder Hand nod Fuß. —
119 |
Man foll lieber Zehn ehrlich machen, als Einen zum Schelm,
(Die Beraubung der Ehre fol felten feyn.) — Keine Mutter
trägt einen Baflard. — Die Mutter fagt es, der Water glaubt
es, ein Narr zweifelt daran. (Wider die rechtmäßige Geburt
gilt Fein leerer Zweifel. — Pfand gibt Land. — Die dlte-
ften Briefe gehen vor. (Die älteften Pfandverfhreibungen.)
— Wenn die Füße gebunden find, fo läuft die Zunge am
meiften. (Der Gefangene hat eine eigene Beredfamfeit, um
wieder frey zu werden.) Sequeſter machen leere Neſter. —
Kauf und Badenitrei find ungleih. — Man gibt nicht viel
Geldes um ein Ey. — Das But löſet feinen Herrn. — Die
Miefe geht indas Heu am St. Georgentag. — Wer will wohl
und ſelig fterben, laß fein Gut den rechten Erben, —. &o
viel Mund, fo viel Pfund. (Bertheilung des Erbes nad) der
Zahl der Erben.) — Langft Leib, längſt Gut. (Der überle—
bende Ehegatte behält, wo Feine Kinder find, das ganze Ver:
mögen.) — Wer den Kopf bat, fcheert den Bart. (Der über—
lebende Ehegatte befommt das übergebliebene Gut.) — Glei—
he Brüder, gleihe Kappen. — Die Schulden find der nächſte
Erb. — Narrenfpiel will Raum haben. — Wer Einen erwür:
get, darf Zehn ermorden. (Erdarf nidt, im Sinne des Ge:
wiffens; aber in Hinfiht der Strafe hat er dag Leben gleicher:
maffen verwirkt). — Vom Drohen flirbt man nicht... —
Tauſch ift Fein Raub. -- Den Dieb fol man benfen, die
Hur ertränken. (Die Kindesmörderinn.) — Stehlen und
Sackaufheben ift Eins wie das Andere. — Der Hebler iſt
fo gut als der Stehler. — Mitgeftoblen, mitgehenkt, mitge-
gangen, mitgehangen. — ©elegenheit macht Diebe. — Was
Einer trunfen fündigt, dad muß er nüchtern büßen. — Ge:
danken find zollfrey. — Wernichts im Beutel hat, muß mit der
Haut bezahlen. — Anweifung ift Feine Zahlung. — Berdien-
ter Lohn fchreyet vor Gott im Himmel. — Sduldbezahlen
macht Hauptgeld. — Gottes Allmadt ift allemahl ausgenom-
men. — (Unvorbergefehbenen Schaden darf Niemand erjeßen.
— Getauſcht ift getaufht. — Wer das Aug nit aufthut,
der thu den Beutel auf. /
1
120
3. Familienkunde.
1.
Haustafel für den Mann.
Heirathe das Weib, nicht die Geſtalt. Das
iſt ſchwer zu hüthen, was Jedermann gefällt. — Schöne
Weiber ſind Irrlichter, verführen die Leute bey hellem Tage.
Heirathe das Weib, nicht das Geld: Nährt
ein Weib den Mann, fo muß er ihr Spielmann feyn.
—Sieh auf Öleihheit. Es nimmt Fein junges Weib
einen alten Mann um Gottes Willen. — Wer freyen will,
der nehme feines Gleichen. — Gleich und gleich gefellt ſich
ern.
; Gibdie Hand Eeiner Leichtſinnigen. Wei-
ber , die fters am Fenfter ftehen, und Aecker, die außer der
Landwehre liegen, find fhwer zu hüthen. — ‚Eine Birn und
eine Frau, die viel Geraufch machen, find nicht viel werth.
Keiner Herrfhfüdtigen Wenn Weiber regie—
ven, fteigen die Stühle auf die Bänke. — Eın blinder Mann,
ein armer Mann; doc iſt der eın viel arnırer Mann, der
fein Weib nit bezwingen kann.
is Keiner Habfühtigen. Wenn ein Weib Geſchenke
nimmt, fo bat fie fich felbit verfauft. a
"Keiner Säuferinn. Trunken Weib, gemein Leib. .
Keiner Widerfprederin. Widerbellen ift Hunds—
Tugend; aber im Haufe ihur fie den Ohren weh.
Keiner, die nicht felbft will. Gezwungene Lie:
be, und gefärbte Schönheit halten die Farbe nicht.
Keiner, die nicht haushalten Fann. Der Frau
Augen Eochen wohl, die der Magd nicht.
Ehre dein Weib. Wer fein Weib fehlagt, fchlagt
ihr drey Feyertage, und fich drey Fafttage. — Der Mann
Bat def keine Ehre, daß er fein Weib ſchlägt. — Wer fein
Weib ſchlägt, ſchlägt mit feiner rechten Hand feine linke. —
Mer das Weib einmahl ſchlägt, ſchlägt es mehrmahl.
Folge dem böfen Rathe des Weibes nit.
Sn böfen Räthen ift das Weis des Mannes Maänninn.
Traue dem liftigen Anfhlage des Weibes
nicht. Das Weib iſt ein Geſchwinddoctor; fie hat eine Lift
erfunden , fo oft fie auf die Erde ſieht.
124
’ Bring deine Verwandten nıdt in Ge-
ſchrey. Wenn ih mir die Nafe abſchneide, fo befchimpfe ich
ſelbſt mein Gefidt.
Entzweye dih mit deinen Verwandten
nicht. Se beffer der Bein ift, je fharfer der Eflig daraus
wird. — Se näher Blutöfreundfihaft, je bitterer Feindfchaft,
Nimm fie nıht leicht in dein Haus auf.
Schwager find nie beffere Freunde, als wenn jie weit von eins
ander fißen.
Befinne did vor ber zweyten Heirath. Wenn
die Kinder eine Stiefmutter haben, fo haben fte auch einen
Stiefväter, — Die zweyten Frauen, der erften Kinder Die:
binnen. (Manchmahl).
*
R
Haustafel für die Frau.
Der ſchönſte Hausrath. Ein frommes Weib ge—
winnt dem Manne das Herz ab. Ein frommes Weib
herrſcht über ihren Mann mit lauter — — — Ein from:
mes Weib kann man mit Gold nicht aufwiegen,
Die Haus-Ehre. Die Haus-Ehre liegt am Weibe.
Der ſchönſte Weiberroef. Kein Kleid ſteht dem
Meibe ihöner, als das Schweigen. — Wenn der Mann zürnt,
fo it Schweigen die beite Antwort des Weibes.
Gern daheim feyn. Das Weib und ein Ofen fol:
len zu Haufe bleiben.
Hausfriede. Der Hausfriede kommt von der Haus⸗
frau.
j Seine Geſchenke. Ein Weib, das gibt, biethet ihre
Ehre feil. — Ein Weib, dad nimmt, verkauft ihre Ehre.
Der Hausfegen. Der Hausfegen beiteht ın Bier:
in einem gnädigen Bott, in einen gefunden Leib, in einem
tugendfamen Weib, in einem feligen Tod.
Re 9
Haustafel für die Weltern.
Beherrfhung der Leidenfhaften. Oft effen
die Aeltern Holzapfel, davon den Kindern die Zähne ftumpf
werden.
122
Aufſicht. Auf der Mutter Schooß werden die Kin—
der groß. — 52*8
Ernſt. Mit Ueberſehen und Ueberhören ſchlagen die
Kinder ihre Aeltern (d. h. wenn die Aeltern zu nachſichtig
ſind, fo werden die Kinder grob, wild gegen die Aeltern.) —
Beffer, die Kinder bitten dich, als du fie. — Beſſer, die Kin—
der weinen, als du. — Barmberzige Mütter ziehn grindige
Töchter. — Des Vaters Strafe ıft die rechte Liebe.
Pflege der Eindlihen Liebe. Ein Kind ‚das
feine Mutter verachtet, hat einen flinfenden Athem. — Xel:
tern verachten, ilt ein Stud von einem gottlofen Menfhen.
— Mer Aeltern ehret, den ehret Gott wieder.
rübe Gottesfurdt. Gute Bäume tragen zeitig.
— Die Aeltern find wohl die Röhren, die den Kindern alles
Gute zuführen, aber der Brunn iſt Gott. » |
Zühtigung. Se lieber das Kind, deſto fihärfer die
Ruthe. — Wer feine Kinder zärtelt, fest fie ins leichte Schiff.
Brehung des Eigenfinnes Gibt man dem
Kinde eines Fingers lang nah, fo will3 eine Spanne haben.
— Mer den Aeltern nicht folgt, muß dem Scharfrichter fol:
en. —
Keine Verzärtelung. Daheim erzogen Kind, iſt
in der Fremde wie ein Rind.
Ordnung und Maß in Speiſe. Kein Vielfraß
wird geboren, ſondern erzogen.
Nicht zu frühe Bildung. Aus kindiſchen Kindern
werden weiſe Leute. — Vorwitz macht Jungfrauen theuer.
Kein böses Beyſpiel. Hat der Fuchs geſtohlen,
fo ftiehlt das Füchslein aud).
Arbeitfamfeit und Sparfamfeit. Wer in
jeder Woche einen blauen Montag, und einen grünen Donnere
ftag macht, befcheidet feinen Kindern den Betteljtab und den
Gemeinkaften.
Schickſal der beften Erziehung. Ein gut ers
zogen Kind ift eine Rechnung ohne Probe.
Ausfichten der Aeltern. EsEann eh’ ein Vater
zehn Kinder ernähren, als zehm Kinder einen: Vater.
Mutter:-Sorgen. Große Kinder, große Sorgen.
Berforgung der Kinder Merheirathe deinen
Sohn, wenn du willft; deine Tochter, wenn du Fannft.
123
4.
Haustafel für den Hausvater.
Grund der guten Haushaltung. Lafß Gott -
mit dir haushalten.
? Wachſamkeit. Ein rechter Hausvater iſt der erſte
auf, und der letzte nieder.
Die vier Pfennige Zur Haushaltung gehören
vier Pfennige: Ein Nothpfennig, ein Zehrpfennig, ein Eh—
renpfennig, und ein Wehrpfennig.
Achtung des treuen Dieners. Ein treuer Die—
ner iſt ein verborgener Schatz im Hauſe. — Was man einem
treuen Diener gibt, it Alles zu wenig. — Was ınan einem
Untreuen gibt, ift Alles zu viel.
Richtige Bezahlung. Wer richtig zahlt, dem dient
man auch hinter dem Nuüden.
Mehr als Lohn. Gaben haben Sporn zur Arbeit
und Treue.
Feyerabend. Ruh' iſt der Arbeiter Taglohn.
Eine Thür. Eine Hinterthür verderbt das Haus.
Reinlichkeit. Zur Neinlichkeit gibts Eein beffereg
Snftrument, als Menfchenbeine.
Ueberall dabey und voran feyn. . Kein Mift
düngt den Ader beffer, als den der Herr mit feinen Fußen
dahinträgt. — Des Herrn Auge düngt den Acker. — Des
Herrn Fuß macht das Pferd feiſt. — Wer nicht über ſeine
Arbeiter wacht, der läßt ihnen ſeinen Beutel offen.
Sorge für Schuldentilgung. Wer feine Schul-
. den bezahlt/ legt ein Kapital an. — Der Wolf frißt kein
Ziel.
Schonung der Pferde. Wer mehr hinter die
Roſſe, als vor fie legt, der kann nicht lang fahren.
Der Hausherr und der Knecht. Ein Hausherr
von Linden, und ein Knecht von Eichen find gut im Haufe.
- Ernftrund Strafe Wer das Böfe nicht ſtraft,
ladet es zu Haus.
124
ID.
—— — und —
i. Kehren der —
| t
Die Lehren der Klugheit nehmen das größte Feld in dem Ge—
biethe dentſcher Sprichwoͤrter ein, und beweiſen ſowohl
durch ihren Reichthum, als durch ihre Wahrheit und Klar⸗
heit, daß das Beywort: Klug, 3. B. m;
Die flugen Sprüche, der Dee fi
Die Eluge deutfhe Nation, }
nicht übertrieben fey.
138 9 a: as
- Von der Ueberfegfamfeit,
Weberteg e8 zuvor, Habe Rath vor der That. —
Bor:Sorge verhüthet Nach Sorge. — Der Heute ſoll nich
nicht beiffen.
Prüfe zuvor. Man ‚gibt Eeinen Heller um ‚einen
Zopf, ehe man daran fchlägt, wie er Elinge.
Sey bedächtlich inAllem. Sagnicht Aßes, was .
du weißt, wiffe nicht alles, was du liefeft, glaube nicht alles,
was du höreſt, thu nicht alles, was du Fannft.. - .
Geh dem Raufdigen aus dem Wege. Ge
mach ing Dorf, die Bauern find trunfen. — Einenr vollen
Manne. weicht ein Zuder Heu aus.
Ueberlege es genau, Geyein Schnee im Rathen,
ein Vogel in Thaten. — Wer einen großen Sprung thun will,
geht hinter ſich.
Sehy nicht fo nergehlig, Zum Verlieren iſt nichts
beſſers als das Vergeſſen.
Denk vor der That daran, daß du ihre, Sol:
aen tragen mußt. Du baft den Brey gekocht, iß ihn
aus, — Selbſt eingebrockt, felbit ausgegeifen. — Das Künf:
lein, das du angelegt, mußt du abſpinnen. — Willſt du fanft
Tiegen, fo bett’ dir gut.
125
Miß zuerft deine Kräfte. Ein Mann ift des
andern wertb: zwey find des Einen Meifter, drey des Ei—
nen Tod. .
Wäge deine Kräfte, ehe du etwas unter
nimmft. Haft du Feine Pfeile im Köcher, fo wag dich nicht
unter die Schügen. — Biſt du kahl, fo bode mit keinem Wide
der,
Verſuche nicht, was über deine Kräfte ift.
Es foll Keiner fliegen, e3 feyn ihm denn die Federn gewachlen.
Sey vorfihtigim Geldausleihen. Geliehe—
nes Gold wird Bley, wenn man's wieder fordert. — Ein Pfund
Sorgen bezahlt nicht ein Quentchen Borgen. — Leihen macht
Sreundichaft, wieder Fordern Feindſchaft.
Sep vorfibtig im Steigen. Wer eine Leiter
binauffteigen will, muß bey der unterften Sproſſe anfangen.
Sey vorfihtig im Brieffhhreiben. Geſchrie—
ben ift gefchrieben: Feine Kuh leckt es ab, Feine Krähe Fragt
es aus. |
Sey wohlbedahtlih im Ausführen. Haſt du
es wohl gemifcht, fo Fart es wohl.
Sey vorfidtig im Annehmen. WWohlfeiler ift
erkaufen, als erbitten. — Es ift Feine theurere Suppe, als die
man umfonft ißt.
Sey vorſichtig im Kaufe. Wer einkauft, bat
hundert Augen nöthig, wer verkauft, hat an einem genug.
R,
Bondem Niht-Trauen.
Traue dem Scheine nit. Trau nicht den la—
chenden Wirthen, und den weinenden Bettlern. — Es fchlafen
nicht alle, die die. Augen zubaben. — Es find nicht alle Säger,
die Hörnlein tragen.
Traue niht dem Urtheile deines Herzens,
Man muß andere leute mit dev Krammerurtheile meflen, nicht
mit der Hauselle. h
Zrauenidt den ſchönen Worten des Eigen—
I Wenn der Fuchs predigt, fo nehmt die Gänſe in
t.
Traue nicht. Neuen Freunden, und einem alten Hau—
fe iſt nicht wohl zu trauen.
+
126
Traue ber Naht nit. Wenn du des Nachts
veiteft, fo nimm einen Schimmel, er dient dir zur Latern.
Traue niht auf die Feinheit deiner An:
fhläage, nob auf das Verborgenſeyn deiner
Zwecke. Es wird nichts fo vein gefponnen: es Eommt zuleßt
an die Sonnen. Ä
Traue dem Schleicher nit. Hüthe dich vor
dem Schleicher, der Raufcher thut dir nichts.
Traue dem Reitze der Gewohnheit nicht.
- Der Krug geht fo lange zum Waffer, bis er zerbricht.
Traue der Ausſöhnung nicht. Verſöhnter Feind:
fhaft, und gefliekter Freundſchaft ift nicht zu trauen. |
Traue den Schmeideleyen des Glüückes
nicht. Wenn das Gluck dir Küchlein backt, fo will es dich faf-
fen und erdrücken. — Wen das Glück verderben will, den zär—
telt es wie eine Mutter. — Wen das Gluck zartelt, dem will
es einen Strict um den Hals werfen. ;
Zraue dir jelber nicht. Sn feiner eigenen Sache
ift niemand gefcheid genug.
Traue hibt dem Auge des Weibes. Weiber:
aug iſt ein Feuerfpiegel — (verbrennt das Herz des Mannes.
Uritque videndo foemina. Virgilius.)
Traue der Wolluft nicht. Wolluſt ift eine ver=-
deckte Angel.
Traue dem Reitze nicht. Die Flucht fiegt.
Traue dem ſüßen Worte nicht. Schöne Worte
füllen den Sad nit. — Reden und halten ift zweyerley.
Zrauedem Spiele nicht. Kart aus der Hand;
dann magft dur gewinnen. — Spielen ift Eeine Kunft, fondern
aufhören. j
Traue nidht der Gunft der Mädtigen. Auf
Heren Gunft nicht bau’, noch gutem Wetter trau’. — Herven-
gunft und Lerchenfang, Elinget wohl und währt nicht Tang.
Traue der Zukunft nice. Aneiner alten Schuld
nimmt man Haberftroh. — Beſſer ein Vogel in der Hand, als
‚zehn über Land.
Traue nicht der Goldmacherey. Zur Aldhimey
ſechs Stüc gehören: Tag und Nacht laboriren, das Feuer ohn’
Unterlaß fhüren, Rauch und Dampf fpüren, fich felber infici=
ven, und endlich den Betrug mit fehwerem Herzen fpüren.
127
3.
Bon der Maͤßigung.
Halt überall dasrehte Maf. Zu wenig und
zu viel, verderbet alles Spiel. — Zu wenig und zu viel, iſt
aller Narren Ziel.
Sey mäßig. Beſſer ohne Abendeffen zu Bette gehen,
als mit Schulden auffteben.
Nicht zu viel. Zu viel&org zerbricht das Glas. —
Zu viel Säcke des Efeld Untergang.
Steig nicht zu hoch. Werden Schwindel hat, darf
kein Schieferdecker werden.
Uebertreib's nicht. Gelindes Feuer macht fühes
Malz. — Wenn man das Armbruft überfpannt, fo zerfpringts
gern. — Wenn man die Saiten zu hoc) ſpannt, fo fprine
gen fie.
—Sehy niht zu nieder in deinem Streben.
Mer nur über einen Staffel will, Eommt nie über die Stiege.
Sey nicht überfpyannt in den Wünfden,
Man Eann nit alle krummen Hölzer gerad machen. — Man
muß manch ajtigen Block ungeipalten laſſen. — Man muß
nicht alle Berge eben machen wollen.
Drange dich nicht zu den Gefahren. Weit
davon, iſt gut für den Schuß.
Laß dich nicht von dem Mittelweg. Eh on
das Licht zu hoch, fo löfcht es der Wind; zu nieder, fo Iöfchen
es die Kind’.
Uebereile nichts. Eilen bridt den Hals. — Wer
zu früh kommt, Fommt auch unrecht. — Was bald anfliegt,
fliegt bald ab, was früh zeitig wird, faulet bald. — Zähe
Sprünge geratben jelten.
4.
Bonder Arbeitfamkeit.
Thu's. Wünfher und Wolter find Feine guten
Haushalter.
Thu's ſelber. Befehlen thuts nicht. — Selbſt an—
gegriffen, thuts. — Wo der Mann nicht ſelbſt kommt, da wird
ihm ſein Kopf nicht wohl gezwagt.
128
Thu Das Deine. Helft euch felbft, o hilft euch
Gott.
Thu Eines, und das ganz. Bauſt ein Haus, ſo
machs vollends aus.
Thu's mit Eifer. Wer auf die Bank trachtet, der
kommt bald. darauf. — Angle, wilift du Fifche haben. — Ger
winn will Züße haben. — Wer nad einem goldenen Tagen
trachtet, der befommt doch wohl ein Rad davon.
Geh früh zur Arbeit. Bey Zeiten auf die Zaune,
fo trounen die Windeln.
Verachte Eeinen Kunftvortheit. Vortheil
macht bald Feyerabend. — Ein jedes Ding hat ſeinen Hand—
griff. — Es gehört Kunſt zum Aepfelbraten.
Geb täglich mit friſchenKräften zurArbeit.
Wetzen hält im Maͤhen nit auf. -
DingeMitarbeiter, wo es noth thut. Viele
Hände machen bald Seyerabend. — Viele Hände machen leich-
te Bürden. —
Sporne die Arbeiter. Beſſer ein fauler Dieb, als
ein fauler Knecht. (er. ſchadet dir nicht fo viel.) — Wer mit
faulen Leuten haushält, dem gnade Gott!
Wähle dir tauglide Gehülfen, taualide
Werkzeuge. Wer mit Narren zu Acker geht, egget mit
Gäuchen zu.
Unterlaß nid, die —J— Voranſtalt zu
treffen. Man muß zuvor eine Grube machen; wenn man
den Wolf fangen will.
Arbeite, folang du kannſt. Greifgu, ebe dir
die Hände gebunden find.
Sey anhaltend in der Arbeit. Was ein Streid)
nicht kann, das thun zwey. — Treibs, fo gehts. — Fleiß
rührt den Mörtel. — Arm:fhmalz ehuts. — MWorte machen
den Kohl nicht fett. — Wenn die Magd mit Schüffeln fpielt,
werden fie langſam gefpühlt. — Wenn der Zimmermann lang
ums Holz fpazieren gebt, fallt Eein Spann davon. =
Sey nit ſchläfrig in deinem Kreife Ein
ſchlafender Fuchs fängt Fein Huhn. — Das Glück hilft denen
nicht, die fich felbft nicht helfen.
Bürde niht zuvielauf — den Fleifigen,
Willige Noffe fol man nicht übertreiben.
Arbeite, und leide, Aa alle Stauden will fliehen,
fommt in feinen Wald.
Er:
129
Erwirb's felber. Wer auf eines Andern Schuhe
wartet, bis er todt ift, der muß barfuß gehen,
Lerne Nahgeben. Nachgeben ftillt viel Kriege. :
Stets vorwarts. Kannſt du nit auf den Berg,
fo bleib doch nicht ım Thal.
5.
Bon der Sparfamfeit.
Arbeite und fpare. Arbeiten und Sparen wird zu=
fehends reich. 4 *
—Sey ſparſam. Auf Sparen folgt Haben. — Spa—
ren iſt der beſte Zoll herein. — Wenn du im Sommer die
Kleider zerreiſſeſt, ſo gehe im Winter nackend. — Wer keinen
Pfennig achtet, wird keines Gulden Herr.
Sey ſparſam in Allem. Am Zapfen fparen, und
zum Spuntlod hinaus laſſen, fparet nicht.
6.
Von dem Verhalten in Hinfiht auf Zeit.
Geh zu der Zeir in die Schule. Ein Tag des
andern Lehrmeifter. — Ein Tag des andern Schulfnabe.
Ergreif die Gelegenbeit, den Augenblick
Fiſche, wenn du bey Waſſer, trinke, wenn du bey Brunnen
biſt. — Zu feiner Zeit gilt ein Trunk Waffer ein Glas Wein,
ein Heller einen Gulden. — Zeit, Ebbe, und Fluth, war-
ten auf niemand. — Mad’ Heu, wann die Sonne fceint.
— Man foll herbften, fo lang Herbft Zeit ift. — Wenn das
Eiſen glüht, fol mans fhmieden. — Es Eommt Manchem ein
Glück vor die Thür, wenn er nur,die Thür aufthate. — Man
muß den Vögeln richten, wenn fie im Striche find, —, Wer
tanzen will, der ziehe auf, wenn man pfeift. — Man muß die
Waͤſche aufhängen, wenn es ſchön ift.
Geh früh genug. Cs ift zu lang geharrt, wenn Eis
nem das Dach über dem Kopfe zufammenbrennt,
Sieh auf das Ende Mad Blättern fallen Baus
me. — Behalt eine gute Karte auf den legten Stich. — Be
halt ein gutes Blatt auf die legte Leſe.
Sailers Sprichw, 9
150
Lobe nicht vor dem Ende. Anden Enden erkennt
man die Nath. — Das Ende bewährt alle Dinge. — Schrey
nicht Juhe, bis du über den Zaun biſt. — Es iſt noch nicht
aller Tage Abend. — Am Ende kennt man das Gewand—
Lerne warten. Zeit bringt Roſen. — Zeit verrath
und henkt den Dieb.
Sieh dich um, wo es noch Zeit iſt. Wenn man
gefallen iſt, beſieht man das Plätzchen zu ſpät. — Man jagt
die Katze zu ſpät von dem Speck, wenn er gefreſſen iſt.
Bedenk die Flüchtigkeit der Zeit. Die Zeit
iſt an keinen Pfahl gebunden.
Laß nie auf dich warten. Wem's allzeit zu früh
dünkt, der Eommt gewißlich zu fpat.
Laß die Vergangenheit vergangen feyn.
Menn ein Ding gefchehen ift, fo foll man das Beſte dazu re:
den. — Es ift gefcheben ; was foll man viel dazu fagen? —
Hin laß hin feyn; es leiht dir Fein Zud mehr was darauf. —
Gefchehene Dinge leiden feinen Rath.
Höre zu rechter Zeit auf. Man fol Eein gut
Liedlein ausſingen.
F Ts : j
Bon der Herrfhaft über Worte
Beherrfhe deine Zunge. Es fol Einer neun
Mahl ein Wort im Munde umkehren, eh ersausfagt. — Wei:
fe Leute haben ihren Mund im Herzen. }
—Behalt das Geheimniß bey dir. Das Geheim—
niß iſt dein Gefangener, ſo lang du es nicht offenbarſt; ſobald
du es offenbarſt, biſt du ſein Gefangener. — Was über zwey
Herzen kommt, kommt aus. — Was Einem zu eng, das iſt
Dreyen zu weit: das dritte Haupt trage ſchwer daran.
Geitze niht mit auten Worten. Gute: bricht
Einem Fein Bein. — Was fihader ein gutes Wort ?' darf mans
doch nicht Faufen. ie
—Sey langſam im Ratben. Schneller Rath viel
Reuen hat:
Meiſtere den Meiſter nicht. Es iſt keine Kunſt,
ein Ding tadeln; nachthun thats — wer es könnte.
Wiederhohle dich nit. Ein Ding, oft gefagt,
but den Ohren web.
134
Ar Meide alle Großſprecherey. Große Worte, und
nichts dahinter. — Verkauf die Bärenhaut nicht eher, als bis
du den Bären gefangen haſt.
Mäßige dich im Scherze. Wenn der Scherz am
beiten it, ſoll man aufhören.
tege fein Gewicht auf das, was die Nach—
barn in der Schenke fagen. DieWeinreden haben ih—
ven Werth nur beym Wein.
Läſtere nit. Einem ungewaſchenen Maul iſt ns
glück zum Ziele geſteckt.
Verliere nicht viel Worte an rohe Men—
ſchen. Grobe Side muß man nit mit Seiden zunähen.
Achte nicht das Geſchrey ohne That. Hunde,
die viel bellen, beiſſen wenig.
Achte nicht das leereßefhwdtz Es gehn viel
Reden in einen Wollſack.
Laß dih fremde Reden nicht Eranfen. Ein
Wort iſt kein Pfeil.
Laß die Leute reden. Der müßte viel Mehl ha—
ben, der alle Mauler verkleiben wollte,
Machs reht, und dann Fümmere dich um
Feime Rezenfion. Weram Wege baut, hat viele Meifter,
- Zadle anAndern nidt, was manan dir fel:
bertadeln Eönnte. Wer Ölasfenfter hat, „muß fi in
Acht nehmen, wenn er ın feines Nachbars Haus Steine wirft,
Shone, wenn du willft gefhonet feyn.
Rühr den Ais*) niht an; man thut dir ſonſt den deinen auf.
Meide das unnöthige Fragen. Wer viel fragt,
geht weit irr.
. — —
8.
Bon bem Verhalten in Hinſicht auf Shabın,
Unglück, Schmerz.
Lerne viel verfhmerzen imUnglücke. Wenn
man einen Wagen ınit Eyer umwirft, kann man die ganze
Zahl nicht mehr zufammenbringen,
*) Gefhwür, Blutſchwaͤren.
152
gerne leiden. Leib und meid, bift du gefcheid. —
Man muß ausder North eine Tugend machen. — Stärke wächſt
im Geduldgarten am beften.
Lerne dih in deine Lage fügen Was muß
feyn, da ſchick dich drein. — Richt's Maul nach der Taſche. —
Mun muß fich nad) der Decken ſtrecken. — Wer niht Kalk hat,
muß mit Leim mauern.,
Achte geringen Berluft niht bey großem
Gewinne Wenn man einen Lachs fängt, Eann man wohl
die. Angel verlieren. ii
Scheue Eleine Ausgaben nicht, um große zu
erfparen. Es ift ein guter Gulden, der hundert erjpart.
— (68 ift ein guter Prennig, der einen Gulden erjpart.
Ertrag einen geringen Berluft, um einem
großen zu entkommen. Veſſer ein Schäolein, dann ein
Schaden. — Wer einen Wolf zum Gevatter hat, der ſchenke
ihm unter dem Mantel einen Hund ins Kindbert.
gerne, ehe dudurdh eigenen Schaden Flug
wirft. In anderer Leute Küchen ift gut Eochen. — Es ıft
gut, den Schnitt an fremdem Tuche fernen. — Wer fid ar
einem Anvdern fpiegelt, der fpiegelt fich fanft.
Sey klug vor dem Schaden. Eshilft nicht, daß
man den Stall fihlieft, wenn die Kuh heraus ıft. — Es ift zu
lang gewartet, daß man den Brunnen dedet, wenn das Kınd
ertrunfen ift. OR
Bergrößere den Fleinen Schaden nicht. Aus
einem Schadlein fol man feinen Schaden machen.
Bereitedih in guten Tagen auf ſchlimme.
Bey fhonem Wetter muß man den Mantel mitnehmen.
Saffe did in den Tagen der Moth. Laß dir
fein Unglüc über die Knie gehen.
0.
Vermifchte Lehren.
Wirf dich nicht weg. Wer ſich zum Eſel macht,
auf dem will jedermann reiten. — Eſel will jedermann rei—
ten.
Schone deinen gutenNahmen. Verlorne Ehr'
kehrt nimmermehr.
135
Wechle nicht. Drey Veränderungen eines Wohnort
tes, find jo gut, als eine Feuersbrunft.
Sey nicht unnadhbarlıd. Mit den Nachbarn hebt
man Zaun’ und Scheunen auf.
Sey aub dem Freunde nicht laftig. Den
Freund joll man nie mic dem Munde küſſen, daß ihm das Herz
darüber wehe thue. i
Zögere im Geben nicht. Gib bald, fowirdder
Dank alt. — Wer mit der abe zaubert, hat den Dank ſchon
eingenommen.
Verachte nicht die Sitte des Landes. Man
muß den Stein nad) der Schnur, und nicht die Schnur nach
dem Stein richten.
Geh zu keinem Mit Rechten und
Kriegen gewinnt niemand viel.
Geh niht zum Kleinen. Der Schmid beſchlägt
die Pferde beffer, denn das Schmidlein. — Man Fauft leich-
ter dem Herrn, als dem Knechte ab. — Man zehrt beijer bey
dem Wirth, als dem Wirthlein.
Bleib nie lang als Gaſt. - Wenn der Gaft am
liebften it, fol er geben.
Miſch dich nicht inenge Verhaltnifie. Wer
fih zwifhen Stroh und Feuer legt, der brennt fi) gern. —
Wer feinen Finger zwifchen Angel und Thür ſteckt, der klemmt
ſich gern.
Mifh dich niht unter die Raͤthe. Wo man
iffet, da mag man zugeben. — Wo man rathſchlägt oder Geld
zahle, da fol man von geben...
Haltdıh fernvon den Großen. In der Nähe
der Gewaltigen muß die Wahrheit oder die Freundichaft dran.
— Mit großen Herrn ift nicht gut Kirfchen eflen; fie ſchießen
gern mid Steinen zu, und werfen die Stiel’ Einem an den
Kopf. — Hüthe did vor Herrn und Königen: Sie haben lan—
ge Arıne.
Ueberlogs wohl, ehe du in die Ötadt ziehft.
Der Steinweg ift heiß.
Verachte Feinen Auslander. Senfeitd des Ba—
ches gibt es auch Leute.
Halt nihts für Elug, was unweiſe ift. Beſ—
fer arm mit Ehre, als reih mit Schande. — Belfer mit Schar
den Elug werden, ald mit Schande.
454
2. Kunde der Erziehung.
-
1) Das lebendige Wort bildet. Man Ternt
mehr mit Ohren, als mit Augen,
2) Das Mufterleben bildet. Mohl vorgeben
macht wohl nachgehen.
3) Liebe bildet. Wären die Fice nicht lieb: wer
wirde fie erziehen“ e
4) Das Anfeben des Veteran bildet. Die
Alten müſſen die Sungen lehren.
5) Reine Srundfätze, und reine Benfviele
bilden. Die Kinder muß man in faubern Waſſern baden —
nicht in Miſtlachen.
6) Die Zucht bildet. Zuſprechen iſt halb Werk;
Vormachen und Strafen wetzet den Verſtand.
7) Entfernung des Schadlichen bildet. Kin—
der laßt man nicht Brot ſchneiden: fie würden ſich mit dem
Meffer nur Schaden thun. ° x
8) Lebre ohne Lernen bildet nicht. Der Papft
iſt — 9 Schuler geweſen.
)Leſen ohne Begriff bilder nicht. Wer
viel lief und nichts bebäft, wer viel jagt, und nichts‘ fängt,
die haben beyde Muh’ zum Rohn.
10) Lernen ohne Fortlernen bildet nit.
Mer ausgelernt jeyn will, muß im Grabe liegen,
m Säule ohne Hausübung bildet nicht.
Man lernt eher eine Sprache in der Küche, als in der Schu:
fe, — Uebung, der befte Schulmeiſter.
12) Lehre ohne Talent bildet nicht. Es muß
ein gerades Holz feyn, das man drehen kann, fonft ift Cifen
und Arbeit verloren. — Lehre ift nur Dlasbalgy der die Jun:
fen dev Natur brennen mad.
135) Bloße Lebre bildet mie Lehre iſt eine
gute Arzney, aber für unfre Natur zu ſchwach (fie bringts nur
dahin, daß man der Tugend die UP gibt, aber nit das
Herz).
14) Charlatanerie bildet nicht. Sm Studie:
ren und Lernen ſteckt viel Rauch.
15) Zu ſchnelle Kopfbildung verbifdet. Aus
—* Kindern werden Becken! "7. örüpigtäe Kinder wer:
den frühe Tölpel.
- 16) Eine Studier nie verbildet ganz. Es
heißt auch ſtudiert, wenn man das Geld perthan hat. —
En EEE
135
Manchen hat feine Kunft taufend Thaler gekoftet, und er
würde viel gewinnen, wenn ihm Einer zehn Pfennige darum’
übe. Ir
? 17) Srofe Talente bilden fi felber. Wer
eine Fackel im Hirn hat, Teuchtet heller, als das Wachslicht:
leın auf der Schulbanf. HUB
18) Lohn der fhlehten Erziehung. Erzieheſt
du dir einen Raben: fo wird er dir zum Dank die Augen aus
graben. DE 5 19 ‚rag
Vuiwi7 32 Yan gnwe mt min dee
Die deutfchen Sprichwörter find gute Aerzte; denn fie
verfehreiben lauter geprüfte Nezepte. er ——
1) Sein felbit Arzt feyn. Wer alt werden will,
thu frühe dazu. — Werde jung alt, fo bleibt du lang alt.
2) Früh fhlafen geben. Eine Stunde Schlaf
vor Mitternacht it fo gut, als zwey hernach. — Früh ſchla—
— früh aufſtehen, ſchließt vielen Krankheiten die
Thuͤr zu.
3. Mäßigkeit. Dreymahl am Tiſche getrunken, iſt
das Geſündeſte. — Wenn der Wein zu wild wird, fo ſchlag
ihn mis. ver Wafferftange, damit er dich nicht fehlage. —
Schmaufereyen, der Aerzte Commenthureyen. — Kurze Abend»
mahlzeit macht lange Lebenszeit. — Der thut einem Alten
Eein Unrecht, der ihm das Abendeffen ftiehlt. — Drey Dinge
find gefund: wenig effe dein Mund, übe dich alle Stund,
Lauf nicht wie ein Hund. — Ein mäßig Frühſtück, gut Ge:
würz zum Abendeffen.
4) Gute Verdauung. Wilft du das Mahl wohl
verdauen, fo laß die Armen miteflen. j
5) Bewegung, Arbeitfamkeit. Nah Faulheit
folgt Krankheit,
-6) Beberrfhung des Zorneg, befonders am
Tiſche. Afterred und Zorn gehören nicht über Tifh.
7) Duldfamfeit. Geduld ift das befte Pflaiter fur
alle Schwären.
8) Der Arzt der Aerzte. Mit Gott iſt gut arz—
neyen. RR
9) Wahl des Arztes, Es hat nicht jeder Arzt die
recht e Hand zum Heilen, |
136
10) Selbſtbeobachtung vor der Krankheit
und Gelaſſenſeyn beym Geneſen. Die Krankhei—
ten kommen zu Pferd und mit Extrapoſt, und gehen zu Fuß
mit Schneckenſchritten wieder weg.
11) Lebenseſſenz für Gemüthskranke. Ein
guter BI, ein guter Arzt.
12) Arzney fürdie Alten. Die Alten müffen. fid)
ihre Starke in der Kanne, im Bette, und hinter dem Ofen
ſuchen. — Ein guter Trunk macht Alte jung.
15) Werth der Hausmittel, Mor dem Hollun:
der foll man den Hut abziehen, und vor dem Wacholder das
Knie, biegen.
14) Gebraud des Pfeffers.- Der Pfeffer hilft
dem Mann auf’s Pferd, dem Weibe unter die Erd’.
15) Der'letzte Arzt. Der legte und ficherfte Arzt
iſt Wetter Knochenmann; er heilet alle Krankheiten.
Viertes Hauptftück.
Bon den deutjchen fprihmwörtlichen Redens⸗
arten.
Spꝛichworter und ſprichwörtliche Redensarten ſind Blüthen
Eines Stammes, ſind Kinder Eines Hauſes. Und es iſt
mir, als wenn ſich das Genie des deutſchen Sinnes, und der
deutſchen Sprache in dieſen wenigſtens eben ſo kraͤftig aus—
ſpräche, als in jenen. Oft erſcheinen mir die ſprichwörtlichen
Redensarten fogar als das ſchönſte Product der Volks—
poeſie; find wirklich nicht ſelten mahleriſcher als die Sprich—
wörter, und fo mannigfaltig, fo launig, fo beiffend wie die.
Das fie an das Niedere ftreifen, ift ihnen natürlich; denn fie
wollen Werktags : Poefie feyn. Hier eine Eleine Gallerie fol-
cher Gemählde, oder treffender Züge.
Der VBerfhwender. Sein Geld ſchreyt immer :
laß mich aus. — Sein Geld ift eine H***, will immer nur
unter fremden Leuten feyn. — Er hält heute Haus, als ob
man ihms gebothen hätte, übermorgen zu verderben. — E3
ift Zeit, daß er flirbt; denn da it Leben und Gut miteinan-
der aufgegangen. — Er hat dad Seine dur) die Gurgel ge—
jagt. — Ihm ift ein fteinern Haus durch den Bauch gefah-
ven. — Haus und Hof ift ihm in Wein ertrunfen. — Er
hat ausgejponnen. — Er hat Feyerabend gemacht. — Er hat
fein Gut auf naffe Waare gelegt. — Da ift weder Stumpf
* Stiel überblieben. — Die Kerze iſt auf dem Nagel ver—
vannt. _
Der Genaue, Filzige.. Es ift bofe nachähren,
wo er gejchnitten hat. — Er it feines Mauls Stiefvater. —
Er iſt der Mäuler Stiefvater. — Es fällt ihm ein Blutstro-
pfen vom Herzen, fo’ oft er einen Heller ausgibt. — Es gibt
Alles an ihn, nur die Hande nicht. — Er fieht gern tanzen,
N aber mit den Zahnen nicht. — Sein Gut heißt ihn nicht:
Ders. — Er fühe gern mit den Zahnen tanzen, wenns nur
138. —
nicht über ſeinen Brotkorb und Weinfaß ginge. — Seine
Gulden ſind ſeine Meiſter, wie ſieben Hund eines Haſen. —
Er hat nur zwey Hände, eine zum Nebmen, die andere zum
Behalten ; die dritte, die zum Geben, fehlt ihn ganz und gar.
— In Bayern fagt man: er hat die Hand zugehabt,
wie er auf die Welt Fam.
Der Snhofpitale. Er hat gern Säfte, wenn man
den Tiſch in eines andern Winkel feßet. — Sparmund hält
bier Haus. — Es ift eine Kirhweih, wo man feinen Raud-
geſehen. — Er fingt vom Wohlleben bey einer Waſſerſuppe.
— (Er ſagt von großem Hecht ob einem Brey.
Der Lugner. Er verkauft Winde, ſchleift glatte,
breite Worte, tragt den Athem feil, redet aus der Lunge, nicht
aus dem Herzen, — Was er fagt, hat er von ſich felbſt ges
hört. — Er lügt, daß ſich die Balken biegen. — Er fagt kei?
ne Wahrheit, fie -entrinnt‘ ihm dern. — Hätte er an ber. er—
ſten Lüge ſterben follen, er wäre längſt todt. — Er Lüge einen:
ganzen Tag, und ſtünde auf einem Fuß dazu.
Der Heber- witzige, ber! Allwiifende, ber
Greßkünitler. Seine Spitzen ftehen allenthalben herz
aus, wie em Haſpel im Sack. — Er hört's Gras'wachfen
und die Mücken an der Wand nießen. — Er kann einer Gans
ein Hufeiſen aufſchlagen, jeder Laus eine Stelze machen. —
Er will überall den fünften Zipfel am: Sacke haben. — Er)
bat ein Buch, darin Alles ſteht. — Er weiß auj’jeden Hafen
einen Deckel, und. für jede Flaſche einen Zapfen zu finden. —'
Er, kann hundert Gulden in einem Wesftein vernahen.
Der WVielſeitige. Er Eoche in einer Pfanne zweyer—
ley Brey. — Er mahlet aus. einem Tıegel wei und fchwarz.
— Er blaͤſt kalt und warın aus einem Munde. — Er ſegelt
mit allen Winden. — Er ift.inv alle Sättel geredt.
DerFurchtſame. Er fürchtet fi vor feinem Schat⸗
ten. — Er zZappelt wie ein Fiſchim Garn. — Seine Bruſt
iſt mit einem Haſenbalg gefüttert, — Er iſt gewiß einmahl
von einer Schlange gebiſſen worden, weil er ſich vor jedem
Wurme fürchtet.
Der von Noth Ausgezehrte. "Der Tod ſieht
ihm zu den Augen heraus. — Er ſieht aus, als wenn man
ihm gen Himmel geläutet hätte, — Stünde fein Angefiht
an einer Küchenthuͤr: e8 Fame Fein Hund in die Küche. —
Er follte und vom Faſten predigen: ihm glaubte man. —
Er fieht aus, als war’ ex pen drey ange am Galgen gehen
gen, /
“ 158
Der beftohene Richter. Man bat feine Zunge
an eine goldene Kette gelegt. — Man hat ihm ein ſilbernes
Schloß vor das Maul geſchlagen. — Ihn hat der ſuͤberne
Schlag gerührt. — Es liegt ihm ein Joachims- Thaler auf
der Zunge.
Der ſchlechte Rechner. Er ißt das Korn, das
noch nicht * iſt. — Er ladet, ehe die Kuh kalbet, die
Gaͤſte auf den SI skopf. — Er verkauft die Barnhaut, ehe
der Bar gefchoffen ift. ;
Der Wild-Trotzige. Stünde fein Antlis am
Himmel; die Bauern würden zum Wetter Iauten. — Er fiebt
wie ein Wald voll Teufel. — Er fieht wie ein Ochs/ der dem
Metzger entronnen iſt.
Der Schnellentzündbare. Er iſt ein wenig zu
heiß gebadet, er ift bald im Harniſch. — Er ift leicht aus dem
Sattel gehoben. — Bey ihm ift gleich Feuer im Dad. » —
Er ift ein Fleines Häfele, lauft bald über.
Der thörichte Arbeiter. Er dörret Schnee im
Dfen. Er kühlet Wein im Glühofen. — Er brennt das
Meer aus. — Er ſchickt den Hund nah Bratwürften. —
Er jagt dem Wolf das gefreffene Schaf ab. — Er gründet
einen Felſen auf ein Rohr. — Er baut feine Feſtungen ale
in der Luft.
Derlintühtige zum Gewinnen. Er ſolte her
ein Dorf verzehren, als ein Haus gewinnen.
Derkangfame. Erift gut um den Tod zu Bea eh
Der Shwadhfinnige. Er bringt Feihe ——
auf. — Er hat dag Schießpulver nicht erfunden. — Er ift
kein Herenmeifter. — Er baut Eeinen Thurn.
Der unerfabrne Junge. Erift noch) hinter den
Ohren naf. — Die Butter ſchmilzt ihm ned im Munde. —
Es ift ihm das Gelbe noch nicht von dem Schnabel gewifcht.
Der Unbildſame. An ihm iſt Hovf und Mal; ver:
foren. — An ihm ift Kryſam und Zauf verloren. — Sch weiß
nicht, ob er geboren fey. — Er weiß von vornen nicht, ob er
rückwärts Tebe.
Der ähwerbegreifende Man PR. es ihm vor-
kauen, wie einem jungen Kindlein. ae
Der Größprahlende Wäre feine Zunge ein
Spieß ‚ er thate mehr Wunder, als Andere zehn. Wenn
die Worte Leute ſchlügen, ſo wäre er ein tapferer Mann.
Das ſuperklugeKind, Er will jones Waters Lied:
Jein nicht fingen,
140
Der Finftere Er ſieht fo fauer, daß, wenn er im
eine füße Milch fähe, fie verfäuerte. — Er fieht aus, als wenn
er den Prozeß verfpielt hatte.
Der Eritifhe Gefelt. Draußen bat er hundert
Augen, daheim ift er ein Maulwurf.
Der Schwerbefehrlihe. Es ſteckt ihm in der
Haut: war’ es in Kleidern, fo möchte man’ berabwafchen.
Derbhitzige Sprecher. Er gibt Wort um Schläge.
Der Glücklie ohne Berdienft. Er hat mehr
Glücks dann Redts.
Der Unfahige.- Er ift des Holzes nicht, da man
folhe Bilder ausfhniget. — Er Eann feinen Hund unter dem
Dfen bervorloden. — Er ift weder zu fieden, noch zu braten.
Derzur Ausführuna Gewandte, Er weiß dem
Dinge Hand und Füße zu geben.
Der liftige Betrüger. Er bat fein Maul mit
Honig, und feine Hände mit Voaelleim gejalbet. — Es find
faule Fiſche, womit er auf den Markt reift.
Der Raubfühtige. Er nahm es audy Gott von
den Füßen. — Er nähm ed vom Altar. — Er nahm es von
den Todten.
Der Stolgdrohende in Schenken: Sch wollte
dem Teufel eine Sprige vor die Nafe halten, daß ihm die
ganze weite Welt zu eng, werden follte.
Der Eluge Kramer, Er richtet den Schragen ger
gen den Markt.
DerlUnglücklide, der noch unglüeklicher
ward. Er iſt von dem Roſt in die Gluth gefallen, von dein
Regen in die Traufe gekommen, dem Regen entlaufen, und
in das Waffer gefallen. |
Der glücklih davon kam. Der hat einen guten
Engel gehabt.
Der. Ungeniefbare. Er ift weder gefalzen noch
geihmalzen.
Derdarnad Ringende. Ihm träumt auch des
Nachts davon. — Es kommt ihm auch im Schlafe für.
2 Der Unbeſtimmte. Er ift weder Zleifh noch
i
Der Profane. Er läuft zum Tiſche, wie eine S—
zum Troge.
Der Hoffärtige. Wäre Hoffart eine Kunſt, ſo
waͤre er längſt Doctor. — Röche Hoffart wohl, ſo wäre er
lauter Biſam.
148
Der Narr. Wäre er einem Hafen fo ähnlich als ei—
nem Narren: die Hunde hatten ihn langit zerriffen.
Der Kalte bey fremdem Schaden. Es ift ihm
fein Spiel zu hoch, weıl er nur Zufchauer ift.
Der Freygebige auffremde Koiten. Er läßt
gern Wein aus anderer Leute Fäſſern. — Er zahlt gern Geld
aus anderer Leute Säckeln.
Der mit Alter und Erfahrung prahlt. Er
denft länger als feine Mutter. — Er denkt noch, daß St.
Peter in die Schule gegangen ift. — Er denkt drey Meilen
binter Gott.
Der Schuldner. Er ift niemand ſchuldig als jeder⸗
mann. — Er iſt lange hier geweſen, und kennt keine Gaſſe,
darin er nicht ſchuldig iſt. — Sollte er jedermann bezahlen:
es blieb ihm die Afche auf dem Herd, und der Löffel im Korb
nicht.
hr Der Shalf. -Wenn er Tädhelt, fo hüthet man ſich
vor ihm. — Und wenn er lat, fo lauft. man von ihm,
Der Viel-thätige außer feinem Kreife.
Er hat immer neu Werg an der Kunfel. — Er hat ſtets Jun—
ge und Eyer. — Er ift Zunftmeifter, es bat ihn aber nie=
mand erwählt. — Er bat viel zu regieren in anderer Leute
Häuſern.
Der Stolze, der Prätenſionen macht. Wenn
er redet, ſo kräht der Hahn auf dem Kirchthurm. — Er meint,
es müſſe das Pflaſter vor ihm aufſtehen. — Er meint, was
er im Sinn habe, das ſchlagen alle Glocken.
Der Glückliche. Schlügeerdas Glück vornen bins
aus: es lief’ hinten wieder,berein. — Würfe er einen Kreus
zer aufs Dach, es fiel ihm ein Batzen wieder herab.,
Der Vor-laute. Er lobet den Tag vor dem Abend,
er fhreyet Zube, ehe er über dem Zaun iſt. — Er fliegt, ebe
ihm die Federn gewachfen find. |
Der Tugendlehrer ohne Tugend. Er ift ein
fhones Schild am Wirthshaufe ; mahnet Andere einzukehren,
und bleibt felbft draußen. — Er ift ein ſchöner Bildftod an
Straße, weiſet Andern den Weg, und gebt ihn ſelbſt
nicht.
Der Vielgeprüfte. Manch ſaurer Wind hat ihn
angewehet.
Der Mann im Gedränge. Er ift zwifchen Kegel
und Ziel gekommen. — Er ift zwifhen Hammer und Ambos
142%
gekommen. — Er kann weder a 106 genejen. — Er
ftebt zwiſchen Thür und ‚Angel,
Der Sanfte. Er biffe nicht, wenn man ihm audy
die Finger ins Maul ſteckte.
Der Leichtbewegliche. Mit einem Haͤrlein zöge
man ihn dazu.
Der Uebelgelittene. Man reift ER um ihn,
en Char:
wie um die Marterwoche. — Man fucht ihn, wie
freytag.
1 D or u Er heifchet die Schläge, wie
ein Pferd fein Sutter.
Der Unachtſame. Es muß ein Rad über fein Bein
laufen, wenn er davanıdenfen fol.
Der Faule. Er will lauter rothe Tage im Kalender
haben. — Er bohret gern dünne Bretter. — Er hat ein faus
les Bein im Rüden. \
Den. Sette, Dicke. Er gebt drey Heller, und
ſchnaubt ſieben Batzen.
Zer Undankbare. Er wiſcht das Maul, und geht
davon.
Der Verlegene. Er hat einen Wolf geſehen. —
Er ſieht wie ein geſtochenes Kalb.
Der furchtfam zögernde Geſchäftsmann. Er
gebt, wie, eine Katze um den heiſſen Pr
Der kahle Sein: Selbft: Ent-fhuldiger.
Er möchte fich gern decken, aber die Decke iſt zu ſchmal, und.
der Mantel zu Eurz.
Der Bielverfpreder, der wenig halt, Er
befteht auf feinem Worte, wie die Butter an der Sonne.
Der Stillfrohe. Er bat einen Lautenſchläger
im Bufen.
Der Gefdickte. Er hätt's mit Einem Worte aus:
gerichtet. — Er fpringt ohne Stegreif in den Sattel. us
den Nitterzeiten.)
Der Ungeſchiekte Er weiß weder Wort noch
Weiſe. (Kennt weder den Tert, noch die Mielovie des Lie:
des.) — Er weiß feinen Nahmen nicht. — Es iſt Fein Körn-
lein Salz in ıhm.
— Der Unbandige und. Unverjtandige. Er but
beyde Schuh voll Kalbfleifch.
Der Alternde. Er bat fhon viel Ditereyer aegef-
fen. — Er denft viel Charfreytage., — Er ift oft in der Faſt—
nacht gegangen.
108,
Der Greis. Er ruft den Vieren: beb auf! —
Der Zod fuhr ihn. — Er gebt auf der Grube.
Der ſich ſelbſt beſchädiget. Er haut fich.felber
in den Backen. — Die Schneide iſt ihm in die Finger ge⸗
gangen.
Der Stille. Er geht leiſe, er fürchtet, er trete in
ein Glas. — Er will Frau Leiſetritt ſeyn.
Der Unnützkthatige. Er trägt, Waſſer in den
Rhein, Holz in den Buſch. 9
Der Betrogene. Er muß das Lehrgeld geben.
Der Sorgenfreye, der fein Gut nicht
verfhloß. Es fteht hier Alles offen, wie eines Fürften
Kuͤche.
Der wenig hat, und das Wenige wohl be—
wahrt. Er bat nur Ein Auge: Ein Aug iſt lieb. — Er
bat nicht mehr dann die Tochter; fie ift ihm Tieb.
Der Ungläubige, Er glaubt nicht ehe: die Hei—
ligen zeihnen denn.
Der Eingebildete. Er ſtinkt von eignem Dünfel.
Der Nichtgeachtete. Er treibt die Hunde aus,
und lauft felbit mit.
Der Taugenichts. Er ift fo nütz in der Welt, wie
der Roſt am Eifen.
Der Sefühllofe. Er hat im May nie die Vögel
fingen hören.
Der Arme. Er hat weder zu beiffen noch zu brocken.
— Es iſt ihm nie gut predigen (weil er ſtets ungejtillten Hun—
ger hat).
Der zu früh Gebildete. Er bat zu früh anges
fangen zu fingen ;. er wird ſich bald verfungen haben.
Der Thor. Er hatimmer zu wenig Waffer, die ibm
die Mühle ftellt, oder zu viel, die fie ihm zerreißt.
Der Schlecker. Er it ein verwöhnt's Maul.
. Der die lateinifhen Schulen nit beſucht,
oder wenigftensnichtvollendet hat. Erift ein
deutfcher Michel. — Seine Amme verftand fo viel Latein,
ald er. — Sein Hund hat einmahl in der neunten Schu—
le beruntergefhaut; Er ift aber nicht fo hoch hinaufgekom—
men.
Der Zäartling Man follte eine Glocke über ihn
giehen laflen, daß ihn Fein rauhes Luftlein anwehte.
14%
Derfalide Tugendfreund. Er jagt die Na-
tur zum Senfter hinaus, und Taßt fie bey der Hausthüre wie: _
der herein.
Der Oberflächliche. Er lauft darüber, wie der
Hahn über heiffe Kohlen.
Der gefhlagene Knecht. Der Rüd’ muß ihm
noch ſo weich werden, als der Bauch.
Der böfe Ehemann. Er hat ihr einen Teufel her=
ausgefchlagen, und dafür zehn hinein.
13
145
Fuͤnftes Hauptftück,
Bon den Denkſpruͤchen, und tiefſinnigen
ri der Deutſchen.
J.
Scharfſinnige, kluge deutſche Sprüche.
—
Fulius Wilhelm Zinkgräfen hat im Jahre 1644
zu Leiden bey Franz Hegern teutſche Apophtegma-
ta, das iſt, der Teutſchen f[harffinnige, Eluge
Sprüche, in zwey Theilen herausgegeben ; Sohann Leonard
Weidner hat fie mit einem dritten vermehrt. Daraus habe ich
die zu meinem Vorhaben paffendften gewählt; denn e8 war als
lerdings eine Wahl nicht überflüßig.
1. Von Pabft und Bifchöfen.
Pabſt Adrian VI., geboren zu Utrecht, obehenn bes
Kaifers Karl V. Dermeiliet, Zion fol man nicht mit Be
und Blut bauen *).
Chriftian, der zweyte Erzbiſchof zu Maynz , aufge⸗
fordert, in den Krieg zu ziehen. Eines Bifchofes Amt ift,
Gottes Wort ehren, nicht Eriegen; denn der Herr Ehriftus
bat den Apoftel Petrus befohlen, das Schwert einzufteden.
Albreht, Markgraf von Brandenburg, Erzbifchof zu
Maynz. Das menſchliche Herz ift wie ein Mühlftein auf
einer Mühle. Wenn man Korn darauf ſchüttet, fo läuft er
) Er wollte feine Verwandten nicht beſerh zu Kicchen-
ämtern.
Suilers Sprichw. Yin 10
146
herum, zevreibt, zermalmet und macht es zu Mehl. Sit aber.
fein Korn vorhanden , fo läuft der Stein gleichwohl herum,
und zerreibt fich ſelbſt, daß er Eleiner und ſchmäler wird.
Dietrih, Erzbifhof von Köln, zum Kaifer Sig—
mund, der ihn fragte, welher Weg ihn in den Himmel führte.
Das ift der rechte Weg: wenn du dein Leben fo führeft, wie
du zu thun verheiflen haft, als dich der Stein, das Podagra
und andere Krankheiten plagten.
Sohamnes, Bifhof zu Meiffen. Wenn ich die Bibel
Iefe, fo finde ich darin ein anderes Chriftenthbum, und ein an-
deres Leben, als man heutiges Tages führt.
&t. Ulr ich, Bifhof zu Augsburg. Wenn man die
heilige Schrift zu fehr drückt, fo drückt man, anſtatt Milch,
Blut heraus, L
2. Don Kaiferm und Fürſten ꝛc.
Raifer Karl der Große, wider den Lurus eines
Bifchofes, der firh ein goldenes mit Edelfteinen befegtes Kreuz
machen ließ. Die des armen Ehrifti Kreuz, alfo tragen, und
gern dem Kaifer gleich feyn wollen, tragen wenig Sorge für
ihre, Schafe.
Alser die Schule zu Paris befudte, und
fand, daß die Bürger: und Bauernföhne die
der Adelihben ubertrafen. Zu den Erftern:
Mohlan, ihr Jünglinge! fahrt fort, wie ihr angefangen ; id)
will euch vor Andern werth halten, will aus euch Stiftsher—
ven, Biſchöfe und Pabite machen; ihr follt Land und, Leute
regieren, und zu dieſer meiner Nechten fisen. — Zu den
Letztern: Ihr Zärtlinge, die ihr mit gefräufelten Haaren
Berumpieht, und euch auf eurer Aeltern Reichthum, Ehre-und
Stand verlaflet, dem Müßiggange und der Wolluft nahhangt,
meinen Befehl_ nicht achtet:-ihr feyd mir nicht gut genug;
euch follen diefe Armen vorgezogemwerden., Dod, wenn ihr
es den Fleißigen gleich thun werdet, will ich auch wegen eures
Standes auf euch fehen.
Zu den Hofleuten, die von Venedig feide:
ne Kleider kauften, die fie durd feine Veran:
ftaltung) auf der Sagd zereiffen, und dann
bey dem Dfen verbrennen mußten. Ihr läppifchen
Leute, weſſen Kleid iſt nun nützer, das UNE: das mich ei-
147
nen Schilling gekoftet, oder das eure, auf das ihr euer ganz
zes väterliches Erbe verwandt habt?
Kaiſer Ludwig, der Fromme, wenn er Einem
ein Amt auftrug. Sieh zu, was du thuſt, du biſt keines
—Menſchen, du biſt Gottes Diener; er iſt Jedermanns Gott,
und hat uns dazu erhöhet, daß wir die Armen wider die Ge—
“ waltigen f[hügen, nicht daf wir und mit ihrem Schweiß und
Blut bereichern follen. .
Kaifer Ludwig, der Zwepte. ‚Wer den’ Reich⸗
thum verachtet, iſt reicher, als der ihn beſitzet.
Kaiſer Ludwig, der Dritte. Wider den Feind
fol man viele Hände brauden, aber wenig Köpfe (wenig
“ Köpfe, aber nit: wenig Kopf.)
Kaifer Dtto, der Große. Drohmorte find nur
Worte, und ftehen deßhalb weifen Fürften übel an, als die
mit Thaten fprechen, und font wohl wiffen follten, daß der
Sieg nit in ihrer, fondern in Gottes Hand fteht. — Thun
wir das Unſere, fo wird Gott das Seine thun.
Derfelbe bey einem Beftehungsverfude.
Die Deutfchen Erienen mit’ Eiſen, nicht mit Gold.
Kaifer Otto, der: Zweyte. Friede mit den Men-
fhen, Krieg mit den Laftern.
Kaifer Heinrich, der Sehste: Den Menfhen
nügen.ift göttlich , fhaden teuffifch:
—Kaiſer Rudolph, der Erfte. Pakt um Gottes
willen Sedermann zu mir fommen; denn ich bin nicht zu dem
Ende zum Kaiferthume berufen, daß ich mich in einen Kaften
eingefchloffen halte, fondern Allen, die meiner Hülfe bedür—
fen, fie unverweilt widerfahren laffe. — Sein Land wohlres
gieren ift eine größere Kunft, als die Gränzen deffelben er-
weitern. — Meine Strenge hat mid manchmahl gereuet,
aber meine Güte nie.
Als Ottofar Böhmen und Mähren als ta
benvon ihm empfing. Der König in Böhmen hat oft
meinen grauen Rock verfpottet: jeßt ift es Zeit, daß der graue
Kock feiner wieder fpotte; der Deutſchen Lob befteht in guter
Rüſtung, nicht in ftolgen, prächtigen Kleidern.
Kaifer Adolph (aus dem Geſchlechte der Grafen
von Naflau). Das Gemüth made reich: beſſer ein Mann
ohne Geld, als Geld ohne Mann.
> Katfer Albredt, der Erfte. Dreperlen Leute
ſind mir vor andern werth: Züchtige Weiber, gottesfürgtige
Geiſtliche ‚ tapfere Kriegsleute. x
10
145
Kaifer Ludwig, der Vierte, Herzog aus Bay:
ern. Man fol nah ſolchem Reichthum trachten, den Einer
ftets bey fich tragen , und der ihm dureh Eeine Gewalt, dur
feinen Unfall entriffen werden Fann.
Sriedrih der Schöne, Herzog von Defterreich,
als er 1523 von Ludwig dem Bayer überwunden, und nad)
dem Schloſſe Trausnig geführt ward. Es heißt wohl Traus—
nig; denn ıch hätte es nicht getrauet, daß ich heut folcherge-
ftalt hineingeführt werden foll,
Kaifer Sigmund, als einige Pralaten auf dem
Eoncilium zu Koftnig fagten, man müffe die Reformation
von den Minoriten anfangen. Mein, man muß den Anfang
machen mit den Majoriten und großen Hanfen.
Als fih ein Lebelthäter fürreinen Bürger
von Dfen ausgab. Auch meine Hand, wenn fie verfault,
fol —— werden.
Kaifer Sriedrid, der Dritte, gefragt, welche
aus feinen Räthen ihm die liebften feyen. Die Gott den Herrn
mehr fürdten, als mid).
Vonden Regenten, die nicht auf Gerech—
figfeit halten. Die find denen’ glei, die die fauende
Sucht haben.
Kaifer Marimilian, der Erfte, als Semand
den Reim: als Adam hackt', und Eva fpann, wo war damahls
der Edelmann? in feinem Hofe an die Wand fchrieb, fchrieb
der Kaifer darunter: Sch bin ein Mann, wie ein anderer _
Mann, nur daß mir Gott die Ehre gann.
MWiderden Müfßiggang Das Stilleſitzen und
der Mußiggang verderbt adeliche, tapfere Leiber, wie der a
das Eifen.
Wider vier Habſucht. Wenn ein Regent das Geid
lieb bekommt, ſo macht es aus einem König glei) einen
©claven. |
Bon der alten Sins zwifhen Bolt
und Volk. Wenn man bayerifches und öfterreichifches Blut
iu einem Topfe fieden wollte: ich glaube ‚ 'eines würde das
andere a machen.
Als Einer fih beflagte'wegen Hobntieder,
die auf ihn gemadt wurden. Nimm dich folcher Lie:
der nicht an; wie fie gefhwind Eommen, fo vergehen fie auch
geſchwind wieder; ; fie währen nicht fo lang als das Lied: Chriſt
iſt erſtanden.
149
Als das Schloß zu Inſpruck nicht nad fei-
nem Wunſche erbaut ward. Sie machen nichts, was
mir gefällt: ich will mir wohl ein beſſeres Haus bauen laſſen.
(Er ließ ſich noch am ſelbigen Tage einen Sarg machen, den
er fünf Jahre mit ſich herum führte.)
Als manihm kurz vor feinem Tode ſagte:
er folle jetzt tbun, was einem No een
Kaifer ziemt. Das babe ich vorlangit gethan, fonft ware
es wohl zu lang gewartet.
Kaifer Karl V., als ihm in Paris große Schäße
von Gold und Silber gezeigt worden, mit dem Worte: Dies
allein wäre eines Königreiches werth. Ich habe: zu Augsburg
einen Weber, der könnte diefe Dinge mit barem Gelde aus:
zahlen. ‚(Den Fugger meynend.)
Bon dem vollfommenen Kriegsheere. Zu
einem vollfommenen Kriegsheere nehme ich gern das Haupt
von den Stalienern, Hande und Arme von den Spaniern,
das Herz von den Deutihen, Beine und Füße von den übri⸗
gen Völkern.
Kaiſer Ferdinand J. von ſeinem Bruder, Kaifer
Karl. Mein Bruder ift nicht leicht auf den Efel zu bringen;
wenn er aber einmahl darauf kommt, fo ift er nicht leicht wies
der herabzubringen.
Als man ibm feinen Aufwand für feine
Gemahlinn vorwarf. Befler, Koften auf feinen Ehe:
gatten wenden, als auf Buhlerey.
Als ihm auf der Reiſe von Prag nach Frank—
furt mehrere Trabanten ſtarben. Der Tod reiſet
auch mit ung, iſt im Vor: und Nachzuge bey uns: es wird
alſo nöthig ſeyn, daß wir uns zu einem feligen Ende rüften.
Saifer Marimilian, der Zweyte, zu König
Heinrich dem Dritten., Könige beherrfchen die Leiber der Un:
terthanen, nicht die Gewiflen. Die fi unterftehen, auch die
Gewiffen zu meiftern, fallen Gott, dem Herrn in fein Amt,
greifen den Himmel an, und verlieren darüber oft das Regi—
ment auf Erbe.
Ehurfürft Qudwig, der Gütige, Pfalzgraf
bey Rhein, ließ vor feinem Zode alle Snftrumente feines erb-
lichen Eigenthums revidiren, und alles Unbillige darin aus
ftreihen; denn, fagte er: Sch will lieber in Armuth fterben,
als mich mit einem ungerechten Gute beladen.
150
Herzog Cafimir, der Churpfalz Vormund. Es iſt
beſſer, wir binden unſere Pferde an des Feindes Zaun, als
daß der Feind ſeine Pferde binde an unſern Zaun.
Als die Veltliner-Reben in feinem Gebie—
108 Eeinen gleihguten Wein bradten Es iſt
das vornehmfte Stück vergeffen worden, die Sonne zwiſchen
den engen veltlinischen Bergen.
—Herzog Rihard von Simmern, als man ihn
tadelte, daß er der Kinderlehre beygwohnte, neben dem Pfar:
rer ftand, und Kindern SPreife austheilte. Wenn ein Furft
rechtfchaffene Unterthanen im Lande ziehen will, fo muß er
von der Jugend anfangen, und ſelbſt mit auffehen.
Ludwig, der Aeltere, Herzog in Bayern, im
Kriege. Sch führe Eeinen Mörderkrieg, fondern einen Fürs
ſtenkrieg⸗ wider die Unſchuldigen habe ich nichts.
In feiner Gefangenfhaft zum Markgrafen.
Mein Leib ift in eurer Gewalt, aber niht mein Gemüth.
Churfürft Sriedrid, der Zweyte, Herzog im
Sachſen, ald er den Bifchof von Magdeburg mit Krieg über:
ziehen wollte, und diefer fagte: er wolle feiner Kirche und des
Öehethes: pflegen, der Churfürft möge gleihwohl Fommen,
bat er den Zug eingeftelle. Ich bin viel zu ſchwach wider den
zu Eriegen, der Gott zu einem Kriegsgehülfen hat.
Friedrich, der Weife, Churfürſt zu: Sachſen.
Bauernleben it das ſeligſte Leben; denn dieſen wäachft Alles,
die andern Stände müſſens Eaufen. — Bey und Herrenfann
man ſich wohl warmen , aber auch verbrennen. — Die ung
am nächſten nachgeben , find am meiſten zu fürchten; denn fie
treten Einem am eriten die. Schuhe aus. — Fürſtenbriefe fol
man zwey⸗ dreymahl leſen, weil fie weislich gefchrieben feyn :
um wieviel: mehr die Bibel, darein Gott feine Weisheit ſchrei—
ben laſſen?
Churfürft Auguſt in Sachſen. Man foll die
Aemter und Dienfte mit Leuten verſehen, nicht die Leute mit
YAemtern und Dienften.
Chathbarina, geborne Herzoginn von Meckelburg.
Ich will an: Chriitus, und am Saume feines Kleides hangen
Bein, wie eine Klette am Node, die ſich eher zerreiffen, als
davon abreiflen laßt.
Markgraf Georg von Brandenburg. Got—
tes Wort wär' nicht ſo ſchwer, wenn der Eigennutz nicht war”.
Herzog ulr ich von Würtemberg, als viele
Deutſche die —2 der Spanier nachäfften. Fremde Kleider
157
bringen fremde Sitten, fremde Sitten fremde Völker und
neue Säfte, und die neuen Bafte vertreiben die alten Ein
wohner.
Graf Moritz von Aldenburg, Stiftsdechant zu
Bremen 1420, iterbend, und die rechte Hand ausftredend.
Dies ift die Hand, die von den Unfchuldigen Feine Geſchenke
genommen, nody Semanden Gewalt oder Leids zugefügt hat.
Sobann Albredt, Graf zu Solms, als einige
- Engländer feidene mit Gold nnd Edelgefteinen gefticfte Strüm—
pfe anhatten. Es ware nur Schade, daß diefe Leute mit fol:
hen Strümpfen nicht auf dem Kopfe geben könnten.
—Johann, Graf zu Nafau, Stifter der Schule zu
Herborn: Wer ftirbt, ehe er ſtirbt, der ſtirbt nicht, wenn er
ftirbt.
3. Don Lehrern, Predigern ıc.
ı) Sobannes Geiler von Kaifersberg, Prediger im
Straßburg.
Bondem Menfhenleben.. Diefe Welt it ein
großer Fluß, über den je Einer dem Andern überhelfen fol:
e3 währt nicht lange, und iſt nur eine Ueberfahrt.
Bonder Hurtigkeit zum Bdfen, und Lang—
famfeit zum Guten. Wiffet ihr nicht, daß ein Stein
im Augenblick den Berg hinabrollt, da man ihn in einem
ganzen Tage nicht wieder hinaufwälzen kann? jenes iſt der
Natur gemäß, dieſes der Natur zuwider.
Von der Reformation. Es iſt a Se daß
das Reformiren fo viel Wefens, auch des Pabſtes Geheiß felbft
bedarf, da zum Deformiren Zeder für fih allein Macht habe.
Bon dem überfeinen Begrifffpalten Wer
zu feinen Faden fpinnt, dem bricht er leichtlich.
Von den Knedten, die bey allen Iuftigen
Seften, die die Zeit bringt, mitmachen. Segli-
cher “Zeit ihr Recht, Macht manchen armen Knecht.
Von dem Zulaufe des Volkes zu Predig
ten, und dem Beichtſtuhle. Es iſt kein Kleid ſo fey—
ertäglich geweſen, es iſt endlich ein Alltagskleid daraus wor:
den.
152
Bon einem neugewahlten Bifhofe. Weber
ein. Jahr wollen wir. feben, ob er zu loben, oder zu fchelten
fe
er Bonneuerwalten Fürftbifhöfen. So bald
fie zu Fürften werden , fo werden fie ſtumm, blind und lahm.
Stumm, weil fie für fi) Eeinen Beſcheid geben, fondern durch
ihre Räthe; blind, weil fie Feine Bittfchrift Iefen, fondern der
Kanzler; lahm, weil fie fich felbft nicht mehr an- und aus-
kleiden, weil fie nicht mehr zur Kirche geben, fondern fahren.
Bon Belübden. Man fol Niemanden zu einem
Gelübde bereden, denn es Fann nicht Jedermann mit den Ad—
Iern fliegen, nocdy mit den Riefen laufen, — Wennein Schub
wohlgemadt, und gutes Leder ift, fo ift er doch nicht gleich Se=.
dermanns Fuß gerecht. — Man muß Jedem laffen, nachdem
er Adern hat.
Bon dem Veriren und Scherzen. Wer viel
ſchwenkt, wirft gern um.
Von dem Weltlaufe. Friede macht Reichthum,
Reichthum macht Uebermuth, Uebermuth bringt Krieg, Krieg
bringt Armuth, Armuth macht Demuth, Demuth macht wies
der Friede,
Bon der Adelfuht: Es ıft gut, daß Chriftus ges
Jagt ‚ er fey ein Weinftocf, und ein Säemann; hätte er ge:
fagt, id bin ein Junker, wehe uns gemeinen Sauter! i
Bon der Leib espflege. MWir-follen des Leibes
achten und pflegen, wie ein Hinfender feiner Krücke, deren er
lieber gar entbehren möchte.
Bon der Verführung, Eine einzige übellautende
Pfeife verderbt die ganze Orgel; ein böfer Bube die ganze
@emeinde.
Bon dem Lebens: und Sterbens-Gemiffen.
Ein großes Bauholz kann ein Knabe auf dem Waffer mit dem
Seile fortziehen, auf den Ufer Fein Mann aufheben. (Un—
fere Sünden, die und im Hinunterfhwimmen auf dem Lebens:
ſtromme fo leicht waren, müffen uns eine ſchwere Laſt wer:
den, wenn wir an den Scheideſtrom kommen.)
Bon der Leidenfhaft, die jede Befriediz
gung bungriger macht. Feuer wird mit Schwefel nicht
gelöſcht.
Bon den Stolzen. Eine Fackel, die aufrecht ge⸗
tragen wird, feuchtet minder hell, als die man gegen die Erde
nieterträgt.
153
Bon Entheiligung des Sonntages. Feyer—
tag ift Fülltag worden, Sabbathtag Sauftag.
Wider den Ahnenftolz; Sch glaube, dein Kern
werde nicht ohne Spreuer gewachfen fenn.
Wider den fleinen Propheten, der ſich
groß, und in feiner Heimath für verachtet
hielt. Es gilt der Pfennig nirgend mehr, als wo er ge
münzt iſt.
Wider einen leeren Schwätzer. Eine Blaſe
mit drey Erbſen macht mehr Geräuſch, als eine volle.
Bon Falſchen. Die Sade der Zweyzüngigen ift
nichts als Za und Nein: Ja im Verfpreden, Nein im Hal-
ten.
Bondem Undanfe Die Sau frift die Eicheln
unter dem Baume auf, und ſieht nicht einmahl über ſich, wo
fie herfommen.
Zu einem Shmahfüdhtigen. Sch habe mehr
Dhren zu hören, als du Mauls zu ſchmähen.
Von der Auffihe des Regenten. Wasin der
Sonne ſteht, zeitiget viel eher.
Von der Freyheit, die der Mann dem Wei:
be geftattet. Es ift Eein Pferd fo gut, oder fo vorfichtig:
wenn man es nicht ſtets im Zaume halt, ift Gefahr daben.
Bondem Wahne der Alten, noch recht lang
zu leben. Es ift wohl gefhehen, daß Einer, der die höch—
fte Staffel der Stiege erreicht hat, nit wieder herabgegan—
gen, fondern gefallen ıft.
Bon denen, die allem Uebel bevorfommen
wollen. Wer alle Löcher vermachet, fängt am wenigiten;
denn er ftopft wohl auch die Löcher zu, durch die die Fiſche
bereinfommen,
Bon den Öloffenmadern. Sie weifen von einer
Gloſſe zur andern, die fih dann reimen, wie eine Fauft auf
‚ein Aug; fie gleichen denen, die das Geſinde in den eriten
April um einen Wetzſtein ſchicken, weldyes dann anftatt des
Wetzſteins nichts als Spott heimbringet.
Bon VBerführbaren Man follte fih wi laf:
fen, aber nicht verweifen.
Wider die Apologeten verbothener Con-
tracte. Das Waffer wird fo lang durd die Afche gefeigt,
und durchgegoffen, bis gar Lauge daraus wird.
Zu denen, die night mitder Sprade heraus
wollten. Heraus damit, du darfft ja keinen Zoll geben.
4
Von den Erben. Sie machen es mit ihren verftors
benen Freunden, wie die Trinker mit ihren Gläſern. Wenn ei—
nes bricht, ſo ſchreyen ſie alle darüber, werfen aber doch her—
nach die Stücke zum Fenſter hinaus.
Von der Verführung frommer Weiber. Die
ganzen und beiten Käfe werden gemeiniglic von den Mäufen
angebiffen.
Ueber das Mutterwort: ih ſehe nichts Bö—
ſes an meiner Tochter. Wollt ihr denn warten, bis ihr
ſie Böſes thun ſehet? Da ‚außer eure Aufficht viel zu fpat kom—
men. .
Die Taglatzu nich "Kaum bat eine angefangen,
fo geht fie fhon mit einer andern fchwanger.
Als ıbm der Rath fagen ließ: er folle
bringen, was. fih gebührt, und die Rathsherren
im Frieden laffen. Das ift eben, als wenn Einer. zum
Scherer fagte; treib dein Handwerk, aber geh der Leute
müßig.
Bom Reid werden. Wie die Henne Fein Ey in ein
Neſt legt, wo fie nicht zuvor eines darin findet: fo fammelt
Keiner Schaäße, der Eeinen Anfang zum Neichthume hat.
Das Strebennah Reichthum. Die reich wer-
den wollen, müſſen große Diligenz, und Eleine Confeienz ha—
ben;
Bon der Peft. Die Peſtilenz ift eine ſchnelle Die—
nerinn der Providenz; ift wie ein Zunfe in einer Scheuer, den
Eann man Anfangs mit einem Fuße austreten, aber wenn man
zu lange wartet, bis Feuer daraus wird, dann ift nicht mehr
zu wehren. — Einen Armen, der — einen Bauern, der
edel worden, ſoll man wie die Peſt flieben,
Bon dem böfen Gefinde. Ein faul Holz ins
Feuer gelegt, macht einen böfen Geruch: ein heillofes Gefind
im Haus ein böfes Gerücht.
BomWerfalte ber Ordnung. Die Strafer müf:
fen fich heutiges Tages mehr fürchten, als die Uebertreter.
Bon der weifenGorrection. Wer einen Klitter
auf dem Papiere ausfragen will, thut es nicht fogleich, weil
er noch naß, und das Papier noch weich ut; und nicht zu fpat,
damit er fich nicht gar in das Papier hineinfere.
Von dem hoben Alter. Ein abgebauener Mayen,
ins Waffer geftelt, bleibt noch eine Weile grün, aber nicht
lang: ſo hilft Arzney und — den — Leuten ein wenig,
aber nicht viel.
/
155
2) Celtes, der erfte deutſche Poet.
Von der Dichtkunſt. Poeſie iſt eine gortliche Be:
wegung des Gemüthes.
VonLebenserleichterung. Schlaf, Wein, Phi—
loſophie, und ein guter Freund ſind eine Erleichterung, und
gleichſam ein Fuhrmann des Lebens.
Von der Tugend. Die Tugend iſt wie ein Schwamm
und wie ein Kieſelſtein; jener zieht ſich zuſammen, wenn man
ihn drückt, dieſer gibt Feuer, wenn man ihn ſchlägt.
Bon den fünf Sinnen. Die fünf Sinne find
Thüren des Verftandes ; die Augen Feniter des Gemüthes.
Bon den ungebildeten Großen. ie find eine
Drgel, die nicht Yfeift, wenn ihr nicht ein Anderer einblaft.
Bonder Decenz des Philoſophen. Es fteht
' einem Philofophen wohl an, den Bofen mißfallen.
Bondem Weine Wein und Vers, je älter, je
köſtlicher fie werden.
Bon der Thorheit. Eslebt unſer Feiner, dem nicht
eine Thorheit begegnet ift. ;
Bon den Masken. Die ihre Religion, Gottesfurde
und Philoſophie durch beſondere Trachten an den Tag geben
wollen, gleichen den Faßnachtputzen.
Bon dem nichtgeachteten Primat. Die Tu—
gend iſt wie ein Oehl; man ſchütte es ins Waſſer oder fonft
wohin; überall ſchwimmt es oben: —
Bon Aufklärung. An verſtändigen Leuten fol man
merken, wie ein Tag den andern lehre. '
Auf die Sruge, worin das Wefen des Men-
fhen beſtehe. Nehmet den Menfhen Vernunft und Re:
de, fo werden ſie nichts übrig haben.
Auf die Frage: welde die rechte, wahre
Molluft fey. Die, auf welche Feine Nachreue folgt.
Auf die Frage, warum er nidt nad grofien
Gütern trahte, In großen Haufern ſtecken große Sor—
gen, und: wer forgt, der hat nicht, was er hat.
3) Der Urheber der Reformation in Deutfd:
; land. *)
Wider die, die Tieber Gloffen, als den Text
lefen. Beffer mit eigenen als mit fremden Augen fefen.
7 *) Hier find nur ſolche Sprüche gewählt, die bende Theile
mit gleichem Jntereffe lefen werden.
156
Bon ber Jugend. Sie ift wie ein Moſt, der ſich
nicht halten laßt, er muß vergahren und überlaufen.
I Bon der Erziehung Man muß fo ſtrafen, daß
immer der Apfel bey der Ruthe liege.
Als Jemand behauptete: Wer ſagt, daß
Wucher Sünde ſey, der hat kein Geld. Wer ſagt,
daß Wucher keine Sünde ſey, der hat keinen Gott.
Die drey Stände. Der Hausſtand mehret und näh—
ret; der weltliche Stand dem Böſen ſteuert und wehret; der
geiſtliche Stand unterrichtet und lehret.
Bonden Theologen. Es iſt ein großer Unterfchied
zwifchen einem Theologo crucis und einem Theologo glo-
riae; diefer fagt bald ja, bald nein, jener redet vund von der
Sache, wie fie an ſich ſelber fey.
Bon der Lüge. Alle Lügen find krumm, gerade ift
Feine, wie die Schlangen auch.
Sein Lieblingsreim. Wie einer Tiefet in der Bir
bel, fo fteht in feinem Haus der Bibel.
Was den Gottesgelehrten bilde. Drey Dinge
machen den Theologen; die Sinnigfeit, das Gebeth, und die
Anfechtung. (Meditatio, oratio, tentatio.)
Bon der Obrigkeit. Sie fol drey Aemter und.
drey Nahmen führen; fie fol helfen, nahren, wehren , und
aljo heiffen: Heiland, Water, Netter.
Als Jemand das natürlihe Recht ru ibmee,
Es iſt wahr, aber darin liege der Fehler, daß Jeder wähnt, das
natürliche Hecht ſtecke eben in feinem Kopfe.
Als ihm Jemand in die Rede fiel. Zwey Eön-
nen wohl miteinander fingen, aber nicht reden.
Bondem Weltgeifte. Die Welt ift ein Diftel:
Eopf; wo man denfelben hinkehrt, ſo kehrt er die Stacheln über
ſich. — Die Welt iſt ein umgewandter Decalogus. — Die
Welt iſt ein trunkner Bauer; hebt man ihn von einer Seite in
den Sattel: ſo fällt er auf der andern wieder herab.
Noch einige Sprüche, die ihm ugßefſchrieben
werden. Des Todes Schrecken iſt der Tod im Tode. — Der
erſparte Pfennig iſt kedlicher als der erworbene. — Geld iſt
unfruchtbare Waare, heckt nicht wieder Geld. — Afterreden
iſt nichts anders, als in Gottes Gericht greifen. — Lüge iſt
ein Schneeball, wird deſto größer, je länger man ſie fortwälzt.
— Eines einzigen frommen Mannes haben oft ganze Länder
genoffen. — Was im Himmel fallt, üt teufliſch, was auf Er⸗
de, menſchlich. — Es iſt kein Irrthum ſo groß, der nicht ſeine
157
Zuhörer hat. — Die Schlange ift der große Difputirer: wo
fie mit dem Kopfe hinein kann, da kriecht fie bald mit dem
ganzen Leibe nad. — Seine Kunft bergen Fönnen, ift eine
Kunft aller Künſte. — Der Teufel kann wohl leiden, daß Chris
ftus über die Zunge gebe, wenn nur er (der Teufel) unten lies
ge, — Gottes Wunder erben nicht. |
Bon einem großen Luftgarten. SParadiefes
genug, wenn nur die Sünde nicht wäre.
Himmel und Hölle. Die Hölle muß viel faurer
verdient werden, als der Himmel; und der Teufel hat größere
Martyrer als unfer Herr Bott.
4) Johannes Staupitz.
Sch habe Gott fo oft Befferung meiner felbft gelobt, und
hange doch noch dem Böſen an; daraus fehe ich, daß die Bef-
ferung ein lautere3 Werk Gottes ſeyn müffe. *)
5) Sebaſtian Frank, von der Word,
Bon Gott. Gott ift ein unausfprechliches Seufzen,
im Grunde der Seele gelegen.
Ehriftus und die Welt. Chriftus ift der Welt Wi>
derchrift: der Welt Herrfchaft und Freyheit die größte Knecht:
ſchaft und Gefängniß.
Vom Gebethe. Der Mund bethet nicht, iſt nur Dot:
metſch des bethenden Herzens.
Bon Erkenntniß. Die Erkenntniß Gottes und ſei—
ner ſelbſt ſind die zwey Angel, in denen die Thür des Himmels
eht.
Geſchichte. In Hiſtorien findet man alle Lehren und
Geſetze lebendig, in Lehren und Geſetzen alle Hiftorie todt.
Bucher. Der einzige rechte Gebrauch der Bücher ift der,
daß wir ein Zeugniß unfers Herzens darın fuchen.
Melt: Weisheit. Auch die weltliche Weisheit ift eine
Gabe Sottes; nur muß man fie nicht gen Himmel zu ®ott füh—
ven, fondern mit ihr auf Erde bey irdifchen Dingen bfeiben.
Gemüth. Man läuft nit mit den Füßen aus der
Welt, fondern mit dem Gemüthe.
Nühternheit. Ich bin des Irrens und Fehlgreifens
an allen Menſchen fo gewohnt, daß ich Feinen darum haffe,
*) Das hebt die andere Lehre nicht auf: „Menſch! fen im
Kleinen treu, damit dir Großes anvertraut werdg,“
158
fondern mich felbft und mein Elend in ihnen erkenne und ber
weine. | f
Der bloße Buchſtabe der Schriftohne Geift.
Der Schriftbuchſtabe iſt das Schwert des Widerchriſts.
Die Auslegung. Es wird nichts fo recht geſagt oder
geſchrieben, daß es nicht der Teufel für ſich auslegen könne.
Geringe Ehriftenzahl. Es iſt kein Wunder, daß
fo wenige Chriften find, denn alle Welt hängt noch an den Crea»
turen. Wer nun Gott dem Herrn den Leib nicht vertraut, wie
follte er ihm die Seele vertrauen?
Sein Meifterfprucd. Gott ift wunderbarlich: was
er niht um Gute gibt, das gibter am Muthe; waser nicht
auf den Tiſch gibt, das gibt er in den Mund; was er nicht
am Bette gibt, das gibt er am Schlafe.
6) Livius Sind, von Grätz.
Von den oben aus und nirgend an. Die hoch
oben auswollen und nirgend ankommen, ſind wie Raketten, die
in die Höhe fahren, und weder den Himmel erreichen, noch wies
der auf die Erde Eommen, fondern in der Luft zerfnallen.
Bon der Eitelkeit. Die größte Eitelkeit ift die Ei—
telfeit der Gedanken, die nichts find, als wachende Traume. .
BonGefundheitsregeln. Die befte Gefundheits-
vegel iſt die, welche der höchfte Arzt felber ausgeſprochen: im
Schweiße deines Angefichts follft du dein Brot effen.
Bon dem Wohlleben. Wie das überzuckerte Gift
wohl. mundet, aber hernach ‚übel fchlundet: fo das zeitliche
Wolleben; eg leibet wohl und feelet übel.
.. Bon»Shriftauslegungen. Wie jeder Menſch
der befte Dolmetfcher feiner Worte ift: fo wird wohl auch der:
heilige Geift der. befte Ausleger der heiligen Schrift ſeyn, dol-
metfchen können, was er ſelber eingegeben hat.
VBonPraht und Aufwand. Wergroßen Aufwand
macht, muß entweder ein fürftliches Gut, oder fürftliche Schul—
den haben.
> Bon großen Thorheiten. - Die größten Thoren
find die, welche fich felber weife zu feyn dünken.
Bon der deutſchen Sprache. Das befte Deutich
ift, was vom Herzen gebt.
Bon dem Gebetbe. Das befte Gebeth. ift das,
worin man Gott am wenigften vorfchreibt ; denn er weiß beffer,
als wir felber, was ung nuß und noth ift. Me
159
Bon zierlihen Kleidern. Am fhönften Eleiden
gute Sitten. ‘ : Be
Bon der Unfähigkeit des Menſchen, ſich
felbft zu rathen. Unfere Augen fehen eben Alles, nur fi
felber nicht.
VBaterlandsliebe. Wenn das Vaterland im Brait:
de fteht, find alle Stände fchuldig löſchen zu helfen. — Wenn
wir in einem Schiffe fißen, das verfinfen will: fo müflen wir
alle rudern.
Als ein Knabe feinem Vater, der die Ruthe in
der Hand hielt, zulief. Wir große Kinder folten von
dieſem Eleinen lernen ‚da wir, je mehr uns unfer hunmlifche
Bater züchtiget, defto mehr von ihm laufen.
Wider die Obenaus inSachen der Religion.
Weit fehlen die, welche nicht durch die Thür, welche Chriftus
- ift, in den Himmel hinein wollen, fondern oben zum Dache
hinein, und ın Gottes Rath fteigen.
Die Wurzel alles Böſen. Der Menfch iſt Got-
tes, nicht fein felbft eigen. Sobald er nur fein Eigenes ſucht,
fallt er ab von dem, deſſen er ift.
Als man eine leibeigene Perfon nöthigen
wollte, die Religion ihres Herrn anzunehmen.
Sie 9 wohl ſein Leibeigen ſeyn, aber ſein Seeleigen iſt ſie
doch nicht.
9 Als Semand bey jeder Nede feine Seele
verpfandete. Der Menſch muß ein überaus großer Lügner
fepn, weil ihm fo fehr bang ift, wir glauben ihm nicht.
7) Henningus Boden, ein Zurift.
" Ein Gefeß ohne Vollziehung ift eine Glocke ohne Schwen=
gel. R
8) Reuchlin von Pforzheim!
Vondem Drucke. Wenn dem Volke die Ziegel ge-
doppelt werden, dann Fommt Mofes. |
Von den Allzverähtern.. Die find den Mücen
gleih, die alle Dinge verunveinigen, und felbft nichts nüße
find. ;
Bon Candidaten der Rechtskunde. Im er:
ften Jahre Eönnen fie ſtracks alle Rechtshändel ſchlichten; im
zweyten fangen fie an zu zweifeln; im dritten fehen fie, daß
fie nichts wiffen; im vierten fangen fie erft an zu fernen,
160
9) Doctor Ferarius zu Marpurg.
(Ein Jahr vor feinem Tode, ald er mit einer Leiche ging,
ſagte er zu feinem Nachbar). Wir müffen alle daran, und iſt
nur das der Unterfchied, daß einer ein Paar Schuhe oder ein
Kleid. mehr zerreiffe, als der andere.
10) Philippus Appian, Arzt und Mathematiker.
Wir müffen fludieren und arbeiten, als wollten wir ewig
leben; müffen aber leben und betben, als-wollen wir heut fter-
ben.
11) Herman Witefind, ein Mathematiker.
Bondem Tode desMenfhen. DasElend ſtirbt
nur, der Menſch nicht.
12) Doctor Hieronymus Schurf.
Das verkehrt die Kirchenlehre, daß die Zuhörer immer
etwas Meues hören, und die Lehrer immer etwas Neues vor:
bringen wollen.
15) Johannes Schneidemin, ein Juriſt.
Bon der VBorfhnelle ım Urtbeile. Wer zum
Urtbeile eilt, der eilt zur Reue. Mae
ZIdeal des guten Juriſten. Er muß haben das
Kiffen, ohne welches er ein dummes Vieh, und das Ge—
wiffen, ohne welches er ein Teufel ware,
An einen angehenden Hofmann. Laß dir den
Zeufelsglauben empfohlen feyn. Denn, wie diefe glauben und
zittern, fo mag ein Eluger Hofınann der Verbeiffung des Hofes
zwar glauben, aber mit Furcht und Vorſicht.
14) Franz Balduin, ein Juriſt.
Hiſtorie und Surifterey muß man miteinander vermäh-
len,; denn diefe ift ohne jene ein Lahıner ohne. Krücke, ein Blin-
der ohne Führer.
15) Abraham Buchh e er, Hiftorikus, in feiner Krank:
eit.
Ich habe das Mittel gefunden zwifchen Seyn und Richt:
feyn — das Werden. Sch werde, was ich nicht bin, und warın
ich nicht-fegn werde, dann werde ich erſt vecht ſeyn.
16) D.
161
16), Ds Michael Lingels heim, Churpfaͤlziſcher Rath,
Unfer Leben iſt nichts anders, als Lernen und Vergeffen.
17) D. Janus Gruterus, Profeſſor zu, Heidelberg.
Von Machiavell: Jedermann ſchilt ihn, und jedermann
praktizirt ihn. ER *
Bon Trachten und Sitten. Man fol ſich gemei—
ner Trachten, und befonderer Sitten befleifen.
Bon dem Leſen der Geſchichtbücher. Privat—
perſonen iſt es eine Kurzweil, Fürſten und Herren eine Noth—
durft.
' Bon den Reifen der Deutfben nad Sta:
- tien. Die Deutſchen bringen von Stalien gemeiniglich ein
dreyfaches Unheil nach Haus; Leeren Sedel, Eranfen Leib, bö—
ſes Sewiffen.
Bon dem Unverftande einiger Srommen.
Fromme Leute müffen täglich Lehrgeld geben.
—* 18) Niklas Reußner—
Neid und Unfreundlichfeit find unſterblich, Freundſchaft
‚und Liebe gläſern.
19) Heinrih Strohband, Burggraf zu Thorn.
Vor zwey Dingen ſoll man ſich hüthen, vor falſchem
Wahne, der iſt ein Feind der Erkenntniß der Wahrheit, und
eine Mutter aller Verirrung und Blindheit; vor dem ’Eigen-
nutze, der iſt eine Peſt der Geſetze, und ein Unterdrücker der
Frommen; beyde zuſammen der Untergang des gemeinen Wes
fens.
20) Theophraft ar ae hlırs,
(Als er zu fpat zum Kranfen gerufen ward, ber bereits
das heilige Abendmahl empfangen hatte.) Hat er diefen Arzt
gefucht, fo darf er mein nicht mehr.
21) Albrebt Dürer
BVBonKunft unv®iffenfhaft. Ein Menfh ohne
Bildung ift ein Spiegel ohne Politur ; wie diefer Feinen-Schein
von ſich gibt, fo ift jener zu nichts nütz. *
Ueber die Prädeſtination, an Spitzköpfe,
die fagten, er Eönne es nicht verftehen, wenn
Sailers Sprichw. 11 ehe
162 i
man es ihm auch fagte. Wenn ihrs fagen Fönntet, ich
wollt es auch verftehen Eönnen.
Bon Gemählden. Gemählde mit Farben Tiebe ich
nicht, fondern die mit einer Farbe gemacht find; denn daran
erſcheints am meiſten, was Einer kann.
22) Euricius Cordus, Profeffor von Heidelberg.
Ein Arzt hat brey Angefihter: ein englifches, wenn er zu
dem Kranken gerufen wird; ein göttliches, wenn er ihn gefund
macht; ein teufliiches, wenn er feine Bezahlung fordert.
25) Philipp Ho finann, der Rechte Profeffor.
Sch habe in Durchfehung der Rechtshändel fo viel ger
lernt: Wo böfe Worte, da ift auch gemeiniglich böſe Sade.
24) Lukas Kronacher, Mahler.
Heuchler find heilige Schälke.
25) un ifto ph Bau RE ein Rathsherr in Freins⸗
eim.
Kon dem Acker- und Meinkäne Das befte
Bergwerk ift, wo man nur ein Paar Schuh tief gräbt.
26) An ton Tucher, Rathsherr in Nürnberg.
: (Als ihn Kaifer Ferdinand J. fragte, wie er eine fo große
Menge Bürger in Ordnung halten Eönnte.) Mit guten Wor⸗
ten, und harten Strafen.
27) Gerhard Bontius, Arzt und Profeſſor zu Leyden.
Wie die Menge der Aerzte den Kranken unter die Erde
bringt: ſo verdunkelt die Menge der Ausleger den Text. —
Den Gelehrten wäre gut predigen ‚ wenn man ihnen nur den
Glauben zugleich in das Herz predigen Eönnte. — In den en»
gen —— der neuen Mode wohnt ein weites Gewiſſen.
28) Kaſpar Peucer.
Drey Sünden jerftören drey Regimente: Gottloſi gkeit
das geiſtliche, Ungerechtigkeit das weltliche, Ueppigkeit das
8 Kommen alle drey zuſammen, ſo machen ſie das
Garaus.
163
29 Kornelius Agrippavon Mettesheim.n
(Wider den Hohmutb einiger Re
Unfere Priefter vermeinen ın den Himmel zu fteigen dur
eben das Mittel, dur welches Lucifer aus dem Himmel ges
ftojfen ward.
30) Arzt Ratzenberger.
(Als man ihm rieth, im Galenus ſtatt in der Bibel zu
leſen.) Ich bin nicht auf Galeni Nahmen getauft: Galenus
kann wohl geſund, aber nicht ſelig machen.
31) Doctor Horneck, Arzt in Frankfurt.
Auf die Frage, welche Apotheke in Frankfurt die befte
fey). Die deutiche Apotheke iſt die befte. (Gefunde Kot,
und gute Diät heilen viele Kranke eher, als die lateinifche
- Apotheke.) \
52) Doctor Wegelin.
; (Bon feinem Freunde, einem Theologen, der für einen
guten Metaphyſikus galt.) Beſſer, er ware ein Metabiblifus.
33) Lorenz; Zinfgraf.
Bon den neuen Weltereigniffen. Alte Ko
mödien, neue Komodianten, Rs
Bon der beften Mufif. Es it. feine fchönere
Mufik, ald wenn Herz und Mund tbereinftimmen.
— Kein Prozeß. Wer einen Prozeß um eine Henne
hat, fol lieber ein Ey dafür nehmen, und die Sache gut feyn
laſſen.
—Kriegstalent. (Ein Gelehrter und ein Kriegsmann
können wohl in Einem Sattel fißen. a
Von Verachtung desFeindes. Die ihren Feind
verachten, handeln thöricht ; denn, wenn fie ihn überwinden,
fo ift es ihnen Feine Ehre, den Geringen überwunden zu ha—
ben; liegen fie aber unten, fo ift e8 ihnen defto ſchändlicher,
> von einem .Geringen überwunden zu fepn.
Bon großen Gefahren. Ben grefen Gefahren
muß man die Gelegenheit nicht erwarten, fendern machen.
34) Leonhard Weidner.
Schöne Rocken, oder Spinnräder machen die faulen
Mägde nicht luſtig zum Spinnen: vergoldete Bücher faule
4, =
164
Studenten nicht fleißig zum Lernen. — Wer mit jungen -Bei-
nen den Berg nicht erreicht, wird ihn fchwerlich mit den alten
erfteigen. — Wer bey Hof will Gunit haben, muß, wenn
man ihn fragt, ob das Wafler Berg auflaufe, ſtracks fagen :
es jey droben, er habe es fehen laufen.
II.
Tiefſinnige Sprüche der Deutſchen.
WVon den gemeinen deutſchen Sprichwörtern entfernen
ſich am meiſten die tiefſinnigen Sprüche der Deutſchen. Aber
ſie ſind doch nur Söhne des Einen Geiſtes. Denn der Wahr—
heitsſinn wird nothwendig Tiefſinn in den innigen, reinen,
hellſchauenden Gemüthern. Auch ſind ſowohl in den Sprich—
wörtern, als in den Denkſprüchen, beſonders in jenen von
Geiler, Frank von der Wörd, Livius von Grätz
2c. viele tiefſinnige Sprüche angeführt worden. Aber bier
follten fie eine eigene Stelle einnehmen. Sch befchranfe
mich ındeffen bloß auf Einen deutfhen Mann, der uns die
ältefte, und die befte Philofophie aufbehalten bat, auf 3 os,
bannes Taulerus, und aud bey ihm nur auf einige
Perlen, vie aus der Tiefe feines Geiftes heraufgehohlt,
in feinen Schriften hell glänzen. |
Daß die Fülle der Religion die Heimath, der In—
balt, das Leben feiner Sprüde jey, wird Niemanden
auffallen Eönnen, der weiß, daß Sinn für Gott und Ewig—
feit der veigentlihe Tieffinn des Menſchen fey, und daß
die tiefften Tiefen nur von einem veligiöfen Gemüthe
durchdrungen werden Fönnen.
Se inniger des Menfchen Gemüth, defto tiefer der
Einn; je tiefer der Sinn, deſto madhtiger der Ausdrud.
Uniere kleinen Geifter, die in ihrem Flachſinne den Tieffinn
der Religion nicht Eennen, und nur auf Wortitelzen ſich hoch
zu heben wiffen, beweifen beydes, daß ihre Sprache an inne
rer Fülle gerade fo arım fey, als ihr Gemüth.
Dem Sprachforſcher, der die Weisheit mitforfcht,
wird es nicht unerwartet ſeyn, gerade da die Fraftigfte Spra—
che zu finden, wo der tiefe Blick daheim ift. Aber das wird
manchem Lefer unerwartet feyn, da, wo er etwa nur erhabes
165
ne Gedanken von Gott erwartet hätte, nebenbey die tiefen
Seen von dem, was Natur, Wefen, Menſchheit,
Ewigkeit feyn, finden zu müffen. Doch das ift ja Charafs
ter aller wahren Philofophie, daß fie den Menfchen, indem
fie ihn zu Gott erhebt, zugleih in allem dem orientirt,
was die Seher aller Zeiten von der Natur, der Menfchheit,
der Ewigkeit geahnet haben. Tolle, lege, ama.
1. Der Menſch.
Der Menſch (ſeine Vernunft). Die rechte Ver—
nunft, die ſucht Gott, und fernet ſich von allen Creaturen,
ſie ſeyen leiblich oder geiſtlich. Und, wer zu dieſer Vernunft
kommt, der iſt ein rechter vernünftiger Menſch, deſſen Ver—
nunft vom göttlichen Lichte durchleuchtet iſt. — Wer Vernunft
ſchilt, der thut ihr gar unrecht. Denn alle Creaturen begeh—
ren des Lebens. So denn die Vernunft erkennt, daß alle
zeitlichen Dinge tödtlich ſeyn, und allein Gott ihr Leben iſt:
ſo muß ſie ſich von Natur zu Gott kehren; denn ſie begehrt
von Natur des Lebens. Und es iſt der Natur viel natürli—
cher, daß ſie ſich kehrt zu Gott, denn zu den Creaturen.
Denn alle Creaturen mögen ſie nicht erfüllen, ſondern Gott
allein. Und darum iſt es natürlicher, daß ſie ſich kehrt zu
dem, der ihr gibt, denn zu dem, der ihr nimmt. — Deſſen
Vernunft mit mannigfaltigen Dingen umgeht, der kommt
nimmer zum rechten Lichte, in dem fich alle göttlihe Wahr:
. heit offenbaret. Denn das Licht iſt einfaltig, und darum will
es aud) einen einfältigen Grund haben, daß es in ihm feinen
Schein auswerfe.
Der Menſch (feine Gabe). Die edelfte Gabe, die
der Menfch geben Fann, iſt, daß er fich felbft gibt, und mit
fih gibt er Gott alle Dinge. Denn der Menſch ift alle Din-
ge: darum bedarf er niht mehr zu geben, als fich felbit.
\ Der Menfc (feine Sreyheit). Freyheit ift die wah—
re Lauterkeit, dig da fucht Emigkeit. — Freyheit ift ein abger
fhieden Weſen, das da Gett ift, oder Gott anhängt. —
Freyheit iſt fo edel, daß fie Niemand gibt, als Sort der Va—
ter. Denn ſie ift eine Kraft, die da fließt ohne Mittel aus
Gott dein Vater in die Seele. — Göttliche Freyheit entfpringt
aus wahrer Demuth, und endet in Demuth, und in Geduld,
und in allen Tugenden, und in Gott, — Rechte Freyheit ıft
166
ein Vermögen aller Tugend, und ein Laffen aller Untugend«,
— Es iſt billig, daß die mit Zeitlichem beladen find, die Frey⸗
beit fhelten, denn fie haben fie nit. Und was man nicht,
bat, das mag man nicht [oben.
Der Menfc (feine Duplicität). Der Menſch iſt ge⸗
ſchaffen von Zeit und Ewigkeit, von Zeit ie dem Leibe, von
Eivigkeit nah dem Geift. Nun neigt fich jedes Ding nad,
feinem Urfprung. Weil der Leib gefchaffen ift von der Erde,
und von der Zeit, darum neigt er fich auf irdiſche, zeitliche
Dinge, und ſucht darin ſeine Luſt. Weil der Geiſt aus Gott
gefloſſen, geſchaffen iſt von der Ewigkeit, darum neigt er ſich
zu Gott, zur Ewigkeit. — Der Menſch iſt zuſammengelegt
von Zeit und von Ewigkeit. Wenn denn der Menſch erha—
ben wird mit den wberften Kraften aus Zeit in Ewigfeit : fo
wird er unbeweglich nad) den oberften Kräften (denn Ewigkeit
iſt unbeweglih) und beweget doch die nie niederften Kräfte
mach der Zeit.
Dev Menſch (feine Unlauterkeit). wi die Sinne
fich ausfehren, fo faffen fie die Ulnlauterkeit in fi), und wenn:
fie wieder. eingezogen werden, fo bringen fie das Linlautere mit.
mut fich herein. — Wer ſich auskehrt, und den Sinnen dient,
der thut dem gleich, der feinen lieben. Freund laßt, und ſei⸗
nem Feinde dient. i
Der Menfd (feine Pauterfeit). Gott ift in fich felbſt
unbeweglich, und bewegt doch alle Dinge; alſo iſt ein laute—
res Gemüth unbeweglich, und beweget doch mit Gott alle
Dinge. — Wie Gott alle Dinge in ſich begreift: alſo begreift
ein lauterer Menfch alle Tugend in einer einfaltigen Liebe. —
Der Menich kommt wohl in der Zeit dazu, daß die Creatu—
ven nichts. mehr finden in ihm zu tödten: aber dazu mag er
nit kommen, daß Gott nichts mehr finde in ihm zu tödten.
Der Menſch (fein Nieder: und Aufwartsfehen). Zeit:
liche Dinge find von Natur ſchwer: darum ziehen fie alle We-
ge das Gemüth nieder, das mit ihnen befümmert iſt. Aber,
wer zeitlicher Dinge ledig ift, der hat alle Wege ein aufdrin⸗
gendes Gemüth zu Gott.
Der Menſch (ſein Sof). Der Leib fol feyn ein Knecht
der Seele, die Geele eine —— des Geiſtes, der Geiſt
ein Anſtarren Gottes. *)
— — —
*) Dieſer Spruch hat auch die Form eines Spruches, die
) Bu ers ph Boyn gie und das Ges
ſchloſſen ſeyn in ſich ſelber; die andern haben,
167
Der Menſch (feine Größe). Wenn fid) der Menſch
kehrt von der Zeit, und den Creaturen in Ewigkeit, und in
Gott: fo hat er auch ein Wirken in Gott und in Ewigkeit,
und fo machet er aus Zeit Ewigkeit, aus: der Greatur Gott
(einen göttlihen Menfden). : a Arche
Der Menfc (feine himmliſche Kunft). „Der: Menſch
muß fih mit großem Ernft bewahren, daß nichts von Außen.
in ihn falle, neh fhlage, das ein Mittel (eine Scheidewand.
zwiihen Gett und ihm) mache. *) — Alle Lehren und ans
dere Kunfte nehmen unterweilen eine Ruhe, fie hören etwa
auf: aber diefe himmlifche Kunft will die Zeit. des Menſchen
ganz haben, fie ift ganz da, oder nicht. — Man muß fich
nicht felber meinen, fondern Gott allein, der in allen Din—
gen, in allen Zeiten, und an.allen Orten. iſt, in dem We—
nigiten als in dem Meiften; denn Er ift weder größer noch
weniger, Er ift Alles in Allem. ns I 8
Der Menfd (feine Lehrftücke). Drey Dinge lerne
wohl. 1) Sey allzeit ein anfahender Menſch; das: benimmt
dir alle Tragheit. 2) Sey allzeit Gott heimlich (vertvaut):
fo bleibt du in Freuden eines guten Gewiffens.. 5, Nimm
alle Dinge mis gleichem Muthe von Gott: fo biſt du allzeit
im Frieden. wu q N
Der Menfch (ſeine wiederhohlte Uebung). Wir müf-
fen unfere Werke oft erneuern, damit wir mit mandem Zus
kehr den wahrhaften, wefentlichen Kehr zu Gott erlangen, —
Gott ift uns allzeit nahe, und. gleih nahe: aber wir find ihm
nicht gleich nahe, und haben. viel Mittel. ‚Darum follen. wir
uns.naher und naher, durch alle Mittel, in ihn dringen. >»
Der Menfch (feine. Tugend). Der Menſch ſoll fi
fo lang in QTugend üben, bis Tugend fein Wefen wird. —
In einem guten, Menfchen werden alle Dinge getragen in ih—
ren Urfprung. —J—
Der Menſch (feine Wahrheit). Alle Menſchen mös
gen betrogen werden, nur der nicht, in dem der himmliſche
Vater gebiert fein ewiges Wort.
'
‚ wenn nicht alle die. Form, doch. wenigfteng den Sinn
und Geift eines Sprudes. Denu, da fie aus einem
zufammenhängenden Werke ausgehoben find, fo wollte
2 ihnen diefe Wrfprünglichkeit ihres Dafepns nicht
nehmen,
*) Diefes inwendige Leben will feinen Spielgang dulden.
168
Der Menſch (feine Dreyzahl). Dieſe drey ſtehen
in einem Puncte: in Ewigkeit feyn, in SrnIg Per
feyn, in Lauterkeit des Wefens feyn.
Der Menſch (fein Fall). Bleibt der Menſch 4
ſich — und beſitzet ſich in feinem natürlichen Adel mit Eis
genheit ſo faͤllt er, und wird aus einem Menſchen ein
‚eufel. Darum iſt die Sünde fo böfe, Denn fie machet
aus: einem Enger einen Teufel, und mägges einen —
teufliſch.
Der Menſch (feine Buße). Buße ift eine fefte eisige:
Abkehr des Gemuͤthes von allem, was wider Gott iſt, und
eine liebliche Zufehr zu Gott, und allen göttlihen Dingen. —
Kein- Flachsreislein verbrennt fo ſchnell im Gluthofen, als:
die Sünde dem Bußfertigen vergeben ift. Denn zwiſchen Gott
und dem Bußfertigen iſt keine Zeit, kein Mittel.
Der Menſch (feine Freude). So wenig die Todten:
fich freuen mögen, fo wenig mag fih ein Sünder freuen; denn
der Grund,’ da die: rechte Freude ausſpringt, der iſt todt, und
darum mag er ſich nicht freuen. Aber in den Menſchen, die
in rechter Lauterkeit lebem iſt der Brunnen aller Wonne und
Freude offen. Denn das ewige Wort, davon alle Engel und»
Heilige Freude und Wonne haben, das ſpricht ſich in ihnen,
wie in den Heiligen im Himmelreich aus. —Waren fie nicht
noch mit dein Teibe beladen: fo hatten: fe pt Freude, wie
die um Himmel
Der Minis (feine Demuth). Der Grund whter
Demith wird geboren von innen )’ und nicht von außen. —
Wahre Demuth: ift eine ſtarke Burg, die Niemand gewin:'
sien fan: man Rinne. wohl daran, aber? fie ift nicht ‚zu ger
winnen. —D ar
Der Meafch (feine Ger). Leiden gleicht einer
Zıotte. Wenn die Traube getrottet wird, fo fließt aus ihr,
was in ihr iſt. Iſt fie iüß,'fo gibt fie füßen ; fauer, gibt fie
fauren Wein. Wird der Menſch mit Leiden gedrückt, fo flieht
aus ihm, was in ihm ift, aus dem Qugendhaften göttliche
Süßigkeit.
Der Menſch (ſeine Zartheit). Es iſt Niemand ſo
heilig, daß er fo lauter bliebe in dem Auskehren, als ih dem
Einfehren, — Es ift gar Elein, was dem Tautern Auge wehe
—*— noch viel kleiner it. das, was den Innern Menſchen ver;
eBet.
Selb ſiſucht,
109
Der Menfd (feine Nahrung). Was der Menfch ißt
und trinkt, das foll in dem heiligen Geift (im Dienft der Liebe)
verzehret. werden. . . Und das find recht geiftlihe Menfchens
Ihr Effen ift Gott lieber, denn anderer Leute Faften, und
wer jie fpeifet, fpeifet Gott felbft.
Der Menſch (fein höchſtes Gut). Kennen und *
haben iſt gut, aber die Vereinigung mit Gott iſt das Beſte.
— Das Beſte gehört allen Menſchen zu, und Gott will es
allen geben, wenn ſie es nur nehmen wollten.
Der Menſch (fein Verſtehen). Wer Gott verſteht,
der verſteht alle Dinge. — Ein göttlicher Menſch verfteht, in
einem lautern SInnebleiben, in Gott alle Dinge. — Wenn
die Sonne aufgeht, fo verwandelt fie alle Lichter in ihr Licht,
daß kein Licht mehr iſt, als ihr Licht; denn ſie iſt über alle
Lichter: darum, wenn fie aufgeht, müſſen alle Lichter unter:
gehen, und fie leuchtet alfein mit ihrem Lichte. — Alſo ift es
auch in einer lautern Seele. Wenn die görtlihe Sonne in
ihr aufgeht, fo verwandelt fie alle Fichter in ihr Licht, daß da
fein Licht mehr da ift, denn das göttliche Licht. Denn Gott
ift ein Licht über alle Lichter. — Wer die Wahrheit bloß
verfteht, der bedarf Fein Gleichniß. Da nun ein lauterer
Menſch aller Dinge bloß ift, die der Wahrheit nicht gleich
find, fo verfteht er die Wahrheit bloß, und daran iſt es ihm
genug.
2. Gott. ie
Was Gott Spricht, das ift Leben. — Gott ift der Seele
Himmelreich. Wenn fie dann alle Dinge laßt, und Gott
allein anhängt, fo gewinnt fie Gott mit Gewalt. — Das iſt
Natur Gottes, daß er ſich gemeinfamet der Seele, die feiner
empfänglich ift. — Gott hat alle Dinge dazu geordnet, daß
fie folen Weg und Handleitung zu ihm feyn, und er will al:
fein das End und Ziel feyn. — Die Creatur blendet, Gott
macht fehend. — Es ift Niemand gut, als Gott: darum ift
nicht3 gut , es gefchehe denn in Gott, und nichts gefchieht in
Gott, es gefchehe denn in der Ordnung.
| Gnade Gottes. Gnade ift ein Licht, das Gott in
ſich felbit jchöpfet, und in die Seele gießt, und lie Seele dar
mit zieht von Leiblichfeit in Geiftlichkeit, von Mannigfaltigkeit
170
in Einfalt, von Zeit in Ewigkeit. — Gottes Gaben unter:
feheiden ſich nicht nach, dem Geber, fondern nah dem Neh—
mer. \
Das Werk Gottes Das Werk, das Gott in eis
ner Tautern Seele wirket, das ift viel edler, als die Werke,
bie Gott je gewirfet hat in Zeit und Ewigkeit.
3. Natur.
Urfprünglihe Natur. Was die Natur unlauter
macht, das ift ein Gebrechen. der Natur, und nit die Natur
ſelbſt. Denn die Natur ift geihaffen zum Guten. — Dar⸗
um ift die Sünde mehr wider,die Natur, als von der Natur.
— Die Sünde zerftört die Natur, und entjeßet fievon ihrem
Adel. — Wenn alfo Jemand zur rechten Natur will kommen,
fo muß es mit Tugenden gefhehen, und nicht mit Untugenden.
— Tugend feßet die Natur, Untugend entfeßet fie. — Zus
gend ordner die Natur, und führt fie in ihren vechten Urfprung,
und zu ihrem rechten Weſen.
Natur, wie fie jetzt iſt. Natur liebt und meint
ſich alle Wege ſelber. — Was auf ſich ſelbſt gekehrt iſt, und
ſich ſelbſt meint, das iſt ein Werk der Natur. — Das natür—
liche Bild iſt gekehrt auf die Natur: und das Bild hat die
Natur von Adams Fall. — Des Engels Bild iſt gekehrt von
der Natur in Gott: und das Bild haben wir von Chriſtus. —
Wenn man die Natur ſchilt, ſo iſt die Natur nach Adams,
und nach Lucifers Gleichheit gemeint. — Wenn man die Nas
tur lobt, fo gilt es der Natur nach engliſcher Gleichheit.
4. Chriftus.
R Das macht uns allernächft Gott im Himmelreih , daß
wir ihm allernächſt folgen auf dem Ervreich. — Sft der Menſch
Eines mit Chriſtus, fo hat er Ein Wirken mit Chriftus. —
Ehriftus ift das Ziel. aller Menfchen, und wer dem Ziel aller:
nächſt Eommt, der ift Gott am allernächſten. — Die mit den
Leiden unfers Herrn umgehen, die gehen nicht, fondern fie Tau:
fen zu Gott, als der fie mit Schwertern jagt; fie ftehen nim—
mer ſtill, und gehen nicht hinter fih, fondern laufen alle We:
ge ohne Unterlaß für fid. . .. Und Iebten fie bis zum jüng—
171
ften Tag, fo müßten fie allzeit Tanfen, und hörten nimmer
auf; denn fie führen ſich nicht felber, fondern Gott führt fie.
— Nimmer mag der Menfch den Lüften vecht abſterben, als
in den Leiden unſers Herrn. Und, wenn der Menfch den leib-
lichen Lüften erftirbt: fo fteht in ihm auf... eine göttliche
Luft, die alle Teiblichen Lüfte übertrifft, und die Luft sagt den
Menihen zu dem Ziele, das Chriftus ift. — Predigen it
nichts anders, ald die Menfchen, die von Gott entfernt find,
und das ewige Wort nicht hören können, zu Gott führen, daß
e wieder hören können das ewige Wort. — Die Menfchen
müffen das dußere Wort hören, damit fie zu dem innern Wors-
te Eommen, das Gott fpricht in dem Wefen der Seele.
5. Selbft-Bekenntniß.
Ich fage öffentlich, und ihr follt mir auch glauben: Daß
mid) weder meine Kappe noch Platte, weder mein Klofter noch
heilige Geſellſchaft heilig und felig mat. Es muß etwas
anders feyn, wenn ich felig werden foll, nähnı
Gh: ein heiliger Grund, der ganz ledig und um:
befeifen ift von allen Ereaturen. ”
I
l
172
Seäftes Hauptftück,
Bon Verhuͤthung des Mißverſtandes und Miß⸗
Drauches g gemeiner dDeutfcher Sprichwörter und
| fprihwörtlicher Medensarten, |
Deutfcher Siun legt aus, was deutfher Sinn hineingelegt.
Sn, was in den voranftehenden Betrachtungen von dem
Bepräge , und dem Inhalte genreiner deuticher Sprichwörter
und fprihwörtlicher Redensarten, über ihren Sinn und Geift
klar genug ans Licht hervortrat; auch fhon die Stellung der
Sprichwörter, und die Auffchriften, die ihnen gegeben wur:
den, follten vem Mifverftande und dem Mifbraude,
dem fie wie alles Andere unterworfen find, vorbauen können.
Indeſſen dürften ein Paar freundliche Erinnerungen über
Verhüthung des Mifverftandes und Mißbrauches
deutſcher Sprichwörter nicht überflüßig, und für den Leſer,
der mit mir hier angelangt iſt, kein unbedeutender ——
ſeyn.
Sprichwörter, die nur die Sitte mahlen, können deß—
bald den Sitten nicht zur Regel dienen. Als Sittenge—
mählde find fie wahr; alg Sittenregeln müßten fie
falfch feyn, wenn fie die Sitten der Böſen mahlen, und könn—
ten auch noch falſch ſeyn, wenn fie die Sitten der Guten mah—
Ien. &o darakterifiven fie die Menfchen, wie fie find, ohne
fie uns als Mufter zur Nachahmung aufzuftellen. 3. ©,
Müller, Schäfer, Kein Müller hat Waffer, Eein
Schäfer Weide genug.
Bader und Scherer, Sn den Badſtuben, und bey
den Scherern erfährt man allzeit etwas Neues.
173
Soldaten. Soldaten Finnen Bürgern und Bauern
viel unmögliche Dinge lehren.
Die luftrige Waare. H. — — und Buben fpres
chen immer von ihrer Ehre. R *
Die Hochſtehenden. Ein hoher Baum fängt viel”
Wind.
Die Gottlofen. Ein Gottlofer gäb um alle Pfarre
herren im Lande nicht ein altes Paar Schuhe.
Nun diefe Gemählde find wahr, infofern fie mahlen,
was geſchieht: aber fie lehren nicht, daß wir den Eigennuß des
Einen, die Schwaßhaftigkeit des Andern, die Gewaltthätigs
keit des Dritten, das Selbitloben des Vierten, das Windfan-
gen. des Fünften, das profane Leben des Sechften ung zum
Muiter nehmen follen.
Dasſelbe gilt von gewiffen Marimen, die den Sitten
der Menihen zum Grunde liegen, 5. B.
. Lichter Tag, lihte Augen. So rechtfertigen fi
die Betrüger, wenn fie fi) durch Betrug bereichert haben: er
hatte den Betrug wohl wahrnehmen können, warum bat er
die Augen nicht aufgethban ? — Aber, wer Nege ausitellt zum
Fange, wie follte der am Zange unſchuldig ſeyn? Pferdhand-
ler, Krämer führen diefen Spruch gern im Munde, und dag
ift allein fhon Widerlegung genug.
Ein gutes Mahl ift des Henkens werth.
Diefer Spruch wird leider! als Sittengemäbhlde nur zu
oft wahr ; denn Viele hat gemacht, und Viele made täglich
noch — der Bauh zu Schelmen. Aber Sittenregel kann
dies Wort nie werden. Denn das Leben ift ja mehr .als
Speife, und Rechtſchaffenheit mehr als das Leben.
Man foll fihb an einen fhönen Galgen
benfen, wenn man fih henken will. Gibt es denn
einen ſchönen Galgen? Sit doch Fein Tod ſchön, als den du
für Religion, Tugend, Vaterland ftirbft, oder wenigftens durch
ftille Ergebung verfhönerit. — Dies Sprichwort ftraft übri-
gens die Wohlüftigen, die fih an häßliche Dirnen hängen, und
in der Eurgen Luft den frühen Tod finden. — Diefer Tod ift
eine Art Selbftmord, und aller Selbftmord, im Auge der Ver-
nunft, Wahn: oder Unjinn.
2.
Es gibt Sprichwoͤrter, die nicht einmahl als Sitten-
gemahlde gewifler Elaffen von Menfchen angefehen werden
Eönnen , fondern nur als Porträte des Einzelnen, 3. B.
174
Ich kin Gott einen Tod Waldig; den zahl ich ihm, wann er
will.
So kann die Ergebenheit des Heiligen, ſo kann
aber auch die ſtolze Todesverachtung des Profanen
fprehen. Welchen Sinn der Sprecher mit dem Worte ver:
bunden habe, muß der Ton, der re und Mann,
der e8 ausfpricht, entfcheiden.
Pi: 3
Sprichwörter, dienurdie Natur, den Weltlauf,
das Schickſal verkünden, geben uns eben deßwegen, weil
ſie nur Natur, Weltlauf, Schickſal verkünden, kei—
ne Geſetze für den freythätigen Willen, keine Pflicht
für unſer Daſeyn, kein Urbild für unſere Nachbildung fie
wollen nur Wahrheit darſtellen, Erfenntniß der Wahr:
heit fördern. Deßhalb wurden auch im dristen Hauptitücke
die Sprichwörter nach dieſem Geſichtspuncte geſondert. An—
ders kündigt ſich uns Natur, Menſchheit, Weltlauf,
Schickſal, Klugheit; anders en Tugen r
Weisheit an.
Indeſſen tragen auch jene Sprichwörter. ‚die. ®. die
Natur schildern, und-bloße Naturgemahlde zu fern
foheinen, wenn fie auch Fein eigentliches Sittengeboth
ausſprechen, doc) meiftentheilg eine Warnung, eine Er:
mabnung, wie im Schoße verborgen, mit ich.
Z. B. die zwey Sprichwörter: Es tröpfelteh’vor 7
regnet. — Man fiebts an der Afche noch, wo der
Topf geftanden, find Naturgemahlde, und lehren zus
nächſt nichts, ald, daß überall Kleines Worbothe des Größern
ſey, und daß die Leidenfchaften ‚ wenn fie auch zurücktreten,
‚Spuren ihrer Ausbrüche zurückaffen. Aber eben diefe Lehren
ermahnen den Unadhtfamen , in dem Kleinen dag Große
vorauszufehen, warnen den Leichtfinnigen, die Leidenſchaf—
ten nicht über das Ufer treten zu laffen ; weil fie, auch zurück-
tretend, fo viel Schlamm und Verwüſtung zurückaffen.
So feinen die zwey andern Sprichwörter: Bier
und Brot maht Backen roth. — Bridt ein
Ring, fo bricht die ganze Kette, bloße Naturges
mählde zu.feyn; aber fie heben ven Zeigefinger auf, und rufen
in Familien, und außer denfelben: Zieh gefunde, kräf—
tige Nahrung den Lecfkerbiffen vor; und: Halt
feft an der Eintradt; denn mit ihr dert eißt
der ———— des Ganzen.
175
So liegt in dem Naturgemahlde.: der ſchönſte Affe
ift ein häßlich Ding, ein Wink, daß es um alle Nach—
' dffung etwas Haßliches ſey, und zugleich eine Eraftige Wars
nung vor aller Nahaffung. Dies gilt auch von den Sprich
wörtern , die den Weltlauf befhreiben. 3. B. So lang
der ödlitten im Lauf, fißt Jeder .gern darauf.
— Es ertrinfen mebr im Becher, alsin der Do—
nau. — Jenes erzählt bloß ein Fragment aus der Mens
fehengefchichte, und winkt höchſtens noch auf die zahlreichen
Befuche, die in dem Haufe des Glüclichen, fo lang die Kuche
raucht, gemacht werden ; dieſes warnet ſchon zugleich vor
unbeberrfchter Trinkluſt. se
4.
Sprichwörter, die bloße Klugheitsregeln find,
Eönnen defhalb nie als Sittenregeln betrachtet werden. Zwar
ift auch die Klugheitsregel fittlich, wenn fie ein Dürfen
für fi) hat, wenn das Mittel, das fie zum guten Zwece ans
räth, nicht böſe ift. Aber die Sittenregel führt nicht etwa
ein Dürfen, fie führt auh ein Sollen mit ſich. 3>%.
Wernihts zu zanken hat, der nehme ein Weib.
— Es liegt ein Eiuger Rath darin, nahmlich diefer: Nimm
Keine zum Weibe, die an der Zankfucht Eranfelt; denn dieſe
Sucht iſt unter allen Suchten, die den Eheftand zum Wehes
ftand machen, wohl die ſchlimmſte. . Aber es liegt Feine Sit—
tenregel darin. Man Fan nicht fagen, es fey Pflicht bey je—
dem Weibe einen Fond von Zanffucht voraus zu ſetzen, oder
den Eheftand als eine Zankſchule anzufehen; indem jenes das
weibliche Geſchlecht entehrte, dies die Beftimmung der Ehe
aufhöbe.
5.
Sprichwörter, die bloß die Laune, die neckende, oder
bittere erfunden haben kann, ſind auch nur als Geburten der
Laune zu betrachten. Unſere Sprache hat einen großen Reich—
thum an ſolchen Sprichwörtern, beſonders die mit ſpitzigen, ein⸗
greifenden Stacheln gegen das Fraueng eſchlecht, oder ge—
gen das männliche, oder gegen beyde gerichtet find. 3. B.
Kein Mann ohne Wolfszahn, kein Roß ohne Tücke,
kein Weib ohne Teufel. — In dieſem Sprichworte kom⸗
men wir Maͤnner ſchlimm genug davon; aber die guten Frauen
noch ſchlimmer. Da wäre. es lächerlich, nach ſtrenger Wahr⸗
175
beit zu fragen; dent es ift Laune, die das Wort erfand, und
die Wahrheit, die: darin liegt, ift die: Viele Männer Tiegen
an Härte,an Gewaltthätigkeit, viele Weiber an
böfer Lift, an Schadenfreude Franf Aber biefe
Wahrheit wird dadurdy wie begraben, daß, was von Eini—
‚gen wahr feyn mag, von Allen ausgeſprochen, und was bier
‚und da in geringen Portionen vorkommen mag, im höchſten
Mafftabe bejahet wird. Denn der Wolf ift ja das Sinnbild
wilder Gewaltthätigkeit, der Teufel das’ der ſchaden—
Froben Lift. Daß das tückiſche Roß zwiſchen Mann und Weib
in Mitte fteht, erinnert uns wieder an den fhon gerügten
Spottgeiſt des deutſchen Sprichwortes.
6.
Wenn viele Sprichwörter nur die bittere Laune, die
eigentlich [hwarze Stunde der Sterblichen, eingegeben haben
Tann, fo fehlt es nicht an foldhen , die Kinder der fröhlichen
Laune, und bloße Scherze zur Unterhaltung der geielligen
Laune find, und aud) als joldye beurtheilt feyn wollen. Da
würde man ſich denn gröblich verfehlen, wenn man Sprich:
wörter diefes Geiftes in eine logifhe Schraube legen woll-
te. 3. 8. Unfere Weiber foden uns bünne Ha—
- Yerfuppen, und brocken uns dicke Worte drein.
— Das kann der luftige Kopf in einer guten Gefellfhaft zu
Srauen, die die beften Haushalterinnen, und die trefflichften
Gattinnen find, fagen, und am ficherfien zu diefen, ohne fie
zu befeidigen; denn er will fie nur zum Widerfpruche reigen,
odurch Leben in die Gefellfchaft Fommt. Es wird auch un-
ter- den Frauen ſchon einen Cicero pro domo sua geben,
der mit gleiher Münze bezahlt. 3.8: Wir Weiber müſ—
fen Worte in die Suppenfhüffel brocken; weil
uns die Männer das Fett in Gläfern vertrine
fen. — ©o wird das Gleichgewicht wieder hergeftellt.
Unter bloß feherzende Sprichwörter gehören auch noch
unzählige. 3. B. Weiber find verfchwiegen; denn ſie ver:
ſchweigen alles, was fie nit wiffen. — — Im Weiberkramm
findet fi immer etwas, das feil ift. u. f. w.
-
is
Wenn viele gemeine Sprichwörter das Wahre, das fie
'ausfprehen, übertreiben: fo thun fie es nicht, um die
Menſchen zur Nachahmung des Uebertriebenen zu reißen, fon=
dern
17?
dern bloß um fie aufmerffam und, vorfichtig zu maden. 3.8.
Bürgen muß man würgen. NA a
i Diefe Lehre ift alsein Rath der Klugheit wahr und wich—
tig, fo bald man fie von der Uebertreibung frey macht; denn,
wenn du fie von dem Mantel der Hpperbel entfleideft: fo
fteht die nackte Wahrheit da: Sey vorfihtig, wenn du dich für
Andere verpfändeft, es könnte dih Gut, Ehre, Leben Eoften,
wenn du hierin blind zu Werke giengeft. Der Geift der
Hyperbel maht lebendig, Fann man auch hier fagen,
und der Bucftabe tödtet. Weberhaupt kann, wie das
Motto diefes Hauptftückes fagt, nur nüchterner deutfher Sinn
vernünftig auslegen, was nüchterner deuticher Sinn vernünf-
tig hineingelegt hat. Wenn die Eluge Mutter dem rafchen
Vater, der im Puncte ſteht, Bürgfchaft zu leiften, ins Ohr
fagt: Bürgen muß man würgen: fo verfteht es der
Hausvater gewiß nicht fo, als wenn ihn fein Weib, im Tale,
daß er fih für den Nachbar verpfanderte, würgen laffen wollte,
Die deutfhen Sprichwörter find gute Pfeilihügen ; fie tragen
etwas zu hoch an, um defto ficherer den Mittelpunct zu tref⸗
fen.
8.
Die deutſchen Sprichwörter machen ſich kein Gewiſſen
daraus, das, was manchmahl, und vielleicht öfters zutrifft,
allemahl eintreffen zu laſſen; ſie lieben (wie die großen
Rechner runde Zahlen) runde Ausdrücke, und ver—
fehen fich zu der Vernunft der Deutihen, daß fich bey ihnen
die Ausnahme von _felbft veriiehen werde, 3: ©. Gehor:
fam und Geduld wachſen nihtim Weibergarten.
Daß fie nicht immer darın wachen, geſtehen die Grauen
wohl jelber ein; daß fie manchmahl darin wachfen, bekennen
die Ehrenmäanner gern. uG
Daffelbe gilt aud von den Sprihmwörtern: Verfpres
henift adelidh, halten bauerifh, — Pfennig:
falbe fhmiert wohl zu Hofe. Der wahre Edel-Mann
halt wohl auch, was er verfpricht, und der edle Hof-Mann ift
auch hierin Mann, daß er die Ducatenfalbe verfhmäht, alfo
wohl au die lumpichte Pfennigfalbe.
J
9. fi
Sprichwörter, die weder als Klugheitsregeln, noch
als Sittenregeln allgemein anwendbar find), und doch
eine Allgemeinheit auszufprechen ſcheinen, wollen nur von
Sailers Spridw. 12
278 i
der Seite aufgefaflet ſeyn, von welcher fie Wahrheit und
Anwendbarkeit haben. 3.8. Wie man did grüßt, fo
follft du danken. — Nach firenger Allgemeinheit aufge:
griffen, ift diefes Sprichwort weder wahr noch anwendbar.
Denn esift z. ©. weder fittlih noch Elug, grobe, ſtolze
Anreden mit groben, ftolgen Antworten erwiedern. Aber es
Tiegt doch Wahrheit darin, die ein edles Gemulh Leicht finden
wird, die Wahrheit: Man fol Ernft mit Ernft, Freundlich⸗
keit mit Freundlichkeit, Güte mit Gute, Klugheit mit Klug-
‚beit, Anftand mit Anftand erwiedern.
10,
Sprichwörter, die die fublimften Lehren der Religion fo
fehr popularıjiven , und in fo niedere Bilder faffen, daß ein
Schwacher daran Anftof nehmen, und ein Profaner darüber
lachen könnte, wollen als brauch bare Handheben zur
Anfaffung des Unſinnlichen angefehen feyn, und fo-
wohl der Schwache, der Aergerniß nähme, als der Starke,
der feine Starke im Spotten bewiefe, beyde thäten nicht wohl
daran. Denn das Bild iſt ja nirgend die Sache, am aller-
wenigiten in dem Gebiethe des Heiligthumes. Vielmehr ha—
ben Sprichwörter diefer Art viel Verdienft, weil fie den Ge—
danken an Gott fo leicht anfaßbar machen für Mindergebil-
dete.
3. B. Gott ſchreibt Alles auf, Laßt nichts unbezahlt.
— Gott iſt ein reicher Wirth, der Einem wohl die Zeche bor-
gen Eann. — Gott läßt fih Feinen flachfernen Bart flechten.
— Gott im Himmel borgt und langer, als die Fugger auf
Erde thun. — Gott laßt fich nicht auf den Arm mahlen. —
Du mußt eim quter Kergenmacder ſeyn, wenn du Gott eine
wächlerne Nafe machen willit. — Du Fannft Gott Feinen
blauen Dunft vor die Augen machen. — Schneid nicht Rie⸗
men aus Gottes Wort: fie könnten dich leicht zu Tode gei—
bein. — Gott muß große Ohren, und ein leiſes Gehör haben.
— Wer fann Gott zwingen, daß er tanze, wie wir pfeifen ?
Allerdings Eönnen einige diefer Sprichwörter zarte Ob:
ven beleidigen, z. B. das legte aus den angeführten, aber
der Kern ift gut; und felbft die Hülle hat für eine gewiſſe
Klaſſe von Menſchen, in gewiſſen Augenblicken etwas Ange—
meſſenes. Indeſſen muß man bekennen, daß ſich zu den
Sprichwörtern, die den Gedanken an Gott in nıedere Bil—
der foffen, gleich wieder unzählige andere finden, die entwes
179
ber dag gebildete Gefühl lieblich anſprechen, oder durch wißige
Zuſammenſtellung gefallen. ;
3. B. Den Menfhen hält man bey dem Rocke, Gott
bey feinem Worte. — Gott greift Einen gern an, wo es ihm
am weheiten thut. — Gott gebühren drey NR. und drey ©:
Rache, Ruhm, Riten, Sorgen, Segnen, Seligmachen. —
Der fahrt fanft, den Gottes Gnade tragt. — Hats nicht von
Gott den Anfang, fo nimmts gewiß den Krebsgang. — Miß—
trauen, Unbarmberzigkeit, Gottesvergiß und Todesvergiß find
vier Pferde, die den Geißwagen führen durch die ganze Melt.
— Gott ift allein unfer Gott und Herr, wir find alle feine
Bauern. — Der Gottlofen Gut Fommt wie ein wildes-Waf-
fer, raufcht wie ein wildes Waſſer wieder fort, und verfiegt
zulegt wie wildes Wafler. — Gotts walts, ift aller Bitte
Mutter. — Muß made die Noth, den Willen Gott. — Was
Gott uns gönnt, verweht Fein Wind. — Es it etwas Gro-
es, Gottes Wort, und ein Stück Brot haben. — Die Leute
£önnen argneyen, von Gott kommt das Gedeihen,
11.
Deutfhen Sprichwörtern, die auch darin deutſche
Sprichwörter find, daß fie den Großen die Wahrheit frey
fagen, wie den Kleinen, muß man diefe Freymüthigkeit für
fein crimen laesae Majestatis anrechnen; denn jie wollen
dur Ermahnen retten. ie zielen auch niht auf den Gro-
fen, fondern auf die Großen überhaupt. 3. B. Ein Fürft
ift ein feltfam Wildpret im Himmel, wie ein Hirfch in eineg
armen Mannes Kühe. — Dadurch wollen fie keinen Auf:
ruhr predigen, fondern nur die Gefahren für Tugend und Se—
ligfeit, die an Höfen, wie überall zu Haufe find, fehildern,
12,
Andere Sprichwörter find Nothbehelfe, womit fih
die lauen Ehriften entfchuldigen oder tröften. Und Nothbe—
belfe find Eein Evangelium. Schöner hat fie beleuchtet und
berichtigt *). — Da hätte Bott viel zu thun, wenn er Al:
les fo genau nehmen wollte. — Wer kann Alles halten, was
in der Bibel fteht ?
*) Sprichwörter, womit ſich laue Chriften behelfen, Nürn:
berg bey Rau, 1802. j
12
180
O I
Es find auch noch einige fprichwörtliche Redensarten tm
Umlaufe, die geradezu unchriftlic find: Ich will. dire
wohl vergeben, aber gleihwohl gedenken. — Ih will.
dirs verzeihen, aber vergeffen kann ich dirs nicht.
N 14.
Es Eoınmen in den Sammlungen deutſcher Sprichwör—
ter viele vor, denen man den Schmutz, die Rohheit,
und den Zottengeift ihrer Erfinder anfieht ; ich babe fie
aber aus diefer Sammlung um fo mehr ausgefchloffen, als fie
ſich felber von jeder gebildeten Geſellſchaft ausichließen.. Da: -
bey möchte denn doch die Rohheit der alten Sprichwörter noch
etwas zum Woraus baden vor der feinen Schlüpfrigkeit der
neuen.
15.
Ein anderer Vorwurf, den die gebildete Welt den ge:
meinen, deutichen Sprihmwörtern macht, daß fie oft durch
‚das Trivinle den Geſchmack und die feine Sitte beleidigen,
bat weniger zu bedeuten. Denn man muß von dem Gemei:
nen nicht fordern, daß ed ungemein (ausgefucht) fey-
Und, oft macht die Kraft und die Derbheit wieder-gut, was es
durch Gemeinheit verliert, oder nur zu verlieren ſcheint. Es
haben überdem manche Sprichworter, Die. der Gemeinheit und
Trivialitdt befhuldigt- werden, einen Stachel, den Feine Fein⸗
be erſetzen könnte,
Z. B. Wenn das — den Stolz des —
den günſtige Umſtände gehoben haben, ſtrafen will, ſagt es:
Wenn die Laus in den Grind kommt, ſo hebt ſie den Hintern
in die Höhe, und wird ſtolz. — Wenn man eine Preisfrage
aufgäbe, und dein, der. den Stolz der neugeadelten Gemein—
beit für das deutfche Volk mahlte,- hundert Dukaten, verfprd>
he: ich denke, das eben genannte Sprichwort hätte den Preis '
verdient.
Ein anderes, das die ‚grobe Liederlichkeit, und die ‚lies
derliche Grobheit fhifdern will, fast rund heraus: Wenn. man
die Sau fißelt, fo legt fie fi) in den Dred. — Sc) denke,
man follte der Volkspoeſie biefe * * —* zur
Sünde anrechnen. It je] '
181
16.
In diefen Betrachtungen Tiegen nachftehende Negeln,
die den Mifverftand und Mißbrauch der deutſchen Sprichwör—
ter verhüthen Eönnen,
1. Bermenge in den deutihen Sprichwörtern die Sit—
tengemählde nicht mit den Sittenregeln. Jene fa:
gen, was die Menfchen thum, diefe was fie thun follen.
II. Bermenge alfo au den Weltlauf nicht mit der
Pflicht. Ein Anderes it der Inbegriff deſſen, was geſchieht,
ein Anderes, was gefhehen foll.
II. Bermenge eben fo wenig die Natur mit der
Freyheit. Sene wirkt mit Nothwendigfeit, ohne Bewußt⸗
feyn und Abfiht, diefe mit Bewußtjeyn, Befonnenheit, Ab—
ſicht. |
9 IV. Vermenge nit das Schicffal mit der Liebe.
Jenes fallt mit der Nothwendigfeit, diefe mit der Freyheit in
Eines zufammen.
V. Unterfcheide die Klugheitslehren vonden Tu—
gendlehren. Sene lehren, wie man zum Zwece kommen
fann , diefe, was man fi zum Zwecke fegen foll.
VI. Sude in dem, was nur Scherz und Laune feyn
will, nicht firenge Wahrheit. Sene wollen nur gefellige
Unterhaltung, diefe Nichtigkeit des Sinnes, und Volligkeit
der Annahme.
VI. Fordere von Sprihwortern, die auf Feine ALT:
gemeinbeit des Sinnes Anipruh machen, Feine Allge—
meinheit in der Anwendung. Sprichwörter wollen auch nicht
in Reih und Glied fehten, wie die Syſteme.
VII. Lege überhaupt Eein Sprichwort in die Iogifche
Schraube , oder dialektifhe Preffe: fondern fih auf
den Accent der Rede, der den Sinn des Sprichwortes be:
ſtimmt, auf die Umftände, die ihn auslegen, und auf
die VBerhaltniffe, die ihn außer Zweifel fetzen.
Kurz: fen du ein Deutſcher an Sinn und Geift, um den Sinn
und Geift des deutſchen Sprichwortes zu faſſen.
Nachleſe
von bayeriſchen Sprichwörtern, und ſprichwörtlichen
Redensarten.
—
Keine Mayr, Pfarrer zu Buch bey Hohenlinden, vor:
dem Negens in dem SPriejterhaufe der gemeinfam Tebenden
Kleriker in Landshut, hat, neben andern gelehrten Arbeiten,
auch eine vortrefflihe Sammlung bayerifher Sprichwörter
gemacht. Er theilte mir zum freyen Gebrauche mit, was er
davon noch in Handen hatte. |
Daß viele bayerfche Sprichwörter auch in andern deut:
fihen Landen einheimifch find, daß nicht wenige ſich nur durch
das Gepräge der bayerıfhen Mundart unterfcheiden; daß def:
ungeadhtet die bäyerifchen Gegenden einige Sprichwörter für
fi eigen haben, wie die fhweizerifchen ꝛc.; daß manche durch)
Provinzialausdrücke für die Ausländer unverftändlich feyn mö—
gen, ift ohne weitere Erörterung Elar genug.
Hier wählte ich aus der Mayerſchen Handfchrift zur Nach-
leſe nur folche, die in der voranftehenden Sammlung fehlen.
Abſicht. Gut meinen bringt Weinen. — Man mäftet
das Schwein nicht um feinetwegen. — Alter. Die alten
Geiſe lecken au noch Salz. — Was alt ift, brummt gern,
Amt. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Wer:
ftand. \
Armuth. Die Armen belfen alle, daß Fein Neicher
falle. — Arme Leute haben nicht weit heim. — Er kann auf
fein grünes Zweig kommen.
Aufmerkfamfeit. Er fpannt, wie ein Häftelma—
er.
Ausland. Es ift überall gut Brot effen. — Die Welt
ift nirgend mit Bretern verfchlagen.
Bauer Wenn man den Bauer bittet, fo wird er
um eine Spanne länger.
* Begierde. Es wäſſert ihm das Maul darnach. —
Es ſind ihm die Zähne lang darnach. — Er iſt darauf, wie
183
der Fuchs auf die Henne. — Es ſticht ihm gewaltig in die Au⸗
gen. — Der Teufel feyert nicht.
Drobung. Ware! Sch will dir zeigen, wo Barthlmä
den Moft hohlt. — Ich will ihms hinter die Ohren fehreis
ben.
Dummbeit. ErFann nit fünf zahlen. — Er bringt
Feinen neuen Glauben auf.
Ermunterung. ‚Er wird dich nicht freflen. — Er
wird dir Fein Loch in den Kopf reden.
Erziehung, die ftrenge. Es it Fein Schlag ver:
foren, außer der darneben geht. — Es ift Fein Streich umfonft,
auf der daneben gegangen... — Was der Hanfel gewohnt, laßt
der Hans nicht. N
Fehler. Eine gefcheide Henne verlegt au) bisweilen
ein Ey. — Wird der Prediger auf der Kanzel irr.
Srage Sedem Narren ift eine Frage erlaubt. ;
Sriedfertigkeit, Geduldige Schafe gehen viel in
einen Stall.
Fröhlichkeit. Luftig gelebt und felig geftorben, heißt
dem Teufel die Rechnung verdorben.
Furcht. Katz aus dem Haus, rührt fi die Maus. —
Die Furcht maht Füße. — Er geht durch wie eın Holländer,
— Er ift ein Hafenfuß.
Gebeth. Berhen laßt fich nicht nöthen.
Gedanfen. Er dichter wie ein Karpf im Vogelhäusl.
Gefahr. Das Waffer hat keine Balken. — Was an
ben Galgen gehört, ertrinft nicht.
Beitz Er iſt ein Spanndrenner, ein Schmarn, ein
Sparmunkes. — Er findet die Laus um den Balg.
Geld. Mo Geld ift, va ift der Teufel, wo Feines ift,
da ift er zwey Mahl. — Er hat Geld, wie ein Sautreiber.
— Der hat Baßen.
Gerechtigkeit. Gerechtigkeit hat eine wachferne Na>
fe; man Fann fie drehn, wie man will.
Sefellfhaft. Ein böfer Gefell führt den andern in
die HOW. — Viele Hande machen der Arbeit bald ein Ende.
Gefundbeit. Eſſen und Trinken halt Leib und Seel’
zufammen. — Früh nieder und früh auf, verlängert den Les
beuglauf. — Er ſteckt in Feiner guten Haut.
Gewiffen. Ein gut Gewiffen iſt ein guter Bruſtfleck.
— Er hat ein Gewiflen, wie ein Schergenhaus; Eann viel un:
terbringen,
434
Gewohnheit. Gewohnheit ift wie ein eifern Pfaib.
(Hemd.) — Gewohn’s Mull, gewohn’s, fagte der Bader, und
kehrte ‚mit der Kaß den Ofen rein. (Mull: fo viel als Kas.)
Glück. Wem das Glück wohl will, dem Falbert ein
Ochs. — Wen’s Glück in die Höhe hebt, den will’s werfen.
Gott. Wenn Gottwill, grünt ein Befenftiel. — Gott
muß man nicht einreden. — An Gottes Segen ift Alles gele-
RE
r Gruß. Leerer Gruß gebt barfuf.
Habfuht. Bey ihm heißt's; Alles her, mein Fiſch.
.. Hduslihkeit. Was beſſer ift, als eine Laus, das
trag mit nah Haus. — Auf Gott trau, ‚arbeit nicht lau, und
leb genau.
Heiratben. Heirathen ift nicht Kappentauſchen. —
Heirath in Eil’, bereut man mit Weit.
Hinderniffe. Es läßt fih nicht über dag Knie ab:
brechen. — Da fteht der Ochs am Berg.
Hoffnung. 3 hat der Legte noch nicht gefchieben.
— Wer weiß, wen der Vater den Schimmel fchenft. — Der
ift zwifchen zwey Stühlen niedergefeffen. — Es kommt nichts
Beſſeres nad).
Kaufen. Darnah Waar, darnach Geld.
Kinder. Kinder und Fackeln (unge Schweine) haben
immer leere Sadeln.
j Klugheit. Man Eauft Feine Kat im Sad. — Leid
und. meid, fo Eommft durch die Leu. — Man muß nicht Alles
auf Ein Schiff packen. — Uebergeben heißt nimmer leben.
— Kunſt. Zum Reiten gehören mehr als zwey Stiefel,
— Se ſchwerer die Kunit, je mehr Pfufcher. -
gaben. Manchem gehen vor Lachen die Augen über.
Lernen. Daskernen hat Fein Narr erfunden. — Er
ftudiert bis in den Hals; in den Kopf gebt nichts hinein.
„Liebes, Lieben und Bethen, läßt fih nicht nöthen. —
Alte Liebe roftet nicht. — Bon der Liebe Eann man nicht Teben.
— Klopft die Noth an, fo thut die Liebe die Thür auf.
Lob. Man lobt ihn über den Schellenfönig.
Lohn. Umfonft ift der Tod.
Lüge, Wer gern lügt, der ftiehlt gern. — Der gäbe
einen f&hlechten Zigeuner ab, er Fönnte nicht wahr fagen. —
Es ift das zehnte Wort nicht wahr. — Der Meiner und der
Lügner find zwey Brüder. |
Mangel Wenn es Brey regnet, fo bat man Eeine
Schüffel.
183
Maäßigkeit. Wenn’s Mafı vol it, fo laͤuft's über.
— Daseite Lied macht durch die Zange müd,
Mittel. Mancher fucht einen Pfennig, und verbrennt
dabey drey Kreuger-Kerzen, — Wald mir den Pelz, und mad)
ihn nicht naß.
Muth, Ruüftigkeit. Es iſt ihm Eein Graben zu breit.
— Er iſt Eurz angebunden. — Er nimmt fich Fein Blatt vors
Maul. — Er fangt den Teufel auf freyem Feld.
Nachſicht. Man muß zuweilen ein Auge zudrücken.
Narr. Mo drey find, muß einer den Narren abgeben.
— Lauter Narren brauchen nicht reitern.
Noth. Kommt man aus der Noth, fo kommt der Tod.
— Die Noth zankt gern. — Er iſt ein Mothnagel.
Prahler. Ein guter Prahler, ein fehlechter Zahler.
— Das fhledhtefte Rad am Wagen fnarrt am meilten.
Prozep. Wer zu viel Korn bat, der ftelle fih Mäuſe
ein; und wer zu viel Geld hat, fange Prozeß an.
Sharfjinn Er bat eine feine Nafe. — Er hatden
Qunten gerochen. — Er hat ein verſchlagenes Koͤpfel.
Schaden. Verluſt ift gut wiver's Lachen, — Er hat
fic) die-Nafe verbrannt,
Schwelger Er it wie Zahaus auf alfen Kirchwei—
ben. — Bey ihm heißt's;: Alles verfreffen vor dem End, macht
richtiges Teftament. — Er lebt in Saus und Braus,' was der
Brief vermag.
Schein. Es fſind nicht alle Heilige, die zur Kirche gehn.
— Manche halt man für fett, und fie find nur geſchwollen.
— Der Schein trügt, der Spiegel lügt.
Schwatzer. Der hat's Maul am redten Ort. —
Sein Maul wird froh feyn, wenn’s Naht wird. — Sein Re—
den hat Feine Heimath. — Er hält überall einen Stander—
ling.
Selbftfenntnif. Nimm dich felber bey der Nafe.
Sonderling. Er iſt ein wunderlicher Heiling.
Unſer Herr Gott hat wunderliche Koſtgänger.
Sor gen. Sorgen und Jahr machen graue Haar’. —
Kommt der Tag, fo bringt der Tag.
Spottreden. (Er glanzt wie der Karfunfel im Ofen-
loch. — Er ift reih von Haus, hat aber feine Heimath ver-
geffen. — Er bat einen verfchlagenen Kopf — ift über die
Stiege herabgefallen. — Er hat's Griß wie’s fauer Bier,
(Man reißt fih nicht um ihn.)
186°
Stillſeyn. Er iſt ſo ſtill „als wenn ihn der Hund
gebiffen hatte.
Stolz. Grobheit und Stof; wachfen auf Einem Holz.
— Er fpannt die Seiten hoch. — Er fpielt den großen Hans
fen. — Er fteigt daher wie der Godel im Werg. (Hahn.)
Wenn der Stolze gedemüthiget wird: fo
fagt das Volk. Er hat feinen Mann gefunden. — Der
bat ihm’s unter die Nafe gerieben. — Der bat ihn auf die
Finger geklopft. — Der has ihm Die Slügel geftugt. — Jetzt
läßt er die Flügel ſinken. — Best gibt er’s wohlfeiler. —
Segt hangt er die Ohren. — Jetzt fihaut er drein wie St.
Meph. a
Tod. DerZod muß eine Ausrede haben. — Er hat fei»
nen Theil getrunfen. — Er hat feinen Löffel weggeworfen. —
Es thut ihm Eein Zahn mehr weh. (Das fagt man auch von
einem zahnlofen Alten.) — Er hört den Gukuck nicht mehr
ſchreyen.
Tragheit; Er wartet, bis ihm die gebratenen Vögel
in's Maul fliegen.
ZrinEluft. Ich mag das Waffer niht in Schuhen,
vielweniger im Magen. — Dem Waſſer ift nicht zu trauen; es
reißt den Mühlgang weg.
Uebung. Spinnen lernt man mit Spinnen.
Uebereilung. Es gebt bey ihm Rips, Raps.
Unglück Das if ein Nagel zu feinem Sarg. —
er den Balg verliert, muß auch den Schwanz drein geben.
Ungefbickt. Er fpannt den Wagen vor die Pferde,
— Er zaumt dad Roß beym Schwanz auf. — Er fallt mit
der Thür ind Haus. — Ungeſchickt erfpart ſich viel Arbeit.
Unverftäandig. Grverfteht den Leimen, fol ein Haf—
ner werden. — Es fehlt ibm, wo man die Ochfen hinfchlagt.
Bergeffen. Was man nicht im Kopf hat, muß man
in den Füßen haben.
Verlegenheit. Da ift guter Rath theuer. — Da
weiß man nicht, iſts Gick oder Gack, Wift oder Hott.
Berfhwiegenheit. Er hat die Mauljperr. — Er
taugt zu einem Beichtvater.
Verſprechen. Er verfpricht goldene Berge, und ift
feinen Heller werth.
Verſtand. Er ift nicht aufden Kopf gefallen. — Er
bat Brig im Kopf. ?
Voreiligkeit. Er ift zu früh an den Dupfen ge:
fommen.
Mr 187
Borfehen. Beffer vorfeben, als nachſehen. — Man
muß die alten Schuh nicht wegwerfen, ehe man neue hat. —
Unverhofft Eommt oft. — Wer fein Bett macht am Morgen,
braucht den ganzen Tag nicht dafür zu forgen.
Bortheil. Wortheil trifft zwey Fliegen auf einen .
Schlag.
Borwand Wenn man den Hund fchlagen will, fo hat
ers Sleifh aus dem Hafen geftohlen.
Wagen. Der Waghals bricht den Hals.
- Meib. Drey Weiber, drey Gänſe, drey Aenten machen
einen Sahrmarkt. — Wo der Teufel nit hin Fann, fchict er -
ein altes Weib. R
Wiſſen. Biel Wiffen macht Kopfweh. — Was man
nicht weiß, macht Einem nicht heiß. — Wer’s wiffen foll,- er—
fährt's am legten.
Zanf. ie leben wie Hund und Kaß.
Zu fpat. Wo ich hinkomme, ift die Kirchweih' fchon
vorbey.
Zwang. Zwang halt nicht lang. — Es hilft Fein Sit:
tern für den Froſt. — Da heißt's: Friß Vogel oder ftirb.
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Jay 1
Hauptinhalt,
Sprichwoͤrter⸗ Buch.
Die Weisheit auf der Gaſſe
oder
Sinn und Geift deutſcher Sprichwörter,
*
Seite
J. Von den Sprichwörtern der Nationen 1
II. Von dem Gepräge des deutſchen Sprichwortes
III. Von dem Inhalte deutſcher Sprichwörter 66
Allgemeiner Inhalt
66
Beſonderer Inhalt 69
ı. Natur- Menſchen- Weltkunde 60
2. Religions- Staats- Familienkunde 76
3. Klugheits⸗ Erziehungs- und Arznehkunde 79
IV. Von deutſchen ſprichwörtlichen Redensarten 137
V. Von den Denkſprüchen, und tiefſinnigen Sprüchen
der Deutſchen 145
VI. Von Verhüthung des Mißverſtandes und Mißbrau—
ches der Sprichwörter 172
Zugabe: Vayrifhe Sprichwörter.
Sprüde- Bud).
Goldförner der Weisheit und Tugend.
*
Seite
I. Selectae Jani Anisii sententide, senariis expres-
sae. $
Auserlefene Denkſprüche des Abtes Janus Anifius in
Verſen. 9
II. Ludovici Vivis symbola sapientiae.
Des Ludwig Vivis Sprüche der Weisheit a
Ill. Ex ejusdemL. V. introductione ad sapientiam.
Aus der Einleitung zur Weisheit vom nähmlichen Ver:
faffer L. V. 45
(Mit geringen Aenderungen.)
IV. Sententiae S. Martini Bracarensis Episcopi ad
Mitonem regem.
Sprüche des h. Biſchofs Martin F Bracar, an den
König Mito. 59
Syrüide- Bud.
Goldkoͤrner
der Weisheit und Tugend,
Zur Unterhaltung für edle Seelen,
um
Vor
5 M. Sailer ⸗
Dritte verbeſſerte Auflage.
Sailers Spruͤche. 4
Inhalt.
|
1. Select Jani Anisii Sententiæ Senariis express=.
Auserlefene Denkiprühe des Abtes Janus Anijius in
DBerfen.
il. Ludovici Vivis Symbola Sapientiz.
Des Ludwig Vivis Sprüche der Weisheit.
Ill. Ex ejusdem L. V. introductione ad Sapientiam.
Aus der Einleitung zur Weisheit vom nähmlichen Verfafe
fer L. V. (Mit geringen Uenderungen.) |
IV. Sententiae S. Martini Bracarensis Kpiacopi ad Mi-
tonem Regem. |
Sprüche des’heil. Bifchofs Martin von Bracar an den Kir
nig Mito.
Gewidmet
dem blühenden Alter;
(Denn was der Knabe lernt, das ahnet der Jungling-
und. verſteht einft ber Mann, und übt der beilere
Menſch.)
und aus
eh blühenden Chor denen beſonders,
die mit beſonderem Eifer, nach Rechtthun und — eyn
ringen.
| Mh ‚ Far und brauchbar, Tiebe Juͤnglinge! find die
Sprüche der Weisheit, die ich zur Uebung eures Fleißes, nicht
fo faft gefammelt, als nur Ir außgewählet habe.
Die Achtung für eure Unſchuld, und die Sorge für eure
künftige Beſtimmung haben mich in der Auswahl geleitet.
Einige ſind aus unſerer heiligen Religion, die übrigen aus
der geſunden Vernunft genommen. Einige Lehrſtücke kom—
men unter allerley Geſtalten vor — weil ſie wichtig find, und
öfters, weil fie ihrer Wichtigkeit wegen, — zu oft kommes
koͤnnen.
F s
Die latemiſchen Sprüche ins meiſtentheils kurg kraft⸗
voll, ei Ihr werdet daraus die zwey Vorzüge
ber Tateinifhen Sprache noch beffer Eennen lernen: fie kann
Vieles mit wenig Worten, und dieß Viele nahdruck
ſam ſagen. Ihr werdet aber nicht bloß die Eigenheiten der _
lateiniſchen Sprache beifer kennen lernen; ihr ſollet vor allem
zum Nachſinnen über die e Wehrheit, d die in der Schale liegt,
gereißet, u und. im Naghdenten geübet werden, 2
nd 341% vs Bere)
Weßhan —3— fa ciniſhen Spyruche — *2 —
get, bald umfchrieben, "bald erläutert, bald anger
wandt... bald näher deſtimnot. MD chte das ——
* * anf md das! —— Kr und‘ ch feyn !
LITE a B ya ern ni
— — eure ——— ich, werden euch. die
nabere Anleitung geben, wie ihr zuerjt das Latein in eure Spras
che überfegen, und dannden Sinn des Lateins mir dem Sinne
Bes Deutſchen, das er demfelben, ABER, iſt, yergle
Yen, ſollet, IE m Anh u su bi sid ade! IR ah d
un "Js rl
Wohl mir, wenn Ba — aus hier DENE Ho
boſſer einfehen-Iernet,' was euch eure Lehrer immer und Immer
einſchärfen, daß Schamhaftigkeitys@ittfamkeit, Stillefeyn,
Wahrhaftigkeit, Arbeitsluſt, Gehorſam, Lernbegierbe, Un⸗
faul, und, — deiße am Gebethe — die fi nften Blütpen
eyves | bfühenten, ‚Alters A. „Der Seit, des Garten erhalz
te u und ‚feane, iefe Stütgen. — daß ſie ein, die Gonfen
deuchte bringen, an denen fd eure Miwelt lade, und un
1
; r
großen Xerndetag, und in der Ewigkeit noch die Luft alfer Gu⸗
ten ſeyn werden, Amen.
ATTeE ae Ser: 9 EIIEHER —
= a * *
ag Die Iateinifhen Verſe 2
Ro 0 |
find von einem. ‚frommen , gelehrten Abten, Janus Ani⸗
ſius, verfaſſet, und. dem, Cordinal Mendoza, gewidmet wor⸗
den. Im Jahre 1561 bat fie Simon. Roth von Neustrin-
gen in Bayern in deutſche Reime überfeßt, und zu Die
Iingen bey Sebald Mayr drucen laſſen. Die Lehrreichſten er⸗
ſcheinen alſo jetzt in Dillingen das zweyte Mahl, nur in einem
andern Kleide, und mit andern Lettern.
a
Die Euren, oft rätpfelhaften lateiniſchen Sprüde
N. 1.
‚find aus dem ſchönen, geiftreihen Satellitium entlehnt,
das von dem befannten Verfaſſer größtentheils aus dem claſ—
fifhen Auctoren für eine Eöniglihe Prinzeffinn gefammelt,
und ihr auch geweihet — zu Lyon im Jahre 1556 nachgedruckt
ward. Es mwehet wahrhaftig der beffere Geift des claffifchen
Alterthums darin, und die Sprüche find nad) Salomo's Bey⸗
ſpiel, fcharfgefpiste Nägel, die ins Mark dringen follen.
Die Sprüche
N. III.
find in des nahmlichen Verfaſſers introductio ad veram
sapientiam enthalten, gehen mehr ins Einzelne, ſind auch
leichter zu verſtehen, und mehr Vorſchriften als Sprüche.
Die Sprüde x
N. IV © "
babe ich aus bes heiligen Martini „Bracarensis Episco-
pi fittlihen Vorſchriften an den König Mito, und feinen
Marimen überfeket, Sie find in Mündhen im Sabre 1639
fammt den zwey fhönen Abhandlungen de tranquillitate
animi, und de vera sapientia, deren jene den gelehrtem .
und frommen Wigo, und diefe den H. Chonter Biſchof Euche—
rius zum Werfaffer haben, bey Niklas Heinrich gedruckt wor-
1 | Kr
Eu:
\
SelektAr Japı Anisii Senrentiae , Senariis ex-
pressac,
Yuserlefone — des Abtes Janus ‚Anis in
Verfen.
‚Ja disce, quod te faciat meliorem in dies,
Mas dich ftet3 beſſer macht,
Das lern', und thu vor Allem.
2. Mens pura centum gratior tauris Deo.
Dein Herz ſey rein! Dieß Opfer will der ORT
Das lieblihfte aus Allen.
Virtute nihil propius Bess hae eoelo est iter.
Die Tugend ift das Göttlichfte nach Gott —
Ein Strahl aus Ihm,
Die Bahn zu Ihm.
4. Et justus, et sapiens vir est similis Deo.'
Rechtthun und Weifefeyn —
Pragt Gottesbild noch tiefer ein,
Pragt Gottes Bild noch fhöner aus,
5. Sit consciehtia instar mille testium.
' Statt bunderttaufend Zeugen ſey
Dir Einer — dein Gewiffen.
6, Ut est gravis virtus, ita sors levissima.
Es rollı, wie Wagenrad, das Glück:
Die Tugend fteht, wıe Berge, feit.
7. Vita malos, ni vis malus quoque fieri,
Wie Peſtilenz iſt jeder Böſe:
Fleuch! ſonſt verpeſtet dich ſein Hauch.
8. Nimius sui amor, radix malorum est omnium.
Entwurzle du die Eigenliebe
Dann liegt der ganze Sündenbaum, zu Boden.
3
10
0: Sapientia est medieina lanquorum omnium. wu
Der Arzt, der alle Krankheit heilt,-
Iſt nicht ein Weifer nur — die Weisheit felbft.
10. Dietum impie in Deum malum est vanum ae
attox. _
‘> Ein tolTes Laſter iſt die Gottestäfterung,
Zufammengefeßt aus eitler Müh und wilden Trotz.
+2. Prae se ipso amabit veritatem vir bonus +0,
Der Gute liebt das Wahre, -
Und liebt es mehr als fich.
12. Vitio careto, recfa güisquis praecipis.
Der erfte Lehrer fey dein Wandel,. . A 7
Dein Wort, deriwentel — —
Sey, was du lehreſt — gut.
13. Ingenui animi et celsi est, Eh miserrimos.
Der Armen Vater feyn —
Die ſchönſte Ahnenprobe!
14. Si corpori anima praeest, animam cura prius. h
Der Geift ift Herr, der Leib nur Knecht im. Hauſe *
Drum gib zuerſt dem Herrn das Seine.
15. Pulcherrima res est veritäs, orta a Dem.
Die Wahrheit — Gottes Kind: DE RE RBN ER
Ihr gleiht an Schöne — nichts. g 4 A
16. Cupis esse beatus?, ‚sustine, abstine. 4.) 0» ?
Zu Freuden führt das. Leiden, u <; 20 41
Und Miſſen zum Genießen. R F
03200 1507 i
17. Nil abditum diu est: ‚male facere abstine
Ans Licht kommt Alles noch: HD iQ
Drum ſcheue Dich vor dem, was ſihiſchen it.
ı8. Quid interest, ditem aniinopem mori ————
Wenn dich der Tod in feine Arme faßt
Dann faßt er di: arm oder reich —
Das gilt ihm gleich.
19. Lätere conscientiam nequit scelus. {
Das Lafter decke dich mit taufend Deren: ,
Durch tauſend Deden dringt das Auge des Gewiſſens.
Li 3
20. Adversa prosunt saep&,»nam recti adrännent.e
Dir nüßt das Leiden — denn are) EL
Es ſpricht mit Kraft an's Herz: fen guet, nn.
2ı. Mens dubii animi, facile gradu depellitur.
Wo Wanfelmuth, LAU
Da it der Fall nicht fern. 34:
22. Lingquamque, ‚ventremque, yenereimgue ‚eomiprime.
Drey Sclaven lea’ in Eifenbande:
Den.Zrieb nad Füllerley, Die Zung und Fleiſches Luft;
23. Virtute fultus, vel ruat' cöelum, haud time,
er fih auf Tugend ftügt, "der zirters nicht,
Wenn auch des Himmel! Veſte bricht. '
24. Nom gratia ad pedcandum te ulla flexerit.
Um aller Welt Ganft — '
Vergib der Wahrheit, und dem Rechte — min v
25. Sero ultio gravissima venit impio.
Die Rache weilet nur —
Und ſammelt fih, und fammelt fich,
Und ſchlaͤgt und-triffe mit voller Kraft den Sünder;
26. Primas cave cupidinis foveas faces,
Die, Lieb” — eim fabrlich. Ding:
Bewache du den erften Funken; ,
Sonſt tödtet dich die Flamme.
27. Prudenter agito: viderit Deus nosteä!
Thu jeder, was er kann und foll:
Das Uebrige macht Mutter Furfiht wohl.
28. Sit linqua nata gratiae, et bonis dictis,
Dein Wort fey wahr und gut, und mild —
Der Liebe Ebenbild!
29. Simplex amico amicus'esto, et —
Sey deines Freundes Freund
Und fey’3 vonganzem Herzen.
30. Quod vivitur, vita est, probe si-V vivitur.
Der Böſe ſcheint zu uͤben nur:
Der Gute lebt allein.
12
3ı. Sapienti honestas lexest, libido lex est malls.
Das Gute nur, gebeut dem "Reifen: ;
Die Luft allein, dent Böſen. }
32. Superare fortunam potest, potens pati.
er leiden kann,
Kann Glü und Unglück überwinden.
35- Opinio animum saepius quam res premit,
Dein Wahn ift dein Defpot:
Er drückt dich oöfters, als der Druck von außen...
34. Prudens si, aberras recta, hominum esimiserrimus,
Mit Wiffen Böfes thun — .
Das größte Menſchenweh' auf Erde!
55. Ne crastino sperans, quod.omiseris hodie.
Heut ungethan — bleibt's morgen auch, uf.
36, Ut perfruare dulci, amari aliquid feras.
Bor Süß kommt Bitter,
Der Leidenskelch vor Himmelsluſt. >
37. Frugalitas viaticum vitae optimum.
Wer wenig zehrt, hat viel zu zehren.
38. Vt sol, modesta liberalitas nitet.
Die Großmuth obne Prunk, glänzt pie mild,
Wie's Sonnenlicht.
39. Quisque in malo alieno, in suo nemo sapit.
Der Menfh — ein Thor für ſich, für Andere Eiug,
Hat Rath für jedermann, nur nicht für fich.
40. Dies bene acta aevi instar est longissimi,
Ein Tag, ganz. gut gelebt,
Hat „hundert Jahre“ Werth.
41. Juventa bene instituta tibicen senii est.
Frommſeyn ın jungen Jahren —
Schaͤfft Sreudenöhl für alte Tage.
42. Quid stultius quam verti in hora saepius?
Der Thorheit Siegel
Iſt Unbeftand in Sinn und Neigung.
43. Sine mente cani, aetati sunt opprobria,
Ein graues Haar mit Unverſtand,
Ein Pasquil auf die Menſchheit!
44.
45:
46.
47.
45.
49.
51.
‚52.
53°
54.
fe)
'Cani latranti praeda facile elabitur.
Sm Bellen fallt dem Hunde
Die Beute aus dem Munde,
Jactura nulla gravior est quam temporis,
Die Zeit dahin, ‚der größte Schag dahın.
Verluſt der Zeit — Verluſt der Ewigkeit.
Rebus modus eoncentus est suavissimus.
Das rehte Maß in Mlem—
Die heblichite Mufik.
Haustus facile amor, cum labore —
Schnell bindet fih das Seil der Liebe: nur
Mit Todes Muh entrinnjt du wieder,
Ira impotens furor est, suique —— atrox.
Der Zorn iſt lahme Wurh,
Und wird ſein Henker ohn Erbarmen,
Non cujas, sed quis est, expedit te ostendere.
Dein Mund erzähle nicht, wober du biſt,
Dein Wandel fpreche, was du biſt.
Trudunt malo mali malum, boni bono.
Das Böfe drangt der böfe Mann mit Böſem fort,
Der gute Mann mit Gutem.
Metiri iniquum es commodo suo Omnia.
Die befte Wage trügt, wenn Eigennuß
Das Zunglein an der Wage neigt.
Enitere esse opinione probatior.
Sey immer befler, ald du fcheinft.
Sey immer beffer, als der Bere glaubt.
Communitati hominum debemus plurimum,
Der Menfhheit Schuldner ift der Menſch:
Er tragt die ganze Schuld nie ab.
Nil supra vires statuit homini Deus,
Was Gott auf deine Schulter legt,
Kann deine Schulter tragen.
55. Sic vive, tanquam omnis supremus sit dies,
So lebe jeden Tag,
Als ware er dein Sterbetag.
14
56.
57°
58
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59:
60.
61,
02.
63
64.
65.
66.
67.
Aequanimitas dit aerumnae. maxima Ban *
Ein gleicher Muth —
Das beſte Loos in ſchlimmen Tagen.
Sunt“mane'amici, 'vespere aversi mali.
Die Böfen'nennen fih am Morgen Freunde:
Der Abend töft den Morgenbund.- ©.
Oratiöiindex animi certissimus, : =:
Ein Herz, und viel Verrätherl ni:
Geberde, Miene, Blick und Gang berrathen viel:
Das Herzens⸗ Wort am meiſten!
Et verba et: opera foeda sunt venalia.
Der feile Mund, dierfeile Hand
Iſt von Natur geprägt — mit Scham und San.
Nil videt mens veritate pulcrius. Mn
"Die fhönfte Schönheit fieht,
Wer „Wahrheit“ ſieht.
Si non parentem fers homo,‘ quem alium feres? |
Erträat der Sohn den Vater nicht: REKEN
Wie wird der Menſch den Menſchen tragen 2 "N
Ineptius nihil est, quam inepta effundere.
Ausfhütien muß der Thor den Strom.
Der Thorheit. Denn die Weisheit fehlet ihm,
Und Weisheit ward, den Strom in [ih verſchlingen.
Omni aspide improba mulier lethalior.
Die Erde trägt man) giftig Ihier — ,
Das giftigfte: „ein böfes Weib‘.
Condimentum cibi esto fames, potus sitis.
Den beten Koch beſchreibt man nicht aus fremdem Lande:
Ihn bat der Hungrige in fi.
De se exigit, quod in aliis ira expetit,
Der Zorn will Andern fhaden,
Und fchadet ſich.
Mulcet superba lene verbum pectora.
Ein lindes Wort etwaffnet ſchnell
Den harten Sinn des Stolzen.
Qui possidet se, non qui opes, dives est.
Mer fich befißt, ift veich genug,
er nur viel Geld, iſt bettelarm.
; 5
68. Cauda⸗et capite mendacium graviter ferit.
Die Lig — ein Drache;
Er fchlägt mit Kopf und Schwanz,
Und trifft mit jedem Schlag.
69. Sapientia:animo splendet, ut oculis pain
as Sonnenlicht dem Auge,
Sit Weisheit dem Gemüthe.
70, Senex inops spectaculum est fristisstnunm,
Das graue, Haar des Armen —
Ein Schaufptel zum Exbarmen! Bi
71. Dies diei index, supremus omnaium,
Ein Tag enthüllt den andern,
Der lebte — alle.
73. Dulcis labor fit, praemii certus sui,
Der fichre Arbeitslohn: wir Ä
Gibt neue Schwingungskraft der müden Hand,
73. Aurum ignis examinat, amicum tempora,
Das Feuer prüft das Geht,
Die Zeit — den Freund:
74. Opinio imperat homini imperio gravi.
Der Wahn gebeut dem lan
Mir eiferner Gewalt,
75. Ut umdra, sicest oratio, —————
Das ——— ein Schatten an der Band —
Stets wandelbar. b
76. Virus. dilutum nectare assentatio est.
Den Todesbecher reiht die Schmeicheley,
Und überfchmiert den Hand mit Ööttertranf,
Convitia hominum turpium, laudes puta,
Der Böſen Läjterung
Iſt Lobgefang — dem Guten,
78. Facuhdus est comes viae compendium,
Ein Reisgefpann, beredt und froh dabey —
Macht aus vier Meilen zwey.
Ex — bono bona opera nascitur.
Ein weiſer Rath
Zeugt gute That.
77
79.
26
go. Sine mente dives, aureo aries est velere,
Viel Geld und Fein Verftand dazu —
Ein Schaf in geldner Wolle, 3
$ı. Infirmo eunt pede consilia hominis inopis,
Auf ſchwachen Beinen geht der Nath des Dürftigen ;.
Ein leifes Windchen weht ihn um. .
82. Tanti' aestima te, quantus es, nisi ‚desipis.
Sich mist der Weife nah dem Seyn:
Das Narren Maß ift Schein vom Schein.
83. Beneficii cito senescunt gratiae,
Oft wächſet ſchon im erften Jahr'
Dem Danfe — graues Haar.
84. Cui credere debeas, quid et quantum vide.
Schau fiebenmahl, und öfters noch, rt
Wem, was, wie viel zu trauen ſey!
85- Non laede quemquam; nam ira senescit tardius,
Verwunde niher -
Gereitzter Zorn ftirbt lange nicht.
86. In animo egestas atque opes hominum Sedent,
Nicht aufer dir, nicht um dich her, Inigk
‘ Sn dir, in dir darin —
Wohnt Reichthum oder Durft.
87.. Armatur sero galeä saucium caput.
Bor Wunde fhügen — Fann der Helm?
Die Wunde heilen — Fann er nicht.
98. Infestius nihil alteri est, quam homini homo,
Des Menſchen erfter Feind — der Menſch.
89. Injuriam inferre est ferae, ferre est viri,
Verwunden kann das Thier:
Der Mann den Schmerz der Wunde dulden,
90. Diversa studia odere cuncti, amant sua.
*. Der Künftler liebt nur feine KRunft — ——
Und fih in ih. y
ı. Aerugout aes, ita invidia est praecordia.
Am Eiſen frißs dev Roſt,
Der, Neid am Herzen.
92.
1?
92. Cote aurım, et auro probatur optime,
Der Prüfftein prüft das Gold:
Das Gold den Menfchen.
3. Nil tam celere, quod non amantisit morae, ——
Die fhnellfte Ele — »
Der Liede — lange Weile;
94. Desunt egeno multa, avaro omnia. B
\ Kiel fehlt der Armuth, u
Dem Geige — Alles. RER
95. Nos saepe fallunt nostra, recti Imagine,
Das Meine taufchet mich, das Deine dich:“
Es ift nicht vecht, und ſcheint Doch recht.‘
96, Fortuna vitri modo nitet ac frangitur. J
Was iſt das Glück? — Es glänzt wie Glas,
Und bricht wie Glas. ’
97. Monet sequentem, qui antecesserit. dies. „,,7
Ein- Tag des andern Lehrer: —
Ein Tag des andern Schüler. J
98. Oratione hominem aestimo, non — —
Die Rede zeigt den Mann,
Der Bart und Mantel nicht.
99. Spes praemü levat laborum sarcinam,
Die Hoffnung trägt dem Träger
Die größte Laft.
ı00. Matura modicum, Lin; immensum. n, cupit,, ,
Die Luft ift — Nimmerfatt,
Genügſam — die‘ Natur, —
101. Felicitas mortalibus ı ratissima, — BER
Ein Menfh — und, feligsfepn aD rat
Die erite Seltenheit auf Erde!
ı02. Quae olet lucernam, ea olet papyrus optime.
Des Weifen Lampe
Gibt feinem Buch — den lieblichſten Gerud.
103. Vis mole praeceps it sua, expers consilü.
Blind ftürzt die blinde Macht, ohn' ale Feindes Müh;
Ihr' eigne Laſt zertrümmert fie,
Sailers Spruͤche. —— 2
38
104. Minae et metus nihil integrum vitae movent.
Der Bdfe kann dem Guten droh'n:
Den Guten ſchrecken, Eann er nicht.
105. Plus scire quam loqui enitere, quisquis sapis.
Den nennt die Weisheit weife, der
Viel weiß, mehr thut, und wenig fpricht.
"106. Dolere nil, rigidi animi est, mollis nimis.
Zu weich, ift weibifih.
Zu hart, ift hölzern.
/ } St Zn
107. Amentia est deterrima invidi,
„Hier wohnt der Neid:“
So ſteht geſchrieben auf dem erſten Platz
Sm großen Narrenhaus. ’
108. Ingens labor mendacis, omnia fingere.
Der Lügner hat ein ſchweres Tagewerf ;
Muß immer Lug und Trug vereinen, und
Für Lug und Trug gibt's Feine Kitte.
Se vincere, optima omnium victoria est.
Der fhönfte Lorberkranz —
- Dem Selbftbefieger!
. Mortalis homo, mortalibus ne confidito,
Du fterbli unter Sterblichen,
Verlaß dich nicht auf Sterbliche.
Nil optimum pulcrumque sero discitur,
Zu grau zum Lernen — ift fein Haar;
Nur fey die Lehre Hut und wahr. -
112. Curat prius se, deinde rem, quisquis,sapit,
Du biſt an dir das Befte:
Leib, Decke, Ehre, Geld ift weniger als du:
Sorg erit für dich, für's Uebrige hernach.
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Quod non potes vitare, fortiter feras.
Was nicht die Fleine Kraft vermag zu meiden,
Das Eann der große Muth erleiden.
BEN Modestus esto aeque in jocis ac seriis.
Nie fehle dir Befcheidenheit im Scherz und Ernſt —
Das Brot bey jedem Mahle.
113..
115
.
210.
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118.
110»
120.
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122,
123.
124.
8
Secreta amici conde thesauri loco,
Was dir dein Freund vertraut, |
Sey dir wie Schaß im Herzen hinterlegt! f
Plus quam labor, desidia corpus conficit.
Die Arbeit zehrt am Leibes Kraft:
Der Mufligaang noch mehr.
Virtus relicta tristitiam animo parit.
Wer von der Tugend fceidet,
Der gibt den Scheidebrief der Freude.
Plenum theatrum est vir bonus viro bono.
Dem Guten füllt der Gute
Den ganzen Schauplaß aus.
Qui adversa nescit, prorsus homo miserrimus est,
Recht elend ift der Menfe,
Der nichts um's Elend weiß.
Exigua res fit maxima, data tempore,
Das Eleinfte Ding an feinem Ort —
Thut große Wunderdinge.
Felix, alieno periculo quisquis sapis!
Mer weife ift, gewinnt und lernet überall:
Des Nachbars Ihorheit made ihn weife,
Und fremde Armuth reich.
Bona ut a bonis oriuntur, ita mala a mälie;
Der gute Baum bringt gute Frucht:
Der fchlechte, ſchlechte
Leve est dare consilium, arduum se.noscere.
Wer Andern rath, ſchwimmt abwärts mit dem Strom:
Wer ſich erforfcht, ſchwimmt aufwärts gen den Strom.
Hostis timendus, quamlibet pusillus est,
Verachte nie den Eleinen Feind:
125.
126.
Ein Eleiner Feind kann großen Schaden thun.
Non fers apes, non mel profecto linxeris.
Wer Honig will, muß auch die Biene dulden.
Kein Aerndetanz, wo Eeine Saat,
Est ‚servitus cupidinis durissima,
Kein Sclavendienft — fd felavifch, wie 3
Der blinden Liebe Selavendienft.
2#
20.
RR
127,
228.
129.
150.
131.
Cum naufrago fac connatet viaticum. *
Sud dir ein Reiſegeld, das nach zerbrochnem Schiff”
Uns Land mit dir noch fhwimmen Eann. “
Die Neifegeld heißt: Gottesfurge.
Impune peccans omnium est miserrimus,
Wer Böſes, ungeftraft, auf Böſes hauft,
Der trägt, bey Subelfang und Klang,
Der reichfte Leidens - Quell in fi.
Maledicta dissimula, atque vives hilarius.
Laß manches Läfterwort — die Luft verwehn:
Dann magft du heitre Tage fehn.
Contempta tempore, saepe crescit gloria.
Der Ehre Dunft — mit, großem Sinn verſchmäht,
Pflanzt beffre Lorberreifer.
Honesta egestas pompa inani pulchrior.
Gut feyn und arm dabey — ift fohöner als.
Der fhönfte Slitterftaat des Thoren.
132. Alias mora molesta: est fallens molestior.
Wer harren muß, bat viel Verdruß:
Noch mehr, wer nichts erharrt.
Ipsis neque hostibus feceris injuriam.
Mas Unrecht ift, ift ewig — Unrecht: '
Thu's auch am Feinde nicht.
Largissimis affluit opibus nitida fides.
Mer Treu und Glauben bat,
Hat Geld genug
nr ⸗
. N . —9 %
. Fortuna quo arridet magis, magis time. |
Der Weife wacht
Nie mehr, als wenn das Glück ihm lacht.
. Nil poenitendum feceris, consulto agens.
Geht reifer Sinn den Thaten ftets voran:
So geht die Reue nie den Thaten nad).
137.
Est poenitudo sponsionis Filia.
Viel Neue arndet,
Wer viel Verfprechen ſäet.
138.
139.
140.
‚141.
142.
143.
144,
145.
146,
147.
143.
149.
21
Non vis tua edi consilia, ne proferas.
Soll dein Geheimniß ein Geheimniß bleiben?
So halt es du zuerft geheim. 4
Frustra expetuntur, quae impetrari non queunt.
Laß unverlangt, was unerreichbar ift.
Persaepe, quae serunt alii, alii metunt.
Es ift die Hand, die fü,
Nicht allemal die Hand, die mäht.
Nil rege justo pulcrius sol aspicit.'
Ein guter Fürſt — das Köftlichfte auf Erde: ,
Sein Zepter ift Gerechtigkeit, \
Geſetz fein Thron, Volfsliebe feine Burg.
Frustra sapiens sapit, ipse sibi si non sapit.
Wozu das Licht in deiner Lampe,
Wenn es im Dunkel dir nicht Teuchter ?
Amore crescunt imperia, ruunt metu.
Die Liebe baut das Reich, die Furcht zerſtört's.
Amittes maxima, minima si contempseris.
Das Große wird’8 durch Kleine:
Mer Kleines nicht bewahrt, hauft Großes nie.
Delibera tarde, perage quam ocissime.
Sn Ueberlfegen — eile nit:
Sn Handeln — zogre nicht.
Scire et sapere, viaticum in vita optimum,
Nicht wiffen nur, auch weife fern — -
Das befte Erbetheil für deine Kinder!
Audire vis bene: abstine male dicere.
Um frey von Lafterung zu feyn,
Sey du zuerft Eein Lafterer.
Lite abstine, nam vincens, multum amiseris.
Der Weife meidet Zehd’ und Zank,
Denn aller Sieg ift Niederlag’
Und der Gewinnft — Berluft.
Praestat mori, quam vivere turpiter.
Das Schredlichite, der Tod —
Sit nicht fo ſchrecklich für den Guten, ale
Ein Leben wider Pflicht, _ r
1 \
2
250.
151.
152.
256.
157.
158.
359.
‚260.
261,
Si urget necessitas, pericla periclo adi.
&x 9
Im Nothgedränge wird
Gefahr beſieget durch Gefahr.
Omni harmonia vox est amici dulcior.
So lieblich tönt kein Saitenſpiel,
Wie Freundes-Stimm’ in Freuͤndes-Ohr.
Grave decipi ab alio est, a se gravissimum.
Betrogen feyn von Andern — gräbt ins Herze tief:
Noch tiefer: Selbftbetrug.
Nulla invidiam et avaritiam requies fovet.
Wo Neid und Geitz, da feine Ruh’.
Si sors te evehit, prioris es vitae memor.
Wenn du die höh're Stuf’ erftiegen haft,
So den: ich flieg don unten auf.
. Ad gratiam oratio, laqueus est melleus.
Nur reden, was gefällt, ift füß wie Honigfeim:
Sm Honig liegt der Tod.
Poena gravi ipsum uleiscitur sese scelus.
Die Sünde — rächet ſich
Am Sünder fürdterlid.
‚In supplicem qui saevit, saevior fera est,
Wer graufam drückt den lebenden,
Der tragt im Menſchenleib' — ein Tiegerherz.
Moeror voluptatem usque sectatur comes.
Zrabant der Wolluſt — Bitterkeit.
Felix is est, peccare qui minimum potest,
Ohnmächtig zum Böſen feyn —
Macht feliger als alle Erdenmadt.
Habeto opes: haberi ab illis praecave.
Befige du dein Geld und Gut:
Dein Geld und Gut — nit did).
Audere plus, loqui minus fortis viri est.
Der Tapfre läßt für fih — die Thaten fprechen,
Der feige Prabler — nur, die Worte.
162.
163.
164.
265,
166.
167.
168.
171,
172.
073:
28
Metire censu impensam et arca, si sapis.
Was ift fhon da? Wie viel kommt noch herein?
So fragt die Klugheit: dann erft gibt fie aus.
Agenda meditare, acta mox examina.
Zwey Fragen find dem Weifen heilig:
Die erfte vor der That: Was foll ich thun?
Die zweyte nad) der Thar: Iſt's wohl gethan?.
Curiosius aliena scrutari abstine. _
Stets ſchau in dir, und deinem Kreis umber:
-Dann lauerft du nie auf mid), und nie auf Andere.
Vitato ut hostem temeipsum, si es malus.
Der Böſe hüthe fih vor feinem eriten Feinde:
Sein erfter Feind — ift Er.
Hi vera dicunt: ebrii, fatui, pueri.
Der Raufh, das Kind, der Wahnfinn —
Drey fichere Wahrfager.
Beneficia senescunt, virent injuriae,
Die Wohlthat fpricht: ich Altre bald,
Das Unrecht: Tange bleib’ ich frifh und jung.
E re sapientis est, negligere rem in loco,
Der Weife läßt den Stein. an feinem Orte ruhn,
Den er nicht heben kann:
Die Thoren rütteln dran.
. Nil suavius, quam audire vera ac dicere.
Die Wahrheit treu gefagt, und gern gehört —
Das Lieblichfte im Nebel Lande.
. Subito in periculo consilium rapidum valet,
Sn fihneller Noch gilt ſchneller Kath.
Invito et id, quod est facile, difficile fit.
Die Luft macht Schweres leicht,
Unluſt macht Leichtes fhwer.
Par est lucrum damno, improbis partum modis.
Gewinnft mit Sünde — fein Gewinhft:
Verluſt vielmehr, Verluit des Allerbeften.
Id optimum est, quod.fit vetustate melius.
Mas Feine Zeit zerftört, kein Grab verfchlingt,
Was ewig:gut und ewig-fhon, und ewig-wahr ..
24
174.
175.
176.
—
177.
178
170.
180.
181.
182
183.
384.
Sm Schoof ber Ewigkeit ſich ganz enthüllt,
Das ſey dein höchſtes Gut! N
Nullus gravior hostis, quam amicus subdolus,
Ein falfcher Freund r
Dein ärgfter Feind.
Necessitas rerum omnium potentissima,
Die Noth bricht Eifen. ie
Vindicta felix, potuisse ignoscere,
Nur Eine Rache macht dich ſelig —
Die Rache heißt: Verziehen haben, .
Wie Gott verzeibt.
Ni servum ineptum vis, cum eo abstine a jocis,
Dein Diener wird dein Herr, k
Wenn du mit ihm — nur Kurzweil treibft.
Obest nihil, bis dici, quod bene dicis,
Die Wiederhohlung fhader nicht,
Wenn du nur Gutes wiederhohleft,
In cor malum Sapientiae haud aditus patet.
In veine Herzen ſenkt — die Weisheit fi) herab:
Wer Unrecht thut, hat ihr den Weg verbaut.
Non tam rei quam animo debetur gratia.
Das Herz des Gebers macht die Gabe Dankes-werth:
Die Gabe nicht das Herz.
=
Non verba mulcent dulcia, quem torquet fames.
Der Hunger hat Fein Ohr für ſchöne Worte:
Nur Speife ftilfee ihn.
Peccare bis id ipsum haud sapientis est viri.
Pie ſtößt der weife Mann
An Einem Steine fih — das zweyte Mahl.
Nox consilium gignit, dies operam exigit,
Zum Ueberlegen taugt die ftille Nacht,
Das Licht des Tages zum Vollführen.
Manum cedenti da, viam monstra libens,
- Gern reich dem Fallenden die Hand,
Bern zeig dem Irrenden den Weg.
1306.
187.
191.
192.
193-
194.
1095.
Heißt zweymahl fiegen.
Arey Dinge find ſehr hart zu — 2
25
5. Mores latentes tempus educit foras,
Die Zeit enthüllt,
Mas Kunft verhüfft + 1
Das Snnerfte verrath fich durch das Yeußere.
Audire nihil est surdius nolentibus.
Nicht hören wollen — macht auch taub;
Und diefe Taubheit heilt Eein Arzt.
Populum, ignem, aquam cohibere difficillimum
est,
Das Waffer, Seuer, Volk. ;
„ Ut quisque loquitur ore, ita audit auribus.
Wie deine Zunge fpricht, fo horcht dein Ohr.
. Divinus animus morte non corrumpitur.
Der Tod Eann nur den Leib aus Erde, tödten:
Den Geiſt aus Bott, erreicht Fein Todespfeil,
Non fruitur haeres tertius turpi luero.
Manch zeitlich Gut läßt fih dur Sünd' erwerben,
Kommt aber felten, an den dritten Erben.
Furentem amicum fer, sedatum corrige.
Ergrimmt dein Sreund: fo trag ihn mit Geduld;
Set fi die Wuth : fo firafe feine Schuld.
Incuria est opulentiae dulcis soror.
Des Reichthums Schweſter —
Heißt: Unbeſonnenheit.
Ut anchora navem, ita stabilit regnum aequitas.
Der Anker halt das Schiff,
Gerechtigkeit das Reich — im Grunde feft.
Domesticorum inimicitiae gravissimae,
Ein Haus, viel fhwere Kriege,
Wenn Zanf und Spalt die Glieder trennt,
Si cesseris, dum viceris, bis viceris.
Recht-haben und aus Großmuth nur, ara laf:
en —
26
196. Sermo omnibus, sapientia at paucis datur.
Woran gebrichts den Sterblichen?
An Worten nirgend:
An Weisheit überall.
197. Nil sanctius quam inter malos bene vivere.
Im Feuer unverbrannt —
Sm Chor der Böſen gut,
Iſt nur der Heilige.
198. Nihil ab irato fortiter fieri-potest.
Nichts Männlich thus der Mann im Zorne.
199. Fit sponte similis somnolentus mortuo.
Gern ift der Schläfrige ein Bild des Todes.
zoo. Fit arte mite, quidquid est ortum rude.
Die Kunft gibt "politur : :
Den rohen Stoff — die ſchaffende Natur.
201. Si recte feceris, comitem habebis Deum,
Geh immer auf der Bahn des Guten:
Dann geht der Belte flets mit dir.
202. Vis magna legis, judicem si habeat bonum.
Viel Gutes fhaffer das Gefer,
Wenn gute Richter das Gefe beleben.
203. Immane corpus est, sed absque corde plebs.
Das Volk, ein Ungeheur von Leibes-Groͤße:
Ihm fehler nichts als der — Verftand,
204, Praesente vi, lex robur amittet suum,
Mo die Gewaltfamfeit ins Reben tritt,
Da ſchlägt die Todesſtunde des Gefeges.
205. Ita aurum homines, ut implicant ie alites,
Der Vogel bleibt am Nese,
Der Menfh am Gofde bangen,
206. Oculis, voluptatis ministris, impera,
Die böſe Luft gebeut dem Auge;
Gebiethe du dem Auge;
Dann magft du aud der böfen Luft gebiethen.
207. Tranquillitas ubi adest, procellas prospice,
Das Meer ift fchlafend auch ein Meer:
Drum fey die Stile dir — des Sturmes Botbe-
208.
209.
210.
211.
212,
213.
27
N
Cum nullo convenit, qui a sese dissidet.
Uneins mit fi, uneing mit aller Welt.
Ea stude facere juvenis, quae probes senex.
Das fol der Küngling thun, und das alleın,
Was ihm, als Greife noch, wird edel feyn.
Medicina corporis, animae esto puritas.
Halt deine Seele rein und ftill:
Dann ift fie deinem Leib’ — ein guter Arzt.
Cum lin gua aberrat, vera saepe nunciat.
Der Zunge Stottern “
Verraͤth gar oft des Herzens Grund.
'Aetatis est flos somnium brevissimum,
Der Jugend Blüthe —
Ein Eurger Traum der Nacht.
Luxus corpus conficit, animum multo magis.
Schafft, deutfches Vaterland, den Lurus fort —
Den Mörder deiner Kinder!
Er fpannt die Sehnen ab,
Er faugt das Mark aus den Gebeinen,
Und frißt am Ende — dir das Herz!
25
Bi.a a
Ludov. Vivis Symbola Sapientiae,
Des Ludwig Vivis Spräde der Weisheit.
1. Scopus vitae Christus.
Die Eigenliebe bezieht Alles auf fi, der Chrift Alles
auf Chriftus, Er will ein Ebenbild Ehrifti werden, wie
Chriftus ein Ebenbild des Vaters war. Ehriftus Reich —
fein Zweck!
2, Pax Christi,
Der wahre Friebe ift eine Gabe unfers Herrn: : er beugt
die Sinne unter die Vernunft, und die Vernunft unter
feinen heiligen Geift. Der Wille des Menfchen folgt dem
Zuge feines Herrn,
$ Unum necessarium,
Eines ift nothiwendig, — Gottes Willen Eennen, adj
ten, thun. Ä
‚4. Omnia proposuit labori Deus.
Wo des Menfchen Hand ehrlich arbeitet, da fegnet Got⸗
tes Hand reichlich. O Menſch! fey treu in dem, was dir
der Herr ſchon anvertraut hat; dann gibt Er dir, was du
noch nicht haft. Bon Einer Güte, die nicht müde wird
zu geben, und durch eine Treue, die immer empfangen
Fann, und jede Gabe wohl anwenden mag, Eommt Alles
Gute in ar Welt.
5. Splendor summus non intuendus.
Der höchſte Glanz ift nicht für unfer Auge — forfihe
nicht in den unerforfohlichen Tiefen der Gottheit, fordern
bethe an, und ahme dem nad, den bu anbetheit.
29
6. Quod Deo, et’Homini (placeat,)
Was der Herr thut, das ift wohlgethan — im Auge
— guten — Des Herrn Wille — iſt des Knech—
tes Sinn.
7. Bonis omnia in bonum,
Dem Guten wird Alles zum Guten — dur die All:
Liebe des Beſten.
8. Deo imperium, homini consortium,
Greif Gott nicht in die Rechte feiner Regierung ein,
und kränke deinen Bruder nicht in dem Re dein
Bruder zu ſeyn — ein Menfch wie du,
9. Animo corpus fulciendum,
Wird dein Knie laf, und deine — matt: fo örte
‚den finkenden Leib der Geift, und den finkenden Geift der
Glaube — and Beffere, das unmwandelbar, und unüber—
en Kurz: die Religion flüge den Geift, der peit
den Lei
10. Faciem ne aperias, manum per frontem ne > dueito,
Heilig fey dir dag heilige Roth der Scham! Die Farbe
der Scham ift die Farbe der Unſchuld. Weh dem Höllen-
hauch, der fie von der Wange verfheuher!
11. Bona ad bene faciendum.
Das Gute ift de, zum Saccethun⸗ u Gabe zum
Geben. .
12. Fotentiorem in te ne ädinittito,
Laß feinen Maächtigern,. als du bift, in dein Haug hers
ein. Leidenſchaft, und jede bbſe Angewöhnung find mas
tiger, als du: darum laß fie nicht in bein Ger herein,
13. Comoedia. vita humana,
Das Menfchlenleben — ein Schauſpiei. Jedet re
nur eine Weile. Dann tritt er ab, und macht -einein an«
dern Spieler Plaß. Spiele du deine Rolle gut; um alles
Uebrige fey unbekümmert.
14, Inter spinas calceatus.
Zritt nie unbeſchuhet auf die Dornenpfade; wandfe
behuthfam unter deinen Feinden ; bewaffne hie zum vor⸗
aus auf die Tage der Leiden.
18
.
19
22.
Exilium inter malos.
Unter ſchlimmen Menfhen leben mäffen, heißt ins
Elend verjagt feyn. Das rechte Elend ift nihe im Win:
£el außer deinem Vaterlande; es * in Mitte böſer Men—
ſchen — für den Guten.
Lupus mendacio tempus.
Die Lüge wird nicht alt; die Zeit frißt ſie, wie der Wolf
das Schaf.
Magnus ope minorum.
Der Große iſt es durch die Kleinen — gilt nur von der
aͤußerlichen und zeitlichen Größe. Denn innere, ewige
Größe iſt, was ſie iſt, durch den Größten.
Scopulus in undis (esto).
Dein Geiſt ſey unentweglich in Leiden und in Freu
den, ein Fels im —
Non refert qua, sed quo.
Es kommt bey dem Pilgerleben nicht auf die —
an, von denen du kommeſt, oder durch die du reiſeſt, ſon—
dern auf den Zielpunct, wohin du veifeft.
Man Eann und fol überall rechtſchaffen handeln. Gut:
ſeyn fey überall dein Zweck! \
. In voluptate dorsum, non faciem.
Sieh immer auf das, was die fortgehenbe Wolluſt
zurück läßt, und nie auf das, was die kommende verheißt.
Sie verheißt Paradies, und gibt Hölle.
Virtus citra fortunam valida.
Die Tugend bat eine eigne Macht und Herrlichkeit,
und bat fie auch alsdenn noch, wenn alle zeitlihe Macht
und ——— dahin iſt; und hat ſie auch alsdenn noch,
Ein alle wide Macht und Herrlichkeit wider ſie los⸗
rmet.
Felicitas unica, intus nil strepere.
Geräufchlofe Stile im Innerſten — das rechte Men:
fhenwohl auf Erde! 4
. Oculum in metam!
Washernadt
Hinaus mit dem Blicke auf das Ende! Sieh auf die
Zufunft, damit dich die Gegenwart mit ihren Reitzen
nicht hinterlifte, mis ihren Laſten nicht unterdrüde,
&
24. Nullus sine linea dies.
Immer vorwärts, und um immer vorwärts zu kom
men, nur nie file geftanden !
25. Ne a pudendo vincaris hoste.,
Laß Eeinen niedern Feind über dich fiegen. Sey alſo
Eein Sclave der Wolluft, des Zornes, des Geldgeiges, der
Trunkenheit, ver Eitelkeit. Denn dieß Alles ift dein Feind,
und ift nieder, unedel.
26. Harmonia interna,
Die rechte Mufif ift im Menfchen darin. _
Wo Einklang des Herzens mit dem heiligen Gefeke,
da die rechte Harmonie zwifchen Gott und dem Men
ſchen, da die ſchönſte Mufik,
27. Ne bis puer.
Sey wenigftens im grauen Alter weije.
Sonft bift du, das zweyte Mahl in den Stand der Uns
mündigfeit getreten.
38. Diarii omnes.
Wir Menfchen find eitel Mein Kinder
von etlihen Stunden, geben ſchnell vorüber.
29. Dacoecus, accipe oculatus,
Denfe nicht an die Wohlthat, die du Andern erweifeft,
denfe an bie, welche du von Andern empfangeſt.
30. Ex usu, non collatione fortuna aestimatur.
Miß dein zeitlihes Wermögen nicht nad dem, maß
Andere haben: fondern nad) dem, was du bedarfit.
‚31, Virtus instar omnium. -
Gutſeyn beffer als Alles, und ein Erfaß für Altes.
Denn, wenn Gott für uns, wer wider uns ?
32. Foris Argus, domi talpa.
Es gibt Menfchen, die hundert Augen für fremde Feh—
ler haben, und Feines für eigene.
Sey du lieber ein Argus für deine Fehler, die du ver⸗
beffern folft, und ein Maulwurf für fremde —
die du nicht heilen kannſt.
33. Magnum hospitium magni hospitis. .
Verachte aud die niedere Hütte nicht, im der ein ho⸗
her Abkömmling wohnt. Der Gaſt adelt das Haus, der
©
”
Geiſt — den Leib Sets — den Temp el.
. Gottes Tempel. —— p Denn wir ſind
ii Veritas temporis filia ER RR
Die Wahrheit — ein Kind der Zeit. Und Über -jede
Wahrheit, die noch im Grabe liegt, hat: Gottes Finger
die Grabfihrift gezeichnet: Meut oder morgen ftehe ic)
** Grabe auf⸗ und ſinge late — mein großes Halle:
ujah!
35. Bellum cum vitiis.
Ein Krieg iſt uns allen gebothen, und faſſet in ſich den
ganzen Beruf des Erdelebens . s.. der Krieg des Guten
. wider das Bofe, des Lichtes wider die ‚Sinfemip, der Per
ligen Liebe gegen die Eıgenliebe.
36. Froenum in lingua.
Der Zaum gehört für die Zunge — —
— Die Geiſſel auf den Rücken des Thoren.
37. Non quam diu, sed quam bene.
Wer recht thut, hat lang genug gelebt.
38. Sans intus et exterius. |
J— a ——— im geſunden Leibe! — Dieſer
unſch umfaſſet Zeit und Ewigkeit — das
des Menfhen .. game DER
39. Mendaci non creditur, et jurato. —
Selbſt der Eidſchwur findet keinen Glauben im Munde
Ho des Lügners.
40. Satis hoc, contento. “
Auch as Wenige " genug, für den, der nie mehr -
verlanget. nal
41. Murus aheneus — sana conscientia. _
Ein gutes —— die rechte ae des Mens
ſchen . 33
42. AL tibi venerabilis,
® ‚gabe Ehrfurcht vor dir Be: are, Gottes Bild in
ir!
43. Fastigio caput —
Neige dich vor dem Höhern, und beuge dich tief vor
dem Beſſern. Ehre, dem Ehre gebührt.
—
44. Fi-
44.
45
.
I 33
Fideli nullae serae.
Keim Schloß für eine freue Hand, i
Alle Schage der Erde. waren <= auch: unbewahrt = = vor
ihr ficher. ip nt
Misericordia venalis, ein.
Ein theures Erbarmen, das nit vom Elende gewecker
werden kann, ſondern mit Geld gekauft werden muß, und
nur von dem Meiftbiethenden erkauft wird.
46.
47.
43.
Majores superbus, minores moestüs spectat.
Der, Stolz jieht aufwärts zu den Grbfern, um fi
böber zu ſchwingen;
Der Kummer — abwärts zu den Geringern, um fich
in ihrer Mitte zu tröften.
Parvo fames constat, magno fastidium.
Der Hunger läßt fih mit geringen Koften ftillen; aber
um durch wohlbejeste Tafeln ſich Ekel, und Graͤuſen und
Tod zu ſchaffen, dazu gehört viel Aufwand — und noch
mehr Thorheit.
Quod invenisse pigeat, ne quaeras.
Wozu finden wollen, was der Mühe des Suchens nice
lohnt?
49.
50.
AB,
Veritati splendor comes.
Die Wahrheit verräth fih am Lichtſtrahle; denn das
Licht ift ihr Geſelle.
Ebrietas nec madida, nec sicca.
Es gibt einen zweyfachen Rauſch? einen naſſen von
Wein, und andern berauſchenden Getränken; einen trocke—
nen, von den herrſchenden Leidenſchaften. Die Weisheit
warnet vor beyden, und der s.Ktuge laßt fi) vor BRD
warnen.
Justitia gratuita.
Es ift ungerecht, nur um des Lohnes willen gerecht
feyn. Denn wer bloß um des Lohnes willen recht thut, ver
wird um des Lohnes willen auch Unrecht thun. Der Lohn
it fein Gott, und Lohnſucht feine ganze Gerechtigkeit.
Tantum scis, quantum operaris.
Wer das Sure, das er Fennt, auch thut, der weiß erft
recht, was gut iſt. Und deßwegen fey das Rechtthun der
Maßſtab deines rechten Wiſſens.
Satlers Sprüde. 3
34 | v
53. Suspicionibus securis. -
Nähre den Argwohn nit: baue ihm fogfeich mit dem
Schwerte den Kopf entzweps Denn diefe Art von Ziver-
gen erwächſt in — Ei
54. Extorquet quies.
Was die Gewalt nicht erftürmen —* das erobert die
ſtille, ruhige Größe — ohne Zwang.
55. Malum occultum perniciosissimüm.
Die Peft, die im Geheimen ſchleicht, verpeftet ungekannt
— nur deſto mehr. Darum iſt es Wohlthat, fie bey den
Pflegern der öffentlichen Geſundheit anzugeben. Aber
hüthe dich, daß du nicht etwa den weiſen Arzt ar Peſti⸗
lenz anklageſt.
56. Maximae opes, prodesse.
Wohlthun — der beſte Reichthum. au die Wohlthas
ten bilden eine Leibwache um den Wohlthäter, und [hs
zen ihn in den Tagen der Mouth,
57. Cogitatum quis coget? Vis veritatis.
Der Gedanfe ift ein Sreygeborner; er Fennt Feinen
Zwang, ald den der Wahrheit, — und ben des- heiligen
Gefeges, denn auch dieß ift Wahrheit. \
58. Blandum imperium imperiosum,
Die Milde im Gebiether, gebiethet am meiften.
59. Fortuna nimis 'blanda, hamata
Die Schmeicheley des Glückes ift ein verfteckter Anger
für dich: der forgenlofe Anbiß tödtet. ...
60, Sal vitae amicitia.
Freundſchaft — eine Würze des Lebens, macht auch das
Ungenießbare genießbar, und das Schmackhafte noch
ſchmackhafter.
61. Temporis parcus dispensator.
Haushalte mit der Zeit, geige mit Augenblieken, ver-
ewige den flüchtigen Zeitpunkt,
62. Domitrix omnium, patientia.
4 Die Geduld bändigt das Unbändigſte — — — das
trotzige Menfchenherz.
EEE
68.
64.
65.
78.
35
Tibicen fortunae virtus. |
Was der Pfeiler im Gebäude, das ift die & Tugend im
Glücke. Sie allein, fteht feſt, und ftüßet das wunfende
Glück — und halt am Ende, wenn alles Glück N iſt,
dich noch.
Non extorquebis amari.
Mienen, Geberden, Worte magft du erzwingen; die
Liebe des Herzens erzwinget kein Zwang. Das wen Bu
diget — wen es will, -
Oculos in pectus!
Das Auge auf die Bruft! * zuerſt Bid ſelbſt ken⸗
nen. Sn dir drückt ſich die ganze Menſchheit ab. Wer ſich
erkennt, erkennt den Menſchen ... wo er ihn ſieht, +»
in ſich und Andern,
Magnum satellitium amor.
Liebe des Volkes, die ficherfte Leibwache des Bären
. Miserrimum, — pendere.
Das Traurigfte im Menfchenfeben ift: ——— Furcht
und Hoffnung ſchweben.
Immodica imbecilla.
Wo Eein Maß, da Eein Beſtand. Jede überfpannte.
Größe, ruht auf fteilen Felſenſpitzen — das nächſte Wind»
ben ftürzt fie in den Abgrund herab, und die Trümmer
zerſchlagen Menſchen, Thiere, Huütten.
Confid e-recte agens.
Zuverficht gedeiht nur im Garten des Rechtthuns.
. Vieit vim virtus.
Gewalt fieget über Gewalt; die Tugend aber —
tiget auch die ſiegende Gewalt,
‚ Praesidium iA RN
Unfhuld fhüst mehr als Aller Dei denn
Gott iſt mit ihr, und wer unter Gottes Schutze wohnet,
der wohnet ſicher.
Stulta de alienis superbia.
Der Thor nur prahlt mit fremden Gute. Alfo ift aller
Stolz Thorheit; denn alles Gut iſt — im Bande, em⸗
pfangen.
&
35
73. Pertuso dolio nihil infunde,
4
77
78
.
7%
90.
8ı.
Gib dem Verfhmender Fein Geld, vertraue dem
Schwager fein Geheimnif, überlaß dein Herz Feiner Lei⸗
denſchaft; denn alle drey ſind Be los.
Fasces, fasces.
Große Würden, große Blirden. Kein Gold drückt ſo
ſchwer, als das der Königs-Krone. Es glänzt nur für
unſere Augen, drückt nr das Haupt deflen, ver fie tragt. |
‘Ne ferrum igni. |
Gib dem Zornigen Fein Schwert i in die Hand; denn er
kann es nicht regieren.
Hospes, ne curiosus,
Sich in die Geſchäfte des Hauſes mengen — gehört
nit zum Gaſtrechte.
Cujus poenitebit, taedeat; cujus pudebit, pigeat.
Mas Reue und S Scham zeuget, das iſt Böſe; was nie
gereuende Luſt gewährt, und ein Wohlſeyn zeuget, deſſen
ſich der Reinſte nicht zu ſchämen bat, das ıft gut. Das
Gute thun, und das Böſe meiden — darin befteht die
ganze Gerechtigkeit,
Difficilis gloriae custodia.
Es iſt leichter den Ruhm erwerben, als den Ermorbes
nen zu bewahren. Beſchneide du ihm die Flügel: fonft
fleugt er davon; d. i. werde du immer Ehr: würdiger,
und fieh nicht auf den Dunft der Ehre.
Et pilo sua umbra.
Auch ein Hürden bat feinen Schatten. Nichts ift fo
geringe, das div nicht nüßen, oder nicht ſchaden Fann. .
Mendacio comites tenebrae,
Alle Lüge ift ein Nachtvogel — und Sinfterniß fein Ge⸗
fpann.
Praecipitis consilii assecla Poenitentia,
Mer ohne Ueberlegung zu Werke gebt, geht nieallein;
denn Reue ift fein Gefährte.
82. Tene certum in incerto,
Ringe nach der Tugend, denn diefe fteht feft in Mitte
des Flühtigen. Ehre den Geift im Menfchen, denn diefer
ift unfterblich im Sterbligen. Halt dich ganz an Bott
83.
84.
&
86.
87.
88.
89.
90. |
91.
92,
37
allein, denn fein it der unſterbliche Geiſt des Menſchen,
und die unſterbliche Tugend iſt ſein Geſchenk.
Voluptas malorum esca.
Blinde Luſt — die einzige Lockſpeiſe des Böſen. Denn
das Gute treibt nur die Guten; der heilige Geiſt — die
Kinder Gottes.
Magnes amoris amor.
Liebe weckt Liebe. Liebe zieht an; Haß ſtößt zurüd,
Publica persona privatam depone.
Als eine öffentliche Perfon gehört du nicht dir, fons
dern dem gemeinfamen Wohl Aller, zu. Darum vergif
nur nicht, daß du eine öffentliche Perfon bift; dann han⸗
delſt du gewiß edel. Denn nur der Unedle ſuchet ſeinen
Nutzen, der Edle den Nutzen ſeines Volkes.
Oculus vitae sapientia.
Die Weisheit — des Lebens Leuchte. Ohne Weisheit
ift alles Menfhenthun bloßes Tappen im Finſtern.
Antidotum vitae patientia.
Die Geduld — der befte — denn leben
heißt — leiden müſſen.
Fortitudo in fortunam, non in homines.
Der Selbſtüberwinder iſt ein Held. Menſchen tödten
kann auch ein Thier; ſich ſelbſt — nur der edle
Mann.
Bopulo cede, non pare.
Ausweichen dem Pobel muß man; denken wie der Poö⸗—
bel, das darf man nicht. Wer zum Pöbel gehört, denkt
wieder Pöbel; der Weife weichet zuerft dem Pöbel aus
— am Ende weifet er ihn zurecht.
Fidens, non confidens.
Nie ey dein Herz ohne Hoffnung; aber beine Hoff-
nung ſey ſtets ohne Frevel und Troß.
Amicus, ut non alius.
Liebe deinen Freund, als wenn er nie dein Feind wer’
den Fönnte.
Inimicus, ut non idem.
Liebe deinen Feind, als wenn er jeden Augenblick dein
Freund werden könnte.
»8
93
9.
\
3%
ws.
6.
nad]
97:
Virtutis radices altae.
Die Tugend fteht feit, denn fie hat 5* Burj im
Mittelpuncte der Ewigkeit. Die Güter der Zeit hängen
nur an der Oberfläche, und wanfen hin und ber, und
werden von der Zeit verfhlungen, die fie gebahr.
Expende.
Wiegs, dann wags, ſagt dag, deutſche Sprichwort.
Nicht der Schein, nicht das Hörenſagen, nicht die Men—
‚ge der Urtheilenden, nicht. deine Neigung: fondern das
Bewicht der Sache ſey für deinen Verſtand überwiegend
zum Urtheile, und nur ein folches Urtheil fey für deinen
Willen überwiegend zur Handlung.
Ora virtute obdura, non metu.
Seh rechtſchaffen; dann ſchweigt vielleicht die Läſte—
rung von ſelbſt. Durch Drohen und ke laͤßt fie
ſich den Mund nicht ſperren.
Pflanze und pflege den Baum; dann biſt du es werth,
einſt von fe: ner A au *
— Wetas, |
Schnell iſt aller Flug des Menſchenlebens; am — 4
ſchnellſten fleugt der Frühling des Lebens davon. N
Auctoritas rerum igerendanum telum.
Nicht das, was du bift, fondern das, was du im Auge
bes Volkes bift, — das wirkt aufjdas Volk. Nicht du,
„Dein Anſehen nur, wirkt in dir auf Andere. .
—— minister (esto).. ® |
Brauche das Gute, das dein Zeitalter Sir aniberi, und, |
"Suavissimüs post laboxem fructus.
Gute mit auszureiffen.
100. Vive,'ut post'vivas.
duide das Böſe, das du nicht rg — —— das
Sie in der Zeit: "dann biſt du es neh in der HEnig
— zu enden,
101. Cukaniae morbi rs — =
Mor dem — J— der Läſterung sihke es kein Be
woahrungsmittel.
2]
102. Tota vita nnus dies.
Wie Ein Tag, fo ‚fliegen hundert le wie hundert,
fo das ganze Leben dahin. Das ganze Menfhenleben —
Ein Tag.
103. Quod vides, non diu.
Mas man mit dem Auge des beibes ſehen kann, wäh:
ret nicht lange. Denn dieſe Welt vergeht mit allen ihren
Geſtalten, und die ehenden Augen mit dieſer Welt, weil
fie zu dieſer Welt gehören. a. Auge des — währt
ewig, denn es gehört für das E Ewige. RR ;
104. Virtutis umbra gloria.
Wahre Ehre ift nur der Schatten wahrer Tugend,
Warum balgeit du dich alfo nur um den Schatten, und
willſt die Sache, den Körper nicht? Und wiffe: ohne Tus
gend ift alle Ehre — nicht einmahl ein Schatten der Turs
gend — ift nur Schatten des Schattens ein eitel Ge⸗
ſpenſt deiner Einbildungskraft.
}
105. Quod paravit virtus, retinebis,
Wuchere mit deiner Tugend. Denn- da ne ee
und Zins — unfterblich wie Gott,
106. Quod commodarit fortuna, collet,‘
Glückes Güter — gelehnte Güter. Was bir der Strom
der Zeit in deine Hütte einwarf, das. nimmt der Strom
der Zeit wieder mit, fich fort. Steh nur du feſt, damit er
dich nicht mit forzreiffe.
107. Quod mutuavit natura, repetet.
Leibes Güter — fterbliche Güter. Die Natur gab fie
dir, und nimmt AN wieder. Die Hülle des Geiſtes modert
im Grabe. — Doch nur die Hülle,
108. In virtute oculi et manus.
Es ift nicht genug, wiffen, was gutift; man muß auch
bag Gute thun. Die, Tugend hat ein Auge, und eine
Hand, das Auge zum Sehen, die Hand zum Thun. Bey-
des, das Auge der Tugend, und die Hand der Tugend ma—
hen die rechte Weisheit aus.
109. Multi nimium, nemo satis,
Viele Diener der unerfättlihen Begierde haben zuviel,
und doch hat Feiner genug; fie haben zuviel, wenn fie
«“D
mehr haben, als bie ratur bedarf; Feiner hat genug,
‚denn für die Begierde ift nichts genug.
210. Nätura quis pauper?
Brot, Waffer und Decke fchafft die Natur dem Arbei-
tenden genug; und mehr ald Brot, Waffer und Decke
bedarf die Natur des Menfhen, zum zeitlichen Leben nicht.
Die Armuth wird alfo nicht fowohl von der Natur, als
non der Begierde des Menfhen kommen.
)
yıı. Velle instar omnium.
nu Gott ſieht den Willen. Iſt dein Wille gut, und vein-
gut, und Eraftvoll: dann. adelt er alles, was er ausrich—
ten Fann, und hat aud den Werth deſſen, was er nicht
ausrichten kann, und doch ausrichten will, in fi.
312. Nocere, diabolicum, prodesse divinum.
Die Luft zu ſchaden Eommt aus ver Hölle, die Puff zu
nüßen, aus dem Himmel, Die Liebe — Gottes Bild, die
Schadenfreude — ‚Satans Charakter!
Yı3. AR äRt yivere, disge mori.
8 tft Eine und diefelbe Kunft, recht zu (eben * recht
zu ſterben. Denn Gutfeyn, Rechtthun, und auf Gott
er ift das Eine Nothwendige im Leben und Ster⸗
en. —
314. Veraci creditur et mentienti.
Die Wahrhaftigkeit fteht durch fich felbft in fo großem
Anfehen, daß der Wahrhaftige auch Glauben fande, wenn
er Unwahrbeit. fagte. Sage du immer die Wahrheit, da-
mit du immer würdig bift, Glauben au —
115. Invidia vipera.
Der Neid ift Gift und —5 bildet ein wildes Ot—
terngezüchte — aus dem edlen Menſchengeſchlechte.
116. Deus dux.
Die ganze Übrige Natur wandelt ihren Pfad unter dem
Jeitenden Auge Gottes — fiber: fol der freye Wille auch
fiher wandeln; fo muß er ſtets unter dem leitenden Auge
— wandeln. Denn nur unter diefem Auge ift fichere
ahn.
117. Gloria vento dienten
" —— ⸗ iſt Wind, und wird vom Winde ver:
rängt.
41
218. Ne feceris, quod factum nolis,
Die Reue kann die That nicht ungethan machen. Aber
der Weiſe kommt der Reue bevor, und unterlaßt die That,
die ihn gereuen kann.
119. Odiosus, modo immerito.
Gehaffet werden — das fürchtet ber Gute nit. Gef.
fenswerth feyn — das flieht ev mehr, als alles Andere.
120. Sine querela.
Klage nicht, und gib Andern nicht Stoff zum Klagen.
121. Thesaurus, gratia boni.
Es ift ein & liher Schatz, bey guten Menfihen einen
Danf zu Gutem haben. Darum thue ihnen Gutes, und
fordere Feinen Dank dafür: dann halt du immer einen
Dank zu Gutem — einen Helm in der Todesnoth.
ı22. Ne nimium scrutare.
Zu viel Honig tödtet— zu viel Forſchen — lahmet dir
Kopf und Herz, und Hand; den Kopf zum ruhigen Ber
obachten, das Herz zum mannlichen Empfinden, die Hand
zum großmüthigen Gebeh.
123. Stipendium peccati mors,
Der Tod ift der Sünde Gold, und wird dem zen:
ten eine Meugeburt zum fehgen Leben.
124. Turpe gigantem in navo.
Ein ftolges, troßiges, hunmelftirmenbes Gemüth in
einem niedern, ſchwächlichen, fterblichen Körper — ein
ſenkelrechtes Schwert in einer Sichelſcheide.
125. 2 Nescis, quid serus vesper vehat.
Verzweiflung und frevelbafte Sicherheit taugen beyde
nidts. Denn die Morgenitunde. weiß ne nicht, was
die Abendftunde bringet.
ı26. Linquas ne praescinde, sed cave.
Der Thor möchte allen übrigen Menfhen die Zungen
ausfchneiden, damit fie ihn nicht mehr ftrafen Eönnten.
Der Weife begnügt fi, ihnen ſo wenig Stoff zur Lafter
sung zu geben, als er Fann,
Fr)
4
127. Ut t verax, ne suspicax. F
Sage den Argwohn aus deinem —— dann kann
Wahrheit und Wahrhaftigkeit Herberge — Wo
viel Wahn, da wenig Wahrheit.
nal;
128. Opinione quis dives.
—Miſſeſt du -die Bedurfniſſe deines Lebens nach dem
ii . Bahue: fo bift du, mitten im größten Ueberfluffe, arm.
Denn der Wahn will immer Ei — als der —
wirklich bat, und haben kann.
329. Malus potentiae custos metus.
Die Zurht allein — eine ohnmächtige BWäcterinn der
Macht. Wenn die Liebe mitwacher: dann ıft die Macht
fiber bewachet. ;
190. Optima cibus invidiae.
Der Zahn des Meides nagt am Trefflichen Die Liebe
und der Neid fehen beyde das Beſſere, aber ihr Wefen it
zweyerley. Die Liebe findet den — im Beſſern, der
Neid die Hölle,
su —— modo tutius.
Fruͤhe genug, wenn gut genug. Der Herbſt —
genug, wenn er nur viele und gute Früchte bringt.
IN
132. Bonorum rector, malorum victor. .
In glücklichen Tagen mußt du regieren, in trüben
Stunden mußt du flreiten: regieren, damit dich die Luit-
nicht zum Sclaven; ftreiten, damit dich die Unfuft nicht
r noch elender mache, als du wirklich bift.
133: Injuria oblivione uleiscenda.
Aud die Großmuth rächt das Unrecht — aber nur mit
Vergeſſenheit, und mit neuen Wohlthaten, Sie haufet
heiſſe Kohlen auf dein Haupte des Elenden, daß er es
nicht mehr erleiden möge, ein Feind’ zu feyn, und umkeh—
re, und EIERN vor dem’ er und a:
verzeih!
134. Precibus emtum, carum. |
Erbethen — ift oft theuer erfauft. Den; wenn bir
der Eigennuß den Finger gibt: fo will er dafür deine
Hand haben, UN Un
45
255. Ne lingua mente celerior.
Der Gedanke ift feiner Natur. nad, fönenteedftin: er
durchfleugt in einem Momente, Himmel und Erde.» Und
doch ſpringt das Wort deiner Zunge - fo oftdem Gedan—
fen vor. D, laß das Wort nie mehr dem- Gedanken vor—
fpringen. Die Zunge ſey nur Werkzeug des Verſtandes!
136. Satis relicturo.
Wozu immer mehr; da du Alles verlaſſen mußt?
Das Sınmermehr gelte nur von ‚dem edlen, reinen Sins
ne; denn diefen nimmft du mit in die beflere Welt.
Und vom edlem, reinem Sinne haft du nie ‚au viel,
437. Nemo se judice absolvitur.
Es iſt ein Richter in: dit, und fpricht ‚im n Mabmen
Gottes: du haft Unrecht gethan, wenn du Unrecht ge—
than haft. Mit Gelde beitechen laßt er fich nicht. Aber
deine Leidenſchaft kann ihn überfchreyen ; deine Eigen
liebe kann feine Ausfprüche vadbrechen, und deine: Un—
vernunft kann ihn läſtern.
138. Innocens nec casum.
Der Gerechte ift getroft wie-ein muthiger Böse. Ihn
ſchreckt kein Leiden; ihn verwirrt Fein Zufall. Alles ſah
das allfehende Auge; Alles ordnete die allbeftimmende
Macht.
139. Mente Deo defixus.
Nur im Mittelpuncte aller Ruhe findet unſer Geiſt
ſeine Ruhe. Außer ſeinem Mittelpuncte ſchwanket er hin
und her. Dieſer Mittelpunct aller Ruhe — iſt unſer
Gott. Außer ihm Fein Heil. Um in Gott zu ruͤhen, nä—
here dich ihm. Um dich Ihm zu nähern, entferne dich von
dem Ungoͤttlichen. Denn da, wo ich mich verlaſſen, da
habe ich meinen Gott gefunden, ſpricht der Heilige.
su
140. Pauper egens, non carens.
Nicht haben macht nicht arm; verlangen und nis
haben, das macht arm.
N IE rEr —2
141. Ubi terror, ibigtimor.
Wer nur gefürchtet feyn, * n⸗ Ge⸗
walt gründen will, wird ſelbſt nie furchtlos werden kön—
nen. Furchtbar macht furchtfam. —
1%
44
142. Alienis lacrymis cautior.
Fremde Thränen erſparen dir die deinen, wenn du,
von fremder Noth belehrt, die Quelle der eigenen, in dir
verſtopfeſt.
143. Alieno risu laetior. _
Fremde Freude machet dich einer eigenen werth, wenn
du dich neidlos mitfreueft, und der Quelle aller wahren
Freude, muthig nachgehſt. Ä
144. Quodvis videri, esto.
Sehy, was du fiheinen willft. Denn, wenn bu das
Seyn in bir haft, fo wird dir für das Erſte der rechte
Schein nicht fehlen, weil das Licht feinen Glanz, und
das Feuer feine Wärme haben muß; für das Zweyte
wirft du vor Tauter Seyn, nicht Zeit finden, dich um
den bloßen Schein zu bekümmern.
245. Cor canum in juvenili corpore,
Sünglinge an Sahren! werdet Männer an Ver—
fland, und wenn es möglih ware, — — — Greife!
Glaubt es aber nicht, jhon zu ſeyn.
146. Pedica nimia fiducia,
Zu viel Vertrauen — eine Zußangel. Zu viel Miße
trauen — aud eine. Zu viel ift überall zu viel.
147. Ingratitudo multis immerentibus nocua.
Der Undan it eine Landplage; — denn fie plagt auch
den Unfchuldigen. gehn Arme werden abgewiefen, um ei—
nes Undanfbaren willen, Sort mit diefer Landplage aus
dem Lande.
148. Nocens metuit poenam,
Wo Sünde, da Furcht vor Strafe... und wenn fie
ſiich nicht immer reget, fo ift fie doch da, und wird ein—
mahl mit Riefenkraft aufiteben, und den Sünder peini:
gen... eine Vor:Strafe, bis die Strafe felbit eintrifft.
149. Caede, modo doce. ae 5
Der Weife unterwirft fih au harten Streichen ; denn
er jieht die Liebe, die durch Schläge unterweifet, und durch
bittere Wahrheit beſſert. |
— — — — —
!
48
HIT,
Ex ejusdem L. V. introductione ad Sapientiam,
Aus der Einleitung zur — vom nähmlichen Ver⸗
faffer 2. |
ie geringen ——
= Magnus erroris magister, populus.
Das Volk hat viele Köpfe, und viele Irrthümer. Der
breite Weg führt zum Verderben, der fchmale zum Leben.
Einer ift euer Lehrer, fagt Chriſtus; ven ya ſpricht
der Vater vom Himmel herab.
2. Vox populi, vox Dei.
Einer betrüget nicht Alle, Alle nicht Ein! Wenn die
gefunde Vernunft durch das Wolf fpricht, fo fpricht Gott
durch das Wolf.
3. Eligenda est optima vitae ratio: electam consuetu-
do reddet suavissimam.
Nicht ftöre dich das Bittere in der Wahl des Beſten.
Denn das Bitterſte wird durch Gewohnheit ſüſſe.
4. Animus divinitus datus, Angelis et Deo similis:
unde censetur homo,
Nicht der Leib aus Erde, fondern der Geift nad) Got⸗
Ki geihaffen — mad im aba. ri den Menjchen
5. Pietas in. Deum et homines, omnis virtus.
Gott um feinetwilfen, und den Menfchen um Gottes
willen lieben — das ift die Tugend, und die ganze Zur
gend des Menfchen.
6. Gloria, bene audire de virtute,
Wahre Ehre — das Echo wahrer Tugend.
46
7."Nobilitas, a bohis prognatum, similem parentum
se praebere, .
Gute Aeltern und gute Sitten haben, das macht adelig
und edel.
8- Corpus nil aliud, quam ——— et mancipium
animi.
Der Leib des Menfchen if, feiner Beſtimmung nad, nur
Hide und Sclave des Geiſtes.
9. Vita, peregrinatio.
| Der Menfchengeift ift bier nicht zu Anl, — nur
im Auslande, und — reiſet in ſein Land heim. Das Le—
ben des Weiſen iſt nur eine Pilgerreiſe, fein Tod Voll⸗
endung der Reife, und Eintritt in das Vaterland.
ı0. Divitiae et vestimenta in usum tantum.
Das Kleid zur Dede, das Geld zum Gebraudhe.
a1, Usum non adjuvant immensae opes sed oppri-
munt, ut navem ingentia onera.
Zu ſchwer⸗ Laſten verſenken das Schiff, Reichthum das
Herz in tauſend Sorgen und Lüſten, daß es untergeht
unter den Fluthen der Thorheit ꝛc. N
3% Aurum, si non utare, a coeno non differt ,, ‚nisi
quod magis angit ejus custodia.
Nimm dem Golde feine Brauchbarkeit, und feinen wirf-
lihen Gebraud zum Guten, fo ſinkt esım Auge des Weiz,
fen in die Claffe des Erdenkoths herab. Weil aber dag
träge „Goldhüthen“ noch über dieß das Menſchenherz
mit Höllenangft peiniget, und von der Liebe des Beſſern
abhalt: jo kommt das Gold, im Auge des Weifen, noch
unter dem Erdenkothe zu ftehen, .
15. Utile indumentum excogitavit necessitas, pretiosum
luxus, elegans vanitas.
Eine fhüßende, Decke erfand die Nothdurft, Eoftbare
feider fchuf der Lurus, den Kleiderpug — gebar bie Eis
telkeit.
ı4. Ex eo, quod infirmitatem nostram arguit, hono-
rem Captant.
Der Beweis unferer Schwache gab dem Ehtgeige Stoff
und Nahrung. Unedler Wetteifer, einander am Kleir .
dung zu übertreffen !
25»
44
Idem omnium parens Deus.
Unfer Geift iſt edler Abfunft. Ein ee Aller
Gott, und der eine Gott für Alte, iſt zuch der SEE Vater
für Alle.
Sequi debet honor, ı non expeti.
Der Gute thut das Gute nicht, um der Ehre wegen,
fondern die Ehre folgt dem Guten von Rechtswegen.
Die Ehre it der Eifenfeilenftaub, folgt dem Zuge des
Magnets, und der Magnet ſelbſt ift der Gute, und ‚dad
Gute, daser thut.
. Honor incertus, vagus, iniquus, momentaneus.
Die Ehre, nicht in fo fern fievon Menfchen verdient, fone
bern in wie fern fie ausgefpendet wird, iſt ungewiß, uns
ftet, ungerecht „ und ein Kind des Augenblids, wie alle
Werbe der menschlichen Leidenfhaften.
In hospitio pulcro hospes deformis.
Eine haͤßliche Seele in einem fehönen Leibe — entweihet
das Haus, und beflecket den Gaſt — ſich felbjt immer-
mehr.
Res maxime non viribus nervorum, sed ingenii
geruntur.
Große Seelen, große Ihaten ;
Große Leiber, große Gräber.
20, Maxima mala, vitia; his proxima, inscitia, stu-
223.
por, dementia.
-Das erfte und größte Hebel — die Sünde; Dummpeit
erſt das zweyte.
Nec malum faciendum, nec simile malo.
Der Weiſe meidet das Böſe, und den Schein des Bö—
ſen; das ahe iminer, das zweyte, ſo gut er Fann,
Corpus. nec dominus nec socius animi, sed
mancipium
Du bift, nicht einmahl meines Gleichen, noch viel weni⸗
ger darfſt du mein Oberherr ſeyn; du unter mir, — der
Natur nach; du zweymahl unter mir, deiner Natur nach,
und meinem Herrſchafts Rechte nach — ſpricht der Geiſt
zum Leibe — in guten, weiſen Menfchen. i
48
23.
94.
Quo curatius corpus, hoc animus neglectior.
Die weichliche ——— — eine gefährliche Seelen⸗
krankheit.
Mundicies carporis ad valetudinem et ingenium
confert.
Keinlichkeit ftdrEt den Leib, und weckt den Geiſt, und
halt Leib und Geiſt munter.
25. Varietas ciborum homini pestilens, pestilentior
.
condimentorum.
Zweyerley Giftmiſchereyen herrſchen in großen Küchen.
Das Mancherley der Speiſen, upd * mehr das Dune
cherley der Wurze — tödtet.
26. Naturae si des necessaria, delectakun, et —
27.
28.
29.
tanquam propriis; sin superflua, debilitatur et af-
ligitur tanquam alienis.
Das Maf von Speil und Trank und Schlaf, das die
Natur zu ihrer Erhaltung bedarf, erquicet und ſtärket
die Natur; was ihr aber über das Bedurfnif gereichet
wird, drücket und ſchwächet die Natur.
Non ad lusum aut nugas.
Scherz und Spiel iſt nicht unſere —
Conditi ad seria.
Nüchternheit, Zerechtigkeit, und Gottſeligkeit iſt un—
ſere Beſtimmung auf Erde.
Morbos corporis, ne morbis animi curaveris.
Menn fi der Kranke der Ungeduld, dem Kummer und
der Verzagtheit überlaft: fo it es, als wollteer die Ge:
brechen des Leibes mit Gebrechen der Seele heilen. Und
das follt’ er nicht. ki
30. Absint aremissionibuset refectionibus animi arro-
gantia, contentio, rixa, invidia, cupiditas.
Deine Erhohlung fey Erhohlung der geſchwächten Kräf⸗
te — zur Arbeit, alſo keine Erſchöpfung; ſey Stärkung
zum Guten, alſo keine Entweihung der Seele Au Stoly ı
Zanf, Neid, und Lüſternheit.
31. Ne fel infundas in id mel, quod cupis esse quam
duleissimum.
Die Sünde verwandelt den Honig in Gift, bie Erhoh-
lung in Zerrüttung.
=
J
32. Vita, vigilia.
& lange du ſchlaͤfſt, lebeſt du nit ; der Menſch le⸗
bet nur, wenner wachet. Lebe lange; denn unnöthiger
Schlaf ift ein langer Tod, und tödter noch mehr, d. i.
ſchwächet Leib und Seele.
33. Hic ordo naturae inhomine, ut corpus —— ani-
‚mo, animus menti, mens Deo.
Das ift die rechte Ordnung in der menfchlichen Natur,
‚daß der Leibdem Willen, ver Wille der Vernunft, die
Vernunft Gott unterthänig jey. Heilige Ordnung, wo
find ich dich!
34. Nulla simolatio diuturna.
Die Verftellung ift ein gewaltfamer Zuftand, unb was
gewaltfam ift, dauert nicht lange. Wir werden der Schraus
be, die unfer Herz preßt, müde, und werfen fie bald weg
— und jede Verſtellung ift eine ſolche Schraube.
35- Quo plura commendabis memoriae, hoc custodiet
omnia fidelius.
. Mebung erweitert die Gedachtnißkraft. Das Gedächt—
niß — ein wunderbares Gefäß; je mehr du hineinlegeit,
defto mehr Eann es behalten.
36. Vinum memoriae mors.
Der Bein zerrüttet das Gedächtniß — made ftupid.
37. Semper illa tria homini meditanda: quomodobe-
ne sapiat, bene dicat, bene agat.
Das fey der Inhalt deines Nachſinnens: wie Fann ich
recht denken, recht reden, recht handeln?!
Diefe Rechts = Selehrfamfeit ift die vornehmfte.
38. Cubitum iturus, lege aliquid dignum, quod memo-
riae mandetur, et de quo salubre sit, per quietem
somniare, ut etiam nocturnis visis discas, et fias
melior.
Lege dich nie fehlafen, außer in Geſellſchaft eines wür- |
digen Gedanken ; vieleicht webt er fih in deinen Traum,
und macht dich — auch traumend, weiſer.
39. Amicus Dei, legibus Dei obtemperat.
Gottes Freund thut Gottes Willen, und wer Gottes
Willen thut, ift Gottes Freund.
Sailers Sprüde. 4
50
; 40.
41.
42.
44.
45.
Multi potuissent ad sapientiam pervenire, ni jam
putassent se pervenisse,
Mancher hatte noch in die Vorkammer, oder garin das
geheimfte Gabinet der Weisheit Fommen Eönnen, wenn
er nicht geglaubt hatte: ich bin fehon darin. Der Wahn,
weiſe zu feyn, ift Thorheit, und macht noch) thorichter.
Fortunae muneribus expleri, quid aliud quampe-
ditem multis sarcinis obtui ?
Zeitlihe Güter find für das Gemüth, das himmelan
gebt, was ſchwere Gepäde für den ir
den muthigen Fortgang.
Praestantissima rerum universarum virtus , neque
dono ab hominibus datur, neque accipitur ; idcir-
co a Deo petenda.
Menfhen Eönnen menfhliche Gaben geben: göttliche
gibt nur Gott. Die Tugend ift ein göttlihber Sinn,
und eben deßwegen eine gottliche Gabe.
Amor nostri viriles enervat animos.
Eigenliebe entnervt den Muth des Mannes, daß ihn
Kleinigkeiten reißen, und Kleinigkeiten ſchrecken.
Nec Daemones aliis suppliciis sunt miserrimi, quam
superbia, invidia, odio, ira.
Hoffart, Neid, Haß, Zorn — ſind für den Satan die
Hölle der Hölle: ſie können alſo in dem he
fein Paradies herftellen.
Qui iratum se ad speculum vidit, non sine caussa
dicituf se non agnovisse.
Der Zorn verfinftert den Verſtand, empört die Neis
gungen, vüttelt das Blut, verdreht das Auge, entftellt das
Geſicht, erfhüttert den Körper, — wandelt den ganzen
46.
Menfhen in ein Ihier. Das Bild des Zornigen ift —
Fein Menfchenbild mehr, — iſt das Bild ver thierifhen
Muth, ift das Bild des Thieres in uns.
Religionem Christi nosse perfecta est sapientia,
juxta hanc vivere, perfecta virtus.
Die Religion Chrifti Fennen, und die Religion Chriſti
üben — das iſt die rechte Weisheit, und die rechte Zus,
gend.
a7.
54
Vita Christitestatur probitatemejus; miracula om-
nipotentiam divinitatis, lex coelestem sapientiam.
Das Leben Chriſti — ein Spiegel der Heiligkeit, die
Wunder ein Spiegel der Allmacht, die Lehre ein Spiegel
— derhimmlifhen Weisheit. Schau du ſtets in dieſen
48.
Spiegel, damit du in die Geſtalt der Weisheit und Hei—
ligfeit verfläret werdeit.
Px probitate accedit exemplum ad imitandum, ex
»atıctoritate vis ad obediendum, ex sapientia fides
ad credendum.
Die Weisheit fordert Glauben, die Allmacht Gehor⸗
ſam, die Heiligkeit Nachahmung. SH
49. Probitas amoremeliciat, majestas cultum, sapien-
50.
51.
52.
54.
35°
tia fidem.
Es vereinigt fih in Chrifto die höchite Liebe, die hoch:
fie Majeftät, und die höchſte Weisheit. Der Liebe gebührt
Liebe, Anbethung der Majeſtät, Glaube der'Weisheit.
Nemo vere novit, qui non sic vivit, ut novit,
Wer die —— nicht a der kennet ſie nicht
recht.
Verus Dei eultus; animum in illius transfökmat
simulacrum. —
Die wahre Gottes Verehrung verklart uns in Gottes
Geftalt — von Klarheit zur Klarheit,
In divinis multo libentissime,
Mer Gott liebt, bon keinen Umgang fo lieb — als mit
Gott.
Deus in ochlitissiings recessibus arbiter, testis, ju-
- dex omnium, etiam cogitationum tuarum.
Das Allergeheimſte lieg offen vor Gottes Auge a Er
fieht Gedanken, forfhet Nieren, prüfet Herzen.
De Deo.ne quid temere.
Was du von Gott ſprichſt, ſey ein Wort der Anbethung
und der Liebe. Ehre Ihn lieber mit Stillſchweigen, als
mit einem Worte, das einem Gottesverehrer nicht ziemte.
Sacris intersis attente, ac pie.
Nice dein Körper bloß fey in der Kirche; auch. dein
auch dein Verſtand fey da — und unterwerfe ſich der höch—
ften Wahrpeit; auch dein Herz, und vor allen dein Herz
fen da, und unterwerfe fich dev Ale Heiligkeit.
52
506.
57.
53:
Nil exordire, non invocato prius numine.
Dein Leben fey ein Buch, und der erfte, und der.mitts
lere, und der legte Buchſtabe — fey Gott!
Venerare divos,
Verehre die Heiligen, denn fie find Gottes Freunde,
und du ehreit Gott in ihnen.
Cum oras, totus et animo etmente, et cogitatione
et vultu in hoc sis, ut omnia secum consentiant,
et excellentissime respondeant actioni.
Wenn du betheft, fo fey — Herz und Veritand, und
Mund und Geberde Ein Gebeth, Eine Handlung, die
edelite des edeliten Theils ın der menſchlichen Natur,
59. Nil verius datur Christo, quam quod egenis datur.
as du um Ehriftuswillen den Armen gibit, das gibft
du ihm felbft, und du Eannit Ihm eigentlich nichts geben ;
(denn Er hat fhon Alles) ald was du Ihm ın ven Ar—
men gibfl. .
60, Si in Citharaedo turpe est, aliud ipsumore, aliud
.61.
62.
fides ejus sonare, multo estturpius, cum Deo psal-
limus, aliud linguam dicere, aliud animum cogi-
tare.
Wenn der Zithernfpieler anders fpielt, und anders fingt,
fo its ein Mißlaut in unferm Ohr; denn es erwartet
Einklang zwifchen Zithernlaus und Menfchenftimme.
Wenn der Ton des Herzens mit dev Stimme des Bethen-
den nicht harmonirt: ſo iſts Mißlaut in Gottes Ohr.
Denn er will zuerft das Herz — und dann in Allem Harz
monie des Herzens mit Wort und That. Ts
Magistrum parentis loco habe.
Ehre und liebe den Lehrer wie den Vater, denn er ver-
tritt Batersitelle an dir.
Sumturus cibum , recordare omnipotentiae Dei,
qui omniacondidit, sapientiae ac benignitatis, qui
ea sustinet, mansuetudinis etclementiae, quietiam
inimicos suos pascit. |
Wenn der Leib zu Tifche figt, fo denfe der Geift an Gott,
deifen Allmacht alle Dinge erihaffen hat, deffen Güte und
Weisheit alle Dinge erhält, deffen Liebe und Langmuth
auch ſeine Feinde ſpeiſet.
63.
64.
553
Ad mensam sini omnia pura, sancta, qualis ille
est, inter cujus munera versaris.
Sen auch am Tiſche heilig, wie der * beiten Gaben
du genießeft!
Eum ne locum — in fratrem contamines,
ubi tu largam Patris in te lenitatem percipis.
Laß auch den armen Bruder miteſſen, denn fieh! du le—
beft ja auch nur von der Freygebigkeit deines und feines
Herrn. Sieh du nicht fheel auf den Bruder, wo unferd
Vater Auge fo mild auf uns Alle blicket.
65. Et fronset pectus crucis nota exterius muniendum,
interius vero piis precibus et sanctis meditatıo-
nıbus, &
Bewaffne Stirn und Bruft — von aufen mit den Kreus
jeszeichen, und von innen mit heiligem Gebethe und from—
men Betrachtungen. Denn Ehriitus ftarb für uns Sün—
der am Kreuze, und heilig ift ung das Zeichen feines To—
des, und der lebendige Glaube an Son ift unfer ſtärk—
fies Panier.
66. Concordiam invexit Deus, discordiam diabolus.
67.
Eintracht Eommtvon Gott, Zwietracht von dem Teufel.
Halt du es mit Gott, und halt es nicht mit dem Teufel.
Longissimae et obscurissimae in animo humano
latebrae: quae humana aciesin tantam oe
penetrabit? 0
Ein Abgrund ift das Menſchenherz: kein Menfchen:
auge kann ihn durchgründen: Sieh, wo du fehen Fannft,
und bitte um Licht, auch da zu fehen, wo du jegt noch nicht
ſehen Eannft.
68. Ama omnem hominem; quia si ipse indignus est,
— ames, ama, quia Deus dignus, cui pareas.
Liebe jeden. Menfchen — um Gottes ı willen ; denn wenn
der Menfch deiner Liebe nicht ih ift, fo iſt Gott deines
Gehorſams würdig.
69. Netibisit turpe, fratrem illum habere, quem Deus
non dedignatur filium.
Wen Gott unter feine Kinder zählt, den foll der Menſch
auch unter feine Brüder zählen,
84
yo.
7:
-
72,
74.
75.
77:
78.
Bellum,, quod verbum loquitur, ——— est, ⸗
ni necessitas necessarium reddat.
Wenn der Krieg nicht Nothwehre ift, fo iſt er feine
Sache für Menſchen, fondern für Thiere.
'Misericordi misericordia.
Berzeih deinem Mitknechte; denn fieh, du bedarfit Zi
Verzeihung von deinem und feinem Herrn, und der vers
zeiht, wie du verzeihft.
Solem e mundo, qui amicitiam tollit.
Die Welt ohne Sonne — das Leben ohne Freundfchaft.
Duratura inter bonos duntaxat, amicitia.
Nur die Freundfchaits » Bande, die die Tugend in der
Zeit Enupfet, find unauflosbar — auch in der Emigfeit.
i I
Vita suspicacibus assidua mors.
Argwohn zeuget Furcht, und Zurcht verwandelt das Le—
ben in eın ftete3 Sterben. |
Sit.tibi inter homines modestia, et moderatio in
untverso COrpore, praecique in oculis acore toto,
Eingejogenheit — gehe mit dir unter die Leute. Sie
drücke dem Leibe — das Bild der ftillen, beitern , from—
men Seele ein, und dieß Bild ftrahle bejonders aus dem
Auge, und aus dem, ganzen Antlige!
Solum humanae fäciei tegumentum decorum, mo«
destia et verecundia.
Das eine hiebliche Gewand — das dem, Angefichte des
Menfchen ziemt, beißt: Scham und Modeſtie. —
Risus non exeat in cachinum, multo minus in ir-
risum.
Sanft ift auch das Fachen des fanften Gemüthes. Die
Tugend Fennt nur ein Lacheln ; das erſchükternde Lachen,
und noch mehr das fpottende Lachen ift ihr durchaus fremde.
Desperanda illius — quem desiit pudere ma-
lefacere.
Shamfofigfeit— bie unheilbarſte Seelenkrankheit.
— — —— — — —
79.
80.
81.
82
84»
85.
86.
87.
93
Oculi quieti, manus ne gesticulatrices.
Ruh’ im Auge, Milde in der Geberde, und Kunſtlo⸗
ſigkeit in der Bewegung der Hand.
Seni adsurge, reveritus aetatem, rerum usum, et
prudentiam.
Ehre den Greifen, und in dem Greifen die Erfahrung,
die Klugheit, und die Tugend, Krone — die grauen Haare.
Neminem contemnito, non vultu, non verbo, non
facto.
Rein fey dein Blick, dein Wort, deine Geberde , und
deine That — von Verachtung. Menn ein Menfh den
Menſchen verachtet, ſo verachtet er den Schöpfer des Men—
ſchen, und ſich im Menſchen; denn er iſt auch ein Menſch.
Magistratibus honorem.
Fürchte Gott, und ehre die Obrigkeit; denn alle obrig⸗
Feitliche Gewalt ift von Gott, und wer ihr widerfteht, wi—
derfteht Gott.
. Convicium convicio regerere, est lutum luto pur-
are.
Schimpfwort mit Schimpfwort erwiedern, heißt:
fhwarzes Pech mit fhwarzem Peche weiß wafden.
Minitari, muliercularum.
Eitel Drohen — Weiber: Rache.
Facundiam caninam ne exerceas.
Bellen und Beifen — laß dem Geſchlechte der Hunde
über.
Nec sis nimius percunctator.
Smmerfragen, und Nimmerweife werden — ſind ei-
nerley.
Rebus ostende te scire, non verbis.
Die Worte zeugen nur, daß dudie Sprache; weife Tha—
ten, daß du die Weisheit inne haft.
88. Acrior semper in te judex, quam in alios.
Strenge gegen dich, milde gegen Andere.
80
89.
90.
Ol.
92:
93-
95:
96
”
Laborat aliquando veritas, nunquam opprimitur.
Die Nebel können die Sonne nur verdunfeln, aber nicht
zernichten. Mancherley Drückungen leidet bie Wahrheit,
aber Unterdrückung — leidet fie nicht.
Mendacium ex homine diabolum facit.
Lüge nicht ; denn der Satan ift der Vater der Lüge,
und die Lügner find feine Kinder.
Qui facile in seriis jurat, in jocis jurabit; qui in
jocis, et in mendacio.
Zuerſt ſchwört der Beichtfinn ohne Noth, dann aus
Scherze, und endlich falfch.
'Verum vero consentiens;- falsum nec vero nec
falso.
Wahres hängt mit Wahrem zufammen; Falſches we⸗
der mit Wahrem, noch mit Falſchem.
Wo Wahrheit, da Einheit und Friede,
Wo Füge, da Vielheit und Kriege.
Crede te illi maxime carum, a quo amice repre-
henderis,
Wo dein Seind fchmeichelt, da ftraft dich dein Freund.
Darum fey dir das Tadeln des Freundes werther, ald das
Liebkoſen des Feindes.
. Miserum illum, qui admonitorem, cum eget, non
habet.
Der Süngling obne Auffihe — ein unbandiges Pferd
ohne Zaun umd Gebiß. Wehe dem Pferde, und dem
Jünglinge aud) !
Ex bestiis maxime exitiabiles inter feras invidia,
inter mansuetas adulatio.
Die Naturgeſchichte theilt ihre Thiere in wilde und
zahme, die Sistenlehre wuh. Das Schadlichite unter den
Wilden heißt: Neid, unter den Zahmen: Schmeicheley.
Mortuus num plus referes de fama, quam pictura
Apelilis laudata ?
Was bar das Gemählde des Appeles Davon, daf es die
Kunſtkenner bis an die Sterne erheben? Gerade fo viel,
als du im Sarge liegend — vom Menfchen + Lobe haben
wirft,
97.
98.
99.
109.
301.
102.
103.
87
Minores tecomem, majores reverentem, paresfa-
cilem inveniant.
Sedem das Seine, Ehre dem Höhern, Milde dem Nie:
dern, Gefalligkeit deines Gleichen, Liebe Allen.
Iram retinere atrocis, ignoscere generosi, benefa-
cere divini animi.
Rache nehmen ift thieriſch, verzeihen menfchlich. = groß-
müthig, dem Feinde wohlthun göttlich.
Eris in homines talis, qualem cupis Christum er-
ga te. 9
Wie du wünſcheſt, daß Chriſtus dir verzeihen, dir ge—
ben ſoll: ſo gib und verzeih du Andern. Sey du Chri—
ſtus-Bild gegen Andere, wie Chriſtus „Bild des Vaters“
gegen dich.
Superbus mitibus discors, superbis multo magis.
Der Hochmuth macht dich uneins mit dem Demüthigen,
noch mehr mitdeu Hochmüthigen, am meiften mit dir felbft.
Lex eorum, quibus pater est Adam, ut laborent,
quibus mater Eva, ut adfligantur. _
Arbeit und Plage — unfer Erb: und Stamm: Gut auf
Erde.
Tanquam in acie armati.
Es find fo viele Feinde um dich her, und in dir, daß
du nie aus der Waffenrüftung treten darfft.
Ut dies unus humanae vitae praeferendus estlon-
gissimae aetati corvi, ita dies unus ex religione
actus, hoc est, divinae vitae, toti aeternitati sine
religione anteponendus.
Ein Tag des Menfchen = Lebens gilt mehr als das laͤng⸗
fe Naben: Leben. So hat ein Tag des “göttlichen Le-
304.
bens mehr Werth, als eine ganze Ewigkeit ohne Religion,
ohne göttliches Leben.
Haec est vita aeterna, ut cognoscamus patrem,
et quem misit, Jesum Christum. Hic est cursus
absolutae sapientiae, cujus est primus gradus nos-
se se, postremus nosse Deum.
Die Erkenntniß des Waters, und feines Sohnes Zefu
Chriſti, die unfer ganzes Weſen befeelet und neu fchaffet,
iſt das rechte, ewige Leben, und der Inbegriff aller Weisheit;
denn das iſt alle Weisheit — — fi) Eennen, und Gott,
55
105. Domini Jesu! accipe spiritum meum.
Mit diefem Worte ftarb Stephanus, dasift, legte fei-
nen Geift in die Hand feines Herren. Und der Herr
nahm den Geift freundlich zu fih, derer zuvor durch himm⸗
Lifche Lehren, himmlifche Krafte, und heiße Leiden gerei—
nigt hatte, Reinfter! reinige auch meinen Geift, damit
ic) ihn einft getroft in deine Hand legen kann.
59
IV.
Sententiae S, Martini Bracarensis Episcopi ad
Mitonem Regem,
Sprüche des heil. Bifhofs Martin von Bracar an den
König Mito.
I. No temutes, sed potius aptes tempori: sicut ma-
nus eadem est, et cum in palmam extenditur, et
cum in pugnum adstringitur,
Laß die Zeit fih immer andern: nur bein guter Sinn
ändere fich nicht. Füge dich in die Zeit, aber andere dich
nit. Bleibt doc) die Hand auch immer diefelbe, fie mag
fih zu einer Fauft ballen, oder zu einer Flache ausbreiten.
12
. Lauda parce, vitupera parcius.
Sparfam im Loben, Earg im Tabdeln.
‚58. Nil magnum in rebus humanis, nisi animus magna
despiciens.
Es iſt nichts Großes in dem Kreife menfchlicher Dinge,
als das Gemüth des Menfchen, daß alle zeitliche Größe
verſchmähen kann — in Anficht der ewigen.
4. Ne Dominum velis esse notum adomo, sed domum
a Domino.
Fern fen die Pracht von deinem Haufe. Sey du felbft
das befte Hausgerath in deinem Haufe. Das Haus neh—
me feinen Ruhm von dir, du nicht vom Haufe.
J
5. Occultator virtutum, sicut alii vitiorum.
Wirf du über deine Tugenden einen Schleyer, wie andere
über ihre Lafter,
60
6. Tam sancta tibi sit in dicendo veritas, ut nihil in-
tersit, affirmes an jures.
So heilig fen dir die Wahrheit, ald wenn jedes Ja, je—
bes Nein deines Mundes ein Eidfhwur ware.
7. Bona consuetudo destruere debet, quod mala ex-
struxit.
Was du dir gegen Pflicht angewöhnet haft, deflen mußt
du dich aus Pflidt wieder entwöhnen . . und dann wird
die Aernte des Böſen durch die Aernte des Guten verdrängt
werden.
8. Non quam multis placeas, sed ut optimis, vide.
Frage nie: gefalle ich Vielen, fondern immer: gefalle
ich den Seiten?
9. Oratorem teputa, sitibi anteomnes, quod opor-
tet, persuaseris.
Dann halte dich für einen guten Redner, wenn du zuerft
did zum Rechtthun beredet halt.
10. Maenarum virium est, negligere laedentem.
Es gehört eine große Krart dazu — ſich wehethun zu
laffen, ohne umzufehen, wer wehe thue.
11. Monstro similis est avaritiasenum; quidenim stul-
tius est, Quam via deficiente viaticum augere?
Der Geiß im Greifenalter — ein Ebenteuer. Denn,
wozu das Neifegeld vermehren wollen — am Ende der
Reiſe?
*
12. Quid dulcius quam habere amicum, cum quo au-
deas ut tecum, de omnibus loqui?
— Mit wem du von allen Dingen fo freymüthig reden
kannſt, wie mit dir ſelbſt, der iſt dein Freund — und
was iſt lieblicher als einen ſolchen Freund haben?
13. Nondum es felix, si te Ks nondum deriserit.
Du bift noch nicht vecht glückſelig, fo Tange dich der
Haufe Eennt, und noch nicht ausgezifcher hat.
6 1.
14. Non petas, quod negaturus esses, non neges, quod
petiturus esses.
Begehre nicht von Andern, was du an ihrer Stelle
abfchlagen, und fchlage ihnen “Br ws was du an ihrer
Stelle begehren würdeſt.
15. Pacem cum hominibus, Bella cum vitiis,
Friede — mit Menfchen.
Krieg — mit Laſtern.
16. Quae sunt maximae divitiae? non desiderare di-
vıtıas.
Der größte Reichthum des Menfchen — ift das Ger
müth, das groß genug ift, Feinen Reichthum zu vers
langen.
ı7. Nullum conscium peccatorum tuorum magis timu-
eris, quam temetipsum; alium potes effugere, te
autem nunquam.
Fürchte feinen Zeugen deiner Sünden fo fehr — als
did ; denn Andern magft du entfliehen, aber dir kannſt
du ewig nicht entfliehen.
ı8. Quid est, dare beneficium ? Deum imitari,
Wohtthun — beißt Gott nadhahmen.
ı9. Dissensio ab alioincipiat, ate reconciliatio.
Die Trennung fange von einem Andern — die Wie:
derumarimung von dir an.
20. Cunctis esto benignus, nemini blandus, paucis fa-
miliaris, omnibus aequus,
Die rechte Liebe ift gerecht gegen Alle, vertraut mit
Wenigen, jehmeichlerifch gegen Keinen.
2ı. Testimonium veritati, non amicitiae redde.
Denn dein Freund ein anderes Zeugniß von dir for—
dert, als die Wahrheit erlaubet: fo zeuge du für die
Wahrheit, und zeuge nicht für deinen Freund. Denn
das iſt dein Beruf auf Erde, ein Zeuge der Wahrheit zu
feyn.
. Locum tenet innocentiae proximum confessio.
Der Unfhuld. gebührt die erſte Stelle; der Demuth,
die ihre Schuld befennt, die zweyte.
62
23. Tran, dieturus es, antequam alũs, dixeris
tibı
Rede zuerſt mit dir ſelbſt, ehe du mit Andern zu reden
beginnſt.
24. Nullum putaveris locum sine teste.
Ueberall wenigſtens Ein Zeuge; denn Gottes Auge ſi ſieht
überall, und zeuget überall, warnet und ermahnet überall,
belohnet und ſtrafet überall.
J
Syrüde.
mit und ohne Gloſſe.
—
Zur
Unterhaltung fuͤr die Edlen im Lande.
Von
J. M. Sailer,
Dritte verbeſſerte Auflage.
Bun
Sprüche mit und ohne Gloſſen.
"Erftes Hundert.
Zweytes Hundert.
Zugabe: Halbes Hundert.
N
BTuR.e ec DR.
; t — m R
N, Sprüche, die ich zundchft für einen: Eleinen Kreis bes
flimmt, und im Jahre 1799. der Sreundfchaft in den Schoof
gelegt hatte, und die jeßt das drittemahl an das: Tageslicht
hervortreten, haben nicht alle die Kürze, die Fülle, und dag
Schnelleund Sichertreffende, das den einfilbigen Bliß bezeich-
net. Aber Wahrheit, und Elare Wahrheit, und eine Wahrheit,
die Geift und Gemüth u leer laſſen — mer in allen
Sprüchen feyn.
Die Gloſſe iſt Stoffe ; * —* gern hier den
druck eines Spruches verſtärken, dort den Sinn eines: andern
beſtimmen, berichtigen, oder erweitern, oder was ſonſt die
Gloſſe kann.
Oft ſpricht der Menſch, oft ber a, am öfteften der
Ehrift. Möchte nur alles, was der Menfch, der Bürger, der
Chriſt fpricht, fo wie es den Charakter. der Wahrheit hat,
auch den Accent der Wahrheit haben, der die Herzen
öffnet, und die Geifter verwundet.
Bald Fam der Spruch aus der Vormwelt, bald aus der
Mitwelt, mandhmahl flieg er aus meiner Seele auf; doch
eignet fich der Herausgeber auch das nicht zu, was ihm etwa
die Rubrik jueignen dürfte. Denn, wenn bie Zunfen auch
Sailers Sprüche. 5
in ihm aufſprühten, wer gab ihm Kieſel und Stahl, und wer
ſchlug an den Kiefel? :
Die Mannigfaltigfeit der Sprüche ſchickt ſich vecht für
das menfhliche Leben, in welchem Ereigniffe auf Ereigniſſe,
Fluthen auf Fluchen ftoßen. '
Und, wenn Einheit darin iſt, ſo zeigt ſich auch hierin
das Bild Gottes im Menſchen, dasin Allem die Ein:
beit fuchet, und in feinem Originale: wohl audy findet.
Hier und da ward nicht ſo faft Rückſicht, als Hinfiht
auf unſere Zeit genommen; . denn mas. anders hätte der
nahfte Blick in feiner Zeit. fehen Eönnen, als feine
Zeit? Aber wie hölgern müßte der Zeitgenoſſe ſeyn, der in
feimer Zeit nichts ie als Zeitliches, keinen Wiederftraht
bes: Ewigen?
Diefe RER RG zur ae für die Edlen
‚im Lande beſtimmt. Wer gehört denn'aber unter die Edlen?
Jeder der ſich durch Geift; und Leben erhebt über das Thier
— im Thiere und im Menfchen.
Sp ruͤche und. Stoffen,
Erftes Hundert. |
DIR auf Heerftraßen lagert fich die Wahrheit, —
* Drum ſieht ſie ſo zertreten aus.
5 2. — *
Sein Schickſal bildet ſich der Menſch ſelbſt.
* Und: feinen Menſchen bildet ſich das Schickſal. Se
umarmen fih denn doch Frenheit, und Nothwen-
digkeit, a J
3.
Schickſal iſt dem Weiſen, in feiner menſchlichen Spra-
che, (und eine andere hat er nicht) unwandelbarer Wille der
unwandelbaren Liebe.
* Und dieſe Liebe iſt ſelbſt die höchſte Freyheit, und hat
Reſpect für den freyen Willen des Menſchen, und will
nur ein freyes Opfer von dem Freygebornen.
4. 2640
Erfahrung beſchneidet die üppigen Geſchoſſe des Be—
griffes.
* Und der Begriff ſtellet die Gewächſe der Erfahrung in
Reihen, ordnet ſie nach dem Geſetze der Einheit, und
bildet ſich daraus neue Entwürfe zu neuen Verſuchen,
die neue Erfahrungen geben.
63
5.
Weder die Erfahrung noch der Begriff heben die Nacht,
die über der Tiefe des menſchlichen Bewußtſeyns hängt.
* Die Nacht hebt ſich nur — wenn das Licht des Tages
aufgegangen ift. Und das Tageslicht ift aufgegangen
da, wo ſich der Menfch bewußt wird — Gottes i in Gott,
und Gottes im Univerſum.
HE.
Innigkeit wuchert mit dem Kapital, Ausbreitung‘ mie
den Zinfen.
* Darum mwurzelt das Gute fo. feft in fi, um Eraftig
zu wirken außer *
u
Es gibt, einen Tieffinn, der daneben gräbt.
*und eine Einfalt, die den Himmel erobert.
> No Br |
GER S ‘ 8. EN 1 a
Es ift ein Negale der Wahrheit, im Erliegen noch zu
fiegen.
* Und. die gerechte Strafe ber Bien noch im &iegen zu
unterliegen.
9.
Dem Schatten der Tugend obidet nur der — ———
der Achtung.
* Die Schattengröße zerfällt einſt ganz, und dann iſt
auch der Schatten der Achtung dahin.
10.
Grohmuth als Schild vor dem Haufe, und Groß—
muth als Sebietherinn im Haufe, find —— Son⸗
nen: eine gemahlte, und das Original.
*Jene Teuchtet nicht und waͤrmet nicht, und belebet
niicht: dieſe iſt Quelle des Lichtes, der Wärme, des Les
bens.
69
11.
Man Eann auf dem Katheder fitzen, ER in das a
haus gehören.
* Anders fetzen die Menſchen, anders die Wahrheit.
——
Zaͤhle die Thaten, nicht die [hönen Worte.
* Zaͤhle die Thaten nicht, fondern wäge fie.
Wäge nicht den Leib der Thaten, fondern ben Geiſt
der Liebe, aus dem ſie kommen.
15.
Unter allen iften find die gefährlicäften und zahlreich:
ſten — die Eigenwilliften.
ig Vieleicht Eam diefe einzige Secte bisher ungeftempelt
durch, und ift doch, wo nicht die Secte aller Secten,
doch in jeder Secte einheimifd.
Selbft im Egoiften ift der Eigenwille der eigentliche
Egoiſt.
14.
Wer den Bundesſinn nicht im Herzen hat, pl. die Bun
desworte nicht in den Mund nehmen.
* Denn er entweibet fie, und fie verdammen ihn. — 68
iſt übrigens hier nur der göttliche Bund gemeint. Hebr.
VIul. 10. 11.
15.
er die Lehre von der Zucht trennet, ober die Zucht
von der Lehre, trennet, was Gott vereint.
* Der erſte macht Schwaͤtzer ohne That, der zweyte Thaͤ⸗
ter ohne Geiſt. f
16.
Die eisheit hat Feine Geftalt in Gott, und mancher:
ley Geftalten außer Gott.
* Und, weil wir die Weisheit ohne Geftalt nicht fehen
Eonnten, und fie doch von ung Menſchen gefehen, und
geltebet feyn wollte, darum lief fie fi) in mandherley
Geftalten, und in der Fülle der Zeit in Menfcpenge-
ſtalt fehen.
—8* 17.
Dar Schatz liegt verborgen in der Tiefe des Ackers wer
Alles daran gibt, um ihn zu finden, der —— am beſten
*Er liegt verborgen, ber Geiſt im —— das Wort
‚im Fleiſche, Gott im Menſchen, das —J der Welt in
Ehriftus.
18.
‚Prüfen macht den demüthigen Forſcher wiffen, das
Gute in Liebe thun — den Wilfenden weife, Weisheit den
Zhätigen gottgefäl Llig, Öottgefälligkeit den Weifen gott-
felig.
* Darum bringe du alle Biere unter Einheit, aber nicht
auf. dem Papiere, fondern in dir felber.
1 0.
Die Leiter des Himmels bat fieben Sproffen:
1. Hören und prüfen,
2. Prüfen und glauben,
3. Glauben und Yieben,
4. Lieben und thun, .
5. Thun und Leiden,
6. Leiden und Ötreiten,
7. Streiten und Siegen bis zum Triumphe, bis zur
Vollendung.
= Denn iſt ber Sieg Triumph, und der Sieger vollen:
det, jo bedarf er der Leiter nicht mehr.
20.
Die wahre Weisheit it in Gott, Eommt von Gott,
führt zu Gott, und ruht in Gott.
* Darum macht fie auch lauter Gottes Freunde, und wo
fie einkehrt, da hat Gott Herberge genommen,
%-
21.
ESott hat alle Schäge der Ewigkeit der Willenstreue ge⸗
gen Wahr.und Gut — in die Hand gelegt. ——
* Darum bewache dieſe Fundgrube, wie dein Leben —
und mehr als dein zeitliches Leben; denn ſie hat einen
ewigen Werth, und wird das ewige Leben.
22.
Der gemeinfte Beweis von dein Daſeyn des Bro:
tes, und der Speife iſt — der Hunger in allen thierifchen
Naturen. aa
* Non dem Seyn Gottes — der Hunger nach Shin, der
fi in allen guten Gemüthern bewegt. Und: der Hun—
ger ift weifer als viele Weife; denn er fragt nad) kei:
nem Beweife, aveift zu und genießt.
23.
Die Wiffenfhaften haben den Beruf, Mütter gefunder
Senntniffe, reiner Gefinnungen und edler Thaten zu werden.
* Sind oft nur Spielwerke für uns Kinder — Puppen,
die nicht gebaren können.
24.
Man fol die Weisheit nie in die Hoͤrſaͤle einfperren.
* Man Eönnte e8 auch nicht, wenn man wollte; denn
was fi) ganz einfpeeren ließe, ware nur Spinngewe-
be — an ber Statue der Weisheit, nicht die Weis:
beit felbft.
25.
Die falfche Münze erhäft ſich nicht ewig im Courfe ; ir-
gend ein Münzmeifter entdecket, und fcheidet fie aus.
* Und die ränfevolle Politik kommt früh oder fpat auf
den Pranger. Die rechte Stunde, die nicht ausbleibt,
das ift die Nemeſis, ftellt fie darauf.
26.
Der Maßftab der Engelwelt taugt nicht für unfere Mens
ſchenwelt.
*Außer als Ideal, und als Ideal mehr zur Schätzung
unſers —* Erbes, als zur — *— unſers
jetzigen Aufenthaltes.
27.
Die Geduld des ernften, gottvertrauenden Kaͤmpfers
mit ſich ſelbſt, ift die höchfte Geduld.
* Und diefe Gedufd mit ſich felbft gilt mehr vor Gott,
als alle Thätigfeitsmanier in und aufer fi, und al:
les Weltbaumeiftern im Sturmſchritte.
28.
Das Menſchenherz iſt ein Acer, auf dem immer etwas
Unkraut unter dem Weigen, bis zur Aernde, mit fort wächſt.
* Daran aber ift der Weisen unfhuldig; denn das Un—
kraut wachft nicht aus dem Weigen, fondern unter
dem Weitzen, aus der Zwifchenfaat des Feindes auf.
29.
Das Chriſtenthum lehrt und verheißt, bewirket und voll:
endet die Vereinigung des Menſchen mit Gott.
* Der Buch ſtabe des Chriſtenthums lehrt, und verheißt
ſie; der Geiſt bes —5 bewirket und vollen-
det fie.
‚30.
Dein Vaterland ift die-erfte Uebungsſchule, die bir die
Providenz anweiſet.
* Wehe dem Zöglinge, ber ihr ohne, bäheren Beruf aug
der Schule lauft! Zweymahl wehe dem Baterlunde,
das ſeine beſſern Zöglinge von ſich ſtößt!
* 31,
Die Sefege find Ketten für die unbandige Sinnlich—
feit, die gebandiget feyn muß — und Flügel für den Geiſt,
auf denen er fih in das Land der Wahrheit erfhwingt,
73
* Wenn einmahl: die Sinnlichkeit frey wird, indem fie
alle Ketten abwirft, jo wird der Geift von ihr zu gleis
cher Zeit in Eifen und Bande geſchlagen.
en 32. |
Die Schlafſucht iſt ein Worbothe des tödtlichen Schlages
* Sm menfchlichen Leibe und im Staate, im Staate und
in der Kirche. lee
r 2 33.
Die Wohlfahrt der Völker verdorrt in allen ihren
Zweigen, wenn ihre Wurzel kränkelt, und ihre Hütherinn
fhlummert.
* Und ihre Wurzel heißt Gerechtigkeit; ihre Hütherinn,
—
34.
Die Mauer nach der Bleyſchnur, und nicht die
nach der Mauer.
und doch wollen braufende Köpfe, und noch mehr gäh—
vende Herzen die klare ewige Wahrheit nach fi bil-
den ; da fie doch fi) nach der klaren, ewigen Wahrheit
bilden follten.
35.
Das — das auch die höchſten Freuden der Erde
zurück laſſen, beweiſet am meiſten wider den Werth dieſer
Freuden.
* Und am meiſten für den Adel des menſchlichen Geiſtes.
| 36. *
Nie gab es einen ſeligen Böſewicht.
* Und kann Feinen geben, weil zweymahl zwey nothwen⸗
dig vier, und Unordnung nothwendig elend macht.
37
Der Ehriftenpfad gebt von dem Glauben durch Liebe
zum Schauen — und führt ficher.
* Der Unglaube träumt fich einen Pfad, der vom Wiſſen
durch Wiffen zum Wiffen geben fol — und fommt we
ra
der zum Schauen, ‚noch zum Gfauben, weder zur Liebe,
noch Kam & —J
38.
Den ——— im Menſchen beobachten, iſt greß; den
Menſchen in ſich ſelbſt beobachten, das iſt größer.
* Und dieſes Menſchen Bıößen mit feſtem Blicke an—
ſchauen, und dieſen Anblick nicht verlieren, auch wenn
man beſſer wird, das iſt das größte — in I dem Gebie:
the der Beobachtungen.
39.
— Wer Wiffenfhaft und Kunft nicht ehret, ift.des Men:
ſchenkopfes, der ihm auf.dem Rumpfe figt, nicht werth.
* Wem aber Religion nicht die höchſte Wiffenfchaft, und
die Kunſt aller Rune ift, der ift noch nicht „Men ch
geworden.
4
40.
‚Wer den Kopf zum Senfter hinaus auf den Marktplatz
der Welt firecfet, dem erfcheint fie anders, als der fie nur aus
ben Druckerpreſſen ftudiert.
* Wie muß fie erft dem erfcheinen, der auf dem Markt:
plaße felbit mitkauft, und mit verkauft, und ſich bey
Kauf und VBerfauf, Zeit nimmt, den Markiplag, den
Verkehr der Handelsleute, und [ich LER in Aue
genſchein zu nehmen?
41.
Die ſich gern machen, und nicht von der Stelle
wollen, die müffen als Würfel durch die Welt, und da bedarfs
viel Stoßens und Werfens, bis fie hindurd, und am Siele
find.
* Einige werden durch mancherley Uebungen und Er-
fahrungen, befonders durch Lei den zu Kugeln
gegründet, und die 5 leicht u die Welt.
* 42.
"Wie: der. — ſch reiben, ſo lernet der — gut⸗
Ps,
75
* Durch Glaube an die Vorſchrift/ durch HSamdfuüh-
rung des Meiſters, und durch Selbftübung —
(treue. Nachbildung.)
. ! ; ER 43. '
Deine Nerve ift nicht bein Geift, und dein Geiſt iſt nicht
bein. Gott, und dein Gott iſt kein Gebilde deines Gedanken.
* Traue alfo auch deinen frömmften Gefühlen nicht,
‚bis fie ſich in Licht, Liebe und Leben verklären,
fr 44,
Hiernieden ift die Region des Werdeng, denn brüben
Jiegt das Vaterland des Seyns, der Vollendung.
* Zum Werden paßt die Pilgerfahrt des Glaubens, zur
Vollendung das Daheimfeyn des Schauens.
45.
Eifet, lieben Kinder, von dem Getümmel der Eitelkeit,
die nichts gibt, zum ftilen Genuffe dev Wahrheit, die Alles
gibt —
* Eilet von der Gtiefmutter zu eurer rechten Mutter
beim: fo ruft auf allen Gaffen die rechte Mutter, vie
Weisheit, die von oben ift,
46.
Das Morgenroth ift mehr werth, als die Nachtlampe,
* Drum ſchlafe bey Naht, und fieh am frühen Morgen
zur Arbeit auf. Doch, wenn Pflicht oder Begeifterung
zum Wachen ruft, fo führt auch die Nachtlampe Gold
um Munde.
i 47. Rn
Die Kirche iſt ein Vor: und Zwiſchengebäude zwiſchen der
ewigen, und der zeitlichen Melt.
* Ohne dieß Zwifchengebdude verldre ſich die ewige Welt
aus unferm Auge, und die zeitliche ihre Bedeutung.
: ji 48. 44 4 *
Die Schminke des Helden iſt der Todesſchweiß, der ſeine
Stirne netzt — im Kampfe für Wahrheit und Gerechtigkeit.
76
* Seine Anwartſchaft iſt die Krone, die für die Zeit
zu ſchön, nur im Schooße der Ewigkeit ihre Herrlich-
keit entfalten Fann... Für Zeitungshelden ift die pas
pierne Krone gut genug — bis fie die Motte frißt.
v 49. ’
Jede Selbſterhöhung trägt eine Erniedrigung deines
Selbſtes im Hinterhalte.
* Und fie rückt früher aus dem Hinterhalte hervor, als
du waͤhnſt.
6060.
Die Weisheit des Lebens hat nur drey Worte: Was
hernach? — wenn überlegt werden fol; Jetzt, nicht
hernach — wenn gehandelt werben fell; nur vorwärts
— wenn gehandelt ift.
* Und dieſe drey Worte ſind da, wo Weisheit das Leben
beherrſcht, nicht Worte, ſondern Thaten; denn Worte
ſprechen kann auch der Thor.
51.
Richte dir taͤglich dein Sterbekiſſen zurecht.
*Durch Reht:und Wohlthun, und durch Zuverſicht auf
eine Liebe, die nicht ſterben kann, weil ſie ewig/ weil
ſie Gott ſelber iſt.
— 52. \
—— iſt nicht aus Gott.
* Denn Gott iſt ein Geiſt, und ſucht Anbether, die ihn
ohne Angſt, im Geiſte anbethen; iſt die Liebe, und
— freye und en Geber.
in 53.
Die Sünde aller, falſchen Philoſophie ift vie Sünde,
ſich Ideale zu ſchaffen. ie
* Und im Brüten über die Ideale Feine Wahrheit gelten
m‘ laſſen, als die fie felbft aus dem E des regierenden
— nei DM:
?@
54,
Wer das Leben des Glaubens der Liebe, und der Zuver⸗
fiht Myftik, und Myſtik Unfinn nennen, hat eine neue
Läfterung ‚der alten Wahrheit erfunden,
-* Denn er verfetzert die Gottfeligkeit, und [hdn-
det feine eigne Vernunft.
55,
Der Faden führt zum Knaͤul.
Thu nur das Auge auf, um jenen nicht zu überfeben,
und geb ihm fleißig nad, bis du diefen gefunden haft.
| 50%
Wenn man getrunken hat, fo — man dem innen
ven Rüden zu.
* Nur der Undankvare thut dieß, denn der Dankbare
blickt fegnend zur Quelle auf; indem fein Mund aus
dem Friſchen trinkt, und wendet die erneuerte Lebens-
kraft zur Ehre der Quelle an— und dieß Ye der höch⸗
fte Dan.
m 57.
Gott if, wo er wirft, der Menfchengeift, wo er liebt.
* Die Liebe gibt ung alfo auch eine Art Allgegenwart.
Und: der Gottliebende — alſo in Gott, und ın
ihın.
3 y ——
Gib Gott das Gute, der Hölle das Böſe zurüd.
* Zenes durd Dank, diefes durch Widerftand.
50. Ri
Was dein Erankes Auge heilet, oder das Sefhiuffene zum
Sehen aufſchließt, ift jo mohlthätig, als das Licht, das es
erleuchtet.
* Darum weifet ung das Evangelium an den Einen Era
löſer, der zugleich das. Franke Geiftesauge heilet,
das gefchloffene öffnet, und Licht zum Sehen ſchenket,
\
60,
Bekümmere dich nicht um das Patb im * PAR
es ift der Schmelzer nabe..
* Auch Eommt das Gold im Ge ih um; was es
° verliert, iſt nur Schlacke. a
61.
Noth und Tod thun lauter große Dinge.
* Gott thut ‚große Dinge durch die Noth, und durch
ſich. Durch die Noth, indem Er feime Hülfe anbahnt,
durch ſich, indem Er Hülfe ſchafft; durch die Noth,
indem ſie die gegebenen Kräfte zuſammenrafft, durch
1) indem neue a —
Die Klugheit 3* zwey Augen, Eines iſt bie : Sefhiäte,
das Andere die Erfahrung.
* Oft fiehe der Seher mit‘ —* Bogen den Schalf nicht,
der’ in feinem Herzen ſchläft — Rue ſchläft, fondern
hinter dem Vorhange lauert.
| 65:
"Die Were ift ein Theater, auf dem immer neue Schau:
fpieler, auftreren, und lauter alte Luft: und Trauerfpiele auf:
Rn in andern Kleidern, und mit andern Geberden.'
Indeſſen find alle Schäufpiele, die hier gefpielt werden,
das die mit fünf Aufzügen, nur der erite Act des grö—
fern Schaufpiels, deſſen legter Acı noch im Schooße
der EROBERN: liegt, ı und erſt da aufgeführt wird,
64%
Den Ziegen geben wir nicht Ziegen, fondern höhere
Weſen, Menfhen zu Hirten: follen Menſchen nicht auch ein
höheres Weſen zum Hirten haben?
* Der Atheismus, d. i. die Thorheit, die im Herzen
fprigt: es iſt Fein Gott, verwandelt alſo die
Menſchengeſellſchaft in ‚eine Herde zweyfüßiger Thiere
— ohne Hirten.
79
65. J
Ehre den Finger Gottes, wo er ſich regt.
* Die Wahrheit in jedem Laut von ihr,
die Tugend in jeder Spur von ihr,
die Lreberin jedein Funken von ihr,
9 = Bott in jedem Worte Gottes.
Ken nur Fleiſch und Blut zur Ehe treibt, der ehelichet
auch gleich die Neue mit. 997 EM
* Und das, was er mitehelihet, währt meifteng ſo lan⸗
ge, als die Ehe ſelbſt.
67. 4
Es hat Jeder feinen Stab, auf den er ſich ſtützt,
der ihm wenigftens einmahl im Leben die Hand durch:
bohrt, wenn es nicht der rechte Stab iſt. — Der rechte
Stab ift Gott allein: wer auf Ihn fi) ſtützt, wanfer
nicht, wenn aud Berge weihen. 9...
Der Menfh kann fih vor Gott nicht verbergen, aber
Gott vor ſich. |
* Das Erfte kann der Menſch nit; weil Gott ein
Licht ift, das Alles erleuchtet, und ein Auge, das Alles
durchſchaut. Das Zweyte Fann der Menfch, weil er
die Sinfternig mehr lieben Fann, als das Licht.
69.
Jedes Leiden iſt eine Leiter zum Himmelanfteigen, denn
fie reiht wirklich von der Erde, auf der e8 geboren ward, big
zum Hummel, in deſſen Segnungen e8 fich verliert.
* Gern zöge ung der Vater zu fich, aber ber Fünfſinnen—
menfch fieht in dem Leiden nur die Geißel, und fieht
vor lauter Geißelfurcht die Leiter nicht. ac
u
760.
Drey Jüng er folgten dem Herrn nach bis an den
Olivenberg, einer bis auf Golgatha: der mit ihm am Kreu⸗
ze ſtürbe — mar Feiner.
* Darum machte der große Sterbende am Kreuze noch
einen feiner Mitgefreugigten zu feinem Zünger; damit
doh Ein Jünger mit Ihm am Kreuze ftürbe.
ER
Entziehe dich auch der heiligften Flamme, wenn fie: be—
ginnt, den Herd zu verbrennen.
*Denn fie foll länger brennen, um des Nachbars willen,
um deſſen willen, dem zu Ehre ſie brennet — und auch
um deinetwillen.
9 RE
Wer fih mit ———— Augen der veidenſchaft anver⸗
traut, tragt unbewußt alle Brücken hinter ſich ab, und läßt
nicht Ein Joch ſtehen — zur leichtern Rückkehr.
* Er muß alſo entweder im fremden Lande erhungern,
oder im Strome untergehen, wenn — nit eine h ö⸗
bere Hand rettet.
73. ⸗
Ich verſtehe die Theorie des Bleihgersictes, alfe- = ich
ein Ehiltänzer ein Fehlſchluß“, dem jedes Auge ſeinen Feh⸗
ler anſi eht.
* Dieſen Fehlſchluß begehen die, welche durch die bloße
Theorie des Guten, ohne ſonderliche Mühe, und ohne
andere Hülfe gut werden wollen. Und dieſem Fehl—
ſchluſſe ſehen Augen, die ſich die hellſten zu ſeyn er
nen, ſeinen Fehler nicht an.
Die — der jungen Weit gegen das Alterthum
iſt Undanf gegen die Vorwelt, und eine Aufforderung an die
Nachwelt, die ältere Welt an der jüngern zu rächen — durch
ähnliche Intoleranz.
* Richtet nicht, würde auch bier die Weisheit ſprechen;
denn -wie du richteft, fo wirft du gerichtet werden.
75. Der
31
75.
Der harte, verſchloſſene Mann iſt, wie der Gott des
Unglaubigen; geht nie aus ſeinem Dunkel heraus, erhört Fein
Gebeth, und- laßt Feine Stimme von fi hören.
* Sey du, wie der Gott der Ehrüten, offönbare dein
göttliches Leben, thu Gutes, und erhöre das Flehen
der Armen. ;
x “or
76.
Wenn die Menfhen aus ihren Berhhäuien: Mörder
gruben machen, und den Mörder vom iAnbeginn mit
fih bineinnehmen : fo BB er mit ihnen, aud in ihren Beth
haufern.
*Und er gehört in die Bethhäuſer fo Weniag‘ als in den
— des —— N
— 7. 2) ai
Der lite ift ein Mittelpunct, um den fich eine IR
bes —— * die 208 Gute angiet, und 205 se zurück⸗
ſtößt .
Es Pr gut in kcha Ebhlen wohnen, und ich mög:
te mit Petrus darin eine Hütte Dada
ALLTEITE "77 N BIER la R
Wem ſich die. Mahrheit in, feinem Asniriee Spreigime
mer verdeutfchet,. der kann viele Buͤcherſale entbepren,
* Das nimmt aber den Buͤchern, und Bücherſaͤlen nichts
an ihrem Werthe; denn gerade die beſten Bücher wei—
fr in, Diefes Sprechzimmer, und machen: den Leſer ie
big/ diefen Dolmetſch an nerllehen, ln ya
‚near dont mas) #4 min
79.
Wes bie Weisheit nicht bindet, das, ii die Zhorheit
bald auf. %
* Oder eg fault, * freie — von A aus⸗
einander.
Sailers Sprüche. 6
80.
‚Die falfhe Perle verlifht vor der Sterbeferze, die Ma:
re blißet da erft recht ins Auge.
* Alfo ift der Tod nicht nur der .befte Profeffor Mora:
lium, fondern auch der befte Juwelier.
1, 603 —— *
Der Menſch, ein Amphibium zwiſchen Engel und Thier.
* Wenn der Engel in der Hülle des Thieres ausgebildet
worden, dann geht das Thier unter die Erde, und der
Engel in ſeine —
82.
Un der: Schwelle des Heiligthums find drey Geſetze mit
goldenen Buchſtaben eingegraben :
1. Das wahre Wohlſeyn haftet nur im Innerſten.
2. Gott nur gibt es.
„3 DM, Menſch macht ſich deffen nur, fähig und werth.
vr Wenn dieß an.der Schwelle des Heiligthumes, was
muß darin, im Heiligthume felbft zu lefen, oder viele
i mehr zu ſchauen, zu thun und zu genießen ſeyn?
83. —
Begriff und S Sinntichkeit, Verftand und —— die
werden —2 Freunde.
A; Denn fie Teben als gute Kameraden unter Einem Da-
— und Bu mit einander Me — *
84.
— mu die Mage feyn, ION ie die’ Schioere ber
. Körper richtig beftimmen kann; außer dem darfft du der Nei-
gung des Züngleing nicht trauen.
*So kommt das Gerechtſeyn vor dem Fehtſengen⸗ und
das Gutſeyn vor dem Verbeſſern.
—— ‚85.
Wenn die Re im n Herjen aufgeht, fo bat fie die Re—
gion des Kopfes bald durchgefchienen.
65
* Weil Eeine Nechte mehr von dem Herzen aufſteigen,
und die des Kopfes bald weichen müffen, ſobald fie kei⸗
ne Berftärkung mehr. aus dem Herzen erhalten,
86.
Jeder Sokrates hat lag Bene: ; jebes Verdienft
Wolken gegen fich.
* Aber der OBERE R- Fann dem Sokrates, und die
Wolken dem DBerdienfte nichts. anhaben.
87.
Fer die unermeßliche Liebe — Gott nad) dem Kleinen:
Gefichtsfreife feines Auges mißt, der mißt die allerleuchtende
Sonne nad) ihrem Strahlenbildchen in ſeinem Handringe.
* Und diefes Gleichniß hinkt erfi noch gewaltia; denn
was ift das Sonnenlicht gegen das Urlicht, die Sonne
gegen den, der der Schöpfer aller Sonnen, und das
Leben des Univerfums it?
88.
So lange Unfhuld und Tugend in und wohnen, fo Kir
haben wir den Simmel in uns,
* Sobald wir die Pfade der Qugend nur verlaffen wols
len, fo entftebt in uns ein Fegefeuer; wenn wir
fie aber wirklich verlaſſen haben, ſo iſt in uns die le:
bendige Hölle neh
ve:
89.
Gott will Anbether i im Geifte, und in der Wahrheit; der
Geiſt fehlte unter Juden, die Wahrheit unter Heiden: dafam
Chriſtus, und vereinigte Geift und Wahrheit in Einem.
* Wenn Geift und Wahrheit die Seele des Chriften ik:
fo müffen unter denen, die Ben beiffen, miele Su:
ben und Heiden feyn.
90.
- Die menfhliche Vernunft hat das Ihre wohlgethan, wenn
fie untenab die finnlihen Triebe beberrfcht, und obenauf zu
Gott weifet, und fobald Gott den Mund aufthut, ſchweigen,
horchen, und ſich belehren laſſen kann.
J
34
* Wenn aber die Vernunft die fünf Sinne herrſchen läßt,
und dafür Gott einen Plan der Üeltregierung vor:
legt, und ſpricht: So muß es feyn, dann ift fie
Unvernunft geworden... /
91.
ı Wenn das Unrecht der Welt Eoloffalifh wird, fo ftürgt
ed von eigener Schmere aufammpn ;; und! diefes Zufammen-
ſtürzen ift ein Vorſpiel des Weltgerichtes.*
* Darum erlaube du dir Fein Unrecht, auch das geringite
nicht. Denn es wird überfhnell ein Koloß, Und der
Koloß zerdrückt fih und dic). ER
N 92. ;
} Sefus ftand. bey den Pharifaern auf der Lifte der Keger,
bey den Sadduzäern in dem Regifter der Schwärmer, bey der
Hofparthey unter der Rubrik dev Wolfsverführers Und Jeſus
war doc) gerade das aͤußerſte Gegentheil von allem, was Irr—
lehrer, Schwärmer und Volksverführer heiffen Fann.
* Die Lifte, das Regifter, und bie Rubrik ift alfo er
Vie Sache.
MNichts, als die Hoͤllenfahrt der Selbfterfenntnig bahnt
uns den Weg. zur Himmelfahrt der Gotteserkenntniß.
* Man muß die Linie des Abfalls von Gott Vacetiſch |
gemeffen haben, ehe man die Linie zur Wiedervereiniz
gung mit — durchlaufen kann.
944. —
Ab eh ta bi iſt BSlödfinn, Shwärmerey —
Wahnfinn — Fanatismus — Unfinn. =
* Es gibt aber auch einen Unglauben, der Bloͤd⸗
Mahn: und Unfinn iſt, und für
a I ’
Ho Sinn a wird. .
Tief⸗ f | 3
85
95.
Die Weisheit weifer von Außen nad Innen,
von der Figur zur Wahrheit, vom Scheine zum Seyn, vom.
Wiffen zum Thun, von der Vielheit zur Einheit, von dem
Vergänglihen zum Unvergänglichen, von der Zeit zur Emwig-
keit.
* Aber nur den, der ſich weiſen läßt.
96.
Die Weisheit weifet nicht nur, ‚fie führe auch durd
Kampf zum Siege, durh Glauben zum Schauen, dur Er—
niedrigung zur Verherrlichung, durch Aufopferung um Genufe
Te, durdy Sterben zum Leben.
* Auch nur den, der fih führen Laßt.
97:
Die Wahrheit hat ein großes Tagewerk: zuerft erbellet
und reiniget fie, dann ſtärket und erhöhet jie, endlich einiget
und bejeliget fie.
* Und eine Wahrheit, die die ſes kann, muß wohl die
Wahrheit feyn, die Alles Eann ?
9.
Zreude theilt fih gern mit, und if fo ſchwer in * zu
verſchließen, als Kummer.
* Doch verſchüttet ſich der feinſte Saft bey Audgiepung
des Herzens fehr leicht.
99.
Sm Schooße der Erde wachſen die Keime, belebet
von der Sonne, und genähret vom Lebensfafte, der, wie
der Licheftrahl, feine Kraft von Oben hat, und fein Werk un->
ſichtbar treibt, bis die Zrüchte gereifet find.
*So wachſen alle Güter der Ewigkeit in der Mutter:
erde des menfchlichen Herzens.
86
£ 100.
Ein neuer fcharfer Effig von einem guten alten Weis
ME —
* ift der todte Buchltabe der Wahrheit — wenn ber
Beift davon geflogen ift. Und wohl den Kindern des
Tages, wenn der Buchftabe ohne Geift — nicht gar
zum Schwerte wird, das fie tödtet!
87
Sprüde und Gloſſen.
Zweytes Hundert.
1.Beffer ift beffer.
Säine Bildergalerien find Eöftlich: aber züchtige Sünglinge
und ſchamhafte Töchter im Lande find Eöftlicher, als alle Bil—
dergalerien aller Welt.
* Dennder gute Menſch ift felbit das lebendige Bild
des Guten; das fchönfte Gemählde — nur Schein des
Scheines.
2. Gut und Wohl.
Was den Lauf der Tugend ſperrt, wird eine Hemmkette
der Seligkeit.
* Die Sünde iſt nicht nur der Freude; ſie iſt
die Mutter alles Elends, des Todes und der Hölle.
3. Der Böſe verfolgtden Guten.
Sey du nur Daniel: die Löwengrube für ie — wird
6) ſchon finden.
* Und in der Löwengrube der Friede Gottes und feine
Machthand.
4. Gott rettet den VBerfolgten.
Der Gerechte tritt aus der Cöwengrube — fo froh und
heiter heraus, wie der Brautigam aus der Brautfammer ;
* denn fein Gott war mit ihn.
5. Nicht alle®uten fterben eines frühenTodes.
Sn der Regel ſchneidet man die reifften Früchte am er=
ften ein: aber nad) einer andern Pegel laͤßt man auch manche
veife Staude zum Samentragen ſtehen.
*
88 *
6. Schminke iſt nicht das Geſicht felbft.
Firniß der Menſchenliebe iſt nicht ſie, die Göttliche
ſelbſt.
7. Schminke verderbt das Geſicht.
Heucheley, die Menfchentiebe vorfpiegelt, wo fie nicht ift,
macht die Seele noch häßlicher, als fie ohne Liebe ſchon war.
8. Wahre Aufklärung - — wahres But.
Mer das Licht laͤſtert, ift ein Sreund der Nacht, oder ein
Kind, das nicht weiß, was es ‚hut.
* Das Licht in der Kama iſt ein Schreckensbothe fiir den
Dieb; denn es macht den Einbruch geräbrlig für ihn,
und jetoit fein Leben unſicher.
2 Falſche Aufkla ſrung — wahres eben,
Wer — empfiehlt, oder durch Talglichter
das große Tagsgeſtirn entbehrlich machen will, iſt ein Feind
des Lichtes, oder ein Wahnſinniger, der zwiſchen Tag und
Nacht keinen Unterſchied mehr zu machen weiß.
10. Die Wohrheit bat mankerley Herbergen,
Bey Einigen wohnt fein Gedaͤcht niſſe, beyAndern
im Berftanpde, bey Wenigenim Herzen, bey den Wenig-
ften im Herzen und im Leben. Die erften lernen, die
zwepten Denken, die dritten Lie ben das Wahre, die vier-
ten thun es auch.
11. Es gibt noch etwas Befferes.
Die Auserwählten befigen die Wahrheit nicht, fondern
bie Wahrheit befiger fie — wohnt nicht nur in ihrem Verftan-
de, Herzen und Leben, fondern iſt das Licht im Verſtande,
die m. im Willen, die Röniginn im Leben.
12. Meide den [leeren MWörterkram.
Denn Wörter ohne Gedanken, und Gedanken ohne Wahr:
heit find Schatten ohne Leiber, Leiber ohne Seelen.
* Und Seelen ohne’ deit lebendigen Geift, der den Men:
ſchen im Menſchen mad.
89..
43. Der Zufammenbang,
Das iſt die befte Schule, die uns zum Seyn umd,
Leben, und das iſt das befte Senn. und Leben, dad
und zum ewigen Seyn und Leben vorbereitet.
* Denn Gste ift ſelbſt die Ewigkeit, und göttliches Leben
ift das ewige Leben.
14. Unfere Beftimmung.
Der Menſch ift feinem höchſten Berufe nah Zur
fhauer, Zeuge, Ausleger, Nachahmer der göttlie
hen Weisheit, die fih ihm überall offenbarer.
* Aber er Eann diefen Beruf nicht erfüllen, ehe ihm die
Thorheit feines eigenen Herzens anfhaulich
geworden, und er davon genefen ijt« "
15. Entweder, Oder.
Wer die unaufbellbare Finſterniß, die um die heilige Wahr⸗
beit umberliegt, aufhellen will, muß entweder unglaubig an
das Licht, oder abergläubifd an die Finſterniß werden.
* Dder den Aufhellungsverfuch aufgeben und glauben,
wo er nicht ſehen, und anbethen lernen, wo er nicht
durchſchauen kann.
106. Nüuüchternheit.
Unſer Wiſſen verhält ſich zu unſerm Nichtwiſſen wie dag
Waſſer in unſerm Hausbrunnen zum Waſſer im Weltmeere,
oder, wie das Licht in unſerer Nachtlampe zum Lichtmeere in
der Sonne.
* Wenn dich dieſe Betrachtung noch nicht nüchtern macht:
ſo frage dich, wie ſich das Wiſſen in der Zeit zum Schauen
in der Ewigkeit verhalte. Dieſe Frage ſoll dir den
Rauſch vertreiben. En, ih
17. Lerne feben. '
Ein gerader Blif auf die Natur, ein tiefer Blick in
die Bibel, Tradition und Kirche, und ein demüthiger Blick in
uns-mag viel Wahres einfehen. s
* Viel Wahres. Denn das Wahre wird nur durch
die Selbftoffenbarung des Wahren erfannt.
9
18. Die erfte Epoche unfers Studierens.
Es währet lange, und Eoftet viel Mühe, bis die Köpfe
der Studierenden fo recht in Die Tiefen der gelehrten Worte
und Begriffe hinein Eommen.
* Und Biele Eommen nicht hinein, denn fie Ereifen nur
auf der Oberflache.
19. Die zweyte Epoche.
Es währt nochlänger, und Eoftet, wo nicht mehr Mühe,
doch mehr Opfer und Selbſtſucht, bis die Köpfe aus dem Las
Byrinthe der Worte und Begriffe wieder heraus, und zum
eignen, freyen, hellen Unblicke der Wahrheit hindurch kom⸗
men.
# Und es Eommen die Wenigften hindurch, denn die Mei—
ften halten das Labyrinth für die Wahrheit“
20. Geſchichte der Wißbegierde.
Es ift Teicht, die Wißbegierde zu reißen, ſchwer fie zu
fixiren, noch fhwerer fie zu befriedigen, un möglich fiein
ber Sättigungsfülle zu erhalten. '
ke + Wenn das Lettere bey einem Wiſſer wirklich eintreffe:
fo wäre e8 Krankheit oder Traum oder Wahns
ſinn.
21. Das beſte Stärkungsmittel des Gedädt:
niſſes.
Was wir lieben, wird eins mit uns, und bleibt in
uns; das Uebrige berührt nur die Oberfläche, und geht vorüber.
* Darum liebe du die Wahrheit über Alles: dann vers
giffeft du fie ewig nicht.
22. Menſchliches Bild des Gdttliden.
Allwiffenbeit it das Auge, Güte das Her,
Wahrheit der Mund, Allmacht die Hand Gottes. —
* Am beften ıft dieß Bild,da verftanden, wo der Verſte—
bende —— Glaube, Zuverfidht, Liebe, An—
bethung geworden.
9
— iſt beſſer, als das — a u s⸗
chöpfen.
Der Hirt auf dem Felde, ein Menſch, erforſcht nicht die
Rathſchlüſſe im Cabinette ſeines Fürſten, der auch Menſch iſt:
und ich, Menſch, will Gottes Weltregierung ergründen?
* Was der höchſte Regent feinen Freunden ſelbſt offen—
bart, das verkünden feine Freun de, und glauben die
Weiſen, und die Anbethung verliert nichts dabey.
24. Eine Frage an Menſchen.
” Wenn wir den Menfhen, den wir fehen], nicht lieben,
wie werden wir Gott lieben, den wir nicht fehen ?
25. Eine Frage an Chriften.
Wenn wirden Chriſten, den wirfehen, nicht lieben, wie
werden wir Ehriftum lieben, den wir nicht fehen ?
26. Eine Frage an Menfdben und Ehriften.
MWenn wir die Sprache des Gewiſſens, die ſich vernehm⸗
lich ankündet, nicht achten, wie. werden wir die leifſen Regun—
gen des göttlichen Geiftes verftehen ?
27. Der rn im Anblicke der Eisge-
gebirge.
So wenig ein Menfhenwort: Werdet fließend
wie Wadhs, diefe Eismaffen fi ſchmelzen kann, ſo wenig kann
mein Wort: Menſchen, werdet gut, die verdorbene Men—
ſchenmaſſe gut machen.
28. Anders ſpricht der Herr.
Ein Wort aus Gottes Munde, und das Eisgebirge des
Menſchenherzens iſt aufgethan.
* Dann fließen die Thränen der Reue, dann beweget
ſich Zuverſſicht, dann zündet ſich die Liebe an —
und der Menſch iſt neugeboren.
29. Der Engel im Staubgewande.
Der Geiſt des Menſchen iſt ein Fremdling, den es ſtets
nach dem Lichte ſeiner Heimath dürſtet, und der immer mit
den Finſterniſſen ſeines hieſigen Wohnortes zu kämpfen hat — —
92
* Bis er das Staubgemand abgeftreifet, und; in, feiner
Heimath — das Lichtgewand angezogen haben wird.
| 30. Der Engel im Staubgewande,
Der Geift des Menfchen ift ein Edler aus einem ‚guten
Haufe, der nah dem Inhalte feines Stammbriefes, nur im
Guten Ruhe fuhen fol, und nach dem Gewichte feiner Nei—
gung, die Ruhe im Unedlen finden will.
* Und darın Fann er die Ruhe nicht finden. Er darf
fie alfo auch darin nicht finden wollen. Dieß Wol:
len ift feine Sünde und fein Elend. Bon beyden
frey macht ihn nur der Sohn des Haufes.
31. Was gute Schützen made.
Wer Muth genug hat, in allen ſeinen Handlungen auf
ben rechten Punct zu zielen, bat auch Gegen genug, den rech—
ten Punct zu treffen.
* Denn hier iſt gezielt und getroffen Eines.
32. Bier Dinge, die der reife Schriftfteller
weiß. _ t
Der ſeltene Mann weiß, wo er ſteht; weiß, daß der Bo«
den unter ihm feſt iſt; weiß, was er auf den feſten Boden
bauen will, und weiß, daß, wenn Andere ſtünden, wo er ſteht,
und bauen wollten, was er will, ſie feſtſtünden, und nicht ver—
lieren könnten — nur gewinnen müßten — in allen ihren
Bauten. |
35: Die zwey Geſchwiſter.
Unwiffenheit fchlaft unbewaffnet unter einem Baume,
im Sande, wo es Räuber gibt: Irrthum lauft dem Srelichte
nad), und thus Niefenfchritte — aber in Morafte.
* Heil dem, der die Schlafende wecet, undden Sin—
kenden aus den Sümpfen auf die feſte Bahn zurück—
| 34. Bon Gott — zu Gott.
Das Band der edlen Freundſchaft geht von Gott aus,
und aufdie Erde herab; bindet da feine Kinder zufammen ; acht
*
93
wieder heim, Enüpft fie alle noch fefter an Gott, und halt fie
dafelbft ewig unter ſich, und mit Gott vereint,
* Das ift Sinn und Geift der Kirche Chriffi.
35. Necept: wiemanam fiherften ein großer
Mann werden ann.
Thu Gutes wie. ein Mann, und laf dich laͤſtern wie ein
Held, und der Zeiten Strom,..oder vielmehr die ftromlenfende
Allmacht wird di) groß machen in der Zeit, daß du als
groß leu hteft, wenigftens außer dem —* der Zeit;
in dem Hafen der Ewigkeit.
36. Diev Schwerter auf — Zunge.
Der Verleumder verwundet ſein eigenes Gewiſſen,
die Ehre des Unſchuldigen, dener läſtert, und das Ge—
wiſſen des En en, den er zum Mitlaͤſtern verführet
37. Des Chriften Sinn und Sprade.
Mein Re — gottfelig: und genügfam feyn;
Mein Ruhm — der Herr, der mich gerecht macht, und ges
recht ſpricht;
BAR Mahtı— das Gebeth voll Zuverfiht und Erge⸗
ung;
Mein Erbe — der Himmel;
Mein Ein und Alles— der im Himmel wohnt, und
Alles in Allem ſeyn wird.
58. Der Spiegel ohne Falſch.
Der Menfch, fich ſelbſt gelaffen, ift oder wird gar bald
eine: Eleine Welt, voll Angenlug ai und Hoffart des
Menfchen.
* Diefe "Heine Melt ift aber nie erfchaffen von Gstt;
fie ift in die Schöpfung Gottes auf andern Wegen erft
neben eingekommen.
59. Die Demuth des Philoſophen.
Wo mich das geringe Licht, das in mirleuchtet, im _
Dunfel läßt, da folgeich dankbar dem höhern, das mid im
Lande der Dämmerung beſuchet.
* Denn dieſes ift Geſchenk, wie jenes.
94
40. Der Stolz des Philoſophanten.
©ott Fann mir nichts offenbaren, ald was meine Ver:
nunft controflliren fann.
* Die Gloſſe fteht Nr. 41.
\
41. Der Unfinn des Bettlers.
Der reihfte Mann im Lande Eann mir nichts geben,
was nicht fhon indem HIEDIEN Ak meiner Habe als vorraͤ⸗
thig bezeichnet ift.
42. Das Buch an feinen Rezenfenten.
Die Meiften rihten mich nach fih — die Wenigften nach
mir: wer richtet mich denn nach der W abrheit?
45. Sep nit blind gegen die Elare Schrift des
Menſchengeſichtes; denn
Der Finger der Wahrheit hat dem Menſchen ſein Atte—
ſtat in das Geſicht geſchrieben: dem, der die Hand I
Wahrheit lefen Eann!
44. Traue nicht jedem ng
zuge; denn
Der fchlechtefte Menfch kann ſich ein gutes Schild von
dem Hofmahler mahlen laffen, und aushängen — auf einige
IUTER:
45. Das Gewiſſe.
Da, wo der Menſch nicht Zeit hat ſich zu verſtellen, und
aus dem Herzen handelt, ſpricht, oder auch nur drein ſieht:
da iſt es Wahrheit, was ſeine Zunge, feine That, fein Ge—
fit fpreden. |
46. Menſch, ſey kein Affe!
Nach ⸗gelallt, ift kindiſch,
Nach-gekünſtelt, iſt höfiſch,
Nach-gezwungen, iſt knechtiſch,
Nach-gebethet, iſt ſclaviſch.
98
47. Sey wahr im Auge der Wahrheit!
Der höchften Wahrheit gefällt das unreine Opfer ber
Lüge nicht; gefällt ihr in Feiner Sache: aber in Sachen der
Religion ift es ihr ein Gräuel aller Gräuel.
48. Auch die Lügen der Politik find Lügen.
So wenig der gefunde Leib einer Arzney, fo wenig be
darf eine gerechte, weife Regierung der falfchen Politik.
* nd wie die unnöthigen Arzneyen den gefunden Leib
krank machen: fo die Lügen der Politik den Staat.
49. Der Unterfdied.
Shen ift die Mythe, die den höchften Ring der Natür-
Fette unten am Throne des Jupiters anſchließt; ſchöner noch
das Evangelium Chrifti, das alle Ringe der Naturkette nie=
derleget in die Hand des Vaters, die ſich nur nad) dem Gebe:
the der heiligen Liebe beweget.
50. Geift und Bemüth.
Die Erforfchung der Natur gewährt ihren Eingemeihten
ein demüthiges, und ein anbethendes Wiffen ; ein demüthiges
in Hinfiht auf Natur, die für die höchſte Wiffenfchaft noch
genug Geheimniffe übrig behält; ein anbethendes in Hinficht
auf Gott, der das Leben alles Lebens, alfo aub der Na
tur iſt.
51.
Jede Secte hat als Secte das Succeſſionspulver im
Leibe. |
* Und hat es gleich bey ihrem Entftehen eingenommen.
| 52.
Alle enge und ftrenge, Gemüthsgeftalt bindet den
freyen, und hemmt den milden Ginndes Evangeliums
in ung, und außer uns.
* Denn, wo der Geift des Herrn, da ift Freyheit.
J 53.
Wo der Geiſt des Herrn, da iſt Freyheit.
* Aber des Geiſtes, nicht des Fleiſches.
54,
"Führe deine Brüder zu ihrem Vater durch Daritellung
des Wahren, *
* Denn das Lehren bauet viel.
55.
Führe deine Brüder zu ihrem Vater durch das Voran—
gehen im Guten.
0% Denn das Leben bauet noch mehr.
56.
Führe deine Brüder zu ihrem Vater durch Fürbitte,
um alles Wahre und Gute.
* Denn dad Gebeth bauet da, wo Lehre und Les
ben nicht bauen. konnten.
57.
Führe beine Brider zu ihrem Vater — durch Wach—
ſamkeit.
* Denn das wachende Auge hilft bewahren, was
Kane Leben und Geber) gebauet haben.
58.
pr die Menfgen durch Liebe zur Liebe.
* Denn die Liebe baut und bewahret das Wahre und
Gute durch Lehre, Leben, Gebeth, Wachſam—
Beit, und durch taufend andere Erfindungen ihres uns
re Genius.
50.
Chriftus im Herzen, und das Kreuz auf dem Rücken !
* Das ift der Wahlfpruh des Geduldigen: Chriftus
im Herzen macht das belaftete Herz leichter, und die
aftene eg geringer.
-60.
Der Slaubean Gott ift das Ohr, dasauffeine Stim-
me borchet, das Auge, das auf feine Winke ſchaut, die 3 un⸗
ge, die ſeine Wunder verkündet, die Hand, die feine Befeh⸗
le ausrichtet, die Schulter, die ſeine Vurde tragt.
* Und
x
€
FE
“ Und das Herz, daß ſi pi in Liebe allen feinen Züprun-
gen unterwirft.
m
4 5 * 5%,
is Eu Ar ! EN
61. { RW,
FR
Wenn du alle Bänder und Meere — Weitipeie n nur
auf. der: Land: und Seekarte haſt; ſo haſt du von an Rändern
und Meeren — nichts. Bar mariasdr
* Wenn du alle Religion, Zugend, Weisheit und Se⸗
ugkeit nur auf der Landkarte deines Denkens baftj: fo
haft du von alter Religion, Tugend, — und Se:
— — we 3
62% J 182 13 $
Fleiſch zeuget PETE der Verſtand Bari bie Phan⸗
taſie Ideale, die Vernunft Ideen.
* Gottes Geiſt geiſtige Menſchen.
rg —
Es gibt noch Menſchen, die wie. Maria glauben, wie
Simeon hoffen, und wie‘ Johaunes heben. nme moon
* Denn dag Gute ſtirbt/ auch im Rande EN Bo nicht
aus. + 2 N} 13H sn
64.
Es gibt noch Larven der Vernunft ohne Vernunft, dar⸗
ven der Heiligkeit ohne Beiligkeit, Larven dei Bröptig eit opne
innere Sreude und Freudefaͤhigkeit.
„.* Denn die drey unedlen G eſchlechter ber PR
zäer, Pharifäer und Epikureer:find leider!
auch noch nicht ausgeftorben, und fterben fo bald nicht
aus. .
DUBTET EHE
H 65
hd
* — dieſe A on fan mich vor: —
des Schwindels nicht — noch weniger dem wir
lichen in mir befiegen."-
Sailers Sprüche. 7
90
EN. ‚66. *
Das Geſetz gebeut mir klar und beſtimmt: fülle die Kluft
aus, die zwiſchen dir und dem Guten liegt.
* Aber das Geſetz allein gibt mir weder Kraft noch Muth,
Vie Kluft wirklich auszufüllen. Das Gefeg ift alfo auch
eine Art Demonftration wie Nr. 65. —
Ein anderes iſt Vernunft-Licht, und ein anderes Ver:
nunft: Wahn.
* Den Vernunft: Wa hnmuß ich offenbar gefangen neb-
. men, um das Vernunft-Licht in mir ungehinderg
leuchten zu laſſen. 2
—
Gt
’ «
— is
BIETET TE un ' ‘ ‚
Ein anderes ift das Licht meiner Vernunft, und ein ans
deres das Licht — der höchften Vernunft — Gottes.
* Wenn ih nun den Bernunftwahn fon gefangen neh-
men muß, um das Licht meinen Bernunft in mir leuch⸗
teen zu.laffen: werde ich nicht auch denfelben Vernunfts
wahn gefangen nehmen müſſen, um das höhere Licht
Gottes in mir leuchten zu laſſen?
. irren? ar, | * 69. . h . . 8
Das Evangelium ohne Leiden gehört für den Himmel;
das Leiden ohne Evangelium für die Hölle; das Evangelium
mit Leiden hierher auf die Erde — i
* Unfer Evangelium ift.alfo ohne die Paßion nicht ganz.
na u BEE
76.
Zür böſe Menſchen find Leiden eine unſichtbare Ge—
walt, die ſie nahe am Rande des Abgrundes niederwirft, daß
ſie die Augen aufthun, ehe ſie hinunterſtürzen.
und umkehren, ehe fie — drunten liegen.
| 71. tnäsd,
gFur gute Menfchen find-Leiden ein Verh au mitD or:
nen, den die Liebe gemacht. hat; damit ihre Lieblinge ſich nicht
mehr fo leicht aus dem Mutterſchooße verlaufen. '
i 99
* Und wer ift fo feft im Guten, daß er diefer Verzaͤunung,
bier im Lande der Verirrungen, nicht mehr bedünfe ?
N i
Auch die Geiftesiwiege, der‘ Leib, fey dir heilig!
* Um des Zöglings, der darin erzogen wird, um deſ—
fen, der ihn hineingelegt hat, und um dr Nach barn
wegen, die den Zögling ohne Wiege 38 anfaſſen
koͤnnten.
73.
Se ich Beulen im Antlige der Wahrheit, deſto mehr
Reitze Für ihren Sreund, der fie am Königsblicke erkennt.
* Er möhte ſie gern auch für die lieben, Bei ſie ge⸗
ſchlagen haben.
z4.
Der Atheismus iſt im Felde der —— was die Anar⸗
chie im Felde der Politik.
* Jener ſetzt die blinde Nothwendigkeit auf den Thron,
dieſe die blinde Rat; beyde wollen feinen Res
genten haben.
75.
Der Menfch ift Gottes.
* Darum, wenn er fich ſelbſt fucht, faͤllt er von dem ab,
deſſen er iſt.
76.
Sammle die Broſamen. —
* Denn ſie werden einſt zum Brothauſe für Dürftige. _
Vielleicht für dich felber, und die Don.
77.
Auch auf mag geht es, bey edlen om dem
Himmel zu.
* Und gerade auf Holzwegen am ſicherſten.
7%
109
J |
Unfer Baumeiſter ift Chriftus, ſpricht der Chriſt.
* Denn er baut zuerft der Wahrheit eine Wohnung im
Menſchen, und hernach dem Menfchen eine Wohnung
in feiner Herrlichkeit.
79
Ein Gemädht ſprach zum Töpfer: du haſt mih nicht
gemacht; ein zweytes: du fiebft mich nicht; ein drit-
tes: warum haft du mi fo gemacht? n
* Das erfte fagt der Gottesldugner, das zweyte ber Sun:
der in geheim, das dritte, der Gottes Wege meiftert.
80. |
Alles ift Elar für den Menfchen, wenn Alles rein ift im
Menſchen.
* Dieß kann der Gute in der Zeit ahnen, der Reine in
der Ewigkeit erfahren.
Bar 81.
Der Brief, den dir dein Freund vor Fahren fchrieb, wird
eine Reliquie für dein Herz, fo bald du feinen Tod inne
wirft. J—
* Und die Reliquie ehreſt du herüben — bis zum Wie—
derſehen drüben.
82.
Es wird auch dieſer Sturm vorüberſtürmen.
* Denn unſer Gott ſchläft nicht, und hat auch für den
Sturm ein Machtwort, das Stille gebeut, und ſpricht
ed aus — zu feiner Zeit.
; 83.
Der Geiß ift hinter dem Gelde, wie der Jäger hinter
* Aber die Hoͤlle mit allen ihren Wehen ift auch hinter
dein Geiße, wie der Jäger hinter dem Wilde.
64.
Vergäangliches muß vergehen, damit das Unvergäng»
liche feine Unvergänglichkeit darthun kann.
* Das iſt die Aufſchrift an der Tafel der Ewigkeit über
alle Ruinen der Zeit.
85.
Die Wahrheit ift der * und wer ſie Pi muß zum
Kerne durchdringen.
* Aber um manchen ih liegen fo viele und dichte Scha⸗
len herum, daß fich viele die Zähne ausbeiffen , ehe fie
zum Kerne kommen.
86.
Die Erde ift Gottes Pflanzftätte für den Himmel.
* Und der Himmel Säugame für die Erbe.
N ar |
Seder Goliath findet feinen David — zu feiner Zeit.
* Und an feinem Orte, denn oftift auch da ein Goliath,
wo wir den David fuchen.
/ 88. sn
Reichthum an fi, — verdammt Eeinen Befißer.
* Denn Gott ift ja der allerreichfte, und hat felbft die
größten Reichthümer in feine drey Neiche, der Natur,
der Sittlichkeit, der Seligkeit — gelegt.
89.
Viele Schaͤtze,
Diele Nege —
* Kür die Begierde, die darn ach geitzet, fih davon
fangen laßt, daran hängen bleibt, und darin flirbt.
90.
Wenn der Reiche arm wird, fo bat er weiter nichts als
den Kamehl- Rüden verloren. —
* Kann defto leichter durch das Nadelöhr hindurch kom⸗
men — wenn er will. Denn die Armuch bat oft
02
einen Kamehl-Rücken anderer Art, da, wo der Wille
fih nad) gottlofen Selbſthülfen ausftreekt.
Le ran ine
ai Prozeſſe ſind das Waſſer, das den Abvocaten ihre Mühle
veibt
* Und das Waffer, das das Kabı bes Eigennuges treibt,
kommt meiſtens auch aus der Quelle des Eigennutzes.
92.
——— ſind —— Medhdethe * ſich
daran.
* Oft wird die Stange * dem Scwtdenker — * —
Bit Ungefehenen — die er noch dazu für Machbecher
alt,
- —
Beſſer mit der Hand an ſeine Bruſt ſchlagen, als mit
dem Finger auf Andere deuten.
* Denn vein Fingerdeuten beffert in BER ER: und
verſchlimmert in Dir Vieles. -
04: .
Ausgeblafene Kerzen —* ug, 0b fie gleich nimmer
leuchten. —
* Dein € EN — fie auf 4 so dem @uten,
wo. du ai "ib mehr. —
05.
Wo alle —— kurz, da er Gottes Hand *
lang genug.
* Und ſie langt ſchon hervor aus der Wolke — es fehlt
nur nod die Glaubenshand, die fie anfapte!
f 1 96. 3 ’
Die Kleider find nätzlihe Decken dem Weifen,
Kaufwaare dem Krämer, anielneuge b dein Kinde, Eis
telfeitsfram dem Thoren.
* Das find die Fäne und eiesen — den Menſchen.
'
—
105.
— — ———, —
Das an kommt nicht, um — zu Blei
ben, fondern um Zag zu machen.
* Die Erkenntniffe der Zeit ſind nicht da, um zu bleiben,
ſondern um dem vollen Tage der Ewigkeit Platz zu ma⸗
chen.
gps
Die Pinjelftriche kommen nicht auf die Leinwand, um
einzelne Striche zu bleiben, fondern um ein ganzes Gemählde
zu maden.
* Die Tugendkeime ſproſſen im Menſchen nicht, um Kei⸗
„me zu bleiben, fondern, um die Tugend: —— —*
N se zu mahen,
+ — rg; —
Das ſind die —— Schriftleſer, die ih * Sen der
verwandelt werden.
* Denn’ der Zweck der "Bulchftaben: Schrift ift, aus ben
Menſchen sr — bes altes
u —— J
uch eg 1) Ver It; ü
— Friede, dreude — in F
Eommen von Gott; RT 2
kommen durch Chriftus ;
wurzeln im Innerſten des Menſchen;
blühen im Innern und im RR
reifen bier;
werden vollendet dort:
* Der befte Wein am Ende.
allg Ares an — —— ic
bar at A
2 mr 8 u; 8 a * ——
133 N RER TEE Klubs nnd in
Brofamen.
ar Ein Datbe Hundert kleiner 53
tod) c { 73 ar as
EN
*
1985690 ?
— — na
Rn Re 4 PO ⸗ Menſchen. —J *
Mi ‚ Teenie der Hausrater vor ber ! Yäusthlir ſtehend, fi ch
von Morgen gegen Abend, und von Abend gegen Motgen um⸗
wendet, und infein Haus geht/ und ſich nieberlegt: fo ift das Ler
ben aha er ſieht ſich um in der Welt, legt 1 nie=
der — und
>»
Moden u 2, Eine unbekannte Sünde. N a > *
Waer das geſunde Gefühl des Wahren, Guten, Schö—
nen durch ein Idol der Vernunft, hinter das ſich die Seldft-
fucht verſteckt, chikaniret: der pefinbiget fih am Wahren, Su:
ten, Schönen — wenn gleich ie ganze aelehrte ni den
Sünder und fein Idol dafür aufiden Altar ſetzte.
Br Bothſchafter. nur tig; sit
Wenn Gott, der Hert, ſich zur Hülfe aufmacht, ſo ‚ge:
ben ihm zwey Engel voran, und zwey nach: jene heißen Des
muth und Vertrauen; diefe Dank, daß er. half, und
beilige Sucht, daß wir fein Auge nicht beleidigen.
4. Auch ein Mepertorium.
Haft du den Frieden indir verloren: io imache geſchwind
wieder — ſeine Stelle in deinem Herzen rein; und ſieh! er
kommt und nimmt ſie wieder ein.
5. Ein Rath, brauchbar in jedem Falle.
Haſt du den Sinn der Kinder Gottes lebendig in dir,
ſo ſetze dich an ihre Tafel, und iß dich ſatt: wo nicht, ſo ſammle
dir Bro amen, die von ihrem Tiſche fallen, und ſtille die Yun
gersnoth.
106
6. Der kurze Proceß.
Wenn deine Sinnlichkeit ein Vieh, und deine Ver⸗
nunftein © ott feyn will: fo ſchlachte du ın dir nur die Selbft-
ſucht, die Viehesluſt und Götterehre genießen will, und.es wird
die Sinnli chkeit der aaa und die Vernunft Gott ges
horchen.
7. Danken und Bade n.
Wenn die Frühlingsfonhe ſcheint, fo treibt fie die gute
Saat aus der Erde, undlodet auchdie giftigen Schlan—
Be aus ihren Höhlen hervor., Danke du Gott für den
Wachsthum der guten Saat, und made, daß bie Aur
gen, den Garten Gottes nicht verwüften.
8. Sreunde und Sein De
Wer die gute Saat zertritt, oder den Sdemann ktäge
it e ein Feind des Gartens; wer. aber den Garten nur vor der
Schlangenbrut bewahren will, ift ein Freund — Gottes und
feines Gartens. 3
9. Einft — jetzt.
0 Der- Glaube bes Herzens, das Bekenntniß
des Mundes, und das Thatbekenntniß des Lebens ın Ei-
nem Apoſtel des Chriſtenthums — wirken mehr, als. hundert
Beweife für das Ehriftenthum in hundert Menſchen — mit
todtem Glauben, mit lahmen Bekenntniſſe, und einem heid—
niſchen Leben.
10. An eine Blume.
Lang erzog dich Gott in einem Blumentopfe, der im
——— Beete ſtand: jetzt ward der Zaun niedergerif-
fen, der Blumentopf zerſchlagen, und du in das freye Feld
gefegt, um den Geruch des Lebens überall zu verbreiten.
11. Das jüngfte Gericht.
Jüngſt trat die Wahrheit in einen großen lichten Saal
— fie nannten ihn den Chriſtentempel — um Bericht zu hal:
ten. Da fie ein Slammenauge bat, fo war die Scheidung
mit Einem Blicke in die. Herzen vorüber. , Hierher, zunachft
an den Altar, fprach fie, die einen Tebendigen Chriſtus
haben. Zurück, zunächſt an die Zempelthür, die einen to de
fr?
106
ten Chriftus haben. Hinaus * Tempel ‚die * keinen
— haben. a
Die ‚erfie Klaſſe. ——
Die Beſten unter denen, die einen lebendigen Chritus
hatten, lebten nicht mehr fi, fondern Gott, und was in ihnen
lebte, waren nicht mehr ſie ſelber, ſondern Chriftus. Er war
das Licht in ihrer Vernunft, die Greundfichkeit in ihrem Auge,
die Flamme in ihrem Gemüthe ‚das Leben in. ‚Ibrem, ‚geben.
Die zwehte alaſſe. 3 I UUB I HU 9
Die einen todten Chriſtus hatten, fahen in die heiß
gen Bücher hinein, hörten det Predigt zu, Kopie eh
mancherley Gebethe mit den Andern. Aber ihre‘ Sefnnung
und ihr Wandel: ließen wenigfteng., Feine un ehhenide
Yenderung fpüren. Es war-faft, als wenn fie nicht ‚gefehen,
nicht gehört, nicht geſprochen hätten. Chriftus war nur ein
kalter Begriff in ihrem Kopfe, oder ein nichts bedeutender Laut
in ihrem Munde, Eein Tebendiger Geiſt in ihrem Herzen, keine
Seele in ihrem Leben.
Die dritte Klaſſe.
Die gar keinen Chriſtus hatten, kannten weder ſeinen
Buchftaben, noch feinen Geiſt. Was fie in fich hatten, war
Weltgeiſt; was fie an fi ſchautrugen, war Weltge-
ftalt; was fie außer fich bauten, war fonieder, wieder Welt
9, eift, und fo vergänglich, wie die Beltgeftalt.
Zwey Mittelflaffen.
Nach der großen Scheidung blieb noch ein vermifchter Hau⸗
fe in dem Tempel zurück. Einige waren eben imllebergans
ae von der zweyten zur erften Klaffe, Andere im Rückfal—
Te von der erften zur zweyten. Die Wahrheit lagert fie in
Mitte zwifchen der erften und zweyten Klafle, doch fo, daß jene
näber zum Altare, diefe naher zur Tempeltbür hin:
rückten.
— Wahrheit ‚ wie heißt die Stelle, die bein -
durchſchauender Blick mir nicht erſt anweiſet, fondern ſchon an⸗
gewieſen hat?
12. Drey Stimmen.
Die Eine Weisheit hat drey Stimmen. ine fchreyet
auf der Gaſſe fo laut, daß fie jedermann hören Fann; die
107
andere. tonet fo Yeife im Heiligthume, daß fie nur der
GSottfelige vernimmt ; die dritte donnerrin der Weltgefhich-
te fo ſchauerlich, daß die Völker der Erde daroberzittern. Von
allen dreyen liegen in unfern heiligen Schriften, als einem At-
chive der Weisheit, die ſchönſten Zeugniffe, in der Kirche
Gottes Siegel und Bewährung einer jeden.
15. Der Menfh der Erde.
0 Die: Erze.. in. der ‚Erde begraben — empfangen fein
Licht. Die Pflanzen auf der Oberfläche der Erde empfan—
gen Licht, aber fehen es nicht, umd können ſich desfelben nicht
‚freuen Die Thiere empfangen es, ſehen es, und werden
deflen froh, Der Menfd empfangt das Licht, fieht es,
kann fich deffen freuen, und noch darüber nachfinnen, wo e8
‚berfomme. Hier Tiegt-die Wurzel des Adels, den die jetzige
Menſchheit vor den übrigen Gefchöpfen dev Erde no d hat...
14. Der Menih des Himmels.
Der Menſch Fann nicht nur das Richt der Sonne em-
»fangen, feben, genießen, und über deſſen Urfprung nachſin—
nen. In ihm kann auch der Funke einer höhern Son—
ne, den er in ſich trägt, durch das Wehen aus dem Lande
der Ewigkeit angefacht, kann Flamme, Sonne werden, und
den irdiſchen Menſchen in einen himmliſchen verklären. Dann
iſt die heilige Ruine des Ur-Menſchen wieder verwandelt — in
das lebendige Gottesbild.
15. Zieh Die Schuhe aus, denn hier iſt heilige
ur * Staͤtte. N
Die Seher Gottes fahen in Gott das Wefen aller
Weſen, faben den Unermeflihen, und betheten an.
7 Die Seher Gottesfahenin Gott den Heiligenal- -
les Heiligen, fahen in ihn die Wahrheit, die Liebe, die
Schönheit, und jubelten.
Sm erften Blicke ricfen fie aus: Gott ift der Allum—
faffende x.: Alles leber in Gott: in ihm Icben, we:
ben und find wir alle. Im zweyten Blick fangen fie
Iobpreifend : Gott iftder In nwohnen de; Er vohnt in ſei—
nen Kindern allen, der Heilige in feinen Heiliger. —
Entheiligt den Tempel Gottes nicht: und dir ſeyd ihr!
108
16. Das wichtigſte Datum unfers Lebens.
Sobald das wahre Licht mit fiegender Macht in uns
ſcheinet: fo beleuchtet e8 die Bahn Gottes zu uns, und die un-
fere zu Gott.
Von diefem Zeitpuncte an fernen wir, Gott und uns,
Chriſtus und Chriſti Geift, das Leben und die Welt, Zeit und
Ewigkeit verftehen.
Bon diefer Zeit an datirt fi in ung das Bruftans
fhlagen im Angeſichte der ewigen Gerechtigkeit, und das
fih Anlehnen an die ewige Liebe (Demuth und a
fight).
Von dieſer Zeit an nimmt die Wahrheit ſelber He⸗
berg in uns, und mit ihr Friede und Freude, und Gerech⸗
tigkeit.
WVron dieſer Zeit an iſt die heilige Liebe in uns geboren,
‚und mit ihr dev Himmel, und mit dem Himmel das höchfte
But.
17. Die ewige, die geitlide, die Eine Bafis.
„Altes ift Sottes. Bott ift der Eine inAl—
lem: abbangigfeynvon dem Einen unab han—
gigen, ift unfer Wefen.“
Dieß Gefühl des Nichtigen ohne Gott, und außer Gott,
ift die Demuth des Seraphs im Lichte des Himmels und die
Demut) des Menſchen im Staube der Erde.
Und diefe Demuth hat eine ewige Baſis: Altes ife
Gottes.
Demuth hat aber auch eine zeitliche Baſis: „Wir an
gefündigt, und wir haben Gnade gefunden.’ Dieß =
der Sünde, die unfer, und der Huld, die Gottes it, macht
die Demuth des Menfchen biernieden aus. - Denn drüben flie-
Bet fie ir Eins zufammen mit der Demuth des Seraphs und
aller Heligen: Alles ift Gottes. Und dieß iſt die Eine
Demuth, die Perle des. himmliſchen, die. Grazie bes
irdiſchen Lebens — die Wahrheit in jedem.
— 18. Die Feuerprobe.
Wen Freundſchaft bloß einen zeitlichen Lebenskeim Bat,
fo hält fiedie Seuerprobe nicht aus, — Alles bat fich verflüch-
figet, undnun ıft auch erfchienen, was fie ſtets war — Nichts.
Iſt fie abe aus der Ewigkeit geboren, fo Eann fie zwar der
Yäuterung nicht entbehren; allein fie gebt aus der fchmelzen-
J
109
den Gluth im neuen Glanze hervor ’ denn nur die Schlacke
hat ſie zurückgelaſſen.
19. Die Wahlfahrt der Chriſten.
Wir pilgern alle nach dem gelobten Lande: — dazu iſt
uns eine genaue Charte, ein ficherer Führer, und
ein tühtiger Reiſeſtab gegeben. Die Landcharte nach
den zuverläßigften alten und neuen Entdeckungen gemadt, it
die heilige Schrift. Aber das gelobte Land ift fienicht;
denn das gelobte Land kann nur das ewige Leben ſeyn.
Sie ift auch nicht der Führer felber; denn der ift Chris
ftuß, der die Bahn in das gelobte Land vor uns gebrochen bat,
und uns an der Hand hinein geleitet. Sie ift auch nicht der»
Reiſeſtab; denn der ift der himmlifhe Muth, den ung
das Benfpiel frommer Mitpilger, die Zufprüche der Kirche, und
die Subelgefänge der Heiligen einflößen. Sie kann auch nice
für uns wallfahrten: das müffen wir ſchon felber thun. Aber
fie weifet doc an den Führer; fie, beichreibet uns den Reis
feftab wie das gelobte Land; fie ermuntert zum muthigen
MWallen; fie ift ein freundliches Geſchenk des Führers,
und ein Wert feines Geiſtes.
20. Der große Lehrftuhl.
Drer Lehrſtuhl Ehrifti ift fo weitund fo groß, als die ganze
En Es ift Fein Menfchenherz, in das er nicht Feuer fenden
ann
Seine Funken fahren überall umher, und fangen allents
halben. — euer zu fenden in das Menfcenherz, das war der
Beift feiner Erfcheinung auf Erde; Feuer zu fenden in jes
des Menfchen: Herz, das ift der en, Sinn feines Herr⸗
ſchens zur Rechten des Vaters.
21. Die dreyfache Beſtimmung.
Das Erdre ich, in dem die Keime der Ewigkeit Menſch
wurden, warft du. Die Gärtnerinn, bieden Menfchen:
wir in ihrer Entwidelung beyſteht, daß fie Engel werden,
iſt du.
Ihre Mit: md Vorfängerinn im Chore der
Auserwählten — wirft du werden — im Lande der vollſtimmi—
gen, ewigen Harmonie. —
22. Die vmagifhe Shönheitshrunnen.
Der vertraute Umgang des Gemüthes mit dem ewigen"
Lichte, weihet zum Kampfe wider. die Finſterniß; im. Kampfe
wider die Finfterniß geht dem Auge des Geiftes göttliches Licht
auf, im göttlichen Fichte wird veine Liebe geboren; veine Liebe
ſchaffet Tautere Freude, lautere Freude gießt neues, himmli—
ſches Leben in die Seele; neues, himmliſches Leben verſchönert
das Gemüth, und die Hülle des Gemüthes, den Leib.
25. Der Machtſpruch.
—Geiſtiſt der Herr: das iſt der Machtſpruch des
Chriſten. Iſt er der Herr, fo darf er zu jedem aus ung fpre=
hen: Gib mir dein Herz! Iſt er Geiſt, fo kann er uns alle.
mit Licht, Liebe, Leben durchdringen. Weil er der Herr ift, fe“
find. wir alle fein. Weil er Geift ift, fo ift er unſer. Als
Herr iſt er über uns, als Geiſt in uns.
i. Religion und Wiffenigaft.
Die en ift das Auge, das der ewigen
Sonne demüthig zufchauet, wie fie, allerleuchtend, Strahlen
ihres Lichtes ausfender in die ferniten Negionen des Univer-
fums. Religion aber ift der Brennpunct felber, in dem die
Strahlen fid fanmeln und zünden, daß das göttliche Feuer
— aufbrennt, und neue Sonnen ſchaffet, und“ neue
elten.
"25. Die RE EN oder die Tafel der
Weisheit.
1. Es ift uoh Ewiges im Menfcen. -
11. Das Emige ift zwar in das Zeitliche eingeftefen,
und vom Zeitlichen umgeben, aber von dem Zeillichen unzer⸗
ſtörbar.
III. Dieß Ewige iſt von der Urquelle des Lichtes, des
Lebens abgeſchnitten: kann aber wieder mit ihr vereinigt wer:
den.
die Selbftfucht.
V. Was das Ewige in ung wieder mit ber Urgibne ver⸗
einigt, iſt die heilige Liebe,
VI. Was das Ewige in uns mit der heiligen Liebe au
fet, iſt der Geift Gottes.
IV. Was das Ewige in ung von der Urquelle trennt, ift
11t
vH Der Macht bat, das Ewige in ung mit dem wa
Gottes zu taufen, ift Chriftus.
26. Sinn diefer Blätter.
Das Wort Gottes iſt das Brot für die hungerige Menfch-
beit. Dieß Brot-ift fhon gegeben, und wird immer neu
gegeben: es darf nur getheilt, und dargereicht werden
nach den Bedürfniffen der Hungrigen. Nun gibt es Zerglies
derer, die durch Zergliederung das Nährkräftige des göttlis
chen Wortes entkräften. Diefe Entkräftung beißt FOREN h ö⸗
here Auslegung...
Es gibt aber auch, Ausfpender, die ed durch Thei⸗
lung, und Darreichung den Hungrigen genießbar machen.
Spende du den Kindern Gottes Broſamen, die den Hun⸗
ger ſtillen, keine Auslegungen, die dem Kinde das Brot, und
dem Brote die N zu nähren, den Geiſt des Brotes weg⸗
ſtehlen
. Die Horen. ;
Ag dieß ann Leben hat goldene Stunden
Aber nur da, wo Religion und Liebe freye Ergiefung
finden, fhlagt das goldene Stündden; binde dur ibm den
ſchnellen Flügel , fonft fliegt es unwiederbringlich davon.
28. Die Unrube in der Ihr.
Der menfchliche Wille fol von fich abfallen, um in Gott
zu ruhen; nun ift er von Gott abgefallen, um in fi zu ru—
ben: und dieß ift die Quelle aller feiner Unruhe.
29. Das Eden,
Wo Seelen in Seelen Tefen; da fängt das, —
an — aus der Erde hervorzukommen; wo fie einander vers
ftehen, da geminnt es eine Geftalt ; wo fie ewige Treue
einander zutrauen müffen, da Eommt es unter Dach; wo ſie
die zeitlichen Hüllen abſtreifen, da verwandelt es ſich in eine
ewige Hütte.
30. Das ſchönſte Saitenfpiel.
Jede gute ‚Familie ift eine Harfe Davids zum Robe des
Einen Menfchenvaters, Auch die jüngſte Saite ftimmt früh
zur Harmonie mit ein — und Flingt gerade um fo Fieblis
212 ü
—— weniger ſie von dem im diuger der — noch argesuit
fen iſt.
at. Das Ja.
Wenn der Ewige Ja fagt, fo fieht es im Zeitlihen da.
Denn Gott ift das große, das einzige Ja im Univerfum,
die Einheit vor den Nullen, Ki in den Ziffern der,
Endlichkeit. —
52. Die einzige. Siherbeit.
„Die ewige Liebe hat ein allfehendes Auge, vor
dem alle Nacht Tag ift; eine allwaltende Hand, die
herrlich durch - und felig hinaus: führt; einen allume
faffenden Schooß, in dem fie ihre Lieblinge tragt durch
Flur und Flamme, und ar daß ihnen Feine Ei, und feine
Gewalt fchade.
33. An Menfäen, die noch Pflanzen find.
Die Pflanze faugt den van des Himmels, und ben
Saft der Erde ein, lebt im Lichte und in der Luft Gottes
— und kennt Himmel und Erde, Licht und Luft nit, und
Den nid der dieß Alles gemacht hat. |
Alfo nur ein Pflangenleben lebet ihr — Men-
ſchen ohne Gott; indem ihr wie,die Pflanzen von den Gaben
Gottes lebet, und wie die Pflanzen, ohne Gefühl des Dankes
gegen die Eine Quelle aller Gaben — vegetirt.
Shämet euch des a und werdet —
Menſchen!
34. An einen Selbſtgenugſamen.
Wenn deine Stunde ſchlägt, fo werden dir neue Anficy-
ten, neue Einfichten, neue Ausfichten gegeben; Gegenwart,
Vergangenheit, Zukunft erfheinen dir im neuen Lichte, und
ganz anders — — — du wirft neu geboren. u
35. Die unerläflihe Bedingung.
Die Weihung des Gemüthes für den Dienft der Ewig-
£eit kann fo wenig ohne das göttlihe Salböhl geſchehen, als
der Eintritt des Menſchen in das Leben der Zeit une ge
Pr
J Die
36. Die Geſchichte.
Wenn der Geiſt Gottes in ein Menſchenherz einkehren
ſoll, ſo zerbricht er zu erſt die eiſernen Thore des ſelbſtgerech—
ten Stolzes; dann erregt er einen allgewaltigen Hunger und
Durſt nach dem Ewigen.
Endlich kommt er felbft nah — und bringt Licht, Lies
be, Leben mit — und fpeif und tranft damit die Berl ade
tende Seele.
99 re 37. An die Dabei ci en
Wenn die — eure gerechte Sache nicht ſtüt⸗
zen, fo müſſet ihr ſie ſich allein wehren — und zu Gott
ſchreyen laſſen. Wer ſie kennt und liebt, mag auch mit-
ſchreyen — nachdem er fruchtlos und fruchtlos
das S a verfucht bat, ihr aufzubelfen.
Die gerechte made ftirde nicht. Und, wenn man jie am
Freytage begrübe, am Sonntage ftände fie init dem erſten Sone
nenftrahle-vom Grabe auf,
38. An die Drückenden.
Shr Drüder des, Gerechten! was wollt ihr mit all
eurem Drucke! Gott Eönnet ihr ihm nit vauben, und
euren argen Sinn Fönnet ihr ihm nicht in fein Herz pflanzen
— und. alles Lebrige, was ihr fonft noch könnet, ſchadet
ihm nicht, erhebt ihn nur über Ba und erden ——
als ihr nicht ſeyd.
39. Andacht PN ‚Andacht.
Es gibt eine Andacht, die die Welt mit, ins Gebeth
nimmt — um Zeitliches bittet. —
Es gibt aber auch eine Andacht, die die Welt ausfchließt:
Diefe ift eine rein: him mliſche, jene eine him m⸗
liſcheirdiſche.
40. Werth des Neuen.
Freyheit it uns anerſchaffen, Selaverey ange⸗
boren: wir müſſen alſo neu geboren werden, um wieder
ſuey zu go
Der u Ha Altar,
Die —J Freundſchaft hat eine göttliche und menſch⸗
liche Seite: nad) jener iſt ſie ein Altar, auf dem wir unfere
Sailers Sprüche. 8
114
beſten Gelübde für, und mit einander opfern; nach dieſer ein
Brief, durch den wir unſere ſchönſten Aus ſichte n, Freu—
den, Leiden mittheilen. s
42. Wer ıft der befte — unfers Iapı
bunderts
Der befte Padagog unfers, und aller Jahrhunderte iſt
das „Mutter herz,“ das durch Winke aufklärt, durch
Vorbildung des Guten nachbildet, durch Liebe zur Li e⸗
be erzieht, und in Liebe bewahrt, . — mas Liebe er:
zogen bat.
43. Das Loos der menſchlichen Tugend.
Sobald du, o Menſch! deinen zertretenden Fuß don ber
Begierde weghebeft, und das aufblidende Auge von Sort weg:
wendeft: fo bift du in ber Hand des’Böfen.
+44. Der höchſte Menſchenadel.
Zwey Blicke ſcheiden den Menſchen von dem Thiere: der
Blick in ſich hi nein, und der, Blick zum Alleinguten bins
auf. Hat jener Wahrheit, und dieſer Einfalt, und bey—
de Ein Leben: fo iſt der hoͤchſte Menſchenadel errungen.
i5. Wasift das Lafter?
. Ein Eurjer Tanz auf einem fhmalen &tege, unter dem
— Tod und Hölle auf dich Tauern, und ehe du es ahneft, dich
in ihrem Schooße begraben.
46. Die Einheit in Zwepyen.
Es iſt eine zweyfache Hölle, eine im Abgrunde des böfen
Gemüthes, noch gewaltfam verfhloffene bis ihr
der Tod Luft macht; die andere, bie fich ſchon in ausgebro-
chener lichterloher Flamme offenbaret.
47. Die Natur, und der Menſch.
Die Natur hat ein Bildungs = der Menſch ein Einbil⸗
dungsvermögen. Die Natur bildet Steine, Pflanzen, Thiere,
Menfchen; der Menfch bilder ſich hinein! in Wahres und Gu⸗
tes, in Falſches und Böſes. Und worin er ſich gebildet hat,
darin lebt er auch, und worin er.lebt, das wird er auch —
Himmel oder Erde, Engel oder Thier.
Menſch! bewahre beige Einbiwungen, und du haſt dich
ſelbſt bewahret!
115
48; Kannſt au; mir beine — — ——
mnicht nennen?
Nicht nennen, aber andeuten.
Die ewige Liebe iſt,
In sr ich lauter Licht, Be *
Ihren Schatten ih der Sonnenwelt, *
Ihres Schattens Schatten auf der Erde,
Ihren Strahl in der EHEM,
Ihr Ebenbild in Ehriftus.
Das ift meine Anſchauung.
49. Was iſt dag Kreuz im Blicke Gotteit
Sterbe-Gtätte des alten,
Geburts-Stätte des neuen Menfchen.
50. Was ift die Zuverfidht?
ı Sie ift die Ueberlegenheit des Geiftes, der einen Fuß
in die ewige Welt ſetzend — mit dem andern Fuße dieſe zeit:
liche Welt zertritt — da, wo fie mit ihren Neißen, oder Schrec—
fen zur Disharmonie mit der ewigen verfuchet. ‚
51. Gibt es. vielerleyg Ehriften?
Dreyerley. Einige find Kinder der Hiftorie, die ans
dern — Kinder Gottes. Jene haben die Geſchichte Jefu
auswendig gelernt ; diefe find felbft eine lebendige Geſchichte
Jeſu geworden. Jene find Buchftabe, diefe Geift vom
Beifte erzeugt. Zwifchen diefen Beyden wallet noch eine drit-
—* die den Uebergang vom Buchſtaben zum Geiſte
uchet.
52. Das ewige Evangelium.
Hingegebenheit des ganzen Gemüthes an Gott allein —
Iſt Religion,
Iſt alle Religion,
Iſt ewige Religion.
Die hriftliche Religion ift alfo die Hingegebenheit des
ganzen Gemüthes an Gott — in Ehriftus.
53. Die Berbeiffung.
Die Ewigkeit des Schauens und des Genuffes geht nur
da auf, wo die Meinu ngen und Neigungen der Zeit
116 '
untergehen; und untergehend — der Einen Wahrheit,
und der alleinigen Liebe Platz machen.
54. Die Sternwarte des Chriſtenn 170
Drey Dinge erwarte id für mic) von meinem Goit!
1. Daß Er mich in dieſem Leben hebe und trage
durch das Leben.
2. Daß Er mir, am Abhange des, ‚Leben, die Hand unter
den Kopf lege und halte.
3. Daß Er meinen entfeffelten Geift in feine Heimath auf:
MEN und darin ——— — ewig.
v4
‚“ + 4 u of
Der
chriſtliche Monath.
Betrachtungen und Gebethe.
Gedanken
über das
chriſtliche Leben
heiligen Apoſtel Paulus,
Ein
Andachtsbuch für alle Chriſten
auf jeden Tag des Monaths,
von
Sohann Michael Sailer,
Biſchof von Germanikopolis, Domprobft und Condiutor des Bisthums
Regensburg.
Zweyte viel verinehrte Ausgabe.
— u > << em —
Gratz, ı827.
Sm Verlage der Herausgeber
der neuen wohlfeilen Bibliothek für Eatholifche Seelenforger
und Religionsfreunde.
Seiner Majeftat,
dem Allerdurchlauchtigften, Großmächtigſten
König von Bayern
a Wi,
Allergnadigften König und Herrn,
Da diefe Schrift, der Hriftliche Monath,
ihr Dafeyn verdankt den Wünſchen umd wieder:
hohlten Ermunterungen, die Eure Majeftät,
noch als Kronprinz, durch mancherley Drgane
mie zukommen und an mein Herz anſchlagen
ließen: fo fol fie von Rechtswegen Allerhöchſt
Shrem erhabenen Nahmen befonders gewidmet
ſeyn, um fo mehr, ald König Ludwia von
Bayern die Religion , deren Gründung
amd Förderung Suhalt und Zweck des riftli-
hen Monaths ift, wie für Die höchfte Angelegenheit
des menfchlichen Lebens, fo auch, vereint mit
der Gerechtigkeit, für die Stüße des Thro—
nes halten, den Eure Majeftat fo eben be
ftiegen haben,
Gott erhalte den König!
1.
Der
chriſtliche Monath.
Betrachtungen
und
Gebethe
auf jeden Tag des Monaths.
Brett
Der chriſtliche Monath fol weiter nichts, als die
chriftlichen Gefinnungen, da wo fie einer Weckung
oder Belebung bedürfen, täglich wecken und beleben
durch Betrachtungen und Gebethe, die den vornehm⸗
fien Inhalt der göttlichen Weisheitälehre je
dem finnigen Gemüthe Furz darlegen „test. seits
prägen und mächtig in's Leben hervorrufen.
Die göttliche Weisheitslehre fol mir und meinen
lieben Mitpilgern das tägliche Himmelsbrot werden,
das und auf dem Wege zur Ewigkeit ſtärket, bis
wir an unferm erfehnten Ziele angelangt ſeyn werden.
Der Ausdruck: göttliche Weisheit
Ichre, ſteht nicht zufällig da; er iſt forgfam ges
mwählet: denn ich glaubte nur dadurch Licht und
Intereffe in die einzelnen Betrachtungen bringen zu
Eönnen, daß ich alle Lehren des Ehriftenthbums,
die hier zum Nachfinnen und zur Beherzigung dar-
gelegt werden, als fo viele Auszirüche der Einfen
VIII
göttlichen Weisheit, (die in Jeſus Chriſtus
Menſch geworden, und in der Zeitenfülle zu ung ges
redet hat), in einer fich felbft fchaffenden Ordnung,
wie aus dem Munde diefer Weisheit hervorgehen
ließe.
Offenbar fee ich Leſer voraus, die [nebft gutem
Willen hinreichende Bildung des Verftan-
des mitbringen: für diefe fchrieb ich; diefen wird
Drdnung, Sufammenbang, Licht willfoms
men ſeyn.
Immer die alte Wahrheit, und doch flet3 in
neuem Ölanze fich verflärend: — da3 war mein
£ooswort, das mein Augenmerk, das meis
ne Abficht; und: die alte Wahrheit (weil fie
die ewige ifl) in neuem Ölanze fich verfläs
vend, die foll erleuchten, entzunden, ums
wandeln jedes empfanglide Gemüth,
umbilden die Sitten, und walten im Le
ben. Dazu gebe das Gedeihen, der es allein ges
ben Tann !
IX
Berzeihniß des Inhaltes.
Seite
Dedication.
Der hriftliche Monath.
Vorwort an den Lefer.
Einleitung.
Sprüche Salomons.
Die Weisheit ald Aufgabe, ald Gottesgabe und als Be—
lohnung für den Menfchen. : : —
Inhalt und Eintheilung des chriſtlichen Monaths.
Erſtes Hauptſtück.
Bon Erweckung der hriftlihen Geſinnung.
I. Die Beftimmung des Menfchen. R
II. Abfall des Menfchen von feiner Beflimmung, oder das
herrfchende Böfe im Menfchen. ,
III. Der treue Fortfchritt des Menfchen auf der Bahr —9 —
Beſtimmung, oder das herrſchende Gute im Menſchen.
IV. Von der Umkehr- und Rückkehr zu Gott, vonder Sinnes-
und Lebensänderung. n
V. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in im FR und
zweyten Erforderniffe. R
VI. Die Umkehr und Rüdkehr zu Gott in —— dritten Er⸗
forderniffe: Anerkenntniß der Sünde,
16
36
Seite
VII. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem vierten Er—
forderniffe: Unterhaltung der lebendigen Gefühle der
Scham, der Reue und des Sehnens nach Erlöfung.
VIII. Fortfegung: von der Gemüthsfaffung, die man fonft
mit den Worten: Reu und Leid bezeichnet.
IX. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem fünften Er—
forderniffe: der überwiegende Ernft zur wirklichen Rück—
tehr zu Gott. » s s k 5
X. Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem fechsten Erfor⸗
derniſſe, das iſt: von dem Dienſte der heiligen Kirche bey
dieſem großen Werke, und von Benutzung desſelben.
XI. Wie ſich die Bekehrung als wahr erprobe, bewähre. .
XII. Ausführliche Erwägung deffen, was bisher nur mehr
berührt als erforfcht werden Eonnte — vom Glauben, Liebe,
Hoffnung ; vorerft von dem Glauben, und zwar von dem
Weſen des chriftlichen Glaubens. . ‚ i
XIII. Bon dem Chriftenglauben. .
XIV. Wie der Chriftenglaube eine gegründete, ehe) aus=
dauernde Gewißheit gewinnen könne. h
XV. Fortfegung: Von der Gewißheit deö Glaubens.
XVI. Der Glaube eine Gabe Gottes.
XVII. Bon den Stufengängen und Uebungen des Chriftens
glaubens. . ; ; y ; —
XVIII. Von der chriſtlichen Hoffnung: was ſie im Gemüthe
des Menſchen vorausſetze, und woran fie ſich halte..
XIX, Die Wahrzeichen und die Proben der — — Hoff⸗
nung. —
XX. Würde, Schönheit, Seligkeit eines chriſtlichen Gemü—
thes, in welchem das große Drey des heiligen Paulus:
Glaube, Hoffnung, Liebe, Leben und Herrfchaft gewon=
nen hat. \ i h 2 F
40
45
97
64
69
74
81
89
96
103
109
116
123
xI
©eite
Zweytes Hauptftück.
Bon Erneuerung der hriftlihen Gefinnung.
XXI. Bon Erneuerung der hriftlichen Gefinnung überhaupt. 134
XXI. Bon den Mitteln zur Erneuerung der chriftlichen Ge—
finnung. i : ö x R . 441
XXIII. Bon Erneuerung der Geige Gefinnung durch die
Sonntagsfeyer. h R { . 450
XXIV. Bon Erneuerung der Seiftichen ale durch die
hochfeſtlichen Tage in der katholiſchen Kirche. . 4159
XXV. Bon der Erneuerung der riftlichen Gefinnung durch
den öftern Empfang der heiligen Sacramente. Fenelons
Herzensergießungen über das allerheiligfte Sacrament
des Altars. . i R t { s 4168
Drittes Hauptſtück.
Ueber Offenbarung derchriſtlichen Geſinnung.
XXVI. Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Er—
füllung der Pflichten überhaupt, und insbeſondere der
ehelichen Pflichten. Fenehon über die Ehe. . 2 ‚1182
XXVI. Bon Offenbarung der chriftlichen Gefinnung in Erzie=
bung der Kinder. Ein Bild chriftlicher Erziehung in den
Aeltern, der alte Tobias. ; 192
XXVIII. Bon Offenbarung der chriftlichen Seffinüng in Er⸗
füllung der Amts- und Berufspflichten. . L 200
XXIX. Bon Offenbarung der chriftlichen Gefinnung im Ver⸗
halten bey Reichthum, Armuth und Mittelſtand. 208
XXX. Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Freu—
den und Leiden des gegenwärtigen Lebens. 214
XXXI. Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in —
Vorbereitung zum Tode.
Einige Worte aus dem Gebiethe echter Philoſophie in
Hinſicht auf die Vorbereitung zum Tode. . i 224
Schlußbetrachtung aus dem zwölften Buche des heiligen
Franz von Sales von der Liebe Gottes: Geift aller
früheren Betradhtungen. . ; : 26
Rückblick auf das Ganze. 246
XII
Seite.
Gedanken über daschriſtliche Leben.
Einleitung des Herausgebers..
Vorrede des Verfaffers.
Vorgebeth.
J. Von der ——3 des Sheiften.
II. Bon der Selbftkenntniß.
III. Bom Glauben und von der Erkenntniß Sottes.
IV. Bon der Furcht Gottes, . —
V. Vom jüngften Gerichte. —
VI. Vom Paradieſe..
VII. Von der Vermeidung der Sünde. ö i
VIII. Bon der Standhaftigkeit. _
IX. Bon dem Verlangen nad) Vollkommenheit.
X. Bon der Reinheit des Gewiſſens..
XI. Bon der Abtödtung.
XII. Bon der Demuth. A - : .
XIII. Bon den guten Werfen. " :
XILV. Bon der Verachtung der Welt. F
“XV. Bon der Sorge für dein Heil. .
XVI. Vom Umgange . 3 . k ‘
XVII. Bon ber Geduld. A
XVIII. Bon der Beobachtung der Gebothe Gottes.
XIX. Vom guten Beyſpiele.. —
XX. Bon den Verſuchungen..
XXI. Von der Gegenwart Gottes. . P .
XXI Bon der Nächftenliebe. R
XXIII. Bon der Liebe Gottes. ⸗
XXIV. Vom Gebethe.. —
XXV. Von der Wohlthat der Gnade.
XXVI. Von der Andacht. —F
XXVII. Vom Vertrauen auf Gott. . 5 N
XXVIII. Bon der Reinheit der Abficht.
XXIX. Bon der Liebe Jeſu Chrifti für die Menjchen.
XXX. Bon der Nachahmung Sefu Chriſti.
XXXI. Bon der Anwendung der Zeit. & .
Schlußgebeth. .
266
267
272
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317
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320
322
Einleitung.
Salomon: Sprüche.
VIL Kapitel
Ce
Ich „Weisheit, wohne, wo Rath und verſtändige Gedanken ſind.
V. 12.
Durch mich regieren die Könige, und die, welche Geſetze geben,
beſchließen was Recht iſt, durch mich. V. 15.
Ich war das Beſitzthum des Herrn im Anfange ſeiner Wege; noch
ehe er etwas machte, war ich da. V. 22.
So horchet denn , meine Kinder, mir zu! Selig, die auf meinen
Wegen beharren! Gelig, der mich höret und täglich wachet
vor meiner Thüre, und wartet an den Pfoften derfelben.
Wer mid findet, hat das Leben gefunden, und empfangen das
Heil von dem Herrn. Wer fi) aber an mir verfündiget ,
bat feine Seele verwundet; Alle, die mich haflen, Lieben den
Tod. V. 32 — 36.
DE uispeie ſuchen, und da fuchen, wo allein fie ge-
funden werden Eann, ift die erfte Aufgabe des Men:
fhen, der einmahl aus dem Traume des Lebens erwacht ift,
und des Truges, der ihn bisher gefangen hielt, gewahr wird.
Denn, wer ſich immer wieder einiwiegen läßt, in den Schlums
mer des Wahnes, wird früh oder ſpät in den Todesfchlummer
verfinfen müſſen, ehe er das wahre Licht erblickt, ehe er das
rechte Leben gefunden haben wird.
Weisheit finden ift für die Suchenden die Edft-
lihfte Gabe des Herrn; denn, wem fie nicht gefchenft
wird, oder wer fie ald GefchenE nicht annehmen will, der Fann
ihrer nicht theilhaftig werden, der muß zu feiner Thorheit
Sailer , d. chriſtl. Monath. er
2 Einleitung
fprechen: meine Weisheit bift du! und an ihrer Handleitung zu
Grunde geben,
Der Führung der Weisheit gehorchen mit Eindlicher Treue,
ift der Snbegriff aller Tugenden; denn, wer der
Weisheit gehorcht, der gehorcht Gott felber.
Bey dem Ziele aller Führungen der Weisheit anlangen,
beißt recht eigentlich: in der Heimath des Friedens, des
ewigen Lebens gelandet haben; denn wie der Herr das
Ziel aller Führungen iſt, wie er der ſicherſte Weg aller Wal:
Ienden ift: fo kann auch nur er der böchfte Lohn aller Ge—
borchenden feyn.
Lieber Nachbar! wer du immer bift, und mit mir Wahr:
beit fuchen und finden, der gefundenen gehorchen, und das Ziel
ihrer Verheißungen erreichen willſt, komm und lies, und wandle
mit mir.
Nochmahls: wandle mit mir, aber nur auf den Wegen
der Weisheit. Was heißt aber auf den Wegen der Weisheit
wandeln anders, ald die Weisheitinfih aufnehmen,
die Weisheit in fich fefthalten, und die Weisheit
in feinem ganzen Leben offenbaren?
Die ewige Weisheit, von der allein hier die Rede feyn
kann, ift uns in Jeſus Chriftus erfchienen; die Weisheit
infih aufnehmen, in fich fefthalten, und im
ganzen Leben offenbaren: beißt alfo: dergeftalt mit
Jeſus Chriftus, mit feiner Lehre, und mit feinem Geiſte Eines
werden , daß (um die finnreichfte Spradye der Schrift, und
zunächft die des heiligen Johannes, des Jüngers, den der
Herr lieb hatte, zu reden) er in und, und wir in ihm Ieben.
Wenn wir diefes gegenfeitige Leben, das Leben Chrifti in uns,
und unfer Leben in Ehriftus, in unfre Spradye überfeßen: fo
ift ed genau dad, was man mit einem Worte chriftlidye
Gefinnung beißt. Die chriſtliche Geſinnung ift daher aus:
fehließlich der Gegenſtand unferer Eünftigen Betrachtungen.
Sn Hinſicht auf die hriftliche Gefinnung find drey Fras
— die unſere ganze Theilnahme in Anſpruch zu nehmen werth
ind:
Erſtens, wie ſie im Menſchen entſtehe?
Zweytens, wie ſie im Menſchen beſtehe?
Drittens, wie ſie im Menſchenund durch den
Menſchen ſich offenbare?
Das Ganze unſerer folgenden Betrachtungen zerfällt alſo
in drey Haupttheile; wovon der erfte das Werden
der chriftlichen Gefinnung; der zweyte das Beſtehen ber
3
chriftlichen Gefinnung; der dritte die Offenbarung der
ehriftlichen Gefinnung zum ©egenftande hat. Demnad) ergibt
fi von felbft die folgende Eintheilung in drey Hauptftüde :
1. Son Erwerfung der hriftlihen Gefinnung.
I. Bon Erneuerung der hriftlichen Gefinnung.
11. Son Erweifung und Darftellung der dhrift-
lihen Gefinnung.
— IE — ——— _ —
Erſtes Hauptſtück.
Bon Erweckung der chriſtlichen Geſin—
nung.
J.
Das erfte Wort, das die Weisheit zu ihren Kindern ſpricht,
kann Eein anderes feyn, ald: das Erfte zuerft. Und das
Erſte, was ift es denn? Menſch! lerne deine Beftim-
mung fennen! Denn, von biefer Erkenntniß geht dir ein Licht
auf, ohne das du keinen fichern Schritt durch das Leben thun
Eannft. .
Erfter Bag.
Bon der Beflimmung des Menſchen, des Chriften.
Schriftftellen
1. Go ſchuf den Menfchen ſich zum Bilde, zum Bilde
Gottes ſchuf Er ihn. 1. Mof. I. 27.
2. Und nun ſpricht Gott der Herr: Ich habe dich er-
Schaffen Sakob ich habe dich gebildet Sfrael! Fürchte dich nicht,
ich habe did) erlöfet, und bey deinem Nahmen gerufen. Mein
bift du! Sa, wenn du durch's Waffer geheft, bin ich bey dir,
daß die Ströme dich nicht erfäufen. Wenn du durch's Feuer
*) Die erften vier Betrachtungen find um ihres höchftwichtigen
und allbefaffenden Inhaltes willen in gedrängter Sprache ver=
faßt, und nehmen die ernfte Aufmertfamfeit, und das tieffte
Nachſinnen des Leſers in Anfpruh , um erfaßt zu werden.
Die übrigen Betrachtungen find mehr Entfaltung und An—
wendung deffen , was in den vier erften theils zum Grunde ge—
legt, theils angedeutet worden. Es Eonnte alfo ungleich mehr
Klarheit in die Darftellung der Wahrheit, und mehr Leben in
die Beherzigung derfelben, wie der Augenfchein zeigen wird,
gebracht werden.
5
geheſt, befommft du Fein Brandmahl, und die Flamme wird
dicy nicht verfengen. Dennidy, der Herr, bin dein Gott; ich
der Heilige Sfrael3, ich dein Erretter. Weil du fo theuer biſt
in meinen Augen, wirft du fo hoc) geachtet; und ich habe dich
lieb. — Fürchte did) nicht , denn ich bin bey dir. Von Often
will icdy deinen Samen herbeybringen, und von Werten her will
ich didy verfammeln. Ich fpreche zum Norden: gib ber! und
zum Süden: halte nicyt zurück! bringe meine Söhne von fer-
ne ber, und meine Töchter von den Enden der Erde, alle, die
nach meinem Nahmen genannt find , meinen Nahmen anrufen:
zu meiner Verherrlichung habe ich fie erfchaffen, gebildet, ges
madıt. Sfai. XL. 1 — 7.
3. So bat Gott die Welt geliebt, daß er feinen eingebor-
nen Sohn dahingegeben; damit Alle, die an ihn glauben, nicht
verloren gehen, fondern das ewige Leben haben. Soh. III. 17.
4. Was aus Geift ift, das ift Geift. Joh. Ill. 6.
5, Geprieſen fey Gott und der Vater unfers Herrn Je—
fir ChHrifti, der ung gefegnet mit allen geiftlichen Segnungen ,
mit himmlifchen Gaben durch Ehriftus , wie er uns denn erwäh—
let hat durd) denfelben vor Anbeginn der Welt, daß wir feyn
follten heilig und unbeflecft vor ihm; wie er uns voll Liebe be:
ſtimmt bat zu feiner Kındfchaft durdy Jeſus Chriſtus, nad)
dem Wohlgefallen feines Willens, zum Preife feiner herrlichen
Önade; womit er uns fidy angenehm gemacht hat durch den
Geliebten, durc) welchen wir Erlöfung erhalten. Ephef. 1.1 — 7.
6. Sein Geſchöpf find wir, und gefchaffen durch Chris
ſtus Sefus zu guten Werfen; wozu und Gott vorbereitet,
daß wir darin-wandeln. Epheſ. II. 10.
7, Er ift für Alle geftorben, damit Alle, die da leben, nicht
ſich felbft leben, fondern dem, der für fie geftorben und aufer-
weckt ift. 2. Kor. V. 15. i
Betradhtung.
Sobald im Menfchen das Auge der Vernunft,
im Ehriften das Auge des Glaubens erwacht iſt; fo
fieht ihm feine Beftimmung, feine Erwählung klar vor
Augen. |
Die Beſtimmung des Mtenfchen erhellet vorerft aus
feinem Urfprunge: Gott hat ihn erfchaffen, und
- bat ihn nach feinem Ebenbilde gefhaffen ; lichthell und
6
lauter, heilig und felig , herrlich und unfterblich follte
er fegn wie Gott. Gottes Bild — der Menſch!
da iff mit einem Worte Alles gefagt,
Die Bellimmung des Menfchen erhellet ung noch
deutlicher aus dem Aufmande, den die ewige Er»
barmung gemacht hat, um den gefallenen Menſchen
wieder aufzurichten, das verwifchte Ebenbild feines Urs
fprunge3 in ihm zu erneuern, und ihn von Irrthum,
‚Sünde und Tod zu erlöfen. Was Gott durch Iſaias zu
Sfrael fprach: Fürchte dich nicht; Ich habe
dich erlöfet, Habe dich beydeinem Nahmen
gerufen: Mein bift du: Dieß Wort, voll uns
ausfprechlicher Sußigkeit, diefer Ausdrud der höchſten
Zärtlichfeie , gilt vonder unfterblichen Seele eines je⸗
den Menfchen: Ich rufe dich bey deinem Rah»
men; und der Nahme, den ich dir geges
ben habe, beißt: Mein bift du!
Diefen Nahmen: Mein bift du, hat Gott als
Schöpfer der Seele des erften Menfchen gegeben, und
als Erlöfer wieder erneuert: Mein bift du!
’ Der Menfch fol alfo ein Spiegel feyn, in wels
them die Macht des Schöpfers, und die Huld des
Erlöfers fich abbilden, und im Abbilde wiederglängen.
Um deutlichffen werden wir die Beflimmung des
Menfchen einfehen, wenn uns erft die felige Emigfeit
den Gang der göttlichen Führungen mit ei—
nem jeden aus ung, enthullen wird. Dann werden wir
fbauen, mas wir jest glauben: daß der Menfch
das zartefie Augenmerk der ewigen Liebe, daß Gott
unfer Führer, daß die felige Anfchauung Gottes das
Ziel aller feiner Führungen iff. Dann werden wir ge-
nießen, was wir jest vernehmen — im Worte
des Herrn. Der Herr fpricht, und jeder Gläubige darf
e3 fich. feyn laffen, als wenn der Herr in fein Inner:
fies ſpräche; denn er fpricht e5 dach: Menfch, dein
7
Gott, dein Schöpfer binih: meinen Nabs
men folft du anrufen, meinen Nahmen folft du
verherrlichen: das ift deine Beſtimmung.
Meinen Nahmen verherrlichen folft du da-
durch, daß du vor mir wandelft in Liebe, heilig und
unbefledt: das ift deine Erwählung vor Beginn der
Welt.
Menfh!dein Gott, dein Erlöſer bin ich:
. meinen Nahmen folft du anrufen, meinen Nah—
men follft du verherrlichen: denn ich habe dich fo geliebt,
daß ich meinen Eingebornen, wie für Die ganze Welt,
fo auch für dich dahingegeben. Sieh! er hat fein Blut
für die Sünden der Welt, alfo auch für deine Sunden
geopfert; damit du von der Sünde und ihrem Fluche
erlöfet, damit die Frucht der Erlöfung in dir gedeihend,
an dir fichtbar, und durch dich an Andern wirkfam wers
den folle. Das ift deine Beſtimmung.
Menfch! dein Gott, dein höchſtes Gut
bin ih: meinen Nahmen follft du anrufen, meis
nen Nahmen folft du verherrlichen; denn ich kann
dir den guten, den heiligen Geift nicht vorenthalten ;
durch ihn folft du tüchtig werden Gottes Keich zu fehen,
durch ihn folft du ein’ erneuertes Bild deines Schöpfers
unter Menſchen, durch ihn ein ‚neugebornes Kind deis
nes Vaters , durch ihn folft du Geift vom Geifte wer:
den. Das ift deine Beſtimmung.
Menfch! Dein ganzes Heilbinih, umd
außer mir ift feines: meinen Nahmen follft du an—
rufen, meinen Rahmen follft du verherrlichen; denn
ich habe dich neu gefchaffen zu guten Werken, da-
mit du in guten Werken wandelnd, nur dem lebeſt,
der für dich geftorben und erweder if. Das ift deine
Beflimmung, deine Ermwählung.
Menfch! wie ich dein Urfprung bin, fo bin
ich Dein letztes Ziel; und wie ich dein höchftes
Ziel, fo bin ich auch dein Führer zum Ziele:
8
meinen Nahmen follft du anrufen, meinen Nah⸗
men verherrlichen,, dadurch, daß du allen meinen Fühs
rungen gehorcheft, willig, treu, ausharrend , bis du in
deinem Urſprunge dein letztes Ziel, und in mir deine
Beflimmung gefunden haben wirft.
Dieß lehrt uns das Wort des Herrn; dieß iſt die
Beftimmung des Menfchen, und diefe Beftimmung
des Menfchen ift wahrhaftig groß und herrlich, und
fo groß, fo berrlih, daß mit ihr Feine andere Be»
ſtimmung irgend eines andern Geſchöpfes auf Erden in
Bergleichung fommen kann; und diefe Größe, diefe
Herrlichkeit unfrer Beſtimmung drückt fich gleich bey
dem erften Eintritte des Tauflings in die heilige Kir,
che, in der Zaufhandlung ſelbſt am fehönften aus.
Denn, indem mir auf den einigen hochheiligen Rah—
men des Vaters, des Sohnes, des heiligen Geiftes ges
tauft werden, legen wir eben dadurch im AUngefichte
der Kirche das Zeugniß ab, daß wir nur Gott allein
angehören wollen , und ftellen gleichfam vor Himmel
und Erde eine öffentliche Urkunde aus , daß in unfern
Öefinnungen nichts berrfchend , und an unferm Leben
nichts offenbar werden folle, als was gut und goftge-
fallig iſt, nichts, als was den Nahmen Gottes an ung
und durch uns verherrlichet, nichts, als was der Apos
ftel allen Chriſten wünfcht: die Gnade unfers Herrn,
die Liebe Gottes, und die Gemeinfchaft des heiligen
Geiftes ſey mit euch Allen! II, Kor. XII. 13.
Gebeth.
Deinen Nahmen, Bater, zu verherrlichen,, dein
Reich, das Keich des Kichtes „ der. Liebe, des
Lebens auszubreiten „deinen Willen zu vollbrin-
gen bin ich da ; darum bethe ich, wie Chriſtus,
dein eingeborner Sohn. vorbethend, mich nachbe-
then lehrte: Unſer Bater, der du in. den Him—
9
meln biſt; dein Nahme werde geheiliget — durch
mich und die Meinen alle; dein Reich werde
ausgebreitet, durch mich und die Meinen alle;
dein Wille werde vollbracht auf Erden, wie ihn
die Engel im Himmel vollbringen, werde voll-
bracht durch mich und die Meinen alle. Die feli-
ge Heiligung deines Nahmens , die nie ruhende
Ausbreitung deines Neiches, die treue VBolibrin- -
gung deines Millens ift es, Vater! was wir
dir geloben, und um was wir zu deiner Gü—
te bitten, durch deinen Sohn, im heiligen
Geifte. Amen,
II,
Die Beftimmung des Menſchen ift mir recht klar ge—
worden ; ich fehe ‘ein, was ich feyn foll, was aus mir werden
Eann. Uber noh weiß ih nicht, was ih wirklich
bin, wie ich werden kann, was ich feyn foll. Alfo mein näch—
fles Tagewerk wird wohl feyn, zu erforfchen den Buftand mei:
nes Selbftes, und den ſicherſten Weg zu meiner Beftimmung.
’ Um den Zuftand meines Selbftes Eennen zu lernen, werde
ich im Lichte prüfen müflen das, was in mir vorherrfcht, B ö-
ſes oder Gutes.
Zwenter Tag.
Abfall des Menfchen von feiner Beſtimmung, oder
das herrfchende Böſe im Menfchen.
Shriftftellen
1. Wi wiſſen, daß das Geſeßtz geiftlich iſt; ich aber bin
fleiſchlich, unter die Sünde verkauft. Denn ich weiß nicht,
10
was id) thue: denn ich thue nicht, was ich will, fondern was
ich haffe, das thue ich. Wenn ich aber thue, was ich nicht
will; fo flimme ich dadurdy felbft ein, daß das Geſetz gut fey.
Demnach thue nicyt ich das Böfe, fondern die Sünde, die in
mir wohnet , thut ed. Denn id) weiß, daß in mir, das ift, ın
in meinem $Sleifche, nichts Gutes wohnet. Guted wollen
liegt mir nahe; aber das Gute vollbringen finde ich nicht.
Denn dad Öute, das ich will, das thue ich nicht; fondern
das Böſe, das ich nicht will, das thue ich. Wenn ich aber
thue, was ich nicht will, fo thue es nicht mehr ich, fondern
die Sünde, die in mir. wohnet, die thut ed. Sc) finde alſo,
» indem ich das Gute thun will, das Geſetz in mir, daß mir
das Böſe anhängt. Denn icy habe Wohlgefallen an Gottes
Geſetz nad) dem innern Menfcyen; aber in meinen Gliedern
fehe ich ein anderes Geſetz, welches dem Gefege meines Beiftes
entgegenfampft, und mic) unter dem Geſetze der Sünde ge:
fangen halt. Röm. VII. 14 — 23.
2. Das ift das Bericht , daß die Menfchen, da das Licht
in die Welt Fam, die Finiterniffe mehr liebten als das Licht;
denn ihre Werke waren böfe. Joh. III. 19.
3. Aus dem Herzen Fommen böje Gedanken, Mordthaten,
Ehebrüche, Surereyen , Diebftähle, falfche Zeugniffe,, Läſte—
rungen ; diefe Dinge find es, die den Menfchen verunreinigen.
Matth. XV. 19. 20.
4. Dffenbar find die Werke des Fleifches : Hurerey, Uns
reinigkeit , Geilheit, Unzucht, Abgötterey, Zauberey, Feind:
fhaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Eiferfucht, Spaltungen ,
Haß, Völlerey, Schwelgerey u. d. gl., von welchen id) euch
voraudfage, und fchon vorausgefagt habe, daß die, welche fol=
ches thun, das Reich Gottes nicht ererben. Sal. V. 19 — 21.
5. Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ıft.
So jemand die Welt lieb hat, in dem ift die Liebe des Va—
terd nicht. Denn alles, was in der Welt ift, nähmlich des
Sleifches Luft, und der Augen Luft, und boffärtiges Leben,
it nicht vom Water , fondern von der Welt; und die Weltver:
geht mit ihrer Luft; wer aber den Willen Gottes thut, der
‚bleibt in Ewigfeit. I. Joh. I. 15 — 17.
6. Wir wiffen, daß wir aus Gott find, und die Welt im
Argen liegt. 1. Joh. V. 19.
7. Ihr waret todt, durch eure Üebertretungen und Sün—
den. Ihr waret ohne Chriftus, ohne Hoffnung, ohne Gott
in der Welt, Ihr waret entfremdet von dem Leben aus Gott,
Epbef. II, 1. 12. IV, 18.
11
Betradhtung.
In den angeführten Schriftftellen ift das Böſe
im. böfen Menfchen nach dem Leben gemahlt. — Ich
will die Züge desfelben mit feſtem Blicke anfchauen ,
und dann in mir nachfehen, wie tief die Wurzel der
Sünde in mir eingefenft-, wie groß der Baum des
ganzen fittlichen Werderbens in mir gewachfen , und wie
verwüftend die Früchte feyen, die fich daran ge:
zeitiget haben.
Gottes Bild, Gottes erneuertes Bild
durch Chriſtus, Gottes erneuertes Bild in heiliger
Liebe fol ich feyn, bis ich einft Gottes verfläars
tes Ebenbild in Heiliger Liebe,inungebemms
ter Anfhauung der Wahrheit von Anges
fiht zu Angefidht, in voller Theilnahme
an der göttlihen Natur, und im lauters
ften Mirgenuffe des ewigen Lebens ſeyn
werde. Das ift meine Beftimmung.
Sede Abweichung von diefer meiner Beftimmung,
jede Entzweyung meines Willens mit dem göttlichen,
jede Schwächung der herrfchenden Liebe zu Öott, jes
de Abkehr des Gemüthes von dem unmandelbaren
Gute zu den wandelbaren Gütern, jeder Ungehorſam
gegen den gebiethenden Willen des Heiligen ift Suns
de, Der Abfall von meiner Beftimmung , der ent:
fhiedene Aufruhr gegen Gottes Gefeß, die Trens
nung von Gott, die Aufhebung, die Aus
fhließung der berifchenden Liebe gegen Gott, die
Ertödtung des Lebens aus Gott, ift, was ſchon
das Wort fagt, tödlihe Sünde. Der Hang zum
Böſen, der, nach dem Abfalle des erftien Menfchen,
auf uns, feine Nachfommen, als Erbtheil mit der
menfchlichen Natur gefommen ift, heißt nach, dem
Ausdruce des Apofteld , die inwohnende Sünde,
und wird, info fern wir zu ihren Bewegungen mit
12
Bewußtſeyn und Zuftimmung des Willens Fa fagen
— Quelle aller wirklichen Uebertretungen der. güttlis.
chen Gebothe.
So lange diefe inmohnende Sünde in uns
herrſcht, thut fie alles einzelne Böſe in uns und
durch uns. Wir billigen zwar, und manchmahl wol⸗
len wir auch das Gute, ‘aber fie, die inmohnende
Sünde, volbringt, unter unſerm Zuſehen, und bey
unferm fchwachen Widerftande, oder gar bey voller
Hingebung unferes Willens, das Böſe. Go lange
diefe inmohnende Sunde in uns herrfcht, find wir wie
Sclaven unter die Sünde verfauft, billigen das
Beffere und thun das Schlechtere; find wir Oefans
gene an das Joch der Sünde gebunden, indem
wir zwar ein ſchwaches Wohlgefallen an dem Geſetze
des Gemüthes haben, aber von dem Geſetze der Glie⸗
der, d. i. von dem Geſetze der herrfchenden Sinnlich—
feit getrieben, das Geſetz des Gemüthes übertreten.
Es fehlt uns in diefem Zuftande nicht an Licht, das
uns den gefahrvollen Pfad, auf dem wir einhergehen,
beleuchtet, und den entgegengefeßten, den wir betre=
ten folen, erhellet. Uber gerade das macht unfere
Verdammung aus, daß mir den Finfterniffen des Hers
zens hingegeben, da$ Angenehbme, das uns durch
die finftre Begierde in der locdendften Geftalt
verheißen wird, mehr lieben, als das Unangeneh—
me, das uns durch das bimmlifche Licht auferlegt
wird. » Der Ungehorfam gegen das Licht iſt unfre
Sunde, und, woraus der Ungehorſam gegen das
Licht ſtammt, die Vorliebe zu den Finfternife
fen iſt eigentlidy dag, was in der Sünde die Sünde
ausmachr.
Dieſe Vorliebe zu den Finfterniffen hat aber
ihren Wohnfis in dem Herzen, das von dem wahren
Gott abgewandt, fich felbft fein Gott wird, fich felbft
zum Mittelpuncte aller feiner Strebungen macht, fets
15
ne Ehre und in aller, Ehre fich felbft, feine Luft und
in aller Luſt fich felbft, fein Gut und in allem Gute
fich felbft fucht, findet und liebt. Darin lebet, und
daraus fließet alles Böſe; aus dem Herzen kommen
böfe Gedanken, Mordthaten, Ehebruch, Hurerey,
Diebftahl, falfche Zeugniffe, Lafterungen, Das Herz,
von Gott ab- und zu fich hingefehret, iſt alfo das
Grundbofe und die Wurzel alles übrigen Bofen.
Und das, fagt Ehriftus , verunreiniget den Menfchen.
Und das, fagt Paulus, ift es, was uns von allem
Erbtheile an dem Keiche Gottes ausfchließt. Und das,
fagt Johannes, ift die Liebe der Welt, die mit
der Liebe des Baters nicht beftehen kann. lind das
iſt, fagt derfelbe Johannes , der eigentliche Welts
. geift, der fich in drey Öefalten, Augenluft,
Sleifhestuft, und Lebenshoffart offenbart,
und in jeder verganglich ift, und in jeder ein Feind
Gottes, und ein Widerchrift. Und das, fagt derfels
be Johannes , ift das Arge, in dem die Welt Liegt.
Und das, fagt Paulus, it der Abgrund der
Gottlofigfeit, die alles wahre Leben aus Gott
ertödtet, und Die Menfchen ohne Ehriftus , ohne Gott
in der Welt umbertreibt.
Wenn ich von Diefem fchauerlichen Gemählde
“ des Böfen in mein Herz hineinfehe, und darin for
fihe; was fehe ich in mir?
(Der ungebefferte Sunder mwirde , erleuchtet von
dem Geifte des Lichtes, und parteylos in fich
forfchend, das erbliden, was hier gefchrieben
ſteht:)
Vorerſt erblicke ich in mir die Wurzel der Sün⸗
de, jene unſelige Fertigkeit, Gott, das höchſte un»
wandelbare Gut, das allein — ſchön, weife, felig
macht, aus Aug’ und Gemüth zu laffen, und dafür
das vergängliche Gut, das durch falfchen Glanz blens
det, und fein wahres Nicht durch Lüge deckt, fchnell
14
in's Aug’ und Herz zu faffen, und feft im Auge und
Herzen zu behalten.
Sch fehe in mir die Wurzel der Sünde, jene,
faft eiferne Gewohnheit, dem Lichte, das mich zu
Gott zurückweifet, den Rücken zu fehren, und dem
gewaltigen Keize der Sinnenluft und Eitelfeit des Les
bens, der mich von dem ernften Gedanken an den
ewigen Kathfchluß, an den heiligen Willen, und an
dag heilige Reich Gottes ab und zu fich Hinzieht,
Herz und Willen hinzugeben.
Was fehe ich in mir? Ich fehe aus Ddiefer gif:
tigen Wurzel hervorfproffen, und immer mehr Wachs⸗
thum gewinnen, den Trieb anders zu fcheinen, und
anders zu ſeyn, und in dem Triebe Falfchheit,
Heucheley, Lücke; — ich fehe, aus dieſer giftie
gen Wurzel hervorfproffen, und immer mehr Wachsthum
gewinnen, den Trieb, Güter der Erde in Befis zu
bringen, und den Befig theils zu ſichern, theils zu
vergrößern, und in dem Zriebe Lift, Züge, Ge
malt, Unrecht; — ich ſehe aus Diefer giftigen
Wurzel hervorfproffen, und immer mehr Wachsthum
gewinnen, den Trieb, zu genießen und das ganze
Dafeyn in einen Lebensgenuß zu verwandeln, und in
dem Triebe Leppigfeit, Schwelgerey, Selbſt—⸗
fhbandung und Hinopferung des Höhern
im Dienfte des Ginnlichen.
Was fehe ich in mir? Ich fehe an diefem Baus
me des fittlichen Verderbens hängen die .bitterften
Früchte: Erfhöpfung des Leibes, Verfin
fterung des Verftandes, Zerrüttung des
Gedadhtniffes, Sram, Ueberdruß, Läh⸗
mung des freyen Willens, Unfriede im
Gemiffen und im Herzen, Ohnmacht, die
ihrem Bruder , dem Tode winkt.
Und diefe bittern Früchte, und diefer gan»
se Baum des Verderbens, und dieſe giftige
15
Wurzel, aus der Baum und Früchte hervorgemach»
fen find, was follen fie denn?
Was anders, als mich vorerfi zurückweiſen,
und dann zurücknöthigen ‚zu dem Öott, von dem ich
abgefallen bin; zu dem Gott, der mich durch die
bittern Früchte des Abfalls zu fich zurückruft; zu dem
Sott, der mir durch das Licht, das mein Inner—
fies erleuchtet, die Zurückführung zu fich gleichfam
verbürgt bat.
Bei ei
Dank dir, du unſer Herr und unfer Gott!
Dank dir, du alldurchfchauendes Auge! Dank
dir, du allerleuchtendes Licht! Dank dir dafür,
daß ich, durch den Bliß deines Auges anfgeweckt
aus meinem Schlummer, und erleuchtet durch
dein Licht, die Beftimmung meines Mefens
und Dafeyns, und die unzahligen Abweichun—
gen von dieſer Beflimmung, Sünden und
Schwächen, in diefem deimen. Lichte habe Een-
nen lernen. O! laß dieß dein Licht immer tie=
fer und tiefer in die geheimfte Stätte meines
Gewiflens und Herzens eindringen; damit die
verborgenften Sünden aus ihren Minfeln her-
vortretend,, meinem Blicke fo wenig als dem
deinigen entfliehen. Eünnen. Laß mich mit mir
vertraut werden , daß ich mid) erkenne, nicht wie
id) vor mir erfheine, jonderu wie ich vor dir
bin; nicht wie.mich meine oder fremde Kigenliebe
ſchildert, jondern wie mich dein Nichterauge
durchſchauet. Bor dir will ich den Abgrund des
Böfen in mir erforfchen ; die Lauterkeit deines
Mejens joll mir die Unlauterkeit des meinen,
deine Wahrhaftigkeit ſoll meine Lügenhaftigkeit,
die Heiligkeit deines Geſetzes die Zahl und Die
16
Größe meiner Uebertretungen, deine Schönheit
meine Haßlichfeit — offenbaren , bis ich, unfähig
mich aus mir felbft zu reinigen und zu beffern,
mid) gedrungen fühle , zu dir zu rufen Tag und
Naht: Herr!reinige mid von mir,
und verwandle mich in Das Bild von
dir, durch Jeſum Chriftum, deinen Sohn, un:
fern Herrn. Amen. |
III,
Was mir bisher einleuchtend wie der helle Tag geworben,
das ift die Beftimmung des Menfchen und die Abweichung
davon: ich weiß , was der Menſch feyn ſoll; ich weiß, was der
Sünder ift. Ich habe die Sünde, die den Knecht der Sünde
beherrfcht, genau .erforfht, und zwar vorerft -in ihrer giftigen
Wurzel, aus der allein alles einzelne Böſe Eeimt ; dann an dem
großen Baumedes fittlichen Verderbens, der daraus erwachlen
iſt; endlih an den bittern Früchten, die daran zur Reife
gekommen find und kommen werden.
Nun muß ich wohl auch das Gute, dasim Guten herrfchend
ift, und im Böfen Eeine Etätte finden kann, Eennen lernen. Der
du der allein Gute bift, Iehre mich Tennen, was dir ähnlich
iſt!
Dritter Tag.
Der treue Fortſchritt des Menfchen auf der Bahn
feiner Beftimmung, oder das bherrfchende Gute im
Menſchen.
Schriftſtellen.
1. Wi wiſſen, daß die Trübſal Geduld, Geduld Bewäh:
rung, Bewährung Hoffnung wirfet, die Hoffnung aber nicht |
zu
17
zu Schanden werben laßt; denn die Liebe Gottes iftin unfern
Herzen ausgegoffen durd) den heiligen Geift, der uns gegeben
ift. Röm. V.3 — 5.
2. Sn Ehriftus Zefus gilt weder Sudenthum noch Heiden-
thum, fondern die neue Schöpfung. Gal. VL. 15.
3, In Chriftus Jeſus gilt weder Sudenthum nod) Heidens
tbum, fondern der Glaube, thätig if Liebe. Gal. V. 6.
4. Die Frucht des Geiftes iſt: Liebe, Freude, Friede,
Geduld, Freundlicykeit, Güte, Langmuth, Sanfımuth, Glau:
be, Befcheidenheit , Enthaltfamkeit, Keufcyheit. Gal. V. 22.23.
5. Raffet ung Gutes thun, ohne darın müde zu werden;
denn zu feiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nur
nicht ermatten. al. VI 9.
6. Da uns allen feine göttliche Kraft, die zum Leben und
zur Gottſeligkeit dient, gefchenft ift, durch die Erfenntniß deffen,
der uns berufen hat durdy feine Herrliczkeit und Macht; durch
welchen er uns die größten und köſtlichſten Verheißungen ge—
ſchenkt hat; damit ihr dadurd) der göttlichen Natur theilhaftig
werden follet, indem ihr die verderblichen Lüfte der Welt flie-
bet: fo wendet nun auch allen Fleiß an, umd zeiget bey eurem
Glauben Tugend, bey der Tugend Erkenntniß, bey der Erfennts
niß Enthaltfamfeit, bey der Enthaltfamfeit Geduld , bey der
Geduld Sottfeligkeit, bey der Sottfeligkeit Bruderlisbe , bey der
Bruderliebe Menfcyenliebe,. II. Petr, I. 3 — 7.
7: Kindlein! laffet euch nicht verführen: wer recht thut,
der ift gerecht, wie audy Er (Ehriftus) gerecht ift — — —
Seder, der aus Gott geboren ift, thut Feine Sünde, I, Joh.
1.7 &
‚Betrabhtung.
Wohl die meiften Menfchen gehen mit verbunde:
nen Augen durch das Leben; kennen nicht ihren Ur—
fprung, nicht ihr Ziel, nicht den geraden Weg
dahin, taumeln alfo nur und tappen, bis fie
links oder rechts irgend ein Abgrund verfchlingt,
Unter diefe Zaumler will ich nicht gehören.
ich will das Auge, das mir der Herr aufgethan hat,
offen behalten; und da ich das berrfchende Böſe
fchon erforfcht Habe; fo will ich auch dem herrfchenden
Sailer, d. chriſtl. Monath. 2
18
Guten nachforfehen, bis ich es erkannt haben wer⸗
de. Die Apoftel des Herrn, von feinem Geiſte ange:
wehet, Petrus, Paulus und Johannes, haben das
Gute im Lichte erkannt, haben es in fich felber al3 in»
wohnend angefchaut, haben es in den angeführten
Stellen Elar befchrieben. Was fagt und lehrt uns die:
fe Befchreibung? Wer Wahres reden, Gutes thun,
Gerechtigkeit üben, Gaben fpenden will, muß vorerſt
ſelber wahrhaftig fepn, aut feyn, —— gü-
tig feyn, muß ein gefunder Baum ſeyn, um
gefunde Früchte zu bringen. Nur der Wahre
haftige fpricht aus der Wahrheit, nur der Gute
thut Gutes, nur der Gerechte, was recht ift, nur
der Gütige öffnet die Hand zum Geben. Was nun
aber den Falfchen wahrhaftig, den Verkehrten aufrichs
tig, was den Böſen gut, den Ungerechten gerecht, den
Harten freygebig, den Franken Baum gefund macht,
das ift die Liebe, die der heilige Geift in dem Her:
zen des Menfchen ausgießt. Diefe Liebe, von dem hei-
ligen Geiſte, der fie ausgießt, die heilige genannt,
ift felbft das Gute, und faßt alles einzelne Gute, alle
andern Tugenden in fich ; ift felbft das Gute, und macht
den ganzen innern Menfchen gut; ift felbft das Gute,
. und offenbart fich in lauter guten Werken. Diefe drey
Kennzeichen des Guten find die fprechendften für jeden,
der ihre Sprache verfteht.
I,
Die Liebe Gottes und des Näachften
ift felbft das Gute, und faßt allesübrige
Gute in fi. Denn fie ift das, was der Herr ge
bothen hat, und ift der eine Inbegriff aller Gebothe:
du folft den Herrn deinen Gott lieben aus deinem gan=
zen Herzen, aus deiner ganzen Seele, und aus deinem
ganzen Gemüthe, Dieß ift das größte und erſte Geboth.
Das andere aber iſt ihm gleich : du follft deinen Nach:
19
ften lieben, wie dich felbfl. An diefen zwehyen Gebo-
then hängt das ganze Gefeb und die Propheten. Matth.
XXI. 37 — 40.
Gott ift die Liebe, und will geliebt ſeyn
von uns Allen, und will geliebt ſeyn aus ganzem
Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Ges
müthe, und hat dieſes ſein Wollen zum erſten und
größten Gebothe gemacht, und kann, weil er die Lie—
be ſelbſt iſt, nichts als Liebe gebiethen, nichts als
Liebe belohnen, Die Liebe muß alſo das Gute ſeyn,
das wahrhaft gut, das Gottähnlich, das Gott
gefällig, und das, weil das Feuer der heiligen
Liebe nur von dem heiligen Geifte wie ein Feuerftrom
im Herzen ausgegoffen werden Tann, Gottes Werk if.
O, du heilige Liebe, wie ſchön biſt du! fo ſchön
wie Gott felber! Sein Bild, fein Wohlgefallen, fein
Werk feh’ ich an dir! Nun begreife ich, daß du alle
andere Tugenden in dir faffeft, und faffen mußt. Denn,
wie die Sonne der Mittelpunct aller Strahlen iſt, die
von ihr ausgehen, fo bift du der Mittelpunct aller gu—
ten Handlungen, die von dir ihr Licht, ihr Leben neh—
men. Nun begreife ich, daß du alles andere Gute noth=
wendig in dir faffef. Denn von dir fagt Paulus,
was er im tieffien Grunde erfannt hat: daß du bift eine
neue Schöpfung ©ottes, daß du bift das rechte
Glaubensleben im Menſchen, daß du bift die
Eine und vielgeftaltige Frucht des Gei—
ſtes, mit welcher Friede und Freude, Geduld und
Freundlichkeit, Gute und Langmuth, Sanftmuth und
Befcheidenheit, Enthaltfamfeit und Keufchheit in das
Herz kommen — lauter Früchte desfelben Geiftes. Du
bift, wie Petrus fchreibet, die fchönfte Theilnahme an
der göttlichen Natur, und mit dir fommt Erkenntniß
und Geiſtesſtärke, Gottfeligkeit und Bruderliebe, Ente
baltfamfeit und Geduld in das Herz. —
2
20
2.
Die Liebe Gottes und des Rächſten
ift felbft das Gute, und macht den ganzen
innern Menfchen gut.
Per Gott liebt, aus ganzem Herzen, aus gans
zer Seele, aus ganzem Gemüthe liebet, kann eben
deßwegen weder fich felbft, noch die Welt aus ganzem
Herzen, aus ganzer Seele, au ganzem Gemüthe lie:
ben; ift alfo rein von Hoffart und Herrſchſucht;
die das ch des Menfchen zu ihrem Gott macht; ift
rein von Eigennutz und Geiz, der das Gut der
Erde zu feinem Gott macht; ift rein von aller Ge—
nußfucht, die die Sinnen und Fleiſchesluſt zu ihrem
Gott macht. Wer Gott aus ganzem Herzen, aus gan:
zer Seele, aus ganzem Gemüthe liebt, bleibt nicht nur
rein von allem Bofen; er iſt auch thätig zu allem Gu⸗
ten, flieht ganz im Dienfte feined Gottes; der ganze
innere Menfch fteht im Dienfte Gottes; die Ver:
nunft frage nur nad) Gott, der ihre Wahrheit; der
Wille fragt nur nach Gott, der fein Geſetz; das Ger
müth fragt nur nach Gott, der feine Schönheit und
fein höchſtes Gut geworden ift. In Gottes Licht denkt
und ſchaut, in Gottes Liebe bethbet an und rus
bet, in Gottes Leben wirft und waltet der innere
Menfch. Die Liebe ift das Gute, und macht den gan-
zen innern Menfchen gut; denn fie bewachet und zugelt
und feffelt die Begierlichfeit, daß fie feinen Auf
uhr wider Gottes Drdnung geltend machen kann; fie
unterjochet die Sinnlichkeit dem Geifte, und den Geift
unterwirft fie Gott, dem Water aller Geifter. Und,
wo die Sinnlichkeit ihr Joch tragt, meil fie muß,
und der Geift das feine, weil er will: da regiert wahr-
haftig Gott felber im Menſchen. Denn, wo die Liebe
regiert , da regiert Gott felber, und wo Gott regiert,
daft Gerechtigkeit, Friede, Freude im hei—
21
Ligen Geifte, da iſt der ganze innere Menfch ‚gut,
gut wie die Liebe „ gut wie Öott.
3.
Die Liebe Gottes und des Nächſten
iſt felbft das Gute, und offenbart ſich
durch lauter gute Werfe im Angeficdhte
derKirche und im Auge der Welt, ift, nad)
dem Worte Chrifti, der gute Baum, der
feine Gefundheitdurd lauter gute Früde
te fund thut. Matth. VIL 17. ; ift die ungetrübte
Brunnenquelle, die ſtets reines, frifches Waffer fpene
det; ift das heilige nie erlöfchende Feuer, das durch
fein Licht erhellet, durch feine Gluth erwarmt, und
durch feine Flamme entzündet, was fich erhellen, er:
wärmen, entzunden laßt. Wenn die Hand Almoſen
dem Dürftigen darreicht: fo ift es die unfichtbare Liebe,
die im Sichtbaren die Hand zum Geben vffnet. Wenn
fich die Hande falten, die Augen heben, die Zunge
ſich beweget zum außern Gebethe: fo ift es die unfichts
bare Liebe, die aus fich bethend, im Sichtbaren Zuns
ge, Augen, Hände — zu ihren Dolmetfchern macht,
Wenn der Ehrift feinen Leib in Zucht nimmt, und durch
Abbruch in Speife und Trank, fich zu den fehweren
Proben der Enthalifamkeit vorübet: fo ift es die uns
fichtbare Liebe, die im Innern fich opfernd nach dem
Wohlgefallen Gottes, auch das außere Dpfer, das
- Saften weihet, heiliget und Gott angenehm macht. Hier
zeiget fich fonnenflar, was es Großes ſey um die wahre
Kechtfchaffenheit des Menfchen! Die guten Werke kom—
men alle aus dem guten Willen: der gute Wille ift
die heilige Liebe: die heilige Liebe ift das rechte
‚ gottgefallige Leben des Glaubens: die Glaus
bensleben it Frucht des heiligen Geiftes, ift wahre
baftig eine neue Schöpfung. Denn nur die ſchö—
pferifche Macht des Herrn, nur der Geift Gottes kann
22
folche Wunder thun im Menfchen. Doch »darf der -
Menſch dabey nicht müßig feyn, er ift unermüdlich in
dem, was fein ifl. Die Schupfung ift Öottes;
des Menſchen Tagewerk heißt: in Einftimmung
mit der fchöpferifhen Macht Gottes nur
Gutes thbun, und unermüdlich feyn im Gu⸗
testhbun. Denn jede gute That ift ihm eine Ausfaat
auf den Tag der Garben, und wer unermüdlich iffim
Ausfaen, dem wird die Ewigkeit eine lautere Ernte
ſeyn.
Gebeth.
Dein Eingeborner, Vater! hat uns dich ſelbſt
als Muſter, das wir in uns nachbilden und an
uns offenbaren ſollen, aufgeſtellt, indem er ſag—
te: Seyd vollkommen, wie euer Vater
im Himmel vollkommen iſt, Math. V. 48.;
liebet eure Feinde; ſegnet die, welche euch flu—
chen; thut Gutes denen, die euch haſſen; bethet
für die, welche euch läſtern und verfolgen; da—
mit ihr Kinder des himmliſchen Vaters ſeyd,
der feine Sonne über Gute und Bofe aufgehen,
und über Ungerechte wie uber Gerechte regnen
laßt. Matth. V. 44. 45. Did, Bater, nach—
ahmen, dich in Liebe nahahmen, und in die
fer Nachahmung beharren, und durch diefe Nach-
ahmung dir immer aleicher werden, das ift die
Bollfommenheit, die uns Sefus als unfer
Gefeßgeber zur höchſten Richtſchnur vor unfre
Augen hingeſtellt, und als dein Ebenbild in ſei—
nem Leben vorgemacht hat. Laß diefe Voll—
kommenheit ftets als ungetrübtern Spiegel vor
meinem Blicke ftehen; damit ic) darin vor jeder
andlung meine Pfliht, und mac jeder
andlung meine Uebertretung oder Erfül-
25
lung der Pflicht lefen kann. Aber nicht nur Hin-
einſchauen in dieſen ungetrübten Spiegel, in
dieſes Gesetz der wahren himmliſchen
Freyheit laß mid; Bater! fende mir auch Geift
und Leben in mein Gemuth, daß ich nicht das
Bild des Thieres, fondern das Bild Chrifti
in meinen Handlungen darftelle, und durch fort:
fhreitende Nachahmung deines Sohnes ein treu:
es Abbild des Vaters werde.
IV,
Gott und meine Beitimmung. Gott, und der Abfall von
Gott, das herrfchende Böfe. Gott, und die Nachahmung Gottes,
das herrfchende Gute, fteht heil vor meinem Blick. Die Weisheit
bat mir dieß Alles enthüllt. Nun habe ich Eein dringenderes Bes
dürfniß, als fie, die Weisheit , zu fragen, wieder Böſe gut
werden fann, und die Antwort aus ihrem Munde zu vernehs
men, und den Sinn der Antwort in That zu verwandeln.
Göttliche Weisheit! Lehre mich das Geheimniß der Sinnesänz
derung vorerfi verftehen, dann aus Erfahrung inne werden.
Renten Ba
Bon der Um-und Rück-Kehr zu Gott, von der Sin»
nesanderung.
Shriftftellen
4, Sput Buße! das Himmelreich ift nahe gelommen. Gebet
zu, daß ihr rechtfchaffene Früchte der Buße bringet. Die Art
ift den Bäumen fchon an die Wurzel gelegt; der Baum, der
nicht gute Früchte bringt, wird ausgehauen , und in’d Feuer
geworfen. Ich taufe eud) mit Waffer zur Buße; der aber nad)
mir Eommt, ift mächtiger als ich, und wird mit dem heiligen
24
Geiſte und mit Feuer taufen; ich bin nicht werth, ihm die
Scyuhe nachzutragen. Matth. III. 2, 8. 10. 11.
2. ©elig find, die da nach der Gerechtigkeit hungert und
dürftet, denn fie werden fatt werden. Matth. V. 6.
3. Als er noch weit entfernt war, fah ihn fein Water,
und erbarmte fich, und eilte ihm entgegen, und fiel ihm um ben
Hals, und küßte ihn. Luk. XV. 11 — 32.
4, Sc) (Jeſus) fende dic) unter die Heiden, aufzuthun
ihre Augen, daß fie fi) befehren von der Finfterniß zum
Lichte, und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfan—
gen Vergebung der Sünden, und das Erbe mit denen, die ge-
beiliget werden durd) den Glauben an mic). Apoftelgefcy. XXVL.
18.
5. Gott, der reich ift an Barmberzigfeit, hat durdy feine
große Liebe und, die wir in den Sünden erftorben waren, mit
Chriſtus lebendig gemacht, mit ihm auferweckt , in das himmli-
ſche Wefen verfeßt; denn aus Gnaden feyd ihr felig geworden,
Ephef. II. 4 — 6.
6. Nehmet hin den heiligen Geift: welchen ihr die Sün—
den erlaffet, denen find fie erlaffen; und welchen ihr fie behal:
tet , denen find fie behalten. Joh. XX. 22. 23.
7. Wahrlich, id) fage euch, wenn ihr nicht umfehret und
werdet wie die Kindlein: fo werdet ihr nicht in das Himmel—
reich Eommen; wer ſich nun felbft erniedrigt, wie dieß Kind,
der ift der größte im Himmelreich. Matth. XVIII. 3. 4,
Betradhtung.
Wo Sünde, da iſt Finfterniß. Denn alle
Sünde wird im Finftern geboren, und der Sünder
kennt nicht einmahl die Sünde, die doch in ihm les
bet. Selbft das Licht in ihm iſt Finfterniß geworden:
wie follte er fehen? Demnach ift vor dem Blicke des
Sünders verborgen fo wie die Sünde, die feinen Ab—
fal und feine Entfernung von Gott ausmacht, alfo auch
die Sinnesänderung, wodurch er feine Umkehr
Re Rückkehr zu Gott anfängt, fortfegt und vollens
et.
Der Sünder foll ein ganz anderer, fol ein
ganz neuer Menfch werden, neu in Öefinnung und
Zu
25
Leben; der Lügner fol wahrhaftig, der Gottloſe gott:
felig , der Ungerechte gerecht, der Habfüchtige freyges
big, der Stolze demüthig, der Frdifchgefinnte fol
himmliſch gefinnt, der Thiermenfch ein Menſch des
Geiftes werden. Wie kann er das? Er weiß es nicht.
Bekehrt fol er werden, von der Finfterniß zum Lich»
te; erweckt foll er werden aus dem Tode zum Leben:
wie fann er das? Er weiß es nicht. Was er nicht
weiß, das weiß die wahre Weisheit, und die fagt es
ihm, /
Umfehr, das ift das Wort des Herrn, Umkehr
auf dem Wege des DWerderbens ift der Anfang aller
Sinnesanderung, aller Buße. Denn wer auf der Bahn
der Ungerechtigkeit und Sottlofigkeit immer weiter forte
geht, muß immer ungercchter, gottlofer werden, wird
. alfo nie ftille ſtehn, noch weniger den entgegengefesten
Meg einfchlagen. Und doch muß der entgegengefeste
eg eingefchlagen, Umkehr muß verfucht, Umfehr muß
bewirkt werden , wenn der Sünder gerecht werden foll.
Der Sünder, in leeren Einbildungen von fich felbft
eingewiegt, muß von diefen ertraumten Höhen herunters
fleigen, muß zu ſich kommen, muß, in der Sprache
des Evangeliums, ein Kindlein werden, wenn er
den Pfad in das himmlifche Reich foll antreten können;
muß ein Kindiein werden, das, fern von Anmafßung
und Dünkel, glauben, hoffen, lieben fann. Wenn
ihr nicht umkehret und werdet mie die Kinds
lein, fo könnet ihr nicht eingehen in das
Himmelreich. Umkehr ift alfo norhwendig. Wer
fich erniedrigt, wie dieß Kind, der ift der
Größte im bimmlifchen Keiche. Die Selbfts
erniedrigung des Sunders ift alfo das Morgenroth al:
les Heiles. Sich felbft erniedrigen um feiner Sünden
willen kann aber der Sünder nicht ; wenn er nicht neue
Augen befommen hat, in fich die Sünde, und in der
Sünde fein Elend zu ſchauen; wenn er nicht ein neues
26
Herz bekommen hat, fein Elend zu fühlen; wenn er
nicht neuen Muth in’s Herz befommen hat, umyus
fehren aufden Wege des Verderbens, auf dem We⸗
ge der bisherigen Selbſterhöhung. Einer iſt es, der
das verfchloffene Geiftesauge aufthut; Einer, der ein
neues Herz ſchaffet; Einer, der neuen Muth verleihet
— göttlichen Ernft zur Umkehr. Umkehr ift alfo noth»
wendig, und fann nur durch den, welcher Macht hat,
die Augen des Geiftes aufzuthun, neue Herzen zu fchaf-
fen, und fie mit göttlichem Ernfte zu waffnen, wirks
lich werden.
‘ Umkehr ift aber erfi der Anfang der Ginnesän«
derung; mas fol noch werden ? Die Umkehr — muß
eine Rückkehr zu Gott werden; die Rückkehr zu
Gott muß vollftändig werden, Wie fann das?
Umkehr iff eine Wegwendung, eine Ummendung
des ganzen innern Menfchen von der Sünde und ihrem
verführerifchen Wefen ; Rückkehr ift die beharrende Hin
wendung des ganzen innern Menfchen zu Gott; ift die
Wiederkehr des verirrten Sohnes zu feinem Water, der
dem Wiedergefundenen entgegeneilt, den Keufinnigen
in feine Arme fchließt, dem nach Vergebung Schmad)»
tenden den Kuß der Verfühnung darreicht, den King
der Sreundfchaft an feinen Finger fteft, die Lumpen
des Bettlers mit dem ſchönſten Feperkleide des Sohnes
austaufchet, und in feinem Wiederfommen die Aufer-
ftehung aus dem Zode feyert: Bringetdas Maſt—
falb ber und fchlachtet es, und laßt ung
effen und fröhlich feyn: denn dDiefer mein
Sohn war todt und ift wieder lebendig
geworden, warverloren, und ift wieder gs
funden worden. Luk. XV. 11 — 24.
Diefe Um- und Rückkehr zu Gott, diefe voll
ftardige Sinnesanderung , und nur diefe iff 1.) die rechte
Erneuerung des Menfchen in Sinn und Leben, ift wah—
re Gottgefälligkeit des innern und außern Mens
uch
fchen, ifi die Gerechtigkeit, die vor Öott
gilt, und denen zu Theil wird, die einen lebendigen
Hunger und Durft nach Gerechtigkeit haben , die Chris
ftus felig preifet; weil diefer Hunger und Durft nad)
- Öerechtigfeit nur von Gott fommen, und nur in Gott
volle Sättigung finden fann, und finden wird. Wie
das gewaltige Triebrad in der thierifchen Haushaltung
des Menfchen, der Hunger und Durft, die Kräfte des
Verftandes und des Leibes in Bewegung fest, und Feine
Ruhe eintreten laßt, bis Speife und Trank , bi$ Sät-
tigung des finnlichen Bedürniſſes gefunden iſt: fo regt
fidy in der geiffigen Haushaltung des Menfchen, dem
das Keich Öottes in und mit der Sinnesanderung nahe
gekommen , ein gemaltiges Sehnen, ein Hunger und
Durft nach himmliſcher Speife; nach edlerem Tranfe,
der nicht ruhen fann , big das Bedürfniß nach Öerech:
tigkeit geftillt feygn wird, bis der Öott, der den Huns
ger und Durft nach Gerechtigkeit entzundet hat, den»
felben auch gefattiget haben wird.
Diefe vollftäandige Sinnesänderung ift 2.) fo offen»
bar das Werk der ewigen Erbarmung, daß, wie Chri-
fius nur durch göttliche Macht aus dem Tode erwecket
und in das himmlifche Wefen verfeßt werden Fonnte,
fo auch der Sünder nur durch göttliche Macht aus
dem Tode des Geiftes zum Leben des Geiftes aufer-
wecet und in's himmlifche Wefen verfest werden Fann.
Deßhalb nennt der Apoftel jede wahre Befehrung des
Sünders eine Mitaufermwecfung aus dem Tode,
eine Mitverfetzung in den Himmel — mit Chris
fius. Wie Gott zu allem Guten der eigentliche er»
fte Beweger ift; fo muß er wohl auch der erfte
Bemweger zum Anfange, zur Fortfegung und Voll
endung der Sinnesänderung ſeyn.
Diefe vollftandige Sinnesanderung iſt 3.) die
rechte Feuer-und Geiftestaufe, womit Chri—
flus tauftl, Es ift Feuer, was den innerften Sinn
28
des Menfchen neu fchaffet, neu bildet; es iſt Geiſt,
was den thieriſchen Menſchen in einen geiſtigen Men:
ſchen verwandelt. Johannes konnte wohl Buße predi⸗
gen, konnte auch durch ſeine Taufe am Jordan zur
Buße einweihen; aber das Werk der Umwandlung
ſeiner Zuhörer in neue, himmliſche Weſen konnte er
nicht zu Stande bringen; dazu mußte Einer aus dem
Himmel kommen, der mit Geiſt und Feuer taufte,
Jeſus Chriſtus.
Dieſe vollſtändige Sinnesänderung hat 4.) zum
unverkennbaren Siegel den Frieden aus Gott,
und den Wandel vor Gott. Den Frieden
aus Gott; denn, wen immer der Vater in ſeine
Arme ſchließt, wen Er neu kleidet, wen Er als ſei—
nen wiedergefundenen Sohn anſieht: dem iſt aller Uns
dank, alle Untreue vergeben. Zu wen Chriſtus durch
Die Kirche fpricht: Sey getroft, mein Sohn!
die Sünde tft dir verziehen: dem iſt fie auch
verziehen, dem ift, mas auf Erden gelöfet ward, auch
im Himmel gelöfet., Der Friede Gottes, geflüst auf
das Zeugniß der Wahrheit: Gottes Kind bift
du, Gottes Erbe wirftdu, kehret in fein Herz.
Die vollfiandige Sinnesänderung beftatiget fich
aber nicht nur durch den Frieden aus Gott; fie bes
ftatiget fich auch, durch den Wandel vor Bott.
Denn, wie der, den Gott gerecht gemacht hat, durch
Liebe in Gott lebet, fo wandelt er auch durch den
Gehorſam aus Liebe vor Gott, Die Kückfehr zum
Bater fpiegelt fih in allen Handlungen des wiederges
fundenen Sohnes : jeder Schritt iff vor Gott gethan.
En Bat BE SE 205,7
Deine verirrten Kinder, Vater! mußten ver-
zweifeln, wenn es Eeine Rückkehr zu dir gabe,
oder wenn du die Nückkehrenden noch zurückſto—
29
fen könnteſt. Berzweifeln müßten fie, wenn
du fie nicht in deine Arme ſchlößeſt, du fie nicht
in das weiße Gewand der Gerechtigkeit Eleide-
teft, du ihnen den Friedenskuß, Kindesrecht,
und Kindestheil verweigerteftz — das Eannft du
nicht — und darin liegt unfer Heil.
Vielmehr fiehft du jedem deiner verirrten
- Söhne mit Langmuth nad) ladeſt ihn freundlich)
zur Miederkehr , nöthigeft ihn Durch Keiden zurück,
legeft ihm Muth zur Umkehr und Kückkehr in’s
Herz, und wenn er, die Thranen der Scham
und Neue im Auge, und Schmerz und Zuverficht
im Gemüthe, zu Dir zurückkehrt; jo kannſt du fein
Kommen nicht abwarten, eileft dem noch Fernen
entgegen, und fällſt ihm da, wo du ihn friffit,
um den Hals, und fchenkeft ihm deine Baterhuld,
und den Kuß der Berfohnung, und das Gewand
der Gerechtigkeit, und das verlorne Kinderrecht,
und ſprichſt: Nun habe ich meinen Sohn wieder,
und er feinen Vater, und von nun an gibt es
feine Trennung mehr.
Pater! auch ich bin eines deiner verirrten
Kinder! Laß auch mich diefes Wort hören: Nun
habe id) meinen Sohn wieder, und er feinen
Dater, und von nun an gibt es Feine Trennung |
mehr! Amen,
V.
Bisher lehrte mich die chriftliche Weisheit die Beftim-
mung des Menfchen ‚den Ab fall desfelben oder das Böfe, das
Gute und die Umkehr von dem Böfen, und die Rüdkehr zu dem
Guten kennen. Da nun aber die Umkehr von dem Böfen, und
die Rückehr zu dem Guten für den Menfchen als Sünder die
30
Hauptfache iſt: fo wird es für mich und meines Gleichen äußerſt
wohlthätig feyn, diefe Hauptfache in ihren einzelnen Erfordernif-
fen völliger zu betrachten , genauer zu erwägen, und näher an das
Herz zu legen, als es bisher gefchehen Eonnte. Dieß fol der In—
halt nachftehender Betrachtungen 5 — 11. feyn. .
Fünfter Tag.
Die Umkehr und Rückkehr zu Gott in ihrem erften
und zweyten Erforderniffe,
Schriftftellen
1. Baeehret euch, und thut Buße von allen euern Sün—
den, und es wird euch die Sünde nicht mehr zum Unheile ſeyn.
Werfet von euch hinweg alle eure Uebertretungen, und machet
euch ein neues Herz und einen neuen Geift — — denn Ich,
fpricht der Herr, will nicht den Tod des Sterbenden, fondern,
daß ihr umkehren und leben follet. Ey. XVIII. 30.— 32.
2. Bekehre uns zu dir, o Herr! und wir werden zu dir
befehret werden, Ser. Thern. V. 21.
3. Befehre du mid) , und id) werde befehrt werden; denn
du bift der Herr, mein Gott. Ser. XXXI. 18.
4, Er fchlug aber in fidy und fprady: Wie viele Taglöhner
hat mein Vater, die Brot übrig haben, und ich muß hier ver:
bungern. Sch will mich aufmachen und zu meinem Water ge:
ben, und will zu ihm fagen: Water, ich habe mich an Gott
verfündiget undan dir! Luk. XV. 17. 18. .
Setradhtung
Was unfere Sprahe Buße, Befferung,
Sinnesäanderung, Umkehr und Rückkehr
zu Gott, im befannteften Ausdrucke der Bibel und
der Kirche: Bekehrung nennet, fordert einen une
gewohnten, überwiegenden Ernft, der allem Leichtfins
ne ein Ende zu machen, und einem ganz neuen Leben
den Anfang zu geben im Stande if. Nun find aber
31
die Menfchen in dem Gefchafte ihrer fogenannten Bef-
ferung gerade fo leihtfinnig, wie im Gündigen
felbfl. Sie wollen, und wollen nicht. Daher kommt
es, daß fie Jahr aus Fahr ein Buße thun, und nie
beffer werden; daß fie die alten Sünden befennen
und neue begehen, ja die Buße felbfi, als Miß⸗
brauch des angebothenen Heilmittelö, eine neue Suns
de werde,
Vergeffend, was Andere thun, will ich in dies
fer bedeutendften Angelegenheit bloß auf mid fe
ben, und auf dag, was mir zum Frieden dienet, Ver»
geffend alles, was nicht zu diefem Ziele führer, will
ich meine Befehrung jest zu meinem einzigen Aus
genmerfe machen, und die göttliche Lehre von der
Befehrung des Herzens und des Lebens fo anfehen,
als wenn fie nicht nur für mich zunachft, fon
dern als wenn fie für mich allein aus dem Him-
mel gefommen ware,
Was unfere Sprache Buße, Befferung, Sin—
nesänderung, Umkehr und Rückkehr zu Gott, Be
fehrung nennet, fordert von mir einen ungewohn⸗
ten, überwiegenden Ernft:
1. zum Stillftehen auf dem Wege der
Sünde, zum Erforfchen meines Innerften,
zum Durchforfchen meiner Sünde.
»Einmahl mußt du, foricht die Wahrheit zu
mir und in mir, einmahl mußt du auf der Bahn
des Bofen ftillhbalten, wenn du nicht von dein
Abgrunde übereilet und verfchlungen werden ſollſt; ein»
mahl mußt du in dein Gewiffen hineinfehen,
und anfchauen deine Sünden, und durchſchau—
en deine Sundhaftigkeit, wenn du davon erlöfet wer:
den ſollſt.«
Das: Erfenne dich felbft, iſt wahrhaftig
ein göttlicher Ausfpruch, und dieß Sid; felbft erfen-
nen der erfte Schritt auf der Bahn des Heils. Aber
32
tie werde ich mit einem ungewohnten, überwiegenden
Ernfte mein inneres und außeres Leben durchforfchen,
wie werde ich meine Sünden fehen können, fehen
wollen, da eben die herrfchende Gelbftfucht meine
Stunde ift, — da die herrfchende Selbfifucht fich in
ihrer Schandlichfeit fehen laffen will, — da Die
herrfchende GSelbfifucht mir das Auge verfchließt,
daß ich meine wahre Geftalt nicht fehen fann? Wie
werde ich das Bofe, das Finſterniß ift, und fich in
Finfterniß verhüllt, in meinem finftern Gemüthe
mit einem Auge, das von der Sünde Anfangs ge
blendet, dann gefchloffen ward, fehen, durchfehen
können, — menn der heilige Geift die zahllofen
Blendwerke in mir nicht zerffört, ‚mein Auge nicht
aufthut, mein unheiliges Wefen mir nicht vor das
Auge ruft, und die Abgründe des Böſen nicht auf
reißet vor meinem Blicke? |
Die Befferung fordert alfo von mir
2. einen ungewohnten , überwiegenden Ernſt
zum Gebethe um göttliche Erleuchtung
meines verfinfterfen Gemüthes und meines verdufter-
ten Gewiſſens, ohne die feine lebendige Ers
fenntniß der Sünde und Sundhaftigkeit
werden fann. *)
»So fomm (die erwachende Gewiſſensangſt treibt,
nöthiget mich zum ©ebethe, und ich Fann diefer Rö—
thigung nicht mehr mwiderftehen), fo komm denn, heilis
ger Geift! und Teuchte, nicht wie ein vorlibereilender
Blitz, in die Nacht des in mir waltenden Böfen hin,
ein, leuchte wie eine bleibende Sonne über das tiefe
Verderben meines Innerften. Laß dein Eicht re
über
*) Deßhalb wird in allen unfern Katechismen die Anrufung
des heiligen Geiftesdaserfte Stück genannt,
womit die Vorbereitung zur Beicht-und Buße anfängt.
353
über das, was mich freibt und drangt, uber die
finftere Begierde nad) Luſt, nach Habe, nad
‚Ehre. Laß dein Licht leuchten über die Tücke meis
nes Herzens, über feine grundböfe Kunftfertigkeit, die
Gebothe Gottes recht Flein, und die Frepheit des Flei⸗
ſches recht groß zu machen; über den Stolz meines
Gemüthes in Mitte des Lafters, der Armuth, des Elends;
über den Stolz, der das Geſetz entkräfter, und die
Uebertretung befchönigetz über die taufend Selbſt—
betrüge, womit idy mich fromm lüge bey aller Got:
tesvergefjenheit, womit ich mich gut lüge bey allen
Regungen des Neides und der Schadenfreude, womit
ich mich ruhig lüge bey allem meinen Kriege mit mir
felber, womit ich mich gottfelig lüge bey aller Gott—
loſigkeit.
- Laß dein Licht leuchten über das Gute, das ich
thun wollte und nicht vollbracht habe, uber das Gute,
das ich nicht einmahl thun wollte, über dag Gute,
das ich thun wollte, wirklich that, aber mit unlautern
Abfichten trubte; über das Böſe, das ich mwachend
und mit Vorſatz verubte, über das Bofe, das ich mie
im Traume neben einfommen ließ, über das Böſe, das
ich liebte, ohne es vollbringen zu können.
Zaß dein Licht leuchten über die Quelle alles ein«
zelnen Bofen, d. i. uber meine unendliche Selbftfucht,
die fih in Allem fuchet, die fich in Allem findet,
und die fich in allem Suchen und Finden vor dem Aus
ge des Gewiſſens — verbirgt — , die deßhalb Selbft-
ſucht heißt, weil fie fi in Allem zu fuchen weiß,
Laß dein Licht leuchten über die Tragheit des
Geiftes, da, wo ich mich für Andere in Bewegung fete
zen follte; über die Feigheit des Geiſtes, da, wo
ich für die Wahrheit, Gerechtigkeit vor Andern fprechen,
handeln follte, über die Falfchheit des Geiſtes, da,
wo ich, flatt mich zu — mich dafür ſelig
ſpreche.
Sailer, d. chriſtl. Monath. 3
Laß dein Licht leuchten über all meinen Un dank,
Mißtrauen und Untreue — Undanf bey den
Gaben, die mir von oben zufloßen; Mißtrauen bey
den mancherley Errettungen, die fich mir darbos
then; Untreue bey den Gelübden, die ich fo oft ere
neuert , und fo oft gebrochen habe.
Laß dein Licht leuchten über den Wechfel des
Trotzes und der Verzagtheit in meinem Hers
zen, des Ernſtes und des Leichtfinnes; uber die Willigs
feit des Geiſtes, und über die Schwache des Fleifches,
über das Uebergewicht der Gewohnheit, und über die
Ohnmacht des Vorſatzes.«
Dieß Gebeth um den heiligen Geift foll von nun
an mein erſtes Gebeth werden, und in jeder les
bung der Andacht mein vorzügliches Gebeth bleiben.
Denn, mie folite ich, ohne helle, reine Augen, die
under Gottes anfchauen Fonnen, und wie helle, reine
Augen befommen, ohne Erleuchtung des heiligen Gei—
fies? Und, wie für die Erleuchtung des heiligen Geis
ſtes empfänglich werden ohne Geberh ?
Zwey Kirchengebethe,
die hieher gehören.
1
Gott „ deſſen Allmacht und Barmherzigkeit ohne
Grenzen find! Du haft einft deinem ——
Volke im ſtarren Felſen eine lebendige Waſſer—
quelle eröffnet: o! laß auch in dem Felſengrun—
de unſers Herzens eine reichliche Thränenquelle
entſpringen, daß wir unſere Sünden erkennen,
beweinen, und durch deine Erbarmungen Verge—
bung derſelben, und ewiges Leben zu erlangen tüch—
fig werden durch Jeſum Chriſtum unjern Herrn.
35
2:
Bott! der du Feinen, der in Demuth und
Bertrauen zu Dir fi) nahet, verwirfft , fondern
vielmehr dem größten Sunder, feiner Buße we-
gen, Eraft deiner frommen Erbarmungen, Berge:
bung und Freude angedeihen Laffeft, ſieh mit dem
Blicke deiner Gnade auf unfer leben, das wir
in Demuth dir darbringen, herab, und erleuchte
nnfre Herzen, Daß wir von unfrer Schwachheit
geheilet, ftarf werden Deine Gebothe zu erfüllen
durd Sefum Chriftum, deinen Sohn, unfern
Herrn. Amen. ;
VI
Sechster Tag.
Fortfetzung.
- Bon den Erforderniffen zur Herzens- und Lebensan«
derung, und zwar vom dritten, daS heißt: von der
Anerfenntniß meiner Günde,
Schriftftellem.
1. Mein Vergehen habe ich vor dir befannt, habe mein Un»
recht nicht vor dır verborgen. Sch babe es ausgefprochen:
meine Ungerechtigfeit will ich wider mid) befennen vor dem
Herrn, und du haft mir verziehen die ©ottlofigkeit meiner
Sünde. Pf. XXXL 5.6.
2 €3 find viele Geifeln für den Sünder; aber ben,
welcher auf den Herrn hoffet, wird die Barmherzigkeit (mie
eine Zufluchtsftätte) umgeben. Pf. XXXL. 10.
3. Es ift Feine Gefundheit in meinem Leibe vor dem An-
gefichte deines Zornes, Fein Friede in meinen Öebeinen vor
dem Angefichte meiner Sünde, Denn meine Sünden gehen
%
5
36
über mein Haupt, wie eine fenege Loft find fie mir zu ſchwer
geworden. Pf. XXXVI.
4. Schaffe in mir — ein reines Herz, und erneuere
in mir den guten Geiſt! Pf. L. 12.
5. Ein zerfchlagener Geift ift das rechte Opfer vor Gott,
ein zermalmetes und demüthiges Herz, verſchmähe nicht, o
Gott! Pf. L. 19.
6. Wenn wir ung felbft richteten, fo würden wir nicht
gerichtet werden. I. Kor. XI. 31.
Betrachtung.
Es iſt zur Beſſerung nicht genug, daß ich mit er»
leuchtetem Auge mein inneres und äußeres Leben durch»
forfche; nicht genug, daß ich meine Sunde wirklich
erkenne: ich muß fie auch in ihrer Größe und Aus—
breitung, in ihrer Schandlidhfeit und Ver
wuftung, in ihrem Urfprunge und in ihrer Voll⸗
endung erforfchen, ermagen, anerfennen lernen. Denn
fonft reißen mich die Zerftreuungen des Lebens, die
Freuden der Zeit, die Drangniffe der Geſchäfte, und die
Bedurfniffe des Leibes wieder aus mir hinaus, und das
Bild der Sunde ſchwindet mir wieder, ehe ich, es durch»
ſchaut, gefchmweige ehe ich fie, die Sünde felber, über:
wunden babe.
Die Befferung fordert alfo von mir
3. einen ungewöhnlichen, überwiegenden Ernft zum
wirflichenAnerfennen meiner Sunde und Suͤnd—
haftigfeit nach Größe und Ausbreitung, nad) Schand»
lichkeit und Schädlichkeit, nach Urfprung und Vollen-
dung des Böſen.
Das Anertennen der Sünde befteht aber darin :
daß ich fie
erſtens vor dem Gerichtshofe meines Gewiſſens „in
mir und wider mich, befenne; daß ich fie
zweytens vor dem Richterſtuhl⸗ Gottes, vor Gottes
Auge befenne,
37
Sch befenne meine Sünde vor mir, in wiefern ich
fie in mir erfenne, und vor mir eingeftebe.
Ich befenne meine Sünde vor Gott, in wie fern ich
fie, anerfannt und auch nicht anerkannt, vor Gottes
Auge als Sünde anfehe, und als Sünde eingeftehe. Ers
fannt, und nicht erkannt; denn unzählige Süne
den find da, wo ic) fie, wie im Traume beging, nie
helle genug in mein Bewußtſeyn hervorgetreten; ungahs
lige Sünden, die in mein helles Bewußtfeyn famen,
da, wo Ich fie beging, haben fich almählig aus meinem
Bewußifegn wieder verloren. Wenn ich alfo vor mir
die Sünde befenne, infofern die Spur davon noch in
meinem Bewußtfeyn geblieben: fo befenne ich vor Gott
die Sunden alle, die befannten und unbefanns
ten, d.i. die von mir hell erkannt, und die mir felber
noch verborgen find.
»Gott! fo groß, fo ausgebreitet, fo fchandlich, fo
verwüftend ift die Sünde fehon in meinem Auge, ift die
Sünde fhon, fo weit ich fie erfenne: wie groß, wie
ausgebreitet, wie fchändlich, wie verwüftend muß die
Sünde in ihrem dunkeln Keiche, im ihren geheis
men Bewegungen feyn, die nur vor deinem Blicke offen
da liegen? Schon fo tief befleft in meinem Auge, wie
unrein muß ich vor dem reinften Blicke, vor dem all:
durchfchauenden Auge feyn ?«
Diefes zweyfache Befenntniß der Sünde muß aber
fein bloßes Wort ſeyn, muß aus dem Herzen, foms
men, und im Herzen bleiben , fonft ift es fein Aners
fennen. Die Sünde, fprach David, die Sünde
fteht Tag und Nacht vor mir.
Wenn ich alfo meine Sünden anerkennen, wenn
ich fie befennen fol vor mir und vor Gott, und beken⸗
nen foll aus dem Herzen, und auf die Dauer: fo. muß
in mir feyn _
1. ein lebendiges Gefühl meiner Slünde;
38
2. ein lebendiges Gefühl meiner Sundhaftig
keit, meines Hanges zum Böſen;
3. ein [ebendiges Gefühl der Uebermacht und
Herrfchaft der Sünde und der Sundhaftigkeit,
die nach Größe und Ausbreitung, nach Schänds
lichkeit und Schädlichfeit, nach Urfprung und
Vollendung betrachtet, gleichfam eine ganze Welt
des Böſen — ausmacht.
Wenn nun aber dieß lebendige Gefühl meiner Süns
de, meiner Sündhaftigkeit und ihrer Herrfchaft in mir
ift: fo wird aus dem zweyfachen Bekenntniffe der Sün⸗
de vor mir und vor Gott leicht hervorgehen ein drittes
Bekenntniß vor dem Manne Öottes, der mir
fein Ohr, fein Herz und feine Hand dars
beut, um mich aus dem Abgrunde der Sünde und
der Sundhaftigfeit herauszureißen. Denn, was follte
mich noch hindern, die Sünde, die nich fo unrein und
elend gemacht hat, die mich‘ mit ihrem Gewichte faft
zerdrückt, die ich vor mir, vor meinem Gott fo laut
ausgefprochen habe, nun auch in das offene Herz
eines Paulus, eines Johannes auszufchütten ?
° Sobald alfo dieß Gefühl der Sunde und Gunds
baftigfeit und ihrer Herrfchaft in mir Leben und Bes
ftand gewonnen haben wird; dann Fann es nicht fehs
len: es wird die Anerkennung der Sünde und Gunds
baftigkeit und ihrer Herrfchaft bald auch eine voll:
ftändige Anerkennung, das Befenntniß der Sunde
wird ein vollftandiges Bekenntniß werden
vor mit,
vor Gott,
vor einem vertrauten Herzens = Geiftese
Gemwiffend e $reunde, durch den mir Ehriftus
Licht, Rath, Hülfe und Erlöfung darbeut; den mir
Chriſtus durch die Kirche angemwiefen und al verfraus
enswürdig erklart hat,
39
Ben Bientiöh
Das Durchforſchen meines Gewiffens, das Er:
Eennen und Bekennen meiner Sünde vor dir,
o mein Gott! ift eine Art von Selbſtgericht,
das ich in mir und über mic) halten fol vor
Deinem Auge, das alldurchfchauend und hei-
lig ift. Dieß Selbftgeriht will ih) nun über mic)
ergehen laffen Tag und Nacht — vor Deinem
Auge, Bater! das mid zur Buße ruft, um
mich felig machen zu können; vor Deinem Au—
ge, das mit Mohlgefallen herniederfhaut auf
Alle, die einen demüthigen Sinn und ein zerfchla=
genes Herz zu dir bringen.
Sa, Bater! nachdem du, nach der Fulle
deiner Erbarmungen, dem findigen Menfchenge-
jchlechte in deinem Sohne, Chriſtus Jeſus, eis
nen Erlöfer, Mittler und Heiland geſchenkt haft:
fo ift das Selbftgericht, das Bekennen meiner
Sünden vor dir, und vor deiner Kirche, ein leiche
tes, liebliches Geſchäft; ſüß ift die Thräne, die
Bergebung der Sünde erfleht; getroft rufe ich
mit David, als fich fein Herz in Neue, fein
Mund in den glühenden Bußpfalm gelofet hatte:
Gott! erbarme did mein, nad) dei-
ner großen Barmherzigkeit, und tilge
meine Sünde nad der Fülle deiner Er—
barmungen. Waſche mihb noch mehr
von meinem Unrecht, und reinige mid
von meiner Sünde. P.L. 3. 4. Und nicht
der Prophet Nathan, Chriftus felbft ſpricht
mich los von. meiner Sünde. Dafür dankt dir,
Vater! mein erquicktes Gebein, und mein ganzes.
Mefen ewig.
40
VII.
Siebenter Tag.
Sortfetzung.
Bon den mweitern Erforderniffen zur Sinnes⸗ und Le⸗
bensänderung, und zwar vom vierten, das heißt: von
der interhaltung der lebendigen Öefüuhle der
Scham, der Keue und des Sehnen: nah Ers
löſung.
Schriftſtellen.
1. D.: Zöllner ftand von Ferne, und wollte auch nicht ein
mahl feine Augen gen Himmel aufheben, fondern ſchlug an
feine Bruft, und ſprach: o Gott! fey mir Sünder gnädig.
Eu, XVIIL. 13. |
2. Der Herr wandte ſich um, und fah den Petrus an, und
Petrus erinnerte ſich der Nede des Herrn, wie er zu ihm ges
fagt habe: Che der Hahn krähet, wirft du mich drey Mahl
verlängnen; und Petrus ging hinaus, und weinte bitterlic.
Luk, XXII. 61. 62.
3. Und er fprach zu Sefu: Herr! gedenfe meiner, wann
du in dein Reich Eommen wirft. Und Sefus ſprach zu ihm:
ZUR noch follft du bey mir im Paradiefe feyn. Luk. XXIII.
2, 43,
4. Er (Judas) ſprach: Ich habe gefündiget, daß ich un—
ſchuldiges Blut verrathen habe. Sie aber fagten: Was geht
und das an? Da fieh du zu. Und da er die Silberlinge im
den Zempel weggeworfen hatte, machte er ſich davon, und
im Hingehen erhenkte er fih an einem Stricke. Matth.
XXVIL 45,
Betrachtung.
Wenn ich überwiegenden Muth habe, meine Sun
de zu erkennen, anzuerkennen, und zu befennen; was
fol ich nun weiter?
Wenn ich im Lichte Gottes, das mein Gemifs
fen, mein Herz, mein Zeben durchleuchtet, meine Guns
En
41
de und Sundhaftigkeit in ihrem Urfprunge und Bollens
dung, in ihrer Größe und Ausbreitung, in ihrer Schänd—
lichkeit und Schädlichfeit von dem erften Augenblice
des erwachenden Vernunftfunfens bis auf diefe Stunde
durchgeforfcht hatte; wenn meine Lebertretungen
des Gefeges in ihrer Menge, die für mich zahllog,
in ihrer Öröße, die für mich unmeßbar, in ihrer
Ausbreitung, die für mich unbegrenzbar, in ihrer
Schändlichfeit, die für mich unanfchaubar, in
ihrer Bermwuftung, die für mich unnennbar , vor
meinem Blicke da ftänden: wie follte ich
die Berdammungen des Gewiſſens,
die Drohungen des Geſetzes,
die Schreckniffe der Zukunft,
die Schulden der Vergangenheit,
die Laſten der Öegenwart,
die Gerichte der Öerechtigkeit,
die Bergeltungen der Ewigkeit,
die fich in und mit der Sünde zugleich in mir anfuns
den würden, aushalten können; ohne von Scham,
von Keue, ohne von dem Wunfche nach Erlöfung
von Sünde und Sündhaftigfeit durchdrungen zu mers
den?
Die Befferung fordert alfo von mir
4. einen ungewohnten, überwiegenden Ernft zur
Unterhaltung der lebendigen Gefühle der Scham,
der Reue in Hinficht auf Sünde und Sundhaftigs
keit, des Sehnens nach Erlöfung von der Sunde,
Selig, deffen Herz von Scham durchdrungen, defs
fen Geift von Reue zermmalmet, deffen Auge von der Zah»
te des heißen Schmerzen$ geneßet ift! Selig; denn dies
fe Thrane ift Wahrheit, dieſe Thrane ift Weiffagung
der Fommenden Erlöofung von der Sünde,
Diefe Thrane ft Wahrheit: denn der Menfch,
der fich felbft ennt, fieht in feiner Zugend Sünde: wie
follte er in feiner Stunde was anders als Sünde fehen,
42
in der Sunde was anders als Untreue und Undank,
was anders als Stoff zur Selbftanflage, zur Selbſtver⸗
dammung ? f
Die Thräne iſt Wahrheit: denn er ift was
er ficht, und er fieht was er if. Er iſt Sünder, und
fiept in fi den Sünder.
Die Thrane ift Weiffagung der fommenden
Erlöfung von der Herrfihaft der Sünde: denn wer ein-
mahl dahin gefommen ift, daß er vor fich felber
errötben, fich felber verdammen, fich felber tief
erniedrigen kann; wer einmahl dahin gefommen
ift, daß er das Schändliche und das Verwüſtende der
Sünde im hellen Lichte anfchauen, den edlen durchglüs
henden Schmerz darüber, daß er ein Sünder ift und
ſich als Sünder erfennt, empfinden Tann; wer einmahl
dahin gefommen ift, daß er feine Sünde in allen ihren -
Folgen zernichten zu können wünfchet, weil er fie doch
nicht ungefchehen machen Fann:... o! der wird nun
auch bald dahin Fommen, daß er die Sünde von gan
zem Herzen haſſen kannz meil fie fo fchandlich iff,
daß er die Sunde von ganzem Herzen verabfcheuen
kann; weil fie gerade fo verwüftend als fchandlich ift,
daß er den großen Entjchluß faffen fann, die
Sünde in allen ihren Kegungen zu befämpfen;
weil fie lauter Schande, Verwüſtung und Tod if.
Bin ich einmahl bis dahin durchgedrungen, daß
mein Innerftes mit Scham und Reue, mit Schmerz
und Haß gegen die Sünde, mit lebendigem Seh—
nen, ihrer los zu erden, und mit dem ernflen Ent:
ſchluſſe, fie in allen ihren Kegungen zu verfolgen,
erfüllet ift: dann flieht mein Fuß vor der Pforte
des Heils, dann hat meine Zunge fein Wort, als:
Herr! ſey mir armen Sünder gnädig!
dann meint mein Auge die Zahre deg reuvollen
Petrus, die, bitter und füß, das Morgenroth
der Sündenvergebung ankündet; dann iſt mein Herz
43
ein lauter Bußpfalm, dann ift mein Leben eine laus
tere Kampfrüftung wider die Sünde, dann firedt fich
mein ganzes Gemüth aus nach Gnade, nach Erlös
ung.
Diefe Faffung des Gemüthes, die man fonft mit
dem Worte Keufinn, Reufinnigfeit bezeichnet,
die aber nicht bloß Reue und Scham, fondern auch
Schmerz und Haß gegen die Sünde, überdem ein
lebendiges Sehnen, ihrer los zu merden, und den
ernften Entſchluß, fie in allen ihren Regungen zu vers
folgen, in ſich faßt, dieſe Saffung des Gemüthes hat
Ehriftus in jenem Zöllner, deffen ſchon genanns
te Worte: Herr! fey mir armen Sünder gnadig! —
die Worte fhon fo vieler taufend zerſchlagenen Herzen
wurden, unübertrefflich ſchön gemahlet.
Erftens: Der Zöllner ſteht in der Ferne, Dieß
finnbildet fein. tiefes Gefühl eigener Unwürdigfeit,
Nur Sünde fieht er in fih, das ift: Entfernung von
Gott. Wie dürfte er es wagen, fi) dem Heiligen zu
nahen, der Unheilige?
Zweytens: Öetrauet er fich nicht, fein Auge
gen Himmel aufzuheben. Dieß finnbildet fein tiefes
Schamgefuhl. Er blieft auf feine vermeinte Tu>
gend, um fich den Anblick der Sünde zu mildern. Die
Seele blidt in ſich — darf nicht auffchauen zu der
ewigen Gerechtigkeit.
Drittens: Er fchlagt an feine Bruſt. Dieß
finnbildet feine Keue. Wie die Hand auf die Bruft,
fo ſchlägt im Innern die Allgewalt der Sünde auf die
Seele, bi$ fie wie zerfchlagen if.
Viertens: In diefem Gefühle feiner Unmwürdig-
feit, der Scham, der Neue, weiß er fich vor fich fels
ber und vor dem allverfchlingenden Abgrunde der Sün—
de nicht anders zu‘ retten, als daß er fich wirft in
die Arme der Gnade: »Herr! fey mir armen Sun:
der gnädig !«
Gebet).
Da fid) die Sünder in der Sünde, und die Reu—
müthigen in der Neue auf mancherley Meife täu—
chen: fo flehe ich zu dir, Vater der Lichter! um
Licht, daß ich einfehe die Täuſchungen der Sün—
de und die Taufchungen der Neue. Auch Judas
berenete es, daß er unfchuldiges Blut verrathen
hatte — und ſammt diefer Neue, ging er hin,
und' erbenkte ſich — verzweiflend an Gnade und
Erbarmung. Dagegen, als unfer Erlöfer, dein
Eingeborner, feinen Jünger Petrus, der ihn
drey Mahl verlaugnete, angeblickt, und mit dem
Blige der Erbarmung ihm das Herz durchſchnit—
ten hatte: da floß die Thrane der Rene aus dem
Auge des Beſchämten, und diefe Thräne faud
Gnade; weil in ihr die Reue — mit Vertrauen,
und Reue und Vertrauen mit dem Ernfte der
Befferung verfchwiftert waren. Auch das vers
tranende Mort des einen Mitgekreuzigten: Ge—
denfe meiner — in deinem Reiche, fand
Gnade und die Anweifung auf eine Stelle im
Daradiefe: Heute noch follft du mit mir
im Paradieſe fenn. Und der zurück Eehren-
de Sohn, mit Thranen der Reue und des Ver—
trauens überronnen, fand in den Armen des lie—
benden Baters Gnade, Berzeihung, Friede, Le:
ben. Und der in Demuth und Reue und Scham
verfunfene Zollmer ging gerechtfertiget — in
fein Haus.
Diefe Beyfpiele md Sleichniffe frei-
ben mic mit freundlicher Gewalt von der Ge—
rechtigkeit zur Barmherzigkeit, von dem Gott,
der mein Richter ift, zu dem Gott, der mein
Dater ift, zu dir, mein Gott! der du die Kie-
45
be felbft bift, und Taufer Erbarmungen in
deinem Sohne geoffenbaret haft.
Bor dir liege id), und rufe um nichts als
Gnade; — denn ich weiß, daß du ein zerfchla-
genes Herz, in dem fih Neue und Zuverficht und
Sehnen nach Erlöfung vereinigen, nicht verſchmä—
hen Eannft.
VIH.
Achter Tag.
Tortfetzung.
Von dem vierten ‚Erforderniffe zur Bekehrung, das
it: von der Gemüthsfaſſung, die man fonft
mit den Worten Keu und Leid bezeichnet.
Schriftftellen
£; Ds Evangeliums fchäme ich mid) nicht; denn es iſt eine
Kraft Gotted zum Heile für Alle, die daran glauben. Röm.
I. 16
2. Sn dem Evangelium ovffenbaret ſich die Gerechtigkeit
Gottes, die aus Ölauben in Glauben geht, wie es gefchrieben
ſteht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben. Röm. J. 17.
* Das Evangelium bar einen unerfchöpflichen Reichthum
von Verheißungen, und das rechte Maß von Forderungen
in ſich, davon die bedeutendften Zeugniffe in der Betrach-
tung vorkommen.
Betradhtung.
Die Faffung des Gemüthes, die Chriſtus in dem
Ferneſtehen, gefenften Blicke, Bruftanfchlagen und
Gnaderufen des Zöllners ausfprady, iſt gerade die, in
der ich feyn muß, wenn mir das Evangelium Chriſti
46
die angenehmſte Bothſchaft ſeyn fol mit allen feis
nen Berheißungen, und nit abſchrecken fol mit
allen feinen Forderungen.
Die Verheißungen des Evangeliums find
die:
Kommet alle her zu mir, die ihr mühfelig und
beladen ſeyd: Ich will euch erquicken. Matth.
XI. 28.
So hat Gott die Welt geliebt, daß er feinen
eingebornen Sohn gab; damit Alle, die an ihn glau—
ben, das ewige Leben haben. Joh. II. 16.
Bon diefem (Chriftus) zeugen alle Propheten,
daß durch feinen Rahmen Alle, die an ihn glauben,
ae der Sünde empfangen follen. Apo-
fielg. X
Diefen Chriſtus) iſt der Stein, den ihr Bau—
leute zwar verworfen habt, der aber dadurch zum Eds
ftein geworden iſt. Es ıft in feinem Andern Heil;
es ift Fein anderer Nahme den Menſchen gegeben, in
dem fie felig werden ſollen. Apoftelg. IV. 11. ı2.
Meine Kindlein! Dieß fchreibe ich euch, daß ihr
nicht mehr fündiget. Wenn aber Jemand fündigen folls
te, fo ift Jefus Chriſtus der Gerechte, der fir uns
bey dem Water fpricht. Er ift das Sühnopfer
für unfere Sünden, und nicht nur für unfere- Süns
den: er ift das Sühnopfer für die ganze Welt. I. Joh.
I, 1. 2.
Wenn ihr, die ihr böfe ſeyd, euern Kindern gu—
te Gaben geben koönnet: wie viel mehr wird der Water
im Himmel (der Alleingute) denen, die ihn bitten, den
guten Geift geben? Luk. XL, 13.
Sohn! Tochter! die Sünde iff dir vergeben: fun»
dige nicht mehr! Dieß war wohl das liebfte Wort
Jeſu, das er, unter Sundern wandernd, am öfteflen
ausfprach,
*
Ueber einen Sünder, der Buße thut, wird grö—⸗
Gere Freude im Himmel ſeyn, als über neun und
neungig Öerechte, die Feiner Buße mehr bedürfen. Luk.
XV. 7.
Dieſe Verheißungen gewinnen allerdings ein eru—
ſtes Anſehen, wenn wir fie mit den Forderungen
des Evangeliums, die eben auch lauter Liebe find, und
weiter nichts al3 den Sinn der Verheißungen näher
beflimmen ſollen, verbinden:
MWahrlich, wahrlich, fage ich euch: es fey denn,
daß Jemand vonNeuem geboren werde, außer:
dem Fann er das Reich Gottes nicht fehen; nur was
vom Geifte Gottes geboren ift, das ift Geiſt. Joh.
III. 3,6;
In Chriftus gilt nichts, als die neue Schu»
pfung; in Chriſtus gilt nichts, als die neue Lies
be, die neue Wirffamfeit des Glaubens. Sal. V, 6.
VI. 15.
Wer den Geiſt Chriſti nicht hat, der iſt nicht
ſein. Röm. VIII. 9.
Die Früchte des Geiſtes ſind: Liebe, Freude,
Friede, Geduld, Freundlichkeit, Sanftmuth, Keufch-
et — —
: Die Ehrifto angehören, die kreuzigen ihr Fleifch,
fammt den Lüften und Begierden desfelben. Sal. V.
22 — 24.
Nur die haben ein wahres Leben in fich, die durch
den Geift die Werfe des Fleifches ertödtet haben: nur
die find Kinder Gottes, die der Geift Gottes treibt.
Kom. VIIL 13. 14.
Nur die gehören zur Herde Chrifti, die feine
Stimme hören, die feinen Ruf verftehen, die fich durch
ihn führen laffen, die ihn fennen, und ihm nachfols
gen. Joh. X, 4. |
Die find feine Jünger, die einander lieb haben.
Joh. XII, 35. Die find feine Reben, die an ihm
48
bangen, und an ihm hangend Frucht bringen. Joh.
XV. 4.
Die im Lichte wandeln, wie Gott im Lichte iſt,
die haben Gemeinſchaft unter einander, die reiniget das
Blut Chriſti, ſeines Sohnes, die macht es rein von
aller Sünde. I. Joh. I. >.
Nur die find frey, die die Wahrheit, die der
Sohn des Haufes, die der Geift Gottes frey machet.
Joh. VIII. 32. 36.
Das Evangelium Ehrifti, wie es fich in diefen
und unzähligen andern Stellen fund thut, ift alfo
Wahrheit und Liebe zugleich; Liebe, indem
es Allen, die zu Gott umfehren wollen, Önade, ewis
ges Leben anbeut; — Wahrheit, indem fie Feine
— Gottes anerkennet, als die den Geiſt Gottes
aben.
Es ſind in dieſer allerwichtigſten Angelegenheit der
Umkehr und Rückkehr zu Gott, unzählige Irrungen
und Täuſchungen dadurch entfianden, daß man
das Evangelium Chrifti fpaltete.
Unfer Gott ift die Liebe und die Wahrheit;
unfer Chriftus das fchönfte, gleichendfte, vollkommen-
fie Ebenbild der Liebe und der Wahrheit; unfer
Evangelium Liebe und Wahrheit zugleich.
Die Jrrungen, Taufchungen beftanden darin: Eis
nige wollten fich, mit einem todten Glauben an Chris
ſtus tröften, und hielten fich ſchon für gerecht; bloß
weil fie an eine fremde Gerechtigkeit außer ihnen glaub—
ten, da doch die Ungerechtigkeit noch in ihrem Her:
zen thronte, und in ihren Öliedern herrfchte. Sie be>
ruhigten fich damit, daß Ehriftus für die Menfchheit
geftorben fey, ob fie gleich noch für die Sünde leb—
ten. So ward das heilige Sterben Ehrifti ein Dede
mantel ihres unheiligen Lebens,
Andere wollten Früchte bringen, ob fie gleich
von dem Fruchtflamme Ehriftus getrennt waren; wolle
ten,
—
\ 49
ten, ohne fi von dem Geifte Chriſti neue Lebens»
kraft zu hohlen, ſich ſelber zu einem gerechten Le»
ben neufihaffen, und tröfteten fich bey dem tiefen Ger
fühle ihrer fchmweren Sünden mit einem halben Wol-
len, der Sünde los zu werden; waren noch Knechte
der Sünde, und wollten Kinder Gottes heißen.
Ganz anders die wahren Jünger Ehrifii! Ge:
zogen von der ewigen Liebe, ermunter‘t von den
Berheißungen Chriſti, getrieben von dem Gefühle
ihrer Sünden und Sündhaftigkeit, flanden fie mit
dem verlornen Sohne auf, verließen die Stätte
ihres Elendes, eilten im Vertrauen auf die allerbar-
mende Liebe, an der Hand Ehrifti zum Vater zurück,
empfingen in feinen Armen den Friedenskuß, fpra-
chen mit Findlicher Stimme das erfte Mahl wieder das
Wort aus: »mein Vater!« und huldigten und ges
Iobten ihm unter den werdenden Gefühlen des Dan:
kes, der Liebe neuen Gehorfam, neues Leben; und
gingen neugefchaffen zu guten Werken, und gefalbet
mit Troft, Friede und Freude an ihr Tagewerk, zu
verfünden die Liebe deffen, der fie von Sün—
den gereiniget, und dem zu leben, der fich für fie in
den Tod gegeben hat.
Diefe große Umanderung, die in dem Innern
und Aeußern deffen, der von Finfterniß zum Lichte
befehret, nach dem Urtheile der Gerechtigkeit ein Bes
Eehrter heißen kann, vorgegangen ift und vorgehen
mußte, verdient den großen Nahmen, den ihr die
heiligen Schriften beylegen, den Nahmen: neue
Schupfung Ehrifti, neue Geburt aus Gott,
neue Ummandlung durch den heiligen Geift,
Sie ift eine neue Schöpfung. Denn wie
durch das Machtwort der erfien Schüpfung Seyn
und Leben hervorging, wo Fein Seyn und fein Leben
war: fo fritt in dem Neugebefferten ſtatt des irdifchen
Sinnes, flatt des viehifchen Lebens ein neuer himm-
Sailer, d. chriſtl. Monath. 4 j
50
lifcher Sinn, ein neues -göttliches Leben hervor durch
das Machtwort Ehrifti.
Sie iff eine neue Zeugung, eine neue
Geburt aus Gott. Denn wie der äußere Menfch
im Mutterleibe gebildet, und an dieſe fichtbare, zeits
liche Welt geboren werden mußte, um in Ddiefer -
Welt und für diefe Welt leben zu fünnen: fo muß
der innere Menfh an die unfichtbare, ewige Welt
geboren werden , um in ihr und für fie leben zu
fünnen.
Sie iff eine Ummandlung dur) den Geift
Gottes. Denn wie follte der Menfch von der Vers
Fehrtheit feines Herzens! von dem Webergemwichte des
Hanges zum Böſen erlöfet werden , wenn nicht
eine vollftandige Erneuerung, eine Art Verwand⸗
lung in ihm vorginge?
Der Sünder ift mit einer drepfachen Kette an die
Sünde gebunden, Die erfte Kette ift die Natur,
die Welt außer ihm. Hierher gehören ale Eindrücs
fe, ale Bepfpiele, alle Reize des Böſen, die
von außen in ihn kommen. Dieß ift die Kette der
außern Welt. Die zweyte Kette ift die thierifche
Luſt an der Sünde, die in feinem Körper wurzelt,
und zur eifernen Gewohnheit geworden ift — die Kette
des Leibes, der Sinnenluft.
Die dritte Kette ift die Neigung der Seele,
der Wille des Fleifches, der die einzelnen böfen Ges
danken, die einzelnen böfen Begierden in dem Sün⸗
der erzeuget, unterhält, befriediget, und die Regun⸗
gen des Gewiſſens unterdrudt, — Dieß ift die eigent:
liche Kette des Laſters.
Diefe drepfache Kette ift alfo eine drepfache
Uebermacht.
Wenn nun der Sünder frey werden ſoll, ſo
muß dieſe dreyfache Kette zerſprenget, dieſe drey—
fache Uebermacht durch eine höhere Macht, die über
51
dem Menfchen if, und die rechte Uebermacht iſt,
ubermunden werden. /
D, du göttliche Uebermacht, rette du mich; denn
du allein kannſt mid) retten,
Fa wahrhaftig, die Uebermacht! zur Zerfprengung
der drepfachen Kette, womit der Sünder gebunden
ift, Fann nicht in dem an die Sünde verfauften Mten-
fchen gefunden werden; fie muß außer ihm gefucht,
fie kann nur in Gott, in Ehriffus, in dem Geiſte
Ehrifti gefunden werden. Es muß alfo etwas Neues
im Menfchen werden, eine Erneuerung, eine Um—
wandlung gefchehen ; wenn der Sclave der Welt, der
Sclave des Leibes, der eigentliche Sclave der Sunde
frey werden follte. 4
Der Sohn, fagt Ehriftus felbft, macht frey,
die Wahrheit macht frey.
Wer nun Ddiefe Freyheit erkämpft und erflehet,
hat das höchfte Gut dieſes Lebens flehend erkäm—
pfet, oder was Eines ift, kämpfend erflehet.
Sitrhengebethe
F
Gott, vor dem alle Herzen offen da liegen,
dem das verborgendfte Regen des Millens eine
laute Sprache, und Eein Geheimniß geheim ift:
fpende uns deine befte Gabe, den heiligen Geift,
und reinige Dadurch alle Gedanken unfers Her—
zens; damit wir tüchtig und würdig werden Did)
vollEommen zu lieben und zu preifen. Ä
2.
Mir bitten dih, o Herr! fuche unfer Ge—
wiffen heim, und reinige e8; damit, wenn Je—
fus Chriſtus, dein Sohn, unfer ‚Herr nachkommt,
A
52
er in und eine für ihn (bereitete Wohnung fin-
den möge, | | N N
a |
Laß, o Herr! das Feuer des heiligen Gei-
ftes uns Herz und Nieren durchdringen; damit
wir. mit keuſchem Leibe dir dienen, und mit rei-
nem Herzen dir gefallen. |
5 IX,
Neunter Tag.
Sortfetzung.
Bon den Erforderniffen zur Sinnes- und Lebensän-
derung. ‘Das fünfte heißt: Der überwiegende
Ernft zur wirklichen Rückkehr zu Gott.
Schriftftellen
Der Vater ſprach zu ſeinen Knechten: Bringet das beſte
Kleid heraus, und zieht ihn an, und ſteckt ihm einen Ring an
feine Sand und Schuhe an die Füße. Und führer das gemä-
ftete Kalb heran, und fchlachtet es; und wir wollen effen und
fröhlid) feyn, denn diefer mein Sohn war todt, und nun.lebt
er wieder; er war verloren, und ift gefunden worden, Lu,
XV. 22, 23.24. :
Betrachtung.
Wie die Bekehrung des Sünders ohne Gottes
neuſchaffende Gnade nicht zu Stande kommen kann:
ſo kann ſte auch ohne Einſtimmung des menſchlichen
Willens mit dem göttlichen nicht vollbracht werden.
Die wahre Beſſerung fordert alſo von mir:
53
5. einen ungewohnten „ überwiegenden Ernſt zur
wirklichen Rückkehr zu Öott, nach den Verheifun-
gen und Forderungen des Evangeliums,
Die wahre Befferung fest voraus einen unger
wohnten, überwiegenden Ernſt, der das Evange
lium Chriſti nicht fpaltet, der den gans
zen Chriftus haben will, der Feinen falſchen
Troſt in das Herz aufnehmen, DieÖnade der Ver:
gebung und der Keinigung von Sünden in
Zuverfiht und Liebe empfangen, der Eeie
ne Befferung ohne Erneuerung des Gin
nes und Lebens, ohne den heiligen Geiſt,
— Guten neufchaffet, gelten laffen
will
Mo diefe Rückkehr des Verirrten vollbracht iſt,
da wird es nicht an Friede, an Geelenjubel, an
Geiftesfreude fehlen können. Es wird eine Freude,
wie im Haufe des Vaters , dem der geliebte Sohn
aus dem Tode erwecet, und miedergefchenft wor—
den ware. Und dieß ift der Geſichtspunct, den
Ehriftus in feinem Meiftergemählde von der Buße,
das alle Kaphaele übertrifft, beſonders herausgehoben
hat.
»Laßt uns fröhlich ſeyn; denn diefer
meinSohn war todt, und iftwieder lebens
dig gemorden.« Luk. XV. 24.
Es ift mir, als wenn diefe Darftellung fur uns
noch die allerfaßlichfte wäre. Das Göttliche
fann eben nur durch Bilder angedeutet werden.
Die Männer Gottes, die Propheten des alten
und die Apoftel de neuen Bundes, wenn fie das
Hochfie, die Bekehrung des Sünders, mahlen wol
ten, verglichen fie, wie e$ uns ſchon die vorangehende
Betrachtung dargelegt hat, mit der Schöpfung
der Welt: der Gebefferte ift ihnen ein neues Geſchöpf
der göttlichen Huld; verglichen fie mit der Zeugung
54
und Geburt des Menfchen: der Gebefferte ift ihnen
Gottes Kind, neu gezeugt, neu geboren aus Gott;
verglichen fie mit der Umwandlung der Dinge in
der Natur: der Gebefferte hat den alten Menſchen aus-
gezogen, und den neuen angezogen ; hat ein neues
Herz, ein neues Auge, ein neues Gehör, einen neus
en Berftand empfangen; Alles ift in ihm neu gemwors
den. Endlich, als wenn fie gleichfam mit ſich unzus
Ffrieden wären, daß fie die Wahrheit noch nicht deuts
Vicher dargeftellt hatten, griffen fie zum letzten Bilde, -
das Chriſtus in jene Licht - und Sinn »volle Parabel
gekleidet hatte: der Sünder ift todt, iſt cine
geiftliche Leiche, liegt in der Gruft des Laſters, und
die Befehrung ift eine Neubelebung, eine Aufers
wectung von dem Tode: der Bekehrte ift ein Neu⸗
erftandener von dem Tode,
| Bey diefem lebten Bilde will ich verweilen. Und
o, daß alle Schein » Ehriften, alle Halb - Chriften mit
mir dabey verweilten! »Eine Auferwedung zum neuen
geiftlichen ‚Leben ift die Bekehrung des Mtenfchen.«
Das neue geiftliche Leben ift das Leben des
Glaubens, der Liebe, der Hoffnung : diefes geiftliche
Leben ift ein ewiges, weil es der Tod nicht zerſtö—
ren kann; indem der Glaube in ein Schauen, das
Hoffen in einHaben, die Liebe, aus dem Zuſtan—
de des Kampfes, des Entbehrens, des Leidens, in
den Zuftand deg$ Sieges, des Genuffes, der
Ruhe übergeht. Man Fann alfo fagen: Die Bekeh—
rung des Sünders ift eine Auferwecfung zum ewigen
Leben.
Das neue geiftliche Leben iſt ein göttliches
Leben; denn es ift ein Leben der Liebe im neuen ı
Lichte, ein Leben nach der Wahrheit. Run ift
Gott ein Geift, ift die Liebe, iſt die Wahrbeit felber.
Man darf alfo fagen: Die wahre Befehrung des
58
- Menfchen ift eine Auferweckung zum göttlichen, ewi⸗
gen Leben. |
Dieß ift wohl auch die Urſache, warum Chriſtus
den Ausſpruch that: »Wer an mich glaubt,
ſtirbt nicht: wer an mich glaubt, ift von
dem Tode zum Leben hinubergegangen.«
Wenn nun aber die Bekehrung des Sünders, von
Geiten Gottes betrachtet, eine Auferweckung von den
Zodten ift: fo ift es klar — (laffet uns die großen, bes
deutenden Lehren, die in dieſer Lehre mitgegeben find,
recht in’3 Auge und zu Herzen faffen !) —
Erſtens: daß die herrfchende Sünde ein wah-
rer Tod des Geiftes, eine Aufhebung des göttlichen
ewigen Lebens im Menfchen fey. »Wer Gott von
ganzem Herzen liebt, hat das göttliche, ewige Leben;
wer von Gott abgefalen ift, hat das göttliche, ewige
£eben verloren.a Der Abfall von Gott ift alfo ein
wahrer Geiftestod.
Wenn die Bekehrung des Sünders eine Aufers
weckung von dem Tode ift; fo ift es Elar,
Zweytens: daß die wahre Befferung nur erſt
alsdann vollbracht fey, wenn die Rückkehr des geifte
lich» Zodten aus dem Tode des Geiſtes in das göftli-
che, ewige Leben zu Stande gebracht if. Es muß
die gebiethende Liebe Gottes aus dem Grabe wieder
erſtanden ſeyn; es muß neues, göttliches, ewiges Le⸗
ben da, wo zuvor ein übertünchtes Grab, oder nackte
Verweſung war, eingetreten feyn.
Wenn die Bekehrung des Sünders eine Aufer-
weckung von dem Tode ift-; fo ift es Elar,
Drittens: daß Die wahre Buße des Sünders
ohne den neubelebenden Geiſt Gottes gerade fo un»
möglich iſt, als die Schöpfung ohne ſchöpferiſchen
Geiſt. Gott hat das ewige Leben in ſich, feine Kin—
der alle aus ihm, durch ihn, in ihm. Kur das ewi⸗
ge Leben ift albelebend. Nur der Allbelebende Tann
56
vom Tode erwecken. Nun aber iſt es der Geift Gots
tes, der der Allbelebende heißt, und was er
heißt, auch iſt. Alfo Feine Befferung ohne den all;
belebenden Geift Gottes, Feine Belebung ohne das
Leben,
Wenn die Befehrung des GSunders eine Aufer⸗
wecung vom Tode ift; fo iſt es endlich auch Elar,
Vierten: daß ale diejenigen, die den Sün—
der durch die in ihm wohnende Kraft allein beffern,
oder ohne innere Befferung Zroft für den ungebeffer-
ten bereiten wollen, weiter nicht3 thun können, als
die Leiche mit Blumen ſchmücken, oder den Geruch
der Verwefung für ein Zeichen des Lebens ausgeben.
G ebeth.
Gott , der du (nach dem ſinnvollen Zeugniſſe
des von dir erleuchteten Jüngers der Liebe),
das Licht, die Liebe und das Leben ſelber biſt,
und Allen, die an dich glauben, und denen du
Macht gegeben haſt, deine Kinder zu werden,
durch deinen Eingebornen im heiligen Geiſte,
Licht, Liebe und Leben mittheileſt, daß ſie Ei—
nes mit dir bleiben und vor dir wandeln können:
verleihe uns jenes Maß von Licht, Liebe und
Leben, deſſen wir bedürfen, um in unverrückter
Treue dir anzuhangen, und deine Gebothe mit
Beharrung in Gehorfam und Ergebenheit — zu
vollbringen, —
X.
Zehnter Tag.
Die Dienfte der heiligen Kirche bey der Bekehrung
des Sünders, das ift: von dem fechften Erfor-
— derniſſe zur Befehrung.
Schläftistellen.
fr Get bin und unterweifet ale Völker, und taufet fie im
Nahmen des Waters und des Sohnes und des heiligen Gei-
ſtes, und lehret fie Alles halten, was ich euch befohlen ha—
be. Matth. XXVIII. 19. 20.
2. Nehmet hin den heiligen Geift: denen ihr die Sünden
nachlaffen werdet, denen find fie nachgelaffen; denen ihr
fie behalten werdet, denen find fie behalten. Joh. AX.
27, 25, Ü
3. Wenn wir die Sünde befennen, fo ift er fo treu
und gerecht, daß er uns die Sünden vergeben, und uns von
aller Ungerechtigkeit reinigen wird. I. Joh. 1. 9.
4. Johannes fagte: Thut Buße, denn das Neid)
der Himmeln ift nahe gekommen, Matth. III. 2.
5. Dann fing Sefus an zu predigen, und zu fprechen:
hut Buße, dad Neich der Himmeln ift nahe gekommen.
Matth. IV. 17.
Betredtung
Wenn die Befehrung im Geifterreiche das
ift, was die Erweckung eines Todten im Reiche der
Natur wäre: fo Fann zwar das, was nur Öotte?
Werk feyn Fann, nie des Menfchen Werl werden.
Aber, da Gott durch Menfchen wirfet, da Gott durch
die Kirche Ehrifti fo viel Großes wirket: fo wird bey
dem Werke aller Werke, bey der Befehrung des
Sünders, die Kirche Ehrifti dem Sündergefchlechte
wohl auch die wichtigften Dienfte thun.
58
Wie heißen nun die wichtigften Dienfte,
die die Kirche Ehrifti bey dem Werke aller Werke,
bey der Befehrung des Sünders thun kann, und in
ihren erleuchteten Dienern wirklich thut ?
Die Kirche Chriſti halt vorerft dem Freds
ler, der feinem Gewiſſen, feinem Gott entlaufen iſt,
und nun in dem Eabprinthe der Sünde außer fich
und außer dem Wege zu Gott umberirrt, die Tas
fel des Gefetzes vor. »Unſeliger, du bift ohne
Gott in der Welt! du haft das Geboth deines
Herrn übertreten!« Die Kirche Gottes verfündet
alfo das Geſetz Gottes nach allen feinen Forderungen,
nach allen feinen Drohungen durch ihre Diener, Die
Ehriftenlehrer , durch Prieſter, Seelenforger , Pre⸗
diger.
Nach allen feinen Forderungen: »Du
font, du fonft, du ſollſt Gott lieben über Alles, den
Nächſten wie dich felber.«
Nach allen feinen Drohungen: »Allen, die
der Wahrheit nicht gehorchen, dafür aber der linges
rechtigkeit gehorchen, Ungnade und Zorn; Allen,
die Böfes hun, Trubfal und Augſt.« Kom.
I. 8. 9.
»Dann wird er zu denen, die zur Linken flehen,
fagen: Gebet hinweg von mir, ihr Verfluchten! in
das ewige Feuer, das dem Zeufel und feinen Engeln
bereitet ift.« Matth. XXV. 41,
Die Kirche Ehrifti verkündet
Zweytens: nach dem Benfpiele und im Geiſte
Ehrifti allen Sundern die unbedingte Rothwen—
digkeit der Sinnesänderung; fie ruft auf
Gaſſen, in Tempeln, in Häufern:
»Wenn ihr euern Sinn nicht ändert, fo werdet
ihr Ale zu Grunde gehn! Kein Heil außer der Rück-
Eehr zu Gott !«
[4
59
Ale Predigten der Chriffenlehrer An Sünder
find alfo nothwendig Bußpredigten.
Dem Kranken ift die Hülfe des Arztes unen t⸗
behrlich, weil fich die zerrüttete Natur nicht felber
berftelen Fann. Aber der Arzt kann nicht beilen,
wenn fich der Kranke dem Heilungsgefchäfte nicht uns
terwirft.
Die Kirche Chriſti verkündet
Drittens: Gnade, Erbarmung, ewi
ges Zeben, denen, die fich erlöfen laffen wollen.
Die Kirche Ehrifti fordert von den Eahmen nicht,
daß fie gehen follen, denn das Efunnen fie nicht;
aber daS fordert fie, daß fie fich heilen laffen follen,
und geheilt und flehend auf feftem Fuße, mit uns
verructer Zreue auf der Bahn der Wahrheit wandeln.
Das ift die Ordnung des Heiles, die ewig iſt,
wie die ewige Wahrheit, Gott felber. Das ift Die
Drdnung des Heileg: entweder bift du noch im
Haufe deines Vaters, Gottes; fo fieh auf fein Aus
ge, bleib auf deiner Stätte, und fey felig in
Bollbringung feines Willens; oder du haft in einem
Augenblicke des Unfinnes das Haus deines Vaters vers
laſſen: fo kehre um, und ruhe nicht, bis du das
Haus deines Waters wiedergefunden haft, und in feis
nen Umarmungen Heil und Leben.
Dieß iff die ‘ewige Ordnung, lauter Wahrheit
und Gnade. Diefe Ordnung des Heiles herzuftellen
fam Chriftus. Suchen mas verloren, felig mas
hen mas unfelig iſt, — das war feine Sendung,
das mar fein Leben, fein Zod, das ift jetzt noch feine
Herrlichteit,
Die Kirche Chriffi, nicht. “zufrieden, das Ge—
fetz, die Rothwendigkeit der Sinnes—
anderung, und Gnade, Erbarmung, emwis
ges Leben Allen zu verfünden,, will
60.
Viertens: dem einzelnen Günder, der
blind iſt, und feine Sünde nicht fehen kann, das
Auge öffnen, die Sünde in feinem Innerſten auffu=
chen, und an das Licht hervorführen; will dem Sün—⸗
der , der feine Sunde und fein Elend liebt, Haß,
Keue, Scham in die Geele legen; will dem Ver:
zweiflenden in Ehriftus einen Heiland, mill dem
Schwachen in Chriſtus einen Starken, der Sünde,
Tod und Hölle meiftern kann; will dem Werzagenden
in Gott — den Vater, in dem Vater lauter Lie:
be offenbaren, will den Ringenden in dem Entfchluffe:
Sch will aufftehen, und zu meinem Vater zurüd-
kehren — flärfen; mil den Aufftehenden wie an der
Hand zum Vaterherzen hinführen; will dem Vertrau⸗
enden das Troſtwort Chriſti in die Seele rufen:
Sohn, dir ift die Sünde vergeben, will den Reuge—
fchaffenen auf der neuen Lebensbahn mit Wort, Bey:
fpiel, Kraft. begleiten, bis der Engel im Pilgerge-
wande den Staub der Erde abfehüttelt, und den Flug
in feine Heimath vollendet haben wird.
Diefen letztgenannten göttlichen Dienft thut die
Kirche Chriſti nicht durch Prediger, die Allen das
allgemeine Evangelium verfünden, fondern durch
Gewiffens = Herzens » Öeiftes Freunde, die den allges
meinen Neichthum des Evangeliums dem einzel:
nen Sünder verkünden, ihn auf feine Verirrungen
aufmerffam machen, ihn fein Innerſtes durchforfchen,
ihn feine Sünde erkennen, befennen, verabfcheuen ,
ihn Erlöfung von der Sünde fuchen, und Erlöfung
don der Sünde, das ift, Önade, Vergebung, neuen
Sinn, ewiges Leben finden lehren.
Die im Nahmen Chriſti und der Kirche diefe gött—
lichen Dienfte thun, heißen Beicht-Väter, weil
fie mit vaterlicher Milde dem Befennenden Herz und
Ohr leihen; beißen Väter in Chriſtus, weil fie
61
den Kinderfinn in dem ausgearteten Gefchlechte wies
der aufwecken.
‚Die wahre Befferung fordert alfo von mir
6, einen ungewohnten, überwiegenden Ernſt, die
Anftalten des Heiles, die mir in der Kirche Chris
ſti geöffnet find, als folche anzuerfenen, und von
ihnen den beften Gebrauch zu machen.
Sch werde mir alfo aus den Dienern Chriſti und
der Kirche, die fie zur Geelenpflege bevollmächtiget
hat, mit offerem Auge den wahlen, dem ich es zu—
trauen kann, daß er Liebe, Weisheit, Geduld genug
beſttze, mich im Geiſte Petrus, Paulus, Johannes mei—
ne Thorheit, mein Elend, d. i. meine Sünden er
fennen; und Gott in Ehriftus, und in ihn Friede,
Freude und ewiges Leben finden zu lehren. ch werde,
wenn ich gewählt, gefunden haben werde, vor ihm Ges
wiffen und Herz auffchließen, und nachdem ich mich
nicht geſchämt habe zu fündigen, mich nicht ſchä⸗
men, vor dem als Sünder zu erſcheinen, der mich im
Nahmen Chriſti in die Arme meines Vaters zurückfüh—
ven, und den Engeln ein neues Jubelfeſt an der Wier
derkunft eines Verirrten bereiten wird.
Ich werde mich nicht auf etliche Aug erblickt,
fondern wenn er anders nicht vor mir der Erde entrifs
fen wird, feiner Führung auf immer anvertrauen,
feiner Suhrung auf im mer treu bleiben ; bis ich nach) ab»
geftreifter Hülle der Zeitlichfeit gar feiner Führung
mehr bedürfen merde.
Das Band der Freundfchaft, das die Ergies
ßungen meines Innerſten vor ihm, und ſeine Theilnah⸗
me an meiner ewigen Angelegenheit, knüpfen wird,
- fol nicht mehr brechen; hienieden nicht, meil *
in die Ewigkeit hinüber reicht; drüben nicht, weil es
drüben für die Kinder Gottes feinen Riß und Eeinen
Bruch mehr gibt...
.62
Jetzt verftehe ich erft recht, warum das, was die
heiligen Schriften eine neue Schöpfung Chriſti,
eine neue, Öeburt aus Gott, eine Berwand-
lung aus einem finnlichen in einen geiftli-
chen Menfchen, eine Auferftehung vom Los
de nennen, in der Sprache der Kirche mit allem
Grunde »Sacrament der Buße« genennet wird,
Wahrhaftig, wenn der Geift Chrifii durch die Kirche
und ihre Diener in der; Befferung des Mtenfchen fo
große Dinge thut, wenn die Eine unfichtbare Gnade
Gottes durch fichtbare Zeichen fo Eräftig wirket — bey
der Befferung des Sunders: fo iſt diefe Beſſerung
wahrhaft ein »Sacrament Chrifti, das Sacra—
ment der Buße.« Es gehet das Werk Gottes durch.
Menfchenhände, ift aber Gottes Werk.
Sehet an das Lehrbild, das uns die Fruchtbar-
feit der Erde gibt! Der Himmel wickelt Gottes Ser
gen gar zart und Fünftlich ein: er geht durch des
Menfchen Hand, kommt aber doch von Öott... So
auch in der Buße des Menfchen. Ehriftus, die- Kir—
che wickelt Gottes Gnade zart und freundlich ein.
Das Heil gebt durch Menfhenhände, fommt uhr
doch von Gott.
Wohl das ſchönſte Schaufpiel für Engel, die es
fhauen fünnen! Die glaubige Seele befennt , be:
reut, verflucht die Sünde, gelobet Befferung und er—
greift die Erbarmungen Ehriftt.
Chriſtus reiniget die befledfte, heilet die Fran-
fe, flärket die fchwache, und beruhiget die ängflige
Seele.
Der Diener Chriſti und der Kirche
fpricht fie los von der Sünde, belehret und entlaßt
fie im Frieden.
So ift e3 denn dad Geheimnif der Ver
ſöhnung, das in der Befehrung des, Sünders of—
fenbar wird! Und die durch die Hoffart und den
63
Ungehorfam des erfien Menfchen die Sünde und
der Tod in die Welt eintraten, und wie durch die
Erniedrigung und den Gehorfam des zweyten
beffern Adams Gerechtigkeit und Leben in die Melt
famen: fo miederhohlet fich diefe Örundlehre des Heis
les in jeder Befehrung des Sünders, indem er durch
Demuth und Gehorfam, die ihn Ehrifto und der
Kirche unterwerfen, Gerechtigkeit und Leben findet.
Diefer hohe Geift des Chriſtenthums athmet in
den alteften Kirchengebethen , die um nichts fu dringend,
als um Gnade, Gerechtigkeit, Demuth, Liebe zu
flehen wiffen.
Kirchengebeth
um Demuth.
Gott „, der du widerſtehſt den Hoffartigen, und
Gnade verleiheft den Demüthigen: ſchenke uns
die Tugend der wahren Demuth, deren Geftalt
und Vorbild dein Eingeborner den Gläubigen in
fid) dargeftellt hat; damit wir nie durch Selbft-
Erhöhung deine ftrafende Gerechtigkeit heraus-
fordern, fondern vielmehr durd) Selbft - Ernie:
drigung die Gefchenke deiner Gnade empfangen
mögen.
Kirchengebeth.
um Liebe.
Gott, der du denen, die dich lieben, Al—
les zum Guten kehreſt: ſenke den unwandelba—
ren Zug der Liebe zu dir tief in unſere Herzen
ein; damit das heilige Sehnen, durch deine Ein—
ſprechung empfangen, durch Feine Verſuchung
erjchuttert werde.
64
XI,
Eilft e r Dag.
Wie fidy die Bekehrung als wahr erprobe, bemwähre. |
Shriftftellen
S
1. Indem Zachäus fo da ftand, ſprach er zum Herrn: Sieh,
Herr! die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und wo
ich fonft etwas durdy Betrug an mich gebradyt habe, das gebe
ich vierfach zurück. Luk. XIX. 8
2, Eben darum fage ic) dir: weil fie fo fehr Tiebet, müf-
fen ihr viel Sünden erlaffen feyn; wen aber wenig erlaffen ift,
der liebt wenig. Luk. VII. 47.
3. Bringet nur tüchtige Früchte der Buße, Matth.
III. 8.
4, Raffet uns alfo Öntt lieben, weil Gott und zuvor ge:
liebt bat. 1. Joh. IV. 19.
Betrachtung.
Wenn die Beſſerung des Menſchen eine wahre
iſt, muß ſie ſich auch bewähren, als wahr dar—
ſtellen. —
Die vollſtändige Sinnesänderung muß ſich er:
weiſen durch eine vollſtändige Lebensänderung.
Die wahre Vefferung muß erfcheinen im Leben, als
das, was fie im Innern if.
Im Innern ift fie Glaube, Liebe, Hoffnung, *)
die, neu bergeftellt, wieder ein Ganzes ausmachen,
wieder die Dberherrfchaft erreicht haben. Der
Glaube fieht in Gott lauter Huld, die die Sünden
vergeben und getilgt hat, und halt fich an Ihn, als
wenn
Y
*) Was hier bloß angedeutet ift, wird in nachfolgenden Be:
trachtungen ausführlich behandelt.
65
. wenn er fichtbar wäre; die Liebe fieht in Soft lauter
Schönbeit, und will nichts als lieben den, der zu»
vor geliebt hat, will fchön feyn im Auge Gottes, des
Keinften ; die Zuverficht fieht in Gott nichts als ew i⸗
ges Leben, und ruhet in Gott, weil ihr in ihm
ewiges Leben hinterlegt iſt.
Wenn die wahre Befferung im Innern Glaube, Lies
be, Hoffnung ift: fo if fie im Innern auch Gottfes
ligkeit, Menfchenliebe, Selbftbeherrfchung.
Glaubend an die ewige Wahrheit, liebend die ewige
Schönheit, trauend auf die ewige. Seligfeit, kann
das Gemuth nicht anders, als in Gott felig fepn.
Wenn das Gemüth in Gott felig ift: fo kann es
nicht anders, als diefe Seligkeit mit feines Gleichen
theilen wollen, die Menfchen lieben.
Wenn das Gemüth in Gott felig ift: fo muß e3
die Eigenliebe, die nur in fich felig feyn will, vom
Throne geftoßen haben, und fie in Banden gefchloffen
— bewachen, felbft » beherrfchend ſeyn.
Wenn die wahre Befferung im Innern Öottfelig>
feit ift: fo wird fie im äußern Leben denfelben Gott
verkünden , wird Gott, der im Geifte wohnet, am Lei⸗
be fragen, in Handlungen preifen. Das Leben des
Gebefferten wird ein lauterer Gottesdienft, feine
Geduld ein Fauteres Dankopfer fen.
Wenn die wahre Befferung im Innern Menſchen⸗
liebe ift: fo wird fie im Aeußern ein ſtetes Rechtthun,
ein freudiges Geben, ein funfllofes Schaufpiel
der Freundlichkeit, der Milde, der flilen Erbarmung,
des Mitleides, der Nachgiebigkeit, der Sanftmuth, der
Geduld, der "Mitfreude feyn.
Menn die wahre Befferung im Innern Selbſtbe⸗
herrfchung iſt: fo wird fie im Yeußern Genügfamfeit,
Befcheidenhbeit, Mäßigkeit, Nüchternheit,
Keufhheit — ſeyn; denn der rege Trieb nad) Has
be, nach Ehre, nach Luſt iſt es, der ** werden
Sailer, d. chriſtl. Monath.
66
muß, und nur durch Weherrfchung des Triebes nach
Keichthum Fann ich genugfam, nur durch Veherr-
fehung des Triebes nach Ehre kann ich demüthig,
befcheiden, nur durch Beherrſchung des Triebes
nach Sinnenluft kann ich ma ig, feufch fen.
Alfo nur ein unbeflecftes, heiliges Leben ift die
fihere Bewährung, die zuverläffige Probe,
daß die Sinnesänderung Feine Taufchung, daß die Befe
ferung nichts halbes, fondern ein Ganzes und das
echte, gottgefällige Öanze fey.
Wie follte ich aber die volltändige Sinnesänderung
durch eine volftändige Eebensänderung mir fel-
ber und Andern ermweifen fünnen, wenn ich nicht im
Geifte der Buße beharre?
Denn die Sünde iff wie ein wilder, braufender
Waldſtrom, der, aus feinen Ufern tretend, das Land
weit umher überfehwemmt, und, zurückgetreten in fei=
ne Ufer, nichts als Schlamm und Verwüſtung zurück⸗
laßt. Ä
Nenn alfo auch die Sünde ihre Oberherrfchaft
durch die Sinnesanderung verloren hat: fo bleiben doch
Spuren ihrer Verwüſtung im Öeifte, im Leibe, im Wirs
Pungsfreife des Menfchen zurück. Diefe Spuren Fons
nen nur durch fortdauernde Buße getilgt wers
den; diefe fortdauernde Buße ift ein ftetes Leben
im Geifte, und ein ſtetes Kampfen wider das
Fleifh. Im Geiſte leben beißt das Gemüth nie
außer Verbindung mit Gott, mit Chriſtus, mit der
Ewigkeit fommen laffen.
Wider das Fleiſch Fämpfen heißt jede Ber
wegung des Herzens wider das Gewiſſen, wider den hei»
ligen Geift unterdrücken, un die Uebermacht des Gei⸗
ſtes geltend machen,
»Sleifch ift der Menfch — und Geift:
Daher die Zwietracht fleußt ;
"Die führen flarfen Streit
Zu aller Zeit.«
67
Wer nun zur wahren Ginnesänderung durchges
drungen ift, und fie im Leben bewähren will, muß
vorerft fich zur Quelle alles Guten erheben, fich daraus
neue Öeifteskraft hohlen, und dann mit diefer neuen
Geiftestraft den Streit des Geiftes wider das Fleifch in
feinem Gemüthe fo entfcheiden, daß das Geſetz des Ges
müthes wider das Geſetz der Glieder das Feld behaupte,
Wenn einmahl diefer_Sieg in mir beharrend
und vollftandig feyn wird: dann lebe nicht mehr ich,
Ehriftus lebet in mir, fein Geift, fein himmlifches, fein
göttliches Leben,
Die wahre Sinnesanderung , die fich als vollftans
dige Lebensanderung erweifen fol, fordert alfo von mir
7, einen ungewohnten, überwiegenden Ernft, im Geis
fie der Buße, das ift: des Gebethes und des Kam-
pfes zu beharren.
Denn, fobald mein Geiftesblick Gottes Ges
both außer Acht, und die Geiftesmacht, immer
ſchwächer werdend, endlich der Begierde freyen Spiel:
raum laßt: fo wird die gebundene Kiefenkraft der Be:
gierde fiegend hervorbrechen, und das Geſetz der Ölie-
der über das des Gemüthes die Oberhand behaupten,
die Sunde ihren verlaffenen Thron wieder einnehmen,
und die letzten Dinge ärger als die erflen werden.
Diefe Aenderung, Befferung des Sinnes und des
Lebens heißt in unfern heiligen Schriften
1. Gnade, Begnadigung,
2. Rechtfertigung, Gerechtmachung,
3. Heiligung;
und was fie heißt, das iſt fie.
Sie it Gnade: denn, wenn der Geift Gottes das
Innerſte des Menfchen nicht lichthell, frey, neulebendig
und felig machte: wie follte der in Finſterniß, Knecht-
fchaft, Tod und Hölle verfunfene Menfchen-Geift zum
Lichte, zur $repheit, zur Lauterfeit, zum himmlifchen
Leben neu geboren werden Fünnen ?
5 *
68
Sie Rechtfertigung, Gerechtmachung:
Gott, der Öerechte, macht gerecht, und den er gerecht
macht, der iſt gerecht. Gott vergibt die Sunde, und
dem er fie vergibt, Dem ift fie vergeben, der ift rein,
Sie ift Heiligung: die Heiligkeit felber ift
Gott; Annäherung zur Heiligkeit, Heiligung, das iſt
das neue Leben des Neugebefferten.
Mas die Menfchen trennen, ift bey Gott Eines,
und wird in jedem Menſchen, der von der Gottlofige
keit zur Gottfeligkeit überfchreitet, Eines.
Was der Dunkel der Menſchen verwirret, dag ent:
wirret die Erfahrung der Kinder Gottes. -
Selig die Kinder Gottes: denn der Geifl
Gottes treibt fie, und Vergebung, Liebe, ewiges Le:
ben ift ihnen mit Gottes Kindfchaft gegeben. /
BGebeth:
Du „unſer Herr und Gott! der du uns zuvor
geliebet haft, und von denen, die deine Gnade
aus dem Abgrunde der Sünde rettete, nichts for:
derft als Gegenliebe, dankbare Gegenliebe: o,
ſchenke uns auch diefe Gabe noch, daß wir in der
dankbaren Begenliebe beharren — bis an’s Ende.
Denn nur diefe dankbare, beharrende Gegenliebe
ift es, die würdige Früchte der Buße bringt; in-
ih fie das ganze Leben zu Einem Dantopfer
weihet. |
Schenke uns auch diefe Gabe noch; denn nur
die dankbare, beharrende Gegenliebe ift es, Die
nie mit der Pflicht market, fondern, lieber zu viel .
als zu wenig ſchenkend, das Fremde vierfah
zurück, und Die Halfte der Güter den Armen gibt.
Schenke uns auch diefe Gabe noch; denn nur.
die dankbare, beharrende Gegenliebe glaubt nie
09
genug lieben, nie genug danken zu können; weil
ihr fo viele Sunden erlaffen find. |
Schenke uns auch diefe Gabe noch ; denn nur
die dankbare, beharrende Gegenliebe wird nie
müde, Wergerniffe aufzuheben, Befhadigungen
zu vergüten, Verſäumniſſe und Zeitverlufte durch
gute Werke hereinzubringen, bis die Stunde des
Feyerabends ſchlägt.
XII.
Es ſind bisher da, wo die Lehre von der Bekehrung
in's Licht geſetzt, und nad ihrer: Wichtigkeit und Anwendbarkeit
dargeftellt ward, nothwendig immer auch die drey Kleinodien die=
fes Lebens: Glaube, Liebe, Hoffnung mit zur Sprade
gekommen. Allein, das Evangelium von dem Glauben, der in
Liebe thätig, in Hoffnung felig ift, Eonnte bisher doch mehr be=
zührt, als vom Grunde aus betrachtet werden. Nun ift es Zeit,
den tiefen Grund des Glaubens, der in Liebe thätig und in
Hoffnung felig iſt, zu erforfchen; weil diefer Glaube, recht vers
ftanden und, in feinem Lichte betrachtet, die ganze Fülle der chriſt⸗
lichen Weisheit ausmad)et.
Afo: vorerft von dem Weſen des Glaubens, dann von
feiner Thätigkeit in Liebe, endlich von feiner Seligkeit
in Hoffnung.
Zwolfter Tag.
Bon dem Wefen des chriftlichen Glaubens.
Shriftftellem
4. et erfenne ich Stückwerk; dann aber werde ich erkennen,
fo wie id) erkannt werde. Nun aber bleiben diefe drey: Glau—
be, Hoffnung, Liebe... I. Kor. XIII. 12. 13.
2. Der Öerechte wird aus dem Ölauben leben.« Röm. I, 17.
20
Betrachtung.
Die heilige Geſchichte ſpricht ſehr deutlich aus,
was der Glaube des Chriſten, nach ſeiner Weſenheit
betrachtet, in den früheſten Zeiten war.
Die Chriſten, die das Maß dieſes Nahmens aus-
füllten, trugen in ſich:
» 1. eine Ueberzeugung, die fo gewiß mar, daß
fie allen Zweifel, die fo feft war, daß fie alles Schwan»
fen, die fo lebendig war, daß fie allen Tod auss
fchloß, und fich ihr Herz und ihr Leben unterwarf;
2. die gemwiffe, feſte, lebendige Ueberzeugung:
daß Gott, der Vater, das menfchliche Sefchlecht durch °
feinen Sohn Jefus Chriſtus im heiligen Geifte heilig und
felig machen wolle, und machen werde.
Diefer heilige Wille Gottes, diefer ewige Kath
ſchluß Gottes, diefes felige Reich Gottes war der
vornehmfte Inhalt ihrer gemwiffen, feften, lebendigen
Ueberzeugung.
Und eben diefe gewiſſe, fefte, lebendige Ueberzeu-
gung von Gott und Gottes heiligem Willen, von Gott
und Gottes ewigem Rathſchluſſe, von Gott und Got⸗
tes feligem Reiche — heißt in den beiligen Schriften
Glaube. |
Der Chriftenglaube hatte alfo al$ Glaube, und
als chriftlicher Glaube, feine unverfennbaren —
mahle.
Der Glaube zeichnete ſich al$ Glaube aus durch
Gemwißbeit, durch Feftigfeit, durch Leben»
digkeit. |
Der Glaube zeichnete fih aus durch Gemiß-
beit: »Ich weiß, ih bin gewiß, an wen
ich glaube,« konnten mit Paulus die erften Ehriften
rufen.
Ohne Gemißheit hatte ihre Vernunft Feinen Kur
hepunct in Chriſtus, und in dem Evangelium von Chris
71
flus finden Fonnen; fie waren von Meinung zu Meie
nung, von Lehre zu Lehre umbergeirrt, wie Kinder von
Spiel zu Spiel; fie hatten nur Fabeln um Fabeln auss
getaufcht, wie die unſteten Schwäßer des Tages.
Der Glaube zeichnete ſich aus durch Feſtigkeit,
das ift, durch eine Gewißheit, die Beftand und Daner
in fi) trug, und durch feine neue Unterfuchung, durch
feine neue Erfahrung erfchüttert wurde. Ohne Feftig-
feit des Glaubens hätten fie Gut, Ehre, Leben für dag
Bekenntniß Chrifti daranzugeben nicht einmahl wagen
können; da fie doch, in der Fülle der feften Gemwiß-
heit, gar nichts zu wagen brauchten. Ohne Feftigkeit
des Glaubens hatte ihre Vernunft den gefundenen Kus
hepunct in Chriftus, und in dem Evangelium von Ehris
ſtus nicht behaupten können.
Der Ölaube zeichnete fich aus durch Lebendig-
keit. Die Ueberzeugung ward ein inneres, — neues
Leben, und das neue, innere Leben beherrfchte die
geheimften Regungen des Herzens, und regierte das öf—
fentliche Thun, erzeugte Zuverficht, Liebe, That, und
verwandelte den alten Menfchen, vol Haß, Neid,
- Zorn, — in einen neuen Menfchen, reich) an Gute,
Milde, Geduld. Ohne diefe Lebendigkeit der Ueber—
zeugung hätte der Wille der Ehriften feinen Ruhepunct
‘in Ehriftus, und in dem Evangelium von Chriſtus ges
winnen und behaupten Fünnen.
Der Glaube, als Chriftenglaube, zeichnete fich durch
Inhalt aus, wie ihn Paulus fo kurz und fo klar aus
ſprach: Gott in Ehriftus das ewige Leben
der Menfchheit. Dadurch unterfchied fich der
Ehriftenglaube vun dem Glauben der Jfraeliten,
die Chriſtum nur in dem Dunkel der Weiffagungen und
in dem Buchftaben der Verheißung erbliden konnten;
dadurch unterfchied fich der Ehriftenglaube von dem Glaus
ben der übrigen Welt, die Gott in Ehriftus we⸗
der in dem Dunkel der Verheißung, noch in dem Lich—
72
te der Erfcheinung erfannte. Diefer Inhalt des Glaus
bens war denn auch das Geheimniß aller Ge—
hbeimniffe, war das Geheimniß, das vor Anles
gung der Welt i in Gott verborgen war, — (Ephef.
IL, 9. 10. Kol. I, 26.) — das aber durch die Kirche
Ehrifti in aller Welt offenbar werden follte, und
offenbar geworden iſt: »Durch Ehriftus fol Himmel
und Erde, Engel und Menfch, das Dbere und das
Untere Eined werden unter dem Einen Haupte —
Chriſtus. « 1
Wenn nun aber der Chriſtenglaube, als Glaube, |
und al$ Ehriftenglaube, fo große Vorzüge hatte:
fo kann man fich nimmer darob verwundern, daß die
Ehriften in ihrem Glauben
1. Die böchfte Önade Gottes,
2. die wichtigfte Hebung ihres Lebens,
3. das fchönfte, das feligfte Loos ihres Da-
ſeyns ... fanden.
Der Glaube mußte ihnen die höchſte Gnade Gottes
ſeyn; denn entweder mit den Juden im blinden Aber⸗
glauben verfunfen, oder mit den Heiden im gleich
blinden Unglauben vergraben, oder mit den
Weifen der Zeit von flolger, falfcher Weisheit
verdüftert und geblaher, wie hätten fie das Licht
der Welt in dem verfchmäheten Ehriftug
erkennen follen; wenn ihnen die ewige Liebe den Strahl
des Lichtes nicht vor ihren Augen hatte leuchten laffen ;
wenn ihnen, die * Liebe das geſchloſſene Auge nicht
hätte aufthun wollen?
Der Glaube war ihnen die wichtigſte uebung
des Lebens; denn was heißt an Gott in Chri—
ftus glauben andere, als: »Alles, was Chriftus als
eine Offenbarung der ewigen Wahrheit, als eine
Verheißung der ewigen Liebe, als Enthüllung
der ewigen Schönheit lehrte und in feiner Kirche nieder»
legte, alles diefes fol mir Leuchte meiner Vernunft,
73
Triebfeder meines Willens, Leben meines Les
bens — werden. Gott in Ehriftus will ich meine Vers
nunft unterwerfen, um an die ewige Wahrheit glauben
zu können; Öott in Ehriftus will ich allen meinen freyen
Willen unterwerfen, um die ewige Schönheit lieben zu
können; Gott in Chriſtus will ich mein ganzes Herz
unterwerfen, um auf die ewige Liebe frauen zu können.«
Mahrhaftig, eine Hebung; denn es ift eine Uer
bung des ganzen innern Menfchen. Wahrhafs
tig eine wichtige Hebung; denn es ift die Uns
terwerfung der Vernunft, des Willens, des Herzens
unter die ewige Wahrheit, Schönheit, Liebe. Wahrhafr
tig, die wichtigfte Hebung; denn nur durch dies
fe Hebung kann Vernunft, Wille und Herz des Menſchen
einen feften Haltungspunct gewinnen und behaupten.
Der Ölaube war den Ehriflen das feligfte
£005 ihres Daſeyns. Im Glauben ging ihnen ein,
neues Licht, und in dem Lichte die ewige Welt
auf; im Glauben ward ihnen mit dem Lichte eine heis
lige $lamme gegeben, die fie zum himmlifchen Le⸗
ben entzundete, und in himmlifche Wefen ummandelte;
im Glauben ward ihnen eine fichere Handleitung
durch das Leben, eine ſtete Ermunterung zum
Guten , eine herzſtärkende LZabung in den Stunden
der Ermattung, eine feſte Beruhigung in den Stür-
men der Zeit, eine tröftende Ausficht im Leiden,
ein frober lLebergang aus dem Lande der Dam»
merung in das Land der ewigen Klarheit, zugefichert,
bereitet , gefchentt.
Gebeth.
Gott, du haft durch das Mort, das Fleiſch
geworden, ein neues Licht über die Melt aus:
*) Umfhreibung des Kirchengebethes in der zwenten Meffe am
Weihnachtsfeſte. Ar ſ
4
74
gegoffen: o! laß dieß Licht auch in uns und au
ung leuchten mit ftets neuer Kraft; damit wir an
dein Wort glauben, und in deinem Lichte vor dir
wandeln mögen. Vermehre in uns Allen diefes
Licht, und offenbare die Macht desfelben immer
mehr; damit all’ das, was durch den Glauben
im Gemüthe erglänget, in unferm Thun und Laf-
fen wiederglange; bis wir von Klarheit zu Klar:
heit in dein Ebenbild verwandelt ſeyn werden,
durch Sefum Chriſtum unfern Herrn. Amen.
XII.
Nach der einfachen Darftellung, was Glaube den erften Chri—
fin war, die in der voranftehenden Betrachtung gegeben ward,
müffen die übrigen treffenden Abbildungen von dem Glauben und
die rührenden Herzensergießungen über denfelben, die fonft noch
in unfern heiligen Schriften vorfommen , in einer neuen Fülle von
Klarheit und Lieblichkeit erfcheinen;, wenn wir anders ein offenes
Gemüth zur Anfhauung und Beherzigung der Wahrheit mit-
bringen. .
Sch wieberhohle demnach die Frage: Was ift Chriftenglaus
be, und lafje die heilige Schrift darauf antworten.
Dreyzehbnter Tag.
Sortfetzung von dem Ehriftenglauben.
Schriftſtellen.
.D hne Glauben ift es unmöglich / Gott zu gefallen. Hebr.
2, Der Glaube ift Fefthaltung, Grundlegung deffen, was
gehofft werden Fann. Hebr. XL. 1.
75
3. Bey Chriſtus Jeſus.. gilt nichts ald der Glaube,
wirkfam durch Liebe. Gal. V. 6.
4. Wie der Leib ohne Geiſi todt iſt, ſo iſt auch der Glaube
ohne Berfe todt. Jak. II. 26,
5. (Moyſes) Diet fid) an den, den er nicht fah, als ſähe
er * Hebr. XI.
6. Kämpfe den Kampf des Glaubens. I. Tim. VI. 12.
7. Ergreife das ewige Leben. I. Tim. VI. 12,
8. Was aus Gott geboren ift, überwindet die Melt, und
der der die Welt überwindet, ift unfer Glaube. I.
Sob. V.
n.e:er0 Dh un.
Was ift Ölaube?
Glaube ift
. die unerlaßlihe Bedingung, ohne Die
fein Menſch Gott gefallen kann. Ehe Enoch hinweg⸗
genommen ward, hatte er das Zeugniß gehabt, daß er
Gott wohlgefällig war. Ohne Glaube aber iſt es un
möglich Gottes Wohlgefallen zu erlangen. Denn
wer zu Gott hintritt, der muß erſt glau—
ben, daß Öott ift, und daß Gott denen,
die ihn ſuchen, ein Bergelter ift, Hebr.
XI. 5. 6. B
Dhne Glaube ift Fein Wohlgefallen Gottes am
Menfchen; denn Glaube ift der erfte Keim des bus
hern, gottähnlichen Lebens, er ift die erfie Bewegung
des innern Menfchen zu Gott.
Ohne Glaube ift Fein Wohlgefallen Gottes am
Menſchen; denn fo lange die Ueberzeugung, — daß
‚Gott if, und daß er die ewige Vergeltung ift für Alle,
"die ihn fuchen, — nicht Gewißheit, Feſtigkeit und Le⸗
bendigkeit hat: ſo lange iſt nichts im Menſchen, das
dem Blicke des Heiligen gefallen könnte.
Ohne Glaube iſt kein Wohlgefallen Gottes am
Menſchen; denn der Glaube iſt die erfte aller goft-
26:
gefaligen Richtungen, die das Menfchenherz zu Gott
nehmen kann; die erfie, weil ohne fie weder Liebe noch
Zuverficht werden Fann.
Was ift Glaube?
Glaube ift
2. die eigentliche Grundfefte der Hoffnung, Hebr.
XI. 1.; deutlicher: die wirkliche Grundlegung aller
Hoffnung auf Öott. Denn wie follte ohne fefte
Ueberzeugung: Gott ift, und Gott ift Vergelter Aller,
die ihn fuchen, — in mir die Hoffnung geboren
werden Fünnen , daß Öott auch mein Gott, daß Öott
auch für mich das ewige Heil feyn wird ?
Wenn der Menfch ift wie feine Hoffnung, flark
oder ſchwach wie fie: fo muß er feyn wie fein Glaube.
Denn die Hoffnung des Menfchen ift wie fein Glaube,
ift wie die Grundfeſte, auf der er fieht, ſtark wie die
fe, oder morfch wie fie,
Was iſt Glaube?
Glaube ift |
3. das, was fich durch Liebe thätig erweifet, Gal.
V.6.; ift das, was durch Liebe den Menſchen neu
fhaffet, Gal. VI. 15., ift das, was durch Liebe,
durch: Neufchaffung des Menſchen, fih vor Ehriftug
geltend, und allein geltend macht. Sal. V.
6. VL ı5. Hier ift der wahre Prüfftein des
wahren Glaubens angegeben; hier ift alle Täu—
fehung ausgefchloffen; hier liegt die göttliche Wahre
heitslehre offen da; bier iſt Aufſchluß für jes
des Herz, das noch nicht zum Frieden durchgedrungen
ft. Entweder ift dein Glaube ganz todt, oder er hat
‚ein Zeben. Iſt dein Ölaube ganz todt: fo bift du
ohne Glaube in der Welt; denn ein todter Glaube, ift
fein Glaube, wie ıhn das Ehriftenthum lehret, fordert,
felig preifet. Hat aber dein Glaube ein Leben: fo
77
bat er entweder ein wahres oder ein falfches. Hat er
ein falfches: fo verbirgfi du das Böſe in dir, und
legeft das Feigenblatt des Glaubens darauf, lügeſt
dich gerecht, billig, gütig, demüthig, ob du-gleich eine |
reiche Ernte der Ungerechtigkeit, der Unbilligkeit, des
Haffes, des Stolzes in dir wahrnehmen könnteſt. Die⸗
fer falfche Glaube ift ein bloßer Munds, ein bloßer
Schein, ein blofer Heuchler » Ölaube. Hat
dein Glaube ein wahres Leben: fo ift dieſes entwes
der ſchwach, oder fiegend ſtark. Hat dein Glaube ein
ſchwaches Leben: fo wird er dich zur Liebe we
nigſtens ermuntern, wenn er gleich dich zur Liebe neus
zufchaffen nicht vermag; fo wird er feine Thätigkeit durch
Anfange der Liebe beweifen, wenn ex gleich noch nicht
im Stande iff, der Liebe die Herrfchaft, das Ueber—
gewicht zu verfchaffen. Hat dein Glaube ein wa h⸗
tes ſiegendes Leben in dir: fo wird er nicht nach»
laffen zu wirken, bis er dich in einen neuen Menfchen
vertvandelt haben wird.
Was ift Glaube?
Glaube ift
4. die Seele aller guten Werfe. Jak. J. II.
Die guten Werfe, die in das Auge fallen, find nur der
Leib; aber was den Leib befeelet, ift der Glaube. Der
Glaube, in Liebe thatig, ift das Leben aller guten Hande
lungen. Und, wenn der Glaube, in Liebe thatig, den
Menfchen innerlich heilig machet: fo machet derfelbe
Glaube durch gute Werke, die er befeelet, den Mens
ſchen, der innerlich heilig iff, auch außerlich in den Au⸗
gen der Kirche und aller ehrliebenden Menfchen gerecht.
Er thut, was recht iſt, weil er das Gute liebt; und
er liebt das Gute, weil er Gott liebt; und er liebt
Gott, weil in ihm der Glaube an Gott ein inneres Les
ben gewonnen, und den Menfchen zur Liebe neu ge:
fchaffen hat.
28
Was iſt Slaube?
Glaube ift
5. jene Stärke des Öeiftes, die fih an Gon,
den Unſichtbaren, ſo feſt anhält, als wenn er ſichtbar
wäre. Hebr. XI. 27. Moyſes hielt ſich an den, den er
nicht ſah, ſo feſt, als ſähe er ihn.
Dieſes Sichanhalten an Gott, und zwar
dieſes fo feſt Anhalten, als ob der Unſichtbare ſicht—
bar wäre, iſt Glaube.
Gott iſt dem ſtunlichen Menſchen unſichtbar,
ferne, abweſend. Und doch muß der unſichtba⸗
re, ferne, abmwefende Gott dem Menfchen gleichfam
fihtbar, nahe, gegenwärtig feyn; wenn der
Geift des Menfchen zu Gott fprechen, vor Gott
wandeln fol. '
Was mir nun den unfichtbaren Gott fichtbar,
was mir den fernen nahe, was mir den abmwefenden
gegenwärtig madt, das ift mein Glaube. ni
Glaube ift alfo das Anfaffen des Unfichtbas
ren, als ob er fichtbar ware; ft Wergegenmwärtis
gung Gottes in meinem Innerften. Diefe ſchöne Bes
fohreibung des Glaubens ift deßhalb fo wichtig; weil. |
fie au$ der Erfahrung aller Heiligen genoms
men ift, .und fie jeder Schwache in fich felbft wahr
finden muß; denn fo lange du dich an Öott anhältſt,
als wenn du ihn ſäheſt: fo lange biſt du wie Mo⸗
ſes, Paulus, Johannes, ſtärker als alle Reize
zu allem Böſen.
Was iſt Glaube?
Glaube iſt
6. Ergreifung des ewigen Lebens. I. Lie
.. VI ı2. Wenn fich die Seele hingibt der Luſt
der Sinne: fo ergreift fie das zeitliche -Leben, in zeit
licher Sinnenluſt; wenn fie fi) hingibt dem Zauber
7
79
der Ehre, ſo ergreift ſie das zeitliche Leben, im Ge⸗
nuße zeitlicher Ehre; wenn ſie ſich hingibt den Gütern
der Erde, fo ergreift fie das zeitliche Leben, in Ans
bänglichfeit an zeitliche Güter, Wenn fie fich losreißt
von der Luft der Sinne, von den Schmeichelegen der
Ehre, von den Reizen des Reichthums; wenn fie fi)
erhebt zu dem Gott, der das Leben alles Lebens if,
der das ewige Leben in fich hat, und für alle die
Seinen das ewige Leben ift: fo ergreift fie Gott, und
in Gott das ewige eben; Glaube ift Ergreifung des
ewigen Lebens,
Was ift Glaube?
Glaube ift
7: der gute Kampf, der gefampft werden muß,
I. Zimoth. VI. 12.— und ausgefampft, den ganzen
Kuhm des Ehriften ausmacht. II. Timoth. IV. 7.
Glaube ift Kampf, ift guter Kampf, iſt not h⸗
mendiger Kampf, ift in feiner Vollendung der gan»
3e Chriſtenruhm.
Der Glaube ift Kampf; denn wie follte der
Menfch, den das zeitliche mit Gewalt an fich ziehet,
das ewige Leben ergreifen können, ohne fich dem Ans
dringen des zeitlichen zu mwiderfegen, ohne fich dage-
gen zu wehren? Go gewiß alfo der Ölaube eine Erz
greifung des ewigen Lebens ift, fo gewiß muß er ein
Geiſteskampf, ein Widerftand gegen das zeitliche feyn.
Der Glaube ift ein guter Kampf; denn er ift
vein Kampf für das ewige Leben wider das zeitliche,
ein Kampf für das Göttliche wider das Ungöttliche, ein
‚Kampf für das Licht wider. die Kinfterniß, ein Kampf
für alles Heilige wider alles IUnheilige, — alfo ein
guter Kampf, ein bimmlifcher Kampf.
Der Ölaube ift ein Kampf, der gefampfet werden
muß; denn, wenn ſich der höhere Menfch in uns
nicht mwehret gegen das Niedere: fo muß das Niedere
\
80
herrfchend , und ‚durch die Herrfchaft des niedern Leo
bens am Ende alles höhere Leben getüdtet werden. _
Der Ölaube ift als vollendeter Kampf der ganze
Ruhm des Ehriften. »Ich habe einen guten Kampf
gefampft, habe den Lauf vollendet, habe Treue und
Glauben aufrecht erhalten.« Dieß iſt das Zeugniß,
das fih Paulus, und mit ihm 5 vollendete Käm⸗
pfer geben kann.
Was iſt Glaube?
Glaube iſt
8. der Weltüberwinder; denn wie wäre er ſonſt
ein guter Kampf, wenn er der Welt den Sieg über
ſein Herz in Händen ließe? Unſer Johannes hat es
am ſchönſten geſagt: Alles, was aus Gott geboren
iſt, überwindet die Welt: Unſer Glaube iſt der Sieg,
der die Welt überwunden hat. J. Joh. V. 4.
Der Glaube iſt alfo ein ſiegender Ueberwin—⸗ |
der, ift ein fiegender Weltubermwinder, ifi ein fies |
gender Weltüberwinder mit der Giegesfraft, |
die aus Gott geboren if.
Die Welt, die überwunden werden muß, ift Aus |
genluft, Fleifchesluft und Lebenshoffart. Was die Welt |
überwindet, ift Glaube; was aber den Ölauben zum
Ueberwinder macht, ift feine Geburt aus Gott.
Glaube ift alfo die göttliche Kraft, die ung
zu Weltüberwindern macht. Die Glaubenskraft ift
göttlich nach ihrer Abkunft, göttlich nach ihrem
Zwecke, göttlich nach ihren Wirtungen. Gie
Fommt von Gott, und kommt, um uns zu Kindern
Gottes: neu zu fchaffen, und fchaffet ung wirklich |
Dazu.
GG ebeth
Bon dem alle gute Gabe kommt, dır, das Gu—
te ſelbſt! verleihe uns den Glauben an dich,
und
81
und an den du gefandt haft, Sefum Chriftum,
Deinen Do ‚ unfern Herrn. Berleihe uns je-
nen Glauben, ohne den Dir Fein Menſch gefal-
len kann; der die Hoffnung auf dich gründet und
fefthalt ; der, in Liebe thatig, uns zu deinem
Ebenbilde umfchafft; der das Herz heiliget vor
deinem Auge, und in lauter, guten Merken aus-
ſtrömend, uns Alle gerecht in den Augen der
Kirche und der Melt darftellt; der uns fo feft
an dich anhalten lehrt, als wenn wir dich ſähen;
der das ewige Leben in der Zeit ergreift, und
durch die Maht des Emwigen das Zeitliche
überwindet, durch Sefum Chriftum , unfern
Herrn.
XIV.
Das war der Chriſtenglaube in der erſten Zeit, ſo groß,
fo feſt in der Ueberzeugung, fo lebendig im Gemüthe und Wandel,
fo ausdauernd in der Wirkfamkeit: wer mwünfchte fich nicht dieß
Glaubenslicht und diefen Glaubensmuth ?
Bierzehbnter Vaog.
Wie der Ehriftenglaube eine folche gegründete, fefte,
ausdauernde Gemißheit erhalte.
/ Ä ShrYiftftellen
1. dor forfchet in den Schriften, weil ihr glaubet, ewiged
Leben darin zu finden. Und fie find es eben, die von mir
Zeugniß geben. Joh. V. 39.
|
2. Die Kircye des lebendigen Gottes ift das Haus Gottes,
‚ der Pfeiler und das Fundament der Wahrheit. I, Timoth.
III. 15.
Sailer, d. chriſtl. Monath. 6
82
3. Und id) fage dir, daß du Petrus (ein Feld) bift, und
auf diefen Felſen will ich meine Kircye bauen, und die Pforten
der Hölle werden fie nicht _überwältigen. Und icy will dir die
Schlüffel des Neicdyes der Himmel geben, und was du auf
Erden binden wirft, wird auch in den Himmeln gebunden feyn,
und was du Auf Erden Iöfen wirft, wird auch in den Himmeln
gelöfet feyn. Matth. XVI. 18 — 19.
4. Mir ift gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Er-
den. Darum geher hin und Iehret alle Völker, und taufer fie
in dem Nahmen des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geiſtes, und Iehret fie halten alles, was id) euch befohlen
babe; und fieh! Ich bin bey eud, alle Tage bis an’s Ende der
Melt. Marth. XXVIIL 18 —20.
/ 5. Ein Leib und Ein Geift, wie ihr denn auch zu Einer
Hoffnung berufen feyd. Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe,
Ein Gott und Vater Aller, der da iſt über Alle, und durch
Alles, und in ung Alten. Ephef. IV.4— 6, j
Berradtung'
Die Gewißheit des Glaubens iſt zweyfach, eine
menfchliche und eine göttliche. Die göttliche Fann
nur von Gott Fommen, und ift eben deßwegen Gabe,
Gnade. Zuerft von der menfchlichen.
Die menfchliche Gewißheit beruhet auf den Grün—⸗
den der Ueberzeugung, die dem Glaubenden felbft ge-
wiß und feft feyn müffen, und fonft auch die Be:
weggrunde heißen, welche die Lehre glaubwürdig,
und den Menfchen glaubmwilig machen Founnen.
Die Grunde der Ueberzeugung liegen in
der Gefchichte der Offenbarung; liegen in der
Vernunft, die, in der Gefchichte forfchend, fich
nicht erwehren Fann, fie felbft glaubwürdig, und den
Inhalt derfelben Gottes würdig zu finden; liegen in
dem Herzen, das fich nicht erwehren kann, fich
mit der Vernunft der anerkannten Wahrheit zu erges
ben ; liegen endlih in dem Leben des Menfchen,
oder in der treuen Ausübung der erfannten Wahrheit.
63
1,
Gründe der Ueberzeugung, die in der Gefchichte der
Dffenbarung liegen.
Die Gefchichte der Offenbarung hat drey Theile.
Der erfte Theil iſt die Gefchichte Jeſu Chriſti, und
hat den Sinn: »Nachdem fih Gottin der Bor:
zeit Durch Propheten geoffenbart hatte,
offenbarte er fichtin der Fülle der Zeiten
durch Ehriftus.«
Der zwehte Theil ift die Gefchichte der Ayo:
fiel, und hat den Sinn: »Was Gott dur
Ehriftus geoffenbart hatte, da3 legten
Die erften Freunde Ehrifti, al$ feine Bo:
then, durch Predigten, durh Schriften,
durch Einrichtungen in der Kirche Chris
fti nieder.«
Der dritte Theil if die Gefchichte der Kirche,
und hat den Sinn: »Was die Bothen Chri-
ftiinden Schooß der Kirche niedergelegt
hatten, das bewahrte und pflanztedie Kir:
che Ehrifti bis auf unfere Zeiten fort,
fo,Ddaß wir es von ihr empfangen, und
in unfer Innerftes aufnehmen fünnen.«
Das Wort Gottes, an das. mir glauben,
hat alfo
1. feinen Urfprung in Öott,
II. feinen göttlichen Spreder in Chriftus ,
III. feine HeroLlde in den Apofteln Jeſu Chriſti,
IV. fein Fortpflanzungss und Erhaltung
Werkzeug in der chriftlichen Kirche,
Demnach lage in der Gefchichte Jeſu die Ge—
ſchichte der. chriftlichen Dffenbarung, in der Gefchichte
der Apoftel die Gefchichte der erfien Ausbreitung, und
in der Öefchichte der Kirche, die Gefchichte der Forts
| Ä 6*
84
pflanzung und Erhaltung deffen, was Chriſtus ver⸗
kündet, und feine erſten Bothen ausgebreitet haben.
Die Kirche Gottes, die uns Gottes Wort ver-
kündet, beißt nach ihrem vollftandigen Charakter , der
fie überall erfennbar und für helle, reine Augen uns
verfennbar macht, heißt, was fie ift, und zwar
1. die chriftliche Kirche; weil fie von Chri⸗
ſtus geftiftet ward; heißt
2. die fatholifche Kirche; weil fie von Chris
ſtus beftimmt ift, in alle Welt ausgebreitet zu werden,
und in diefer Ausbreitung alleKechtgläubigen aller Völ—
fer und aller Zeiten zu umfaffen: »Gehet hin und
lebret alle Völker, und taufet fie im Nahmen des Va:
ters , des Sohnes und des heiligen Geiftes, und lehret
fie. halten Alles, was ich euch anbefohlen habe; und fieh !
ic) bin bey euch alle Tage bis der Weltlauf zu Ende ift.«
Matıh. XXVIIL ı9. 20. ; — heißt
3. die Römiſch katholiſche Kirche, in fo
fern die Farholifche Kirche, um zu beftehen, einen
fihtbaren Mittelpunct der Einheit bedarf, und laut
der apoftolifchen Tradition, (die uns fo heilig ift als
die Schrift,) diefen Mittelpunet der Einheit in dem
Bifchofe zu Rom, als Nachfolger Perri und als Stell:
vertreter Chriſti, erhalten hat und behalt; heißt
4.die Eine, heilige, apoftolifche Kirche:
die Eine; meil fie, fo wie den Einen Stifter Chris
ſtus, und den Einen fichtbaren Mittelpunct in
dem Bifchofe zu Kom hat, fo auch dadurch die
Einheit der göttlichen Heilslehre bewahrt, nach) der
Verheißung des Fa und Amen: »Und ich fage dir
(Simon Petrus) : dab du Petrus (Fels, Felfenftein)
bit, und auf diefen Felſen will ich meine Kirche bauen,
und die Pforten der Hölle werden fie nicht. überwaltis
gen, Matth. XVI. ı8.;5« die heilige; meil fie durch
die Lehre, die fie: bewahret, durch die Sacramente
Ehrifti, die fie fpendet, und durch den Gottesdienſt,
85
den fie entrichtet, ihre Ölieder Heiligen fann, und
unzählige ſchon geheiliget hat, wirklich noch
hbeiliget, und heiligen wird, bis zum Welten»
de; die apoftolifche; weil fie mit der Lehre Ehris
ſti, den Sacramenten und dem Öottesdienfte, auch die -
Reihe der Biſchöfe von den apoflolifchen Zeiten
ableitet.
2
Gründe der Ueberzeugung, die in der prüfenden, ur⸗
theilenden Vernunft liegen.
Wenn die Vernunft demüthig genug iff, die
Gefchichte der chriftlichen Dffenbarung um Rath zu
fragen; nüchtern genug, die Geſchichte ausreden zu
laffen; felig genug, den hohen Sinn der Geſchichte
in ihrem wefentlichen Inhalte zu verftehen; part ey—
los genug, ihn zu prüfen; und rein genug, um über
ihn urtheilen zu können: fo wird fie nicht umhin Fon»
nen,anzubethen, und anbethbend auszurufen:
Wahrhaftig , hier it Goftes Wort, Gottes
Kraft, Gottes Heil! Goftes Wort in den Lehr
ren Jeſu, Gottes Kraft in den Thaten Jeſu, Got⸗
tes Heil in den Schickſalen und Anftalten
Jeſu. — Die Lehren, die Thaten, die Schickfale,
die Anftalten Jeſu, find überdem ein fo ſchönes, fo
erhbabenes, fo wohlthbatiges Ganze, daßman
feinen Urfprung auf Erden nicht finden fann. Und dieß
ſchöne, erhabene, wohlthätige Ganze, trägt fo offen-
bar das Gepräge höherer Weisheit, höherer Kraft,
höherer Liebe, daß man fich mit Petrus vereinigen,
und mit ihm befennen muß: »Wahrhaftig, du
haft Worte des ewigen Lebens
Diefen Ausfpruch hat die prüfende Vernunft ge:
‚than in Gelehrten und Ungelehrten, von dem Philos
fopben Juftinus und der Purpurframerinn Lydia
bis auf unfere Zeiten herab.
86
Diefen Ausſbiuch hat auch die Vernunft in mir
gethan.
Ich kann mit Huguftinus und Fenelon
Ban
Was ich glaube, nahm ich aus: der Hand der
Kirche Ehrifti;
II. Was ich glaube, nahm die Kirche Ehrifti aus
der Hand der Apoſtel;
III. Was ich glaube, nahmen die Apoſtel aus der
Hand Chriſti;
IV. Was ich glaube, nahm Chriſtus aus dem Va⸗
terherzen Gottes.
Die Kirche hat mir überliefert, was ſie von den
Apoſteln, was die Apoſtel von Chriſtus, was Chri⸗
ſtus von dem Vater empfangen hatte.
Was ich als Offenbarung der ewigen Wahr-
heit, was ich als Verheißung der ewigen Liebe,
was ich als Enthüllung der ewigen Schönheit ans»
nehme, .ift aller Annahme würdig.
Was ih als Gottes Wort annehme, ift
wirklich Gottes Wort, — — Gottes Wort, aufbes
wahrt in und von der Kirche Ehrifti; Gottes Wort,
niedergelegt in den Schooß der Kirche von den
Apofteln Jeſu Chriſti; Gottes Wort, ausgefpros
chen von Chriſtus; Gottes Wort, genommen aus
dem Vaterherzen ottes,
Mein Glaube gewinnt alfo in dem Maße Ge .
wißheit und Feſtigkeit, in welchem es mir nach reifer,
vollendeter Prüfung Flar wird:
a. Daß fich Gott durch Chriſtus geoffenba-
vet; daß derfelbe Gott, der ehemahls durch die Pros
pheten gefprochen, in der Zulle der Zeit durch fei=
nen Sohn geredet hat. Davon überzeugen mich der
Inhalt der Lehre Jeſu, der Geiſt des Lebens Fer
fu, die Wunder und Weiffagungen Jeſu, der
3ufammenhang der Lehre Jefu mit den Erwartun—
87
gen der Vorzeit, mit den Ausfprüchen der Prophe⸗
ten, mit den Bedurfniffen der: Menfchheit.
Mein Glaube gewinnt in dem Maße an Ge-
wißheit und Feftigkeit , in welchem es mir Flar wird:
b. Was eigentlich Gott durch Chriſtus geredet
hat. Davon überzeugen mich ausführlich die hei—
ligen Schriften der Ffraeliten und Ehriften,; im Kurs
zen das fogenannte Glaubensbefenntniß der Apoftel,
das, von wen es immer berrühren mag, an Alter,
an Inhalt, an Würde apoflolifch if; am be
ftimmteften der Eine, heilige, fich ftet3
gleiche Glaube der Fatholifchen, apoftolifchen Kirche.
Mein Glaube gewinnt an Gemwißheit und Feſtig⸗
feit in dem Maße, in welchem ich
c. die Pfliht, an die Offenbarung Gottes
durch Ehriftus zu glauben, in meinem Innerſten
anerfenne.
Diefe Glaubenspflicht iff mir gerade fo ges
wiß, als gewiß es mir if: daß Gott und was
Gott geoffenbaret habe.
Was Gott offenbaret, ift die lauterfte
Wahrheit, und eine Wahrheit, die Ale, die daran
glauben und darnach leben, weife, heilig, fe
lig macht.
Gott, der lauter Licht und Wahrbeit ift, Gott
ift alfo der KRuhepunct meines Glaubens, fo unwan⸗
delbar wie Gott felber.
— — est begreife ich, was dem Völker—
apoftel vorgeſchwebt haben mochte, als er an die
Epheſer fchrieb :
»Seyd forgfam, die Einigkeit des Geiftes durch
das Band des Friedens feſtzuhalten. Ihr feyd ja
Ein Leib und Ein Geift, feyd berufen zu Ei
ner Hoffnung; es ift für euch Ale Ein Herr,
Ein Glaube, Eine Laufe, Ein Gott und
Vater Aller, erhaben über Ale, wirkſam durch
88
Alles, und in und Allen; jedem aus uns iſt die
Gnade gegeben nach dem Maße, wie uns Chriftus
beſchenkt hat.«
Der Eine Leib iſt die Kirche; der Eine Geiſt
ift die Liebe, — ausgegoffen durch den göttlichen
Geift, der alle lebendigen Glieder der Kirche durch
dringt; der Eine Herr ift der Sohn Gottes,
Jeſus Ehriftus, der uns durch fein Blut erlöfet
und fich zum Eigenthum erfauft,hat; der Eine Ölaus
be ift die Hebereinftimmung aller Kirchenglies
der in Einerley Wahrheit, und zu Einem Befenntniffe;
die Eine Taufe ift das Symbol der Aufnahme
aller Junger Jefu in die Kirche, das fichtbare
Zeichen ihrer Einverleibung in den geiftlichen Leib,
deffen Haupt Ehriftus if. So knüpft fih denn in
der Kirche Alles an den Einen Gott und Vater, der
uns durch Ehriftus im heiligen Geifte zur Taufe,
zum Glauben, zur Hoffnung, zur Liebe, zum ewis
gen Leben berufen hat,
Gebeth.
Ja, Vater, erhaben über Alles, wirkſam
durch Alles und in uns Allen!
Wie du einſt Juden und Heiden zu Ei-
nem Leibe ımd zu Einem Beifte berufen
haft, daß fie in Einem Glauben den Einen
Herrn anbethen, die Eine Taufe und Vergebung
der Sünden empfangen, und von Einer Liebe
befeelet, reih an Früchten guter Merke, und reif
zum ewigen Leben werden mochten: fo laß auch
in uns die Gnade Chrifti wirkfam werden, daß
wir mit Petrus glauben, mit Paulus hoffen,
mit Tohannes lieben, und zur Ehre deines hei—
ligen Nahmens nichts als qute Werke ausfaen,
und die Frucht der Gerechtigkeit, das ewige
89
Leben, ernten mögen durch Jeſum Chriſtum,
deinen Sohn, unſern Herrn. Amen.
—
XV.
Fünfzehnter Tag.
Fortſetzung.
Von der Gewißheit des Glaubens.
Schriftſtellen.
1. Wie ſolltet ihr glauben Eönnen, da ihr einer von dem
andern Ehre nehmet, und die Ehre , die von Gott allein
kommt, nicht fuchet? Joh. V. 44.
2. Wahrlich, id) fage euch: wenn ihr euch nicht befehret,
und fo werdet wie diefe Kleinen da, fo werdet ihr in das
Himmelreich nicht eingehen. Matth. XVIII. 3.
3. Meine Lehre ift nicht von mir , fondern von dem, der
mich gefandt hat. Will jemand den Willen deffen, der mich
geſandt hat, thun: fo wird er von meiner Lehre inne werden,
‚ob fie nf * ſey, oder ob ich aus mir ſelber rede. Joh.
VII. 16.
4. Sc tue, Ba Huf mir doch von meinem Unglau-
ben, Mark. IX.
Betradbtung.
1.
Die Gründe des Glaubens, die im Herzen liegen.
Auf das Herz kommt es bey dem Glauben
ganz beſonders an; denn im Herzen finden ſich die
maãchtigſten Hinderniffe des Glaubens, und Die
Imüffen zuvor weggeraumt werden, wenn wir glauben
90
folen. Im Herzen liegen die Eraftigften Antriebe
zum Ölauben, und. die müffen zuvor rege werden,
wenn wir glauben follen.
Es müffen vorerft die mächtigften Hinderniffe aus
dem Wege geraumt werden. Viele der gelehrten,
vornehmen, angefehenen Jfraeliten konnten an Fefus
nicht glauben, weil fie nur ihre eigene Ehre fuch-
ten; und glauben heißt: Gott die Ehre geben; glau—
ben heißt: Gottes Wort im Worte Chriſti anerfens
nen. »Wir find die bewährten Führer des Volkes;
was foll uns diefer neue Sprecher da? Wir find die
eifen der Nation; was foll dieſer Unſtudierte da ?
Mir find die Großen, die Mächtigen, Reichen in Je—
rufalem; was foll diefer hülflofe, arme Kleinfladter
da ?«
Es lag ihnen alfo daran, das Licht Jeſu zu
verdunfeln, um das ihre geltend, fiegend zu machen.
Sie fonnten nicht an ihn glauben, weil fie nur an
ſich glaubten.
Wenn wir alfo an Ehriftus glauben follen : fo
müſſen wir nicht Chriftum in unfere Schule neh-
men, fondern zu Chriſtus in feine Schule gehen
wollen, nicht uns felbjt , fondern die Wahrheit allein
verberrlichen wollen. Kann doch Fein Kind der Mut:
ter glauben, wenn es klüger feyn will, als die Mutter :
wie folten wir an das Evangelium Ehrifti glauben
fonnen, fo lange wir mweifer feyn wollen, als das
Evangelium Ehrifti? Wie folten wir an Chriſtus glaus
ben fönnen, wenn wir die Quelle des Unglaubens,
die in ung iſt, nicht verſtopfen, die alte Gewohnheit,
unferm Dünfel allein zu glauben, nicht überwinden ?
Wie folter ihr der Wahrheit huldigen können,
fprach Chriſtus, da ihr einander Weihrauch ſtreuet und
fireuen laffet? Die Ehre, die von Gott fommt, die
fuchet ihr nicht: darum könnet ihr an den nicht glau—
91
ben, der feinem Vater allein die Ehre PM Joh.
V. 44.
Ein großes Hinderniß des Glaubens iſt alſo
die Sucht, ſich vor Andern weiſe nennen und keine
Weisheit, als ſeine eigene, gelten zu laſſen.
| Eine andere eben fo allgemeine Quelle des Un
glaubens, die tief in dem Herzen des Menfchen fits
zet, ift ihie AUnhanglichfeit an Reichthum,
on Wolluft, an Weltfreude; welde Anhäng-
(lichkeit das Auge verblendet, daß es Gott in Ehris
ſtus nicht fehen fann, und das Gemüth verhärtet,
daß es Gott in Ehriftus nicht fuchen mag. Das Sa⸗
menkorn der Wahrheit, fagt Ehriftus, wird von den
ftechenden Weltforgen gedrangt, wird von dem irdi⸗
ſchen Sinne erſtickt, daß es feine Fruchtähre werden
Tann. Matth. XI. 22.
Ein großes Hinderniß des Glaubens ift alfo der
thieriſche Sinn des Menfchen, der das, was
des Geiftes iſt, nicht faffen Fann.
Wenn wir alfo an Ehriftus glauben follen, muf-
fen wir in uns zuvor Die zwey mächtiaften Hinders
niffe de$ Glaubens, den Stolz, der Feines Got-
tes , Peiner Wahrheit bedarf, meil er ſich felbit
Wahrheit, Gott, Ales ſeyn will, — und die herr-
fchende Liebe zu den Gütern der Erde, und zu den
Lüften der Sinnlichkeit — überwunden, gleichfam aus
der Seele gejagt haben; damit für die Wahrheit leere,
reine Stätte werden fünne. Das Herz muß alfo glaub»
willig feyn, ehe die Vernunft glauben kann.
So wurzelt die Ueberzeugung im Herzen.
Aber es müffen fich im Herzen überdem noch be—
fondere, Eraftige Antriebe regen, wenn fie ung zum
Blauben treiben follen. Es muß die himmlifche
Schönheit des Lebens Jeſu, feine Milde und Liebe,
feine Demuth und Heiterkeit, feine Ergebung in alle
Sührungen des himmlifchen Vaters, und feine Aufs
02
opferung zum Beften der Mienfchen; e3 muß die himm⸗
lifche Weisheit feiner Lehren, es muß das Macht-
wort feiner großen Thaten, es muß das Göttli—⸗
che, das feine Laufbahn von feinem Eintritte in die
Welt bis zum Austritte begleitet, e& muß die Hat |
m onie feiner erfien Jünger mit dem Öeifte ihres Meis
ſters, es muß das herrliche Auffeimen des neuen |
Keiches unter Schlägen , Verfolgungen , Ertödtungen, |
— mein Herz ergreifen, und »Öott, in Chriſtus
offenbar«, meinem Blicke in unübertrefflicher Lies
benswürdigkeit darftellen — — — — wenn die Vers
nunft, von dem Herzen beflügelt, die ewige Wahrs
beit in Chriftus anfaffen, wenn ſich der ganze innere
Menfch der ewigen Wahrheit in Ehriflus erge⸗
ben fol; denn das heißt glauben, den ganzen in-
nern Menfchen Dingeben der ' ewigen Wahrheit in
Ehriftus.
Glaube ift nicht bloß Sache der Vernunft, e3
ift auch Sache des Herzens. Das Herz muß das
Schöne, Große, Erhabene, Himmlifche, Göttliche in
Ehriftus fühlen ; wenn Herz und Vernunft fich an ihn
ergeben, das beißt, glauben follen.
Im Herzen müffen alfo die Zriebfedern,
die den vernünftigen Menfchen zum Glauben treiben |
folen , und deßhalb Zriebfedern heißen, angelegt |
werden,
Diefe Stimmung des Herzens zum Glauben |
ift eben das, was Ehriftus den Kinderfinn, und
einige Schriftfteller unferer Zeit das findlicfe Ges |
mutb nennen.
»Wenn ihr nicht. umfehret und werdet wie die
Kinder, fo Fünnet ihr nicht in das Keich des Him—
mels eingehen —« das heißt: ihr könnet nicht glaus |
ben, hoffen, lieben, fünnet nicht fromm und ſelig
werden.
05
Der Berfiand, der Alles begreifen will, kann
‚nicht glauben an Gott, den Emigunbegreiflichen ;
die Vernunft, die Alles aus und durch fich wiffen
will, fann nicht glauben an Gott, den Feine Er:
kenntniß ausmeffen Tann, als nur die feine.
Armer Menfh! du mußt Gott felber feyn, um
won Gott eine allerfhöpfende Wiffenfchaft zu haben;
du mußt der Allwiffende feyn, um von dem Allwif
'fenden Alles zu wiffen.
Kann doh ein Menfchenfind — nicht bes
‚greifen, was fein Vater, der auch Menfch iſt, denke,
wolle, thue. Aber, was das Kind nicht begreifen
Tann, das fann es dem Vater glauben, und durch.
Glauben und Gehorfam wird e3 nach und nach vers
ftehen lernen, was der Vater thue und wolle. So
lernet das Kind verftehen. Ziebend den Vater,
glaubt es an fein Wort, liebend gehorcht es feis
mem Gebothe, und indem es dem Worte glaubt und
dem Gebothe gehorcht, lernt es den großen Sinn
des Vaters verfiehen.
Wenn nun ein Menfchenfind nur durch Glaube
und Gehorfam den Sinn feines Vaters, der weiter
nichts als Menſch ift, verftehen lernen kann: wie
folte ein Menſch den Sinn des himmlifchen Vaters
werftehen lernen können ohne Glaube und Gehorfam ?
Mas nun in uns gern glaubet und willig gehorchet „
Das ift das Findliche Gemüth, das ift das Herz, das
uns glaubwillig und glaubensfahig macht,
| So liegen die Gründe der Ueberzeugung im
Herzen.
| Daraus erhellet aber auch ſchon,
2.
Daß die Gründe der Ueberzeugung in dem Les
ben des Menfchen liegen müffen. Denn, wenn das
kindliche Gemüth willig glaubet und gern gehor—⸗
94
chet: fo iftes eben der Gehurfam, das Leben,
mas uns Die verborgene Weisheit auffchließen, mas
die Ueberzeugung neu grunden wird. Jeder Unbefan—
gene, der lefen, denken, verftehen kann, wird z. 8.
in dem Evangelium des heiligen Johannes Vieles fin»
den, das offenbar das Geprage des Wahren, Gro—⸗
Ben trägt, wenn er gleich auch Manches finden follte,
was ihm noch dunkel, rathfelhaft if. Nun fagt For
hannes zu ihm, was einft Chriftus zu feinen Zeitges
noffen:
»Thu den Willen Gottes , der dir in meiner
»Lehre Elar ift: dann wird dir Elar werden, was dir
»noch dunkel iſt; — Thu was dir jebt ſchon als
»güttlich einleuchiet, und es wird dir bald das Gans
»ze meiner Lehre als göttlich einleuchten.«
Dder mit den Worten Ehrifti:
»Meine Lehre ift nicht meine Lehre, fie iſt die
»Lehre deffen, der mich gefandt hat, Will jemand
ge Willen thun, fo wird er inne werden, ob Ddiefe
»Lehre von Gott ſey, oder ob ich von mir felber rede.<
%ob, VIL 16. ı7.
Menn fich nun mein Ginn und Leben nach dem
neubildet, was mir in der £chre Chrifti fogleich
als göttlich einleuchtet: fo wird mir aus meinem neu»
en eben ein neues Licht geboren werden, und in
diefem neuen Lichte wird ſich mir die ganze RR
Jeſu als eine göttliche enthüllen.
So liegt ein Grund der Ueberzeugung im eo
Leben, in der Ausübung. Wer treu im Kleinen if,
dem wird Großes anvertraut.
Wer bergan fteigt, dem thut fich auf jeder er:
tungenen Höhe eine neue Ausſicht auf. Wer dem Lichte
nachgehet, entfommt allmahlig dem finftern Walde;
wer der Finfterniß nachgehet, verftrickt fich immer tie
fer in die Labyrinthe des Lebens, und verfinfet endlich
in der Nacht des Todes,
05
»Lebe wie Jefus lebte, und du wirft glauben,
was Jefus lehrte.«
Gehorche der erfannten Wahrheit, und dieß dein
Gehorchen wird dir das Auge rein, immer reiner wa—
fchen, daß du hineinzublicten in die geheime Führung
Gottes vermögen wirft.
5.006 ED.
Wiederhohlen muß ich auch heute die Bitte:
Mark. IX. 25. Sch glaube, Herr! Hilf mir im
GStreite wider meinen Unglauben. Sa immer
wiederhohlen muß ich Diefelbe Bitte. Denn der
Unglaube, ic) fühle es, fteckt tief in meinem
Herzen und in meinem Leben, treibt Wurzeln im
Herzen, und bringt Früchte im Leben.
Reiß fie aus, Allmächtiger, jene Wurzeln
und ertödte diefe Früchte,
Mo das Eindlihe Gemüth ſich zum Glauben
willig neiget: da empört fich der Stolz wider
das Kicht von oben, und will nur fich, feinem
Dinkel glauben, will felbft Gott feyn, und will
in fih die Duelle aller Dffenbarung finden.
Schenke mir, Water, ein Findlihes Gemüth,
und beuge den flolzen Nacken unter das Soc
des Glaubens. Mo das fromme Gemüth ſich in
den Gehorſam gegen feinen höchften Gebiether
eingeübet hat; da gehorcht e8 auch dem Wor—
te, das es noch nicht begreift, und glaubt, wo
es nicht fieht, erfüllt deinen Millen, Water,
und wird durch Erfüllung inne, daß die Lehre
deines Sohnes Wahrheit, deine Wahrheit fen.
Laß mic) fiegen im Kampfe wider den Un:
glauben, der das Gemüth finfter , und das Le—
ben Gott-los macht: dann haft du mir. das
Licht und die Macht des Glaubens geſchenkt.
06
XVI.
Bisher ward die menſchliche Seite des Glaubens hervor:
gehoben.
Sn der Gefhidhte, in der Bernunft, in dem Her—
zen, und in dem Leben des Menfchen liegen Gründe, wodurch
die Weberzeugung von der hriftlihen Offenbarung angebah—
net, gegründet, geftärket werden Eann. r
Aber der Glaube, der den Menfchen heilig, felig macht , ift
ein göttlicher Glaube; wir find alfo bey der Frage:
Wäie kann der Menfch zur göttlichen Lebendigkeit des Blau:
bens gelangen.
Schzebhbnter Bag.
Der Glaube, eine Gabe Gottes.
Schriftftellen
1. Selig biſt du, Simon, Jonasſohn; denn Fleiſch und
Blut hat dir das nicht geoffenbaret, ſondern mein Vater in
den Himmeln. Matth. XVI. 17.
2, Das ift das Werk Gottes, daß ihr an den glaubet,
denn * geſandt hat. Joh. VI. 29
3. Wie der Rebzweig aus ſich Fibſt keine Frucht bringen
kann, wenn er nicht am Rebſtocke bleibt: ſo auch ihr nicht,
wenn jr nicht in mir bleibet. Joh. XV, 4.
. Wer euc) höret, böret mic), und wer euch verach—
tet, ar mich: wer aber mich verachtet, — den,
der mich geſandt hat. Luk. X. 16.
Betrachtung.
Wenn der Glaube den finſtern, bbſen Menſchen
in einen erleuchteten, guten, ſeligen Menſchen um:
fhaffen fol: fo muß der Glaube eine übermenfchs
liche, eine fchöpferifche, eine göttliche Kraft ſeyn.
— — — — —
Denn
97
Denn eine Kraft, die den alten Menſchen in einen neuen
zu verwandeln im Stande ift, fann nicht in dem Ber
ftande, der von böfen Neigungen verfinftert ift, nicht
in dem Willen, der von böfen Neigungen wie ger
lahmer, nicht im Herzen liegen, das von böfen eis
gungen abwärts gefehret, fall um alles Gefühl des
Höhern gefommen ift.... fie muß alfo gegeben,
und weil der Mienfch als Sünder ihrer unwerth ift, ge=
fchenft werden, und fie fann als eine göttliche Kraft
nur von Bott gegeben, nur von Gott gefchenft
werden.
Der Ölaube iſt alfo, von feiner göttlichen Seite
betrachtet, Gottes Gnadengabe. *) »
Diefe göttliche Kraft ward in den erfien Zeiten des
Ehriftenthums den auserwählten Jüngern Jeſu durch die
Ausgießung des heiligen Geiftes geſchenkt, als fie im
Gebethe, in£iebe,in Eintracht nach dem Wor⸗
te beharreten. (Apoftelg. II.)
Diefe göttliche Kraft ward dem Cornelius und der
Lydia, ward unzahligen andern aus den Juden und Heis
den gefchenft, als die Apoftel Jeſu, fchon felbft erfül-
let und durchdrungen von dem Öeifte der Wahrheit, aus
der Fülle diefes ihres lebendigen Glaubens an das Volk
fprachen, und derfelbe heilige Geift, der die Sprechen»
den belebte, auch den Hörenden das Herz aufthat:
daß fie auf das Wort achteten, es zu Herzen faßten,
es im Herzen behielten, und im Herzen und Leben
fruchtbar werden ließen.
Diefe göttliche Kraft ward unzähligen Menfchen
auf eine ähnliche Weife gefchenkt, wie fie zu Theil
”) Dephalb heißt es fehr richtig in unfern beften Katechismen:
Der Glaube ift Gottes Geſchenk und Lit, wodurd
der Menfch erleuchtet, feft beyftimmt und anhängt allem,
was als Glaubenswahrheit von Gott geoffenbart ift, und
von der Kirche vorgetragen wird,
Sailer, d. chriſtl. Monath, 7
08
ward dem Kammerer der Königinn Candaces, als er
in Efaias las, als ihm Philippus das Wort des Pro-
pheten dolmetfchte, als ihm der Geift des Herrn das
Herz rührte, daß er verftand, glaubte, -be
Ffannte und getauft ward.
Diefe und ahnlicye Ereigniffe miederhohlten fich von
den Tagen Ehrifti bis auf die unfern unzählige Mahle,
und wiederhohlen fich noch diefe Stunde,
Aber alle diefe und ahnliche Ereigniffe haben bey
den einzelnen Unterfchieden doch dieß Eine gemein:
Ueberall iſt es Gottes Wort, das fo oder ans
ders in die Seele fallt.
Ueberall ift es Gottes Geift, der das Herz auf:
fchließt zum Auffaffen, zum Bewahren, zum a
- gen des göttlichen Wortes.
Ueberall ift eö der Sinn Chrifti, der in den
Menfchen geboren, erzogen, ausgebildet werden muß;
wenn er ein Ehrift, wenn er heilig und felig wer:
den fol.
Ueberal ift ed Gott, der den Menfchen zie—
het, und des Menfhen Wille, der dem Zuge
folget.
Ueberall ift e$ Gnade Gottes, die den irrge-
gangenen Menfchen zurücruft, und Gehorfam des
Menfchen, der dem Rufe folget.
Ueberall ift e5 der Himmel, der Sonnenmwars
me und Regen auf die Erde fendet, und die Erde,
die die Einflüffe des Himmels aufnimmt, und den
Keim des neuen Gewächfes bervortreibt.
Dieß iſt denn auch das Eine große Werk, zu defs
fen Vollendung die Kirche Chriſti eingefeßt ift, und dauern .
wird bis an’3 Ende der Welt. ;
Denn das ift die Beſtimmung der chriftlichen ka⸗
tholiſchen Kirche: bis an’s Ende be Welt foll fie dauern,
und immer neue Zeugen Ehrifti ausfenden in alle Welt,
die vom heiligen Öeifte belebt, und mit
99
himmliſchem Feuer getauft, das Wort des
Herrn verkünden; wobey denn derſelbe Geiſt Got—
tes nicht müde wird, ihrem Worte Zeugniß zu geben,
die Herzen zu öffnen, und die Verirrten zur Herde Chris
fit zurückzuführen, bi$ voll geworden feyn wird die Zahl
der Heiligen Goͤttes.
Ob alfo gleih Der Geiſt wehet, wo er will,
und in diefem Sinne der Wege Gottes unendlich viele
find: fo ift doch überall bey den verfchiedenften Wegen
der Eine Weg, der eigentlich zu Gott führt, Diefer:
»Das Wort Gottes wird al3 Samenforn des ewie
gen Lebens ausgeftreut; der Glaube faßt es auf, bewahrt
es, und macht es fruchtbar. Was aber das Samenkorn
durch Menfchenhande ausftreuet, und dem Glauben im
Menfchenherzen Leben und Segen verleihet, ift der Geift
Gottes, der auf taufend Weifen das Herz rühret, big
er e3 herumhohlen und zum Tempel der ewigen Liebe
weihen fann; was der Rührung Gottes endlich gehor>
chet, ift die Treue des menfchlichen Willens, die flatt
dem Zuge von oben zu widerfichen, fich ihm bins»
gibt.«
Demnach laßt fich Feine beffere Anleitung, wie man
zur göttlichen Glaubenskraft gelangen Fünne, geben,
als die:
»Sey treu in dem, was dir gegeben iſt; ftrecs
fe dich aus nach dem, was vorwärts liegt; vers
achte nicht, laftere nicht, fondern benuße fo
demuthig al3 dankbar die Anftalten zum Heile, die dir
in der Kirche Chriſti offen ftehen. Laß dir (fo lehren
mit Auguſtinus die erleuchteten Väter der Kirche) laß dir
die Kirche eine Mutter feyn: dann wird Gott dein Vater,
Ehriftus dein Erlöfer, der heilige Geift dein Tröfter, und
das Evangelium eine Schule des Lebens feyn.«
»Wo ein Petrus fpricht, da fen du Cornelius; mo
ein Paulus, da fey du Lydia; wo ein Johannes, da
fey du fein Polyfarpus; und, wenn du feinen Petrus,
7 *
100
Paulus, Johannes findeft: * ir den Waffer des
Lebens, das etwa durd) eine hölzerne Röhre fließt, um
der Duelle willen die Achtung nicht, und trink davon,
und ſtärke dich zur ferneren Lebensreife. Denn der
Gott, welcher das Wort Chriſti und die Sacramente
des neuen Bundes in feiner Kirche für dich aufbewahrt
hat — bis auf diefe Stunde, derfelbe Gott gibt dir
deutlich zu verfiehen, daß er auch dir durch diefelben
Heilmittel dasfelbe Heil — das ewige Leben angedeihen
laffen wolle.«
»Mie du Gottes Wort höreft, fo lies und
betrachte es auch. In jedem freyen Augenblide
forfche befonders in der Gefchichte Jeſu, wie fie
uns die Evangeliften befchrieben haben, wie fie uns
die Kirche aufbewahrt, und in jeder neuen Verkündung
neu darlegt. In diefer heiligen Gefchichte wird dein
Slaube Kicht, Leben, Liebe finden. Darum laß fie
dir drey Mahl heilig feyn. Sprich mit den Weifeften
deiner Zeit, fo wie der chriftlichen Vorzeit:
Ja wahrhaftig, das, was Matthäus, Markus,
Lufas, Fohannes von Jeſus Ehriftusg erzählen,
fol mir drey Mahl heilig ſeyn. Es fol mir heilig.
feyn .
erftens: als Gefchichte, als gefchehene Offen⸗
barung des Göttlichen im Menfchlichen :
»Gott in Ehriftus, der Vater im Soh⸗
ne, das Wort Fleiſch.« Dieſe Offenbarung ifl
mir göttlich, ift mir eine gefchehene, ift mir als
Thatfache heilig.
Was Matthäus, Markus, Lukas, Kohannes von
Ehriftus erzählen, fol mir heilig fun
zweytens: als ein Vor- und Mufterbild
deffen, was in jedem Kinde Gottes gefchehen foll,
gefchehen wird.
Die Gefchichte Chrifti hat zwey Theile: der erſte
IE EEE EL ——
\
,
|
n
\
H
|
\
J
€
101
geht von der Krippe bi zum Kreuze; der zweyte vom
Kreuze bis zum Throne Gottes. E
Diefe Gefchichte ift aber im Grunde die Gefchich>
te aller Kinder Gottes. Sie folgen ihrem Chriſtus nach
auf dem Kreuzwege, und fie theilen nachher mit
ihm die Herrlichfeit des ewigen Lebens. Gekreus
ziget mit ihm, werden fie mit ihm verherrlicher.
Was Matthäus, Markus, Lukas, Johannes von
Ehriftus erzählen, foll mir heilig feyn
drittens: als Abgrund der ewigen Liebe,
als Geheimnifß der Geheimniffe, in fo fern
die Erfcheinung Chriſti auf Erden rückwärts und vors
warts in die Ewigkeit eingreift, und als ein Wunder
aller Wunder von dem Verftande nicht begriffen, von
der Gottfeligkeit nicht bezweifelt, von dem reinen Hers
zen nicht entbehrt werden Fann.
Wie follten mir die einzelnen Wunder, die ein:
zelnen Weiffagungen anftößig fepn Fünnen? Sind fie
‚doch nur Lichtfirahlen der Sonne. Und ich bin ja
im Blicke auf die Sonne der Lichtftrahlen fehon fo
gewohnt, daß ich mich an feinem mehr ärgern Fann,
Sie find ja Licht, fie find Segen, fie find Ges
ſchenke.
Was ſollte ich die Lichtſtrahlen an der Erde meſ—⸗
fen wollen? Was follte ich die Segnungen der ewir
gen Liebe mit dem Falten Theilungsmefjer des Falten
Begriffes fpalten wollen? Was follte ih Geſchenke
meiftern ? In dem Sinne ift mir die Gefchichte Jes
fu drey Mahl heilig. In der erften Anficht kann
ih glauben, in der zweyten hoffen, in der drits
ten anbethen und lieben«
Arme Menfchen, die feines aus diefen dreyen
fünnen !
»Wo du immer Gottes Wort höreft oder liefeft,
da verwandle es in ein Gebeth des Herzens, und
verfiegle das Gebeth mit dem Gelübde aller Gelüb—
102
de, deinem Gott: allein anzugehören, und ihm treu zu
feyn ewig. |
Und dein Glaube wird neue Stärke gewinnen zum
Kampfe wider das Böſe, und neues Licht in der Fin-
fterniß, um die rechte Bahn .nie zu verfehlen — bis
anbricht der Tag der Emigkeit.«
Bine Eee
Wenn alle gute Gabe, und alles vollkommene
Geſchenk von oben kommt, herniederfteigend vom
Vater der Lichter: Sak I 17. jo wende ic) mich,
da der Glaube wohl auch eine gute Gabe, ein
vollkommnes Geſchenk ift, zu dir, Vater der
Kichter! und flehe um die Meisheit, die mir feh-
let; denn der rechte Glaube ift Doch die Meis-
heit dieſes Lebens.
Gib fie mir, diefes Auge des Lebens, die—
fe unentbehrlihhe Leuchte unfers Hierfeyns — Die
Meisheit, die von der Melt als Thorheit be:
hohnlachet wird.
Sa, Bater! niht um Schäaße der Erde fle-
he ich jeßt; um das Kleinod des Himmels, um
die Meisheit flehe ich, die bienieden Glaube
heißt, und ſich droben in Schauen der Mahr-
heit verwandelt, und flehe mit Zuverficht; denn
du gibft mir ja aus deiner unerichöpflichen Ful-
le — und gibft reichli, um was wir vertranend
flehen , und rückeſt deine Gabe Niemanden vor;
— und flehe, bis, mir das Morgenroth der Er-
hörung glanzet, mit Beharrung, umd laffe
dich nicht, bis dur mich gefegnet haben wirft.
nt TE TEE EEE U ——— — —— EEE — — ——
105
XVII.
Siebzehnter Tag
Bon den Stufengängen und Uebungen des Chriſten⸗
glaubens.
Schriftftellen
1. Dos Reich der Himmel gleicht einem Senfkorne, das ein
Menfd nahm, und ſäete es auf ſeinen Acker. Es iſt zwar
das Kleinſte unter allen Samen; wenn es aber aufwächſt, ſo
iſt es das groͤßte unter den Gartengewächſen, und wird eine
Staude, daß die Vögel der Luft kommen, und niſten unter
ihren —— Matth. XIII. 31. 32,
2. Was aus Gott geboren ift, überwindet die Welt, und die
Ciegestraft, die die Welt überwindet, ıft unfer Glaube. 1.
Yy 2
SR 3. Durch das Evangelium offenbart ſich die ——
Gottes, die aus Glauben in Glauben geht. Roͤm. J. 17
Setradhtung.
1.
Wie viele Zeiträume der Chriſtenglaube zu durchlaus
fen habe.
Auguftinus, und mit ihm alle erleuchteten Kirchen:
lehrer unterfcheiden dreyerley Zeiträume im Wachsthur
me des Glaubens.
Anfangs glauben wir, ohne auch recht zu vers
fiehen , wa$ wir glauben. So nehmen wir das Wort
Jeſu: »Wer aus Gott ift, hört Gottes Worte — Ans
fangs glaubend an. Aber wir verftehen doch nicht
recht, was das heiße: aus Gott ſeyn, Öottes
Wort hören, Nachher durch Leiden aufge
c
104
Elart, durch mancherley Führungen Gottes erleuchs
tet, lernen wir auch verftehen, was wir glauben. End-
lich geht ung in unferm Innerſten eine ungeahnete Thur
auf; es fleht lebendig da vor unfern Augen, was es
heiße, aus Gott feyn, denn wir find aus Öott;
was es heiße, Gottes Wort hören, denn wir
hören Gottes Wort. Wir verftehen nicht bloß, was
mir glauben, wir fehen im Gemählde der Erfahrung ,
was mir verffanden haben.
So lange wir redlich glauben, ohne recht zu vers
“ fiehen, was wir glauben, find wir in dem Kindes-
alter des Slaubens: wir glauben, ohne zu
verfteben. Wenn wir beginnen zu verftehen, was
wir glauben, dann treten wir in die Jugendjahs
re des Ölaubens: wir verftehen, was wir glaus
ben. Endlich rucden wir in das Mannesalter
des Glaubens, wenn wir in uns lebendig erfahren, was
Andere aus Erfahrung erzählt haben; wenn wir mit
reinen Augen des Gemüthes anfchauen das, was wir
Anfangs geglaubt und nicht verftanden, nachher geglaubt
und verfianden haben.
Nah dem finnvollen Öleichniffe Chrifti von der
Senfftaude verhält es fich mit dem Glauben wie mit ei-
nem Samenforne, das wurzeln muß, das wachs
fen muß, und das Frucht bringen muf.
So hat der Ehriftenglaube dreyerley Altersftufen :
die der Unmündigkeit, die der Jugend, Die
der Mannheit. Im erſten Alter find wir Glaus
bige, im zweyten Berftändige, im dritten
S eher.
Sp hat der Glaube dreyerley Perioden: in der
erfien ſchlägt er tiefe, immer tiefere Wurzeln ; in der
zweyten wächſt er zwar allmahlig aber immer herrlicher
empor; in der dritten bringt er die erfehnte, Liebliche
Frucht, woran ſich Engel und Menfchen ergeben.
105
2.
Was Glaubensubung fep.
A.
Die eigenfte Uebung des Glaubens iſt die:
Sid, losmachen von den vergänglichen Dingen, und
in fi fammeln; fich losmachen von fich, und ere
heben zu Gott; im Auge Gottes fich vergegenwärti⸗
gen die Offenbarungen durch Chriſtus, und fich ihnen
‘ganz hingeben mit Vernunft und Willen, — ans
erkennen die höchſte Wahrheit in allen Offenbarun⸗
gen Gottes — — das heißt eigentlich »„Blaubenss
ubung« Der Ölaube ift Gebeth.
Der Ölaube über fich in jeder Erneuerung des Vor⸗
faßes: Gott zu verherrlichen durch Gehorfam gegen alle
feine Gebothe, durch Ergebuna in alle feine Füh—
rungen, durch feftes Anhalten an feine Verhei—
gungen. Der Ölaube it Gehorfam, Erges
bung® ®ertrauen, Zuverfidt.
Der Glaube übet fich durch jeden ernften, anhal-
tenden Widerſtand gegen die Keize des Bofen. Der
Glaube ift Selbftherrfcher über Luft und Sünde.
Der Glaube übet fich in jedem ernften, anhals
tenden Widerflande gegen die Anfälle der Ungeduld, der
mürrifchen Laune, der Menfchenfurcht. Der Glaube
ift Geduld, Heiterkeit, furchtlofes Feſt—
fteben gegen die Drohungen der Welt, ift Selbft-
herrfcher über Unluf und Sünde.
Der Glaube übet fich in jedem ernften, anhals
tenden Widerftande gegen die natürliche Tragheit. Der
Ölaube ift Selbftermannung, GSelbftauf
weckung der fehlafenden Krafte, ift Selbfthert-
ſcher uber Geifiesträgheit und Sünde.
Der Ölaube übet fich durch ernften, anhaltenden
Widerftand gegen die Eingebungen der Eigenliebe., Der
.
106
Glaube it Selbftaufopferung aller eigenfuchtis
gen Triebe, ift Selbftherrfcher uber Eigenfucht
und Sünde.
‚Der Glaube übet fih im Erfüllen aller Pflichten,
die ihm Menfche, Nächſten-, Brüderliebe auflegen kann;
er lehret, tröftet, fegnet, flärfet, pfleget wie Chriſtus.
Der Glaube ift Liebe, ift Selbftherrfcher über
Haß, Kalte, parteyifche Menfchenliebe.
Der Glaube übet fih in Gelaffenheit bey
ſchwerdrückenden Leiden, beugt die Schultern unter die
Laſt, gibt die Glieder des Leibes hin, wenn fie die Ver-
folgung an’s Kreuz fchlägt, erträgt auch das Gefühl
des Verlaffenfegns, und legt den Geift in die Hand des
Vaters. Der- Ölaube it Todesubermwinder, if
vollendeter Selbftherrfcher über Sünde und
Tod,
Dieß ift die eigentliche Glaubensübung.
B.
Man nennt aber noch etwas Glaubendübung.
Wenn die Gläubigen die Lehren Ehrifti, in kur—
se Sätze gefaßt, als Dffenbarung Gottes, als
göttliche Wahrheit anerfennen, und als Wahrheit befens
nen: fo beißt auch diefes »Glaubensact,« Ölau-
bensubung, und verdient dieſen ſchönen Nahmen; wenn
bey diefem Befenntniffe
1. das Herz wirklich vor fpreht,
2. daS Leben nach fpricht,
3. der Mund nur mit ſpricht.
Zur Weckung der Andacht ſtehen in unfern Lehr—
und Gebethbüchern einige Weiſen ſolcher Glaubensbes
kenntniſſe, die als Buchſtaben nur Buchſtaben ſind, und
nur Buchſtaben ſeyn können. Aber ſobald das bethen—
de Chriſtenvolk Geiſt und Leben hineinlegt, ſo ſind ſie
wahre, lebendige Glaubensaete.
107
Auch diefe Glaubensübung will ich mir empfohlen
ſeyn laſſen, und aus Geift und Herz bethend mit der
chriftlichen Gemeinde, Geiſt und Leben hineintragen,
daß fie wahre, lebendige Slaubensacte werden.
Gebet b.
(Glaubensact.)
Gbött! du biſt, als das allervollkommenſte We—
‚fen, der Abgrund aller Wahrheit, nur von dir
allein durchſchaubar, nur von dir allein durchs
fhauet.
| Du bift, als der vollfommenfte Geift, der
Allwifjende, der das Mefen aller Dinge durch-
ſchauet, die Herzen durchfieht; vor. dem jede Nacht
Tag, jede Finſterniß Licht iſt; vor dem feine
Bergangenheit und Feine Zukunft, fondern Alles
lauter Gegenwart ift.
Bor dir befteht Feine Lüge, Feine Täuſchung;
vor deinem Blicke Tiegen alle Berborgenheiten
offen da, alle Heucheley in ihrer Blöße; alle
Decken find vor deinem Angefihte — Nichts.
Du bift in allen deinen Dffenbarungen die
Mahrhbaftigkeit felber. All dein Mort ift
Mahrbeit, wie du felbft.
Sp wenig beine Ullwiffenheit getauscht wer—
den Fan, jo wenig Fann Deine Wahrhaftigkeit
taufchen. Ä
Diefe deine Allwiffenheit und Mahrhaftig-
keit haben fich befonders in Ehriftus verherrlicht ;
denn er, das ewige Mort, in der Zeit Fleifch
geworden, hat, wie durch Munderthaten
deine aa jo durch Meiffagungen
deine Allwiffenheit, und durch alle feine Leh—
108
ren deine Wahrhaftigkeit au's Licht hervor-
gezogen.
And alle Wahrheit, die dein Eingeborner aus
deinem Schooße ſelber mitgebracht, und feinen
Apofteln, und durch fie feiner Kirche anvertrauet,
und durch fie und in ihr bewahret hat. —
Alle diefe Wahrheit nehme ich mit voller
Einftimmung meines Geiftes und Gemüthes als
dein Mort an, und will in diefem Glauben,
ver heilig und felig macht Alle, die ihr Herz
— 9 ſich darnach bilden laſſen, leben und
erben. |
An alle diefe Mahrheit glaube ich, mein
Gott! weil es dein Mort ift, das die Eine, hei-
lige, allgemeine Kirche als dein Wort bewahret
hat, und uns ald Glaubenswahrheit Fund thut;
weil es dein Mort ift, das Mort des Allwif-
fenden, der nicht getaufcht werden, das Mort des
Mahrhaftigen, der nicht täuſchen kann. Darin
wurzelt , darin ruhet die Gewißheit, die Feftig-
keit, und die Beftandigkeit meines Glaubens.
Bewahre, Vater! diefen Glauben, und Tag
ihn wirkſam in Liebe, fruchtbar in guten:
Merken, und felig in Hoffnung werden Durch)
Edler Ehriftum, deinen Sohn, unfern Herrn.
men, |
XVII.
Die menfchliche und göttliche Gewißheit des hriftlichen Glau—
bens, fo wie die Stufengänge und Uebungen desfelben , ftehen klar
vor unfern Augen. Nun fol uns eben fo Elar werden , daß der
riftlihe Glaube wirffam in Liebe, und felig in Hoff:
nung fey. Da wir aber ſchon in ber dritten Betrachtung gefehen
109
haben, daß 1. die Liebe Gottes und des Nächften felbft das Gute
ift, und alles übrige Gute in ſich faßt; felbft das Gute ift, und den
ganzen innern Menfchen gut macht; felbft das Gute ift, und ſich
durch Lauter gute Werke offenbaret; daß 2. eben diefe Liebe Got-
tes und des Nächſten nichts anders ift und nichts anders feyn kann,
als das gottgefällige Glaubensleben; daß in den Augen Got—
tes nichts gilt, nichts Werth hat, als der Glaube in Liebe
wirkſam, nichts gilt als diefe neue Schöpfung: fo bedarf
es 3. Eeiner weitern Erörterung, daß der hriftliche Glaube, wie
er felbft eine göttliche Lebenskraft ift, alfo auch Eeine höhere, bef=
fere Wirkfamkeit haben kann, als die Wirffamfeit in Liebe.
Denn diefe Wirkfamkeit ift felbft das Gute, und faßt alles übrige
Gute in ſich, ift felbft das Gute, und macht den ganzen innern
Menſchen gut, ift felbft das Gute, und thut fich durch lauter gute
Werke Eund. Es übriget alfo zur völligen Einfiht nur noch die
lihthelle Darftellung, was die chriſtliche Hoffnung fey, und daß
der Glaube, der in Liebe thätig ift, mothwendig auch in
Hoffnung felig fey.
Achtzehnter Tag.
Bon der chriftlichen Hoffnung: was fie im Gemüs
the des Menfchen vorausfege, und woran fie fi
halte.
Shriftftellenm
1. P aulus: Wir wiſſen, daß Trübſal Geduld, Geduld Be:
währung, Bewährung Hoffnung erzeuget, die Hoffnung aber
nicht zu Schanden werden läßt; weil die Liebe gegen Gott in
unfern Herzen ausgegoffen ift durdy den heiligen Geift, der uns
gegeben worden. Röm. V. 3— 5.
‚2. Petrus: Der Öott und Vater unferd Herrn Jeſu
Chriſti fey dafür gepriefen, daß er uns, nad) feiner großen
Barmherzigkeit, durdy die Auferftehung Jeſu von den Todten
neu geboren hat zur lebendigen Hoffnung auf die Erbfdyaft,
die im Himmel für uns aufgehoben ift, die nicyt verderbt, nicht
befleskt , nicht welE werden kann. J. Petr. L 3. 4.
110
3, Sohbannes: Ihr Alferliebften! nun find wir Gottes
Kinder, und was wir feyn werden, iſt noch nicht erfchienen.
Das wiffen wir, daß, wenn e3 erfcheinen wird, wir ihm gleidy
feyn werden; denn wir werden ihn fehen, wie er ift, Und
jeder, der diefe Hoffnung auf hat, heiliget ſich, wie er
auch heilig iſt. 1. Joh. Ill. 2. 3
Betrahiuns.
Unterfchted zwifchen Hoffnung und Hoffnung.
Ein Anderes iſt die Hoffnung des Sünders,
der zwar noch der Sünde Dienet, aber ihrer doch
[03 werden möchte, und um Vergebung flehet; ein Ans
deres Die Hoffnung des Ehriften, der als folcher
fhon neu geboren ift zum bimmlifchen Sinne
und Leben. Allerdings muß der undantbare Sohn,
wenn er zum verlaffenen Vater zurückkehren fol, es feie
ner Liebe zutrauen fünnen, daß er ihn wieder auf:
nehmen, und in feine Bater-Arme fihließen werde. Sonft
würde er, außer dem väterlichen Haufe, eine Beute des
Hungers, und ein Raub des Todes werden. Aber,
wenn der Sohn mirflich das Haus feines Waters wies
der betreten, in den Armen feines Waters den Kuß der
Liebe ſchon empfangen hat: dann ift die Hoffnung des
Sünders in die Hoffnung des Sohnes übergegangen;
der Vater hat ausgefprochen das Wort: Alles Meis
ne ift dein; Du bift mein Sohn, du mein
Erbe wieder.
Der Öerettete fühlt fchon in fich den Sinn des wies
der aufgenommenen Sohnes, und diefer Sinn ift:
i. froblocktender Glaube an die erprobte Bas
terhuld,
9..neues Vertrauen auf die erprobte Vater:
huld,
3. neue dankbare Liebe gegen den, der zuvor
geliebt hat ; eine Liebe, die fich durch freudigen
Gehorſam erproben wird.
111
Dieß Vertrauen des wieder aufgenommenen Soh>
nes iſt eigentlich das, was unfere heiligen Schriften
Hoffnung der Ehriften nennen.
Zwar ift das Vertrauen auf die Huld des Erbars
mers, das fich in jedem zur Buße erweckten Sünder
beweget, und das ihn zum Vater zurücführt, auch
Gabe Gottes, ift ein guttlicher Leitfaden,
der den Verirrten aus dem Irrgarten der Sünde in das
Haus des Vaters zurücleitet, Uber es iſt doch nicht
das Vertrauen, das, unter den Umarmungen der
ervigen Siebe geboren, den Frieden der Kinder Gottes
mit fich führet.
Senes Vertrauen it Borbothe der vollen Bef-
ferung, die erſt werden foll; diefes ift Siegel der
ſchon vollbrachten Befferung.
Jenes Vertrauen ift Handleiter zu dem entge—
geneilenden Water; Ddiefes ift der Ring der Ausfoh>»
nung und des Friedens , den der Vater dem wiederger
fundenen Sohne zum Beweiſe feiner Liebe an den Fin-
ger ſteckt.
Jenes ift ein freundliches Treiben, das zum
verlaffenen Vaterherzen zurückbringt; diefes ift ein fe
lige3 Ruhen an dem wieder gefundenen Vaters
herzen. |
Jenes ift mit Scham, *) der begangenen Sün—
de wegen, und Hunger und Durft nad) Beffe
rung , diefes mit Dank und dem Gefühle der uber»
wundenen Sünde und des gebefferten Sinnes verbunden.
Jenes ift Anerkennung der ewigen Liebe vor
der vollen Rückkehr zu ihr; diefes ıft Anerkennung. der
ewigen Liebe in und nach der Rückkehr zu ihr.
*) Au der Gebefferte trägt in fich noch ein Gefühl der Scham,
das die täglichen Fehltritte in ihm erregen.
112
Diefer Unterfchied ift jedem wahren Chriſten
wichtig, und von ihm anerfannt. Denn unzahlige fo-
genannte Ehriften taufchen fich mit falfcher Hoffnung
des ewigen Heiles; fie haben noch nicht einmahl dag
Vertrauen eines — Sünders, und tröſten ſich
ſchon mit der Zuverſicht eines Heiligen.
Um dieſer Täuſchung noch kräftiger zu begegnen,
wollen wir mit allem Fleiße erwägen:
J. was die chriſtliche Hoffnung vorausſetze,
I. woran fie fi) halte,
II. was fie für Wahrzeichen habe,
IV. wodurch fie fich erfrifche, belebe.
Was die hriftliche Hoffnung voraus
fetze. Die: chriftliche Hoffnung fetzt voraus,
daß das Gemüth, das ſich von Gott abgewendet hat,
wieder zu Gott zurückgewandt; daß ficy der Enechtifche
Sinn, der lichtfcheu und gottesfcheu den Menſchen ims
mer weiter von der Quelle des Lichtes entfernt, aug
dem Herzen verbannt, und der Findliche Sinn gegen
Gott wieder hergeftellt; daß die Feſſel der Knechtfchaft,
womit die Sünde den Sünder gebunden hat, gelöfet ;
daß die große Umanderung des Sinnes und des Lebens
ſchon vollbracht fey... Denn das ift die Eine gros
Ge Kluft zwifchen den Kindern Gottes und den Kins
dern der Welt, wie fie Johannes einander entgegen febt.
Diefe haben die Selbftfucht zu ihrem Gott gemacht, und
indem fie der Sleifchesluft, der Augenluft,
der Lebenshoffart (der Welt) dienen, dienen fie
nur fich felber. Jene aber haben die Selbftfucht, und
mit diefer die Fleifchesluft, die Augenluft, die Lebens⸗
hoffart (die Welt) überwunden, und thun den Willen
des Vaters; fie müffen alfo zum Findlichen Sinne ge-
gen den Vater zurückgekehrt, oder wie der heilige Pau:
lus fih ausdrude, neu geboren fepn.
Die chriftliche Hoffnung ift alfo nie ohne jenen
Glauben, der nach Johannes der Weltuberwinder ift. Nur
der
113 °
der Weltuberwinder bat die Hoffnung des
Chriften in fih. Wer alfo fich oder Andere mit fo
genannter chriftlicher Hoffnung fveifet, da wo der
eltgeift noch regiert, der fpeifet fich oder Andere
mit. Dunft. Denn die Ehriftenhoffnung muß gebo—
ren ſeyn, ehe fie leben fann. Nun wird fie aber
nur mit dem kindlichen Sinne, deffen Beftand-
theil fie ift, geboren; und der Findliche Sinn kann
in dem Sünder , der ein Knecht der Sünde iff, ohne
Ertödtung des Enechtifchen Sinnes nicht geboren
werden. Die Geburt der chriftiichen Hoffnung fest
alfo die Ertödtung des Enechtifchen Sinnes, das ift,
volle Befferung des Ginnes und Lebens, vor:
aus.» Deßmwegen wird die Ehriften - Hoffnung dem
heiligen Geifte zugefchrieben; weil fie nur in
einem reinen Herzen wohnen, und Die Reinheit
des Herzens ohne den Geift Gottes, der das Un—
reine rein macht, nicht errungen werden Tann.
Woran fich die chriftliche Hoffnung halte,
Gott ift die Liebe: das iſt es, was die
chriftliche Hoffnung anfaßt, feftbalt, und mworan fie
fi) allein halt. Und zwar nicht ein Gedanfe an
Gott, fondern Gott felber; nicht ein Wort von
Gott, fondern Gott felber; und Gott als die
Liebe, wie fie in und durch Ehriftus ung
Sündern erfohienen ift.,. Gott, die Liebe, in Chri—
ftus offenbar. Das ift der Anfangspunct, das
it der Mittelpunct, das if der Endpunct,
das ift der Eine, das der ganze, das der ewir
ge Haltungspunct der dhriftlichen Hoffnung.
Denn nur Öott, die allmachtige Liebe, kann
die unendlichen, die ewigen Bedürfniffe des menſch⸗
lichen Herzens befriedigen, Nur Gott, die Liebe,
die lauter Seligkeit ift, lauter, Geligfeit ver:
heißt, lauter Seligkeit fchaffet, wird: in allen
Sailer , d. chriſtl. Monath. 8
114
feinen Kindern die Erwartungen des ewigen Lebens
in feiner Herrlichfeit und Vollendung erfüllen. Deß-
wegen heißt unfer Gott der treue Gott. Er iſt
Sa und Amen in allen feinen Verheißungen,
Bon ihm kommt Vergebung der Sünde,
von ihm Geifteskraft zur Befampfung und Bes
fiegung aller Sünde, von ihn Troft in allen Leis
den der Zeit, von ihm Weisheit in allem Dunkel
des Lebens, von ihm Erlöfung aus allen Nöthen,
von ihm Friede, Freude, Gerechtigkeit,
Herrlichkeit,
Alfo Gott die Liebe, die lauter Allmacht
und lauter Treue , lauter Erbarmung und Geligkeit
ift, das ift das heilige Element des heiligen Geh» -
nens, das erft Hoffnung i ft, dann Zuverficht
wird, und endlich feliger Genuß im Reiche
Gottes werden wird.
Gebeth.
Guade und Herrlichkeit, die zwey lieb—
lichſten Worte, die zwey ſchönſten Bildniſſe,
die zwey tröſtendſten Verheißungen des neuen
Bundes, ſtehen jetzt in der reizendſten Geſtalt
vor meinem Auge. Ja, Gnade und Herrlich—
keit: Gnade, die den Sünder rein, gerecht
macht; Herrlichkeit, die den Reinen, den
Gerechten krönet — |
Das find die göttlichen Zufagen, die des
Menfchen Herz aus dem Staube heben und be:
feligen können.
Ergriffen von der hohen Bedeutung diefer
Zufagen,, muß ich anerkennen die Mahrheit des:
is ‚ was Sohannes bezeugte: Durch Moyſes
am das Geſetz, durd Jeſus Ehriftus
— Önade und Wahrheit, Sob. J. 17.
115
Aufgenommen nun mit den Kindern Gottes,
die hiemieden nod) pilgern, indenneuen Bund,
theilhaftig gemadt der Gnade, entgegenhar:
rend der Herrlichkeit, was kann ich anders
als aufblicken zu dir, göttlicher Erlöſer! auf:
blicken voll Dank und Sehnen, und rufen mit
allen Heiligen im Himmel und auf Erde: Laß
— mit Macht Eommen dein Reich, das Reich
der Gnade und der Herrlichkeit! Zwar aus
deiner Gnadenfülle habe ich fchon empfangen,
und empfange täglich, was ich bedurfte und be-
darf, um rein von dem Böſen und ſtark zum Gu—
ten, und geduldig in der Trübſal zu werden;
felbft au aus der Fülle der Herrlichkeit
find mir, wie die Ernftlinge des Geiftes, fo
auch die Erftlinge der Herrlichkeit zu Theil gewor-
den. Aber deine Erlöften fehnen fi nad) der Ful-
leder Gnade, und nach der Fulle der Herrlichleit,
damit fie durch jene hienieden vollendet, Die:
fer wirdig und drüben theilhaftig werden kön—
nen. Sa, wir fehnen uns nad) der rechten Hei-
math des Geiſtes, wo Feine Nacht mehr ift,
und wo es alfo Feiner Nachtlampe mehr bedarf,
und auch Feiner Tageslampe; weil du felbft der
Tag bift, weil du die Genoffen deines Reiches
Alle überftrahleft, und Licht und Herrlichkeit
mit ihnen theileft. Wornach wir uns nun feh-
nen, das erwarten wir auch, und erwarten e8
von dir, und erwarten es mit Zuverficht ; denn
du bift ja die Fülle aller Gnade und aller Herr-
lichkeit ; und dein Mort ift Wahrheit und
deine Verheißung das Sicherſte. Amen,
— —
ar
116
XIX,
Neunzehbnter Tag.
Sortfetgung
Bon der Chriffenhoffnung.
Die Wahrzeichen und die Proben (Bewährung) der-
felben.
Schriftftellen
1. D. Friede Gottes, der allen DVerftand überfteigt , mö—
ge eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Chrifte
Sefu. Phil. IV. 7.
2. Der Gott der Hoffnung erfülle euch im Glauben mit
Allem, was Freude und Friede heißt; damit ihr überflüffig
reich werdet an Hoffnung, und in der Kraft des heiligen Gei-
fies. Nom. XV. 13.
3. Sn Hoffnung find wir ſchon erlöfet. Denn, went
wir e8 fehen, fo wäre das Hoffen zu Ende. Denn wer was
Cald Gegeben) fieht, der hat es nicht mehr zu hoffen; fo lan—
ge wir aber nicht fehen, fo hoffen wir und erwarten es mit
Geduld. Rom. VIII. 24—25.
Betradtung,
Erftes Kennzeichen :
R Wo chriftliche Hoffnung, da ift Friede aus
oft,
Diefer Friede ift ein wahrer Friede, und ift
ein Friede aus Gott.
Ein wahrer Friede: das Gemwiffen, das
uns bisher im Nahmen Gottes anflagte, verdammte,
firafte, klagt uns jebt nicht mehr an, verdammt und
firaft nicht mehr. Es wiederhallee im Innern die
Stimme: Die Sünde ift dir vergeben, die
117
Herrſchaft der Sunde ift in dir getib
get; — und diefe Stimme ift Wahrheit; denn der
findliche Geift, der in das Innere zurückgekehrt iſt,
bemweifet deutlich genug, daß der Enechtifche Sinn,
die Herrfchaft der Sünde, daraus verbannt if.
Diefer Friede ift ein Friede aus Gott:
denn wie die Kinder Gottes nur der Geift Gottes
treibt, fo gibt nur der Geift Gottes, wie Paulus
lehret, unferm Geiſte das Zeugniß, daß wir
Kinder Gottes find. Kom. VII. 16.
Es fchredt uns Feine Vergangenheit mehr; denn
die Sunde, die fie uns fo ſchwarz machte, hat die
Stätte raumen müffen, Vorher, ehe die Sünde ihre
Stätte räumte, war nur Gott uns nahe, wir aber
waren ihm ferne; jeßt find wir ihm nicht etwa nur
nahe geworden; fein Geift ift die Seele unferer
Seele geworden. Gottes Geift treibt uns jet,
Gottes Geift zeuget jest in uns,
Gottes Geift treibt ung — nur zum Öuten,
denn Er ift der Geift des Alleinguten ; Gottes Geift
zeuget in uns nur das Zeugniß der Wahrheit:
»Gott ift dein Gott — du ewig fein; Gott ift
dein Bater — du fein Kind;« denn er iſt der
Geift der Wahrheit.
Zweyhtes Keungeichen:
Wo chriftliche Hoffnung , da iff zuverfichtliche
Erwartung des ewigen Lebens, in feiner Herrlichkeit
und Vollendung. Wo Hoffnung iſt, da iſt Erwar-
tung desemwigen Lebens in feiner Herr
lichkeit, in feiner Vollendung; denn derfels
be Geift, der uns bezeuget: mir find Gottes Kin:
der, der verbürget ung auch: wir werden
Gottes Erben feyn, Rom, VIU. ı7. Deßhalb
heißt der heilige Geift auch das Unterpfand der
Herrlichkeit, die fih an den Kindern Gottes offen-
baren wird.
118
»Meine Lieben! wir find nun Gottes Kinder:
was mir aber ſeyn werden, das ift. noch nicht ers
fchienen. Wir wiffen aber, daß wir Ihm gleich ſeyn
werden, daß wir Ihn fehen werden, wie Er iſt.« J.
Joh. III. 2.
Wo Hoffnung des Chriſten iſt, da iſt zuver⸗
ſichtliche Erwartung des ewigen Lebens in ſei⸗
ner Herrlichkeit. Die Hoffnung fteigt, bis fie Zu»
verficht wird; als Zuverficht führt fie die Sprache
der Gewißheit: »Ich weiß, an wen ich glaube...
Hinterlegt ift mir die Krone der Öerechtigfeit, wel»
che mir der Herr auffeßen wird, Er, der gerechte
Kichter an jenem Tage.« II. Tim. IV. 8.
Als Zuverfiht ruhet fie in Gott. Gottes
Liebe, Gottes Treue ift der Anker, aufdem fie fich
flüget in allen Stürmen des Lebens.’
er der Hoffnung einen andern Anker beylegt,
als die Treue Gottes, kennt die Hoffnung des
Ehriften nicht.
Einige neue Mahler haben die Hoffnung auf
der Tugend, als ihrem Anker, ruhen laffen. Aber
diefe Mahler verftanden das Geheimnifß nicht.
Tugend hat der Ehrift , aber fein Anker it Gott.
Wer nur auf feiner Tugend ruhet, der hat eine
brechliche Stütze. Ruben kann der Menfch nur in
einem etvigen unmandelbaren Kuhepuncte, und der ift
— Gott allein,
Drittes Kennzeichen:
Wo chriftliche Hoffnung iſt, da iſt eine nie ver-
ſiegende Quelle des treuen Fleißes, des fros
ben Mutbhes, der ftillen Geduld in allen
Arbeiten, die verrichtet, in allen Laſten, die getragen,
in allen Verfuchungen, die überwunden, in allen Leis
den des Lebens, die überfianden feyn müffen. Und
eben dieſer treue Fleiß, dieſer frohe Muth, diefe flille
119
Geduld ift ed, was die Hoffnung bewahret, als
wahr darftellt.
Die Hoffnung wird nie müde, Gutes zu thun;
denn fie pflüget, fie jaet dem Lage der Garben, und
weiß, daß der Herr der Ernte das Gedeihen geben
wird.
Die Hoffnung wird nie mude, ſchwere Laſten
zu tragen; denn fie weiß, daß Gott ihr feine Hand
unterlegt. | /
Die Hoffnung wird nie müde, zu Fampfen wis
der alle Keize des Böfen; denn fie weiß, daß fie Ihn
einft fehen wird, wie er ift, und um ihn zu fehen,
wie er ift, ihr Auge rein ſeyn müffe, wie er rein
if. 1. Joh. IIL 2. 3.
Die Hoffnung wird nie inlide, von einem Pro-
befeuer der Leiden in das andere überzugehen ; denn fie
weiß, daß, wenn das Feuer im Schmelzofen iff, der
Schmelzer nicht fern feyn Fann. Die Zukunft, und
felbft der Tod ſchreckt fie nicht; denn fie weiß, daß
dem ottliebenden ale Dinge zum Velten gereichen
müffen.
»Dir, o ewige Liebe! habe ich mich einmal,
übergeben ; dir will ich mich laffen , in Leid und
Freude, im Leben und Sterben, in Zeit und Ewig—⸗
feite.... Das ift das Herzens- Wort der chriftlie
chen Hoffnung , das ihr Gebeth, das ihre Seligkeit.
Wenn nun aber die chriftliche Hoffnung eine zur
verfichtliche Erwartung des ewigen Lebens ift, wie ihr
zweytes Wahrzeichen ausfagt; wenn fie eben deßwegen
eine nie verfiegende Quelle des frohen Muthes und des
fraftigen Zroftes ift, was ihr drittes Wahrzeichen auss
macht: fo ift eg aufer Zweifel, daß der wahre Chri—⸗
ftenglaube , der in Liebe wirkſam ift, eben auch felig
in Hoffnung ſeyn müffe, wie Paulus fagt: Seyd
frob in Hoffnung,
120
Woran fich die chriſtliche Hoffnung er
frifde |
Da nun die Hoffnung ihrem Wefen nach nichts
iſt, als der lebendige Athen des Gebethes in Erfafe
fung der güttlichen Verheißungen, er bewege fich ent—
weder im Heiligtbume des Gemüthes, oder
hinter dem ®Pfluge des Lebens, oder in froms
men Berfammlungen der Chriften, vder wo immer:
ſo fann nur das, was die heilige Flamme des Ge:
betbes anmwehet, auch das. Leben der Hoffnung aufs
frifchen.
Leiden legen die beften Keifer auf den Herd,
zur Unterhaltung der Gluth. Der durchgelittene Mann
iſt der Mann der Zuverficht.
— Beyſpiele der Öottfeligfeit, die in un—
fern Brüdern leuchten, können die flerbende Flamme
wieder anfachen. Hoffnung weckt Hoffnung , Licht
zundet Licht an.
VBertraute Geſpräche zmwifchen mahren
Freunden, die wahre Ehriften find, Fünnen den mate
ten. Sunfen der Hoffnung neu beleben. Gott ift in
ihrer Mitte, wie follte da das Herz in diefer Gefell
fchaft des Muthes, verzagen können?
Unermwartet große Ereigniffe, die uns
aus großen Leiden erretten, find wie eine Hand der
Almacht, die aus den Wolken bricht, auf die Erde
bernieder reicht , den Mlenfchen anfaßt, und die Hoffe
nung in ihm ſtärket.
Der Anblick eines Gterbenden kann
dur; den Moder der Verwefung den Geiſt wecken,
ſich nad) den Düften des Paradiefes zu fehnen. Ein
Kreuz auf dem Kirchhofe, ein Spruch auf dem
Grabfteine unferer Lieben, kann uns von der Erde
in den Himmel heben; denn da ift die Hoffnung
121
daheim, zwar nicht als Hoffnung, fondern als ewis
ges Leben. '
Unter den Zeugniffen von der ewigen Lies
be, die in der heiligen Schrift vorfommen, find mir
zur Belebung der Hoffnung die Fräftigften:
Efaias: »Die Mutter kann ihres Säuglings nicht
vergeſſen, und wenn fie feiner vergäße ; fo vers
geffe ich deiner nicht, fpricht der Herr.«
Chriftus: »So fehr hat Gott die Welt geliebt,
daß er feinen Eingebornen dahingab.« |
Paulus: Der feines Eingebornen nicht gefchonet,
foll Era ung mit ihm nicht Alles geſchenkt ha—
ben ?«
Johannes: »Öott ift die Liebe.s
Gebeth.
Heimweh nach der feligen Ewigkeit.) *)
D, du feligfte Mohnftatte in der heiligen
Stadt, die da droben ift! D, du lichtheller
Bag der Ewigkeit, den Feine Nacht verdunkelt!
Die höchfte Wahrheit felbft ift deine Sonne,
ihr Licht deine unvergangliche Heiterkeit. — Du
Tag der Freude, der Sicherheit, du Eenneft
un Mechfel, du bift ewig Ein und derfelbe
a
0 „daß auch mir dieſer Tag ſchon aufge—
gangen ware, daß auch für mich alles Zeitliche
Thon fein Ende genommen hatte! Den Heiligen,
(die bey Sefus daheim find) leuchtet dieſer Tag
ſchon mit ewiger Klarheit. Wir aber, dienod)
auf Erden pilgern, wir fehen ihn nur fo von:
fern, nur wie im Spiegel: einzelne Strahlen
) Nachfolgung Ehrifti III. B. 48. Hauptftüd,
122
brechen von dem Tage der Ewigkeit durch, und
fallen in unfere Nacht herunter.
Nur die Bürger des Himmels wiffen es,
was der Tag der Ewigkeit für ein Freudentag
ſey; wir Pilger der Erde außer dem. Bater:
ande thun es durch unfer Seufzen Fund, wie
bitter und peinlich das Leben auf Erden jey.
Mahrhaftig, Furz und nebeliht, voll Angft
und Schmerz find die Tage dieſer Zeit. Der
Menfch, von Sünden befleckt, von Leidenſchaf—
ten befangen, von Furcht gefeffelt, von Sor—
gen umbhergeworfen, von den Begierden. nad)
Allem , was glanzet, neu erfcheint, und ſonder—
bar klingt, zerftreut, von Irrthümern umla-
gert, von Arbeiten abgemattet, von Berfuchun-
gen niedergedrückt, im Ueberfluſſe von Luft ent-
nervt, und in Dürftigkeit und Mangel von Un- -
luft gefoltert — lebt ein Xeben, das mehr Tod
als Leben ift.
Ach! wann werde ich von dieſem Knechts—
Kan „ von diefem Sündendienfte erlöfet ſeyn?
ann fallen alle diefe Ketten von mir, wann
werde ich die wahre Freyheit von allem Drucke
des Leibes und der Seele genießen Eönnen ?
Mann Eommet er denn einmahl, der wahre Frie-
de, ein Friede von. innen und von außen, der
kom ewig heiter und umwandelbar ift vor
D “ \
„Guter Sefus, wann werde ich dich fehen
können, die Herrlichkeit deines Reiches ſchauen
können?
Wann wirſt du mir Alles in Allem, wann
werde ich bey dir in deinem Reiche ſeyn, das
von Ewigkeit deinen Geliebten zubereitet iſt?
Bis mir dieſes Ferne nahe, bis dieſes Zu—
künftige Gegenwart ſeyn wird, ſende du dei—
123
nen Troſt, in mein Elend herab, mildere
du meine Pilgernoth, ſchenke mir jeden Tag
ein neues Maß deines heiligen Geiftes; damit
fein Licht mir leuchte in der Nacht des Lebens,
damit fein Feuer mein Herz reinige, durchglühe
und erfülle mit Liebe, und mich tüchtig mache,
das ewige Leben in Zuverficht zu ergreifen, tich-
tig, mic) jeßt ſchon in die Chöre der Engel zu
mengen, und dich in ihrer Gefelljchaft zu lo—
ben, zu preifen, und Dich preifend — die Bür-
de des Lebens muthiger zu tragen , bis fie mir
abgenommen, und meine Pilgertrauer in Hei-
mathöfreude verwandelt feyn wird.
XX,
Zwanzigfter Va.
Wurde, Schönheit, Seligkeit eines chriftlichen Ges
müthes, in weldyem das große Drey des heiligen
Paulus: Glaube, Hoffnung, Liebe — Leben und Herr-
fchaft gewonnen hat.
Schriftſtellen.
1. Wi aber, die wir dem Tage (als Kinder des Lichtes)
angehören, find nüchtern, und haben den Panzer des Glau—
bens und der Liſebe angezogen, und die Hoffnung zur
Seligfeit ung als Helm aufgefegt. 1. Theſſ. V. &
2. Darum ergreifet die ganze Rüſtung Gottes ; damit ihr
am böfen Tage widerftehen, und wenn ihr Alles vollendet ha—
bet, noch feſt da ftehen könnet. Stehet alfo, und gürtet die
Wahrheit an eure Lenden, und laffet euch die Gerechtigkeit
als Panzer anlegen, und ziehet Schuhe an eure Füße; da=
mit ihr zur Bothſchaft des Friedens immer vorbereitet feyd.
124
Sn Alfen (Angriffen) nehmer den Ölauben zum Schilde, mit
welchem ihr alle feurigen Pfeile des Böſen auslöfchen Eönner.
Zum Helme machet die Hoffnung des Heiles, und ergreifet
das Wort Gottes, dieß rechte Geiftes- Scywert.. Friede
fey mit den Brüdern, und Liebe mit: Ölauben, von
Gott, dem Vater, und Jeſus Chriftus, dem Herrn. Epheſ.
VI. 13 — 12. 235,
Betrachtung.
Da es viele Menſchen gibt, die Gott ſuchen,
und einige, die ihn von ganzem Herzen ſuchen: ſo
wird es wohl auch unter den vielen, die Gott ſuchen,
einige geben, die ihn gefunden haben.
Wer nun einmahl Gott und in Gott
das Leben alles Lebens,
die Wahrheit aller Wahrheit,
das höchſte Gut,
die hoöchſte Schönheit,
die höchſte Seligkeit
gefunden hat; wer einmahl ſein ganzes Gemüth
an Gott ergeben hat; wer einmahl in Gott le—
ben, vor Gottes Auge wandeln gelernt hat: von
dem Fann man fagen: fein Gemüth iſt in gerader,
ununterbrochener Richtung zu Gott, Denn Gott
ift fein vertrautefter Gedanfe, Gottes Reich fein
ſchönſter Wunfch, Gottes Gefes fein liebftes Augen—
mer, Gottes Friede fein feligftes eben geworden,
Sein Gemüth ift in gerader, fleter Richtung
zu Gott; denn das Auge feiner Vernunft fchauet nur
auf Gott. Gott iſt ihm die hböchfte Wahrheit, .
und alles andere Wahre ift ihm nur ein Strahl aus
diefer ewigen Wahrheitsfonne.
Sein Gemütlth iſt in gerader, fleter Kichtung zu
Gott; denn’ Gott ift der Ruhepunet feiner höch—
fin Wünfche und Erwartungen. Gott ift ihm die
höchfte Liebe, die höchſte Geligfeit, von
125
der er nichts als Seligkeit erwarten kann; jede gufe
Gabe und jede wahre Freude ift ihm nur A usfluß
aus diefem Einen, ewigen Meere der Liebe, aus dies
fer Einen, ewigen Urquelle aller Seligkeit.
Sein Gemüth iſt in gerader, feter Richtung au
Gott; denn fein tiefſtes Sehnen geht nur auf Öott.
Die böchfte Heiligkeit ift ihm die höchfte Schön»
heit, und die höchfte Schönheit ift ihm Gott; nach
Gott firecket fich fein ganzes Wefen aus, nach Vers
einigung mit Öoit durfiet fein ganzes Gemüth,
und jedes Schöne, jedes Gute ift ihın nur ein Ab
bild von diefem Einen, ewigen Urbilde alles Gu—
ten, alles Schunen.
Gein ganzes Gemüth hat alfo nur Eine, und
eine gerade,und eine ununterbrochene Kichtung
zu Gott, und diefe Eine Richtung des ganzen Ge:
müthes zu Gott iſt Glaube, it Hoffnung, ift
Liebe.
Diefe Eine Richtung des ganzen innern Men:
fehen zu Gott if Glaube, in fo fern der Menſch
mit feiner Vernunft nur in Gott, der die hüchfte
Mahrheit iſt, volle Säattigung feines Bedürf-
niffes nach Wahrheit finden kann, und in Gott wirk⸗
lich die höchſte Wahrheit anerkennt, und dieſe höch—
fie Wahrheit in allen Offenbarungen Gottes aner⸗
fennt, verebret, anbethet.
Diefe Eine Richtung des ganzen innern Men:
ſchen it Hoffnung, in fo fern der Menſch mit feis
nem unendlichen Durfte nach Seligkeit nur in Gott,
der lauter Liebe und Geligkeit ift, und nichts als
Seligkeit verheißen, und nichts als Geligkeit in
alle empfangliche Gefäße ausftrömen fann, volle
Sättigung feiner beften Wünfche finden kann, und
in Gott wirklich die höchſte Liebe und Seligkeit an⸗
erkennt, und dieſe höchſte Liebe und Seligkeit in als
len Berheißungen Gottes anerfennt, verehret, anbethet.
1200
Dieſe Eine Kichtung des ganzen innern Mens
ſchen zu Gott ift Liebe, info fern der Menfch mit
feinem unaustilgbaren - Bedürfniffe nah) Schönheit
nur in Gott die höchſte Schünheit finden kann, und
in Gott, der die höchfte Heiligkeit iſt, wirklich die
höchfte Schönheit anerkennt, und diefe höchſte Schön⸗
heit in allen Führungen Gottes anerkennt, verehret,
anbethet,
Diefe Eine Richtung des ganzen innern Men⸗
ſchen zu Gott ift in dem Ehriften die Eine Rich—
tung zu Chriſtus; denn Ehriftus ift dem Ehri-
fien die Füle der göttlichen DOffenbarungen,
die Fülle der göttlichen Berheißungen, die Fülle
der göttlichen Führungen,
Chrift iff, laut der evangelifchen und apoſto—
lifchen Zeugniffe, der, dem die höchſte Wahrheit,
Liebe, Schönheit — Gott in Chriflus offenbar,
anfchaubar, gentießbar, geworden ift. Chrift
ift der, der den Gott feines Herzens in Ehriftus und .
durch, Ehriftus gefunden hat.
Diefe Eine Richtung hatten offenbar die erſten
Jünger Chriſti, nachdem fie der Geift ihres gött—
lichen Freundes erleuchtet, entzündet, zu neuen Mens
ſchen umgefchaffen hatte.
Gott war ihnen in Chriftus als die höchfle
Wahrheit offenbar geworden: daran hing ihr
Ölaube.
Gott war ihnen in Chriſtus als die höchfte Lies
be, als die höchſte Seligkeit öffeuber geworden:
daran hing ihre Zuverſicht.
Gott war ihnen in Chriſtus als die höchſte Hei⸗
ligkeit, als die höchſte Schönheit erſchienen: dar⸗
an hing ihre Liebe.
Ihr Inneres, oder —— ihr Innerſtes war
lauter Glaube, — wirkſam durch Liebe,
ſelig in ——
127
oder: ihr Innerfles war lauter Liebe, aus
gehend vom Glauben , feftftehend in Hoff
nung;
oder: ihre Innerftes war lauter Zuverſicht
in Liebe, durch Glauben;
oder: ihr Innerftes hing glaubend, liebend,
boffend an Öott;
oder: ihr Innerfies fand in Ehriftus Gott,
und in Gott Licht, Liebe, Leben. Licht, an das
es glaubte, Liebe, auf die es traute, Leben,
in dem es liebend ruhete.
Worte mögen wechfeln, die Sache ift Eine und
diefelbe.
Dieß haben die wahren, erleuchteten Chriften
aller Zeit eingefehen, gefühlt, in fih er fah—
ren, ausgefprochen, im Leben dargeftellt,
Statt vieler Zeugniffe fiehe hier nur das Eins
zige:
»Jetzt iſt unſer Erkennen nur Stückwerk;
einſt aber wird unſer Erkennen ſo vollkommen, ſo
beſchaffen ſeyn, wie wir (von Gott) erkannt werden.
Doch auch jetzt ſchon und für immer haben einen
entſcheidenden, bleibenden Werth: Glaube, Hoffnung,
Liebe. Dieß iſt das große, bleibende Drey.« I. Cor.
XIII. ı2. 13.
Dieß bleibende große Drey wird in dem Se:
müthe des Menfchen als ein Ganzes geboren,
als ein Ganzes erzogen, als ein Ganzes forts
gebildet.
Wie in dem Keime eines Gewächfes das gans
je Gewächs liegt, und das ganze Gewächs fich
allmahlig enthüllet: fo das Eine im Mens
ſchen, das drey verfchiedene Seiten hat, und daher
drey verfchiedene Nahmen befommt, — Hoff⸗
nung, Liebe heißt.
Entweder — oder:
128
Entweder hat der innere Menſch ſchon eine
feſte, entſcheidende, ſiegende Richtung zu Gott ge⸗
wonnen, oder noch nicht gewonnen,
Im erften Sale ift das höhere, güttliche Leben
in ihm geboren, das Innere des Menfchen ift glau-
bend, liebend, hoffend — neu lebendig geworden.
Diefes höhere Leben ift offenbar Eines; ob «3
gleich in Hinficht auf die Dffenbarungen der
Wahrheit Glaube, in Hinfiht auf die Mittheis
lungen der emigen Liebe Zuverficht, in Hins
fiht auf die Enthüllung der ewigen Schönheit
Liebe beißt.
Im zwehten Falle, wenn der innere Menſch
noch Feine fefle, entfcheidende , fiegende Richtung
zu Gott gewonnen hat: fo fehlt ihm oſſenbar noch
das höhere Leben , fein Inneres. ift noch nicht neu
lebendig gemorden,
Das Eine höhere Leben, das fich bald als
Glaube, bald als Zuverfiht, bald als Liebe offens
bart, ift ihm noch fremde.
Wo alfo Glaube, Hoffnung, Liebe eine bleie
bende Gemüthsfaffung geworden: da ift Glaube,
Hoffnung, Liebe ein Leben, ein höheres Le
ben, ein göttliches Leben.
Glaube, Hoffnung, Liebe ift ein Leben, et
mas , das fich in ung bewegt, fein todter Begriff von
Gott, Fein bloßer Gedanfe an Gott — ein Leben.
Glaube, Hoffnung, Liebe ift ein höheres Le
ben. Der außerliche Menfch ift mit feinen Gedans
fen, Begierden, Wünfchen bey finnlichen,, angenehs
men, irdifchen Dingen; der innere Menſch, der an
Gott glaubt, auf Ihn traut, Ihm in Liebe anhangt,
ift mit feinen Gedanken, Wünfchen und Strebungen,
bey der höchften Wahrheit, Liebe, Schönheit, lebt
ein höheres Leben,
Glau⸗
129
Glaube, Hoffnung, Liebe, ift ein göttliches
Leben; mie Gott lauter Wahrheit, Liebe, Schönheit
ift: fo wird der Menfch, der an Gott glaubt, auf ihn
traut, ihm in Liebe anhängt, ein Bild der Wahrheit,
Liebe, Schönheit ; fein Leben ift ein göttliches Les
ben, das man göttlich im Nachbilde nennen darf, '
Glaube, Hoffnung, Liebe, it Ein und das—
felbe Leben.
Die Rofe hat nur Ein Leben — das Leben eis
ner ſchönen Blume, ob fie fich gleich durch Glieder
bau, Wohlgeruch und Farbe auszeichnet, Was
den Saft aus der Erde hohlt, was die Blätter ents
bullet, was das Ganze fo ſchön und lieblich macht,
ift Ein und dasfelbe Pflanzenleben.
So ift auch dus, was die höchfte Wahrheit,
Liebe, Schonheit — Gott findet, und das In—
nerfte darnach bildet, Ein höheres Menſchenleben.
Dieß Eine höhere Leben des Menfchen hat denn
auch feine unverfennbaren Merkmahle.
Wo Glaube, Hoffnung, Liebe, als ein höheres
Leben daheim ift: da ift der Menfch eben darum ein
innerlicher, inniger Menſch; ein innerlicher,
weil er innerhalb feiner, ein inniger, weil er
in fich wohnet, Seine Gedanken, Begierden, Wün-
fhe laufen nicht mehr in aller Welt fo blind und wild
umber; er fammelt fih in fich, er halt fih in
fich, er redet gern mit fich felber, und in fi)
mit Öott. Innigkeit ift das Merkzeichen des
Einen höhern Lebens, das Glaube, Liebe, Hoffnung
heißt.
Im Mittelpunete feines Weſens, da ift die hei-
lige Stätte, wo er feinen Öott finden,lieben,
anbethben, genießen kann; da ift das geheimi-
fte Rubeplätzchen, wo der Ölaubende, Hoffen-
de, Liebende am liebften wohnet; da hält er feinen
Sabbath; da ſchlägt ihm die Feyerflunde; da ſchaut
Sailer, d. chriſtl. Monath. 9
150
er die offene Mahrbeit: da glühen feine Vorſätze; da
umfaffet er die Menfchen, feine Brüder , in Öott; da
ift fein Himmel, feine Emigfeit, fein Gott. |
Deßhalb hieß es oben: das Innere, oder bef
fer, das Innerfte des Menfchen ift es, was an Gott
glaubt, auf Gott traut, Gott in Liebe umfaßt. Denn
Gottes Reich Tann nur im Innerften des Mens
fohen, in dem Mittelpuncte feines Weſens, Wurzel
affen.
Pat Wo Glaube, Hoffnung, Liebe daheim ift: da keh⸗
ren die Menfchen zur Einfalt zurück, die ihnen die hüch- -
fie Weisheit und Geligfeit wird.
Zur Einfalt Fehret zurück die Vernunft des
Menfchen — aus dem Labyrinthe unzahliger Meinuns
gen: Gott ift ihm die Wahrheit felber.
Zur Einfalt Fehret zurüd fein ganzes Herz,
fein Wille, fein Durft nad) Seligfeit, Fehrt
zurück — aus dem Öetriebe unzähliger Neigungen, die
ihn zerreißen, aus dem Irrſaale unzähliger Freuden,
die ihn peinigen: Gott iſt ihm die Liebe, die Schön
beit, die Seligkeit felber,
Zur Einfalt kehret zurück auch fein iußeres
Leben: tauſend Abmege, taufend Umwege meidet er:
weil er. auf der Einen geraden Bahn bleibt; taufend
Gefchäfte erfpart er fich, weil er das Seine thut,
weil er nur das Seine thut, weil er da$ Seine ganz
thut,
Zur Einfalt kehret zurück auch ſein Wort: ſein
Ja iſt ja, fein Nein iſt nein; und dieß Ja, dieß Nein
erfpart ihm viele müßige Worte, viele 5* Ge⸗
ſchwätze, unzählige Lügen.
Zur Einfalt kehret zurück mit dem Worte auch
feine Geberde. Ruhig in ſich hat er keine Uns
tube; ffille in fih, hat er feine Vielgeſchäftigkeit;
treu in feinem Tagwerke, hat er Feine Werlorenheit
151
feines Herzens in Dingen, die ihm nichts angehen —
in feinen Geberden zu offenbaren.
Wo Glaube, Hoffnung, Liebe daheim iſt: da hat
das Gemüth des Menfchen feine rechte Würde, Schun:
heit und Oeligfeit gefunden, die es bey allmahligem
Wachsthume immer mehr vervulllommnen, und endlich
vollenden werden. Denn was iſt würdiger, er-
babener, als der Menfchengeift, der fich zum hochs
erhabenen Wefen erhoben hat, und daran fich feft hals
ten kann? Was ift ſchöner als ein Gemüth, das von
dem Lichte des Glaubens erheller, von dem Strah-
fe der Liebe verflaret, und von der feften Hand der
Zuverficht durch das Leben getragen wird?
er ift feliger als der Ehrift, der in Gott, in
Ehriftus, glaubend, hoffend, liebend die Befriedigung
feiner höchſten Bedürfniffe theils fchon gefunden hat,
theils in Ruhe erwarten Fann ?
Wenn nun aber Glaube, Hoffnung, Liebe fo
große Dinge thun; wenn fie im Innern der köſt—
lichſte Schatz (das göftliche Leben felber), und im
Aeußern die ebene, gerade, richtige Bahn des
Menfchen find: wer ſollte nicht Alles: daran geben,
um jenen köſtlichen Schatz, um jene richtige Bahn
zu finden ?
Sm Fühnen Trauen
Und Glauben fängt fie an,
Die ſchmale Ehriftenbahn,
Und geht, nach Gottes Wort,
Sn fliler Liebe fort,
Und endet felig dort
Im hellen Schauen.
BGehbec he
Sa, dir, mein Herr und Gott! dir verdanke ich
es im Jubel meiner Seelel, daß ich die ſchmale
9
132
Chriftenbahn, die hier im kühnen Glanben und
Bertrauen anfängt, die nad der Richtſchnur
deines Mortes in ftiller Liebe fortichreitet,
- amd im hellen Schauen endet, unter unzähligen
Irr-, Um: und Abwegen gefunden habe. Sch ge-
ag habe ? Nein; nicht ich-habe fie gefun—
en, die Schmale Chriſtenbahn; du, Vater und
Fuhrer! du haft die richtig und ficher zum Zwecke
ührende Ehriftenbahn von Ewigkeit für mic) er-
unden, für mich auserfehen; du haft fie für mic)
——— durch Jeſum Chriſtum, deinen Einge—
ornen; du haſt mich durch die mächtigen Antrie—
be deines heiligen Geiſtes auf dieſe Bahn hin—
geſtellt; du haſt mich durch die Ermahnung und
Stärkung deiner heiligen Kirche darauf feſt gehal-
ten; dur haft mich durch Lichtzuflüffe und Tröſtun—
gen aller Urt darauf fortgeführt bis hierher; du
haft mich geleitet, und geleiteft mich noch ferner
an deiner Hand, geleiteft mich fo lange, bis ich
meinen Gang und mein Xeben zugleich vollendet
haben werde; bis ich „ im Anblicke des verklar-
ten Zieles der zurückgelegten Ehriftenbahn, mit
allen Heiligen ausrufen werden
Hallelujah!
Im kühnen Trauen
Und Glauben fing ſie an,
Die ſchmale Chriſtenbahn,
Und ging nach deinem Wort
In ſtiller Liebe fort. J
Nun endet fie, die Glanubensbahn,
Sm hellen Schauen, !
Sm heilen Schauen!
Hallelujah !
Fr — =
153
Zweytes Hauptſtück.
Von Erneuerung der BEN Gefin
nung.
I
Lieber Leſer! nachdem die allerwichtigfte Leh-
re des Ehriftenthums, von der Gründung der
chriftlihen Geſinnung, ſchon zwanzig Tage in
Anfpruch genommen hat, und für die zwey an—
dern Hauptftücke, von. der Erneuerung und
Dffenbarung der riftlihen Gefinnung, nur
noch zehn — eilf Tage ubrig find: jo fand ſich
der Verfaſſer, unfahig die Monathbstage zu
vermehren, genöthiget, die Betra * ngen
zu verlängern,
Laß Dir Ddiefen häuslichen Uebelftand der
Schrift nicht mißfallen. Denn wenn, wie ic)
hoffen darf, deine Ueberzeugung an Feftigkeit,
und deine Entfchließung zum Beffern am Ernfte
gewonnen hat: fo ift der fcheinbare er für
dich und mich reiner Gewinn.
N
134 "
XXI.
Die Befehrung des Sünders zu Gott in ihren Grundgefegen
und in ihren einzelnen Erforderniffen, fo wie die Kleinodien des
Lebens: Glaube, Hoffnung , Liebe, habe ich, ‚geleitet von dem
Lichte der chriftlichen Weisheit, Tennen gelernt.
Glaube, Hoffnung, Liebe, ift allerdings im Innern des
Menſchen das wahre, geiftliche Leben, und die Quelle aller guten
Thaten nad) Außen. Allein dieß wahre, geiftliche Leben bedarf
einer ftetigen Erneuerung, wenn es nicht ſchwach werben, und am
Ende fterben fol. Die Erneuerung des wahren, geiftlichen Lebens
in ung ift alfo fo wichtig für die Erhaltung, als die Bekeh—
zung für die Gründung desfelben,
‚Ein und zwanzigfter ag.
Von Erneuerung der dhriftlihen Geſin—
nung: wa3 chriftliche Geſinnung ſey, und daß
| ihre Erneuerung nothwendig ſey.
Shriftftellem
1. O bgleich unſer äußere Menſch der Zerftörung hingegeben
iſt: ſo wird doch der innere Menſch von Tag zu Tag erneuert.
II. Kor. IV, 16,
6 2. Laſſet euch im Geiſte eures Gemüthes erneuern. Epheſ.
23.
3. Ziehet aus den alten Menfchen- mit feinen Weiſen,
und leget an den neuen Menfchen, der durch Erfenntniß er=
zug iſt nach dem Bilde deffen, der ihn erfchaffen hat. Koloff.
. 9: 10.
4, Wenn ihr nun mit Chriftus auferftanden feyd ; fo fu:
chet was droben ift, wo Ehriftus ift, der zur Nechten Gottes
fißet. Was droben ift, habet im Sinne, nicht was auf Er-
den. Kol. Il. 1, 2. .
5. Unſer Wandel ift im Himmel, woher. wir auch den
‚zum erwarten, unfern Herrn Sefus Chriftus. Philipp.
. 20.
155
6. Brüder! ich bilde mir nicht ein, es ergriffen zu ha⸗
ben; aber Eines thue ich: ich vergeffe, was hinter mir Tiegt,
und free mich nacdy dem aus, was vor mir liegt. Dem
vorgeftecften Ziele eile ic zu, dem Siegespreife der himmliſchen
Berufung Gottes in Chrifto Jeſu. So viel nun unfer voll
Fommen find, laffet uns alfo gefinnet feyn: und wenn ihr an—
beres Sinnes feyd, fo wird euch Gott aud) diefes offenbaren.
Nur in dem, wozu wir ſchon gelanget find, laffet uns gleich—
— und nach derſelben Richtſchnur wandeln. Philipp.
.13 — 10.
7. Sammelt euch keine Schätze auf Erden, wo Roſt und
Motte freſſen, und wo Diebe ausgraben und ſtehlen. Sam—
melt euch Schätze für den Himmel, wo weder Roſt noch Mot⸗
te verzehren, und wo Diebe nicht ausgraben und ſtehlen.
Denn wo dein Schatz iſt, da iſt auch dein Herz. Matth.
VI. 19—21.
8. Er fprady zu ihnen: Ihr feyd von unten her; ich aber
bin von oben herab. Ihr feyd von diefer Welt; ich aber bin
nicht von diefer Welt. Joh. VIII, 23,
Betrachtung.
Wenn die chriſtliche Geſinnung in dem Sünder
nur durch Bekehrung von der Finſterniß zum Lich—
te gegründet, und die gegründete nur durch ihre ſtetige
Erneuerung erhalten werden kann: fo wird es zur
richtigern Einficht nicht unwichtig feyn, die Befchaf:
fenbeit der chriftlichen Gefinnung noch ein Mahl,
und die Nothwendigkeit ihrer Erneuerung fo
flar wie möglich in’s Auge zu faffen.
Gefinnung des Mtenfchen ift (wie es fehon das
Wort: Sinnen, Öefinnung, Öefinntfepn,
andeutet) eine Richtung des innern Ginnes, und weil
der innere Sinn dem Gemüthe inwohnt, eine Richtung
feines Gemüthes auf einen beſtimmten Gegenfland; if
eine Richtung , die nicht blindlings, fondern mit Ber
wußtſeyn und aus Abficht genommen wird; ift eine Kich-
tung, die nicht mit augenblicflichen Handlungen fehwin-
det, fondern beharret.
136
Gefinnung des Menfchen ift alfo die unabfichtliche
und beharrende Richtung feines Gemüthes auf ein wah⸗
res oder feheinbares Gut, das ihn für ſich eingenoms
men. hat. |
Das menfchliche Gemüth Fann eine zweyfache
Richtung nehmen: zu den zeitlichen, vergangs
lichen Dingen hin, zu den Gütern und Freuden
diefer Welt, oder zu den ewigen, göttlichen
Dingen, zu den Gütern und Freuden des Himmels.
Das Gemüth ift, oder wird jedes Mahl, wie feine Kichs
” tung: irdifch in der erfien, bimmlifch in der
zwepten Richtung; daher unterfcheiden wir in uns eine
zweyfache Öefinnung, eine irdifche und eine
überirdifche Geſinnung: die erſtere heißt im
verkürzten Ausdrude irdifcher, die zwmente uber-
irdifcher oder auch himmliſcher Sinn eines
Menfchen.
Der irdifche Sinn iſt die Richtung des menfchlie
chen Gemüthes, und weil das Gemüth allen übrigen
Kräften gebiethet, die Kichtifng des ganzen Menfchen
auf bloß vergangliche Dinge, und fomit zu den eiteln,
nichtigen Gütern diefer Welt hin; eine Richtung, durch
welche der ganze Menfch allmahlig vereitelt, *) und für
Gott und göttliche Dinge, für die einzig wahren Schät-
se des unfterblichen Geiſtes, unempfänglich wird, Der
finnliche Menfh nimmt nicht auf, mas vom Gei-
*) Was Chriftus durch Paulus ausſprach, und durch Auguftinus
und andere geiftreiche Männer in der Kirche wiederhohlt ::
temporalia sint in usu, aeterna in desiderio,, das Zeit:
liche ift uns zum Gebraude, das Ewige zum Seh:
nen und zum Genuffe gegeben; dieß gründet den
Unterfchied zwifchen irdifcher und himmlifcher Gefinnung.
Arbeiten folft du, o Menich! im Zeitlichen, gebraus
hen follft du'das Zeitliche: aber in deinem Gemüthe rege
dich das Heimmehe nad) dem Ewigen, bis es fich dir zum
Genuſſe dargibt, Dann haft du dem Leibe gegeben, was
fein ift, und dem Geifte, was fein ift. Der Zeit das Ihre,
und der Ewigkeit auch.
1357
x
fie Gottes kommt; denn es iſt ihm Thorheit, und er
kann es nicht verſtehen, weil es geiftig gefaßt werden
muß. Nicht nur unempfänglic) für Gott und alle gütts
lichen Dinge ift aber diefer irdifche Sinn, fondern er wird
auch eine reichhaltige und unerfchöpfliche Quelle deg
Bofen in allen Beziehungen und Öeftalten des menfch»
lichen Eebens ; denn er ift das Herz, aus dem böſe Ges
danken, Mordthaten, Ehebrüche, Hurereyen, Diebfiähe
le, falfche Zeugniffe, Lafterungen zc. hervorgehen. Deß⸗
halb muß vor Allem aus diefes Herz gereiniget, und ihm
eine andere Richtung gegeben werden; wenn der Menfch
gut werden und gut bleiben fol.
Diefe andere Richtung , welche ihm gegeben wer»
den fol, ift die Richtung des menfchlichen Gemüthes,
und Kraft des herrfchenden Gemüthes, die Richtung des
ganzen Menfchen zu Gott und göttlichen Dingen hin;
eine Wegmwendung von der Welt und allen ihren Schät-
zen, und eine Hinmwendung zu Gott und allen göttlichen
Dingen. Und gerade diefe Eigenfchaften find es, durch
welche die Öefinnung des Ehriften von der Geſinnung
des Heiden oder des bloßen Weltmenfchen fich unters
fcheidet, durch welche alfo der Charakter des Ehriften
fih Fund gibt, und erft recht bewähret.
»Die Öefinnung der Weltleute und jene der Chris
fien, fpricht Makarius, ift in fich gar fehr verfchieden :
den Erftern flößt der Geift des Frrthums — Luft und
Geſchmack am Jrdifchen ein; in den Zweyten aber lebt
ein ganz anderer Geiſt, ein ganz anderer Sinn, eine
ganz andere Neigung: fie leben in einer andern Welt,
in einer andern Heimath; ihr Gemüth flieht im Bun⸗
‚de mit Gottes Geift, und der Feind ift unter ihren
Füßen.«
Die chriſtliche Geſinnung iſt das fortwährende Les
ben, und die wahrhafte Offenbarung des Glaubens,
welcher Gott in Ehriftus auffaffet; der Hoffnung,
welche Gott in Ehriftus feft halt, und auf ihn in allen
138
Stürmen des Lebens vertraut; der Liebe, welche Gott
in Chriſtus anhangt, und in ihm volle Befeligung fin»
det. In der chriftlichen Gefinnung leuchtet demnach, das
Licht des lebendigen Glaubens , ermweifet ſich die Kraft
der. zuverfichtlichen Hoffnung, und wird wahrnehmbar
das Feuer der göttlichen Liebe. In der chriftlichen Ges
finnung ift die Einfult in der Abfiht, und die Eauters
keit in der Liebe, durch welche der Mtenfch, mie auf
zwey Flügeln, über das Irdifche emporgehoben wird;
die Einfalt, welche nur das Eine fuchet, und daher
nur nach Gott hinzielet; die Lauterfeit, welche Gott
nur Gottes wegen fuchet, alfo nur Gott finden, nur
Gott genießen will,
Allein, die Einfalt und die Lauterfeit de Gemü⸗
thes verfchwindet gar bald, wo dasfelbe nicht genau bes
wachet, forgfaltig gepfleget, und in der Richtung zu
Gott und göttlichen Dingen immer wieder befeſtiget
wird. »Mein Sohn! fagt der gottfelige Thomas von
Kempen, in diefem Leben bift du nie vor Angriff ficher.
So lange du lebeft, haft du der Wehr und Waffen nüs
thig, womit fich der Geift gegen die Sunde ſchützen und
wehren kann. Du mwohneft unter Feinden, und links
und rechts ſtürmen Werfuchungen auf dich los. Wenn
du alfo dein Herz nicht fo geftellt haft, daß es feft ruhet
in Gott allein ; wenn dein Wille nicht bereit ift, alles
Widrige um Gottes Willen zu erdulden: fo wirft du die
Hitze des Kampfes nicht aushalten, und die Siegespals
me der Geligen nie erreichen.«
Wir dürfen alfo, fo gut und rein unfere Öefin-
nung immer feyn mag, ihr ohne flete Erneuerung und
Wiederbelebung ihres Geiftes Feinen Beftand zutrauen;
denn unftet ifk des Menfchen Herz, und der Veranders
lichfeit unterworfen; auch der befte Menfch wird ficher«
lih ein anderer, fält in ein fremdes Element,
wofern er fich nicht felbft beherrfcht, und fein Sinnen
und Trachten flet$ auf den Herrn hinwendet. Darum
139
fagt fo wahr und der ernfihaften Beherzigung würdig
der fo eben genannte Verfaffer der Nachfolge Chriſti:
»Mein Sohn! traue deinem eigenen Herzen nicht; denn
jest ift es fo, und gleich darauf wieder anders. Go
lange du lebeſt, wirft du, auch gegen deinen Willen,
der Veränderlichkeit unterworfen feyn; bald freudig,
bald traurig, bald ſtille, bald ſtürmiſch; jet voll Ans
dacht, und gleich darauf dürr und froden, wie eine
Sandwüfte; jest fleißig, dann träge; dießmahl voll
Ernft, ein andermahl leichtfinnig-und ausgelaſſen. Wer
aber im Geifte wohl geubt iſt, und die rechte Weiss
heit befiset, der hat bey all’ diefer Weranderlichkeit feis
nes Herzens einen unveränderlichen Standpunct, heftet
feinen Blick nicht auf die Empfindung , welche Fommt
und geht, oder auf die mancherley Seiten, von denen
der Wind bold fo, bald anders herweht, fondern richs
tet alle feine Gedanfen und Abfichten zu dem Einen
wahren und beften Zielpunct hin«
Die Fefthaltung diefes unveranderlichen Standpuncs
tes im Sande der Veranderlichkeit, und die flete Hinwen-
dung aller Gedanfen und Abfichten auf den Einen
wahren Zielpunct, iſt die öftere Erneuerung des
Vorſatzes, die abfichtliche Sammlung des Gemüthes von
allen Zerftreuungen, und die Hinhaltung desfelben zur
Einen Quelle alles Wahren und Guten zu Gott. Ohne
eine folche, oft wiederkehrende, allmahlig der Stetigkeit
fich nähernde Erneuerung des Vorfaßes würden wir Gott
bald aus Sinn und Andenken verlieren, und die chrifts
liche: Gefinnung unvermerft bald wieder in eine bloß
weltliche und fleifchliche fi) ummandeln. Denn der
ganze Kampf des Feindes gegen uns, fchreibt Dderfelbe
geiftreiche Makarius, ift dahin gerichtet, daß unfer Ges
müth vom Andenfen und der Liebe Gottes abgezogen
werden möge; und um Diefes leichter und gemiffer zu
‚ bewirken, unterfchiebt er unfern Sinnen irdifche Lüfte
und Reize, und wendet ale Mühe daran, unfere Weis
140
gungen und unfer Herz von dem einzigen und wahren
und ‚höchften Gute auf andere, bloß eingebildete, nicht
wahrhaft beftehende Güter hinzulenfen. "Alle guten Wer:
ke des Menfchen fücht der Verworfene zu befleden und
zu verderben, und fein ganzes boshaftes Beftreben geht
dahin aus, überall, wo er treue Beobachtung des Ge⸗
fees bemerkt, dieß lautere Streben durch geheime Auf-
regung des Triebes nach eitler Ehre, oder kühnen Selbſt⸗
vertrauens zu bemafeln; damit, das äußere gute Werk
von Innen verdorben werde, zumahl es nimmer einzig
um Gottes Willen, aus reiner Abficht gefchieht.«
»So lange, wir-den innern Menfchen nicht gang
gereiniget haben, können wir nie fagen: Wir find heis
lig und vollfommen ,. und flehen feft auf dem Wege
der Tugend und der Öottfeligkeit. Denn nicht. jede
Enthaltung vom Böſen ift fihon eine volle Entledis
gung und Reinigung; fondern dazu wird erfordert,
daß die innerften, und verborgenften Winkel unſerer
Seele und unferes Gewiſſens mit allem Fleiße von
jeglicher Beflefung gereiniget werden. Kehre alfo ein,
wer du immer bift, in die tiefen und weiten Abgrune
de, wo deine Gedanken hin und ber fchweifen ; kehre
ein in dein von der Sünde umfangenes und gefeffeltes
Herz, und fchaue in dem Innerften deiner Seele, und
in den verborgenften Winkeln deines Herzens, unter
einem Haufen wild auffteigender Gedanken, die herums
fehleichende Schlange, welche alle deine Seelenkräfte
vergiftet, und fo allmahlig dir den Tod bringt. Erſt,
nachdem du. fie, die nie ruhende Vergifterinn, vollends
ertüdtet haben wirft, magft du dich deiner Reinheit vor
Gott freuen. Bevor aber diefes gefchehen iſt, wirf
dich nieder vor Gott im Gefühle der innigften Der
muth, und bitte als Sünder um Önade, um Ber
gebung, um Keinigung, und um. fernere Kein:
bewahrung.« Injdı?
141
Bikei:pse:tih
Herr! reinige mich von den verborgenen Sün—
den. Laß das Licht des Blaubens immer heller
und heller in mir leuchten; Damit ich die tieffte
und verborgenfte Wurzel des Böen erblicken
lerne; vermehre die. Kraft der Hoffnung, damit
id) mit ihr die reizendften Lockungen der Sünde
zu überwaltigen vermoge; entzinde immer mehr
das heilige Feuer der Liebe, Damit mein Gemüth
von jeder Makel irdifcher Abfichten und Neigun—
gen gereiniget, ſtets inniger mit dir vereiniget
und Deines Geiftes und Lebens, deiner Lauter:
keit und Herrlichkeit immer mehr und mehr theil-
haftig werde. Amen.
XXI.
Worin die Gefinnung des Chriften von der des Weltmen⸗
ſchen ſich unterfcheide ; daß fie, um als chriftliche Gefinnung in der
Welt zu beftehen, einer fteten Erneuerung bebürfe ; und daß diefe
Erneuerung der guten Gefinnung ohne die wiederhohlte Erwedung
des Entfchluffes, von der Welt fich weg, und zu Gott hinzumen-
den, ohne öftere Erweckung des guten Vorfages , nit Sinn und
Beftand Habe; und daß ohne fie Fein Guter im Guten beharren
möge, haben wir gefehen. Es entfteht nun die Frage: wie die
&riftliche Gefinnung erneuert werden Eönne.
142
Zwey und zwanzigfter Tag.
Bon der echten Weife, die chriffliche Gefinnung zu
erneuern,
Schriftftellen.
1 D, Menſch Tebt nicht allein vom Brote, fondern von
Bi das aus dem Munde Gottes kommt. Meatth.
V. .
2. Sefus fagte zu ihm (dem Verfucher): Weiche von
mir Satan! Es fteht gefchrieben: Den Herrn, deinen Gott,
fouft du anbethen, und ihm allein dienen. Matth. IV. 10.
3. Wachet und bethet, daß ihr. nicht in Verſuchung fal—
let. Der Geift ift zwar willig, das Fleiſch aber ift fchwach.
Matth. XXVI. 41.
4. Wachet alfo und bethet ohne Unterlaß; damit ihr wür—
dig geachtet werdet, zu entfliehen allen dem, was da Fommen
wird, und zu beftehen vor dem Sohne des Menfchen. Luk,
XXI. 30. u
5. E3 fommt die Zeit, und fie ift [yon da, wo die wah—
ren Anbether Gott im Geifte und in der Wahrheit anbethen
werden; denn der Vater fuchet folcye, die ihn alfo anbethen.
Gott ift ein Geift; die ihn anbethen, müffen ihn im Geifte
und in der Wahrheit anbethen. Joh. IV. 23. 24.
6. Ihr möget nun effen, oder trinken, oder fonft etwas
tbun: fo thut Alles zur Ehre Gottes. I. Kor. X. 31.
7. Alles ift gut, was Gott gefchaffen hat, und nichts
verwerflic), was mit Dankſagung genoffen wird; denn es wird
geheiliget durch das Wort Gottes, und durdy dag Geberh. I.
Zim. IV. 4. 5, |
8. Alle verharrten einmüthig im Gebethe, fammt den
Meibern und Maria, der Mutter Jeſu, und fammt feinen
Brüdern, Apoftelg. I. 14. |
9. Zäglicy verharrten fie einmüthig im Tempel, ‚brachen
das Brot in den Häufern hin und ber, und genoffen die Spei—
fe mit Fröhlichkeit und Einfalt des Herzens. Apoftelg. II, 46.
10. Und indem fie fo betheten, — wurden Alle mit bem
heiligen Geiſte erfüllet, und verkündigten das Wort Gottes mit
Srepmütbigkeit, Apoftelg. IV. 31.
143
Betrachtung.
Die chriſtliche Geſinnung beſteht in beharrender
Wegwendung des Gemüthes von den eitlen und nichti—
gen Dingen, und in beharrender Hinwendung des Ges
müthes zu Gott und Öottes Dffenbarungen; befteht alfo
erfiens: in der Anfaffung, Feſthaltung und
Liebgeminnung Öottes und güftlicher Dinge; zwey⸗
tens: in der Offenbarung des angefaßten, feftgehaltes
nen und liebgewonnenen göttlichen Lebens.
Die chriftliche Sefinnung erneuern heißt alfo
nicht3 anders, und kann nichts anders ſeyn als: bes
leben und bethätigen die Anfaffung, die Feſthal—
tung und die Liebgewinnung Gottes und gottlicher
Dinge.
Das Anfaffen Gottes und göftlicher Dinge
belebet und bethätiget fich durh Anhborung des
göttlihen Wortes, und durch Lefung der
heiligen Schriften.
Das Fefthalten Gottes und göftlicher Dinge
belebet: und bethätiget fih durch fiegreihen
Kampf wideralleslingöttliche, und durch
ernfte Befeftigung der hriftlihen Hoff
nung.
Das Liebgemwinnen Gottes und goftlicher
Dinge belchet und bethätiget fich durch öftere Er wä—
gung der unausforfchlichen Liebe, mit der und Gott
zuvor geliebet hat; eine Erwägung, die feine andere
Abficht hat, als durch Wahrnehmung der göttlichen
Liebe Öegenliebe zu erwecken, und fo das Gemüth hins
zuziehen zu Gott, der höchſten Schönheit und Liebenss
würdigfeit, zur Urquelle wie alles Wahren und Guten,
fo auch alles Schönen und Liebenswürdigen in der Nas
tur und im ganzen AM” der Dinge.
Das Lefen der heiligen Schriften wird aber den
chriftlichen Glauben nur dann "beleben: wenn dasfelbe
144
in dem Geifte gefchieht, in welchem fie find verfafiet
worden; wenn Liebe zur reinen Wahrheit uns zum Le⸗
fen in diefen Schriften treibt, und wenn unfere Auf»
merkſamkeit auf daS Heilfame der Lehre, nicht auf die
Art des Ausdruckes gerichtet if. Mit Demuth, Eine
falt und Treue wollen die heiligen Schriften geles
fen werden; mit Demuth, damit der menfchliche
Berfiand, fern die göttliche Wahrheit zu meiſtern,
derfelben Wahrheit ſich unterwerfe; mit Einfalt,
damit nichts in die heiligen Lehren hineingelegt, fonz
dern fie aufgefaßt und zu Gemüthe geführet werden, wie
fie find; mit Treue, damit gewiffenhaft befolget wers
den ihre heilfamen Ermahnungen. Die Worte bey Gi»
rachsfohn VII. 9.: Verachte nicht, was die
Weifen reden, fondern richte dich nach ihr
ren Sprüchen. Halte dich nicht für Flüs
ger als die Alten, — follen uns bey. der Betrach-
tung der heiligen Schriften leiten; und Die Probe,
daß mir recht gelefen und recht betrachtet haben, wird
die feyn,daß wir unsam Ende mit David auszurufen ges
trieben fühlen: Lobet den Herrn alle Heiden, '
preifet ibn alle Volker; denn feine Er
barmungen haben fich neu beftätiget über
uns, und die Wahrheit des Herrn bleibt
ewig! Pfalm. CXVI. Jedes göttliche Wort, welches
wir hören, lefen vder betrachten, ift doch nur einer der
Lichtfirahlen aus der ewigen Sonne unfterblicher See-
len, welche die Augen des Geiftes erleuchten, und für
die Anfchauung Gottes und göftlicher Dinge tüchtiger
machen follen.
Der anhaltende, muthvolle Kampf gegen Die
außern und innern Feinde des Guten belebet die chrift-
liche Gefinnung , die Feinen andern Beruf und Fein
anderes Tagewerk hat, als das Keich der Sünde zu
zerflören, und das Reich Gottes zu gründen, die Uns
ordnung aufzuheben, und die Ordnung Öottes im *
en
145
ſchen herzuftelfen. Diefer Kampf iff gegen die Macht
der Hölle, und mit ihr gegen alle ‚übrigen | Feinde deg
Guten gerichtet; wo aber diefe zuruckgedrängt werden,
da findet der Himmel Kaum, und breitet ſich im innern
und äußern Leben des Menfchen aus. Darum fols
len wir ſtets umgurten die Lenden unfes
res Gemüthes, ftet$ nüchtern fepn, und
unfere Hoffnung auf die Önade fetzen,
die uns angebothen wird auf den Tag der
Offenbarung Jefu Ehrifti; als gehorfa
me Kinder follen wir nicht mehr den Lü—
ften dienen, welchen wir in unferer frü—
bern Unmiffenheit ergeben waren, fon
dern heilig in unferm ganzen Wandel
werden, wie er heilig iſt; zumahl, ge
fhrieben ſteht: Ihr follt Heilig ſeyn,
denn ich bin heilig. I. Pet. I. 13 — ı6.
Die Liebgemwinnung Gottes und göttlicher Dinge
erhalt neues Leben durch vertrautern Umgang mit
Gott; indem wir unfer Gemüth zu Gott erheben, und
vor Sort reden laffen, fo wie Gottes Sprache in uns
ferm Innerften vernehmen. Durch den Kampf gegen
die fündhaften Neigungen wird das Herz im Guten be:
feftiget; durch das Lefen und Betrachten der heiligen
Schriften und anderer geiftreichen Bücher werden die
Keifer berbeggefchafft zur Unterhaltung des heiligen
Feuers, das durch glaubenvolles Gebeth immer wieder
angefacht werden foll , und bey frommen Chriften
wirklich angefacht wird.
Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe des
Chriften, welche die mefentlichen Beftandtheile aller
chriftlichen Geſinnung und fie felber find, beftehen nicht
ohne Innigkeit, (ohne ſtete Sammlung des Gemüthes
aus den mannigfaltigen Zerfireuungen) und ohne forts
währende Andacht, (ohne immer erneuerten Aufſchwung
des Gemüthes zu Gott). Beyde, Innigkeit und Ans
Sailer, d. chriſtl. Monath. 10
146
dacht, find zwey nothwendige Eigenfchaften des Ge-
beths, und das Gebeth ift die Seele der wahren
Gottfeligkeit, folglich das wirkſamſte Mittel zur Er:
neuerung der chriftlichen Gefinnung, ja felbfi Die
chriffliche Geſtnnung in ihrer lebhafteflen und anmus
thigften Erfcheinung.
Wie wir aber durch Innigkeit und Andacht die
chriftliche Oefinnung täglich erwecen und beleben,
und durch öftere Uebungen der Gottſeligkeit in der
Bereinigung mit Gott in Chriſtus, oder im Beſitze
und Genuffe des ewigen Lebens, befefliget werden
können und ſollen: wollen wir nach, der Anleitung ei>
nes Mannes, der als Kenner des chrichlichen Sinnes
und Wandels allgemein anerkannt ift, ermagen. Denn,
wenn wir über die Wiffenfchaft die Gelehrten, uber
die Kunft die Kunfkler, über die Amtsklugheit die Ge—
fchaftsmänner am liebften fprechen hören: warum foll»
ten wir nicht, wenn von Uebungen in der Öottfeligkeit
die Rede ift, folche vernehmen, welche fich als die
verfrauteften Freunde derfelben bewahrt haben ? Laßt
und demnach aus dem angeführten Grunde, zum
Schluffe der heutigen Betrachtung, ung recht ernftlich
zu Gemüthe führen, was das neunzehnte Hauptflud
des erften Buches von der Nachfolgung Chrifti enthalt.
Von den Uebungen der Gottſeligkeit.
1. »Das Leben des Gottſeligen muß mit allen
Tugenden geziert fepyn, damit. er im Innern genau
das fey, was er im Aeußern zu feyn fcheint. Und
nicht nur das: es fol in feinem Innern noch weit
mehr Gutes ſeyn, als im Aeußern erfcheinet.
Denn der uns in das Innere ſchauet, ift Gott,
zu dem wir überall in tieffter Ehrfurcht auffchauen,, vor
deffen Angeficht wir überall rein, wie die Engel,
wandeln follen. Jeden Tag follen wir unfere erfte
Entfchließung erneuern, und uns zu neuem Eis
147
fer erwecken laffen, als wenn wir erft heute uns zu
Gott befehret hatten; jeden Tag follen wir zu Ihm
rufen: Steh du, lieber Herr und Gott, ſteh du mir
bey — in meinem Vorhaben, und in deinem heiligen
Dienfte! Stärke dumich, daß ich heute einmahl
recht anfange; denn Alles, was ich bisher gethan
habe, ift nichts. |
2. Wie unfer Vorſatz, fo ift der Lauf unfrer
Befferung. And, wer immer noch beffer werden will,
darf nie trage — muß immer fehr fleißig feyn. Wenn
nun aber der, welcher einen flarfen Vorſatz gefaffet
hat, doch wieder im Guten ſchwach wird: was muß
aus dem werden, Der fich felten, oder nur fo halb
und halb, (noch ſchwankend zwifhen Wollen und
Kichtwollen) etwas Gutes vorfeßet? Es gefchieht ine
deffen auf mancherley Weiſe, daß wir unſerm Vorſatz
untreu werden, und felten können wir auch nur eine
geringe Uebung im Guten unterlaffen, ohne uns felbft
Schaden zu thun. Die Öerechten wollen übrigens in
ihren Vorſätzen lieber unter dem Kegimente der Gna=
de, als unter dem Einfluffe ihrer eigenen Weisheit
fiehen. Gott allein ift es auch, auf den fie ſtets vers
trauen in Allem, was fie unternehmen. Denn, der
Menſch denfrs, aber Gottlenkt's. (Law
fen wollen mag der Menfch;) aher das Laufen
ſelbſt — fleht nicht immer in feiner Gewalt.
3. Wenn du deine Andachtsubung hier und da
aus goftfeligen Abfichten, oder um deinen Brüdern
nüglich zu ſeyn, unterlaffeft: fo Fannft du den Faden,
den du abgebrochen haft , leicht wieder anfuupfen.
Aber, wenn du aus lleberdruß oder aus Nachläffigkeit
von deinen Uebungen abgeheft: fo ift es ſchon fehr ges
fehlt, und du wirft es bald empfinden müffen, daß
e3 dir auch gefchadet habe. Wir dürfen wohl nach all
unfern Vermögen vorwärts trachtene mir werden
doch oft genug, bey geringen Anftößen, 3 urück bleis
10
4
148
ben. (Unſere Vorſätze ſollen aber nie ins Allgemeine
laufen, ſondern) fie müffen immer auf etwas Be:
ftimmtes gerichtet ſeyn, und vor Allem gegen das,
was fich al$ das mächtigfte Hinderniß uns in den
eg gelegt bat. Unſer Inneres und Aeußeres follen
wir firenge dDurchforfchen und gewiffenhaft 0 rd»
nen; denn das innere und das Aeußere — wenn es
genau erforfchet und geordnet iſt, hilft ung auf dem
Wege zum Guten weiter fort.
4. Wenn du dich nicht:immer in dir fammeln
(oder vielmehr dich nicht immer in dir fefthalten) kannſt:
fo fammle dich doch hier und da, (je vfter , je beffer,)
wenigftens einmahl im Tage, am frühen Morgen,
oder am Abende. Am Morgen erwecde dich zu einem
guten Vorſatze; am Abende durchforfche deinen Wandel,
wie den Tag über deine Gedanken, deine Worte, deis
ne Handlungen befchaffen geweſen ſeyn; denn vielleicht
haft du darin öfter wider Gott und wider deinen Nach»
ften gefündiget. Rüſte dich, mie ein Kriegsmann, ges
gen die tücifchen Angriffe des Teufels. Beſiege den
unbezahmten Geluft nach Speife und Trank, und du
wirft dir dadurch den Sieg über die Luft des Fleifches
ſchon gar fehr erleichtert haben. Sey nie ganz müßig;
fondern lies, oder fchreib , oder bethe , oder betrachte,
oder arbeite etwas zum Nußen der Gemeine. Doch
bey leiblichen Uebungen‘ mußt du befonders vorfich-
tig zu Werke gehen; es find nicht alle foLche Uebuns
gen allen Menfchen im gleichen Maße anzu—
rathen.
5. Was nicht gemeinfame lebung iſt, das
fielle Andern nicht zur Schau aus; denn, was eine bes
fondere Uebung und für dich allein ift, das will,
deiner. eigenen Gicherheit wegen, im Stillen geübet
(geheim gehalten) ſeyn. Du mußt aber defhalb nicht
träge zu gemeinfamen und vorfchnell zu beſon⸗
dern Uebungen werden, Erfi, wann du die Pflichten,
149
melche du mit Andern gemein haft, genau und freu
erfullet ba dann gehörft du ganz dein, und magft,
wenn noch Zeit vorrathig iſt, dich dem Triebe deiner
befondern Andacht überlaffen. Es taugt nicht jede Uebung
für ale Menfchen, und nicht alle Menſchen für einellebung.
Diefe iſt jenem, jene diefem — angemeffen. Auch find,
nach Unterfchied der Zeit, einige Uebungen anziehender
für uns, al$ andere; einige an Fefltagen, andere an
gemeinen Tagen ſchmackhafter. Anderer Uebun—
gen bedürfen wir in den Stunden der Verfuchung, ans
derer in den Tagen des Friedens und der Kuhe. Andere
Gedanken find uns wilfommen, wenn uns ein Hers
zeleid die Flügel bindet; andere, wenn wir in $reus
de vor dem Herrn fanft "dahinfchweben,
6. An den vornehmften Fefltagen des Jahres ſol⸗
len unſere guten Uebungen neues Leben gewinnen, und
die Fürbitten der Heiligen mit mehr Inbrunſt anges
flehet werden. Unfere guten Entfchließungen follten ims
mer fo, von einem Fefte zum andern hin, gefaßt wers
den, gerade als wenn wir das nächſte Feft nicht mehr
auf Erden, fondern in dem Himmel begehen, und das
felbft fchon den ewigen Feſttag (mit allen Freun-
den Gottes) mitfegern würden. Eben deßwegen follten
wir uns auf die Tage der öffentlichen Andacht ſor g—
fam vorbereiten; follten fie mit mehr Andacht zus
bringen; follten alles Gute, das uns obliegt, weit ges
nauer in Ausübung bringen — alö an andern Zagen;
indem es ung zu Gemüthe feyn füllte, daß wir in Kurs
zem den Lohn für unfer Tagwerk von dem Herrn ems
pfangen werden.
7. Und, menn der Herr den Zahltag für uns
weiter Dinausfchiebt , fo dürfen wir nur Denken: wir
wären zum Feſte noch nicht hbinlanglich
gefhmückt gewefen, noch nicht würdig, an der
großen Herrlichkeit Theil zu nehmen, welche zur ber
flimmten Zeit fid) an uns offenbaren wird; wir müß—⸗
fen uns alfo zum Heimgange noch beffer vorbereiten.
—
150
O, ſelig, ſagt der frohe Bothſchafter Lukas, ſelig der
Knecht, den der Herr bey ſeiner Ankunft wird wachend
finden! Ich ſage: er wird ihn mit Vollmacht über
alle feine Güter ſetzen.«
Gebeth.
Ja „ du unſer Herr und Gott! du ſtehe uns
bey in Bollbringung des großen Tagewerkes,
das du uns mit unferm Daſeyn auferlegt haft.
Belebe du täglich in uns, durch Einwirkung dei-
nes heiligen Geiftes, das Leben des Glaubens,
der Hoffuung und der Liebe, und verleihe uns,
daß hierdurch unfere hriftliche Geſinnung nicht nur
nie ſchwächer, fondern immer mit frifcher Kraft
ausgerüftet werde; laß uns täglich im Sinne des
Apoſtels, Phil. IT. 13. mit Herz und Mund fpre-
en: »Wir vergeffen , was hinter uns ift, und
ftrecken nach dem uns aus, was vor uns liegt.
Dem vorgejteckten Ziele eilen wir zu, dem Sie—
gespreife der himmlifhen Berufung Gottes in
Ehrifto Jeſu. Diefem Ziele führe uns du entge-
‚gen, und täglich naher, bis wir es erreicht ha—
ben werden.« Amen.
XXI,
Wenn dem Chriften jeder Tag — ein Tag des Herrn
iſt, an dem fich feine Andacht neu belebet, und die Lobpreifung
Gottes mit erneuerter Kraft ihm aus Herz und Lippen ftrömet:
fo wird ganz befonders der Sonntag, der Tag des Herrn, ihm
ein Tag bes Herren feyn, zur Unbethung geweiht
151
unddurh Belebung hriftliher Gefinnungen ges
feyertwerden follen.
\
. Dreyundzwanzigfter Tag.
Bon Erneuerung der chriftlichen Gefinnung durch die
Geyer des Sonntags.
Shriftftellem
T; Senke ‚ den Sabbath zu heiligen. Sechs Tage follft
du arbeiten und thun, was du zu thun haft. Der fiebente Tag
ift der Sabbath des Heren, deined Gottes; an diefem Tage
fol nidyt arbeiten weder du, noch dein Sohn, noch deine Toch—
ter, noch dein Knecht, nod) deine Magd; noch dein Vieh,
noch der Fremdling, welcher in deiner Stadt wohnet, Denn
in ſechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde, dad Meer
und- Alles, was darin ift, gefchaffen; am fiebenten Tage hat
er geruhet: deßhalb hat der Herr den Sabbath gefegnet und
ihn geheiliget. II. Moyſ. XX. 8— 11.
2. Shr faftet um zu zanken, um zu vaufen und euch
ruchloß mit Zäuften zu fchlagen? Faftet lieber nicht, wie ihr
es bis auf den heutigen Tag thatet, fo daß man euer Gefchrey
bis in die Höhe höret! Sft das die Faſte, die idy mir wählte ?
da3 ein Tag, an dem ein Menfd) feine Seele demüthiget?
Iſt's damit gethan, daß er wie Binfen ſich krümmet, in einen
Sad Eriecht, und ſich mit Afche voll ftreuet ? Das wollet ihr
eine Faſte, das einen dem Herrn wohlgefälligen Zag heißen ?
Sft die Faſte, die ich mir gewählet habe, nicht vielmehr die,
daß ihr eud) die Feffeln der Gottlofigkeit ablöfet , die fchweren
Laften abftellet, den Bedrückten freylaffet, und jedes Zoch zer:
trümmert? Iſt's nicht die, daß du mit dem Hungrigen dein
Brot theilen, daß du den verftoßenen Armen in dein Haus
aufnehmen, wenn du Einen nadend fiehft, ıhm Eleiden, und
dich deinem eigenen Fleiſche (deinem Bruder) nicht entziehen
ſollſt? Dann wird dein Licht gleicd) dem Morgen hervorbrechen ;
dann wird dein Heil fcyleunig grünen; dann wird deine Ge:
vechtigfeit vor dir hergeben, und die DerrlichEeit der Herrn dich
aufnehmen. Dann wird auf dein Rufen der Herr dich erhö—
ren, dann wird auf dein Schreyen er fagen: Hier bin ich!
Wenn du aus deiner Mitte das Zoch, das Fingerzeigen, das
152
fehnöde Geplauder abgefchafft; wenn du dem Hungrigen bein
Herz geöffnet, und die fchmachtende Seele gelabet haben wirft:
ja, dann wird im Dunkel dein Licht aufgehen ; dann wird dei:
ne Mitternacht zum Mittage werden ; dann wird der Herr,
dein Gott, did) immerfort leiten, wird in der Dürre deine
©eele fättigen, wird deine Gebeine ftärfen, und du wirft ei-
nem gewäfferten Garten, einer Quelle gleichen, deren Waffer
nie verfieget. Da wird durd) did) angebauet werden, was
lange wüfte gelegen; du wirft die Grundfefte vieler Geſchlechter
aufführen; du wirft heißen der Ausbefferer der Riſſe, der Wie:
derherfteller der Wege, daß man da wohnen kann. Wenn du
am Sabbathe deinen, Gang ändereft, und an diefem mir heiligen
Zage nicht thueft, was deine Luft ift, fondern fagft: Der
Sabbath ift die Wonne des Herrn, ift ihm heilig, ift ehrwür—
dig; wenn du ihn denn fo ehreft, daß du an demfelben nicht
deinen Wegen nachwandelſt, nicht deine Luft befriedigeft und
nicht mehr deine Reden führeft: dann wirft du im Herrn dic)
freuen , und ich will dich über alle Höhen der Erde erheben und
didy mit dem Erbgute deines Vaters Jacob ſpeiſen. Sieh!
das er der Mund ded Herrn geredet, Jeſaias LVIII.
4 — 14.
3. Ich, der Herr, bin euer Gott: haltet euch) an meine
Verordnungen und befolget fie. Heiliget meine Gabbathe;
fie folen ein Zeichen der Vereinigung zwifchen mir und eudy
feyn; dadurch follet ihr zu erkennen geben, daß ic) der Herr
euer Gott fey. Ezech. XX. 19. 20.
4. Ölaubet doc) nicht, ich fen gefommen, das Geſetz
oder die Propheten aufzuheben. Nicht, um fie aufzuheben,
bin ich gefommen , fondern um fie zu erfüllen. Matth.
V. 17.
5. Der Sohn des Menſchen iſt auch des Sabbaths Herr.
Eur. van 5: '
6. Der Geift iſt's, der Iebendig macht: das Fleifch nußt
nichts. Joh. VI. 64.
Betradhtung.
Wenn die chriffliche Geſtnnung erneuert und
ſtets mehr befeftiget werden fol: fo muß, wie wir fchon
Plar genug erkannt haben, das menfchliche Gemüth
vorerft von Allem , was gewöhnlich zur Zerftreuung bey»
155
trägt, und den irdifchen Sinn in Anfpruch nimmt, zus
rücfgerufen und befreyet, und dann du Gott und gütts
lichen Dingen bingewendet, und mit ihnen befreundet
werden. Beydes will und fol die Feyer des Sonnta—⸗
ges bewirken, und deßhalb ift e3 diefer Tag, an dem
die chriftliche Gefinnung vorzüglich belebet werden fol;
denn dazu ift er eingefeßt, daß durch feine Feher der
Glaube, die Hoffnung und die Liebe des Ehriften neu
aufgefrifcht, und die Empfanglichfeit für Gott und
göttliche Dinge ſtets erhöhet und erweitert werde.
Bey der wirklichen Sonntagsfeyer (dasfelbe gilt
von jedem andern Feyertage) find nun zwey Dinge
wohl zu unterfcheiden und zu beberzigen :
Erftens: das Ruhen von Enechtlicher Arbeit und
jeglicher Anftrengung , die bloß auf die Zwede des ir-
difchen Lebens Bezug hat; "
Zweytens: die Befchaftigung des Geiſtes
mit Gott und göttlichen Dingen, die Theilnahme an
den feyerlichen Handlungen des innern und aus
Gern Gottesdienftes, welche die eigentlichen
Gefchäfte des Sonntages find. Das Erflere, Das
Ausruhen von Fnechtlicher Arbeit, fol zur Samms
lung des Gemüthes begtragen, und ift eine Bedingung,
ohne welche der Menfch nie recht zu fich Fommen, nie
zu jener Innigfeit gelangen würde, ohne welche Fein
wahrhaft gottfeliges Leben beftehen Fann. Das Zweyte,
die Befchäftigung mit Gott und göttlichen Dingen,
ift die eigentliche Aufgabe der Sonntagsfeyer; indem an
diefem Tage alles Heilige und Erhabene, was die Re—
ligion in fi) faßt, von feiner anfchaulichften Seite
dem Ehriften zu Gemüthe geführt werden fol; damit
der Ölaube , die Hoffnung und die Liebe des Chriften
belebt, und hierdurch die chriftliche Gefinnung , fo mie
auf eine vorzugliche Weife erneuert, alfo auch befräfe
tiget und befeftiget werde.
154
Denn, wa3 am. Sonntage dem Gemüthe des
Ehriften befonder3 nahe tritt, ift die Auferftehung
des Herrn, der, wie Paulus Kom. IV. 25. fihreibt,
unferer Sünden wegen zum Zode überliefert, und: unſe—
rer Gerechtmachung wegen aus den Todten erweder
worden ifl. Größeres, Höheres, Seligeres hat der
Ehrift nicht zu feyern, als das ewige Leben in
dem erftandenen Erlöfer. Wir haben in
Jeſus einenlebendigen hohenpPrieſter, eis
nen lebendigen Weltheiland, der, als der
Erftgeborne aus den Todten, uns durdy
feinen heiligen Geift gerecht macdhet, und
mit fih auf den Thron der Herrlichkeit
fetzet zur Ehre des Vaters,
Das ift der große Inhalt der Sonntagsfeyer.
Das: Jeſus lebt und ſtirbt nicht mehr; Je—
fu$ lebt und wir mit ibm — das hebt unfern
Glauben, das befeftiget unfre Zuverficht, das zündet
unfre Liebe, daS belebet den innerften Sinn des Chri—
ften. Hat doch der Ölaube an die Auferftehung Chri⸗
ſti, durch die Apoftel verfündet, die jüdifche und heid-
nifche Welt zu Einem lebendigen Haufe Gottes umge:
wandelt: folte denn nicht auch der Sonntag, als
eine lebendige, in jeder Woche und an jedem
erften Wochentage wiederkehrende und die Welt durch»
hallende Predigt von der Auferftehung des Herrn , das»
felbe Wunder der Gnade in ‘den Herzen der Ehriften
erneuern funnen? — —
Wenn aber die Sonntagsfeyer alle anflrengenden
Arbeiten des Leibes, fo wie auch alle geiftigen Geſchäf—
fe, die nur eine irdifche Beziehung haben, und die Rich»
tung des Gemüthes zu göttlichen Dingen hemmen und
ftören, nach) dem Buchftaben des Gebothes ausſchließt:
fo fol dadurch nicht bloß dem Korper Ruhe und Ers
hohlung verfchaffet werden; obgleich auch diefe Ruhe und
Erhohlung zu den Wohlthaten gehört, welche die Sonn:
155
tagsfeyer dem menfchlichen Sefchlechte, ja felbft den
Zhieren, gewähren will :.fondern der eigentliche Zweck
der vorgefchriebenen Ruhe liegt höher, und ift fein ans
derer, als den Menfchengeift von allen irdifchen Sor⸗
gen los- und für himmlifhe Dinge an =» zufpannen.
Die rechte Feyer will den Menfchen, als
Bürger der Welt, dem Dienfte der Welt
vollends entziehen; damit Derfelbe
Menſch, als Bürgereiner höhern, beffern
Melt, ganz und ungetheilt dem Herrn
feinem Gott dienen.möge. Ich fage: ganz
und ungetheilt; denn der Menfh kann nicht
ziweyen Herren zugleich, nicht Gott und dem Mam⸗
mon dienen; er kann fein Herz nicht theilen: wo der
Schatz iſt, da ift das Herz, und mit dem Herzen der
ganze Menfch. So lange demnach irdifche Sorgen das
Herz ausfüllen , hat es feine Empfänglichkeit für Gott
und für göttliche Dinge.
Diefe Wahrheit wird leider! | in unfern Tagen auf
eine höchſt traurige Weife beftätiget ; denn, wo der Gonns
tag aus was immer für Urfachen, wenn nicht zu eis
nem gänzlichen Werktage, doch, was noch viel ver⸗
derblicher ft, zu einem bloßen £ufttage geworden
ift: da verwildern die Menfchen immer mehr und mehr
und verlieren allmahlig den Sinn für dag Ewige
Unmiffenheit in den höchſten und mwichtigften Angelegens
heiten der Mienfchheit gewinnt in Städten und Dör⸗
fern überall die Oberhand ; die Gefinnung wird heid-
nifch, Gott-los, das Leben ganz roh und ungefittet,
und die Bande der Drdnung im Familien» und im
bürgerlichen Leben verlieren immer mehr an Haltung
und Feftigkeit. Die raufchenden Wergnügungen, die
wechfelnden Luftpartien aler Art, die auf den Sonn—
tag verlegt werden, verfcheuchen den Ernft der chriftlis
chen Öefinnung mweit-mehr, als es an den Tagen der
Arbeit durch Arbeit nicht wohl gefchshen kann, und,
156
nachdem man den Sonntag bereits zum Zufttage ers
niedriget hat: fo ift es eine unausbleibliche Folge, daß
er nun auch zu einem privilegirten Sünden
tag herab gemwiürdiget werde.
So tritt oder wird vielmehr geftußen der Tag des
Herrn aus feiner urfprüunglichen Beſtimmung; denn,
da er den göttlichen Beruf hatte , die chriftliche Ge—
finnung zu beleben: fo fieht er fich jest verurtheilt zum
fehandlichen Frohndienfte, die chriftliche Geſin—
nung zu ertödten,
Penn ich nun den heiligen Ernft erwäge, der in
dem Gebothe der Sonntagsfeyer ausgefprochen iſt; wenn
ich den Geift des Gebothes zu Herzen faffe, der fein
anderer ift, als den Leib von anſtrengender Arbeit
frey, und dadurch der Seele Luft zu machen, daß
fie fich der göttlichen, ewigen Angelegenheit ungeftört
widmen Fünne; wenn ich die verderblichen Folgen, die
mit Entheiligung des Sonntags verknüpft find, erwä—
ge: fo Fann ich nicht umhin, neue Entfchlüffe in diefer
Hinficht zu faffen. Auch ich habe bisher am Sonntage
die Sabbathsruhe nicht in dem Sinne mir heilig feyn
laffen, wie das Geboth der ewigen Weisheit will, daß
wir an diefem Tage ruben follen. Denn, wenn auch
nicht mit Förperlichen Arbeiten, babe ich mich doch mit
mancherley Öefchäften abgegeben, welche die Seele von
Gott hinwegziehen, und das Herz, wo nicht mit ganz
eiteln Dingen, doch mit folchen ausfüllen, welche das
Leben der wahren Andacht hemmen und fchwächen.
Wenn ich an folchen Tagen nur der Wiffenfchaft, oder
der Kunſt, oder der Politik lebe: fo ift das Geborh
des Herrn nicht erfüllt, ob ich mic) gleich von jeder
Fnechtlichen Arbeit enthalten habe ; zumahl die Wiffene
fibaft, die Kunft, die Politif den Menfchen dergeftalt
in Anfpruch nehmen und fo ausfüllen können, daß für
die Religion Feine Empfänglichkeit, Feine Neigung,
Feine Kraft, und Feine Zeit mehr übrig bleibt.
157
Sechs Lage mögen für Dinge verwendet werden,
die Feinen Beftand und fihon gar feinen ewigen
Werth haben, oder doch zur GStillung unferer zeitlie
chen Bedürfniffe nöthig, oder wenigſtens dienlich find:
ift es denn zu viel gefordert, daß nach dem alten Bun⸗
de der fiebente, und nach dem neuen der erfte Tag , der
Sonntag, der als das erfte, ältefte und bedeus
tendfte Ehriftenfeft angefehen werden muß, und zus
folge göttlicher Einfeßung der Sag des Herrn if,
an welchem Priefter und Volk in Einem Geifte ver:
fammelt, ‚gemeinfchaftlich ihren Glauben beleben , ihre
Hoffnung ſtärken, ihre Liebe entzunden, und fomit die
chriftliche Gefinnung in jeder Hinficht erneuern kön—
nen, wo nicht ausfchließlih, doch vorzugsmweife zur
Ordnung und Sicherung unferer ewigen Angelegen hei—
ten verwendet werde ? Sollten denn Ehriften fo tief fin»
en Eönnen, daß auch. diefer äußerſt wichtige, und der
Fever des ewigen Lebens gewidmete Tag für die nichti=
gen Gegenftände diefer Welt mißbraucht würde ? Wels
che Thorheit könnte größer ſeyn, als die, daß mir für
das Unwichtige und Vergängliche alle Zeit, und
für das Höchfte, das Heiligfte der ganzen Menfchheit,
für das unfterbliche Leben der Seele, gar feine Zeit
verwendeten? —
Gebeth.
Halte, o Herr, mein Gott! dieſe größte und
verderblichfte der Thorheiten doch jtets fern von
mir, und laß mich die weile Abficht der Ruhe
von allen irdiſchen Sorgen und Gefchaften , die
dem Sabbathsgebothe zu Grunde liegt, immer
mehr erkennen und beherzigenz damit ich den ho—
hen Zweck des Sonntages nie aus den Augen
verlieren möge,
158
Indeſſen haft Du, o Herr! nicht Ruhe ge-
bothen der Ruhe wegen; denn Du liebft nicht
den Müßiggang, und wirkft ſelbſt immer fort;
Du willft den Menfchen nur von allen irdischen
Sorgen und Arbeiten losmachen, um ihn für die
Angelegenheiten einer andern Melt in Bewegung
zu feßen; Du entzieheft ihn der Zeit, um ihn
ganz hinzuwenden zur Ewigkeit. Deßhalb ift
Dir dienen, und Dem ewigem Heile des
menfhlihen Geſchlechtes dienen, er
nerley; weil unfre Heligung dein Mille, und
die Bollbringung dieſes deines Millens der ans
genehmfte Dienft ift, den wir Deiner Maje-
ftät erweifen können. Daher die rechte Sonn
tagsfeyer den Ehriften felbft heiliget, indem fie
ihn deinem Dienfte weihet. Und Alles, das dei—
ne Kirche zur Heiligung des Sonntags ordnet, _
fol nur dazu mitwirken, daß die echte Geſin—
nung des Chriften neugeweckt und nengeftarkt
werde. Diefen und Eeinen andern Zweck haben
a) das heilige Opfer, b) die gemeinfamen & e=
bethe der Kirche, c) die Predigten umd
Ghriftenlehren, und d) die Sacramente,
die an diefem Tage gefpendet und empfangen
werden.
Bon num an foll es mir alfo eine der wid)
figften Angelegenheiten feyn, dem göttlichen Sinne
der Sonntagsfeger immer mehr nachzufor—
fhen und nachzuleben, bis ich denfelben er-
forſcht und erreicht haben werde. An jedem
Sonntage will ich deßhalb bey dem Hochamte
und der Predigt zugegen ſeyn, mitopfernd,
mitanbethend und mithorchend auf das
Mort des Herrn; das fchwahe Leben meiner
Andacht foll durch die flammende Andacht der
Gemeine entziindet werden, und, von dem Gan—
159
zen belebet, auf Belebung des Ganzen dankbar
zurückwirken, bis die einzelnen Feuerfunken zu:
fammenfchlagen, und ein großes Flammenmeer ge—
bildet haben werden — zur Ehre Gottes und
zum Segen der Ehriftenheit. 3
Dieß ift mein Gebeth, dieß mein Entſchluß!
Herr, Du haſt ihn mir eingegeben; der du das
Wollen gegeben haſt, o, gib mir auch das
Vollbringen! Amen. RR
XXIV.
Die Feyer des Sonntags trägt zur Erneuerung, und zur
Befeftigung der hriftlichen Gefinnung bey; indem fie das Gemüth
von irdifhen Gefchäften und Sorgen weg, und zum Göttlichen
und Emwigen hinwendet. Das Göttlihe und Ewige immer
mehr zu erfaffen und feftzuhalten, oder mit den Wundern der Er—
barmungen Gottes ftets inniger vertraut zu werden, das ift die
Eine Aufgabe, wie der chriftlichen Sonntagsfeyer, fo auch der ans
bern hohen Feſttage des Herrn, feiner hochbeanadigten Mutter,
feiner Apoftel, und der übrigen Heiligen Gottes. Alle Chriften,
welche diefelbe nach der Abficht der Eatholifhen Kirche feyern,
haben diefes Eine Ziel im Auge, und ringen bemfelben muthig
entgegen. g
Bierundzwanzigfter Tag.
Bon Erneuerung der chriftlichen Gefinnung durch die
Geyer der übrigen Fefltage des Jahres,
Schriftftellen
1. m Anfange war das Wort, und das Mort war bey
Gott und Gott, war das Wort. Dasfelbe war im Anfange
160
bey Gott. Alles ıft durch dasfelbe gemacht, und ohne das—
felbe ift nicht$ ‚gemacht, ‚was gemacht iſt. In Ihm. war das
Leben, und das Leben war das Licht der Menfchen. Und das
Licht Teuchtete in der Finfterniß; aber die Zinfterniß bat es
nicht beariffen. Joh. I. 1 —5.
2. Und. das Wort ift. Fleifch, gemorden und hat unter ung
gewohnet; wir fahen feine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des
Eingebornen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Joh. I. 14.
3. Aus feiner Fülle haben wir Alle empfangen Gnade
über Gnade. Joh. I. 16.
4. Es ift die Gnade Gottes unfers Heilandes allen Men-
ſchen erfchienen, und lehret uns, die Gottloſigkeit und die
weltlichen Lüfte verläugnen, und nüchtern, gerecht und gott—
felig in diefer Welt leben, und entgegenharren der feligen
Hoffnung und Erfcheinung der Herrlichkeit des großen Gottes
und unferd Deilandes Jeſu Ehriftt, welcher ſich felber für ung
bingegeben; damit er uns erlöfete von aller Ungerechtigkeit und
ung reinigte zu feinem eigenthümlichen Wolfe, das eifrig ın
guten Werfen wäre. Zit. II. 11 — 14.
5, Der Engel Fam zu ihr hin (zu Marta der Zungfrau,
welche mit Joſeph verlobet war), und ſprach: Sey gegrüßt du
Hochbegnadigte,, der Herr ift mit dir, du Geſegnete unter
den Weibern! Du haft Gnade gefunden bey Gott. Sieh,
du wirft empfangen in deinem Leibe, und einen Sohn gebären,
und feinen Nahmen follft du Sefus heißen. © Diefer wird
groß feyn, und Sohn des Höchften genannt werden, Gott
der Herr wird ihm den Thron feines Vaters Davids geben,
und Er wird König feyn über das Haus Jakobs in alle
Ewigkeit. Und feines Reichs wird Eein Ende feyn. Luk. I.
28. 530 — 35,
6. Bey Gott it Fein Ding unmöglich. Maria ſprach:
Sieh die. Magd des Herrn! mir gefchehenad) deinem Worte.
Luk. 37. 36:
7. Was ſuchet ihr den Lebendigen unter den Todten?
Er a nicht bier, fondern er ift auferitanden. Luk. XXIV.
8. Jeſus ftand inihrer Mitte, und fpracdy zu ihnen: Der
Sriede fey mit Euch! Ich bin’s! Fürchtet euch nicht. Luk.
XXIV. 36. |
9. Dann fehle Er ihnen den Sinn auf, daß fie die
Schrift verftänden, und fprady zu ihnen: Alfo fteht ed ge—
fehrieben , und alfo mußte Chriftus leiden, und von dem Tode
wieder auferftehen am dritten Zage, Und nun muß in oa
aD:
161
Nahmen Buße und Vergebung ber Sünden geprediget werben
von Serufalem angefangen. Ihr nun feyd Zeugen davon.
Ich fende die Verheißung meines Vaters in euch herab, Bleibt
in der Stadt, bis ihr mit Kraft aus der Höhe angethamn wer⸗
det. Ruf. XXIV. 45— 49.
10, As nun der Pfingfttag eintrat, waren Alle einmüs
tbig am nähmlicyen Orte beyfammen, Apoftelg. I.
114. Und Alle wurden voll, heiligen Geiftes, und fingen
an in fremden Sprachen zu reden, fo wie e3 ihnen der heilige
Geift in den Mund legte. Apoftelg. II. 4.
12. Durdy die Hände der Apoftel aber gefchahen viele
Zeichen und Wunder unter dem Wolke. Apoſtelg. V. 12.
13. Nach diefem fah id) eine große Schar, die Niemand
zählen Eonnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern
und Sprachen. Sie ftanden vor dem Throne und vor dem
Lamme , angethan mit weißen Kleidern, und hatten Palmen
in ihren Händen. Dieſe find es, die aus der großen Zrübfal
Famen, und ihre Kleider gewafchen;, und fie weiß gemacht ha—
ben im Blute des Lammes. Das Lamm in der Mitte des Thro—
nes wird fie weiden, und zu den Quellen der lebendigen Waf:
fer führen: und Gott wird alle Thranen abrifchen, £ von ihren
Augen, le Sob. VII. 9. 14, 17.
Betrachtung.
Möchte es mir vergönnt ſeyn, in den tiefen Sinn
einzudringen, welcher jedem feſtlichen Tage der chriſtli—
chen Kirche zum Grunde liegt! Zu dem Ende will ich
öfters überdenken und erwägen, was die oben angeführ⸗
ten Stellen aus den heiligen Schriften andeuten; und
will darnach ringen, die hohen Abfichten zu erreichen,
welche die Kirche an diefen Tagen allen ihren Ölaubi»
gen vor die Augen fiellt. Das foll ich, das will ich.
Ich fol, ich will am hochheiligen Weihnachtsfes
fte mit ehrfurchtsvoller Anbethung mir zu Gemüthe füh—
ten, wie das ewige Wort Fleifch geworden ſey; damit
das Fleifch, die menfchliche Natur, der Herrlichfeit Got⸗
tes wieder theilhaftig werde; mie der Eingeborne des
Vaters vom Himmel auf die Erde herab gefummen ſey,
um die Bewohner. diefer Erde wieder zum Himmel em-
Sailer, d. chriſtl. Monath. 11 ?
162
porzurichten; wie Gott Menſch geworden, und in Als
lem, die Sunde ausgenommen, dem Menfchen gleich
geworden fey; damit die Menfchen durch ihn Gott ähn⸗
lich werden möchten.
Ih fol, ich will tiefanbethend betrachten, daß
wir Chriften Gott nicht bloß in der Natur und der
wunderbaren Einrichtung und den Staunen erregenden
Erfeheinungen derfelben zu fuchen haben, wie etwa die
Heiden z ich will mit frohem Herzen erwägen, daß er,
der -Herr unfer Gott und Water, nicht bloß durch Die
Weifen und Propheten der Vorzeit zu ung res
de, mie einft zu den Juden: fondern wie er fo gnadig
und freundlich, und. für uns Menſchen fo menfchlich ers
fchienen ſey in Chriſtus, und wir in Chriſtus die Fül—
le aller Gnaden und aller Wahrheiten haben.
Allein, ich fol und will auch nicht vergeffen, will
mir vielmehr tief einprägen., wozu Gott fo menfchlich,
fo freundlich in Chriſtus erfchienen ſey; ich fol, ich will
ernftlich bedenken die Worte des Apoſtels, welche die
Abficht diefer wunderbaren Erfcheinung mir an's Herz
legen wollen: Die Önade und die Freund:
lichkeit Sottes.ift uns in Chriſtus erfdhie
nen,um uns in Zucht gu nehmen, und das
zu und zu vermögen, daß mir alles um
göttliheWefen, alle weltlichen Lüſte ver-
laugnen,und ein nüchternes, gerechtes und
gottfeliges Leben führen. Denn, wenn ich
der göttlichen Herrlichkeit theilhaftig werden, ja wenn
ih auch nur die Herrlichkeit des Waters voll Gnade
und Wahrheit in Jeſus Ehriftus wahrhaft fchauen, vers
ehren und liebgewinnen fol: fo muß ich vorerfi von
allem ungottlichen Weſen gereiniget worden feyn. Aus
meinem innern und äußern Leben muß alfo entfernt
werden jede Bewegung der Ehr⸗ und Herrfchfucht, der
Eitelfeit und Hoffart des Lebens, der Unmäßigkeit und
Unzucht, der Habfucht, der Feindfchaft, des Neides,
163
des Zornes, der Rache, der Lift und Gemwaltthatigkeit;
von diefem und allen andern Ausgeburten der Hölle fol
meine Seele vorerft gereiniget und befreyet feyn; denn
diefe Erfcheinungen des ungottlichen Willens vertragen
fich nicht mit der Herrlichfeit des Vaters voll Gnade
und Wahrheit in Ehriftus. Deßwegen will ich vor dem
jedesmahligen Weihnachtsfefte, und wann mich fonft
ein guter Geift dazu treibt, den Worten des Taufers
Fohannes Gehör geben: Thut Buße! denn das
Himmelreich ift nahe gefommen. Bereitet
den Weg des Herrn, machet feine Fußſtei—
geeben. Matth. III. 2. 3.
Ich will, geftärft von der Gnade Chriſti, nicht
nur mein inneres und äußeres Leben reinigen von als
lem ungöttlichen Wefen, fondern es auch zu zieren trach>
ten mit dem Schmude jeder Tugend, der Züchtige
keit, Keuſchheit, Mäßigkeit, Eingezogen-
heit, Gerechtigkeit, Billigkeit, Güte,
Großmuth, Aufopferung für Andere, und
wahren Gottſeligkeit; denn Gott iſt in Chri—
ſtus fo menſchenfreundlich und erſchienen, um uns in
Zucht zu nehmen, d. i. um uns zu erziehen und
heranzubilden zur wahren Menſchheit, zu einem hö⸗—
hern und beſſern, zu einem vollkommenen und ſeligen,
d. i. zu einem göttlichen Leben. Das fol ich,
das will ich.
Sch will aber auch mit Zudverficht der Herr-
Lichkeit entgegen fehen, in der einft Chriftus erfcheinen
ıwird, und fo in meinem Geifte eine dreyfache Ankunft
Chriſti feyern: die Ankunft im Fleifche, die ges
\fchehen ift, die Ankunft im Innerften eines
jeden Chriften, die gefchehen fol, und die Ans
Zunft am Ende der Lage, die gefchehen wird;
und, folgend der Ermahnung des heiligen Leo, Gott
dem Vater durch feinen Sohn im heiligen Geifte Dank
fagen, daß er aus überſchwänglicher Liebe ſich unſer
11
164
erbarmet, und in Fülle der Erbarmung ung aus dem
Tode der Sünde zu neuen Wefen umgefchaffen hat.
In Erinnerung an diefe unausdenfliche Wohlthat der
göttlichen Liebe will ich den alten Menfchen mit allen
feinen Werken immer mehr ausziehen, und mit der
Kraft des neuen Menfchen angethän, allen Gelüſten
des Fleifches mwiderftehen. Anerkennend die hohe Würs
de des Chriften, der göttlichen Natur theilhaftig zu
fepn und immer mehr zu werden „ will ich mich vor
jedem Wiederverfinfen in’ den Staub der Erde zu be
wahren trachten,, und. nie vergeffen, unter welchem
Haupte, und von welchem Leibe ich ein Glied, und
wie ich ‚von der Macht der Finfterniß befreyet, und in
das Lichtreich Gottes emporgehoben bin,
Wie Fönnte ich aber die wunderbare Geburt des
Weltheilandes in fliller Anbethung betrachten... ohne zu=
gleich an diejenige erinnert zu werden, durch welche er
geboren ward? Wie den göttlichen Sohn im Geiſte und
in der Wahrheit anbethen, ohne die heilige Jungfrau
zu verehren, die Gott als die Gefegnete vor allen ihres
Gefchlechtes auseroren bat, die Mutter feines Einges
boriten zu werden?
MWahrhaftig, alle Wunder der ‚göttlichen Liebe, die
an ihr geſchehen ſind, und die uns an beſondern Ges
dächtnißtagen in’s Andenken gebracht werden, fordern
und auf, Gott, der fo große Dinge an ihr gethan hat,
zu 'preifen, und fie felbft, befonders durch Nachahmung
ihrer Tugenden, zu verehren. Glaube und Demuth,
Gehorfam und Ergebung, Innigkeit und Andacht —
das war ihr Leben: und diefem ihren Vorbilde nachzus
leben, fey unfere Verehrung! Dadurch werden fich eben
jene Öefinnungen in uns nähren und feftigen, die fie
bey verfchiedenen Anlaffen auf eine fo erhebende und
anmuthige Weife an den Zag' gelegt hat ; die fie in der.
Antwort auf den Gruß des Engels fo kurz ausgedruckt:
Siehe! ih bin die Magd des Herinz e$
165
gefchehe mir, wie du yeah und vor ihrer
ehrwürdigen Baſe Elifabeth in der Fülle hoher Begei⸗
ſterung ausgeſprochen hatte: Hoch erhebet meine
Seele den Herten, und mein Öeift froh—
locket in Gott, meinemHeilande! ꝛc. Luk.
1, 38 —55.
Hier leuchtet es mir aber auch ein, daß jede wah-
re Verehrung der jungfräulichen Mutter auf ihren gött-
lichen Sohn, durch den fie fo ehrwürdig für jeden Chris
fen geworden, ſich bezieht, und jede gottgefällige
Nachahmung ihrer Tugenden uns vermögen wird, mit
Chriſtus vertrauter und inniger bereiniget ‘zu werden.
Hat er ja Telbft zu jenem Weibe, das feine Mutter fo:
felig gepriefen, das große Wort gefprochen: Viel—
mehr felig find die, welche das Wort Öokts
tes hören und bewahren. Luk. XI. 22.
Und auch Maria wird gerade deßhalb befonders
gepriefen ; weil fie ale Gottes Worte fo treu in ihrem
Herzen bewahret hatte. Luk. IL 19.
Folgend dem Beyſpiele der Hochbegnadigten, will
ich den Lebensgang, das Leiden und die Verherrlichung
ihres göttlichen Sohnes im Gemüthe bewahren; mil
die Gefchichte des Herrn an mir fich erneuern laffen ;
will mit ihm leiden und fterben, vom Tode erftehen, und
zum Himmel auffahren lernen; indem ich mit der hos
hen Bedeutung der übrigen feftlichen Tage, des großen
Donnerstages, des heiligen Freytages, des jubelvolen
Oſter⸗ und Auffahrtstages mich vertraut mache, und
in diefer ganzen Feyer die Mutterhand der Kirche mich
leiten laffe. Das foll ich, das will ich.
Am heiligen Pfingftfeite fol ich, will ich mit den
erften Jüngern Zefu im Gebethe verharren, um des Geis
fies empfanglich zu werden, den Ehriftus allen Glaubis
gen verbeißen, und über die Apoftel an diefem Tage
wirklich ausgegoffen hatte; ich foll, ich will mein Ger
müth vorbereiten und auffchließen für den heiligen
s
166
Geift, der allein in's göttliche Reich einweihet; ins
dem er an Alles erinnert, was Chriſtus gelehret, und
in alle Wahrheit führer.
"Die Wirkungen diefes Geiftes in den Füngern Jefu
leuchten vorzüglich aus der Macht ihres Wortes
von Ehriftus al$ dem Heile der Welt, aus dein himm⸗
lifhen Muthe, fich für den Nahmen Chriſti und
feine Kirche zu opfern, und aus den Zeichen und Wun⸗
dern hervor, welche der Herr durch die Hande der Apo⸗
fiel gewirft hatte. Diefe follen der Gegenfland meiner
Betrachtung und Beherzigung feyn an den feftlichen Tas
gen, welche dem Andenken und der Verehrung der Apo«
ftel gewidmet find; da foll ich, da mwill ich immer mehr
einfeben lernen, wie Gott das Thoörichte vor der
Welt erwahlet babe, um die Weifen, das
Schwache erwahlet habe, um das Starte
zu befhämen, und das Öeringe vor der
Welt, und das VBerachtete, und das da
nicht3 ift, erwählet babe, um zu nidts
zu machen, was Etwas iſt; damit Fein Menſch
vor Gott fih rühme, fondern wer fid
rühmet, des Herrn ſich rühmen möge. I Kor.
I. 27 — 31.
Mit Dank und inniger Rührung ſoll ich, will ich
betrachten, wie durch die Gaben des heiligen Geiſtes,
die ſich in den Apoſteln, und durch die Apoſtel auf ihre
Nachfolger ergoſſen haben, auch wir Mitbürger
der Heiligen und Hausgenoſſen Gottes
geworden ſeyen, Epheſ. II. 19 — 22., erbauet
auf den Grund der Apoſtel und der Pros
pheten; wovon der Ecfftein Jeſus Ehri-
ftus ift, Durch welchen das ganze Gebäu—
de zufammen gehalten wird, und empor
wächft zu einem heiligen Tempeliu dem
Herrn;dem auch mir als fo viele Wohnuns
gen Gottes mit eingebauet werden, wenn
167
wir anders Entfchloffenheit und Beharrlichkeit genug
haben, dem Benfpiele diefer Heiligen nachzufolgen, wels
che ung als Mufter des chriftlichen Heldenmuthes, und
als Vorbilder jeder Tugend vor die Augen gehalten
werden.
Mit den Apoſteln unfer3 Herrn, diefen erſten
‚Gründern und Ausbreitern des Reiches Chriſti auf Er⸗
den, iſt mir das Andenken an alle Heilige Got—
tes, einzeln und im Ganzen betrachtek, lieb und werth.
Jeder Auserwählte in der triumphirenden Kirche iſt
doch nur ein anderer Spiegel, in dem ſich die Önas
de des Herrn, und die Treue feiner Freunde anders und
wieder anders abbilden; ift doch nur ein anderer
Laut des Einen ewigen Wortes, das in unfer Pils
gerland heruntertönet, und uns fo oder anders zu Hers
zen fpricht: »Seyd treu, wie mir waren, und ihr wers
det felig, wie wir find — in dem einen Herrn, der
uns Ale zu fih ruft und führt. Auf diefe Weife
werden mir alle Fefttage des Kirchenjahres nur als ein
einziger Fefttag der ewigen Liebe erfcheinen, die nur
auf verfchiedene Weife den Menfchen fich offenbaret;
und alle werden mich zur Öegenliebe erweden, und
die einzig wahre Feyer aller diefer Tage fol ſeyn: der
lebendige in Gott mwurzelnde Entfhluß, mein Herz
diefer ewigen Liebe, welche in Jefus Chriftus und in
dem Leben aller vollendeten Ehriften fo freundlich und
fo herrlich fich offenbaret, zum heiligen Dienfte ganz
und auf immer zu ergeben.
G 2:0 ;:a fu
Dieß ift mein ernftlicher Wille, und dieß mein
fefter Entfchluß am heutigen Tage. Du haft mir
ihn eingegeben, o Herr! denn er iſt eine noth-
wendige Holge jener Gefinnung, welche du durd)
Einwirkung deines heiligen Geiftes in den erften
163
Tagen diefes Monaths in: mir gewecket haft.
Gib, o Herr! daß durch eine, foldhe Feyer aller
—— Dage im Laufe des Jahres dieſe Ge—
innung in mir ſtets wieder neu gewecket, bele—
bet, geſtärket und ſo befeſtiget werde, daß ſie
allzeit die allein herrſchende Stimmung meines
Gemüthes ſey. Amen.
— XXV.
Alle Feſttage in der chriſtlichen Kirche- find Offenbarungen
der ewigen Liebe, und haben zur Abſicht: Liebe zu wecken, zu bes
leben und zu unterhalten, und zwar eine Liebe, weldye den Mens
Shen von Innen aus nöthiget, fi) gang in den Dienft des Aller-
beiligften zu ergeben, und daher ein dreyfaches Opfer dem Herrn
darzubringen :
Das Opfer der Vernunft, durch den Glauben an bie
Wahrheiten der göttlichen DOffenbarungen ;
Das Dpfer des Willens, durch einen unbedingten Ge:
horſam gegen die göttlichen Gefege, der alle Begierden, Wünſche,
Neigungen und Hoffnungen des Menfchen dem einmahl erkannten
göttlihen Willen unterwirft; N
Das Opfer des Gemüthes und aller Kräfte
der Seele und des Leibes, durch eine getreue Erfüllung als
ler Pflichten.
‚Wenn wir die Feſttage des Herrn. und feiner Heiligen in
diefem Geifte feyern: fo wird fich durch eben diefe Feyer die hrift-
lihe Gefinnung erneuern ; indem wir neuerdings an die ewige Lies
be uns ergeben , und im Angefichte Gottes wieder geloben,, nad)
der Sprache des Apofteld I. Kor. VI. 20. Gott an unferm
Leibe und in unferm Geifte zu tragen. Allein, ein
foldyes Gelübde Tann der Menſch nicht aus fi, er Tann es nur °
mit Gott erfüllen, d. i.: unterflügt durch eine Gnade, die von
Oben durch die Sacramente ‚Chrifti zu uns fommt.
169
Fünf und zwanzigfter Tag.
Bon Erneuerung der chriftlichen Gefinnung durch wies
derhohlte und würdige Empfangung der heil. Sacras
mente der Buße und des Altars.
Shriftftellem
1. Wien denen, die ihn aufnahmen, gab er die Macht,
Kinder Gottes zu werden; denen nähmlich, die an feinen
Nahmen glauben, die nidyt aus dem Blute, nicht aus dem
Millen des Fleifches, nicdyt aus dem Willen de3 Mannes, fone
dern aus Gott geboren find. Soh. I. 12. 13.
2. Wahrlich, wahrlidy, ic) fage dir: wenn Jemand nicht
wieder geboren ift aus dem Waffer und dem heiligen Geifte: fo
fann er nicht in das Neid) Gottes fommen. Was aus dem
Fleiſche geboren ift, das ift Fleiſch; was aber aus dem Geiſte
geboren ift, das ıft Geift. Joh. IH. 5. 6.
3. Betrübet nicht den heiligen Geift, mit weldyem ihr
verfiegelt feyd auf den Tag der Erlöfung. Epheſ. IV. 30.
4. Die Liebe Gottes ift ausgegoffen in unfere Herzen
durd) den Geiſt, weldyer ung gegeben worden ift. Röm. V. 5,
5. Bleibet in der Stadt, bis ihr mit Kraft aus der Höhe
angethan feyn werdet. Luk. XXIV. 49.
6. Wenn.ihr. nicht effet das Fleiſch des Menfchenfohng,
und nicht trinfet fein Blut: fo habt ihr Fein Leben in euch.
er mein Fleiſch ißt, und mein Blut trinft, der bat das
ewige. Leben, ‚und ich werde ihn am jüngften Tage auferwecen.
Denn mein Fleiſch iſt wahrhaftig eine Speife, und mein Blut
wahrhaftig ein Trank. Wer mein Fleiſch ift, und mein Blur
trinft , ‚der bleibt in mir, und idy in ihm. Wie mid) der Va—
ter, der das Leben aus ſich hat, gefendet, und ich durch den
Vater lebe: fo wird aud) der, weldyer mich ißt, durch mid)
leben. Joh. VI. 54— 58,
7. Wenn der Ruchlofe Buße thut über alle feine Sün-
den, die.er begangen bat, und alle meine Gebothe beobadıtet,
und Recht und ©erechtigfeit ausübet: fo wird er leben und.
nicht fterben, und aller feiner Sünden, die er verübt hat, will
‚ich nicht mehr gedenken, Ezech, XVIII. 21. 22.
170
8. Sagen wir: wir haben Feine S Sünde; fo betriegen wir
uns felbft, und die Wahrheit ift nicht in uns. Bekennen wir
aber unfere Sünden; fo ift er getreu und gerecht, daß er un—
fere Sünden vergibt, und und von aller Untugend reiniget.
Sagen wir aber: wir haben nicht gefündiget; fo machen wir
m zum Lügner, und fein Wort ift nicht in und. 1. Joh.
% 8— 10.
9. Ich fchreibe euch dieſes, damit ihr ‚nicht ſündiget;
doc) , wenn Jemand fündiget: fo haben wir einen Fürſprecher
bey dem Vater, Sefum Chriftum, den Gerechten. Und dies
fer ift die Verföhnung für unfere Sünden; doch nicht allein
für die unſern, ſondern für die Sünden der ganzen Welt.
I: Joh. II. 1. 2.
RN Als Sefus fie fah, fprach er: Gehet hin, und zeiget
euch den Prieſtern! Und es geld daß, indem fie hingingen,
fie rein wurden. Luk. XVII.
11. Nehmet hin den Geilhin Geiſt. Weldyen ihr die
Sünden nachlaffet, denen find fie nachgelaffen ; welchen ihr fie
behaltet, denen find fie behalten. Joh. XX. 22. 23.
12. Was ihr immer auf Erden binden werdet, das wird
aud) im Himmel gebunden feyn; und was ihr immer auf Er-
den Töfen werdet, das wird auch im Himmel gelöfer ſeyn.
Matth. XVIII. 18,
13. Sft Jemand unter euch Eranf, fo rufe er die Priefter
der Kirche, und fie follen über ihn bethen, und ihm mit Oehl
falben im Nahmen des Herrn: und das Gebeth des Glaubens
wird den Kranfen retten, und der Herr wird ihn erleichtern ,
und wenn er in Sünden if, werden fie ihm nachgelaffen wer=
den. Jak. V. 14. 15.
14. Wie mich mein Vater geſendet hat, ſende ich euch.
Und indem er dieß ſagte, hauchte er ſie an, und ſprach: Neh—
met hin den heiligen Geiſt. Joh. XX. 21. 22.
15. Derohalben ermahne ich dich, daß du die Gnadenga⸗
be Gottes wieder erweckeſt, die durd) Auflegung meiner Hände
in dir if. Denn Gott hat und nicht den Beift der Furchtſam—
Eeit gegeben, fondern den Geiſt der Kraft und der Liebe, und
der Nüchternheit. Il. Zimoth. I. 6. 7.
16. Der Menfd) wird feinen Water und feine Mutter ver:
laſſen, und feinem Weibe anhangen: und es werden zwey in
Einem Fleiſche ſeyn. Dieß iſt ein großes Sacrament; ich
ſage aber: in mn und ber Kirche, Ephef. V. 31. 32.
171
Betrahtung.
Daß der fich felbft gelaffene Menſch aus fich un-
vermögend fey, die chriftliche Gefinnung,, die ihn des
erwigen Lebens empfänglich und wert) macht, in fich
zu erwecken, zu flarfen und feft zu halten, ift aus dem
Buchftaben und dem Geifte des Ehriftenthums klar,
und unter Chriften allgemein anerfannt. Der Urfprung,
die Stärfung und die Fefthaltung einer folchen Gefins
nung gehört offenbar unter die Gaben, welche vom
Himmel herabfommen, vom Vater des Lichtes, bey
dem Feine Veränderung, und nicht einmahl ein Schats
ten des Wechfel3 Statt findet, der ung aus freyem
Willen durch das Wort der Wahrheit zu neuen Ges
fchöpfen und zu Gliedern feines Keiches umbildet. Jak.
I. 17. 18. Denn die chriftliche Öefinnung hat Wer
fen, Beftand und Offenbarung nur in und von der göftlie
chen Liebe, die nicht aus Fleifch und Blut geboren, ‘
fondern vom Geifte Gottes in unfere Herzen ausges
goffen wird. Rom. V. 5. Ob aber gleich die Wirs
tungen Öottes unermeßlich und unbegreiflich find, fo
lehren ung doch die heiligen Schriften
erftens: daß Gott unmittelbar und unfichtbarer
Weiſe auf den Menfchen einwirfe, um ihn aus’ feinem
Todesfchlummer zu wecen, und den Aufwachenden zu
beleben; denn der Geift wehet, wo er will, und du
böreft feinen Laut; aber du weißt nicht, woher er kom⸗
me, und wohin er gehe Joh. III. 8.5 fie lehren
zweytens: daß er, der Allwirkende, nicht bloß
unmittelbar und unfichtbarer Weife, fondern auch mits
telbar und durch fichtbare Zeichen auf den Menfchen
einmwirfe, und in dem einftimmenden Gemüthe desfels
ben göttliches Leben erzeuge und flarfe, oder was Eis
nes ift, chriftliche Sefinnung erwecke und belebe,
Die fichtbaren Zeichen, durch die Gott auf den
Menfhen wirft, und im Menfchen chriftliche Geſin⸗
172
nung erwedt und flarket, heißen Sacramente, wel
che nicht nur al$ Symbole (Sinnbilder) die übers
finnliche Wirkſamkeit der göttlichen Gnade dem Gemüs
the finnlich anfchaubar machen, nicht nur als Pfander
das göttliche Wohlwollen und die göttlichen Gnaden
ung zufichern: fondern auch als Eraftige Zeichen die
beiligmachende Gnade in fich faffen, al$ Zeichen, in
welchen und durch welche der Geifi Gottes im Mens
fhen innerlich bewirfet, was fie äuß erl ich ans
deuten, und die ewige Erbarmung mittheilet, was
fie als Zeichen vorbilden, und was der Menfh -
bedarf, um ein Ehrift, und fomit des ewigen Lebens
theilhaftig zu werden. Durch diefe Fraftigen Zeichen
wecfet der Geift Gottes den Menfchen aus dem Tode
des Geiftes zum göttlichen Leben auf; durch diefe Eräfr
tigen Zeichen erneuert Gott das göttliche Leben, da es
finft oder erlifcht, im Menfchen wieder, durch dieſe
fraftigen Zeichen flarfet Gott das göttliche Leben im
Menſchen zur Erfüllung aller Pflichten, und zur geduls
digen Ertragung aller Leiden. Nicht ohne tiefen Sinn
und hohe Bedeutung werden daher die Sactamente Chri—
ſti eingetheilt in Sacramente der Todten, die
neues, göttliches Leben in die durch Sünde erfiorbene
Dienfchheit bringen, und in Sacramente dert
bendigen, die das göttliche Leben in denen, die aug
dem Zode des Geiftes ſchon erwect find, vermehren,
Nun wollen wirzwerft erwägen, wie göttliche
menfchlich alle Sacramente Ehrifti den Bedürfniffen
der Menfchheit zu Hülfe kommen; und dann, mie
durch miederhohlte Empfangung der Sacramente der
Buße und des Altarz die chriftliche Gefinnung erneuert
erde, *
Die Sacramente Chriſti find ganz auf die Bedürf-
niffe der Menfchheit in ihrem gegenwärtigen Zuſtande
berechnet; denn durch die Taufe wird der Menfch aus
dem Reiche der Zinfterniß, in welches er durch die Sün-
173
de der Menfchheit (Erbfünde), oder auch durch felbfts
begangene Sünden hinuntergefunfen war, wieder in das
Keich Gottes aufgenommen, und zu einem lebendigen
Gliede der flreitenden Kirche umgefchaffen; durch die
Firmung wird der noch ſchwache Kämpfer der flrei-
tenden Kirche geſtärket; und das in ihm ſchon erzeug:
te göttliche Leben gehoben und gefräftiget; durch die
heilige Communion wird das göttliche Leben im
Menſchen bemwahret, und der Bollendung naher gebracht;
indem der Ehrift mit dem Ir» und Allteben, mit Gott
in Chriſtus, vereiniget wird; durch die Buße mwird
der Unſelige, welcher fich durch herrfchende Sunde von
Gott weggewendet hat, wieder zu Gott hingemwendet,
und die Sunde fammt ihren Folgen getilgetz durch die
letzte Deblung mird der Kranfe zur Ertragung
aller Leiden, die mit der Krankheit verbunden find, ger
ftärfet, zum Uebergange aus dem gegenwärtigen in das
künftige Leben befähiget, und mit neuen Geiftesfräften
zum Eingange in die triumpbhirende Kirche auf
gerüftet ; durch die Prieftermweihe mwerden aus der
Zahl der Gläubigen die Werkzeuge ausgehoben, geord-
net und gebeiliget, welche Gott: zur Erweckung und Er»
neuerung des göttlichen Lebens auserfehen hat; durch
das Sacrament der Ehe wird die Vereinigung der
Gefchlechter geheiliget; damit durch die natürliche Zeus
gung die Gemeinde der Heiligen in den Kindern fort-
gepflanzt, und fo fort Erde und Himmel neu bevölkert
werden, '
Ale Sacramente des neuen Bundes haben dem-
nach Diefelbe hohe Beftimmung , das ewige Heil des
Menfchen zu gründen und zu fördern — Önaden zu
fpenden, welche ihn heiligen. Jedoch find die Sacra—
mente der Buße und des Altar zufolge ihrer
göttlichen Einfeßung recht eigentlich dazu beflimmt, durch
ihre Wiederhohlung jede Unlauterfeit aus dem Herzen
des Menfchen auszutilgen, und jede Schwachheit durch
174
eine neue Fülle der göttlichen Kraft zu heben. Diefe
zwey Sacramente find es, durch welche das zweyfache
under der ewigen Erbarmung: die geiftige Wiederges
burt, und die fortgehende Erneuerung und Kraftigung
des wiedergebornen Lebens, in der Menfchheit ſtets wies
der gewirkt werden fol; fie find jene Önadenmittel, durch
deren würdigen und mwiederhohlten Gebrauch nicht: nur
chriftliche Zugend, fondern auch wahre. Heiligung des
Menfchen gefördert, und fomit die rechte Erneuerung
der chriſt lichen Geſinnung erzielet wird. Wenn der
Menſch immer neue Sünden begehet, wie denn auch
ſelbſt der Gerechte des Tages ſieben Mahl fällt, und ſie⸗
ben Mahl ſich wieder aufrichtet, der Ruchloſe aber im
Böſen verſinkt, Sprichw. XXIV. 10.: fo bedarf der
Gefallene immer wieder der Gnade ſeines Herrn, die
ihn wieder aufrichte und nicht im Böſen verſinken laſ—
ſe, bedarf der Entſündigung, bedarf der Buße. Die
öftere Empfangung dieſes Sacramentes iſt alſo dem Mens
ſchen als Sünder ſtets heilſam; indem derſelbe dadurch
immer wieder zu ſich und zur Erkenntniß ſeiner ſelbſt,
zur wahren Reue über ſeine Sünden, und zum ernſtlichen
Vorſatze der Beſſerung, zur gänzlichen Wegwendung
feines Gemüthes von der Sünde, und zu volfommes
ner Hinwendung nach Dben gelangen, und nicht weni-
ger auch zur Vergütung des durch die Sunde geftifter
ten Unrechts, wie zur Befefligung des begonnenen Gu—
ten, getrieben werden fann. Denn die. unerlaßlichen.
Handlungen, wovon die Wirkfamfeit des Sacramentes
der Buße im Sünder abhängt, find die Reue, der
Borfatz, das Sündenbefenntniß, und die
Tilgung der Sündenfolgen. Unmöglich aber
fann der Menſch die Keue über feine Sünden mwieders
hohlen, unmöglich feine Sünden mit zerfchlagenem Here
zen befennen, und den Forderungen der Gerechtigkeit
genug thun, ohne daß die chriftliche Gefinnung in ihm
jedes Mahl ein neues und fefteres Leben gewinne, -
175
Diefe Gnade ift es, welche nach Chryſoſtomus die
Erbarmungen Öottes dem Sünder zuleitet, welche Bals
fam in das zerknirfchte, und Freude in das betrübte
Herz bringet, welche den Sünder von dem ganzlichen
Untergange rettet, und mit neuer Zuverficht erfüllet, die
zerrütteren Kräfte wieder herftellet, und mit der übers
fhwanglichen Macht des Herrn uns ausrüftet.
»D Buße! ruft diefer große Kirchenlehrer begeis
fiert aus, was fol ich Neues von dir fagen? Du lös
feft das gebundene, und bindeft das zugellofe Leben ;
du fanftigeft jeglichen Schmerz, heileft jegliche Kranke
heit, durchleuchteft jegliche Finfterniß, und erinuthigeft
ſelbſt die Verzweiflung. Glänzender als Gold, und
heller leuchtend als die Sonne bift du über jede Sünde,
über jede Unvollfommenbeit, und über jede Verzweiflung
erhaben; bift ein guter Acer, ein fegenbringender Weinzs
berg, ein gefunder Baum, durch deren Früchte die Sün—
der im göttlichen Leben allmählig wieder erftarfen.« Deß⸗
wegen wurden von jeher fromme Ehriften zur öfteren Ems
pfangung des Sacramentes der Buße felbft ſchon durch
den Geift der Frömmigkeit hingetrieben.
Indeffen find alle Gnaden nur einzelne Ströme,
welche aus der Einen Önadenquelle hervorfließen; nur
einzelne Strahlen, die aus der Einen Sonne hervors
leuchten. Diefe Eine Gnadenquelle, diefe Eine Sons»
ne ift Jefus Ehriftus, in welchem die Menfchenfreunds
lichkeit Gottes allen Menfchen erfcheint, und das ewis
ge Licht in der Finfterniß aufgehet. Denn, wer Chris
fium bat, hat in ihm und durch ihn alle Gnaden: er
ift die Gnade der Önaden; er ift der Wein-
fiod, Job. XV. ı —7., und wir find die Reben, die
feine Früchte tragen, wenn fie nicht in ihm bleiben,
und viele Früchte tragen, wenn fie in ihm bleiben, und
er in ihnen; er iſt das Brot des Lebens, Joh. VI.
48 — 60., welches vom Himmel herabfam, und feinen
fierben laßt, der davon ißt; ein Brot, welches für die
176
Emigfeit belebet, und ewig belebet. Dieſes Brot ift das
Sleifch und das Blut, mit welchem wir gefpeifet und
getranfet werden durch das Sacrament des Altars; zu
deffen wiederhohlter Empfangung jeden befonnenen Chris
fien ſchon das Gefühl feiner einenen Schwäche und.der
geiftigen Kraftlofigkeit antreiben folte. Denn die in»
nigfte Vereinigung der Gläubigen mit Ehriftus, der Fül-
le alles Lebens, ıft die Abficht der heiligen Communion.
Deßhalb hat in der frühern Kirche alles Volk aus den
Handen des Vriefters die Communion empfangen ; Prie—
fter und Volk haben an Einem Lifche das lebendige
Brot des Himmels genoffen. Diefe Vereinigung im
Auge, ermahnet der heilige Ambrofius V. 8. von: den
Sacramenten 4. Cap. feine Gläubige, täglich die hei—
lige Kommunion zu empfangen; aber auch fo zu leben,
daß fie würdig feyn und bleiben, folches zu thun, ftet3
bedenfend, wie das Heiligfte nur Heiligen gebühre. Durch
diefe mwiederhohlte Vereinigung der Ehriften mit Ehris
ſtus werden auch die geiftigen Bedurfniffe des Menfchen
alle befriediget, fo weit es in den Tagen unfrer Pilger»
fahrt hienteden gefchehen kann; der Friede Gottes in
die Herzen ausgegoffen, und das Reich des Himmels
auf Erden gegründe. Denn wer mein Fleiſch
ift, und mein Blur trinkt, der bleibt in
mir, und ich in ihm, fpricht Chriſtus; wenn
ihr aber in mir bleibet, undich in eud:
dann werdetihr vollflommen mitmir Er
nes, und der Herrlichkeit theilhaftig wer-
den, welche der Vater mir gegeben hat.
Jenes Sleifcheffen und Bluttrinken heißt der Lehre des
heiligen Auguftinus zufolge, (26. Abhandlung. über
Johannes,) nicht anders, als in Ehrifto bleiben,
und Chriftum bleibend in fih bewahren.
Es fol nähmlich die würdige Empfangung dieſes Sa⸗
cramentes auch im empfangenden Menſchen bewirken,
was laut der heiligen Worte der Conſecration an *
un
177
und Wein gefchah; fie fol den Menſchen gleichfam
ummandeln in Ehriftus, fo zwar, daß nur die Geſtal⸗
ten vom alten Menſchen übrig bleiben, innerhalb den
felben aber Chriftus im Menſchen eine neue Öeftalt
gewinne ; indem nicht mehr der alte Menſch, fondern,
im Sinne des Apoftels, Chriflus allein im neuen
Menfchen lebet.
Aus Diefer Abficht wird die öftere Kommunion
von allen meifen und frommen Chriften empfohlen ;
aber eine Kommunion, mie fie feyn follte, melcher
die Selbfivrüfung, die wahre Buße, vorausgehen muß;
damit der Leib Ehrifti von jeder andern Speiſe unters
fchieden werde, und der Menfch, flatt durch den Ge»
nuß des Allerheiligften des ewigen Lebens theilhaftig zu
werden, fich nicht Tod und Gericht Hineineffe, tie
ung der Apoſtel I. Kor. XL. 26 — 3ı. ermahnet und
warnet: »So oft ihr diefes Brot effet und diefen Kelch
trinket, folt ihr den Tod des Herrn verfündigen, bis
er kommt. Wer nun unmürdig Diefes Brot ißt oder
den Kelch des Herrn trinkt, der verfündiget fich an
dem Leibe, und an dem Blute des Herrn. Es prufe
ſich alfo der Menfch ſeibſt, und dann effe er von
diefem Brote und trinfe von diefem Kelche; denn wer
unwürdig ißt und trinkt, der ift und trinkt fich felbft
das Gericht hinein; weil er den Leib des Herrn nicht
unterfcheidet. Daher Fommt es, daß viele ſchwach
und frank unter euch find, und viele fchlafen ; denn
wenn wir uns felber richteten, fo würden wir nicht
gerichtet werden.s
Gebeth.
Ich will mich alſo ſelbſt prüfen, ſelbſt richten,
o Herr! damit ich nicht gerichtet werde. Ich
will auch den Werth und die Abſichten der Gna—
denmittel in deiner Kirche ſorgſam erwägen;
Sailer, d. chriſtl. Monath. 12
178
will vor deinem Auge alles aus dem Mege räu—
men, was ihrer heilfamen Wirkſamkeit hinder-
lich ſeyn Eönnte; will mich unter den Einflüffen
deines heiligen Geiftes zum würdigen Gebrauche
derjelben vorbereiten; damit fie mir nicht zum
tiefern Falle, fondern zur Auferftehung , nicht
zur Berdammung, fondern zur Heiligung und
zur Sicherung des ewigen Heiles gereichen , wel:
cher der einzige Zweck ihrer Einfeßung und die
Frucht ihres würdigen Gebrauches ift,
* Hieher paſſen Fenelons Herzensergießungen über das
beilige Sacrament des Altars, die an Tiefe des Sinnes, und
an Fülle der Andacht wohl nicht ihres Gleichen haben.
Sn dem heiligen Geheimniffe des Altars, wo er alle Schäße
feiner &iebe verborgen hat, will ich Jeſum anbethen ! Lauter Lie—
be erblicke ich hier, lauter Güte, lauter Erbarmung. Ad), was
haft du vor, lieber Herr! daß du deine ewige Majeftät dergeftalt
verbirgft? Warum gibft du fie dem Undanke gefühllofer Seelen,
dem Spotte roher Menfchen Preis? O, ich begreife es! Du thuft
dasaus Liebe, weildu ung fücheft, um dich uns ganz zu fchenken. Und
auf welche Weife fchenkeft du dich uns? Unter der Geftalt der ge=
mwöhnlichften Speife, des alltäglichen Brotes. O Brot des Les
bens! o Fleifch meines Erlöfers! Made mich hungern nad) bir:
Nur du folft fortan mich nähren!
O ewiges Wort, ewige Wahrheit, ewige Liebe! Du Haft dich
verborgen unter diefem Fleifche, und verbirgft nun dieß Fleifch
unter der finnfälligen Hülle des Brotes. O verborgener Gott!
auch ich will, verborgen mit dir, leben dein göttliches Leben. Un—
ter alle Schwachheit und Armfeligkeit meiner Natur, unter die
ganze Unmwürdigkeit meiner Geele will ich Sefum verbergen, will
felber das Sacrament feiner Liebe werden. Aeußerlich wird als
desfelben grobe Hülle das gebrechliche Gefchöpf erfcheinen, im Ins
nern aber wird wohnen der Herr der Herrlichkeit. Das äußerli—
he Brot, dieß Hinfällige Gefhöpf, wird gebrochen werden, und
allen Unfällen ausgejegt bleiben; aber in ihm lebt Sefus, unver:
179
Vegbar und unſterblich, ungetheilt und unmandelbar. So belebt
von ihm, lebe auch ich nur für ihn, und er lebt gang in mir.
Bis jest, o Herr! habe ich mich noch nicht genährt von
deiner Wahrheit; mit dem Sinnlichen der Religion habe ich mich
begnügt, mit äußerer Gottesdienftlichfeit, mit dem Scheine ge—
viffer auffallenden Zugenden, mit dem Siege fiber meine Neigun—
gen, da wo er das Bild fiheinbarer Vollkommenheit vollenden
mußte. Das ift aber nur der grobe Schleyer des Sacraments:
wo ift nun der innere Gehalt und Kern desfelben? die eigentliche,
überwefentliche Wahrheit felber, erfaßt und dargeftelt im Leben, wo
ift fie? Ah! ich habe mich um fie nicht bekümmert; einzig auf
Ordnung des Aeußeren bedacht, habe ich das Innere verfäumt
und vergefjen. Die Anbethung im Geifte und in der Wahrheit,
die durch Ertödtung alles eignen Willens die ausfchließende Herr—
fchaft Gottes in mir begründen follte, ift mir noch faft ganz unbe:
Eannt geblieben. Mein Mund hat, was an diefem Cacramente
äußerlich und finnlich ift, genoffenz aber mein Herz ift nicht ge=
nährt worden von der wefentlihen Wahrheit, Ich diene dir, mein
Gott! aber nach eigener Art und Wahl, nach dem Dünfen meiner
Weisheit, die vor dir Thorheit ift. Ich liebe dich, aber mehr
meines Nutzens, als deiner Ehre wegen. Sch trachte, dich zu ver=
herrlichen; aber mit einem Eifer, dev noch nicht nach deinen ver—
borgenen Abfichten fich befcheiden, und in deren Tiefe rückhaltslos
fid) verfenfen gelernt Hat. Dienen möchte ich dir wohl; aber ohne
aus mir felbft zu gehen, und fehr fürchte ich mich, mir felber
zu erfterben. Manchmahl wähne ich mich zu den größten Opfern
fähig und bereit; und kaum fegeft du mich mit dem geringften Uns
fall auf die Probe, fo erliege ich vor Betrübnig und Unmuth.
O Liebe! laß dich nicht zurückſtoßen durch mein Elend, mei—
ne Unmwürdigfeit. Du willft unter die verächtliche Hülle meiner
Schwachheit deine geheime Gottesfraft verbergen , willft mich zum
Geheimniß deiner Gnade machen, meinen eignen Glauben zu üben,
und den ber Andern. So gebe ich mich denn ganz dir hin mit all
meinem Elende. Sch vermag nichts, aber du vermagft Alles; mid
Eümmert meine Schwadhheit nicht, da ich deine Allmacht mir fo
nahe fühle.
Ewiges Wort! fey du in mir ſchwachem Gefchöpf, wie dort
unter den Geftalten des Brotes. Rede, o göttliche Wort! und
meine Seele wird fchmweigen, dich zu vernefmen. Das einfache
12
180
Wort, das die Welt erſchuf, redet zu feinem Gefchöpfe, und mas
es fpricht, wird in dieſem verwirkticht ; ja, ein neues Geſchöpf
Schafft es fich, wie es einft die Welt fchuf.
So fehweige denn, meine Seele! vernimm nichts mehr von
der Erde, vernimm von bir felbft nichts mehr; das ift das rechte
Stillfehweigen der geiftigen Vernichtung. Laß das Wort, das
Zleifch geworden, in. dir reden! O was wird es dir für große
Dinge fagen! In ihm allein ift ja alle Wahrheit. Welch ein Une
terfchied gmwifchen der Sprache des Gefchöpfes, das in verhallenden
Lauten einige Töne der Wahrheit ausipricht, die nicht einmahl
fein eigen , die von der Gottheit entlehnt find, — wel ein Uns
“ terfchied zwifchen diefer Sprache, und der Sprache des Wortes,
das ba ift der Sohn Gottes! Diefer ift felbft, was er ſpricht, die
wefentliche Wahrheit ; und er ſpricht fie nicht aus, wie wir Menz
fchen fie ausfprechen ; er läßt fie nicht im einzelnen, abgeriffenen
Gedanken vor dem Auge unferes Geiftes vorübergehen: er trägt
fie gang und lauter in den Grund unferes Wefens ein; er einvers
leibt die Wahrheit uns und uns ber Wahrheit, wir felbft find
dann zur göttlihen Wahrheit geworden. Dann leben und weben
wir in der Wahrheit nicht mehr durch die Stärke der Vernunft—
ſchlüſſe und der Wiſſenſchaft, fondern durch die Einfalt der Liebe.
Dann ift alles Andere nur mehr Schatten und Lüge für uns. Ueber—
flüffig werden dann die Nachforſchungen und Beweife, die in’s
Einzelne gehen : bie Liebe prägt ung die Wahrheit ganz und auf
ein Mahl in die Seele. Ineinem einzigen Blide find wir von dem
Nichts der Gefchöpfe, von dem Al des Schöpfers durddrungen ,
durchſchauert. Ein folder Blick entfcheidet Alles, reißt Alles das
hin, und läßt dem Geifte nichts mehr. Maf fieht fortan nur die Eine
Wahrheit; alles Andere ift verfchwunden.
O unfinnige, ärgervolle Welt! ich kann, ich mag dic nun
nicht mehr ſehen, nicht mehr hören. O Eigenliebe! wie ſchaudre
ich vor dir! Und doch muß ich mich felbft noch mit Geduld tragen,
wie Sefus den Judas ertrug. Nunmehr geht Alles an meinen
Blicken vorüber, nichts rührt, nichts bewegt mich mehr. Kein Ges
ſchäft für mic) fortan, als das einzige, in dem gegenwärtigen Aus
genblicke Gottes Willen zu erfüllen und zu bethen, daß fein Wille
gefchehe auf der Erde, wie im „Simmel.
Das, o Zefus! ift wahre Anbethung, iſt der Gottesdienft,
den du verlangit. Wie Leicht ift es nicht, durch äußere Gebräude,
181
durch Lobpreifungen der Lippen dich verehren, aber wie wenige
find, die die innere, wahre Verehrung dir zollen! Gieht man doch
faft überall nichts als eine Religion bloß in Bild und Geftalt,
bloß Zudenthum. Mit dem Verſtande möchte man wohl deine Wahr
beit erfaffen und befigen; aber das Herz ihr hingeben, von ihr bes
Teffen zu werden, das will man nicht. Alle verlangen, theilhafe
tig zu werden deines Opfers; aber wer ift bereit, fich ſelbſt zu
opfern mit dir? Und doch — wer nicht ganz in dich fich verliert,
wird niemahls dich ganz in fich finden, wird nie ganz Eines mit
dir feyn.
O verborgener Gott! wie wenig kennen die Menfchen dich !
D Liebe! wie Wenige wiffen, was „lieben“ heißt! Lehre du mich
lieben, und du haft mir in Einer Wahrheit alle Wahrheit ge=
lebt ! &
(Oeuvres spirituelles de Fenelon. Entretiens affectils
N. XI. et XVI.)
— > Ko u —
Drittes Hauptſtück.
Bon Offenbarungichriſtlicher Geſinnung.
XXVI.
Was die chriſtliche Geſinnung offenbart (im Aeußern dar:
ſtellt), das iſt es auch, was ſie er weiſet, bewähret und
verkläret. Fortdauernde Offenbarung des Guten iſt alſo
nothwendig fortdauernde Erweiſung, Bewährung und Ver:
Elärung des Guten.»
Was aber das Einleuchtendfte ift, und doch nicht zu oft in
Erinnerung gebracht werden Eann, ift:
Die gute Gefinnung des Chriften muß vorerft felbft zu
Leben gefommen und bey Leben geblieben feyn, wenn
fie fi) fol offenbaren Eönnen. Denn, wie Sefuslehret, der gu—
te Baum trägt gute Früchte, nicht die guten Früchte tra—
gen den guten Baum; die Früchte wachfen auf Bäumen, nicht
die Bäume auf Früchten. Alfo die Erweckung und Belebung der
Hriftlichen Gefinnung gehet voran; damit die Offenbarung derfelben
in guten Werfen und durd gute Werke mit = und nad)= gehen
kann.
Sechsundzwanzigſter Tag.
Bon Dffenbarung der chriftlichen Gefinnung in
Erfüllung der Pflichten überhaupt, und der ehelichen
insbeſondere.
Seen,
Mi die, welche da8 Geſetz nur hören, find gerecht
vor Gott, fondern die das Geſetz volibringen, werden ge—
vechtfertiget werden. Röm. IL, 13.
183
2, Seyd nicht bloß Hörer, die ſich felbft betriegen, fon:
dern Thäter des Wortes. Denn, wenn Semand bloß Hörer
und nicht Ihäter des Wortes ift: fo gleicht.er einem Manne,
der fein Teiblicyes Angeficht im Spiegel befcyaut, und, wenn
er es befcdjauet bat, hinweggehet und fogleicd) wieder vergißt,
wie er ausfah. Wer aber das vollfommene Geſetz der Frey-
beit durchſchauet und dabey verharret, der iſt Eein vergeflicher
Hörer, fondern ein Thäter. Ein foldyer wird in feinem Thun
felig feyn. Jak. I. 22 —25.
3. Was hilft's, wenn Jemand fagt, er habe den Glau—
ben, wenn er die Werke nicht hat? Kann der Glaube ihn fer
lig machen ? — — Wohl möchte Semand fagen: Du haft den
Glauben, id) aber habe die Werke; zeige mir deinen Glauben
ohne Werke, und ich will dir meinen Glauben aus meinen
Merken zeigen, — — — Denn gleicywie der Leib ohne den
Geiſt todt ift, fo ift auch) der Ölaube ohne die Werfe todt.
Saf. II. 14. 18. 26.
4. Wenn euere Gerechtigkeit nicht größer feyn wird, als
die ber Schriftgelehrten und Phariſäer, fo werdet ihr nicht
in das Himmelreich eingehen. Matth. V. 20.
5. Aus ihren Früchten werdet ihr fie erkennen. Nicht
jeder , der zu mir fagt: Derr, Herr! wird eingeben in das
Himmelreich; fondern wer den Willen meines Waters hut,
der wird eingehen in dad Himmelreich. Matıh. VII. 20. 21,
6. So fehet nun zu, Brüder, wie ihr vorfichtig wandelt,
nicht ald Unweife, fondern als Weife. Benützet die Zeit, denn
die Tage find böfe. Seyd nidyt unverftändig, fondern Iernet
verftehen, was Gottes Wille fey. Ephef. V. 15 — 17.
7. Ötellet eud) diefer Welt nidyt gleid) , fondern laſſet
euch umwandeln durd) Erneuerung euered Sinnes, fo daß
ihr prüfet, was Gottes Wille, was gut, wohlgefällig und
vollfommen fey. Nom. XII. 2.
8. Unterwerfet euch einander in der Furcht Chrifti. Die
Meiber feyen ihren Männern untertban, wie dem Herrn;
denn der Mann ift das Haupt des Weibes, fo wıe Chriftus das
Haupt der Gemeinde ift, Er, der Heiland feines Leibes. Wie
die Gemeinde fich Chrifto unterwirft, fo follen ſich auch die
Weiber ihren Männern in Allem unterwerfen, Ihr Männer,
liebet euere Weiber, fo wie auch Ehriftus die Gemeinde gelie=
bet und fid) felbft für fie hingegeben bat, um fie zu heiligen ;
indem er fie reinigte durd) das Wafferbad im Worte des Les
bens, um ſich eine herrliche Gemeinde darzuftellen, ohne Flec—
fen, ohne Runzel oder etwas dergleichen, fondern daß fie hei—
184
lig und unbefleckt ſey. Alſo follen die Manner ihre eigenen
Weiber lieben, wie ihre eigenen Leiber. Wer fein Weib liebt,
liebt ſich ſelbſt. Niemand haft fein eigenes Fleifch, fondern
nährt und pflegt es, wie aud) Ehriftus feine Gemeinde. — —
Liebet alfo ein jeglicher fein Weib, das Weib aber ihren Mann.
Ephel. V. 21 — 29. 33,
9: Der Mann leifte dem Weibe die fchuldige Pflicht,
gleicher Weife auch dad Weib dem Manne. Das Weib hat
Eeine Gewalt über ihren Leib, fondern der Mann; gleicyer Weife
bat der Mann feine Gewalt über feinen Leib, fondern das
Meib. Entziehet euch alfo einander nicht, aufier auf einige
Zeit, des Gebethes wegen; dann kommet wieder zufammen,
damit der Satan eud) nicht der Unenthaltfamteit wegen ver-
ſuche. I. Kor, VIL 3 — 5,
Betrachtung.
Der Geiſt der chriſtlichen Gefinnung iſt die Lies
be gegen Gott, wie fie Jeſus Chriftus als das Ges
both allee Gebothe, als die Summe und Wefenbheit
aller Geſetze mit den Worten ausgefprochen hat:
Du follft den Herrn deinen Öott lieben
aus deinem ganzen Herzen, aus Deiner
ganzen Geele, au deinem ganzen ©»
müthe; dieß ift daS größte und erfte Ge
both. Das andere aber ift diefem gleid:
Du follft deinen Nächften lieben wie did)
felbft. An diefen zwey Gebothen hängt
das Ganze Gefetz und die Propheten.
Matth. XXI 37 — 40.
Wo Ddiefe Liebe herrſcht, da wird der ganze
Menfch zu Gott hingemwendet, und zur Erfüllung des
göttlichen Willens innerlich getrieben, und fo fraftig
getrieben, daß er in gleicher Gefinnung mit Chriſtus,
nach aller Wahrheit fagen kann: Den Willen
meines Vatersthun, das ift meine Speife,
Dieſe Liebe, aus Gott geboren und in Gott
ruhend, fchließt alles Höfe vom Menfchen aus, und
185
erzeugt in ihm alles übrige Gute; ich fage, alles
übrige Gute: denn fie iſt ſelbſt das Gute, ja
das Befte im Menfchen, wie der Jünger der Liebe
lehrt: Jeder, der aus Gott geboren ift,
thbutfeine Sunde; denn fein Same bleibt
in ihm, und er fann nicht fündigen, weil
er aus Gott geboren ift. Dadurch offen»
baren fich die Kinder Öottes,und die Kin—
der des Teufels. Wer nit recht thut,
der ift nicht aus Gott, und wer feinen
Bruder nicht liebt, der iftnicht aus Gott.
I, 30h. III. 9. 10.
Wo alfo die chriftliche Geſinnung vorherrfchend
ift, da ift auch eine durchgängige KRechtfchaffenheit
im Thun und Laffen, in Sitten und Geberden wahr:
nehmbar ; indem das innere Leben im außern fich
offenbart, und das göttliche Leben nur durch folche
Handlungen fich offenbaren kann, welche dem götte
lichen Willen , folglich allen göttlichen Gefegen ges
mäß find. Die Liebe ift ja felbft und bleibt, was fie
iſt, die Allerfüllerinn des Geſetzes; und die gemwiffen«
hafte Erfüllung aller Geſetze bewahret die heilige Lies
be, und ift der zuverlaffigfte Beweis der chriftlichen
Geſinnung.
Das iſt die Liebe zu Gott, daß wir
feine Gebothe halten, und feine. Gebothe
find nicht fh wer. J. Joh. V. 3. Liebet ihr
mich, fo haltet meine Gebothe: wer meis
ne Gebothe hat und fie halt, der ift es,
der. mich liebet. Joh. XIV. 15. 2ı. Die gottlis
che Liebe, von der die heiligen Schriften reden, ift
es alfo, welche ale Handlungen des Menfchen, fo
wie alle Abfichten und alle Triebfedern desfelben,
nach dem göttlichen Willen ordnet, und deßhalb noth⸗
‚wendig durch vollkommene Ordnung im aus
‘Bern Leben, folglich durch eine Gerechtigkeit ſich ofe
186
fenbart, die nicht bloß in den Augen der Welt,
fondern felbft vor den Augen Gottes beftehet und fos
mit einen ewigen Werth hat.
Wie aber die göttliche Liebe volfommene Ord—
nung in den Menfchen bringt und im Mtenfchen be-
wahret: fo bringt fie auch vollfommene Ordnung in
die menfchliche Gefelfchaft, und bemwahret fie darin,
Sie ift es, welche die häuslichen, bürgerli
hen und firhlichen Vereine, von welchen zeite
liches Wohl und ewiges Heil des menfchlichen Ge—
fchlechtes abhangt, nad) dem Willen Öottes, und
zum Wohlgefallen Gottes bildet.
Unter den häuslichen Vereinen ift die Ehe der
erfte und michtigfte Verein: der erſte, weil er allen
andern Verbindungen vorgehet; der wichtigfte, weil er
die Grundlage aller übrigen ift.
Da die Ehe eine Vereinigung zweyer Menfchen
ift, die den Zrieben und Bedürfniffen,, welche in der
Gefchlechtsverfchiedenheit liegen, entfpricht: fo faßt fie
die Vereinigung der Leiber in ſich. Allein diefer Ver—
einigung der Leiber geht die Vereinigung der Gemü—
ther voraus, und dieſe leßtere ift die Liebe, oder das
Werk der Liebe. Die Ehe ift alfo Fein Zufammen-
friet der Thiere bloß thierifcher Bedürfniſſe wegen,
fondern eine Vereinigung der Menſchen aus höheren
Sweden, nahmlich zur Fortpflanzung des menfchlichen
Gefchlechtes; eine Wereinigung, die, wenn fie echter
Art ift, aus Liebe entfpringt, durch Liebe erhalten
und geleitet und in der Liebe vollendet wird.
Die Ehe, als Werk der chriftlichen Liebe und _
als unverfennbare Darftellung der chriftlichen Geſin—
nung , zeichnet ſich von andern unftarthaften Vereini—
gungen der Perfonen verfchtiedenen Geſchlechtes da—
durch aus, daß fie dem Einen Manne nur Ein
Meib, und dem Einen Weibe nur Einen Mann ers
laubt, die Vereinigung zwifchen bepden Iebenslänglich
187
macht, und dadurch den Gefchlechtstrieb auf Einen
Gegenſtand befchranft, und durch eine göttliche Ends
abficht die Befriedigung desfelben heiliget. Eben dieſe
Bereinigung des Mannes mit bloß Einem Weibe, und
die lebenslängliche Unauflosbarfeit derfelben, vereint
mit dem hohen Zwecke, welcher ihr zum Grunde liegt,
ift der offenbarfte Beweis von dem Worherrfchen der
chriftlichen Oefinnung. Denn wo fie immer nicht
vorherrfchend werden Fonnte: da zeigen fich Ausfchweie
fungen des Gefchlechtötriebes aller Art; es tritt hervor
die freche Wolluft in ganzlicher oder doch willführlicher
Ungebundenheit, und der hohe, heilige Zweck, wel⸗
cher der Ehe, zufolge ihrer göttlichen Einfegung, zum
Grunde liegt, verliert fi) ganz aus den Augen der
Menfchen. Wo dagegen die chriftliche Gefinnung fich
vorherrfchend zeigt: da leitet und regelt fie, wie alle
andern, fo auch die Triebe der verfchiedenen Geſchlech—
ter; und die Achtung oder Verachtung, die Heilig:
haltung oder Entheiligung der Ehe ift der gultigfte
Beweis von dem Dafeyn, oder von dem Nichtdafenn
chriftlicher Gefinnung, alfo von dem Blühen oder
Verwelken der chriftlichen Keligion in den Herzen der
Menfchen und ganzer Völker. Die Gefchichte der
Menfchheit bewähret diefe Ausfage durch unzählige
Belege.
Die chriftliche Gefinnung offenbart fich aber in
der Ehe vorzugsmeife
1. durch die wechfelfeitige Treue und
2. durch die mwechfelfeitige Liebe der
Verehelichten, fo zwar, daß man mit Wahrheit
fagen kann: wie die Treue und die Liebe der Ver:
ehelichten, fo ift auch die chriftliche Gefinnung derfels
ben; denn, wo die chriftliche Öefinnung mangelt, da
mangelt mit ihr auch die Treue und die Liebe unter
den Verehelichten; wo hingegen die chrifiliche Geſin—
nung berrfchet, und beyde Theile beherrſchet, da tritt
188
auch die eheliche Treue und Liebe in ihrer Kraft und
Schönheit hervor.
Alle Eigenfchaften der ehelichen Treue und Lie—
be find demnach fo viele Bewahrungen der Einen
chriftlichen Öefinnung. Offenbarung und Bewährung
der chriftlichen Geſinnung iſt alfo ganz gewiß jene
Willensſtärke der Verehelichten , Fraft welcher fie außer
der ehelichen Beymohnung jede Befriedigung der Ge—
fehlechtsluft fich verbiethen, und jegliche Begierde dar⸗
nach unterdrücen.
Dffenbarung und Bewahrung der chriſtlichen Ge⸗
ſinnung iſt alfo auch jene Willensſtärke der Verehelich—
ten, kraft welcher ſie in der ehelichen Beywohnung den
Zweck der Ehe nie aus dem Auge verlieren, und
außer der ehelichen Beywohnung den Gefchlechtstrieb
fo beherrfehen, daß fie in jeder Hinficht das Bild
der Züchtigfeit an fich fragen, und alle leichtfertigen
Heußerungen in Mienen, Geberden und Handlungen
ſowohl im flillen häuslichen, als im öffentlichen Les
ben forgfaltig meiden, und, fern von jeder Schams
lofigfeit und Ausgelaffenheit, den Geift der Sittlich—
keit, und die Würde des fittlichen (fchönften) Anſtan⸗
des in ihrer ganzen Aeußerlichfeit Fund thun.
Dffenbarung und Bewahrung der chriftlichen Ges
finnung ift es: wenn der Mann als Haupt das Weib
regiert, wie Ehriftus die Kirche, und das Weib dem
Manne gehorcht, wie die Kirche Chriſto, alfo die
großmüthige Liebe des Mannes, welcher das Weib
leitet, fchüßet und pfleget, und der :hrerbiethige Ge-
horfam des Weibes, welches den Wünfchen und Abs
fichten des Liebenden Mannes huldiget, die ſchönſte
Einheit in der Ehe darftellen. Denn nur wo chriftliche
Gefinnung im Gemüthe des Mannes und des Weiz
bes iſt; da zeiget fich diefe felige Eintracht, welche
das Leben der Verehelichten immer mehr verfüßet und
veredelt, und fie zu eigentlichen Werkzeugen Gottes
189
in Fortpflanzung des menfchlichen Gefchlechtes bilder
und emporhebet.
Die chriftliche Gefinnung im ehelichen Leben ofe
fenbart und bewahrt ſich auf eine vorzügliche Weiſe
— endlich auch dadurch: daß fie nicht nur den Leib
vor Entweihung durch Ehebruch und jede andere ver—
bothene Wolluſt, fondern auch das ganze Gebieth der
Einbildungsfraft vor den Luflzugen, die von
fremden Öeftalten angeregt, von dem Zauber der finns
lichen £iebe ausgemahlet, und von unbeherrfchter Sehn—
fucht unterhalten werden, rein bewahrt, und ſomit nes
ben dem äußern Tempel auch den innern beilig halt,
Dazu gehört ein ftätiges Wachen, Bethen und
Kämpfen gegen die leifefte Regung jeder unzuchtis
gen Begierde; und dieſe Stätigkeit im Wachen, Ber
then und Kämpfen, moher anders als von der heilis
gen Liebe, die als Seele aller chriftlichen Gefinnung
nur thatig für göttliche Dinge, und wider alles Uns»
göttliche Fampfrüftig machen kann?
Gebeth.
Laß „o Herr! das Bild der ewigen Gerechtig—
£eit allen Menfchen und das Urbild, nach wel:
chem Du die Ehe ins menfchliche Leben einges
führet haft, allen Berehelichten ftets belle in
die Augen leuchten, Daß fie, hinblickend ei
dasfelbe, alles Unrechte meiden, und das Gefa
ihres Leibes in Ehre und in Heiligung bewah—
ren lernen, fern von jeglicher Luft der zügelloſen
Sinnlichkeit, die herrfchet bey den Heiden,
welche Gott nicht Eennen. Laß fie die Morte
des Apoftels recht oft und tief zu Gemüthe füh—
ren. 1. Sheffal. IV.2—4.: Shrwiffet, wel
he Vorſchriften ich euch gegeben habe
durch den Herrn Jeſus. Denn das iſt
190
der Wille Gottes, euere Heiligung,
daß ihr euch von Hurerey enthaltet,
und jeder aus euch feinen Leibin Ehre
und Heiligung zu erhalten wiſſe. Dazu
ſende uns deinen heiligen Geiſt, damit Seele
und Leib dein Tempel werden, dir geweiht und
heilig wie du. Amen.
* Hiermit ſtimmt genau zuſammen, was Fenelon von
der Ehe fo wahr als Elar ausfpricht,
Schon beym Urfprunge des Menfchengefchlechtes, bevor nod)
dasfelbe verderbt worden, in der volllommnen Unfchuld des Para=
diefes ward die Ehe eingefegt. Sie ftellt uns die heilige Einigung
des Sohnes Gottes mit der Kirche, feiner Braut, dar. Jeſuͤs
Ghriftus hat fie, die Ehe, heiligen wollen durch feine Gegenwart
bey der Hochzeit zu Cana, wo er fein erftes Wunder wirkte. Er
hat durch diefes Sacrament die Fülle des Segens über die Quelle
unferes irdifchen Dafeyns ausfpenden wollen ; damit diejenigen,
die zu diefem Stande fich verbinden, Feine andere Abſicht haben
follen, als Kinder zu befommen, nicht ſowohl um welche zu haben,
als um fie Gott zu ſchenken, — ſolche Kinder, die ihrem himmli⸗
Then Water ähnlich find.
Die Ehe verknüpft die zwey Perfonen mit einem unauflös=
lihen Bande, das nur der Tod zu trennen vermag. ©o hat es
Gottes Geift zum Beften der Menfchen georbnet, um die Unbeftän=
digkeit, die Verwirrung zurüd zu drängen, die aus der Auflös—
barkeit des Ehebundes entftehen, und die Ordnung und Stätigkeit
ber Familien zerrütten würden, ohne welche die Erziehung der
Kinder nicht gedeihen Fann. Durch diefe Unauflösbarkeit wird die
Ehe zu einem ſchweren Joche für die Mehrzahl der Menſchen, welche
leichtfinnig, unbefländig und voll Fehler find. Jede der beyden
Ehehälften bringt ihre Unvolllommenpheiten , ihre Mängel mit; oft
finden fich entgegengefeste Charaktere, unverträgliche Eigenheiten
und Launen zufammen ; es verfchwindet allmählig die gegenfeitige
Gefälligkeit ; und endlich wird man, durch die Nothwendigkeit des
fräten Zufammenfeyns , Zuſammenwirkens, , einander läftig und über:
drüßig. Darum iſt eine große Gnade vonnöthen, und eine treue
191
' Bewahrung diefer Gnade, um das. Joch der Ehe ohne Ungebuld
;zu tragen. Wer es nur auf fich nimmt, um feine Sinnlichkeit,
| feine Gemädhlichkeit darin zu befriedigen, wird fich bald betrogen
| fühlen; er wird unglüdlich ſeyn, und feine Gefährtinn unglüdlich
ı machen. Denn die Ehe ift ein Stand der Drangfale und einer
\fehr peinlichen Unterwürfigkeit ; und darum foll, wer fih von
\ Gott dazu berufen glaubt, fi) im Geifte der Buße darauf vorbe=
‚reiten. Nur die Gnade des Sacramentes erleichtert diefes Soch, und
\verleihet Kraft, fich demfelben geduldig zu unterziehen; nur dur
\ fie vermögen die zwey Ehegenofjen einander zu ertragen, und zu un=
\terftügen in wechlelfeitiger Liebe.
Ihr Männer, liebet eure Frauen, wie Sefus Chriftus feine
Kirche geliebt, die er mit feinem Blute gewafchen hat, und die
ınun der Gegenſtand feines Wohlgefallens if. Betrachtet eure
Gattinnen wie euer anderes Selbſt, was fie ja auch find , da in
der Ehe zwey Perfonen nur Eine werden. Behandelt fie mit
Nachſicht und Schonung, leitet fie mit Milde und Zärtlichkeit
durch den fanften Zügel der Ueberzeugung , 1:9d, nad) des Apo=
ſtels Mahnung, eingedent der Schwachheit ihres Gefchlechtes.
Theilet ihnen in freundlicher Vertraulichkeit eure Angelegenheiten
tmit, die ja auch die ihrigen werden in diefer innigen Vereinigung.
Gewöhnet fie fo an die häuslichen Arbeiten, an vie Hleinlichen Ge—
ſchäfte der Haushaltung, und feget fie in den Stand, ihre Kin—
\der mit Ernft und Klugheit in der Furcht Gottes zu erziehen.
Shr Frauen Hingegen, liebet und ehret eure Männer, wie
die Kirche Iefum Chriftum , ihren Bräutigam, liebet und ehret.
"Betrachtet in euern Männern Chriftum, den Herrn, felber. Seyd
ihnen in Gott unterthan, als euern Oberhäuptern, die euch hie=
ınieden an Gottes Statt vorfiehen. Trachtet durch euer fanftes,
gefälliges, fittfames Wefen ihres Zutrauens fiets würdiger zu wer—
tden, und durch Liebreiche Sorgfalt ihnen die Bürde des Lebens zu
verleichtern. Fliehet nicht bloß mit Abfchen Alles, was einer Un—
(treue ähnlich fehen könnte; fondern vermeidet auch mit möglichfter
(Sorgfalt fogar den fernften Schatten deflen, was das Vertrauen
iin diefer heiligen Verbindung zu ftören geeignet wäre, Begegnet
veinander mit folder Einfalt und Züchtigkeit, daß bey dem Einen
und dem Andern auch der leifefte Gedanke des Mißtrauens fern
(gehalten werde. Endlich möge der Eheftand, weit entfernt dem
192
Fleiſche eine verberbliche Freyheit einzuräumen, euch vielmehr. dazu
dienen, das Fleiſch dem Geifte defto leichter zu unterwerfen.
Und weil denn Kinder die Früchte gefegneter Ehen find ; fo
bitte ich zu Gott, daß er euch Kinder fchenke , jedoch Kinder,
welche unter der Zahl feiner Heiligen gehören, und die einft de
Troſt euers Alters werden mögen.
(Oeuvres de Fenelon. Tom. VII, Divers sentiments
et avis chretiens. N. L. du mariage.) |
\ XXVI,
Die nähmliche chriftliche Gefinnung, die fih in allen Ber:
hältniffen des Lebens als fittlihe Ordnung, als Gerech—
tigkeit, und in ehelihen Verhältniffen ale beharrende
Treue und Liebe zwifchen Mann und Weib bewähret und ver—
kläret, dieſelbe Gefinnung offenbaret und verherrlichet fih auch
durch vernünftige Erziehung und Führung der Kinder zum Gegen
der Welt.
3
— — — —
Siebenundzwanzigſter Tag.
Von Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Er⸗
| ziehung der Kinder.
*
Schriftſtellen.
1. Wei die Aeltern gerecht waren, unterrichteten ſie ihre
Tochter im Geſetz Moyſis. Dan. XIII. 3.
2. Ihr Väter! reizet eure Kinder nicht zum Zorne,
fondern erziehet fie in der Zucht, und in der Ermahnung des
Herrn. Epheſ. VI. 4.
3. Erbittert euere Kinder nicht, damit fie nicht muthlos
werden. Kolof. III. 21.
4. Mein Sohn! höre die Ermahnungen deines Vaters,
und verachte die Gebothe deiner Mutter nicht; damit dein
Haupt⸗
195
A und dein Hals mit Eöftlichem Schmucke gezieret werde.
Sprichw. I. 8. 9.
5, Laffet uns die lobwürdigen Männer, und unfere Vä—
ter in ihren Geſchlechtern rühmen. Sirachsſohn XLIV. 1.
6. Raffet die Kleinen zu mir Fommen, und wehret ihnen
das nicht; denn für folcye ift das Himmelveich. Mark. X, 14.
7. Wenn ihr eudy nicht befehret, und werdet wie die
Kinder, fo Eönnes ihr nicht in's Reich Gottes Eommen.
Mat, XVII. 3,
Betrachtung.
Die heilige Liebe, welche als herrſchende Geſin—
nung die Verehelichten beſeelet, zeigt ſich beſonders
wirkſam in Bildung ihrer Kinder; und ihre Thätig—
keit findet keinen Ruhepunct, bis ſie in denſelben das
göttliche Ebenbild erblicken, nach dem der erſte Menſch
geſchaffen worden, d. i. bis ihre Abkömmlinge, die
fie aus der Hand des Vaters im Himmel erhalten
' hatten, diefem ihren Vater, wo nicht glich, doch
recht ahnlich fehen.
Ohnehin ift es die chriftliche Öefinnung, aus
welcher alle wahre fittliche Bildung hervorgeht, und
außer welcher nur Mißbildungen und Berbildungen une
ter den Menfchen gefunden werden. Wo aber die chrift:
liche Sefinnung ſich zur Herrfchaft emporgehoben hat,
und ihr bimmlifches Bildungstalent entfalten kann:
da wird vorerft der ganze innere Menfch, die Vers
nunft, der Wille und das Gemüth gebildet, und als
Früchte diefer Bildung auch am äußern Menfchen die
Mäßigkeit, Nüchternheit, Keufchheit, Geduld und als
les, was fonft noch Zugend heißt, von innen berauss
und angebildet. Es ift alfo die chriftliche Gefinnung,
welche die Verehelichten tüchtig und würdig macht, die
Vater⸗ und Mutterftele an ihren Kindern zu vertreten
und Drgane zu werden, durch welche das geiftige
Leben entwicelt und erzogen wird in denjenigen, die
Sailer, d. chriſtl. Monath. 15
194
durch fie das natürliche Leben von Gott erhalten
hatten.
Die heilige Liebe, diefes Mark jeder chriftlichen
Öefinnung, ift und bleibt im Grunde doch die eigent-
liche Erzieherinn der Menſchheit; indem fie die zarte
Knofpe des Menfchenmwefens vom erften Momente an,
wo fie in die Welt eintritt, gleichfam in die Arme
nimmt, heget und pfleget, flarket und bis zu dem
Puncte begleitet, wo fie fähig wird, fich felbft durch
das Leben zu führen,
Von jeher hat, wer von der heiligen Liebe begei—
ftert, alfo von chriftlicher Gefinnung durchdrungen war,
da, wo fi) der Anlaß darboth, und fein ubriger
Nflichtenfreis es erlaubte, mit uneigennüßigem und uns
verdroffenem Eifer der Entwicdelung und Bildung der
jungen Mtenfchheit fich gewidmet; und jede wohlge-
lungene Erziehung war, iſt und wird ſtets fegn Die
Frucht der heiligen Liebe, als Erzieherinn der Menſch⸗—
‚heit betrachtet. Wo die heilige Liebe nicht iſt, oder
nicht mehr ift: da ſinket oder verfinfet auch die Ers
ztehung im Familien» und im öffentlichen Leben; was
die Gefchichte der neuern Zeit auf eine nur zu mans
nigfaltige und traurige Weife anfchaulich macht.
Die heilige Liebe, als Erzieherinn der jungen
Menfchheit, fängt das große Werk der Menfchenbil-
dung ſtets bey feinem rechten Anfange an; indem fie
vorerft das Böſe, welches in jedem ihrer Zöglinge,
wenn nicht fchon in einiger Entmwicelung, doch wenig»
ſtens dem Keime nach vorhanden ift, mit unerbittlis
cher Strenge bewachet, unterdrückt und zerftöret, und
dann die jchlummernden Anlagen zur Weisheit und
Zugend durch Ernft und Milde wet, und ihr Wachs»
thum durch Lehre, Benfpiel und Zucht fördert.
Wenn nun die heilige Liebe jeden Menfchen gleich»
fam zum Erzieher der jungen Menſchheit umfchafft, um
wie viel mehr diel Xeltern, welchen die Erhaltung , die
195
Bildung und die Verforgung ihrer Kinder zunachfi von
Gott übertragen wird? Die Xeltern find die unmittels
barften, die natürlichffen und auch die wirffamften Dr>
gane, durch welche die heilige Liebe erziehend auf die
‚junge Menfchheit einwirkt.
Diefe Liebe ift es, welche 3. B. die Mutter ans
reget, und von innen aus nöthiget, ihr Kind zu wars
ten, zu nähren, zu reinigen, zu bewahren und zu flärs
‚Zen, und den unzähligen Sorgen und Mühſeligkeiten,
die mit der erſten Kinderpflege nothwendig verbunden
find, mit voller Wiligkeit und in ſtätiger Milde fich zu
unterziehen.
Die chriftliche Geſinnung iſt es, welche auch der
fanfteften und zärtlichften Mutter jenen heiligen Ernft
eirflößt, welcher das Böſe in allen Öeftalten, in denen
es im Kinde fich reget, und am Kinde fich äußert, be>
kämpft und unterdrückt, und von den erften Jahren an
das noch unerfahrene Gefhopf an eine Lebensordnung
gewohnt, durch welche das Wohl und Heil feines gan-
zen Fünftigen Dafeyns bedingt wird,
Die chriftliche Geſinnung iff es, welche der Muts
ter die Anweifung gibt, durch Offenbarung ihrer eige—
nen Andacht vor den Augen des Kindes die religiöfen
Gefühle in demfelben, fo früh wie möglich, zu weden,
und die Pflanze des Glaubens an Ehriftus, an die Lau—
' terfeit feiner Gefinnung, und an die vollendete Heiligs
feit feines Lebens in dem weichen Zöglinge forgfam zu
‚pflegen; damit der Unglaube an unferm göttlichen Er:
löfer, diefe reichhaltige Quelle alles Böfen, welcher in
der Welt fo allgewaltig um fich greift, im Herzen des
Kindes nie Wurzel faffen, nie mit aufwachfen Fünne.
Die chriftliche Geſinnung ift es, melche die Mut—
ter lehret, mit der häuslichen Andacht den Gottesdienft
der Kirche, und mit dem häuslichen Unterrichte die Wohle
that der öffentlichen Schule vereinbaren ; fo wie das früh
auffproffende Unkraut früh genug wahrnehmen, und
15°
196
mit unnachgiebigem Ernfte ausjäten; 3.8. Eigenfinn,
Kechthaberey, Neid, Eiferfucht, Zorn, Rache, Stolz
und Eitelfeit, welche nur zu frühe fich regen in den
jungen Gemüthern ; aber nicht zu frühe unterdrückt und
ausgetilgt werden können.
Die chriftliche Öefinnung in der Mutter iſt e$,
welche das ſchon erweckte Gefühl der Andacht in den
Kindern zu erneuern, zu erhöhen und zu flärfen weiß;
indem’ fie diefelben mit den Önadenmitteln befannt macht,
welche Jeſus Chriſtus durch feine Kirche uns darbiethet,
und die für jeden Ehriften heilfchaffend find... Die
erfte Beicht, die erfte Communion der Kinder find
die mwichtigften Handlungen, worauf die Mutter ihre
Lieblinge vorbereitet, und die fchönften Feſte, die das
ganze Haus mitfeyert.
Die chriftliche Gefinnung iſt es endlich, melche
die fromme Mutter zur Heldinn macht im großen Kam:
pfe wider die große Welt, der feine Aeußerlichkeit
und glanzender Lebensgenuß Alles, Gottesfurcht, Ans
dacht des Herzens und Erfenntniß der Wahrheit fo viel
als Nichts iſt; wider die gottlofe Welt,der Ehri»
ſtus und fein Evangelium Xergerniß, und der gebiethen-
de Sinn für Keufchheit und Gerechtigkeit Unfinn heißt ;
wider die lufttrunfene Welt, die allen Ernſt
des Lebens als Thorheit verſcheuchet, und den blinden
Taumel von Lufipartie zur Zuftpartie für höchftes Les
bensglück anfteht, und zur Zagesordnung macht. Wenn
die Mutter ihre Kinder gegen die Einflüffe diefer drey—
fachen Welt gefichert haben wird: dann ziemt ihrem
Haupte die Mutterfrone. |
Wie die chriftliche Liebe die Mutter zur eigents
lichen Erzieherinn bildet: fo macht fie auch den Vater
zum Bormann, zum Mitgehülfen und zum
Unterftützer der mütterlichen Bildungen an feinen
Kindern. Sein kluger Kath, das Mufterbild feines
Lebens, feine Klarheit in Belehrung, fein milder Ernſt
197
in Züchtigung, der fliegende Ausdruck des väterlichen
Anſehens, felbft die Macht feines fprechenden Blices,
und feines noch beredtern Schweigens — geben dem
fonft fchwächern Muttermorte die Waffe der Unwider⸗
ſtehlichkeit; der fleife Kopf ift dem Sohne gebeugt, der
Eigenſtnn der Tochter gebrochen — die Erziehung fehreis
tet ungehemmt voran.
0 alfo chriftliche —— in den Aeltern
herrſcht, und nur wo ſie herrſchet: da gedeiht die rechte
Menſchenbildung in den Kindern. Was die Lie⸗
be, lehrend und thuend , in den Erftern vorbildet, das
bildet die Liebe, gehorchend und vertrauend, in den Ans
dern nach.
Die Kinder zeigen in ihren Gefichtern die Züge der
eltern, in ihrem Leben die Tugenden der Xeltern;
Nächſtenliebe und Selbftbeherrichung, Fleiß im Erwers
be, Mäßigkeit im Genuffe, Sparfamfeit im Gebraus
che des Erworbenen, Oottfeligkeit und Genügſamkeit
in Allem werden fich von den Aeltern auf die Kinder vers
erben, und fich fpiegeln in den Erben.
Endlich, wie der chriſtliche Sinn in den
Aeltern beharrt: fo. wird auch der Findliche Sinn
gegen die Aeltern in den Kindern beharren.
So lange 3. B. die Aeltern ihre Ehrfurcht gegen
‚ Gott bewahren: fo lange werden auch die zartfühlenden
Kinder ihre Ehrfurcht gegen die Aeltern fefthalten ; zu—
mahl fie in denfelben Gott ſelbſt erbliden, ehren und
dankbar anerkennen werden, mie ihre Aeltern Gottes
Vaterftelle an ihnen vertreten. Wo aber die Ehrfurcht
gegen Gott aus den Herzen der Aeltern gemwichen ift: da
wird auch aus den Herzen der Kinder die Ehrfurcht ges
gen ihre Aeltern weichen. Wo chriftliche Gefinnung in
den Herzen, und in dem Betragen der Aeltern gegen ihre
Kinder herrſcht: da zeiget fi auch Gehorfam und Uns
‚ terwürfigkeit im Betragen der Kinder gegen ihre Ueltern,
als ihre natürlichen Vorſteher und Gebiether, als Stell-
198
vertreter der höchften Macht und Weisheit. Wo hinge-
gen die chriftliche Gefinnung in den eltern erlofchen
ift: da wird bald auch Feine Spur derfelben in ihren
Kindern wahrzunehmen feyn, fondern eine Achtungslos
figfeit und Kälte gegen ihre Aeltern eintreten, welche
der Wiederfchein ihrer Achtungslofigfeit und Kälte ger
gen Gott if. Und das ift leider das Bild unfrer Tage,
Denn, wenn wir die jeßige Jugend betrachten: fo zeis
get ſich nur zu vielfaltig, daß nicht ſowohl chriftliche
Geſinnung, als vielmehr Willführ, Laune und Welte
geiſt ihre Bildung beherrfcht haben; und wir werden die
Worte Ehrifti (Matth. IX, 37. 38.) auch in diefer Bes
ziehung treffend finden:z Die Ernte ift groß,
der Arbeiter aber find wenige Bittet
daher den Herrn der Ernte, daß er Arbei—
ter in feine Ernte fende.
Gebet
3a, wir bitten dich, o Herr! werke auf in den
Herzen der Aeltern und Aller, denen die Bildung
der Jugend in die Hande gelegt ift, den rift-
lihen Sinn; entzunde in ihnen das Fener deiner
Liebe, daß fie, von ihr getrieben, das göttliche
Bild in ihren Zöglingen von jo vielen Makeln,
die es entftellen, reinigen, und nad) feiner ur-
fprünglichen Herrlichkeit wieder herzuftellen trad)-
ten; daß fie nicht nur Pfleger des thierifchen,
irdifchen, fondern auch Bildner des geiftigen, un—
fterblihen Lebens werden mögen. Amen,
Vater Tobias,
Ein Mufter aus der alten Welt für unfre neuen Erzieher.
Als der alte Tobias ſich dem Tode nahe fühlte, rief er feis
nen Sohn zu fi, und ſprach zu ihm: Höre, mein Sohn! die
199
"Worte meines Mundes, und bewahre fie wie eine Grundfefte in
I deinem Herzen. Wenn der Herr meine Seele zu fi) genommen
| haben wird :'fo begrabe du meinen Leib, und vernadjläffige deine
Mutter nicht. Halte fie in Ehren alle Tage deines Lebens, thu,
was ihr mwohlgefällig ift, und betrübe fie nicht. Bedenke, mein
‘Sohn! wie viele und große Gefahren fie deinetwegen ausgeftan-
den, als fie dich unter ihrem Herzen trug. Wenn fie geftorben
ſeyn wird, fo begrabe fie neben mir.
Sohn! dein Leben lang fey des Herrn, unferes Gottes, eins
gedenk; fey wachfam, und willige ja in eine Sünde, in Feine
Uebertretung ber Gebothe des Herrn, unferes Gottes, ein.
Bon deiner Habe gib Almofen, und wende von keinem Ars
men bein Angefiht ab; denn fo wird es gefchehen, daß auch das
Angeſicht des Herrn fih nie von bir abwenden wird. Sey batm=
herzig nach dem Maße deines Vermögens; Haft du viel: fo gib
reichlich; haft du wenig: fo theile auch das Wenige gern mit den
Armen. Das Almofen, reichlich gefpendet, gewähret große Zuver=
| | Al vor dem Herrn zu erfcheinen.
Hüthe dich, mein Sohn! vor aller Unkeuſchheit; ehre dein
Weib, und fchau auf Feine Fremde. Laß in deinem Herzen, in
' deinen Worten und Geberden nie Hoffart und Uebermuth herrfchen.
Denn hiervon hat alles Verderben feinen Anfang genommen.
Wer irgend eine Arbeit für dich verrichtet hat, gib ihm den
Arbeitslohn, und den Lohn, des Taglöhners laß nicht übernachten
bey dir.
Sieh wohl zu , daß du nie etwas einem Andern thueft, das
du von einem Andern dir nicht gethan wünfchteft.
Dein Brot iß mit den Hungrigen und Armen, und mit den
Kleidern von dir bedecke die Nadten.
Gib Almofen von deinem Brote und Weine bey ben Begräb-
niffen der Frommen; in Gefellfhaft. der Gottlofen aber iß und
trink nicht davon.
Rathes erhohle dich immer bey einem weiſen Manne.
Lobe Gott zu jeder Zeit, und bitte ihn, daß er leite deine
Pfade, und alle deine Rathſchläge auf ihn gegründet bleiben.
Ich habe dir, mein Sohn! noch dieſes zu ſagen: Zu Rages
in Medien hab' ich ehemahls, als du noch ein kleines Kind warſt,
dem Gabelus zwölf Talente Silbers gegeben, und habe ſeine Hand—
ſchrift bey mir. Sieh, wie du zu ihm kommen, das erwähnte
200
Silber von. ihm erhalten, und ihm feine Handſchrift zurückſtellen
könneſt. ur
Fürchte dich nicht, mein Sohn! wir führen zwar ein armes
Leben; doch befisen wir viel Güter, wenn wir Gott fürchten, uns
von aller Sünde fern halten, und Gutes thun. Tob. IV. 2—25.
XXVIII.
Der Wirkungskreis der chriſtlichen Geſinnung weitet und
erhöhet ſich immer mehr. Wie fie im häuslichen Leben zufrie—
dene Ehen ſtiftet, gute Aeltern und treffliche Erzieher bildet: ſo
weiß fie auch in dem größern Vereine des öffentlichen Lebens
das Ganze zu erhalten und zu beglücken; indem fie, als Eeele deö
großen Leibes, der Staat, und des andern, der Kirche heißt ; jes
des einzelne Glied belebt, und in beyden Verhältniffen weife Vor»
fteher und gut gefinnte Beamten in höhern und niedern Kreifen
bildet.
Abt und zwanzigfter Tag
Bon Dffenbarung der chriftliden Öefinnung in Ers
fülung der Amts- und Berufspflichten in großen und
kleinen Wirkungsfreifen,
Shriftftellem
1. Voeiſchieden ſind die Gnadengaben, jedoch iſt nur Ein
Geiſt. Verſchieden ſind die Verrichtungen, jedoch iſt nur Ein
Herr. Verſchieden find die Wirkungen, jedoch nur Ein Gott,
der Alles in Allem wirket. Einem Seglicyen wird der Geift ger
geben, daß er fi) zum gemeinen Nutzen offenbare. — Alles
wirker Ein und derfelde Geift, der einem Jeden befonders zus
tbeilet, wie er will, Denn, gleichwie der Leib ein Ganzes
iſt, obwohl er viele Glieder hat: fo machen alle Glieder des
Leibes, obgleich ihrer viele find, doc) nur Einen Leib aus. So
ft ed auch in Chriſtus. Wir find alle, Juden oder Heiden,
201
Sclaven ober Freye, in Einem Geiſte zu Einem Leibe getauft,
und Alle mie Einem Geifte getränft. I, Kor. XIL 4— 7.
2. Hat Semand ein Amt, der bleibe bey feinem Amte,
Mer lehret, der bleibe bey der Lehre; wer ermahnet, der bleie
be beym Ermahnen ; wer Andern mittheilet, thue es in Ein-
falt. Iſt Semand Vorſteher, der fey es mit Sorgfalt; wer
Darmherzigfeit übt, übe fie mit Freudigfeit. — Seyd nicht
träge im Dienfteifer; feyd inbrünftig im Guten; dienet dem
Herrn. Röm. XILE'6— 8. 11.
00.3. Ihr Knechte! gehorchet dem Herrn mit Aufrichtigfeit
des Herzens, wie Chrifto, — nicht ald Augendiener, um nur
den Menfchen zu gefallen, fondern ald Knechte Chrifti, die
Gottes Willen thun von Herzen. Ihr Herren! thut dasfelbe
gegen fie, und laffet das Drohen. Ihr wiffer ja, daß auch
ihr , wie fie, einen Herrn im Himmel habet, bey dem Eein
Anfehen der Perfon gilt, Ephef. VI. 5. 6. 9.
4. Die Weisheit. hat den Vorzug vor der Macht, der
Weiſe vor dem Starken. Darum höret, ihr Könige! Merket
auf und lernet, ihr Richter der Erde! Hierher eure Ohren,
ihr, die ihr über fo Wiele herrfchet, und fo gern die Völker une
ter euc) feht. Won dem Herrn habt ihr eure Herrfchaft em—
pfangen; von dem Höchſten habt ihr euere Gewalt. , Diefer
wird euch über euer Betragen und: euere Rathſchläge zur Nee
chenſchaft ziehen. Ihr feyd die Diener feines Reiches. Weil
ihr unrecht gerichtet, das Geſetz der Gerechtigkeit nicht beob«
achtet, Gottes Willen nicht gethan: fo wird er ſchrecklich und
plöglicy über eud) Eommen; denn die, welche Gewalt haben,
werden fcharf gerichtet. Bud) der Weish. VI. 1—6.
5. Mer it wohl der getreue ‚und Fluge Knecht, den
ſein Herr über das Gefinde gefegt hat, um demfelben zur rech—
ten Zeit die Nahrung zu reichen? Gelig ift er, wenn der
Herr bey feiner Ankunft ihn fo handelnd finden wird. Matt.
XXIV. 45. 46,
6. Weidet die euch anvertraute Herde Gottes, und war
det über fie, nicht aus Zwang, fondern freywillig, nach
Gottes Willen; nicht um ſchändlichen Gewinnes willen , fone
dern aus veiner Abficht; nicht als gebiethende Herrſcher über
die Auserwählten, fondern ald Worbilder der Merde. Dan
werdet ihr, wenn der Oberhirt erfcheint, die unvermwelkliche
Krone der Herrlichkeit empfangen. Ihr Sünger! feyd Untere
than den Lelteften. Ueberhaupt ſeyd Alle einander unterthan,
und ſchmücket euch mit Demuth; denn Gott widerfteher den
202
Hoffärtigen, den Pengc aber gibt er Gnade. l Petr.
2—
V.
7 Adıtet Alle ; liebet die Brüder; fürchtet Gott; ehret
den König! I. Petr. IL. 17.
Betradhtung.
Wie der Eine Gott in der Schöpfung, Erhaltung
und Regierung der Welt nichts offenbaren Tann, als fich
felbft — das, was er ift, die ewige, heilige, Licht und
Leben ausfirömende Liebe: ſo Fonnte er auch in der
neuen Schöpfung, in der Erlöfung des menfchlichen
Geſchlechtes, nichts offenbaren, als fich ſelbſt — dies
felbe ewige, heilige, Licht und Leben ausftrömende Liebe.
Liebe ift alfo der Anfangs» und der Ends
punct, Liebe der Mittelpunct allr Werke, als
ler ührungen Gottes,
Und wie Gott die Liebe ift, fo foll der
Menſch Gottes Ebenbild — Liebe werden, fo fol
der Ehrift Gottes Ebenbild — Liebe feyn. Wenn nun
diefe Liebe, die dag Geſetz aller Geſetze if, Matth. XXI.
36—40. fo allgemein wäre, als die menfchliche Geſell—
ſchaft: fo wurde jedes Menfchenwefen in feiner Lage, an
feiner Stelle, in feinem Berufe Sort den Herrn im
Bilde darfellen,
Und überall, wo fie, Diefe Liebe, wirklich herrſcht,
es ſey in dem bürgerlichen oder in dem Firchlichen Vers
eine, da. ift jedes Amt, jede Stelle, jeder Beruf eine
Dffenbarung Gottes; überall leuchtet und glänzet herz
vor — das göttliche Ebenbild im Menfchen.
Diefe Liebe, als Mittelpunct und Umfang aller
chriftlichen Gefinnungen, iſt der Geift des weiſen und
gerechten Regenten und feiner Staatsbeamten, ift die
Seele des lichthellen, frommen Bifchofs und feiner Pries
fterfchaft.
Der Regent, von der heiligen Liebe durchdrungen,
vergißt nie, worin feine hüchfle Macht gegrüns
203
det, und wozu fie ihm anvertraut fey, und ubt
fie deßhalb über feine Untergebene, wie ein guter Bas
fer die väterliche Gewalt über feine Kinder, aus. Ein
ſolcher Regent ift nie waife gelaffen von der erhabenen
und erhebenden Weberzeugung, daß er die Kegentens
' Macht von Hott erhalten habe, und zwar zur Verwirk⸗
lichung göttlicher Zwecke, fomit zur Vollbringung defs
fen, was wahrhaft gut ift; alfo nicht nur zur Schützung,
ſondern auch zur Erziehung feiner Völker.
Wenn nach der Lehre des Apoftels, Kom. XII. 4.
jede Obrigkeit von Gott geordnet, und eine Dienerinn
' Gottes zum Beften der Menfchen iſt; und wenn, wie
der höchfte Regent, fo auch jeder untergeordnete Beams
\ te des Staates im Sinne der Obrigkeit als Diener Got»
tes zum Beften der Menfchen handeln fol: fo ift es ganz
gewiß, daß, wie Fein chriftlicher Regent, fo auch fein
chriſtlicher Staatsbeamter von einem andern Grundſatze
‚ geleitet werden folle, als von demjenigen, welcher allen
chriſtlichen Geſetzen und Anftalten zum Grunde liegt,
d. irn, von der heiligen Liebe, ’
Bon diefer heiligen Liebe geleitet, werden der Re⸗
gent und jeder Staatsbeamte nicht bloß auf Reichthum
und Macht hinzielen, fondern ſtets von dem erhabenen
Sefichtspuncte der Menfchheit aus ihre Staatds und
‚ Amt3-Handlungen beftimmen laffen; werden nicht nur
Gelehrte und Künftler, nicht nur Handwerker , Lands
bauer und Wehrmänner, fondern vor Allem aus Mens
ſchen zu bilden fuchen, welche in den verfchiedenen
Geſchlechtern, Abftufungen, Ständen und Berufsars
ten der Menfchheit dem Urbilde gleichen, nach dein fie
von Gott ift erfchaffen worden; Menfchen, die nicht
bloß heißen, fondern in Wahrheit find: Eben«
bilder Gottes.
Wenn nun der einzelne Menfch nur in Verbindung
mit der Menfchheit, und diefe nur in Verbindung mit
Gott beftehen, und die ihr als Ziel vorgefteckte Volle
204
kommenheit erreichen kann: fo wird die chriftliche Ges
finnung den Regenten von innen aus nöthigen, ein
zwepfaches Band feftzuhalten, die Gerechtigkeit
nähmlich , durch welche die Mienfchheit in dem Mens
fen, und die Keligiofitat, durch welche die
Menfchheit in Gott befteht, und diefes Doppelband als
ler wahren Weisheit auch das höchſte Augenmerk der
Staatsweisheit ſeyn laſſen, von welchem aus alle
Kegierungs » Marimen beftimmt und befolget werden
ſollen.
Deßwegen wird in denſelben nie Willkühr oder
Parteylichkeit Raum finden, ſondern alle Gebothe oder
Verbothe nur auf ſolche Dinge ſich beziehen, welche der
ewigen Ordnung, durch die das wahre Wohl der Menſch⸗
heit: und des: einzelnen Menfchen berbeygefuhrt wird,
wenn nicht unmittelbar entfprechend, doch mittelbar zus °
träglich find.
Die chriftliche Oefinnung wird dem Regenten nie
geftatten,, den Menfchen bloß als Mittel für das Wohl
Anderer zu gebrauchen ; fondern ihn vielmehr antreiben,
jeden Menfchen als Selbftzwed zu achten, und jede Ge⸗
fellfchaft in ihren Rechten zu fehüsen, Denn nur das
durch, daß Menfchen und menfdliche Sefellfchaften als
fo viele einzelne Ganze gefchüget werden, können alle
Theile des Ganzen, und das Ganze in feinen Theilen
gefchüßet, und das heilige Band, wodurch der
Menſch innerlich mit fich Eines wird, und auch außers
lich Menfchen an Menfchen fi knüpfen, unverlegt ers
halten werden.
Die chriftliche Geſinnung wird den Regenten ers
muthigen, jedes Unrecht mit unerbittlicher Strenge zu
zerftören , und gegen die Srevler, die den Umſturz der
Ordnung für nichts halten, das Schwert, das ihm Gott
in die Hand gegeben bat, ohne Anfehen der Perfon zu
führen.
205
N Nicht minder wird die chrifiliche Gefinnung den
Regenten ſpornen, der leidenden und niedergedrückten
Menſchheit aufzuhelfen; die Anlagen, welche in ihr lie⸗
gen, ſorgfältig zu entwickeln und zu bilden; mas ewig
and ſchlechthin Recht iſt, in allen Beziehungen des
menſchlichen Lebens zu verwirklichen, und fo eigentlich
Water und Hirt des Volkes, mit andern Worten: Stifs
ter und Erhalter ihres irdifchen Wohlftandes zu werden
und zu bleiben.
/ Weil aber der leidenden Menſchheit Feine Erleich-
terung, den Unterdrückten Feine Erhebung, den Gebun—
denen feine Befreyung, und ihren höhern Anlagen kei—
ne wahre Entwicklung und Fortbildung zufommen kann
— ohne Entwiclung und Forıbildung der Religion: fo
wird der Regent und der Staatsbeamte, wofern chrift-
liche Liebe fie befeelet, die Religion nie als bloßen Kapp-
zaum anfehen, durch welchen der wilde Theil des Bols
kes gehalten werden Fann, fondern vielmehr als das
tallerwichtigfte und unintbehrlichlte Bildungsmittel der
Menſchen; ja nicht nur als Bildungsmittel, fondern
als das volfommenfie und befeligendfte Leben der Menfch»
| heit.
Die chriftliche Öefinnung offenbaret fi alfo im
Regenten und Staatsbeamten als jenen guten Geift, der
(fie antreibt, vor allen Dingen das Keich Gottes und
desſelben Gerechtigkeit zu fuchen, und auf Gott als den
Ihöchften Regenten ein fefte$ und unverrücktes Vertrauen
zu ſetzen, das fie in allen Stürmen des Lebens ruhig
ıund muthvoll erhält, und in den ſchwierigſten Worfäls
len als Eraftige Schüßer, und als unermüdliche Wohle
(thater der Volker hervorhebet,
Wie die chriftliche Gefinnung gute Kegenten und
Itreffliche Staatsbeamten: fo bildet fie auch würdige Bis
ſchoͤfe und Priefter, als fo viele Mitarbeiter Gottes in
(Erleuchtung, Heiligung und Befeligung unferes Ges
ſchlechtes. Sie ift es, die Bifchöfe und Prieſter inners
206
ich an Ehriftus, deffen Stelle fie vertreten, und
außerlich an den Leib Chrifti, an die Kirche, an
den Zempel Gottes, den fie bauen, anfchließt. Gie
ift es, die in jedem Geiftlichen die ihm angemiefene
Stelle treu bewahrt und ganz ausfüllt. Sie ift es,
die geiftlih- Öeiftliche erziehet, welche durch
Anhänglichkeit an Ehriftus und die Kirche das Bild
der Ordnung in der Kirche, und durch Untermürs
figkeit gegen den König und feine Statthalter das Bild
der Drdnung im Staate darfiellen.
Die chriftliche Gefinnung bleibt nicht dabey fiehen,
daß fie das Zepter des Regenten, und den Hirtenſtab
der Kirchenvorfteher mit Milde und Schonung
ummindet; fie ftiftet au) zmwifchen den Herrfchaften und
der dienenden Klaffe ein freundliches Bündniß, fo daß
die Befehlenden in ihren Dienern Genoffen desfelben
Glaubens, Kinder desfelben Waters, Erben desfelben
Himmels hochadhten, und die Gehorchenden in ihren
Gebiethern Chriſtum felbft verehren.
Bey dieſer Mannigfaltigkeit der Aemter, der Bes
rufsmweifen, der Stufen und Stellen im bürgerlichen und
Kirchen » Vereine ift aber doch Eine Perle, die fie
Alle beiliget, und in Allem wiederglänzt. Dieſe Perle
ift die Treue, die Paulus von den Dienern Chriſti
und Vermwaltern der Geheimniffe Gottes fordert, die der
ewige Gefetzgeber uns Allen an jeder Stelle, die
wir einnehmen, und in jedem Amte, das uns anver-
traut iff, zur Pflicht macht, und mworuber uns
Ale der ewige Richter. zur aa 57 DIE N zie⸗
hen wird.
»Sey freu in dem, was dir anvertraut iſt, es ſey
viel oder wenig, groß oder Plein ; wuchere mit deinem
Talente; ackere auf deinem Felde; fchneide ein in deis )
ner Ernte; arbeite mit der Kraft, die dir gefchenkt, laß .'
leuchten das Licht, das dir gegeben iſt; bewahre was
du haft«e — das ift das Eine göttliche Evanges
207
lium fur alle Aemter, alle Stellen, von Oben big
‚Unten; und überall, two fich die chriftliche Gefinnung
‚ am vollfommenften ausfpricht, da ftellt fie ſich als volls
ıendete Treue dar.
Uns Allen ift gefagt, was der Erfte und Letzte, der
todt war und lebet, dem Bifchofe zu Smyrna fchreiben
läßt, das iſt uns Allen geſagt: »Sey treu big in
den Tod, und ich will dir die Krone des
Lebens geben. Dff. IL 10.
Gebeth.
Dein Mille, dein Rathſchluß, o Gott! unſer
aller Vater! iſt es, daß das zeitliche Wohl und
das ewige Heil nicht nur einzelner Menfchen, fon-
dern ganzer Volker, von der Meisheit und Ge—
rechtigkeit ihrer Regenten, und von dem apofto-
Tischen Sinne und Mandel ihrer Kirchenvorjteher
abhängig feyn follte,
Die größte Segensfülle würde fich ausgie-
Ben uber die Nationen, wenn ihre Führer in den
WUngelegenheiten des Staates und der Kirche von
der chriftlichen Geſinnung durchdrungen, und von
dem «Geifte der Eintracht befeelet waren.
Darum flehen wir zu dir, von dem alle Ge—
walt, und alle gute Gabe kommt. Entzünde, ent-
zünde das Feuer der Kiebe zu dir in den Herzen
aller Gebiethenden; damit fie, in deinem Kichte
wandelnd, das, was in allen Berhaltniffen gut
und recht ift, helle erkennen, und mit ungebeng-
tem Muthe vollbringen, und durd Ordnung und
Eintracht, die fie handhaben, dein Ebenbild dar-
Stellen, und dein Keich auf Erde ausbreiten. Um
dieſe Gnade bitten wir für das Mohl der Völ—
‚fer in dem Nahmen deines Sohnes, durd den
das Licht in die Finfternig leuchtet, der Allen,
208
die es aufnehmen, Macht gibt, deine Kinder ,
und, wenn du fie berufejt, nach deinem Wohl—
gefallen auch Deine Stellvertreter auf Erde zu
werden ; indem fie ji der Stelle, wo fie ftehen,
von dir gefeßt, die Weisheit und Güte, die
Heiligkeit und Gerechtigkeit, die in dir wohnet,
und von dir auf fie überfließt, vor ihren Unter:
gebenen “offenbaren, und Durch ihr Borbild
> durch ihre Wurde deinen Nahmen verherr-
ichen.
Aber nicht nur für die, welche im Gebiethe
des Staates und der Kirche die erjten Plätze
einnehmen: für Alle, fie mögen nad) oben oder.
nach unten, oder in der Mitte ftehen, — für
uns Alle bitten wir, und bitten um das Eine:
Gib uns die Perle jedes Berufes, lehre uns
treu fenn in dem, was du uns anvertraut
haft, treu feyun in dem Gegebenen.
XXIX,
Der Ehrift zeigt ſich als Chrift in dem häuslichen, Bürgers
lichen , kirchlichen Vereine; überall glänget die Perle des Chriften-
thums , die ungetrübte, beharrende Sreuein dem, was ihm ges
geben ift, hervor.
Sie lehrt ihn auch, in alle Umftände des Lebens ſich fügen,
und von jedem Schidfale zmedmäßigen, und eben deßhalb guten
' Gebraudy machen. Reichthum, Armuth nnd Mittelftand ift ihm
weiter nichts, als ein Ruf feines Herrn, den Willen der
böchften Weisheit in jeder Lage, und in allem Wechfel des Lebens
anzuerkennen und zu vollbringen.
— — — —
Neun
Neunundzwanzigfter Sag.
Bon Offenbarung der chriftlichen Öefinnung im Vers
halten bey Keichthum, Armuth und im Mittelftande.
Schriftftellen
1. I pri, ic) fage euch: es ift fchwer, daß ein Reicher
in’s Himmelreich eingebe. Leichter wird ein Kamehl durch ein
Navdelöhr gehen, als daß ein Reicher in's Himmelreich eingeht.
Matth. XIX. 23. 24.
2. Es war Fein Dürftiger unter ihnen; indem Alle, wel—
che Güter oder Häufer hatten, fie verkauften, und den Werth
des Verfauften brachten, und zu den Füßen der Apoftel hinleg-
ten; wovon Jedem, fo viel er nöthig hatte, zugetheilt wurde,
Apoftelg. IV. 32. 34, 35.
3. Ihr kennet ja die Gnade unfers Herrn Sefu Chrifti;
wie er, da er reich war, um euretwillen arm wurde; damit
ihr durch feine Armuth reich würdet, II. Kor. VIIL. 9.
4. Die Füchſe haben Gruben, und die Vögel unter dem
Himmel Nefter; der Sohn des Menfchen aber hat nicht, wo
er fein Haupt niederlege. Luk. IX. 58.
5. Ich habe gelernet, micy mit dem, was ic) habe, zu
begnügen. Ich Fann entbehren, und kann Ueberfluß haben.
Ueberaͤll und in Allem bin ich geübet , ſowohl fatt zu feyn, als
zu bungern ; ſowohl Weberfluß zu haben, ald Mangel zu leiden.
eh vermag id) durc den, der mic) ftarf macht, Philipp,
V. 11- 13.
Betrachtung.
Die chriſtliche Geſtnnung offenbaret ſich in allen
Verhältniſſen und Zuſtänden des menſchlichen Lebens
auf zweyfache Weiſe: dadurch nähmlich, daß ſte 1)
entfernt und ausſchließt, was der höchſten Beſtimmung
des Menſchen, d. i. der Vereinigung desſelben mit Gott
in Chriſtus, widerſpricht; und daß fie und 2) von in»
nen aus anweiſet und antreibt, von jedem Zuftande, in
Sailer, d. hrifil,. Monath, 14
210
dem wir uns befinden, einen Gebrauch zu machen, der
gottgefalig und dem Menſchen beilfam ift.
Die chriftliche Gefinnung iſt es, welche die Ge—
fahren und die nachtheiligen Folgen, die fich faft im—
mer mit dem Keichthume verbinden, fernhalt, und dems
nach Sünden, welche die Reichen gervöhrtlich begeben,
vermeiden lehret.
Sie mehret dem Stolze, der, auf ungemiffe
Keichthümer fich verlaffend, mit Uebermuth und Ver—
achtung auf Andere hinabfchaut ; fie widerfteht der
Unmäßigfeit und Schmwelgerey, der Wol—⸗
luft und der Arbeit und Pflicht fheuenden
Bequemlichfeitsliebe, der Ueppigfeit,
dem Zurusin allen feinen Öeftalten, und der Ans
hänglichkeit an irdifche Güter, die ein wahrer
Gösendienft it, und das ewige Leben nicht auffoms
men laßt. Denn die chriftliche Geſinnung ift es, mwels
che den Sinn des Menfchen von der Welt und ihren
Schätzen megziehet, und dem Herzen für Gott ges
ſchaffen, feinen Schatz auf Erde, fondern im Him⸗
mel anmweifet das höchſte Gut; fie ift ed, die uns von
innen aus treibt, Alles zu thun und zu laffen, was
uns der Apoftel, I. Zim. VI. 17 — 19. zu thun und
zu laffen auffordert: Den Keichen diefer Welt
gebiethe: fie follen nicht übermüthigſeyn,
und nicht vertrauen auf den ungemiffen
Keihthbum, fondern auf den lebendigen
Gott, der uns Alles zum Öenuffe reich
lich darreichet; fie follen Gutes thun,
reich werden an guten Werfen, gern ge
ben und mittheilen; ſich Schätze fammeln
als eine gute Grundlagefür die Zukunft,
Damit fie das ewige Leben ergreifen.
Die chrifiliche Gefinnung iſt es, die, nicht zus
frieden , den Reichthum für die Zugend unfchadlich
und gefahrlos gemacht zu haben, ihn auch zur reich-
211
haltigen Segensquelle macht; indem fie mit deinfels
ben die Hungrigen fpeifet, Die Nackten Fleidet, die
Fremden beherbergt, und jeder andern ſchreyenden
Sülfsbedürftigkeit, ja felbft der verfchamten Armuth,
zu Hulfe eilt.
Sie, die chriftliche Öefinnung, iſt es, die im
dürftigen Menfchen nicht den Menfchen, fondern
. Menfchen Ehriftum felbft erquickt, fpeifet, trankt,
leidet.
Sie iſt es, die nicht bloß die Bedürfniffe der
Gegenwart im Auge hat, fondern felbft für die
Bedürfniffe Eommender Jahrhunderte forget; ins
dem fie‘ die zeitlichen Gaben Gottes als ein Kapital
anleget, welches Zinfen für die Nahmwelt und die
Emwigfeit trägt. Die Zinfen für die Nachwelt
pflanzen fich , unter dem Schutze der Öefete, und dem
Auge der wachenden Providenz, als fromme, weiſe
Stiftungen auf die zufünftige Menfchheit fort, und
fördern noch in den fpateften Enkeln die Keime der Res
ligion und Tpgend, der Kunft und Wiffenfchaft; fpens
den Gefundheit unter den Kranken, Sättigung unter
den Hungrigen und Erquidung den Betagten ꝛc. aus,
So veremwiget fich der Segen des Reichthums in der
Zeit, und täglich erneuert fich die Wahrheit des Wor⸗
tes, das der Herr ausfprah: WVerfaufet, was
ihr befitzet und gebet Almofen; machet
euch Beutel, die nicht veralten, und er
nen Schatz im Himmel, der nicht verge—
bet, wo fein Dieb dazu fommt, und Feine
Motte verzehret. Denn wo euer Schatz
ift, da wird auch euer Herz ſeyn. Luk. XIL
33. 34- {
Bon der chriftlichen Gefinnung belebt, haben
unfere Vorältern wirklich derley Schäße angelegt;
Schäge, welche jetzt noch als Troft- und Hülfsquels
len für Arme und Kranfe, für Wittwen, Waifen,
14
212
Findlinge, als Unterftugungsmittel für Wiffenfchaften
und Künfte, als Fortpflanzungsmittel für Religion
und Zugend zu betrachten find; Schäße, deren Zin—
fen ein großer Theil der jegigen Menfchheit die Erhal:
tung des natürlichen Lebens, und fo Viele unter ung
das geiftige und fittliche Leben zu verdanfen haben ;
Schäbe endlich, an welchen die Gegenwart zehren
muß, wofern fie nicht verhungern, und geiffiger, mie
feiblicher Weife, ſterben fol,
Wie die chriftliche Gefinnung den Keihthum
für Weisheit und Tugend unfchadlich, und fogar zur
GSegensquelle für Andere zu machen weiß: fo ift fie es
auch , die die Bürde der Armuth leichtert, und dem
Duürftigen an äußern Gütern einen Reichthum an
Muth, Frobfinn und Heiterfeit in den Schooß leget;
fie Tehret ihn, auf die Vorfehung trauen, und wirft
üne £ebensforgen auf den, der, die Sperlinge näh—
rend und die Lilien Fleidend, des Menfchen nicht ver:
geffen kann; fie macht ihn zufrieden mit den Bros
famen, die für ihn vom Zifche berunsgrfallen , den
der große Hausvater täglich für alle feine Wefen deckt,
fo wie mit dem einfachen Gewande, das feine
Blöße verhüllet, eingedenf des großen Wortes: Wenn
wir Speife und Decke haben, fo find wir
damit zufrieden.
Wahrhaftig ! ſolche Wunder mirfet nur
der Geift Ehrifii in feinen Gläubigen; folde
Scaufpiele für Himmel und Erde führt nur die
Macht der Liebe auf. Hier ein Reicher, demuüthig,
befcheiden, mäßig, fich und fein Gut vpfernd für ans
dere, und nur vertrauend auf den lebendigen Bott;
dort ein Dürftiger, froh, dankbar, felig in Gott —
bey Mangel und Drud. Der Reiche ift als Ehrift
nur Haushälter mit den Öaben feines Herrn; der
Arme bleibt ala Ehrift fern von fündhafter Selbfthül-
fe, und von arbeitfcheuer Betteley, lebt von jedem
|
215
Morte Gottes , von jeder Gabe feines Nachbars, und
tragt mit Zuverfiht und Geduld — die Bürde der
Armuth, bis fie ihm die allmachtige Hand, die fie
ihm aufgeladen hat, von feinen Schultern nimmt.
Falt dem Ehriften das fchönfte Loos des goldenen
Mittelftandes: fo fühlt er den Werth desfelben,
und preifet danfbar die Gnade, von den fiechenden
Dornern des Ueberflußes, und von den drückenden Sors
gen des Mangels frey zu ſeyn; fein heiteres Auge
wirft nie einen neidifchen Blid auf den hohen Pals
laft des Keichen, nie einen verachtenden auf die
niedere Hutte des Dürftigen ; fein Gemüth meidet fich
in Betrachtung des Emwigen, und ringe darnad), ſtets
noch unabhängiger vom Zeitlichen zu merden.
Auch diefen feligen Mittelftand zwifchen Reich:
thum und Armfeyn erhalt, ſchmücket und veredelt die
Eine bimmlifche Liebe, deren Feuer nie erlifiht
in den Seelen ‘der Öerechten.
Gebeth.
So reinige denn, o Herr! unſer Innerſtes
von allen irdiſchen Schlacken durch dieß dein
heiliges Feuer, das Liebe iſt und Liebe anzun-
det in allen empfänglichen Herzen, und verleihe
uns, daß wir, rein von Eigenwille und Selbſt—
ſucht, nur Diener deines Willens werden. Dein
Beier Anhauch befeele und unterftüße unfere
ntfchlüffe, Abſichten und Handlungen; damit
fie nur von “Dir ausgehen, und uur in Dir
ihren Ende: und Ruhepunct haben. Amen,
XXX,
Wenn die hriftliche Gefinnung den Reichthum zur Segens⸗
quelle der Menschheit, und die Armuth zum Reihthum umfchafft,
auch dem Mittelftande eigenen Segen gewährt: fo erhält fie nicht
weniger in glücklichen und in unglüdlichen Tagen, in Zagen der
Sreude und in Tagen des Leidens, die Seele gleihmüthig;
indem fie diefelbe im fläten Vertrauen auf Gott, in fläter Liebe -
und Lobpreifung Gottes, gründet und übet.
Dreyßigſter Tag.
Bon Dffenbarung der chriftlichen Gefinnung in den
Tagen der Freude und des Leidens.
Schriftftellen
1. Wi wiſſen auch, daß denen, welche Gott lieben, alle
Dinge zum Beſten dienen, den Heiligen nähmlich, die nach
dem Nathfchluffe Gottes berufen find. Röm. VIII. 28.
2. Die Zeit ift Eurg: daher bleibet nichts übrig, ald daß
die, fo Weiber haben, feyen, als hätten fie Feine, und die
da weinen, als weinten fie nicht, und die fich freuen, als
freuten fie fich nicht, und die da Faufen, als befäßen fie nichts,
und die diefe Welt genießen, ald genößen fie diefelbe nicht;
denn die Geſtalt diefer Welt vergeht. I. Kor, VII. 29-31.
3. Sreuet euch, Brüder! ich fage euch's noch ein Mahl,
freuet euch: euere Milde werde allen Menfchen bekannt; der
Herr ift nahe. Kümmert euch um nichts; fondern in allen
Dingen Iaffet euer Anliegen im Gebethe und Flehen mit Dank—
fagung vor Gott Fund. werden; und der Friede Gottes, der
alle Begriffe überfteiget, bewahre eure Herzen und Gedanken
in Chriſto Jeſu. Philip. IV. 4— 7.
4. Wir rühmen uns der Hoffnung, die Herrlichkeit ber
Kinder Gottes zu erlangen, Aber nicht nur dieß, fondern
auch der Trübſal rühmen wir uns; weil wir wiffen, daß Trüb—
fal Geduld wirket, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber
Hoffnung, Hoffnung aber nicht zu Schanden macht; denn die
215
Liebe Gottes ift in unfern Herzen ausgegoffen durch den heit:
gen Geiſt, der ung gegeben ift. Kom, V.2—5.
5 Chriſtus mußte leiden, und fo in feine Herrlichkeit ein»
geben, Luk. XXIV. 26. So müffen auch wir durdy viele
Zrübfale hindurch in das Reich Gottes eingehen. Apoftelgefch,
XIV. 21. E
6. Wenn aud) unfer äußere Menſch aufgerieben wird;
fo wird dod) der innere von Tag zu Tag erneuert; denn unfere
gegenwärtige Trübfal, die augenblicklich und leicht ift,, verfchafft
uns eine unermeßliche, ewige, Alles überwiegende Herrlichkeit;
indem wir nicht auf das Sichtbare ſehen, fondern auf das Uns
ſichtbare; denn das Sichtbare ift zeitlich, dad Unſichtbare aber
ift ewig. II. Kor. IV. 16 — 18,
7. Jede Züchtigung feheint, fo Tange fie währet, nicht
Freude, fondern Traurigkeit zu feyn; aber in der Folge ges
währt fie denen, die durch fie geübet werden, eine freudenvolle
Srucht der Gerechtigkeit. Hebr. XII. 11.
Betradtung.
Zwey Zuftande des irdifchen Lebens, die auf
die fittliche Stimmung und Verſtimmung des Menſchen
den bedeutendften Einfluß haben, find Freude und
Leiden; .aber auch beyde weiß die chirfiliche Gefins
nung in Quellen des Heild umzuwandeln ,„ und umzu⸗
‚wandeln — durch mweife Benußung derfelben. Und ger
rade diefe Benutzung iſt es, durch die fich der Geift
des Chriftenthums fo unverkennbar von dem Geifte.
der Welt unterfcheidet.
Die Tage der Freude fieht der Chriftlichgefinnte
als fo viele Gaben -feines Herrn an, in deffen Diens
fie er fleht; fieht in jeder Gabe den Einen Geber,
und in dem Geber die lauterfte Liebe, die ihn nur
zur Gegenliebe, zum Danke, zum Vorſatze: Ich
will Andern geben, wie Gott mir gegeben
bat, und zur genauern Bewahrung des Herzens fpor=
net; damit ihn die vorübergehende Freude nicht von
der ewigen Quelle aller Seligfeit entferne. Nie gibt
er fi bey glücklichen Ereigniffen an die Reize des
216
Berganglichen hin ; fondern erhebt fich über alles
Zeitliche in. das Gebieth des Emwigen, und wird in
eine ähnliche Stimmung ‚verfeßt, mie ‚die war, welche
aus. der. prophetifchen Sängerinn in den feligften Mo—
menten ihres Lebens fprach, Luk. J. 46 — 55.:
Hoch erhebet meine Seele den Herrn, mein
Geift frohlocketin Gott, meinem Heilans
der denn er hat hberabgefehen auf die Rie—
drigfeit feiner Magd, er hat Großes
an-mir gethban,heiligift fein Rahmez; ſei—
ne Barmherzigkeit geht von Geſchlecht
zu Geſchlecht auf die, welde ihn fürchten.
Er zerftrewet die Hoffärtigen in ihres
Herzens Ginn, fkürgetdie Mächtigen,
und erhöhet die Niedrigen. Er gibt den
Durftigen Güter im Ueberfluß, und die
Reichen laßt er leer ausgehen.
Indem nun aber die frohen Tage den Öottfeli-
gen nur noch demüthiger, dankbarer, andächtiger,
wachfamer und fertiger zum Recht⸗ und Wohlihun
machen; laffen fich die, Kinder der Welt, tie fie
Fohannes nennt, beraufcht von dem Becher der Sreus
de, von einem Labyrinth der taufchenden Sünde in
den. andern hineinziehen, und taumeln, ohne Gott
und außer dem Rückweg zu Gott, ohne Zuverficht
und ohne Rettung — durch das Leben, bis fie. die
Hand der Verzweiflung und’ des Todes ergreift. Ihr
ganzes Leben ift ein Traum von unermeßlichen Schät⸗
zen; davon fie recht eigentlich erſt in der Ewigkeit ers
wachen, und erwachend, fich das erſte Mahl arm finden,
und nackt und leer an allem Guten, und preiögegeben
der Schande und dem Sammer ohne Ende.
Mehr als die frohen , glücklichen Tage nüben den
Ehriftlichgefinnten die Tage des Leidens und des Drucs
tes aller Art. Denn fie reißen die feinften Bande,
welche die Seele noch an die Erde heften, entzwep,
217
und verleihen ihr einen ganz eigenen Schwung zu Gott
und göttlichen Dingen hinauf, Defwegen haben alle
freyen und geiftreichen Männer die Tage der Zrubfal
denen der zerfireuenden Luft vorgezogen, zumahl nur
auf dem königlichen Wege des Kreuzes der Sohn
Gottes uns voraus und in feine Herrlichkeit eingegans
gen ift, und wir wohl auch auf feinem andern, als
auf diefem Wege, an feinen Tugenden, an feinen
Verdienſten, und an feiner Qerherrlichung Antheil neh⸗
men fonnen,
Der Sohn Gottes hat gelitten, lehret
mit der ganzen Kirche der heilige Eyprian, um auß
uns Söhne Gottes zu madhen; und der
Sohn des Menfchen follte das Leiden vers
ſchmähen, und nidt auf dem Wege des
Kreuzes in der Tugend befeftiget und
vollendet werden wollen?
Fa, wahrhaftig! das Kreuz, Chriſto im Geiſte
| Chrifti nachgetragen,, feftiget und vollendet in uns dag
Gute, Denn, wie Gluf und Wohlfegn auch verftans
dige Männer bethören fann, daß fie in Handlung
und Geberde fic) als würdige Zöglinge des Jrrenhaus
ſes darftellen ; auch gute Manner aufblähen Fann,
daß fie, in den Höhen eitler Einbildungen verloren,
des Sturzes und Unterganges kaum mehr fich erwehe
ren -mögen ; auch geachtete Männer verführen Fann,
daß fie fich mit Schande bededen, und der allgemeinen
Berachtung preis geben: fo ift es die Zuchtfchule der
Trübſal, die Verſtand gibt den Unmündigen, demüthts
get die Hochfahrenden , reiniget die Befleckten, und
erreget ein Heimweh nach der Ewigkeit in de—
nen, die in Zeit und Vergänglichkeit verſunken ſind.
Das £etere verdient noch naher angeblickt zu werden,
Ungeachtet der vielen Drangfale und bangen
Beforgniffe verfchiedener Art, mit welchen das gegen»
wärtige Leben überall umgeben ift, fühlen wir: gleich»
218
- wohl eine fo große Anhanglichkeit an dasfelbe: wie
würde es erft feyn , wenn diefes Leben, frey von Drangs
fal, wonnevol dahin flüge? Wie wäre alsdann an
eine Sehnfucht nach dem ewigen Leben auch nur zu
denfen ? Allein durch die drangenden Unruhen des ger
genwärtigen Lebens werden wir an die Ruhe des ewi»
gen erinnert, und zur Sehnſucht darnach angeregt; die
Zaften der Gegenwart treiben uns, fo vor dem Herrn
zu wallen, daß wir aus diefem Fummer- und forgens
vollen Zeben in ein ruhiges und feliges hinüberzugehen
hoffen dürfen ; denn jedes Leiden diefer Zeit iſt vergänge
lih, und unverganglich die Freude, welche in der
Ewigkeit daraus erwächft für die, welche in Geduld
und guten Werfen ausharren. Wehe aber Allen, ruft
der heilige Bernhard, wehe Allen, welche das Kreuz
Ehrifti tragen, ohne Ehrifto nachzufolgen, d. i. ohne
gefinnt zu feyn, wie Chriſtus gefinnet war! Wehe
Allen, welche Theil nehmen an dem Leiden Ehrifti,
ohne an der Demuth zer Öottergebenheit Ehrifti An⸗
theil genommen zu haben !
So ift e3 denn doch nur die heilige Liebe, Fäm-
pfend und fiegeud in den Herzen der Gläubigen,
welche das Ilnglü in Glück, das Unheil in Heil,
und jegliches Leiden in eine Freudenquele umzumans
deln vermag, nach dem Worte des Apoftels: Wir wifs
fen, daß denen, welche Gott lieben, alle
Dinge zum Beften dienen, Rom. VII. 28,
Auch das haben die Leiden für fich ; daß fie die Fer
ftigfeit und Lauterfeit des chriftlicden Sinnes prüfen
und bewähren, wie das Gold im Feuer geprüft und ges
lautert wird.
Das durch Trübſal geläuterte Gold der chriftlis
chen Liebe fpricht fich mit hoher Macht in den Briefen
des heiligen Paulus aus, befonders an zwey Stellen:
„Mas wird uns feheiden von der Liebe Ehrifti? Trüb»
fal oder Angſt? Hunger oder Blöße ? Gefahr oder
— — — — —
219
Berfolgung, oder das Schwert? Bey allem dem übers
winden wir durch den, welcher und geliebet hat; denn
ich bin verfichert, daß weder Tod noch Leben, weder
Engel noch Fürften, weder Mächte noch Stärfe, wes
der Gegenwart noch Zukunft, weder Höhe noch Tiefe,
ja daß Fein einziges Gefchöpf ung zu feheiden vermöge
von der Liebe Gottes, die da ift in Ehrifto Jefu, une
ferm Herrn,« Rom. VII 35 — 39. Und
»Von allen Seiten werden wir bedrängt, aber
wir ängſtigen ung nicht; werden in die Enge getrieben,
aber verzagen nicht; werden verfolgt, aber doch nicht
verlaffen; werden zu Boden geworfen , fommen aber
doch nicht um. Immer tragen wir das Sterben es
fu an unferm Leibe umher , damit auch das Leben Fer
fu an unferm Leibe offenbar werde; lebend werden wir
in den Tod Hingegeben um Jeſu willen, damit dag
Leben Jefu an unferm flerblichen Leibe offenbar werde.
So ift denn der Tod wirkſam in ung, das Leben
aber in euch,« I. Kor. IV. 8 — 12.
ie der große Apoftel haben auch fo viele ans
dere Bekenner und Blutzeugen Ehrifli, in den Gtuns
den des qualvollften Leidens , ihre beharrende und durch
Drangfale aller Art nur erhöhte Liebe zu Gott in Chris
ſtus vor Freunden und Feinden der Wahrheit ausges
ı Tprochen, und das Zeugniß des Mundes mit dem
Seugniffe des Lebens und des Todes verfiegelt... Wie
aber, felbft auf der höchften Stufe, welche das menſch⸗
liche Leiden erfteigen kann, wobey der. Nichtchrift der
Verzweiflung ſich in die Arme zu merfen verfucht feyn
wurde, der Ehrift fich erhebe, und die gottfelige Stims
mung feines Gemüthes offenbar werden laffe, bat die
Nachfolgung Chriſti im fünfzigften ‘Kapitel des dritten
Buches in einem geiftreichen Gebethe gezeigt; womit
wir die heutige Betrachtung fchließen wollen,
220
Gebeth
„Mein Gott und Herr! Heiliger Bater! Dir
ſey Lob und Preis jeßt und in alle Ewigkeit;
denn wie Du wolltest, fo geſchah's, und
was Du thuft, ift Alles wohl gethan. In
Dir ſuche dein: Kuecht feine. Freude, nicht in
fih, und in einem andern Gefchöpfe; dem Du
allein. bift die wahre Freude, Du meine Hoff:
nung und Krone „Du meine Ehre und Seligkeit.
Mas hat Doch dein Sucht, das. er nicht von
Dir empfangen, und auch ohne fein Verdienſt
empfangen hatte? Dein ift Alles, was Du ges
geben, und was Du gethan haft. Arm bin ich,
und Plage und Mühe wuhs mit mir von
Tugend auf. »Dft habe ich tiefen Kummer im
Herzen, und. Thranen im Auge; oft machen
mich’ herannahende Leiden uneins mit mir,
Mein ganzes Herz ſehnt ſich jeßt Doch nur
nah Einer Freude — fie heißt Ruhe und
Friede Sch flehe um Eine Gnade. zu
Dir — fie heißt Ruhe ud Friede deiner
Kinder, die in deinem Lichte, und auf. der
Meide deines Troſtes wandeln. Wenn Du
mir Diefen Frieden, Diefe.beilige Freude
jpendeft: o, dann wird die Seele deines Die—
ners — zu deinem Lobe geweiht—lauter Lob—
geſang jeyn. Aber, wenn id) Dich aus dem
Herzen, dein Licht aus dem Auge verliere,
wie es oft gefchieht : Daun: bin ich ohnmächtig;
Fann nicht mehr auf dem Wege deiner Gebothe
fo munter fortlaufen; muß nur hinfinfen
auf meine Knie, und an meine Bruſt fchlagen,
Dann ift es in meinem Herzen-ganz anders,
als es geftern und vorgeftern war; da noch
Dein Licht über meinem Haupte glanzte, da
221
mich noch der Schatten deiner Flügel vor
den eindringenden Verſuchungen ſchützte. |
Bater, geredter, ewig alles Lo:
‚bes wurdiger Vater! Sie ift gekommen,
die Prüfungs = Stunde für deinen Knecht.
Vater, ewig aller Liebe würdiger Ba
ter! Es ift billig und recht, daß dein Knecht in
' diefer Stunde etwas um Deinetwillen leide.
Bater, ewigallerAnbethung würdiger
Vater! Sie ift gekommen, die Stunde, die
Du von Ewigkeit ber voraus fahlt, die Du
kommen ließeſt; damit dein Knecht im Aeußerli—
den auf eine Furze Zeit unterliege, im In—
wendigen aber fih ftets aufrecht halte —
aufrecht vor Dir, in deinem heiligen Ange! Ei:
ne Enrze Meile joll dein Knecht von Menfchen
‚ geringe geachtet, erniedriget, in den
Staub gedrücet, und von Leiden und Schwad)-
heiten gleichſam zu Staube zermalmet
werden; Damit er, wenn das Morgenroth deines
Lichtes anbricht, mit Dir wieder herrlich aufer-
ſtehen, und in dem himmlischen Baterlande neu
' verherrlichet werden möge. Water, heiliger
Bater! Du haft es fo geordnet, dein Mille
hat es fo gebothen; und es ift gefchehen, was
Du geordnet, was Du gebothen haft.
| Denn dein Freund fieht es als eine Gnade
an, in diefer Melt um deines Nahmens
willen fih drücken und Drangen zu laffen,
ſo oft, und durch wen er immer gedrückt und
gedrängt werden mag. Denn aller Druck und
Drang fteht unter deiner Zulaffung. Ohne dei—
nen Rathſchluß, ohne deine Vorſehung, und ohne
Urfache aefchieht doch nichts auf Erde. Und ic)
kann (mit David) fagen: Herr! es ift gut
für mid, Daß du mid gedemüthiget
*
22
haſt; damit ich deine gerechten Füh—
rungen kennen lerne und alle hochmü—
thigen Anſchläge, alle Anmaßungen
meines eitlen Herzens, (durd deine Macht
zertrummert ,) — — wegwerfe. Wohl mir, daß
Schande mein Angefiht bedeckte! Denn das nö—
thigte mi), mehr bey Dir, als bey Menfchen,
Troſt zu ſuchen. Sc habe noch etwas ans diefer
Trübſal gelernet, dieß nahmlich: im heiligen
Schauer aufzuſchauen zu deinen unerforfchlichen
Gerichten: denn deine Züchtigung ſchlägt den
Gerechten wie den Ungerechten 5; aber jeder
Schlag ift Gerechtigkeit und Liebe.
Sch danke Dir, daß Du meiner Sünden
nicht gefhonet, fondern meinen harten Sinn
mit derben Schlagen weih und mürbe gemacht
haft; indem Du viele fchmerzhafte Leiden uber
mich und mich felbft in ein Angftgedrange von
innen und außen haft Eommen laffen. Es ift
doch aus allen Dingen unter der Sonne Feines,
das mich tröften könnte. Du allein, mein Gott}
Du allein kannſt mich tröften. Du bift der himm—
lifche Seelen - Arzt, Du ſchlägſt und bei
left, Du führeſt in Ddie®rube hinab,
und wieder herauf; deine Hand, die mid)
züchtiget, ſchwebet noch über mir; und Deine
eo wird meine (befte) Lehrmeifterinn
eyn.
Liebſter Vater! Sieh bier, id) bin in de i—
ner Hand; tief gebeugt unter deiner Ruthe,
unterwerfe ich mid) deiner Züchtigung. Schla=
ge, Tchlage auf meinen Rücken und Nacken zu,
bis fich mein ftarrfinniger , unbeugfamer Mille
— endlich ganz an deinen Millen ergeben haben
wird. Laß nicht ab, an mir zu bilden, bis
Du mid) zu einem frommen, demüthigen Schu:
225
ler 'ausgebidet haben wirft, der Dir auf
jeden Wink gehorhet — — denn das ift Deine
Weiſe, die Menſchen zu erziehen. Ich gebe mich
und all das Meine — ohne Ausnahme in deine
. Schule; damit Du Alles beffer macheſt, als
es ift. Denn es ift wahrhaftig befier, bier
in deine Zucht genommen zu werden, als Dort
in. der Ewigkeit. Du weißt Alles und Se
Des, und das Verborgenfte im Gewiffen
der Menfchen ift unverborgen vor Dir. Was
Fommen wird, das liegt helle vor deinem Blicke,
ehe es kommt, und Du haft nicht nothig , daß
Dir jemand etwas von dem, was auf Erde ges
fchieht, erzähle oder in Dein Andenken bringe,
Du weißt, was mir im Guten weiter forthelfe,
und wie viel die Trübſal beytrage , den Koft
meiner Sünden auszufegen. Sp mache es denn
mit mir nad) deinem heiligen Mohlgefallen ,
und fieh mit dem Blicke deiner Gnade — her:
ab auf mein Leben, das voll Sünden, und in feiner
ganzen Sündhaftigkeit Dir am beiten bekannt ift.
Lehre mid, o Herr! das wiffen, was ıd)
wiſſen, das lieben, was ich Lieben joll; das
loben , was deinen Benfall, das oben au
ſetzen, was bey Dir den erften Platz hat; das
hochachten, was in deinen Augen hochachtungs—
werth , das verachten, was in deinem Auge
verahtlih ift. Laß mich nicht nach dem’ blo—
Gen Augenſchein urtheilen, und auch nicht
nach dem Horenfagen unerfahrnen Leuten
irgend ein Urtheil nachſprechen; lehre mich viel-
mehr das Sichtbare von dem Unfichtbaren, das
Sinnlihe von dem Beiftigen nad) der Wahr:
heit unterfcheiden, und vor Allem deinem heili—
gen Willen überall nachforfhen. Denn der
Sinn des Menfhentriegt fih oft, und fein
224
tel Mahn. Die Freunde der Melt find aber
unter allen Menſchen am meiften der Täu—
ſchung preisgegeben ; weil fie nur das Sichtba—
re lieben (und dieſe Liebe des Sichtbaren über
das Unſichtbare endurtheilen laſſen). St der
Menſch deßhalb beffer, weil ihn Andere ho:
her ſchätzen? Der Falfche betriegt den Falfchen,
der Eitle den Eitlen, der Blinde den Blinden,
der Kranke den Kranken — wenn er ihn lobet
und obenan feget. Ein falſcher Lobſpruch,
den die EitelEeit ausfpridt, ift weis
ter nichts, als eine wahre Beſchim—
pfung Des Menſchen. Kurz: was der
Menſch in Gottes Augen ift, das ift
er, und mehr ift er nicht, fagt der de:
mütbige, heilige Franziscus.«
XXXL
Die chriſtliche Gefinnung offenbaret ſich durch Erfüllung aller
Menfchene aller Standes und Berufspflichten;, offenbaret fich
durch geduldige Ertragung des Leidens, durch mäßigen Genuß
der Freude, und durch weife Benugung aller Zuftände des menſch—
lihen Lebens zu dem Einen 3iele, und zum höchften Zwecke des
menſchlichen Dafeyns. Allein das Eine Ziel und der höchite Zwed
des menfchlichen Dafeyns liegt nicht in der Zeit, fondern in ber
Ewigkeit; und der legte Schritt zu demfelben hin, oder von dem=
felben hinweg ift der Austritt aus ‚der Eichtbarkeit — der Tod
heißt. Die gewiffenhafte Vorbereitung auf die Sterbensftunde
ift daher eine nothwendige Offenbarung der chriftlichen Gefinnung,
und bewähret diefelbe auf unverfennbare Weife.
Ein:
Urtheil, das er für reine Mahrheit halt, ift eis
Ein und drepßigfter Tag.
Offenbarung der chriſtlichen Geſinnung in Vor⸗
bereitung zum Tode.
*
Schriftſtellen.
J SM läßt allen Menfchen Buße predigen; denn er hat
einen Tag feitgefeßt, an welchem er den Erdkreis mit Gerech—
tigkeit richten wird durch einen Mann, den er dazu beſtimmt
und Allen glaubwürdig gemacht hat; indem er ihn von den
“ONE auferweckte. Apoſtelg. XVIL. 30. 31.
Ich habe die zuverläffige Hoffnung, daß ich in feinem
Sic werde zu Schanden werden, fondern daß Chriſtus bey
all’ meiner Freymüthigkeit, wie allezeit, fo auch jetzt, an mei—
nem Leibe werde verherrlichet werden, ſey es durch Leben oder
durch Tod. Denn Chriſtus iſt mein Leben, und Sterben mein
Gewinn, Ich habe Luſt abzuſcheiden, und bey Chriſto zu ſeyn.
Philip. I. 20. 21. 23.
| 3. Chriftus, der Erſtling der —————— iſt vom To—
de auferſtanden. Wie der Tod durch Einen Menſchen kam:
ſo kommt auch die Auferſtehung von den Todten durch Einen
Menſchen. Wie in Adam alle Menſchen ſterben: ſo werden
in Chriſtus Alle lebendig gemacht werden; ein jeglicher aber in
ſeiner Ordnung. Der Erſte iſt Chriſtus; dann aber die, wel—
che Chriſto angehören, und an feine Ankunft geglaubt. haben,
I. Kor. XV. 20 —23.
4. Wir wollen eudy nicht in Unwiffenheit Iaffen, Brüder!
in Hinſicht auf die Entfcylafenen; damit ihr nicht traurig feyd,
fo wie die Uebrigen, die Eeine Hoffnung haben. Denn, wie
wir glauben, daß Sefus geftorben und auferftanden ift: fo
wird Gott aud) jene, wolche in Sefu entfchlafen find, mit ihm
zur Auferftehung führen. Theff. IV. 12. 13.
5. Diefes Bermestihe: muf Unverweslichkeit anziehen, und
dieſes Sterblidye muß Unfterblicyfeit anziehen. Wenn aber
diefes Werwesliche Unverweslichkeit, und diefed Sterbliche Un
fterblichfeit angezogen haben wird: dann wird auch erfüllet
dad Wort, welches gefcyrieben fteht: Werfchlungen ift ber
Zod im Siege; Tod! wo ift dein Stachel? Grab! wo ift dein
\ Sieg? Gott fey Dank! Er hat uns den Sieg gegeben durch
- unfern Herrn Sefus Ehriftus, I, Kor. XV. 55 — 57.
Sailer, d. chriſtl. Monath. 15
226
6. So lange wir in diefer Hütte find, feufzen wir, hart
gedrückt ; weil wir nicht entEleidet, fondern lieber überfleidet wer-
den möchten, fo, daß das Sterbliche von dem Leben verfchlun-
gen würde. Gott aber ift es, der uns dazu bereitet, und ung
auch das Pfand des Geiſtes gegeben bat, — Darum ftreben
wir auch , ihn zu gefallen; wir mögen pilgern, oder daheim
feyn. Denn wir Alle müffen vor dem Richterſtuhle Chriſti
offenbar werden; damit Jeder empfange, je nachdem er bey
Leibes:Leben gehandelt hat, es fey Gutes oder Böſes. II. Kor.
V. 4. 5. 9. 10.
7. Keiner von uns lebt ſich ſelber, und Keiner ſtirbt ſich
ſelber. Denn leben wir: ſo leben wir dem Herrn; ſterben wir:
fo fterben wir dem Herrn. Wir mögen nun leben oder ſter—
ben: fo find wir des Herrn. Dazu ift Chriftus geftorben und
wieder auferftanden, dab er über Todte und Lebendige herr—
fiye. — Wir werden Alle vor den Richterſtuhl Chrifti geftellt
werden. Nom. XIV, 7 — 10.
Betrachtung.
Wie dieſer letzte Tag des Monaths angekommen
iſt, ſo wird auch der letzte Tag unſeres irdiſchen Lebens
kommen; und zur unerwarteten Stunde, vielleicht frü—
her, als wir es erwarten, wird der Ruf an Jeden aus
uns ergehen: Gib Rechenſchaft von deiner
Haushaltung! Fn Hinficht auf dieſen Ruf, der
ung vor den Kichterffuhl der göttlichen Gerechtigkeit for-
dert, ermahnet uns Jefus Chriftus (Luk. XII. 35,—40.):
»Umgürtet euere Lenden, und haltet brennende Lichter
in euern Handen. Seyd Menſchen ähnlich, die auf
ihren Herrn warten, wenn er von der Hochzeit zurück—
fehren wird, damit, wenn er fommt und anklopfet, fie
ihm fogleich aufthun. Selig die Knechte, welche ihr
Herr, wenn er kommt, wachend findet! — Wenn ein
Hausvater wüßte, um welche Stunde der Dieb Fame,
würde er wachen, und nicht einbrechen laffen in fein
Haus. So feyd auch ihr bereit; denn der Sohn des
Menfchen wird zu einer Stunde fommen, wo ihr ihn
— — — u
— — —
a
223
nicht erwartet. Wachet demnach; denn ihr wiſſet we⸗
der den Tag noch die Gtunde.«
Wenn der göttliche Lehrer ung zur Wachfamkeit
auffordert: fo will er damit nicht weniger fagen, als
daß mir uns auf die Ankunft des Herrn vorbereiten,
und allezeit fo viel als möglich darauf gefaßt halten fols
len. Seder, der zur Befinnung und geraden Anblick
der Dinge gefommen ift, wird, diefer Ermahnung des
göttlichen Zehrers zu folgen, in dem Maße ſich gedruns
gen fühlen, in welchem er fich Flar und Iebhaft über:
zeugt halt von der Öemwißheit ſeines Todes, und von der
ungemwiffen, jedoch bald anrückenden Stunde desfelben,
von der Gewißheit des darauf folgenden Gerichtes, und
der ewig feligen oder ewig unfeligen Folge des göttlichen
Kichterfpruches, Daher die alte Ermahnung: Menfch!
gedenfe der letzten Dinge, und du wirft
nimmer fündigen (Sirachsfohn VII. 40.), und das
vielfagende Wort: Gterblicher! dent an’s Sterben ;
memento mori.
Die Ermahnung, daß wir und auf den Tod vor⸗
bereiten, und gefaßt halten follen auf die Stunde, die
uns zum göttlichen Kichterfluhle vorrufen wird, gewinnt
an Ernft und Wichtigkeit, wenn wir bedenfen, daß un-
fer Fünftiges Leben nur eine Fortfeßung des gegenmwärs
tigen fey, und daß mir jenfeit$ gerade das einernten
werden, was wir hier ausgefaet haben; Gutes, wenn
wir dem Guten, Bofes, wenn wir dem Bofen gedienet
haben. Das Samenforn, welches wir in das Herz
aufnehmen, im Herzen Wurzel faffen und aufwachfen
laffen, wird dort ausmwachfen, und feine vollendete Frucht
bringen. »Fleifch und Blut kommen abef nicht in’s
Reich Gottes, und das Verwesliche kann die Unverwes—
lichfeit nicht erlangen. Darum, liebe Brüder! feyd feſt
und unbemweglich ; werdet immer eifriger in dem Werke
des Herrn; denn ihr wiſſet, daß euere Arbeit in dem
Herrn nicht vergeblich ſeyn wird.« I. Kor. XV. 50.58.
15: °
228
Es unterſcheidet ſich der Chriſt von dem Nichtchri⸗
ſten, wie durch viele andere Dinge, ſo auch durch den
Ernſt und den heiligen Eifer, mit welchem er ſich auf
den Tod vorbereitet. Denn während der Beſte aus den
Heiden mit ruhiger Gelaſſenheit, und wohl auch mit
Freude dem Tode entgegenſieht; weil er in ihm nur den
Befreyer von den irdiſchen Banden erblickt: verlangt
der Chriſt zwar auch, aufgelöſt zu werden, um bey
Chriſtus zu ſeyn, erwartet aber nicht ohne Sorgfamfeit
und Wachfamkeit die Stunde feiner Auflöfung , wohl
. wiffend , daß Ddiefe nicht nur die irdifchen Banden lö—
fen, fondern auch uber ewiges Heil oder Unheil entfcheis
den werde, zumahl auf den Tod das Gericht folgt; wo
Sedem nad) feinen Werken vergolten, und die Stelle
zur Kechten oder zur Linken mwird angemwiefen werden.
Die Sorgfamkfeit und Wachfamfeit hat feinen andern
Grund, als die Unftätigkeit des menfchlichen Herzens,
und die Wandelbarfeit des menfchlichen Willens, die
auch dem quten Menfchen in ihm felbft Feine Sicherheit
finden laffen, daß er auf dem Wege, der zum ewigen
Leben führet, und den er wirklich betreten hat, bis an’s
Ende verharren werde. Diefe Sorgfamkeit ift im Grun-
de auch Feine andere, als die einer rauf, die an dem
Hochzeitfehmude nichts fehlen laffen, und dem Brautis .
gam nach deſſen Wunfch entgegen kommen möchte ;
oder. die eines treuen Haushalters, der ſich Tag und
Nacht gefaßt halt, um auf den erſten Ruf: Der Herr
kommt! ihm das Thor zu Öffnen. Kurz, der Ehrift,
der feines Nahmens werth iff, möchte mit feinen zwey,
drey, fünf Talenten fo viel gewonnen haben, daß er einft
hoffen darf, das Wort des Richters mit feinen Auser:
wählten zu vernehmen: Gehet ein, ihr guten und ges
freuen Knechte! in die Wohnungen meines Vaters, wels
che euch von Ewigkeit bereitet waren.
Der Ehrift firebet alfo, mit nie ruhendem Ernfte,
und mit der treueften Gewiffenhaftigfeit auf die unge:
— — — — —
229
wiſſe, jedoch ficher und bald hereinbrechende Zodesftuns
de fich vorzubereiten, und durch den Ernft und die Ges
mwiffenhaftigfeit in diefem wichtigen Gefchäfte offenbaret
fich die chriftliche Gefinnung vorzugsweife.
Die empfehlungswürdigfte, zweckmäßigſte Weiſe,
fich zu einem feligen Ende vorzubereiten, ift aber Feine
andere, als eben die wiederhohlte Erwedung und Ers
neuerung, Darftellung und Bewährung der chriftlichen
Gefinnung ſelbſt, wie wir fie in den frühern Zagen Dies
ſes Monathes betrachtet haben,
Wenn daher unfere Betrachtungen nicht voruber-
gegangen find, wie die Zeit, in der fie angeftellt wurs
den, fondern ihr Inhalt in unfer Gemüth fich einges
fenkt, und in unfer Fleifch und Blut fich gleichfam ver-
wandelt bat, d. i. wenn die chriftliche Geſinnung, des
ren Erweckung und Erneuerung, Offenbarung und Bes
währung wir durchforfchet haben, in uns wirklich ger
wecet, ſtets ivieder erneuert, und durch Darftellung in
allen unfern £ebensverhältniffen wahrhaft, und auf die
Dauer befeftiget worden ifts fo hatten wir uns nichts zu
fürchten , wofern ung, wie der leßte Tag des Monaths,
auch der letste Tag unferes Lebens angefommen mare;
denn Chriſtus lebte in ung, der Ueberwinder der Sünde
und des Todes, und wir lebten in Chriſtus, und an
ung würde und müßte alfo in Erfüllung gehen, was
Ehriftus (Joh. XIV. 2. 3.) verheißen hat: ch gehe
hin, euch eine Stätte vorzubereiten; ich werde wieder
fommen, und euch zu mir nehmen; damit ihr auch feyd,
wo ich bin. -
Vereiniget mit dem Kichter, und fchon theilhafs
tig des ewigen Lebens, haben wir das Gericht nimmer
zu fürchten. Darum laft ung nur um das Eine Noth»
mendige befümmert ſeyn: um die echt chriftliche Geſin—
nung; damit durch öftere Erweckung, Erneuerung und
Bewährung derfelben Chriſtus in ung eine Geftalt ge
winnen möge,
230
Bee
D Vater der Erbarmungen, und Gott alles
Troſtes! du, die ewige Liebe felbft, du wilft
nicht, daß Semand, der an dich glaubt und auf
dich vertraut, zu Grunde gehe; du willft uns
Alle felig haben. Deßwegen haft du ja deinen
eingebornen Sohn in die Melt geſendet; damit
Keiner, der an ihn glaubt, verloren gehe, jon-
dern das ewige Keben erhalte. O! fo gieße denn
in neuer Fülle deinen heiligen Geift auch am
Schluſſe diefes Monaths in unfere Herzen aus:
erwecke , erneuere und befeftige in uns auf's
Neue den Glauben an dic und deinen Sohn, den
du gefandt haft, und laß diefen Glauben in Lie-
be thatig, laß ihn zu einer dauerhaften Gefin-
nung und That werden!
Drücke uns auf, und prage uns ftets tiefer
ein das Siegel des lebendigen Glaubens und der
heiligen Xiebe; auf daß wir, durch das Feuer
derfelben von aller Makel der Sunde gereiniget,
und durch das Blut deines Eingebornen abgewa—
fchen, einft würdig erfunden werden, aus dieſem
Leben zu dir heimzukommen, durch Jeſum Ehri-
ſtum unfern Heren. Amen.
251
Noch ein Wort von der Vorbereitung zum Tode; aus dem
Gebiethe echter Poitofephie Geiſt und Weſen der Dinge.
I. Th
Denken wir uns, daß der Same eines unſrer prächtigſten
Bäume, oder einer unſrer ſchönſten Blumen, Kenntniß hätte von
der herrlichen Geſtalt, die ihn einſt erwartet, wenn er die Ver—
wandlung in der Erde überſtanden haben wird: gewiß, er würde
dann jene glänzende Zukunft nicht fürchten; ob er gleich in ſeinem
Innern die Wurzeln und die Grundlage der Form, die ihn einſt
erwartet, noch nicht im Voraus zu empfinden vermöchte.
Wohlan! der Menſch hat nicht allein in ſich dieſe Wurzel,
dieſe ſchöpferiſchen Principien ſeiner künftigen Form, die ihn ſei—
ner eigenthümlichen Natur und Klaſſe nach erwartet; ſondern wenn
er nur treulich das Ziel verfolgen wollte, wohin ihn die Zeit zu
führen ſtrebt, und jene Grundlagen, jene Keime nicht in ſich ver—
derben ließe: würde er unaufhörlich in ſeinem Innern ein leben—
diges Vorgefühl von dem Zuſtande tragen, der ihn als Siegespal—
me im Tode erwartet; und jene lebendigen Grundlagen und Kei—
me würden ihm ein ſo ſprechendes Zeugniß, eine ſo gültige Bürg—
ſchaft für jenen künftigen Zuſtand ſeyn, daß er gar nicht an dem—
ſelben zweifeln könnte.
Weit entfernt demnach, den Tod zu fürdten, würde ihn der
Menfc mit Freude und fiherer Ruhe kommen fehen; denn übers
haupt fürchten die Menfchen nur darum den Tod, weil fie nicht
forgfältig genug find, jene Zeugniffe und Bürgfchaften in ihrem
Innern zu erhalten oder zu erweden. Die Ungewißheit des Blü-
bens und Gebdeihens ift es, welche fie quält; ihr geiftiges Princip
fürdtet den Tod, nicht ihr Eörperliches ; denn diefes kennt ihn
nit, und hat weder Einfiht darüber, noch Furcht davor; obgleich
diefe Eörperliche Form, wie jedes thierifche Wefen, Schmerz und
Gefahren von ſich abzuwehren fudht.
Bey dem Bilde, das wir vorhin aufftellten, wäre überdieß
der Vortheil noch ganz auf der Seite des Menfchen; denn zwi—
{hen dem materiellen Keime und der Blume ift ein ungleich ge=
tingerer Unterfchied>als zwifchen dem irdifhen Menfchen und dem,
was er nah dem Tode, bey feinem Aufblühen im Geifte, feyn
wird. Der Blumenkeim und die Blume find beyde von einer und
derfelben Subſtanz; dagegen find der Körper des Menfchen und
fein Geift durch eine abfolute ftrenge Grenzlinie gefchieden.
732
Wäre der Tod gar nichts, wie dieß öfter etwas unbedachts
fam behauptet wird: dann wäre es auch fein Ruhm, ihn, wie
dieg täglich der Krieger und der Eiferer um Menfchenehre thut, zu
verachten ; ift aber der Zod etwas: fo hat man ihn auf Eeine
Weife leichtfinnig anzufehen, und darf ihm nicht, ohne auf ihn
zu achten, mit Falter Gleichgültigkeit , wie jo viele große Philofo-
phen gethan haben, und wie es ihre Nachahmer noch täglich thun,
entgegen gehen.
Ein wahrer Heldenmuth beym Anblicke des Todes ift der,
welcher auf dem göttlichen Gefühle unfrer Erhabenheit über diefen
irdifchen Leib und alle Feinde, denen er zum Aufenthalte dient,
beruhet; auf der lebendigen Ueberzeugung, daß, wenn man uns
diefen Leib nimmt, man uns nichts von allen dem nimmf, was
wir find, und daf wir vielmehr dann einen volllommenen Sieg ers
ftritten haben; indem nun der Feind, war anders unfer früherer
Wandel gut, alle Theile unferes Gebieths, welche er uns entreißen
wollte, auf immer verloren hat. Aus diefen Grunde kann ein
folher wahre Heldenmuth ſich eigentlih nur bey dem wahrhaft
Weifen,, oder bey dem wiedergebornen Menfchen finden , während
jeder andere Heldenmuth, der nicht aus Gott ift, entweder thie=
riſch oder thöricht ift.
Der Zod ift der legte, entfcheidende Augenblic unferes Kam—
pfes; der Augenblid, wo der Feind noch zulegt alle feine Kräfte
aufbiethet,, und wo auf der andern Seite die Siegerfrone unmit=
telbar auf uns wartet, Deßhalb Eönnen nur der Blinde und der
Thor jenen wichtigen Augenblick mit nichtigem, ganz gleichgültigem
Sinne betrachten : denn er verdient unfere ganze Aufmerkſamkeit,
wenn wir ihn als einen Kampf; unfer innigftes, wärmftes Ge=
fühl, wenn wir ihn als den Moment der Befreyung und unferer
Krönung als Sieger betrachten.
Aus jenen beyden Gefühlen, davon das eine unfern Blick
nach unten, in den Schauplag unferer Kämpfe lenkt, das andere
uns mit inniger Begeifterung erhebt, bildet fich ein drittes Ges
fühl, welches eine fanfte Mifchung von Ergebung und Hoffnung
ift; ein Gefühl, welches die Seele des wiedergebornen Menfchen
in diefer großen Stunde ganz erfüllen, und mächtig aus ihr her=
vorblicken muß. \
Selbſt der Tod des Sokrates, fo bewunderungswürdig und
herrlich er in den Augen menſchlicher Philofophie erfcheinen muß,
zeigt mir jenen großen Charakter nicht, nicht jenen nothwendigen Zu—
253
ftand des Menfhen, wenn er in jenem wichtigen Augenblicke im
lesten, entfcheidenden Kampfe mit feinem Feinde ift.
Sokrates jheint, um mid) fo auszudrüden, in dem Werke,
das ihm zu thun obliegt, gang fremd; er fcheint feinen Zod nicht
ſowohl als eine Handlung zu betrachten, wo das, was am Höch—
ften in ihm ift, auf immer über den Feind triumphiren foll; der
es fo lange von feiner wahren Atmofphäre entfernt gehalten; ſon—
dern als eine hiftorifhe Scene, bey der e# genügt, wenn man
ohne Unruhe und Bewegung von ihre fpriht, und fie nur äußer—
lich mit kaltem Blute darftellt; während der Tod ein Werk ift,
welches das Innerſte unferes Wefens in Anfpruh nimmt, und
durchaus das felbftitändig Thätigſte, Endſcheidendſte unſeres ganzen
Daſeyns iſt; weil wir mit demſelben die Wurzel unſeres Weſens
aus der ganzen Tiefe, in die ſie ſich ſeit dem Falle des Menſchen
verſenkt, und in der ſie ſich nach allen Richtungen mit vielfältigen
Zweigen ausgebreitet hat, mit Sorgfalt herausziehen ſollen, ohne
ſie zu beſchädigen, was nicht ſo gar leicht iſt.
Ja, jener erhabene Act muß zugleich mit dieſem ernſten Ge—
ſchäfte eine feyerliche Stunde des Dankes gegen den Schöpfer der
Weſen ſeyn, der uns aus der Wohnung des Verderbens erretten,
uns ſelbſt bey unſerer Befreyung hülfreich ſeyn, und die Krone des
Siegers auf unſer Haupt ſetzen will; und dieſe Gefühle ſind ſtark
und mächtig genug, um ſich lebendig an unſerem Weſen zu äußern.
Wir bedürfen aber eines ſolchen kräftigen Mittels, um uns in je—
ner Erfhütterung aufrecht zu erhalten; wir bedürfen der Hoffnung
eines folchen Genuffes, um dem Schauder jener legten Auflöfung
das Gleichgewicht zu halten.
Sa, es ift ein Sieg, deffen man erft * ganz vollbrachtem
Kampfe vollkommen gewiß wird; und die Sorgloſigkeit eines ©os
Erates erfcheint mir fogar, ſtatt vortheilhaft, vielmehr leichtfinnig
und unflug.
Auf der andern Seite erfcheint hierdurd zugleich das Leben
in der erhabenften Bedeutung; weil dasfelbe, wenn wir fo glüd-
lich waren, von ihm berührt zu werden, Macht hat, uns über die
Vernichtung diefes irdifchen Leibes zu erheben, und uns der Ems
pfindung unferer £eiden und des Todes felber, in einem erhabene=
ten, hinreißenderen Gefühle, vergeffen zu laffen, vor welchem Alles,
was in Beziehung auf unferen vergänglichen Leib flieht, ganz vers
ſchwindet.
254
Der Grund davon liegt darin: daß jene Bewegungen, in⸗
dem fie unfer innerftes Wefen erweden, uns aus unferem Leibe
hinausführen, und daß diefer, fobald er bloß fich felber überlaffen
ift, eben fo wenig Furcht vor dem Tode hat, als jedes andere
Thier. Erſt unfer Geift theilt dem Körper, wenn er fih in ihn
verfenkt, jene von Außen empfangene Kenntnig mit, die derfelbe
ohne dieß nie haben Eönnte.
Sobald demnach unfer urfprüngliches Wefen durch irgend
eine Gemüthsbewegung in eine Region gezogen wird, wo es Eeinen
od gibt, nimmt es dahin alle feine Kenntniß vom Tode mit fich,
und läßt der Materie gar Feine zurüd.
Deßhalb verachten fo viele Menfchen auf Erden den Tod,
und dieß aus fo gar verfchiedenen Bewegungsgründen. Stolz, Fröm—
migkeit, Wuth, Scham, das Streben fih dem Triumphgepränge
eines Feindes zu entziehen, Freundfchaft, alle möglichen Borurthei=
le und Tugenden, Eönnen uns aus dem Gefängniffe der Materie
emporheben, und überlaffen diefes den Gefegen feiner eigenen Träg—
beit und Bewußtlofigkeit. Hieraus wird uns die Unerfchrodenheit
des Kriegers, die ruhige Dingebung der Märtyrer aller Religionen,
die Ruhe fo vieler Selbftmörder, die Sitte, fi) mit den Todten
lebendig zu verbrennen und zu begraben u. f. f. begreiflicd), denn
ohne dieß wäre man nicht im Stande, den Widerfprud zu löfen,
in welchem bey den meiften jener Handlungen die Gelbftverläug-
aung, womit die Menfchen ihr eigenes Leben aufopfern, mit der
natürlichen Liebe zum Leben fteht.
Es ift deßhalb gewiß, daß wir uns aller unferer erhabenen
Vorrechte bedienen müſſen, wenn uns.anders der Tod das werden
fol , was er uns feyn muß, und wenn wir in jenem großen Mo—
mente die wunderbare Milde unferes Gottes ganz erkennen wollen.
Sn der That, lenken wir unfer Auge auf diefe Wunder der gött—
lihen Güte und Freygebigkeit: fo erblicken wir eine unendliche
Mengevon Schägen, welche wohl fähig wären, unfer ganzes We—
fen mit höchſter Bewunderung zu erfüllen, die uns aber durch Ge=
wohnheit fo natürlich geworden find, daß fie uns felbft gar nicht
mehr in Erftaunen fegen.
Sene Schäge find der herrliche Erſatz, der nicht allein den
Schreden unferes Todes, fondern felbft denen unferer jegigen Exi—
fieng das Gleichgewicht halten foll; denn anftatt des Zuftandes der
gänzlichen Erftarrung und Gerinnung, in welchem Wir uns körper—
lich, dem Gefege der Zeit gemäß, befinden, erwartet uns ein Zus
1
\
N
235
fand geiftiger Beweglichkeit und Klarheit, der uns fähig macht,
uns in die Regionen aller Sphären zu erheben; ſtatt der Finfters
niffe und quälenden Ungewißheiten, die uns hier täglich beengen,
ein vollfommenes, unaufhörliches und grengenlofes Licht ; flatt die—
fer langfamen, abgebrochenen, rohen und ohnmächtigen oder felbft
verderblichen Worte, die unfer Herz und unfer Mund ohne Aufhö—
ren gebären, wird uns dort ein lebendiges, mächtig wirkendes,
unwandelbares Wort gegeben, welches ein Schrecken alles Böſen,
aller Unordnung feyn wird; ein Wort, das in unferem Wefen, wie
das ewige Wort in allen Welten, Leben und unausgefestes Wirken
ſchaffen wird.
\
236
Schlußbetrachtungen,
oder
Geiſt aller — Betrachtungen.
Aus dem zwölften Buche des h. Franz von Sales von ber Lie—
be Gottes, von Gilbert überfegt.)
Es gibt Seelen, die große Entwürfe mit ſich umher⸗
tragen, dem Herrn außerordentliche Dienfte erweifen ,
und ganz ungewöhnliche Leiden für ihn ertragen wol—
len; doch find dieß Dienfte und Leiden, wozu die Öes
legenheit für den Augenblicd nicht da ift, und auch viel-
leicht nie fommen wird. Da glauben denn ſolche See—
len Wunder, was fur große Liebe fie hegen; allein fehr
oft irren fie gewaltig, was daraus fund wird, daß fie
in ihren Wünfchen große Fünftige Kreuze auf fich neh—
men; indeß fie die gegenwärtigen, weit geringern, mit
großer Aengftlichkeit fliehen. Eine große Verfuchung
ift dieß: daß ınan in der Einbildung fo tapfer, in der
Wirklichfeit aber fo feige ift.
Gott bewahre uns vor derley eingebildetem Eifer,
der oft im Hintergrunde unfers Herzens eine geheime
und eitle Achtung unfer felbft unterhält! Große Wers
fe find nicht immer auf unferm Wege; aber zu jeder
Stunde ergibt fidy Gelegenheit, geringe Werfe auf vors
treffliche Weife, das heißt, mit großer Liebe zu thun.
Betrachten wir nur einen frommen Menfihen, der eis
nem armen vorübergehenden Wanderer ein Glas Wafs
fer reicht. Wenig thut er dem Anfcheine nach; allein
die Abficht, die Sanftmuth, die Liebe, womit er fein
237
Werk belebt, ift fo vortrefflich, daß er dieß einfache
Waſſer in ein Waſſer des Lebens, und zwar des ewi⸗
gen Lebens ummandelt,
Die Honigbienen faugen in den Kelchen der Lilien,
der Schwertblumen und der Roſen; doch geminnen fie,
nicht minder Honig auf den Fleinen Blümlein des Ross
marins und des Thymians; ja fie fammeln dafelbft
nicht nur mehr, fondern auch beffern Honig; weil in
diefen Fleinen Gefäßen der Honig mehr zufammenge:
drangt ift, und folglich ſich auch beffer erhalt. So
wird auch fürwahr in den niedrigen und geringern Wer>
fen der Frömmigkeit die Liebe gewöhnlich nicht nur öf—
ter, fondern aud) demütbiger, und folglich nützlicher
und beiliger geübt.
Verträglichkeit gegen die Launen Anderer, fanftes
Dulden der rohen und verdrießlichen Gewohnheiten des
Nächſten, fo manche Siege über unfere eigenen Launen
und £eidenfchaften, Entfagungen unferer geringern Weis
gungen, Ueberwindung unferes Widerwillens und unfes
rer Abneigungen, herzliches und fanfmüthiges Geftänd»
niß unferer Fehler, unaufhorliche Mühe, die wir uns
geben , unfere Seele ruhig zu erhalten, Liebe unferer
Erniedrigung, gutmüthige und freundliche Annahme des
Tadels und der Verachtung, die über unfern Stand, uns
‚ ‚fer Eeben, unfern Umgang und unfere Handlungen ers
geht: dieß Alles ift unferen Seelen weit heilfamer, als
wir uns denken fünnen, wenn anders die heilige Liebe
daruber fchaltet,
Unfer Heiland pflegte, wie die Alten uns hinter-
ließen, den Seinigen oft zu fagen: Seyd gute Wechs⸗
ler und Münzmwardeine. Wenn ein Thaler nicht
vom echten Silber iſt, wenn er fein volles Gewicht nicht
hat, und das echte Gepräge ihn fehlt: fo verwirft man
ihn als nicht gangbar; und wenn ein Werk nicht von
' guter Art, wenn es nicht mit der heiligen Liebe geprägt,
und die Abficht desfelben nicht fromm ift: nimmer kann
258
e3 dann in die Anzahl der guten Werke aufgenommen
werden. Faſte ich z. B. in der Abficht, zu fparen: fo
ift mein Faften nicht von guter Art. Faſte ich aus Mas
figfeit, und hege irgend eine fehwere Sünde in meiner
Seele : fo fehlt diefem Werke das Gewicht ; denn die
Liebe ertheilt das Gewicht Allem, was wir thun. Faſte
ich bloß des Umganges wegen; weil etwa meine Ges
fahrten deßgleichen thun: fo ift dieß Werk nicht mit
dem Stempel einer annehnbaren Abficht geprägt. Faſte
ich aber im Geiſte der Maßigfeit, bin dabey im Stans
de der Gnade Gottes, und habe die Abficht, der gött—
lichen Majeſtät durch die Maßigkeit zu gefallen: dann
ift dieß Werk eine vollgultige, annehmbare Münze, und
geeignet, den Schaß der Liebe zu vermehren.
Gar trefflich werden geringere Werke verrichtet,
wenn man fie mit großer Reinheit der Abficht, und mit
einem feften Willen thut, Gott zu gefallen ; und gar
ſehr beiligen fie uns in diefem Falle. Es gibt Leute,
die viel efjen, und dabeh immer mager, dürr umd
fihmächtig find; meil ihre Verdauungskraft nicht gut
if. Andere dagegen effen wenig, und find dabey immer
wohl beleibt und ſtark; weil ihr Magen gut ift. Auf
diefelbe Weife gibt es Seelen, die viele gute Werke
‚thun, und dabey wenig an Liebe zunehmen; weil fie dies
felben Falt, nachläffig, oder mehr aus natürlichem Ans
triebe und aus Neigung, al$ aus gottlicher Einfloßung
und mit himmliſchem Eifer thun; umgefehrt dagegen
thun Andere gar nicht viel, doch was fie thun, thun
fie mit fo heiligem Willen * ſo reiner Abſicht, daß
ſte dadurch gar ſehr an Liebe zunehmen; fie haben wes
nig Zalente empfangen, aber fie verwenden folche fo
treu, daß der Herr fie in reichlichem Mafe dafür bes
lohnt.
»Was immer ihr thuet, ihr möget reden oder han=
deln: thut Alles, im Rahmen unferes Herrn Jefu Chris
ſti.« — »Ihr möget effen oder trinken, oder fonft etwas
239
thun: thut Alles zur Ehre Gottes.« Alfo der große
Weltapoftel, deffen Worte, wie der heilige Thomas
fpricht, der fie erflart, hinreichend in Erfüllung gebracht
werden, wenn die heilige £iebe ung innemwohnt. Denn,
haben wir dann auch nicht bey jedem einzelnen Werke
die ausdrückliche und ganz befondere Meinung, es für
Gott zu verrichten: fo ift dennoch diefe Meinung ſchon
ſtillſchweigend in der Liebe enthalten, durch die wir mit
Gott vereiniget find, und kraft welcher wir, was im»
mer wir Gutes thun fünnen, der göttlichen Güte e$ mit
uns felbft geweiht haben. Es iſt eben nicht nothwendig,
daß ein Kind, das in dem Haufe feines Vaters wohnt,
und unter deſſen Gewalt fteht, erkläre, daß Alles, was
es ermerbe, feines Vaters Eigenthum ſeyn foll;. denn ges
hört das Kınd felbft dem Vater: fo gehört mit demfel:
ben ihm auch Alles an, was von demfelben abhangt.
Eben fo genügt es auch, daß wir Kinder Öottes aus
Liebe feyn; denn als folche haben wir ja Alles, was wir
tbun, im Seife dieſes Findlichen Sinnes gethan, und
gänzlich zu ſeinem Dienſte beſtimmt.
Es bleibt alfo ausgemacht, daß, wie der Oehl—
baum, der in der Nähe der Rebe gepflanzt wird, ihr
ſeinen Wohlgeſchmack ertheilt, auch die Liebe, wenn fie
mit andern Tugenden zufammentrifft, ihnen ihre Voll—
kommenheit mitiheilt. Pfropft man aber die Rebe gar
auf den Dehlbaum: fo theilt er ihr nicht bloß feinen
Geſchmack, fondern auch feine Safte mit. So follen
wir ung denn nicht begnügen, die Liebe in uns zu ha>
ben, und nebfi ihr Tugenden zu üben: fondern thun
wir, was immer wir thun mögen, durch fie und für
fie; auf daß alle unfere Werfe ihr angeeignet werden
können; weil fie ihr von rechtswegen angehören.
Wenn ein Mahler dem Schuler die Hand fuhrt:
fo wird der Strich, den beyde alfo vereint führen, vor=
züglich dem Mahler zugefchrieben; denn hat auch der
ee durch Die Bewegung feiner Hand, und durch
240
die Anwendung des Pinfels dazu beygefragen: fo verz
einigfe gleichwohl der Meifter feine eigene Bewegung
dDergeftalt mit der Bewegung des Schülers, daß das
Schöne, was in dem Zuge liegt, ganz vorzüglich ihm
angehört; wiewohl man dabey nicht unterläßt, auch den
Schüler zu loben, daß er feine Bewegung der Bewe—
gung des Meifters fo gelehrig und gefchmeidig anfügte.
Wie vortrefflich find die Zugendwerfe, wenn die gött—
liche Liebe ihre heilige Bewegung ihnen einpragt, nahm:
lich, wenn fie der Grund ift, weßhalb fie verrichtet were
den. Doch gefchieht dieß auf verfchiedene Weiſe.
Eine ganz befondere Vollkommenheit ergießt der
Beweggrund der heiligen Liebe über die fügendlichen
Handlungen derjenigen, die fich auf ausfchließende Wei:
fe Gott geweiht haben, ihm auf immer zu dienen. Dieß
find die Bifchöfe und Priefter, die durch die facramens
talifche Weihe einen geiftlichen, und zwar unauslofchlis
chen Charafter erhielten, und, gleich gezeichneten Zeibs
eigenen, dem Dienfte Gottes für immer geweiht find;
dDeßgleichen die Drdensleute, die durch ihre einfachen
oder feyerlichen Gelübde, gleich lebendigen und vernünfe
tigen Brandopfern, Gott dem Herrn geopfert werden.
Dahin gehören auch Ale, die fich frommen Con»
gregationen einverleiben, welche der Ehre Gottes beftan-
dig geweiht find; ferner Alle, die abſichtlich große und
feyerliche Vorſätze faſſen, den Willen Gottes zu befol:
gen, und in diefer Hinficht Jährlich einige Tage in geifle
licher Einfamfeit zubringen, dafelbft ihre Seele durch
dazu geeignete Uebungen zur gänzlichen Aenderung ihres
£ebens zu ermuntern; welche heilige Uebungen bey den
Chriften der erften Zeiten fehr gewöhnlich waren, pas
terhin aber vernachlaffiget wurden. — —
Ich weiß freylich, daß Einige der Meinung find:
diefe allgemeine Aufopferung unfer felbft dehne ihre Kraft
und ihren Einfluß nicht bis auf Handlungen aus, die
wir nach der Hand thun, aufer, in fo fern wir bey der |
Ber:
241
Berrichtung derfelben insbefondere- durch den Beweg—
' grund der Liebe wirken, und folche der Ehre Gottes
insbefondere weihen. Nichts deſto minder befennen
Alle mit dem heiligen Bonavenfura, den auch jeder
hierüber mit Lob und Beyfall anführt, daß, wenn
ein Menfch befchloffen hat, den Armen Gott zu Lies
be hundert Thaler zu ſchenken, diefe fromme Spende,
— menn er fie auch nicht unmittelbar nad) feinem
Entfchluffe, fondern dann austheilt, warn es ihm ge—
legen ift, und wenn er auch dabey zerfireut und feis
nes frühern Verſprechens eben nicht insbefondere eins
gedenk ift, — dennoch ganz aus Liebe geſchieht; da
| fie aus dem erfien Vorſatze herfließg, zu dem die hei—
lige Liebe den Menfchen angeregt hatte.
Nun frage ich aber: was findet wohl zwifchen
zwey Menfchen, deren einer dem Allerhöchften hune
dert Thaler, der andere alle feine Werke opfert, für
ein anderer Unterfchied Statt, als daß der Eine
eine Summe Geldes, der Andere eine Summe Übers
fe opfert ? Wie follte alfo die Summe aller einzelnen
Werke, die diefer opfert, nicht eben fo fehr aus ſei—
ner erfien Aufopferung herfließen, als die Vertheilung
der hunden Thaler von dem erften Vorfaße des An»
dern herſtammt? Wie follte der, der das Geld lange
nach feinem Verfpredyen austheilt,’ des Vorzuges ſei—
nes erften Verſprechens genießen; und der Andere,
der feine Werke opfert, feiner erften Abficht verluftig
werden? — Wer alfo der göttlichen Güte fich freys
willig und heilig als £eibeigenen hingab, der hat ihr
alle feine Werke und Handlungen bhingegeben, da er
fich felbft ihr gemeiht hat. |
Diefer Wahrheit zufolge follte Jeglicher in feie
nem Leben mwenigftens Ein Mahl fich auf einige Zeit
ernftlich in die geiftliche Einfamfeit begeben, und da—
felbft feine Seele von allen feinen Sünden reinigen,
um dann einen feften und ernfilichen Entſchluß zu
Sailer, d. chriſtl. Monath. 16,
x
242
faffen, ganz nach dem göttlichen Wohlgefallen zu
leben; dann aber ale Jahre wenigftens Ein Mahl
fein Gewiffen muftern, und feinen erften Vorſatz ers
neuern.
Der heilige Bonaventura behauptet: daß ein
Menſch, der eine fo große Neigung und Gewohn⸗
heit erwarb, Gutes zu thun, daß er es oft ohne be;
fondere Aufmerffamfeit thut, darum nicht minder
durch folche Handlungen für den Tag der Öarben
ausfae und ernte; da diefelben durch die heilige Lies
be veredelt werden, Der fie al$ der Urquelle und Haupt-
wurzel diefer glücflichen Gewohnheit, Leichtigkeit und
Schnelligkeit entfpringen,
Wenn die Pfauhenne brütet und weiße Gegen»
ftande vor ſich bat, fo werden ihre Küchlein alle
weiß. Wenn zur Zeit, wo mir irgend ein gutes
Werk befchließen oder einen Stand wählen, unfere
Abfichten in der Liebe Gottes gegründet find: fo er:
halten alle Handlungen, die hiernach erfolgen, ihren
Werth und ihren Adel von der heiligen Liebe, der
fie entfpringen. Denn offenbar hängen die Handluns
gen, die zu meinem Stande gehören oder für das
gute Werk erforderlich find, von dieſer Men Wahl
und dem erften Entfchluffe ab, den ich gefaßt habe.
Jedoch follen wir hierbey nicht ftehen bleiben;
fondern wenn wir bedeutende Fortfchritte auf dein es
ge der Heiligung machen wollen, müffen wir es nicht
dabey bewenden laffen, daß mir im Anfange unferer
Befehrung , und dann jedes Jahr, Gott dem Herrn
unfer Leben und alle unfere Handlungen uberhaupt
weihen : wir müffen fie ihm überdieß jeden Tag (am
Morgen und unter Tags, je öfter defto beffer) opfern;
denn durch diefe tägliche Erneuerung unferer Hinges
bung erhalten ale unfere Handlungen neue Liebess
Traft und Starke; da unfer Herz durch neue Verei⸗
245°
nigung mit der göftlichen Güte immer mehr geheilis
get wird.
Ueberdieß follen wir jeden Tag etliche Mahle
unfer Leben durch feurige Schußgebethe, durch Erhe⸗
bung unferes Herzens und innerliche Einfamkeit desfel>
ben, der göttlichen Liebe widmen; denn da folche
heilige Uebungen unfer Gemüth unabläffig zu Gott
emporheben, ziehen fie auch alle unfere Handlungen
nach. Und, wie follte fich’3 auch nur denten laffen,
daß eine Seele, die mit jedem Augenblide zur gott:
lichen Güte auffeufzt und unaufhorlih in Worte der
Liebe ausbricht, um ihr Herz beftandig in dem Hers
zen des himmlifchen Waters zu erhalten, nicht alle
ihre guten Werfe in Gott und für Gott verrichtete ?
Jene, die da ſprach: »Mein Öeliebter ift ganz
mein, und ich bin ganz fein. Mein Gott und Alles!
O Jeſu! du bift mein Leben; o, wer gibt mir, daß
ich mir felbft erfterbe, um nur dir allein zu leben !
O, wer da liebte, wer immer fortfchritte; o, mer fich
felbft erftärbe, wer nur für Gott lebte und in Gott
wäre! D Gott, was nicht du felbft bift, das iſt mir
nichts !« — opferte fie nicht unablaffig alle ihre Hand»
lungen dieſem himmlifchen Bräutigam? Glückſelig
die Seele, die einmahl fich felbft ablegte, und den
Handen Gottes fich übergab! Nur auffeufzen darf fie
zu Gott, und mit ihren innerlichen Augen zu ihm
aufbliden, um ihre Hingebung und Aufopferung zu
erneuern und zu befräftigen, denn dieſer Seufzer be—
theuert, daß fie nichts will, als Gott, und was fie Got»
tes wegen verlangt, und daß fie fich felbft und auch
nicht3 auf Erden liebt, außer in Gott und um Got:
tes willen.
Diefe Uebung des beftandigen Auffeufzens zu
Gott ift demnach fehr geeignet, alle unfere Werke zur
heiligen Liebe zu führen; zumahl aber ift fie mehr als
hinreichend für die geringern und gewöhnlichen Hand»
16 2
244
lungen unferes Lebens. Wollen wir aber bey außere
ordentlichen , erhabenen und michtigen Ereigniffen gro=
fen Gewinn erzielen ; fo märe folgende Weife hierzu
fehr zweckmäßig und erfprießlich, 4
Erheben mir bey folchen Vorfallen unfer Herz und
Gemüth zu Gott, und dringen wir mit aufmerffamer
Betrachtung bis in die hochheilige und glorreiche Ewig—
feit ein. Schauen wir dann in derfelben, wie zart-
lich die güttliche Güte uns liebte, und mie forglich
fie ale Mittel zu unferem Heile, ale Öelegenheiten
zu unfern Fortfchritten in ihrer heiligen Liebe, zumahl
aber. die gegenwärtige, vorbereitet hat, das Gute zu
thun, das fich uns darftellt, oder das Uebel zu lei—
den, das uns widerfährt. Und haben mir dieß ges
than : dann breiten wir, gleichnißweife gefprochen,
die Arme unferer Einwilligung aus, und umfangen mir
lebend , glühend, und in inbrünſtigem Liebeseifer das
Gute, das fih zu thun ergibt, oder das Uebel, das
wir leiden folen; und dieß zwar darum, weil Gott
es ewiglich gewollt hat, und damit wir ihm gefallen
und feiner Vorſehung gehorchen.
Alfo that der große heilige Carolus Borromaus,
als fein Bisthum von der Peft befallen ward. Groß-
müthig erhob er feinen Muth in Gott, faßte die
Ewigkeit in's Auge, und betrachtete mit Aufmerkfamkeit,
wie in der Anordnung der göttlihen Vorſehung Ddiefe
Zuchtrutbe feinem Wolfe bereitet und beftimmt war;
und wie in diefer Zuchtigung die nahmliche Vorſe—
bung angeordnet hatte, daß er den Betrübten mit
liebevoller und herzlicher Sorgfalt beyſtehen, helfen und
fie tröften follte; da er zu Diefer Zeit der geiftliche
Vater, Hirt und Bifchof feines Kirchenfprengels wäre.
Er flellte fi) demnach die Größe der Leiden, Arbeis
ten und Gefahren vor, denen er fich deßfalls unterzies
ben mußte, brachte fih im Geiſte dem göttlichen
Wohlgefalen als ein Opfer dar, küßte mit Zärtlich⸗
245
feit das ihm beffimmte Kreuz, und rief im Grunde feis
nes Herzens, gleich dem heiligen Andreas: »O heili-
ge Trübſal! wie lieblich bift du, da du aus dem lieb»
reichen Schooße des Waters der ewigen Erbarmungen
ausgingeft, der von Ewigkeit dich wollte, und diefem
‚ geliebten Wolfe, und mir dich beftimmte! DO Kreuz,
dich will mein Herz, da das Herz meines Gottes dich
gewollt hat! O Kreuz, dich liebt meine Seele, und
umfängt dich mit ſeiner ganzen Liebe!«
Alſo ſollen wir bey den größten Ereigniffen, und
bey den bitterffen — — uns benehmen, die uns
begegnen können. Sind aber ſolche Trübſale von lan-
ger Dauer, ſo müſſen wir dieſe Uebungen von Zeit zu
Zeit, ja ſehr oft wiederhohlen, um dadurch unſere Vers
einigung mit dem göttlichen Willen und Wohlgefallen
am fo nüßlicher fortzufegen, und Diefe zwar Furze
aber ganz göttliche Betheurung mit feinem Sohne aus»
fprechen: »Ja, 0 ewiger Vater! ich will es von gan—
zem Herzen; denn alfo war es mwohlgefallig vor dir!«
— D, mein lieber Theotimus, wie große Schäße find
in diefer Uebung verborgen !
246
Rückblick
über das Ganze
Der Monath mit feinen Dreyßig — Ein und,
dreyßig — Betrachtungen liegt nun hinter mir. Soll
ich Den gemachten Weg nicht noch ein Mahl zurüd-
legen ? | ;
Was wollte ich? An jedem Monathstage machte
ich es mir zur Pflicht, darnach zu ringen, daß ich für
die Führungen der ewigen Weisheit, die in Jefus
Ehriftus Menfch geworden iſt, und in der Zeiten Fülle
zu uns geredet hat, empfänglicher, und mit den
Lehren, Öefetzen und Heilsanftalten derfels
ben vertrauter werden möchte. In dieſer Abficht ftellte
ich vorerft die Frage an mih: Wozu bift du
da? welches ift deine Beftimmung? die
- Beftimmung des Menfchen und des Chri—
ften? Die Weisheit, welche das Befisthum des
Herrn im Anfange feiner Wege war, antwortete auf
diefe Frage: Du bift zum Bilde Öottes ge
ſchaffen, o Menfh ! und beftimmt, den
Nahmen des Herrn anzurufen und zu ver:
herrlichen, und in der Anfhauung des
Herrn felig zu werden. Aus deinem Ur
fprunge, aus deiner Erlöfung, und aus
deinem Biele gebt hervor, daß du ein
Spiegel ſeyn folleft, indem die Machtdes
Baters, die Weisheit des Sohnes und
die Liebe des heiligen Geiftes fich abbils
den und verflären,
Darnach verglich ich den Zuftand, in dem ich
mich gegenwärtig befinde, mit dem, in welchem ich
feyn ſollte; und es ergab fich, leider! nur al zu deutlich,
247
daß ich ganz und gar nicht derjenige fey, der ich
ſeyn follte. Denn flatt in meinem innern und äußern
Leben den Glanz des göttlichen Ebenbildes zu erfchau-
en, finde ich in meinem Gemüthe die Sunde inwohs :
nend, als eine giftige Wurzel; daraus der Baum
des Böſen hervorwächſt, der die bitterfien Früchte
trägt. Sch finde, wie die inwohnende Sünde mit faft
unmiderftehlicher Gewalt von Gott mich wegreißet, ge-
gen Gottes Geſetz mich in Aufruhr bringet, das heilige
Feuer der Liebe in meinem Herzen auszulöfchen droht,
und das Leben aus Gott, wo nicht vertilget, Doch Ders
geftalt hemmet und bindet, daß faft Feine Spuren von
feinem Daſeyn wahrnehmbar find ; ja ich finde da; wo
die göttlichen Eigenfchaften wieder glanzen follten, die
haflichfien Wirkungen der Sünde: Verfinfterung
des VBerftandes, Lähmung des Willens,
Zerrüttung des Gedadtniffes, Gram,
Ueberdruß, Unfrieden des Herzens, Erw
fhöpfung des Eeibes, und an der Gtätte
Des ewigen Lebens das gräßliche Bild des
Todes Mit der Lauterfeit des göttlichen Ebenbil-
des ftehet die Unlauterfeit meines Gemüthes; mit der
Wahrhaftigkeit Gottes die Lügenhaftigkeit meiner Sees
le, die Falfıhheit, die Heucheley, und die mancherley
Zucfen der Sünde; mit der Heiligkeit des göttlichen
Geſetzes die Zahl und die Größe meiner Webertretuns
gen; und mit der ewigen, Schönheit die häßliche Ge-
ftalt des Lafters in ſchrecklichem Widerfpruche. So
bin ich, in dem Lichte befehen, in welchem mich
Gott fchaut.
Bon diefem fchauerlichen und häßlichen Anblics
fe, lenkte ich, o Herr, mein Gott! das Auge meines
Geiftes abfichtlich und mit Gewalt hinweg , um es hins
zumenden auf das liebliche Bild des Öuten, das in
mir herrfchen folte, und betrachtete (am dritten Tage),
was diel Falfchheit in Wahrhaftigkeit, die Bosheit in
248
Gutſeyn, die Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit, die Vers
£ehrtheit in Geradheit, die Krankheit in Gefundheit
umzumandeln im Stande feyn könnte; und lernte in
diefer Betrachtung die Liebe Gottes aus gans
zem Herzen, aus ganzer Geele, aus gans
zem Gemüthe und allen Kräften, und die
NRächſtenliebe, an Lebhaftigkeit und Tha
tigfeit der Selbftliebe gleich, als das
Eine Gute fennen, aus dem alle anderen guten Ge⸗
finnungen und Handlungen hervorwachfen, wie aus der
Wurzel des guten Baumes der ganze Baum hervor⸗
wächft, welcher feine Gefundheit durch lauter gute
Früchte an den Tag legt. Ja ich erkannte, mie fie,
die heilige Liebe, Quell-und Mittelpunct
aller Tugenden, und fomit der Sonne gleich fep,
welche Duell: und Mittelpunct aller Lichtftrablen ift.
Aus der Vergleichung des Böfen, welches in
mir iſt, mit dem Guten , welches in mir feyn follte,
aber leider noch nicht ift, leuchtefe mir die Nothwens
digkeit und die hohe Wichtigkeit wahrer Buße in die
Augen ; und ich fah ein (am vierten Tage), wie der
Urfprung der heiligen Liebe, und in und
mit derfelben die innere Umwandlung und
außere Umgeftaltung des böfen Mer
[hen in einen wahrhaftguten lediglid,
und allein durh Buße möglich ſey; eine
Umwandlung und Umgeſtaltung, durch welche der
Menfch vor Gott wieder gerecht und. mohlgefallig
wird ; indem er, von der Sünde fchlechthin abgewens
det, eine ausfchließliche Richtung zum Ewig⸗ und
Allein s Guten erhalt; eine Veränderung des ganzen
Menfchen alfo, welche im Innern den Frieden
aus Gott, und im Aeußern den Wandel vor
Gott zur nothwendigen Folge hat.
Das erfie Erforderniß zu Ddiefer Umkehr und
Rückkehr zu Gott iff, wie ich am fünften Tage Deuts
24g |
licher als je einfehen lernte, ein uberwiegender
Ernft, welcher alem Leichtfinn, der im Sünder
herrſchet, ein Ende macht; ein beiliger Ernft,
tvelcher geeignet ift, einem ganz neuen Leben den An—
fang zu geben: -weil er einerfeits zum Stilleftehen auf
dem Wege der Sünde, zum Eriorfchen des Jnner-
' fen, und zum Durchforfchen der Sünde, andererfeits
zum Gebethe um Erleuchtung des verfinfterten Gemü⸗
thes, und des verdüfterten Gemwiffens, ohne die feine
lebendige Erfenntniß der Sünde und der Sundhaftig:
keit möglich ift, anfpornetz zum Gebethe um den heie
ligen Geift, ohne deffen Erleuchtung und . Führung
der Menfch den Urfprung und die allfeitige Verzwei—
gung, die Schändlichfeit und die Schadlichfeit der
Sünde niemahls zu erfennen vermag.
‚Das zweyte nicht weniger nothwendige Erforder:
niß zur wahren Buße iſt, wie mich die Betrachtung
des fechften Tages überzeugte:
1. Die Anerfenntniß der Sünde und
der Sündhaftigkeit nah Größe und Aus,
breitung, nah Schändlidyfeit und Schä d⸗
lichkeit, nach Urſprung, Wachsſthum und
Vollendung — vor dem Gerichtshofe
meines Gewiſſens;
2. Die Bekenntniß der anerkannten
Sünde und Sündhaftigkeit innerlich vor
dem Kichterftuhle,und dem alldurdfchaus
enden Auge Öottes;
3: Die Befenntnif der anerfannten
Sünde und Gündhaftigfeit aufßerlid
vor dem Stellvertreter Chrifti, den er in
feiner Kirche dem Sünder anweifet, und durch den
er ihm Licht, Kath, Hülfe und Erlöfung anbeut.
Sch erkannte die Nothwendigkeit jener Ans
erfenntniß, und DdDiefer zweyfachen Be
kenntniß meiner Sünde und meiner Sündhaftigs
250
feit, um nicht wieder von den Zerftreuungen des Le-
beng , und von der Macht der mancherley Reize und
KReisungen des Bofen in den alten Zufland des Vers
derbens hinabgezogen zu werden. Die Anerfenntniß
und Bekenntniß aber darf nicht bloß in Worten
befteben, fondern fol aus dem Herzen fom
men, und im Herzen verbleiben, und fomit die
Sünde, um mit David zu reden, Tag und Naht
vor dem Sünder ftehen.
Wie aus der lebhaften Anerfenntniß
und der gemwiffenhaften Befenntniß der
Sunde, Sham, Reue und Sehnſucht nach
Erlöfung, d. i. nach Befreygung von der Sünde und
ihren Folgen nothwendig hervorgehen, warum und
wie Diefe Gefühle erweckt, unterhalten und immer
trieder erneuert werden follen, zeigte mir die Betrach—
tung des fiebenten Tages, die mich antrieb, von Dir,
v Gott! dem gerechten Richter, zu Dir, o
Gott! dem lieber und huldvollen Vater,
von Deiner Gerechtigkeit, zu Deiner Er
barmung mich zutrauungsvoll hinzumenden. Ans
gezogen von Deiner Menfchenfreundlichkeit, o Gott!
unfer Vater in Jeſus Chriſtus, ermuntert von den
Berheißungen Deines Sohnes, getrieben von dem
lebhaften Gefühle der Sunde und der Sundhaftigfeit,
fonnte und wollte ich nicht langer mehr faumen, die
Stätte meines Elendes zu verlaffen, und an der
Hand Ehrifti, im Vertrauen auf Deine allerbarmen-
de Liebe, gleich dem verlornen Sohne, in deine offe-
nen DVaterarme zurüczufehren. Da trat es mir recht
bel vor das Auge, (am achten Tage), mie, fern
vom todten Glauben an Ehriftug, und er
nem unthatigen Vertrauen auf fremde Ge
rechtigfeit, aber auch gleich fern von bloß ei:
genmäcdhtigem Wollen und Streben, die
Immwandlung des böfen Menfchen in einen guten
251
*
durch den heiligen Geiſt zu Stande gebracht werde,
eine neue Geburt aus Gott, eine neue Schöpfung,
worin ſich zugleich — die Wirkſamkeit der göttlichen
Gnade, und die Thätigkeit des menſchlichen Willens
in lieblichſte Harmonie offenbaren. Wahrhaft! auch
bier wecket Gott vom Tode auf, auch hier tritt der
Neuerwecte in das Keben ein. Gott belebet, und
der belebte Menfch führt ein göttliches Leben,
das Leben des chriftlichen Glaubens, der chriftlichen
Hoffnung, und der chriſtlichen Liebe. Dieß wunder—
bare Werk ſtrahlte mir (am neunten Tage) mit neuer
Klarheit in's Auge, als ich den Sinn der Worte Je⸗
fu: Laßt uns fröhlich ſeyn; denn dieſer
mein Sohn war todt, und ift wieder le—
bendig geworden, Luk. XV. 24, in den väterlis
chen Umarmungen und in dem Friedensfuffe, die dem
geretteten Sohne zu Theil wurden, fühlen lernte.
Diefes wunderbare Werk bringt Gott in der chrift-
lichen Kirche durch Menſchen zu Stande, die er durch
die Vorfteher derfelben zu Diefem wichtigen Gefchafte
fendet, und mit Vollmacht rüftet. Ihr göttlicher Beruf
ift Fein anderer, als in dem Falten Sünder das Eis
zu fchmelzen, den Verirrten auf den Pfad des Lich»
tes zu mweifen, den Erweckten in das Geheimniß eines
' zerfnirfchten Herzens einzuleiten, den Keuvollen in
Zuverficht und im Befferungsernfte zu befefligen, dem
aufrichtigen Befenner feiner Sunde Ohr und Herz zu
Öffnen, und den nach Gnade und Gerechtigkeit Dürs
fienden von Schuld und Strafe loszubinden D!
felig,, wer diefe Entfündigungs- und Befferunganftalt,
die Chriſtus eingefebt hat, anerkennt, und darin Heil
und Leben findet, und durch eigene Erfahrung beftati:
get, daß die Sünde, die durh Hochmuth
und Ungehorfam in- die Welt gefommen
war, nur durh Demuth und Gehorfam
252
aus der Welt verbannt werden fann, Die
war der Inhalt der zehnten Betrachtung.
Wie der Baum, er fey gefund oder krank, an
ſeinen Früchten ſich zu erkennen gibt; ſo bewährt ih
auch die wahre Sinnesanderung durch eine vollftandige
Lebensänderung, d. i. durch eine ganzliche Beſ—
ferung des Menfchen in feinem Thun und Laffen;
diefe ganzliche Befferung zeigt im Aeufern, was im
Innern vorgegangen ift, flellet dar — die wieder
erfampfte Oberberrfchaft des Glaubens,
der Hoffnung und der Xiebe, oder die wahre
Gottfeligfeit. Durch Ausübung aller chriftlichen
Tugenden bewährt fich am ficherfien die vorgegangene
innere Begnadigung, Kechfertigung und Heiligung des
früheren Sünders. Diefes zu erfennen und zu bes
berzigen, verlieh mir Deine Gnade am eilften Tage.
Im gleichen Lichte fah ich ein (am zwölften Tas
ge), daß der chriftliche Glaube, als fefte, gewiſſe
und lebendige Weberzeugung:. daß Du, Gott und
Vater des menfchlichen Gefchlechtes ! durch Deinen
Sohn, Jeſus Chriftus, im heiligen Geifte heilig und
felig machen mwolleft und machen mwerdeft alle Men:
fihen, welche das ihnen angebothene Heil nicht von
fich floßen, — von dem Aberglauben der Ju—
den, und von dem ftolzen Wahne der vor
geblihen Weltweifen fich gar fehr unterfcheide,
Ich lernte einfehen,, daß ich Gott in Chriſtus meine
Bernunft zu unterwerfen habe, um an die ewige
Wahrheit glauben; Gott in Chriſtus meinen
freyven Willen zu unterwerfen habe, um Die
ewige Schünheitlieben; Gott in Chriſtus mein
ganzes Herz zu unterwerfen habe, um auf die ewis
ge Liebe vertrauen zu fünnen.
Am dregzehnten Tage durchblickte ich von Deinem
Geifte, mein Herr und Gott! geleitet, die heiligen
Schriften, und erkannte den chriſtlichen lauben, al$
255
denerften Keim des göttlichen Lebens im Menfchen,
als die Grundbedingung Deines Wohlgefallens an uns;
als Grundfefte der Hoffnung und der eigentlichen Geis
- ftesftärfe des Menfchen ; als die Seele aller guten Wers
ke, als eine himmlifche Macht, welche den ruhmwür—
digſten Kampf mit der Sünde und den Mächten der
Finſterniß beftehet, ja als eine Siegeskraft, melde,
aus der Emigkeit ffammend, die Welt überwindet. . In
Deinem Lichte, mein Herr und Gott, fah ich (am vier—
zehnten Tage) den himmlifchen Urfprung, die muth—
volle Verkündigung , die Ausbreitung, Erhaltung und
Fortpflanzung des chriftlichen Glaubens in der katholi—
fehen Kirche; und die reiffte Erwägung überzeugte mich
vonden Dffenbarungenderemwigen Wahr:
heit, von den Verheißungen der emigen
Liebe, von den Enthullungen der emwigen
Schönheit, aufeine Weife, gegen welche die de—
müthige und nüchterne Vernunft nichts einzuwenden
hat; indem fich vielmehr der jedem Menſchen verliehes
ne Wahrheitsfinn genöthiget fühlet, auszurufen: Wahr-
baftig, hier in der Kirche, die Jeſus Chriſtus geftiftet
bat, findet man Gottes Wortinihren Lehren,
Gottes Kraft in ihren Thaten, Gottes
Heilinihren Anftalten und Scidfalen,
Lehren, Thaten, Anftalten und Schickfale bilden ein
fo ſchönes, erhabenes und wohlthatiges Ganze, daß im
Anbliefe desfelben jedes reine und parteylofe Gemüth
mit Petrus und Allen, die feines Geiftes find, beken—
nen muß und wird: Hierift das ewige Leben!
Die mächtigſten Hinderniffe des chriftlichen Glau—
bens find aber der St ol z des menfc;lichen Dünfels, mwels
cher Feines Gottes und feiner Wahrheit, die höher ift als
er, zu bedürfen wahnet, da er fich felbft genug iſt, und
alles Wahre aus fich nimmt ; und dievorherrfchen:
de Lüſternheit, oder die Liebezu den Gütern
der Sinnlichfeit, die auf der Erde Friechend, mie die.
254
Thiere des Feldes, fich nicht zu dem Lichte des Him—
mels erheben fann. Daß diefe Hinderniffe im Herzen
liegen, und tie fie aus dem Herzen vertilgt werden kön⸗
nen, bielt mir anfchaulich vor die Augen die Betrachs
tung des fünfzehnten Tages. Sie zeigte mir die Noths
mwendigfeit des reinen, demüthigen Kinderfinnes, und
die Wahrheit der Worte Ehrifti: Wenn ihr nicht
werdet, wie die Kinder;fo werdet ihr fer
nen Antheilam Reiche Öottes haben.
Die göttliche Kraft des chriftlichen Glaubens,
welche den alten Menfchen in einen neuen umzuwandeln
vermag, liegt aber weder im Verſtande, der von
böfen Neigungen verfinftert, noch im Wile
len, der von böfen Neigungen gelähmet, noch im
Herzen, das von böſen Kegungen abwärts gekehrt,
um alles Gefühl des Höhern gefommen iſt: fondern
fie war und iſt, wo fie immer zum Vorſchein fam und
kommt, ein Gefchenf des heiligen Öeiftes,
der die Verfünder des göttlichen Wortes erleuchtet und
belebt, und das Herz der Zuhörer zum Auffaffen , zum
Bewahren, und zum Vollbringen desfelben göttlichen
Wortes auffchließet, und unterffüßet. Die Kraft des
chriftlichen Glaubens äußert fih nur, wo Gott den
Menfchen ziehet, und der Wille des Menfchen dem
göttlichen Zuge folge. Diefe reichhaltige Wahrheit
betrachtete ich am fechzehnten Tage, wodurch ich auch
einfehen lernte, daß es Fein zuverlaffigeres Mittel ges
be, die göttliche Glaubensfraft zu erhalten, als die ges
wiffenhafte Folgfamkeit in Hinficht auf das göttliche
Wort, und die treue Benußung aller Önaden,
die Gott in der chriftlichen Kirche fo reichlich ausſpen—
det. Denn, fo oft das vernommene Wort Gottes in ein
Gebeth des Herzen; umgewandelt, und das Gelubde der
Gelübde wieder erneuert wird, das Gelübde nahmlich:
Gottalleinanzugehören,undihmemwig treu
zu feyn, gewinnt der Glaube ſtets wieder neue Star:
255
fe zum Kampfe gegen das Böſe, und neues Licht zur
Verſcheuchung der Finfterniß, bis zum Anbruche jenes
hellen Tages der Ewigkeit, auf welchen feine Nacht
mehr folgen wird.
| Allein der chriftliche Glaube bat auch ein Kins
desalter, wo wir glauben, ohne noch zu verftehen;
ein Jugendalter, wo wir zum Verftändniffe deffen
gelangen, was wir glauben; ein Mannesalter,
wo mir lebendig erfahren, was wir früher bloß ger
glaubt, und mit reinen Augen des Gemüthes fchauen,
was wir früher ohne Verſtändniß, fpater mit immer
wachſendem Verftändniffe, geglaubt haben. Diefes
zeigte mir die Betrachtung des fiebzehnten Tages, wo—
bey eg mir im neuen Lichte anfchaulich ward, mie das
Wachsthum der Erfenntniß durch die öftere, nicht bloß
vermeintliche, fondern wahrhaftige, nicht
bloß mechanifche, fondern geiftige Uebung des
Glaubens befördert werde. Auch fah ich ein, daß
dieſe Glaubensubung in einem ftet3 zunehmenden Sams
meln, und Losmachen des Gemüthes von der Welt
und dem eignen Selbft, und in Erhebung zu Öott
beſteht, welche eine neue Belebung der Anerfennts
ıniß Öottes, des Gehorſams gegen Gott,
und des Vertrauens auf Gott in Ehre
ſtus zur Folge hat.
Wie aber der fo geübte Ehriftenglaube in Liebe
thätig, und in der Hoffnung felig werde; wie
die aus dem chriftlichen Glauben hervorgehende Hoff«
nung «ne andere im Sünder, der noch auf dem
Wege zur volftandigen Bekehrung mwallet, und eine
andere ſey im Gerechten, der das Werk der
Befehrung fchon vollbracht hat; was ferner die chrift:
liche Hoffnung vorausfege, worauf fie fich ftüße, durch
welche Kennzeichen fie fich offenbare, und durch wel:
cherleyg Mittel fie fich erfrifche und belebe, gabft Du
mir, o Herr! zu erfennen am achtzehnten Tage.
256
Am neunzehnten Lage mar es, wo ich, unfer
deiner Zeitung, die wefentlichen Kennzeichen der chrifts
lichen Hoffnung anfchauen lernte: den Frieden
aus Gott; die zuverfihtlihe Erwartung
des ewigen Lebens in feiner Herrlichkeit
und Bollendung; den freuen Fleiß und
froben Muth bey Me Arbeiten und Sor—⸗
gen des Lebens; die ftille und aushar—
rende Geduld in lUeberwindung aller
Berfuchungen, und in llebertragung aller
Leiden. Dieß find die Kennzeichen einer Hoffnung,
die durch Leiden, durch Benfpiele der Öottfeligfeit ,
durch vertraute Geſpräche zwifchen Chriften, durch
vielauffchließende Ereigniffe, durch den Anblid eines
Sterbenden , durch Betrachtung der Kreuze auf dem
Kirchhofe ꝛc. ſtets mehr befeftiget und erfrifchet wer—
den Tann.
Daß im Innerften des Menſchen durch Glaube,
Hoffnung und Liebe, als die Eine, gerade und une
unterbrochene Richtung zur Urquelle alles Wahren,
Guten und Schönen hin, das Keich Gottes Wurzel
faffe, und fich entfalte, und daß in diefer Entfaltung
die Würde, die Schönheit, und die Selig—
keit des chriftlichen Gemüthes einzig beſtehe, ließeft
Du, die Wahrheit ſelbſt, mir belle in die Augen
leuchten in der Betrachtung des zwanzigſten Tages.
Glaube, Hoffnung und Liebe find demnach, bey
aller Dreyheit, doch nur Ein Ganges, und das
Eine Ganze die Seele jener Gefinnung, welche werth
ift, die chriftliche zu heißen; die, wofern der
Menfch bis an’s Ende darin ftandhaft. bleiben fol,
einer üftern, täglichen, ja faft ftündlichen Erneuerung
bedarf. Diefe Erneuerung gefchieht, fo oft der Vor—⸗
ſatz gegen die Keize des Boͤſen zu fampfen, und im
Kampfe dagegen auszuhalten, wieder gefaffet wird,
wie
257
tie mich lehrte die Betrachtung am ein und swangigs
fien Tage.
Ich forfchte nach den vorzuglichen Mitteln zur
Erneuerung der chriftlichen Gefinnung, und fand
(am zwey und zmwanzigften Tage), wie Vieles hierzu
" beytrage das Gebeth, das Lefen geiftlicher
Schriften, und die ernftlide Erwägung
und Ueberlegung ihres Inhaltes; die ge
hbeime Verehrung Öottes in der Gtille
des Gemüthes, und in der einfamen Kam—
mer; die laute Öottesverehrung vor den
Unfrigen, oder allen denen, die ung zus
nachft und gewöhnlich umgeben; und wie
demzufolge Fein wahrer Chriſt je unterlaffen werde,
täglich diefer Mittel fich zu bedienen, um feine goft-
felige Gefinnung zu erneuern, und darin fich zu befes
ſtigen.
Die Nothwendigkeit der öftern Erneuerung und
Befeſtigung der chriſtlichen Geſinnungen führten einige
Worte von Makarius noch näher und tiefer mir zu
Gemüthe, und folgend dieſer Ermahnung, lernte ich
einſehen (am drey und zwanzigſten Tage), wie zur Er—
neuerung und Befeſtigung der chriſtlichen Geſtnnung
die Feyer des Sonntags in der katholiſchen Kirche be—
nutzet werden könne, und benutzet werden ſolle; ich
ward überzeugt, daß der Zweck der Sonntagsfeyer nur
dann erreicht fey, wenn das Gemüth des Menſchen
an diefem Tage von der irdifchen Welt hinweg, und
zu ewigen Dingen hingemwendet, und mit ihnen neu
befreundet worden ift.
| Allein nicht nur der Sonntag, fondern auch Die
übrigen hoch = fefilichen Tage der Kirche, wie die
Fefttage des Herrn, der göttlichen Mutter, der Apo»
ſtel und aller Heiligen find aus derfelben Abficht ein—
geſetzt, und werden im Geifte der Kirche nur von jes
Sailer , d. chriſtl. Monath. 17
258
nen Ehriften gefenert, welche an diefen Tagen neue
Belebung und Beftarfung in ihrem chriftlichen Sinn
und Wandel gewinnen, wie mich die Betrachtung am
vier und. zwanzigften Tage Fennen lehrte; wobey mir
recht klar ward, daß alle feftlichen Tage in der Fathos
lifchen Kirche als ein einziger Feſttag zu betrach-
ten feyen, nähmlich: als Fefttag der ewigen
Liebe, welche in Ehriftus und allen Heiligen Gots -
tes fo freundlich fich geoffenbaret hat, und zur Ges
genliebe ale unverdorbenen Gemüther auffordert und
aufwecket; zu einer Gegenliebe, welche den Lieben-
den innerlich antreibet und nöthiget, fich ganz in den
Dienft derfelben ewigen Liebe zu ergeben, und ein dreys
faches Opfer, das Opfer der Vernunft, das
Dpfer des Willens, das Dpfer des Gr
müthes mit allen feinen untergeordneten Kräften
der Seele und des Leibes dem Allerheiligfien, dem
Herrn und Vater Aller, auf eine wohlgefällige und
lebendige Weife darzubringen,
Wie uns zur Darbringung diefes Opfers Gottes
Gnade befähiget und ſtützet, eine Gnade, welche in
der chriftlichen Kirche durch die heiligen Sacramente
in glaubige und empfangliche Herzen gefpendet wird,
betrachtete ich am fünf und zwanzigften Tage, wo mir
der erhabene Endzweck aller Sacramente Ehrifti, be⸗
fonders aber die heilfamen Wirkungen des öftern Ems
yfanges der Buß⸗- und Altarsfacramente anfchaulich
ward, und in ınir den Entfchluß neuerdings rege machte, -
den Ermahnungen der heiligen Vater und anderer
geiftreichen Manner folgend, diefe Önadengaben des
Herrn nach Abficht ihrer göttlichen Einfegung vfter zu
benußen.
Die einmahl erweckte, erneuerte und durch üftere
Erneuerung befeftigte Gefinnung des wahren Ehriften
offenbaret fich nothivendig im Leben, und wird erft
259
durch Erfüllung aller Pflichten volfommen bewähret.
. Die, daß nahmlich. die volftandige Öerechtigkeit in
allem Thun und Laffen, und insbefondere die Treue
und die gegenfeitige Liebe der Berehelichten der zuver—
läſſige Wiederfchein der chriftlichen Gefinnung fep,
lernte ich am fechs und zwanzigſten Tage einfeben.
Diefelbe chriftliche Gefinnung, die tugendhafte
und gottfelige Ehen ftiftet, bildet auch fromme, edle
Väter und Mutter, die das Reich Gottes, welches
fie in fich felbft tragen, in ihren Kindern gründen
und pflegen, wie mich die Betrachtung des fieben und
zwanzigften Tages überzeugte.
Doh nicht nur Vater und Mütter, fondern
felbft Regenten, Bifchöfe und Priefter bildet die
chriftliche Gefinnung, und bildet fie fo, mie fie die
Menfchheit wünfchet und bedarf, um bienieden ru:
big und glücklich, und jenfeit$ ewig felig zu werden.
Dieß fab ich helle ein in der Betrachtung des acht
und zmanzigften Tages.
Die chriftliche Gefinnung übet auch jeden Men—
ſchen in der großen Kunft, fich in feine jedesmahlige
Lage zu fügen, und von allen Zuftänden des menſch—
lichen Lebens den beften, das ift, den zweckmäßigen
Gebraudy zu machen. Ind, gerade das weife Ver—
halten bey Keichthum , bey Armuth, bey mittelmaßia
gen Vermögenszuftanden; die Maßigung und Enthalts
famfeit in den Tagen der Freude; die Geduld und
gelaffene Ergebung in die Leitungen und Kügungen der
göttlichen Vorficht in den Tagen der Noth, der Unge—
mißheit, find es; modurch die chriftliche Geſinnung
von jeder unchriftlichen fich unterfcheidet, wie mich
lehrte die Betrachtung des neun und ziwanzigften, auch
die des drepfigften Tages.
Ale diefe Betrachtungen und Mebungen , was
' haben fie denn aber für einen andern Zweck, als uns
Au»
260
mit dem ewigen Leben, oder mit Gott: in Chriftus
innigft zu befreunden und zu vereinigen; damit, wenn
einft der letzte Tag unferes irdiſchen Dafeyns anlanz
get, wir hoffen dürfen, unfer Glaube werde in volls
Fommenes Schauen , unfer Hoffen in freudenreichen
Beſitz, unfere Liebe in ewige Vollendung übergehen,
und bierdurch der höchſte und legte Zweck alles chrifte
lichen Sinnes und Ötrebens erreicht werden; wie ich
erfannte am letzten Tage des Monaths.
Die Erwecfung der chriftlichen Geſinnung
ift Anfang; die Erneuerung der chriftlichen Ge:
finnung if Fortgang; die vollftändige Verwirklichung
der chriftlichen Gefinnung iſt Vollendung der
wahren Weisheit, und fomit Offenbarung und Dar-
ſtellung jenes ewigen Kathfchluffes, nach welchem die
Menschheit ihre verlorene Wurde wieder erreichen, und
zum Beſitze ihres höchſten und vollendeten Gutes,
zur Heiligkeit umd Seligkeit in Chriſtus, und durch
Chriſtus, unfern Herrn und Heiland, den Einen
Mittler zwifchen ‚Gott und den Menfchen, der fich
ſelbſt zum Löfegelde für Ale hingegeben hat, gelangen
Tann. 8
F
Gebet h.
Das Licht deiner ewigen Weisheit ift mir, anf-
gegangen, o Herr! Sanft und milde ließeſt Du
es jeden Tag des verfloffenen Monathes die Au-⸗
gen meines Geiftes berühren. Sch habe, aufges
wecket durch dieſes Licht, und geſtärket durch
mannigfaltige Mirkfamkeit deiner Gnade, den
feften Entfchluß gefaßt und unzahlige Mahle erneu=
ert, ftets nur dem Lichte der ewigen Meisheit,
deinem heiligen Ratbihluffe zu folgen, und zu
261
deiner Verberrlihung, zur Verwirklichung dei-
nes Keihes auf Erden als williges und Ddienft-
bares Merkzeug deinem heiligen Geifte mich hin-
zugeben.
WVollende, o Herr! im Berlaufe des Sab-
res, und im Berlaufe meines ganzen noch übrigen
Lebens, was Du in mir angefangen haft. Keite
mich durch deine Meisheit; Halte mic in Schran-
Ten durch deine Gerechtigkeit; tröfte mich durch
Die Difenbarımgen deiner unendlichen Liebe und
Barmherzigkeit; ſtärke und beſchütze mich durch
die Macht deines heiligen Geiſtes. Meine Ge—
danken, meine Worte, meine Werke, meine
Freuden und meine Leiden ſollen nur einzelne
Strahlen der Einen Opferflamme ſeyn, welche
Du nun in meinem Herzen angezündet haft. Von
Diefer heiligen Opferflamme innerlich erleuchtet
und erwarmet, werde ich künftig bey allen 2:
lafien deine Liebe mir vergegenwartigen, Die
Munder deiner Weisheit verfundigen, und mn
von Dir reden, nad) deinem heiligen Willen hau—
deln, und zu deiner Berherrlichung leiden. Mit
Dir in Jeſus Chriftus aeeiniget, werde ich un
terwürfig gegen meine Dberen, freundlich und
' Liebevoll gegen meine Untergebenen , treu geaen
meine Freunde, und nachſichtig gegen weine
Feinde mich erweifen. Bon deinem Geifte ‚be
lebt, und durch deine heitigen Liebesflammen ge—
reiniget, werde ih das wilde Feuer jeder Lei
denfchaft zu ertödten, den Geiz durch Wohl—
thatigkeit, die Molluft durch Selbſtverläugnung,
den Zorn durch Sanftmuth, die Lauigkeit Durch
Andacht zu überwinden, und Flug in Unteruch
mungen, muthig in Gefahren, geduldig in Wi—
Derwartigkeiten, demüthig im Wohlſtande, und
202
maßig im Gennffe, jeden Tag auf den Testen
meines Xebens mich vorzubereiten, und dem Zu—
ae deiner Gnade ftets folgend, auf dem Mege
Deines Geſetzes mein ewiges Heil zu fichern ſtre—
ben. Gib, o Herr! was mir noch mangelt,
und was id bin und habe, fol ewig Deine
Huld und Gute preifen, Amen,
II.
Gedanken
über dasſchriſtliche Leben,
vom
BEILIaEW ART TEL paulus.
Ein
Andachtsbuch für alle Ehriften,
auf
alle Sage bes Manache.‘\
in — —
*
»Du ſollſt den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Her—
»zen, aus deiner ganzen Seele, und aus deinem ganzen Ges
„müthe.t —
Dieß ift das größte und erfte Geboth. /
Das andere aber ift diefem gleich:
»Du ſollſt deinen Nächften lieben , wie dich ſelbſt.« —
Ein, größeres Geboth, als diefes , gibt es nicht.
— —
N —
—— —
— — — —⏑⏑.1⏑OO ——— — — —
Einleitung des Herausgebers.
| m Fahre ızı ı erhielt Anton Briaffon, Buch»
händler in yon, ein Privilegium gegen den Rach—
druck des Andachtsbuches: »Der Geift des hei:
Ligen Paulus« — und zwar bey Strafe der Con-
fiscation, und einer Geldbuße von taufend Livres; und
im Jahre ı7ı2 murde bereit3 die vierte Aufla-
ge vergriffen; gewiß ein fprechenderes Zeugniß für
den innern Werth dieſes Büchleins, als die erfauften
| £obhudeleyen in den Eiteraturblättern unferer Zeit,
die doch dem verdienftlofen Werke feinen Beyfal vers
bürgen können. Die ewigen Örundwahrheiten der
chriftlichen Religion, die und der heilige Paulus in
dem ſchmuckloſen Kleide der Einfalt lehret, find aber
auch von fo goftlicher Natur, daß der mit Glauben,
Liebe und Hoffnung bethende Menfch, Befonnenheit
im Ölüde, Troſt im Unglüde, und bimmlifchen
Balfam für die Leiden des Gemüthes darin finden
Tann. Hier ift von feinem Glanze in den Ausdrücz
ten die Rede; von Feiner gemählten, kunſtreichen
Sprache, die durch mahlerifche Worte taufchet , und
die Ginne befiicht; von feiner gelehrten Sprache,
die man nur im Beſitze der nöthigen Vorkenntniſſe
verſtehen kann; von feinem Doppelfinne, den die
Spitzfindigkeit nach Belieben auslegen würde: — fons
266
dern einleuchtend für den Gelehrten, wie für den Un—
gelehrten , erftreckt fih der mwohlthätige Einfluß diefer
heiligen Wahrheiten auf alle vernünftigen Wefen,
und auf ale Zeiten der Welt. ’
Der Herausgeber hat in feinem Leben ſchon fo
manche fchwere Heimfuchung erduldet, und Fein irdis
ſches Mittel hat ihn getröftet, und die philofophis
ſchen Lehrſätze aller Seften haben weder feine Thräs
nen getrod'net, noch Balſam in die offenen Wunden
geträufelt; ein goftvertrauender Blick in dieſes froms
me Büchlein aber war hinreichend, das vor Gram
brechende Herz mit geiffiger Kraft zu ſtärken; damit
es lebe und trage nach den heiligen Rathſchlüſſen des
ewigen Gottes! Darum mwünfchet der Herausgeber,
daß diefes Büchlein in den Händen eines jeden from:
men Chriften feyn möge; damit es ihn lehre, leite,
trofte, und in den Bedrangniffen des Lebens nicht ver-
laffe ; darum hat er es in unfere liebe deutfche Mut—
terfprache umgewandelt, daß es dem Öeringften uns
ferer deutfchen Brüder ein troftender , rathender Engel
werden, ihn durch die Irrpfade des wechfelnden Le—
ben$ geleiten, und gereiniget von fündhaften Schwä»
chen durch die Pforten des Grabes in die Unfterbliche
Feit nach der Gnade und Barmherzigkeit Gottes eins
führen möge!
Vorrede des Berfaffers.
—
Da nach der Meinung des heiligen Paulus (2.
Tim. 3, 16.) nihts nüßlicher und geeigneter if,
als die heilige Schrift uns zu lehren, wie wir
uns ſelbſt nberwinden, beffern, in den Pflich-
ten der riftlihen Gerechtigkeit unterrichten,
und in der Uebung guter Merke benehmen fol-
Ien; und da wir nach dem Epangelium Eein
' Bud) haben, das uns die Xehre Sefu Chrifti
fo gut darſtellet, als dieſer Apoftel: fo Eonnte
ic) ohne Zweifel nichts Befferes thun, als den
Geiſt feiner Briefe zu fammeln, und ihn den
heiligen Seelen mitzutheilen , die zum Gelbft:
leſen nicht Muße haben, und in diefer Bleinen
Sammlung nit nur das finden werden, was
ihnen eine Sehnfucht einfloßet, an ihrer Ver—
vollkommmung zu arbeiten, fondern auch, was
fie in dieſem glücklichen Stande erhalten kann,
durch die Ausdauer: indem fie täglich bey fid)
ſelbſt diefen Geift des heiligen Paulus erneu: -
ern, der von Eifer und Begierbe brannte, für
die Verherrlichung Jeſu Chrifti, und für fein
eigenes Heil,
a ee TE ee
268
Er alfo ift es, nad Sefum Chriftum, (ı.
Kor. 11, 1.) den wir fir das Muſter unjers
Kebens uud Benehmens wählen follen; weil er
uns räth, ihm nachzuahmen, wie er ihm nach—
ahmte in dem feinigen (1. Kor. 7, 7.); und
der Eeine größere Luft wußte, als zu
fehen, daß alle Gläubigen ihm glichen. Er fol
unfer Meifter ſeyn im geiftigen Leben; weil
Gott dieſe Eigenfchaft mit jener des Fürften
der Apoſtel in feiner Perſon verbunden bat,
(2. Tim. 1, 11.) und weil uns dieſer große
Mann in feinen Schriften fo erhabene Bor:
ſchriften dazu gibt, indem er uns den wahren
Meg zeigt, den wir wandeln follen, ohne Furcht
uns zu verirrem. |
Es Scheint, daß er die Zeit, in der wir
leben, voraus ſah; 2. Dim. 4, 3.) da er fich
beklagt, daß die meiften Chriſten die heilige
Lchre nicht mehr vertragen, fondern um in ihrem
unchriftlichen Leben fortzufahren , fih Lehrer
und Leiter wahlen, die ihren bofen Lüften ge—
fällig frohnen, und durch ihre Reden, flatt fie
zu belehren, nur ihren Ohren fchmeicheln,
Bon ganz anderer Art ift der heilige Pau:
Ins; (2. Kor. 10, 10.) obgleich) er nicht Die
Feinheit befißt, die man ihm wünſchen mochte,
fo darf ich doch eine gute Aufnahme fir ihn
hoffen; weil diefer, der uns lehret, derſelbe ift,
209
den Jeſus Chriftus ſelbſt unterrichten wollte:
indem er ihn, nach einem Rufe befonderer Art,
bis in den dritten Himmel erhob, @. Kor. ı2,
4.) und deſſen Lehre um jo mächtiger ift, weil fie
ſchmucklos iſt, und weder Fünftlicher Ueberre—
dung, noch philoſophiſcher Grübeleyen bedarf,
um Eingang zu finden in unſern Geiſt. (1. Cor.
RER) VORREN,
Seine Erhabenheit und fein Scharffinn dür—
fen Dich nicht entmuthigen, Da ich Dich in Diefer
Heinen Sammlung, die man einen Abriß der
ganzen Moral des heiligen Paulus nennen Fan,
damit vertraut machte. (1. Kor. 3, 2.) Und wie
einft der göttliche Meifter fo viele Güte und Will—
fährigkeit für feine Schüler hatte, daß er mit
ihnen in der weifeften Herablaffung umging;
(Theſſ. 2, 7.) fo wirft du auch bier es finden.
Hier findeft du auserlefene Gedanken , angemeffen
dem Stande, wozu dich Gott berufen hat,
‚er fey nun, was immer für einer. Sch gebe dir
num feine Worte, ohne etwas daran geandert zu
haben, außer einigen fehr wenigen Stellen, die
ich durch eine Art von Umfchreibung erklären
mußte, um fie verftändlicher zu machen, und außer
(einigen Morten, die ich hinzufügte, um in den
Vortrag eine verbindende edankenfolge zu
bringen.
| Wähle dir täglich einen Eleinen Augenblick,
nm Dich von allen andern Dingen los zu machen,
|
270
nm die Lehren des göttlichen Meifters zu hören,
und fie in deinem Herzen aufzunehmen mit der
tiefften Ehrfurcht. Denn wie Gott mit wenigen
Morten Großes erfchaffet ; fo jagt dir auch fein
Nachfolger Paulus herrlide Dinge mit wenig
Morten.
Verweile vorzigli bey der Anwendung,
die jeden Tag ſchließt, und Die beynahe ganz
aus dieſem Apoſtel oder aus dem Evangelium ge-
nommen ift, um dir zum genanen Auszuge deſſen
zu dienen, was du gelefen haft; weil das Nad)-
denfen über diefe drey Betrachtungen gewiß ge-
eignet feyn wird, Dich zur Vollkommenheit zu füh-
ren; deßwegen habe ich den Gegenftand jo einge-
theilt, daß er dich über alle Stufen oder Mege
des geiftigen Lebens führt. Die erften Stufen
geleiten Dich auf den reinigenden Weg, ge:
eignet für die Seelen, welche erft beginnen, fi)
der Ausübung der Tugend zu weihen. Dann
folget der erleuchtende Meg für jene, die
hierin fchon einige Fortfchritte gemacht haben; end-
lich der mit Gott vereinigende Weg für
alle, die fchon weit voran find. Auch hab’ ich
fie fo geordnet, daß fie zur zehntagigen einfamen
Andacht dienen; in diefem Falle wird der Vor—
|
|
trag, von drey Tagen auf einen Bag genommen,
(zwey Morgens, und einen Abends), hinreichen- |
den Stoff zur Erbauung in diefen zehn Lagen
271
geben, ohne nöthig zu haben, den Geift mit lan-
gem Leſen zu ermüden, das ihn öfter trübet als
erhellet. (Zim. A, 15.) Endlich, um mit unferm
Apoftel zu fohliegen: Denke oft nad über diefe
Lehren, und mögen fie dich fortwährend be-
ſchäftigen; damit dein Fortſchreiten in der Voll—
kommenheit Jedermann offenbar werde]
Hprz®ebeth
Mein Gott! ich bitte dich, den Geift, wel-
chem dein hochbeglückter Apoſtel Paulus gedient
hat, in mir zu entzinden ; damit ich), — von Die-
ſem Geijte erfüllt, das zu lieben ftrebe, was er
geliebt, und Das zu uben, was er gelehrt hat,
durch unfern Herrn Jeſum Ehriftum, Amen! —
I.
Don der Beſtimmung des Ehriften.
1. Nichts iſt vermögender ung zu Öott zu erheben,
als die Betrachtung, daß wir feine Gefchupfe find, neu
gefhaffen durch Jeſum Ehriftum zu guten Werfen,
wozu uns Gott vorbereitet hat, daß wir darin wan—
deln follen. (Eph. 2, 10.) Und Jeſus Chriſtus iſt für
uns nur geftorben, damit wir nicht nur uns felbft, fon-
dern dem leben, der für uns geftorben und auferftans
den ift. (2. Kur. 5, 15.)
2, Gott hat ung vorberbeffimmt, uns durch Je—
fum Ehriftum als feine Kinder anzunehmen, nach dem
Wohlgefallen feines Willens , zum Preife feiner berrli=
chen Gnade, womit er uns begnadiget hat in feinem
geliebten Sohne, in welchem wir die Erlofung haben
durch) fein Blut, und die Vergebung unferer Sünden,
nach dem Reichthume feiner Gnade, welche er über
uns in Fülle ausgegoffen hat. (Eph. 1, 5- 6. 7.)
3. Er hat ung felig gemacht, nicht um der Werfe
der Öerechtigkeit willen, die wir gethan; fondern nach
feiner Barmherzigkeit durch die Taufe, worin unfere |
See⸗
273
Seelen von ihren Sünden gereintget und ernettert wur—
den durch den heiligen Geift, den wir dort empfangen
haben, und den er reichlich über uns ausgegoffen durch
Jeſum Chriftum unfern Heiland; damit wir gerechtfers
tiget durch feine Gnade, feine Erben werden, und das
etvige Leben hoffen mögen. (Lit. 3, 5. 6. 7.)
Weil Jeſus Chriftus der Weg ift, der zum wah—
ren Leben, (Joh. ı4, 6.) unferm lebten Ziele führer:
fo fehließe dich ihm an, fo fell als du die Verficherung
wünfcheft, dahin zu gelangen; indem du dich niemahls
davon entferneft, welches Hinderniß fich auch) entgegen»
feßen möge. (Rom. 8, 3.) Denn, fo du auch noch fo
wenig von ihm dich trenneſt, wirft du niemahls das
hin gelangen.
Be Biest)
Mein Gott! die Gnade, die du mir erwie—
fen haft, mid von Ewigkeit an in der Abficht
auszuerſehen, mich zum Ehriftenthume zu beru-
fen, ift fo groß, daß ich nicht im Stande bin,.
fie würdig zu erkennen; denn ohne fie bin ich im
Grunde nichts. Deßwegen, mein Gott! da ich
durch fie ganz dir mich weihe, genehmige, daß
ich in ihr mic) heilige, dergeftalt, daß ich dir
tren diene, daß ich nichts als dich denfe, daß
ich nur für dich handle, daß ich von einer fo er-
habenen Beftimmung nicht abweiche; für dich al-
lein bin ich, du allein wirft einft meine Beloh-
nung ſeyn in Diefer Melt, und in der Ewigkeit.
I.
Bon der Selbftkenntniß. |
| ı. Räthſelhafte Beftimmung des Menfchen! Denn,
fo ich mich felbft betrachte, habe ich nicht Urfache, mich
Saiter, d. chriſti. Monath. 18
neh
274
zu erniedrigen? (Röm. 7, 21.) Indem ich, als ins
nerer Menfch, an dem Gebothe Jefu Chriſti Wohlges
fallen habe, fühle ich in mir ein anderes Gefeg, welches
dem Geſetze meines Geiftes entgegenfämpft, und mich
unter dem Öefeße der Sunde gefangen halt. (Rum, 23,
24.) Wer wird mich nun erlöfen von dem Leibe dies
fes fchimpflichen Todes? Ach! ich bin fo ſchwach, daß
mir die Kraft dazu gebricht; nur die Gnade Gottes als
lein fann es an mir vollbringen. (1. Kor. ı5, 20.)
2. Sch weiß, daß in mir, das heißt in meinem
Sleifche, das Gute nicht wohnet; (Röm. 7, 18.) denn
wahrlich, ich habe den Willen, das Gute zu thun; aber
ich finde in mir fein Mittel, es zu volbringen, und dies
fe Sehnfucht vollfommen zu flillen. Und daher kommt
es, daß ich das Öute nicht thue, das ich will, fondern
das Böſe, das ich nicht will. (Gal. 6, 3.) Derjenige
ift alfo fehr unglücklich, und betriegt fich felbft, der nichts
ift, jedoch fich einbildet, er fey etwas,
3. Was haft du wohl, das du nicht vun Gott ems
pfangen hätteft? Haft du es aber empfangen, warum
ruhmft du dich, als ware es dir nicht gegeben worden ?
(1. Kor. 4, 7.) Und wenn wir nicht fähig find, einen
guten Gedanfen aus uns felbft zu bilden, fondern alle -
unfere Züchtigkeit von Gott fommt: (2. Kor. 3, 5.)
"werden wir wagen zu glauben, daß wir etwas Großes
ausführen können; da wir nicht fahig find, die gering-
fie Sache zu vollbringen.
Da man fich felbft Fennen muß, bevor man Gott -
fennt: fo fen bemüht, dich felbft zu Tennen, und du
wirft demüthiger werden. Und mie Gott den Demüthis
gen fich wohlgefällig mittheilt, wird er auch von dir fich
erkennen laffen. Sprich alfo oft mit dem heiligen Aus
guftinus: Mein Gott! erweife mir diefe Gunft, daß
ich dich Fenne, und daß ich mich Fenne! — (Lib. ı.
sol. c. ı.)
m Es 6.6 BD:
Herr! ich Fann die Fügung deines gottlichen
Millens in meiner Führung nicht beffer erfen-
nen, als an der Neigung, die ic) habe, mic)
jelbjt zu lobpreifen; du haft mir einen Leib ge-
geben, der mir große Urfache gibt, mic) zu er-
niedrigen, da ich durch feine Natur fo vielen
Schwachen und Unordnungen unterworfen bin ,
und eine Seele, von fo vielen Zeidenfchaften be-
herrſcht, daß fie dein Bild, weldes du in fie
eingegraben haft, zu vertilgen fcheinen. Erwei-
fe mir demnach die Gnade, mic) in dem Ent:
ſchluſſe zu ſtärken, den ich hiermit faffe : nicht
mehr dem Fleifhe und Blute, fondern dem Gei—
hi zu leben, um dir nur mehr im Geifte und
n der Wahrheit zu leben.
— — —
III.
Vom Glauben, und von der Erkenntniß Gottes:
| 1. Mein Gerechter lebt aus dem Glauben, fagt
Gott, und wenn er davon abweicht: fo werde ich Feinen
Gefallen an ihm haben. (Hebr. 10, 38.) Wahrlich,
. ohne Glauben ift es unmöglich, Gott zu gefallen: Denn
wer fich ihm nähert, muß glauben, daß ein Gott iſt,
und daß er diejenigen belohnt, die ihn fuchen. (Hebr.
5, 1.) Was Fannft du hoffen, ohne den Glauben, da
er die Stüße der Dinge iſt, die wir hoffen, und die
offenbare Gemwißheit derjenigen, die wir nicht fehen, und
durch ihn die Gerechtigkeit Gottes fich ohne Unterfchied
‚ über Alle ausbreitet, und über ale diejenigen , fo an ihr
glauben. (Köm. 3, 22.)
18 *
Di
276
2. Was man von Gott wiffen kann, ift dir bes
kannt, und Gott hat es dir geoffenbaret; (Rom. ı, 19)
denn feine unfichtbare Größe kennen die Menfchen durd)
die fichtbaren Dinge, die er auf der Welt als Zeugen
feiner erwigen Kraft und Gottheit erfchaffen hat. (Röm.
1,20.) Da aber unfer Geift zu ſchwach iſt, fie begreifen
zu können: fo begnüge dich, aufzurufen: O Tiefe des
Keichthbums , der Weisheit, und der Erkenntniß Got—⸗
tes! Wie unbegreiflich find feine Öerichte, wie uner>
forfchlich feine Wege! (Rom. 11, 33.)
3. Der fleifchlichgefinnte Menfch, und wer nur
menfchliche Empfindungen hat, findet an den Wirfungen
des Geiftes Gottes Fein Gefallen; (2. Kor. 2, 14.) denn
fie feinen ihm eine Thorheit, und er Fann fie nicht ver-
ſtehen; weil man geiftig darüber urtheilen muß, und
weil fie fich nur durch den Geift Gottes unterfcheiden.
(1. Zim. 3, 15.) Folge alfo diefem Geifte: damit du
mwiffeft, wie du dich im Haufe Gottes zu benehmen has
beft, das die Kirche des lebendigen Gottes ift, die Saus
le und Stüße der Wahrheit, und vermeide die leeren
und nichtigen Neuerungen der Lehrfate, die nur immer
mehr und mehr die Öottlofigkeit verflärken. (1. Tim,
2, 16.)
Bitte den Vater der Herrlichkeit, daß er dir feis
nem Geift und feine Weisheit verleihe, und feine Erkennt:
niß dir auffchließe; indem er dich je mehr und mehr
im Glauben flärfet. (Epb. ı, 17.) Und danke ihm für
die ertviefene Gnade, dich zum Chriftenthume berufen
zu haben, betheuernd, lieber taufend Mahl zu fterben,
als die Lehre der chriftlichen Kirche nicht auf das Ge:
nauefte zu befolgen,
A A Del Ace A
- Mein Gott! der du mic) zum Chriften mad)-
teft, um dich zu erkennen und zu Lieben, mache,
wenn es dir gefällt, durch deine Güte, daß ih
277
nun, da ich die Mohlthat genieße, dich Durch
den Blauben zu kennen, , die Lehren desfelben fo
gut befolgen könne, dag ich niemahls mich von
Diefem Glauben trenne, und ihn bis zum legten
Augenblicke meines Lebens bewahre; damit ic)
ankommen dürfe in dem Drte deiner Mohnung,
um dich dort zu Schauen, nicht mehr unter dem
Scleyer des Glaubens, fondern von Angeficht
zu Mngefiht, und dort die Schönheiten deiner
Größe und deiner Herrlichkeit zu bewundern !
IV.
Don der Furcht Gottes.
1. Iſt etwas in dir, deffen du verſichert feyn
fannft? Denn, ob du dir gleich Feiner Schuld bes
wußt bift: fo bift du darum doch nicht gerechtfertiger ;
denn der dich richtet, daS ift der Herr. (1. Kor. 4,
4.) einige dich alfo von aller Befleckung des Flei—
ſches und des Geiſtes, und volbringe das Werk dei—
ner Heiligung in der Furcht Gottes. (2. Kor. 7, ı.)
| 2. Eine gottgefällige Traurigkeit bewirket Sinnes—
änderung zum Heile; aber die Traurigkeit nad) dem
Sinne der Welt, bemwirfet, als eine menfchliche Lei—
denfchaft, den od; indem fie den Sünder zur Vers
zweiflung bringt. (2. Kor. 7, ı0. 11.) Denn fieh!
welch' eine größere Sorgfalt für dein Heil hat diefe
gottgefällige Traurigkeit in dir bewirket; und mie fehr
hat fie deinen Eifer, recht zu handeln, und die Kurcht
‚ vor dem Zorne Gottes, erhöht? Wäre auch die Zahl
der Gläubigen, wie der Sand am Meere: fo werden
' deren doch nur fehr Wenige felig werden,
.
278
3. Ach! wie Viele gehen täglich zu Grunde; und
fiehft du aufrecht durch den Glauben: fo fey nicht
ftols, fondern fürchte dich. Denn, hat Gott der Iſraeli—
ten, dieſer natürlichen Zweige des geheimen Oehlbau—
mes, nicht geſchont; weil fie ihn nicht hören wollten:
fo möchte er auch deiner nicht fehonen. Go fieh denn
die Güte und Strenge Gottes : feine Strenge gegen
die Gefallenen, feine Güte gegen dich; wenn anders
du des Standes, in welchen er dich gefeßt hat, dich
nicht unwürdig bemweifeft, fonft wirft du eben fo abge-
hauen, wie die Anderen. (2. Kor. 7, 22.)
Hüthe dich, dein Herz gegen die Stimme ots
tes, die in deinem Innern fpricht, gleich den Ffraelis
ten in der Wüſte, zu verhärten (Hebr. 3, 7.); und
je ficherer du dich glaubefk, deſto mehr fürchte zu fals
len; indem du zu viel auf dich baueft, und daß Gott,
der deine Einbildung fieht, feine Gnade nicht von dir
abwende, ohne deren Beyſtand du unfehlbar verloren
geheft.
SB. b et
Mein Gott! verbreife in mir deinen Geift
der Furcht, der mic) abhalte dich zu beleidigen,
und mic meine Sünden mehr als alle Uebel die—
ſes Lebens fürdten made. Diefe einzige Be—
trachtung zerknirſche mein Herz, und laffe mid)
deinen Benftand immer nachdrücklicher anrufen, fo
oft ſich die mindefte Gelegenheit: zeiget, irgend
einen Fehler zu begeben: fie diene mir als ein
Mittel gegen meine Schwachen, um zu überwin-
a was meinem Heile fih könnte entgegen:
elfen, \
—— a —
- V.
Vom jüngften Gerichte.
ı. Gott hat ſich einen Tag vorbehalten, wo wir
Alle vor dem Richterfiuhle Jeſu Chriſti erfcheinen müſ—
fen; damit Jeder empfange, je nachdem er gehandelt:
der Lohn für Gutes, die Strafe für Böſes; (2. Kor.
5, 10.) da der Herr das im Finftern Verborgene an’s
Licht bringen, und die Anfchläge der Herzen offenba-
ren wird (1. Kor. 4, 5.); und dann wird einem Je
den fein Lob werden von Gott für die guten Werke,
die er gethan bat. Sey alfo ergriffen von diefem
furchtbaren Tage, und bemühe dich ihn deinem Geifte
einzuprägen. (1. Kor. 5, 11.)
2. Jeſus Chriſtus wird vom Himmel herab, offen-
bar werden mit den Engeln feiner Macht, in Feuer:
flanımen Rache zu nehmen an denen, die Gott nicht
kennen, und dem Evangelio unfers Herrn Jefu Chris
fti nicht gehorchen (1. Theſſ. 2, 7.); welche dann mit
dem ewigen Verderben geftraft werden, vor dem Herrn,
wenn er kommt in der Glorie feiner Macht, um fich
zu verherrlichen in feinen Heiligen, und bewundert zu
werden von allen Gläubigen. (1. Zhefl. 2, 10.)
3. Bey Gott gilt Fein Anfehen der Perfon (Rum.
2, 11.); und er wird das ewige Leben denen geben,
welche mit Beharrlichkeit in dem guten Werke nad)
Herrlichkeit und Ehre und Unfterblichkeit trachten ; de—
nen aber, die widerſpänſtig und der. Wahrheit unge:
horſam, der Ungerechtigkeit aber ergeben find, Ungna—
de und Zorn, Trübſal und Angft werden über dieje—
nigen fommen, die Böſes thun; Herrlichkeit aber, und
Ehre und Frieden werden jene belohnen, die Gutes
thun, und der Tugend folgen. (Rom. 2,7. 8.9. 10.)
Denke oft an diefen ſchrecklichen Tag, der dich über:
280
rafchen Tann, da du feiner am wenigften gedenkeſt;
und mwillft du bey diefem Gerichte nicht gerichtet wer»
den: fo mußt du ihm zuvorfommen; indem du dich
zum Voraus felbft richteft, (1. Kor. aı, 31.)
Gebe ih
O furchtbarer Richter! wenn die Himmel
nicht rein find vor deinen Augen, und du ſelbſt
an deinen Engeln zu tadeln fandeft: wie fehr
muß ic) Dein Gericht fürchten, der ich fo vielen
Dergehungen unterworfen bin? Erweife mir die
Gnade, ihm zuvorzukommen; indem. ich . mic)
jelbft richte in meinen Worten, Werken und Ge-
denken, ohne mir zu fchmeicheln; und mich felbft
ftrafe dur) Die Buße, um den Leiden zuvorzu—
kommen, die ich im andern Xeben dulden muß-
fe, und mic) würdig zu machen, in die Zahl der
Gebenedeyten von deinem himmlischen Vater be:
rufen zu werden, |
DER
Dom PDaradiefe,
ı. Entfernt vom Aufenthalte der Seligen, ohne
andere Hoffnungen durch den Glauben an Jefum Ehris
fium , als für diefes Leben und die gegenwärtigen Gü—⸗
ter, würden wir die elendeften Weſen der Welt ſeyn.
(1. Kor. 15, 19.) Deßwegen feufzen wir ohne Aufhos
ren nach dieſer himmlifchen Behaufung, voll Sehn⸗
fucht, mit Unfterblichfeit bekleidet zu werden. (2. Kor,
5, 2.) Denn wir mwiffen, daß, wenn diefes irdifche
Haug, welches wir bewohnen, zerfiört wird, Gott ung
251
ein anderes bauen wird, das nicht von Menſchenhänden
gemacht, fondern ewig iff, in dem Himmel, (2. Kor.
1)
’ 2. Eilen wir alfo, in dieſe ewige Ruhe einzuge-
hen (Hebr. 4, 11.); weil die Leiden und Trübſale dies
fes Lebens, Die augenblicflich und leicht find, ung die
ewige Dauer einer unermeßlichen Herrlichkeit verfchaf-
fen. (2. Kor. 4, 17.) Denn jeßt fehauen wir die Din-
ge durch einen Spiegel in dunfeln Bildern; einft aber,
wie fie wirklich find, und von Angeficht zu Angeficht.
(1. Kor. 13, ı2.) Go wie wir die Dinge gegenwär—
tig nur unvollfommen kennen, werden wir fie dann ken—
nen, wie Gott uns felbft gefannt hat.
3, Und wenn bis diefe Stunde, alle Wefen die
Zeit Diefer Herrlichkeit erwarten, feufzend und leidend
wie ein gebarendes Weib: fo find fie nicht die Einzigen
in der Erwartung, fondern auch wir felbft, die wir die
Erftlinge des Geiſtes haben, feufzen innerlich in ung
nach der Erfüllung der Aufnahme der Kinder Gottes,
nahmlich nach der Unfterblichkeit, die ung von der Knecht:
fchaft des Elends und des Todes befreyen wird. (Rom.
8, 22. 23.) Dann werden wir fehen, was fein Aus»
ge gefehen, hören, was Fein Ohr gehöret, und begrei=
fen, was Fein menfchlicher Verftand begreifen konnte,
im Öenuffe deffen, was Öott denen bereitet hat, die
ihn lieben. (2. Kor. 2, 9.)
Bitte Gott, daß er die Augen deines Herzens er»
leuchte; damit du erfenneft, welches die Hoffnung deis
ner Berufung fey, und von weldy’ überfchwänglicher
Herrlichkeit das Erbtheil feiner Heiligen, um dich auf:
zumuntern, defto mehr Gutes zu thun; damit du fie
einſt befigen mögeft. (Ephef. ı , 18.)
Be be dB,
1 O mein Gott! wann werde ich befreyet ſeyn
aus dieſem Kerker meines Keibes, um mich der
232
Seligkeit zu erfreuen, dich ewig zu befißen? Zer—
brich die Bande, welche meine Seele auf der
Erde gefangen halten, um ihr die Freyheit dei-
ner Kinder zu geben; damit fie die Lieder der
Liebe fingen am Drte deiner Herrlichkeit. Nein,
‚Gott! meine Seele wird Eeine Ruhe haben: fie
wird ſich immer fehnen, bis fie mit dir vereint
ift, mit dir ihrem Mittelpuncte, und höchſtem
Glücke für alle Ewigkeit !
VII
Bon der Vermeidung der Sunde.
1. Bedenke, daß derjenige, der das Geſetz Moyz
fes übertreten hatte, ohne alle Önade flerben mußte.
ie viel härtere Strafe, meineft du, wird der verdies
nen, welcher den Sohn Gottes mit Füßen tritt, das
Blut des neuen Bundes, wodurch er geheiliget iſt, uns
rein achtet (Hebr. 10, 28. 29.), und fo Jefum Chris
ftum durch feine Sunden von Neuem kreuziget? (Hebr.
6, 6.) Verdient ein folcher nicht, daß Gott fich an
ihm räche nach der Strenge feiner Öerechtigkeit? (Hebr.
10, 30.)
2. Weißt du nicht, daß unfere Leiber Glieder Jeſu
Ehrifti find? Sollſt du nun die Glieder Ehrifti neh»
men, und fie zu feilen Gliedern machen? Das fey
fern! (1. Kor. 6, 15.)
Weiße du auch nicht, daß unfer Leib ein Tempel
des heiligen Geiftes ift, der in uns iff, den wir von
Sort empfangen haben, und daß mir uns nicht felbft
gehören? Denn wir find um einen theuern Preis erfauft
worden,"durch das Blut Jeſu Ehrifti. (1. Kor. 6, 19.
20.) Verherrliche und trage alfo Gott in deinem £eis
283
be; inden du die Sünde flieheft, welche die Keinheit
desfelben, fo wie auch jene der Seele befledet !
3. Wir wiffen, daß Gottes Urtheil gerecht ift über
die, welche fich der Sünde hingeben; und du felbft, der
du jene, welche folches thun, richteft, und es felbft
thuft: meinft du denn, daß du dem Gerichte Gottes
entrinnen werdeft? Oder verachteft dur den Keichthum
feiner Güte, Geduld und Langmuth? Bedenfeft du nicht,
daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? Und gleichwohl
häufeft du dir felbft, durch deinen verftodten Sinn und
dein unbußfertiges Herz, eine Sule von Zorn auf den
Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Ger
richts Gottes? (Rom. 2, 2. 3. 4. 5.)
Da jene, welche fündigen, den Sohn Gottes für
fich felbft von Neuem Ereuzigen (Hebr. 6, 6.), und ihn
auch noch dem öffentlichen Spotte ausfeßen: fo fühle
'innige Reue, in diefes Unglück geſtürzt zu ſeyn, und
erinnere dich, daß es ſchrecklich iff, in die Hande des
lebendigen Gottes zu fallen (Hebr. 10, 31.), und dies
fer einzige Gedanke wird hinreichend feyn, dich zu ver»
hindern, fünftighin irgend ein Verbrechen zu begehen.
Bue-bieitch
' Mein Gott! indem ich meine Undanfbarkeit
aegen deine Güte betrachte, fühle ich die außer:
fte Beſchämung, did) fo fehr beleidiget zu ha—
ben, nad) fo vielen von dir empfangenen Wohl—
thaten. Sch habe dich verlafjen, ic) befenne es,
meinen ungeregelten Begierden zu folgen, und
dieſe beyden Fehltritte find ohne die Beyhülfe
Deiner Gnade nicht wieder gut zu machen; um
die ich mit wahrhaft zerfuirfchtem Herzen dich
wieder bitte. Möge dieſe einzige Betrachtung mir
eben jo fehr Haß gegen die Sünde, als ich ihr
zugethan war, und eine heilige Zuverfiht auf
284
deine Berzeihung einflößen; auf daß ich nach
deinem Willen Deiner göttlichen Gegenwart mic)
wieder erfreuen dürfe!
VIII.
Don der Standhaftigkeit.
1. Nichts von dem, was man für Gott thut, bleibt
unbelohnt ; daher fey feft und unbeweglich in beftandis
ger Uebung guter Werke! (1. Kor. ı5, 58.) Sey ims
mer brünftig im Geifte (Rum. ı2, 11.); erinnere dich,
daß du Gott dieneft, und wie du dem irdifchen Mens
ſchen gleicheft, fo gleiche auch dem himmlifchen Mens
ſchen; denn es ift gewiß, daß Fleifch und Blut dag
Reich Gottes, und das Verwesliche die Unverweslichkeit
nicht erlangen könne! (ı. Kor. 15, 49. 50.)
2. Darum richte wieder auf die laßen Hande, und -
die miden Knie, faffe Muth, und wandle geraden Lrits
tes mit deinen Füßen einher; damit du nicht hinfeft und
ausgleiteft, fondern vielmehr gefund werdet! Strebe
nach Frieden mit Jedermann, und bewahre die Hei-
ligfeit, ohne welche ie den Herrn fchauen wird!
(Hebr. 12, ı2. 13. 14.)
3. Schüttle — ab die Laſt, welche auf dir
liegt, und die Sünde, die dich von allen Seiten ums
gibt; fehreite mit Geduld auf der angewiefenen Laufbahn
fort (Hebr. ı2, ı.), und kämpfe treu nach deiner Be-
flimmung; indem du aufblicfeft auf Jeſum, den Anfans
ger und Vollender des Ölaubens! Du mußt immer
denfelben Eifer bis zum Ende deines Lebens beweifen ;
damit deine Hoffnung fich erfülle (Hebr. 6, ı1.), und
daß du nicht träge, fondern Nachfolger derer werdeft,
255
die durch Glauben und Geduld die güttlichen Verhei—
gungen erben.
Prüfe die Feftigkeit deines Entfchlußes zur Webers
fieigung aller Hinderniffe, die fich der Tugend entgegen
fielen; und ob du Kraft genug habeft, fie unter allen
Verhältniſſen zu üben! Faſſe Muth, und wiffe, daß
nur diejenigen felig werden, die bis an's Ende behars
ren! (Matth. 24, 13.)
Gebeth.
Mein Gott! ich weiß, daß mein Heil nur
von der Ausdauer in deiner Gnade abhängt, die
ich nicht durch meine eigenen Verdienſte erhalten
kaͤnn; weil fie lediglich nur von deiner Barm—
herzigkeit Eommt. Verleihe mir, mein Gott! fo
große Sorafalt, daß ich nicht nur dieſes Glück
genießen, fondern auch mein ganzes Leben bins
durch erhalten, und in einer geprüften Tugend
bis zum Ende ausdauern möge, um die Krone
der Unfterblichkeit zu erlangen , Die du deinen ge—
treuen Dienern verheißen haft! |
IX.
Bon dem Berlangen nach Vollkommenheit.
ı. Niemand kann in diefen Stand ohne große Mü⸗
he gelangen, und ſeitdem du den Glauben durch die
Taufe empfingeft,, hatteft du volfommener Meiſter in
der Tugend werden follen; indeffen ſcheineſt du felbft noch
Unterricht in den Anfangsgründen zu bedürfen, womit
man von Gott zu fprechen beginnt; und gleich einem
Kinde, haft du Milch nöthiger, als Fräftige Speife,
286
(Hebr. 5, ı2. 13.) Wem man-aber noch Milch ge
ben muß, der iſt noch unempfänglich für die Lehre von
der Gerechtigkeit; denn er ift noch ein Kind.
"2. Weißt dur nicht, daß Alle laufen, die in der
Kennbahn laufen, daß aber nur Einer den Preis des
Laufens gewinnt? (1. Kor. 10, 25.) Laufe daher fo,
daß du den Preis davon trägſt; und um dahin zu ges
langen, vergiß, was hinter dir ift, und ſtrecke dich nach
dem aus, was vor dir liegt; und firenge deine Kräfte
an, das Ziel deiner Laufbahn zu ergreifen, und den
Siegespreis der himmlifchen Berufung Gottes in Chris
ſto Iefu zu empfangen. (Phil. 3, 13. 14.)
3. Willſt du volllommen werden, fo liebe! Denn
wenn du alle Sprachen der Menſchen und Engeln res
deteſt, wenn du weiffagen könnteſt, und alle Geheims
niffe wüßteft, und befaßeft alle Wiffenfchaft von den
göttlichen Dingen , und wäre dein Glaube fo groß,
daß er Berge verfeßen könnte; und wenn du alle deine
Habe den Armen fpendeteft, und deinen Leib in Vers
theidigung des Glaubens zum Verbrennen bingäbeft ;
hätteft aber die Liebe. nicht: fo nützet dir Alles nichts
(1. Kor. 13, 1.2. 3.); nur fie ift der trefflichfie Weg,
um zu deiner Bolkommenheit zu gelangen. (1. Kor.
12, 31.) We
‘ Gott will, daß du vollfommen feyeft (Matth. 5,
48.); weil er dieß will: fo hoffe, daß er feinen Willen
an dir erfüllen wird. Lebe daher fo, daß du täglich
mehr und mehr an Gnade zunehmeft (ı. Zim. 4, 1.);
damit für diefen glucflichen Zuftand in dir nichts mehr
zu wünſchen übrig bleibe!
Bere h—.
Gott! da nichts vortheilhafter ift, als durch
die hriftlihe Vollkommenheit uns dir ahnlich
zu machen: fo zertheile gnädig in mir die Fin:
287
fterniffe, welche mich verhindern, die Lehrſätze
des Evangeliums, Die Neize der Tugend, die
Haßlichkeit des Lafters, und die Unordnungen
der Melt zu erkennen; damit ich Eunftighin nur
mehr dasjenige liebe, was mic) in diefen glück-
lichen Zuftand bringen kann, nahmlid) : die Ue—
bung der Tugend und der Buße!
X.
Von der Reinheit des Gewiſſens.
1. Alle Chriſten find Gottes Tempel, und der Geiſt
Gottes wohnet in ihnen, wenn fie feine Gnade befißen.
Wenn nun Jemand Gottes Tempel verdirbt, den wird
Gott verderben; denn der Tempel Öottes ift heilig, und
fann nichts Unreines dulden. (1. Kor. 3, 16. 17.)
2, Denfe darauf, vor Gott und den Menfchen ein
gutes Gewiffen zu haben (Apoftelg. 14, ı9.); und er=
innere dich, daß in einem großen Haufe nicht bloß gol-
dene und filberne Gefaße, fondern auch hölzerne und ir»
dene find, und zwar einige zur Ehre, andere zur Un⸗
ehre; und daß du ein Gefaß zur Ehre, geheiliget und
' brauchbar dem Herrn, zu allen guten Werfen tüchtig
feyn wirft, wenn du Sorge trägſt, die Reinheit des
£eibes und der Seele zu bewahren. (2. Tit.2,20. 21.)
3. Wir find weder Schuldner des Fleifches, noch
ihm unterworfen, um nach dem Fleifche zu leben. Denn
wenn du nach dem Fleifche lebeſt: fo wirft du flerben;
wenn du aber durch den Geift die Werke des Fleifches
tödteſt: fo wirft du leben! (Kom. 8, 13.)
Lebe daher fo, daß nach dem Keichthume der Gna⸗
de Jeſu Ehrifti dein innerer Menfch geſtärkt werde
durch feinen heiligen Geiſt; daß Jeſus Chriſtus durch
288
den Glauben wohne in deinem Herzen, und daß du in
der Liebe feft gemwurzelt und gegründet feyn mögeft, um
die Unſchuld zu bewahren! (Ephef. 3, 16. ı7.)
Wie einem Franken Körper die Speifen feinen Nut⸗
zen bringen : fo wird dir auch, was du immer. thun müs
geft, nichts nüßen, ohne die Keinheit des Gemiffens,
deffen geringfter Flecken dir eben fo große Uebel brins
gen, al3 große Güter entziehen kann. Bedenfe alfo, zur
Erhaltung desfelben, daß nur jene würdig find, Gott
zu ſchauen, die reines Herzens find | (Matth. 5, 8.)
B:e be kb
Gott der Keinheit! der du diefe Tugend fo
fehr liebeft, daß du nicht den mindeften Fiecken
in den Seelen dulden kannſt, reinige dergeftalt
die meinige, daß fie frey und rein von den Kei-
denfchaften der Melt, nichts dulde, als dich; fie
vergeffe ganzlich die Freuden der Erde, und den-
fe nur an die Monnen des Himmels; damit fie
dieſe einft, fi) erhaltend in dieſem glückfeligen
Zuftande, ewiglich befißen könne!
XI.
Von der Abtödtung.
1. Kreuzige deinen irdiſchen Leib (Kol. 3, 5.);
denn die Chriſto angehören, haben ihr Fleiſch ſammt
den Lüſten und Begierden gekreuziget. Und wenn du
im Geiſte lebſt: ſo wandle auch im Geiſte (Gal. 5,
EEE
24. 25.); denn das Reich Gottes befteht nicht im Ef»
fen und Trinken, fondern in Gerechtigkeit und Friede
und Freude im heiligen Geiftel (Rom. 14, 17.)
' 2.
“289
2. Um deine Begierde, dich zu Freuzigen, zu ers
hoöhen, blide auf Jefum, der auf Erden dein glück⸗
liches und fehmerzlofes Leben wählen fonnte, und den⸗
‚noch den Tod am Kreuze dulden wollte, und der Schmach
nicht achtete, nun aber zur Kechten auf dem Throne Gots
tes fißet, und denke aufmerffam an ihn, der fo viel
iderfpruch von Sündern gegen fich erduldete, damit
du in der Geduld nicht ermüdeft, und dein Muth nicht
ſinke; denn noch haft du im Kampfe gegen die Sünde
nicht bis auf’3 Blut widerfianden. (Hebr. ı2, 2. 3.4.)
3. Alle, die fich auf dem Kampföplage üben,
enthalten ſich von Allem: und fie thun's, um eine ver-
gängliche Krone zu empfangen; wir aber in der Hoff:
nung einer unverganglichen, (1. Kor. 9, 25.) Ber:
liere alfo nicht den Muth; fondern, wenn auch dein
-außerer Menfch aufgerieben wird: fo wird dein innes
rer von Tag zu Tag erneuert; und wenn du das Ster⸗
ben Jefu immer an deinem Leibe umher trägft: fo
ſey verfichert, daß er es ift, der in dir lebt, und dir
bepfteht in deinen Mühen! (2. Kor. 4, 16.)
Wil du aber Jefum Ehriftum angehören: fo
freuzige dein Fleiſch ſammt den Lüften und Begierden;
indem du Alles entferneſt, was im Stande ift, das
Fleifch gegen den Geift zu empören! (Gal. 5, 24.)
Kreuzige auch deine Neigungen und Wünfche; damit
fie nur nach den Eingebungen der Vernunft und der
Gnade wirken!
Gebeth.
Mein ſauftmüthiger Jeſu! ich bitte dich,
um der Verdienſte deines Leidens willen, um
den muthigen Entſchluß, mich vollkommen mit
dir zu kreuzigen; indem ich ſtrenge meine Lüſte
tödte, und daß nichts in mir ſey, was nicht
zum Opfer diene, um alles Unrechte meines Le—
Sailer, d. chriſtl. Monath. 19
290
bens wieder gut zu machen, — und was nicht
die Schmerzen tragen will, womit du mich ftra-
fen möchteft; damit ih, wohl gereiniget durch
diefen Weg, an deiner Herrlichkeit im Himmel,
mit dir mich erfreuen könne! —
XII.
Von der Demuth.
1. Fliehe den eitlen Ruhm, und laß dich nicht
von Gedanken der Eitelfeit hinreißen; fondern deine
Gedanken feyen demüthig, und dünke dich nicht Flug
in deinen eigenen Augen! (Rom. ı2, 16.) Erinnere
dich, daß Gott das Geringe vor der Welt, und dag
Verachtete, und das da nichts ift, erwahlt hat; das
mit er zu nicht3 mache, was etwas ift; damit fich fein
Menfch vor Gott rühme! (ı. Kor. 1, 28. 29. 31.)
2. Die Gnade Gottes, unſers Heilandes, ift als
len Menfchen erfchienen, und lehret uns, daß wir die
Gottlofigfeit und die weltlichen Lüfte verlaugnen, und
vielmehr enthaltfam leben, und die Güter und Würs
den der Welt mit Vorſicht gebrauchen ſollen, gerecht
und gottfelig. (Zit. 2, 11. ı2.)
3. Thu nichts aus ÖStreitfucht und eitler Ehre,
fondern in Demuth! Achte die Andern höher als dich
felbft, und fieh mehr auf ihren Augen, als auf den
deinigen! Denn fo folft du gefinnet feyn, wie Je⸗
fus Ehriftus gefinnet war, welcher, obwohl er
göttlicher Natur war, es nicht wie eine Beute zur Schau
trug, daß er Gott gleich war, fondern fich felbft ent
äußerte , Knechtögeftalt annahm, und den Menfchen
gleich ward, und an Geberden wie ein Menfch erfuns
den, und er erniedrigte fich felbft, und ward gehorfam
291
bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze, — (Philip.
27 34.7.)
Uebe diefe Tugend gegen Gott, gegen den Näch—
fen, und gegen dich ſelbſt! Wenn man dich lobt: fo
gib Gott die Ehre, und verlange feinen Ruf unter den
Menfchen ! Ä
In der Betrachtung deiner Niedrigleit dulde ſtand—
haft erniedrigendes Begegnen, und wenn du wirft wie
' ein Kind, fo kannſt du in das Himmelreich eingehen !
(Matıh. 18, 3.)
Bere re
Mein Erlöfer! da du nur auf die Melt ge-
kommen bift, Heilung unferer Munden zu brin-
gen, und da es nichts Gefahrlicheres gibt, als den
Hochmuth: fo flehe ich dich an, bey dem aroßen
Vorbilde, das du mir gegeben haft , in mein Herz
Liebe der erniedrigenden Begegnung zu legen, und
den Munfch, vor den Menfchen gedemüthiget zu
ſeyn, und daß es mic) erfreue, fie in deiner Nach-
eiferung und aus Liebe zu Dir zu dulden; damit
ic) in dieſer Melt neue Gnaden erwerbe, die mich
des Ruhmes in der Ewigkeit würdig machen! —
XII,
Bon den guten Werken.
1. Was der Dienfch faet, das wird er auch ern»
ten. Wer auf fein Fleiſch faet, wird vom Fleifche Vers
derben ernten; wer aber auf den Geift fäet, wird vom
Geifte ewiges Leben ernten. Laffet uns Gutes thun,
ohne mude zu werden; denn eine Zeit wird fommen, in
292
der uns Gott für unfere guten Werke belohnen wird!
(Sal. 6, 8.9.)
2. Das Keich Gottes befteht nicht in Worten,
fondern in der Tugend, in der Wirkfamkeit des Geiftes
Gottes, und in guten Werken. (1. Kor. 5, ı0.) Sey
alfo feft und unerfchütterlich im Glauben und im Dien⸗
fien Oottes; (1. Kor. 5, ı8.) aber füge gute Werke
hinzu, und mwiffe, daß er nicht fo ungerecht ift, die
Werke der Barmherzigkeit zu vergeffen, die du in ſei—
nem Nahmen gethan haft, und die du noch täglich an deis
nem Nächften übeft. (Hebr. 7, 10.)
3. Wenn du irgend guten Willen für deine Brüs
der, die Armen, haft: fo führe ihn aus nach deinem
Vermögen; iſt nur der Wille zu geben groß, Gott nimmt
ihn wohlgefällig auf, und begnügt fi) mit dem, was
du geben kannſt, und verlangt nicht, was du nicht haft;
denn er will nicht, daß du nothleiden folft , um Ane
dern Erleichterung zu verfchaffen, fondern es foll einis
ge Gleichheit unter den Armen und Keichen feyn. Für
diefe Zeit foll dein Ueberfluß dem Mangel jener abhels
fen, und der geiftige Ueberfluß diefer fol deinen geiftis
gen Mangel ergänzen. (2. Kor. 8, ı2. 13. 14.)
Züchtige deinen Leib durch die Strenge der Buße;
damit du nicht unter dem Borwande, Andern Gutes zu
thun, dich felbft verdammeft! — (1. Kor. 10, 27.)
BEER
Allmäachtiger Gott] der du mich zu deinem
Ruhme erſchaffen haft, leite anadig alle meine
Handlungen nad) deinem Gefallen; damit, wie
du mich erleuchtet haft mit dem Lichte des Glau-
bens, das Licht der Vernunft aus meinen Wer—
Een wiederfcheine, und aus meinem Lebenswan—
-
del, und daß meine Handlungen Feinen andern -
Zweck, als dir zu gehorchen, und zu gefallen,
293
und Beinen andern Lohn in diefem Leben haben
mögen, als das innere Bewußtſeyn, fie zum
Beſten meines Nachften, und zu deinem Ruhme
gethan zu haben. —
er
Don der Verachtung der Melt.
1. Die Welt ift fo was Geringes, daß fie nichts
hat, was uns vollkommen befriedigen könnte. (1. Lim.
6, 7.) Wir haben nichts in die Welt hereingebracht,
als wir in ihr anfamen; und wir werden nicht3 mit uns
nehmen, wenn wir einft aus ihr hinausgehen. Wir
haben bier feine bleibende Stätte, fondern wir fuchen
die zufünftige, welche der Himmel iſt; (Hebr. 13, 14.)
indem wir auf diefer Welt Pilgern gleichen, die fort=
wandern, bis fie anfommen an dem Drte, wohin fie
gehen. (2. Kor. 5, 6.)
2. Um bier glücklich zu leben, begnüge dich mit
Dingen, die nur nothwendig find, um dich zu nähren
und zu Pleiden. Denn die reich werden wollen, fallen
leicht in Verſuchung, und in die Fallftricke des Böſen,
und in viele thorichte und fehädliche Begierden, wel»
che fie in Elend und Verderben fürzen. Denn die Wur—
zel alles Böſen ıft der Geiz, wodurch viele, die fich ihm
ergaben, den Glauben verloren, und aufhörten Chris
fen zu ſeyn, fobald fie in der Welt groß zu werden an⸗
fingen. (1. Zim. 6, 8. 9. ı0.)
3. Kein Kampfer für Gott mengt fich in Gefchaf-
te dieſes Lebens; damit er dem gefalle, dem er fich er>
geben hat. (2 Tim. 2, 4.) Wenn du alfo mit Jefu
Ehrifto durch die Taufe dem Treiben der Welt ab-
geftorben bift: warum mollteft du dich ihr unterwerfen,
294
und ihre Saßungen befolgen? (Col. 2, 20.) Ind
wenn du nun mit Chriſtus auferffanden bift: fo
fuche, was im Himmel ift, wo Ehriftus zur Rech:
ten Gottes fißt; — was droben ift, habe im Sinne,
nicht was auf Erden iſt; weil wir den Geift nicht von
der Welt, fondern den Geift aus Gott empfangen ha-
ben. (Col, 3, ı.)
Könnteft du es wagen, dich der Welt hinzugeben,
(1. Kor. 7, 31.) nachdem Jeſus Chriſtus ſich
hingegeben hat, dich von der Sünde der Welt zu erlös
fen, der dich den Haß Fennen lehrte, den er gegen jene
hat, die ihr folgen, und die Gefahren, die in ihr find?
(Joh. 15, 19.) Bitte ihn alfo um die Gnade, fie zu
vermeiden, um dich enger mit deinem göttlichen Erlös
fer zu vereinen !
GSebeth
Mein Gott! in welder Blindheit habe ich
bisher gelebt! Sch fehe ein, daß ih mic), in-
dem ich die Satzungen der Melt befolgte, vom
Mege meines Heiles verirrt habe , um den Trug—
bildern der Eitelkeit nachzurennen! So will ic)
denn auf ewig den Herrlichkeiten und Ergetzun—
gen der Melt entfagen, um ganz dir anzugehd-
ren, — Mein Geift, dem es Elar -wird, daß
nichts in der Melt ift, was vermögend ware,
ihn zu befriedigen, fuche Eunftighin nur Dich;
denn du allein kannſt ihm die wahren Freuden
in dieſem und im andern Leben verjchaffen) —
XV,
Bon der Sorge für dein Heil.
1. Unfehlbar würdeſt du die wahre Gerechtigkeit
erfüllen, wenn du nicht mehr nach dem Fleifche, fons
295
dern nach dem Geifte wandeltefl. Denn die nach dem
Fleifche wandeln, find fleifchlich gefinnt; die aber nach
dem Geifte wandeln, find geiffig gefinnt, und denken
nur an ihr Heil; und es ift unmöglich, daß diejenigen
felig werden, die nach dem Fleifche wandeln, weil fie
Gott, dem Schöpfer ihres Heiles, nicht gefallen Füns
nen. (Röm. 8, 4. 6. 8.; Hebr. 2, ı0.)
2. Wirke alfo dein Heil mit Furcht und Zittern.
Denn ich fürchte, daß, wie Eva, die von der Arglift
der Schlange betrogen wurde, dein Geift verderben, und
die chriftliche Einfalt verlieren möge; weil der Satan
oft als ein Engel des Lichtes erfcheint. (Phil. 2, ı2. 14.)
Wandle alfo im Geifte, und du wirft die Lüſte deines
Fleifches nicht volbringen. Denn das Fleifch gelüftet
wider den Geiſt, und den Geift wider das Fleifch ; wo⸗
durch es oft gefchieht, daß man das Öute nicht mit der
gewünfchten Leichtigkeit thut. (Sal. 5, 16. 17.)
3. Wie alle Lafter die Früchte des Fleifches find,
das uns verdirbt, find die Früchte des Geiftes: Liebe,
Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Lang-
muth, Sanftmuth, Glauben, Befcheidenheit, Enthalt-
famfeit, Keufchheit, die alle zu unfern Heile beytras
gen. Die aber Ehrifto angehören, Ereuzigen ihr Fleifch
fammt den Lüften und Begierden. Wenn du alfo durch
den Geift lebft, fo handle immer durch den Geift. Die
ift Das einzige Mittel, felig zu werden. (Öal. 5, 22.
23: 24. 25.)
Was mußt du nicht alles thun, um felig zu wers
den, da Jeſus Ehriftus dafür geftorben ift, um dich heis
lig zu machen, ohne Makel, ohne Vorwurf vor Gott ?
(Col. ı, 22.) Denn was nüßte es den Menfchen,
wenn er die ganze Welt gewänne, an feiner Seele abec
für eine ganze Ewigkeit Schaden litte? (Matth. 16, 16.)
Genieße alfo die Güter diefer Welt, als genößeft du fie
nicht. (1. Kor. 7, 31.)
Gebethh.
Mein Gott! weil es unmöglich iſt, mein
Heil zu wirken, und zugleich die Satzungen der
Welt zu befolgen: ſo laß mich mein Gemüth,
aus Liebe zu dir, gänzlich von ihr abwenden;
von Allem, was ich außerdem auf der Erde lie—
be, wenn auch dieſes Losmachen mir Blut und
Leben koſten ſollte; flöße mir Muth genug ein,
dir das Opfer ſtandhaft bringen zu können; da—
mit ich nichts ſo ſehr liebe als dich, und nur
nod an meinem Heile feſthalte, welches das ein—
zig Nothwendige in dieſem vergänglihen Leben
it, um das ewige Leben zu erlangen.
XVI.
Vom Umgange.
1. Unterhalte dich immer mit guten Geſprächen;
denn nichts verdirbt gute Sitten mehr, als böſe Geſprä⸗
che. (1. Kor. 15, 33.) Sinne auf Alles, was zur ges
meinfchaftlichen Erbauung dienen Fann ; indem du freunds
lich bift gegen Jedermann, um Zank und unnützen Streit
zu vermeiden. (2. Zim. 2, 24.) Wenn man aber eins
ander beißt: fo iff zu befürchten, daß man fich zu Grunde
richtet und aufreibt, (Gal. 5, 15.)
2. Wenn du redeft, fo fprich nichts, was deinen
Zuhörern nicht Wohlwollen mittheilt, die Bitterkeit des
Gemüthes, alles Leidenfchaftliche, jeden Unmwillen, alles
Geſchrey, alle üble Nachrede, und alle Bosheit von dir
verbannend. (Eph. 4, 3.)
Deine Rede fen allezeit Lieblich, und mit dem Sale
ze der Klugheit gewürzt; damit du wiffeft, wie du Jes
297
den zu antworten habeſt: (Col, 4, 6.) vermifche fie
mit Pfalmen, Lobgefangen und geiftlichen Liedern, um
zu zeigen, daß deine Unterhaltung mehr dem Himmel, als
der Erde angehöre. (Ephef. 6, 19.5 Phil. 8, 20.)
3 Liebet einander wie Brüder, und ehret einans
der; erfraget eure Fehler, und vergebet einander, wenn
Jemand Klage hat wider den Andern, wie Öott euch
vergeben hat. (Rom. 11, 10.) In deinen Worten fey
weder Unzüchtigkeit, noch Thorheit, noch Poffenhaftes,
was fich mit der Heiligkeit deiner Berufung durchaus
nicht verträgt. (Eph. 5, 4.) Freue dich im Herrn,
doch leuchte GSittfamfeit in deiner Freude vor den Ans
dern, (Phil. 4, 4.)
Prüfe dein Herz, und fieh, ob du in deinen Ges
fprachen die Menfchen mehr dem Fleifche, als dem Geis
fie nach betrachteft. (2. Kor. 5, 16.) So du Welche fens
neft, die Jeſum anders lieben als du, oder als Jeſus
dich liebt: fo fliehe fie; denn die Einfamfeit wird dir
immer nüßlicher ſeyn, weil du verfichert feyn darfft, ihn
dort zu befißen.
@'ebet.h.
Mein Gott] zu deinen Füßen erkenne ic),
wie fehr ich von dem mich entfernt habe, was
du von mir erwarteft. Du bift das Ziel meiner
Seele, und nur in dir fol fie alle ihre Freude
fuchen; und doch habe ich fie nur im Kreife der
Menfchen gefucht. Erweife mir die Gnade, mich
ganz davon loszumachen, oder daß ich darin dic)
nie wieder beleidige, noch meinen Nachften durch
wenig fittfame oder wenig liebvolle Reden, ſon—
dern daß vielmehr meine Worte nur zu deiner
Verherrlichung dienen, und dazu auch Diejeni-
en zu vermögen, mit denen ic) mich unter:
alte,
XVII.
Von der Geduld.
ı. Betrachte Jeſum Chriſtum in deinem Leiden,
da es gefchrieben fleht, daß Alle, welche gottfelig leben
wollen, fich müffen gefaßt machen, viel zu dulden. (2.
Zim. 3, 12.) Es ift aber auch eine große Wahrheit,
daß, wenn wir mit ihm dulden, wir auch mit ihm her⸗
fhen werden; und find wir mit ihm geftorben: fo wer»
den wir auch mit ihm in feiner Herrlichkeit leben. (z.
Tim. 2, 11.) Moyſes, der diefe Wahrheit Fannte,
wollte lieber mit dem Wolfe Gottes Ungemach leiden,
als die zeitlichen Freuden der Sunde genießen; indem
er die Schmach Ehrifti für großern Reichthum, als die
Schätze Egyptens, achtete; denn er fah auf die Beloh—
nung hinaus. (Hebr, 11, 25. 26.)
2. Geduld ift dir noth; damit du den Willen Got:
tes erfülleft, und die Verheißung erlangeft, mit feiner
Hülfe in den Kampf geheft, der dich erwartet. (Hebr,
10, 36.)
Darum rache dich nicht, fondern laß den Zorn
vorüubergehen ; denn es ſteht gefchrieben: Mein ift die
Rache, ich werde vergelten, fpricht der Herr. Laß
dich vom Böſen nicht überwinden, fondern überwinde
du das Böſe durch das Gute. (Rom. ı2, 19. 21.)
3. Wen der Herr lieb hat, den züchtiget er; er
zuchtiget jeden Sohn, den er aufnimmt: harre alfo aus
unter feiner Züchfigung. Gott verfahrt mit dir, wie
mit feinem Rinde; denn wo ift ein Sohn, den der Bas
ter nicht zuchtiget? Wenn du aber ohne Züchtigung
bliebefi, welcher alle Kinder theilhaftig geworden: fo
wareft du ja fein rechtmäßiges Kind!
Und wenn du vor deinem leiblichen Water Ehrfurcht
gehabt haft, da er dich zuchtigte: wie vielmehr follen wir
209
ung nicht dem Water der Öeifter unterwerfen ; damit wir
leben? Unſere Väter züchtigten ung wenige Tage, nad)
ihrem Gutdünken: Gott aber züchtigt und zu unferm
Beften; damit wir feine Heiligung erlangen. (Hebr. ı2,
6. 7. 8. 9. 10.)
Lobpreife Gott, den Vater aller Tröſtung, der den
Troſt in dem Maße vermehrt, als unfere Leiden fich vers
größern. (1. Kor. ı, 3.) Rühme dich deiner Trübfa-
le; weil fie Geduld wirken, Geduld aber Bewahrung,
Bewährung aber Hoffnung; ohne welche wir in den Mühs
feligfeiten diefes Lebens huchfl elend waren. (Rum. 5,
3.5 1. Kor. 15, 19.)
1 Bu ae 2
Mein anbethungswürdiger Sefus! weil du
willft, daß ich mein Kreuz dir nachtrage: fo bit-
te ic) dich demüthig um die Gnade, die Glück—
feligkeit einzufehen, die darin liegt, mit dir Trub-
fale zu dulden; dag ich geduldig die Betrübniffe
ertrage, die du mir ſendeſt nad) deinem Millen ;
daß ich fie als ein Eoftbares Geſchenk von dir
betrachte, und als eine fihere Bürgfchaft , daß
ich für deine Nachfolgung in den Leiden wahrend
diefes Lebens, dich in deiner Herrlichkeit, die
ganze Ewigkeit hindurch, begleiten darf.
XVIII.
Von der Beobachtung der Gebothe Gottes.
1. Wohl gibt es Menſchen, die ohne Geſetz ge:
fundiget haben, fie werden auch ohne Gefeß verloren ge:
ben, verurtheilt wegen Lebertretung des Geſetzes der Nas
300
tur. And die unter dem Geſetze gefündiget haben, und
dieß zu ihrem Geſchäfte machen, werden durch das Ges
fe gerichtet, und feiner Uebertretung wegen geftraft were
den. Denn nicht die Hörer des Geſetzes find gerecht vor
Gott, fondern die Thäter des Öefeges werden gerechtfertis
get werden. (Rom, 2, ı2. 13.)
2. Verſchmähe alfo denjenigen nicht, der zu dir
fpricht. Denn, fo jene dem göttlichen Gerichte nicht
entgingen, die Moyſes verfchmaheten, der auf Erden
zu ihnen redete; wie viel weniger du, wenn du dich von
dem. abmwendefl, der zu dir vom Himmel herab redete,
(Hebr. 12, 25.) wenn du feine Öefeße empfängft, ges
denfend deffen, was gefchrieben ſteht: Werflucht fey
Feder, der nicht Alles erfüllt, was im Buche des Ges
feßes gefchrieben fleht, daß er es thue. —
3. Wer feinen Naächften liebt, hat das Gefeß er:
füllt. Denn die Gebothe: Du folft nicht ehebrechen,
du follft nicht tödten, du folft nicht fehlen, du follft
Fein falfches Zeugniß geben, laß dich nicht gelüften nach
dem, mas deines Nachften ift, — und was es immer
für Gebothe gibt, die find alle in diefem Worte zufams
mengefaßt: Du follft .. Nächſten lieben wie dich _
feld! (Kom. 13, 8. 9. ı0.)
Die Liebe thut dem grächffen nichts Böfes, Go
iſt nun die Liebe die Erfüllung des Gefeßes.
Bitte Gott um Verzeihung, daß du ihm fo wenig
gehorfam warſt, da es nur an dir lag, es zu hun; ins
dem er dir immer die Mittel dazu aab, und faffe einen
feften Entfchluß, feinen Anordnungen pünctlicher nach»
zufommen, und dieß zu thun, lediglich der Liebe wil—
len, welche der einzige Endzweck des Gebothes iſt. Cı.
Sim, 1:5)
® e.b.e-t
Mein Gott! ich befenne es, du bift mein.
Herr und Gebiether, und ich unterwerfe mich auf
501
ewig deiner glorreichen Herrſchaft. Stehe mir
mit deiner Gnade bey in der Erfüllung deiner
Gebothe, und fodann befehle mir nach deinem
Millen.
Flöße in meine Seele jene geiftige Monne,
welche dein Geboth jo ſüß und Tiebenswürdig
macht; damit ich es nicht bloß mit Morten Io-
be, jondern auch in meinen Merken erfülle; in:
dem ich Dir, jo lange ich noch lebe, fo treu die:
ne, daß ich einft den Lohn dafür in der Herr-
lichfeit empfangen möge.
XIX,
Vom guten Benfpiele.
1. Wer die Liebe hat, fucht nicht feinen eigenen
Vortheil, fondern was nüßlich ift dem Heile des Näch—
ften. (2. Kor. 10, 14.) Denn wir müffen Gott ein
Mohlgeruch Ehrifti ſeyn, fowohl unter denen, die felig
werden, als unter denen, die verloren gehen; diefen find
mir oft ein Geruch des Todes durch das böſe Bepfpiel,
das wir ihnen geben; jenen aber ein Geruch des Lebens
durch das Gute, welches wir in ihrer Gegenwart thun,
(2. Kor, 2, 15. 16.)
2. Alles fcheint ung erlaubt, aber nicht Alles er—
bauet; (ı. Kor. 10, 23.) denn, fo wir und auf folche
Weiſe an den Brüdern verfündigen, und durch bofes Bey⸗
fpiel ihr fchwaches Gemiffen verlegen, verfündigen wir
uns an Jefu Chriſto. Verhüthe alfo, daß dir Niemand
übel nachrede; daher mußt du das Gute nicht bloß vor
‚Gott, fondern auch vor den Menfchen thun, (2. Kor,
8, 20. 21.)
302
3. Heillofe und leere Geſchwätze meide; denn es
macht fie nur immer noch gottlofer. (2. Tim. 2, 16.)
Sm Gegentheile, Bruder! was wahr iff, was ehrbar,
was gerecht, was heilig, was liebenswürdig, was rühm⸗
lich, wenn irgend eine Tugend, wenn irgend eine löb—
liche That ift, — dem firebe nach, daß deine Liebe und
Erfenntniß mehr und mehr zunehme, fo, daß du prüs
feft, was das Beſte fey; und alfo lauter und ohne Ta⸗
del fepeft auf den Tag Ehrifti. (Phil. ı, 9. 10.)
Fühle Befchamung, nicht nur über die Richtbe—
folgung des guten Beyſpiels, welches die Heiligen dir
gegeben haben, fondern auch uber das Ueble, das du den
Rächſten durch Aergerniß zugefügt haft, und nach Kräf—
ten zu vermeiden fireben mußt, verhüthend, daß nicht
das Ueble, fo du ihnen angethan, auf dich felbfi zurüde
fale, (Rom. 14, 13.)
Br
Mein Gott! du willft, dag meine guten Mer-
te den Menjchennur zur Erbauung, dir aber zum
Ruhme erſcheinen; verleihe mir alſo guadig die volle
Fommene Kenntniß meiner Natur, und meines Ge—
müthes , die fi) Durch meine Handlungen außern,
um fie ſtets im Zügel zu halten. Ueberlaß mich nicht
der Vorliebe nad) übertriebener Einfachheit; aber
auch nicht unbedingt dem Strome der Welt, wel
cher, meinen Beift zerftreuend, mich auch nach Au—
Ben zerftreuen könnte; damit mein in jeder Bezies
hung wohlgeorduetes Leben denjenigen zum Vor—
bilde diene, mit welchen ich lebe.
303
XX.
Von den Verſuchungen.
ı. Zieh an die Waffenrüſtung Gottes; damit du
beſtehen könnteſt gegen die liftigen Anfälle des Böſen;
denn, fo Jemand auch Fampfet: fo wird er doch nicht ges
kröoͤnt, wenn er nicht recht gefampft hat. (Eph.6, 3ı.)
Bon allen Seiten werden wir bedrängt, aber wir angftis
gen ung nicht; mir werden in die Enge getrieben, aber
wir verzagen nicht; mir werden verfolgt, aber doch nicht
verlaffen ; wir werden zu Boden geworfen, kommen aber
doch nicht um ; deßwegen dürfen wir den Muth nicht vers
lieren, (2. Kor. 4, 8. 9. 16.)
2. Gott iſt getreu; er wird dich nicht über deine
Kräfte verfuchen,, fondern aus der Berfuchung felbft noch
Bortheil ziehen laffen ; damit du fie ertragen Fünneft, (1.
Kor. 10, 13.) Denn wir haben feinen hohen Priefter,
der mit unfern Schwachheiten nicht Mitleiden haben Eünns
te, fondern einen, der in allen Stüden, fo wie wir, vers
fucht worden ; doch ohne Sünde. (Hebr. 4, 15.)
3. Wir wiffen auch, daß denen, die Gott lieben,
alle Dinge zum Beften dienen, die nach dem Vorſatze zu
Heiligen berufen find. (Rum. 8, 28.) Wenn du alfo ir-
gend eine Verfuchung leideft: fo laß dir an feiner Gnade
genügen; denn die Tugend erflarket in der Schwachheit,
und eben dann, wenn wir uns für ſchwächer halten, find
wir flarfer als jemahls. (2. Kor. ı2, 9. ı0.) Wenn
Gott für uns iſt, mer ift wider uns? (Rom. 8, 3ı.)
Bitte den Gott des Friedens, daß er den Satan
unter deinen Füßen zertrete, und daß die Gnade Fefu
Ehrifti immer mit dir fey; denn mit diefem Beyftande
wirft du muthig gegen alle Feinde deines Heiles Fampfen.
(Rom, 16, 20.) Sey jedoch auf deiner Huth, und bes
504
the andachtig, daß du nicht in Verfuchung faleft.
(Matt. 26, 41.)
Gebet
Mein Gott! Tag mich deine Macht gewahr
werden, um mich von den Verſuchungen meiner
Feinde zu befreyen. Zerfireue die Berirrungen
meines Geiftes, vertheidige mich durch deine Gna—
de gegen die Flammen meiner unfeligen Begierdenz
Damit ich niemahls von ihren gewaltigen Angriffen
befieget werde, und dir beffer dienen könne, mit
dem Leibe und dem Beifte. Gib nicht zu, daß Die
—— — ——
böfen Geiſter mic) überwinden, oder daß fie gegen
mein Heil mich überreden, damit du immer Der
Fer meines Geiſtes und meines Herzens blei-
[4 Wozu - i
XXL
Bon der Gegenwart Gottes.
1; Irre dich nicht, Gott laßt Seiner nicht ſpotten;
mweil er das Geheimfte in unfern Herzen Fennt, und weil
Fein Wefen für ihn unfichtbar ift. (Gal. 6,7.) Kein Ge⸗
fchöpf if vor feinem Angefichte verborgen; Alles ift nackt
und offenbar vor den Augen deffen, welchem wir Rech»
nung ablegen müffen von unfern Handlungen. (Heb.
4, 13.)
2. Verſuche dich felbft, ob du im Glauben fteheft,
prüfe dich felbft; oder erfennft du nicht an dir felbft, daß
Jeſus Chriftus in dir ift? Du müßteſt nur ganz verwerfs
lich feyn. (2. Kor. 13, 5.) Denn du bift der Tempel
des lebendigen Gottes, wie Gott felbft fpricht: Im ih—
nen
— —
305
nen will ich wohnen , in ihnen will ich wandeln,
ihr Gott will ich feyn, und fie follen mein Bolt
fepn ! (2. Kor. 6, 16.)
3. Wenn nun Gott in allen Dingen iff, und
in ung Allen, wenn Alles durch ihn ift, und Alles
für ihn ift, und Alles in ihm if, und wenn daher das Ver:
borgene deines Herzens ihm offenbar wird: fo falle vor
ihn auf dein Angeficht nieder, und befenne, daß er
in dir ift, und thu nichts, was feiner unwürdig wä—
re; denn alles Tadelnswerthe wird offenbar vor feinem
£ichte, wie vor dem Lichte des Tages alles offenbar
wird, was die Nacht verhüllt hatte, (Eph. 4,6. Röm.
13, 36. 1. Kor. 5, 10. Eph. 5, 13.)
Trage oft im Munde und im Herzen diefe Wor:
te: Sch muß heilig ſeyn, und tadellos in der Gegen-
wart Gottes, der mich ſieht, — und die wird das
wahre Mittel ſeyn, dich bey deiner Pflicht zu erhalten,
entweder indem es deiner Tragheit abhilft,, oder dich
hindert, irgend ein Verbrechen zu begeben.
Gebeth.
Mein Gott! ich bitte dich um die Gnade,
in deiner Gegenwart fo zu leben, daß ich nie
mich davon entferne, daß ich ſtets mit Dir verei—
niget bleibe, und du mit mir durch das Band ei-
ner vollfommenen Liebe, welches mich fortwah-
rend deiner gedenken, mit dir gehen und hau—
deln laßt, und in deiner guttlichen Gegenwart;
indem ich mein einziges Vergnügen darin finde,
Dir zu gefallen, damit ich defien mich einjt im
Himmel erfreuen möge!
Sailer, d. chriſtl. Monath, 20
306
XXII.
Von der Nächſtenliebe.
1. Strebe nach Friede mit Jedermann und nach
der Heiligung, ohne welche Niemand den Herrn fchaus
en wird, und fieh nicht fo faft auf das Deinige, als
auf den Nusen des Andern, (Heb. ı2, 14. Phil,
2,4.) Liebe fie mit herzlicher Bruderliebe, und kom⸗
me ihnen mit Beweiſen von Achtung zuvor, ertrage
aus Liebe ihre Fehler, und alfo wirft du das Geſetz
Ehrifti erfüllen. (Rom, ı2, 10. Öal, 6, 2.)
2, Öleichwie wir an Einem Leibe viele Glieder,
alle Glieder aber nicht diefelbe Verrichtung haben;
alfo find wir, fo viel unfer find, Ein Leib in Chriſto;
(Röm. ı2, 4. 5.) jeder Einzelne aber ift des Andern
Mitglied, damit feine Spaltung im Leibe ſey, fondern
die Glieder einträchtig für einander forgen ; wenn daher
Ein Glied leidet, fo leiden alle Glieder mit, und wenn
Ein Glied verherrlichet wird, fo freuen fich alle Glie⸗
der mit, (1. Kor. 12, 25. 26.)
3. Du liebft deinen Rächſten wahrhaft, wenn
du fchwach bift mit dem Schwachen, und wenn du
Allen Alles biſt, um fie Alle felig zu machen; (1.
Kor. 20, 22.) wenn du dich freueft mit den Sröplichen
und weineft mit den Weinenden; (Rom. ı2, 15.)
wenn du mit aller Demuth und Sanftmuth und Lang»
muth fie ertrageft in Liebe; (Eph. 4, 2.) wenn du
nicht Böſes mit Böſem vergelteft, fondern Allen Gus
tes erweifeft, um die. Einigkeit des Geiftes durch das
Band des Friedens zu bewahren; (1. Th. 5, 15.)
weil Feiner von uns fo fehr für fich felbft, als für die
Andern leben fol. (Röm. 14, 6.)
Faffe den feften Entfchluß, nach der Liebe zu
fireben ; r il — infofern dein Herz eins iſt mit den
Herzen der Andern, — du num denfelben Gedanken,
307
dasfelbe Verlangen, und feinen Streit um Ehre und
Güter haben, fondern im Gegentheile ihnen davon
eben fo viel, und mehr als dir ſelbſt, wünfchen wirft.
(1. Kor. ı, 14.)
Gebeth
Mein Sefus! du mein Vorbild , wornach
id mein Leben richten fol, laß mich Theil ha-
ben an der Liebe, womit du uns geliebt haft,
da du noch auf der Erde lebteft, und wodurch ich
über die Andern mic) niemahls erpeben werde;
damit ich an ihnen vielmehr alle die Pflichten ei-
ner vollfommenen Liebe erfülle : indem ic) dene
felben in allen ihren geiftigen und Eorperlichen Nö—
then behülfli bin, und am Tage des Gerichtes
das füge Mort zu hören verdiene: Komm, von
meinen DBater Gefegneter! denn was du dem
Geringften meiner Bruder gethan Haft, das
haft Du mir gethan.
XXI.
Bon der. Liebe Gottes.
1. Gelobt fey Gott, deffen Liebe ausgegoffen ift
in unfern Herzen, durch den heiligen Geift, der uns
gegeben ift, und der gewollt hat, daß die Beftimmung
und Erfulung feiner Gebothe fey: ihn zu lieben.
(Rom. 5, 5.51. Th. ı, 5.) Diefe Liebe muß aber rein
und frey von jeder Neigung feyn , welche das Ges
wiſſen, wenn auch noch fo wenig, verlegen, und dem
Glauben an anerfannte Wahrheiten, fo wie an das
gegebene Wort, ganz darnad) zu leben, könnte entges
gen wirken.
20-'°
308
2. Sehne dich immer nach Gott, und habe
Luft abzufcheiden, und bey ihm zu ſeyn; das iſt ein
Zeichen, daß du ihn liebeft. (Phil. ı, 25.) Aber das
iſt ein größeres Zeichen, wenn du täglich in der Sor⸗
ge firbfi, feinen Ruhm zu vermehren, indem du nur
für ihn wirkeſt; und wenn du aus Liebe für ihn die
Ehren der Welt für Thorheiten, (1. Kor. 15, 31.5 1.
Kor. ı, 20.) die Reichthümer für Kaub, und die Ach-
tung der Menfchen nur für Täuſchung half. (Phil.
8.
2 Du liebft Gott wahrhaftig, wenn dir aus Lies
be für ihn wohlgefällig erfcheinen, die Gebrechen deis
nes Leibes, Leiden, Vorwürfe, Armuth, Verfolguns
gen, und Unterdrudungen, die er über dich kommen
läßt: (1. Kor. ı2, 20.) wohl wiffend, daß denen,
die Gott lieben, ale Dinge zum Beſten dienen, die
nach feinem Vorſatze zur Heiligung berufen find. Hand:
fe daher fo, daß weder Leben noch Tod, weder Engel
noch Fürften,, weder Tugenden, weder Gegenwart, noch
Zukunft, noch Stärke, weder Höhe, noch Tiefe,
noch irgend ein anderes Gefchöpf dich zu fcheiden vers
möge von der Liebe Gottes, die da ift in Ehrifto Jeſu
unferm Herrn. (Rum. 8, 28. 39.) Was du immer
thun mögeft, thu es zur größern Ehre Gottes. Da:
durch wird deine volfommene Liebe an den Tag kom—
men, wozu du verbunden bift, und die Vernunft, das
Borbild Jeſu Ehrifti und der Heiligen, und die Gnas
de möge dich zu diefem Ziele führen! (1. Kor. 10, 31.)
Gebeth.
Mein Gott! ſcheide mich gnädig von den
übrigen Weſen; damit du der einzige Gegenſtand
meiner Liebe biſt, und daß ich etwas Anderes
außer dir, nur aus Liebe zu dir liebe! Ver—
leihe mir, mein Gott! das Feuer deines heiligen
309
Beiftes, welches mein Herz mit diefer vollkom-
menen Liebe entzinde, umd meinen Eifer nur zu
deinem Ruhme entflamme , deffen Bermehrung
auf diefer Erde mein Befisthum werden möge
in dem andern Keben! —
XXIV,
Vom Gebethe.
1. Bethe ohne Unterlaß, was dir auch widerfah—
re; ſey Gott dankbar für Alles: denn das iſt Gottes
Wille in Ehriffo Jeſu an euch Alle. (1. Theſſ. 5, 17»
18.) Löfche nicht aus den Geift des Glaubens und der
Liebe: denn der Geift, den du empfangen haft iſt nicht
ein Geift der Knechtfchaft, daß du dich fürchten. müß-
teft ; fondern den Geift der Kindfchaft haft du empfan-
gen, Hi welchem wir rufen: Unfer Vater! (Röm.
8, 15. |
2. Es ift derfelbe Geiſt, der in unferer Schwach»
heit ung zu Hülfe kommt, und der uns bethen lehrt;
denn mir twiffen nicht, was wir bethen follen, mie e$
fich gebührt; der Geiſt aber fürbittet felbft für uns mit
unausfprechlichen Geufzern, und der die Herzen for-
fhet, weiß, was det Geift verlangt, der für uns
bittet, und der eines ift mit dem göttlichen Willen.
(Rom. 26. 27.)
3. Kümmere dich um nicht? , fondern in allen
Dingen laf dein Anliegen im Gebete und Flehen mit
Dankfagung vor Gott fund werden; (Phil. 4, 6.) in⸗
dem du ihn vor Allen bitteft, daß er dich erfülle mit der
Erfenntniß feines Willens, in aller Weisheit und geie
fliger Einficht; damit du Gottes würdig, und ihm in
Alem wohlgefällig wandelt, an allen guten Werken
310
fruchtbar ſeyſt, (1. Col. 1,9. 10.) und in der Erkenutniß
Gottes wachfeft, und halte aus im Gebethe, ohne
den Muth zu verlieren. (Col. 4, 2.)
Gott will, daß du ihm ein Zobopfer bringeft, das
ift, die Srucht der Lippen, welche feinen Nahmen preis
fen ; fammle alfo die böchfte Aufmerkfamfeit im Ges
bethe, um jede Beranlaffung zur Zerſtreuung zu vers
meiden; dadurch wirft du im Gebethe dich mit ihm
vereinigen. (Heb. 13, 15.)
Gebeth.
Mein Gott! ich weiß aus Erfahrung, daß
der Geift ftark ift, und das Fleiſch ſchwach,
und daß du mir das Bethen angeordnet haft,
diefen Hebeln abzubelfen: erweife mir die Gnade,
ein jo großes Unternehmen würdig auszuführen,
und lehre mich, wie man bethen muß! Entzünde
Daher meine Seele mit deiner göttlihen Liebe;
damit mein Geiſt, voll Reinheit und Eifer, nicht
Zerftreuungen anheimfallen , fondern deſto leich—
fer erringen möge, was du für mic) als noth-
wendig erachteft!
XXV.
Von der Wohlthat der Gnade.
1. Alle Menſchen haben geſündiget, und erman⸗
geln des Ruhmes vor Gott, und werden ohne Verdienſt
gerecht gemacht, durch ſeine Gnade, durch die Erlö—
fung, die durch Chriſtum Jeſum geſchehen iſt. (Rom.
3, 23.) Durch dieſe Gnade hat Gott nach feinem Wils
len in uns das hohe Verlangen nach guten Werfen her⸗
511
vorgebracht, und die Stärke, fie vollfommen auszuuben;
(Phil. 2, 13.) und diefe Gnade iſt es, die uns aus
der Knechtfchaft in die Kindfchaft Gottes geführt hat,
und die Macht uns gibt, ihn unfern Vater zu nennen,
(Rom. 3, 13.)
2. Diefe Gnade ift es, die auch dich wieder er>
wecet bat, der du todt wareft Durch deine Webertretuns
gen und Sünden, in welchen du gelebt haft nach dem
Sinne diefer Welt, nady den Eingebungen des Bofen ;
indem du den Willen deines Fleifches und der Weis
gungen vollbrachteft. Gott aber, der reich ift an Barm—
herzigkeit, vermög feiner großen Liebe, womit er dich
geliebt, hat auch dich, da du todt wareft in Sünden,
mit Ehrifto lebendig gemacht; durch feine Gnade bift
du felig geworden. (Ephef. 2, ı. 3. 4- 5. 8.)
3. Diefe Vortheile fommen nicht von dir, Güte
tes Geſchenk find fie. Da du nun durdy Gottes Gna—
de bift, was dubift, fo hüthe dich , daß fie an dir nicht
vergeblich fey, (ı. Kor. 15, 10.) und unterſtütze feine
Entwürfe in allen Unternehmungen, indem du trach-
teft, durch gute Werke dahin mitzuwirken. (Rom. 6,1.)
Erinnere dich, daß du diefen Schab in einem
fehr gebrechlichen Gefäße tragft, die große Gefahr, ihn
zu verlieren, wenn du nicht auf deiner Huth bift; weil
deine Feinde Alles thun, um ihn dir zu entreißen. Ber
mühe dich alſo, in diefem gluclichen Stande dich zu
erhalten; indem du einen nüßlichen Gebrauch davon
macheft. (2. Kor. 4, 7.)
Gebeth.
Mein Gott! da ich die Mohlthat erfeune,
dich zu befißen, fo laß die Sünde in mir jo
fterben, daß ich Eein anderes Leben, als das Le-
ben der Gnade habe, und daß ich es fo gut be-
wahre, daß ich niemahls durch irgend ein Ver:
312 5
brechen von dir mich frenne , fondern vielmehr fo
genau damit verbunden bleibe, daß nicht - fo faft
ich lebe, als du jelbft in mir lebeft, mit Eeinen
andern Gefinnungen, ald mit den deinigen ; da-
mitich, auf der Erde ſchon, durch die Gnade mit
dir vereint, es einft nocd) weit mehr im Him-
fi
mel durch die Herrlichkeit jeyn werde!
VENREVE
Bon der Andacht.
1, Uebe dich in der Öottfeligkeit, und folge nicht
den Öefinnungen derjenigen, welche die Wahrheit nicht
Tennen, die da meinen, Gottfeligkeit fey ein Gewerbe.
(1. Zim. 4,7.) Ein großer Gewinn ift freplich die
Goftfeligkeit mit Genügſamkeit. (1. Tim. 6, 5. 6.)
2. Halte feft an der Gnade, wodurch du Gott
mit Ehrerbiethung und bheiligem Schauer auf eine
wohlgefällige Weife dienen Fannfl. Denn unfer Gott
iſt ein verzehrendes Feuer, das den gegen feine Gnade
Andankbaren vernichten wird, das aber auch das Welt:
liche in dir zerftören Fan, wenn du dic) ihm wahrhaft
hingibſt. (Heb. ı2‘, 28.)
3: Ich befchmwöre dich alfo, um der Erbarmuns
gen Gottes willen, daß du dich ihm als ein lebendiges,
bheiliges, Gott gefaliges Opfer darbringft: das ift der
vernunftige und geiffige Gottesdienft, den du ihm
ſchuldig biſt. Stelle dich diefer Welt nicht gleich, fon»
dern laß dich umwandeln durch die Erneuerung deines
Sinnes, damit du prüfeft, was Gottes Wille, was
gut, wohlgefalig und vollflommen ſey. Bor Allem
aber erinnere dich in deinem Benehmen , daß du nicht
weifer ſeyn wolleſt, ald es fich geziemt, und nicht zu
313
tief in die Geheimniffe der Keligion dringeft, fondern
fie mit Mäßigung übeft; damit deine Andacht, wohl
geordnet ſey. (Röm. ı2, 1. 2. 3.)
7 Richte deine Andacht fo ein, daß du nicht mehr
thuft, als Gott von dir. verlanget; aber auch, daß
du fo viel thuſt, als er verlangt, und nicht weniger.
Denn es gibt Dinge, die Gott von ung nicht mill,
und es gibt andere, die er will und erwartet, um
zu erfüllen, was wir von ihm bitten; fo daß deine Ans
dacht deinen Verhaltniffen angemeffen, und von der
Klugheit angeordnet fey. (2. Kor, 8, 11.)
Gebeth.
Mein Gott! nichts ift dir wohlgefalliger ,
als die Neigung, Dir zu dienen: erweife mir
alfo die Gnade, mich immer fefter an deinen
Dienft zu binden; damit ich immer mehr mid)
über das irdifche und vergängliche Leben zum
himmlifhen und geiftigen Leben emporfchwinge,
verachtend alle menschlichen Ruckfichten, um ein=
zig und allein nur dir anzugehören! Nimm aus
meinem Herzen, was dir darin mißfakkt, und be-
fonders den Geift des Hochmuthes, der nur in
den Augen der Melt glanzen will: damit mein
ganzes Funftiges DBeftreben nur dein Wohlgefal-
len jey! — |
XXVII.
Vom Vertrauen auf Gott.
1. Tritt zu Gott mit aufrichtigem Herzen, in
vollem Vertrauen, mit einem Herzen, gereiniget von
314
den Sünden, deren dein Gemiffen fich ſchuldig fühlte,
und halte unveränderlich feſt am Befenntniffe deiner
Hoffnung; (Heb. 10, 22. 23.) denn treu iſt der, der
ung die Verheißung gegeben hat, und Alles vermagft
du durch den, der dich ſtark macht. (Phil. 4, 13.)
2. Lerne verftehen,, was des Herrn Wille ift,
und verfuche ihn nicht, wie die Juden in der Wüfte,
die durch Schlangen umkamen. (Eph. 5, ı7.) Mure
re nicht gegen ihn, wie Einige von ihnen murreten, und
durch. den Würgengel umkamen. (ı. Kor. 10,9.)
Dein Wandel fey ohne Geiz; begnüge dich mit dem,
was du haft, denn er hat gefagt: »Ich will dich nicht
verlaffen, ich will dich nicht verfaumen.« Du kannſt
alfo getroft fagen: »Der Herr ift mein Helfer! Ich
fürchte nichts. Was kann mir ein Menfch thun %« —
(Hebr. 13, 5.)
| 3. Sey daher muthig, und ſtärke dich durch Je⸗
fum Chriſtum, und baue auf feine Kraft, und auf die
Macht feines Schußes. (Hebr. 6, 10.) Denn, wenn
er auch nach der Schwachheit des Fleifches, der er
ſich unterwarf , gefreuziget ward, fo kam er doch durch
die Macht Gottes, und obgleich auch mir ſchwach
find, fo werden wir doch leben wie er, durch diefelbe
Macht. Kümmere dich alfo um nichts, fondern in
allen Köthen laß dein Anliegen im Gebethe und Fle:
hen mit Danffagung für Alles, was dir begegnen
mag, vor Gott Fund werden. (2. Kor. 13, 4. Phil.
Fühle Schmerz darüber, daß du fo oft, in Bes
zug auf dich, an der Güte Gottes gezweifelt haft,
und betrübt wareft über ein erduldetesg Uebel, oder über
ein entzogenes Gut, das vielleicht die Urfache deines
Verderbens geworden wäre, und vertraue auf feine gütts
liche Vorſicht, mweldhe weiß, was zu deinem Heften
it. (Heb. ı2, 5.)
315
Gebeth.
Herr! der du ſo gnädig ſorgeſt für die Ge—
ringſten deiner Geſchöpfe, ich werfe mich ganz in
deine Arme, und bitte nur, daß du mich ganz
erfüllen mögeft mit deinem göttlichen Millen !
Sc überlaffe Alles deiner göttlichen Meisheit,
die nad) meinen Nothen , nicht nad) meinen Wün—
Then verfahren möge. Um die einzige Gnade bit-
te ic) Dich, daß du in Feiner Lage mic) verlaffeft,
und mir die nöthige Kraft ſchenkeſt, um nie-
mahls zu unterliegen! —
XXVII.
Von der Reinheit der Abſicht.
1. Hüthe dich, denen zu gleichen, die in ihrem
Antlitze einen gewiſſen Schein von Frömmigkeit tra⸗
gen, und fie nicht im Herzen haben; (2. Kor. 5,2.)
und wenn du dich ruhmeft, fo ruhme dich des Herrn,
indem du ihm den Kuhn deiner Handlungen bringeft.
Denn nicht wer fich felbft lobt, ift bewahrt, fondern
der, den der Herr lobt, und feines Beyfalles wuürdis
get. (2. Kor. 10, 17. 18.)
2. Wenn du in fleifchlichen Gefinnungen, und
in der falfchen Klugheit der Welt lebeft, und in dei—
nen Handlungen dich mehr um dich felbft, al um
Gott bemüheft : fo fannft du ihm unmöglich gefallen ;
wenn du Menfchen zu gefallen fucheft, fo kannſt du
Chriſti Diener nicht feyn; (Röm. 8,7. 18.) wer vom
Geifte Chriſti nicht befeelt iff, der gehört ihm auch
nicht an, und fucht weniger die Sache feines Erlöfers,
als feinen eigenen Vortheil. (Gal. 1, 10. Phil. 2, 21.)
316
3. Das Einzige, deffen wir und ruhmen dürfen,
ift das Zeugniß unſers Gemwiffens: daß mir in der
Welt, in der Einfalt des Herzens und Aufrichtigkeit
vor Gott, gelebt haben ; daß wir uns nicht der Klug»
heit des Fleifches bedienten, fondern den Eingebungen
der Gnade Gottes folgten. Denn die fleifchliche Ges
finnung führt zur Sünde und zum ewigen Tode; die
geiftige Gefinnung aber bringt Leben und Frieden,
(Rom. 8, 6.)
Laß die Welt reden, und thu deine Pflicht;
wenn du Feine Kücfichten weder auf andere Menfchen,
noch auf dich felbft in deinen Handlungen zeigeſt, fo
werden fie Gott wohlgefälliger feyn. Wenn du wüß—
teft, was es darum fey, Gott zu gefallen, ſo würdeſt
du Fein anderes Vergnügen in diefem Leben mehr fu:
chen. (1. Theſſ. 2, 4.)
Gebeth.
Herr! der du willft, daß ich mit aufrichti-
gem Herzen dir diene, erfülle es gnadig mit
einem Geifte, entfernt von Hochmuth, Prunklie—
be und eitler Meltgröße, voll Liebe und Nei—
gung für meinen Nachften; gib, daß ich Belei—
digungen ohne ein Gefühl der Rache dulde, daß
ich der Abtodfung und Buße mich weihe, als ein
Feind aller Vergnügungen, außer dem Vergnü—
gen, Dir zu dienen. Meine Andacht ſey den
Menfchen nur in fo weit befannt, als meine
Pflicht, fie zu erbauen, es erfordert , mein
Hanptbeftreben aber — dir zu gefallen! —
317
XXIX.
Bon der Liebe Jeſu Ehrifti für die Menfchen.
1. Wahrlich es gibt nicht? Größeres, als Die
Liebe Jeſu Chrifti, der für uns Gottloſe zu „einer
Zeit geftorben ift, da wir noch inder Schwachheit und
Unfähigkeit lebten, das Gute zu thun. Dieß aber
ift wunderbar; denn es. wird faum Jemand gefunden
werden , der flerben möchte, um einen Öerechten zu
retten. Gott aber beweifet die Größe feiner Liebe da—
durch, daß Chriſtus für uns geftorben iſt, zur Zeit,
da wir noch Sünder waren. — (Rom. 5, 6. 7. 8.)
2. Wenn er nun für ung, da wir noch Sün⸗
der waren, geftorben ift: um fo mehr werden wir als
fo. jest, da wir durch fein Blut gerecht gemacht find,
durch ihn vom Zorne Gottes errettet werden, Denn
wenn mir, da wir noch Feinde waren , mit Gott ver:
fühnet wurden durch den Tod feines Sohnes: um fo
mehr werden wir, da wir nun verfühnet find, durch
fein Leben felig werden, welches die Gnade if. (Kom.
5, 9. 10.) Für ung ift er ja arm geworden, um uns
Alle mit feinen Schäßen zu bereichern. (2. Kor. 8, 9.)
3. Ihm genügte es nicht, uns einmahl felig zu
machen, noch täglich macht er ung felig, indem er uns
aufborlich für uns bittet. Einen folchen hohen Prie-
fier mußten wir auch haben, der da heilig wäre, uns
fhuldig, unbefleeft, nicht aus der Zahl der Sünder,
und höher als der Himmel; der nicht, wie jene ho—
hen Priefter, täglich nöthig hätte, zuerft für feine eiges
nen, und dann für des Volkes Sünden zu opfern.
Denn das hat er ein für alle Mahl gethban, da
er fich felbft opferte. Denn das Geſetz ſtellt Menfchen
zu Prieflern auf, die mit Schwachheiten behaftet find;
aber jenes eidliche Wort, welches erft nach dem Ge-
feße ausgefprochen ward, fest Jeſum Chriftum zum
318
ewig volfommenen Priefter ein. (Heb. 7, 25. 26.
27. 28.)
Wie man nicht leben kann ohne GSelbftliebe,
oder ohne die Liebe Jeſu; fo wähle die eine oder die
andere zu deinem Führer. (1. Kor. 5, 13.) Aber vers
gif nicht, daß du gegen Jefum Chriftum lebeſt,
wenn du nicht für ihn lebefl. Werbanne alfo deine
Selbftliebe, und nur die Liebe Jeſu erfülle dich ; dar
mit du ihm gleich werdefl, (2. Kor. 3, 18.) |
Gebeth.
Mein liebenswürdigſter Jeſus! wie viel haſt
du gethan, um mich zu erlöſen, und zu dir zu
erheben! Vom Augenblicke deiner Empfängniß
an haft du an meinem Heile gewirkt. Du haft
für mid) gedaht, als wäre ich allein auf der
Erde geweſen. Welche Güte! du haft mic iu
deinem Evangelium unterrichtet, und endlich dein
Blut für mid) vergoffen! Ach, mein Gott! da
alle diefe Mohlthaten eben fo viele Gründe
find, die mich zu taufend Dankfbezeigungen ver—
pflichten: fo laß mich in ihrer Erkennung ohne
Rückhalt Dir bingeben, wie du dich hingegeben
haft für mich!
XXX,
Bon der Nachahmung Sefu Ehrifti.
1. Willft du Jeſum Chrifftum recht nachahmen,
fo ziehe ihn fo an, daß du gleiche Gefinnung mit
ihm haft, (Rom. 13, 14.) und trachte, deine Werke
nach feinem Vorbilde zu vervolfommnen, und mit ihm
319
zu leben ; damit Ai ganz nach feinem Bilde umgewan⸗
delt twerdeft. (2. Kor. 3, ı8.) Denn das unordentliche
Leben ift eben fo dem Leben Jeſu Ehrifti entgegen,
wie das Lafter der Tugend, die Nacht dem Tag, und
der Tod dem Leben. (2. Kor. 6, 14.)
2, Die Liebe Chriſti muß dich fo durchdringen,
daß du nur Ein Herz mit ihm bift, und daß du nies
mahls von ihm dich trenneſt, was dir auch begegnen
möge. (2. Kor. 5, 14.) Öedenfe, daß er nur auf
die Welt Fam, ung zu lehren, aller Gottlofigteit zu
entfagen, allen Lüften der Welt, und nückiern, ges
recht und fromm zu leben; und obwohl er Gottes
Sohn war, fo hat er doch durch Erduldung feiner Lei—
den Gehorfam gelehret, um uns ein Mufter der Pflicht:
erfülung zu binterlaffen. (Rom, 8, 6. Tit ı, 32.)
3. Täufche dich nicht, denn Gott will, daß Al-
le, die er auserfehen, und vorherbeflimmt hat, dem
Bilde feines Sohnes, dem Erfigebornen, in Erduldun
gen gleichen, wenn fie ihm in den Himmel folgen
wollen. (Rom. 8, 29.) So fey nun Gottes Nachfols
ger, als fein liebes Kind, und liebe deinen Naächften,
wie dich Jeſus Chriſtus geliebt, und für dich fich Hinz
gegeben hat; zur Gabe und zum Opfer, Öott zum
lieblichen Seruch. Wer ihm alfo nicht folgen, wer un—
fern Herrn Jefum Ehriftum nicht lieben will, der muß
die Folgen feiner Verirrungen tragen. (Eph. 5, ı.)
Erfenne deinen bisherigen Irrthum, als fey die
Nachahmung Jeſu Chrifti zu mühſam; indem du
nicht verfennen Fannft, daß die Kraft und die Önade,
ihm zu folgen, von ihm dir verliehen if, der alle
Hinderniffe der Tugend binweggeräaumt hat. So du
es alfo nicht thuft, wirft du auch Fein wahrer Chriſt
ſeyn.
320
Gebeth.
Mein ſüßer Erlöſer! du biſt das Vorbild
zur Richtung meines Lebens, verleihe mir die
Gnade, es vollkommen darnach zu führen, und
mir dein Bild ſo lebhaft einzuprägen, daß ich
dir gänzlich gleiche in der Demuth, Liebe, Ab—
tödtung, und im Gehorſame; daß ich, wie du,
in den Willen deines Vaters mich ergebe, in
Trübſalen, und in dem Kreuze, das er mir
fenden wird; damit ich, mir felbft und allen
Weſen abjterbend , wieder auferftchen kann mit
dir in deiner Herrlichkeit!
XXXI.
Von der Anwendung der Zeit.
1. Die Zeit iſt kurz, daher müſſen die, fo dieſe
Welt genießen, thun, als genößen ſie dieſelbe nicht;
denn die Geſtalt dieſer Welt vergeht. (1. Kor. 7, 29. 31.)
Feder Mitarbeiter mit Gott an deinem Heile, muß dich
alfo ermahnen , daß du die Gnade Gottes nicht vergeb-
lich mögeft empfangen haben. (2. Kor. 6, 1.) Denn
er fagt durch feinen Propheten, da er von der Zeit
fpricht,, in der wir leben: »Zur Zeit der Gnade erhöre
ich dich, und am Tage des Heiles helfe ich Dir.«
Sieh! jest ift die Zeit der Gnade; fieh! jetzt ift der
Tag des Heiles. (2. Kor. 6, 1. 2.)
2. Saume nicht Gutes zu thun; denn die
Stunde ift da, vom Schlafe aufzuftehen; denn uns
fer Heil nähert fih von Tag zu Tag. Die Nacht
ift vergangen, und der Tag ift angebrochen. Go lege
nun ab die Werke der Finfternig, und- ziehe an die
| Waf⸗
321
Waffen des Lichtes, wandle in der Ehrbarfeit, fo lang
es noch Tag ift, und fliehe Alles, was gegen die Zu-
gend iſt; ziehe vielmehr unfern Herrn Jeſum Ehriftum
an, und treibe die Pflege des Leibes nicht bis zur Er-
regung böſer Lüfte. (Rom. 13, 11. 12. 13.)
3. Thu alfo Jedermann Gutes, fo lange du Zeit
haft, wache, fehe feft im Glauben, (Sal. 6, ı0.)
fey männlich und ſtark, handle mit Klugheit, nicht
al3 Unweiſer, fondern als Weifer, wuchere mit der
Zeit, benüge fie fo viel als möglich; denn die Tage
find böfe und voll widriger Zufälle, welche dir oft die
Mittel rauben, an deinem Heile zu arbeiten. (Eph.
5,15. 16.) un
Denke nach, wie viel Zeit du verloren, die du
nicht für Gott und dein Heil verwendet haft. Betrach-
fe dein Alter, und fieh, wie viele Jahre unnütz vers
floffen find, bisweilen felbft mit Beleidigungen Got»
tes, Mache diefen Verluſt wieder gut, indem du
Fünftighin nur mehr für ihn lebeſt. — (Col. 3, 9.)
Gebeth.
D großer Gott! der du mich erfchaffen
haft zu Deinem Kuhme zu leben, und an mei-
nem Seile zu arbeiten ; ich fehe nun ein, wie
weit ih von deiner Abficht mich entfernt habe.
Depwegen bitte ich did um Werzeihung, daß
ih fo ſpät angefangen habe, did zu lieben,
und für deine Mohlthaten dankbar zu fenn.
Gib, mein Gott! daß ich künftighin, bedau—
ernd die unglücklicher Meife im Spiele, im Auf-
wande, und in Ausfchweifungen, in der An—
haufung vergänglicher Güter, oder im Erfterben
weltlicher, fheinbarer Murden verlorene Zeit,
den Reſt meines Lebens deinem Dienfte weibe !
Sailer , d. chriſtl. Monath, 21
Sählufgebeth.
Gott des Erbarmens! deffen Mort alle
Dinge erfchaffen hat; ich bitte dich in aller De-
muth um einen Strahl der göttlihen Meisheit,
die du bey dir haft im Himmel! Stoße mic)
nicht aus der Zahl deiner Kinder, nimm mic)
auf ald deinen Diener und dein Gefhöpf, als
einen ſchwachen, fterblihen Menfchen , unfahig,
deine heiligen Gebothe aus mir felbft zu. be-
greifen. Sende mir vom Himmel, von deinem
alterhöchften Throne , deine göttliche Meisheit ,
damit fie mir beyftehe und beywirke; und daß
ich durch ihre heiligen Eingebungen deinen Dil-
—
len erkenne, um ihn zu erfüllen: daß ſie mich
leite in allen meinen Merfen nach deinen Anz
ordnungen,, Daß fie mid) erhalte durch ihre
Machte, und dag ich fo aluckli werde, in al
Rn Handlungen. meines Lebens dir zu gefallen!
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